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German Pages 400 Year 2023
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 377
Die Mitverantwortung des Arbeitgebers im Kündigungsschutz
Von
Lisa Kraayvanger
Duncker & Humblot · Berlin
LISA KRAAYVANGER
Die Mitverantwortung des Arbeitgebers im Kündigungsschutz
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 377
Die Mitverantwortung des Arbeitgebers im Kündigungsschutz
Von
Lisa Kraayvanger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-18851-2 (Print) ISBN 978-3-428-58851-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover als Dissertation angenommen. Sie ist zum größten Teil während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zivilrecht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht entstanden. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Oktober 2021 berücksichtigt. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Roland Schwarze, bin ich für die engagierte Betreuung meiner Doktorarbeit sehr dankbar. Er hat mich nicht nur bei der Themenwahl unterstützt, sondern er hat mit seinen wertvollen Anregungen und Hinweisen zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Darüber hinaus danke ich ihm für die Mitarbeit an vielen spannenden Forschungsprojekten, die mein Interesse für Arbeitsrecht bestärkt haben. Die Zugehörigkeit zum Lehrstuhl hat die Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu einem erfahrungsreichen Lebensabschnitt gemacht, den ich nicht missen möchte. Herrn Professor Dr. Felipe Temming danke ich herzlich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens sowie Herrn Professor Dr. Sascha Ziemann für die zügige Abwicklung des Promotionsverfahrens. Danken möchte ich auch der Dr. Giesing-Stiftung aus Hannover für die großzügige Übernahme des Druckkostenbeitrags. Mein Dank gilt ebenso meinem Freundeskreis sowie meinen Kolleginnen und Kollegen der juristischen Fakultät für die anregenden Diskussionsrunden und den wohltuenden Ausgleich neben der Arbeit und Promotion. Nennen möchte ich Jana Baberske, Dina Sonnemann, Andreas Dieckmann, Gregor Grimm und Christoph Sorge. Ganz herzlich möchte ich mich auch bei Frau Birgit Ilbasan bedanken, die während meiner gesamten Zeit am Lehrstuhl immer ein offenes Ohr für mich hatte. Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die mich während dieser Zeit vorbehaltlos unterstützt haben und die mir durch ihren steten Rückhalt meinen Bildungsweg einschließlich der Promotion ermöglicht haben. Ihnen ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Hannover, im November 2022
Lisa Kraayvanger
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Problemstellung
23
§ 1 Ausgangspunkt und Intention der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Fälle aus der Rechtsprechung als Anlass der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Von einer auf „Treu und Glauben“ basierenden Interessenabwägung … . . . . . . . 27 C. … zu einem nach Verantwortungsanteilen differenzierenden Maßstab . . . . . . . . 29 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Zweiter Teil Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
33
§ 2 Die Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz . . . . . . 33 A. Begriff der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Im allgemeinen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Angst vor Zufällen als Hintergrund von Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Zurechnung im Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 IV. Prinzipien der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Ursächlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Der Verschuldensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Verschuldensunabhängige Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Verantwortung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Verantwortung für Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 d) Verantwortung für die Primärleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 e) Verantwortung für die Beendigung des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B. Das Zurechnungsproblem als Folge der im Arbeitsrecht eingeschränkten Kündigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Kündigungsfreiheit als Ausdruck der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Legitimität des Kontinuitätsinteresses aufgrund des Vertrauen erweckenden Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
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Inhaltsverzeichnis III. Umgekehrtes Verhältnis von Kündigungsfreiheit und Bestandsschutz im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 C. Störung zur Legitimierung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Regelungsinhalt des Leistungsstörungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Regelungsinhalt des Kündigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Die „Störung“ als Kern des personen- und verhaltensbedingten Kündigungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Äquivalenzstörung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Äquivalenzstörung im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Nichtleistungsbezogene Störungen (Vertrauensverhältnis) . . . . . . . . . . 65 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 D. Zurechnung als Teil des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes . . . . . . . . . . . . . 70 I. Begriffliche Bedeutung der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Zurechnung aufgrund sozialstaatlicher bzw. grundrechtlicher Wertungen . . . 71 III. Zurechnung nach zivilrechtlichen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Zurechnung bei der verhaltensbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Zurechnung bei der personenbedingten Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Zurechnung als ausschlaggebendes Kriterium der Interessenabwägung . . . . 77 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 E. Verantwortung als Oberbegriff für Vertretenmüssen und andere Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 F. Besondere Legitimierungsgründe der betriebsbedingten Kündigung . . . . . . . . . . 80 I. Vertragsdogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Folgen für die Berücksichtigung von arbeitgeberseitiger Verantwortung . . . 92 1. Eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Kontrollfreiheit der unternehmerischen Entscheidung als Ausprägung von Art. 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Begriff der unternehmerischen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Erforderlichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Eingeschränkte Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Verantwortung 98 a) Rechtsmissbräuchliche Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Betriebswirtschaftliches Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 d) Änderung der Arbeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A. Allgemeine Gläubigerverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Verantwortung für Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Inhaltsverzeichnis
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II. Verantwortung für die Verletzung von Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Verantwortung für übernommenes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Verantwortung nach der Sphärentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B. Verantwortung bezüglich der Vermeidung personenbedingter Störungen . . . . . . 109 I. Gesundheit und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Pflicht zu Schutzmaßnahmen, § 618 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Sicherer Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Sicherheit der Arbeitsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Arbeitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Technischer Arbeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Schutz vor Lendenwirbelsäulenerkrankungen bei der manuellen Handhabung von Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Informationspflichten zur Vermeidung von Selbstschädigungen durch den Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Beschäftigung auf leidensgerechtem Arbeitsplatz, § 167 II 1 SGB IX . . . 123 4. Weiterreichende Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5. Risikoverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Nicht vorhandene Gesundheit des Arbeitnehmers als Betriebsrisiko? 128 b) Arbeitsbedingte Erkrankungen als Betriebsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Arbeitsrechtliche Gefährdungshaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Verantwortung entsprechend dem Gedanken zur Enthaftung des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Sozialrechtliche Risikozuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Hintergrund der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung . . . . . . . . . . 141 bb) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Schutz der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Mitwirkungsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Repressive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Interventionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Arbeitsrechtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Deliktische Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Grenze der arbeitgeberseitigen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
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Inhaltsverzeichnis III. Verantwortung für Eignung und Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Die Arbeitsmarktverantwortung des Arbeitgebers nach § 2 II SGB III . . . 155 2. Weiterbildungspflicht des Arbeitgebers nach § 1 II 3 KSchG . . . . . . . . . . 156 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 C. Verantwortung bezüglich der Vermeidung einer verhaltensbedingten Störung . . 159 I. Arbeitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Ausübung des Weisungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Änderung des Aufgabenbereichs (Versetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Rechtswidrige Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Unbillige Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Rechtsmissbräuchliche Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Weiterbildungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IV. Rechtswidriges Vorverhalten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Provokation durch „Lockspitzel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Provokation durch rechtsmissbräuchliche Abmahnungen . . . . . . . . . . . . . 175 4. Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Normen – „wilder“ Streik . . . . 176 V. Compliancesystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Beispiel für Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Beispiel für aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 D. Verantwortung bezüglich der Vermeidung einer betriebsbedingten Störung . . . . 182 I. Verantwortung für rechtsmissbräuchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Betriebliches Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch fehlerhafte Personalplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Bedarfswidrige Neueinstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Einstellungen unter Verstoß gegen § 99 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch wirtschaftliche Fehlentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Durch rechtswidriges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Durch strategisch nachteilhaftes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Rationale Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Technologischer Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Wachstumsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Wettbewerbsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 e) BCG-Portfolio-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Inhaltsverzeichnis
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f) Sonstige Strategiefehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Durch fehlerhafte Finanzplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4. Durch fehlerhaftes Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5. Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 IV. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch Änderung des Arbeitskräftebedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 V. Verantwortung für eine fehlerhafte Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 E. Verantwortung für Fehlervermeidung bei allen Kündigungsarten . . . . . . . . . . . . 202 I. Anhörungspflicht, § 102 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Pflicht zur Weiterbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Dritter Teil Auswirkungen der arbeitgeberseitigen Mitverantwortung auf die Kündigungsbefugnis
206
§ 4 Allgemeine Lösungswege zur Berücksichtigung von Mitverantwortung . . . . . . . . . 206 A. Rechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Fortfall des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Die Kulpakompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Überwiegende Verantwortung, § 323 VI BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 B. Erschwerung der Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Gleichbehandlungsgebot bei der Schadensverursachung, § 254 I BGB . . . . . 213 II. Unzumutbarkeit der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Umfassende Interessenabwägung bei der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Kündigung eines Handelsvertretervertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Kündigung eines Lieferungs- und Abnahmevertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Kündigung eines Mietverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 IV. Gedanke der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 C. Keine Einschränkungen in der Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Unerheblichkeit der Mitverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Umkehrschluss aus § 323 VI BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Zerrüttungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Differenzierung nach der Schwere der Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Beachtung der Mitverantwortung auf der Sekundärebene . . . . . . . . . . . . . . . 227 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
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Inhaltsverzeichnis
§ 5 Übertragbarkeit auf das Recht zur ordentlichen Kündigung nach dem KSchG? . . . 229 A. Bedeutung des persönlichen Näheverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 B. Strukturierung nach Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 C. Bedeutung der Arbeitnehmerschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 D. Einmalleistungen als Bezugspunkt des allgemeinen zivilrechtlichen Maßstabs
236
E. Vergleich der außerordentlichen Kündigung mit der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Gegenstand der Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Sonstige Dauerschuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Zumutbarkeit der dauerhaften Vertragsfortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Der Kündigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Bei der Auflösung einer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Bei der Ausschließung eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Beim Mietvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Bei sonstigen Dauerschuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5. Vergleich mit dem Grund einer ordentlichen Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Eigene Pflichtverletzungen jenseits von § 254 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 § 6 Mitverantwortung für die Entstehung des personenbedingten Kündigungsgrundes
253
A. Der Normalfall: Vom Arbeitnehmer zu tragendes Krankheitsrisiko . . . . . . . . . . . 255 B. Rechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 I. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Überwiegende Verantwortung beim Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Schuldhafte Schutzgesetzverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Schuldhafte Verursachung eines Arbeitsunfalls durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C. Erschwerung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Höhere Zumutbarkeit hinsichtlich hinzunehmender Störungen . . . . . . . . . . . 270 1. Verschuldensabhängige Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Krankmachendes Organisationsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Eignungsmängel wegen Organisationsverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Mobbing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Verschuldensunabhängige Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Häufige Kurzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Ungewiss lang andauernde Arbeitsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 3. Arbeitsunfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Unverschuldeter Arbeitsunfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Inhaltsverzeichnis
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b) Fahrlässig verursachter Arbeitsunfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 c) Vom Arbeitgeber zu tragendes Risiko für vom Arbeitnehmer verschuldete Arbeitsunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 4. Weitere die Zumutbarkeit erhöhende Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 II. Weiterbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Weiterbeschäftigung trotz geminderter Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Weiterbeschäftigung auf anderem Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Weiterbeschäftigung nach Weiterbildung und Umschulung . . . . . . . . . . . 287 III. Erschwerungen im Zusammenhang mit dem bEM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Folgen nicht ordnungsgemäßer Durchführung des bEM . . . . . . . . . . . . . . 288 2. Folgen unterlassener Gesundheitsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 IV. Zusammenfassung der Kündigungserschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 D. Keine Einschränkungen trotz Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 I. Wegen Unerheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II. Aufgrund von angemessener Lösung auf Sekundärebene . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Zerrüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 § 7 Mitverantwortung für die Entstehung des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes 299 A. Rechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Rechtsmissbräuchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Venire contra factum proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Weisungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Abmahnungsrechts . . . . . . . . . . . . 305 II. Alleinige Verantwortung durch Provokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 III. Überwiegende Verantwortung wegen Organisationsverschuldens . . . . . . . . . 310 IV. Überwiegende Verantwortung durch Einwilligung in Compliance-Verstöße 314 1. Compliance-Verstöße, die einen Straftatbestand erfüllen . . . . . . . . . . . . . . 314 2. „Nur“ compliance-widriges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 3. Verstoß gegen § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 B. Erschwerung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Höhere Zumutbarkeit hinsichtlich hinzunehmender Störungen . . . . . . . . . . . 319 1. Bewährungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Hinzunehmende Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Beseitigung der Störungsursache, § 167 I SGB IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 II. Modifizierung der Treuepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 C. Keine Einschränkungen trotz Mitverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 I. Unerhebliches Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Zerrüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
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Inhaltsverzeichnis
§ 8 Verantwortung für das betriebliche Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 A. Berücksichtigungsfähigkeit der arbeitgeberseitigen Verantwortung . . . . . . . . . . . 328 B. Keine Einschränkungen des Kündigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 I. Fortfall von Beschäftigungsbedarf aufgrund von Betriebsstilllegungen . . . . 335 II. Fortfall von Beschäftigungsbedarf durch rechtsmissbräuchliches Verhalten 338 III. Fortfall von Beschäftigungsbedarf durch betriebswirtschaftliche Fehlentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Fahrlässige Herbeiführung der Störung im laufenden Arbeitsverhältnis 341 2. Grob fahrlässige Herbeiführung der Störung im laufenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 3. Herbeiführung der Störung durch vorvertragliche fehlerhafte Personalplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 C. Erschwerung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 I. Weiterbeschäftigung oder Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 II. Abbau rechtlicher Hindernisse aus der Sphäre des Arbeitgebers . . . . . . . . . . 354 1. Ungerechtfertigte Verweigerung der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Gerechtfertigte Verweigerung der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 III. Fortbildung bei Änderung des Stellenprofils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
Vierter Teil Die Entschädigung
362
Fünfter Teil Zusammenfassung der Ergebnisse
364
§ 9 Inhaltliche Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 § 10 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 A. Mitverantwortung für die personenbezogene Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 B. Mitverantwortung für die verhaltensbezogene Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 C. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. Abt. AcP a. F. AG AG AGG AiB AktG Anm. AP APS ArbG ArbGG AR-Blattei SD ArbRAktuell ArbRGeg ArbR-Hdb ArbSchR ArbStättVO ArbZG Art. ASTA AT AuA Aufl. AüG AuR AWbG Az. BAG BAuA BB Bd. BDSG BeckOK BGB
anderer Auffassung an anderem Ort Absatz Abteilung Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Amtsgericht Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft Zeitschrift Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb Aktiengesetz Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis Ascheid/Preis/Schmidt (siehe Literaturverzeichnis) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Systematische Darstellungen Arbeitsrecht Aktuell Das Arbeitsrecht der Gegenwart (siehe Literaturverzeichnis) Arbeitsrechts-Handbuch (siehe Literaturverzeichnis) Arbeitsschutzrecht Arbeitsstättenverordnung Arbeitszeitgesetz Artikel Ausschuss für Arbeitsstätten Allgemeiner Teil Arbeit und Arbeitsrecht Auflage Arbeitnehmerüberlassugsgesetz Arbeit und Recht Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Betriebsberater Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch (siehe Literaturverzeichnis) BeckOK GG Beck’scher Online Kommentar Grundgesetz (siehe Literaturverzeichnis) BeckOK SozR Beck’scher Online Kommentar Sozialrecht (siehe Literaturverzeichnis)
18 Begr. bEM BetrVG BGB BGG BGH BlStSozArbR BMAS BSG BT BT.-Drs. BTHG BVerfG BVerfGE BzGBW bzgl. bzw. CCZ c.i.c. CISG DB DDZ ders. DFL DGWR d. h. DJT DrittelbG DStR DVBl DWW DZWIR EDV EFZG EGGVG EGMR Einl. E-Mail ErfK etc. EWG EWIV EzA f./ff. FA Fn. FS gem.
Abkürzungsverzeichnis Begründer betriebliches Eingliederungsmanagement Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Behindertengleichstellungsgesetz Bundesgerichtshof Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundessozialgericht Besonderer Teil Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesteilhabegesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg bezüglich beziehungsweise Corporate Compliance Zeitschrift culpa in contrahendo Contracts for the International Sale of Goods, UN-Kaufrecht Der Betrieb Däubler/Deinert/Zwanziger (siehe Literaturverzeichnis) derselbe Dornbusch/Fischermeier/Löwisch (siehe Literaturverzeichnis) Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht das heißt Deutscher Juristentag Drittelbeteiligungsgesetz Deutsches Steuerrecht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Elektronische Datenverarbeitung Entgeltfortzahlungsgesetz Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Electronic Mail Erfurter Kommentar (siehe Literaturverzeichnis) et cetera Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgende/fortfolgende Fachanwalt Arbeitsrecht Fußnote Festschrift gemäß
Abkürzungsverzeichnis GesR GewO GG ggf. GK GmbH GmbHG GRUR GS GVG Hako-KSchR HAZ HdB HGB HK-BGB HKK h. M. Hrsg. HS HS-UV https HWB EuP HWK i. d. R. InsO i. S. d. i. S. v. IT i. V. m. JbArbR Jg. JherJB jM JR Jura jurisPR-ArbR JuS JW JZ KassKomm K/K/S KKW KR KSchG LAG LAGE
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Gesellschaftsrecht Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar (siehe Literaturverzeichnis) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gerichtsverfassungsgesetz Handkommentar Kündigungsschutzrecht (siehe Literaturverzeichnis) Hannoversche Allgemeine Zeitung Handbuch Handelsgesetzbuch Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch (siehe Literaturverzeichnis) Historisch-Kritischer Kommentar (siehe Literaturverzeichnis) herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Unfallversicherung (siehe Literaturverzeichnis) Hypertext Transfer Protocol Secure Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (siehe Literaturverzeichnis) Henssler/Willemsen/Kalb (siehe Literaturverzeichnis) in der Regel Insolvenzordnung im Sinne des im Sinne von Informationstechnologie in Verbindung mit Jahrbuch des Arbeitsrechts Jahrgang Jhering Jahbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts juris – Die Monatszeitschrift Juristische Rundschau Juristische Ausbildung juris Praxis Report Arbeitsrecht Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen Zeitung Kasseler Kommentar (siehe Literaturverzeichnis) Kollmer/Klindt/Schucht (siehe Literaturverzeichnis) Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann (siehe Literaturverzeichnis) Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften (siehe Literaturverzeichnis) Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungssammlung der Landesarbeitsgerichte
20 Lfg. LG lit. LPK LSG LSSW MAH ArbR MAH SozR MDR MHdBArbR MietR MitbestG MünchKomm m. w. N. NachwG NbildUG n. F. NJW NK NK-GA No. Nr. NStZ N. V. NZA NZA-RR NZG NZM NZS öAT OLG o. V. ProdSG PWW RabelsZ RdA RG RGZ Rn. RT S. SAE SchuldR SchwbVWO SGB sog.
Abkürzungsverzeichnis Lieferung Landgericht litera Lehr- und Praxiskommentar (siehe Literaturverzeichnis) Landessozialgericht Löwisch/Schlünder/Spinner/Wertheimer (siehe Literaturverzeichnis) Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis) Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht (siehe Literaturverzeichnis) Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis) Mietrecht, Großkommentar des Wohn- und Gewerberaummietrechts (siehe Literaturverzeichnis) Mitbestimmungsgesetz Münchener Kommentar (siehe Literaturverzeichnis) mit weiteren Nachweisen Nachweisgesetz Niedersächsisches Bildungsurlaubsgesetz neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar (siehe Literaturverzeichnis) Nomos Kommentar Gesamtes Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis) Number Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Naamloze Vennootschap, niederländische Rechtsform für eine Aktiengesellschaft Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtssprechungs Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Oberlandesgericht ohne Verfasser Produktsicherheitsgesetz Prüttig, Wegen, Weinreich (siehe Literaturverezichnis) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Arbeit Reichsgericht Entscheidungssammlung des Reichsgerichts Randnummer Reichstag Satz; Seite Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schuldrecht Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen Sozialgesetzbuch sogenannte
Abkürzungsverzeichnis SPV StGB StPO St. Rspr. Temp. L. Q. TLR TVG TzBfG u. a. UMAG v. Var. VersR vgl. Vol. Vorb. VuR WiWo WM WPg WPM WSI WuM www z. B. ZfA ZHR ZIP ZMR ZPO ZTR
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Stahlhacke, Preis, Vossen (siehe Literaturverzeichnis) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Ständige Rechtsprechung Temple Law Quarterly Times Law Reports Tarifvertragsgesetz Teilzeit- und Befristungsgesetz unter anderem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts von/vom Variante Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht vergleiche Volume (Jahrgang einer Zeitschrift) Vorbemerkung Verbraucher und Recht Wirtschaftswoche Zeitschrift Wertpapiermitteilungen Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Die Wirtschaftsprüfung Wertpapiermitteilungen Zeitschrift Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut Wohnungswirtschaft und Mietrecht World Wide Web zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Tarifrecht
Erster Teil
Problemstellung § 1 Ausgangspunkt und Intention der Arbeit „He who comes into a court of equity must come with clean hands“1, war schon vor Jahrhunderten der streitentscheidende Rechtssatz im angloamerikanischen Recht, um einen Rechtsbehelf eines Klägers2 wegen eigenen Fehlverhaltens abzulehnen. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts findet sich ein dem entsprechender Grundsatz: „Wer selbst vertragsuntreu ist, kann aus der Vertragsverletzung des Gegners keine Rechte herleiten“3. Dieses althergebrachte Rechtsprinzip4, dessen Ursprung sich bis ins römische Recht5 zurückverfolgen lässt, soll Gerechtigkeit, Vertrauen, Aufrichtigkeit, Fairness und Gewissenhaftigkeit fördern; sowohl auf Seiten des Beklagten als auch auf klägerischer Seite.6 Wenn dies nach wie vor ein geltender Rechtssatz ist, müsste dieser auch in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, den Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die am häufigsten Gegenstand arbeitsgerichtlicher Prozesse sind7, zur Anwendung gelangen. Über Kündigungsschutzprozesse sagt man, diese seien für beide Seiten gleichermaßen psychologisch und finanziell belastend. Während im laufenden Arbeitsverhältnis um des „Friedens willens“ das ein oder andere hingenommen wird, wird im Kündigungsschutzprozess kaum mit etwas hinterm Zaun 1
In re Hays’ Estate, 159 Pa. 381, 383, 28 A. 158 (1893); vgl. Bentley v. Tibbals, 223 Fed. 247, 251 (C. C. A. 2d, 1915); Hanbury, Modern Equity, Rn. 1 – 028. 2 Zur besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet, mit der alle Geschlechter gemeint sind. 3 RG, Urt. v. 22. 02. 1928 – I 219/27 – RGZ 120, 193, 196; RG, Urt. v. 07. 10. 1924 – VII 887/ 23 – RGZ 109, 54, 55; RG, Urt. v. 10. 01. 1908 – II 280/07 – RGZ 67, 313, 319. 4 Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 1 ff. m. w. N. 5 HKK/Duve, § 242 Rn. 6 m. w. N.; zu bona fides als Ursprung des § 242 BGB Liebs, Römisches Recht, S. 267, 299. 6 O. V., Application of the „Clean Hands“ Doctrine, 9 Temp. L. Q. 220, 1934 – 1935; vgl. Hanbury, Modern Equity, Rn. 1 – 028. 7 Ausweislich der amtlichen Statistik des BMAS gab es in Deutschland im Jahr 2015 194.695 Verfahren wegen Kündigungen; 143.217 Zahlungsklagen, 2.875 Streitigkeiten um die tarifliche Eingruppierung und 111.084 sonstige Verfahren. Damit entfallen die meisten Prozesse auf Kündigungsstreitigkeiten (http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Sta tistiken/Ergebnisse-Statistik-Arbeitsgerichtsbarkeit-2015.pdf;jsessionid=E954BDA2D398FB2 C5C85AB7AD4F9F1A2?__blob=publicationFile&v=1 – zuletzt abgerufen am 09. 08. 2017).
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1. Teil: Problemstellung
gehalten. Die Gefahr, dass die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch den Kündigungsschutzprozess aufgrund beiderseits vorgebrachter Anschuldigungen derartig Schaden nimmt und nicht fortgesetzt werden kann, hat der Gesetzgeber gesehen und für den Fall, dass diese Gefahr eintritt, eine Auflösungsmöglichkeit gegen Abfindung in den §§ 9, 10 KSchG geregelt. Genauso ist es denkbar, dass die Vorgeschichte, wie es zum Anlass der Kündigung kam, von wechselseitig ausgehenden Konfliktsituationen geprägt ist, es eine Schwarz-Weiß-Einteilung vom vertragsbrüchigen, den Betriebsfrieden nachhaltig störenden Arbeitnehmer und dem geschädigten Arbeitgeber nicht gibt. Ist eine Kündigung, zu der Arbeitnehmer und Arbeitgeber wechselseitig Anlass gegeben haben, dann sogleich ein Verstoß gegen die „Clean-Hands-Doctrine“? Lässt sich der Rechtssatz aufstellen, dass eigenes Verschulden des Arbeitgebers zum Ausschluss der Kündigungsbefugnis führt?
A. Fälle aus der Rechtsprechung als Anlass der Arbeit Den Anstoß, mit der vorliegenden Arbeit die Struktur des Kündigungsschutzes auf Elemente des Verschuldens näher zu untersuchen, gaben zwei Fälle, in denen Arbeitnehmern Kündigungen ausgesprochen wurden, die sich weigerten eine rechtswidrige oder unbillige Weisung ihres Arbeitgebers zu befolgen.8 Die Gerichte kamen zu dem einleuchtenden Ergebnis, dass aufgrund der Rechts- oder Treuwidrigkeit der Weisung keine Befolgungspflicht bestand, folglich keine zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung der Arbeitnehmer vorlag. Geradezu beispielhaft für das vorliegende Thema war eine Entscheidung9, die zwar im Kontext zum Anspruch auf Annahmeverzugslohn erging, deren zugrunde liegender Sachverhalt aber auch eine Kündigungssituation hätte abbilden können. Es ging ebenfalls um die Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers mit dem Unterschied, dass die ausgesprochene Weisung objektiv betrachtet noch rechtmäßig war, so dass folglich mit der Arbeitsverweigerung eine an sich nicht unerhebliche arbeitnehmerseitige Pflichtverletzung vorlag. Da indes die Weisung vom Arbeitgeber in der Hoffnung ausgesprochen wurde, der Arbeitnehmer werde die Rechtmäßigkeit der Weisung verkennen, gab der Fall über die konkret zu entscheidenden Fragen (zum Annahmeverzugslohn) hinaus Anlass weiter über die Auswirkungen von arbeitgeberseitiger Mitverantwortung auf die Kündigungsbefugnis nachzudenken. Wenn es Zweck einer Weisung ist, den Arbeitnehmer zu einer Pflichtverletzung zu veranlassen und sich der Arbeitnehmer infolgedessen pflichtwidrig verhält, kann darauf die Kündigung gestützt werden? Gem. § 242 BGB ist der Ausspruch einer solchen Weisung rechtsmissbräuchlich. Zudem verstößt eine auf die Nichtbefolgung einer solchen Weisung gestützte Kündigung gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Gleichzeitig 8 LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 12. 2014 – 5 TaBV 7/14 – ArbR 2015, 228; LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347. 9 BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11 – NZA 2012, 858, 860.
§ 1 Ausgangspunkt und Intention der Arbeit
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trägt der Arbeitgeber, dadurch, dass er die rechtsmissbräuchliche Weisung erteilt hat, Mitverantwortung in Form des Verschuldens für die Pflichtverletzung. Welche Folgen ergeben sich daraus für das Kündigungsrecht und in welchem Verhältnis steht das Verschulden zur Rechtsausübungsschranke von „Treu und Glauben“? Hinsichtlich der verhaltensbedingten Kündigung ließen sich schnell weitere Anknüpfungspunkte für ein Mitverschulden des Arbeitgebers ausmachen: Aus dem Bereich des Organisationsverschuldens, wie unzureichende Einweisung und Überwachung des Arbeitnehmers, die zu kündigungsrelevanten Pflichtverletzungen führen, oder gemeinsam von Arbeitnehmer und Arbeitgeber begangene ComplianceVerstöße, auf die dann die Kündigung gestützt werden soll. Dann wurden die anderen Kündigungsarten in den Blick genommen. Gibt es bei der personen- und betriebsbedingten Kündigung, wie bei der verhaltensbedingten Kündigung vorausgesetzt10, auch ein Verschuldens- oder Verantwortungselement, das in einem anderen Licht im Hinblick auf die Rechtfertigung der Kündigung erscheint, sofern der Arbeitgeber für die kündigungsauslösende Störung mitverantwortlich ist? Schließlich richtete sich der Fokus auf die Fälle der arbeitsbedingten Erkrankungen und Kündigungen. Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen könnten als eine Form der arbeitgeberseitigen Verantwortung zu werten sein. Angesichts der unter diesen Voraussetzungen gegebenen Anzahl potentieller Betroffener11 und der vielzähligen Anknüpfungspunkte für eine Mitverantwortung des Arbeitgebers, welche eine Bandbreite von Fallkonstellationen eröffnen, erscheint eine Auseinandersetzung mit den Folgen arbeitgeberseitiger (Mit-)Verantwortung an der Entstehung des Kündigungsgrundes lohnenswert. Welche Bedeutung hat der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis; soll es ohne den einst angestrebten Leistungsaustausch sinnentleert aufrechterhalten bleiben? Welche Rolle spielt die soziale Verantwortung des Arbeitgebers? Und wie ist die Mitverantwortung des Arbeitgebers zu bewerten, wenn sie nur in einem mittelbaren Zusammenhang zur Pflichtverletzung des Arbeitnehmers steht? Die Antwort wäre leichter, stünde statt der Kündigung ein Rücktritt von einem Kaufvertrag im Raume und hätte nicht der kündigende Arbeitgeber eine Pflicht verletzt, sondern der den Rücktritt begehrende Käufer, indem er den ihn an sich zum Rücktritt berechtigenden Umstand, z. B. die Erfolglosigkeit der Nacherfüllung,
10 BAG, Urt. v. 19. 11. 2015 – 2 AZR 217/15 – NZA 2016, 540, 542; BAG, Urt. v. 03. 11. 2011 – 2 AZR 748/10 – NZA 2012, 607; ErfK/Oetker, § 1 Rn. 188; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 426. 11 Im Jahr 2015 wurde in 81.702 Fällen eine Anzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit gestellt, wovon 18.041 anerkannt wurden. In den ca. 63.000 übrigen Fällen, die nicht anerkannt wurden, ist ein zur Arbeit bestehender Zusammenhang möglicherweise nicht auszuschließen (Zahlen nach https://de.statista.com/statistik/daten/studie/241371/umfrage/kennzah len-der-berufskrankheiten-in-deutschland/ – zuletzt abgerufen am 09. 08. 2017).
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1. Teil: Problemstellung
selbst herbeigeführt hat: Gem. § 323 VI BGB ist der Rücktritt in solchen Fällen ausgeschlossen.12 Zur Veranschaulichung sollen zwei Beispiele dienen: (1) In einem Fall, den das AG München13 zu entscheiden hatte, begehrte die Klägerin die Rückzahlung des geleisteten Entgelts für eine nicht vertragsgemäß ausgeführte Tätowierung. Das gewünschte Motiv, ein koptisches Kreuz, war nicht gleichmäßig geworden. Durch ein Nachstechen hätte sich die nicht proportionale Ausrichtung korrigieren lassen, was der Klägerin angesichts der geringen Größe des Tattoos (die Tätowierung erfolgte auf der Unterseite des Handgelenks) zumutbar gewesen wäre. Dies lehnte die Klägerin jedoch ab. Sie setzte ihrem Vertragspartner keine Frist zur Nacherfüllung, sondern verlangte die sofortige Rückzahlung des geleisteten Entgelts. Die Klage wurde abgewiesen. (2) Das LAG Hamburg14 hat die Kündigung eines Arbeitgebers für sozialwidrig erklärt, da dieser durch sein eigenes unangemessenes Verhalten, das zwar nicht den Tatbestand des Mobbings erfüllte, diesem gleichwohl sehr nahe kam, die Ursache für das krankheitsbedingte Fehlen der Klägerin gesetzt hatte. Trotz negativer Gesundheitsprognose und betrieblicher Beeinträchtigungen fiel die Interessenabwägung zu Gunsten der Klägerin aus. Auf den ersten Blick drängen sich Parallelen auf, die eine Gleichbehandlung beider Sachverhalte entsprechend dem Gedanken des § 323 VI BGB rechtfertigten. Kündigung15 und Rücktritt sind beides Instrumente zur Beendigung eines Vertragsverhältnisses. Beide setzen sie eine Störung voraus, die der Empfänger der Beendigungserklärung nicht notwendigerweise zu vertreten haben muss. Da damit folglich nicht sichergestellt ist, dass die Partei, der die Beendigung des Vertrags erklärt wird, die die Beendigung verursachende Partei ist, böte sich eine Korrektur dergestalt an, dass die Vertragsbeendigung zumindest dann ausgeschlossen sein sollte, wenn die erklärende Partei diejenige ist, die den Beendigungsgrund herbeigeführt hat. Angenommen der Gedanke des § 323 VI BGB würde im Kündigungsschutz entsprechend gelten, dann könnte der Arbeitgeber in dem genannten Fall nicht kündigen, da er die Erkrankung der Klägerin zu verantworten hatte. Ändert sich der oben genannte Sachverhalt, wenn auch nur in den kleinsten Nuancen, so gibt der vollständige Rechtsverlust Anlass zu Zweifeln: Hätte das LAG der Klage auch noch stattgegeben, wenn die Klägerin dauerhaft erkrankt wäre, ihre Arbeit mithin nicht mehr in absehbarer Zeit hätte aufnehmen können?16 Wie wäre zu
12 So die h. M. MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 272; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. F 5; Kohler, AcP 203 (2003), 539 ff.; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2499; siehe zum Streitstand bzgl. des Bezugspunktes der Gläubigerverantwortung Ruttloff, JR 2007, 441 ff. 13 AG München, Urt. v. 17. 03. 2011 – 213 C 917/11 – NJW 2012, 2452. 14 LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris. 15 Die nachfolgende Untersuchung wird sich auf die Kündigung nach dem KSchG beschränken. 16 Siehe Dritter Teil unter § 6 D. II. 1.
§ 1 Ausgangspunkt und Intention der Arbeit
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entscheiden gewesen, wenn es aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers zu Fehlverhalten der Arbeitnehmerin, quasi als Trotzreaktion, gekommen wäre?17 Wie dies im Rahmen des Kündigungsschutzes zu berücksichtigen ist, wird Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein. Ziel dabei ist es, ein System zu entwickeln, das mehr Rechtssicherheit schafft als eine von allen denkbaren Umständen getragene Interessenabwägung. Dazu ist im ersten Schritt die Systematik des Kündigungsschutzes zu untersuchen, denn nur wenn die Kündigungsbefugnis mit Störungen aus dem Verantwortungsbereich des einen Vertragsteils korrespondiert, kann es überhaupt ein „Mitverschulden“ des anderen Vertragsteils, also des Arbeitgebers, geben. Die Ausrichtung des Kündigungsschutzes nach Zurechenbarkeitsaspekten ist folglich die erste These, der nachzugehen sein wird. Im Anschluss daran bedarf es der Klärung der Frage, was der Arbeitgeber (mit-) zu verantworten hat, bevor dann zu prüfen ist, in welchem Verhältnis diese Verantwortung zum kündigungsrelevanten Verhalten des Arbeitnehmers steht.
B. Von einer auf „Treu und Glauben“ basierenden Interessenabwägung … Der Grundsatz von Treu und Glauben ist sowohl im materiellen Zivilrecht als auch im Prozessrecht, Strafrecht und sonstigem Öffentlichen Recht allgegenwärtig. Die Funktion der Generalklausel erstreckt sich bisweilen nicht mehr nur auf die Form der Leistungserbringung, sondern ist einerseits auch rechtsbegründend, andererseits wirkt sie auch rechtsbegrenzend. Aufgrund der Offenheit des Begriffs „Treu und Glauben“ und der damit notwendigerweise einhergehenden Ausfüllungsbedürftigkeit ist die Norm dazu prädestiniert höherrangiges Recht, wie Unionsrecht oder aus dem Grundgesetz abgeleitete Wertvorstellungen, und überrechtliche, sozialethische Prinzipien in das Zivilrecht, in das einzelne Schuldverhältnis zu transformieren.18 Dazu haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene Fallgruppen gebildet, die eine Treu und Glauben widersprechende Rechtsausübung näher konkretisieren. Zur ersten Fallgruppe, in der hier das eigene Unrecht als Anknüpfungspunkt gewählt wird, gehören die Unterfallgruppen des anstößigen, unredlichen Rechtserwerbs und des eigenen pflichtwidrigen Verhaltens, die beide wiederum im Grundsatz eine Rechtsausübungsschranke nach sich ziehen. Wer in unredlicherweise ein Recht erlangt, wird an zahlreichen Stellen in der Rechtsordnung mit einem Rechtsausschluss sanktioniert: Nach § 817 S. 2 BGB steht dem rechts- oder sittenwidrig Handelnden kein Herausgabeanspruch zu. § 162 BGB untersagt ein Berufen auf Bedingungen, deren Eintritt selbst treuwidrig vereitelt oder herbeigeführt wurden. Nach § 853 BGB besteht kein Erfüllungsanspruch bei deliktisch erlangten Forderungen. 17
Siehe Dritter Teil unter § 7 B. II. MünchKomm BGB/Schubert, § 242 Rn. 2 ff.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 16 Rn. 18 ff.; Medicus, BGB AT, § 15 Rn. 136. 18
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1. Teil: Problemstellung
Im Strafrecht droht bei absichtlicher Provokation eines Angriffs der Ausschluss des Notwehrrechts.19 In § 48 II 3 Nr. 1 VwVfG ist geregelt, dass sich der Begünstigte eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht auf Vertrauensschutz berufen kann, wenn er diesen durch arglistige Täuschung erlangt hat. Im Common Law ist der Grundsatz „nemo auditur propriam turpitudinem allegans“ eine von den Gerichten gebrauchte Rechtsmaxime, wonach niemand gehört werden darf, der sich auf seine eigene Schuld beruft.20 Mit der Ausprägung des Grundsatzes, wer selbst nicht vertragstreu ist, darf aus der Vertragsverletzung des Gegners keine Rechte herleiten, welcher auf die Tu-quoqueFormel zurückgeht und im Common Law unter der „clean-hands-doctrine“ anerkannt ist, wurden in der Vergangenheit zahlreiche vertragliche Streitigkeiten von den Gerichten gelöst21, wobei der Grundsatz angesichts der dem geschädigten Vertragspartner heute zustehenden Rechtsbehelfe nunmehr nur noch mit Einschränkungen gilt.22 Vor dem Hintergrund der Allgegenwärtigkeit dieser Rechtsgrundsätze schiene es nur konsequent, sie auch in Kündigungsrechtsstreitigkeiten anzuwenden, insbesondere bei verhaltensbedingten Kündigungen in denen das zur Kündigung führende Verhalten des Arbeitnehmers in engem Zusammenhang mit einem rechtswidrigen Vorverhalten des Arbeitgebers steht. Ebenfalls von Nutzen scheint das Verbot des venire contra factum proprium23 zu sein, das zur Lösung von Fällen heranzuziehen sein könnte, in denen der Arbeitgeber z. B. durch eigene Obliegenheitsverletzungen den Kündigungsgrund mitverursacht, sich durch Ausspruch der Kündigung aber in Widerspruch zu seiner in der Obliegenheitsverletzung liegenden Verzichtserklärung setzen würde. Über das Verbot widersprüchlichen Verhaltens hat E. Wolf einmal gesagt, es sei ein „unverzichtbares Element unserer Rechtsordnung“, weil es nur durch die Bindung des Einzelnen an seine Handlungen wirksame Rechtsgeschäfte, wirksame Schadensersatzpflichten, wirksame Strafbarkeiten, kurzum das Recht überhaupt gäben könne.24 Klar ist, dass die Ausübung eines Rechts von vornherein durch die gesetzlichen Verbote, die guten
19 BGH, Urt. v. 07. 06. 1983 – 4 StR 703/82 – NJW 1983, 2267; BGH, Urt. v. 01. 08. 1961 – 1 StR 197/61 – NJW 1962, 308, 309; Fischer, StGB, § 32 Rn. 42. 20 Nellis v. Clark, 20 Wend. 24 (N.Y. 1838); Smith v. Hubbs, 10 Mo. 71 (1833); Wade, University of Pennsylvania Law Review 95 (3), 261, 263. 21 BGH, Urt. v. 26. 10. 1973 – V ZR 204/71 – NJW 1974, 36; BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – BGHZ 44, 271, 275; RG, Urt. v. 26. 08. 1943 – II 39/43 – RGZ 171, 297, 304; RG, Urt. v. 04. 09. 1936 – VII 42/36 – RGZ 152, 119, 123; RG, Urt. v. 18. 09. 1889 – I 154/89 – RGZ 24, 136, 139; siehe Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 3 m. w. N.; vgl. Prölss, ZHR 132 (1969), 35, 59, 69. 22 MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 272, 277 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 16 Rn. 21 f. 23 Ausführlich dazu Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 287 ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 25 ff.; Wieling, AcP 176 (1976), 334. 24 Wolf, AcP 153 (1954), 97, 135 f.
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Sitten und den Grundsatz von Treu und Glauben begrenzt ist.25 Daran soll auch in der vorliegenden Arbeit nicht gerüttelt werden, weil dieses „Notventil“26, „Joker“27 oder „Zauberstab“28 in den meisten Fällen zu gerechten Ergebnissen führt und aufgrund seiner Jahrzehnte und Jahrhunderte langer Tradiertheit sowie Verbreitung in verschiedenen Rechtsordnungen einen Rechtsausschluss zu rechtfertigen mag, so dass auch die folgende Untersuchung nicht ganz ohne einen Rückgriff darauf auskommen kann. Das Problem der Arbeit mit diesen Rechtsgrundsätzen ist, dass sie bisweilen etwas voraussetzen, was sie begründen sollen. So erscheint beispielsweise der Satz, die Ausübung des Kündigungsrechts durch den Arbeitgeber ist treuwidrig oder die Interessenabwägung geht aufgrund von Treu und Glauben zu Gunsten des Arbeitnehmers aus, weil sich der Arbeitgeber mit Ausspruch der Kündigung widersprüchlich verhält, plausibel. Dennoch ist er wenig hilfreich, wenn nicht feststeht, wie sich der Arbeitgeber hätte verhalten sollen, was wiederum von dem vertraglichen Pflichtenprogramm abhängt und worauf dann die Treuwidrigkeit gestützt werden kann. Worum es also eigentlich geht und was notwendigerweise im Voraus geklärt sein muss, ist die Verantwortung an den zur Kündigung berechtigenden Umständen, im Kern steht also die Frage, wie das „Kündigungsrisiko“ zu verteilen ist. Nur wenn z. B. klar ist, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Risiko trägt, hat der Satz einen Sinn, dass die Kündigung treuwidrig ist, weil sie im Widerspruch zur vertraglichen Risikoverteilung steht. Daher bedarf es weiterer Kriterien, die ggf. dann im Zusammenspiel mit dem Grundsatz von Treu und Glauben über die Kündigungsbefugnis entscheiden. Können diese vom einschlägigen Recht selbst geliefert werden, bedürfte es des Rückgriffs auf Treu und Glauben und der daraus folgenden Rechtssätze, wie z. B. venire contra factum proprium, Rechtsmissbrauch, Verwirkung oder Ausnutzen eines in rechtswidrigerweise erlangten Vorteils, nicht (mehr).
C. … zu einem nach Verantwortungsanteilen differenzierenden Maßstab Bevor sich die in einer Wirksamkeitsprüfung einer Kündigung enthaltene Interessenabwägung strukturieren lässt, um präzisere Vorhersagen über deren Ausgang treffen zu können, muss Klarheit darüber bestehen, wie das „Kündigungsrisiko“ im Arbeitsverhältnis grundsätzlich verteilt ist. Mit Kündigungsrisiko ist eine Störung des Arbeitsverhältnisses gemeint, die den Arbeitgeber gem. § 1 I KSchG zur Kündigung des Arbeitnehmers berechtigt. Es handelt sich dabei um Störungen, die die 25
Das Grundgebot der Redlichkeit ist unabdingbar (BGH, Urt. v. 06. 12. 1978 – IV ZR 129/ 77 – VersR 1979, 173, 175; Erman/Böttcher, § 242 Rn. 19; Staudinger/Olzen/Looschelders (2019), BGB § 242 Rn. 108; Larenz, SchuldR AT, § 10 I Rn. 128). 26 MünchKomm BGB/Schubert, § 242 Rn. 2. 27 Dette, Venire contra factum proprium, S. 110. 28 Wieling, AcP 187 (1987), 95, 100.
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1. Teil: Problemstellung
weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Die Verantwortungsverteilung für Störungen zwischen den Parteien eines Schuldverhältnisses ist der für das Haftungssystem des BGB zentralen Norm des § 276 BGB zu entnehmen, deren Hauptzurechnungskriterium „der Wille“ und deren Grenze die nach der Verkehrsanschauung üblicherweise gestellten Anforderungen an die Sorgfalt sind. Übersteigt der zur Vermeidung der Störung erforderliche Aufwand, die nach der Verkehrsanschauung zumutbaren Anforderungen, ist die Störung dem Schuldner grundsätzlich nicht vorwerfbar und damit nicht zurechenbar. Die nachteiligen Folgen der Störung des Schuldverhältnisses trägt dann der Gläubiger. Anders verhält es sich nach § 276 I 1 BGB, wenn dem Schuldverhältnis eine strengere Verantwortung zu entnehmen ist. Diese kann sich aus Gesetz29, aus einer vertraglichen Vereinbarung oder dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses ergeben. Anhaltspunkte für eine strengere Haftung aufgrund des sonstigen Inhalts des Schuldverhältnisses können gesetzliche Wertungen, wie z. B. die mit der Verpflichtung zur Leistung von Gattungsschulden einhergehende Übernahme des Beschaffungsrisikos, sein oder die dem Vertrag zugrunde liegenden Interessen der Parteien.30 Diesen wiederum lässt sich entnehmen, dass grundsätzlich das allgemeine Lebensrisiko von jeder Vertragspartei selbst zu tragen ist, dass das Verwendungsrisiko der schuldnerischen Leistung beim Gläubiger, das Zahlungsrisiko beim Schuldner, das Geldentwertungsrisiko beim Gläubiger liegt, dass die Risiken der Rechtsfolgen, diejenige Vertragspartei treffen, bei der sie eintreten (z. B. Besteuerung oder Änderung der Rechtslage).31 Für das Kündigungsrecht hat dieses Zurechnungssystem die folgende Relevanz: Entscheidend für das Kündigungsrecht des Arbeitgebers ist, dass die durchzuführende Interessenabwägung zu dessen Gunsten ausgeht. Dies wiederum hängt maßgeblich von der Verantwortung für die Störung ab, denn danach richtet sich der der Interessenabwägung zugrunde zu legende Maßstab. Je größer die Mitverantwortung des Kündigenden für die Störung, desto strenger sind die Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung. Folgende Abstufungen sind bei der Ermittlung des Verantwortungsgrades zu berücksichtigen: Die schärfsten Formen der willensbasierten Zurechnung sind die der Arglist und Absicht. Wer arglistig oder durch absichtliches Verhalten eine „Störung“, sei es innerhalb eines Vertragsverhältnisses oder eine Verletzung sonstiger Integritätsinteressen, herbeiführt, dessen Interessen sind in einer Abwägung grundsätzlich zurückzustellen.32 Die Folge davon ist, dass auf diese Weise erworbene Rechte, Ansprüche sowie Gestaltungsrechte, grundsätzlich nicht ausgeübt werden dürfen.33 29 30 31 32 33
Beispielsweise §§ 287 S. 2, 536a I, 675y I BGB. Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 52 ff. Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 53, 57, 59 f., 63. Erman/Böttcher, § 242 Rn. 108 ff. m. w. N. Zum Beispiel §§ 162, 817 S. 2, 853 BGB.
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Auf nächster Stufe steht die Zurechnung wegen „normalen“ Verschuldens. Hier besteht das vorwerfbare Element im Abweichen von allgemeinen, gebotenen und möglichen Verhaltensmaximen wegen Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt (Fahrlässigkeit). Dieser Umstand wirkt sich negativ auf die Interessen des schuldhaft Handelnden aus, so dass entweder aus schuldhaft herbeigeführten Umständen keine Rechte hergeleitet werden dürfen34 oder wenn ein Rechtsausschluss nicht in Frage kommt, dass für die Rechtsausübung Schadensersatz zu leisten ist35. Ebenfalls negativ auf die Bewertung der eigenen Interessen wirkt sich aus, obwohl der Handelnde kein Unrecht begangen hat, dass er, wenn auch in erlaubter Weise, die Gefährdung der Rechtsgüter des anderen veranlasst. Das Einstehenmüssen ohne Unrecht verschuldet zu haben, ist in dem Fall der Ausgleich dafür, dass die Interessen des anderen zuvor zu Gunsten der Erweiterung des eigenen Interessenkreises zurückgestellt wurden.36 Nicht nur wenn es zu einer Gefährdung fremder Interessen kommt, sondern auch bei der Missachtung der eigenen Interessen, bei einem „Verschulden“ gegen sich selbst, ist zu berücksichtigen, dass der den eigenen Interessen sonst gebührende Sorgfaltsmaßstab gesenkt wurde, d. h. hier gebietet es das Gleichbehandlungsgebot, Abstriche bei der Bewertung der Interessen desjenigen zu machen, der sie selbst nicht achtet.37 Nach dem Grundsatz casum sentit dominus ist das allgemeine Lebensrisiko nicht übertragbar38, so dass sich der Eintritt eines dem Lebensrisiko zuzuordnenden, zufälligen, schädigenden Ereignisses negativ auf die Interessen desjenigen auswirkt, bei dem es eintritt. Falls sich eine Störung zwei Verursachern zurechnen lässt, ist für die Interessenbewertung entscheidend, in welchem Verhältnis die Verantwortungsbeiträge zueinander stehen. Wenn einer Seite die überwiegende Verantwortung zugeordnet werden kann, der Anteil der anderen Seite mithin vernachlässigt werden kann, geht die Interessenabwägung zu deren Gunsten aus. Daraus folgt, dass eigenes Verschulden bei gravierendem Verschulden der anderen Seite unbeachtlich sein kann.
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Hubmann, AcP 155 (1956), 86, 117. Beispielsweise § 228 S. 2 BGB. 36 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 636 ff.; Meder, JZ 1993, 539, 544. 37 Wer z. B. mit seinen Sachen sorglos umgeht, dem steht nur ein eingeschränkter Schadensersatzanspruch in dem Umfang zu, in dem er die den Schaden verursachenden Voraussetzungen nicht zu verantworten hat (Erman/Ebert, § 254 Rn. 3 f. zum Grundgedanken des § 254 BGB); nach Ansicht von Wieling (Wieling, AcP 176 (1976), 334, 352) tritt die Sanktion in Form des Rechtsverlusts deshalb ein, weil das Verhalten des Berechtigten als Aufgabe des Rechts erscheint. 38 Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 138, 200. 35
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1. Teil: Problemstellung
Eine Culpakompensation39 in dem Sinne, dass eigenes Verschulden die Geltendmachung von Rechten per se ausschlösse, findet nicht statt.40 Positiv formuliert, geht die Interessenabwägung grundsätzlich zu Gunsten der Partei aus, der die Störung nicht oder nur in einem im Vergleich zum Verantwortungsanteil der anderen Vertragspartei geringerem Umfang zurechenbar ist, denn dann ist der in Bezug auf die Zumutbarkeit anzulegende Maßstab für sie günstiger. Ein großer Verantwortungsanteil des Arbeitgebers führt zu einem strengen Maßstab und zu einer hohen Zumutbarkeitsgrenze. Ein großer Verantwortungsanteil des Arbeitnehmers führt zu einem milderen Maßstab und niedrigerer Zumutbarkeitsgrenze. Das zentrale Kriterium zur Strukturierung der Interessenabwägung wird daher die Zurechenbarkeit des zur Kündigung führenden Umstandes sein.
D. Zusammenfassung Wie die zuvor dargestellten Fallbeispiele gezeigt haben, gibt es in Kündigungsrechtsstreitigkeiten Konstellationen, in denen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer an der Herbeiführung des Kündigungsgrundes beteiligt sind. Während es im Schuldrecht eine gesetzliche Regelung gibt, § 323 VI BGB, wie sich überwiegende Verantwortung auf das Rücktrittsrecht auswirkt, gibt es eine vergleichbare Regelung für das Kündigungsrecht nicht. Dass auch überwiegende arbeitgeberseitige Verantwortung für den Kündigungsgrund nicht folgenlos für das Recht zur Kündigung sein kann, wäre eine naheliegende Annahme. Es wird Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, dieser These ein rechtliches Fundament zu geben und zu zeigen, dass es neben dem Anstandsgefühl und Gerechtigkeitsempfinden die Systematik des Kündigungsschutzes gebietet, die Störungsursache wechselseitig, d. h. zu Gunsten und zu Lasten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu berücksichtigen. Weiterer Gegenstand der Untersuchung wird sein, die Grenze für eine Übertragbarkeit des Gedankens von einem Rechtsausschluss im Kündigungsrecht zu ziehen, und wo es die arbeitsrechtlichen Besonderheiten erfordern, andere Regelungen zu entwickeln.
39 Im römischen Recht führten nach Marcian wechselseitig begangene Delikte zum Ausschluss der beiderseitigen Schadensersatzansprüche „Si duo fecerient, invicem de dolo non agent“ (D. 4, 3, 36 Marcianus libro secundo regularum, Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, S. 15). Nach dem gemeinrechtlichen Verständnis sollte das Mitverschulden an ein und derselben Störung zum Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs führen (Wendt, Eigenes Verschulden, JhJb 31 (1892), 137, 157; v. Leyden, Die sogenannte Culpa – Compensation im BGB, S. 36). 40 So ist die eigene Vertragstreue keine Voraussetzung für das Recht einen Anspruch durchzusetzen (BGH, Urt. v. 14. 07. 1971 – VIII ZR 49/70 – NJW 1971, 1747, 1748; OLG Celle, Urt. v. 31. 08. 2005 – 8 U 60/05 – NJW-RR 2006, 174, 175).
Zweiter Teil
Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis § 2 Die Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz Gegenstand dieses Abschnitts ist die Bedeutung der Zurechnung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz. Daher ist zunächst herauszuarbeiten, dass die Zurechnung als Strukturprinzip wesentlicher Bestandteil des Kündigungsschutzes nach dem KSchG ist, welches zuvor wiederum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Zurechnungsbegriff verlangt. Da für die verhaltens- und personenbedingte Kündigung dem Arbeitnehmer nicht zurechenbare Störungen nicht genügen, könnte dies zu der abschließenden Bewertung führen, dass das Element der Zurechnung notwendige Voraussetzung für die Rechtfertigung dieser beiden Kündigungsarten ist, während dem betriebsbedingten Kündigungsgrund als eine nicht vom Arbeitnehmer verursachte Störung eine Sonderstellung zukommt.
A. Begriff der Zurechnung I. Im allgemeinen Sprachgebrauch Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff der Zurechnung typischerweise in Sätzen wie diesen verwendet: „Das muss sich jemand zurechnen lassen“ bzw. „Das ist ihm zuzurechnen“ – gemeint ist in diesen Fällen meist etwas Negatives, etwa ein Missgeschick, Unfall, Fehlverhalten oder Schaden, für das oder den derjenige einstehen muss. Ebenso üblich sind Aussagen wie „Das ist seinem Verdienst zuzurechnen“. Ihnen wohnt die Bekundung von Ehrschätzung, Anerkennung oder Bewunderung inne. Es sind Sätze, die etwas Positives zum Ausdruck bringen. Es kann also festgehalten werden, dass der Begriff der Zurechnung wertungsneutral ist. Je nach dem, was zugerechnet werden soll, erhält der Begriff eine positive oder negative Konnotation. Unabhängig von der Konsequenz, ob gut oder schlecht, ist Zurechnung die Umschreibung für die Urheberschaft, Beteiligung, Verantwortung und das Einstehenmüssen für einen bestimmten Zustand. In anderen Worten, die
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Zurechnung dient dazu bestimmte Ereignisse auf menschliches Verhalten zurückzuführen und – so das Ziel von Larenz – von Zufallsereignissen abzugrenzen1.
II. Angst vor Zufällen als Hintergrund von Zurechnung Als Grund, warum Menschen sich bestimmte Ereignisse dadurch erklären, dass sie diese anderen zurechnen, soll nur ein Aspekt von mehreren herangezogen werden. Der Mensch sei von Grund auf „zufallsfeindlich“ eingestellt.2 Dies zeige sich darin, dass Menschen seit jeher auf der Suche nach den Hintergründen von Ereignissen waren, deren Entstehung sie sich mit den damaligen wissenschaftlichen Kenntnissen nicht erklären konnten.3 Um Schicksalsschläge und Unglücksfälle einfacher ertragen zu können, wurde deren Verursachung der Verantwortung von Göttern oder anderen höheren Mächten zugeordnet, welches es den Menschen ermöglichte, auch in für sie auf unerklärlicher Weise eingetretenen Schäden noch einen tieferen Sinn zu sehen und es ihnen erleichterte Verluste hinzunehmen. Im Zuge der Aufklärung hat sich das Weltbild der Menschen weg von einer göttlich vorher- und durch andere Mächte fremdbestimmten Lebensweise hin zu einer vom Menschen selbst zu treffenden, allein dem eigenen Willen unterworfenen Lebensgestaltung gewandelt.4 Sinnbild dieser Zeit, welche maßgeblich von den Ideen Kants geprägt wurde, ist das Willensdogma, dem sämtliche Lebenssachverhalte nunmehr untergeordnet wurden. Ergebnis einer solchen Weltanschauung war die These, dass allein der einem Handeln zugrunde liegende freie Willensentschluss zurechnungsbegründend sein könne sowohl im Hinblick auf das Handeln selbst als auch auf die damit gesetzten Handlungsfolgen. Nach Kant ist „Zurechnung (imputatio) in moralischer Bedeutung das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird.“5 Eine Tat wiederum erfordere eine Handlung, die nach der „Freiheit seiner Willkür“ des handelnden Subjekts betrachtet werden kann. Dadurch, dass Handlungen als Audruck eines freien Willensentschlusses betrachtet werden6, sind sie nach Ansicht von Kant zurechnungsfähig.7 Nach Kants Zurechnungslehre erlangt der „freie Wille“ somit maßgebliche Bedeutung als Zurechnungskriterium.
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Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 61. Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 15 ff. 3 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 16. 4 HKK/Schermaier, §§ 276 – 278 Rn. 7; Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 18 ff. 5 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 25. 6 Vgl. Blöser, Zurechnung bei Kant, S. 13. 7 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 25. 2
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III. Zurechnung im Schuldverhältnis Wenngleich die Hintergründe der Zurechnung, weil sie Aufschluss über deren früheres Verständnis geben, nicht unbedeutend sind, ist zu klären, welches die Bezugspunkte der Zurechung sind, zwischen denen der Zurechnungszusammenhang hergestellt werden soll. Eng damit verknüpft ist die Frage, was Gegenstand der Zurechnung ist. Schon Kant hat in seiner bereits zitierten „Einleitung in die Metaphysik der Sitten“ zwischen der Zurechnung „in moralischer Bedeutung“8, also willensbasierend9, und Zurechenbarkeit nach Naturgesetzen, im Sinne von Kausalität, unterschieden. Dieser Gedanke erscheint bei Larenz wieder, der unter Bezugnahme auf die Hegelsche Zurechnungslehre dafür die Begriffe der imputatio juris und imputatio facti wählt.10 Die Zurechnung im BGB, wie sie von einer Vielzahl von Normen vorausgesetzt wird11, meint indes nur das Einstehenmüssen als Ergebnis einer rechtlichen Wertung einer Tat oder eines bestimmten Erfolges, während die Beziehung zwischen einer Person und einem Erfolg oder „Geschehen“, also das was Larenz unter „objektiver Zurechnung“ verstanden hat12, mit dem Begriff der haftungsbegründenden Kausalität umschrieben wird.13 Der dem vorliegenden Abschnitt zugrunde liegende Begriff der Zurechnung wird für Ersteres und nicht der reinen Kausalitätserwägung verwendet. Im Schuldverhältnis kommt es auf die Zurechenbarkeit von Umständen an, die für die Fortsetzung der Leistungsbeziehung zwischen den Parteien wichtig sind. Je nach dem, welches Stadium des Schuldverhältnisses, Anbahnung, Abschluss, Vollzug oder Beendigung, betroffen ist und mit welchen Rechten auf die Störung reagiert wird, gestaltet sich die Zurechenbarkeit unterschiedlich. Am Beginn steht die Leistungszusage, deren Zurechenbarkeit einfach zu beantworten ist: Sie ergibt sich aus den Willenserklärungen der Parteien. Bei der Vollziehung des Leistungsaustauschs kann sich die Frage der Zurechenbarkeit von Störungen sowohl im Hinblick auf den Erhalt und die Abnahme der Leistung stellen als auch bezüglich der Geltendmachung von Sekundäransprüchen, wenn die erbrachte Leistung nicht der vereinbarten entspricht bzw. eine solche gar nicht erfolgt. Wie sich im Anschluss zeigen wird, unterscheiden sich die Anforderungen an die Zurechenbarkeit danach, ob Leistungsstörungen auf der Primärebene betroffen sind, Sekundäransprüche geltend gemacht werden oder, wie von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung, das Schuldverhältnis beendet werden soll. 8 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, S. 25. 9 Blöser, Zurechnung bei Kant, S. 14. 10 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 60. 11 Wie in §§ 275 II, 280 I, 286 IV, 309 Nr. 7a und 8a, 338 S. 1, 437 Nr. 3, 536a, 538, 634 Nr. 4, 651f, 675z S. 2 und 3, 991 II, 1050. 12 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 60. 13 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 84; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 61.
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Eine klare, wenn auch nicht abschließende Antwort auf diese Fragen liefert § 276 BGB. In seinem Hauptanwendungsbereich, wie es sich der Stellung vor den §§ 280 ff. BGB und der Entstehungsgeschichte14 entnehmen lässt, bezweckt § 276 I BGB die Zurechnung von Pflichtverletzungen im Rahmen der Sekundäransprüche.15 Der Zurechnungszusammenhang soll nach dieser Lesart zwischen dem Schuldner, der ein abgegebenes Versprechen nicht erfüllt, z. B. zu einem zugesagten Datum nicht leistet, und dem auf Seiten des Gläubigers eingetretenen Verletzungserfolg, z. B. der Verzögerung der Leistung, hergestellt werden. Zurechnungsgegenstand ist damit ein pflichtwidriges Verhalten, die Pflichtverletzung. Wie sich dem Kern des § 276 I 1 BGB entnehmen lässt, erfolgt die Zurechnung nicht ohne weiteres, sondern es bedarf eines Zurechnungsgrundes: Dies ist das Vertretenmüssen.16 Aus den in § 276 I 1 BGB enthaltenen Konkretisierungen ergibt sich, dass Vertretenmüssen nicht stets gleich Verschulden, Vorsatz und Fahrlässigkeit, ist, gleichwohl das Verschulden den Hauptanwendungsfall bildet. Der Verschuldensgrundsatz soll nur dann anderen, strengeren oder milderen, Haftungsformen weichen, sofern dies bestimmt ist oder sich aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses ergibt. Zu ersteren Haftungsformen nennt der Gesetzgeber beispielhaft, aber nicht abschließend, die Übernahme einer Garantie oder des Beschaffungsrisikos. Trotz der Fokussierung auf die Sekundäransprüche erstreckt sich die Norm auch auf die vertraglichen Primäransprüche (s. § 275 II, III BGB) und die deliktischen Ansprüche.17 Bei Letzteren geht es wie bei den vertraglichen Pflichtverletzungen um die Zurechnung von Erfolgs- oder Verhaltensunrecht, das der Schädiger zu verantworten hat, wenn er schuldhaft gehandelt hat.18 Im Gegensatz dazu steht das Einstehenmüssen für die vertraglichen Primäransprüche, für das es keines weiteren Zurechnungselementes bedarf, denn dieses ergibt sich bereits aus der bei Vetragsschluss abgegebenen Willenserklärung oder deutlicher aus dem vertraglichen Versprechen, die Leistung erbringen zu wollen. Das Verschulden ist nicht nur für die Entstehung der Verpflichtung gegenstandslos, sondern auch bei deren Untergang. Nach § 275 I BGB wird der Schuldner bei tatsächlicher Unmöglichkeit von der Pflicht zur Leistung befreit, unabhängig davon, ob er die Unmöglichkeit verschuldet hat. Relevant wird der § 276 I 1, 2. HS BGB jedoch im Zusammenhang mit solchen Umständen, die die primäre Leistung erschweren und bei denen der Eintritt der Unmöglichkeit keine tatsächliche, sondern eine Wertungsfrage ist (§ 275 II, III BGB). Sofern der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat, z. B., weil er das Beschaffungsrisiko übernommen hat (§ 276 I 1, 2. HS BGB), hat er gem. 14
Siehe hierzu BT-Drs. 14/6040, S. 131. MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 1 f. 16 In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: Die den Schuldner trefffenden Rechtsfolgen bedürfen einer „besonderen Verantwortlichkeit“ (BT-Drs. 14/1460, S. 131). 17 BT-Drs. 14/1460, S. 132; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 2. 18 Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 5, 9; a. A. Staudinger/Caspers (2019), BGB § 276 Rn. 13 ff. m. w. N. 15
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§ 275 II 2 BGB einen größeren Leistungsaufwand zu betreiben. Andersherum kann im Rahmen von § 275 III BGB zu Gunsten des perönlich leistenden Schuldners zumindest pflichtenmildernd berücksichtigt werden, dass dieser das Leistungshindernis nicht zu vertreten hat.19 Im Rahmen von § 313 I BGB hat der Schuldner ebenfalls erschwerende Bedingungen eher hinzunehmen und sofern er eine Sache mittlerer Art und Güte schuldet, hat er deren Untergang bis zur Konkretisierung ersatzlos zu tragen. Bezugspunkt der Zurechnung bei den Primäransprüchen ist die Verletzung der Beschaffungspflicht. Zurechnungsgegenstand können neben dem Verhalten des Schuldners auch Zustände sein (z. B. Beschränkungen des märktlichen Angebots), die außerhalb seines Machtbereichs liegen und unabhängig von dessen Willen auf die Erfüllbarkeit seines Versprechens einwirken. Der Grund der Zurechnung besteht in diesen Fällen in einer vom Gesetzgeber vorweggenommenen Risikozuordnung, basierend auf dem Gedanken der Risikoübernahme durch Versprechensabgabe, also privatautonomer Erklärung, eine bestimmte Leistung erbringen zu wollen.20 Was sich somit bei allen drei Anwendungsbereichen als wiederkehrendes, gemeinsames Element herauskristallisiert, ist das dem § 276 I BGB übergeordnete Zurechnungsprinzip, die Haftung für selbstbestimmtes Handeln.21 So ist in der Zurechnung wegen Verschuldens der Vorwurf enthalten, sich trotz Möglichkeit willentlich nicht normgerecht verhalten zu haben.22 Die Haftungsverschärfungen, aufgrund von Garantien oder Risiken, basieren ebenfalls auf freiwilligen Entschlüssen; unabhängig davon, ob sie durch ausdrückliche Vereinbarung oder gesetzliche Bestimmung Bestandteil des Vertrags geworden sind, ist Voraussetzung dafür, dass eine wirksame Willenserklärung abgegeben wurde. Neben der soeben beschriebenen Zurechnung von Pflichtverletzungen enthält das BGB noch weitere Zurechnungsnormen mit anderen Zurechnungsgegenständen, bei denen sich die Zurechnung nach anderen Prinzipien vollzieht: Beginnend mit § 122 BGB, zeigt sich, dass die Zurechnung hier auf dem Prinzip Vertrauen erweckenden Verhaltens basiert. So setzt der Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB nicht voraus, dass die irrtümlich abgegebene Willenserklärung verschuldet ist, sondern es genügt allein die Tatsache, dass eine Willenserklärung bestimmten Inhalts abgegeben wurde, auf den die andere Seite vertraut hat.23
19 MünchKomm BGB/Ernst, § 275 Rn. 122; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 275 Rn. 63; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, § 4 Rn. 85 f.; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 5 Rn. 31. 20 MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 24 f. 21 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 5; ders., AcP 202 (2002), 889, 898. 22 Fikentscher/Heinemann, SchuldR, § 55 Rn. 644; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 34 Rn. 7 ff., 22; so bereits Rümelin, Das Verschulden im Straf- und Zivilrecht, S. 10 ff.; aus der Rspr. BGH GS, Urt. v. 18. 03. 1952 – GSSt 2/51 – BGHSt 2, 194, 200. 23 Siehe Zweiter Teil unter § 2 A. IV. 3. c).
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Für die Ausübung von Gestaltungsrechten, wie der außerordentlichen Kündigung (§§ 314, 626 BGB), gilt grundsätzlich, dass der zur Kündigung des Vertrags führende Umstand dem Kündigungsempfänger zurechenbar sein muss bzw. nicht aus der Sphäre des die Kündigung Erklärenden stammen darf.24 Die zur Kündigung berechtigenden Gründe, mithin der Zurechnungsgegenstand, können nicht nur Pflichtverletzungen sein, sondern sämtliche Tatsachen, die sich nachteilig auf das Vertragsverhältnis auswirken und die die Fortsetzung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar machen25. Dazu gehört der Vertrauensverlust in den Vertragspartner26 oder der Eintritt unvorhergesehener Umstände, die die Parteien bei Vertragsschluss berücksichtigt hätten, wären sie ihnen schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen.27 Zurechnungsbegründend ist hier nicht nur der Verschuldensgrundsatz, sondern die vertragliche Risikoverteilung.28 Das Rücktrittsrecht gem. § 323 I BGB setzt voraus, dass der Schuldner für die zum Rücktritt führende Störung verantwortlich ist, ohne dabei ein Verschulden zu fordern.29 Die Gefährdungshaftung30, die meist spezialgesetzlich geregelt31 ist, basiert auf einem eigenen Zurechnungssystem, das sich durch die Verantwortlichmachung für die Realisierung von Risiken auszeichnet, die den in legaler Weise betriebenen Gefahrenquellen immanent sind.32 Daraus lässt sich insgesamt entnehmen, dass Zurechnungsgegenstand sowohl Verhalten als auch Zustände sein können. Während das Einstehenmüssen für Verhalten, weil diese das Resultat freier Willensbildung sind, eine Frage der Vorwerfbarkeit ist, richtet sich die Zurechenbarkeit für Zustände, die in Abgrenzung dazu nicht steuerbar sind, nach der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung. Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass Zurechnung oder Zurechenbarkeit eine Voraussetzung verschiedener Rechte und Ansprüche und nicht nur im Hinblick auf eine Schadensersatzhaftung relevant ist. 24 BGH, Urt. v. 07. 03. 2013 – III ZR 231/12 – BGHZ 196, 285, 290; BGH, Urt. v. 08. 02. 2012 – XII ZR 42/10 – NJW 2012, 1431, 1433; BGH, Urt. v. 26. 05. 1986 – VIII ZR 218/85 – NJW 1986, 3134, 3134; mit Einschränkungen BGH, Urt. v. 30. 01. 1964 – VII ZR 5/63 – BGHZ 41, 104, 109; Erman/Böttcher, § 314 Rn. 4e; Kluth/Freigang, NZM 2006, 41, 42; für die entsprechende Anwendung des § 323 VI BGB auf das Kündigungsrecht MünchKomm BGB/ Gaier, § 314 Rn. 17; NK-BGB/Krebs, § 314 Rn. 26. 25 KR-Fischerneier, § 626 BGB Rn. 111 ff.; MünchKomm BGB/Gaier, § 314 Rn. 19 ff.; Staudinger/Preis (2016), BGB § 626 Rn. 50 ff. 26 ErfK/Niemann, § 626 BGB Rn. 20; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 181. 27 KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 182 m. w. N. 28 Siehe Zweiter Teil unter § 2 A. IV. 3. 29 Siehe Zweiter Teil unter § 2 A. IV. 3. e). 30 Grundlegend Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 105 ff. 31 Zum Beispiel § 615 S. 3 BGB, § 833 S. 1 BGB; § 1 ProdHaftG; §§ 1 ff. UmweltHG; § 7 I StVG; §§ 25, 25a, 26 AtG; § 84 AMG. 32 Siehe Zweiter Teil unter § 2 A. IV. 3. b).
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IV. Prinzipien der Zurechnung Wie sich bereits dem vorherigen Abschnitt entnehmen ließ, bestehen die Zurechnungsregeln aus einem Konglomerat von Faktoren, die sowohl kumulativ als auch alternativ zu dem Ergebnis führen können, dass etwas zuzurechnen ist. 1. Ursächlichkeit Das Prinzip der Ursächlichkeit alleine ist zur Begründung der Zurechnung „zur Schuld“ nicht ausreichend. Diese Unzulänglichkeit zeigt sich bereits darin, dass neben Handlungen auch Erfolge und Schäden Gegenstand der Zurechnung sein können, die in keinem Kausalzusammenhang zu demjenigen stehen, der dafür haftbar gemacht werden soll. Wird beispielsweise bei dem Betrieb einer Müllverbrennungsanlage durch zu hohen Sauerstoffanteil in der von draußen zugeführten Luft eine Explosion ausgelöst, wodurch Rußpartikel freigesetzt werden, die Lackschäden an den im Umkreis der Anlage geparkten Autos anrichten, haftet der Eigentümer der Anlage (§ 1 UmweltHG) selbst dann, wenn er beim Kauf mit dem Verkäufer vereinbart hat, dass dieser die Anlage weiter für ihn betreiben soll. Er haftet also, obwohl der Kauf in keinster Weise für den Kauf kausal war.33 Geht es hingegen um die Zurechnung von Handlungen („zur Schuld“), wird sich bei Annahme der Zurechenbarkeit meist auch ein Kausalitätszusammenhang feststellen lassen.34 Ein Beispiel: Eine als Restaurantleiterin eines Hotels und mit Vorgesetztenaufgaben betraute Beschäftigte hat ihre Stellung als Ausbilderin missbraucht, indem sie versucht hat, Auszubildende zum Drogenkonsum zu animieren.35 Das von der Beschäftigen an den Tag gelegte Verhalten war kausal für einen massiven Vertrauensverlust, welcher eine weitere Zusammenarbeit für den Arbeitgeber unzumutbar gemacht hat. Die Arbeitgeberin ist berechtigt, gem. § 626 BGB das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu kündigen. Wie von § 626 BGB vorausgesetzt36, stammt der Kündigungsgrund, hier das gestörte Vertrauensverhältnis infolge einer vertraglichen Pflichtverletzung, aus der Sphäre der Beschäftigten, wobei sich dieses Urteil über die Zurechenbarkeit bereits allein auf Kausalitätserwägungen stützen lässt. Wenn die Beschäftigte in einem Zustand handelte, der es ihr unmöglich machte, ihr Fehlverhalten einzusehen, würde dies nichts daran ändern, dass sich die Beschäftigte die Umstände der Kündigung zurechnen lassen muss und die Arbeitgeberin zur Kündigung berechtigt ist. Dass hier das konditionale Element über die Zurechenbarkeit bestimmt, hängt damit zusammen, dass die Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts unabhängig von einem Verschulden sein kann. Streng genommen ist die von § 626 BGB vorausgesetzte Zu33 34 35 36
Beispiel abgewandelt nach Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 103. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 87; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 103. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20. 02. 2014 – 2 Sa 461/13 – BeckRS 2014, 69473. Siehe Dritter Teil unter § 5 E.
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rechenbarkeit daher keine Zurechnung im eigentlichen Sinn („Zurechnung zur Schuld“), sondern verschuldensunabhängige Zurechnung nach normativen Erwägungen. Wie sich dem Beispiel somit entnehmen lässt, ist bei der Frage der Zurechenbarkeit stets zu berücksichtigen, erstens, was zugerechnet werden soll (Handlungen oder Erfolge), und zweitens, wozu etwas zugerechnet werden soll; denn obwohl die Unterteilung in die Zurechnung zur „Tat“ und „Schuld“ durch die Begriffe Kausalität und Zurechnung ersetzt wurde, zeigt sich, dass die Ersetzung nicht durchgehend vollzogen worden ist und Zurechnung doch zur Begründung einer Beziehung zwischen einer Person und deren Handlung verwendet wird. In diesem Kontext kann von der Konditionalorientiertheit der Zurechnung gesprochen werden; bei der Zurechnung im eigentlichen Sinn ist die bloße Kausalität jedoch keine ausreichende Zurechnungsregel. 2. Der Verschuldensgrundsatz Wie sich aus § 276 I 1 BGB ergibt, ist der Verschuldensgrundsatz zur hauptsächlichen Zurechnungsregel erhoben worden.37 Danach hat der Schuldner schuldhaftes Handeln stets zu vertreten. Ein Verhalten ist schuldhaft, wenn vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt wurde. Damit wird das aus dem römischen Recht stammende und in der Pandektenwissenschaft38 wieder aufgegriffene Prinzip der Haftung aufgrund von culpa für das BGB festgelegt.39 Im römischen Recht gab es, was den verschiedenen Phasen der römischen Herrschaftszeiten geschuldet ist, verschiedene Schuldvorstellungen und Haftungsregimente. Auch wenn Überlieferungen auf eine reine Erfolgshaftung im Delikt hinweisen, wurde im Bereich des Strafrechts zwischen absichtlicher („dolus malus“) und fahrlässiger Begehungsweise unterschieden.40 Häufig erwähnt wird in diesem Zusammenhang der casumsentit-dominus Grundsatz, wonach derjenige, der durch ein zufällig eingetretenes Ereignis geschädigt wurde, den Schaden selbst zu tragen habe. Pflichtverletzungen, 37 RegBegr. BT-Drs. 14/6040, S. 131; st. Rspr. BGH, Urt. v. 26. 02. 2008 – XI ZR 74/06 – NJW 2008, 1585, 1587; BGH, Urt. v. 05. 10. 2005 – VIII ZR 16/05 – NJW 2006, 47, 49; Erman/ Ulber, § 276 Rn. 2, 6; Jauernig/Stadler, § 276 BGB Rn. 1; Staudinger/Caspers (2019), BGB § 276 Rn. 3; Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 5; v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5 ff. während im internationalen Recht, angelehnt an das angloamerikanische Recht, die Garantiehaftung vorherrschend ist (siehe z. B. Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, CISG Art. 79 Rn. 47 ff.; Art. 7.1.7 Unidroit Principles; Art. 9:501 The Principles of European Contract Law). 38 Siehe z. B. Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, S. 55, wonach erst die Schuld und nicht bereits der Schaden zum Ersatz verpflichtet; ähnlich Mommsen, Die Lehre von der Mora, S. 13, wonach der Verzug des Schuldners nicht bloß eine Rechtsverletzung voraussetzt, sondern darüber hinaus auch die Schuld verlangt; Hasse, Die culpa des römischen Rechts, S. 63, wonach Schuld und Zurechnung gleichzusetzen seien, „Schuld bezeichne dasjenige (…), was bewirke, dass die Handlung zugerechnet werden kann.“ 39 Mugdan II, S. 511. 40 HKK/Schermaier, §§ 276 – 278 Rn. 7 ff. m. w. N.
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die auf ungewollten, unvorhersehbaren, unvermeidbaren Handlungen beruhten, konnten keine Haftung begründen.41 Daraus wurde in der Pandektenwissenschaft der Umkehrschluss gebildet, dass haftungsbegründend nur vom Willen getragene Handlungen („ex voluntate“) sein können.42 Für die vertragliche Haftung lässt sich eine Mischung aus einer Garantiehaftung, begrenzt durch den „casus“, und einer klassischen Verschuldenshaftung, „neglegentia“ und „dolus“, konstatieren. Als hinter dieser Zurechnungsregel stehendes Prinzip lässt sich der Gedanke der Selbstbestimmung ausmachen. Denn in der Handlung verwirklicht sich der ihr zugrunde liegende Wille, so dass in der Zurechnung „die Beziehung der Tat [und ihrem Erfolg] auf den Willen“43 gesehen werden kann. Deutlich wird dies insbesondere bei der Verschuldensform des Vorsatzes, welcher zugleich die schwerste Form der Schuld darstellt, weil damit ein bewusstes Hinwegsetzen über die Rechtsordnung zum Ausdruck gebracht wird. Obwohl das Gesetz keine Legaldefinition enthält, ist unter Vorsatz in Anlehnung an das strafrechtliche Verständnis die wissentliche und willentliche Tatbegehung zu verstehen44, wobei nach h. M. das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hinzukommt.45 Anhand der Ausprägung des Wissens- oder Wollenselementes wird zwischen den verschiedenen Vorsatzformen, der Absicht, dolus directus, und der billigen Inkaufnahme, dolus eventualis, unterschieden.46 Mit anderen Worten, die Zurechnungsregel besagt, dass zugerechnet wird, weil es gewollt war. Bei der Haftung für Fahrlässigkeit ist das Willenselement weniger offensichtlich – der Verletzungserfolg entsprach ja eigentlich nicht dem Willen des Handelnden –, dennoch kann hier das Prinzip der Selbstbestimmung als grundlegend festgestellt werden. Fahrlässigkeit bedeutet gemäß der in § 276 II BGB enthaltenen Legaldefinition das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Der in der Schuld für das fahrlässige Verhalten zum Ausdruck gebrachte Vorwurf besteht darin, dass der Verletzungserfolg bei Einsatz der im Verkehr verlangten Fähigkeiten vorhersehbar und vermeidbar war, hätte der Handelnde keine entsprechende Unachtsamkeit an den Tag gelegt. Bei der Zurechnung fahrlässigen Handelns ist, wie teilweise zu Recht eingewandt47, Vorsicht geboten. Hinter der Frage der „Vorwerfbarkeit“ verbirgt sich keine persönliche Schuldfeststellung48, die Schuld des fahr41
Enneccerus/Kipp, BGB AT I/1, § 199 Einl. Vgl. Merkel, Zur Lehre der Grundeinteilungen des Unrechts und seiner rechtlichen Folgen, S. 58; Mommsen, die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Verhältnisse, S. 248; Wacke, Gefahrerhöhung als Besitzverschulden, S. 670. 43 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 75. 44 Mugdan I, S. 507 f.; Enneccerus/Kipp, BGB AT I/1, § 196 II; vgl. Esser/Schmidt, SchuldR AT I, § 8 II 1; Schwarze, Leistungsstörungsrecht § 34 Rn. 10. 45 Staudinger/Caspers (2019), BGB § 276 Rn. 25; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 354; a. A. MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 158 ff. 46 Eingehend dazu Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 337 f. 47 PWW/Kramme, § 276 Rn. 3, 10. 48 PWW/Kramme, § 276 Rn. 3, 10; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SchuldR AT, Rn. 565. 42
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lässig Handelnden gründet sich auf objektive Maßstäbe49, so dass lediglich die fehlende Verschuldensfähigkeit gem. §§ 276 I 2, 827, 828 BGB von dem Vorwurf befreit.50 Ausgehend von den Kriterien der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit zeigt sich das Willenselement bei der Fahrlässigkeit darin, dass sich der Handelnde, sofern ihm das andere, richtige Verhalten bewusst war, gegen das der ordentlichen Sorgfalt entsprechende Verhalten entschieden hat. Damit ist, anders ausgedrückt, die Ursache des pflichtverletzenden Verhaltens die Entscheidung, die im Verkehr geltenden Verhaltensregeln außer Acht zu lassen. Dies wiederum basiert auf einem freien Willensentschluss, so dass sich letzten Endes auch im fahrlässig herbei geführten Verletzungserfolg der freie Wille manifestiert51. 3. Verschuldensunabhängige Verantwortung Aus der engen Verwobenheit des Willens mit der Tat ergibt sich eine Lücke, wo es an der Tat bzw. an einer menschlichen Handlung fehlt. Ferner kann mit dem Verschuldensgrundsatz ein Zurechnungszusammenhang nicht begründet werden, wenn kein rechtswidriges Handeln vorliegt, denn dann fehlt es an der rechtmäßigen Verhaltensalternative, deren Nichteinhaltung dem Handelnden sonst zum Vorwurf gemacht würde. An diese Stelle tritt das Kriterium der „Verantwortung“, das das Einstehenmüssen mit Hilfe normativer Erwägungen herzuleiten vermag.52 Der Begriff „Verantwortung“ ist zweideutig, weswegen die nachfolgende Verwendung einer Abgrenzung zur Überschrift des § 276 BGB bedarf. Diese bezeichnet das Ergebnis der Zurechnung als „Verantwortlichkeit“. Da „Verantwortung“ aber auch gleichzeitig der Oberbegriff für verschuldensbasierte und nicht verschuldensbasierte Zurechnung ist, wie sich aus § 276 I 1, 2. HS BGB ergibt (strengere Haftung), sähe es nach einem Zirkelschluss aus, wenn „Verantwortung“ als Kriterium der Zurechnung mit der am Ende stehenden „Verantwortlichkeit“ inhaltsgleich wäre und diese dennoch begründen könnte. Deswegen sei hier klarstellend erwähnt, dass Verantwortung als Ergebnis der Zurechnung das Einstehenmüssen mit all seinen rechtlichen Konsequenzen, wie Rechtsverlust, Pflicht zu Schadensersatz etc., ebenso meinen kann, wie die Zurechnungsregel, die wie im Folgenden näher darzustellen sein wird, sich u. a. auf das Prinzip der Arbeitsteilung, der Gefahrbeherrschung und -absorption sowie der Vorteilsziehung stützt. Dieses Zurechnungsregiment gelangt in den Sachverhalten zum Einsatz, in denen es nicht um die Zurechnung von auf 49
Statt vieler Staudinger/Caspers (2019), BGB § 276 Rn. 3. Vgl. Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 95, der auf die individuellen Fähigkeiten des Handelnden abstellt. 51 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 91, 365 ff.; Enneccerus/Kipp, BGB AT I/1, § 195 II 1; Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 300 ff.; Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 18 f. m. w. N. 52 Vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 3, der darunter die Haftung durch „Zuweisung“ versteht; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 102, 105, der vom teleologischen Zurechnungskriterium spricht. 50
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Verhalten basierendem Unrecht geht, sondern von Erfolgen, die ohne sorgfaltwidriges Verhalten eingetreten sein können. Der Ausgangspunkt hierfür ist nicht wie bei der Verschuldenshaftung die Frage, was gewollt oder vermeidbar war, sondern was zweckmäßig, billig und gerecht wäre.53 a) Verantwortung für Dritte § 278 BGB ordnet an, dass sich der Schuldner das Fehlverhalten seiner Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss. Mag es sein, dass sich der Schuldner völlig verkehrskonform verhält, hat diese Vorschrift zur Konsequenz, dass er für das schuldhafte Verhalten anderer einstehen muss. Dies füllt die Lücke, die daraus resultiert, dass gem. § 276 I 1 BGB der Schuldner nur für die sorgfältige Auswahl, Anleitung und Überwachung der Personen verantwortlich gemacht werden könnte. Daher gebietet es der Gläubigerschutz, dass bei einer vom Schuldner zugesagten Leistung, die dieser nicht in eigener Person erbringt, sondern sich dazu einer dem Gläubiger unbekannten Person bedient, sich der Gläubiger an den Schuldner, der ggf. wegen seiner Expertise oder speziellen Fähigkeiten ausgewählt wurde, soll halten dürfen54. Ein anderes mit dem § 278 BGB zum Ausdruck gebrachten Zurechnungsprinzip ist der Grundsatz der Vorteilsziehung, der es ebenfalls rechtfertigt, denjenigen, der sich Dritter bedient, für diese einstehen zu lassen, auch wenn es an einer von diesem gewollten Tat fehlt. Denn durch das Einschalten von Hilfspersonen erweitert der Schuldner seine Handlungsmöglichkeiten bzw. schafft sich dadurch erstmals welche. Die mit dem Einsatz Dritter verbundenen Risiken, deren möglicherweise fehlerhaftes Verhalten, muss derjenige tragen, der sich deren Hilfe bedient (Grundsatz der Arbeitsteilung).55 Ansonsten könnte der Schuldner durch den Einsatz Dritter sein Haftungsrisiko zu Lasten des Gläubigers minimieren.56 Daher wird vertreten, die in § 278 BGB normierte Verhaltenszurechnung sei eine Garantiehaftung für das ordnungsgemäße Verhalten der Hilfspersonen.57 Schließlich kommt in § 278 BGB zum Ausdruck, dass der Schuldner nur soweit für seine Gehilfen haften soll, wie er haften müsste, wenn er selbst gehandelt hätte.
53 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 101; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 99 ff., 178 ff., 190 ff. 54 GK-Online BGB/Schaub (Stand: 01. 06. 2016), § 278 Rn. 4; Wendelstein, AcP 215 (2015), 70, 87 f.; vgl. Larenz, SchuldR AT, § 20 VIII, der die Erweiterung des Verantwortungsbereichs des Schuldners mit einer ansonsten eintretenden Schlechterstellung des Gläubigers begründet. 55 Mugdan II, S. 16; GK-Online BGB/Schaub (Stand 01. 06. 2016), § 278 Rn. 3 ff.; MünchKomm BGB/Grundmann, § 278 Rn. 3; Staudinger/Caspers (2019), BGB § 278 Rn. 1 ff.; Picker, AcP 183 (1983), 369, 488 ff.; a. A. Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, S. 273 ff., 316 ff., 348 ff. 56 PWW/Kramme, § 278 Rn. 1; Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung, S. 405 ff. 57 v. Caemmerer, FS Hauß, S. 33 f., 36; Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 217; Lüderitz, NJW 1975, 1 ff.
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Zusammengefasst zeigt sich, unabhängig davon, ob man den Aspekt des Gläubigerschutzes oder den der Vorteilsziehung stärker gewichtet, dass sich der Grund für die Zurechnung des Verhaltens58 von Dritten zum Schuldner aus einer besonderen Risikozuweisung durch den Gesetzgeber ergibt.59 b) Gefährdungshaftung Mit der Gefährdungshaftung wird dem Betreiber einer Gefahrenquelle eine regelmäßig verschuldensunabhängige Haftung für Schäden auferlegt, die durch den Betrieb der Gefahr bedingt sind. Gegenstand der Haftung ist damit kein menschliches Handeln, sondern ein betriebsbedingtes Ereignis. Dies bedurfte lange Zeit der Rechtfertigung, weswegen zur dogmatischen Herleitung verschiedene Ansätze vertreten wurden. Auf R. Merkel geht der Ansatz zurück, dass die Einstandspflicht für die Gefahrenquelle der Ausgleich für die zulässige Gefährdung fremder Interessen ist. Zu Gunsten des Betreibers der Gefahr werde das allgemeine Schutzniveau abgesenkt. Die statistische Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts könne nur dann hingenommen werden, wenn die Schadensübernahme geklärt ist.60 Mit anderen Worten, die verschuldensunabhängige Haftung ist der „Preis“61 für den Eingriff in die fremde Rechts- und Integritätssphäre. Vor dem Hintergrund, dass selbst bei Beachtung der größtmöglichen Sorgfalt Schäden nicht sicher abgewendet werden könnten, wurde als Rechtfertigung der Gefährdungshaftung das Prinzip der Gefahrveranlassung und der Beherrschungsgrundsatz angeführt.62 Gemeinsamer Gedanke dieser beiden Ansätze ist, dass durch die Inbezugnahme auf die Entscheidung, eine Gefahrenquelle zu betreiben, eine Vorverlagerung stattfindet, die es erlaubt, auf den Willen als Anknüpfungspunkt der Haftung abzustellen.63 Der Grundsatz der Gefahrbeherrschung bezieht sich insoweit auf die abstrakte Gefahr, die durch die Entscheidung zum Betrieb einer Gefahr 58
Obwohl nach dem Wortlaut von § 278 BGB fremdes „Verschulden“ zugerechnet werden soll, geht es haftungsdogmatisch um die Zurechnung fremden Verhaltens, da den Dritten im Verhältnis zum Gläubiger keine Pflichten aus dem Schuldverhältnis treffen (v. Caemmerer, FS Hauß, S. 33, 37; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 34 Rn. 48). 59 Vgl. Esser/Schmidt, SchuldR AT I, § 27 I 1, 3 b) der von einer „besonderen Risikozurechnung“ bzw. (Personal-)„Risikohaftung“ spricht. 60 R. Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäßigen Handlungen; zustimmend Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 90 ff.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 637; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 104; Meder, JZ 1993, 539, 545; ablehnend Larenz/Canaris, SchuldR BT II/ 2, § 84 I 2 a). 61 Vgl. Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 84 I 2 a). 62 Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 53 f., 65 f., 70 f.; v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung; Esser/Weyers, SchuldR BT II, § 63; Larenz/Canaris, SchuldR BT II/2, § 84 I 2 a); Kötz, AcP 170 (1970), 20 ff.; Koziol, FS Wilburg, S. 173, 178. 63 Fikentscher/Heinemann, SchuldR, § 113 Rn. 1685.
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„beherrschbar“ ist. Die Nähe zur Gefahr genügt. Eng verknüpft mit dem Veranlassungsprinzip und Beherrschungsgrundsatz ist auch der Gedanke, dass derjenige, der von der Unterhaltung der Gefahrenquelle profitiert, das Risiko der damit einhergehenden Schäden tragen soll.64 Der rechtsökonomischen Deutung zufolge bezweckt die Gefährdungshaftung eine Schadensminderung. Das verschuldensunabhängige Einstehenmüssen soll durch die Inaussichtstellung von Kosten einen Anreiz zu mehr Prävention liefern, wodurch die Schäden letztlich vermindert werden sollen.65 Eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie das Risiko der Schadenstragung für Gefahren zu verteilen ist, die aus dem Betrieb gefährlicher Anlagen erwachsen, liefert Larenz in seinem Werk „Hegels Zurechnungslehre“: Die Zuweisung der Verantwortung ist deshalb legitim, weil der Schaden dem Willensbereich des Anlagenbetreibers zugeordnet werden kann. So wie der Wille Taten beherrscht, weswegen sich die Taten dem Willen zurechnen lassen, so erstreckt sich der Wille auch auf die Herrschaft von Sachen und Sachgesamtheiten.66 Aus der Freiheit sich Sachen anzuschaffen, darüber zu verfügen, sie zu nutzen, entsteht somit ein „Herrschaftsbereich“, eine „Sphäre der Freiheit“67, wofür der Inhaber gleichermaßen wie für Taten einzustehen hat, da auch die Sachen und damit verbundenen Gefahren „in der Freiheit der Willensbetätigung ihren letzten Grund haben.“68 Obwohl sich die Ansätze in der inhaltlichen Ausgestaltung unterscheiden, eint sie das Ziel einer gerechten Schadenszuweisung, welches mit dem Erkennen der Verantwortung nicht nur für eigenes Verhalten, sondern auch für Sachen, Risiken und Interessen zu rechtfertigen ist. Zustimmung verdient daher Deutsch69, der zu dem Ergebnis gelangt, dass all die genannten Erwägungen sowohl jede für sich die Gefährdungshaftung rechtfertigen mag, gemeinsam aber alle dem Urgedanken der Gefährdungshaftung entfließen, wonach die Gefährdungshaftung dem Ausgleich der in zulässiger Weise gefährdeten Rechtsgüter dienen soll. c) Verantwortung für Vertrauen Verantwortung für Vertrauen als weitere Zurechnungsregel verdient deshalb Erwähnung, weil sich hieran zeigt, dass sich Zurechnung auch ohne die Notwendigkeit des Verschuldenselementes, normativ begründen lässt.
64 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 292 ff.; Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 30 ff. 65 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 637 m. w. N. 66 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 103. 67 Hegel, Die Philosophie des Rechts, § 41; ebenso Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 104. 68 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 104. 69 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 635.
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§§ 116 S. 1, 119, 120, 121 I, II BGB ordnen an, dass nicht gewollte, irrtümlich abgegebene Willenserklärungen wirksam sind, sofern sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist angefochten werden. Damit bringt der Gesetzgeber nicht nur die Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers zum Ausdruck, der das Auseinanderfallen des Gewollten und des Erklärten nicht erkennen kann, sondern er räumt dem Vertrauens- und Verkehrsschutzprinzip auch den teilweisen70 Vorrang gegenüber dem Prinzip der Selbstbestimmung ein.71 Dies ist einerseits legitim, um den Rechtsverkehr nicht mit Unsicherheiten zu belasten. Ferner wird beim Erklärungsempfänger durch die Teilnahme des Erklärenden am Rechtsverkehr, also mit Abgabe der Willenserklärung, ein besonders starker Vertrauenstatbestand gesetzt, der es rechtfertigt, den Handelnden zum Ausgleich der Nachteile zu verpflichten, die der Erklärungsempfänger dadurch erleidet, dass er auf das Verhalten des Handelnden vertraut hat.72 Andererseits tritt auch der freie Wille desjenigen, welcher dem Irrtum unterlag, nicht vollends zurück, sondern kann bei unverzüglicher Anfechtung geltend gemacht werden73, wofür der Anfechtende im Gegenzug den Vertrauensschaden des Erklärungsempfängers ersetzen muss. Haftungsgrund ist formal betrachtet die Ausübung dieses Wahlrechts74 zwischen der Wirksamkeit des nicht gewollten Rechtsgeschäfts und dessen Rückgängigmachung.75 Tatsächlich liegt der Haftungsgrund jedoch in dem zuvor Erklärten: Zwar stellt die Erklärung von etwas nicht Gewolltem keine 70
Teilweise deshalb, weil der endgültige Vertrauensschutz zu Gunsten der Befriedigung des Erfüllungsinteresses nur greift, wenn der Erklärende von seinem Anfechtungsrecht nicht Gebrauch macht. In diesem Fall besteht nur ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses. Dieses mit Zubilligung des Anfechtungsrechts als Kompromiss aus Privatautonomie und Verkehrsschutz (siehe hierzu die ausführliche Darstellung des Interessenstreits zwischen Anhängern der Willens- und Erklärungstheorie bei Staudinger/Singer (2017), BGB Vorb zu §§ 116 – 144 Rn. 14 ff.) geschaffene „mehrstufige Vertrauensschutzsystem“ (Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 224; Bork, BGB AT, Rn. 860) bezweckt die Einräumung einer zweiten Möglichkeit über die Wirksamkeit der Willenserklärung zu entscheiden, welches deshalb notwendig ist, weil der Vertragsmechanismus, der grundsätzlich einen gerechten Interessenausgleich schafft, im Fall von Irrtümern versagt (Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 1967; ders., JZ 1975, 1, 4). 71 MünchKomm BGB/Armbrüster, § 122 Rn. 1; Staudinger/Singer (2017), BGB Vorb §§ 116 – 144 Rn. 21, § 122 Rn. 1 ff.; für eine reine Vertrauenshaftung: Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 93; Larenz, BGB AT, § 20 II c; Meincke, AcP 179 (1979), 170, 171; für nicht ausreichend halten dies Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 476 ff.; Singer, JZ 1989, 1030 und stellen verstärkt auf den Verkehrsschutz ab; aus der Rspr. BGH, Urt. v. 17. 09. 2009 – I ZR 217/07 – NJWRR 2010, 1127, 1129; BGH, Beschl. v. 19. 09. 2002 – V ZB 30/02 – BGHZ 152, 63, 70; BGH, Urt. v. 02. 11. 1989 – IX ZR 197/88 – BGHZ 109, 171, 177; BGH, Urt. v. 07. 06. 1984 – IX ZR 66/83 – BGHZ 91, 324, 330. 72 Bei Leonhard, Der allgemeine Theil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 503, wurde der Schadensersatzanspruch als „Schmerzensgeld“ bezeichnet. 73 Staudinger/Singer (2017), BGB Vorb §§ 116 – 119 Rn. 21 ff. m. w. N. 74 Mugdan I, S. 715. 75 Vgl. Meincke, AcP 179 (1979), 170, 171.
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Pflichtverletzung dar, so dass es bezüglich des von Willensmängeln geleiteten Handelns nicht um das Verschulden, sondern um das Verantwortenmüssen geht, indem sich der Erklärende in den Rechtsverkehr begeben hat, hat er sich einem Bereich erhöhter Gefahren ausgesetzt; den Gefahren, dass es bei der Kundgabe seines Willens zu Fehlern kommt. Die Haftung tritt somit nicht ein, weil sie verschuldet ist, sondern weil zuvor ein Rechtsscheinstatbestand gesetzt wurde.76 Genauer, die Quelle dieser Gefahr liegt beim Erklärenden selbst. Er kann die Gefahr besser beherrschen als der Erklärungsempfänger. Daher kommt es weder für die Wirksamkeit der Willenserklärung bei Nichtanfechtung noch für die Haftung nach § 122 BGB darauf an, ob der Handelnde seinen Irrtum hätte erkennen und vermeiden können. Es genügt, dass er durch sein Verhalten Vertrauen erweckt hat. Maßgeblicher Haftungsgrund ist damit die Teilnahme am Rechtsverkehr, weil diese das Risiko enthält einen nicht gewollten Rechtsschein zu erzeugen. Die Zurechnung im Rahmen der Schadensersatzhaftung nach § 122 BGB basiert auf dem Prinzip der Risikotragung für die eigene Person und Sphäre.77 Alles in allem enthalten §§ 116, 119, 120, 121 BGB die Wertung, dass die Verantwortung für die eigene Person und das darin investierte Vertrauen seitens des Rechtsverkehrs zurechnungsbegründende Kriterien sind. Ausnahmen davon sind in § 122 II BGB geregelt, wenn derjenige, gegenüber dem die Anfechtung erklärt wird, den Willensmangel kannte oder hätte erkennen können. § 122 II BGB ordnet an, dass dieser keinen Anspruch auf Schadensersatz hat. Grund hierfür ist, dass § 122 I BGB keine Unrechtshaftung ist, sondern eine Vertrauenshaftung für die Veranlassung eines Rechtsscheins, den Willen einen bestimmten Vertrag zu schließen.78 Die positive Kenntnis des Anfechtungsgegners wie dessen fahrlässige Unkenntnis entziehen der Vertrauenshaftung ihre Berechtigung. Mangels Schutzbedürftigkeit besteht der Anspruch nicht. Auch im Fall der Veranlassung des Irrtums des Anfechtenden durch den Anfechtungsgegner ist das Recht zur Geltendmachung des Schadensersatzes ausgeschlossen. Nach Ansicht des Reichsgerichts steht der Geltendmachung des An76
MünchKomm BGB/Armbrüster, § 122 Rn. 1; Staudinger/Singer (2017), BGB § 122 Rn. 1; nach a. A. sei die Haftung mit dem Veranlassungsprinzip zu begründen Enneccerus/ Nipperdey, BGB AT II, S. 1057; v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das Deutsche Recht, S. 167; Jhering, JherJB 4 (1861), 20, 26; aus der Rspr. RG, Urt. v. 25. 02. 1913 – III 403/12 – RGZ 81, 395, 399. Dem liegt zugrunde, dass im zweiten Entwurf zum BGB in Abkehr vom ersten Entwurf auf das Vorliegen von Fahrlässigkeit als Voraussetzung des Anspruchs verzichtet wurde. 77 Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 93; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474 ff., 532 ff.; Flume, BGB AT II, § 21/7; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 474 f.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 543 ff.; Singer, Selbstbestimmung, S. 189; Erman, AcP 139 (1934), 273, 327; für das Risikoprinzip als Zurechnungskriterium bereits Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 351 ff.; Oertmann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, § 122 Rn. 6 spricht von der Verantwortlichkeit für den eigenen „Geschäftskreis“; Raiser, AcP 127 (1927) 1, 27. 78 Esser/Schmidt, SchuldR AT I, § 8 II.
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spruchs die exceptio doli generalis entgegen. Der Anfechtungsgegner, der den Irrtum beim Erklärenden herbeiführt, führt auch die Anfechtungsmöglichkeit herbei und trägt damit die Verantwortung für die unsichere Rechtslage. Die Geltendmachung von Schäden, die aus dieser Unsicherheit resultieren, sei rechtsmissbräuchlich, da sie gerade nicht aus dem Verantwortungsbereich des Anfechtenden, sondern aus dem des Anfechtungsgegners stammten.79 Der zutreffende Ausschluss des Schadensersatzanspruchs überschneidet sich im Fall der vorsätzlichen Herbeiführung des Irrtums mit § 123 BGB. § 254 BGB wird in Teilen der Literatur für nicht analog anwendbar gehalten, so dass bei verschuldeter oder schuldloser Veranlassung der Schadensersatzanspruch vollständig entfiele.80 Ob das Recht zur Geltendmachung des Schadensersatzes stets auszuschließen ist81, erscheint jedoch fraglich. Der Ausschluss des Schadensersatzanspruchs im Fall der Herbeiführung des Irrtums durch den Anfechtungsgegner lässt sich ferner damit begründen, dass dieser nicht schutzwürdig ist und der Haftung des Anfechtenden somit jede Grundlage entzieht: Denn das Element, worauf sich die Haftung nach § 122 I BGB stützt, die Veranlassung durch den Anfechtenden, die den Anfechtungsgegner in eine schutzwürdige Situation gebracht hätte, fehlt in diesem Fall. Wenn der Anfechtungsgrund nicht aus der Sphäre des Anfechtenden stammt, sondern aus der Sphäre des Anfechtungsgegners selbst, lässt sich eine Schadensersatzpflicht weder mit dem Veranlassungsprinzip noch mit der Schutzwürdigkeit des Rechtsverkehrs vereinen.82 Im daneben stehenden Haftungsregiment gem. §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB bewirkt die gem. § 254 I BGB erfolgende Kürzung des Anspruchs wegen Mitverschuldens nur eine Minderung, selbst wenn der Geschädigte die alleinige Verantwortung trägt, entfällt das Recht zur Geltendmachung nicht, sondern betrifft lediglich die Höhe des Anspruchs. Daher erscheint auch für den Schadensersatzanspruch nach § 122 II BGB bei fahrlässiger Veranlassung des Irrtums eine Lösung über die Anspruchshöhe83, die das Recht als solches nicht vollständig entfallen lässt, denkbar. Im Fall der „fahrlässigen“ Unkenntnis vom Willensmangel hat der Anfechtungsgegner zwar auf den Bestand des Vertrags vertraut, wodurch sich eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs hier dennoch rechtfertigt, ist, dass der Anfechtungsgegner den Willensmangel der anderen Vertragsseite nicht erkannt hat, obwohl er ihn hätte erkennen können. Die Verantwortung am letzten Endes entstandenen Schaden 79
RG, Urt. v. 25. 02. 1913 – III 403/12 – RGZ 81, 395, 399. Erman/Arnold, § 122 Rn. 10; MünchKomm BGB/Armbrüster, § 122 Rn. 23; Staudinger/ Singer (2017), BGB § 122 Rn. 19; Flume, BGB AT II, § 21 Rn. 7; Medicus, BGB AT, Rn. 786. 81 Erman/Arnold, § 122 Rn. 10; MünchKomm BGB/Armbrüster, § 122 Rn. 23; Staudinger/ Singer (2017), BGB § 122 Rn. 19; Flume, BGB AT II, § 21 Rn. 7; Medicus, BGB AT, Rn. 786. 82 MünchKomm BGB/Armbrüster, § 122 Rn. 23. 83 BGH, Urt. v. 14. 03. 1969 – V ZR 8/65 – NJW 1969, 1380; BeckOK/Wendtland, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 122 Rn. 6; Erman/Arnold, § 122 Rn. 10; Jauernig/Mansel, § 122 BGB Rn. 4; NK-BGB/Feuerborn, § 122 Rn. 15; Palandt/Ellenberger, § 122 Rn. 5; Soergel/Hefermehl, § 122 Rn. 6. 80
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teilt sich also auf in ein aktives Tun, der irrigen Annahme durch die eine Vertragspartei, und ein Unterlassen der anderen Vertragspartei. Auch insofern fehlt es an einer alleinigen Veranlassung des Anfechtungsgrundes durch eine Vertragspartei. Daher besteht bei „fahrlässiger“ Unkenntnis vom Anfechtungsgrund durch den Anfechtungsgegner nur ein geminderter Schadensersatzanspruch. Was sich der Konzeption des Haftungstatbestandes des § 122 BGB also entnehmen lässt, ist: Zum einen kommt es für die Berücksichtigung von eigenem Verhalten nicht darauf an, ob sich dieses mit den Begrifflichkeiten von Vorsatz oder Fahrlässigkeit klassifizieren lässt. Zum anderen, kann bei Rechten, die auf einem Verantwortlichkeitsprinzip nach Sphären basieren, eine Verlagerung der Verantwortung von einer Partei zur anderen Partei bereits zum Rechtsausschluss oder zur Minderung der Anspruchshöhe führen. d) Verantwortung für die Primärleistung Wie sich § 276 I 1, 2. HS BGB entnehmen lässt, wonach sich eine strengere Haftung aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos ergeben kann, schließt das Gesetz eine Zurechnung nach Sphären nicht von vornherein aus. Leistungshindernisse können demnach sowohl im Rahmen der Erbringung als auch spiegelbildlich bei der Annahme der Leistung nach Risikossphären zugerechnet werden. Das Einstehenmüssen für die eigene Sphäre ist weder Synonym für die Verschuldenshaftung noch ist darin das normale Maß der Haftung zu sehen. Vielmehr wird das Haftungssystem durch punktuell geregelte Gefahrtragungspflichten erweitert. Denn eine grundsätzliche verschuldensunabhängige Einstandspflicht für die eigene Sphäre ist nach allgemein geltender Ansicht aus mehreren Gründen abzulehnen. Zum einen sei schon eine eindeutige Definition des Begriffs Sphäre nicht möglich.84 Andererseits, weil es dem Haftungsregime des BGB widerspräche, sind sich Rechtsprechung und Literatur heute grundsätzlich darüber einig, dass die eigene „Sphäre“, über die normierten Tatbestände der Gefährdungshaftung hinaus, kein taugliches Kriterium ist, das zur Begründung einer Haftung herangezogen werden kann. Ein unbedingtes Einstehenmüssen für die eigene Sphäre, sei mit der grundsätzlich verschuldensabhängig ausgestalteten Haftung des BGB nicht vereinbar. Ausnahmen von einem verschuldensabhängigen Einstehenmüssen sind punktuell geregelt (z. B. §§ 276 I 1, 2. HS; 287; 833 S. 1 BGB) und würden ihren Ausnahmecharakter verlieren.85 Diese mehrfach angesprochene Verantwortung in „punktuellen Ausnahmen“ beruht nach überwiegend vertretender Ansicht nicht auf einer Einteilung nach Ge84
Vgl. die verschiedenen Erklärungsansätze bei Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 76, 80, 210 f.; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 287 ff.; v. Schenck, Der Begriff der „Sphäre“, S. 197 ff. 85 BGH, Urt. v. 18. 03. 1997 – XI ZR 117/96 – NJW 1997, 1700, 1702; MünchKomm BGB/ Ernst, § 326 Rn. 66; Looschelders, SchuldR AT, Rn. 700; Medicus/Lorenz, SchuldR AT, Rn. 440; so auch Nassauer, „Sphärentheorien“, S. 195; Canaris, FS Picker, S. 113, 118 ff.
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fahrenssphären, sondern auf dem Vertragsschluss selbst, auch wenn die Haftungsverschärfung nicht ausdrücklich vereinbart wurde, sondern sich aus dem „Inhalt des Schuldverhältnisses“, so der Wortlaut von § 276 I 1, 2. HS BGB, konkludent ergibt86. Indem sowohl Schuldner als auch Gläubiger ihre Zustimmung zum Vertrag geben, übernähmen sie ein Erfolgsrisiko hinsichtlich der Erfüllung87. Auch ausweislich der Gesetzesbegründung ist der Einschub, Inhalt des Schuldverhältnisses, als Bezugnahme auf die „vertragliche Vereinbarung“ zu verstehen.88 Die im BGB normierten Haftungsverschärfungen sind somit nichts Anderes als eine nach Sphären systematisierte Risikozuweisung. Gem. §§ 276 I 1, 2. HS, 243 II BGB trägt der Schuldner bis zum Eintritt der Konkretisierung das Beschaffungsrisiko. Danach gehen sämtliche Risiken, die sich während des Beschaffungsvorgangs realisieren zu seinen Lasten, unabhängig davon, ob dem Schuldner ein Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann oder nicht. Wird die vom Schuldner zu beschaffende Sache vor Gefahrübergang z. B. aufgrund eines von ihm unverschuldeten Unfalls zerstört, muss er erneute Leistungsversuche auf seine Kosten durchführen. Grund dafür ist, dass diese Vorfälle im Zusammenhang zu seinem vertraglichen Pflichtenprogramm stehen, mithin aus seiner Sphäre stammen. Bei Unmöglichkeit wird er von seiner Leistungspflicht frei (§ 275 BGB), verliert damit jedoch seinen Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 I BGB). Spiegelbildlich zur Gegenleistungsgefahr des Schuldners trägt der Gläubiger die Gefahr, die Leistung überhaupt zu erhalten (Leistungsgefahr). Im Gegenzug dafür muss er die Gegenleistung nicht erbringen. Die beschriebene Gefahrtragung verlagert sich zu seinen Lasten (er erhält keine Leistung, muss dennoch die Gegenleistung erbringen), wenn er es zu verantworten hat, dass die Leistung vom Schuldner nicht erbracht werden kann (§ 326 II BGB). Grund der Gefahrverlagerung ist die Tatsache, dass das Leistungshindernis nunmehr aus der Sphäre des Gläubigers stammt. Das Gesetz geht auch hier von zwei verschiedenen Verantwortungssphären aus. Bei den Normen, die den Gefahrübergang bzw. die Gefahrtragung im besonderen Schuldrecht regeln, ist die Aufteilung in Verantwortungssphären von Schuldner und Gläubiger noch deutlicher zu erkennen. Der Gefahrübergang ist der Moment, in dem die Leistung von der Sphäre des Schuldners in die Sphäre des Gläubigers gelangt und womit sich das Risiko der Schlechtleistung vom Schuldner auf den Gläubiger verlagert (§§ 446, 447, 640). Wird z. B. die Kaufsache dem Gläubiger übergeben, kann dieser Gewährleistungsansprüche für die Mangelhaftigkeit der Sache nur verlangen, sofern diese vor Gefahrübergang aufgetreten ist (§§ 434, 446, 447 BGB), die danach erst auftretenden Mängel fallen in seine Risikosphäre, er kann dafür vom Schuldner keinen Ausgleich verlangen. 86
BGH, Urt. v. 11. 03. 1982 – VII ZR 357/80 – NJW 1982, 1458, 1459; BGH, Urt. v. 30. 11. 1972 – VII ZR 239/71 – BGHZ 60, 14, 21; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 172; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 276 Rn. 22; Staudinger/Caspers (2019), BGB § 276 Rn. 153 ff. 87 MünchKomm BGB/Ernst, § 326 Rn. 59 ff. 88 BT-Drs. 14/7052, S. 184.
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Eine § 326 II 1 BGB entsprechende Vorverlagerung der Gefahrtragung zu Lasten des Gläubigers bewirkt z. B. § 645 I 1 BGB, wonach der Besteller den Werklohn schuldet, ohne das fertige Werk zu erhalten, wenn das Werk untergeht und dies infolge eines von ihm gelieferten Stoffes oder infolge einer von ihm erteilten Anweisung geschieht. An diesen Voraussetzungen, „vom Besteller gelieferter Stoff“, „vom Besteller erteilte Anweisung“, lässt sich der der „Sphärentheorie“ zugrunde liegende Gedanke gut erkennen: Die die Einstandspflicht für die eigene Sphäre rechtfertigenden Gründe sind eine stets gegebene Nähe zur Gefahr, deren zumindest abstrakte Beherrschbarkeit sowie ggf. deren Veranlassung. Zu dieser Zurechnungssystematik in Widerspruch steht ein Urteil des BGH89, der berühmte Iran-Fall aus dem Jahr 198290, in dem es der BGH als ausreichend zur Bejahung des Vergütungsanspruchs empfunden hat, dass sich der Besteller finanziell abgesichert hatte, obwohl sich der Umstand, weswegen die Vollendung des Werks unmöglich geworden ist, der Einflusssphäre des Bestellers weit entzog.91 Das Urteil des BGH, das vielfach kritisiert worden ist und keineswegs für verallgemeinerungsfähig gehalten wird92, zeigt deutlich, wie der dem § 645 I 1 BGB zugrunde liegende Gedanke der Zurechnung in seinem Grundverständnis von einer Verantwortlichkeit wegen Verursachung im weitesten Sinne (Zurverfügungstellung mangelhafter Stoffe, Erteilung fehlerhafter Anweisungen) auf das Verantwortenmüssen wegen des „Näher-Dran-Seins“ ausgedehnt wurde. Es lässt sich gerade nicht allgemein sagen, dass der Besteller den Risiken wie höherer Gewalt oder politischer Unruhen stets nähersteht als der Unternehmer.93 Da die Forderung des Hauptunternehmers durch Akkreditive abgesichert war, ist denkbar, dass sich der BGH im
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BGH, Urt. v. 11. 03. 1982 – VII ZR 357/80 – NJW 1982, 1458. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Unternehmen, im nachfolgenden: Subunternehmer, hatte sich verpflichtet (1975) für den Betrieb eines Schlachthofs im Iran eine Tierkörperverwertungsanlage zu liefern und dort zu montieren. Aufgrund politischer Unruhen (1978) unterblieb die Montage. Die Bestellerin indes hatte ihrerseits bereits Vergütung für das angelieferte Material vom eigentlichen Auftraggeber erlangt, während der Vergütungsanspruch des Subunternehmers mangels Abnahme nicht fällig war und wegen Unmöglichkeit der Vollendung an sich nicht mehr durchsetzbar würde. In „entsprechender“ Heranziehung des Rechtsgedankens von § 645 I BGB, wonach ein dem Unternehmer zur Ausführung des Werks „Stoffe“ überlassender oder „Anweisungen“ erteilender Besteller der Gefahr des zufälligen Untergangs des Werks und damit einhergehend der Vergütungsgefahr näher stehe, als der das Werk herstellende Unternehmer, sei es gerechtfertigt, den Umstand zu berücksichtigen, dass sich die Bestellerin selbst gegen das Risiko des Ausfalls der Leistung bei ihrem Auftraggeber abgesichert hatte. Indem dieser ihr Akkreditive für die Materiallieferung und Montage getrennt ausgestellt und für die Lieferung bereits eingelöst hatte, war die Bestellerin finanziell in der Lage den Subunternehmer zu bezahlen. Entsprechend der von § 645 I BGB angeordneten Gefahrtragung sollte der finanzielle Vorteil nicht bei der Bestellerin verbleiben. 91 BGH, Urt. v. 11. 03. 1982 – VII ZR 357/80 – NJW 1982, 1458, 1459. 92 MünchKomm BGB/Busche, § 645 Rn. 18; Soergel/Teichmann, § 645 Rn. 15; Staudinger/Peters (2019), BGB § 645 Rn. 42. 93 Jauernig/Mansel, § 645 BGB Rn. 10; Staudinger/Peters (2019), BGB § 645 Rn. 42. 90
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Iran-Fall bei seiner Entscheidung ausschließlich von dem Kriterium der besseren Absorptionsfähigkeit von Vermögensverlusten hat beeinflussen lassen.94 So geeignet das Zurechnungskriterium der Absorption auf den ersten Blick erscheinen mag95, ist es das tatsächlich nicht. Aufgrund der Relativität dieses Kriteriums müssten identische Ereignisse mehrerer Sachverhalte unterschiedlich beurteilt werden, weil nur das Vorhandensein von Versicherungsmöglichkeiten und die Vermögensverhältnisse der Beteiligten maßgebend wären. Diese Unbestimmtheit und daraus resultierende Ungleichbehandlung wäre dem Wunsch einer gerechten Lösung nicht dienlich. Insofern stellt das Kriterium der Absorptionsfähigkeit keinen geeigneten Zurechnungsgrund dar. Abgesehen von diesem Ausnahmefall lassen sich abschließend als typische vom Schuldner zu tragende Leistungsrisiken solche festhalten, die im Zusammenhang mit Umweltereignissen (die Zerstörung der zu liefernden Sache durch Brand, Überschwemmung etc.) stehen, das Verschulden Dritter (§ 278 BGB), wirtschaftliche Risiken (z. B. Marktschwankungen, Preisentwicklungen, Finanzierung), persönliche Hinderungsgründe (Krankheit, Gewissen oder familiäre Ereignisse, die mit der übernommenen Verpflichtung kollidieren). Typische dem Gläubiger zugewiesene Risiken sind der Erhalt der einwandfreien Leistung und das damit einhergehende Verwendungsrisiko, beispielsweise den gekauften Gegenstand bei Änderung der Lebensumstände nicht mehr gebrauchen zu können. e) Verantwortung für die Beendigung des Vertrags Auch einigen Vertragsauflösungsrechten liegt das Verantwortlichkeitsprinzip für die eigene Person und Sphäre zugrunde. Dies gilt zumindest für die „tatbestandsmäßigen“ Lösungsrechte, wie z. B. den Rücktritt gem. § 323 I BGB und die außerordentliche Kündigung gem. §§ 314, 626 BGB. Sie haben gemein, dass ihre Ausübung die Zurechenbarkeit bestimmter Umstände zu der die Erklärung empfangenden Partei voraussetzt, diese also zur Ausübung des Gestaltungsrechts Anlass gegeben haben muss. In Abgrenzung dazu rechtfertigen sich die „tatbestandslosen“, d. h. voraussetzungslosen, Gestaltungsrechte, wie z. B. das ordentliche Kündigungsrecht oder das Widerrufsrecht, durch die Kündigungsfreiheit oder aus Gründen des Verbraucherschutzes. Das gesetzliche Rücktrittsrecht setzt die Nicht- oder Schlechtleistung des Vertragsgegners voraus. Wer durch seine Leistung Anlass zum Rücktritt gegeben hat, darf die Gegenleistung nicht behalten bzw. verlangen.96 Auf ein Verschulden kommt 94 Soergel/Teichmann, § 645 Rn. 15 hielt es als Begründung des Ergebnisses der BGH Entscheidung im Iran-Fall für besser, dass es rechtsmissbräuchlich sei, dem Subunternehmer die Vergütung zu verweigern, wenn der Hauptunternehmer die Vergütung erhält. 95 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 89 ff. 96 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. XVII; MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 268; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 323 Rn. E 2.
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es dabei ausweislich des Wortlauts nicht an. Der Umstand, dass die Störung aus der Sphäre des Schuldners stammt, genügt. Das lässt sich dem Umkehrschluss aus § 323 VI BGB entnehmen, wonach der Rücktritt bei überwiegender Gläubigerverantwortlichkeit ausgeschlossen ist. Wenn die für den Schuldner entlastend wirkende, fehlende Zurechenbarkeit besonders betont wird, ist für den Normalfall von einer Verantwortungszuweisung zum Schuldner auszugehen, was nichts anderes als die vertragliche Risikoverteilung97, namentlich das Beschaffungsrisiko des Schuldners, meint, das ihn sowohl für das erstmalige Ausbleiben der Leistung als auch in Fortführung seiner primären Leistungspflicht für das Ausbleiben der Nacherfüllung verantwortlich macht.98 Eine außerordentliche Kündigung ist demjenigen gegenüber zulässig, der den Umstand zu verantworten hat, weswegen das Vertragsverhältnis nicht weiter fortgesetzt werden kann.99 Dahinter steht ebenfalls das Prinzip der Risikotragung, wonach nur derjenige für nachteilige Ereignisse verantwortlich gemacht werden kann, die die eigene Person oder Sphäre betreffen. Fehlt diese Zurechenbarkeit, verliert auch die Ausübung des Rechts seine Legitimität. Dies ist insbesondere der Fall, wenn derjenige, der von dem Recht Gebrauch machen möchte, durch ein Vorverhalten, den Grund dafür selbst herbeiführt. In diesem Fall ist die Ausübung des Rechts ausgeschlossen. Erstens fehlt die zurechenbare Veranlassung durch den Erklärungsempfänger, zweitens verstieße eine Rechtsausübung gegen den Rechtsgedanken von § 162 II BGB, einer speziellen Ausformung des Grundsatzes von Treu und Glauben, wonach die Ausübung eines durch eigenes Fehlverhalten geschaffenen Gestaltungsrechts treuwidrig wäre.100 97 BGH, Urt. v. 08. 02. 2012 – XII ZR 42/10 – NJW 2012, 1431, 1433; MünchKomm BGB/ Gaier, § 314 Rn. 17; vgl. MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 2, 272, der in erster Linie auf die eigene Vertragstreue des Gläubigers abstellt und bei dessen treuwidrigem Verhalten bereits den Tatbestand von § 323 I BGB als nicht verwirklicht ansieht. Dem ist im Umkehrschluss zu entnehmen, dass in der Ausgangssituation der zum Rücktritt berechtigende Umstand dem Schuldner zurechenbar sein muss (Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 323 Rn. E 2). 98 MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 172, 27. 99 BGH, Urt. v. 09. 03. 2010 – VI ZR 52/09 – NJW 2010, 1874, 1875; BGH, Urt. v. 26. 09. 1996 – I ZR 265/95 – NJW 1997, 1702, 1704; GK-Online BGB/Martens (Stand: 01. 09. 2018), § 314 Rn. 28; MünchKomm BGB/Gaier, § 314 Rn. 16 f.; Soergel/Teichmann, § 314 Rn. 18; vgl. zur außerordentlichen Kündigung eines Mietverhältnisses GK-Online BGB/Mehle (Stand: 01. 10. 2018), § 543 Rn. 15; Schmidt-Futterer/Blank, MietR, § 543 BGB Rn. 168. In Ausnahmefällen kann davon abgewichen werden, etwa wenn es sich um Umstände handelt, die der Kündigende nicht beeinflussen kann und die ihn auf Dauer oder längere Frist von der Nutzung der vertraglichen Leistung abhalten, z. B. Erkrankung oder Schwangerschaft bei Fitness- und Sportstudiovertrag (BGH, Urt. v. 08. 02. 2012 – XII ZR 42/10 – NJW 2012, 1431, 1433). 100 BAG, Urt. v. 16. 12. 1976 – 3 AZR 716/75 – APAFG § 19 Nr. 4; BAG, Urt. v. 07. 02. 1990 – 2 AZR 359/89 – NZA 1991, 341, 345, wonach ein treuwidriges Verhalten des Arbeitgebers zu bejahen und das Berufen auf einen personenbedingten Kündigungsgrund ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitgeber die Erteilung einer Arbeitserlaubnis eines ausländischen Arbeitnehmers vereitelt. Ebenfalls zur Unwirksamkeit der Kündigung führt es, wenn der Arbeitgeber zu verantworten hätte, dass ein bei ihm beschäftigter Pilot seine Fluglizenz nicht verlängern kann
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Käme es für die Ausübung des Gestaltungsrechts auf ein Verschulden der anderen Vertragspartei an, wäre der lösungswillige Vertragspartner in unzumutbarer Weise in seiner Privatautonomie eingeschränkt. Deshalb genügen die aus diesem Blickwinkel niedrigeren Anforderungen an die Verantwortung. Dazu einige Beispiele: Erstes Beispiel: Ohne dass ein Mieter den verspäteten Zahlungseingang des Jobcenters nachweislich verschuldet hat, berechtigt dies den Vermieter zur außerordentlichen Kündigung, da es für ein Verantwortenmüssen des Kündigungsgrundes nur darauf ankommt, dass es sich um Angelegenheiten handelt, die in den persönlichen Wirkbereich des Mieters fallen oder in Beziehung zu dessen vertraglichen Verhaltensprogramm stehen und nicht dem Einfluss des Vermieters unterliegen.101 Zweites Beispiel: Einem psychisch erkrankten Mieter, der schuldlos den Hausfrieden nachhaltig stört, andere Mieter belästigt und angreift, kann außerordentlich nach § 543 I BGB gekündigt werden.102 Der zur Kündigung berechtigende Umstand ist die Tatsache, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar geworden ist, da dieser die Unversehrtheit der Rechtsgüter der anderen Mieter, zu deren Schutz er verpflichtet ist, nicht mehr gewährleisten kann oder dies nur mit unverhältnismäßigem Aufwand könnte. Unabhängig vom Verschulden, welches hier nicht gegeben ist, da dem Mieter aufgrund seiner Erkrankung die notwendige Einsichtsfähigkeit fehlt, ist er für den Umstand, dass das Mietverhältnis nicht fortgesetzt werden kann, verantwortlich, da die von der Erkrankung ausgehenden Risiken zu seinem persönlichen Schicksal gehören. Drittes Beispiel: Ein außerordentlicher Kündigungsgrund für den Mieter liegt hingegen nicht vor, wenn dieser Änderungen der Rechtslage als Anlass nimmt, wie z. B. die Änderung von Hygienevorschriften, die die Nutzung der Mietsache als Zahnarztpraxis mit Labor ausschließen. Da der Vermieter auf die Rechtslage keinen Einfluss hat, fehlt es an einem vom Vermieter zu verantwortenden Element. Hinzukommt, dass die Nutzungsmöglichkeit zum Verwendungsrisiko des Mieters gehört, so dass dessen außerordentliche Kündigung unwirksam ist.103
(BAG, Urt. v. 07. 12. 2000 – 2 AZR 459/99 – NZA 2001, 1304, 1305). Auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung kann sich der Mieter nicht berufen, der den Kündigungsgrund treuwidrig herbeiführt (LG Bielefeld, Urt. v. 02. 09. 1998 – 8 O 40/98 – NZM 1999, 764, 765). Vgl. MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 272, wonach das Rücktrittsrecht des Gläubigers gem. § 323 VI BGB nach den Grundsätzen der eigenen Vertragstreue ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger den zum Rücktritt berechtigenden Umstand herbeigeführt hat. Vgl. RG, Urt. v. 25. 02. 1913 – III 403/12 – RGZ 81, 395, 399 wonach die Geltendmachung des Vertrauensschadens nach § 122 I BGB gegen Treu und Glauben verstößt (exceptio doli generalis), wenn der Anspruchsteller den Irrtum des Vertragsgegners veranlasst hat. 101 BGH, Urt. v. 29. 06. 2016 – VIII ZR 173/15 – NJW 2016, 2805, 2806. 102 BGH, Urt. v. 08. 12. 2004 – VIII ZR 218/03 – NZM 2005, 300, 301; LG Berlin, Urt. v. 11. 06. 2001 – 62 S 570/00 – NZM 2002, 733, 734; LG Köln, Urt. v. 05. 10. 1973 – 12 S 304/73 – MDR 1974, 232. 103 BGH, Urt. 25. 11. 2015 – XII ZR 114/14 – NJW 2016, 311, 313.
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Viertes Beispiel: Das Recht zur Kündigung eines Reisevertrags nach § 651j BGB wegen höherer Gewalt besteht nicht, wenn der Umstand, auf den sich der Kündigende beruft, aus dessen Risikobereich stammt.104 Zur Risikosphäre des Reisenden gehören Reisehinderungen wie Krankheit, Unfall, Kündigung des Arbeitsverhältnisses,105 eine schwierige Wetterlage, die die Anreise verhindert106, oder der Umstand, dass die Reisepässe versehentlich von der Bundesdruckerei als gestohlen gemeldet, die Reisenden zur Fahndung ausgeschrieben wurden und ihnen der Abflug am Flughafen daher verweigert wurde.107 Die obigen Beispiele zeigen, dass sich die für die Ausübung des Kündigungsrechts beim Kündigungsempfänger vorausgesetzte Verantwortung, neben den Kriterien von Vorsatz und Fahrlässigkeit nach verschuldensunabhängigen Maßstäben bestimmt. So lässt sich feststellen, dass auch Umstände einem Verantwortungsbereich zugeordnet werden, die für die zugehörige Person weder vorhersehbar, vermeidbar noch beherrschbar sind, aber in Bezug zu ihr stehen, so dass sich daraus eine Verantwortung für die eigene Sphäre einschließlich Person ergibt. Die Schwelle, um die Verantwortung zu bejahen, liegt also niedriger als die des Verschuldens. Vielmehr ist die Einordnung eines bestimmten Umstandes in den Verantwortungsbereich einer Vertragspartei das Ergebnis einer Risikobetrachtung. Dies verdeutlicht zwei wesentliche Aspekte der Zurechnung: Es gibt einen bestimmten Erfolg, nicht aber zwangsläufig Unrecht, wofür jemand einzustehen hat. Die Einstandspflicht gründet sich auf eine gewisse Nähe zu dem die Störung auslösenden Ereignis. Die genannten Zurechnungsnormen knüpfen an eine Risikobetrachtung, aufgeteilt in die Sphären der Vertragsparteien, an. Schäden, die während des Betriebs von Gefahrenquellen entstehen, Schäden, die ein Erfüllungsgehilfe anrichtet, das Vertrauen einen Vertrag durchzuführen, das wegen eines Willensmangels fälschlich erweckt wird, sind allesamt Umstände, die sich der Sphäre einer Person zuordnen lassen.
V. Ergebnis Auf die Frage, nach welchen Regeln die Zurechnung erfolgt, ist letztlich zu antworten, dass Zurechnung je nach der konkreten Situation, in der es auf die Zurechenbarkeit ankommt, sowohl nach konditionalorientierten (z. B. Veranlassungsprinzip), nach dem Verschuldensgrundsatz als auch nach zweckorientierten Kriterien (z. B. Gläubigerschutz) erfolgen kann, d. h. auch das Ergebnis eines Wertungsprozesses sein kann. Zurechenbar ist jedes willensgesteuerte Verhalten unabhängig davon ob es schuldhaft oder nicht schuldhaft verursacht wurde. Ferner sind Um104 105 106 107
Staudinger/Staudinger (2016), BGB § 651j Rn. 16; Tamm, VuR 2013, 363. GK-Online BGB/Tamm (Stand: 14. 07. 2016), § 651j Rn. 27. OLG Bremen, Urt. v. 03. 06. 1997 – 3 U 139/96 – MDR 1997, 1108. BGH, Urt. v. 16. 05. 2017 – X ZR 142/15 – NJW 2017, 2677, 2678.
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stände bzw. Erfolge zurechenbar, wenn der in Anspruch zu nehmende das Risiko dafür trägt. Gemein haben alle Fälle, dass eine gewisse Nähe zwischen dem zuzurechnenden Umstand und der betroffenen Person vorhanden ist, die die Annahme einer Einstandspflicht legitim erscheinen lässt.
B. Das Zurechnungsproblem als Folge der im Arbeitsrecht eingeschränkten Kündigungsfreiheit Während es zuvor um die Klärung des Zurechnungsbegriffs im Allgemeinen ging, ist es Ziel dieses Abschnitts, das Kündigungsschutzgesetz auf die Zurechnung als Bestandteil des Kündigungsgrundes zu untersuchen, wobei die Betrachtung von der Funktion des Zurechnungselementes aus geleitet sein wird. Zurechnung kann im Kündigungsschutzgesetz nur dann eine Rolle spielen, wenn das ordentliche Kündigungsrecht nicht nur ein voraussetzungsloses Auflösungsrecht ist, das Ausprägung der grundsätzlich bestehenden Kündigungsfreiheit ist. Wenn durch das Kündigungsschutzgesetz dem arbeitnehmerseitigen Bestandsschutzinteresse Vorrang vor der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers eingeräumt wird, bedarf es Gründe, die die Durchbrechung rechtfertigen. Zu diesem Zweck könnte das Zurechnungskriterium ein Bestandteil des Kündigungsgrundes sein. Diesen Thesen wird im Anschluss nachgegangen, indem zunächst das allgemeine Verhältnis von Kündigungsfreiheit und Bestandsschutz dargestellt wird und danach das Kündigungsschutzgesetz auf dieses Verhältnis untersucht wird.
I. Kündigungsfreiheit als Ausdruck der Privatautonomie Einigen sich zwei Vertragsparteien auf den Abschluss eines unbefristeten Dauerschuldverhältnisses, so ist darin das Versprechen enthalten, „für immer“ zu leisten. Diese lange, theoretisch lebenslange, Bindung ist rechtlich möglich, ist sie doch Ausprägung der von Art. 2 I GG gewährleisteten Vertragsfreiheit.108 Problematisch ist indes, dass zum Zeitpunkt der Abgabe des Versprechens, auf Dauer zu leisten, spätere Umstände, die die Leistungsfähigkeit oder Leistungswilligkeit bedingen, sei es aufgrund von Vorkommnissen innerhalb der Vertragsbeziehung oder weil sich andere noch lukrativere Geschäftsbeziehungen aufgetan haben109, noch nicht bekannt waren. Hielte man an dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ uneingeschränkt fest, stellte man die Reichweite der Privatautonomie in Frage. Die Freiheit einen Vertrag einzugehen, wäre nutzlos, könnte nicht frei über dessen Be108 BGH, Urt. v. 26. 04. 1995 – VIII ZR 124/94 – BB 1995, 1257; BGH, Urt. v. 07. 05. 1975 – VIII ZR 210/73 – BGHZ 64, 288, 290. 109 Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 101, „der Einzelne soll als ,homo oeconomicus‘ seine Rechtsverhältnisse nach seinem Willen selbst und eigenverantwortlich gestalten können“.
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endigung entschieden werden. Aus Sorge vor einer zu langen Bindungsdauer, würde im Zweifel Abstand vom Vertrag genommen. Gäbe es keine einseitige Lösungsmöglichkeit, führte dies also zum faktischen Verlust derselben. Wie bereits von v. Savigny in seinem Obligationenrecht erkannte110, muss Privatautonomie ein einseitiges Lösungsrecht, die Möglichkeit zur Kündigung, enthalten.111 Dass die Kündigungsfreiheit als Bestandteil der Vertragsfreiheit von Art. 2 I GG geschützt wird, ist heute unumstritten112, wenn auch, wie von Oetker klargestellt, präziser von der Kündigungsfreiheit als Ausprägung der Privatautonomie gesprochen werden sollte, da die Vertragsfreiheit nur zur zweiseitigen Aufhebung berechtigt, während die Kündigung ein das Vertragsverhältnis einseitig zu Fall bringendes Gestaltungsrecht ist.113 Somit steht fest, dass mit dem Recht Verträge auf Dauer abzuschließen, das Recht einhergeht, sich von ihnen wieder zu lösen.114
II. Legitimität des Kontinuitätsinteresses aufgrund des Vertrauen erweckenden Vertragsschlusses Diese Freiheit opponiert unvermeidlich gegen das Interesse der anderen Vertragspartei an der Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung. Wie diese widerstreitenden Interessen in Ausgleich zu bringen sind, hängt von der Schutzwürdigkeit dieses Kontinuitätsinteresses ab. Dass es ein solches trotz einseitiger Befugnis zur Beendigung des Vertrags gibt, folgt aus dem bei Vertragsschluss gegebenen Versprechen, auf Dauer zu leisten. Schützenswert ist dieses Kontinuitätsinteresse grundsätzlich bis zum „natürlichen“ Beendigungszeitpunkt, d. h. bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist.115 Für die Mehrzahl der Dauerschuldverhältnisse bedeutet dies ein Überwiegen der Beendigungsfreiheit gegenüber dem Bestandsschutz, der durch die Kündigungsfrist lediglich in zeitlicher Hinsicht gewährleistet ist, eine Kündigung aber nicht verhindern kann.116 Insofern ist anzumerken, dass Oetker zu Recht von einer rechtshindernden Wirkung der ordentlichen Kündigung spricht, da eine rechtsvernichtende Kündigung voraussetzt, dass die andere Vertragspartei einen 110
v. Savigny, Obligationenrecht Bd. I, S. 6 f. Larenz, SchuldR AT, S. 30; Oetker, Das Dauerschuldverhätnis, S. 252; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 357. 112 ErfK/Schmidt, Art. 2 GG Rn. 2; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 17; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 101. 113 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 256, 258 f.; so auch Ulmer, FS Möhring, S. 295, 303. 114 v. Gierke spricht in diesem Zusammenhang von der Kündigung als „unentbehrliche(s) Gegengewicht gegenüber der fortwirkenden Bindungskraft dauernder Schuldverhältnisse“ (v. Gierke, JherJB 64 (1914), 355 (380)). 115 Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 286. 116 Schrank, Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, S. 172; vgl. Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 281, für den die durch Kündigungsfristen hervorgerufene Verzögerung keine Form von Bestandsschutz darstellt. 111
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Anspruch auf Fortsetzung des Vertragsverhältnisses hat, welches jedoch nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht der Fall ist.117
III. Umgekehrtes Verhältnis von Kündigungsfreiheit und Bestandsschutz im Arbeitsrecht Anders verhält es sich im Arbeitsrecht, wo dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers aufgrund sozialpolitscher Entscheidung des Gesetzgebers der Vorrang gegenüber der Beendigungsfreiheit des Arbeitgebers eingeräumt wird.118 Dort wird das Regel-Ausnahmeverhältnis von Kündigungsfreiheit und Kündigungsbeschränkung umgekehrt119. Grund dafür, den Bestand eines Arbeitsverhältnisses im Vergleich zu anderen Dauerschuldverhältnissen wie z. B. die Leihe oder Verwahrung unter stärkeren Schutz zu stellen, war für den historischen Gesetzgeber die Tatsache, dass „der Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers die Grundlagen seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz“ bilden.120 Auch wenn das Kündigungsschutzgesetz als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips einseitig zu Gunsten des Arbeitnehmers einen individuellen Bestandsschutz gewährt121, beschreiben die Grundrechte der Arbeitsvertragsparteien die verfassungsrechtliche Ausgangssituation, die sich in der gesetzgeberischen Wertung widerspiegeln muss. Das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers wird als Ausprägung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit von Art. 12 I, Art. 2 I, Art. 14 GG geschützt, die leges speciales zu Art. 2 I GG sind.122 Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit enthält das Recht des Arbeitgebers, über die Größe des Betriebs und die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer zu bestimmen; insbesondere ist der Arbeitgeber in seiner Entscheidung frei, nur solche Arbeitnehmer zu beschäftigen, die seiner
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Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 285 f. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 13. 01. 1982 – 1 BvR 848/77 – BVerfGE 59, 231, 266, wonach die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet sind; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 27. 05. 1993 – 11 Sa 8/93 – NZA 1994, 557, 558 das KSchG als Konkretisierung des Sozialstaatsgebots. 119 v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn. 4; Schwarze/Eylert/Schrader/Schwarze, § 1 KSchG Rn. 47; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 628; Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz unter dem Firmament der Grundrechtsordnung, S. 13 f.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 55 ff.; a. A. Boemke, NZA 1993, 532, 537. 120 BT-Drs. 1/2090, S. 11. 121 BAG, Urt. v. 05. 11. 1964 – 2 AZR 15/64 – AP KSchG § 7 Nr. 20; v. Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, Einleitung Rn. 19; Preis, a. a. O., S. 51, 61; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 359. 122 BVerfG, Beschl. v. 21. 10. 1981 – 1 BvR 52/81 – BVerfGE 58, 358, 363; BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290, 363 f.; DDZ-KSchR/Deinert, Einleitung Rn. 11; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 17; Preis, a. a. O., S. 62 f. 118
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Vorstellung entsprechen und ihre Zahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken.123 Dem gegenüber steht die ebenfalls von Art. 12 I GG geschützte Berufsfreiheit der Arbeitnehmer. Die freie Wahl des Berufes konkretisiert sich in der freien Wahl des Arbeitsplatzes. Auch wenn Art. 12 I GG weder ein Recht auf einen Arbeitsplatz begründet noch den Bestand des einmal gewählten Arbeitsplatzes garantiert, schließt die freie Wahl des Arbeitsplatzes die Freiheit ein, diesen beizubehalten124, wobei an dieser Stelle erwähnt sei, dass Adressaten der Grundrechte im Sinne von Grundrechtsverpflichteten der Gesetzgeber und die Gerichte sind; eine durch einen Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung kann folglich niemals einen Grundrechtseingriff darstellen. Den Gesetzgeber treffen bezüglich den von Art. 12 I GG garantierten Freiheiten Schutzpflichten, da der Arbeitnehmer alleine, aufgrund struktureller Unterlegenheit, nicht in der Lage wäre, diese zu realisieren.125 Die sich daran anschließende Frage ist, worin das Mindestmaß des grundgesetzlich geforderten Kündigungsschutzes zu sehen ist, dessen Unterschreiten das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verletzt.126 Die Freiheit, die gewählte Beschäftigung beizubehalten, setzt zu ihrer Realisierung einen gesetzlichen Rahmen voraus, der es dem Arbeitnehmer erlaubt, seiner Beschäftigung nachzugehen, ohne mit der Unsicherheit leben zu müssen jederzeit und ohne Grund gekündigt zu werden. Als kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich wohl ein Schutz vor willkürlichen und sachlich nicht gerechtfertigten Kündigungen127 ausmachen und die Bedingung, dass das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers in irgendeiner Weise im Rahmen der Prüfung einer Kündigungsberechtigung des Arbeitgebers berücksichtigt wird.128 Dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber mit der Schaffung des Kündigungs123
BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 91/98 – BAGE 90, 182, 188; Papier, RdA 1989, 137, 138; Zöllner, Gutachten zum 52. Deutschen Juristentag, 1978, Bd. I, D 100 f. 124 BVerfG, Urt. v. 24. 04. 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 146; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 446; ErfK/Schmidt, Art. 12 GG Rn. 7, 36; Badura, FS Berber, S. 11, 21; Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 27; Waltermann, DVBl. 1989, 699, 700. 125 Nach BVerfG, Beschl. v. 07. 02. 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 – hat der Gesetzgeber im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit zu schaffen, wenn es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Vertragsparteien fehlt; mit BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89 – BVerfGE 89, 214, 217 – zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsübernahmen naher Angehöriger entstand der Begriff der „strukturellen Unterlegenheit“ einer Vertragspartei; siehe zur Schutzpflicht auch DDZ-KSchR/Deinert, Einleitung Rn. 10; Kühling, AuR 1994, 126, 127. 126 BeckOK/Epping/Hilgruber/Ruffert, GG (Stand: 15. 02. 2021) Art. 12 Rn. 19 ff.; ErfK/ Schmidt, Art. 12 GG Rn. 37; Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz unter dem Firmament der Grundrechtsordnung, S. 36; Kamanabrou, RdA 2004, 333; Oetker, RdA 1997, 9; Preis, NZA 1997, 1256, 1257 ff. 127 ErfK/Schmidt, Art. 12 GG Rn. 39; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 19; Badura, FS Berber, S. 11, 23; Oetker, RdA 1997, 9; vgl. Hergenröder, ZfA 2002, 355, 359 f., 372 ff. 128 ErfK/Schmidt, Art. 12 GG Rn. 38; Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz unter dem Firmament der Grundrechtsordnung, S. 36; ders., RdA 1997, 9, 19.
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schutzgesetzes mehr als hinreichend nachgekommen.129 Indem eine arbeitgeberseitige Kündigung nur bei Vorliegen bestimmter Gründe ausgesprochen werden kann, wird dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers entsprochen. Die damit verbundenen Einschränkungen der unternehmerischen Freiheit sind in Anbetracht der wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Kündigung für den Arbeitnehmer gerechtfertigt: Der Arbeitsplatz ist die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers und ggf. seiner Familie; sein Lebenszuschnitt, sein Wohnumfeld, seine gesellschaftliche Stellung und sein Selbstwertgefühl hängen davon ab.130 Im Hinblick auf die eingangs aufgeworfene Frage, wie die widerstreitenden Grundrechte der Arbeitsvertragsparteien im Kündigungsschutz verwirklicht werden, ist folgendes zu konstatieren: Der vom Gesetzgeber vorgesehene Interessenausgleich geht von einem grundsätzlichen Überwiegen des Bestandsinteresses des Arbeitnehmers aus, solange keine personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgründe vorliegen; ein grundsätzliches Überwiegen des unternehmerischen Interesses sieht der Gesetzgeber hingegen in all den Fällen, in denen der Arbeitsplatz aufgrund unternehmerischer Entscheidungen wegfällt.
C. Störung zur Legitimierung der Kündigung Während im vorherigen Abschnitt die Kündigung aus dem Blickwinkel grundrechtlicher Wertentscheidungen betrachtet wurde, wird im Folgenden der Fokus auf die zu einer Kündigung berechtigenden Umstände gerichtet. Denn nur bestimmte Umstände hat der Gesetzgeber als so erheblich erachtet, dass das Arbeitsverhältnis beendet werden darf. Die zentrale Fragestellung dieses Abschnitts wird sein, ob sich die Kündigungsgründe im System des Leistungsstörungsrechts verorten lassen, da dies dabei helfen kann, weiter zu klären, ob es eine Mitverantwortung des Arbeitgebers an der Entstehung des Kündigungsgrundes geben kann. Hat der Kündigungsgrund eine Störung des Austauschverhältnisses zum Inhalt, kann folglich die Frage der Zurechenbarkeit gestellt werden.
I. Regelungsinhalt des Leistungsstörungsrechts In den §§ 280 ff. BGB sind die Rechte und Pflichten geregelt, wenn es zu einer Störung131 innerhalb der Vertragsbeziehung kommt, weil eine Partei mit ihren 129 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; BVerfG, Urt. v. 24. 04. 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 146. 130 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; so ähnlich bereits Molitor, Die Kündigung, S. 218 ff. 131 Der Begriff der Störung war im Hinblick auf Vertragsverletzungen zunächst eher ungewöhnlich (vgl. Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, § 1 I 1); Heck verwandte ihn als Synonym für Leistungshindernisse (Heck, Schuldrecht, § 25, S. 72); geläufiger wurde der Begriff durch
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Pflichten hinter dem „Gesollten“132 zurückgeblieben ist. Einen Hauptanteil nimmt dabei der wirtschaftliche Ausgleich der aufgrund der Störung erlittenen Verluste beider Parteien ein, so dass sich auch sagen lässt, wie es in der Literatur vertreten wird, im Leistungsstörungsrecht wird „spitz abgerechnet“133. Ziel einer Kündigung eines Arbeitnehmers hingegen ist nicht die Überwindung einer Störung durch finanzielle Wiedergutmachung, sondern die Aufrechterhaltung der Funktionalität des Betriebs134. Ein Arbeitsverhältnis, von dem zu erwarten ist, dass es zukünftig zu weiteren Störungen kommt, gefährdet die Funktionalität des Betriebs. Während es im allgemeinen Leistungsstörungsrecht bei Scheitern einer auf den einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Vertragsbeziehung darum geht, unter der Berücksichtigung der Risikoverteilung für die geschädigte Vertragspartei wieder den status quo herzustellen, ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ultima ratio, wenn die Fortsetzung keinen Sinn mehr hat.135 Der Fokus der Parteiinteressen verschiebt sich von der Wiedergutmachung einer einzelnen Störung hin zu den Erfolgsaussichten der weiteren Durchführung des Vertrags. Wesentlicher Unterschied zwischen Leistungsstörungsrecht und Kündigungsrecht ist mithin die Tatsache, dass Letzteres zukunftsorientiert, während Ersteres vergangenheitsorientiert ist. Somit stellt sich die Frage, ob es trotz dieser unterschiedlichen Zielrichtungen Parallelen zwischen den Kündigungsgründen und den Störungstatbeständen des Leistungsstörungsrechts gibt. Denn, wenn das Kündigungsrecht wie das Leistungsstörungsrecht an Störungen anknüpft, kann auch auf die bei Pflichtverletzungen bewährten Zurechnungsregeln zurückgegriffen werden. Gibt es auch im Kündigungsrecht Verantwortung für die Störung, wäre nach dem geltenden Verantwortlichkeitsprinzip136 „Mitverantwortung“ des Arbeitgebers am Kündigungsgrund möglich.
den von Stoll 1936 vorgelegten Gesetzesvorschlag, der den gleichnamigen Titel „Leistungsstörungen“ besaß (Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S. 13). 132 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 1 Rn. 1. 133 Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 48. 134 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 311; Boewer, FS Gaul, S. 19, 33; Sieg, SAE 1984, 26; Stückmann/Kohlepp, RdA 2000, 331, 333; vgl. Zitscher, BB 1983, 1285, 1290. 135 LSSW/Schlünder, § 1 KSchG Rn. 225 ff. zur personenbedingten Kündigung; Weller, ArbRGeg, Bd. 20 (1983), S. 79. 136 GK-Online BGB/Looschelders (Stand: 01. 09. 2018), § 254 Rn. 5; HKK/Jansen, § 254 Rn. 46; Staudinger/Schiemann (2017), BGB § 254 Rn. 4; Brand, SchadensersatzR, § 9 Rn. 5; Larenz, SchuldR AT, § 31 I a; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 116 ff.; ders., SchuldR AT, Rn. 1098.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
II. Regelungsinhalt des Kündigungsrechts 1. Die „Störung“ als Kern des personen- und verhaltensbedingten Kündigungsgrundes Um Parallelen zwischen Kündigungsrecht und Leistungsstörungsrecht ziehen zu können, ist es notwendig, sich mit der Zukunftsgerichtetheit der Kündigung137 und mit der vergangenheitsorientierten Kompensationsfunktion des Leistungsstörungsrechts auseinanderzusetzen. Jede Kündigung enthält ein Prognoseelement darüber, wie sich das Arbeitsverhältnis entwickeln wird.138 Anknüpfungspunkt der Prognose sind wiederum die Ereignisse der Vergangenheit, aus denen Rückschlüsse über die Zukunft gezogen werden.139 Um zu dem Ergebnis gelangen zu können, die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei sinnentleert, bedarf es daher eines Vorfalls innerhalb der vergangenen Leistungsbeziehung. Dieser „Vorfall“ wird von den in § 1 II KSchG genannten Kündigungsgründen näher umschrieben: personenbedingt, verhaltensbedingt oder betriebsbedingt. Darin könnte die aus dem Leistungsstörungsrecht bekannte Störung liegen. Um dies näher zu untersuchen, ist zwischen den einzelnen Kündigungsarten zu unterscheiden. Die in § 1 II KSchG genannten Gründe sind wie folgt abzuschichten: Die betriebsbedingte Kündigung nimmt eine Sonderrolle ein, da sich der hierzu berechtigende Umstand nicht auf die auszutauschende Leistung bezieht, sondern lediglich auf deren Verwendung: Hat der Arbeitgeber keinen Bedarf (mehr) für die Leistung des Arbeitnehmers, kann er – sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen – kündigen. Eine Störung im eigentlichen Sinne innerhalb der Leistungsbeziehung gibt es indes nicht, weswegen der betriebsbedingte Kündigungsgrund Gegenstand eines eigenständigen Untersuchungspunktes ist.140 Bei der personen- und verhaltensbedingten Kündigung hingegen steht der Kündigungsgrund entweder in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der vom Arbeitnehmer erbrachten Leistung.
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BAG, Urt. v. 26. 01. 1995 – 2 AZR 649/94 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 34; BAG, Urt. v. 16. 08. 1991 – 2 AZR 604/90 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27; BAG, Urt. v. 10. 11. 1988 – 2 AZR 215/88 – AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 61. 138 LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 97; KR-Rachor, § 1 Rn. 281, 287, 438; Schwarze/Eylert/ Schrader/Schwarze, § 1 KSchG Rn. 54; MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 110 Rn. 61 ff.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 325 f.; Wank, FS v. Hoyningen-Huene, S. 561, 577. 139 APS/Preis, Grundlagen H, Rn. 76; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn. 192 ff.; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 45; so bereits Molitor, Die Kündigung, S. 203; vgl. die Beispiele bei APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 73. 140 Siehe Zweiter Teil unter § 2 F.
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a) Äquivalenzstörung im engeren Sinne Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund fehlender persönlicher Voraussetzungen wie z. B. Gesundheit, Eignung, Fähigkeiten und Kenntnisse seinen vertraglichen Pflichten nicht (mehr) nachkommt.141 In Abgrenzung dazu kann einem Arbeitnehmer verhaltensbedingt gekündigt werden, wenn dieser seine vertraglichen Pflichten durch steuerbares, d. h. schuldhaftes Verhalten verletzt.142 Der Maßstab, wonach sich das Vorliegen einer Vertragsbeeinträchtigung beider Kündigungsgründe beurteilt, hat eine gemeinsame Schnittmenge: Die erbrachte Arbeitsleistung143. Maßgeblich ist, ob eine Abweichung vom vertraglich Gesollten vorliegt, ob die geleistete Arbeit also einer Arbeitsleistung mittlerer Art und Güte entspricht, wie sie ein Arbeitgeber von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer erwarten darf. Ist eine Abweichung feststellbar, entspricht die vom Arbeitnehmer erbrachte Leistung nicht mehr dem Wert der Gegenleistung des Arbeitgebers. Es liegt seitens des Arbeitnehmers eine Schlechtleistung vor. Die zur Kündigung berechtigende Störung liegt also in einer Störung des Äquivalenzverhältnisses zwischen der „schlechten“ Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und der nach einer ordnungsgemäßen Leistung bemessenen Gehaltszahlung. Hintergrund dieser Leistungsorientierung ist, dass vom Kündigungsschutzgesetz nur die innerhalb der Arbeitsbeziehung liegenden Interessen des Arbeitgebers geschützt werden. Auch wenn der Wortlaut von § 1 II KSchG es anders vermuten lässt, der Arbeitgeber kann nicht personenbedingt aufgrund charakterlicher Eigenschaften kündigen, die er an dem Arbeitnehmer nicht mag; auch ist die verhaltensbedingte Kündigung keine Sanktionierung jedweden Fehlverhaltens.144 Erst wenn der Arbeitnehmer aus den entsprechenden Gründen mit seiner Arbeit hinter der geschuldeten Arbeitsleistung zurückbleibt, mithin eine Abweichung zwischen dem vertraglich „Gesollten“ und tatsächlich „Erbrachtem“ vorliegt, ist der Arbeitgeber in
141 BAG, Urt. v. 20. 05. 1988 – 2 AZR 682 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; DDZ-KSchR/Deinert, § 1 KSchG Rn. 95; DFL-AR/Kaiser, § 1 KSchG Rn. 72; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 63 Rn. 2926 f. 142 BAG, Urt. v. 06. 12. 1979 – 2 AZR 1055/77 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 2; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 265; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 64 Rn. 3002 ff. 143 BAG, Urt. v. 17. 01. 1991 – 2 AZR 375/90 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 25; BAG, Urt. v. 16. 02. 1989 – 2 AZR 299/88 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 103 ff.; DDZ-KSchR/Deinert, § 1 KSchG Rn. 53; Fromm, BB 1995, 2578; vgl. Müller, JhbArb, Bd. 1 (1964), S. 19, 20, der dafür plädiert, die Kündigungsgründe am Arbeitsverhältnis, darunter versteht er die betrieblichen Belange, zu messen und allgemeine Moralvorstellungen als Maßstab ausdrücklich ausschließt. 144 Vgl. Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 50; liest man die Leistungsbezogenheit nicht in den Kündigungsgrund hinein, wird zu Recht eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gefordert, siehe hierzu APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 121; Schaub/Linck, § 131 ArbR-Hdb Rn. 3.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
seinen betrieblichen und unternehmerischen Interessen (Art. 12 I GG) betroffen, welches ihn zur Kündigung berechtigt.145 Beispielsweise: Erleidet ein Arbeitnehmer, der in der Pflege tätig ist, eine chronische Entzündung, die weder ihn bei der Arbeitsausübung noch andere normal konstituierte Personen beeinträchtigt, kann der Arbeitgeber nicht mit der Begründung, der Arbeitnehmer sei krank, personenbedingt kündigen, da sich die Krankheit nicht auf das Leistungsverhältnis auswirkt. b) Äquivalenzstörung im weiteren Sinne Neben Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im engeren Sinne sind auch Störungen denkbar, die das Austauschverhältnis als solches betreffen, wenn also der Arbeitnehmer krankheitsbedingt ausfällt und der Arbeitgeber zunächst gem. § 3 I EFZG das Gehalt fortzahlen muss; häufig aber aufgrund von Krankengeldzuschüssen weit über den Sechs-Wochen-Zeitraum hinaus.146 Berücksichtigt man, dass auf die Stelle regelmäßig nicht ersatzlos verzichtet werden kann, sondern neue Arbeitskräfte ausgesucht, eingestellt und ausgebildet werden müssen, entstehen dem Arbeitgeber gerade im Fall von längeren Krankheitszeiträumen schnell erhöhte Personalkosten, so dass auf längere Hinsicht eine massive Störung des Austauschverhältnisses vorliegt, welche sich erst dann nicht mehr auf die Leistungsbeziehung auswirkt, wenn der Arbeitnehmer keine Krankengeldzuschüsse mehr erhält, welches spätestens mit der „Aussteuerung“ nach 78 Wochen der Fall ist. Wenn in dem Beispiel der Arbeitnehmer nicht in einer normalen Klinik sondern in einer Spezialklinik angestellt wäre, in der immunschwache Patienten behandelt werden, könnte er aufgrund der Erkrankung, da andernfalls die Patienten gefährdet würden, seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen.147 Der Arbeitgeber, unterstellt, er ist tarifgebunden, müsste nach dem einschlägigen Tarifvertrag bis zur 39. Krankheitswoche zuerst Gehaltsfortzahlung leisten und danach einen Krankengeldzuschuss zahlen. Wie die Abwandlung des Beispielfalls zeigt, kann sich eine Nichtleistung des Arbeitnehmers, abweichend von §§ 320, 326 I BGB, massiv zu Lasten des Arbeitgebers auf das Austauschverhältnis auswirken, indem dieser zur weiteren Gehaltszahlung verpflichtet bleibt, während der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringt. 145 DFL-AR/Kaiser, § 1 KSchG Rn. 72; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 60; LKB/Krause, § 1 Rn. 170, 265; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 55; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 224 ff.; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 170 f. 146 Vgl. § 22 II 1 TVöD (in der 2016 geltenden Fassung) bis zur 13. bzw. bei mehr als dreijähriger Beschäftigung bis zur 39. Woche; § 30 IV MTV Chemie (in der 2016 geltenden Fassung) bei einer Unternehmenszugehörigkeit von mindestens zehn Jahren bis zur 52. Woche; § 14.3 MTV Metall Baden-Württemberg (in der 2016 geltenden Fassung) bis zur 14. Woche. 147 Fall abgewandelt nach Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 58.
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c) Nichtleistungsbezogene Störungen (Vertrauensverhältnis) Schließlich gibt es noch den Bereich der nichtleistungsbezogenen Störungen, die den Arbeitgeber ebenfalls zur Kündigung berechtigen können. Regelmäßig wird dies dem verhaltensbedingten Kündigungsgrund unterfallen; falls der Arbeitnehmer indes ohne Schuld gehandelt haben sollte, unterfiele dies dem personenbedingten Kündigungsgrund wegen Ungeeignetheit. Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zwar ordnungsgemäß erbringt, dabei andere Rechtsgüter des Arbeitgebers beschädigt, beispielsweise Maschinen zerstört oder Gerätschaften entwendet, oder andere Beschäftigte verletzt, schikaniert, belästigt etc., handelt es sich zunächst einmal um vom Arbeitgeber erlittene Integritätsschäden. Der Ausgleich der Schäden im eigenen Interesse oder zu Gunsten der Beschäftigten berührt das Vermögensinteresse des Arbeitgebers. Neben den materiellen Schäden kann es auch eine Störung im Vertrauensbereich, auch als „personaler Bereich“148 des Arbeitsverhältnisses bezeichnet, geben, in deren Folge dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr zugemutet werden kann, weil das Vertrauen in den Arbeitnehmer gestört ist. Dies wäre z. B. der Fall, wenn Unternehmensinterna unbefugt nach außen getragen werden, Befugnisse missbraucht werden oder wenn sich der Arbeitnehmer Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers oder zu Lasten von Kollegen verdächtig gemacht hat. Unabhängig von den materiellen Schäden, diese können geringwertig sein149, löst dieses Verhalten eine „Erschütterung“150 des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus, die der im Arbeitsverhältnis notwendigen Zusammenarbeit die Grundlage entzieht. Diese schwerwiegende Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB rechtfertigt es, den Verdacht einer Straftat ausreichen zu lassen.151 Schließlich kann das Vertrauensverhältnis durch außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Handelt ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit bewusst fahrlässig, missachtet beispielsweise Verkehrsvorschriften, so stellt dies keine für das Leistungsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien relevante Pflichtverletzung dar, so lange das außerdienstliche Verhalten keine Rückschlüsse auf die Eignung für die vertraglich geschuldete Tätigkeit zulässt.152 Eine Störung läge hingegen vor, wenn das außerdienstliche Verhalten an der Eignung und Vertrau148
Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 234. St. Rspr. BAG, Urt. v. 10. 06. 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1230; BAG, Urt. v. 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06 – NZA 2008, 1008, 1009; BAG, Urt. v. 12. 08. 1999 – 2 AZR 923/ 98 – NZA 2000, 421, 423; BAG, Urt. v. 17. 05. 1984 – 2 AZR 3/83 – NZA 1985, 91, 92. 150 BAG, Urt. v. 10. 06. 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1230. 151 St. Rspr. BAG, Urt. v. 23. 06. 2009 – 2 AZR 474/07 – NZA 2009, 1136, 1142; BAG, Urt. v. 13. 03. 2008 – 2 AZR 961/06 – NZA 2008, 809, 810; BAG, Urt. v. 06. 12. 2001 – 2 AZR 496/00 – NZA 2002, 847, 849. 152 APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 328a; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 180; vgl. Schaub/ Linck, § 133 ArbR-Hdb Rn. 3. 149
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enswürdigkeit des Arbeitnehmers zweifeln lässt, welches z. B. der Fall wäre, wenn der Arbeitnehmer des zuvor genannten Beispiels als Berufskraftfahrer arbeiten würde oder wenn der Arbeitnehmer eine Straftat zwar außerhalb der Dienstzeit beginge, dabei jedoch Betriebsmittel oder betriebliche Einrichtungen nutzte, z. B. durch den Verkauf von Betäubungsmitteln im betrieblichen Umfeld153, oder den Arbeitgeber durch negative Berichterstattung in seinem Ruf schädigte154. In allen Fällen wäre aufgrund des vom Arbeitnehmer an den Tag gelegten Verhaltens zweifelhaft, ob dieser in der Lage ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Somit wäre zumindest der personale Vertrauensbereich beeinträchtigt. Wie das Beispiel des Berufskraftfahrers zeigt, kann zusätzlich zum Vertrauensverlust auch die Leistungsbeziehung betroffen sein. d) Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass den Kern der personen- und verhaltensbedingten Kündigung eine Äquivalenzstörung bildet. Darüber hinaus umfassen die Kündigungsgründe Störungen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang zur Leistung stehen, sondern sich mittelbar auf das Leistungsverhältnis auswirken, wenn sie den Arbeitgeber in seinem Integritätsinteresse verletzen und ihm das Vertrauen in die Geeignetheit der Person des Arbeitnehmers nehmen. 2. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung Im vorherigen Abschnitt wurde herausgearbeitet, dass eine ordentliche Kündigung, sofern sie nicht betriebsbedingt ist, eine Störung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt. Von dieser Prämisse ausgehend, könnte § 1 II KSchG auch heißen, erbringt der Arbeitnehmer die Leistung nicht oder nicht wie geschuldet, ist der Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt. Stattdessen hängt alles von der „sozialen Rechtfertigung“ der Kündigung ab. Deren Funktion wird im Anschluss dargestellt. Um sich der Bedeutung des Begriffs der sozialen Rechtfertigung oder – in der negativen Formulierung der Sozialwidrigkeit – zu nähern, ist wie folgt vorzugehen. Ausgangspunkt ist der Wortlaut von § 1 I KSchG, wonach die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam ist, wenn sie nicht sozial gerechtfertigt ist. Dass es sich bei dem Merkmal „sozial“ nicht um ein rechtliches Nullum handelt, ist naheliegend. Dennoch wäre es voreilig, zöge man nun aus der Formulierung den Schluss, dies sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, welcher durch sämtliche im Konflikt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber berührten Interessen auszufüllen sei. Dies wäre weder mit der Systematik des § 1 KSchG noch mit der Genese des Gesetzes zu vereinbaren. Vielmehr handelt es sich um einen rechtstechnischen 153 154
BAG, Urt. v. 10. 09. 2009 – 2 AZR 257/08 – NZA 2010, 220, 222. BAG, Urt. v. 28. 10. 2010 – 2 AZR 293/09 – NZA 2011, 112, 113.
§ 2 Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
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Begriff155, was daraus folgt, dass in Absatz zwei des Paragraphen eine Konkretisierung des Begriffs enthalten ist, die den Wertungsprozess vorgibt.156 Darin heißt es, dass eine Kündigung sozialwidrig ist, wenn sie nicht durch personen-, verhaltensoder betriebsbedingte Gründe bedingt ist. Das BAG und Teile der Literatur folger(te)n aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber nicht positiv formuliert habe, wann eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist, sondern nur, wann sie es nicht ist, dass daraus nicht der Umkehrschluss gezogen werden könne, dass die Kündigung bei Vorliegen einer der Gründe sozial gerechtfertigt sei.157 Zusätzlich zum Kündigungsgrund sei eine Abwägung der beiderseitigen Interessen, des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung und des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, erforderlich, deren Gewichtung die Kündigung als gerecht erscheinen ließe.158 Diese Interpretation ist jedoch zu weitgehend.159 Die Konsequenz dieser Annahme wäre, dass Interessenabwägung und Kündigungsgrund getrennt voneinander zu prüfen wären, mit dem Ergebnis, dass eine Kündigung trotz des Vorliegens eines Kündigungsgrundes sozial ungerechtfertigt wäre, wenn die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgeht. Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen, die Durchführung einer Interessenabwägung ist deswegen nicht dem Grunde nach abzulehnen. Das Problem, dass bei der Auseinanderziehung der Prüfung von Kündigungsgründen und der beiderseitigen Interessen entsteht, ist, dass die Interessenabwägung ohne einen Referenzrahmen geführt wird und somit durch sämtliche Faktoren, wie von der wirtschaftlichen bis hin zur fa155
BAG, Urt. v. 20. 01. 1961 – 2 AZR 495/59 – NJW 1961, 940, 941. SPV/Preis, 2. Abschnitt § 2 Rn. 883; Herschel/Löwisch, § 1 Rn. 68; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 197. 157 BAG, Urt. v. 20. 10. 1954 – 1 AZR 193/54 – AP KSchG § 1 Nr. 6; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 635; Dassau, Die allgemeine Interessenabwägung im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, S. 20 ff.; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, S. 51 ff.; Galperin, RdA 1966, 361, 364; v. Maydell/Eylert, Anm. zu BAG, Urt. v. 22. 02. 1980 – 7 AZR 295/78 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 5; Meisel, ZfA 1985, 227; Wenzel, MDR 1977, 545; Stein, BlStSozArbR 1979, 163; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 219 f., einerseits gegen die Relativierung von Kündigungsgründen, andererseits für eine alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessenabwägung; ebenfalls für einer umfassende Interessenabwägung DDZ-KSchR/Deinert, § 1 KSchG Rn. 63, der diese mit der Notwendigkeit des schonendsten Eingriffs und Komplexität des Sozialwidrigkeitstatbestandes begründet. 158 BAG, Urt. v. 20. 10. 1954 – 1 AZR 193/54 – AP KSchG § 1 Nr. 6; DDZ-KSchR/Deinert, § 1 KSchG Rn. 63; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 219 f.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 635; Dassau, Die allgemeine Interessenabwägung im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, S. 20 ff.; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, S. 51 ff.; Galperin, RdA 1966, 361, 364; v. Maydell/Eylert, Anm. zu BAG, Urt. v. 22. 02. 1980 – 7 AZR 295/78 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 5; Meisel, ZfA 1985, 227; Stein, BlStSozArbR 1979, 163; Wenzel, MDR 1977, 545. 159 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 83; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 130; so auch Ascheid, a. a. O., Rn. 203 ff.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 196; Boewer, NZA 1988, 678, 682; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 163 ff.; Rüthers, Anm. zu BAG, Urt. v. 07. 12. 1988 – 7 AZR 122/88 – EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 26; Wank, RdA 1987, 129, 130. 156
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
miliären Situation des Arbeitnehmers, droht aufgeladen zu werden, so dass am Ende nur noch eine konturenlose Billigkeitsprüfung bleibt. Die Interessenabwägung ist Teil des Kündigungsgrundes. Geht sie zu Gunsten des Arbeitnehmers aus, liegt kein Kündigungsgrund vor. Dass eine reine Billigkeitsprüfung vom Gesetzgeber nicht gewollt war, zeigt der Vergleich mit den Vorgängervorschriften des Kündigungsschutzgesetzes. Zuvor, als der Kündigungsschutz noch an das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gekoppelt war, hatte es geheißen, ein Arbeitnehmer kann gegen eine Kündigung Einspruch erheben, wenn sich die Kündigung als eine unbillige Härte darstellt (§ 84 BRG). Wie sich aus der damaligen Literatur ergibt, war dies das Einfallstor für eine umfassende, sämtliche auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegende, Interessen miteinbeziehende Abwägung.160 Indem das Gesetz nunmehr auf diesen Passus verzichtet, wird deutlich, dass maßgeblich für die Rechtfertigung einer Kündigung eben nur noch die in § 1 II KSchG genannten Gründe sein sollen und es nicht mehr auf anderweitige Erwägungen ankommen soll.161 Denn das Gesetz hat die Interessenabwägung bereits selbst in gewisser Weise vorweg genommen, indem es die Kündigung vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht hat.162 In diese Entscheidung eingeflossen sind bereits alle aus Art. 12 I GG herrührenden Erwägungen, die zum einen die einschneidenden Folgen einer Kündigung in Bezug auf die Person und die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers, zum anderen die unternehmerischen Interessen berücksichtigen. Der Arbeitnehmer genießt Bestandsschutz, solange er seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung ordnungsgemäß erbringt, die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ist insoweit beschränkt. Im Gegensatz dazu müssen die Arbeitnehmerinteressen zurücktreten, sobald sich ein betriebliches Erfordernis ergibt, obwohl für den Arbeitnehmer keine Möglichkeit zur Einflussnahme besteht. 160
Hueck/Nipperdey/Dietz, § 56 AOG Rn. 12; Müller, FS Schmitz I, S. 248; siehe auch die Beispiele bei Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 159. 161 Vgl. die Gesetzesbegründung abgedruckt in RdA 1951, 58, 63, worin es heißt: „Liegen solche Gründe nicht vor, setzt der Schutz des Gesetzes ein, ohne dass noch für eine Abwägung Raum wäre, ob der Verlust des Arbeitsplatzes aus sonstigen, außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegenden Gründen den Arbeitnehmer mehr oder weniger hart treffen würde“. Dies sei so zu interpretieren, dass für Billigkeitserwägungen kein Raum mehr bleibt. (Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157; ders., DB 1973, 80, 81; ders., DB 1984, 1523; v. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 198). 162 LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 79; Bitter/Kiel, RdA 1994, 333, 336 f.; Bötticher, FS Molitor, S. 123, 127; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 366 ff.; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 163; differenzierend Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 206 ff., der in den Kündigungsgründen eine Vorwegnahme der Abwägung des arbeitnehmerseitigen Bestandsinteresses und des arbeitgeberseitigen Dispositionsinteresses durch den Gesetzgeber erblickt, welche jedoch noch Raum für eine eingeschränkte Interessenabwägung durch den Rechtsanwender lässt, welche wiederum zur Lösung des spezifischen Konfliktes zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erforderlich ist; s. a. LKB/Krause, § 1 Rn. 214 ff., der eine Vorwegnahme der Interessenabwägung durch den Gesetzgeber nur bei der betriebsbedingten Kündigung erkennen; vgl. Stückmann/Kohlepp, RdA 2000, 331, 334 ff., die statt einer Interessenabwägung lediglich eine Erforderlichkeitsprüfung mit dem Wortlaut von § 1 II KSchG für vereinbar halten.
§ 2 Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
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Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass sich die vom Gesetzgeber vorgesehene Lösung für den zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber schwelenden Interessenkonflikt in den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes ausdrückt. Insofern haben diejenigen nicht Unrecht die sagen, Art. 12 GG sei im Kündigungsschutz zu berücksichtigen.163 Es ist ergänzend hinzuzufügen, dass dies nicht zusätzlich zur Prüfung der Kündigungsgründe zu erfolgen hat, sondern dass der Wertgehalt von Art. 12 GG dem Kündigungsschutz immanent ist. Der Raum für eine Interessenabwägung im Einzelfall verbleibt nur dort, wo der Gesetzgeber sie nicht bereits vorgenommen hat. Die im Kündigungsschutzgesetz enthaltene Interessenabwägung betrifft lediglich die grundsätzliche Frage, wann das Bestandsinteresse das Dispositionsinteresse überwiegt, nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer ordnungsgemäß leistet. Liegt hingegen eine Störung vor, genießt der Arbeitnehmer keinen Bestandsschutz, Bestandsschutz wird nur außerhalb der Kündigungstatbestände, im störungsfreien Arbeitsverhältnis, gewährleistet. Die personen- und verhaltensbedingten Kündigungsgründe lassen sich auf Leistungsdefizite aus der Sphäre des Arbeitnehmers zurückführen, so dass sich sagen lässt, die Verwirklichung des Bestandsschutzes erfolgt dadurch, dass er in die Verantwortung des Arbeitnehmers gestellt wird. Nicht geklärt ist dabei indes die Frage, wann eine vom Arbeitnehmer zu verantwortende Störung so gewichtig ist, dass das Leistungsinteresse des Arbeitgebers in nicht mehr hinnehmbarer Weise verletzt ist, so dass die Kündigung gerechtfertigt ist. Hier beginnt der Raum für eine den Eigenheiten des Einzelfalls gerecht werdende Interessenabwägung.164 Der wesentliche Unterschied zu einer isolierten Abwägung ist, dass die Abwägungsparameter nun auf die Leistungsbeziehung beschränkt sind. Abzuwägen ist lediglich die Schwere der Pflichtverletzung im Verhältnis zu den erlittenen Einbußen, zur betrieblichen Störung. Das Verhältnis relativiert sich jedoch, wenn die Verursachung der Störung mitberücksichtigt wird.165 Die eingangs aufgeworfene Frage, warum sich der zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestehende Interessenkonflikt nicht angemessen lösen lässt, indem auf die reine Nichtleistung abgestellt wird, ist damit zu beantworten, dass dann kein Raum mehr für eine die spezifischen Vertragsinteressen berücksichtigende Interessenabwägung bliebe. Verknüpft man hingegen die zur Kündigung anlassgebende Störung (durch Gründe in der Person, dem Verhalten oder dringender betrieblicher Erfordernisse „bedingt“), wie in der vom Gesetzgeber gewählten Konstruktion, mit der Notwendigkeit einer sozialen Rechtfertigung, eröffnet sich ein gewisser Beurteilungsspielraum, der es ermöglicht, eine den Interessen beider Arbeitsvertragsparteien gerecht werdende Entscheidung zu treffen. Die soziale Rechtfertigung bewirkt als zusätzliche Kündigungsvoraussetzung mithin eine Möglichkeit von dem, 163
APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 2; v. Hoyningen-Huene/Linck/Krause, § 1 Rn. 8 f.; Kühling, AuR 1994, 126, 128. 164 Bötticher, FS Molitor, S. 127 ff.; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 163; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 206 f. 165 Siehe Dritter Teil unter § 5.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
wie z. B. in § 323 I BGB enthaltenen, Schema – Störung führt zu Auflösung – abzuweichen. Denn allein das Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Störung führt noch nicht zur Angemessenheit der „Kündigung“.
D. Zurechnung als Teil des arbeitsrechtlichen Kündigungsgrundes Wie bereits oben festgestellt, ist der wesentliche Bestandteil des Kündigungsgrundes die Störung des Äquivalenz- und/oder Austauschverhältnisses, die anhand einer Zukunftsprognose über die Fortsetzungsmöglichkeiten des Arbeitsverhältnisses und der Schwere der sie nach sich ziehenden betrieblichen Interessenbeeinträchtigung zu ermitteln ist. Doch allein von dem Vorhandensein der Störung hängt die Kündigung nicht ab. Die Zulässigkeit einer Kündigung entscheidet sich letztlich erst nach einer Interessenabwägung, welche, wie im Folgenden darzulegen sein wird, der geeignete Ort für die Berücksichtigung der Verantwortung für die Störung des Arbeitsverhältnisses ist.
I. Begriffliche Bedeutung der Zurechnung Das Element der Zurechnung könnte also Teil des Kündigungsgrundes sein, das bei der Frage der Legitimität der Kündigung insofern eine Rolle spielen könnte, als dass das Gesetz davon ausgeht, dass stets der Kündigungsempfänger, also der Arbeitnehmer, den Kündigungsgrund zu verantworten hat. Zunächst ist klarzustellen, was der Begriff Verantwortung im Kündigungsschutzrecht nicht meint: Dem KSchG liegt kein Verantwortungsbegriff zu Grunde, der ausschließlich Verschulden erfasst, wie es nach dem Verschuldensprinzip im Leistungsstörungsrecht im Grundsatz der Fall wäre. Während im Leistungsstörungsrecht Verschulden oder Vertretenmüssen grundsätzlich Grund und Grenze der Haftung sind und daher eine Nachforschung über die Schadensverursachung erforderlich machen, ist das Verschulden des Kündigungsgrundes zunächst einmal aufgrund der für die Zukunft zu prognostizierenden Fortsetzungsmöglichkeit des Vertrags unbeachtlich.166 Gegen das Vorhandensein der Verantwortung als Strukturelement des Kündigungsgrundes überhaupt könnte sprechen, dass Kündigungen möglich sind, bei denen die Störung nicht aus der Sphäre des Kündigungsempfängers stammt, sondern aus der Sphäre des Kündigenden selbst. Es sind dies die betriebsbedingten Gründe, die es dem Arbeitgeber erlauben, einem Arbeitnehmer zu kündigen, ohne dass es dessen Fehlverhaltens bedarf.167
166
So auch v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, S. 44,
167
Siehe Zweiter Teil unter § 2 F.
47.
§ 2 Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
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Auch bei der personenbedingten Kündigung kommt es gerade nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer die fehlende Eignung verschuldet hat, sondern darauf, ob die Erreichung des Vertragszwecks unmöglich geworden ist.168 Das Kriterium des Verschuldens dient im Kündigungsschutzrecht in erster Linie der Abgrenzung der Kündigungsgründe.169 Demzufolge liegt der verhaltensbedingte Kündigungsgrund vor, wenn die Vertragsverletzung schuldhaft erfolgte. Eine schuldlose Vertragsverletzung hingegen stellt einen personenbedingten Kündigungsgrund dar. Für die Beantwortung der Frage indes, ob Zurechnung überhaupt Teil des Kündigungsgrundes ist, genügt es nicht, nur auf das Kriterium des Verschuldens abzustellen. Grundsätzliche zivilrechtliche Wertungen zur Ausübung des ordentlichen Kündigungsrechts tragen hier nur bedingt zu einem Erkenntnisgewinn bei. Aufgrund der im Zivilrecht vorherrschenden Kündigungsfreiheit von Dauerschuldverhältnissen, ist das ordentliche Kündigungsrecht meist voraussetzungslos, lediglich fristgebunden, ausgestaltet.170 Das wiederum bedeutet, dass dessen Ausübung gerade nicht davon abhängt, dass der Kündigungsempfänger in zurechenbarer Weise Anlass dazu gegeben haben muss.171 Im Arbeitsrecht treffen die Grundsätze von Kündigungsfreiheit und lediglich zeitlich befristetem Bestandsschutz hingegen nicht zu. Es gilt vielmehr ein an sozialstaatlichen Erwägungen orientiertes Bestandsschutzkonzept zu Gunsten des Arbeitnehmers, welches Teil der Antwort auf die Frage nach der Abhängigkeit des Kündigungsrechts von der zurechenbaren Verursachung durch den Arbeitnehmer ist.
II. Zurechnung aufgrund sozialstaatlicher bzw. grundrechtlicher Wertungen Durch das Kriterium der Zurechnung als Strukturelement des Kündigungsgrundes könnte der Gesetzgeber seinen aus Art. 12 I GG abgeleiteten Auftrag zur Schaffung eines Kündigungsschutzes, der sowohl den Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberinteressen gerecht wird, verwirklicht haben. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Grundgesetz ein Mindestniveau an Kündigungsschutz vorschreibt172, wurde bereits dargestellt.173 Diese Auslegung von 168 BAG, Urt. v. 05. 06. 2008 – 2 AZR 984/06 – DB 2009, 123, 124; BAG, Urt. v. 18. 01. 2007 – 2 AZR 731/05 – NZA 2007, 680, 681; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 122; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 99; SPV/Preis, Zweiter Abschnitt § 2 Rn. 1218, 1220, 1222. 169 BAG, Urt. v. 03. 11. 2011 – 2 AZR 748/10 – NZA 2012, 607, 608; BAG, Urt. v. 16. 03. 1961 – 2 AZR 539/59 – AP KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 2; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 188; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 147. 170 Siehe § 488 III, § 620, § 649, § 671, § 675h, § 695 f., § 723 BGB. 171 Zulässige Kündigungsgründe, die aus der Sphäre des Kündigenden stammen, sind z. B. § 573 II Nr. 2, Nr. 3, § 605 Nr. 1 BGB. 172 BVerfG, Urt. v. 24. 04. 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 146 ff., zustimmend Dieterich, RdA 1992, 330, 332.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Art. 12 I GG ergibt sich, wenn man das Sozialstaatsprinzip als Auslegungsmaßstab heranzieht. Wesentlicher Inhalt des Sozialstaatsprinzips ist die staatliche Verpflichtung zu „sozialer Gerechtigkeit“174. Danach hat der Gesetzgeber „für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen“175. Er hat sich um die „Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle zu bemühen“176. Ferner hat er die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit der Einzelne seine vom Grundgesetz gewährten Freiheitsgarantien ausüben kann. Bezogen auf das Zivilrecht besteht somit immer dann ein Regelungsauftrag, wenn „einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht hat, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann“ und somit für den anderen Vertragsteil eine Fremdbestimmung bewirkt.177 Gerade im Wirtschafts- und Arbeitsrecht liefe die Unterlegenheit des Arbeitnehmers als den sozial Schwächeren der sozialstaatlichen Zielbestimmung zuwider, reglementierte man den Arbeitsmarkt nicht. Die Unterlegenheit des Arbeitnehmers zeigt sich in zwei Ausprägungen. Sie ist sowohl struktureller als auch regelmäßig wirtschaftlicher Art, wobei letzteres Merkmal nach h. M. kein taugliches Abgrenzungskriterium zu anderen Vertragstypen darstellt178, sich aber regelmäßig aus dem Bestehen des Arbeitsverhältnisses ergibt.179 Die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers hängt mit der Machtstellung des Arbeitgebers zusammen, im Rahmen des Vertragsabschlusses die Vertragsbedingungen alleine festlegen zu können, insbesondere der organisatorische Arbeitsablauf, die Arbeitseinrichtung und die zu verrichtende Tätigkeit selbst werden einseitig vorgegeben. Die Folge dieser Fremdbestimmung oder Weisungsbindung ist die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, worunter eine bezüglich der Arbeitspflicht nicht unerhebliche Gehorsamspflicht zu verstehen ist.180 Weil der Arbeitnehmer per definitionem nicht unternehmerisch tätig ist, gibt es keine Konkurrenzsituation, in der sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf gleicher Ebene begegnen; das Stufenverhältnis entfällt bei Arbeitnehmern, die Al173
Siehe Zweiter Teil unter § 2 B. III. BVerfG, Urt. v. 17. 08. 1956 – 1 BvB 2/51 – BVerfGE 5, 85, 198. 175 BVerfG, Urt. v. 18. 07. 1967 – 2 BvF 3/62 – BVerfGE 22, 180, 204. 176 BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97, 105. 177 BVerfG, Beschl. v. 07. 02. 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 f. 178 BAG, Urt. v. 30. 09. 1998 – 5 AZR 563/97 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 103; BAG, Urt. v. 20. 07. 1994 – 5 AZR 627/93 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 73; BAG, Urt. v. 28. 02. 1962 – 4 AZR 141/61 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 1; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 47; Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB § 611a Rn. 6; MHdBArbR/Schneider, 4. Aufl., § 18 Rn. 16; Schwarze, ZfA 2005, 92; bereits Molitor, Das Wesen des Arbeitsvertrages, S. 75 ff.; Nikisch, Die Grundformen des Arbeitsvertrags und der Anstellungsvertrag, S. 94 ff.; siehe zum Unternehmerrisiko als Abgrenzungskriterium Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 122 ff. 179 So bereits Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 53. 180 ErfK/Preis, § 611a Rn. 8 ff.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 9 III, S. 41; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 8 Rn. 176 ff.; Wank, AuR 2017, 140, 144 f. 174
§ 2 Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
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leinstellungsmerkmale aufweisen, die nicht oder nur schwer ersetzbar sind und auf deren Fähigkeiten der Arbeitgeber angewiesen ist, z. B. hochqualifizierte Wissensträger, Profisportler; es entfällt aber nicht die Abhängigkeit von jemand anderem beschäftigt zu werden. Je länger ein Arbeitnehmer in einem Betrieb für einen bestimmten Arbeitgeber gearbeitet hat, desto mehr ist er mit den dortigen Gegebenheiten vertraut, womit auch nachteilige Effekte einhergehen: Von den in der Ausbildung erlernten Fähigkeiten werden nur noch jene abgerufen, die der Arbeitnehmer für die Verrichtung der derzeitigen Tätigkeit benötigt. Je weiter der Anpassungsprozess an die jeweiligen betrieblichen Bedingungen fortschreitet, desto schwieriger wird es für den Arbeitnehmer, diesen Nachteil gegenüber neu ausgebildeten Arbeitnehmern wieder auszugleichen, sich in ein neues Umfeld bei einem anderen Arbeitgeber zu integrieren und seinen Wissensstand neuen Erkenntnissen anzugleichen. Daher verliert er mit fortschreitender Zeit die Option, sich auf eine andere Stelle bei einem anderen Arbeitgeber zu bewerben oder sich selbstständig zu machen. Damit steht dem Arbeitnehmer jedoch weder zu Beginn noch im laufenden Arbeitsverhältnis ein gewichtiges Druckmittel für Vertragsverhandlungen zur Verfügung. Jemand der darauf angewiesen ist, von jemandem anderen beschäftigt zu werden, und mit einer Vielzahl von vergleichbar ausgebildeten Bewerbern im Wettstreit über einen Arbeitsplatz steht, ist eher gewillt, Arbeits- und Entgeltbedingungen zu akzeptieren, die der andere vorgibt. Folge des Verzichts auf die Selbstständigkeit ist es regelmäßig, dass Arbeitnehmer ein festes Gehalt beziehen und nicht an den erzielten Gewinnen, die sie erarbeitet haben, partizipieren. Legt man den nationalen Durchschnittsverdienst eines hier Beschäftigten zu Grunde181, so reicht das Gehalt zwar zur Bestreitung eines erträglichen Lebensunterhalts, nicht aber dafür, dass sich der Arbeitnehmer noch gegen sämtliche Lebensrisiken privat absichern kann. Insofern ist auch von einer sozial schwächeren Position zu sprechen. Aus all den genannten Gründen hat der Arbeitnehmer ein legitimes Interesse daran seinen Arbeitsplatz dauerhaft zu behalten. Vor dem grundrechtlichen und sozialstaatlichen Hintergrund gewährleistet das Kündigungsschutzgesetz daher Arbeitsplatzsicherheit, indem es das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Kündigungsfreiheit und Bestandsschutz umkehrt. Dem Arbeitgeber ist ein Kündigungsverbot auferlegt, das Einschränkungen unterliegt und Kündigungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Diese Lockerung des Bestandsschutzkonzeptes legitimiert sich aus zwei Gründen: zum einen sind die unternehmerischen Interessen des Arbeitgebers so gewichtig, dass der Bestandsschutz dahinter zurückzutreten hat. Zum anderen legitimiert sich die Durchbrechung des Bestandsschutzes und dies ist der für den vorliegenden Abschnitt entscheidende Grund, daraus, dass dessen Aufrechterhaltung oder Lockerung dem Arbeitnehmer zur Disposition gestellt wird. Die Person und das Verhalten sind die maßgeblichen Faktoren, nach denen sich die Aufhebung bzw. Beibehaltung des Bestandsschutzes entscheidet. Person und Ver181 Für das Jahr 2015 hat das Fraunhofer FIT ein Durchschnittseinkommen von 32.643 E brutto ermittelt, das entspricht einem ungefähren Nettomonatseinkommen von 1.729 E bei Steuerklasse I.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
halten sind jedoch Kriterien, die primär dem alleinigen Einflussbereich des Arbeitnehmers zugeordnet sind. Dadurch, dass die Kriterien Person und Verhalten zum Anknüpfungspunkt für den Kündigungsschutz werden, liegt es am Arbeitnehmer, welches Kündigungsschutzniveau ihm zu Teil wird. Von einer echten Entscheidung über den Kündigungsschutz kann bezüglich der personenbedingten Kündigung nicht die Rede sein, da die hierunter fallenden Umstände, insbesondere Krankheiten, vom Arbeitnehmer nicht beherrschbar sind. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass er die Verantwortung für die eigene Person zu tragen hat, da es dem allgemeinen Lebensrisiko entspricht und einer besonderen Rechtfertigung bedürfte, diese auf eine andere Person zu verlagern. Das Defizit an Beherrschbarkeit wird in der Interessenabwägung dadurch ausgeglichen, dass im Vergleich zur verhaltensbedingten Kündigung höhere Anforderungen an die Grenze der Zumutbarkeit gestellt werden.182 Die arbeitnehmerseitige Verantwortung für Gründe in Person und Verhalten lässt, trotz ihrer einzelnen Abstufungen entsprechend der Schwere der Vorwerfbarkeit, den Arbeitnehmer weniger schutzwürdig erscheinen, so dass sich der (gesetzliche) Eingriff in Art. 12 I GG zu seinen Lasten rechtfertigen lässt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass diese Verantwortungsverteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der personen- und verhaltensbedingten Kündigung stets Voraussetzung dafür ist, dass der Kündigungsschutz durchbrochen werden kann. Unter der Zugrundelegung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen kann die Zurechnung als Strukturelement des Kündigungsschutzes ausgemacht werden. Das heißt, dass das Kündigungsschutzgesetz von einer Teilung der Verantwortungssphären zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausgeht, aus welchen die einzelnen Kündigungsgründe hervorgehen müssen, um eine Kündigung legitimieren zu können.
III. Zurechnung nach zivilrechtlichen Kategorien Gegenstand dieses Abschnitts ist die Frage, wie sich das auf den sozialstaatlichen Erwägungen beruhende Ergebnis bezüglich der Verantwortungsverteilung in die zivilrechtlichen Zurechnungskategorien transformieren lässt. Für die Zurechnung von Erfolgen oder deren Ausbleiben gibt es im Zivilrecht, wie bereits dargelegt, unterschiedliche Zurechnungsprinzipien, von denen der Verschuldensgrundsatz das dem BGB zugrundeliegende Haftungsprinzip ist. Im Kündigungsschutzgesetz lässt sich der Verschuldensgrundsatz als Zurechnungsprinzip nur bei einer der drei Kündigungsarten, der verhaltensbedingten Kündigung, ausmachen. Davon abzugrenzen ist das weitergehende, unrechtmäßiges 182 BAG, Urt. v. 25. 11. 1982 – 2 AZR 140/81 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 7; BAG, Urt. v. 10. 03. 1977 – 2 AZR 79/76 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 4; vgl. APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 171; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 288; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 161.
§ 2 Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
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Verhalten gerade nicht voraussetzende Kriterium der Verantwortung, das die Zurechenbarkeit bei der personen- und der betriebsbedingten Kündigung begründet. 1. Zurechnung bei der verhaltensbedingten Kündigung Der Zurechnungsgrund bei der verhaltensbedingten Kündigung ist „die Schuld“ des Arbeitnehmers. Hier wird bewusst nicht der Begriff „Verantwortung“ gewählt, um die Unterschiede der Zurechnungskriterien der verschiedenen Kündigungsarten in der Gegenüberstellung deutlicher darstellen zu können. Zudem kommt die Konstellation, dass sich der dem Arbeitnehmer zu machende und zur Kündigung führende Vorwurf auf das Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen bezieht, eher selten vor, weil dies erstens voraussetzt, dass der Arbeitnehmer abweichend von § 613 BGB nicht höchstpersönlich leisten muss, zweitens Verantwortung für ihm nachgeordnete Angestellte hat und zugleich selbst noch Arbeitnehmer i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes ist. Der Begriff des Verschuldens meint, dass der Arbeitnehmer in vorwerfbarer Weise seine vertraglichen Pflichten verletzt hat. Vorwerfbar ist ihm die Pflichtverletzung deshalb, weil er in der konkreten Situation anders hätte handeln sollen und dies bei Berücksichtigung der erforderlichen Sorgfalt für ihn erkennbar und möglich war (Fahrlässigkeit) oder weil er nicht willens war oder nicht das richtige Wissen besaß (Vorsatz), sich pflichtgemäß zu verhalten. Wegen des verschuldeten Unrechts ist die Zurechnung des Kündigungsgrundes dieses Kündigungstatbestandes zum Arbeitnehmer unstreitig.183 2. Zurechnung bei der personenbedingten Kündigung Die personenbedingte Kündigung beruht auf einer Störung, die der Arbeitnehmer nicht verschuldet hat, die er nicht beeinflussen kann, die ihm an sich nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Vom eigenen Verschulden unabhängige Verantwortlichkeit kennt das BGB beispielsweise in §§ 278, 287 S. 2, 833 S. 1 bei der Übernahme einer Garantie (§ 276 I 1, 2. HS BGB) oder bis zum Eintritt der Konkretisierung bei der Gattungsschuld (§ 243 II BGB). In der vertraglichen Einigung zugleich eine Garantie seitens des Arbeitnehmers über das dauerhafte Vorhandensein seiner Eignung und die ständige Abrufbarkeit seiner Fähigkeiten zu sehen, widerspräche den Wertungen der §§ 616 BGB, 3 EFZG, 167 SGB IX, die dem Arbeitgeber das Risiko für Fälle zuweisen, in denen der Arbeitnehmer nicht leistungsfähig ist. Darüber hinaus widerspräche eine derartig weitgehende Garantie den allgemeinen Vorschriften des BGB, wonach der Schuldner „nur“ sein erkennbares an-
183 LKB/Krause, § 1 Rn. 462; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 55, 176; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 54; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 205; Schaub/Linck, § 130 ArbR-Hdb Rn. 30.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
fängliches Leistungsvermögen (§ 311a II 2 BGB) garantiert.184 Daher enthält die Vertragszusage des Arbeitnehmers nicht das in einer Garantie zum Ausdruck kommende Versprechen über das Vorhandensein der Leistungsfähigkeit, sondern die Übernahme des Risikos für die an das Nichtvorhandensein der Leistungsfähigkeit knüpfenden Konsequenzen. Dass der Arbeitnehmer für solche Störungen die Verantwortung trägt, die, sofern sie krankheitsbedingt sind oder auf einem unverschuldeten Unfall beruhen, unbeeinflussbar, unbeherrschbar und unvorhersehbar sein können, folgt aus dem casumsentit-dominus Grundsatz, wonach jedes Rechtssubjekt für die eigene Rechtssphäre, also die einem von der Rechtsordnung zugeordneten Rechte und Rechtsgüter, selbst verantwortlich ist, solange es keine Rechtfertigung dafür gibt, eine andere Person dafür verantwortlich zu machen.185 Bei denen für eine personenbedingte Kündigung relevanten Eigenschaften wie Fähigkeit, Eignung und insbesondere Gesundheit, handelt es sich grundsätzlich um Faktoren, die von der Lebensgestaltung abhängen, der den Zurechnungszusammenhang herstellende Grund ist also das Handeln aufgrund privatautonomer Willensentschlüsse und Faktoren, die dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen sind, welches bekanntlich von einem jeden selbst zu tragen ist.186 Der Schuldner einer Dienstleistung hat das Risiko der Erbringung der Dienste zu tragen.187 Aus welchen Gründen der Arbeitnehmer nicht zur Leistung imstande ist, es ist dies sein ureigenes Risiko.188 Deswegen sind die Störungen, die zu einer personenbedingten Kündigung führen, der Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers zuzuordnen.189
184
Dadurch, dass Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 311a II BGB die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des nicht vorhandenen Leistungsvermögens ist – und nicht die Verantwortung für dessen Herbeiführung – sind die Anforderungen an eine Exkulpation für den Schuldner erschwert, so dass sich sagen lässt, dass § 311a II BGB annähernd wie eine Garantiehaftung ausgestaltet ist („Garantiehaftung unter Vorbehalt“/„bedingte Garantiehaftung“, vgl. MünchKomm BGB/Ernst, § 311a Rn. 15; Schwarze, Jura 2002, 73, 81; Harke, SchuldR AT, Rn. 226; ders., AcP 205 (2005), 67, 81). 185 MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 2, 60 ff.; Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 52; Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 25 IV 1. b), S. 64; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 22 ff., 77 ff.; Rieble, FS Löwisch, S. 229, 236. 186 Soergel/Teichmann, § 314 Rn. 26; Flume, FS DJT I, S. 207, 220 ff.; Kegel, Gutachten zum 40. DJT I, S. 138, 200; vgl. zum Schadensersatzrecht: Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, S. 13 ff. 187 GK-Online BGB/Martens (Stand: 01. 01. 2021), § 313 Rn. 76. 188 Vgl. LAG Köln, Urt. v. 25. 05. 2010 – 2 SaGa 7/10 – juris zur Gesundheitskonstitution des Arbeitnehmers als dessen persönliches Risiko; Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 62. 189 BAG, Urt. v. 13. 03. 1987 – 7 AZR 724/85 – NZA 1987, 629, 631; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 118; LKB/Krause, § 1 Rn. 263, 266; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 55, 93; Schaub/Linck, § 130 ArbR-Hdb Rn. 30; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 54; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 205; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, S. 41; Schulin, SAE 1986, 279.
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IV. Zurechnung als ausschlaggebendes Kriterium der Interessenabwägung Das Vorgehen bei der Interessenabwägung, an der sich die soziale Rechtfertigung der Kündigung entscheidet, zeigt, dass die Verantwortung Teil des Kündigungsgrundes ist. Bevor die Schwere der Beeinträchtigung gegen das Bestandsinteresse abgewogen werden kann, ist der Maßstab zu bestimmen, nach dem sich richtet, ob das Festhalten am Vertrag noch zumutbar ist. Je strenger der Maßstab, je höher also die Anforderungen an die Unzumutbarkeit sind, desto eher geht die Interessenabwägung zu Gunsten des Bestandsinteresses aus. Der zugrunde zu legende Maßstab wiederum wird danach gebildet, ob und inwieweit die Störung vom Arbeitnehmer zu verantworten ist. Den mildesten Maßstab und somit die niedrigste Zumutbarkeitsgrenze weist die verhaltensbedingte Störung auf, da der zur Beendigung führende Grund vom Arbeitnehmer schuldhaft verursacht wurde. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist daher im Vergleich zur personenbedingten Kündigung, bei der die Störung unverschuldet ist, eher akzeptabel. Trotzdem muss der Verschuldensgrad untersucht werden, da ein als lediglich gering einzustufendes Verschulden das rechtswidrige Verhalten in einem „wesentlich milderem Licht“ erscheinen lässt190, dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der Pflichtverletzung noch zumutbar sein kann, die Interessenabwägung mithin zu Gunsten des Arbeitsnehmers ausgehen kann. Im Gegensatz dazu sind i. d. R. an die personen-, insbesondere krankheitsbedingte, Kündigung höhere Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der vorhandenen Störung zu stellen191, da die Störung für den Arbeitnehmer weder vorhersehbar noch vermeidbar ist. Die strengsten Voraussetzungen weist die betriebsbedingte Kündigung auf. Sie ist nur bei Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse und fehlender, ggf. anderweitiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zulässig und von den in § 1 III KSchG normierten Grundsätzen einer Sozialauswahl abhängig. Der Grund dafür ist, dass die zur Kündigung führende Störung hier eben nicht aus der Sphäre des Arbeitnehmers, sondern aus der des Arbeitgebers stammt192 und nur aufgrund vertraglicher Risikoübernahme vom Arbeitnehmer zu verantworten ist.
190 So führt das BAG beispielsweise aus, dass „der unverschuldete Rechtsirrtum eines Arbeitnehmers bei der Abwägung der Gründe für eine (außerordentliche) Kündigung mit in Erwägung gezogen werden“ muss. Ist z. B. die Rechtswidrigkeit der Streikbeteiligung für die Arbeitnehmer nur schwer erkennbar, weil die zuständige Gewerkschaft die Aktion der Belegschaft von vornherein unterstützt hatte, liegt ein unverschuldeter Rechtsirrtum seitens der Arbeitnehmer vor und die Arbeitsniederlegung kann nicht als Arbeitsvertragsbruch gewertet werden (BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 58). 191 HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 55; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, S. 54 f., 131. 192 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 401.
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V. Ergebnis Zusammenfassen lässt sich, dass Verantwortung sowohl aufgrund von Verschulden als auch als Ergebnis einer normativen Wertung den Kündigungsgrund mitbestimmt. Das grundsätzliche Überwiegen des Bestandsschutzes, das sich aus den sozialstaatlichen und grundrechtlichen Prädispositionen ergibt, setzt die Zurechenbarkeit der Störung zum Arbeitnehmer voraus, dadurch, dass der Bestandsschutz nur dann durchbrochen werden kann, wenn die arbeitsvertragliche Störung vom Arbeitnehmer zu verantworten ist. Anknüpfungspunkt im Gesetz ist dafür der Wortlaut, dem sich eine Differenzierung nach der Herkunft der Störung (personenund verhaltensbedingt) entnehmen lässt193. Dies weist auf die unterschiedlich stark ausgeprägten Verantwortungsbeiträge hin. Beim personenbedingten Kündigungsgrund handelt es sich um eine schwächere Verantwortung aufgrund von Risikoübernahme, beim verhaltensbedingten Kündigungsgrund liegt eine stärkere Verantwortung aufgrund von Verschulden vor. Es reichen somit unterschiedlich schwerwiegende Verantwortungsbeiträge des Arbeitnehmers aus, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Dies wird bei der Frage, wie mit beiderseitig vorhandener Verantwortung umzugehen ist, noch einmal relevant werden.
E. Verantwortung als Oberbegriff für Vertretenmüssen und andere Zurechnungsgründe Im vorherigen Abschnitt wurde herausgearbeitet, dass das Recht zur Kündigung nicht immer ein Verschulden der zu kündigenden Partei voraussetzt, gleichwohl von deren Verantwortung an der Entstehung des Kündigungsgrundes abhängt. Dass dies kein Widerspruch, sondern ein im BGB ebenfalls vorkommendes Strukturelement ist, soll die folgende Darstellung zeigen. Dazu soll noch einmal der eingangs erwähnte Fall der missglückten Tätowierung bemüht werden. Das Tattoo, ein koptisches Kreuz, wies nicht die von der Klägerin gewünschte und von den Parteien zuvor vereinbarte einheitliche Proportionierung auf, so dass ein Mangel i. S. v. § 633 II 1 BGB vorlag, der gem. §§ 634 Nr. 3, 323 I BGB nach Ablauf einer angemessenen und erfolglos verstrichenen Frist grundsätzlich zum Rücktritt berechtigt. Unerheblich für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 323 I BGB wäre es, wenn die Schlechtleistung darauf beruhte, dass die vom Beklagten verwendete Farbe und für diesen unerkennbar ungeeignet war oder wenn dieser während 193 BAG, Urt. v. 25. 11. 1982 – 2 AZR 140/81 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 7; vgl. auch die st. Rspr. zu sog. Mischtatbeständen, wonach die Beurteilung des Kündigungssachverhalts nur anhand des Kündigungsgrunds erfolgt, der die Herkunft der Störung abbildet (BAG, Urt. v. 18. 09. 2008 – 2 AZR 976/06 – NZA 2009, 425 f.; BAG, Urt. v. 13. 03. 1987 – 7 AZR 724/85 – NZA 1987, 629, 631; BAG, Urt. v. 21. 11. 1985 – 2 AZR 21/85 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 12).
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des Tätowierens von einem Dritten angerempelt worden wäre und deshalb das Tattoo nicht geradlinig stechen konnte etc., denn der Rücktritt setzt kein Vertretenmüssen voraus.194 Die weitere Durchführung des Vertrags kann unabhängig vom Verschulden des Schuldners für den Gläubiger sinnlos geworden sein.195 Dennoch spielt die Verantwortung des Schuldners eine Rolle für das Rücktrittsrecht des Gläubigers, wie sich § 323 VI BGB entnehmen lässt. Fehlt es an der Verantwortlichkeit des Schuldners für den zum Rücktritt führenden Umstand, weil diese (überwiegend) beim Gläubiger liegt, ist das Rücktrittsrecht des Gläubigers ausgeschlossen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Gesetz stets eine Mindestverantwortung des Schuldners voraussetzt, um den Rücktritt des Gläubigers zu legitimieren. Ebenso bezweckt die Vorschrift die Herstellung von Austauschgerechtigkeit hinsichtlich der gegenseitigen Leistungspflichten, so dass Berücksichtigung findet, dass dem Gläubiger das Rücktrittsrecht nur dann zustehen kann, wenn die zur Vertragsverletzung führende Störung aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners stammt.196 Der gleiche Gedanke liegt § 326 I 1 BGB zugrunde, wonach die Gegenleistungspflicht des Gläubigers entfällt, sobald die Leistung des Schuldners unmöglich geworden ist, unabhängig davon, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat oder nicht.197 Gleichwohl spielt die Verantwortung des Leistungshindernisses eine Rolle: Wie sich aus dem Streit bezüglich des Sonderfalls ergibt, dass der Gläubiger ein Interesse am Absatz seiner Gegenleistung hat, soll § 326 I 1 BGB in erster Linie den Gläubiger von der andernfalls verbleibenden Möglichkeit den Vertrag durch Rücktritt oder Schadensersatz zu beenden, entlasten. Da der § 326 I 1 BGB folglich nicht von Nachteil für den Gläubiger sein soll, herrscht im Ergebnis Einigkeit darüber, dass im Falle des Vertretenmüssens durch den Schuldner der Gläubiger entsprechend seinem Willen zur Erbringung seiner Leistung berechtigt bleibt.198 Hat hingegen der Gläubiger das Leistungshindernis zu verantworten, wäre der Fortfall des Gegenleistungsanspruchs für den Schuldner unbillig, so dass § 326 II BGB diesen aufrechterhält. Im Anwendungsbereich von § 326 I BGB verbleiben somit solche Ereignisse, die in den Verantwortungsbereich des Schuldners fallen. Wenn also der Schuldner die Verantwortung für das Leistungshindernis trägt, muss der Gläubiger die Gegenleistung nicht (mehr) erbringen. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass es durchaus üblich ist, dass Tatbestände von Rechtsnormen, die für den Anspruchgegner negative Rechtsfolgen 194 BT-Drs. 14/6040, S. 184 ff.; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 323 Rn. A 2, A 16, E 2; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, § 19 Rn. 1; Looschelders, SchuldR AT, § 33 Rn. 1. 195 MünchKomm BGB/Ernst, vor § 323 Rn. 3; Looschelders, SchuldR AT, § 33 Rn. 1. 196 Dadurch wird der früher in § 324 a. F. und jetzt in § 326 II BGB enthaltene Rechtsgedanke verallgemeinert und auf sämtliche Leistungsstörungen übertragen, Begr. BT-Drs. 14/ 6040, S. 187 („zu Absatz 5“). 197 Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. B 25. 198 Siehe zum Streitstand Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. B 26 ff. m. w. N.
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anordnen, zwar nicht dessen Verschulden voraussetzen, dennoch von einer Verantwortung des Betroffenen ausgehen. Das Gegenteil, verantwortungsunabhängige Regelungen, bilden die Ausnahme und sind wie die §§ 355 ff. BGB nur aufgrund ihrer übergeordneten Schutzziele gerechtfertigt.199
F. Besondere Legitimierungsgründe der betriebsbedingten Kündigung Zuvor wurde dargestellt, dass sich die personen- und verhaltensbedingte Kündigung daraus legitimiert, dass die zur Kündigung berechtigenden Umstände vom Arbeitnehmer zu verantworten sind. Die betriebsbedingte Kündigung nimmt in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein, da sie es dem Arbeitgeber erlaubt, ohne dass der Arbeitnehmer durch seine Person oder sein Verhalten dazu Anlass gegeben hat, zu kündigen. Die Besonderheit dieser Kündigungsart ist darin zu sehen, dass der zur Kündigung berechtigende Grund stets aus der Sphäre des Kündigenden selbst stammt und damit an sich vom Arbeitgeber zu verantworten wäre.
I. Vertragsdogmatische Einordnung In dogmatischer Hinsicht könnte die betriebsbedingte Kündigung der Wiederherstellung der im allgemeinen Zivilrecht grundsätzlich gegebenen Kündigungsfreiheit bei Dauerschuldverhältnissen200 dienen.201 Das Ergebnis ist eine annähernde Kündigungsfreiheit oder Kündigungsfreiheit mit Einschränkungen.202 Die Anerkennung des Rechts zur betriebsbedingten Kündigung basiert zwar auf einem Überwiegen der Kündigungsfreiheit gegenüber dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers203, ein tatbestandsloses Kündigungsrecht, wie für das ordentliche Kündigungsrecht sonst üblich, ist die betriebsbedingte Kündigung jedoch bei weitem nicht. Voraussetzung für die betriebsbedingte Kündigung ist ein dringendes betriebliches Erfordernis (§ 1 II 1 KSchG), worunter der Wegfall von Beschäftigungsbedarf
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Vgl. hierzu anstatt vieler GK-Online BGB/Mörsdorf (Stand: 15. 02. 2021), § 355 Rn. 2 ff. 200 Statt vieler Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 256 m. w. N.; siehe Zweiter Teil unter § 2 B. I. 201 Dornbusch/Wolff/Volk, § 1 KSchG Rn. 361. 202 Vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 208, 401 der von einer „Verschärfung“ der Anforderungen an die betriebsbedingte Kündigung und von einer „unterschätzten Ausgleichsfunktion des Gesetzes“ spricht, weil das Kündigungsrecht nur in Abhängigkeit vom Vorliegen bestimmter Gründe besteht. 203 Siehe Zweiter Teil unter § 2 F. II.
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zu verstehen ist.204 Schlichter Personalabbau zu Zwecken der Senkung von Personalkosten und Gewinnsteigerungen fällt nicht darunter205 ; wohl aber ein Überhang an Arbeitskräften nach Umverteilung der anfallenden Arbeiten auf eine geringere Anzahl von Beschäftigten.206 Nähert man sich diesem Kündigungsgrund mit den Kategorien des Leistungsstörungsrechts, fällt auf, dass es keine Störung innerhalb des Äquivalenzverhältnisses gibt. Die vom Arbeitnehmer angebotene Leistung entspricht dem vertraglich geschuldeten Soll. Auch ist der Arbeitnehmer dazu in der Lage die Arbeitsleistung zu erbringen. Das Problem liegt vielmehr auf Seiten des Arbeitgebers: Dieser hat kein Interesse mehr an der Leistung, weil er keine Verwendungsmöglichkeit mehr hat. Die Störung liegt also im Bereich der Verwendung der Leistung.207 Dass diese zur Aufhebung eines Vertrags berechtigt, ist im allgemeinen Zivilrecht unüblich, da es sich um eine Störung außerhalb der Leistungspflichten handelt. Ob die begehrte Leistung für den Gläubiger noch nach Abschluss des Vertrags nützlich und von Interesse ist, ist allein sein Risiko, so dass Störungen in diesem Feld grundsätzlich irrelevant sind, welches bedeutet, dass es bei der Pflicht zur Gegenleistung bleibt und keine Rücktrittsmöglichkeiten bestehen.208 Das in den §§ 437, 634 BGB normierte Gewährleistungsrecht für das Kauf- und Werkvertragsrecht zeigt das soeben beschriebene Regel-Ausnahme-Verhältnis an: Nur für den Fall, dass der Schuldner mangelhaft geleistet hat, berechtigen Einschränkungen der Verwendungsmöglichkeit den Gläubiger zur Geltendmachung von Sekundärrechten. § 537 I 1 BGB stellt 204
St. Rspr. BAG, Beschl. v. 27. 07. 2016 – 7 ABR 55/14 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 60; BAG, Urt. v. 13. 11. 1997 – 8 AZR 295/95 – NZA 1998, 251, 252; vgl. BAG, Urt. v. 07. 12. 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157, 162; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 552, 564; Dornbusch/Wolff/ Volk, § 1 KSchG Rn. 366, 370; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 236; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 6 Rn. 77; Franzen, NZA 2001, 805, 809. 205 BAG, Urt. v. 17. 06. 1999 – 2 AZR 141/99 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101. 206 BAG, Urt. v. 17. 06. 1999 – 2 AZR 522/98 – NJW 2000, 378, 379. 207 BAG, Urt. v. 25. 11. 1982 – 2 AZR 140/81 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 7. Von der überwiegenden Literatur wird lediglich auf die unterschiedlichen Sphären von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Hinblick auf die Herkunft der Störung eingegangen, selten wird der Grund der betriebsbedingten Kündigung als Störung des Verwendungszwecks eingeordnet. Schwarze/ Eylert/Schrader/Schwarze, § 1 Rn. 283, der auf den Zweckfortfall abstellt; zutreffend auch die Einordnung des Personalüberhangs als wirtschaftlich nicht sinnvoll nutzbare Leistung von Franzen, NZA 2001, 805, 812; vgl. ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 68, 71 und Ascheid, a. a. O., Rn. 31 ff., 54, die das Nichtanbieten von Beschäftigung als Störung des Arbeitgebers ansehen; siehe APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 442, der von einem Kündigungsrecht des Arbeitgebers, zu welchem der Arbeitnehmer keinen Anlass gibt, spricht; Dornbusch/Wolff/Volk, § 1 KSchG Rn. 360; LKB/Krause, § 1 Rn. 680; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 552; NK-GA/Weber, § 1 KSchG Rn. 1073; Berkowsky, a. a. O., § 6 Rn. 3; Schaub/Linck, § 130 ArbR-Hdb Rn. 30; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 171. 208 BeckOK/Lorenz, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 313 Rn. 63; Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 57; Emmerich, Leistungsstörungsrecht § 28 Rn. 44; Willoweit, JuS 1988, 833; eingehend m. w. N. zum Verwendungsrisiko Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 407 ff.
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für das Mietrecht klar, dass der Gläubiger auch dann zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet bleibt, wenn er keine Verwendungsmöglichkeit für die Mietsache hat; so beispielsweise, wenn in Abwandlung des bekannten Krönungszugfalls209 der Mieter am besagten Tag der Krönung krank geworden wäre, so dass er den ganzen Tag im Bett hätte verbringen müssen, er den Krönungszug also nicht hätte sehen und den angemieteten Balkon nicht hätte betreten können, würde ihn dies nicht zur Aufhebung des Mietvertrags und Nichtzahlung des Mietzinses berechtigen. Nun war im besagten Krönungszugfall nicht der Mieter verhindert, etwa aus Krankheitsgründen, sondern der Krönungszug fiel aus. Mit der Folge, dass das ausschließlich dafür angemietete Zimmer mit Balkon für den Gläubiger uninteressant geworden ist. Der Zweck des Vertrags, dem Krönungszug zuzusehen, war unerreichbar geworden. Anhand dieses Falls wurde in der Literatur heftig gestritten, ob derartige Fälle der Zweckstörung mit Hilfe des Rechts der Unmöglichkeit210 oder nach der Lehre der Störung der Geschäftsgrundlage zu lösen seien211. Larenz212 ist es zu verdanken, dass heute die Fälle der Zweckstörung als eine Fallgruppe der Störung der Geschäftsgrundlage allgemein anerkannt sind.213 Die Abgrenzung, ob Fälle der Zweckstörung dem Unmöglichkeitsrecht zuzuordnen sind oder eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen, richtet sich danach, ob die vom Gläubiger intendierte Verwendung Vertragsinhalt geworden ist oder Grundlage des Vertrags ist.214 Aufgrund des vorherrschenden Dogmas, dass der Inhalt des Vertrags nicht dessen Grundlage sein kann215, müsste der zu erreichende Zweck im Vertrag geregelt sein, 209
Griffith vs Brymer [1903] 19 TLR 434. Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 173; Flume, BGB AT II, § 26 3, 5 b, S. 498 f.; Lobinger, Leistungspflichten, S. 241, 244; Wieacker, FS Nipperdey Bd. I, S. 783, 811; vgl. MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 156, der einen weit verstandenen Unmöglichkeitsbegriff für eine befriedigende Lösungsmöglichkeit hält; aus der Rspr. der bekannte Marika-Rökk-Fall OLG Bremen, Urt. v. 18. 03. 1952 – 2 U 375/51 – NJW 1953, 1393, in dem das Gericht einen Fall der Unmöglichkeit annimmt, da die Erreichung des Vertragszwecks, die Durchführung des Gastspiels der Frau Marika Rökk, infolge deren Erkrankung unmöglich geworden war. 211 BGH, Urt. v. 27. 09. 1991 – V ZR 191/90 – NJW-RR 1992, 182, 183 (Kauf eines Grundstücks zwecks Tauschs mit anderem); BGH, Urt. v. 01. 06. 1979 – V ZR 80/77 – BGHZ 74, 370, 375 (Kauf von Bauerwartungsland); OLG Stuttgart, Urt. v. 21. 12. 1973 – 2 U 105/73 – BB 1974, 199, 200 (Unbrauchbarkeit bestellter Waren wegen eines Brandes in den Lagerhallen des Käufers); Emmerich, Leistungsstörungsrecht, § 28 Rn. 43; so auch im Grundsatz Staudinger/Caspers (2019), BGB § 275 Rn. 32, der die Parallele zum unbeachtlichen Motivirrtum zieht. 212 Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 91 ff. 213 BeckOK/Lorenz, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 313 Rn. 62 ff.; Palandt/Grüneberg, § 313 Rn. 35; Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 75; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, S. 132 ff.; Picker, FS Honsell, S. 385; U. Huber, JuS 1972, 65. 214 Erman/Böttcher, § 313 Rn. 36; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 12 Rn. 9. 215 BGH, Urt. v. 01. 02. 1990 – VII ZR 176/88 – NJW-RR 1990, 601, 602; BGH, Urt. v. 01. 02. 1984 – VIII ZR 54/83 – BGHZ 90, 69, 74; BGH, Urt. v. 03. 07. 1981 – V ZR 100/80 – BGHZ 81, 135, 143; BeckOK/Lorenz, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 313 Rn. 15; Erman/Bött210
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damit dessen Unerreichbarkeit zur Unmöglichkeit nach § 275 I BGB führt. Beispiele, die dieser Kategorie unterfallen, bilden typischerweise Gesellschaftsverträge, da bei denen die Zweckvereinbarung Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt eine Gesellschaft vorliegt. Ferner kommen Miet- und Pachtverträge mit der Zweckbestimmung zum Betrieb eines bestimmten Geschäfts oder einer Gaststätte in Betracht. Fehlt es an expliziten Zweckabreden, dürften in der Regel die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage anzuwenden sein. Sowohl bei der Unmöglichkeit als auch bei einer Störung der Geschäftsgrundlage stößt man auf die Problematik, wie damit umzugehen ist, wenn die sich darauf berufende Partei den zur Unmöglichkeit oder zur Grundlagenstörung führenden Umstand zu verantworten hat oder wenn der Umstand von beiden Vertragsparteien zu verantworten ist. Für Zweckstörungen, die zur Unmöglichkeit führen, hält das Gesetz in § 326 I, II 1, 1. HS BGB eine Lösung bereit. Danach entfällt der Anspruch des Schuldners auf die Leistung, sofern er die Störung zu verantworten hat, § 326 I BGB. Hat indes der Gläubiger die zur Unverwendbarkeit der Leistung führende Störung allein oder überwiegend zu verantworten, muss er den Gegenleistungsanspruch des Schuldners erfüllen, § 326 II 1, 1. HS BGB. Im Gegensatz dazu kann nur eine sehr geringe Mitverantwortung unschädlich sein. Dem Gedanken der Norm folgend, dass die Verantwortung für die Herbeiführung der Störung zu berücksichtigen ist, läuft es bei einer gewichtigen beiderseitigen Verantwortung (z. B. 1/3 zu 2/3) auf eine Quotelung der Ansprüche entsprechend dem Verantwortungsbeitrag hinaus. Dem Gläubiger steht ein Wahlrecht zu: Er kann entweder den um sein eigenes Verschulden geminderten Schadensersatz vom Schuldner verlangen, müsste aber die volle Gegenleistung erbringen oder er verzichtet auf die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs und leistet stattdessen nur die um das Verschulden des Schuldners gekürzte Gegenleistung.216 Erreicht die vom Gläubiger geltend gemachte Störung des Verwendungszwecks nicht die Qualität der Unmöglichkeit, sondern handelt es sich um eine Grundlagenstörung, ist der Anwendungsbereich von § 313 I BGB eröffnet, der entsprechend der Regelung in § 326 I BGB eine vergleichbare Entlastung zu Gunsten des Gläubigers ermöglicht. Hier stellt sich ebenfalls im Rahmen der Bewertung, ob die weitere Fortsetzung des Vertrags trotz geänderter Umstände noch zumutbar ist, die Frage, welche Auswirkungen die Verantwortung an der Grundlagenstörung auf das Recht zur Vertragsanpassung bzw. Auflösung hat. Wie bei Störungen auf der Primärleistungsebene gilt grundsätzlich, dass die Verantwortung nicht automatisch zum Rechtsausschluss führt (§ 275 II BGB). Die Anforderungen an die Befreiung von der Leistungspflicht steigen jedoch zu Lasten des Schuldners.217 Aufgrund des Verweises cher, § 313 Rn. 18; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 8 ff.; Soergel/Teichmann, 11. Aufl., § 242 Rn. 223, 227; kritisch dazu Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, S. 140. 216 Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 135 ff. 217 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 6 Rn. 20 f.; Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 197.
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in § 313 I BGB auf die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung sowie der gemeinsamen Thematik, Primärzweckstörung einerseits und Sekundärzweckstörung andererseits, kann im Fall der Gläubigerverantwortung an den geänderten Umständen die in § 326 I, II BGB enthaltene Wertung als Vorlage herangezogen werden.218 Daraus folgt, dass sich der Gläubiger auf Umstände, die er selbst zu verantworten hat, nur mit Einschränkungen berufen kann und dass mit zunehmender Verantwortung die Anforderungen an eine Lösung vom Vertrag steigen bzw. dass eine Lösung vom Vertrag bei erheblicher Verantwortung auch ausgeschlossen sein kann.219 Um diese Erkenntnisse der Grundlagenlehre für die betriebsbedingte Kündigung fruchtbar machen zu können, wird daher neben dem Zweck des Arbeitsvertrags die sich auf die Zweckerreichung und -verfehlung beziehende Risikoverteilung herauszuarbeiten sein. Primärer Zweck220 des Arbeitsvertrags ist der Austausch der gegenseitigen Leistungen, Arbeit und Entgelt. Darüber hinausgehende Zwecke, wie Abreden über unternehmerische Ziele, die Voraussetzung des Arbeitseinsatzes des Arbeitnehmers sind, enthalten gewöhnliche Arbeitsverträge eher nicht. Durch den Fortfall von Beschäftigungsbedarf als Grund der betriebsbedingten Kündigung wird der Vertragszweck gestört, da der Arbeitgeber keine Verwendungsmöglichkeit mehr für die vom Arbeitnehmer erbrachte Leistung hat. Damit sich der Arbeitgeber im Sinne der Grundlagenlehre auf diese Zweckstörung berufen kann, darf eine Fortsetzung des Vertrags für ihn nicht mehr zumutbar sein. Damit die Anforderungen an die Unzumutbarkeit möglichst gering sind, dürfte es sich dabei nicht um ein vom Arbeitgeber zu tragendes Risiko handeln. Grundsätzlich trägt – das ist der wesentliche Gehalt des Satzes, „der Arbeitgeber trägt das Wirtschaftsrisiko“221, und des sämtlichen Arbeitnehmerschutzgesetzen zugrunde
218 Für die entsprechende Anwendung der Wertung aus § 324 a. F. BGB Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 46; Larenz, SchuldR AT, § 21 II 2. 219 Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 267 f., 272. 220 Die Unterteilung von primären und darüber hinausgehenden Vertragszwecken findet sich bereits bei Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 17 ff., 93 ff., 104, der zwischen „subjektiver Geschäftsgrundlage“, den Motiven eines Vertragsabschlusses, der „objektiven Geschäftsgrundlage“, als Sinn des Vertrags, und „unmittelbaren“ Vertragszwecken (Leistungsaustausch) und Endzwecken (außerhalb des Schuldverhältnisses liegende Zweckbestimmungen) unterscheidet. Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, S. 17, 137, spricht in diesem Zusammenhang erstmals vom „Primärzweck“ und „weiterem Zweck“, an dessen Wortwahl die hier getroffene Ausdrucksweise anknüpft. Unter dem Primärzweck ist das Interesse beider Parteien am Erhalt der jeweils anderen Leistung zu verstehen, während der weitere Zweck den individuellen Verwendungszweck des Gläubigers meint. 221 St. Rspr. BAG, Urt. v. 24. 01. 2013 – 2 AZR 453/11 – NZA 2013, 959, 960; BAG, Urt. v. 23. 06. 1994 – 6 AZR 853/93 – NZA 1995, 468, 469; BAG, Beschl. v. 22. 12. 1980 – 1 ABR 2/79 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70; BAG, Urt. v. 08. 03. 1961 – 4 AZR/223/59 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 13.
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liegenden Gedankens222 – der Arbeitgeber das Risiko einen Arbeitnehmer zu beschäftigen, dessen Arbeitsleistung anzunehmen und ihn zu bezahlen, auch wenn Absatz und Umsatz des Betriebs stagnieren, keine Einnahmen erwirtschaftet werden oder der Arbeitgeber aus sonstigen Gründen vorübergehend keinen Bedarf an der Arbeitsleistung hat. Rechtsfolge der Annahmeunwilligkeit der Arbeitsleistung ist der Annahmeverzug gem. § 615 S. 1 BGB. Ferner darf das Wirtschafts- und Unternehmerrisiko grundsätzlich nicht auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden, weswegen beispielsweise außerordentliche Kündigungen wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Betriebs unzulässig sind.223 Dieser Grundsatz unterliegt gewissen Einschränkungen, die sich entweder unmittelbar oder mittelbar aus der Parteivereinbarung ergeben. Dass ein Arbeitsplatz eines im Wettbewerb stehenden Unternehmens fortfallen kann, dürfte den Parteien bei Vertragsschluss an sich bekannt sein. Der dauerhafte Fortbestand des Arbeitsplatzes dürfte nach der Vorstellung der Parteien daher kein Umstand sein, den sie als „selbstverständlich“ für ihren Vertragsschluss voraussetzen. Gleichwohl dürften über diese Risikoverteilung eher selten Absprachen zwischen den Parteien stattfinden. Sofern keine Regelungen darüber getroffen werden, also Kündigungsrechte nicht vertraglich geregelt werden bzw. das Recht zur betriebsbedingten Kündigung nicht ausgeschlossen wird, ist auf die Wertung des Gesetzes abzustellen. Danach ist der Arbeitgeber bei Fortfall des Beschäftigungsbedarfs zur betriebsbedingten Kündigung berechtigt, sofern keine andere Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Kommt zwischen den Parteien keine davon abweichende anderweitige vertragliche Regelung zustande, erhält die gesetzliche Wertung den Status einer „vereinbarten Geschäftsgrundlage“. Die Wertung des Gesetzes wird zu einer Grenze, bei deren Überschreitung der Vertrag nicht weiter gelten soll. Wie bei jedem Vertragsschluss enthält die Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zunächst die beiderseitige Zusagen ihre Leistungen trotz der ihnen bekannten Risiken, die bei Eintritt die Erbringung ihres jeweiligen Pflichten, erheblich erschweren oder gar unmöglich machen können, zu erbringen.224 Arbeitnehmerseits sind dies sämtliche Umstände, die die persönliche Leistungsfähigkeit betreffen. Auf Seiten des Arbeitgebers sind hier die marktüblichen, konjunkturellen Schwankungen zu nennen, die zwar Auswirkungen auf die finanzielle Situation des Arbeitgebers haben können, aber keine Nachteile für den Arbeitnehmer haben, da der Arbeitgeber seine Lohnzahlung unabhängig von der Ertragslage zusichert.
222 Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers resultiert v. a. aus der Aufgabe der unternehmerischen Verwertung der eigenen Arbeitskraft (Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 1 Rn. 2). 223 BAG, Urt. v. 24. 01. 2013 – 2 AZR 453/11 – NZA 2013, 959; BAG, Urt. v. 07. 03. 2002 – 2 AZR 173/01 – AP BGB § 620 Schuldrechtliche Kündigungsbeschränkung Nr. 6; APS/Vossen, § 626 BGB Rn. 65; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 162 ff.; DDZ-KSchR/Däubler, § 626 BGB Rn. 277; Preis, FA 2002, 290, 293; Hanau, ZfA 2014, 131; Franzen, RdA 2014, 1. 224 Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 20.
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Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der Arbeitnehmer vor allen unternehmerischen Risiken geschützt ist. Aus dem dem Arbeitgeber eingeräumten Recht, aus betriebsbedingten Gründen kündigen zu können, ergibt sich die gesetzgeberische Wertung, dass ein Teil des unternehmerischen Risikos auf den Arbeitnehmer übertragen wird.225 Und zwar in all den Fällen, in denen der von den Parteien sich selbst gesetzte Risikorahmen „überzogen“ wird226, weil dann abweichend von ihrer Vorstellung und dem sich selbst zugemuteten Risiko Umstände eintreten, die das weitere Festhalten am Vertrag unzumutbar machen. In Kenntnis des Kündigungsrechts wird somit, sofern die Arbeitsvertragsparteien keine gesonderten Abreden treffen, wie z. B. es abzubedingen, zur gemeinsamen Grundlage des Arbeitsverhältnisses, dass dieses, obwohl es auf unbestimmte Zeit geschlossen wird, nur bestehen kann, solange es einen Bedarf für die vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistungen gibt. Abweichende Vereinbarungen, die die Parteien treffen könnten und wodurch der Zweck zum Vertragsinhalt würde, wären zum Beispiel Abreden, darüber, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Projekt, zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers oder zur Probe beschäftigt werden soll. Wird dieser Zweck gestört oder erreicht, wäre die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich und sofern dieses Ereignis mit einer auflösenden Bedingung verknüpft wäre, wäre das Arbeitsverhältnis beendet.227 Sofern indes keine solchen oder vergleichbaren Abreden getroffen werden, bleibt festzuhalten, dass der Beschäftigungsbedarf des Arbeitgebers, das Vorhandensein von Arbeit für den Arbeitnehmer, ein von beiden Parteien bei Vertragsschluss vorausgesetzter Umstand ist, der somit die Grundlage des Arbeitsvertrags bildet. Zugleich ist die arbeitnehmerseitige Akzeptanz dieses Umstandes, dass das Arbeitsverhältnis vom Arbeitsbedarf des Arbeitgebers abhängig ist, der Grund dafür, dass der Arbeitgeber kündigen kann. Entscheidend für die Frage, ob der Arbeitgeber trotz eigener Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses kündigen kann, wird dann sein, wieweit die Akzeptanz des Arbeitnehmers hinsichtlich der Übernahme des unternehmerischen Risikos reicht.228 Der zur Kündigung berechtigende Umstand ist das Beschäftigungsrisiko, welches als Unterfall des Verwendungsrisikos zwar grundsätzlich der Arbeitgeber trägt, weswegen beispielsweise Annahmeverzugslohn nach § 615 S. 1 BGB zu zahlen ist und weswegen in den Fällen, in denen der Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB das Betriebsrisiko trägt, nicht außerordentlich gekündigt werden kann. Gleichwohl hat das BAG in einer berühmten Entscheidung zur Betriebsrisikolehre (StrumpffabrikFall) eine ordentliche Kündigung ausdrücklich als zulässig erachtet.229 Der gesetz225
Siehe Dritter Teil unter § 8 B. II. Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 35. 227 Solche Vereinbarungen sind im Rahmen des § 14 TzBfG zulässig. 228 Siehe Dritter Teil unter § 8 B. II. 229 „Wenn und solange die infolge der Betriebsstockung nicht einsatzfähigen Arbnehmer die Fortzahlung ihres Lohnes begehren können, kommt eine fristlose Kündigung durch den 226
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liche Kündigungsschutz, den der Arbeitnehmer genießt, ist daher relativ. Der Arbeitnehmer kann ohne dazu Anlass gegeben zu haben, gekündigt werden.230 Ausreichend dafür ist nicht bereits die Erkennbarkeit231 für den Arbeitnehmer zu einem bestimmten Verwendungszweck, zur gewinnbringenden Beschäftigung im Betrieb, eingestellt zu werden. Vielmehr bedarf es einer Risikoübertragung232, die das ursprünglich dem Arbeitgeber zugewiesene (Verwendungs-)Risiko auf den Arbeitnehmer überträgt. Dies geschieht durch den Abschluss des Arbeitsvertrags, indem das Recht des Arbeitgebers zur betriebsbedingten Kündigung nicht ausgeschlossen wird und sich der Arbeitnehmer damit einverstanden erklärt. Die Konsequenz dessen ist, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich der betriebsbedingten Kündigung nunmehr das Beschäftigungsrisiko und damit die „Kündigungsgefahr“ trägt. Dies ist nicht gleichzusetzen mit dem Wirtschaftsrisiko, welches originär dem Arbeitgeber zugewiesen ist und bei diesem verbleibt. Das Risiko, die Gegenleistung für die Arbeit des Arbeitnehmers erbringen zu können, das Entgelt aus der Unternehmung zu erwirtschaften, trägt der Arbeitgeber. Die betriebsbedingte Kündigung berechtigt nicht zur Kündigung, wenn Arbeit vorhanden ist, diese dem Arbeitgeber zu teuer geworden ist.233 Ändern sich hingegen die Umstände, die die Menge des Arbeitsbedarfs betreffen, oder führt eine unternehmerische Entscheidung zum Wegfall von Beschäftigungsbedarf, kann der Arbeitgeber entsprechend den Grundsätzen einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ den Vertrag nach § 1 II 1 KSchG kündigen. Um die Betrachtung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes in struktureller Hinsicht abzuschließen, ist noch folgende Parallele zur Störung der Geschäftsgrundlage zu ziehen. Der Kündigungsgrund, das betriebliche Erfordernis, ist der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs; während das Vorhandensein des Bedarfs dem Umstand entsprach, den die Parteien zur Grundlage ihres Vertrags gemacht haben. Der Wegfall dieses Bedarfs ist also eine Änderung der Umstände, die maßgeblich für den Vertragsschluss waren; beide Parteien sind davon ausgegangen, es werde für den
Arbeitgeber nicht in Betracht. Wenn hingegen die Arbeitnehmer das Betriebsrisiko zu tragen haben und ihre Lohnansprüche damit entfallen, kann zwar nicht aus den Grundsätzen des Betriebsrisikos, wohl aber dann, wenn die beiderseitigen Rechte und Pflichten für unbestimmte Zeit ruhen, für beide Seiten ein berechtigtes Interesse bestehen, sich von einem inhaltlos gewordenen Arbeitsverhältnis zu lösen“, BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik); dem zustimmend, dass der Arbeitgeber betriebsbedingt kündigen kann, wenn er das Betriebsrisiko trägt, Beuthien, Anm. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik). 230 BAG, Urt. v. 30. 09. 1970 – 1 AZR 535/69 – AP BAT § 70 Nr. 2; Dornbusch/Wolff/Volk, § 1 KSchG Rn. 360; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 552; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 338; NK-GA/Weber, § 1 KSchG Rn. 1073; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 208 f., 411 f. 231 Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 269 f. 232 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 12 Rn. 17. 233 Hromadka, RdA 1992, 234, 253.
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einzustellenden Arbeitnehmer Beschäftigungsbedarf noch lange Zeit nach Abschluss des Arbeitsvertrags geben. Die hier vertretene These ist, dass das Recht zur betriebsbedingten Kündigung an sich eine gesetzliche Typisierung eines Unterfalls der Störung der Geschäftsgrundlage ist.234 Jedenfalls sind Überschneidungen denkbar, in denen das betriebliche Erfordernis zugleich den Tatbestand von § 313 BGB erfüllt. Auch wenn das Kündigungsschutzgesetz als lex specialis gegenüber § 313 BGB vorrangig anzuwenden ist, bedeutet das nach Ansicht der Rechtsprechung nicht, dass diese Tatbestände in kündigungsrechtlicher Hinsicht außer Betracht bleiben müssten. Vielmehr sind derartige Sachverhalte im Rahmen der §§ 1, 2 KSchG zu würdigen.235 Das bedeutet, dass die zur Störung der Geschäftsgrundlage entwickelten Leitlinien zur Risikobewertung bei der Überprüfung der betriebsbedingten Kündigung zu berücksichtigen sind. Dass die Anwendung von § 313 BGB und § 1 II KSchG im Grundfall zu gleichen Ergebnissen führt, soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Auf einen Nachfragerückgang und anschließenden Umsatzeinbruch hin sieht sich der Arbeitgeber dazu veranlasst, sein Unternehmen anders auszurichten. Das unrentabel gewordene Produkt soll künftig nicht mehr hergestellt werden. Der Betrieb, in dem das Produkt bisher produziert wurde, soll stillgelegt werden. Die andere Unternehmenssparte, auf die ein anderer Betrieb spezialisiert ist, soll ausgeweitet werden, so dass manche Arbeitnehmer des stillzulegenden Betriebs dort übernommen werden können. Den übrigen wird betriebsbedingt gekündigt. Die unternehmerische Entscheidung, den Betrieb zu schließen, hat zu einem Wegfall von Beschäftigungsbedarf geführt, der nicht durch die Ausweitung der Arbeiten in dem anderen Betrieb kompensiert werden kann. Damit liegt mit dem Überhang an Arbeitskräften ein betriebliches Erfordernis vor. Der Ausspruch der Kündigung ist dringend, da ein Festhalten am Arbeitsvertrag ohne Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber unzumutbar wäre. Der Nachfrage- und Umsatzrückgang, welcher zur Betriebsstilllegung und letzten Endes zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führte, sind auch wesentliche Änderungen der Umstände, die die Parteien bei Vertragsschluss als langfristig gegeben angenommen haben. Dadurch, dass der Beschäftigungsbedarf entfallen ist, kann der Zweck des Vertrags aus Gläubigersicht nicht mehr erreicht werden. Hätten die Parteien diesen Umstand vorhergesehen, hätten sie den Vertrag wahrscheinlich nicht 234 Vgl. ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 136 zur Kündigungsmöglichkeit nach dem „Gedanken des Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ bei Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund von Betriebsstörungen; Hromadka, RdA 1992, 234, 254 „Fallen durch Rationalisierung (…) Arbeitsplätze weg, dann kann der Arbeitgeber kündigen; ändern sich die Umstände der Arbeit (…), so kann er die Arbeitsbedingungen anpassen.“; Sander, Die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses, S. 115; vgl. Löwisch, NZA 1988, 633, 641 zu den Anforderungen an den Grund einer außerordentlichen Änderungskündigung „Grad eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage“. 235 BAG, Urt. v. 05. 06. 2014 – 2 AZR 615/13 – NZA 2015, 40, 42; BAG, Urt. v. 08. 10. 2009 – 2 AZR 235/08 – NZA 2010, 465, 467; zustimmend GK-Online BGB/Martens (Stand: 01. 01. 2021), § 313 Rn. 95.1; KR-Kreft, § 2 KSchG Rn. 103.
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unbefristet geschlossen. Weitere Voraussetzung ist, dass das Festhalten am Vertrag für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Ungeachtet der vertraglichen Risikoübernahme und lediglich unter Berücksichtigung des Verwendungsrisikos läge die Unzumutbarkeitsschwelle sehr hoch, da es sich bei den eingetretenen Änderungen um solche handelt, die der Arbeitgeber zu verantworten hätte, weil das Verwendungsrisiko das ureigene vom Gläubiger zu tragende Risiko ist. Nach überwiegender Meinung in der Literatur, kann sich eine Partei, der der eingetretene Umstand als Risiko zugewiesen ist, grundsätzlich nicht auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen.236 Dem ist entgegen zu halten, dass der zwangsläufige Rechtsausschluss zu pauschal ist. Die gläubigerseitige Verantwortung ist als ein den Schuldner begünstigendes Moment im Rahmen der Zumutbarkeit, zumutbarkeitserhöhend, zu berücksichtigen. Da sich der Arbeitnehmer durch Vertragsschluss mit der Übernahme des Risikos einverstanden erklärt, aus betrieblichen Gründen gekündigt zu werden, liegt das Verwendungsrisiko nicht beim Arbeitgeber, so dass sich der Arbeitgeber auch nach zuvor zitierter Meinung auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen könnte. Da in dem Beispiel wegen der Übertragung des Verwendungsrisikos auf den Arbeitnehmer die Zumutbarkeitsgrenze nicht sehr hoch liegt, führt der Fortfall des Beschäftigungsbedarfs dazu, dass ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Der Arbeitsvertrag könnte, wenn es § 1 KSchG nicht gäbe, nach § 313 I, III 2 BGB gekündigt werden. Damit ist im Ergebnis festzuhalten, dass das Recht zur betriebsbedingten Kündigung in mehrerer Hinsicht besonders ist: Es handelt sich erstens um eine Störung im Bereich des Verwendungsrisikos, die nach allgemeinen Vorschriften, sofern sie nicht zum Vertragsziel erhoben wurde und keine Unmöglichkeit begründet, nicht zur Auflösung berechtigen würde. Nur in Ausnahmefällen, wenn entsprechend des Rechtsgedankens aus § 326 II 2 BGB die Anrechnung des anderweitig Erlangten oder des böswillig unterlassenen Erwerbs den Gegenleistungsanspruch des Schuldners beseitigt, berechtigt auch eine vom Gläubiger allein zu verantwortende, das Festhalten am Vertrag unzumutbar machende Zweckstörung den Gläubiger zur Vertragsanpassung bzw. -auflösung.237 Diese Unzumutbarkeitsschwelle muss im Normalfall238 der betriebsbedingten Kündigung aufgrund der Risikoübertragung auf den Arbeitnehmer nicht erreicht werden, da dieser durch Vertragsschluss die für ihn unbeherrschbaren Risiken, die den Beschäftigungsbedarf beeinflussen, wie z. B. 236 Mit diesem Ausschlusskriterium arbeitet die h. M. BGH, Urt. v. 31. 05. 2006 – VIII ZR 159/05 – NJW 2006, 2771, 2772; BGH, Urt. v. 15. 10. 1987 – IX ZR 218/86 – WM 1987, 1420; BGH, Urt. v. 13. 11. 1975 – III ZR 106/72 – NJW 1976, 565, 566; BGH, Urt. v. 20. 05. 1970 – VIII ZR 197/68 – NJW 1970, 1313; Erman/Böttcher, § 313 Rn. 23; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 59 ff.; Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 35, 47 ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 47, 49 f.; Medicus, FS Flume, Bd. I, S. 629 ff.; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, S. 141; Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 107, 185. 237 Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 268. 238 Wegfall von Beschäftigungsbedarf durch innerbetriebliche oder außerbetriebliche Gründe.
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unternehmenspolitische Zielsetzung des Arbeitgebers oder wirtschaftliche Entwicklung des Marktes, mitträgt. Wollte der Arbeitnehmer dieses Kündigungsrisiko begrenzen, müsste er auf den Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung hinwirken oder zumindest die Voraussetzungen zu seinen Gunsten erschweren. Z. B. ließe sich das Kündigungsrisiko durch den Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung ab einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit oder bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze abmildern.
II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Die aus Arbeitnehmersicht nachteilige Konzeption ist das Ergebnis des gesetzgeberischen Kompromisses die grundrechtlich geschützten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen in einen Ausgleich zu bringen. Letztere sind in den Art. 12 I, Art. 2 I und Art. 14 I GG niedergelegt und manifestieren sich u. a. in einem Dispositions- und Rentabilitätsinteresse. Konkret enthält die unternehmerische Freiheit das Recht über das „ob“ und „wie“ der unternehmerischen Betätigung frei zu entscheiden, d. h. ein Unternehmen zu gründen, weiterzuführen, einzuschränken, zu vergrößern und zu diesem Zweck geeignetes Personal nach eigenen Vorstellungen auszuwählen.239 Zur unternehmerischen Freiheit gehört auch die Entscheidung, ob Arbeiten weiterhin im eigenen Betrieb oder durch einen Subunternehmer ausgeführt werden sollen.240 Ferner ist es das gute Recht eines Unternehmers sein angestrebtes Unternehmensziel möglichst kostengünstig zu verfolgen.241 Diese verfassungsrechtlichen Aspekte hatte der Gesetzgeber zu berücksichtigen, als er das Kündigungsschutzgesetz als Schranke dieser Grundrechte konstruierte. Weder durfte die unternehmerische Freiheit übermäßig beschränkt noch durfte das Untermaß an arbeitnehmerseitigem Bestandsschutz verletzt werden. Dass der arbeitnehmerseitige Bestandsschutz durch die Verknüpfung störungsfreier Arbeitsleistung mit Kündigungsschutz verwirklicht wird, woraus die Grundwertung des Gesetzes folgt, dem Bestandsinteresse Vorrang einzuräumen, wurde zuvor dargestellt.242 Die Tatsache, dass es die Unternehmer sind, die die Finanzierung der Unternehmung verantworten und alle damit einhergehenden Risiken tragen, bedeutet, dass das Vorhandensein eines einmal zur Verfügung gestellten Arbeitsplatzes nicht dauerhaft sein kann. Vielmehr hängt dies von den unternehmerischen Zielen, vom weiteren Bedarf, von der wirtschaftlichen Entwicklung des Marktes ab. Ergibt sich 239 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 91/98 – BAGE 90, 182, 188; BAG, Urt. v. 05. 02. 1998 – 2 AZR 227/97 – NZA 1998, 771, 773; Bröhl, FS Schaub, S. 55, 66; Papier, RdA 2000, 1, 4; Preis, NZA 1995, 241, 243; Zöllner, Gutachten zum 52. DJT, D 100 f. 240 BAG, Urt. v. 17. 06. 1999 – 2 AZR 522/98 – NJW 2000, 378, 379. 241 BAG, Urt. v. 09. 05. 1996 – 2 AZR 438/95 – BAGE 83, 127, 144 f. 242 Siehe Zweiter Teil unter § 4 D. II.
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dabei eine Bedarfsänderung, so dass der Arbeitsplatz wegfällt, kann es keine Pflicht zur Fortführung eines sinnentleerten Arbeitsverhältnisses geben.243 Stünde Arbeitgebern in den Fällen, in denen der Bedarf weggefallen ist, nur die von einem Fehlverhalten des Arbeitnehmers abhängige oder personenbedingte Kündigung zur Verfügung, wäre deren unternehmerische Freiheit übermäßig beeinträchtigt244, da der verbleibende Entscheidungsspielraum kein flexibles und den Gegebenheiten des Marktes gerechtes Wirtschaften mehr ermöglichte. Ferner führte dies zu sämtlichen arbeitsmarktpolitisch unerwünschten Folgen, die sich letzten Endes negativ auf den nationalen Wirtschaftsstandort245 und damit auf die gesamtvolkswirtschaftliche Lage auswirken würden. Selbst die Zulässigkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung allein unter der Bedingung der wirtschaftlichen Unrentabilität würde ähnliche volkswirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Folglich bedurfte es einer Kündigungsmöglichkeit, die losgelöst von Umständen aus der Arbeitnehmersphäre die Beendigung des Vertragsverhältnisses erlaubt, um einerseits auf die sich ändernden Bedingungen des Marktes reagieren zu können und um andererseits die notwendige Flexibilität zu schaffen, die ein der Innovation und Weiterentwicklung förderliches Agieren erst ermöglicht. Mit der hier zur betriebsbedingten Kündigung getroffenen Regelung zeigt der Gesetzgeber, dass er die Wichtigkeit freier unternehmerischer Betätigung im Hinblick auf den gesamtwirtschaftlichen Nutzen anerkennt und in diesem Sinne notwendige Kündigungen nicht verbietet. Indem sich die Kündigungsbefugnis aus den „betrieblichen Erfordernissen“ ergibt und eine durch das Gericht eigenständig durchzuführende Interessenabwägung entfällt, wird die vom verfassungsgebenden Gesetzgeber vorausgesetzte Interessenabwägung zu Gunsten der unternehmerischen Interessen entschieden: Im Fall der betrieblichen Notwendigkeit einer Kündigung gehen die unternehmerischen Interessen den arbeitnehmerseitigen Bestandsinteressen vor.246
243 BAG Urt. v. 07. 12. 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157, 162; Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz unter dem Firmament der Grundrechtsordnung, S. 42; Gamillscheg, Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 110; Hillebrecht, ZfA 1991, 87, 99; i. d. S. auch Schwarze/Eylert/Schrader/Schwarze, § 1 KSchG Rn. 283, 285. 244 BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290, 363 f.; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 445; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 377 ff. 245 In diesem Sinne auch Zöllner, Arbeitsrecht, § 23 II 3; Borrmann, ArbRGeg, Bd. 24 (1987), S. 71, 73 m. w. N. 246 Zuletzt hat das BAG offengelassen, ob an der bisherigen Rechtsprechung, wonach Interessenabwägungen in Härtefällen zulässig sein sollen, noch festzuhalten ist (BAG, Urt. v. 16. 06. 2005 – 6 AZR 476/04 – NZA 2006, 270, 272). Da die Anforderungen an derartige Härtefälle indes so hoch gesetzt wurden (BAG, Urt. v. 16. 06. 2005 – 6 AZR 476/04 – NZA 2006, 270, 272; BAG, Urt. v. 20. 01. 2005 – 2 AZR 500/03 – NZA 2005, 687, 689), wird die Rechtsprechung wohl keine Anwendung mehr finden; Boewer, FS Gaul, S. 19, 37; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 651; Bitter/Kiel, RdA 1994, 333, 346; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 208 f.; ders., NZA 1995, 241, 248; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 552, 587; LSSW/Schlünder, § 1 KSchG Rn. 333; HaKo-KSchR/Zimmermann, § 1 KSchG Rn. 721; Gamillscheg, Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 88, 109; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 378; Stückmann/
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Indes wird hier trotz des in der Anwendung lediglich nachzuvollziehenden Interessenausgleichs nicht in das Untermaßverbot verletzender Weise in die Arbeitnehmerschutzrechte aus Art. 12 I GG eingegriffen.247 Auch bei der betriebsbedingten Kündigung werden die Arbeitnehmerinteressen hinreichend berücksichtigt. Die betrieblichen Erfordernisse müssen „dringend“ sein.248 Damit wird die betriebsbedingte Kündigung zur ultima ratio.249 Ferner ergibt sich die Berücksichtigung arbeitnehmerseitiger Interessen aus der Anordnung in § 1 III KSchG, wonach die zu kündigenden Arbeitnehmer nach sozialen Gesichtspunkten auszuwählen sind.250 Zu dieser verfassungsrechtlichen Rechtfertigung kommt die bereits beschriebene Rechtfertigung auf zivilrechtlicher Ebene hinzu, die darin besteht, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Arbeitskräftebedarf beide als notwendige vertragliche Grundlage akzeptieren.
III. Folgen für die Berücksichtigung von arbeitgeberseitiger Verantwortung Wie bereits deutlich gemacht, zeichnet sich die betriebsbedingte Kündigung dadurch aus, dass der zur Kündigung berechtigende Umstand originär aus der Verantwortungssphäre des Arbeitgebers stammt. Da neben der vertraglich übernommenen keine arbeitnehmerseitige Verantwortung für die zur betriebsbedingten Kündigung führenden Umstände besteht, kann die dieser Arbeit zugrundeliegende Frage nach arbeitgeberseitiger Mitverantwortung nicht genauso wie bei der personen- und verhaltensbedingten Kündigung gestellt werden, sondern muss dahingehend gestellt werden, ob die vom Arbeitgeber geltend gemachten betrieblichen Erfordernisse noch vom Zweck des § 1 II 1 KSchG gedeckt sind. Eindeutig zu verneinen ist dies in Fällen, in denen sich der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich auf ein betriebliches Erfordernis beruft, etwa bei einer Aufspaltung eines Betriebs in Kohlepp, RdA 2000, 331, 335; a. A. Kühling, AuR 2003, 92. Siehe zum Rechtsprechungswandel Stückmann/Kohlepp, RdA 2000, 331 ff. 247 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; BVerfG, Urt. v. 24. 04. 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 146; Preis, a. a. O., S. 208 f. 248 Preis, a. a. O., S. 208. 249 BAG, Urt. v. 08. 11. 2007 – 2 AZR 418/06 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 528 ff.; SPV/Preis, Zweiter Abschnitt § 2 Rn. 924, wonach aus dem ultima-ratio-Grundsatz folge, dass eine Belastungsgrenze des Arbeitgebers erreicht sein müsse; so i. E. auch ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 234 ff., stellvertretend für viele, der das Merkmal der Dringlichkeit als einen Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip auffasst, beschränkt auf das Vorhandensein gleich geeigneter milderer Mittel, und somit zu gleichen Ergebnissen gelangt. Siehe zu der uneinheitlichen Verwendung der Begriffe ultimaratio, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit auch Stückmann/Kohlepp, RdA 2000, 331, 334 f. 250 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 209; zur Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bereits Molitor, Die Kündigung, S. 230 f.
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mehrere kleine, um Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu entziehen.251 Doch wie sieht es bei einer mutwillig herbeigeführten Insolvenz des Unternehmens aus? Oder der Vereitelung der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers durch die Besetzung freier Stellen im Unternehmen vor Ausspruch der Kündigung? Feststeht, dass bei der Beantwortung dieser Fragen die verfassungsrechtliche Prägung dieser Kündigungsart in Rechnung zu stellen sein wird. Entscheidend wird daher sein, einen Prüfungsmaßstab zu finden, der einerseits Aufschluss über die zu berücksichtigende arbeitgeberseitige Verantwortung gibt und sich andererseits mit der unternehmerischen Freiheit vereinbaren lässt. Dazu wird im Anschluss kurz die gerichtliche Überprüfbarkeit der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung skizziert, um darauf aufbauend die Berücksichtigungsfähigkeit der arbeitgeberseitigen Verantwortung behandeln zu können. 1. Eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit Eine betriebsbedingte Kündigung ist an vier Voraussetzungen gebunden: Zunächst bedarf es einer unternehmerischen Entscheidung (1), die (2) einen Arbeitskräfteüberhang bzw. einen Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten zur Konsequenz hat („dringende betriebliche Erfordernisse“). Sodann darf es keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (3) für den betroffenen Arbeitnehmer geben und (4) muss die Auswahl des zu Kündigenden, falls mehrere Arbeitnehmer in Betracht kommen, anhand der sozialen, in § 1 III KSchG genannten Kriterien erfolgen. a) Kontrollfreiheit der unternehmerischen Entscheidung als Ausprägung von Art. 12 I GG Die unternehmerische Entscheidung ist nicht nur Grundlage und Auslöser einer betriebsbedingten Kündigung; sie ist der Dreh- und Angelpunkt, an dem sich entscheidet, ob das Gewichteverhältnis zwischen arbeitgeberseitigem Dispositionsinteresse und arbeitnehmerseitigem Bestandsinteresse zu Gunsten der einen oder anderen Partei verschoben wird. Der den Arbeitnehmern gewährte Bestandsschutz hängt davon ab, wie weit der Begriff der unternehmerischen Entscheidung reicht. Denn die unternehmerische Entscheidung ist als Produkt der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit in weiten Teilen einer gerichtlichen Kontrolle entzogen.252 Es wird von den Gerichten nicht geprüft, ob die unternehmerische 251 BAG, Urt. v. 29. 04. 1999 – 2 AZR 352/98 – NZA 1999, 932, 934; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590, 593; BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 252 St. Rsp. BAG, Urt. v. 24. 05. 2012 – 2 AZR 163/11 – NZA-RR 2013, 74, 75; BAG, Urt. v. 29. 11. 2007 – 2 AZR 388/06 – NZA 2008, 523, 525 und heute überwiegende Meinung in der Literatur APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 455; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 267; SPV/Preis, Zweiter Abschnitt § 2 Rn. 917; Wettzel, Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit im
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Entscheidung selbst notwendig, zweckmäßig, sozial gerechtfertigt, betriebswirtschaftlich vorteilhaft etc. ist.253 Überprüft werden lediglich die Punkte (2) – (4), also, ob eine unternehmerische Entscheidung umgesetzt wurde, die zu einem Verlust von Beschäftigungsmöglichkeiten geführt hat, so dass im Unternehmen keine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr besteht und schließlich, ob der zu kündigende Arbeitnehmer entsprechend der Vorgaben aus § 1 III KSchG ausgewählt wurde. Grund dieser eingeschränkten und nur in Ausnahmefällen auf den Inhalt der Entscheidung eingehenden Kontrolle ist die bereits oben beschriebene Relevanz der Unternehmerfreiheit im verfassungsrechtlichen Kontext, die ihres Wesens beraubt würde und keine echte Freiheit mehr wäre, gäbe es konkrete gesetzliche Vorgaben zur Unternehmens- und Personalführung.254 Hinzu kommt, dass staatliche Kontrolle nach allgemein anerkannter Auffassung zu einem risikoaversen, gleich betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich schädlichen Verhalten führen würde. Die Erwägungen, die zwecks Ermittlung des vom Vorstand einer Aktiengesellschaft einzuhaltenden Sorgfaltsmaßstabs im Rahmen von § 93 I 2 AktG angestellt wurden, treffen auch auf sämtliche andere, unternehmerisch tätige Arbeitgeber zu, die nicht in der Rechtsform der Aktiengesellschaft organisiert sind.255 Der den Vorstand einer Aktiengesellschaft privilegierende Sorgfaltsmaßstab („Business Judgement Rule“) erklärt sich vor dem Hintergrund, dass der Erfolg eines Unternehmens stets von den Bedingungen am Markt, d. h. vom Verhalten der Konsumenten und der Konkurrenz und den allgemeinen finanzpolitischen Entwicklungen, abhängt.256 Infolgedessen ist das Wirtschaften in einem Betrieb, das Treffen unternehmerischer Entscheidungen, stets mit Unsicherheiten („unvollkommenes Informationssystem“), Prognosen und Risiken verbunden.257 Nichtsdestotrotz ist es Teil des marktwirtschaftlichen Systems, dass gerade der Unternehmer besonders erfolgreich sein kann, der entgegen der allgemeinen Stimmung (bei der Konkurrenz, an den Finanzmärkten etc.) besondere Risiken eingeht.258 Das bedeutet erstens, dass der Maßstab für ein „erlaubtes“ Risiko, da sich dessen Erfolg oder Misserfolg erst im Nachhinein zeigt, aus ex ante Sicht schwer zu Rahmen der betriebsbedingten Kündigung, S. 98; siehe zum Streitstand KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 556 m. w. N. 253 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 550; BAG, Urt. v. 30. 04. 1987 – 2 AZR 184/86 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; BAG, Urt. v. 17. 10. 1980 – 7 AZR 675/78 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10; APS/ Kiel, § 1 KSchG Rn. 455 ff.; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 239; Schwarze/Eylert/Schrader/ Schwarze, § 1 KSchG Rn. 296; Reuter, RdA 2004, 161, 165; Roth, ZIP 2009, 1845, 1847. 254 Siehe Zweiter Teil unter § 2 F. II. 255 So auch Roth, ZIP 2009, 1845, 1847. 256 Pfeffer/Salancik, The External Control of Organizations, S. 23 ff., 62 ff.; Freiling/ Reckenfelderbäumer, Markt und Unternehmung, 1.4.1.4. 257 Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 6; Schweitzer/Baumeister, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 24 f. 258 Vgl. Freiling/Reckenfeldbäumer, Markt und Unternehmung, 2.3.2; Schierenbeck/ Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, S. 458 f.
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bestimmen ist. Zweitens bedeutet es, dass unternehmerische Risikobereitschaft notwendiger Bestandteil einer funktionierenden Marktwirtschaft ist. Gerichtliche Kontrolle würde daher zu einer sog. Risikoaversion führen und damit das wesentliche Element, auf dem marktwirtschaftlicher Erfolg, Innovation und Fortschritt beruhen, zu nichte machen.259 Daher bedarf es eines kontrollfreien unternehmerischen Entscheidungsspielraums sowohl hinsichtlich der Vorstandshaftung gegenüber der Gesellschaft als auch im kündigungsschutzrechtlichen Kontext: Da der Unternehmer das Risiko für den Erfolg seiner Unternehmung trägt260, muss er frei entscheiden können, wie er seine Ziele aus seiner Sicht am besten erreichen kann.261 Aus welchen Motiven, mit welchen Zielen Entscheidungen getroffen werden, die einen Arbeitsplatzverlust zur Folge haben, oder ob es sich dabei um wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen handelt, ob sie zweckmäßig im Hinblick auf die gesetzten Ziele sind, ist daher nicht Gegenstand staatlicher Kontrolle. Schließlich gehört eine Überprüfung unternehmerischer Entscheidungen schlichtweg nicht zum Aufgabenbereich der Arbeitsgerichte.262 Daher findet lediglich eine Rechts- und Missbrauchskontrolle dahingehend statt, ob die getroffene Entscheidung gegen geltendes Recht (tarifvertragliche und betriebliche Regelungen mitinbegriffen) verstößt263 oder offenkundig unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.264 Das ist für solche Fälle zu bejahen, in denen das verfassungsrechtlich geschützte Bestandsschutzgebot willkürlich oder rechtsmissbräuchlich außer Acht gelassen wird.265 Zurückkommend auf das eingangs erwähnte Beispiel, die unternehmerische Entscheidung, einen Betrieb in mehreren kleineren Betrieben fortzuführen, um durch die Verringerung der Arbeitnehmeranzahl pro Betrieb zu erreichen, dass das Kündigungsschutzgesetz gem. § 23 I 2 KSchG keine Anwendung findet, stellt kein betriebliches Erfordernis i. S. v. § 1 II KSchG dar und
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BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 – BGHZ 135, 244, 250; Henssler/Strohn/ Dauner-Lieb, Gesellschaftsrecht, § 93 AktG Rn. 17; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rn. 9; MünchKomm AktG/Spindler, § 93 AktG Rn. 48; Alp, Die Berücksichtigung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, S. 70 f.; Fleischer, FS Wiedemann, S. 827, 829 ff. 260 BAG, Urt. v. 24. 10. 1979 – 2 AZR 940/77 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8. 261 Zustimmend KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 559 f.; Schaub/Linck, § 134 ArbR-Hdb Rn. 28; v. Hoyningen-Huene, NZA 1994, 1009, 1011; Hromadka, ZfA 2002, 383, 388; Roth, ZIP 2009, 1845, 1847; a. A. Reuter, NZA 1989, 241, 243; kritisch Pauly, ZTR 1997, 113, 116. 262 Rost, JbArbR, Bd. 39, 2002, S. 83, 86. 263 BAG, Urt. v. 23. 04. 2008 – 2 AZR 1110/06 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 177; BAG, Urt. v. 18. 12. 1997 – 2 AZR 709/96 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 46; BAG, Urt. v. 24. 04. 1997 – 2 AZR 352/96 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 42. 264 BAG, Urt. v. 30. 04. 1987 – 2 AZR 184/86 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42. 265 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 551; Rost, JbArbR, Bd. 39, S. 83, 87.
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hat daher die Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung zur Folge.266 Die inhaltliche Prüfung der unternehmerischen Entscheidung ist in diesem Fall gerechtfertigt, da die Entscheidung auf eine Umgehung des Kündigungsschutzes abzielt. Dies ist mit dem Zweck von § 1 KSchG, betriebsbedingte Kündigungen zum Abbau nicht benötigter Arbeitsplätze zu ermöglichen, nicht vereinbar. Es ist rechtsmissbräuchlich sich bei anderen Zielen als dem zuvor genannten auf ein betriebliches Erfordernis zu berufen. b) Begriff der unternehmerischen Entscheidung Um den Kündigungsschutz angesichts der sonstigen Kontrollfreiheit unternehmerischer Entscheidungen nicht leerlaufen zu lassen, ist zwischen den einzelnen Entscheidungen zu differenzieren: Denn aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist auch die Entscheidung, einem Arbeitnehmer zu kündigen, eine unternehmerische Entscheidung. Entzöge man diese der gerichtlichen Kontrolle, gäbe es praktisch keinen Anwendungsbereich mehr für das Kündigungsschutzgesetz. Mit Ausspruch der Kündigung gäbe es immer ein betriebliches Erfordernis, auf das der Arbeitgeber seine Kündigung stützen könnte; der Aufwand für eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung würde wohl kaum noch hingenommen werden. Da dies erstens nicht nur auf einen Zirkelschluss hinausliefe, sondern zweitens die Kündigung unüberprüfbar machte, kann die von gerichtlicher Kontrolle freie unternehmerische Entscheidung nicht gleichzeitig die Kündigungsentscheidung sein. Der Begriff ist deshalb in einem kündigungsschutzrechtlichen Kontext zu verstehen. Gemeint sind damit solche Entscheidungen, die die wirtschaftlichen Zielsetzungen des Unternehmens betreffen, und die konkrete betriebliche Organisation, mit der diese Ziele erreicht werden sollen.267 Kontrollfrei ist die Unternehmensstrategie bzw. das unternehmerische Gesamtkonzept, gewissermaßen das, was für das Unternehmen identitätsstiftend ist. Zu Recht hat das BAG daher entschieden, dass die Umstellung des Personalkonzepts von festangestellten Arbeitnehmern auf freie Mitarbeiter der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist.268 Die Umsetzung der Entscheidung berechtige zur Annahme, dass die Entscheidung aus sachlichen Gründen erfolgt ist. In Fällen hingegen, in denen die unternehmerische Entscheidung dem Abbau einer Hierachieebene bzw. einer einzelnen Stelle dient, kann zwar immer noch von einer freien unternehmerischen Entscheidung gesprochen werden, da die 266 BAG, Urt. v. 29. 04. 1999 – 2 AZR 352/98 – NZA 1999, 932, 934; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590, 593; BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 267 BAG, Urt. v. 13. 03. 2008 – 2 AZR 1037/06 – NZA 2008, 878, 880; BAG, Urt. v. 09. 05. 1996 – 2 AZR 438/95 – BAGE 83, 127, 144 f.; siehe zur Abgrenzung der freien unternehmerischen Entscheidung von einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 112 Rn. 22 ff.; Preis, NZA 1995, 241 ff. 268 BAG, Urt. v. 13. 03. 2008 – 2 AZR 1037/06 – NZA 2008, 878, 880; BAG, Urt. v. 09. 05. 1996 – 2 AZR 438/95 – BAGE 83, 127, 144 f.
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Verteilung des Gesamtarbeitsvolumens einerseits Teil des unternehmerischen Gesamtkonzepts ist. Andererseits ist die Entscheidung nahezu deckungsgleich mit der Kündigung selbst, so dass ein vollständiger Rückzug der gerichtlichen Kontrolle zu einem Verlust von Bestandsschutz führen würde. Daher erfordert eine solche Entscheidung einen erhöhten Darlegungs- und Begründungsaufwand seitens des Arbeitgebers dahin gehend, dass der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist, was der Fall ist, wenn die bisherigen Arbeiten vom übrigen Personal ohne überobligatorische Belastung miterledigt werden können.269 c) Erforderlichkeitsprüfung Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine unternehmerische Entscheidung vorliegt, die zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führt und nicht rechtsmissbräuchlich ist, ist damit das nach § 1 II KSchG betriebliche Erfordernis gegeben. Ausweislich des gesetzlichen Wortlauts muss das betriebliche Erfordernis „dringend“ sein. Darunter ist eine durch das Gericht vorzunehmende Prüfung zu verstehen, ob der Überhang der Beschäftigungskapazität nicht durch andere weniger belastende Mittel auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet abgefangen werden kann.270 Dazu gehören gem. § 1 II 3 KSchG zumutbare Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen, die die Weiterarbeit im Unternehmen auf einem freien Arbeitsplatz gewährleisten können.271 Es folgt mithin eine Erforderlichkeitsprüfung, wobei jedoch nicht die Erforderlichkeit der unternehmerischen Entscheidung geprüft wird, sondern jene der Kündigung als Umsetzung der Entscheidung. Hier gilt aufgrund der Nähe zur unternehmerischen Freiheit, dass die Gerichte hinsichtlich von arbeitsplatzerhaltenden Alternativmaßnahmen nur eingeschränkt Vorgaben machen können.272 Die Einführung des § 2 II 2 Nr. 2 SGB III, wonach Arbeitgeber eine sog. Arbeitsmarktverantwortung haben, also bei ihren Entscheidungen die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt berücksichtigen und insbesondere Entlassungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vermeiden sollen, hat daran nichts geändert.273 Das bedeutet konkret, dass sich der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der abgestuften 269 BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 598/01 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123; BAG, Urt. v. 27. 09. 2001 – 2 AZR 176/00 – AP KSchG 1969 § 14 Nr. 6; BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 598/01 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123. 270 BAG, Urt. v. 08. 11. 2007 – 2 AZR 418/06 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157; BAG, Urt. v. 21. 04. 2005 – 2 AZR 132/04 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 79; APS/ Kiel, § 1 KSchG Rn. 542; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 235; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 306 ff.; Wank, RdA 1987, 129, 136. 271 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 379 ff.; vertiefend Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 164 ff. 272 APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 455; LKB/Krause, § 1 Rn. 701, 726. 273 KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 567 m. w. N.; ausführlich dazu Beige, Die Wirkung von § 2 SGB III auf das Arbeitsrecht, S. 27 ff.
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Darlegungs- und Beweislast zunächst darauf berufen kann, dass keine milderen Mittel vorhanden waren. Danach obliegt es dem Arbeitnehmer mildere Mittel zu benennen. Sodann ist es Sache des Arbeitgebers zu begründen, warum diese Mittel nicht umgesetzt werden konnten.274 Ist die Begründung schlüssig, beispielsweise wenn wegen dauerhaft zu erwartenden Nachfragerückgangs der Beschäftigungsüberhang nicht mit Kurzarbeit überbrückt werden kann, ist die Dringlichkeit der betrieblichen Erfordernisse und damit die Unvermeidbarkeit der Kündigung anzunehmen. Das Gericht würde in dem Beispiel also keine eigenen Prognosen zu Absatzmöglichkeiten und entsprechender Eignung von Kurzarbeit als alternatives Mittel anstellen.275 Es lässt sich somit zusammenfassen, dass sich die gerichtliche Kontrolle auf das „Wie“ der betriebsbedingten Kündigung beschränkt; das „warum“ der Kündigung ist als Teil der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit den Gerichten vorenthalten; zu einer gerichtlichen Entscheidung über das „ob“ der Kündigung kommt es nur auf mittelbarem Wege: wenn zu klären ist, ob der Arbeitskräftebedarf entfallen ist. 2. Eingeschränkte Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Verantwortung Die Konsequenz, die aus der Anerkennung der Kontrollfreiheit der Unternehmerentscheidung herrührt, könnte sein, dass arbeitgeberseitige Verantwortung gar nicht geprüft werden könnte. Alle Umstände, die die unternehmerische Entscheidung beeinflusst haben, könnten nicht berücksichtigungsfähig sein.276 Umstände, die den Unternehmer zu einer zur Kündigung führenden Entscheidung veranlasst haben, wie etwa eigene Fehlentscheidungen, weil Entwicklungen am Markt nicht erkannt wurden, Preise falsch kalkuliert wurden oder weil ein insgesamt marktschädigendes, betrügerisches Verhalten an den Tag gelegt wurde277, das seitens der Aufsichtsbehörden mit hohen Geldstrafen sanktioniert wurde, und infolgedessen das Unternehmen erst in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, blieben bei der kündigungsschutzrechtlichen Betrachtung vollkommen außer Acht.278 Demzufolge dürfte auch nicht berücksichtigt werden, dass der Beschäftigungsüberhang darauf beruht, 274 BAG, Urt. v. 08. 11. 2007 – 2 AZR 418/06 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157; BAG, Urt. v. 15. 08. 2002 – 2 AZR 195/01 – NZA 2003, 430, 431; BAG, Urt. v. 24. 03. 1983 – 2 AZR 21/82 – EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21. 275 So i. E. auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 528 f.; Preis, NZA 1995, 241, 247. 276 So LAG Köln, Urt. v. 25. 08. 1994 – 6 Sa 152/94 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 27; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 571; NK-GA/Weber, § 1 Rn. 1102 jeweils unter Bezugnahme auf das genannte Urteil. 277 Angelehnt an den „VW-Abgasskandal“ siehe Zweiter Teil unter § 3 D. III. 1. 278 So im Fall des LAG Köln, Urt. v. 25. 08. 1994 – 6 Sa 152/94 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 27, in dem ein Polier eines Maurerbetriebs entlassen werden musste, weil das Unternehmen wegen der schlechten betriebswirtschaftlichen Situation, in die es durch Fehldispositionen des Arbeitgebers geraten war, nicht mehr mit zwei Polieren, sondern nur noch mit einem von ihnen arbeiten konnte.
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dass der Arbeitgeber seinen Personalbedarf vor Einstellung falsch eingeschätzt oder es unterlassen hat, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen, so dass ein betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot besteht. Dies widerspräche dem zivilrechtlichen Gebot, wonach niemand aus seinem eigenen Fehlverhalten Vorteile ziehen darf.279 Es muss daher zumindest sicher gestellt sein, dass die Kündigung Resultat des Risikos ist, das der Arbeitnehmer im Rahmen des Vertragsabschlusses übernommen hat. Um arbeitgeberseitiges Fehlverhalten aus dem vom Arbeitnehmer zu tragenden Beschäftigungsrisiko herauszufiltern, wird zwischen betriebswirtschaftlichem, dem vertraglichen und betriebsverfassungsrechtlichen Verhalten des Arbeitgebers zu differenzieren sein. Insoweit reicht selbst das Gewicht der unternehmerischen Freiheit nicht aus, um Grenzüberschreitungen – die von den Parteien vereinbarte Risikoverteilung ist die Grenze des im Rahmen der unternehmerischen Entscheidung Zulässigen – zu rechtfertigen. Daneben sind Grundprinzipien des rechtsgeschäftlichen Verhaltens, die sich aus Treu und Glauben herleiten280, die Ausdruck von Parteiinteressen ausgleichender Gerechtigkeit sind und die der Rechtssicherheit dienen281, zu beachten. Auf Grundlage dieses Gedankens lässt sich die Berücksichtigung arbeitgeberseitiger Verantwortung aufgrund unternehmerischer (Fehl-)Entscheidungen, wie nachfolgend darzustellen sein wird, rechtfertigen282. Die unternehmerische Freiheit gem. Art. 12 I GG wird nicht schrankenlos gewährleistet. Sie unterliegt den verfassungsrechtlich zulässigen Einschränkungen der einfachen Gesetze283, wozu das Kündigungsschutzgesetz zählt. Verfassungsrechtlich zulässig wären aber auch Vorgaben, die vom Arbeitgeber verlangen, die betriebswirtschaftliche Zweckmäßigkeit darzulegen, oder die Kündigungen in wirtschaftlich guten Phasen einschränken.284 Das Kündigungsschutzgesetz in seiner derzeitigen Ausgestaltung reicht so weit nicht, da es vornehmlich dem Schutz vor nicht notwendigen Kündigungen dient285. Die unternehmerische Freiheit erstreckt sich somit auf den Ausspruch der notwendigen Kündigungen.
279 Diesen allgemeinen Rechtsgedanken bringt § 162 II BGB zum Ausdruck; st. Rspr. BGH, Beschl. v. 30. 01. 2003 – III ZR 270/02 – NJW 2003, 1459, 1460; BGH, Urt. v. 22. 09. 1983 – VII ZR 43/83 – NJW 1984, 230; BGH, Urt. v. 30. 09. 1963 – VII ZR 39/62 – NJW 1964, 36, 37; Erman/Armbrüster, § 162 Rn. 7; Soergel/Wolf, § 162 Rn. 1; Staudinger/Bork (2020), BGB § 162 Rn. 1; Flume, BGB AT II, § 40 1 b; Ganns, Die analoge Anwendung des § 162 BGB, S. 138 ff. 280 BVerfG, Beschl. v. 13. 11. 1990 – 1 BvR 275/90 – BVerfGE 83, 82, 86; MünchKomm BGB/Westermann, § 162 Rn. 1; Flume, BGB AT II, § 40 1 b. 281 Erman/Böttcher, § 313 Rn. 16, 22 m. w. N. 282 So auch Herschel/Steinmann, Kündigungsschutzgesetz, § 1 Rn. 41. 283 Siehe dazu ausführlich Sachs/Mann, GG Art. 12 Rn. 125 ff. 284 KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 560. 285 Begründung des Regierungsentwurfs zum KSchG 1951, BT-Drs. 1/2090, S. 11.
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a) Rechtsmissbräuchliche Kündigungen Zu den nicht notwendigen Kündigungen zählen zuallererst die, die in rechtsmissbräuchlicher Weise ausgesprochen werden. Die inhaltliche Kontrolle bezieht sich dabei auf evident rechtsmissbräuchliche Motive („offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich“).286 Liegt, wie im Fall des Missbrauchs häufig, eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes vor, ist letzten Endes maßgebliches Prüfungskriterium, ob sich der Beschäftigungsbedarf verringert hat oder gleichgeblieben ist.287 Die Aufspaltung eines Betriebs in mehrere kleine Teile, um den Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu entziehen288, verändert den Beschäftigungsbedarf ebenso nicht wie die Gründung einer finanziell, rechtlich und organisatorisch selbstständigen Gesellschaft, die dazu dient, neue, preiswertere Arbeitnehmer in zuvor „stillgelegten“ Arbeitsbereichen zu beschäftigen.289 Dadurch, dass die gerichtliche Kontrolle im Kern darauf gerichtet ist, den Fortfall von Beschäftigungsbedarf zu überprüfen, kann von einer tiefgreifenden Kontrolle, wodurch das unternehmerische Handeln eingeschränkt würde, gerade nicht die Rede sein. b) Betriebsverfassungsrechtliches Beschäftigungsverbot An zweiter Stelle auf einer Skala, die die Vorwerfbarkeit des Herbeiführens des Beschäftigungsüberhangs abbildet, stünden solche Handlungen, bei denen der Beschäftigungsüberhang auf einem vom Arbeitgeber verschuldeten Verstoß gegen § 99 I BetrVG basiert. Verletzt der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung oder Versetzung eines Arbeitnehmers, indem er einen Arbeitsvertrag oder eine Vertragsänderung bereits vor der Unterrichtung des Betriebsrats abschließt, und verweigert der Betriebsrat die Zustimmung sowie die Beschäftigung des Arbeitnehmers, führt die (aus rechtlichen Gründen) fehlende Beschäftigungsmöglichkeit zu einem Beschäftigungsüberhang, den der Arbeitgeber durch eigenes Fehlverhalten herbeigeführt hat. In der Literatur wird vertreten, dass sich der Arbeitgeber nicht auf das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot berufen kann, um die betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Die Kündigung stelle in einem solchen Fall ein venire contra factum proprium dar.290 Es wird zu klären sein, ob der Ausschluss des Kündigungsrechts und in der Konsequenz ein wirtschaftlich absolut unrentabler Vertrag richtig sind. Bejahte man dies, würde das Fehlverhalten einen vollständigen Verlust der unternehmerischen Freiheit be286 St. Rspr. BAG, Urt. v. 29. 08. 2013 – 2 AZR 809/12 – NZA 2014, 730, 731; BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 551 (Rheumaklinik); BAG, Urt. v. 30. 04. 1987 – 2 AZR 184/86 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; NK-GA/Weber, § 1 KSchG Rn. 1104; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 6 Rn. 58 f. 287 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 551. 288 BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590, 593. 289 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 551. 290 Richardi BetrVG/Thüsing, § 99 Rn. 332; Richardi, DB 1973, 428, 430; Wiedemann, Anm. zu BAG, Urt. v. 14. 06. 1972 – 4 AZR 315/71 – AP BAT §§ 22, 23 Nr. 54.
§ 2 Bedeutung der Verantwortung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
101
deuten. Trotz geringerer Verantwortlichkeit als in den zuvor dargestellten Missbrauchsfällen fiele der Eingriff in die unternehmerische Freiheit intensiver aus. c) Betriebswirtschaftliches Fehlverhalten Soll der Kontrollmaßstab mit dem Grad der Verantworltichkeit des Arbeitgebers korrespondieren, ließe sich bei dem hier auf dritter Stufe genannten Fall, einem betriebswirtschaftlichen Fehlverhalten, das mit einem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs in Zusammenhang steht, an eine Evidenzkontrolle denken. Sollten sich dabei evidente Managementfehler zeigen, spräche der sodann vom Arbeitgeber zu widerlegende Anschein für einen Zusammenhang zwischen Vorverhalten und Kündigungsentscheidung, welcher vermuten ließe, dass bei ordnungsgemäßem Verhalten eine Kündigung vermeidbar gewesen wäre. Setzte man „vermeidbar“ mit „offensichtlich nicht notwendig“ gleich, ließe sich eine Evidenzkontrolle des arbeitgeberseitigen Verhaltens auf Wirtschaftlichkeit auch mit dem Schutzweck des Kündigungsschutzgesetzes vereinbaren. Der mit der Prüfung untrennbar verbundene Eingriff in die unternehmerische Freiheit ließe sich damit rechtfertigen, dass es sich um einen Eingriff lediglich geringer Intensität handelt, denn korrespondierend zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit beschränkt sich die Kontrolle auf evidente Fehler, deren Vorliegen wiederum nach anerkannten betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung zu beurteilen wäre, die bereits zur Beurteilung des Verhaltens von Vorständen im Rahmen von § 93 I AktG herangezogen werden.291 Das Kontrollraster, wonach unternehmerische Entscheidungen als Fehlentscheidungen zu bezeichnen wären, enthielte entsprechend hohe Hürden, so dass weiterhin ein großer Freiraum für unüberprüfbare Entscheidungen verbliebe, und wodurch der Fokus auf solche unternehmerischen Entscheidungen gerichtet würde, die aus jedermanns Sicht potentiell unternehmensschädigend erscheinen, deren Fehlerhaftigkeit für das Management also erst recht leicht erkennbar ist. Da bei solchen auch mit Schadensersatzforderungen der Gesellschaft gegenüber dem Management gerechnet werden müsste292, stellte die Einhaltung dieser Grundsätze zumindest für Vorstände einer Aktiengesellschaft und Geschäftsführer einer GmbH keine zusätzliche Einschränkung dar. Ferner könnte durch Zugrundelegung der Wertungsmaßstäbe, auf die auch Wirtschaftsprüfer zurückgreifen, gewährleistet werden, dass eine Kontrolle der Arbeitsgerichte im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen keine zusätzliche Einschränkung der unternehmerischen Freiheit darstellen würde. Damit die unternehmerische Entscheidungsfreiheit weitestgehend wenig beeinträchtigt würde, wären bei der Bewertung des Verhaltens weitere Vorgaben zu beachten, wobei erneut
291 MünchKomm AktG/Spindler, § 93 Rn. 45, 48; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG I § 93 Rn. 50 m. w. N. 292 Siehe § 93 AktG, § 43 GmbHG.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 93 I, II AktG zurückgegriffen werden könnte293 : Ähnlich der Prüfung des Schadensersatzanspruchs gegen Vorstandsmitglieder gem. § 93 II 1 AktG wäre aus ex ante Sicht zu prüfen294, so dass unvorhersehbare Ereignisse, wie etwa plötzliche Konjunkturumschwünge, Handelsembargos, Wirtschaftskrisen etc., nicht zum Nachteil des Arbeitgebers berücksichtigt werden können. Der zugrunde zu legende Verschuldensmaßstab wäre ein solcher, der sich entsprechend § 93 I 1 AktG an der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters orientiert. Dabei wäre in Anlehnung an die Business Judgement Rule zu berücksichtigen, dass risikobehaftete Unternehmensgeschäfte grundsätzlich legitim, geradezu erwünscht, folglich wesentlich für unternehmerische Entscheidungen sind.295 Allein aus der Tatsache, dass ein Arbeitgeber ein „übliches“ Risiko eingegangen ist, könnte ihm daher noch kein Vorwurf gemacht werden.296 Ferner könnten zur Einordnung des Vorverhaltens die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung herangezogen werden297, welche sich mit Hilfe von Fallgruppen konkretisieren ließen.298 Die Entscheidung des LAG Köln299 geht davon aus, dass das Vorverhalten eines Arbeitgebers, wie falsche Preiskalkulation, technische oder organisatorische Mängel, riskante Finanzierungen, nicht in der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung berücksichtigt werden könne, weil der der gerichtlichen Kontrolle unterliegende Prüfungsgegenstand nur der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs sei. Dem ist entgegen zu halten, dass unter Zugrundelegung des vertraglich Vereinbarten als Prüfungsmaßstab immer dann eine Berücksichtigungsmöglichkeit gegeben ist, wenn das betroffene Verhalten nicht als Risiko vom Arbeitnehmer übernommen wurde. Darüber hinaus verkennt das Gericht, dass in Ausnahmefällen, wie Rechtsmissbrauch, die unternehmerische Entscheidung selbst der Kontrolle des Gerichts zugänglich ist300. Es wird darzulegen sein301, ob und ggf. inwieweit die Herbeifüh293
Vgl. Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 6 Rn. 59. MünchKomm AktG/Spindler, § 93 Rn. 36, 43; Fleischer, FS Immenga, S. 575, 579; ders., NZG 2011, 521, 522; Spindler, AG 2006, 677. 295 Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, GesellschaftsR, § 93 AktG Rn. 21; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rn. 18; Dauner-Lieb, FS Röhricht, S. 83, 95; Kolb, DZWIR 2006, 50, 53; Winnen, Die Innenhaftung des Vorstands nach dem UMAG, S. 189 ff. 296 BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 – BGHZ 135, 244, 253 (ARAG/Garmenbeck); OLG Frankfurt, Urt. v. 07. 12. 2010 – 5 U 29/10 – DB 2010, 2788, 2793; Hölters, § 93 AktG Rn. 32; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rn. 7; Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, GesellschaftsR, § 93 AktG Rn. 17 f. 297 Ausführliche Darstellung bei v. Werder, ZfbF Sonderheft 36/1996, 1 ff., 27 ff. 298 Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. III. 299 LAG Köln, Urt. v. 25. 08. 1994 – 6 Sa 152/94 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 27. 300 Siehe Zweiter Teil unter § 2 F. III. 2. a). 301 Siehe Dritter Teil unter § 8 A. 294
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rung der kündigungsrelevanten Umstände durch betriebswirtschaftliches Fehlverhalten des Arbeitgebers berücksichtigt werden kann. d) Änderung der Arbeitsanforderungen Änderungen der Arbeitsanforderungen können dazu führen, dass sich die konkrete Form des Arbeitsbedarfes derart ändert, dass eine bisher von einem Arbeitnehmer wahrgenommene Tätigkeit entfällt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn manuelle Tätigkeiten durch maschinelle oder robotergesteuerte Prozesse ersetzt werden. An die Stelle des Bedarfs von händischer Arbeit tritt der Bedarf von ITDiensten. Ändert der Arbeitgeber das Anforderungsprofil der Stelle oder verlangt nach höheren Qualifikationen, die der Arbeitnehmer nicht besitzt, hat dies zur Folge, dass der Bedarf hinsichtlich der Fähigkeiten, weswegen der Arbeitnehmer eingestellt worden ist, entfällt. Hierbei zeigt sich besonders deutlich, dass das Kündigungserfordernis von den Entscheidungen des Arbeitgebers bedingt ist.302 Vom akzeptierten Normalfall der betriebsbedingten Kündigung, bei der der Arbeitgeber kündigen kann, weil der zur Grundlage des Vertrags gemachte Beschäftigungsbedarf entfallen ist, weicht diese Konstellation insoweit ab, als dass der Bedarf des Arbeitgebers nicht ersatzlos entfällt, sondern sich der neue Bedarf immer weiter von den bei Vertragsschluss zu Grunde gelegten Vorstellungen der Parteien und vorhandenen Qualifikationen des Arbeitnehmers entfernt, was allein auf die sich geänderten Verwendungsabsichten des Arbeitgebers zurückzuführen ist, in deren Risikoübernahme der Arbeitnehmer beim Vertragsschluss anders als bezüglich des Bedarfs als solchem nicht einwilligt. War der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss ausreichend qualifiziert, die nachträgliche Änderung nicht vorhersehbar, so dass sie von ihm als nicht geschuldet gilt und der Eignungsmangel nicht seiner Sphäre zugeordnet werden kann, weswegen eine personenbedingte Kündigung ausscheidet, kann dies nicht durch eine betriebsbedingte Kündigung unterlaufen werden.303 Deshalb muss die arbeitgeberseitige Verantwortung, die sonst im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung unschädlich ist und die von der arbeitnehmerseits bei Vertragsschluss erteilten Einwilligung nicht mehr umfasst ist, berücksichtigt werden. Diesen Gedanken bringt § 1 II 3 KSchG zum Ausdruck, der die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers in die Prüfung der von diesem zu bewältigenden Anstrengungen im Rahmen des milderen Mittels integriert.304
302 Wenn z. B. durch Einführung eines Qualitätsmanagement-Systems, wodurch deutsche Sprachkenntnisse Bestandteil des Anforderungsprofils werden, ein nicht deutschsprachiger Arbeitnehmer gekündigt werden soll, stammt die maßgebliche Störquelle aus der Sphäre des Arbeitgebers (LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898/98 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55). 303 LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898/98 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55. 304 Siehe Dritter Teil unter § 8 C. III.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Die Prüfungstiefe und Berücksichtigungsmöglichkeiten arbeitgeberseitiger Verantwortung sind im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung durch die unternehmerische Freiheit stark eingeschränkt. Auswirkungen der arbeitgeberseitigen Verantwortung auf das Kündigungsrecht sind, wie sich aus § 1 II 3 KSchG ergibt, aber nicht völlig ausgeschlossen. Insbesondere wegen bestehender Umschulungs-, Fortbildungs- und Weiterbeschäftigungspflichten kann die Möglichkeit der Kündigung erschwert sein.
G. Ergebnis Die Zurechenbarkeit ist das Ergebnis einer Wertung, wonach jemand für ein Verhalten oder einen Zustand verantwortlich ist. Die Zurechnung erfolgt nach verschiedenen Zurechnungsregeln. Es gibt verschuldensabhängige und verschuldensunabhängige Verantwortung. Letztere wiederum kann sich aus gesetzlicher oder vertraglicher Zuweisung ergeben. Die Verantwortung für einen Kündigungsgrund hat im Kündigungsschutzgesetz deshalb eine erhebliche Bedeutung, weil das Gesetz zum Schutz des Arbeitsverhältnisses als Bestandsschutzgesetz ausgestaltet ist und Durchbrechungen dieses Bestandsschutzes nur in Fällen von arbeitnehmerseitiger Verantwortung zulässt. Diese Fälle manifestieren sich in den personen-, verhaltensbezogenen und betriebsbedingten Störungen, wobei Letztere, da es sich um eine Verwendungsstörung handelt, aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt. Eine personen- oder verhaltensbezogene Störung besteht in einem Abweichen von der vertraglich vereinbarten Leistung. Sie reicht von der mangelhaft erbrachten Arbeitsleistung (Schlechtleistung) bis hin zum Totalausfall der Arbeitsleistung (Nichtleistung) zunächst unter fortlaufenden Bezügen und später ohne Entgeltfortzahlung. Darüber hinaus kann es zu Störungen im Vertrauensbereich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kommen, die dadurch, dass sie zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit und Eignung des Arbeitnehmers veranlassen, ebenfalls den Leistungsaustausch beeinträchtigen. Damit eine Kündigung wirksam ist, also in zulässigerweise den Bestandsschutz aufhebt, muss die kündigungsrelevante Störung vom Arbeitnehmer zu verantworten sein. Die Verantwortung für die personenbezogene Störung liegt beim Arbeitnehmer, da dieser schon aufgrund des allgemeinen Lebensrisikos das Risiko für seine Person, d. h. Eignung und Leistungsfähigkeit, trägt. Die verhaltensbezogene Störung ist vom Arbeitnehmer zu verantworten, wenn er schuldhaft seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Für die betriebsbedingte Störung trägt der Arbeitnehmer die Verantwortung, soweit er durch den Vertragsschluss das Risiko für betriebsbedingte Kündigungen übernommen hat.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers Während oben die gesetzlich gedachte Ausgangssituation bezüglich der Verteilung der Verantwortung an der Entstehung des Kündigungsgrundes dargestellt wurde305, geht es hier um die Situationen, in denen der Arbeitgeber den Kündigungsgrund zu verantworten hat. Da der Arbeitgeber als Empfänger der Arbeitsleistung der Gläubiger ist, geht es folglich um die Verantwortung des Gläubigers. Hierbei ist in einem ersten Schritt der Frage nachzugehen, ob der Begriff der Verantwortung deckungsgleich mit dem ist, wenn er in Bezug auf die Verantwortung des Schuldners gebraucht wird. Sodann ist auf die einzelnen Umstände aus dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers einzugehen, die zur Entstehung des Kündigungsgrundes geführt haben können.
A. Allgemeine Gläubigerverantwortung Dass das Arbeitsverhältnis kein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis306, sondern ein schuldrechtlicher Austauschvertrag ist, ist heute die ganz überwiegend vertretende Auffassung307; spätestens seitdem der Arbeitsvertrag durch § 611a BGB im BGB geregelt ist. Die Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis, wonach über §§ 241 II, 242 BGB hinausgehende Rechte und Pflichten für das Arbeitsverhältnis maßgeblich sein sollen, um dessen gemeinschaftsbezogenem Charakter gerecht zu werden, steht der Anwendung der Vorschriften des BGB über Schuldverhältnisse jedenfalls nicht entgegen. Folglich gilt dies auch bei der Klärung der Frage des arbeitgeberseitigen „Mitverschuldens“. Erstes Manko: Eine Norm, die das „Verschulden“ des Gläubigers regelt, gibt es im BGB nicht. § 276 BGB bezieht sich ausschließlich auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Stattdessen spricht der Gesetzgeber bezüglich des „Verschuldens“ des Gläubigers von „Gläubigerverantwortlichkeit“308. Daraus folgt das zweite Manko: Die Gläubigerverantwortung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Klärung bedarf. Relevant wird die Frage der Gläubigerverantwortlichkeit z. B. beim Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB), beim Rücktritt (§ 323 VI BGB) und bei der Befreiung von der Gegenleistung wegen Unmöglichkeit (§ 326 II BGB). Zur Begriffsklärung haben sich in Rechtsprechung und Literatur Fallgruppen gebildet, die schon zur ähnlich lautenden Vorgängervorschrift des § 326 II BGB (§ 324 I BGB a. F.) entstanden sind
305 306
Nr. 2.
Siehe Dritter Teil unter § 6 C., D. Vgl. BAG, Urt. v. 10. 11. 1955 – 2 AZR 591/54 – AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht
307 Heute herrschende Auffassung siehe Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 6 Rn. 127. 308 Siehe §§ 323 VI, 326 II BGB.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
und auf die heute noch zurückgegriffen wird309. In struktureller Hinsicht ergeben sie ein Spiegelbild der in § 276 I BGB für den Schuldner geregelten Zurechnungsformen. Da § 276 BGB in seiner heutigen Form erst im Zuge der Schuldrechtsreform eingeführt wurde, kann darin nicht der Ursprung der Fallgruppen gesehen werden. Nichtsdestotrotz gab es im alten BGB bereits die Unterteilung zwischen Verantwortung für Pflichtverletzungen und Verantwortung für Obliegenheiten, so dass auch das sich aus den Fallgruppen ergebende Zurechnungsregime zwischen der Verantwortung für Fehlverhalten und der Verantwortung für gesetzlich zugewiesene und vertraglich übernommene Risiken unterteilt; mithin auf eine entsprechende Anwendung des § 276 I BGB auf das Gläubigerverhalten hinausläuft.
I. Verantwortung für Pflichtverletzungen Wie den Schuldner treffen den Gläubiger echte Pflichten, z. B. die Pflicht zur Abnahme und Bezahlung der Kaufsache (§ 433 II BGB) oder Nebenpflichten wie die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen und Rechtsgüter der Gegenseite (§ 241 II BGB). Bei einem Fehlverhalten, das einen derartigen Pflichtverstoß zum Inhalt hat, kann § 276 I BGB daher unmittelbar angewendet werden.310 Danach hat der Gläubiger Vorsatz und Fahrlässigkeit gleichermaßen wie der Schuldner zu verantworten.
II. Verantwortung für die Verletzung von Obliegenheiten Während der Begriff des Vertretenmüssens aus § 276 I BGB mit einer Pflichtverletzung korrespondiert311, ist der Begriff des Verantwortens weiter. Dieser bezieht sich auch auf Obliegenheiten312, die den Gläubiger treffen, wie z. B. am Austausch
309 Jauernig/Stadler, § 326 BGB Rn. 15; vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 326 Rn. 52; NKBGB/Dauner-Lieb, § 326 Rn. 13; Palandt/Grüneberg, § 326 Rn. 9; Soergel/Gsell, § 326 Rn. 42 ff.; Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 121; zum Streitstand bei § 324 BGB a. F. siehe Kern, AcP 200 (2000), 684, 687 ff. 310 BeckOK/Schmidt, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 326 Rn. 14; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 20; für eine entsprechende Anwendung des § 276 I BGB siehe Jauernig/Stadler, § 326 BGB Rn. 14; HK-BGB/Schulze, § 326 Rn. 10; Canaris, FS Picker, 2010, S. 113, 116; Kohler, AcP 203 (2003), 539, 558; a. A. Soergel/Gsell, § 326 Rn. 55. 311 Der Hauptanwendungsfall ist § 280 I BGB. Ebenfalls auf das Vetretenmüssen stellen die §§ 275 II 2, 286 IV, 309 Nr. 7a u 8a, 536a, 538 u 651f I BGB ab, so dass verallgemeinernd von Pflichtverletzung als Anknüpfungspunkt gesprochen werden kann. 312 BeckOK/Schmidt, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 326 Rn. 14; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 15; Emmerich, Leistungsstörungen, § 11, Rn. 5 ff.; vgl. NK-BGB/ Dauner-Lieb, § 326 Rn. 13, wonach sich die Verantwortung auf vom Gläubiger zu vertretende Verstöße gegen § 241 II BGB beziehe.
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der Leistung mitzuwirken313 oder zumindest diesen nicht zu gefährden314. Im Gegensatz zur Einhaltung von Pflichten, worauf ein klagbarer Anspruch besteht bzw. deren Nichteinhaltung mit der Haftung auf Schadensersatz sanktioniert werden kann, führen Obliegenheitsverletzungen zu einem Rechtsverlust zum eigenen Nachteil. Bei Mitwirkungsdefiziten, d. h. die Leistung wäre prinzipiell möglich, scheitert jedoch an der fehlenden Mitwirkung des Gläubigers, wie z. B. der Annahme, tritt der Rechtsnachteil verschuldensunabhängig ein315. Dies lässt sich §§ 293 – 304 BGB entnehmen, da es deren Regelungen nicht bedurft hätte, wäre der Gesetzgeber von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgegangen. Selbst wenn der Vertrag keine aktive Mitwirkung des Gläubigers vorsieht, trifft ihn die Verantwortung durch seine zustimmende Erklärung zum Vertragsschluss316 die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass an ihn geleistet werden kann. Sämtliche Umstände mit Bezug zum Erfüllungsvorgang bzw. zum vertraglichen Verhaltensprogramm fallen damit – unabhängig von einem Verursachungsbeitrag des Gläubigers317 – in dessen Verantwortungsbereich. Für den Arbeitsvertrag speziell geregelt ist der Annahmeverzug in § 615 S. 1 BGB.
III. Verantwortung für übernommenes Risiko Ferner hat der Gläubiger für solche Risiken einzustehen, deren Übernahme er ausdrücklich oder konkludent im Vertrag zugesichert hat, welches mit Hilfe der allgemeinen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln ist.318 Dem Gedanken des § 276 I 1 2. HS BGB folgend, wonach der Schuldner das Beschaffungsrisiko übernehmen kann, kann ein solches vom Gläubiger zu tragen sein, etwa wenn er durch sein Handeln Voraussetzungen, auch gegenüber Dritten, zu schaffen hat, die notwendig sind, damit der Schuldner seine Leistung ordnungsgemäß er-
313
Vgl. MünchKomm BGB/Ernst, § 326 Rn. 59 ff.; Emmerich, Leistungsstörungen, § 11 Rn. 11 ff. 314 BGH, Urt. v. 31. 10. 1962 – V ZR 24/61 – BGHZ 38, 187, 192; Brox/Walker, SchuldR AT, § 22 Rn. 37. 315 BGH, Urt. v. 11. 04. 1957 – VII ZR 280/56 – BGHZ 24, 91, 96; MünchKomm BGB/ Ernst, § 293 Rn. 21; Palandt/Grüneberg, § 293 Rn. 10; Hüffer, Leistungsstörungen durch den Gläubiger, S. 19 f. 316 Siehe Zweiter Teil unter § 2 A. IV. 3. d). 317 MünchKomm BGB/Ernst, § 326 Rn. 62; Soergel/Gsell, § 326 Rn. 55; Dötterl, Wann ist der Gläubiger für die Unmöglichkeit verantwortlich?, S. 40 f.; für ein „Verschulden gegen sich selbst“ analog § 276 BGB nach Maßgabe eines durchschnittlichen, auf die Wahrung seiner Interessen bedachten Gläubigers Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 21; Westermann/Bydlinski/Weber, BGB-SchuldR AT, § 7 Rn. 7/74. 318 BGH, Urt. v. 13. 01. 2011 – III ZR 87/10 – BGHZ 188, 71, 77; BGH, Urt. v. 18. 10. 2001 – III ZR 265/00 – NJW 2002, 595; BGH, Urt. v. 25. 03. 1998 – VIII ZR 244/97 – NJW 1998, 2284, 2285; MünchKomm BGB/Ernst, § 326 Rn. 60 ff.; Palandt/Grüneberg, § 326 Rn. 9.
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bringen kann.319 So übernimmt der Arbeitgeber, im Wissen, dass er selbst von Lieferengpässen betroffen sein kann, Produktionsmaschinen ausfallen können und der Betrieb durch weitere Zwischenfälle unterbrochen werden kann, das Risiko für die erforderliche Betriebsausstattung, mit der Konsequenz, dass er dem Arbeitnehmer Lohn schuldet, auch wenn dieser nicht arbeiten kann (§ 615 S. 3 BGB). Damit einher geht das Finanzierungsrisiko, das betriebsnotwendige Kapital zu beschaffen, welches der Bewältigung der Kosten dient, die für die Leistungserstellung anfallen, und somit mittelbar Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitnehmer seine Leistung im laufenden Betrieb erbringen kann. Ferner übernimmt der Arbeitgeber das Wirtschaftsrisiko: Er verpflichtet sich zur regelmäßigen Entgeltzahlung an den Arbeitnehmer im Wissen, dass seine Unternehmung den üblichen konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt sein kann, es aufgrund von Absatzschwierigkeiten zu verringerten Einnahmen kommen kann oder seine Unternehmung scheitern kann. Darüber hinaus ist es nicht unüblich, dass Arbeitgeber weitere Finanzierungsrisiken übernehmen, z. B. im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge oder der betrieblichen Weiterbildung.
IV. Verantwortung nach der Sphärentheorie Eine darüber hinausgehende Risikoverantwortung nach der Sphärentheorie, wie sie z. B. im Rahmen von § 326 II BGB diskutiert wird, wonach sämtliche aus der Sphäre des Gläubigers stammenden Leistungshindernisse diesem zuzurechnen sind320, wird von der herrschenden Meinung321 zu Recht abgelehnt. § 326 II BGB ist keine eigenständige Zurechnungsnorm. Die für die Aufrechterhaltung des Gegenleistungsanspruchs des Schuldners notwendige Gläubigerverantwortung wird von der Norm vorausgesetzt. Die von § 326 II BGB gemeinte Verantwortung ist jene Verantwortung am Vertragsvollzug aufgrund vertraglicher Übernahme, gesetzlicher Zuweisung322 oder aufgrund Verschuldens323. Darüber hinausgehende verschul-
319
Canaris, FS Picker, S. 113, 127 f. Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 80; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 280 ff., 297, 306; mit Modifizierungen Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 62. 321 BGH, Urt. v. 18. 03. 1997 – XI ZR 117/96 – NJW 1997, 1700, 1702; Jauernig/Stadler, § 326 BGB Rn. 13; MünchKomm BGB/Ernst, § 326 Rn. 66; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 26; Dötterl, Wann ist der Gläubiger für die Unmöglichkeit verantwortlich?, S. 43; Emmerich, Leistungsstörungen, § 11, Rn. 6; Fikentscher/Heinemann, SchuldR, § 43 Rn. 451; Huber, JuS 1972, 57, 61; Kern, AcP 200 (2000), 684, 690; Rückert, ZfA 1983, 1, 4. 322 GK-Online BGB/Herresthal (Stand: 01. 06. 2019), § 326 Rn. 188 ff.; Jauernig/Stadler, § 326 BGB Rn. 13; MünchKomm BGB/Ernst, § 326 Rn. 59 ff.; Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 26. 323 Ehmann, NJW 1987, 401, 402 noch zu § 324 a. F. 320
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densunabhängige Verantwortung widerspricht dem Verschuldensprinzip des BGB, dessen Ausnahmen abschließend in Sondertatbeständen geregelt sind.324 Außerhalb des § 326 II BGB kennt das Gesetz sehr wohl eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Gläubigers für seine Sphäre: Gemäß §§ 293 ff. BGB ist er für sämtliche Risiken aus seiner Sphäre verantwortlich, die ihn an der Mitwirkung des Leistungsaustauschs hindern. Von einigen wenigen Vertretern wird dieser Gedanke für verallgemeinerungsfähig gehalten.325 Den Verantwortlichkeitsbereich der Sphäre begründend seien demnach Kriterien wie abstrakte Beherrschbarkeit, Absorptionsmöglichkeiten und arbeitsteilige Veranlassung.326 In Anbetracht der Tatsache, dass diese Sphärentheorie ihren Ursprung in der arbeitsrechtlichen Betriebsrisikolehre hat, bei der wiederum mit gewisser Selbstverständlichkeit von der Zuweisung bestimmter Risiken ausgegangen wird, stellt sich im Hinblick auf die arbeitgeberseitige Verantwortung für die zur Kündigung führenden Umstände die Frage, ob es für diesen eine generelle Verantwortung für seine Sphäre, also den Betrieb, gibt. Die Konsequenz einer solchen Risikotragung wäre eine verschuldensunabhängige Verantwortung oder Mitverantwortung an personen- oder verhaltensbedingten Störungen, die ihre Ursache im Betrieb haben. Inwieweit diese zu Einschränkungen des Kündigungsrechts führt, ist Gegenstand des nächsten Kapitels.327 In diesem Abschnitt wird zunächst untersucht, wodurch der Arbeitgeber eine (Mit-)Verantwortung an den verschiedenen Kündigungsgründen tragen kann und worin diese besteht.
B. Verantwortung bezüglich der Vermeidung personenbedingter Störungen Gem. § 1 II 1 KSchG ist eine Kündigung dann nicht sozial ungerechtfertigt, wenn sie durch in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe bedingt ist. Dies sind Störungen, die auf den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitnehmers beruhen328. Herausgebildet haben sich Fallgruppen, wie Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit, nachlassende Leistungsfähigkeit aus sonstigen Gründen
324
Siehe §§ 446 f., 537 I, 587 II 1, 615, 645 BGB. Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 78, 80; Esser/ Schmidt, SchuldR AT II, § 23 II 1; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 78 ff., 89 ff., 95 ff.; Kronke, JuS 1984, 758, 760; v. Schenck, Der Begriff der „Sphäre“, S. 197 ff. 326 Eingehend dazu Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 100 ff., 178 ff., 190 ff. 327 Siehe Dritter Teil unter § 6, § 7, § 8. 328 BAG, Urt. v. 24. 02. 2005 – 2 AZR 211/04 – NZA 2005, 759, 760; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 118. 325
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
sowie weitere Eignungsmängel.329 In diesem Kontext sind all die Schutz- und Nebenpflichten sowie sonstigen Verhaltensmaximen des Arbeitgebers zu beachten, die der Person des Arbeitnehmers zu Gute kommen bzw. gerade deren Schutz bezwecken. Eine Verletzung dieser Pflichten kann daher eine Mitverursachung des personenbedingten Kündigungsgrundes darstellen, die der Arbeitgeber mitzuverantworten hat. Nachfolgend geht es um die Pflichten, deren Verletzung naheliegenderweise als kündigungsauslösend in Betracht kommen können.
I. Gesundheit und Leben 1. Schutzpflichten Die jedem Schuldverhältnis immanenten Rücksichtnahmepflichten (§ 241 II BGB) gelten selbstverständlich auch für das Arbeitsverhältnis. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Rechtsgüter sowie auf sämtliche sonst schutzwürdige Interessen des anderen Vertragteils stellt somit das unstreitige Minimum dar, das der Arbeitgeber zu beachten hat. Vor der Kodifizierung in § 241 II BGB im Zuge der Schuldrechtsreform von 2002330 wurde aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und der Tatsache, dass sich der Arbeitnehmer zu abhängiger Arbeit verpflichtet, d. h. sich in den Betrieb des Arbeitgebers eingliedert, neben seiner Arbeitskraft seine Person miteinbringt, auf eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit verzichtet (personaler Charakter des Arbeitsverhältnisses), eine speziell den Arbeitgeber treffende Fürsorgepflicht abgeleitet.331 Diese verlangte vom Arbeitgeber, dass er bei der Wahrnehmung der ihm zustehenden Rechte die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigt.332 Trotz der Kodifikation durch die Schuldrechtsreform ist die Fürsorgepflicht nicht gänzlich in der Regelung des § 241 II BGB aufgegangen. Vielmehr ist es bei einigen Besonderheiten geblieben, die durch eigenständige gesetzliche Regelungen ausgestaltet wurden333, die jeweils spezielle Ausprägungen der allgemeinen Fürsorge-
329
245 ff. 330
Siehe für eine ausführlichere Darstellung APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 134 ff., 224 ff.,
Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist in Kraft seit dem 01. 01. 2002. BAG, Urt. v. 13. 11. 2001 – 9 AZR 590/99 – AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 37; BAG, Urt. v. 12. 02. 1981 – 3 AZR 163/80 – AP BetrAVG § 1 Nr. 5; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 391; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 36 Rn. 1778 ff.; Kort, NZA 1996, 854, 854. 332 BAG, Urt. v. 13. 11. 2001 – 9 AZR 590/99 – AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 37; BAG, Urt. v. 12. 02. 1981 – 3 AZR 163/80 – AP BetrAVG § 1 Nr. 5. 333 BAG, Urt. v. 27. 07. 1995 – 6 AZR 129/95 – AP BAT § 40 Nr. 11; Dütz/Thüsing, ArbeitsR, § 4 Rn. 177; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 36 Rn. 1778 ff. 331
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pflicht sind.334 Dazu zählen §§ 617, 618 BGB, § 62 HGB, § 3 I EFZG, § 1 I BurlG, wobei insbesondere § 618 BGB für die nachfolgende Untersuchung von größerer Relevanz sein wird. a) Pflicht zu Schutzmaßnahmen, § 618 I BGB Nach § 618 I BGB ist der Dienstberechtigte bzw. Arbeitgeber verpflichtet, Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften so einzurichten oder vorzuhalten, dass der Verpflichtete vor Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt ist. Zweck der Norm ist es, den Dienst-/Arbeitnehmer vor der besonderen Gefahrenlage, der er dadurch ausgesetzt ist, dass er seine Tätigkeit im Herrschafts- und Einflussbereich eines anderen erbringt, zu schützen.335 Der Zusammenhang mit der personenbedingten Kündigung besteht darin, dass ordnungswidrige Zustände der Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften den Arbeitnehmer in seiner Gesundheit derart schädigen können, dass er seine Eignung für die ausgeübte Tätigkeit verlieren kann. So hatte sich das ArbG Bremen336 bereits im Jahr 1954 mit der Frage auseinander zu setzen, welche Schutzmaßnahmen einem Arbeitgeber zur Vermeidung von Krankheiten bei unterkühlten Betriebsräumen zuzumuten sind. Beispielhaft aufgezählt werden vom Gericht das Bereithalten von Wärmequellen, wie Heizöfen, Holzfußmatten, Filzschuhe.337 Dem war der Arbeitgeber offenbar nachgekommen. Denn das Gericht stellte fest, dass der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Vermeidung kältebedingter Erkrankungen getan hatte, so dass dieser seine Fürsorgepflicht nicht schuldhaft verletzt habe. Trotzdem sei die Kündigung nicht vom Arbeitnehmer „bedingt“, sofern die Krankheit tatsächlich auf die unterkühlten Arbeitsräume zurückzuführen sei und sei deshalb nicht sozial gerechtfertigt. Damit lassen sich dem Urteil zwei Aspekte, die letztlich entscheidend waren und auf die später noch weiter einzugehen sein wird, entnehmen: Sowohl eine schuldhafte Verletzung von Schutzpflichten, die zu einer Störung des Arbeitsverhältnisses führt, als auch die Herkunft der Störung haben Einfluss auf die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers.338 Schutzgut von § 618 I BGB ist die Gesundheit des Arbeitnehmers, wobei Gesundheit als Zustand frei von lediglich physischen Beeinträchtigungen zu verstehen
334 BAG, Urt. v. 10. 03. 1976 – 5 AZR 34/75 – AP BGB § 618 Nr. 17; ErfK/Wank, § 618 BGB Rn. 2; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 1, vgl. Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 10 f. 335 Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 11. 336 ArbG Bremen, Urt. v. 15. 04. 1954 – I Ca 178/54 – DB 1954, 804. 337 Heute ergibt sich aus 3.5 des Anhangs zur Arbeitsstättenverordnung i. V. m. der Technischen Regel ASR A3.5 des Ausschusses für Arbeitsstätten, dass der Arbeitsgeber, sofern aus betriebstechnischen Gründen keine bestimmte Temperatur festgelegt ist, für ein gesundheitlich zuträgliches Klima, d. h. konkret 19 – 20 8C Raumtemperatur (bei leichter Arbeit), zu sorgen hat. 338 Siehe Dritter Teil unter § 6 B. II. 1.
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ist.339 Die Reichweite der Schutzpflichten, d. h. das dem Arbeitgeber zumutbare Pflichtenprogramm, richtet sich nach den Bestimmungen zahlreicher öffentlichrechtlicher Schutzgesetze340, welche die vom Arbeitgeber zu erfüllenden Mindestanforderungen nach h. M. verbindlich festlegen341 und zugleich die vom Arbeitnehmer im Normalfall beanspruchbare Obergrenze darstellen342. Über § 618 BGB werden deren Bestimmungen ins Zivilrecht transferiert (sog. Doppelwirkung des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes).343 Der Begriff „Räume“ deckt sich im Wesentlichen mit dem Begriff der Arbeitsstätte i. S. v. § 2 ArbStättV344, die Begriffe „Vorrichtungen und Gerätschaften“ entsprechen weitestgehend dem Begriff der Produkte i. S. v. § 2 Nr. 22 ProdSG.345 Darüber hinaus wird der Inhalt der Schutzpflichten durch die Umstände des Einzelfalls konkretisiert346. Dadurch wird zum einen gewährleistet, dass die individuellen Dispositionen des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden, die den Arbeitgeber in Ausnahmefällen zu Maßnahmen zwingen können, die über das Mindestniveau des öffentlichen Arbeitsschutzes hinausgehen.347 Zum anderen zeigt sich in der Einzelfallbetrachtung auch, wo die Grenzen der Schutzpflichten liegen: in der Natur der Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer kann nicht vom Arbeitgeber verlangen, die Gefahren zu beseitigen, die untrennbar mit der zu verrichtenden Arbeit verbunden sind und nach dem jeweiligen Stand der Technik nicht beseitigt oder verringert werden können.348 Durch die Vorschriften des Arbeitsschutzes kann keine unternehmerische Tätigkeit untersagt werden, die nach gewerberechtlichen oder anderen Vorschriften der Rechtsordnung erlaubt ist.349 Vielmehr liegt im Abschluss des Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer die Einwilligung in die Gefahren und
339
Erman/Riesenhuber, § 618 Rn. 9; Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 142 f. Die folgende Darstellung beschränkt sich zwecks Veranschaulichung auf beispielhaft ausgewählte Normen des Arbeitsschutzes ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Für eine weitergehende Darstellung siehe Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 28 ff. 341 Siehe nur ErfK/Wank, § 618 BGB Rn. 4; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 62. 342 Erman/Riesenhuber, § 618 Rn. 7; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 62. 343 BAG, Urt. v. 10. 03. 1976 – 5 AZR 34/75 – AP BGB § 618 Nr. 17; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 93 Rn. 5; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 36 Rn. 1789; 344 ErfK/Wank, § 618 Rn. 7; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 34. 345 ErfK/Wank, § 618 Rn. 10; Moll/MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 8; MünchKomm BGB/ Henssler, § 618 Rn. 40. 346 BAG, Urt. v. 17. 02. 1998 – 9 AZR 84/97 – AP BGB § 618 Nr. 26, siehe unter II 2 der Gründe; BAG, Urt. v. 08. 05. 1996 – 5 AZR 315/95 – AP BGB § 618 Nr. 23, siehe unter D. 347 Erman/Riesenhuber, § 618 Rn. 7; BAG, Urt. v. 08. 05. 1996 – 5 AZR 315/95 – AP BGB § 618 Nr. 23. 348 So bereits RAG, Urt. v. 27. 04. 1938 – RAG 288/37 – ARS 33, 65; heute statt vieler Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 231 ff. 349 BAG, Urt. v. 19. 05. 2009 – 9 AZR 241/08 – BAGE 131, 18, 24; BAG, Urt. v. 08. 05. 1996 – 5 AZR 971/94 – NZA 1996, 927, 929; Leßmann, AuR 1995, 241, 244; a. A. Zipprich, Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen durch manuelles Handhaben von Lasten, S. 134. 340
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daraus resultierende Gesundheitsschäden, die für die auszuübende Tätigkeit typisch, jedoch nicht vermeidbar sind.350 b) Sicherer Arbeitsplatz Ziel der Arbeitsstättenverordnung ist es die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch Bestimmungen hinsichtlich der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes zu gewährleisten (§ 1 I ArbStättV). Dazu sind dem Arbeitgeber in einer Generalklausel tätigkeitsbezogene Gewährleistungs- und Handlungspflichten auferlegt, die das Einrichten und den Betrieb der Arbeitsstätte betreffen (§ 3a I ArbStättV). Daraus folgt, dass der Arbeitgeber bereits bei der Planung und Errichtung der Arbeitsstätte, mithin nicht erst korrigierend bei Inbetriebnahme, verpflichtet ist, Gefahren vorzubeugen.351 Zur Veranschaulichung seien beispielhaft einige der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gem. § 7 IV ArbStättV genannten Regeln (ASR) genannt, die gem. § 3a I 2 ArbStättV vom Arbeitgeber zu berücksichtigen sind. Einem Arbeitnehmer sind an seinem Arbeitsplatz 1,50 m2 Bewegungsfreiheit zur Verfügung zu stellen352, ein Arbeitsplatz für normale Bürotätigkeit ist mit einer Mindestbeleuchtungsstärke von 500lx zu beleuchten353, die Lufttemperatur in Arbeitsräumen sollte für leichte Arbeit im Sitzen mindestens 20 8C betragen, die Grenze von 26 8C grundsätzlich jedoch nicht übersteigen.354 Während des Betriebs trägt der Arbeitgeber sodann die Verantwortung für die sicherheits- und gesundheitsgerechte Benutzung und Instandhaltung der Arbeitsstätte.355 Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht mit der Folge, dass der Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall erleidet und sich schwer verletzt, trägt der Arbeitgeber die Verantwortung dafür, dass es aufgrund des genesungsbedingten Ausfalls des Arbeitnehmers zu einer Störung innerhalb der Leistungsbeziehung kommt.356 Diese Entscheidung beruht auf einem Beschluss des Bühnenoberschiedsgerichts Hamburg, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Die Klägerin, die einen Gastspielvertrag mit der Beklagten hatte, stürzte während einer Vorstellung vom oberen Ende der zum Bühnenhaus führenden Treppe, wodurch sie eine Stauchung der Wirbelsäule mit Kompressionsfraktur des zweiten Lendenwirbels und eine Fraktur des Steinßbeins erlitt. Die Klägerin konnte krankheitsbedingt ihre Arbeit für einen Zeitraum von vier Monaten nicht erbringen. Mit der Klage begehrte die Klägerin die Zahlung der vereinbarten Vergütung, ohne dass sie noch einen Gastspielauftritt für die Beklagte 350
Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 232; a. A. Pflüger, DB 1995, 1761, 1763. HK-ArbSchR/Faber, ArbStättV Rn. 36. 352 Siehe 5.1 ASR A1.2 Raumabmessungen und Bewegungsflächen. 353 Siehe Anhang 1 ASR A3.4 Beleuchtung. 354 Siehe 4.2 ASR A3.5 Raumtemperatur. 355 HK-ArbSchR/Faber, ArbStättV Rn. 67. 356 Bühnenoberschiedsgericht Hamburg, Bschl. v. 21. 03. 1994 – BO Sch 12/94 – NJW 1995, 903, 904. 351
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hatte. Der Klage wurde stattgegeben. Dadurch, dass es die Beklagte unterlassen hat die Treppe ausreichend zu sichern, hat sie gegen ihre Pflichten aus § 618 I BGB verstoßen, die zur Verrichtung der Dienste ihrer Arbeitnehmer erforderlichen Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leib und Leben so weit geschützt ist, wie es die Natur der Dienstleistung gebietet. Daher stand der Klägerin der Anspruch aus §§ 611 I, 324 a. F. bzw. § 326 II BGB zu. Die Verletzung von Schutzpflichten begründet also eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Störung des Arbeitsverhältnisses, die, wenn es zu einer personenbedingten Kündigung gekommen wäre, zu berücksichtigen sein würde.357 Zu den Sicherungspflichten des Arbeitgebers gehört außerdem der richtige Umgang mit Beschäftigten mit Behinderung (§ 3 II ArbStättV) und der Nichtraucherschutz (§ 5 ArbStättV). In diesem Zusammenhang hatte ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber auf Beschäftigung auf einem tabakrauchfreien Arbeitsplatz verklagt und Recht bekommen.358 Der Anspruch darauf leitet sich aus § 618 I BGB i. V. m. § 5 I ArbStättV ab, der neben öffentlichen auch individuellen Schutzzwecken dient und das Pflichtenprogramm des Arbeitgebers aus § 618 BGB konkretisiert. Obwohl der Antrag des Klägers lediglich auf Beschäftigung zu arbeitsschutzgemäßen Bedingungen gerichtet war, gibt der Fall Anlass zu hinterfragen, wie sich die bisweilen arbeitsschutzwidrige Beschäftigung auf eine Kündigung des Arbeitnehmers ausgewirkt hätte359. Dieser litt aufgrund des Tabakrauchs an einer chronischen Bronchitis360 und hätte wohl ohne zeitnahe Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers nicht mehr seiner Beschäftigung nachgehen können. Um eine dauerhafte Einhaltung des Arbeitsschutzes zu gewährleisten, ist der Arbeitgeber während des Betriebs konsequenterweise für die ständige Überprüfung und Überwachung der Einhaltung der entsprechenden Vorschriften verantwortlich.361 Da die Schutzziele darin nur grob umschrieben werden und es an verbindlichen Maßzahlen fehlt, verpflichtet die ArbStättV den Arbeitgeber ferner zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung (§ 3 ArbStättV), i. d. R. unter Hinzuziehung von Sachverständigen362, woraus dann das konkrete Maßnahmenprogramm zu entwickeln ist. Dabei wiederum ist auf die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) zurückzugreifen, die den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene mittels konkreter Vorgaben wiedergeben. Diese werden von einem der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin angehörigem Ausschuss (ASTA) ermittelt und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt gegeben. 357
Siehe Dritter Teil unter § 6 C. I. 3. b). BAG, Urt. v. 19. 05. 2009 – 9 AZR 241/08 – BAGE 131, 18, 19. 359 Siehe Dritter Teil unter § 6 B. II. 1. 360 BAG, Urt. v. 19. 05. 2009 – 9 AZR 241/08 – BAGE 131, 18. 361 Vgl. Bestimmungen zur Abmessung von Räumen (Anh. Ziff. 1.2), zum Brandschutz (Anh. Ziff. 2.2), zur Raumtemperatur (Anh. Ziff. 3.5). 362 HK-ArbSchR/Faber, ArbStättV Rn. 39 ff. 358
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Im Ergebnis ist festzustellen, dass ein gesetzlicher Pflichtenkatalog besteht, der den Arbeitgeber zur Verhütung sämtlicher, denkbarer potentiell am Arbeitsplatz auftretenden Gefahren verpflichtet. c) Sicherheit der Arbeitsmittel Die von § 618 BGB aufgestellten Anforderungen an Vorrichtungen und Gerätschaften werden vom Produktsicherheitsgesetz konkretisiert. Dieses hat im Vergleich zu den Vorgängervorschriften des GPSG a. F. eine sprachliche, nicht aber inhaltliche Neuregelung erfahren, so dass auf die entsprechenden Kommentierungen dazu zurückgegriffen werden kann.363 Obwohl sich das Gesetz lediglich an die Hersteller oder Importeure der Produkte richtet, lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Schutzpflichten des Arbeitgebers ziehen.364 Der Arbeitgeber genügt jedenfalls dann seinen Schutzpflichten, wenn er solche Arbeitsmittel einsetzt, die die Anforderungen des ProdSG erfüllen.365 So enthält das ProdSG beispielsweise Verordnungsermächtigungen hinsichtlich Beschaffenheit, Bereitstellung, erstmaliger Verwendung oder Kennzeichnung von Produkten (§ 8 ProdSG). Da § 618 BGB und das ProdSG beide denselben Zweck verfolgen, die Sicherheit und Gesundheit von Personen zu gewährleisten366, ist es nur konsequent, einen Verstoß gegen die arbeitgeberseitigen Schutzpflichten zu bejahen, sollten Arbeitsmittel eingesetzt werden, die den Anforderungen des ProdSG (i. V. m. den darauf gestützten Verordnungen) nicht entsprechen.367 d) Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit Die Anforderungen des § 618 BGB werden ferner durch das öffentliche ArbSchG ergänzt.368 Das ArbSchG bezweckt einen Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten vor Gefahren, die von der Arbeit selbst ausgehen (§ 1 I ArbSchG). Zentrale Vorschrift des Gesetzes ist hier eine Generalklausel, die den Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen (§ 3 I 1 ArbSchG). Der Begriff der „Maßnahmen“ wird in § 2 I ArbSchG legal definiert und umfasst alle Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und ar-
363
BT-Drs. 17/6276, S. 41 – 43; Klindt/ProdSG/Schucht, § 1 Rn. 11. ErfK/Wank, § 618 Rn. 11; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 40; Staudinger/ Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 159. 365 ErfK/Wank, § 618 Rn. 11; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 40; Staudinger/ Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 159. 366 HWK/Krause, § 618 BGB Rn. 1; Klindt/ProdSG/Schucht, § 1 Rn. 1. 367 HWK/Krause, § 618 BGB Rn. 17; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 40; Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 159; a. A. ErfK/Wank, § 618 Rn. 11. 368 Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 69; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 36 Rn. 1791. 364
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beitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit. aa) Arbeitsorganisation Damit sind neben dem rein technischen Schutz solche Maßnahmen gemeint, die die Einteilung der Arbeitszeit sowie die Arbeitsorganisation und die Gestaltung der Arbeitsaufgaben zum Inhalt haben.369 Denn inzwischen ist erkannt worden, dass ein Zusammenhang zwischen übermäßigem Stress am Arbeitsplatz und psychischen als auch physischen Erkrankungen, wie z. B. dem Burnout-Syndrom oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestehen kann.370 Im Hinblick auf die Entstehung eines personenbedingten Kündigungsgrundes heißt das, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dies insbesondere bei der Arbeitseinteilung zu berücksichtigen, um einer Überlastung mit der Folge erhöhter Fehleranfälligkeit, schnellerer Erschöpfung oder Erkrankung vorzubeugen. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere eine ausreichende Personalkapazität eine wichtige Rolle. Dass häufige Arbeitsausfälle bestimmter Arbeitnehmer zu Unmut in der Belegschaft führen, da es dann an ihnen liegt, die Arbeit des erkrankten Kollegen mit zu erledigen, stellt wohl ein bekanntes Phänomen in der Arbeitswelt dar. Dass die Ursache sowohl des Unmutes der mehrbelasteten Kollegen als auch der Erkrankung des jeweiligen Arbeitnehmers gerade aus eben dieser ständig währenden Überlastung herrührt, die das Resultat der Tatsache ist, dass der Arbeitgeber stets mit einer personellen Unterkapazität arbeitet, findet hingegen nur selten in Gerichtsentscheidungen Beachtung.371 So aber in einem Kündigungsrechtsstreit einer Altenpflegerin, den das LAG Schleswig-Holstein372 zu entscheiden hatte. Nach Auffassung des Gerichts war die Klägerin durch die Nichtbesetzung von Stellen kontinuierlich einer zu hohen Belastung ausgesetzt. Aufgrund der personellen Unterbesetzung bestand ein ständiger Vertretungsbedarf, den die Kollegen durch Mehrarbeit kompensieren mussten, wobei diese Überforderung zu weiteren Ausfallzeiten führte. Insgesamt entstand aus anhaltender, krank machender Überforderung eine Endlosschleife, die zunächst zu einem nachhaltigen Erschöpfungszustand, erhöhter Krankheitsanfälligkeit und letztendlich zu einem Burnout-Syndrom geführt habe.373
369
K/K/S/Kothe, § 3 ArbSchG Rn. 25; Birk, FS Wlotzke, S. 645 ff. Vgl. DAK-Gesundheitsreport 2016, S. 5, 61; Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, S. 155 ff.; Helmer, Stress am Arbeitsplatz als Herausforderung für das Arbeitsrecht, 2014; Nowak, Arbeitsmedizin, S. 69 ff.; Balikciouglu, NZA 2015, 1424, 1426; Podehl, DB 2016, 1695. 371 ArbG Wesel, Urt. v. 03. 10. 1977 – 3 Ca 1287/76 – DB 1977, 961, wonach das Einstellen von Ersatzkräften zur Überbrückung von Krankheitszeiten dem Arbeitgeber grundsätzlich zuzumuten sei; Stein, BlStSoz ArbR 1979, 161, 164. 372 LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 18. 09. 2013 – 3 Sa 133/13 – PflR 2014, 22. 373 Zu den Gründen der Unwirksamkeit der Kündigung siehe Dritter Teil unter § 6 C. I. 1. a). 370
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Das Instrument, dessen sich der Arbeitgeber zur Erkennung gesundheitsgefährdender Überbelastung bedienen kann und sollte, wenn er Einwänden übermäßiger Beanspruchung entgegenwirken möchte, ist die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 I ArbSchG und Umsetzung der entsprechenden geeigneten Maßnahmen.374 In dem beschriebenen Fall hätte nach der Wiederkehr der Klägerin aus der Arbeitsunfähigkeit ein betriebliches Eingliederungsmanagement (im Folgenden bEM) durchgeführt werden müssen, um Mittel zu ergründen, mit denen sich die zu hohe Arbeitsbelastung hätte abbauen lassen. Mit seinem Pauschalvortrag, der Personalschlüssel sei ausreichend, die verwendeten Hilfsmittel seien auf dem neuesten Stand, ein weniger belastender Arbeitsplatz existiere nicht, genügte der Arbeitgeber den wegen der Nichtdurchführung des bEM den bestehenden erhöhten Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast nicht.375 Der soeben beschriebene Fall sollte der Veranschaulichung der Probleme dienen, die entstehen können, wenn der Arbeitgeber nicht zur Organisation seines Betriebes in der Lage ist, wenn er zu wenig Personal für die zu bewältigende Arbeit beschäftigt oder Aufgaben so zuweist, dass sie eine Überbelastung für den Arbeitnehmer darstellen. Der nächste Fall steht stellvertretend für die Situationen, in denen der Arbeitgeber einschreiten müsste, wenn er erkennt, dass sich Arbeitnehmer selbst so stark unter Druck setzen, dass sie sich gesundheitlich schädigen. Im Jahr 1970 hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber es nicht dulden kann, wenn sich Angestellte, auch in leitender Position, so überarbeiten, dass sie sich schädigen. Er müsse dafür sorgen, dass diese ihren Urlaub nähmen.376 In dem Fall hatte der Betriebsleiter einer Lebensmittelgroßhandlung einen Schlaganfall erlitten, nachdem er 14 – 16 Stunden täglich über einen Zeitraum von ca. einem Jahr sowie an allen Wochenenden und Feiertagen gearbeitet hatte. In dem Rechtsstreit begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Arbeitgeberin dem Kläger jeden Schaden zu ersetzen habe, der durch die Nichtgewährung von Urlaub und Überbeanspruchung entstanden ist. Das BAG konnte in der Sache nicht entscheiden, weswegen der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen wurde. Es stellte hinsichtlich der Beweislast fest, dass es genügt, wenn klägerseits ordnungswidrige Zustände dargelegt werden, die geeignet sind, den eingetretenen Schaden herbeizuführen, und dass es Sache des Arbeitgebers ist sich zu entlasten.377 Auch wenn es in dem Fall nicht um eine Kündigung ging, zeigt der Fall, dass der Arbeitgeber aufgrund mangelhafter Arbeitsorganisation für den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers (mit-)verantwortlich gemacht werden kann.
374 375 376 377
Vgl. Podehl, DB 2016, 1695, 1696 f. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 18. 09. 2013 – 3 Sa 133/13 – PflR 2014, 22. BAG, Urt. v. 27. 02. 1970 – 1 AZR 258/69 – AP BGB § 618 Nr. 16. BAG, Urt. v. 27. 02. 1970 – 1 AZR 258/69 – AP BGB § 618 Nr. 16.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
bb) Technischer Arbeitsschutz Im Hinblick auf die Maßnahmen, die der technische Arbeitsschutz erfordert, ist vorab noch einmal genauer auf deren Zielsetzung, die Vermeidung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren, einzugehen. Ein Arbeitsunfall i. S. v. § 2 I ArbSchG ist ein plötzliches, von außen wirkendes Ereignis, das während der Arbeit ungewollt einen körperlichen Schaden bewirkt.378 Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sind solche, die einen kausalen Bezug zur Tätigkeit aufweisen, d. h. sie müssen nicht ihre alleinige oder wesentliche Ursache in der Tätigkeit haben379, die Verhütungspflicht gilt für jede relevante Gefahrerhöhung.380 Damit sollen zugleich arbeitsbedingte Erkrankungen vermieden werden, mithin solche, die durch Arbeitseinflüsse verursacht oder mitverursacht bzw. in ihrem Verlauf ungünstig beeinflusst worden sind.381 Anknüpfungspunkte der zu beseitigenden Gefahrenquellen sind physisch auf die Gesundheit der Beschäftigten einwirkende Einflussfaktoren sowie jene, die zu psychischen Belastungen führen.382 Beispielhaft genannt seien: gefährliche Arbeitsstoffe, Arbeitsschwere, Lärm, Vibration, Temperatur, Luftqualität, taktgebundene Arbeit, Arbeitsverdichtung, Überforderung aufgrund fehlender Qualifikation oder Unterweisung, Unzulänglichkeiten in den betrieblichen Führungsstrukturen.383 Verwirklicht werden soll der Arbeitsschutz durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Der Arbeitgeber muss zunächst mittels einer Gefährdungsbeurteilung die erforderlichen Maßnahmen ermitteln. Erforderlich ist, was zu einer „guten Sicherheit“384 führt. Im Hinblick auf Kosten und Nutzen sind durchaus Kompromisse möglich, das Gesetz schreibt nicht zwingend die teuerste Lösung vor385, gleichwohl greift das Kostenargument nicht immer.386 Das verbleibende Restrisiko ist gegen die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Ausmaß der möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung abzuwägen. Auf eine optimale Sicherheitslösung kann erst dann verzichtet werden, wenn die Ertragskraft des Betriebs dadurch erhebliche Einbußen erleiden würde, so dass die Maßnahme für den Arbeitgeber wirtschaftlich unzumutbar wird.387 Nach der Ermittlung sind die Maßnahmen umzusetzen, auf ihre Wirkung zu überprüfen und schließlich erneut zu überarbeiten.388 378
HK-ArbSchR/Schulze-Doll, § 2 ArbSchG Rn. 5. HK-ArbSchR/Schulze-Doll, § 2 ArbSchG Rn. 6; K/K/S/Kothe, § 2 ArbSchG Rn. 20; Wannagat/Jung, § 14 SGB VII Rn. 9. 380 Hauck/Noftz/Kranig/Timm, § 13 SGB VII Rn. 32. 381 HK-ArbSchR/Schulze-Doll, § 2 ArbSchG Rn. 7. 382 K/K/S/Kothe, § 3 ArbSchG Rn. 17 f. 383 HK-ArbSchR/Blume/Faber, § 4 ArbSchG Rn. 2; K/K/S/Kothe, § 3 ArbSchG Rn. 18; Podehl, DB 2007, 2090, 2092. 384 HK-ArbSchR/Blume/Faber, § 2 ArbSchG Rn. 20 f. 385 K/K/S/Kothe, § 4 ArbSchG Rn. 10. 386 MHdBArbR/Kiel/Link/Oetker, 4. Aufl., § 176 Rn. 14; Wlotzke, FS Däubler, S. 654, 660. 387 Wlotzke, FS Däubler, S. 654, 660. 379
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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e) Schutz vor Lendenwirbelsäulenerkrankungen bei der manuellen Handhabung von Lasten Präventionswirkung soll die Lasthandhabenverordnung im Hinblick auf Erkrankungen im Lendenwirbelsäulenbereich entfalten, womit mittelbar krankheits-, mithin personenbedingten Kündigungen vorgebeugt wird. In den Anwendungsbereich fällt gem. § 1 I LasthandhabV jede Tätigkeit, die manuelle Handhabung von Lasten zum Inhalt hat, die wiederum eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit, insbesondere des Lendenwirbelbereichs, mitsichbringt. Gem. § 2 LasthandhabV hat der Arbeitgeber sämtliche Maßnahmen zu treffen, um eine Gesundheitsgefährdung seiner Beschäftigten durch das manuelle Heben von Lasten zu vermeiden. Danach ist das Lastgewicht möglichst auf eine handhabbare Größe zu reduzieren, wie z. B. die Erleichterung von Zentnersäcken auf 25 kg.389 Falls dies nicht möglich ist, sind mechanische Hilfsmittel, wie Hebebühnen, Mauerkräne, treppengängige Gepäckkarren, Fasskippwagen, etc., einzusetzen.390 Richtig ist, dass dies wohl immer einen gewissen Ideenreichtum und Problemlösungswillen erfordert. Zumindest dann, wenn es darum geht, Arbeitsplätze, an denen Tätigkeiten verübt werden, die nicht unter Ausschluss schwerer körperlicher Anstrengungen verübt werden können, gesundheitsschonender umzugestalten. Dass dies nicht ausgeschlossen ist, zeigen die in der Literatur diskutierten Vorschläge391 anlässlich eines vom BAG392 entschiedenen Kündigungsrechtsstreits eines Rohrnetzwerkers. Dieser sollte krankheitsbedingt gekündigt werden. Dessen Tätigkeit umfasst den Bau und Betrieb, die Überwachung und Entstörung von Rohrnetzanlagen, in denen Fernleitungstechniken zum Einsatz kommen, also vornehmlich bei jeder Wetterlage draußen stattfindet. In einer Urteilsanmerkung wird ausgeführt, dass zur Vermeidung der Kündigung folgende Hilfsmittel in Betracht gekommen wären: Ziehvorrichtungen zum Heben, Rollkoffer für die Ausrüstung, mobile Sitzgelegenheiten und besondere vor Zugluft schützende und gleichzeitig wärmende Kleidungsteile für den Lendenwirbelbereich.393 Die Folgen der Untätigkeit und des Unterlassens von Arbeitsschutzmaßnahmen in diesem Tätigkeitsbereich sind meist Erkrankungen und Schäden der Wirbelsäule, die sich bereits nach Ablauf einer mehrjährigen Beschäftigungszeit zeigen können. So war in einem Fall, den das hessische Landesarbeitsgericht394 zu entscheiden hatte, ein 388
HK-ArbSchR/Blume/Faber, § 2 ArbSchG Rn. 12. K/K/S/Klindt, § 2 LasthandhabV Rn. 2. 390 K/K/S/Klindt, § 2 LasthandhabV Rn. 2; LAG Hessen, Urt. v. 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris. 391 Nebe, Anm. BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. 392 BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. 393 Nebe, Anm. BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. 394 LAG Hessen 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris. 389
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Monteur für Markisen an einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom erkrankt, nachdem er in 25-jähriger Tätigkeit Markisen mit einem Gewicht von 50 kg alleine und Markisen mit einem Gewicht von bis zu 160 kg mit einem Kollegen zusammen zu heben und montieren hatte. Die wiederkehrende Arbeitshaltung sah so aus, dass die zu montierenden Markisen oder Jalousien einseitig belastend auf der Schulter getragen wurden. Arbeitsmittel zur Erleichterung der Lastentragung und der körperlichen Entlastung wurden von der Arbeitgeberin nicht zur Verfügung gestellt. Nach knapp 20jähriger Beschäftigungsdauer war der Kläger immer wieder wegen Beschwerden an der Wirbelsäule erkrankt (21, 59, 39, 9, 16, 101, 107 Krankheitstage pro Jahr; Entgeltfortzahlung insgesamt i. H. v. 53.363,49 DM). Letztlich wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 30 % festgestellt, der auf einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom mit skoliotischer Fehlhaltung und einem Bandscheibenschaden basiert. Dem Kläger wurde aus personenbedingten Gründen gekündigt.395 Dabei hätte er gem. § 618 I BGB i. V. m. § 2 I LasthandhabV einen Anspruch auf die Bereitstellung mechanischer Unterstützung gehabt. Wie vom LAG Hessen festgestellt, hat der Arbeitgeber seine gegenüber dem Arbeitnehmer bestehenden Schutzpflichten nicht erfüllt. Er hätte im Rahmen seiner Organisationspflicht die gesundheitswidrigen Zustände beseitigen und dann die gesundheitliche Entwicklung abwarten müssen.396 Daher muss ein arbeitgeberseitiger Verstoß gegen bestehende Schutzpflichten im Kündigungsschutzprozess Berücksichtigung finden. Auch im Fall der Kündigung des Rohrnetzwerkers, der in Folge der schweren körperlichen Anstrengungen erkrankte, einen Wirbelsäulenschaden mit einem Grad der Behinderung von 20 % erlitt und daraufhin seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte, hat der Arbeitgeber seine arbeitsschutzrechtlichen Pflichten nicht erfüllt. Er hätte Anpassungsmaßnahmen zur Milderung der körperlich hohen Anforderungen ergreifen müssen.397 f) Ergebnis Es lässt sich festhalten, dass dort, wo die ausgeübte Tätigkeit Gefahren birgt, der Arbeitgeber gesetzlich, sei es durch konkrete Bestimmungen oder durch die im Einzelfall erst noch zu ermittelnden Maßnahmen, zur Gefahrvermeidung verpflichtet ist. Diese Bestimmungen, die überwiegend Teil des öffentlichen Rechts sind, werden aufgrund der gem. § 618 I BGB erfolgten Übernahme ins Zivilrecht Bestandteil des jeweiligen Arbeitsverhältnisses. Auf deren Einhaltung hat der Arbeitnehmer einen einklagbaren Anspruch. Verletzungen dieser Schutzpflichten sind dem Arbeitgeber gem. § 276 I BGB zurechenbar und begründen ggf. gem. § 280 I BGB einen Schadensersatzanspruch.398 Darüber hinaus wird die Einhaltung von den zuständigen 395
LAG Hessen 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris. LAG Hessen 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris. 397 Nebe, Anm. BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49; siehe Dritter Teil unter § 6 B. II. 2. 398 Sofern kein Haftungsausschluss i. S. v. § 104 SGB VII vorliegt. 396
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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Behörden in Zusammenarbeit mit den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung überwacht (§ 22 ArbSchG) und kann bei Verstößen sanktioniert (§§ 25, 26 ArbSchG) werden. Zudem gehört es zu den Aufgaben des Betriebsrats die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitsschutzes zu überwachen (§§ 80 I Nr. 1, 87 I Nr. 7 BetrVG). Schließlich hat der Arbeitgeber durch innerbetriebliche Einrichtungen (Betriebsarzt, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Sicherheitsbeauftragten) die Einhaltung des Arbeitsschutzes sicherzustellen. Kommt es (dennoch) zur Verwirklichung einer dieser Gefahren, so trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung, d. h. für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes und eines Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden, wobei ihm die Grundsätze des prima-facie-Beweises grundsätzlich399 zu Gute kommen.400 Wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung ein bestimmter Umstand nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als Ursache in Betracht kommt, ist es Sache des Arbeitsgebers diese Vermutung durch Benennung alternativer Ursachen zu entkräften. Steht z. B. ein Mangel an einem Arbeitsgerät unstreitig fest, der nach gewöhnlichem Verlauf der Dinge zu einem Arbeitsunfall führt, wird ein dazwischen bestehender Kausalzusammenhang angenommen, das Verschulden des Arbeitgebers, diesen Mangel nicht erkannt und beseitigt zu haben, wird gem. § 280 I 2 BGB vermutet. Der Arbeitgeber muss also zum einen andere Umstände nachweisen, die ebenfalls zum Schaden geführt haben können, und zum anderen muss er seine Schuldlosigkeit und ggf. die seiner Erfüllungsgehilfen nachweisen.401 Unabhängig von den theoretisch zwar bestehenden Beweiserleichterungen ist mit Blick auf die Praxis festzustellen, dass sich die Entstehungsursache von Erkrankungen nach wie vor nur schwer ermitteln lässt, so dass nur selten die Arbeitsbedingungen als alleinige Ursache in Betracht kommen.402 Häufig scheitern in diesem Zusammenhang erhobene Klagen daran, dass ein Ursachenzusammenhang nicht feststellbar und unter Zugrundelegung des aktuellsten medizinischen Wissensstandes nicht vermutet
399
Die Grundsätze des Anscheinsbeweises greifen nicht bei Krankheiten ein, die auf einer Vielzahl von Risikofaktoren beruhen, da es an einem typischen Geschehensablauf fehlt, OLG Schleswig, Urt. v. 07. 04. 2005 – 11 U 132/98 – ZfS 2006, 442 zu Krebserkrankungen. 400 So auch MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 Rn. 48; Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 311 ff. Hingegen für eine echte Beweislastumkehr, wobei sich der Arbeitgeber nur mit einem von ihm zu erbringendem Gegenbeweis entlasten kann, sprechen sich MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 105; Palandt/Weidenkaff, § 618 Rn. 8; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, § 618 Rn. 2 aus. Die Rechtsprechung, die ursprünglich von den Grundsätzen des prima facie Beweises ausgegangen ist (vgl. BAG, Urt. v. 08. 06. 1955 – 2 AZR 200/54 – AP BGB § 618 Nr. 1 Rn. 12), scheint sich einer echten Beweislastumkehr anzuschließen, vgl. BAG, Urt. v. 08. 05. 1996 – 5 AZR 315/95 – AP BGB § 618 Nr. 23; BGH, Urt. v. 30. 04. 1991 – VI ZR 178/ 90 – NJW 1991, 1948, 1951. 401 Vgl. Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 311 ff. 402 BAG, Urt. v. 19. 02. 1997 – NZA 1997, 821, 822 ff.; LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 15. 03. 2012 – 3 Sa 313/11 – juris; LSG NRW, Urt. v. 14. 10. 1992 – L 17 U 87/89 – juris – alle zur Ursächlichkeit von Asbest.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
werden kann.403 Vergleichbares drücken die Zahlen aus dem Bericht „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2014“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus, die das Berufskrankheitengeschehen in Deutschland für den genannten Zeitraum abbilden: Während im Jahr 2014 rund 75.000 Berufskrankheiten zur Anzeige gebracht wurden, wurden davon ca. („nur“) 26 % als Berufskrankheiten anerkannt.404 Dies ist insofern für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung, als dass auch dort der Ursachenzusammenhang zwischen den berufsbedingten Einwirkungen und der Erkrankung nur schwer festgestellt werden kann und das obwohl die Anforderungen dafür im Berufskrankheitenrecht niedriger sind.405 Um von berücksichtigungsfähiger Verantwortung des Arbeitgebers hinsichtlich von Eignungsmängeln wegen Schutzpflichtverletzungen sprechen zu können, bedarf es nicht nur einer nachweisbaren und vorwerfbaren Pflichtverletzung, sondern auch eines bestehenden Kausalzusammenhangs, der jedoch nur schwer beweisbar ist. 2. Informationspflichten zur Vermeidung von Selbstschädigungen durch den Arbeitnehmer Soweit nicht spezialgesetzlich geregelt (§§ 9 II 1, 12, 14 ArbSchG, §§ 13 f. AÜG, §§ 33 ff. BDSG, § 613 a V BGB, § 2 NachwG, § 8 TVG, § 7 II TzBfG), treffen den Arbeitgeber kraft seines Wissens Auskunfts-, Aufklärungs-, oder Belehrungspflichten.406 Hintergrund ist hier das Bedürfnis des Arbeitnehmers, die Informationen zu erhalten, die dieser zur eigenen Interessenwahrnehmung im Umfeld des Arbeitgebers benötigt407, wie insbesondere arbeitsplatzbezogene Unterweisungen, um entsprechende Gefährdungen erkennen und danach handeln zu können. In einem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, wurde die Verletzung einer Aufklärungspflicht durch den Schulträger gegenüber einer dort angestellten Berufsschullehrerin über Schutzmaßnahmen zum Umgang mit Hepatitis-C-Viren als ursächlich für die von der Betroffenen erlittene Hepatitis-C-Infektion anerkannt.408 Die Betroffene unterrichtete Fächer, in denen es beim Hantieren mit Geräten nachweislich vermehrt zu Schnittverletzungen der Schüler kam, die sie zu verbinden hatte. Wäre die Betroffene zuvor über die damit einhergehenden Risiken aufgeklärt worden, spricht die Vermutung des aufklärungsgerechten Verhaltens dafür, dass die Betroffene den Kontakt mit offenen Wunden vermieden oder Einmalhandschuhe getragen hätte. Der Schulträger hingegen hat in schuldhafter Weise gegen seine Aufklärungspflicht gem. 403 LAG Köln, Urt. v. 03. 08. 2011 – 9 Sa 1469/10 – juris – hinsichtlich der Kausalität eines Verstoßes gegen Sicherheitsvorschriften für einen Arbeitsunfall; ArbG Passau, Urt. v. 18. 05. 1999 – 1 Ca 1465/96 – juris. 404 baua, „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2014“, S. 37 ff. 405 Die Feststellung des Ursachenzusammenhangs erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG, Urt. v. 17. 12. 2015 – NZS 2016, 429, 430 ff. m. w. N.). 406 MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 93 Rn. 46. 407 HWK/Thüsing, § 611 Rn. 245. 408 BAG, Urt. v. 14. 12. 2006 – 8 AZR 628/05 – AP BGB § 618 Nr. 28.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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§§ 14, 12 I 2 ArbSchG verstoßen, da ihm bekannt war, dass die zu unterrichtenden Klassen von zahlreichen drogen- und hartdrogenabhängigen Schülern besucht wurden und das aufgrund der leichten Übertragbarkeit des Virus durch Eindringen von infiziertem Blut eine erhöhte Ansteckungsgefahr bestand. In dem vorliegenden Fall ging es zwar um einen Anspruch auf Schadensersatz, dem i. H. v. 50 % abzüglich des eigenen Verschuldens der Lehrerin stattgegeben wurde, ebenso gut wäre die Situation denkbar, dass der Arbeitgeber der nunmehr erkrankten und arbeitsunfähigen Lehrerin personenbedingt kündigen möchte. Der Frage, wie sich das anteilige Mitverschulden an der Entstehung des Kündigungsgrundes auf die Kündigungsbefugnis auswirken würde, wird an anderer Stelle nachgegangen.409 3. Beschäftigung auf leidensgerechtem Arbeitsplatz, § 167 II 1 SGB IX Gem. § 167 II 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet bei ununterbrochener Fehlzeit von länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres ein bEM durchzuführen. Obwohl dessen Durchführung bzw. Unterlassen bekanntermaßen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einer Kündigung eine entscheidende Rolle spielt, werden mit dem bEM vorwiegend präventive Zwecke verfolgt.410 So ist zwischen zwei Fallgruppen, die sich aus § 167 II 1 SGB IX ergeben, zu unterscheiden: Erstens, Vermeidung einer personenbedingten Kündigung durch Weiterbeschäftigung auf leidensgerechtem Arbeitsplatz und zweitens Vermeidung einer personenbedingten Kündigung durch frühzeitiges Erkennen und Abstellen der Krankheitsursachen, mithin Vermeidung des Kündigungsgrundes an sich. Das bEM ist ein verlaufs- und ergebnisoffener, kooperativer Suchprozess411 von Arbeitgeber, Arbeitnehmer, den betrieblichen Interessenvertretungen (sofern vorhanden) und ggf. unter Beteiligung des Integrationsamtes, dessen Ziel die Überwindung aktueller und die Vorbeugung erneuter Arbeitsunfähigkeit sowie die Erhaltung des Arbeitsplatzes ist.412 Ist ein Arbeitnehmer beispielsweise innerhalb eines Jahres sechs Wochen arbeitsunfähig, weil er einen Bandscheibenvorfall erlitten hat, so wird im Rahmen eines bEM-Verfahrens geprüft, ob und wie sich der bisherige Arbeitsplatz des Betroffenen rückenfreundlicher gestalten lässt, z. B. durch Bereitstellen von Sitzmöglichkeiten statt die Arbeit nur im Stehen ausüben zu lassen, Installation von Hebehilfen, Änderung der Lichtverhältnisse, etc.413
409
Siehe Dritter Teil unter § 6 D. I. BT-Drs. 15/1783, S. 15, 16; MAH SozR/Nebe, § 20 Rn. 3. 411 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 198/09 – NZA 2010, 639, 641; KKW/Kothe, § 167 SGB IX Rn. 16; Edenfeld, NZA 2012, 713, 717. 412 BT-Drs. 14/5074, S. 61; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 84 Rn. 12. 413 BAG, Urt. v. 24. 03. 2011 – 2 AZR 170/10 – NZA 2011, 992, 994; siehe auch die Beispiele bei Schiefer, RdA 2016, 196, 200. 410
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Die nach § 167 II 1 SGB IX vorgesehenen Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers sind indes keine neuen, zusätzlichen Anforderungen, sondern entsprechen den bereits bestehenden Pflichten aus dem Arbeitsschutz. § 167 II 1 SGB IX begründet insofern nur eine Verfahrenspflicht für den Arbeitgeber414, d. h. bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen hat der Arbeitgeber die Initiative zu ergreifen und dem Arbeitnehmer die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements anzubieten.415 Zudem hat er auf die Ziele des Verfahrens und die dazu erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen (§ 167 II 3 SGB IX). Die Teilnahme an einem solchen Verfahren ist für den Arbeitnehmer freiwillig, aus deren Ablehnung dürfen ihm keine Nachteile erwachsen. Gleichzeitig ist die Zustimmung des Arbeitnehmers Voraussetzung für die Durchführung des Verfahrens. Ohne dessen Zustimmung ist der Arbeitgeber gehindert das Verfahren durchzuführen.416 Stimmt der Arbeitnehmer zu, sollten zunächst die konkreten Arbeitsbedingungen geklärt und im Anschluss nach individuellen Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten gesucht werden. Das Gesetz selbst enthält dazu keine genauen Vorschläge, sondern enthält nur regulative Vorgaben für den Verfahrensablauf.417 Als praktikabel haben sich Maßnahmen wie z. B. die Veränderung der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeit, der Arbeitsumgebung, der betrieblichen Gesundheitsförderung etc. erwiesen.418 Unterlässt der Arbeitgeber die Einleitung eines solchen Verfahrens und spricht stattdessen eine Kündigung aus, führt das Unterlassen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung, denn die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine zivilrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung.419 Die Vorschrift ist eine Konkretisierung des das gesamte Kündigungsschutzrecht prägenden Verhältnismäßigkeitsprinzips420, so dass die Folgen von Verstößen gegen § 167 II 1 SGB IX bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Kündigung zu berücksichtigen sind. Arbeitgeberseitige Verantwortung bezüglich der Entstehung des personenbedingten Kündigungsgrundes im Kontext der leidensgerechten Beschäftigung kann auf verschiedene Arten bestehen: (1) Ein bEM wird nicht durchgeführt, so dass zur 414 BAG, Beschl. v. 07. 02. 2012 – 1 ABR 46/10 – NZA 2012, 744, 745; KKW/Kothe, § 167 SGB IX Rn. 15; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 84 Rn. 15; Joussen, DB 2009, 286. 415 KKW/Kothe, § 167 SGB IX Rn. 21; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 84 Rn. 17. 416 BAG, Urt. v. 24. 03. 2011 – 2 AZR 170/10 – NZA 2011, 992, 994; KKW/Kothe, § 167 SGB IX Rn. 23; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 84 Rn. 35 ff.; Gagel, NZA 2004, 1359, 1360. 417 LPK-SGB IX/Düwell, § 167 Rn. 32; Joussen, DB 2009, 286, 287 f. 418 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 84 Rn. 16; LPK-SGB IX/Düwell, § 167 Rn. 36; KKW/Kothe, § 167 SGB IX Rn. 26. 419 BAG, Urt. v. 12. 07. 2007 – 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 197. 420 BAG, Urt. v. 12. 07. 2007 – 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, § 84 Rn. 46.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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Kündigung mildere Mittel unentdeckt bleiben. (2) Es wird ein Verfahren durchgeführt, das nicht den Mindestanforderungen eines bEMs genügt, so dass ebenfalls mildere Mittel unentdeckt bleiben. (3) Im bEM-Verfahren wurde eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gefunden, der Arbeitgeber setzt dieses jedoch nicht um, so dass erneut mildere Mittel außer Acht gelassen werden. (4) Ein bEM wurde nicht durchgeführt, so dass arbeitsplatzbedingte, krankmachende Umstände nicht erkannt wurden, welche zu dauerhaften Gesundheitsschäden beim Arbeitnehmer geführt haben. Es ist also bei der Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Verantwortung zwischen zwei Bezugspunkten zu unterscheiden: In den Beispielen (1) – (3) wird das unterbliebene bzw. fehlerhaft durchgeführte bEM zu einer Frage der Erforderlichkeit der Kündigung. An sich liegt eine zur Kündigung berechtigende und vom Arbeitgeber zu verantwortende Störung vor. Da der Arbeitgeber das bEM nicht oder nur fehlerhaft durchgeführt hat, kann es sein, dass er mildere Mittel, die die Kündigung vermeidbar gemacht hätten, verkannt hat. Diese Fehler wirken sich in Form einer erweiterten Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers aus.421 Dieser muss darlegen und ggf. beweisen, dass das bEM, wäre es durchgeführt worden, nicht zum Auffinden milderer Mittel, wodurch die Kündigung hätte abgewendet werden können, geführt hätte.422 Gelingt dem Arbeitgeber diese Darlegung nicht, muss sich der Arbeitgeber vorhalten lassen, dass er vorschnell gekündigt hat.423 Die Kündigung ist unwirksam, weil sie nicht erforderlich war. Davon abzugrenzen ist die unter (4) dargestellte Konstellation. Hier ist der Kündigungsgrund, also in der Regel die arbeitsplatzbedingte Erkrankung, der Bezugspunkt der Verantwortung. Denn der Arbeitgeber hat es durch die unterlassene Durchführung des bEMs versäumt, bei der Durchführung des bEMs ermittelte Krankheitsursachen am Arbeitsplatz abzustellen. So betrachtet, kann es sein, dass der Arbeitgeber durch das Unterlassen des bEMs mittelbar gegen seine Pflicht verstößt, Umstände zu vermeiden, die eine personenbedingte Kündigung bedingen können. Somit kann vor dem Hintergrund, dass das bEM präventive Zwecke verfolgt und darauf gerichtet ist, die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zu erhalten, die Nichtdurchführung eines bEM auch als Verantwortung für den Kündigungsgrund gesehen werden. Die Rechtsprechung leitet zumindest aus dem Präventionszweck des § 167 II SGB IX die Pflicht zur erneuten Durchführung eines bEMs vor Ausspruch einer Kündigung ab, weil sich daraus ein neuer Ansatz für Maßnahmen zur Vorbeugung vor weiteren Zeiten von Arbeitsunfähigkeit ergeben kann.424 Es ist daher erneut festzustellen, ob maßgebliche Änderungen in den Krankheitsursachen oder in den 421
BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 755/13 – NZA 2015, 612, 615, Rn. 27. BAG, Urt. v. 24. 03. 2011 – 2 AZR 170/10 – NZA 2011, 992, 994; BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. 423 BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 755/13 – NZA 2015, 612, 615 f., Rn. 40. 424 BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 138/21 – NJW 2022, 889, 890 f., Rn. 25. 422
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
betrieblichen Umständen gegenüber dem zuvor durchgeführten bEM eingetreten sind.425 Verstöße gegen die Pflicht zur erneuten Durchführung eines bEMs führen nach der Rechtsprechung dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 II 1 KSchG ist.426 In der Nichtdurchführung des bEMs lässt sich jedoch zumindest mittelbar auch eine Verantwortung des Arbeitgebers für den Kündigungsgrund erkennen. Die Auswirkungen der Verantwortung auf das Kündigungsrecht ist gleichermaßen zu beurteilen, wie die Mitverantwortung für die unmittelbare kündigungsauslösende Störung.427 4. Weiterreichende Schutzmaßnahmen Auch wenn der Arbeitgeber sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Schutzvorschriften beachtet, schließt dies nicht aus, dass es zu gesundheitlichen Einschränkungen bei den Arbeitnehmern kommen kann. Fraglich ist daher, ob es sein kann, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Schutzmaßnamen zu ergreifen, die über das gesetzlich vorgeschriebene Schutzniveau hinausgehen. Diskutiert wird diese Frage vornehmlich zum Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz, wozu das einzige, diese Frage bejahende Urteil428 ergangen ist, auf das sich die wohl herrschende Meinung429 beruft, die in Ausnahmefällen, bei besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmern, einen Anspruch auf über die Normen des technischen Arbeitsschutzes hinausgehende Maßnahmen für gegeben hält. Die gesetzliche Ausgangssituation ist, dass der Arbeitgeber seine nicht rauchenden Beschäftigten vor den von Tabakrauch ausgehenden Gesundheitsfahren gem. § 5 I 1 ArbStättV schützen muss. In Verbindung mit § 618 I BGB haben Arbeitnehmer darauf einen individuellen und einklagbaren Anspruch. Da der Gesetzgeber mit den Normen des technischen Arbeitsschutzes abschließende Regelungen für den Arbeitsschutz schaffen wollte, wird dadurch zugleich der Maximalschutz umschrieben, den der Arbeitnehmer verlangen kann. Den Anforderungen des Nichtraucherschutzes genügt der Arbeitgeber, wenn er für eine Atemluft sorgt, die der Außenluft entspricht. Die innere Luft muss also nicht gänzlich tabakrauchfrei sein430.
425
BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 138/21 – NJW 2022, 889, 890 f., Rn. 25. BAG, Urt. v. 18. 11. 2021 – 2 AZR 138/21 – NJW 2022, 889, 890 f., Rn. 25. 427 Siehe hierzu Dritter Teil unter § 6 B. – E. 428 BAG, Urt. v. 17. 02. 1998 – 9 AZR 84/97 – AP BGB § 618 Nr. 26. 429 ErfK/Wank, § 618 Rn. 4; HWK/Krause, § 618 Rn. 17; MünchKomm BGB/Henssler, § 618 Rn. 62; Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 147; Börgmann, Anm. BAG, Urt. v. 17. 02. 1998 – 9 AZR 84/97 – AP BGB § 618 Nr. 26; Faber, Soziale Sicherheit 2008, 130, 132; Weber, FS Kothe, S. 81, 91. 430 Arbeitsstättenrichtlinie Lüftung (ASR 5), wonach ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft in Arbeitsräumen dann vorhanden ist, wenn die Luftqualität im Wesentlichen der Außenluftqualität entspricht; vgl. Bergwitz, NZA-RR 2004, 169, 170. 426
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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In dem Fall, mit dem sich das Gericht in dem bereits erwähnten Urteil auseinander zu setzen hatte, hatte eine an chronischen Atemwegserkrankungen leidende Beschäftigte auf Bereitstellung eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes geklagt. Dieser wurde ihr mit der Begründung zugesprochen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften das erforderliche Schutzniveau nur allgemein bestimmten. Wenn die im Einzelfall von der Normalkonzession abweichende Verfassung des Arbeitnehmers tabakrauchfreie Atemluft erfordere, stünden dem Arbeitnehmer besondere Schutzmaßnahmen zu. Das Urteil ist auf große Zustimmung gestoßen, wie sich der Tatsache entnehmen lässt, dass sich diesbezüglich eine entsprechende herrschende Meinung gebildet hat. Bestünde ein solcher Anspruch des Arbeitnehmers auf weiterreichendere Schutzmaßnahmen und käme der Arbeitgeber dem nicht nach, hätte dies zur Folge, dass die arbeitgeberseitige Verantwortung in der Interessenabwägung einer Kündigung anders zu bewerten wäre, als wenn ein solcher Anspruch nicht bestünde. Wäre der Arbeitgeber verpflichtet gewesen weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wäre im Falle des Unterlassens seine Verantwortung in der Interessenabwägung zu seinen Lasten als schwerwiegender zu gewichten. Die Frage, die sich im Anschluss daran stellt, ist inwieweit das Urteil verallgemeinerungsfähig ist. Dafür, dass es sich hierbei um eine kaum auf andere Situationen übertragbare Entscheidung handelt, spricht zumindest der Umstand, dass es nach wie vor das einzige Urteil ist, dass in diesem Zusammenhang erwähnt wird und dass die häufig vorgebrachten „Umstände des Einzelfalls“ wenig konkretisiert wurden. In darauf folgenden Urteilen zum Nichtraucherschutz431 hat das BAG die Frage, was der Arbeitgeber zusätzlich zum gesetzlich vorgeschriebenen Schutz noch an weiteren Maßnahmen ergreifen könnte, nicht mehr weiter verfolgt. Dies veranlasst zu der Annahme, dass den Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes nicht nur eine Konkretisierungsfunktion zukommt, sondern auch eine dem Arbeitgeber zu Gute kommende Entlastungsfunktion. Wurden die Vorschriften des Arbeitsschutzes eingehalten, kann grundsätzlich kein überobligatorischer Leistungsaufwand verlangt werden. Folglich wird eine diesbezügliche andere Gewichtung der arbeitgeberseitigen Verantwortung in der Interessenabwägung der Kündigung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen. 5. Risikoverantwortung Nachdem das gesetzliche Pflichtenprogramm des Arbeitgebers dargestellt wurde, dessen Nichtbefolgung schuldhaftes Handeln indiziert, soll nun die Frage beantwortet werden, ob der Arbeitgeber auch verschuldensunabhängig für arbeitsbedingte Risiken verantwortlich ist, die selbst bei Einhaltung der Schutzgesetze noch eintreten können. Es stellt sich die Frage, ob nicht entgegen der oben dargelegten Verantwortungsverteilung bei Personenschäden – solche fallen grundsätzlich in den Ver431 Siehe z. B. BAG, Urt. v. 10. 05. 2016 – 9 AZR 347/15 – NZA 2016, 1134; BAG, Urt. v. 19. 05. 2009 – 9 AZR 241/08 – BAGE 131, 18.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
antwortungsbereich des Arbeitnehmers – aufgrund der ggf. mit Verrichtung der Arbeit einhergehenden Gefahren eine Verantwortungsverteilung zu Lasten des Arbeitgebers vorzunehmen ist. Die sich durch die Arbeit realisierenden Risiken könnten in entsprechender Anwendung der Betriebsrisikolehre nach § 615 S. 3 BGB dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zuzuordnen sein. a) Nicht vorhandene Gesundheit des Arbeitnehmers als Betriebsrisiko? Indem das Reichsgericht in seiner Kieler Straßenbahnentscheidung432 den Anstoß für eine vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsgefahr legte433, wurden bis dahin geltende Denksätze aufgegeben434, welches das Reichsarbeitsgericht schließlich dazu veranlasste anzuerkennen, dass „jeder Teil nicht nur sein Verschulden [zu vertreten hat], sondern auch alles, was in den Kreis der von ihm zu tragenden Gefahr fällt“435. Während in der Reichsgerichtsentscheidung die Sphären nach Solidaritätsgesichtspunkten (Arbeitnehmerschaft vs. Arbeitgeber) gebildet wurden, hat das Reichsarbeitsgericht eine Einteilung nach Verantwortungsbereichen vorgenommen. Danach trug derjenige die Entgeltgefahr, aus dessen Verantwortungsbereich (sog. Sphäre) die Störung stammte. Auf Seiten des Arbeitgebers sollten dies sämtliche betrieblich veranlasste Störungen sein, also Ereignisse, die auf die Betriebsleitung, die Betriebsmittel oder die im Betrieb vorherrschenden Verhältnisse zurückzuführen sind.436 Dem Arbeitnehmer wurde aufgrund seiner Betriebsverbundenheit die Entgeltgefahr nicht nur für Störungen, die ihre Ursache in seiner Person hatten, sondern auch für solche aus der Belegschaft zugewiesen.437 Das BAG hat in seiner Entscheidung, mit der das Fundament der heutigen Betriebsrisikolehre gelegt wurde, den Solidaritätsgedanken aufgegeben. „Der Arbeitgeber, der den Betrieb und die betriebliche Gestaltung organisiert, leitet, die Verantwortung trägt und die Erträge bezieht, [muss] seinen Arbeitnehmern dafür einstehen, daß der Betriebsorganismus in Funktion bleibt und die Arbeitsmittel zur Verfügung stehen, die dem Arbeitnehmer die Arbeit und damit die Erzielung des Lohnes ermöglichen.“438 Die Lehre wurde weiterentwickelt und rechnet auch solche Ereignisse dem Arbeitgeber zu, die von außen auf den Betriebsablauf einwirken.439 432
RG, Urt. v. 06. 02. 1923 – III 93/22 – RGZ 106, 272. RG, Urt. v. 06. 02. 1923 – III 93/22 – RGZ 106, 272, 274. 434 „Um zu einer befriedigenden Lösung des Streits zu gelangen, [darf man nicht] … von den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgehen, muss vielmehr die sozialen Verhältnisse ins Auge fassen …“, RG, Urt. v. 06. 02. 1923 – III 93/22 – RGZ 106, 272, 275. 435 RAG, Urt. v. 20. 06. 1928 – 56/28 – ARS 3, 116, 121. 436 In RAG, Urt. v. 20. 06. 1928 – 56/28 – ARS 3, 116, 122 ging es um das Entgeltrisiko für einen Betriebsausfall infolge nicht beschaffter Kohlen. 437 RAG, Urt. v. 20. 06. 1928 – 56/28 – ARS 3, 116, 122. 438 BAG, Urt. v. 08. 02. 1957 – 1 AZR 338/55 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2. 439 BAG, Urt. v. 09. 03. 1983 – 4 AZR 301/80 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 31; BAG, Urt. v. 25. 07. 1957 – 1 AZR 194/56 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 3. 433
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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Abweichend von dem in § 326 I 1 BGB normierten Grundsatz, dass der Schuldner, vorliegend der Arbeitnehmer, die Vergütungsgefahr für den Fall der ihm unmöglich gewordenen Leistung trägt440, besagt die Betriebsrisikolehre, dass der Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung verpflichtet bleibt, sofern die Ursachen der Nichterbringbarkeit der Leistung in seiner Person oder im Betrieb, einschließlich der von ihm zu stellenden Arbeitsmittel und externer Ereignisse, die auf den Betrieb einwirken, liegen. Konkret, kann der Arbeitnehmer z. B. seine Leistung deshalb nicht erbringen, weil ein Kurzschluss441 die Fabrik in Brand gesetzt hat oder weil an einer der Maschinen ein Schaden entstanden ist, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vergüten. Dies ergibt sich seit der Kodifizierung der Betriebsrisikolehre aus § 615 S. 3 BGB. Für das Verhältnis von Betriebsrisiko und außerordentlicher Kündigung442 ist anerkannt, dass sich der Arbeitgeber seiner Zahlungspflicht nicht dadurch entziehen kann, dass er seinen Betrieb oder einen Betriebsteil stilllegt und fristlos kündigt443. In diesem Fall sind außerordentliche Kündigungen (ohne soziale Auslauffristen) unzulässig444. Des Weiteren heißt es in dem Urteil des BAG, dass der Arbeitgeber grundsätzlich seinen „unternehmerischen Misserfolg nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen“445 dürfe. Der unternehmerische Misserfolg ist jedoch ein Aspekt, der nicht das Betriebs- sondern das Wirtschaftsrisiko betrifft. Gleichwohl dieses beim Arbeitgeber zu verorten ist, wird vom BAG eine Kündigungsmöglichkeit bei besonders schwieriger wirtschaftlicher Lage für möglich gehalten, wenn die Weiterbeschäftigung eine unzumutbare Belastung darstellt.446 Von Bedeutung für die vorliegende Arbeit wäre eine darüber hinausgehende Risikozuweisung, die die im Betrieb auftretenden Krankheiten dem Arbeitgeber zuweist. Wenn die zur Kündigung führende Krankheit des Arbeitnehmers ein dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugewiesener Umstand wäre, ließen sich aus der Risikoverteilung möglicherweise Rückschlüsse auf die Kündigungsbefugnis ziehen. 440
BT-Drs. 14/6857, S. 47 f. Vgl. BAG, Urt. v. 30. 01. 1991 – 1 AZR 338/90 – NZA 1991, 519, 521; siehe ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 130 mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. 442 Vgl. Picker, FS Huber, S. 497, 507, wonach hinsichtlich der damaligen Anerkennung des Betriebsrisikos die Vermutung naheliege, dass diese nur erfolgt sei, weil für den Arbeitgeber die Möglichkeit zur fristlosen Kündigung bestand; eine außerordentliche Kündigungsbefugnis in solchen Fällen befürwortend Nassauer, „Sphärentheorien“, S. 134 ff. 443 BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik); BAG, Urt. v. 08. 10. 1957 – 3 AZR 136/55 – AP BGB § 626 Nr. 16. 444 BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik); BAG, Urt. v. 08. 10. 1957 – 3 AZR 136/55 – AP BGB § 626 Nr. 16; ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 136; vgl. Picker, JZ 1985, 641, 645, 651, der zwar für eine außerordentliche Kündigungsbefugnis plädiert, eine Aushebelung der Gefahrtragungsregeln stattdessen durch eine Aufrechterhaltung der Zahlungspflicht entsprechend den Grundsätzen bei vom Gläubiger zu verantwortender Unmöglichkeit (§ 326 II BGB) vermeiden will. 445 BAG, Urt. v. 08. 10. 1957 – 3 AZR 136/55 – AP BGB § 626 Nr. 16. 446 BAG, Urt. v. 08. 10. 1957 – 3 AZR 136/55 – AP BGB § 626 Nr. 16. 441
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Die diesem Abschnitt zu Grunde liegende Frage lautet daher, ob sich die nicht vorhandene Gesundheit oder Eignung des Arbeitnehmers als Betriebsrisiko des Arbeitgebers einordnen lässt. Arbeitsgrundlage der Beantwortung der Frage soll in einem ersten Schritt die bereits erwähnte Sphärentheorie sein. Diese wird zu einer Problematik herangezogen, bei der es darum geht, wer die Folgen eines zufälligen Nachteils zu tragen hat; nämlich derjenige, in dessen Sphäre der Nachteil eingetreten ist.447 Um diese Erkenntnisse für die vorliegende Untersuchung nutzen zu können, müssen zunächst folgende Fragen geklärt werden: Welche Nachteile sind von der Sphärentheorie umfasst? Wonach bemisst sich, ob es sich um einen im Betrieb liegenden Grund handelt? Erst dann steht fest, ob die Sphärentheorie zur Klärung der Frage taugt, ob der Arbeitgeber, die Folgen, ein mit Störungen behaftetes Arbeitsverhältnis, für Nachteile, die sich aus der vom Arbeitnehmer geschuldeten Tätigkeit für diesen ergeben, zu tragen hat. In anderen Worten, ob der Arbeitgeber zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet sein soll, wenn der Arbeitnehmer erkrankt und infolgedessen die Leistung nicht mehr wie geschuldet erbringen kann. Zur ersten Frage: Nach dem heutigen Verständnis der Betriebsrisikolehre gehört zur Sphäre des Arbeitgebers sein Betrieb, für dessen Funktionieren er zu sorgen hat und wo er den Arbeitnehmern die Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen hat, die ihnen Arbeit und Lohnerzielung ermöglichen.448 Konkrete Nachteile im Sinne der Betriebsrisikolehre sind Unterbrechungen der Energieversorgung, Naturereignisse, wenn sie sich im Betrieb auswirken, das Ausbleiben von Rohstoffen oder das Auftreten von Maschinenschäden, die allesamt einen Betriebsstillstand oder Einschränkung des Betriebs zur Folge haben, so dass die Leistungserbringung für den Arbeitnehmer unmöglich wird; mithin eine Leistungsstörung vorliegt.449 Auf den ersten Blick scheint es, als ließe sich die nicht vorhandene Gesundheit bzw. Eignung des Arbeitnehmers ebenfalls in diesen Reigen einordnen. Unabhängig von Verletzungen von Arbeitsschutzvorschriften überwiegt bei Krankheiten das unbeherrschbare Moment. Ob es zu einer pathologischen Ausprägung und damit zur Arbeitsunfähigkeit kommt – oder nicht – hängt von einer weiteren Verkettung von Umständen ab, auf die weder der Arbeitgeber noch der betroffene Arbeitnehmer selbst Einfluss haben, so dass sich schließlich in der Arbeitsunfähigkeit der aus zufälligen Ereignissen herrührende Nachteil erblicken ließe. Konsequenterweise müsste dies Auswirkungen auf die Kündigungsbefugnis haben, rechnete man dies dem Betriebsrisiko zu. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich jedoch eine entscheidende Divergenz. Während es sich bei den oben beschriebenen Nachteilen um Ereignisse handelte, die dazu führen, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung aufgrund der Gege447 448 449
Nassauer, „Sphärentheorien“, S. 5 f. BAG, Urt. v. 08. 02. 1957 – 1 AZR 338/55 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 2. Staudinger/Richardi/Fischinger (2019), BGB § 615 Rn. 196, 198.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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benheiten in dem jeweiligen Betrieb unmöglich ist, so ist es bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit die eigene Leistungsfähigkeit, die fehlt und den Arbeitnehmer an der Arbeitsleistung hindert. Begreift man die Betriebsrisikolehre als Unterfall der zivilrechtlichen Substratgefahrtragung des Dienstberechtigten450, dann trägt der Arbeitgeber das Entlohnungsrisiko für Ereignisse, die aus seinem Bereich kommen und die Arbeitsleistung unmöglich machen. Ferner wird die Betriebsrisikolehre, wie es im Urteil des BAG angeklungen ist („Betriebsleitung“), mit dem Gedanken der Gefahrbeherrschung und Gefahrveranlassung begründet.451 Für die Übertragung dieses Gedankens auf arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren fehlt es daher an der entscheidenden Grundvoraussetzung: Der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Im Unterschied zu den Anwendungsfällen der Betriebsrisikolehre liegt die Störung, hier Nichtleistung des Arbeitnehmers, dort Betriebsstörung beim Arbeitgeber, eben nicht beim Arbeitgeber, sondern beim Arbeitnehmer. Ein Erst-recht-Schluss des Inhalts, dass der Arbeitnehmer im Falle einer Erkrankung noch schutzwürdiger sei, ginge fehl: Das Krankheitsrisiko ist das ureigene Risiko des Arbeitnehmers. Würde man der Betriebsrisikolehre auch eine Gefahrzuweisung für die allgemeine Gesundheit des Arbeitnehmers und damit korrespondierend einen Ausschluss der Kündigungsbefugnis entnehmen, würde der Arbeitsvertrag zu einem Versorgungsvertrag.452 Daraus folgt, dass, obwohl der Arbeitgeber nach der Betriebsrisikolehre zahlreiche Risiken zu tragen hat, daraus keine Anhaltspunkte für die Risikotragung des Arbeitgebers für die allgemeine Gesundheit und Eignung des Arbeitnehmers gewonnen werden können. b) Arbeitsbedingte Erkrankungen als Betriebsrisiko Von dem soeben gefundenen Ergebnis zu unterscheiden, ist die Verantwortungsverteilung im Hinblick auf arbeitsbedingte Erkrankungen. Ausgehend von einem sich idealtypisch verhaltenden, also sämtliche Schutzgesetze einhaltenden Arbeitgeber, schiede eine Zurechnung wegen Verschuldens, sollte es dennoch zu Erkrankungen bei Arbeitnehmern kommen, die auf der verrichteten Arbeit beruhen, aus. Da die gesetzliche Unfallversicherung nur für bestimmte Krankheiten aufkommt, könnte man geneigt sein von der Bedürftigkeit und nicht nur finanziellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers auf eine Überlegenheit und Mächtigkeit des Arbeitgebers zu schließen, mit der sich eine Verantwortungszuweisung vereinbaren ließe. So einfach lassen sich die in Form der Arbeitsschutzgesetze niedergelegten 450 Staudinger/Richardi/Fischinger (2019), BGB § 615 Rn. 212; Picker, FS Kissel, S. 883; ders., JZ 1979, 285, 292. 451 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 425. 452 So auch Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 17; ablehnend Picker, JZ 1979, 285, 286, der Arbeitgeber sei nicht die „Sozialstelle“ des Arbeitnehmers.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Verhaltensanforderungen und darin inbegriffene Risikoverteilung jedoch nicht übergehen. Gegen eine Verantwortungszuweisung zum sich gesetzeskonform verhaltenden Arbeitgeber spricht zunächst der in § 618 BGB ausdrücklich normierte Vorbehalt, der sämtliche vom Arbeitgeber zu erbringenden Pflichten zur Gefahrenbeseitigung auf jene begrenzt, die nicht der „Natur der Dienstleistung“ zuwiderlaufen. Daher wird von einem Arbeitgeber nicht alles zu einer Gefahrenminimierung Mögliche verlangt, sondern nur insoweit, wie es sich mit der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistung vereinbaren lässt. Andernfalls wären ganze Industriezweige, bei denen sich Gefahren nicht zu 100 % vermeiden lassen, undenkbar. Solange eine unternehmerische Tätigkeit nicht verboten ist, können die davon ausgehenden Gefahren nur minimiert nicht aber vollständig abgestellt werden.453 Daher impliziert der Abschluss des Arbeitsvertrags eine Einwilligung des Arbeitnehmers, sich dem verbleibenden Gefahrenpotential auszusetzen.454 Ob damit die Gesundheit des Arbeitnehmers zum Vertragsgegenstand wird und sämtliche Folgeschäden mit dem Arbeitsentgelt abgegolten sind, bleibt jedoch fraglich.455 Denn mit der Einwilligung in die gesundheitlichen Gefahren ist noch nichts über die Verteilung der finanziellen Konsequenzen gesagt. Probanden für Arzneimitteltests sind automatisch vollversichert (§ 40 III AMG). Der für den Sponsor des Tests verpflichtende Versicherungsvertrag ist als echter Vertrag zu Gunsten Dritter konzipiert. Im Unterschied zur gesetzlichen Unfallversicherung tritt die Probandenversicherung für alle Verletzungen des Prüfungsteilnehmers ein, die kausal auf der Teilnahme an einer Studie beruhen; Beschränkungen auf nur bestimmte Erkrankungen gibt es also nicht.456 Die gesetzliche Unfallversicherung hingegen kompensiert nur bestimmte, nicht alle arbeitsbedingten Erkrankungen. Aus einem hohen Gehalt, das gezahlt wird, damit sich der Arbeitnehmer privat versichern kann, könnte man schließen, dass er derjenige ist, der das Risiko auch in finanzieller Hinsicht zu tragen hat. Da jedoch in der Regel eher Gegenteiliges der Fall ist457, bleibt es dabei, 453 So hat das BAG den Anspruch eines in einer Spielbank beschäftigten Arbeitnehmers gerichtet auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz mit folgender Begründung abgelehnt: „Wegen des Schutzes der Natur des Betriebs kann der Arbeitnehmer keine nichtraucherschützenden Maßnahmen verlangen, die zu einer Veränderung oder einem faktischen Verbot der rechtmäßigen unternehmerischen Betätigung führen würden.“ (BAG, Urt. v. 10. 05. 2016 – 9 AZR 347/15 – NZA 2016, 1134, 1136; BAG, Urt. v. 08. 05. 1996 – 5 AZR 971/94 – NZA 1996, 927, 929). 454 Staudinger/Oetker (2019), BGB § 618 Rn. 232 mit Verweis auf RG, Urt. v. 05. 03. 1912 – III 427/11 – LZ 1912, 453 Nr. 2. 455 Kritisch Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 258; ablehnend Rosenland, ArbuR 1991, 266, 267; Pflüger, DB 1995, 1761, 1763. 456 HdB d. PharmaR/Heil/Lützeler, § 4 Rn. 87 f. 457 Im Jahr 2010 haben ca. 47 % aller Arbeitnehmer in Deutschland weniger als das jährliche Durchschnittseinkommen von 31.144 E brutto verdient. Ca. 25 % bezogen ein Gehalt in der Größenordnung von 36.000 – 48.000 E (Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten, Verdienststrukturen 2010, S. 569). Folglich reicht das Gehalt, das mehrheitlich verdient
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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dass das Arbeitsverhältnis ein Austauschverhältnis, gerichtet auf den Austausch einer Dienstleistung gegen Entgelt, ist, womit die Zurverfügungstellung der Gesundheit nicht abgegolten ist.458 Die Vertragszusage des Arbeitnehmers ist also keine Risikoübernahme für arbeitsbedingte Erkrankungen. Die Zuweisung der arbeitsbedingten Erkrankung zur Risikosphäre des Arbeitnehmers ausgehend vom casum-sentit-dominus Grundsatz wäre verfehlt, denn um zufällige, dem allgemeinen Lebensrisiko immanente Ereignisse handelt es sich bei arbeitsbedingten Erkrankungen gerade nicht. Die Erkrankungen werden durch die Arbeitsbedingungen beeinflusst, verschlimmert oder erst hervorgerufen. Die Arbeits- und Produktionsbedingungen wiederum unterliegen der Organisationsgewalt des Arbeitgebers. Durch die Festlegung des Unternehmensgegenstandes, durch die Organisation der Betriebs- und Produktionsabläufe, durch die Anschaffung bestimmter Maschinen, Gerätschaften, Stoffe etc. sowie durch die Erteilung konkreter Arbeitsweisungen steuert und veranlasst der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer bestimmten Gefahren ausgesetzt ist. Zugleich ist der Arbeitgeber aber derjenige, der den unternehmerischen Nutzen aus dem Tätigwerden des Arbeitnehmers zieht. Die Bündelung des Veranlassungsprinzips459 mit der Tätigkeit im fremden Interesse460 ist seit jeher der § 670 BGB beherrschende und auf verschiedene Rechtsinstitute ausgedehnte Rechtsgedanke: Danach kann der Beauftragte oder berechtigte Geschäftsführer ohne Auftrag Schäden vom Geschäftsherrn ersetzt verlangen, die er bei seiner Tätigkeit im fremden Interesse erleidet, weil er sich zu dessen Gunsten einem spezifischen Risiko aussetzt.461 Entsprechend wurden früher die Gründe für eine Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers daraus hergeleitet, dass dieser eine gefahrgeneigte Tätigkeit ausübte.462 Heute ist allgemein anerkannt, dass nicht nur Arbeitnehmer, die eine Tätigkeit mit hohem Gefahrenpotential für Schäden ausführen, in der Haftung zu privilegieren sind, sondern alle Arbeitnehmer, wird, dazu die laufenden Kosten wie Miete, Auto, Lebensunterhalt, Telefonie etc. zu begleichen, nicht jedoch zur Zahlung von Prämien zur privaten Versicherung. (So auch der Gedanke bei Einführung der Vorläufer der heutigen Sozialversicherung, vgl. Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, §§ 1 f.; vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 401, zur Gefahrtragung der allgemeinen Schadenshaftung). 458 So auch Pflüger, DB 1995, 1761, 1763. 459 Larenz, SchuldR II/1, § 52 II d; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 70 ff. m. w. N. 460 Canaris, RdA 1966, 41 ff.; ders., Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 181 f., Fn. 37; A. Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn für schuldlos erlittene Schäden des Geschäftsführers, S. 52 ff.; Genius, AcP 173 (1973) 512 ff. 461 BGH, Urt. v. 07. 11. 1960 – VII ZR 82/59 – NJW 1961, 359; Erman/Berger, § 670 Rn. 18; Soergel/Beuthien, § 670 Rn. 17; Fikentscher/Heinemann, SchuldR, § 86 Rn. 1250; Larenz, SchuldR, II/ 1 § 56 III; a. A. MünchKomm BGB/Schäfer, § 670 Rn. 15 f.; wie hier MünchKomm BGB/Seiler, § 670 Rn. 14. 462 BAG, Urt. v. 19. 03. 1959 – 2 AZR 402/55 – BAGE 7, 290, 295 ff.; BAG GS, Beschl. v. 25. 09. 1957 – GS 4/56 – BAGE 5, 1, 5; BGH, Urt. v. 10. 01. 1955 – III ZR 153/53 – BGHZ 16, 111, 116; Larenz, SchuldR, II/1 § 52 II d; ders., SAE 1959, 189; vgl. bereits die Entscheidungen vom RAG, Urt. v. 12. 06. 1937 – ARS 30, 1; RAG, Urt. v. 18. 12. 1940 – ARS 41, 55.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
aufgrund der alleinigen Tatsache, dass sie im fremden Interesse tätig werden.463 Das Risiko, dass ihnen bei Verrichtung der Arbeit ein Fehler unterläuft und daraus Schäden resultieren, ist Teil des Betriebsrisikos des Arbeitgebers, das sich dieser wie eigenes „Mitverschulden“ auf seinen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitnehmer anrechnen lassen muss.464 Auch der der Gefährdungshaftung zu Grunde liegende Gedanke465 kann hier für die Risikozuweisung zum Arbeitgeber fruchtbar gemacht werden: Der Betrieb des Arbeitgebers ist als erlaubte Gefahr zu werten, die der Arbeitgeber betreibt und unterhält; z. B. das Betreiben einer Müllverbrennungsanlage mit der Gefahr unkontrollierbarer Emissionen und die Verwendung teilweise giftiger Stoffe zu Produktionszwecken. In der Erlaubnis der Gefahr ist zugleich die Negation absoluter Unversehrtheit der Rechtsgüter anderer, hier Leben und Gesundheit, mit inbegriffen. Die Aberkennung absoluten Schutzes rechtfertigt es auf die Kriterien Verschulden und Rechtswidrigkeit zur Begründung einer Einstandspflicht zu verzichten. Verantwortung folgt aus der Gefahrveranlassung und Gefahrbeherrschung. Daher ist das Gesundheitsrisiko, das von den Arbeits- und Produktionsbedingungen ausgeht und sich in arbeitsbedingten Folgeerkrankungen niederschlagen kann, selbst wenn dem Arbeitgeber kein Verstoß gegen die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften vorzuwerfen ist, dessen Verantwortung zuzuordnen.466 Davon abzugrenzen ist eine Haftung auf Schadensersatz als Folge der Gefahrtragung. c) Arbeitsrechtliche Gefährdungshaftung? Im Jahr 1960 hat ein Fall das BAG zu der Frage veranlasst, eine Ausdehnung der Gefährdungshaftung in das Arbeitsrecht in Erwägung zu ziehen.467 In dem Fall ging es darum, dass sich ein mit Säuren hantierender Hafenarbeiter bei dem Transport einer Flasche Ameisensäure verletzt hatte und diese dabei dessen Bekleidung be463 BAG, Urt. v. 05. 02. 2004 – 8 AZR 91/03 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 126; BAG GS, Beschl. v. 27. 09. 1994 – GS 1/89 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103; MünchKomm BGB/Henssler, § 619a Rn. 8 f.; Otto/Schwarze/Krause/Otto, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 2 Rn. 10; Blomeyer, JuS 1993, 903; Däubler, NJW 1986, 867; Deutsch, NJW 1966, 705; Otto, Gutachten zum 56. DJT, E1 – E 94. 464 Dass das Betriebsrisiko die Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers begründet, geht zurück auf Gamillscheg/Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, 1965; Gamillscheg, FS Rheinstein II, 1043 ff.; anschließend BAG, Urt. v. 23. 03. 1983 – 7 AZR 391/79 – NJW 1983, 1693, 1694, wonach das Betriebsrisiko als „verschuldensunabhängiger haftungsrechtlicher Zurechnungsfaktor“ zu werten sei. 465 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 142 ff.; ders., VersR 1971, 1, 6; Esser/Weyers, SchuldR BT II, § 63; Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung; Larenz/ Canaris, SchuldR BT II/2, § 84 I 2; S. 105 ff.; Meder, JZ 1993, 539, 544. 466 So i. E. auch ArbG Bremen, Urt. v. 15. 04. 1954 – I Ca 178/54 – DB 1954, 804; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 445; vgl. Pflüger, DB 1995, 1761, 1763 der primär auf den „Aufopferungsgedanken“ abstellt; zustimmend Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 584. 467 BAG, Beschl. v. 25. 02. 1960 – 2 AZR 385/57 – AP BGB § 611 Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 1.
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schädigt hatte, für die er von seinem Arbeitgeber Schadensersatz verlangte. Dem Anspruch aus § 618 BGB konnte mangels schuldhafter Verletzung der Fürsorgepflicht nicht stattgegeben werden. Da das BAG eine Gefährdungshaftung für wünschenswert468 hielt in Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger eine gefährliche Arbeit zu leisten hatte und der Schaden durch diese Gefährlichkeit bedingt war, legte es dem Großen Senat die Frage nach einer arbeitsrechtlichen Gefährdungshaftung vor. In den Überlegungen des BAG zur Gefährdungshaftung heißt es dazu, bevor es den Großen Senat anrief, dass es dem Wesen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entspräche, den Arbeitnehmer, von schuldlos erlittenen Schäden freizustellen, die aus der übertragenen Arbeit herrührten, die ihrerseits eine latente Gefahr in sich barg.469 Der Große Senat urteilte jedoch, dass dies die Fürsorgepflicht strapazierte. Nicht ohne weiteres könnten aus jeder zu Gunsten der Betriebsgemeinschaft bestehenden Einzelpflicht vertragliche Ansprüche hergeleitet werden. Hinzukomme, dass die Gefährdungshaftung nach dem Enumerationsprinzip vom Gesetzgeber abschließend normiert sei.470 Obwohl der Große Senat des BAG einer Gefährdungshaftung im Arbeitsrecht damit eine Absage erteilt hat, schließt dies die Zurechenbarkeit einer arbeitsbedingten Erkrankung zur Verantwortungssphäre des Arbeitgebers nicht aus. So hält das Gericht den in § 670 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken für eine angemessene Lösung, um einen verschuldensunabhängigen Anspruch gegen den Arbeitgeber für Sachschäden des Arbeitnehmers herzuleiten.471 Grundlage des Anspruchs und Motiv des § 670 BGB ist der Ausgleich von Vermögensopfern, die bei der Tätigkeit in fremdem Interesse entstehen.472 Der Arbeitgeber ist der Nutznießer der Arbeit, indem er sie für sein unternehmerisches Konzept verwertet, während der Arbeitnehmer fremdnützig tätig ist. Dies stellt eine der wesentlichen Überlegungen dar, auf der der Anspruch basiert. Dazu wird nachfolgend ausgeführt, insbesondere ob sich die der Enthaftung des Arbeitnehmers
468 Das BAG folgt damit der Ansicht von Enneccerus-Nipperdey, BGB AT, 15. Aufl., § 217 I vor 1, die eine künftige Rechtsentwicklung zur Gefährdungshaftung als erwünscht [„der Gesetzgeber sollte sich von den Grundsätzen der deliktischen Haftung lösen und völlig neue Haftungsmaßstäbe (die Gefährdungshaftung) schaffen“] ansehen (BAG, Beschl. v. 25. 02. 1960 – 2 AZR 385/57 – AP BGB § 611 Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 1). 469 BAG, Beschl. v. 25. 02. 1960 – 2 AZR 385/57 – AP BGB § 611 Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 1. 470 BAG GS, Beschl. v. 10. 11. 1961 – GS 1/60 – AP BGB § 611 Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 2. 471 BAG GS, Beschl. v. 10. 11. 1961 – GS 1/60 – AP BGB § 611 Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 2. 472 Staudinger/Martinek/Omlor (2017), BGB § 670 Rn. 21; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 93 Rn. 25 f.; Otto/Schwarze/Krause/Schwarze, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 27 Rn. 5; Canaris, RdA 1966, 41.
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zugrunde liegenden Überlegungen auf die gesundheitlichen Risiken übertragen lassen. d) Verantwortung entsprechend dem Gedanken zur Enthaftung des Arbeitnehmers Anerkannte Gründe, die die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers beim innerbetrieblichen Schadensausgleich rechtfertigen und die die Haftungsentlastung des Arbeitnehmers begründen, beruhen im Wesentlichen auf folgenden zwei Grundüberlegungen: Erstens, der Schaden stellt eine Realisation des betrieblichen Risikos dar. Zweitens, aus sozialpolitischen Gründen ist der Arbeitnehmer vor wirtschaftlich unzumutbaren Belastungen zu schützen.473 Der erste Aspekt lässt sich in weitere Teilaspekte gliedern. Erstes dazu gehörendes Zurechnungsprinzip ist die betriebsspezifische Gefahr, die den betrieblichen Abläufen immanent ist, nicht nur von den einzelnen Betriebsmitteln, wie z. B. Maschinen, Stoffen oder Erzeugnissen, ausgeht, sondern die auch der übertragenen Tätigkeit innewohnt.474 Dabei geht es nicht darum eine Gefährdungshaftung des Arbeitgebers zu begründen. Es werden lediglich die aus der Gefährdungshaftung bekannten Argumente als Zurechnungsgründe für die Verteilung des betriebsspezifischen Risikos verwendet. Die Risikozuweisung zum Arbeitgeber, dass es durch die betriebliche Tätigkeit des Arbeitnehmers zu Schäden sowohl an den Rechtsgütern des Arbeitgebers als auch an denen des Arbeitnehmers kommen kann, ist deshalb gerechtfertigt, weil der Arbeitgeber derjenige ist, der die Gefahr geschaffen hat und von dem fremdnützigen Einsatz seiner Beschäftigten, die sich der Gefahr aussetzen, profitiert. Deshalb kann ihm der durch die Verwirklichung der Gefahr entstandene Schaden zugerechnet werden.475 Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber neben der Veranlassung für die Organisation verantwortlich ist, worin das Argument der Gefahrbeherrschung aufgeht. Indem der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen vorgibt, beeinflusst er das Gefahrenpotential, in das sich der Arbeitnehmer begibt. Durch entsprechende Organisation ist der Arbeitgeber in der Lage Sicherungsmaßnahmen 473
Otto/Schwarze/Krause/Otto, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 3 Rn. 2. BAG GS, Beschl. v. 27. 09. 1994 – GS 1/89 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103; siehe nur vorherige Rspr. zur Enthaftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Tätigkeit: BAG, Urt. v. 07. 07. 1970 – 1 AZR 505/69 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 58; BAG, Urt. v. 28. 04. 1970 – 1 AZR 146/69 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 55; BAG GS, Beschl. v. 25. 09. 1957 – GS 4/56 – BAGE 5, 1, 5 trotz der Aufgabe der Gefahrgeneigtheit bleibt das Kriterium von Bedeutung für die Risikoverteilung (Schaub/Linck, § 59 ArbR-Hdb Rn. 27 f.; Däubler, NJW 1986, 867). 475 Siehe zur betrieblichen Veranlassung der zum Schaden führenden Tätigkeit als Voraussetzung der Enthaftung BAG GS, Beschl. v. 27. 09. 1994 – GS 1/89 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103; BAG, Urt. v. 09. 08. 1966 – 1 AZR 426/65 – NJW 1967, 220, 221; siehe Krause, NZA 2003, 577, 579 für die Veranlassung als wesentliches Element der Enthaftung; zum Veranlassungsprinzip allgemein Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 634, 660. 474
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zu ergreifen, um die Gefahr einzugrenzen, abzuwehren oder zumindest abzumildern.476 So kann er Sicherheitsabstände zu Produktionsstätten einrichten, er kann anordnen wie bestimmte Gerätschaften zu bedienen sind, z. B. beidhändig, damit es zu keinen Schnittverletzungen kommt, und zum Tragen von Schutzkleidung, insbesondere Schutzbrille und Gehörschutz, verpflichten. Nicht immer ist die Annahme der Gefahrbeherrschung tatsächlich zutreffend. Sei es, weil der Arbeitnehmer schuldhaft handelt, worauf der Arbeitgeber keinen Einfluss hat, oder weil es sich um solche Risiken handelt, die von niemandem beherrscht werden können. Hinsichtlich letztgenannter, darunter fallen z. B. technische Defekte, die trotz vorschriftsmäßiger Wartung nicht zu erkennen und zu vermeiden waren, muss das Risiko dem Arbeitgeber als Veranlasser der Gefahr zugewiesen werden.477 Bezüglich der erstgenannten fehlenden Steuerungsmöglichkeit wurde vertreten, das schuldhafte Handeln der Arbeitnehmer als Teil des Betriebsrisikos, quasi als sonstigen Aufwand, einzuordnen.478 Die Rechtsprechung479 und die ihr darin folgende Literatur480 sehen den Begriff des Betriebsrisikos als Zurechnungsgrund für die Verantwortung an sämtlichen im Betriebsablauf vorkommenden Schäden. Klargestellt sei an dieser Stelle, dass der Begriff im Zusammenhang mit der Enthaftung nicht mit seiner ihm sonst zukommenden Bedeutung, dem Entgeltrisiko bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung, verwendet wird. Aufgrund des unzureichenden Gefahrbeherrschungsgedankens ist ferner der Gedanke der Nutznießung heranzuziehen. Dieser besagt, dass derjenige, der den wirtschaftlichen Nutzen aus etwas zieht, auch für die damit einhergehenden Risiken einzustehen hat.481 Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Arbeitnehmer aufgrund der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung gleichfalls Profiteur der Arbeit ist. Denn die Vergütung ist gerade keine Beteiligung am unternehmerischen Gewinn, sondern lediglich Entgelt für die erbrachte Leistung. In ähnlicher Weise erfolgt die dem Absorptionsprinzip zu Grunde liegende Argumentation. Der Arbeitgeber habe bessere Möglichkeiten sich gegen die Risiken abzusichern, sei es durch die Abwälzung auf Geschäftspartner oder durch Abschluss
476 BAG GS, Beschl. v. 27. 09. 1994 – GS 1/89 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103; MünchKomm BGB/Henssler, § 619a Rn. 9; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 57 Rn. 27 f.; Canaris, RdA 1966, 41, 45; Däubler, NJW 1986, 867, 869; Krause, NZA 2003, 577, 579. 477 Otto/Schwarze/Krause/Otto, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 3 Rn. 11. 478 Gamillscheg, FS Schwarz, S. 495, 499; Gamillscheg/Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 54. 479 BAG GS, Beschl. v. 27. 09. 1994 – GS 1/89 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103; BAG, Urt. v. 11. 08. 1988 – 8 AZR 721/85 – NZA 1989, 54, 55; BAG, Urt. v. 07. 07. 1970 – 1 AZR 505/69 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 58; BAG, Urt. v. 28. 04. 1970 – 1 AZR 146/69 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 55; BAG GS, Beschl. v. 25. 09. 1957 – GS 4 (5)/56 – NJW 1958, 235, 236. 480 MünchKomm BGB/Henssler, § 619a Rn. 9; Krause, NZA 2003, 577, 579. 481 BAG, Urt. v. 28. 04. 1970 – 1 AZR 146/69 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 55; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 660.
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von Versicherungen.482 Insbesondere erklärt die bessere Absorptionsfähigkeit des Arbeitgebers dessen Pflicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall des Arbeitnehmers. Selbst wenn der Arbeitnehmer leicht schuldhaft die Krankheit verursacht, verdrängt der Grundsatz der Beherrschbarkeit das Absorptionsprinzip nicht.483 Die bisher genannten Risikozurechnungsgründe basierten alle auf der Prämisse, dass von der Tätigkeit des Arbeitnehmers bzw. von seiner Arbeitsumwelt eine erhöhte Gefahr ausgeht. Die Enthaftung des Arbeitnehmers ist im Falle einer normalen Arbeitsumgebung ebenso anerkannt.484 Wie bereits hinsichtlich der Ansprüche für arbeitnehmerseitige Eigenschäden erwähnt, ist der Grund dafür die Fremdnützigkeit des Arbeitnehmerhandelns. Mit Abschluss des Arbeitsvertrags verzichtet der Arbeitnehmer auf eigene unternehmerische Betätigung. Die wirtschaftliche Verwertung seiner Arbeitskraft soll nur dem Arbeitgeber obliegen. Infolgedessen hat dieser als Geschäftsherr die mit der Ausübung der übertragenen Tätigkeit einhergehenden Risiken zu tragen. Selbst das Verschulden des unmittelbar handelnden Arbeitnehmers schließt vor diesem Hintergrund die Verantwortung des Geschäftsherrn nicht aus.485 Die Fremdnützigkeit der Tätigkeit allein vermag die Risikozuweisung zum Arbeitgeber indes nicht vollends zu begründen. Denn bei anderen als arbeitsvertraglichen Leistungen, die ebenfalls fremdnützig erbracht werden, wie z. B. die Geschäftsführung ohne Auftrag oder das Handeln von Organmitgliedern eines Vereines, folgt daraus keine Haftungsreduktion. Wesentliches Abgrenzungsmerkmal des Arbeitsvertrags zu anderen Rechtsbeziehungen und Rechtfertigungsgrund der Risikozurechnung zum Arbeitgeber ist die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit des Arbeitnehmers. Nicht nur, dass der Arbeitgeber durch die Vorgabe des Arbeitsablaufs, der Unternehmenspolitik und der Unternehmenskultur Stresssituationen schafft, die das Arbeiten für den Arbeitnehmer besonders fehleranfällig machen, sondern schon die Tatsache, dass sich der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation integrieren muss, schafft ein Haftungsrisiko, dem sich der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit aussetzen muss, ohne sich dem entziehen zu können. Die vom Arbeitnehmer abverlangte Eingliederung in einen fremdgesteuerten Betrieb hat den Verlust von eigenständigen Handlungsräumen zur Folge, welches es rechtfertigt, dem Arbeitgeber das betriebliche Schadensrisiko zuzuweisen.486 482 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 89 ff.; Däubler, NJW 1986, 867, 870; Denck, NZA 1986, 80, 82; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 89 ff. 483 BAG, Urt. v. 18. 03. 2015 – 10 AZR 99/14 – NZA 2015, 801, 802; ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 23; Denck, NZA 1986, 80, 82. 484 St. Rspr. seit BAG GS, Beschl. v. 27. 09. 1994 – GS 1/89 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103. 485 Canaris, RdA 1966, 41 ff.; Annuß, Haftung des Arbeitnehmers, S. 113 ff. 486 ErfK/Preis, § 619a BGB Rn. 10; Gamillscheg/Hanau, Haftung des Arbeitnehmers, S. 54; Otto/Schwarze/Krause/Otto, § 3 Rn. 20; Richardi, NZA 1994, 241, 242; vgl. Krause, NZA 2003, 577, 579, der auf die dem Arbeitnehmer „auferlegten Arbeitsbedingungen einschließlich der mit ihnen verbundenen Haftungsrisiken abstellt“.
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Neben dieser Argumentation, die sich hauptsächlich auf das betriebliche Risikopotential stützt, steht der soziale Aspekt des Arbeitsrechts, der ebenfalls zur Begründung der Enthaftung des Arbeitnehmers herangezogen wird. Dabei geht es zum einen um den Schutz vor einer wirtschaftlichen Überforderung aufgrund des Missverhältnisses zwischen Vergütung und Haftung, zum anderen um den Schutz der wirtschaftlichen Existenz. Auf den Verzicht der unternehmerischen Tätigkeit ist zurückzuführen, dass mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags kein hinreichender Interessenausgleich zu erreichen ist. So ist der Arbeitnehmer regelmäßig nicht in der Lage ein Entgelt zu vereinbaren, das ausreichend wäre, die Höhe potentieller Schäden abzudecken. Vor dem Hintergrund ist die Haftungsentlastung des Arbeitnehmers auch notwendig, um diesen vor einer Beeinträchtigung in seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz zu schützen.487 Als Zwischenfazit lässt sich somit ziehen, dass zur Rechtfertigung der Enthaftung des Arbeitnehmers eine verschuldensunabhängige Verantwortung des Arbeitgebers für die aus seinem Betrieb stammenden sachbezogenen Schäden anerkannt ist. Für die Übertragbarkeit der Überlegungen auf die kündigungsrelevante Störung spricht, dass die Ablehnung der arbeitgeberseitigen Verantwortung für Gesundheitsrisiken, die ihren Ursprung in der betrieblichen Tätigkeit haben, nur, weil ein anderes Schutzgut betroffen ist, widersprüchlich wäre. Hat ein Arbeitnehmer z. B. mit ätzenden Flüssigkeiten zu tun und verschüttet davon etwas, so dass Teile seiner privaten Kleidung ausbleichen oder fällt ihm das Mittel beim Wegräumen so unglücklich hinunter, dass Teile des Mobiliars des Arbeitgebers beschädigt werden, hätte der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber für seine erlittenen Schäden an der Kleidung. Für die Schäden am Mobiliar müsste er im Falle leichter Fahrlässigkeit nichts zahlen, weil der Arbeitgeber aufgrund des betrieblichen Risikos mitverantwortlich ist und die Grundsätze zum innerbetrieblichen Schadensausgleich den Arbeitnehmer entlasten. Würde sich der Arbeitnehmer aufgrund des ständigen Einatmens der von den Flüssigkeiten abgesonderten Dämpfe eine Atemwegserkrankung zuziehen, wäre nicht einzusehen, wenn der Arbeitgeber dafür nicht verantwortlich wäre. Er ist Nutznießer der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit. Er organisiert den Betriebsablauf. Er schafft damit die Gefahr. Er verlangt vom Arbeitnehmer die Eingliederung in die von ihm gestaltete Arbeitsumwelt. Er ist dazu in der Lage, das Risiko wirtschaftlich zu tragen. Das Arbeitsentgelt ist weder ausreichend, um Vorkehrungen für eine Inanspruchnahme im Fall von Haftung zu schaffen noch kann damit eine infolge von Gesundheitsschädigungen eintretende Arbeitsunfähigkeit finanziert werden. Der Arbeitnehmer willigt zwar bei Vertragsschluss in die vorhersehbaren, mit der Tätigkeit unvermeidbar verbundenen Gesundheitsrisiken oder körperlichen Verschleißerscheinungen ein. Ein Äquivalent ist
487 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen, S. 400 ff.; vgl. Otto/Schwarze/ Krause/Schwarze, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 27 Rn. 4; Denck, NZA 1986, 80, 82; Krause, NZA 2003, 577, 579; Richardi, NZA 1994, 241, 242; Zeuner, RdA 1975, 84, 87.
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das Arbeitsentgelt, in dem Sinne, dass damit gesundheitliche Schäden abgegolten sind, regelmäßig jedoch nicht.488 Mit den gleichen Erwägungen wird auch die alleinige Beitragspflicht der Arbeitgeber zur gesetzlichen Unfallversicherung begründet489, mit der die ehemals privatrechtliche Haftpflicht der Arbeitgeber in ein öffentlich-rechtliches Verhältnis überführt wurde.490 Die privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Ausgestaltung ändert nichts daran, dass der Arbeitgeber aufgrund der Betriebsbezogenheit der Gefahr als verantwortlich für arbeitsbedingte Personen- und Gesundheitsschäden anzusehen ist.491 e) Sozialrechtliche Risikozuweisung Einen weiteren Ansatzpunkt für vom Arbeitgeber zu tragende Risiken könnte das Sozialrecht mit der in den §§ 150 ff. SGB VII geregelten alleinigen Beitragspflicht der Arbeitgeber zur gesetzlichen Unfallversicherung liefern. Die Unfallversicherung gebietet eine finanzielle Absicherung für abhängig Beschäftigte und ihnen Gleichgestellten im Falle des Einkommensverlustes durch den Eintritt von Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls oder aufgrund von Berufskrankheiten. Sie schützt vor all den Gefahren, deren Ursachen in der betrieblichen Tätigkeit angelegt sind bzw. die sich aus der Eingliederung in einen fremdgeführten Betrieb ergeben.492 Die Tatsache, dass die Unfallversicherung allein von den Beiträgen der Arbeitgeber finanziert wird, legt die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber dabei von dem Gedanken geleitet wurde, dass derjenige, der den Nutzen aus einem Betrieb zieht, auch für die damit einhergehenden Risiken aufkommen müsse. Und in der Tat war bei der Verabschiedung des Gesetzes für den Gesetzgeber maßgeblich, dass es sich bei den zu versichernden Gefahren um solche aus der Risikosphäre des Arbeitgebers handelte.493 So herrscht in der Literatur Einigkeit darüber, dass zumindest Parallelen der Unfallversicherung zur zivilrechtlichen Gefährdungshaftung feststellbar sind.494 488
Vgl. Rosenland, AuR 1991, 266, 267. Otto/Schwarze/Krause/Schwarze, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 21 Rn. 7; vgl. Däubler, NJW 1986, 867, 870; ausführlicher dazu im nächsten Abschnitt. 490 Siehe Zweiter Teil unter § 3 B. I. 5. e). 491 Otto/Schwarze/Krause/Schwarze, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 21 Rn. 7, nach der der Haftung analog § 670 BGB zu Grunde liegenden Idee müsse der Arbeitgeber „erst recht“ für Personenschäden verantwortlich sein. 492 Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 43. 493 Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 43 m. w. N. 494 LPK-SGB VII/Molkentin, § 1 Rn. 4; Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV, § 5 Rn. 43; Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 68 ff.; Canaris, RdA 1966, 41, 43, 47; Larenz, JuS 1965, 373, 374; Otto/Schwarze/Krause/Schwarze, Die Haftung des Arbeitnehmers, § 21 Rn. 7 spricht von der Risiko(„Gefährdungs“-)haftung des Arbeitgebers als Wurzel des Arbeitsunfallrechts. 489
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Dies für sich betrachtet, ließe nun den Rückschluss zu, dass die Unfallversicherung von einer Verantwortung des Arbeitgebers für die körperliche Integrität des Arbeitnehmers bzw. arbeitsbedingt daran erlittener Einbußen ausgeht, ihm mithin die Person des Arbeitnehmers treffende Gefahren zuweist. Dies könnte Auswirkungen in Form von Restriktionen auf die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers bei krankheitsbedingten Kündigungen haben, bei denen die Krankheit auf Gesundheitsbeeinträchtigungen zurückzuführen ist, die ihre Ursache in der ausgeübten Arbeit haben. Dazu muss feststehen, dass diesem Ergebnis die die Unfallversicherung maßgeblich prägenden Prinzipien, das soziale Schutzprinzip495 und das Prinzip der Haftungsersetzung496, nicht entgegenstehen. Daher ist es notwendig sich näher mit der Rechtsnatur der Unfallversicherung zu befassen. aa) Hintergrund der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung Der Entstehungszeitpunkt des ersten Unfallversicherungsgesetzes fällt zurück in das Ende des 19. Jahrhunderts. Die Einsicht, ein Schutzsystem zu etablieren, war nicht nur bedingt durch die gesellschaftlichen Missstände, die die Industrialisierung mit sich gebracht hatte, sondern auch durch den Unmut der betroffenen Arbeiterschaft, die sich zunehmend politisch engagierte und von Reichskanzler v. Bismarck als Bedrohung seiner Regierung gesehen wurde.497 Bis zur Einführung der Unfallversicherung blieben die durch Arbeitsunfälle zu Schaden gekommenen Arbeitnehmer häufig unentschädigt und waren damit in ihrer materiellen Existenz am Ende. Das lag zum einen daran, dass es im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen keine spezialgesetzlichen Regelungen gab, so dass nach dem allgemeinen Zivilrecht hätte vorgegangen werden müssen, dieses jedoch aufgrund der Beweislastverteilung und der Verschuldensabhängigkeit der Haftung wenig aussichtsreich erschien. Zum anderen standen den Arbeitnehmern schlichtweg keine finanziellen Mittel zur Verfügung, die eine Prozessführung zur Durchsetzung ihrer Rechte erlaubt hätten, abgesehen von den psychischen Hürden gegen den Arbeitgeber gerichtlich vorzugehen.498 Aufgrund von vermehrt auftretenden Grubenunglücken war zwar 1871 das Reichshaftpflichtgesetz499 um eine Unternehmerhaftung für den Betrieb eines Bergwerks, Steinbruchs, einer Gräberei und einer Fabrik ergänzt worden.500 Jedoch war dort die Haftung an das Verschulden des Unternehmers gebunden, so dass letztlich keine Verbesserung für die Arbeitnehmer eintrat. 495 496 497 498 499 500
KassKomm/Ricke, Vor SGB VII Rn. 3; Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 43. Gitter, a. a. O., S. 38 m. w. N.; Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 51. Mit ausführlicherer Darstellung Schulin/Breuer, HS-UV § 5 Rn. 41 ff. Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 29 ff. In Kraft getreten am 07. 06. 1871 (RGBl. S. 297). Vgl. Schulin/Breuer, HS-UV § 1 Rn. 30 m. w. N.
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Das mit Einführung der Unfallversicherung verfolgte Ziel, eine wirtschaftliche Verbesserung des Einzelnen zu erreichen501, wäre auch durch Anpassung der privatrechtlichen Unternehmerhaftung zu erreichen gewesen. Es wurde in Betracht gezogen, die in § 2 Reichshaftpflichtgesetz geregelte Unternehmerhaftung auf eine Haftung für höhere Gewalt selbst bei eigenem Verschulden des Verletzten auszuweiten. Die Mehrheit der Stimmen des Reichstags hat schließlich der Regierungsentwurf erhalten, der auf die Bildung von Berufsgenossenschaften abzielte und die Unternehmer zur dortigen Mitgliedschaft und alleinigen Beitragspflicht verpflichtete. Anspruchsinhalt war kein „zivilrechtlicher Schadensersatz“, also keine 100 %-ige Kompensation der erlittenen Einbußen, sondern eine für die damaligen Verhältnisse nach Billigkeit zu bemessende Versorgung. Eine Rente bei voller Erwerbsunfähigkeit betrug damals 2/3 des früheren Arbeitsverdienstes.502 Für die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung der Unfallversicherung sprechen heute wie damals gute Gründe. Im Gesetzgebungsverfahren503 wurde diskutiert, dass es „unmöglich“ sei auf privatrechtlichem Wege zu einer Fürsorge für die Arbeiter und deren Familien zu gelangen, wenn Zufall oder eigenes Verschulden der Arbeiter den Unfall herbeigeführt hat. Aus damaliger Sicht ist dies verständlich: Erstens, weil die Rechtswissenschaft zu der Zeit vom römischen Recht geprägt war504, dem Verschuldensmoment entscheidende Bedeutung für eine Haftung zusprach.505 Deutlich wird dies z. B. anhand des Preußischen Eisenbahngesetzes vom 03. 11. 1838, das nach außen eine Gefährdungshaftung für den Betrieb einer Eisenbahn vorsah, im Inhalt aber das alte Haftungssystem beibehielt: das bloße Betreiben einer Eisenbahn wurde als schuldhaft gewertet. Ähnlich wurde die Gefährdungshaftung für Eisenbahnen nach dem Reichshaftpflichtgesetz gehandhabt. Was als Gefährdungshaftung deklariert wurde, war eine Haftung für vermutetes Verschulden. Vor diesem Hintergrund erschien eine vergleichbare Haftungserweiterung für Unternehmer nicht nur schwer vermittelbar, zum anderen war sie mit dem Verschuldensprinzip schlichtweg nicht konstruierbar. Denn die Entschädigung sollte auch gewährt werden, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers allein oder mit ursächlich für den Schaden war. In letzterem Fall hätte das eigene Verschulden den Anspruch stets gemindert, womit sich das gesetzgeberische Ziel, eine umfassende Absicherung, nicht hätte verwirklichen lassen.
501
Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 30 ff. Schulin/Ruppert, HS-UV § 48 Rn. 1. 503 RT-Drs. 1881 Nr. 27, S. 688, 708 f., 749; RT-Drs. 1881 Nr. 55, S. 1528, 1536. 504 „Nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld“, Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, 1867; Krasney, NZS 1993, 89. 505 Gitter, Der Weg zur Unfallversicherung aus rechtswissenschaftlicher Sicht, in: 100 Jahre gesetzliche Unfallversicherung, S. 22 f. 502
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Schließlich, dies war dem Einfluss des römischen Rechts geschuldet506, hatte bisher noch keine rechtliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Arbeitsvertrags stattgefunden507, der sich erst mit dem Ende des feudalistischen Gesellschaftsmodells und im Zuge der industriellen Revolution etabliert hatte.508 Während das gemeine Gesinderecht Züge einer Versorgung enthielt, wie die Verpflegung bei Krankheit und Pflicht zur Rehabilitation, stand beim nunmehr am rein wirtschaftlichen Zweck orientierten Arbeitsverhältnis das Element des Leistungsaustauschs im Vordergrund.509 Dass der Arbeitsvertrag Fürsorgepflichten enthält, wurde zunächst von der Profitorientiertheit überlagert. Der aus all dem resultierende Kompromiss war daher die Unfallversicherung, die die Unternehmer auf öffentlich-rechtlichem Wege durch das alleinige Beitragsaufkommen zur Fürsorge verpflichtete, im Gegenzug jedoch eine Freistellung von jeglicher Haftung bis auf Vorsatz vorsah. Daran ist zu Recht festgehalten worden, auch wenn sich das Grundverständnis vom Arbeitsverhältnis geändert hat. Mit dem heutigen BGB wurde eine vollständige Abkehr von dem römischen Verständnis eines Dienstvertrags, der Miete menschlicher Arbeitskraft, vollzogen.510 Diejenigen, die anknüpfend an das gemeine Recht, das Arbeitsverhältnis als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis511 begreifen, befinden sich zwar in der Minderheit.512 Ausgehend von dem das Arbeitsrecht leitenden Prinzip, der abhängigen Beschäftigung, wurde der Arbeitsvertrag richtigerweise zu einem Schuldverhältnis mit Austauschcharakter und zahlreichen Rücksichtnahme- und Fürsorgepflichten weiterentwickelt.513 Eine privatrechtliche Unternehmerhaftung wäre mit dem Fürsorgegedanken nicht unvereinbar. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in mehreren Novellen den Anwendungsbereich der Unfallversicherung immer weiter ausgedehnt hat, z. B. Wegeunfälle aufgenommen hat514 und den versicherten Personenkreis sukzessive erweitert hat515, zeigt, dass der Gesetzgeber die Ausgliederung in das Sozialrecht für unumkehrbar hält.516 506 Der römische Dienstvertrag geht zurück auf die Tätigkeit von Sklaven, die gemietet wurden, so dass der Dienstvertrag in enger Nähe zum Mietvertrag stand als Dienstmiete (Staudinger/Latzel (2020), BGB Vorbem zu §§ 611 Rn. 3). 507 Gitter, Der Weg zur Unfallversicherung aus rechtswissenschaftlicher Sicht, in: 100 Jahre gesetzliche Unfallversicherung, S. 22. 508 Schulin/Breuer, HS-UV § 1 Rn. 15. 509 Gitter, Der Weg zur Unfallversicherung aus rechtswissenschaftlicher Sicht, in: 100 Jahre gesetzliche Unfallversicherung, S. 22 f.; MHdBArbR/Richardi, 4. Aufl., § 2 Rn. 7. 510 Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB Vorbem zu § 611a Rn. 12, 78 f. 511 Diese Ansicht geht zurück auf Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. III; siehe hierzu MHdBArbR/Fischinger, 4. Aufl., § 3 Rn. 15 ff. 512 Vgl. Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 6 Rn. 126 ff.; Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB Vorbem § 611a Rn. 4 f. 513 BAG, Urt. v. 12. 02. 1981 – 3 AZR 163/80 – AP BetrAVG § 1 Nr. 5; BAG, Urt. v. 10. 11. 1955 – 2 AZR 591/54 – AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2. 514 2. Änderungsgesetz v. 14. 07. 1925 (RGBl. I 97). 515 Vgl. dazu Schulin/Breuer, HS-UV § 1 Rn. 69 ff. 516 Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 50.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
bb) Schlussfolgerungen Aus der Tatsache, dass es die gesetzliche Unfallversicherung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung gibt, folgt zunächst einmal, dass eine Verantwortung des Arbeitgebers für sämtliche von seinem Betrieb ausgehenden Gefahren, die vor allem ein Gesundheitsrisiko für die dort beschäftigten Arbeitnehmer darstellen, anerkannt ist. Die Annahme arbeitgeberseitiger Verantwortung für dessen betriebliche Sphäre ist Voraussetzung, um dessen alleinige Beitragspflicht zur Unfallversicherung rechtfertigen zu können. Für die Berücksichtigung dieser Verantwortung in der Interessenabwägung der Kündigung ist zu bedenken, dass sich in all den Fällen, in denen bereits eine Absicherung durch die Unfallversicherung gegeben ist, eine auf die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zielende Argumentation, um Restriktionen der Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers zu rechtfertigen, verbietet. Denn mit der Absicherung durch die Unfallversicherung ist das Argument der Schutzbedürftigkeit „verbraucht“. Neben das soziale Schutzprinzip der Unfallversicherung tritt das Prinzip der Haftungsersetzung als weiteres Wesensmerkmal. Danach sind Anspruchsgegner der betroffenen Arbeitnehmer allein die Versicherungsträger, die Berufsgenossenschaften. Das Prinzip der Haftungsersetzung hat mithin einen gewissen Freikaufcharakter für die beitragspflichtigen Arbeitgeber.517 Daraus folgt, dass es, in den Fällen, in denen es Überschneidungen mit den Leistungen aus der Unfallversicherung gibt, keine Kündigungsrestriktionen geben kann, denn dafür hat der Arbeitgeber bereits durch seine Beiträge vorgesorgt. f) Ergebnis Realisieren sich beim Arbeitnehmer arbeitsbedingte Gefahren in Form von (Berufs-)Erkrankungen oder Verschleißerscheinungen, dann handelt es sich dabei um Umstände, die der Arbeitgeber zu verantworten hat, da sie ihre Ursache im Betrieb haben. Dieses Zurechnungsergebnis wird durch die alleinige Beitragspflicht der Arbeitgeber zur gesetzlichen Unfallversicherung bestätigt, welche sich daraus legitimiert, dass der Arbeitgeber einerseits durch die Führung seines Betriebs die „Quelle“ der Gefahr geschaffen hat, zum anderen der Profiteur des auf die Arbeitnehmer verlagerten Gesundheitsrisikos ist. Entscheidend ist, dass ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen den mit Verrichtung der Arbeit verbundenen Umständen und der Erkrankung besteht.
517
Schulin/Gitter/Nunius, HS-UV § 5 Rn. 51.
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II. Schutz der Persönlichkeit Waren die Schutzgüter Gesundheit und Leben Gegenstand des vorherigen Abschnitts, geht es nachfolgend um den Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers. Deren Missachtung kann ebenfalls zu physisch wie psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeit führen518, so dass auch hier Zusammenhänge zur Entstehung von Kündigungsgründen denkbar sind. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG) findet aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Eingang ins Arbeitsverhältnis. Danach hat der Arbeitgeber die Menschenwürde des Arbeitnehmers und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu achten. Im Fall einer Verletzung hat der Arbeitnehmer Unterlassungsansprüche aus §§ 12, 862, 1004 BGB. Zu den Ausprägungen des Persönlichkeitsschutzes gehören der Beschäftigungsanspruch519, das Verbot der Geschlechterdiskriminierung, der Datenschutz, die Wahrung der Intimsphäre, die Begrenzung von Fragerechten und Offenbarungspflichten520 sowie ein allgemeines Schikaneverbot (Schutz vor Mobbing)521. Die Pflicht, vor Mobbing zu schützen, ergibt sich zum einen aus der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht i. V. m. § 242 BGB522, seit 2002 in § 241 II BGB geregelt523; zum anderen finden sich Konkretisierungen dieser Schutzpflicht in §§ 7 I, 12 AGG, sofern die Benachteiligung auf einem der in § 1 AGG genannten Merkmale beruht. Dadurch ergeben sich teilweise Überschneidungen, teilweise sind die in § 12 AGG niedergelegten Pflichten weitergehend. Aufgrund der vergleichbaren Interessenlage bei Benachteiligung und Mobbing sind die in den AGG-Vorschriften zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Wertungen bei den nicht erfassten Mobbing-Fällen entsprechend heranzuziehen.524 Zudem sind deliktische Sorgfaltspflichten in Form von Organisationspflichten denkbar. Daraus resultiert ein um518 LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. 02. 2019 – 17 Sa 1605/18 – NZA-RR 2019, 307, 308; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19. 02. 2004 – 2 Ta 12/04 – NZA-RR 2004, 232, 233; LAG Hessen, Urt. v. 24. 08. 2001 – 14 Sa 1396/00 – juris; LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 362; LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris; ArbG Eisenach, Urt. v. 30. 08. 2005 – 3 Ca 1226/03 – BeckRS 2005, 31048395; Gamerschlag/Perband, VersR 2002, 287, 289; Haller/Koch, NZA1995, 356, 357; baua, Stressreport 2012, S. 107 ff. 519 BAG GS, Beschl. v. 27. 02. 1985 – GS 1/84 – AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14; BAG, Urt. v. 10. 11. 1955 – 2 AZR 591/54 – AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 2. 520 ErfK/Preis, § 611a Rn. 619; Moll/MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 61. 521 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1162; HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 412 f.; Benecke, RdA 2008, 357, 359. 522 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 225. 523 Schaub/Ahrendt, § 36 ArbR-Hdb Rn. 160; Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB § 611a Rn. 1752; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 86 Rn. 25; Benecke, RdA 2008, 357, 359; Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 379. 524 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 226; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 55 Rn. 41.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
fassender Katalog an Maßnahmen, die der Arbeitgeber verpflichtet ist, zur Bekämpfung von Mobbing zu ergreifen. Dazu gehört erstens, dass er selbst die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht durch diskriminierendes Verhalten verletzen darf.525 Zweitens, hat er dafür zu sorgen, dass in seinem Betrieb, d. h. zwischen den Beschäftigten untereinander, kein Mobbing erfolgt. Das folgt aus den allgemeinen Schutzpflichten, wonach der Arbeitnehmer einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber hat, ihn vor dem rechtswidrigen Verhalten Dritter zu schützen.526 Wie eigenes Verhalten ist das Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen zu werten, § 278 BGB. Dies sind meist Vorgesetzte oder solche Arbeitnehmer, die die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht konkretisieren, also jene, die gegenüber anderen Arbeitnehmern weisungsbefugt sind.527 Darüber hinaus muss ein innerer, sachlicher Zusammenhang zu der übertragenen Aufgabe bestehen528, der regelmäßig gegeben sein wird, wenn der Dritte im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses tätig wird. Dieser Zusammenhang ist daher auch bei Exzesshandlungen gegeben, solange jene bei Wahrnehmung der Arbeitgeberbefugnisse bzw. der übertragenen Aufgabe erfolgen.529 Denn es ist dies das Risiko desjenigen, der sich eines Dritten bedient, dass er für dessen im Rahmen der fremden Aufgabenwahrnehmung erfolgtem Fehlverhalten einstehen muss. Nur wenn das diskriminierende bzw. zur Rechtsverletzung eines Arbeitnehmers führende Verhalten außerhalb des betrieblich veranlassten Rahmens, also privat erfolgt, haftet der Arbeitgeber nicht.530 Für das Fehlverhalten seiner sonstigen Mitarbeiter, die keine
525 DFL-AR/Kamanabrou, § 611a Rn. 327; MhdBArbR/Reichold, § 86 Rn. 7; Moll/MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 71 ff. 526 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 226; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19. 02. 2004 – 2 Ta 12/04 – NZA-RR 2004, 232, 233; Moll/MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 73; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, § 37 Rn. 1800 ff., S. 376 f.; Benecke, Mobbing, Rn. 247 m. w. N.; Haller/Koch, NZA 1995, 356, 357 f. 527 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1162; Benecke, NZA-RR 2003, 225, 227 f.; Kollmer, AR-Blattei SD 1215, Rn. 71. 528 Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kapitel 6, Rn. 37. 529 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 227; Meinel/Heyn/Herms, § 15 AGG Rn. 18; Stoffels, RdA 2009, 204, 209; so i. E. auch Schäfer, Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diskriminierendes Verhalten Dritter, S. 160 ff. mit weiteren Differenzierungen; a. A. Bauer/Krieger, § 15 AGG Rn. 21; Bauer/Evers, NZA 2006, 893, 894. 530 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 225; BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1162; Schäfer, Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diskriminierendes Verhalten Dritter, S. 163 ff.; Stoffels, RdA 2009, 204, 208; a. A. für eine Durchbrechung der Zurechnung von Handlungen des Erfüllungsgehilfen nur bei Gelegenheit der Vertragserfüllung Bauer/Göpfer/Krieger, § 15 AGG Rn. 21; Wendeling-Schröder/ Stein/Wendeling-Schröder, § 7 AGG Rn. 38; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kapitel 6, Rn. 37; Bauer/Evers, NZA 2006, 893, 894.
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Weisungsbefugnisse ausüben, hat der Arbeitgeber gem. § 831 BGB einzustehen531; eine Zurechnung der von ihnen durch Mobbing begangenen Rechtsverletzungen gem. § 278 BGB scheidet aus, da sie gerade nicht in Erfüllung arbeitgeberseitiger Pflichten tätig werden.532 Die nähere Untersuchung des arbeitgeberseitigen Verantwortungsbereichs setzt weiter voraus, dass feststeht, wann überhaupt ein Fall von Mobbing vorliegt, um sich dann genauer damit auseinander setzen zu können, wie einem solchen zu begegnen ist. Dabei ist zu beachten, dass „Mobbing“ kein eigenständiger Rechtsbegriff ist. Im Ergebnis kommt es auf das Vorliegen der vom Arbeitnehmer behaupteten Rechts-, Pflicht- oder Schutzgesetzverletzung an.533 Dazu zwei Beispiele aus der Rechtsprechung: Im Fall einer Sekretärin, der Klägerin, den das Landesarbeitsgericht Hamburg534 zu entscheiden hatte, sind persönliche Erniedrigungen prägend für das Arbeitsumfeld. Die Klägerin musste Klage erheben, um zu erreichen, überhaupt entsprechend der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und ihrer Qualifikation als „Erste Sekretärin“ beschäftigt zu werden, da sie lediglich als fremdsprachliche Angestellte geführt wurde und ihr ferner bei Dienstantritt kein Arbeitsplatz im Vorzimmer des Vorgesetzten zur Verfügung gestellt wurde. Der Vorgesetzte hat bei Dienstantritt sodann sinngemäß zu ihr gesagt: „Man hat sie mir geschickt, ich will meine Ware im Warenhaus auch aussuchen. (…) Sie sind ein Klotz an meinem Bein (…)“. U. a. ist es zu einem Vorfall gekommen, bei dem die Klägerin von einem Vorgesetzten beim Schließen der Tür am Rücken getroffen wurde, welches diese nach Einschätzung des Gerichts so auffassen durfte, als solle sie auf diese Weise aus dem Vorzimmer auf den Flur befördert werden. Zudem sind der Klägerin nach Auffassung des Gerichts nicht ihrer Qualifikation entsprechende Arbeitsaufgaben gestellt worden. Als Beispiel wird das Abfassen eines schriftlichen Berichtes über die Institutsstruktur erwähnt, wofür es der Klägerin an der erforderlichen Kenntnis fehlte. Es lag der Verdacht nahe, dass die Arbeitsaufgaben in der Absicht verteilt wurden, das Ergebnis als nicht ordnungsgemäß beanstanden zu können. Der zweite Fall, in dem es um die unangemessene Behandlung eines Oberarztes durch seinen vorgesetzten Chefarzt ging, wurde vom BAG entschieden.535 Auf Anweisung des Chefarztes musste der Kläger wiederholt kurzfristig seinen Urlaub 531 HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 412 f.; Moll/MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 74; Schaub/Ahrendt, § 36 ArbR-Hdb Rn. 161; Benecke, NZA-RR 2003, 225, 229 f. 532 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1162; Schaub/Ahrendt, § 36 ArbR-Hdb Rn. 161; Mengel, a. a. O., Kapitel 6, Rn. 38; Benecke, RdA 2008, 357, 360; a. A. Meinel/Heyn/Herms, § 15 AGG Rn. 18; Hanau, ZIP 2006, 2189, 2201; für eine ausführlichere Darstellung der arbeitgeberseitigen Verantwortung für Dritte siehe auch Schäfer, a. a. O., S. 145 ff. 533 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 225; BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1159; vgl. Moll/MAH ArbR/Reinfeld, § 34 Rn. 70 ff. 534 LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris. 535 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
absagen oder abbrechen, da der Chefarzt für sich in Anspruch nahm, dass ihm „der Vorrang gebühre“. In Gegenwart mehrerer Kollegen wurden in herablassender Art und Weise seine Fähigkeiten in Frage gestellt, bei der Übernahme von Bereitschaftsdiensten wurden unlautere Motive unterstellt, schließlich wurde er gezwungen sein Büro mit einem weiteren Oberarzt zu teilen, obwohl er dies in der vorherigen Anfrage abgelehnt hatte und dies aus tatsächlichen Gründen, beide Oberärzte führten ambulante Untersuchungen durch, nicht möglich war. Als er auf die rechtliche Problematik einer körperlichen Lagerung während der OP hinwies, über die nicht aufgeklärt wurde, sei er von dem Chefarzt mit den Worten: „Ich bin hier der Operateur und Sie sind mein Handlanger. Sie haben zu tun, was ich sage!“, angeschrien worden.536 Was die den Entscheidungen zu Grunde liegenden Sachverhalte verdeutlichen, ist ein aus mehreren Einzelakten bestehendes Vorgehen, das in der Gesamtschau das Bild des ständigen Herabwürdigens und der nachhaltigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts anderer erkennen lässt. Wesentlich für eine als „Mobbing“ zu bezeichnende Rechts- oder Pflichtverletzung ist somit ein aus mehreren Handlungen, die einzelnen für sich betrachtet meist bedeutungslos sind537, bestehendes Verhalten, mit dem die Schaffung eines von Einschüchterungen, Anfeindungen und Erniedrigungen geprägten Umfeldes intendiert ist.538 Nicht nur wenn sich ein Mobbingvorfall im Betrieb des Arbeitgebers ereignet, sondern bereits zuvor ist der Arbeitgeber aufgrund seiner Schutzpflichten aus § 241 II BGB verpflichtet dagegen vorzugehen. Die in solchen Fällen vom Arbeitgeber zu erwartenden Maßnahmen lassen sich in solche, die einen präventiven Ansatz aufweisen und solche, die repressiv wirken, unterteilen, woraus sich ergibt, dass die Verantwortung des Arbeitgebers an „Mobbing“ in den meisten Fällen in einem Unterlassen, einem unterlassenen Einschreiten, besteht. 1. Präventive Maßnahmen a) Organisationspflichten Bezüglich der in § 1 AGG genannten Merkmale ist der Arbeitgeber gem. § 12 I 2 AGG verpflichtet vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Darunter versteht der Gesetzgeber, wie sich aus § 12 II AGG ergibt, in erster Linie das Abhalten von Schulungen bzw. die Vermittlung in der Aus- und Fortbildung, dass es keine Diskriminierung am Arbeitsplatz geben darf. Ausweislich der Gesetzesbegründung 536
BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 224. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 356 f.; Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 372; Sasse, BB 2008, 1450, 1451. 538 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 225; BAG, Beschl. v. 15. 01. 1997 – 7 ABR 14/96 – NZA 1997, 781; LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 356; LAG Niedersachsen, Urt. v. 09. 11. 2009 – 9 Sa 1573/08 – AE 2010, 199; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 94 Rn. 25; Schaub/Ahrendt, § 36 ArbR-Hdb Rn. 156. 537
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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stellen Schulungen nur eine Möglichkeit von mehreren dar, wie dieser Pflicht entsprochen werden kann.539 Sofern das Mobbing auf einem nicht in § 1 AGG genannten Merkmal beruht, folgt die Pflicht des Arbeitgebers zum Ergreifen präventiver Maßnahmen aus den vertraglichen Schutzpflichten, in Form von Verkehrssicherungspflichten, insbesondere der allgemeinen Organisationsverantwortlichkeit540, wonach derjenige, der ein Unternehmen betreibt, es so zu organisieren hat, dass durch den Betrieb niemand geschädigt wird.541 Die daraus resultierenden Organisationspflichten dürfen jedoch nicht überbewertet werden. Die Pflicht, wie es z. B. das LAG Rheinland-Pfalz gesehen hat, dass der Arbeitgeber für ein „ausgeglichenes Betriebsklima“542 zu sorgen hat, kann nur so gedeutet werden, dass er seine Einflussmöglichkeiten durch Personalpolitik und Stellenbesetzung einzusetzen hat, weil er damit die Möglichkeit hat einen menschlichen, auf gegenseitigem Respekt und Wertschätzung beruhenden Umgang zu vermitteln. Letztlich verhindern kann er dadurch aber beispielsweise nicht, dass Kollegen in der Kantine nicht mit dem Mobbingopfer zusammensitzen wollen oder dieses nicht zu ihren privaten Treffen einladen, so dass sich dieses ausgeschlossen fühlt.543 Andererseits kann nicht pauschal festgestellt werden, dass bei hierarchischen Strukturen, bei hohem Leistungs- und Zeitdruck, wie z. B. in Krankenhäusern, es stets zum Mobbing unter den Kollegen kommt.544 Daraus folgt, dass eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht erreichbar ist und daher nicht gefordert werden kann.545 Zur Ermittlung des vom Arbeitgeber erwartbaren Minimums an Präventivmaßnahmen sind die in § 831 I BGB und § 12 II AGG genannten Auswahl-, Einweisung-, Aufsichts- sowie Schulungsmaßnahmen zu Grunde zu legen.546 Demzufolge hat der Arbeitgeber
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BT-Drs. 16/1780, S. 37. Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB § 611a Rn. 1753, 1829 ff.; Benecke, Mobbing, Rn. 238; dies., RdA 2008, 357, 361; dies., NZA-RR 2003, 225, 227; Hey, BB 2013, 2805, 2808; Simon/Greßlin, BB 2007, 1782, 1785; Sasse, BB 2008, 1450, 1452; Stoffels, RdA 2009, 204, 207; Wickler, DB 2002, 477, 478. 541 BGH, Urt. v. 25. 10. 1951 – III ZR 95/50 – BGHZ 4, 1, 3; RG, Urt. v. 27. 11. 1916 – VI 275/16 – RGZ 89, 136, 137; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 50; Bar, Verkehrspflichten, S. 96; Brandes, Die Hafung für Organisationspflichtverletzungen, S. 116; Bar, Verkehrspflichten, S. 96. 542 LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19. 02. 2004 – 2 Ta 12/04 – NZA-RR 2004, 232, 233; MHdBArbR/Blomeyer, 2. Aufl., § 53 Rn. 32. 543 Gralka, BB 1995, 2651, 2653. 544 Benecke, Mobbing, Rn. 239. 545 BGH, Urt. 02. 10. 2012 – VI 311/11 – NJW 2013, 48, 49; Schäfer, Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diskriminierendes Verhalten Dritter, S. 138 ff. 546 So ist anerkannt, dass sich Inhalt und Reichweite der arbeitgeberseitigen Schutzpflichten bei Mobbing, das nicht an eines der § 1 AGG genannten Merkmale anknüpft, an den Pflichten des § 12 AGG orientiert (BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 226; Tschöpe/Heiden, Hdb-ArbR, A Rn. 790). 540
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Seminare, Schulungsmaßnahmen oder vergleichbare Veranstaltungen anzubieten547, insbesondere wenn es zur Delegierung von Führungsverantwortung kommt, um seiner Organisationsverantwortung gerecht zu werden und womit (entsprechend § 12 II 2 AGG) eine Entlastung verbunden ist, sofern es dennoch zu Mobbing im Betrieb kommt. Weitere Organisationspflichten, die ebenfalls zum anlasslos zu befolgenden Mindestschutzniveau gehören, in der Regel aber bereits durch öffentlich-rechtliche Vorschriften vorgegeben sein werden, sind baulicher Art, wie z. B. das Vorhalten nach Geschlechtern getrennter Sanitär- und Umkleideräume zur Vermeidung sexueller Belästigung. Darüber hinausgehende Maßnahmen zu verlangen, hätte im Hinblick auf die Beweislastverteilung zur Folge, dass bei Nichteinhaltung dieses Schutzes der Arbeitgeber zu seiner Entlastung beweisen müsste, dass es trotz der Ergreifung präventiver Maßnahmen zu Vorfällen gekommen wäre, welches nahezu unmöglich darzulegen wäre548. Klar ist, dass, sobald Anzeichen für Mobbingfälle aufkommen, der Arbeitgeber gehalten ist, dem nachzugehen549 und einzuschreiten550, entsprechend der Schwere und Wahrscheinlichkeit des Verdachts steigen die Anforderungen an die von ihm zu ergreifenden Maßnahmen. Eine typische organisatorische Gegenmaßnahme wäre z. B. die Einrichtung von Ansprechund Schlichtungsstellen.551 b) Mitwirkungsobliegenheiten Daher sollte der Arbeitgeber in seinem eigenen Interesse eine Unternehmenskultur, einen Verhaltenskodex oder Ethikrichtlinien etablieren, die den Arbeitnehmern vermitteln, dass Benachteiligungen anderer zu unterbleiben haben, so dass ein respektvoller Umgang selbstverständlich wird und diskriminierendes Verhalten aus dem Unternehmensalltag heraus gehalten wird.552 Dazu kann sich der Arbeitgeber seiner Weisungsbefugnis aus § 106 GewO bedienen, entsprechende Ziele individualvertraglich regeln oder im Rahmen von Betriebsvereinbarungen festhalten. Wie 547
Allgemeiner BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1161; HWK/ Thüsing, § 611a BGB Rn. 412 f.; Grunewald, NZA 1993, 1071 f.; Kollmer, AR-Blattei SD 1215., welche auf die Pflicht zum Schutz vor Belästigungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Dritte abstellen bzw. von einem menschengerechten Arbeitsplatz ist im Urteil des LAG Thüringen (LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 354) die Rede; zustimmend Wickler, DB 2002, 477, 478 f.; zu konkreten Einwirkungsmöglichkeiten siehe Schäfer, a. a. O., S. 85 ff. 548 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1164; Benecke, RdA 2008, 357, 361; Rieble/Klumpp, ZIP 2002, 369, 372. 549 LAG Nürnberg, Urt. v. 02. 02. 2002 – 6 (3) Sa 154/01 – juris; Sasse, BB 2008, 1450, 1452. 550 Für die Pflicht zum Einschreiten gem. § 12 I 1 AGG hat der Gesetzgeber dargelegt, dass die Gefahr erkennbar sein muss, um konkrete Maßnahmen ergreifen zu können (BT-Drs. 16/ 1780, S. 37; Bauer/Krieger, § 12 AGG Rn. 9; Hey/Forst/Lindemann, § 12 AGG Rn. 3). 551 Benecke, Mobbing, Rn. 239. 552 Vgl. MünchKomm BGB/Thüsing, § 12 AGG Rn. 5; Schneider/Sittard, NZA 2007, 654, 655.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
151
sich aus dem Wortlaut von § 12 II AGG ergibt, sieht der Gesetzgeber einen Schwerpunkt der Prävention in der Aus- und Fortbildung und Aufklärung über die Problematik der Benachteiligung. Durch Aushänge der vom Arbeitgeber nicht geduldeten Verhaltensweisen bzw. Auszüge des AGG oder Schulungen soll der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nachkommen. Denkbar sind neben der Einrichtung von Beschwerdestellen553, Telefonhotlines554 und der Durchführung von Mitarbeiterauditierungen555, um den Handlungsbedarf zu ermitteln, regelmäßige Mitarbeitergespräche sowie ein partizipativer Führungsstil und eine hierarchieübergreifende Kommunikation.556 Indes stellen all diese Maßnahmen keine Garantie dafür dar, dass die Verhaltensregeln befolgt werden.557 Ebenso wenig lässt sich empirisch belegen, dass ein schlechter Führungsstil zwangsläufig zu einem schlechten Betriebsklima führt und dass es unter den dort arbeitenden Beschäftigten zu Mobbing kommt. Nichtsdestotrotz kann eine humane Personalführung einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Mobbing, Schikane und sonst unangemessenem Verhalten leisten, indem sie entsprechende Verhaltensweisen unwahrscheinlicher macht.558 Aufgrund dieser verbleibenden Unsicherheit, andernfalls müssten Mitarbeiter ständig und überall überwacht werden, welches bereits aus faktischen Gründen problematisch und darüber hinaus aus ethischen Gründen abzulehnen ist, kann in den beschriebenen Maßnahmen kein verbindliches Mindestniveau gesehen werden. 2. Repressive Maßnahmen a) Interventionspflicht Gelingt dem Arbeitgeber die Prävention nicht, muss er die daraus resultierenden Konsequenzen tragen. Sowohl im Geltungsbereich des AGG (vgl. § 12 III AGG) als auch in den nicht darunter fallenden Konstellationen ist der Arbeitgeber, sobald sich ein Mobbing-Fall ereignet und er davon Kenntnis erlangt, gezwungen dagegen einzuschreiten.559 Bei dieser Pflicht handelt es sich um einen Unterfall der Organisationsverantwortung des Arbeitgebers, wobei präziser von Interventionsverant-
553
Benecke, Mobbing, Rn. 239. Bauer/Krieger, § 12 AGG Rn. 31. 555 Schäfer, Die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für diskriminierendes Verhalten Dritter, S. 85 ff. 556 Struck/Fleissner, Mobbing, S. 129. 557 Bei Erfolglosigkeit der nach dem AGG gebotenen Maßnahmen macht sich der Arbeitgeber ebenfalls nicht schadensersatzpflichtig. Die durchgeführten Maßnahmen wirken vielmehr entlastend, § 12 II 2 AGG (MünchKomm BGB/Thüsing, § 12 AGG Rn. 15). 558 ErfK/Schlachter, § 12 AGG Rn. 2. 559 Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB § 611a Rn. 1831, 1880; HWK/Thüsing, § 611a Rn. 412; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 94 Rn. 25; Bauer/Evers, NZA 2006, 893, 894; Sasse, BB 2008, 1450, 1452. 554
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
wortung560 gesprochen werden sollte. Wie der Arbeitgeber einzuschreiten hat, ist nicht geregelt, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Wahl des Sanktionsinstruments gegen den Mobbenden bzw. der Gegenmaßnahme hängt zum einen von der Schwere des Vorfalls ab, zum anderen ist zu berücksichtigen, ob es sich um einmalige oder zum wiederholten Male aufgetretene Verfehlungen handelt.561 Sind mehrere Mittel zur Beseitigung der Rechtsverletzung geeignet, welches regelmäßig der Fall sein dürfte, eröffnet dies dem Arbeitgeber einen Entscheidungsspielraum.562 Einen Anspruch auf den Erlass konkreter Maßnahmen haben betroffene Arbeitnehmer daher nicht.563 Begrenzt wird die Einwirkungspflicht zudem durch das Maß des Zumutbaren sowie der rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten.564 In dem oben erwähnten Fall des BAG565, in dem ein Oberarzt systematisch bis zur Erkrankung von seinem Vorgesetzten schikaniert wurde, haben die Gerichte dessen Anliegen ebenfalls abgewiesen. Sein Verlangen, dem Chefarzt zu kündigen, scheiterte daran, dass dies mangels vorheriger Abmahnung bzw. Schwere der Pflichtverletzung, die eine Abmahnung entbehrlich macht, rechtlich nicht möglich war. Auf das Angebot eines seiner Stellung und Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeitsplatzes hatte der Kläger keinen Anspruch, da ein solcher nicht vorhanden war und das Schaffen einer neuen Stelle dem Arbeitgeber nicht zumutbar war.566 Was dem Arbeitnehmer somit bleibt, ist ein Anspruch auf Beseitigung der Belästigung (§ 12 AGG).567 b) Arbeitsrechtliche Maßnahmen In Betracht kommen Maßnahmen sowohl gegen denjenigen, von dem das „Mobbing“ ausgeht, als auch gegen den Betroffenen selbst. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat der Arbeitgeber je nach Verletzungsgrad durch Schlichtung, Supervision, Rüge, Ermahnung oder Abmahnung568 zu versuchen den Vorfall zu beenden. Als härtere Mittel bei wiederholtem oder schwerem Fehlver560 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1163, 1164; Wickler, AuR 2004, 87, 89; vgl. Hey/Forst/Lindemann, § 12 AGG Rn. 21, der in diesem Zusammenhang von Interventionspflicht des Arbeitgebers spricht. 561 ErfK/Schlachter, § 12 AGG Rn. 1; HWK/Rupp, § 12 AGG Rn. 1. 562 LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 19. 03. 2002 – 3 Sa 1/02 – DB 2002, 1056; WendelingSchröder/Stein/Stein, § 12 AGG Rn. 11; ErfK/Schlachter, § 12 AGG Rn. 1, 3; Hoch, BB 2007, 1732, 1732. 563 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 226; ErfK/Schlachter, § 12 AGG Rn. 1 f.; Schneider/Sittard, NZA 2007, 654, 655. 564 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 226; HWK/Rupp, § 12 AGG Rn. 1; Schneider/Sittard, NZA 2007, 654, 655. 565 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223. 566 BAG, Urt. v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 – NZA 2008, 223, 226, 227. 567 Schleusener/Suckow/Plum, § 12 AGG Rn. 46 ff., 53. 568 Gamerschlag/Perband, VersR 2002, 287, 290; Göpfert/Siegrid, ZIP 2006, 1710, 1714.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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halten kommen eine Betriebsbuße569, Umsetzung, Versetzung570 und als ultima ratio die außerordentliche Kündigung571 des „mobbenden“ Mitarbeiters in Betracht. Bezüglich der Maßnahmen, die sich an den Betroffenen richten, kann durch Versetzung oder Umsetzung Abhilfe geschaffen werden. Zudem ist an die Durchführung eines bEM zu denken, „um das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass (…) weitere Erkrankungen aus dem psychischen Formenkreis dauerhaft vermieden“572 werden. c) Deliktische Sorgfaltspflichten Neben der vertraglichen Schutzpflicht besteht eine deliktische Handlungspflicht; verknüpft mit dem sog. Interventionsverschulden573. Dies kommt in Betracht, wenn es der Arbeitgeber bei bereits geschehenen Mobbing-Fällen unterlässt, Maßnahmen gegen den „mobbenden“ Mitarbeiter zu ergreifen bzw. sich schützend vor den Betroffenen zu stellen, wenn die Rechtsverletzungen nicht beendet werden. Hier liegt der Vorwurf in einem Unterlassen. Voraussetzung der Vorwerfbarkeit eines Unterlassens ist, dass eine Pflicht zum Handeln besteht, vorliegend die Pflicht, den Arbeitnehmer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu schützen. Bei solchen Pflichten zum Schutz eines Rechts oder Rechtsguts i. S. v. § 823 I BGB handelt es sich um eine Garantenpflicht. Eine solche ist insbesondere durch Rechtsgeschäft begründbar.574 Indem sich der Arbeitnehmer mit Abschluss des Arbeitsvertrags dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterordnet und sich in dessen Betrieb eingliedert, setzt er sich aufgrund des Näheverhältnisses und der Weisungsabhängigkeit dem Einwirkungsbereich des Arbeitgebers und dessen Erfüllungsgehilfen in besonderem Maße aus, welches im Gegenzug das Vertrauen auf einen angemessen menschenwürdigen Umgang verdient. Folglich ist die Annahme einer Garantenpflicht des Arbeitgebers in Bezug auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Eine Untätigkeit bei Mobbing-(Verdachts-)Fällen führt daher zur Haftung wegen Organisations- bzw. Interventionsverschuldens.575
569
Haller/Koch, NZA 1995, 356, 359. ErfK/Schlachter, § 12 AGG Rn. 3; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 55 Rn. 43; Bauer/ Evers, NZA 2006, 893, 894; Grunewald, NZA 1993, 1071, 1072. 571 Kollmer, AR-Blattei SD, 1215 Rn. 5. 572 LAG Köln, Urt. v. 26. 10. 2009 – 2 Sa 292/09 – juris. 573 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1163, 1164. 574 MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 464; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 103. 575 BAG, Urt. v. 16. 05. 2007 – 8 AZR 709/06 – NZA 2007, 1154, 1163; MünchKomm BGB/ Wagner, § 823 Rn. 108, 357; Wickler, DB 2002, 477, 478; i. E. so auch Benecke, Mobbing, Rn. 238 f., die das Nichtergreifen von Maßnahmen als Form des Organisationsverschuldens versteht; ebenso Bauer/Evers, NZA 2006, 893, 894; für eine Haftung wegen Organisationsverschuldens auch Staudinger/Richardi/Fischinger (2020), BGB § 611a Rn. 1876; Struck/ Fleissner, Mobbing, S. 75; Stoffels, RdA 2009, 204, 207; vgl. Simon/Greßlin, BB 2007, 1782, 1785. 570
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
3. Grenze der arbeitgeberseitigen Verantwortung Die Grenze der arbeitgeberseitigen Verantwortung für Mobbing-Vorfälle ist dort zu ziehen, wo sich Mobbing außerhalb der Einflussmöglichkeiten des Arbeitgebers ereignet. Eine erste Grenze besteht somit in räumlicher Hinsicht. Die zweite Grenze ist sachlicher Art. Kommt es außerhalb der betrieblichen Räumlichkeiten zu Mobbing-Handlungen und war die Zusammenkunft der Beschäftigten nicht betrieblich veranlasst (betrieblicher Anlass wäre z. B. die Wahrnehmung auswärtiger Termine, der Besuch von Seminaren oder Dienstreisen aber auch bei Vergnügungsveranstaltungen wie Weihnachtsfeier, Betriebsausflug)576, kann der Arbeitgeber für einen Mobbing-Vorfall nicht verantwortlich gemacht werden. Ebenfalls keine Verantwortung trifft den Arbeitgeber bei unvorhersehbaren Verhaltensverstößen von bislang unauffälligen Beschäftigten577 oder bei erstmaligem Fehlverhalten von Beschäftigten, bei denen sich der Arbeitgeber erfolgreich auf die Durchführung einer Schulung berufen kann. Zeigt sich, dass die durchgeführte Schulung durch Mobbing herbeigeführte Rechts(guts)verletzungen nicht vermeiden konnte, muss der Arbeitgeber seine Beschäftigten erneut schulen, um sich von der Haftung befreien zu können.578 Schließlich spielt es für die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers eine Rolle, ob bei Angriffen auf die Ehre oder Persönlichkeit des Arbeitnehmers der Schutzzweck der Norm betroffen ist. So muss ein Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Kritik vertragen können. Der Schutzzweck der Norm ist daher nicht betroffen, wenn aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers in keinster Weise damit gerechnet werden musste, dass ein Arbeitnehmer sich das Verhalten eines anderen so zu Herzen nehmen würde, dass die Gefahr von Arbeitsunfähigkeit oder gesundheitlicher Beeinträchtigung besteht.579 4. Ergebnis Aus den genannten Einwirkungsmöglichkeiten ergibt sich folgender Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, sollte es zu „Mobbing“-Vorfällen kommen: Das Mobbing geht vom Arbeitgeber selbst aus. Das von Angestellten in leitender Funktion bzw. von Angestellten mit Weisungsbefugnis betriebene Mobbing ist dem Arbeitgeber gem. § 278 BGB zuzurechnen. Der Arbeitgeber unterlässt Präventivmaßnahmen wie Schulungen etc. Der Arbeitgeber schreitet bei Mobbing unter Kollegen nicht ein. Es fehlen Verhaltensregeln für einen menschlichen Umgang, die der Arbeitgeber im eigenen Interesse erlassen sollte.
576 577 578 579
MünchKomm BGB/Thüsing, § 12 AGG Rn. 4. Hey/Forst/Lindemann, § 12 AGG Rn. 3; Bauer/Krieger, § 12 AGG Rn. 9. Hey/Forst/Lindemann, § 12 AGG Rn. 46; Bauer/Krieger, § 12 AGG Rn. 27. LAG Nürnberg, Urt. v. 05. 09. 2006 – 6 Sa 537/04 – AR-Blattei ES 1215, Nr. 6.
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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III. Verantwortung für Eignung und Fähigkeiten Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer die Verantwortung für seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten.580 Das folgt aus seiner bei Abschluss des Arbeitsvertrages gegebenen Zusage, die vom Arbeitgeber in der Stellenausschreibung verlangten und die mit dem einschlägigen Berufsbild korrespondierenden Leistungen zu erbringen. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber bei Vertragsabschluss keine oder ihm kaum zumutbare Möglichkeiten, selbst die Aussagekraft von Tests und Aufnahmeprüfungen im Rahmen eines herkömmlichen Bewerbungsverfahrens mit Assessmentcentern dürfte kaum hinreichend sein, das Vorhandensein der zugesagten Fähigkeiten vollständig zu prüfen und zu beeinflussen. Sollte sich ein Arbeitnehmer zur Erbringung von Diensten verpflichtet haben, z. B. „verhandlungssicheres Englisch“ wie häufig in Stellenausschreibungen gefordert581, obwohl er tatsächlich nur über das in der Schule erlernte Sprachniveau verfügt, ist es seine Sache, sich den notwendigen Wortschatz anzueignen, ggf. durch professionellen Sprachunterricht, dessen Kosten er selbst zu tragen hat. Soweit die Verantwortungsverteilung hinsichtlich der bei Vertragsschluss erforderlichen Fähigkeiten klar ist, stellt sich im Hinblick auf später eintretende Änderungen der Anforderungen an die Arbeit, z. B. durch fortschreitende Technisierung oder aufgrund von Umstrukturierungen durch den Arbeitgeber, die Frage, in wessen Verantwortungsbereich dadurch entstehende Abweichungen zwischen dem Bedarf und den tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten fallen. Bestünde diesbezüglich eine Weiterbildungspflicht seitens des Arbeitnehmers, könnte der Arbeitgeber kündigen, sollte der Arbeitnehmer dem nicht nachkommen. Eine Mitverantwortung des Arbeitgebers für die Vermeidung dieser Eignungsmängel, die sich auf die Kündigungsbefugnis auswirken könnte, könnte sich jedoch aus den Vorschriften § 2 II SGB III und § 1 II 3 KSchG ergeben. 1. Die Arbeitsmarktverantwortung des Arbeitgebers nach § 2 II SGB III In § 2 II 1 SGB III heißt es, dass Arbeitgeber bei ihren Entscheidungen Auswirkungen auf die Beschäftigung der Arbeitnehmer und von Arbeitslosen und damit die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung einzubeziehen haben. Soweit hier von Relevanz sollen sie insbesondere für die Entwicklung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer sorgen (§ 2 II 2 Nr. 1 SGB III) sowie durch betriebliche Maßnahmen die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung sowie Entlassungen vermeiden (§ 2 II 2 Nr. 2 SGB III). Hierbei handelt es sich allerdings nicht um vom Arbeitnehmer einklagbare Pflichten des Arbeitsgebers, 580
BAG, Urt. v. 18. 01. 2007 – 2 AZR 731/05 – NZA 2007, 680, 681; BAG, Urt. v. 24. 02. 2005 – 2 AZR 211/04 – NZA 2005, 759, 760; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 280 ff., 320 f.; Latzel, RdA 2013, 73, 74; Rieble, FS Löwisch, S. 229, 236; vgl. Waas, SAE 2008, 17, 18. 581 Beispiel nach Latzel, RdA 2013, 73, 76.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
sondern die Vorschrift stellt das gesetzliche Leitbild eines verantwortungsbewussten Arbeitgebers dar, in dessen Sinne der Gesetzgeber die weiteren Bestimmungen des SGB III verstanden wissen möchte. Da § 2 SGB III ausschließlich einem öffentlichrechtlichen Zweck dient, nämlich zu Gunsten der Solidargemeinschaft die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung zu begrenzen582, können daraus keine Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber hergeleitet werden. Die Verhaltensmaximen sind als Obliegenheiten des Arbeitgebers einzuordnen, deren Verletzung nur im Hinblick auf die Vorschriften des SGB III Rechtsnachteile auslösen kann.583 Mangels individueller Schutzrichtung sind Auswirkungen dieser Norm auf die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers folglich zu verneinen. 2. Weiterbildungspflicht des Arbeitgebers nach § 1 II 3 KSchG Pflichten für den Arbeitgeber im Hinblick auf die Weiterbildung des Arbeitnehmers könnten aus der allgemeinen Fürsorgepflicht584 folgen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang ein Umschulungsanspruch des Arbeitnehmers; dessen Voraussetzungen jedoch nicht eindeutig geklärt sind.585 Klarheit besteht darüber, dass jedenfalls § 1 II 3 KSchG die Obliegenheit des Arbeitgebers enthält, den Arbeitnehmer umzuschulen oder weiterzubilden, um die Unwirksamkeit einer Kündigung zu vermeiden.586 Da diese sog. Weiterbildungspflicht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit steht, heißt das zunächst einmal, dass es keine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers gibt, seine Mitarbeiter auf eigene Kosten fortzubilden oder umzuschulen. Das schließt jedoch nicht aus, dass der Arbeitgeber ein Interesse an der Weiterbildung seiner Beschäftigten hat. Aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer dazu verpflichtet werden kann, an Fortbildungen teilzunehmen und sich weiterzubilden. Dies hängt davon ab, ob die eingetretene Änderung, für die der Arbeitnehmer noch keine Qualifikation besitzt, noch dem Berufsbild der aus-
582
NK-Schmidt-De Caluwe, SGB III, § 2 Rn. 7 ff.; Kühl/Brand, SGB III, § 2 Rn. 4. NK-Schmidt-De Caluwe, SGB III, § 2 Rn. 21 ff.; a. A. Kühl/Brand, SGB III, § 2 Rn. 6. 584 Nach Sandmann/Schmitt-Rolfes, ZfA 2002, 295, 332 und Weisskirchen/Bissels/Schmidt, NZA 2008, 1386, 1389 korrespondiert der Umschulungsanspruch mit der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers; a. A. Latzel, RdA 2013, 73, 76. 585 BAG, Urt. v. 20. 06. 1995 – 8 AZR 688/94 – juris; ArbG Bonn, Urt. v. 04. 07. 1990 – 4 Ca 751/90 – NZA 1991, 512; Däubler, Soziales Recht 2016, S. 30 f.; Hunold, NZA 2000, 802, 805; Kurt, RdA 2017, 230, 231. 586 Latzel, RdA 2013, 73, 77; Vogt/Oltmanns, NZA 2012, 599, 600; Weisskirchen/Bissels/ Schmidt, NZA 2008, 1386, 1388; siehe auch Birk, FS Kissel, S. 51, 55, der in § 1 II 3 KSchG eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht sieht; aus der Rspr. BAG, Urt. v. 20. 06. 1995 – 8 AZR 688/94 – juris; LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55, S. 4. 583
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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geübten Tätigkeit zuzuordnen ist oder darüber hinaus geht.587 Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht die Anforderungen des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zugrunde gelegten Berufsbildes maßgeblich sind, sondern dass aufgrund der beabsichtigten Langjährigkeit des Arbeitsverhältnisses den Anforderungen eine gewisse Dynamik beigemessen wird, die nach Vertragszweck, Interessenlage, Verkehrssitte üblich ist und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben erwartet werden kann. Daraus folgt, dass in einem gewissen Rahmen und Umfang die Fortbildung vom Arbeitnehmer verlangt werden kann.588 Die Fortbildungspflicht resultiert damit aus der Leistungstreuepflicht589, alles zu tun, was die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung sicherstellt, und alles zu unterlassen, was diesem abträglich ist. Um beim Beispiel der Sprachfähigkeiten zu bleiben, folgt aus der das Arbeitsverhältnis beeinflussenden Dynamik, dass der Arbeitnehmer von sich aus gehalten ist, seine zugesagten Sprachkenntnisse stets zu trainieren, z. B. im Gespräch mit Kollegen oder in seiner Freizeit. Entsteht der Fortbildungsbedarf durch vom Arbeitgeber veranlasste Neuerungen, z. B. in der Buchführung, weil die manuelle Kontenführung durch den Einsatz von Computerprogrammen abgelöst wurde, die der Arbeitnehmer nicht beherrscht, kann der Arbeitgeber, sofern sich diese Änderung noch in dem für das Berufsbild typischen Rahmen hält, aufgrund seines Weisungsrechts dazu verpflichten, an einer dafür erforderlichen Schulung teilzunehmen.590 Ein personenbedingter Kündigungsgrund träte in diesem Kontext zu Tage, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet aufgrund seiner nachlassenden Leistungsfähigkeit oder aufgrund der eingetretenen Änderungen nicht mehr in der Lage ist, sich den neuen Arbeitsanforderungen anzupassen. In Abgrenzung dazu läge ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vor, wenn der Arbeitnehmer es willentlich unterlässt sich weiterzubilden und sich nicht den geänderten Arbeitsbedingungen anpasst, obwohl ihm dies möglich wäre; beispielsweise, indem er sich weigert eine vom 587 LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898 – LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55; Anm. Schwarze, LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55, S. 12 f. 588 BAG, Beschl. v. 10. 04. 1984 – 1 ABR 67/82 – NZA 1984, 233, 234; ArbG Bonn, Urt. v. 04. 07. 1990 – 4 Ca 751/90 – NZA 1991, 512; LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 287 ff.; Houben, NZA 2008, 851, 852; Hunold, NZA 2000, 802, 804; Kocher, NZA 2010, 841, 844; Kurt, RdA 2017, 230, 232; Sandmann/Schmitt-Rolfes, ZfA 2002, 295, 312; Wisskirchen/Bissels/Schmidt, NZA 2008, 1386 f. 589 Teilweise wird die Weiterbildung auch als Teil der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers gesehen (Däubler, Soziales Recht 2016, S. 30; Wisskirchen/Bissels/Schmidt, NZA 2008, 1386, 1388). Andere wiederum halten die Weiterbildung des Arbeitnehmers für eine Obliegenheit, die dieser im eigenen Interesse wahrzunehmen hat (Natzel, SAE 2010, 248, 251). Da die Weiterbildung notwendige Voraussetzung dafür ist, dass die eigentliche Leistung erst erbracht werden kann, handelt es sich dabei um eine Nebenleistungspflicht (so auch Latzel, RdA 2013, 73, 75; Tschöpe, BB 2006, 213, 221). 590 Siehe zur Kostentragung Dorth, RdA 2013, 287 ff.; Klinkhammer/Peters, ArbRAktuell 2015, 369 ff.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Arbeitgeber angeordnete Fortbildung zu besuchen.591 Ein betriebsbedingter Kündigungsgrund käme hingegen in den Fällen in Betracht, in denen das neue Stellenprofil aufgrund der eingetretenen Änderungen derartig von den bisherigen Anforderungen abweicht, dass die ursprüngliche Leistungsvereinbarung die neuen Tätigkeiten nicht mehr umfasst, so dass der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer keinen Anspruch mehr auf die Erbringung der Leistung hätte, er einen Änderungsvertrag abschließen oder eine Änderungskündigung aussprechen müsste.592 § 1 II 3 KSchG ändert zwar nichts daran, dass die unmittelbare Verantwortung für die Eignungsmängel aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt. Mit der Norm bringt der Gesetzgeber aber zum Ausdruck, dass er eine mittelbare Verantwortung des Arbeitgebers an der Situation des Arbeitnehmers sieht. Auch wenn der Arbeitgeber selbst nur auf die fortschreitende, neue Maßstäbe setzende Entwicklung reagiert, ist er derjenige, der letztlich über die Anschaffung neuer Maschinen, Neustrukturierung der Arbeitsabläufe, etc. entscheidet und damit die Änderung der Arbeitsanforderungen bestimmt593, während dem Arbeitnehmer, betroffen werden hier insbesondere durch die Industrialisierung 4.0. ältere Arbeitnehmer sein, deren Ausbildung manuelle Tätigkeiten zum Schwerpunkt hatte und denen Bereiche der digitalen Arbeitswelt zu vermitteln schwer fallen könnte, ebenso wie jene Arbeitnehmer, deren Tätigkeit bisher kaum (Vor-)kenntnisse erforderte, die erforderlichen Fähigkeiten ohne Verschulden fehlen. Für diese Situation hat der Gesetzgeber die Weiterbildungspflicht des Arbeitgebers als milderes Mittel zur Kündigung vorgesehen. Indem diese wiederum unter den Vorbehalt der Zumutbarkeit gestellt wurde, sind an dieser Stelle die zuvor dargestellten Erwägungen zur Verantwortungsverteilung einzustellen und beeinflussen somit die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers.594
IV. Ergebnis Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Entstehung des personenbedingten Kündigungsgrundes in sämtlichen seinen Ausprägungen, d. h. krankheitsbedingte, persönlich oder fachlich bedingte Eignungsmängel, dem Arbeitgeber zurechenbar sein kann. Zurechnungsbegründend sind zum einen vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen Schutz- und Fürsorgepflichten, zum anderen trifft den Arbeitgeber eine verschuldensunabhängige Verantwortung für die von seinem Betrieb ausgehenden Gefahren und Risiken, die den Arbeitnehmer ebenfalls in dessen persönlicher Integrität beeinträchtigen können.
591 592 593 594
Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. III. Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. IV. und Dritter Teil unter § 8 C. III. Kurt, RdA 2017, 230, 233; Wisskirchen/Bissels/Schmidt, NZA 2008, 1386, 1389. Siehe Dritter Teil unter § 6 C. II. 3.
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C. Verantwortung bezüglich der Vermeidung einer verhaltensbedingten Störung Der verhaltensbezogene Kündigungsgrund verlangt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers. Wie eine daran bestehende Verantwortung des Arbeitgebers genauer aussehen könnte ist Gegenstand dieses Abschnitts. Eine Mitwirkung des Arbeitgebers an der Pflichtverletzung ist in verschiedenen Konstellationen denkbar. Erstens, ist es denkbar, dass die Pflichtverletzung sowohl auf ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers zurückzuführen ist. Nach dem Gleichbehandlungs- bzw. Symmetriegebot ist das Verschulden beider Vertragsparteien zu berücksichtigen, da es gegen den Gedanken der Gleichbehandlung verstieße, bliebe ein Verhalten, das ebenso ursächlich und ebenso schuldhaft wäre, bei der Bestimmung des Verantwortlichen außer Betracht.595 Möglich sind solche Fälle vor allem bei der Organisation der Arbeit, wenn es um das Anlernen, die Unterweisung und Überwachung geht. In der zweiten Konstellation, sieht es vermeintlich so aus, als verletzten sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer ihre Pflichten. Tatsächlich verletzt jedoch nur der Arbeitgeber seine Pflicht, so dass seitens des Arbeitnehmers, der nur darauf reagiert, beispielsweise indem er seine Arbeit zurückhält, gar keine Pflichtverletzung vorliegt. Dieses könnte im Zusammenhang mit der Nichtbefolgung von rechtswidrig ergangenen Versetzungen oder sonstigen Arbeitsanweisungen stehen. Ebenso ergeben sich Überschneidungen mit Fällen wegen Organisationsverschuldens. Schließlich sind solche Situationen denkbar, in denen zwar eine tatsächliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegt, der Arbeitgeber durch sein Verhalten diese aber bewusst provoziert hat bzw. dazu Anweisungen erteilt hat. Diese Variante betrifft zum einen die rechtsmissbräuchliche Ausübung des Weisungsrechts und zum anderen das Dulden oder Veranlassen von Complianceverstößen oder sogar Straftaten.
I. Arbeitsorganisation Ein Verantwortungsbeitrag des Arbeitgebers kann sich aus der Art und Weise der Arbeitsorganisation ergeben. Aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit im Rahmen der betrieblichen Organisation des Arbeitgebers erbringt, resultieren Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers. Dazu gehört zunächst das Vorhalten einer Betriebsstätte, wo der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichten kann. Kommt es beispielsweise zu einem Brand in der Betriebsstätte, wodurch diese zerstört wird596, 595 So die Verfahrensweise bei der Schadensberechnung nach § 254 I BGB (GK-Online BGB/Looschelders (Stand: 01. 03. 2021), § 254 Rn. 6; MünchKomm BGB/Oetker, § 254 Rn. 2; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 563), die auf die vorliegende Fragestellung übertragen werden kann, da die Bestimmung der Verantwortungsbeiträge die Vorstufe zur Schadensberechnung ist. 596 Vgl. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik), in dem mutmaßlich einer der Gesellschafter den Betrieb angezündet hatte, sich
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ist der Arbeitnehmer wegen eines aus der Sphäre des Arbeitgebers stammenden Umstands an der Erbringung seiner Arbeit gehindert. Die Erbringung der Leistung ist vorübergehend unmöglich (§ 275 I 2. Alt. BGB), weil das vom Gläubiger zur Verfügung zu stellende Leistungssubstrat fehlt. Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Nichtleistung sowie eine außerordentliche Kündigung wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit scheiden aus, da es im ersten Fall an einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers fehlt, im zweiten Fall ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar. Gleiches gilt bezüglich einer Kündigung für den Fall, dass ein Betrieb aus rechtlichen Gründen stillgelegt werden muss. Verhängt z. B. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ein Zahlungs- und Verfügungsverbot, so dass eine Bank ihre Handelstätigkeit einstellen muss und es für die dort beschäftigten Arbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit gibt, kann der Arbeitgeber unter den weiteren Voraussetzungen von § 615 S. 3, S. 1 BGB in Verzug mit der Annahme der angebotenen Leistung geraten.597 Die nicht erfolgte Leistung des Arbeitnehmers scheidet somit als Anknüpfungspunkt einer verhaltensbedingten Kündigung aus, weil auch in diesem Fall auf „Tatbestandsebene“ die Pflichtverletzung fehlt. Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers hat auch die weitere Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitsmaterialien und Geräte zur Verfügung zu stellen. Entsprechen diese nicht den geltenden Schutzbestimmungen oder fehlt es an sonstigen Arbeitshilfen und Schutzausrüstung, ist der Arbeitnehmer gem. § 273 BGB berechtigt, die Arbeit zu verweigern, beispielsweise, wenn die Arbeitsräume mit Asbest belastet sind.598 Macht er also in zulässiger Weise von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch, stellt die Arbeitsverweigerung keine Pflichtverletzung dar. Ferner hat der Arbeitgeber innerbetriebliche Abläufe so zu organisieren, dass Schäden durch arbeitnehmerseitige Pflichtverletzungen vermieden werden. Dazu gehört es nicht nur Auszubildende, sondern alle Beschäftigte entsprechend ihrer Tätigkeit einzuweisen599 und bei der Ausführung der übertragenen Tätigkeiten zu überwachen. Damit ist zwar keine Kontrolle im Sinne einer permanenten Überwachung gemeint, wohl aber eine gelegentliche oder zumindest in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund seiner Unerfahrenheit noch Hilfestellungen benötigt. So wegen der Entgeltfortzahlungspflicht gem. § 615 S. 3 BGB nicht auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses berufen und den arbeitslosen Beschäftigten daher nicht kündigen konnte; vgl. BAG, Urt. v. 17. 12. 1968 – 5 AZR 149/68 – NJW 1969, 766, 767 in dem Erfüllungsgehilfen des Arbeitgebers schuldhaft einen die Arbeitsstätte zerstörenden Brand verursacht haben. 597 LSG Hessen, Urt. v. 20. 08. 2010 – L 7 AL 165/06 – ZIP 2010, 2019. 598 BAG, Urt. v. 08. 05. 1996 – 5 AZR 315/95 – AP BGB § 618 Nr. 23; LAG Köln, Urt. v. 22. 01. 1993 – 12 Sa 872/92 – LAGE BGB § 618 Nr. 6; Däubler, AiB 1989, 136, 139. 599 Vgl. LAG Nürnberg, Urt. v. 12. 06. 2007 – 6 Sa 37/07 – NZA-RR 2008, 178, 179, in dem die Minderleistung eines Arbeitnehmers durch eine Unterweisung und andere Organisationsund Abhilfemaßnahmen vermeidbar war, so dass eine personenbedingte Kündigung unverhältnismäßig und somit unwirksam war.
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in einem Fall, den das Landesarbeitsgericht Düsseldorf600 hinsichtlich der Kündigung einer sich noch in Ausbildung zur Fachärztin befindenden Ärztin zu entscheiden hatte, die gegen „Basalkenntnisse der Schulmedizin“ verstoßen hat, indem sie die Laborwerte eines neu eingewiesenen Patienten nicht geprüft hat. Unterstellt man, dass es zu den grundlegenden Kenntnissen eines Arztes gehört, dass die Laborwerte von Patienten noch am Tag ihrer Einweisung ins Krankenhaus überprüft werden müssen, war die Ärztin an jenem Tag, spätestens am Folgetag, verpflichtet, die Laborwerte telefonisch abzufragen und hätte sich nicht darauf verlassen dürfen, dass im Fall ausbleibender schriftlicher Unterrichtung alles in Ordnung sei. Weil im Rahmen eines Krankenhausbehandlungsvertrags den behandelnden Ärzten die Gesundheit eines Menschen anvertraut ist, jeder Fehler zu schwerwiegenden Erkrankungen oder zum Tode führen kann, stellen insbesondere leicht vermeidbare Fehler einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar. In diesem Fall indes, ist der Arbeitgeber seiner Überwachungspflicht, delegiert auf den Chefarzt, nicht hinreichend nachgekommen, so dass die Schuld des Behandlungsfehlers und der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung nicht allein bei der Klägerin liegt. Bei einem Behandlungsvertrag, den ein Patient mit einem Krankenhausträger schließt, hat dieser einen Anspruch auf eine Behandlung, die dem Standard eines erfahrenen Facharztes entspricht. Dass dieser Standard eingehalten wird, dafür hat der behandelnde Chefarzt Sorge zu tragen. Dies kann er selbst tun oder auf einen wiederum von ihm zu überwachenden Oberarzt delegieren. Indem es im vorliegenden Fall unterlassen wurde, die Klägerin über die Abrufmöglichkeit der Laborwerte über den Computer hinzuweisen, für den Fall, dass eine schriftliche Unterrichtung über die Arztfächer unterbleibt, oder nach Visite des fraglichen Patienten und Durchschau der Patientenakte nicht veranlasst wurde, dass die Laborwerte angefordert werden, wurden seitens des Arbeitgebers die Anleitungs- und Überwachungspflichten verletzt. Des Weiteren unterblieb am Folgetag der Einweisung des betroffenen Patienten eine fachärztliche Anleitung und Kontrolle der Klägerin bezüglich dieses Patienten entweder durch den Chefarzt oder Oberarzt ganz, obwohl die Klägerin aufgrund ihres Ausbildungsstandes dem Patienten noch keine Facharztbehandlung leisten konnte. Dies stellt ein Organisationsverschulden des Arbeitgebers in Form der unterlassenen Überwachung dar. Ferner kann es einen Organisationsfehler darstellen, wenn der Arbeitgeber die Arbeit so verteilt, dass es wegen Überforderung und Überlastung zu Pflichtverletzungen durch den Arbeitnehmer kommt.601 In welcher Beziehung monotone Arbeit und die arbeitgeberseitigen Organisationspflichten zueinander stehen, zeigt der folgende Fall602 : Eine als Lager- und Versandarbeiterin eingesetzte Beschäftigte sollte wegen Minderleistung gekündigt werden. Die Tätigkeit bestand darin an sog. Warenstückauffangbehältern die Waren zu entnehmen und für den Versand zu ver600
LAG Düsseldorf, Urt. v. 04. 11. 2005 – 9 Sa 993, 05 – DB 2006, 455, 456. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 361. 602 BAG, Urt. v. 17. 01. 2008 – 2 AZR 536/06 – NZA 2008, 693, 695; LAG Sachsen, Urt. v. 01. 10. 2008 – 3 Sa 298/08 – BB 2009, 165, 166. 601
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packen. Durch ein vorgeschaltetes EDV-System werden zusammenhängende Waren einer Sendung und dafür vorgesehene Kartons mit einer identischen Sendungsnummer versehen, die von den Beschäftigten vor der Versandabfertigung abzugleichen ist. Bei der Gekündigten war es im Verhältnis zu anderen Beschäftigten zu vermehrten Fehlern gekommen. Die Arbeit fand unter Zeitdruck statt, da der Arbeitgeber über ein Prämiensystem Anreize für eine höhere Arbeitsgeschwindigkeit geschaffen hatte. Obwohl die Möglichkeit bestanden hat, dass die Beschäftigten auf den verschiedenen Arbeitsplätzen rotierend eingesetzt werden, was zu einer Abwechslung bei den Arbeitsaufgaben geführt hätte, wurde dies vom Arbeitgeber nicht durchgeführt. In der Urteilsanmerkung wurde eingewandt, dass bei Bestimmung des Leistungsmaßstabs nicht hinterfragt wurde, ob nicht erstens zu berücksichtigen ist, dass bei monotoner Arbeit entgegen der üblichen Entwicklung, bei der die Fehlerquote mit zunehmendem Beschäftigungsalter sinkt, die Fehleranhäufung mit der Dauer der Beschäftigung und mit zunehmendem Lebensalter einhergehender Verausgabung steigt und ob zweitens nicht hätte berücksichtigt werden müssen, ob dem nicht durch eine an den Menschen angepasste Arbeitsorganisation abgeholfen hätte werden können.603 Ein Organisationsverschulden des Arbeitgebers liegt auch dann vor, wenn zu wenig Personal eingestellt wird und es aufgrund der personellen Unterbesetzung zu Mängeln bei der Arbeitsleistung kommt. Insgesamt lassen sich damit der Arbeitsorganisation des Arbeitgebers zwei Konsequenzen für die Einordnung des arbeitnehmerseitigen Verhaltens entnehmen: Das Organisationsverschulden des Arbeitgebers kann zur Folge haben, dass der Arbeitnehmer in berechtigterweise seine Arbeit zurückhält, mithin keine Pflichtverletzung begeht, oder dass die Pflichtverletzung, da sie sowohl auf das arbeitnehmerseitige als auch auf das arbeitgeberseitige Fehlverhalten rückführbar ist, mithin anders zu bewerten ist, als wenn die Pflichtverletzung allein vom Arbeitnehmer zu verantworten wäre.
II. Ausübung des Weisungsrechts Weitere arbeitgeberseitige Mitverantwortung für die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kann sich daraus ergeben, wie der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht. Der Arbeitgeber hat seine Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen. Die Beschäftigungspflicht wird durch Ausübung des Weisungsrechts umgesetzt. Sofern die vertraglich geschuldete Arbeit nur grob im Arbeitsvertrag umrissen ist, dient die einzelne Zuweisung von Arbeitsaufgaben dazu, die geschuldete Arbeit zu konkretisieren. Die Grenze dessen bilden die Bestimmungen aus Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag. Der Gestaltungs603
Kothe/Weber, jurisPR-ArbR 23/2009 Anm. 1, siehe unter C.
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spielraum hinsichtlich des Einsatzes des Arbeitnehmers verringert sich konsequenterweise je mehr arbeits- und tarifvertraglich oder in Betriebsvereinbarungen geregelt ist. Den verbleibenden Spielraum hat der Arbeitgeber gem. § 106 S. 1 GewO nach billigem Ermessen zu füllen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei der Ausübung des Weisungsrechts die Interessen des Arbeitnehmers angemessen zu berücksichtigen.604 1. Arbeitszeit Die Arbeitszeitdauer muss, da sich die arbeitgeberseitige Gegenleistung, die Entlohnung, danach bestimmt, wie viel Arbeit der Arbeitnehmer pro Woche/Monat/ Jahr zu leisten hat, also essentialia negotii ist, arbeitsvertraglich oder kollektivrechtlich geregelt sein. Dem Arbeitgeber verbleibt somit lediglich die Befugnis, die Lage der Arbeitszeit im Laufe des Arbeitsverhältnisses durch Ausübung seines Weisungsrechts zu bestimmen. Nicht dazu gehört die Anordnung von Überstunden. Deren Anordnung bedarf einer eigenen Rechtsgrundlage, die eine Bestimmung im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung sein kann. Enthalten hingegen Arbeits-, Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung keine Regelung dazu bzw. gibt es Letztere gar nicht, so ist die Anordnung von Überstunden grundsätzlich vertragswidrig; außer der Betrieb des Arbeitgebers befindet sich in einer Notlage.605 Die Konsequenz vertragswidrig erteilter Weisungen ist, dass diese unwirksam sind und nicht befolgt werden müssen.606 In diesem Zusammenhang hatte das LAG Mecklenburg-Vorpommern607 über die Wirksamkeit einer außerordentlichen608 Kündigung zu entscheiden, die gegenüber einem Arbeitnehmer ausgesprochen wurde, weil er sich weigerte Überstunden zu leisten. Das LAG entschied, dass kein Kündigungsgrund vorlag. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Etwa eine Dreiviertelstunde vor Dienstschluss erhielt ein 604 St. Rspr. BAG, Urt. v. 23. 09. 2004 – 6 AZR 567/03 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 64; BAG, Urt. v. 24. 04. 1996 – 5 AZR 1031/94 – NZA 1996, 1088, 1089; BAG, Urt. v. 23. 06. 1993 – 5 AZR 337/92 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 42; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 40 Rn. 28. 605 MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 40 Rn. 70; Schaub/Linck, § 133 ArbR-Hdb Rn. 44; vgl. die Besprechung der Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 12. 2014 – 5 TaBV 7/14 – EzTöD 100 § 34 Abs 2 TVöD-AT Arbeitnehmervertreter Nr. 18 von Tkatschenko, DB 2015, 2274, 2275. 606 BAG, Urt. v. 23. 01. 1992 – 6 AZR 87/90 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 39; Birk, Leitungsmacht, S. 298 ff.; Kothe, NZA 1989, 161, 163. 607 LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 12. 2014 – 5 TaBV 7/14 – EzTöD 100 § 34 Abs 2 TVöD-AT Arbeitnehmervertreter Nr. 18. 608 Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit der außerordentlichen und ordentlichen Kündigung – beide setzen eine Interessenabwägung voraus, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist – lassen sich die für die Interessenabwägung der außerordentlichen Kündigung geltenden Erwägungen auf die der ordentlichen Kündigung übertragen. Siehe Dritter Teil unter § 5 E.
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Rettungssanitäter von der Leitstelle den Auftrag einen Krankentransport durchzuführen. Die Fahrzeit von dem Ort, in dem sich das Krankenhaus befand, in das der Patient gebracht werden sollte, zurück zur Rettungswache hätte zu einem Überschreiten der Arbeitszeit geführt, ohne dass die Strecke zwischen dem Ort, in dem sich das Altenpflegeheim befand, und dem Ort des Krankenhauses miteingerechnet ist. Es war also absehbar, dass sich die Arbeitszeit des Rettungssanitäters erheblich verlängert hätte. Dieser führte den Transport daher nicht durch, so dass ein anderer Krankentransportwagen beauftragt werden musste, der den Patienten 45 Min. später in das Krankenhaus brachte. Bei dem Krankentransport handelte es sich um einen solchen der Prioritätsstufe 3, d. h., dass ein Patient sitzend in einem Tragestuhl gefahren werden soll, um einen Notfall handelt es sich dabei nicht. Das LAG hat seine Entscheidung damit begründet, dass mangels arbeits- oder tarifvertraglicher Vereinbarung oder Betriebsvereinbarung eine Rechtsgrundlage, aus der sich die Pflicht zur Ableistung von Überstunden ergibt, nicht vorhanden war. Außerdem handelte es sich nicht um eine betriebliche Notlage, in der es die arbeitsvertragliche Treuepflicht ausnahmsweise gebietet, dass der Arbeitnehmer Überstunden macht. Denn die Tatsache, dass ständig und jederzeit Rettungseinsätze ohne jedwede Planbarkeit eingehen können, gehört zum Wesen des Rettungsdienstgeschäftes, so dass es vielmehr den betrieblichen Normalfall darstellt, dass Einsätze vor Dienstende eingehen. Darauf hat der Arbeitgeber jedoch mit entsprechender Organisation des Arbeitskräfteeinsatzes zu reagieren. Er kann nicht verlangen, dass Arbeitnehmer nach Arbeitszeitende noch eine gewisse Verfügbarkeit für den Arbeitgeber einplanen.609 Im Ergebnis also ist festzuhalten, dass die arbeitgeberseitige Verantwortung in Form von rechtswidrigerweise ausgesprochenen Weisungen dazu führt, dass arbeitnehmerseits keine Pflichtverletzung, mithin keine diesem zurechenbare Störung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. 2. Änderung des Aufgabenbereichs (Versetzung) Im Rahmen der Tätigkeitsbeschreibung kann der Arbeitgeber Art und Inhalt der Arbeitsleistung durch Weisungen festlegen. Dazu gehört es auch, den Arbeitnehmer in einem anderen Aufgabengebiet einzusetzen. Angestellten des öffentlichen Dienstes dürfen, sofern der Tätigkeitsbereich nicht bereits im Arbeitsvertrag hinreichend präzisiert ist, alle Tätigkeiten übertragen werden, die der Vergütungsgruppe entsprechen, in die der betroffene Arbeitnehmer eingruppiert ist.610 Für alle anderen Arbeitsverhältnisse gilt, dass nur solche Tätigkeiten zugewiesen werden dürfen, die im Vertrag vorgesehen sind oder mit der bisher ausgeübten Tätigkeit gleichwertig sind, wobei sich die Gleichwertigkeit nach der im Betrieb vorherrschenden Ver609
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18. 12. 2014 – 5 TaBV 7/14 – EzTöD 100 § 34 Abs 2 TVöD-AT Arbeitnehmervertreter Nr. 18. 610 BAG, Urt. v. 30. 08. 1995 – 1 AZR 47/95 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 44; ErfK/ Preis, § 106 GewO Rn. 20 ff., 28.
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kehrsauffassung und dem damit einhergehenden Sozialbild beurteilt.611 Ein Beispiel für eine zulässige Versetzung ist die Versetzung einer Stationsleiterin eines Krankenhauses von einer aus mehreren Fachbereichen bestehenden, dafür kleineren (24 Betten umfassende) Station auf eine größere (36 Betten), dafür nur für einen Fachbereich zuständige Station.612 Weigert sich der Arbeitnehmer der rechtmäßig zugewiesenen Tätigkeit Folge zu leisten, handelt es sich um den klassischen Fall einer Arbeitsverweigerung, dem mit einer außerordentlichen Kündigung begegnet werden kann.613 Die Verantwortung für die Verletzung der Arbeitspflicht liegt zu 100 % beim Arbeitnehmer. Ein Rechtsirrtum darüber kann den Arbeitnehmer regelmäßig nicht entlasten, außer er wäre unvermeidbar gewesen. Dies wird jedoch nur in den wenigen Fällen angenommen, in denen mit einem Unterliegen in einem Rechtsstreit nicht zu rechnen gewesen war.614 Nicht vom Weisungsrecht umfasst, ist hingegen die Zuweisung von geringer wertiger Tätigkeit, selbst wenn die bisherige Vergütung weitergezahlt wird.615 Verweigert der Arbeitnehmer in diesem Falle die Erbringung der neu zugewiesenen Arbeitsleistung, liegt keine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vor. Die Tatsache, dass die Arbeit nicht erbracht wird, ist auf die vom Arbeitgeber zu Unrecht ausgesprochene Versetzung zurückzuführen. Die Verantwortung liegt also zu 100 % beim Arbeitgeber. Schwieriger könnte sich in Anbetracht der dazu ergangenen BAG-Rechtsprechung die Zuordnung der Verantwortung in den Fällen gestalten, in denen der Arbeitsverweigerung sogenannte unbillige Weisungen vorangegangen sind. Ebenfalls unklar ist die Verteilung der Verantwortung, wenn die Weisung lediglich zu dem Zwecke ausgesprochen wird, den Arbeitnehmer zu einem pflichtwidrigen Verhalten zu provozieren. Dazu ein Beispiel aus der Rechtsprechung: a) Rechtswidrige Weisung Der Kläger616 war als Führungskraft bei einer Sparkasse, eine Ebene unter dem Vorstand, tätig, hatte die Verantwortung für 84 ihm unterstellte Mitarbeiter und genoss intern und extern, wie aus zahlreichen Dankesschreiben des Vorstandes und Kundenschreiben ersichtlich, entsprechend seiner Position Anerkennung. Eine Zensur in dem Arbeitsverhältnis des Klägers stellt dessen zum Ausdruck gebrachte 611 BAG, Urt. v. 24. 04. 1996 – 5 AZR 1031/94 – NZA 1996, 1088, 1089; BAG, Urt. v. 12. 04. 1973 – 2 AZR 291/72 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 24; MHdBArbR/Reichold, 4. Aufl., § 40 Rn. 38. 612 BAG, Urt. v. 24. 04. 1996 – 5 AZR 1031/94 – NZA 1996, 1088, 1089. 613 BAG, Urt. v. 12. 04. 1973 – 2 AZR 291/72 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 24. 614 BAG, Urt. v. 29. 08. 2013 – 2 AZR 273/12 – NJW 2014, 1323, 1325. 615 St. Rspr. BAG, Urt. v. 03. 12. 2008 – 5 AZR 62/08 – AP BGB § 307 Nr. 42; BAG, Urt. v. 14. 07. 1965 – 4 AZR 347/63 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 19. 616 LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347.
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ablehnende Haltung gegenüber vom Vorstand beabsichtigten strukturellen Maßnahmen dar. Von dem Zeitpunkt an wurde nach einer Möglichkeit gesucht, den Arbeitsvertrag mit dem Kläger zu beenden. Zuerst wurde dem Kläger ein Angebot zur Aufhebung seines Vertrags unterbreitet, er von seinen Aufgaben entbunden und zur sofortigen Abgabe seiner Schlüssel veranlasst. Begründet wurde dies mit der Einschätzung des Vorstands, der Kläger sei als Führungskraft nicht qualifiziert, was dieser auf nicht geprüften Anschuldigungen durch Mitarbeiter, teilweise in Form von anonymisierten Schreiben, stützte. Da der Kläger das Angebot auf Vertragsaufhebung nicht annahm, reagierte der Arbeitgeber mit Abmahnungen und der Versetzung des Klägers in die Immobilienabteilung der Sparkasse. Dort sollte er Immobilienexposés auf den neuesten Stand bringen. Gemessen an der vertraglich vereinbarten Tätigkeit und Vergütung (Übernahme von Führungsaufgaben, die nach BAT II vergütet wurden) wurde er hinsichtlich der neu zugewiesenen Aufgaben (Stelle eines Sachbearbeiters in BAT VII eingruppiert) um fünf Besoldungsstufen degradiert. Indem er Kundenkarteikarten überarbeiten sollte, erhielt er Anweisungen, die nicht im Entferntesten der Tätigkeit entsprachen, die der Kläger laut Arbeitsvertrag ausführen sollte. Nach etwa einem halben Jahr wurde dem Kläger mit Verweis auf die Beschwerde zweier Mitarbeiter der Immobilienabteilung, seine Arbeit nicht erledigt zu haben, eine Kündigung angedroht, die mit dem Angebot versehen war, ihn als Sachbearbeiter in der Pfändungsabteilung (Vergütung nach BAT VIb) weiter zu beschäftigen. Der Kläger begehrte mit seiner Klage u. a. die Feststellung, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Versetzung aufzuheben und dass der Arbeitgeber die Zuweisung von Aufgaben, für die nicht mindestens eine Vergütung in der Gehaltsstufe des Klägers vorgesehen ist, zu unterlassen hat.617 Das Gericht stellte fest, dass die Zuweisung von Aufgaben außerhalb der Gehaltsgruppe des Klägers rechtswidrig gewesen ist, weil der Kläger aus dem durch Art. 1 GG und Art. 2 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrecht einen Anspruch darauf hatte, dass ihm Aufgaben zugewiesen werden, die seiner Gehaltsgruppe entsprechen. Infolgedessen stellte die Arbeitsverweigerung des Klägers keinen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten dar.618 Folglich wäre eine dem Kläger ausgesprochene Kündigung als unwirksam anzusehen.619
617
LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 350. Vgl. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 361 wo es heißt „… die dem Kläger ausgesprochene Versetzung ebenso wie die vorausgegangenen Abmahnungen sind Bestandteil einer als Mobbing einzustufenden (…) schweren Persönlichkeitsverletzung (…). In der Abfolge dessen ist es dem Kläger nicht zur Last zu legen, dass er in den folgenden Tagen (…) die Durchführung der ihm übertragenen Tätigkeiten verweigerte.“ 619 Vgl. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 362 f., da das Gericht in diesem Verfahren nur über die Versetzung zu entscheiden hatte. 618
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b) Unbillige Weisung Verworren erschien die Rechtslage, wenn seitens des Arbeitgebers unbillige Weisungen ausgesprochen wurden unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung620, die das BAG jedoch mit Urteil vom 18. 10. 2017 korrigiert hat.621 Nach bisheriger Rechtsprechung hatte der Arbeitnehmer auch unbillige Weisungen zunächst zu befolgen, bis er eine rechtskräftige Entscheidung über deren Unbilligkeit erreicht hatte.622 Das BAG unterschied zwischen ermessensfehlerhaften und rechtswidrigen Weisungen. Für das Kündigungsrecht hätte eine Übertragung dieser Rechtsprechung zur Konsequenz gehabt, dass ein Arbeitnehmer, der sich einer unbilligen Weisung widersetzte, pflichtwidrig verhielte und Gefahr liefe, deswegen gekündigt zu werden. Nach herrschender Ansicht in der Literatur war die bisherige Rechtsprechung des BAG bereits in den Grundsätzen abzulehnen623. Landesarbeitsgerichtlicher Rechtsprechung ließ sich jedenfalls die Tendenz entnehmen, dass die zum Annahmeverzugslohn ergangene Rechtsprechung nicht auf das Kündigungsrecht zu übertragen ist.624 Nach diesseitiger Auffassung ist kein Grund ersichtlich, weswegen bei der Wirksamkeit von Weisungen, die wegen eines Rechtsverstoßes rechtswidrig sind, und Weisungen, die wegen einer fehlerhaften Ermessensausübung rechtswidrig sind, zu differenzieren sein sollte. Eine fehlerhafte Ermessensausübung ist eine ebenso schwerwiegende Missachtung von den Arbeitnehmer schützenden Rechten. Deshalb ist davon auszugehen, dass auch in den Fällen unbilliger Weisungen allein die objektive Rechtslage maßgeblich ist.625 Wenn im Nachhinein durch Gericht festgestellt wird, dass eine Weisung unbillig und somit unwirksam war und der Arbeitnehmer sie deswegen nicht befolgt hat, stellt dies keine Pflichtverletzung dar. Diese Situation ergab sich in einem Fall des LAG Köln626, in dem ein Arbeitnehmer wegen der Weigerung, in einem 70 km von seinem Wohnort entfernt liegenden Betrieb zu arbeiten, gekündigt werden sollte. Mangels Absprachen zwischen den Arbeitsvertragsparteien galten für die Ausübung des Weisungsrechts nur die Vorschriften der §§ 106 GewO, 315 III BGB. Zuvor hatte der Kläger seine Tätigkeit in einem 15 km von seinem Wohnort gelegenen Betrieb der Beklagten ausgeübt. Weiterhin ist bei der Bewertung, ob die Versetzung billigem Ermessen entspricht, zu 620
BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11 – NZA 2012, 858. BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16 – NZA 2017, 1452, 1458. 622 BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11 – NZA 2012, 858, 860; Änderung der Rspr. in BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16 – NZA 2017, 1452, 1458. 623 ErfK/Preis, § 106 GewO Rn. 13; Benkert, NJW-Spezial 2017, 178, 179; Boemke, NZA 2013, 6, 9 ff.; Fischer, FA 2014, 38; Hromadka, FS v. Hoyningen-Huene, S. 145, 150 ff.; Kühn, NZA 2015, 10, 13; Preis, NZA 2015, 1, 6; Thüsing, jM 2014, 20. 624 LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14 – DStR 2015, 486, 487. 625 LAG Düsseldorf, Urt. v. 06. 04. 2016 – BeckRS 2016, 69496; LAG Hamm, Urt. v. 17. 03. 2016 – 17 Sa 1660/15 – BeckRS 2016, 68957; LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14 – DStR 2015, 486, 487. 626 LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14 – DStR 2015, 486, 487. 621
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berücksichtigen, dass bereits ein Kündigungsrechtsstreit über eine personenbedingte Kündigung rechtshängig war, die später vom Gericht als unwirksam gewertet wurde, und dass sich die Arbeitgeberin weigerte Fahrtkosten zu übernehmen oder einen Firmenwagen bereitzustellen, so dass sich für den Arbeitnehmer die Tätigkeit an der neu zugewiesenen Arbeitsstelle finanziell kaum lohnen würde. Unabhängig davon, ob Versetzungen ins Ausland (die neu zugewiesene Arbeitsstelle lag in Belgien) von § 106 S. 1 GewO gedeckt sind, hat das Gericht entschieden, dass jedenfalls vor dem Hintergrund der Weigerung der Arbeitgeberin zur Fahrtkostenbezuschussung und dass aufgrund des bereits vor Gericht befindlichen Kündigungsstreits ein Zusammenhang zwischen der Weisung an den 70 km entfernten Einsatzort und dem Entlassungswillen naheliege, die Weisung daher unbillig und somit unwirksam war. Folglich hat der Kläger durch die Nichtbefolgung der objektiv unwirksamen Versetzungsanordnung nicht in kündigungserheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und die beharrliche Arbeitsverweigerung kann ihm nicht vorgeworfen werden.627 In dem Urteil des BAG vom 18. 10. 2017628, in dem es seine bisherige Rechtsprechung zu unbilligen Weisungen aufgegeben hat, ging es um die Wirksamkeit einer Versetzung und damit im Zusammenhang stehender Ansprüche auf Entfernung zweier Abmahnungen. Der Arbeitsvertrag des klagenden Arbeitnehmers nannte unter § 1 den Ort der Beschäftigung und einen Versetzungsvorbehalt zu Gunsten des Arbeitgebers. Zunächst arbeitete der Kläger in Münster, dann in Dortmund, bevor er schließlich für sechs Monate nach Berlin versetzt werden sollte. Der Kläger nahm die Arbeit am Standort in Berlin nicht auf, wurde daraufhin abgemahnt und gekündigt. Der Feststellungsantrag des Klägers, mit dem er die Unwirksamkeit der Weisung festgestellt haben wollte, ist begründet. Die Weisung verstieß zwar nicht gegen arbeitsvertragliche oder tarifliche Bestimmungen, sie entsprach jedoch nicht billigem Ermessen i. S. v. § 106 S. 1 GewO. Wenn im Arbeitsvertrag ein Beschäftigungsort in Verbindung mit einem Versetzungsvorbehalt genannt wird, ist dies nach der Rechtsprechung des Senats nicht als Festlegung als Arbeitsortes zu verstehen629. Da vorliegend aufgrund des vorhandenen Versetzungsvorbehalts der Arbeitsort nicht auf Dortmund konkretisiert worden war, durfte der Arbeitnehmer grundsätzlich versetzt werden. Der Arbeitgeber wollte mit der Versetzung nach Berlin erreichen, dass ein im alten Arbeitsteam des Klägers entstandener Konflikt beendet wird. Dabei berücksichtigte er nicht hinreichend das Beibehaltungsinteresse des Klägers an seinem Arbeitsplatz in Dortmund. Darüber hinaus wäre die befristete Versetzung wohl auch zur dauerhaften Konfliktlösung nicht geeignet gewesen, so dass die Versetzung im Ergebnis unbillig war. Nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck ergibt sich aus § 106 S. 1 GewO keine vorläufige Bindung des Arbeitnehmers an unbillige Weisungen. Daher musste der Arbeitnehmer die Versetzung nicht befolgen und hat 627 628 629
LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14 – DStR 2015, 486, 487. BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16 – NZA 2017, 1452, 1458. BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16 – NZA 2017, 1452, 1454.
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gem. §§ 242, 1004 I 1 BGB einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte. Verweigert der Arbeitsnehmer infolge von Unbilligkeit die Befolgung einer unwirksamen Weisung, fehlt es also an einer von ihm zu verantwortenden Pflichtverletzung. Vielmehr hat es der Arbeitgeber zu verantworten, wenn er durch die Erteilung einer rechtswidrigen Weisung den Arbeitnehmer zu einer derartigen Abwehrhaltung veranlasst und ihn somit in die Situation bringt, seine Arbeitsleistung (rechtmäßig) zurückzuhalten. Dem lässt sich als Schlussfolgerung für die vorliegende Arbeit entnehmen, dass die Verantwortung des Arbeitgebers schon die Entstehung eines Kündigungsgrundes verhindern kann, dadurch, dass es bewirkt, dass das Verhalten des Arbeitnehmers nicht vertragswidrig ist. c) Rechtsmissbräuchliche Weisung Wie die soeben dargestellten Fälle bereits deutlich gemacht haben, kann das Risiko, sich einer Kündigung wegen Nichtbefolgung einer Weisung auszusetzen, vom Arbeitnehmer oftmals nur schwer überblickt werden. Und dies birgt eine Missbrauchsgefahr für Weisungen, die zwar auf den ersten Blick rechtswidrig erscheinen, tatsächlich aber noch vom Weisungsrecht gedeckt sind und nur dazu ausgesprochen werden, den Arbeitnehmer, in der Meinung er handele rechtmäßig, zu einer Pflichtverletzung zu verleiten. Oder indem dem Arbeitnehmer bewusst ein Arbeitspensum zugewiesen wird, das ohne Einbußen bei der Qualität der Arbeitsleistung nicht zu bewerkstelligen ist. Oder indem dem Arbeitnehmer eine „systematisch, die Menschenwürde missachtende und persönlichkeitszersetzende“ Beschäftigung [zugewiesen wird] mit dem Ziel, den Arbeitnehmer zu einem Fehlverhalten zu provozieren, um das Arbeitsverhältnis sodann „risikolos“ beenden zu können.630 Gegenstand dieses Abschnitts ist die Frage, ob in diesen Fällen, in denen der Arbeitnehmer als Reaktion auf die Weisung die Arbeit zurückhält, noch hinreichenden, also von ihm zu verantwortenden Anlass zur Kündigung gibt. In dem Fall des Sparkassen-Marktbereichsleiters631, an dem sich bereits der Zusammenhang zwischen einer rechtswidrig ergangenen Weisung und dem Ausschluss des Kündigungsrechts wegen Nichtbefolgung der Weisung illustrieren ließ, kam hinzu, dass der Kläger systematisch einer seiner Menschenwürde missachtenden und persönlichkeitszersetzenden Behandlung (sog. Mobbing)632 ausgesetzt und im Vorfeld über Gebühr belastet worden war. Vor seiner Versetzung übte er vertretungsweise die Geschäftsstellenleitung für drei verschiedene Bereiche aus, musste also drei Vollzeitstellen parallel ausüben. Der Bitte nach personeller oder organisatorischer Entlastung kam der Arbeitgeber nicht nach. In der Folgezeit wurde 630
LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 356. Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. II. 2. a); LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/ 2000 – NZA-RR 2001, 347. 632 LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 356 f. 631
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
der Kläger dafür abgemahnt, dass er Sicherheitsschulungen der Mitarbeiter nicht vor Ort, sondern im schriftlichen Umlaufverfahren durchgeführt hatte. Aus den genannten Umständen war ihm eine andere Verfahrensweise jedoch gar nicht möglich gewesen. Sodann erhielt der Kläger Abmahnungen für Verhaltensweisen, die allesamt schon länger als ein halbes Jahr her waren, so dass der Kläger auf die Konsequenzlosigkeit seines Verhaltens vertrauen durfte. Dass man ihn mittels der erteilten Weisungen entweder zur Aufgabe des Arbeitsplatzes bewegen oder zu Pflichtverletzungen veranlassen wollte, um ihm verhaltensbedingt kündigen zu können, zeigt auch die Behandlung, der er ausgesetzt wurde, als er in die Immobilienabteilung versetzt wurde. Zunächst hatte man ihm interne Stellenausschreibungen für Geschäftsstellenleiter zukommen lassen, bei denen die Bewerbungsfrist noch am selben Tag ablief. Es sollte offensichtlich vereitelt werden, dass er sich noch erfolgreich bewerben konnte. Sodann erhielt der Kläger ein Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er alsbald über eine ihm übertragende Aufgabe unterrichtet werde, „die mehr als die bisherige Tätigkeit seinen Fähigkeiten und Neigungen entspreche“633. Vor dem Hintergrund der Inkenntnissetzung über freie Stellen in der Geschäftsleitung und der im Anschluss daran erfolgten Versetzung in die Immobilienabteilung kann dieses Schreiben nur als Schikane gedeutet werden, ist es doch Ausdruck von Schadenfreude, dass die zugewiesene Stelle eine solche ist, für die der Kläger eine Überqualifizierung aufweist, die wegen der Zuweisung der geringer wertigeren Tätigkeit nicht anerkannt wird. Während der Zeit dort wurde von ihm verlangt, dass er sich ehemaligen Kunden gegenüber, mit denen er zuvor als Geschäftsstellenleiter kommuniziert hat, bloßstellt, indem er telefonisch deren Interesse an Immobiliengeschäften erfragt. Durch die Provokation eines Mitarbeiters, „Sie als Marktbereichsheini werden ja wohl in der Lage sein, Telefongespräche mit Kunden zu führen“634, hatte er sich als es im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs darum ging, den Grund der Untätigkeit des Klägers aufzuklären, zum Ausholen der Hand verleiten lassen. Das Gericht kommt nach seiner Würdigung der Umstände zu dem Schluss, dass es sich nur um eine nicht steuerbare Reflexhandlung gehandelt habe.635 Wie dem auch sei, selbst wenn man darin den Ansatz einer Tätlichkeit erblickt, bleibt festzustellen, dass es sich dabei wahrscheinlich um die Verhaltensweisen handelt, auf die die vom Arbeitgeber erteilten Weisungen abzielten. Das Gericht folgert daraus, dass es sich dabei um ein der Arbeitgeberin selbst zuzurechnendes Fehlverhalten handelt, aus dem diese keine Rechte herleiten kann.636 Ferner wird mit der Feststellung, dass die Verfehlungen des Klägers nicht isoliert von den Persönlichkeitsrechtsverletzungen gewürdigt werden können, zum Ausdruck gebracht, dass das arbeitgeberseitige Verhalten hinsichtlich der zur Kündigung führenden Störung bei der Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung zu berücksichtigen ist. 633 634 635 636
LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 361. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 361. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 361. LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 359.
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3. Ergebnis Durch die Ausübung des Weisungsrechts kann der Arbeitgeber eine Mitverantwortung an der Entstehung des Kündigungsgrundes haben. Dies trifft auf Fälle, wie den letztgenannten zu, in denen Arbeitnehmer aufgrund der Umstände der Arbeitsverteilung, des Arbeitseinsatzes, des menschlichen Umgangs durch den Arbeitgeber veranlasste, aber eigenverantwortliche und schuldhafte Pflichtverletzungen begehen. Davon zu trennen sind die Situationen, in denen der Arbeitgeber eine rechtswidrige Weisung erteilt und wegen vermeintlicher Arbeitsverweigerung meint, den Arbeitnehmer verhaltensbedingt kündigen zu dürfen. In diesen Fällen liegt aufgrund der vorangegangen rechtswidrigen Weisung bereits keine Pflichtverletzung und damit kein Kündigungsgrund vor.
III. Weiterbildungsmaßnahmen Neben der bereits oben dargelegten Pflicht des Arbeitgebers, die Persönlichkeit des Arbeitnehmers vor Schäden zu bewahren, trifft ihn eine aktive Förderungspflicht in Form der Weiterbildung und Qualifikation.637 Damit korrespondiert die arbeitnehmerseitige Treuepflicht an Fortbildungen, die einen gewissen Umfang nicht überschreiten und sich im Rahmen des aktuellen Berufsbildes halten, teilzunehmen. Relevanz für die verhaltensbedingte Kündigung hat dies insofern, wenn der Arbeitnehmer die Teilnahme an der Fortbildung zwar vorsätzlich unterlässt, dabei aber nicht hinreichend vom Arbeitgeber über die Teilnahmepflicht aufgeklärt worden ist. Grundsätzlich gilt bei Kündigungen gem. § 1 II 3 KSchG, dass der Arbeitgeber der Kündigung eine Weiterbildungsmaßnahme zu Gunsten des Arbeitnehmers vorziehen muss. Zu Lasten des Arbeitnehmers ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieser im Vergleich zur personenbedingten Kündigung, bei der die Fähigkeiten ungewollt nicht ausreichen, sich nunmehr bewusst der Weiterbildung entzogen hat. Aufgrund der Weigerungshaltung des Arbeitnehmers ist die Grenze der Zumutbarkeit im Hinblick auf weitere Schulungsmaßnahmen als milderes Mittel bereits mit dem seitens des Arbeitnehmers abgelehnten Fortbildungsangebots erreicht, so dass weitere Schulungsmaßnahmen als mildere Mittel wegen Ungeeignetheit ausscheiden.638 Anders verhält es sich, wenn sich der Arbeitnehmer mangels Aufklärung nicht zur Teilnahme an der Fortbildung verpflichtet hält. Dadurch, dass der Arbeitgeber die Aufklärung über die Teilnahmepflicht unterlassen hat, trägt er Mitverantwortung dafür, dass der Arbeitnehmer der Fortbildungspflicht nicht nachgekommen ist. Gesteigerte Verantwortung des Arbeitgebers läge z. B. vor, wenn dieser ein Anforderungsprofil absichtlich derart neugestaltet, dass der Arbeitnehmer die neuen Anforderungen nicht erfüllt, um damit eine Austauschkündigung vornehmen zu können. Da es sich hierbei um vertraglich nicht geschuldete Anforderungen handelt, 637 638
Siehe § 2 AWbG; § 2 NbildUG; § 1 BzGBW. So i. E. auch Kurt, RdA 2017, 230, 233.
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wäre die Weigerung des Arbeitnehmers an einer Fortbildung teilzunehmen gerechtfertigt, da dieser nicht verpflichtet ist, Anforderungen, die seinem stetig aktualisiertem Berufsbild nicht entsprechen, zu erfüllen. Insofern läge bereits keine zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung vor. Darüber hinaus läge arbeitgeberseitige Mitverantwortung wegen Rechtsmissbrauchs vor.
IV. Rechtswidriges Vorverhalten des Arbeitgebers Anders als bei rechtswidrigen Weisungen, deren Nichtbefolgung keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt, verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines sonstigen rechtswidrigen Vorverhaltens des Arbeitgebers zu Pflichtverletzungen veranlasst wird. Ein besonders krasses Beispiel stellt der Einsatz von „Lockspitzeln“ dar, die für den Arbeitgeber Kündigungsgründe schaffen sollen.639 Zu denken ist aber auch an arbeitgeberseitiges Verhalten, woraufhin Arbeitnehmer Strafanzeige gegen diesen erstatten, oder an Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz, auf die Arbeitnehmer mit kollektiver Arbeitsniederlegung zur Rücknahme von Massenentlassen reagieren. Hier beseitigt das arbeitgeberseitige Verhalten den Pflichtverstoß nicht, so dass zumindest in den letztgenannten Fällen klassische arbeitnehmerseitige Pflichtverletzungen vorliegen: wegen unberechtigter Arbeitsniederlegung und wegen Verstoßes gegen die Treue- und Loyalitätspflicht, sofern die Strafanzeige unberechtigt erfolgt. 1. Provokation durch „Lockspitzel“ Wie sich einem Urteil des Arbeitsgerichts Gießen640 entnehmen lässt641, kommt es vor, dass Arbeitgeber Dritte engagieren, die sie in ihrem Betrieb gezielt dazu einsetzen, Arbeitnehmer zu pflichtwidrigem Verhalten zu veranlassen, um kündigen zu können. In dem arbeitsgerichtlichen Verfahren machte die Klägerin Entschädigungsansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegen ihre Arbeitgeberin geltend. Die Klägerin sollte durch den Einsatz Dritter aus dem Arbeitsverhältnis und dem Betriebsratsamt entfernt werden. Diese dritten Personen sollten die Klägerin zu vertragswidrigem Verhalten veranlassen oder Tatsachen fingieren, welches als Kündigungsgrund herangezogen werden sollte. Beispielsweise sollte die Klägerin dazu animiert werden, trotz eines bestehenden Alkoholverbotes während der Arbeit Sekt zu trinken. Die als Leiharbeitnehmer in den Betrieb eingeschleuste dritte Person gab vor, ihren Abschied zu feiern und zu diesem Anlass zu einem Glas Sekt einzuladen. Wie vorab beschlossen, erschien in dem Moment die Geschäftsleitung. Ob 639
ArbG Gießen, Urt. v. 10. 05. 2019 – 3 Ca 433/17 – juris. ArbG Gießen, Urt. v. 10. 05. 2019 – 3 Ca 433/17 – juris. 641 Vgl. ARD Sendung Panorama ausgestrahlt am 03. 07. 2017 unter dem Titel „Die Rausschmeißer – Feuern um jeden Preis“. 640
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die Klägerin tatsächlich von dem Sekt getrunken hatte, blieb zwischen den Parteien streitig. Zu einem weiteren Zwischenfall zwischen der Arbeitgeberin und der Klägerin kam es, als eine eingeschleuste Person behauptete von einer Kollegin der Klägerin, der ebenfalls gekündigt werden sollte, geschlagen worden zu sein. Obwohl die Klägerin bei dem Vorfall nicht zugegen war, sagte sie zu Gunsten ihrer Kollegin aus und verneinte den Vorfall.642 Damit verstieß sie gegen ihre arbeitsvertragliche Treuepflicht, weil sie der Arbeitgeberin bewusst die Unwahrheit sagte und diese nicht bei der ihr obliegenden Aufklärung des Vorfalls unterstützte. Die Arbeitgeberin nahm sowohl die „Falschaussage“ als auch den fraglichen Verstoß gegen das Alkoholverbot zum Anlass, um der Klägerin zu kündigen und stellte beim Arbeitsgericht Anträge zur Zustimmungsersetzung.643 Wenn ein Arbeitnehmer wie im vorliegenden Fall vom Arbeitgeber veranlasst gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstößt, begeht er trotz arbeitgeberseitiger Veranlassung eine eigene Pflichtverletzung. Die arbeitgeberseitige Veranlassung beseitigt die Pflichtverletzung nicht und rechtfertigt diese auch nicht, so dass auf Tatbestandsebene des Kündigungsrechts eine Störung vorliegt. Entsprechend dem Gedanken im Strafrecht zur Anstiftung trägt der Arbeitgeber eine Mitverantwortung an der arbeitnehmerseitigen Pflichtverletzung. Dies ist wie bei der strafrechtlichen Beurteilung von Taten, zu denen staatlicherseits durch sog. Lockspitzel veranlasst wurde, in der Rechtsfolge zu berücksichtigen. Während im Strafrecht das Einwirken auf den Täter in der Regel bei der Strafzumessung berücksichtigt wird644, indem die Strafe gemildert wird, muss die arbeitgeberseitige Mitverantwortung bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Kündigung mit der Maßgabe berücksichtigt werden, dass sich die Anforderungen für den Arbeitgeber zum Ausspruch einer Kündigung erschweren, wobei Ausnahmen zu Gunsten eines Kündigungsrechts zulässig sein müssen.645 2. Whistleblowing Der Begriff Whistleblowing beschreibt ein Verhalten, das tatsächliche oder behauptete Missstände in Unternehmen an die Öffentlichkeit bringt.646 In einem Fall, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu entscheiden hatte, hatte eine Altenpflegerin ihren Arbeitgeber, einen Dienstleister Pflegedienste, wegen Betruges angezeigt, da aufgrund eines beim Arbeitgeber vorherrschenden Personalnotstandes die hygienische Grundversorgung der Patienten nicht mehr gewährleistet war. Der 642
ArbG Gießen, Urt. v. 10. 05. 2019 – 3 Ca 433/17 – juris. ArbG Gießen, Urt. v. 10. 05. 2019 – 3 Ca 433/17 – juris. 644 BVerfG, Beschl. v. 18. 12. 2014 – 2 BvR 209/14 – NJW 2015, 1083, 1084; BGH, Urt. v. 11. 12. 2013 – 5 StR 240/13 – NStZ 2014, 277, 280; BGH, Urt. v. 18. 11. 1999 – 1 StR 221/99 – NJW 2000, 1123, 1124; MünchKomm StPO/Kölbel, § 163 Rn. 26; Karlsruher Kommentar StPO/Lohse/Jakobs, EMRK Art. 6 Rn. 60 ff. 645 Siehe Dritter Teil unter § 7 C. II. 646 Küttner/Kania, Personalbuch, Whistleblowing Rn. 1. 643
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Arbeitgeber behauptete, die Altenpflege durchführen zu können. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt hatte, wurde der Klägerin gekündigt.647 Im Unterschied zu der zuvor geschilderten Situation gibt es zwischen dem Vorverhalten des Arbeitgebers und der Reaktion des Arbeitnehmers nur einen mittelbaren Zusammenhang. Man kann nicht sagen, dass die zur Kündigung des Arbeitnehmers berechtigende Pflichtverletzung, der Verstoß gegen die arbeitnehmerseitigen Treuepflichten (§§ 241 II, 242 BGB), unmittelbar auf einem vom Arbeitgeber verursachten Fehlverhalten beruht. Vielmehr liegt dem Publikmachen von (vermeintlichen) unternehmensinternen rechtswidrigen Zuständen der autonom getroffene Willensentschluss des Arbeitnehmers zu Grunde. Insofern erfolgt die Beurteilung, ob die Kündigung des Arbeitnehmers in solchen Fällen gerechtfertigt ist, danach, ob der Arbeitnehmer in gewissenhafter Weise und lediglich als ultima ratio von seinen staatsbürgerlichen Rechten im Strafverfahren Gebrauch gemacht hat oder ob er wissentlich oder leichtfertig unwahre Aussagen gemacht hat, gerade um den Ruf seines Arbeitgebers zu schädigen. Nur unter den letztgenannten Voraussetzungen liegt ein zur Kündigung berechtigendes Verhalten des Arbeitnehmers vor. In dem zuvor genannten Fall der Altenpflegerin hat der Arbeitgeber durch sein Personalmanagement den Anlass dazu gegeben, dass sich die Arbeitnehmerin an die Staatsanwaltschaft wandte, weswegen er die vermeintliche Pflichtverletzung, das Stellen einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft, mitzuverantworten hätte; da die Anzeige der Arbeitnehmerin in dem Fall zu Recht erfolgte648, liegt jedoch schon keine Pflichtverletzung vor. In den Konstellationen des mittelbaren Zusammenhangs zwischen Arbeitnehmerund Arbeitgeberhandeln ist folgendermaßen zu differenzieren: Legt das Verhalten des Arbeitgebers den Verdacht einer Straftat nahe und erstattet der Arbeitnehmer als letztes Mittel Anzeige, liegt zumindest Mitverantwortung des Arbeitgebers vor, denn der Arbeitnehmer durfte sich dazu herausgefordert fühlen. Tendenziell wird es aufgrund des arbeitgeberseitigen Verhaltens aber an einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers fehlen. Wenn der Arbeitnehmer fahrlässig verkennt, dass sich mit dem von ihm angenommen Sachverhalt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Arbeitgebers begründen lassen, wird man von einer Mitverantwortung des Arbeitgebers jedenfalls dann ausgehen können, wenn es Verdachtsmomente dafür gab. Z. B. wenn aktivierungspflichtige Vermögensgegenstände bei der Bilanzerstellung fälschlich zu hoch oder zu niedrig angesetzt werden, es aber keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dies vorsätzlich erfolgt ist. Der Arbeitnehmer hätte erkennen müssen, dass handfeste Hinweise auf strafbewährtes Verhalten wie unrichtige Darstellung (§ 331 HBG), Steuerhinterziehung 647
1270 f. 648
1270 f.
EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland) – NZA 2011, 1269, EGMR, Urt. v. 21. 07. 2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland) – NZA 2011, 1269,
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(§ 370 AO), Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB) nicht vorhanden sind. Der Arbeitgeber hingegen hätte den Anschein vermeiden können, wenn er seine Bilanzpolitik transparenter gemacht hätte, z. B. durch Erläuterungen, Anhänge, Lageberichte etc. Gibt der Arbeitnehmer in rechtsmissbräuchlicher Weise Informationen preis, um den Arbeitgeber zu schädigen, ist klar, dass das eigenmächtige Handeln den Zurechnungszusammenhang durchbricht. Dann liegt eine nach den allgemeinen Grundsätzen zu ahnende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vor. Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer zurecht den Verdacht einer Straftat anzeigt: Dann liegt keine arbeitnehmerseitige Pflichtverletzung vor. Grund dafür ist nicht, dass der Arbeitgeber eine Mitverantwortung trägt, sondern Grund dafür ist die Tatsache, dass der Arbeitnehmer ihm gebührende Rechte, an einem staatlichen Strafverfahren mitzuwirken, wahrnimmt. 3. Provokation durch rechtsmissbräuchliche Abmahnungen In Anbetracht eines Falles, den das Arbeitsgericht Kiel zu entscheiden hatte649, sind Fälle denkbar, in denen Arbeitgeber ihr Recht zum Ausspruch von Abmahnungen missbrauchen, um den Arbeitnehmer damit unter Druck zu setzen, so dass sich dieser pflichtwidrig verhält. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde. Ein langjähriger Beschäftigter, der bereits tariflichen Kündigungsschutz erhalten hatte, hatte von seinem Arbeitgeber, nachdem es zu einem Führungswechsel gekommen war, innerhalb von neun Tagen neun Abmahnungen erhalten. Diese wiederum bezogen sich auf Verhaltensweisen, die überwiegend ein halbes Jahr zurücklagen. Unabhängig davon, ob die Rügen in der Sache zutrafen, entschied das Gericht, dass die Art und Weise, wie die neun Abmahnungen erteilt worden, gegen das Übermaßverbot und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieß. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Arbeitnehmer mit massiven Vorwürfen konfrontiert. Ihm wurde die Kündigung angedroht, ohne dass er die Möglichkeit hatte, sein Verhalten zu ändern, welches der eigentliche Zweck von Abmahnungen ist. Deswegen muss zwischen Ausspruch einer Abmahnung und einer Kündigung ein angemessener Zeitraum liegen, in dem sich der Arbeitnehmer bewähren kann. Da dies nicht der Fall war, kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Abmahnungen nur die Funktion haben konnten, den Arbeitnehmer zu einer Pflichtverletzung zu veranlassen, die wiederum als Anlass einer Kündigung genommen werden sollte.650 Entsprechend dem Gedanken, der der Anstiftung im Strafrecht zugrunde liegt, müsste sich der Arbeitgeber die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers als eigene zurechnen lassen. Durch das Veranlassen eines anderen zur Tat, wird auch der
649 650
ArbG Kiel, Urt. v. 16. 01. 1997 – 5d Ca 2306/96 – juris. ArbG Kiel, Urt. v. 16. 01. 1997 – 5d Ca 2306/96 – juris.
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Anstifter Urheber dieser Tat.651 Indem der Arbeitgeber also mit seinen wissentlich maßlosen Abmahnungen den Arbeitnehmer unter Druck setzt, damit dieser Fehler macht, oder zu Pflichtverletzungen provoziert, ist er als Urheber dieser Verhaltensverstöße und damit als Mitverantwortlicher zu sehen, welches Auswirkungen auf dessen Kündigungsrecht hat.652 4. Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Normen – „wilder“ Streik Wiederum näher an der Frage nach arbeitgeberseitiger Mitverantwortung ist der Fall, dass Arbeitnehmer als Reaktion auf die Art und Weise der Betriebsführung einen sog. „wilden“ Streik begehen. Im Jahre 1978 hatte sich das BAG gleich in drei Entscheidungen mit der Wirksamkeit von Kündigungen zu befassen, die wegen unberechtigter Arbeitsniederlegung erfolgt waren, mit der die Arbeitnehmer die Rücknahme zuvor ausgesprochener betriebsbedingter Kündigungen erreichen wollten, also unzulässige Streikziele verfolgten.653 Der Arbeitgeber hatte die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat lange Zeit abgelehnt. Als er Kurzarbeit einführen wollte, wurden dem Betriebsrat und dem Wirtschaftsausschuss Angaben zur wirtschaftlichen Situation des Unternehmens verweigert. Die gegenüber dem Wirtschaftsausschuss bestehende Unterrichtungspflicht (gem. § 106 II BetrVG) wurde verletzt. Ferner wurde seitens des Arbeitgebers behauptet, dass der Betriebsrat daran schuld sei, dass mangels seiner Zustimmung zur Kurzarbeit, 100 Arbeitnehmer zu entlassen seien. Das Berufungsgericht wertete es als nicht gerechtfertigte Schmähung des Betriebsrats, dass diesem die Verantwortung für die wohl desaströse Situation des Arbeitgebers zugeschoben wird.654 Da es sich angesichts des nicht tarifvertraglich regelbaren Streikziels um einen rechtswidrigen Streik handelte, liegt eine Pflichtverletzung der Arbeitnehmer, die an sich dazu geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, vor. Den Arbeitnehmern stand kein Zurückbehaltungsrecht, weder nach § 273 BGB noch nach § 320 BGB zu, welches zur Arbeitsniederlegung berechtigen würde. Denn die vorliegend verletzten betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften betreffen das Einzelarbeitsverhältnis nicht, wie es die Ausübung des individualrechtlich geprägten Zurückbehaltungsrechts aber erfordert. Schließlich konnten sich die Arbeitnehmer nicht auf das Notwehrrecht aus § 227 BGB berufen, da kein rechtswidriger Angriff auf ein geschütztes Recht oder Rechtsgut vorlag. Da kein Recht am Arbeitsplatz 651
Statt vieler Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 StGB Rn. 1. Siehe Dritter Teil unter § 7 A. I. 3. 653 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 103/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 59; BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58; BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 54/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 57. 654 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58; vgl. LAG Hamm, Urt. v. 09. 10. 1975 – 6 Sa 720/75 – juris. 652
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existiert, stellt der Ausspruch einer ungerechtfertigten Kündigung keinen abzuwehrenden Angriff dar.655 Trotzdem kommt das LAG am Ende seines Urteils, welches so vom BAG bestätigt wird, zu dem Ergebnis, dass die ausgesprochenen Kündigungen unwirksam sind.656 Dies liegt daran, dass die arbeitnehmerseitige Pflichtverletzung unter Berücksichtigung des eigenen Verhaltens des Arbeitgebers anders zu bewerten ist, als ohne die arbeitgeberseitige Mitverantwortung. Die Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften war rechtswidrig. Dem Betriebsrat und dem Wirtschaftsausschuss hätten konkrete Angaben zur wirtschaftlichen Situation des Betriebs gemacht werden müssen. Der Arbeitgeber hätte, nachdem der Betriebsrat aufgrund unterbliebener Information die Zustimmung zur Kurzarbeit verweigerte, eine Verständigung versuchen müssen. Indem der Arbeitgeber jedenfalls seine Gründe für die Einführung der Kurzarbeit weder der Belegschaft noch ihren vertretungsberechtigten Organen deutlich gemacht hat, hat er in vorwerfbarer Weise entscheidend „zum Entstehen der explosiven Lage im Betrieb“657 beigetragen. Die Arbeitsniederlegung erfolgte erst in Reaktion auf das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitgebers, welches die Vorwerfbarkeit gegenüber dem Arbeitnehmer verringert. Das Gericht erkennt in den Verstößen gegen das Betriebsverfassungsrecht eine Mitverantwortung des Arbeitgebers an dem Fehlverhalten der Arbeitnehmer. Dies bedarf einer näheren Betrachtung: Die (Mit-)Verantwortung des Arbeitgebers lässt sich jedenfalls – im Gegensatz zu den Fällen, in denen Arbeitnehmer aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers Strafanzeige erstattet haben (Whistleblowing) – nicht mit Hilfe der zurechnungsbegründenden Figur des sich heraus gefordert fühlen Dürfens erklären. Denn im Fall der vorliegenden betriebsverfassungsrechtlichen Verstöße steht den Arbeitnehmern mangels persönlicher Betroffenheit kein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung zu658, was eine kollektive Arbeitsniederlegung gerechtfertigt hätte, sondern sie sind gehalten im Wege der einstweiligen Verfügung (§ 85 II ArbGG) vorzugehen, so dass sie sich zur Arbeitsniederlegung folglich gerade nicht herausgefordert fühlen durften. Ferner kann deshalb nicht von einer Mitverantwortung des Arbeitgebers gesprochen werden, weil nicht der Fall vorliegt, in dem sowohl das Fehlverhalten des Arbeitgebers als auch das des Arbeitnehmers geradewegs zum kündigungsrelevanten Umstand geführt hat. Vielmehr besteht hier nur ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Vorver655
BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58. BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58. 657 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58; vgl. LAG Hamm, Urt. v. 09. 10. 1975 – 6 Sa 720/75 – juris. 658 C. Hergenröder, AR-Blattei SD 1880 Rn. 121; ein Leistungsverweigerungsrecht besteht jedoch bei der Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 I BetrVG (ErfK/ Preis, § 611a Rn. 690) oder der individuellen Rechte der Betriebsverfassung (§§ 81 – 84 BetrVG). 656
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halten des Arbeitgebers und dem Verhalten des Arbeitnehmers. Die Zurechenbarkeit zum Arbeitgeber ergibt sich aber daraus, dass das Verhalten der Arbeitnehmer nicht außerhalb jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit lag, vom Arbeitgeber durch rechtmäßiges Verhalten also hätte antizipiert werden können und somit einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung des Kündigungsgrundes darstellt, ohne den die Arbeitnehmer die Pflichtverletzung nicht begangen hätten.
V. Compliancesystem Ein Zusammenhang zwischen solchen von Arbeitnehmern begangenen Pflichtverletzungen und dem Arbeitgeberverhalten kann darin bestehen, dass es der Arbeitgeber unterlassen hat, ein Compliancesystem zur Etablierung einer rechtschaffenden Unternehmenskultur einzuführen. Compliance umfasst alle Maßnahmen zur Einhaltung aller für das Unternehmen relevanten Gesetze, internen Richtlinien und Verhaltenskodices durch seine Mitarbeiter.659 Gesetzliche Bestimmungen gibt es dazu bisher in Deutschland nur wenige (etwa § 25a KWG, § 91 II AktG, Ziff. 4.1.3. des deutschen Corporate Governance Kodex). Darüber hinaus betreffen sie nur bestimmte Branchen, wie die Finanzwirtschaft (etwa § 64a I 1 VAG, § 25a I 1 Nr. 3 lit. c KWG, § 33 I Nr. 1 WpHG) oder sind sehr allgemein gehalten (§ 130 OwiG), ohne konkrete Vorgaben zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen zu enthalten. Überschneidungen ergeben sich einerseits aber mit den arbeitsvertraglichen Schutzpflichten, anderseits folgt die Pflicht zur Einhaltung aus den entsprechenden Verbotsgesetzen (§§ 266, 283, 298, 299 StGB) selbst. Die Einführung eines Compliancesystems im Sinne eines Leitfadens für den alltäglichen menschlichen Umgang der Mitarbeiter untereinander, den Zielen und Motiven des Unternehmens etc. stellt zunächst einmal eine unternehmenspolitische Maßnahme dar, die der Arbeitgeber im eigenen Interesse und nach eigenem Ermessen gestalten kann. Denn die Befolgung und Einhaltung der Gesetze dient in erster Linie der Schadensabwehr und dem Reputationsinteresse des Unternehmens. Wenn es darum geht, Mitarbeiter vor dem Fehlverhalten anderer Mitarbeiter zu schützen, so resultiert die Pflicht des Arbeitgebers in diesen Fällen einzugreifen aus den vertraglichen Schutzpflichten gem. § 241 II BGB. Dies präventiv in Gestalt der Vermittlung einer Unternehmenskultur zu tun, ist eine Möglichkeit, wohl aber als alleinige Maßnahme keine hinreichende, da diese den Compliance-Verstoß nicht mit Sicherheit unterbinden kann, um der Schutzpflicht nachzukommen. Der Begriff der Compliance ist jedoch viel weitgehender und umfasst auch bzw. für Kapitalgesellschaften660 insbesondere die Pflicht zur Durchführung von sog. Legalitätskontrollen. Dadurch soll regelgetreues Verhalten sämtlicher Abteilungen 659 660
Schaub/Koch, Arbeitsrecht, Compliance. Siehe §§ 91 II AktG, 43 GmbHG.
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v. a. im Hinblick auf Korruption, Untreue, Geldwäsche etc. sichergestellt werden. Allein mit dem Erlass entsprechender Richtlinien kann sich ein Arbeitgeber nicht von einem strafbaren Verhalten seiner Mitarbeiter „freizeichnen“. Entscheidend ist, dass Compliance-Richtlinien von den Vorgesetzten konsequent umgesetzt werden661, dass Schulungen der nachgeordneten Mitarbeiter stattfinden, dass sich die Verantwortlichen per Unterschrift und ggf. durch Tests662 oder sog. Compliance-Audits663 bestätigen lassen, dass die Regelungen verstanden wurden. In der Literatur wird diskutiert, ob in Anlehnung an das amerikanische Börsenrecht auch hierzulande die Errichtung sog. Whistleblowing-Systeme, die der Offenlegung begangener Rechtsverstöße dienen, eine zwingende Compliance-Maßnahme darstellt.664 Voraussetzung eines effektiven Compliancesystems ist also, dass bei Arbeitnehmern der Eindruck vermieden wird, dass Vorgesetzte mit Einverständnis des Arbeitgebers ein von Anti-Korruptionsrichtlinien abweichendes Verhalten gestatteten. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer aufgrund der Billigung seiner unmittelbaren Vorgesetzten, davon ausgehen durfte, ein von den internen Compliance-Richtlinien abweichendes Verhalten werde geduldet, kann einen Anknüpfungspunkt für das Mitverschulden des Arbeitgebers an einer vom Arbeitnehmer begangenen Pflichtverletzung darstellen. 1. Beispiel für Unterlassen Anhand eines Falls, des BAG665, sollen die Konsequenzen aufgezeigt werden, die aus einem unterlassenen Einschreiten des Arbeitgebers resultieren können, wenn Compliance-Verstöße von Mitarbeitern bekannt sind: Bei dem Kläger, dem Leiter einer Außenstelle, zuständig für Auftragsabwicklung und Kundenpflege eines Dienstleistungsunternehmens, waren Eigenbelege mit der Bezeichnung „Auftragsunterstützung“ gefunden worden, wofür er im Gegenzug 23.500 E der Kasse der Arbeitgeberin entnommen hatte. Die Arbeitgeberin warf ihm vor, das Geld entweder selbst einbehalten oder zur Bestechung von Kunden eingesetzt zu haben, jedenfalls gegen einschlägige interne Verhaltensrichtlinien verstoßen zu haben und sprach eine außerordentliche sowie hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus. Beide seien unwirksam urteilte das BAG. Dies wurde folgendermaßen begründet: Grundsätzlich liege ein Kündigungsgrund vor, wenn ein Arbeitnehmer unerlaubt Geld des Arbeitgebers an sich nimmt oder Kundenmitarbeitern zu Gute kommen lässt bzw. wenn dafür ein begründeter Verdacht besteht. Für den vorliegenden Fall sahen die Gerichte keine hinreichenden Anhaltspunkte, die den Verdacht gerechtfertigt hätten, dass der betroffene Arbeitnehmer das Geld für sich 661 662 663 664 665
Wybitul, BB 2013, 827, 831. Benecke/Groß, BB 2015, 693, 695. Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 370 f. Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 48. BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11 – NZA 2013, 199, 200.
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vereinnahmt haben könnte, als gegeben an. Feststünde, dass der Kläger das Geld aus der Kasse erhalten habe. Dass die Empfänger des Geldes hingegen nicht namentlich bezeichnet wurden, lasse nicht den Rückschluss zu, dass dieses pflichtwidrig verwendet worden sei. Denn die Arbeitgeberin hatte ihn, vertreten durch den Leiter des zuständigen Geschäftsbereichs, den mittelbaren Vorgesetzten des Klägers, zuvor davon befreit, die Verwendung des Geldes auf den einzelnen Belegen nachweisen zu müssen. Dass der Kläger keine Angaben zu seinen Ausgaben machte, nachdem die Innenrevision dem Kläger E-Mails über die Richtlinien des Unternehmens über „Zuwendungen an Kundenmitarbeiter“ und die „Antikorruptionsrichtlinie“ zugesandt hatte, stellt für das BAG keine schuldhafte Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Nebenpflichten da, weil der Kläger aufgrund eines Gesprächs mit dem Niederlassungsleiter, seinem unmittelbaren Vorgesetztem, und dem Geschäftsbereichsleiter davon ausgehen durfte, dass das den Richtlinien widersprechende Verhalten gestattet wird.666 Ferner entsprach die vom Kläger praktizierte Vorgehensweise bei den Eigenbelegen jener, die auch in anderen Niederlassungen üblich war. Insofern hatte der Kläger keinen Grund zur Annahme, dass die Erstellung der Eigenbelege nicht von der Arbeitgeberin gebilligt wurde. Der Fall zeigt, wie durch arbeitgeberseitige Untätigkeit ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens seitens des Arbeitnehmers aufrechterhalten bleiben kann. Das Unterlassen stellt einen Verantwortungsbeitrag des Arbeitgebers dar, der bei der Gewichtung des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist. Folge eines solchen Verhaltens kann sein, dass die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht verschuldet ist, nämlich dann wenn der Irrtum über die Rechtmäßigkeit des eigenen Verhaltens unvermeidbar war, welches im Fall der Gestattung eines von den allgemeinen Verhaltensregeln abweichenden Verhaltens durchaus möglich erscheint. Entlastet dies den Arbeitnehmer nicht von seinem Verschulden, ist zu prüfen, wie es sich auf die Schwere und Zumutbarkeit der Pflichtverletzung für den Arbeitgeber auswirkt, dass der Irrtum über die Rechtmäßigkeit zwar vermeidbar aber vom Arbeitgeber veranlasst war. 2. Beispiel für aktives Tun Eindeutiger ist der Mitverschuldensanteil des Arbeitgebers auszumachen, wenn der Compliance-Verstoß auf einem aktiven Tun des Arbeitgebers beruht.667 Anlass 666
BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11 – NZA 2013, 199, 201. Zwischen einem aktiven Tun und dem Nichteinschreiten trotz Mitwissens ist das Arbeitgeberverhalten zu verorten, mit dem sich das ArbG Heilbronn derzeit in den Kündigungsschutzklagen mehrerer Ingenieure des Audi-Autoherstellers befassen muss, denen im Zuge der Abgasaffäre wegen Betrugs gekündigt wurde (Handelsblatt vom 04. 04. 2017 abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/dieselgate-streit-zwischen-audi-undingenieur-geht-weiter/19611840.html – zuletzt abgerufen am 08. 11. 2017; Handelsblatt vom 20. 07. 2017 abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/my/unternehmen/industrie/die-diesel 667
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zur Diskussion668 über die kündigungsrechtlichen Folgen einer aktiven Beteiligung eines Arbeitgebers gab der Fall, den das Arbeitsgericht München669 im Zuge des Schmiergeldskandals bei Siemens zu entscheiden hatte. Dem Kläger sollte wegen des Mitwirkens an der Bildung schwarzer Kassen außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt werden. Auf Weisung seines Vorgesetzten hatte er viermal als „Bonus“ deklarierte Zuwendungen auf sein Konto erhalten, das Geld abgehoben und in bar an diesen zurückgezahlt bzw. in einem Fall einen nachgeordneten Mitarbeiter angewiesen, genauso zu verfahren. Kenntnis über den tatsächlichen Verbleib des Geldes hatte der Kläger keine, mutmaßte, dass es für Schmiergeldzahlungen oder Bestechungen verwendet würde. In seinem Arbeitsvertrag hatte er sich zur Einhaltung der unternehmensinternen Compliance-Richtlinien verpflichtet. Das Gericht entschied, dass sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung wegen des Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und wegen des Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam sind. Zunächst stellt sich angesichts des weisungskonformen und fremdnützigen, möglicherweise im Interesse des Arbeitgebers liegenden Verhaltens die Frage, worin die Pflichtverletzung des Klägers besteht. Ob allein das Abweichen von den internen Compliance-Richtlinien in diesem Fall eine Pflichtverletzung begründet, könnte fraglich sein, da die Vorgesetzten des Klägers zu dessen Eindruck beigetragen haben, dass ein Abweichen gebilligt werde. Aus §§ 241 II, 242 BGB ergibt sich, dass der Arbeitnehmer „alles zu unterlassen hat, was dem Arbeitgeber abträglich ist“670. Indem der Kläger dabei geholfen hat, Vermögen des Arbeitgebers aus dem Buchungskreislauf auszubuchen und in schwarze Kassen umzuleiten, hat er diesem die Verfügungsgewalt darüber genommen und letzten Endes das Vermögen damit geschädigt. Das in der Weisung des Vorgesetzten enthaltene Einverständnis zur Ausbuchung des Geldes ändert an dem Pflichtverstoß nur etwas, sofern diese berechtigt sind, abweichende Regelungen zu erlauben. Andernfalls ist die Weisung wegen Verstoßes gegen die internen Compliance-Vorschriften rechtswidrig und damit unwirksam. Von Bedeutung für die Interessenabwägung ist, ob der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung verschuldet hat. Angesichts der dem Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde liegenden Weisung käme hier ein Verbotsirrtum in Betracht, der das Verschulden des Arbeitnehmers ausschlösse, sofern der Irrtum unvermeidbar war. Vorliegend wird man wohl zu dem Ergebnis kommen, dass der Arbeitnehmer mit der Compliance-Abteilung Rücksprache hätte halten müssen und sich hätte vergewissern müssen, dass sein Verhalten nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstößt. Dies wäre dem Arbeitnehmer zumutbar und trotz der vermeintlichen Unternehmenskultur „Schwarzer Kassen“ nicht entbehrlich gewesen. Dies tat der Arbeitaffaere-und-die-folgen-gefeuerte-techniker-streiten-mit-audi/20079492.html?nlayer=Organisa tion_11804700 – zuletzt abgerufen am 08. 11. 2017). 668 Vgl. Eufinger, DB 2016, 471 ff.; Kolbe, NZA 2009, 228 ff.; Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367 ff. 669 ArbG München, Urt. v. 02. 10. 2008 – 13 Ca 17197/07 – NZA-RR 2009, 134. 670 BAG, Urt. v. 16. 08. 1990 – 2 AZR 113/90 – NZA 1991, 141, 142.
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nehmer nicht, so dass die Weisung des Vorgesetzten ihn nicht von seiner Verantwortung für das eigene Fehlverhalten entbindet. Damit lag eine schuldhafte Pflichtverletzung vor.671 Dadurch, dass sich der Arbeitgeber das Fehlverhalten des Vorgesetzten des Arbeitnehmers gem. § 278 BGB zurechnen lassen muss, hat der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung nicht alleine verschuldet. Es liegt arbeitgeberseitige Mitverantwortung in Form von Verschulden vor, weswegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Ergebnis richtig ist.672
VI. Ergebnis Dadurch, dass ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund eine schuldhaft verursachte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, ist arbeitgeberseitige Verantwortung für den Kündigungsgrund in Form des Mitverschuldens möglich. Davon abzugrenzen sind die Fälle, in denen der Arbeitnehmer aufgrund des arbeitgeberseitigen Verhaltens einem unvermeidbaren Rechtsirrtum unterliegt. Dann kann dem Arbeitnehmer kein Verschulden vorgeworfen werden, so dass infolgedessen auch der Kündigungsgrund entfällt. Der Arbeitgeber kann dadurch Verantwortung für die Störung tragen, dass er unmittelbar an der Verursachung beteiligt ist, dass er mittelbar durch vorausgehendes Verhalten den Arbeitnehmer zu einer Pflichtverletzung veranlasst oder dazu provoziert. Außerdem kann die Verantwortung des Arbeitgebers auch in einem Unterlassen liegen.
D. Verantwortung bezüglich der Vermeidung einer betriebsbedingten Störung Wie bereits im vorherigen Kapitel verdeutlicht, kann es bezüglich des betriebsbedingten Kündigungsgrundes keine arbeitgeberseitige Mitverantwortung an einer arbeitnehmerseitigen Störung geben, wodurch diese mitverursacht, verschlimmert oder erst hervorgerufen wird. Denn bei der betriebsbedingten Kündigung handelt es sich – um im leistungsstörungsrechtlichen Duktus zu bleiben – um eine Störung des Verwendungsrisikos auf Seiten des Arbeitgebers, womit dieser Kündigungsgrund per se allein dessen Sphäre zuzuordnen ist. Im Gegensatz zur personen- und verhaltensbedingten Kündigung, bei denen eine arbeitgeberseitige Mitverantwortung vom gesetzlichen Leitbild abweicht, ist die Verantwortung des Arbeitgebers dem betriebsbedingten Kündigungsgrund immanent. Wie bei den anderen Kündigungsarten sind auch hier Fälle denkbar, in denen ein arbeitgeberseitiges Fehlverhalten ursächlich für die betriebsbedingte Kündigung ist. Dass der zur Kündigung führende Umstand stets aus der Sphäre des Arbeitgebers kommt, schließt es jedenfalls nicht 671 Zu dem Ergebnis gelangen in ihrer Urteilsbesprechung auch Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 369. 672 Siehe Dritter Teil unter § 7.
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aus, hier ein Verschulden oder eine gesteigerte Verantwortung zu berücksichtigen.673 Dies lässt sich einerseits dem §§ 326 II 1. HS, 1. Alt. BGB zugrunde liegenden Gedanken entnehmen und wird ferner entsprechend bei der Störung der Geschäftsgrundlage gehandhabt.674 In Anbetracht von Wirtschaftsskandalen675 drängen sich zunächst solche vom Arbeitgeber „verschuldeten“ betriebsbedingten Kündigungssituationen auf, in denen der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs auf betriebswirtschaftlichen Fehlentscheidungen beruht, da dies Situationen sind, in denen häufig gekündigt wird.676 Daneben steht der über § 1 II 3 KSchG zu berücksichtigende Bereich von Modernisierungsmaßnahmen, in deren Rahmen es zur Minderung des bisherigen Arbeitskräftebedarfs kommen, diese aber durch Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitnehmer kompensiert werden kann. Darüber hinaus umfasst die arbeitgeberseitige Verantwortung auch hier all jene Fälle, in denen sich der Arbeitgeber schutzzweckwidrig verhält, sich auf einen betriebsbedingten Kündigungsgrund beruft, den es bei Einhaltung entsprechender Vorschriften nicht gäbe. Inhalt dieses Abschnitts wird es daher sein, diese Verantwortungsstränge im Hinblick auf die betriebsbedingte Kündigung herauszuarbeiten. Zum einen geht es um die Herbeiführung des Kündigungsgrundes selbst, die Verursachung des betrieblichen Erfordernisses, zum anderen geht es um Kündigungen, die ausgesprochenen werden, ohne dass die Voraussetzungen von § 1 II, III KSchG vorliegen.
I. Verantwortung für rechtsmissbräuchliches Verhalten Rechtsmissbräuchliches Handeln stellt die stärkste Form der Verantwortung dar und müsste daher die am weitesten reichenden Konsequenzen für die Kündigungsbefugnis haben. Denn bei Rechtsmissbrauch ist der Arbeitgeber am wenigsten schutzwürdig. Dazu einige Beispiele aus der Rechtsprechung.
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Herschel/Steinmann, Kündigungsschutzgesetz, § 1 Rn. 41. Siehe Dritter Teil unter § 8 A. 675 Z. B. der „VW-Abgasskandal“: Seit September 2015 ist bekannt, dass der VW-Konzern zur Beschönigung von Abgaswerten eine Software einsetze, die die ausgestoßenen Abgasgrenzwerte als niedriger auswies als es tatsächlich der Fall war (siehe hierzu die chronologische Darstellung bei http://www.zeit.de/wirtschaft/diesel-skandal-volkswagen-abgase – zuletzt abgerufen am 08. 11. 2017). Unter Berücksichtigung dieses Fehlverhaltens erschiene der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen beispielsweise wegen eines Umsatzeinbruchs fraglich; vgl. NordLB: im Jahr 2016 hatte die NordLB wegen „maroder Schiffskredite“ einen „Rekordverlust“ erlitten, woraufhin zwecks Kostensenkung ein erheblicher (1200) Stellenabbau erwogen wird (http://www.haz.de/Nachrichten/Wirtschaft/Niedersachsen/Nord-LB-will-biszu-1250-Stellen-streichen – zuletzt abgerufen am 30. 05. 2017). 676 Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 535. 674
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1. Betriebliches Erfordernis Nach ständiger Rechtsprechung zur sog. Missbrauchskontrolle der Unternehmerentscheidung kann es dem Arbeitgeber zum Vorwurf gemacht werden, dass er eine offenbar unsachliche, unvernünftige oder willkürliche unternehmerische Entscheidung getroffen hat.677 Dies ist u. a. anzunehmen, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb in mehrere Teilbetriebe aufspaltet, um den Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu entziehen678, oder wenn die unternehmerische Entscheidung allein dazu dient eine bestimmte Person zu kündigen, ohne dass dabei betriebswirtschaftliche Ziele vorhanden sind.679 Das, was das arbeitgeberseitige Verhalten hier qualifiziert und eine Berücksichtigung der gesteigerten Verantwortung des Arbeitgebers im Hinblick auf die Ausübung dessen Kündigungsbefugnis rechtfertigt, ist die schutzzweckwidrige Absicht, die Vorschriften des Kündigungsschutzes zu umgehen. Im ersten Fall soll mit der Verringerung der Größe der einzelnen Betriebe der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 KSchG) umgangen werden. Im zweiten Fall wird die betriebsbedingte Kündigung als Vorwand missbraucht, da weder für eine personen- noch für eine verhaltensbedingte Kündigung ausreichende Gründe vorlagen. Rechtsmissbrauch durch den Arbeitgeber kann darin bestehen, dass ein betriebliches Erfordernis nur vorgeschoben wird, tatsächlich aber nicht besteht, wie z. B. bei einer teilweisen Betriebsstilllegung und anschließender Eingliederung einer GmbH.680 Der Rechtsmissbrauch liegt darin, dass das unternehmerische Konzept die Schließung der bisherigen Abteilungen vorsieht, was zum Verlust der Arbeitsplätze der bisherigen Beschäftigten führen sollte, ohne dass sich in tatsächlicher Hinsicht aber etwas an den betrieblichen Abläufen ändert. Tatsächlich ist der Beschäftigungsbedarf somit nicht entfallen. Die Maßnahme dient dazu, sich von den betroffenen Arbeitnehmern „frei“ zu trennen, um neue Arbeitnehmer zu schlechteren Konditionen einstellen zu können.681 Hier besteht die qualifizierte Verantwortung des Arbeitgebers in dem schutzzweckwidrigen Verhalten. Indem dieser Kostensenkung durch Kündigung, Rechtsformwechsel und Neueinstellungen bezweckt, wird nichts Anderes versucht als ein Teil des Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer abzuwälzen. Dies ist in einem über die Möglichkeiten nach § 2 KSchG hinausgehenden
677 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 550; BAG, Urt. v. 26. 09. 1996 – 2 AZR 200/96 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 80; BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65; BAG, Urt. v. 07. 12. 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157, 162. 678 BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590, 593. 679 BAG, Urt. v. 23. 02. 2012 – 2 AZR 548/10 – NZA 2012, 852, 854; BAG, Urt. v. 22. 05. 2003 – 2 AZR 326/02 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128. 680 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 550. 681 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 550.
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Umfang unzulässig, da der Arbeitnehmer lediglich Teile des Betriebsrisikos trägt, nicht jedoch des Wirtschaftsrisikos.682 2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit Während es zuvor um die Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses selbst ging, geht es hier um eine weitere Kündigungsvoraussetzung, die neben dem betrieblichen Erfordernis als eigentlicher Kündigungsgrund noch erfüllt sein muss, der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Der klassische Fall einer betriebsbedingten Kündigung sieht so aus, dass der Arbeitgeber die Entscheidung trifft, die Betriebsabläufe anders zu gestalten, infolgedessen die Beschäftigungsmöglichkeit für einen Arbeitnehmer wegfällt. Wenn es keine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gibt, auch auf einer anderen Stelle in einem anderen Betrieb des Unternehmens nicht, kann der Arbeitgeber aufgrund des somit bestehenden Beschäftigungsüberhangs den nach einer Sozialauswahl am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer kündigen. Das Kriterium der alternativen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hat somit die Funktion, nicht notwendige Kündigungen, weil der Arbeitgeber die Möglichkeit hat den an einer Stelle übrigen Arbeitnehmer woanders einzusetzen, herauszufiltern. Da eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit einer Kündigung entgegenstehen kann, kann sie zum Anknüpfungspunkt für arbeitgeberseitige Verantwortung werden, dadurch, dass der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung verhindert. So geschah es im Fall eines gekündigten Montierer-/Fotosetzers, den das BAG683 im Jahr 1994 zu entscheiden hatte. Die Arbeitgeberin, ein Druck- und Verlagshaus, hatte sich entschieden, die Satzproduktion, ein Betriebsteil mit 47 Beschäftigten, auf neun Stellen zu verkleinern und vom Unternehmensbereich „Druck“ in den Unternehmensbereich „Zeitschriften“ zu verlagern. Nach § 1 II, III KSchG wäre es zulässig gewesen, wenn die Arbeitgeberin nach einer Sozialauswahl den neun schutzwürdigsten Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung in dem anderen Unternehmensbereich angeboten hätte, den übrigen 38 Beschäftigten hätte sie betriebsbedingt kündigen dürfen, da nach einer unternehmerischen Entscheidung die Beschäftigungsmöglichkeit für 47 Mitarbeiter wegfiel und für 38 am wenigsten schutzwürdige keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestand. In dem vorliegenden Fall schrieb die Arbeitgeberin die im Unternehmensbereich „Zeitschriften“ neu entstandenen Stellen aus und besetzte diese mit einigen der Beschäftigten aus dem Unternehmensbereich „Druck“ ohne Beachtung sozialer Gesichtspunkte. Danach erst kündigte sie den übrigen Arbeitnehmern aus dem Unternehmensbereich. Nach ihrer Ansicht hätte keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden. Das BAG und das LAG der Vorinstanz lösten den Fall anhand von § 162 II BGB: Der Arbeitgeber 682
Hromadka, RdA 1992, 234, 253 f. BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 683
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kann die im Zeitpunkt der Kündigungsentscheidung bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nicht dadurch zunichtemachen, dass er die freien Stellen – etwa mit einem externen Bewerber – zuerst besetzt und dann die Kündigung ausspricht.684 Da der zur Kündigung berechtigende Beschäftigungsüberhang durch eine Neueinstellung erst geschaffen wurde, ohne die Neueinstellung folglich keine Notwendigkeit zur Kündigung bestand, stellte dies eine im Sinne von § 162 II BGB treuwidrige Herbeiführung eines Vorteils dar, weswegen nach Ansicht der Rechtsprechung der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs als nicht erfolgt zu gelten habe und die Kündigung mangels Erforderlichkeit nicht wirksam sein soll.685 Ähnlich gelagert ist der Fall686, in dem dem Leiter einer mit zwei Mitarbeitern besetzten Steuerungszentrale eines Herstellungsunternehmens für Haushaltsgeräte mit der Begründung der Überbesetzung betriebsbedingt gekündigt wurde. Zuvor hatte die Arbeitgeberin dem Stelleninhaber zu Unrecht verhaltensbedingt gekündigt, ein Hausverbot erteilt und in der Zeit einen anderen Arbeitnehmer als Leiter auf der bisherigen Stelle des Klägers eingestellt.687 Das BAG argumentiert erneut mit dem Rechtsgedanken des § 162 II BGB: Da die Arbeitgeberin das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit selber herbeigeführt hat, bleibt es ihr verwehrt, sich darauf zu berufen. Dies sei die bisherige Rechtsprechung gewesen, in Fällen, in denen der Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz treuwidrig vereitelt hat. Dies gelte erst recht, wenn die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit betroffen ist. Das folge aus dem allgemeinen Rechtsprinzip, dass niemand aus einer von ihm selbst herbeigeführten objektiv rechtswidrigen Lage Vorteile ziehen darf.688 Da die Arbeitgeberin in rechtsmissbräuchlicher Weise das Vorliegen des Kündigungsgrundes herbeigeführt hat, bleibt ihr nach Ansicht der Rechtsprechung das Recht zur Kündigung vorenthalten. Auch wenn das arbeitgeberseitige Fehlverhalten hinsichtlich seines Verwerflichkeitsgrades die Schwelle des Rechtsmissbrauchs nicht erreichen sollte, läge hier zumindest Verschulden vor. Der Einstellung eines externen Bewerbers liegt ein bewusster Willensentschluss zu Grunde, welcher Vorsatz nahelegt, da der Einstellungsentschluss auf eine unzulässige Austauschkündigung hindeutet. Wenn der Arbeitgeber ohne Vorsatz gehandelt hat, ist die Neubesetzung einer Stelle mit einem externen Beschäftigten, die genauso gut von einem bereits Beschäftigten hätte ausgeführt werden können und wodurch dessen Kündigung hätte vermieden werden 684
BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 685 BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 686 BAG, Urt. v. 01. 02. 2007 – 2 AZR 710/05 – AP BGB § 162 Nr. 6. 687 BAG, Urt. v. 01. 02. 2007 – 2 AZR 710/05 – AP BGB § 162 Nr. 6; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 08. 04. 2003 – 14 Sa 85/02 – juris; ArbG Mannheim, Urt. v. 12. 09. 2002 – 5 Ca 224/02 – juris. 688 BAG, Urt. v. 01. 02. 2007 – 2 AZR 710/05 – AP BGB § 162 Nr. 6; zustimmend APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 608.
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können, zumindestens fahrlässig. Denn der Arbeitgeber hätte wissen müssen, dass es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, den von der Kündigung bedrohten Mitarbeiter bei der Stellenbesetzung zu bevorzugen. Das durch die Neueinstellung geschaffene betriebliche Erfordernis ist dem Arbeitgeber daher zumindest wegen Fahrlässigkeit zurechenbar.
II. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch fehlerhafte Personalplanung 1. Bedarfswidrige Neueinstellungen Je größer ein Unternehmen ist, desto komplexer sind die Personalangelegenheiten, weswegen meist Spezialisten mit reinen Personalaufgaben betraut werden. Wesentliche Aufgaben des Personalmanagements sind dabei u. a. die Personalbedarfsplanung und Personalbeschaffung. Sowohl mit Blick auf den quantitativen als auch qualitativen Bedarf sind externe Einflussfaktoren zu analysieren, zukünftige Tätigkeitsfelder, Aufgaben und Arbeitsbedingungen zu prognostizieren. Daraus werden die Anforderungen an die Stelleninhaber abgeleitet und schließlich Aufgaben und Anforderungen zusammengefasst, so dass sich daraus der notwendige Personalbestand ermitteln lässt. Abgänge und Zugänge müssen bei der Fortschreibung berücksichtigt werden. Zudem müssen die Prämissen, auf denen die Bedarfsplanung aufbaut, ständig kontrolliert und an die Unternehmensentwicklung angepasst werden. Daneben gehört es zu den Aufgaben des Personalmanagements für die Personalentwicklung zu sorgen, die Mitarbeiter weiter zu qualifizieren und auf neuen Stellen einzuarbeiten. Kurz, der Arbeitgeber müsste einen guten Überblick über den benötigten Personalbedarf haben, wissen, ob Neueinstellungen notwendig sind oder, ob freie Stellen mit vorhandenen, ggf. weiterzubildenden Mitarbeitern besetzt werden können. Trotzdem kann es vorkommen, dass neue Mitarbeiter eingestellt werden, wobei absehbar ist, dass der Beschäftigungsbedarf wegfallen wird. Oder es wird eine freie Stelle mit einem externen Bewerber besetzt, obwohl ein bereits Beschäftigter, dessen Arbeitsplatz infolge einer unternehmerischen Entscheidung weggefallen ist, die Tätigkeit ebenso gut hätte erfüllen können. Dass der Arbeitgeber seinen Personalbedarf falsch einschätzt und entgegen seinem Bedarf Einstellungen vornimmt, so dass er nach Abschluss des Arbeitsvertrags seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllen kann, stellt eine Pflichtverletzung dar. Da dieser Zustand bei entsprechender Planung für den Arbeitgeber vermeidbar gewesen wäre und die Beschäftigungspflicht dem Schutz des Arbeitnehmers dient, kann hier arbeitgeberseitige Verantwortung (sogar) in Form von Verschulden angenommen werden.
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2. Einstellungen unter Verstoß gegen § 99 BetrVG Da der Arbeitsvertrag wirksam ist, wenn er unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zustande gekommen ist, kann sich daraus das Folgeproblem ergeben, dass der Arbeitnehmer nicht beschäftigt werden darf, wenn der Betriebsrat die Beseitigung des betriebsverfassungswidrigen Zustands beantragt (§ 101 S. 1 BetrVG). Zu der Situation kann es kommen, wenn der Arbeitgeber eine Einstellung ohne den Betriebsrat zu beteiligen oder diese trotz verweigerter Zustimmung des Betriebsrats vornimmt. Aufgrund der Wirksamkeit des Arbeitsvertrags ist der Arbeitgeber gem. § 615 S. 1 BGB verpflichtet, das Arbeitsentgelt zu zahlen. Damit besteht ein Beschäftigungsüberhang und aus nachzuvollziehenden Gründen ein Interesse seitens des Arbeitgebers, diesen Überhang abzubauen. In der Literatur ist umstritten, ob das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigt689 oder wegen widersprüchlichen Verhaltens des Arbeitgebers ausschließt.690 Sofern es sich um Neueinstellungen handelt, ist bereits problematisch, ob für den Arbeitnehmer Kündigungsschutz besteht, da Voraussetzung für dessen Erwerb gem. § 1 I KSchG ein ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestehendes Arbeitsverhältnis ist. Geht es um Versetzungen oder Beförderungen, stellt sich die Frage, ob der auf eine höher dotierte Stelle beförderte Arbeitnehmer durch Kündigung „alles verlieren“ soll, wenn seine alte Stelle bereits wiederbesetzt und hinsichtlich der neuen Stelle ein Beschäftigungsverbot besteht. Feststeht jedenfalls, dass der Abschluss eines Arbeitsvertrags trotz nicht eingeholter Zustimmung des Betriebsrats seitens des Arbeitgebers fahrlässig ist. Indem der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats nicht eingeholt hat, hat er gleichzeitig mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Verstoß seine vorvertraglichen Pflichten (c.i.c.) gegenüber dem Arbeitnehmer verletzt. Das betriebliche Erfordernis wurde daher schuldhaft durch den Arbeitgeber herbeigeführt. So wie das betriebsverfassungsrechtliche Beschäftigungsverbot Auswirkungen auf die individualrechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat, müsste auch die betriebsverfassungsrechtliche Pflichtwidrigkeit Auswirkungen auf die individualrechtliche Ebene haben, also im Rahmen der Kündigung berücksichtigungsfähig sein.
III. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch wirtschaftliche Fehlentscheidungen Dass betriebsbedingte Kündigungen häufig dann ausgesprochen werden, wenn ein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, stellt ein bekanntes 689
Matthes, DB 1974, 2007, 2011; Raab, ZfA 1995, 479, 492. Richardi/Thüsing, BetrVG § 99 Rn. 332; Richardi, DB 1973, 428, 429 f.; Wiedemann, Anm. BAG, Urt. v. 14. 06. 1972 – 4 AZR 315/71 – AP BAT §§ 22, 23 Nr. 54. 690
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Phänomen dar.691 Daher liegt es nahe, zu untersuchen, ob sich aus Fehlentscheidungen des Managements Anknüpfungspunkte für gesteigerte Verantwortung ergeben können. Ausweislich von §§ 93 I 1 AktG, 43 I GmbHG haben Vorstände und Geschäftsführer ihre Handlungen am Maßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auszurichten. Für Arbeitgeber, deren Unternehmen nicht diese Rechtsformen aufweisen, gilt der allgemeine Sorgfaltsmaßstab nach § 276 BGB. In beiden Fällen können zur Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs anerkannte Grundsätze aus der Betriebswirtschaftslehre herangezogen werden. Davon abweichendes Verhalten könnte eine gesteigerte Verantwortung des Arbeitgebers begründen. Nachfolgend werden exemplarisch einige dieser pflichtwidrigen Verhaltensweisen dargestellt. 1. Durch rechtswidriges Verhalten Übergeordnetes und an sich wohl nicht begründungsbedürftiges Prinzip der Grundsätze guter Unternehmensführung ist der Rechtmäßigkeitsgrundsatz. Er besagt, dass nur solche Beschlüsse, Maßnahmen, Verhaltensweisen zulässig und von der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gedeckt sind, die sich im Rahmen der sowohl internen Unternehmensrichtlinien als auch der externen Vorschriften, also Gesetze, Verordnungen, Satzungen etc., halten.692 Selbst wenn solche Maßnahmen aus Sicht des Managements (kurzzeitig) von Vorteil für das Unternehmen sind, stellen diese kein zulässiges Verhalten dar.693 Wenn beispielsweise, so wie im Siemensskandal694, schwarze Kassen gebildet werden, daraus Bestechungsgeld an Kunden gezahlt wird, um an wichtige Aufträge zu kommen, kann der kurzfristige Erfolg das illegale Verhalten nicht rechtfertigen. Dazu zählen unzulässige Preis- und Vertriebsabsprachen zwischen Unternehmen und die Bildung rechtswidriger Kartelle.695 Für den Vorstand einer Aktiengesellschaft bedeutete das, falls er von den Praktiken gewusst, diese geduldet oder dazu aufgefordert hat, dass er seine Sorgfaltspflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt hat, sofort abberufen, gekündigt und ggf. auf Schadensersatz für die seitens der Behörden auferlegten Sanktionen 691
Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 535. RegBegr. BT-Drs. 15/5092 S. 11; MünchKomm AktG/Spindler, § 93 Rn. 37 ff.; Hüffer/ Koch, § 93 AktG Rn. 16; Fleischer, ZIP 2004, 685, 690; v. Werder, zfbf Sonderheft 36/1996, S. 36. 693 Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, Gesellschaftsrecht, § 93 AktG Rn. 20; Winnen, Die Innenhaftung des Vorstandes nach UMAG, S. 162 f. 694 Siehe eine Kurzfassung des Skandals unter http://www.stern.de/wirtschaft/news/chrono logie-der-siemens-skandal-3758286.html – zuletzt abgerufen am 09. 11. 2017. 695 Zum Beispiel zwischen Zuckerherstellern siehe http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ verbotene-preisabsprachen-der-hersteller-zucker-kartell-muss-mit-millionen-euro-buessen-1.1 892187 – zuletzt abgerufen am 09. 11. 2017 – sowie zwischen der Bierbrauerei Anheuser Busch und zahlreichen Supermarktketten http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsum gueter/preisabsprache-bei-bier-millionenstrafen-fuer-edeka-metro-netto-und-kaufland/13 568804.html – zuletzt abgerufen am 09. 11. 2017. 692
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(Gewinnabschöpfung, Strafzahlungen, verzinste Steuernachzahlungen) in Anspruch genommen werden kann. Die unternehmerische Freiheit entlastet ihn insoweit nicht. Auch von Verstößen gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, u. a. aus dem Bereich des Umwelt- und Tierschutzrechts, kann eine Folge ein öffentlich verhängtes Verkaufsverbot696 oder der Entzug von Konzessionen sein, welches sich massiv auf die wirtschaftliche Situation auswirken kann. Ebenfalls verheerend für die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens können technische Fehler beim hergestellten Produkt sein, die bewusst nicht behoben werden, so wie es bei Takata, einem Hersteller für Airbags, der Fall war. Das Unternehmen, das einst sämtliche Automobilkonzerne von BMW über GM bis VW belieferte, stellte weder seine Produktion um noch informierte es darüber, als herauskam, dass aufgrund technischer Fehlkonstruktionen Airbags mit zu großer Wucht explodierten, so dass allein in den USA 200 Menschen vom Explosionsdruck verletzt wurden und mindestens 11 Menschen zu Tode kamen. Es kam zu einer Rückrufaktion, die mehrere Millionen Autos umfasste und dazu führte, dass Takata Schulden von ca. 9 Milliarden USDollar aufnahm. Infolgedessen haben einige Automobilkonzerne die Abnahme von Takata-Airbags eingestellt. Der Insolvenzantrag wurde vom Unternehmen schließlich am 26. 06. 2017 gestellt.697 Rechtswidriges unternehmerisches Handeln bleibt regelmäßig nicht folgenlos, sei es durch Verbraucherverhalten, sei es durch Reaktionen des Marktes oder sei es durch staatliche Sanktionen, so dass diese durch das Fehlverhalten des Managements herbeigeführten Situationen als Anlass genommen werden könnten betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. 2. Durch strategisch nachteilhaftes Verhalten Während rechtswidriges Verhalten eindeutig feststellbar ist, gestaltet es sich schon schwieriger zweckmäßige unternehmerische Entscheidungen von strategisch nachteilhaften Entscheidungen abzugrenzen. Ausschlaggebendes Kriterium für oder gegen die Zweckmäßigkeit kann nicht allein der Erfolg oder Misserfolg der Entscheidung sein. Dies ließe sich nur aus der ex-post-Perspektive überprüfen. Maßgeblicher Zeitpunkt der Prüfung ist jedoch die ex-ante-Sicht verbunden mit der Fragestellung, wie sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter in diesem Moment verhalten hätte: Er hätte entsprechend den Grundsätzen einer guten 696 So im Fall der Firma Bayern Ei GmbH & Co. KG, der im Zuge mehrerer Verstöße gegen das TierSchG, verbunden mit einem deutschlandweiten Salmonellenskandal, infolgedessen es auch einen Toten gab, Verkaufsverbote seitens der bayerischen Landesbehörden auferlegt wurden (siehe die Chronologie zum Skandal bei Süddeutsche Zeitung vom 11. 06. 2015 abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-ei-skandal-das-versagen-1.2514615 – zuletzt abgerufen am 09. 11. 2017). 697 Zeit online vom 26. 06. 2017 abrufbar unter http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2 017-06/takata-insolvenz-japan – zuletzt abgerufen am 09. 11. 2017.
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Unternehmensführung698 eine zweckmäßige, d. h. zum Wohle des Unternehmens, der Unternehmensangehörigen und Umwelt ergehende, Entscheidung getroffen.699 Darauf kann an dieser Stelle nicht vertieft eingegangen werden, da es allgemeingültige Aussagen, die auf jedes Unternehmen unabhängig vom Unternehmensgegenstand, von der Größe, der Branche und des Marktes zutreffen, naturgemäß nicht geben kann. Wie ein entsprechender Maßstab aussehen könnte, kann daher anhand der folgenden Fallgruppen nur skizziert werden. a) Rationale Entscheidungen Unternehmerisches Handeln erfordert rationale Entscheidungen.700 Für intuitives Handeln spricht zwar ein größerer Freiraum für Kreativität, damit einhergehend möglicherweise mehr Engagement und die Chance, dass es zu Zufallsentdeckungen kommt, weswegen der intuitive Managementansatz tatsächlich diskutiert wird.701 Allein um das Marktgeschehen zu sondieren und dem Handeln unter Unsicherheit begegnen zu können, sind intensive Analysen notwendig, weswegen rasches Handeln „ohne langes Nachdenken“ nicht zur Erreichung der unternehmerischen Ziele führen kann. Auch aufgrund der Komplexität der Rechtslage, die es im Vorfeld bestimmter unternehmerischer Entscheidungen zu berücksichtigen gilt (z. B. gesellschaftsrechtliche Beschlussfassung, Besteuerung, kartellrechtliche Erlaubnis, Erstellung von Wertpapierprospekten nach dem WpPG, börsenrechtliche Mitteilungspflichten bei der Unternehmensübernahme nach dem WpÜG, Änderung der Mitbestimmungspflichtigkeit nach dem MitbestG bei der Unternehmensübernahme), sollten solche Entscheidungen nur wohlüberlegt getroffen und vollzogen werden. b) Technologischer Fortschritt Wesentliche Voraussetzung einer guten Unternehmensstrategie ist eine eingehende Umwelt- und Marktanalyse, in der die politisch-rechtlichen, soziokulturellen und insbesondere die technologischen Faktoren erfasst werden. Zwei Beispiele aus der Praxis sollen an dieser Stelle illustrieren, wie wichtig die Beachtung des tech698 Zur Bewertung des Managementverhaltens bei börsennotierten Aktiengesellschaften ist der Rückgriff auf die Verhaltensrichtlinien im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) anerkannt, ersetzt aber nicht die Prüfung, ob die Einhaltung einer Norm auch im Einzelfall geboten ist (Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 AktG Rn. 67). Da eine gute Unternehmensführung nicht von der Börsennotierung und Gesellschaftsform abhängt, können die im DCGK enthaltenen Grundsätze als verallgemeinerungsfähig angesehen werden, sofern sie nicht die sich aus der Gesellschaftsform oder Börsennotierung ergebenden Besonderheiten betreffen. 699 Vgl. 4.1.1 des Deutschen Corporate Governance Kodexes; v. Werder, zfbf Sonderheft 36/1996, 37. 700 Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 259 ff.; v. Werder, zfbf Sonderheft 36/ 1996, S. 51 f. m. w. N. 701 Vgl. Mintzberg, Harvard Business Review, Vol. 54 (1976), (4), 49.
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nologischen Fortschritts und die daran orientierte Ausrichtung des Unternehmens ist bzw. wie die Nichtbeachtung dessen auch zum Niedergang eines Unternehmens führen kann. So verkörpert das Unternehmen Apple ein Erfolgsmodell, weil es durch technologische Neuausrichtung nicht nur gelang den Bestand des Unternehmens zu sichern, sondern auch die Marktführerschaft im Bereich der mobilen Informationstechnologie zu erlangen. Im Gegensatz dazu steht die Firmengeschichte von Rank Xerox für den Niedergang eines ehemals erfolgreichen Unternehmens bis hin zu einer existenziellen Krise. Apple hatte sich in den 1990er Jahren auf die Herstellung von hochpreisigen Personal-Computern spezialisiert, die jedoch kaum Absatz fanden, weil sie nicht mit den Intel- und Microsoft-Windows-Produkten kompatibel waren. Durch den Ankauf des Unternehmens NeXT holte sich das Unternehmen neue Technologie dazu und stellte die Hardware der Computer auf die standardisierten Intelprozessoren um. Schließlich gelang dem Unternehmen mit Einführung des Ipods der Durchbruch auf dem Markt der portablen Musikwiedergabegeräte.702 Im Gegensatz zu dieser Anpassungsfähigkeit bei Apple setzte bei Rank Xerox, nachdem das Unternehmen zunächst recht erfolgreich den ersten Fotokopierer auf den Markt gebracht hatte, eine Lähmung ein, die dazu führte, dass das Unternehmen von den Konkurrenzunternehmen wie IBM, Kodak, Canon, Ricoh etc. überholt wurde. Diese hatten ein besseres Vermarktungs- und kostengünstigeres Geschäftsmodell, so dass, da niemand mehr die Geräte von Rank Xerox leasen und jede Kopie einzeln bezahlen wollte, der Marktanteil von Rank Xerox von 80 % im Jahr 1976 innerhalb von nur sechs Jahren auf 13 % sank.703 Die Beispiele von Apple und Rank Xerox verdeutlichen, dass die Nachfrage bestimmter Produkte nicht von Dauer ist, sondern dem Einfluss der fortschreitenden Technologisierung unterliegt, mit der Folge, dass nicht nur alte Produkte, sondern auch aus Sicht des Marktes veraltete Geschäfts- und Vertriebsmodelle von neuen verdrängt werden. c) Wachstumsstrategien Studien beweisen, dass Unternehmensstrategien, die auf Wachstum ausgerichtet sind, zu mehr Erfolg führen als sog. Schrumpfungsstrategien.704 Unternehmenswachstum führt regelmäßig zu Kostenersparnissen bei steigender Produktionsmenge, zu einer größeren Marktmacht, zu einem leichteren Kapitalzugang, zu einer Verringerung des Verdrängungsrisikos, zu einer Vergrößerung des verteilungsfähigen Unternehmenswerts etc.705 Im Gegensatz dazu hat die Analyse verschiedener Unternehmensschrumpfungen ergeben, dass die damit angestrebten Kostensen-
702
Beispiel entnommen aus Hauer/Ultsch, Unternehmensführung kompakt, S. 27. Beispiel aus Freiling/Reckenfelderbäumer, Markt und Unternehmung, S. 4 f. 704 Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 270; Schindewolf, Organisches Wachstum internationaler Unternehmen – Eine empirische Exploration, S. 55 ff. 705 Starbuck, Handbook of Organizations, S. 451 ff.; Wolf, Strategie und Struktur, S. 301 ff. 703
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kungen meist nicht erreicht wurden, teilweise am Ende das Unternehmen mehr gekostet haben, als wenn die Maßnahme nicht durchgeführt worden wäre.706 d) Wettbewerbsstrategien Auch für das Verhalten im Wettbewerb gibt es einige zu beachtende grundsätzliche Regeln: Zunächst bedarf es überhaupt einer Wettbewerbsstrategie, die darauf gerichtet ist, Vorteile der eigenen Marktleistung hervorzubringen, so dass sich Kunden für das eigene Produkt und nicht für das der Wettbewerber entscheiden. Dafür wiederum ist eine klare Positionierung im Wettbewerb notwendig. Zur Auswahl stehen dabei die Kostenführerschaft, die Strategie der Produktdifferenzierung und die sog. Nischenstrategie.707 Die erfolgreiche Anwendung der Kostenführerschaftsstrategie setzt voraus, dass die Wettbewerber keine geringeren Kosten aufweisen; dies wiederum kann nur erreicht werden, wenn die Produktionsanlagen auf einem Niveau gehalten werden (Efficient-Scale), so dass Kostenvorteile entstehen, große Stückzahlen produziert werden, Abläufe standardisiert werden, Produkte vereinfacht werden und Abstriche bei der Qualität gemacht werden.708 Im Gegensatz dazu setzt die Differenzierungsstrategie darauf, dass Kunden für den Erwerb einzigartiger Produkteigenschaften bereit sind einen höheren Preis zu zahlen. Wichtige Voraussetzungen dafür sind vorzügliche Produkteigenschaften, perfektes Händlernetz, guter Service, hohes Innovationspotential, intensive Öffentlichkeitsarbeit.709 Die Nischenstrategie wiederum basiert auf der Grundidee, dass bei Einengung der Zielgruppe besser auf Bedürfnisstrukturen eingegangen werden kann, woraus sich schließlich im Verhältnis zur das gesamte Marktsegment bedienenden Konkurrenz Wettbewerbsvorteile erzielen lassen.710 e) BCG-Portfolio-Modell Nach dem Strategiemodell der Boston Consulting Group (BCG-Portfolio-Modell)711 können vier grobe Entscheidungsrichtungen für Unternehmen ermittelt werden, die über eine Mehrheit verschiedener Produkte am Markt verfügen. Ziel dieses Modells ist es die finanziellen Ressourcen des Unternehmens optimal zu verteilen. Für Produkte, die einen geringen Marktanteil haben und geringes Wachstum erwarten lassen (sog. „poor dogs“), lohnen sich Investitionen nicht mehr. In Produkte, die einen hohen Marktanteil und ein hohes Marktwachstum haben, ist zu investieren. Die Strategie, um diese optimale Wettbewerbsposition zu verteidigen, lautet, schneller zu wachsen als der Markt, da bereits ein geringer Verlust von 706 707 708 709 710 711
McKinley/Sanchez/Schick, Academy of Management Executive, Vol. 9 (1995), 42. Porter, Competitive advantage, S. 11 ff. Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 286 f. Macharzina/Wolf, a. a. O., S. 294. Macharzina/Wolf, a. a. O., S. 298. Freiling/Reckenfelderbäumer, Markt und Unternehmung, S. 345 ff. m. w. N.
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Marktanteilen den Verlust der Marktführerschaft bedeuten kann. Dann gibt es noch die Produkte, die zwar einen hohen Marktanteil haben, bei denen aber mit keinem Marktwachstum mehr zu rechnen ist (sog. „cash cows“). Hier ist der Investitionsdruck gering. Die vierte Produktgruppe (sog. „Questionmarks“) zeichnet sich durch einen geringen Marktanteil aus, das Marktwachstum ist aber erfolgsversprechend. Hier sind entweder Investitionen zu tätigen, um die Marktführerschaft zu erlangen, oder falls das Risiko, die Marktführerschaft zu erlangen, zu hoch eingeschätzt wird, sollte das Produkt aufgegeben werden.712 f) Sonstige Strategiefehler Zuletzt seien noch weitere typische Managementfehler genannt, die im Rahmen empirischer Untersuchungen im Hinblick auf die Ursachen von Unternehmenskrisen ausgemacht werden konnten: Falsche Besetzung der Führungsposition, unzureichende Berücksichtigung mittel- und langfristiger Marktentwicklungen, Fehler bei der Zusammenstellung des Produktprogramms, zu hohe Geschwindigkeit bei Expansionen, Fehlentscheidungen im Hinblick auf Technologien, Rohstoffsicherung, Standortfestlegung und finanzielle Ausstattung, Mängel in der Gestaltung des Planungs- und Informationssystems sowie personenwirtschaftliche und organisatorische Mängel.713 3. Durch fehlerhafte Finanzplanung Betriebsbedingte Kündigungen dienen häufig der Senkung von Personalkosten, weswegen sie ebenso häufig in einem engen Zusammenhang zur gesamtwirtschaftlichen Lage des Unternehmens stehen. Meist werden betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen, wenn das Unternehmen bereits verschuldet ist oder, wenn wirtschaftlich schwierige Zeiten bevorstehen. Ausweislich einer Studie aus dem Jahr 2004, die verschiedene Einflussfaktoren auf die Kündigungsentscheidung untersucht hat, gaben knapp 40 % der befragten Betriebe an, gekündigt zu haben, weil sich die wirtschaftliche Lage im Vergleich zu den letzten fünf Jahren verschlechtert habe.714 Empirische Studien haben gezeigt, dass Fehler bei oder gar das Nichtvorhandensein von Finanzplanungsrechnungen die häufigste Ursache von Unternehmensinsolvenzen ist. Dies wurde der Tatsache entnommen, dass ca. 90 % aller in den Jahren 2003 und 2006 untersuchten Unternehmensinsolvenzen auf Kleinunternehmen, d. h. Einzelunternehmen, freie Berufe, Kleingewerbebetreibende und auch 712 Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 363 ff.; Hauer/Ultsch, Unternehmensführung kompakt, S. 34 ff.; Freiling/Reckenfelderbäumer, Markt und Unternehmung, S. 341 ff. 713 Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 688 f. m. w. N. 714 Pfarr/Bothfeld/Kaiser u. a., Projekt Regulierung des Arbeitsmarktes (REGAM), 2004, S. 3 abrufbar unter https://www.boeckler.de/pdf/wsi_regam_kuendigung_praxis.pdf – zuletzt abgerufen am 05. 07. 2017.
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GmbHs, entfallen sind, während Großunternehmen weniger anfällig für Insolvenzen sind.715 Diese verfügen in aller Regel über ein gut organisiertes Finanzierungsmanagement.716 Ziel der (heutigen) Finanzplanung ist es die Liquidität eines Unternehmens dauerhaft zu sichern.717 Indem alle fälligen Zahlungsverpflichtungen einerseits und alle zur Erfüllung verfügbaren Finanzmittel andererseits auf den Tag genau erfasst werden, können „überraschende“ Zahlungsengpässe frühzeitig erkannt werden, so dass die Chancen auf Abwendung der Zahlungsunfähigkeit durch Stundungen, Verkaufserlöse, Aufnahme von Krediten etc. zumindest höher zu bewerten sind, als wenn kurzfristig Kredite aufgenommen werden müssten.718 Hält ein Zustand, in dem eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr vorliegt, d. h. wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist 10 % seiner Gesamtverbindlichkeiten zu bezahlen, länger als drei Wochen an, so ist regelmäßig von der Insolvenz auszugehen (§ 17 II 1 InsO).719 4. Durch fehlerhaftes Risikomanagement Unternehmensführung ohne Risiken oder zumindest ohne Unsicherheiten ist so gut wie undenkbar. Unternehmerische Entscheidungen implizieren ihrem Wesen nach stets ein Risiko, wobei es unterschiedliche Arten von Risiken gibt. In diesem Abschnitt geht es um Fehler beim Risikomanagement, welche ebenfalls eine eigene Fallgruppe der bei einer betriebsbedingten Kündigung zu berücksichtigenden Verantwortung bilden könnten. Unter dem Begriff Risiko ist die Möglichkeit einer Zielverfehlung, einer planwidrigen Entwicklung zu verstehen.720 Eine Risikosituation liegt dann vor, wenn das Eintreten zukünftiger Ereignisse nicht sicher vorhersehbar ist, sondern der Eintritt mehrerer möglicher Ereignisse mehr oder weniger wahrscheinlich ist.721 Vor diesem Hintergrund kann in jeder Unternehmensentscheidung ein Einzelrisiko gesehen werden. Was den Unternehmenserfolg ausmacht, ist die Bewältigung des Gesamtrisikos, bestehend aus der Summe aller Einzelrisiken, die in jedem 715 Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, R.4.1, 12/2006 abgebildet in Däumler/Grabe, Betriebliche Finanzwirtschaft, S. 40, ABB. 2.1. 716 MünchKomm InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 10; Däumler/Grabe, Betriebliche Finanzwirtschaft, S. 40; siehe auch Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 719, die die Finanzplanung als Grundlage „gesunder“ Unternehmensführung sehen. 717 Däumler/Grabe, Betriebliche Finanzwirtschaft, S. 39; Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 727; Wöhe/Bilstein/Ernst/Häcker, Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, S. 39. 718 MünchKomm InsO/Eilenberger, § 17 Inso Rn. 10 f. 719 St. Rspr. BGH, Urt. v. 21. 06. 2007 – IX ZR 231/04 – NJW-RR 2007, 1419, 1422; BGH, Urt. v. 24. 05. 2005 – IX ZR 123/04 – BGHZ 163, 134, 139; Henssler/Strohn/Arnold, Gesellschaftsrecht § 17 InsO Rn. 2 f. 720 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 3; Philipp, Risiko und Risikopolitik, S. 5 ff. 721 Philipp, Risiko und Risikopolitik, S. 5 ff.
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Unternehmensbereich von der Beschaffung und Produktion über Vertrieb und Vermarktung usw. überall auftreten. Dabei haben sich in der Betriebswirtschaftslehre mehrere Risikokategorien herausgebildet. In abgestufter Reihenfolge ausgehend von der Beherrschbarkeit sind zu allererst die internen Betriebsrisiken zu nennen, worunter mögliche Störungen in der Produktion, bei der Beschaffung, der Logistik, beim Absatz und Marketing sowie beim Personal fallen. An zweiter Stelle stehen die Finanzrisiken, wie das Risiko der Kapitalbeschaffung und der Kapitalanlage sowie Zins-, Preis-, und Währungsrisiken. Danach folgen allgemeine Umweltrisiken, wozu neben Naturereignissen auch politisch-rechtliche und gesellschaftliche Bedingungen zählen. An letzter Stelle, weil hier mit den meisten Unsicherheiten zu rechnen ist, stehen die Marktrisiken, d. h. Veränderung der Rahmenbedingungen, das Verhalten der Konsumenten und der Konkurrenz sowie allgemeine konjunkturelle Schwankungen.722 Da Fehleinschätzungen der genannten Risiken und unzureichende Maßnahmen zur Risikobewältigung wirtschaftlich schwierige Situationen des Betriebs/Unternehmens verursachen können, was wiederum zu betriebsbedingten Kündigungen Anlass geben könnte, stellt sich die Frage nach welchem Maßstab der Umgang mit derartigen Risiken zu bewerten ist. Dabei kann § 91 II AktG als gesetzliche Konkretisierung der Organisations- und Überwachungspflichten eines Vorstands einer Kapitalgesellschaft als äußerste Grenze herangezogen werden. Dieser verpflichtet zur Durchführung geeigneter Maßnahmen zur frühen Erkennung bestandsgefährdender Entwicklungen der Gesellschaft, wobei insbesondere die Einrichtung eines Überwachungssystems genannt wird. Anders als es der Wortlaut vermuten lässt, impliziert das darin vorausgesetzte Handeln aus zwei Gründen ein umfassendes, nicht nur auf extreme („bestandsgefährdende“) Risiken beschränktes Risikomanagement. Erstens, weil die Früherkennung von Risiken verlangt wird, ist dies nur mit einem System zu bewerkstelligen, das bereits dann ansetzt, wenn sich Risiken noch am Anfang ihrer Entwicklung befinden, d. h. wenn noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.723 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Erkennungspflichten auch auf „normale“ Risiken beziehen müssen, denn nur bei rechtzeitiger Identifikation kann die Anwachsung zu einem bestandsgefährdenden Risiko noch verhindert werden.724 Wesentliche Bestandteile des Risikomanagements sind die Risikoidentifikation, die Risikoanalyse, die Risikobewertung und letztlich gezielte Risikobewältigungsmaßnahmen.725 Nach dem der Risikoraum erkannt (z. B. steigende Rohstoffpreise für 722
Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 674. RegBegr. BT-Drs. 13/9712 S. 15. 724 MünchKomm AktG/Spindler, § 91 Rn. 27; anders die RegBegr. BT-Drs. 13/9712 S. 15. 725 MünchKomm AktG/Spindler, § 91 Rn. 35; Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 673 ff.; siehe auch die Hinweise zur Prüfung des Risikomanagementsystems des DIIR e.V. http://www.diir.de/fileadmin/fachwissen/standards/downloads/Hinweise_zur_Pr%C3% BCfung_des_RMS.pdf – zuletzt abgerufen am 30. 06. 2017. 723
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Vanillestangen bei der Beschaffung) und die Ursache ermittelt (z. B. Dürre, Verknappung) wurde, findet die Bewertung des Risikos statt, wozu in der Betriebswirtschaftslehre eine Reihe von verschiedenen Verfahren (z. B. FMEA, Szenario Analyse, Bow-Tie-Analyse, Ishikawa, VaR etc.) entwickelt wurden.726 Vereinfacht wird das Risiko nach der Eintrittswahrscheinlichkeit im Verhältnis zum Schadensausmaß bewertet. Daraus haben sich in der Praxis vier Klassifikationsstufen ergeben, die sich an der potentiellen Schadenshöhe orientieren. Danach liegt eine geringe Schadenshöhe vor, wenn der drohende Schaden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr als 20 % des Betriebsergebnisses ausmacht; ein als schwerwiegend zu bezeichnender Schaden läge indes bei einer Schadenshöhe von 50 % des Betriebsergebnisses vor.727 Bei den im Anschluss zu beschließenden Risikomanagement-Maßnahmen ist zwischen solchen Maßnahmen wiederum zu unterscheiden, die der Schadensverhütung und der Schadensverminderung dienen. Unter Letztere fallen Maßnahmen zur Risikoabwälzung, z. B. auf einen Versicherer, die Risikostreuung, z. B. verschiedene Vertriebskanäle, Risikoausgleich durch Diversifikation, Risikokompensation durch neue Aktivitäten, schließlich sind Rücklagen zu bilden, wobei dies wiederum mit einem Finanzrisiko (z. B. Rendite- und Liquiditätsunsicherheit bei langfristiger Vermögensanlage oder hohes Verlustrisiko bei Spekulationsgeschäften) verbunden sein kann.728 Ein fehlerhaftes Verhalten liegt dann vor, wenn gar kein Risikomanagement betrieben wird, wenn folglich weder die Unternehmensbereiche nach potentiellen Risiken untersucht werden noch das Risiko einer konkreten Entscheidung analysiert wird. Ferner liegt ein fehlerhaftes Verhalten vor, wenn ein Risiko wider anerkannten Bewertungsgrundsätzen falsch bewertet wird729. Maßgeblich dafür ist die im Rahmen der Risikoanalyse erstellte Informationsgrundlage. Demnach darf kein Geschäft eingegangen werden, von dem bekannt ist, dass dessen Risiken nicht in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten Gewinn stehen; es darf grundsätzlich kein Risiko eingegangen werden, das zur Gefährdung des Bestands der Gesellschaft führt, außer die Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Risikos ist als gering zu bewerten730 oder der Vorstand hat entsprechende Präventionsmaßnahmen ergriffen.731 Schließlich 726
Eingehend dazu Wolke, Risikomanagement, S. 13 ff. Macharzina/Wolf, Unternehmensführung, S. 676. 728 Macharzina/Wolf, a. a. O., S. 677 ff. 729 RegBegr. BT-Drs. 15/5092 S. 11; BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 – BGHZ 135, 244, 253 (ARAG/Garmenbeck); Hüffer/Koch, § 93 AktG Rn. 23; MünchKomm AktG/Spindler, § 93 Rn. 45. 730 BGH, Urt. v. 04. 07. 1977 – II ZR 150/75 – BGHZ 69, 207, 215; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09. 12. 2009 – I-6 W 45/09 – ZIP 2010, 28, 32; OLG Jena, Urt. v. 08. 08. 2000 – 8 U 1387/98 – NZG 2001, 86, 87; GroßKomm AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 36; Hölters, § 93 AktG Rn. 154; Lutter, ZIP 2009, 197, 199. 731 MünchKomm AktG/Spindler, § 93 Rn. 63; Spindler, NZG 2010, 281, 284; Redeke, ZIP 2010, 159, 160 ff. 727
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wäre das Risikomanagement als fehlerhaft zu beurteilen, wenn lediglich einseitige Risikobewältigungsmaßnahmen ergriffen würden. Allein durch den Abschluss von Versicherungen lassen sich nicht sämtliche unternehmensbezogene Risiken wirksam minimieren, vielmehr bedarf es dazu einer Auswahl der im Hinblick auf das konkrete Risiko leistungsfähigsten Maßnahme.732 5. Fallbeispiel Ein nahezu alle Fallgruppen des eben beschriebenen Fehlverhaltens vereinendes Beispiel aus der Praxis ist der Niedergang der Baumarktkette „Praktiker“, weswegen hieran der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Fehlverhalten und betrieblichem Erfordernis einer Kündigung untersucht werden soll. Am 11. 07. 2013 musste die Baumarktkette Insolvenz anmelden. Ein Kreditversicherer, der die Waren vorfinanzierte, hatte seine Garantien zurückgenommen; der Verkauf der luxemburgischen Tochtergesellschaft, der kurzfristig 13 Mio. Euro einbringen sollte, kam nicht zustande, so dass am Ende 30 bis 35 Mio. Euro zur Begleichung offener Forderungen, u. a. um die Gehälter der Beschäftigten zu zahlen, fehlten. Infolgedessen wurden fast alle Filialen geschlossen; bis auf 20 % der Beschäftigten, die an ihrer Arbeitsstelle weiterarbeiten konnten, wechselten 7.600 von 8.200 sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitern in eine Transfergesellschaft nachdem ihr Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen „Praktiker“ aus betriebsbedingten Gründen beendet wurde; über den Verbleib von 5.000 Minijobbern, die ebenfalls entlassen wurden, ist nichts bekannt.733 Eine Insolvenz bedeutet nicht, dass automatisch alle Arbeitsverhältnisse enden. Vielmehr gilt in den Betrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist, das allgemeine Kündigungsrecht weiter, lediglich die Sonderregelung des § 113 InsO erlaubt eine Verkürzung der Kündigungsfrist. Trotzdem ist der Personalabbau durch Kündigungen das meist eingesetzte Mittel, wenn es zur Insolvenz kommt734 wie auch im Beispiel von „Praktiker“. Als Hauptursache der Insolvenz wird heute die lange Zeit praktizierte „BilligStrategie“ („20 % auf alles – außer Tiernahrung“) ausgemacht, welche den Umsatz zwar zeitweise erhöhen konnte, letztlich aber keine Gewinne bereitet hat und fatalerweise zu einem „Billig-Image“ führte, mit dem sich Kunden von anderen Bau-
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Macharzina/Wolf, a. a. O., S. 682. Der Tagesspiegel am 12. 07. 2013 abrufbar unter http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ insolvenz-der-baumarktkette-warum-praktiker-vor-der-pleite-steht/8485512.html# – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017; Wirtschaftswoche vom 07. 01. 2016 abrufbar unter http://www.wiwo. de/unternehmen/handel/praktiker-und-max-bahr-zwei-von-drei-mitarbeitern-haben-wieder-ar beit/12803370.html – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017. 734 Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 535; Lindemann, Reaktionen auf Unternehmenskrisen, S. 25 ff. 733
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märkten, die sich inzwischen ein Image vom „Qualitätsspezialisten“ aufgebaut hatten, nicht abwerben ließen.735 Unter Zugrundelegung der oben dargestellten Maßstäbe müsste dies zur damaligen Zeit auch für das Management eindeutig erkennbar gewesen sein. Die Handelsunternehmen „Aldi“ und „Lidl“ sowie die Fluggesellschaft Ryanair zeigen, dass eine „Billigstrategie“ nicht per se betriebswirtschaftlich nachteilig ist. Der entscheidende Unterschied zum Fall Praktiker ist jedoch, dass bei Praktiker die Kosten zu hoch waren. So hätte die Befolgung der einfachen Regel, „wer Preisführer sein will, sollte langfristig auch Kostenführer sein“,736 das Management dazu veranlassen müssen, die Strategie früher zu ändern. Acht Jahre wurde an der Rabatt-Strategie festgehalten, welches erkennbar fehlerhaft war. Ein zweiter Fehler, der ebenfalls zur Unternehmenskrise beigetragen hat, ist sowohl aus heutiger wie auch bereits aus damaliger Sicht dem Risikomanagement unterlaufen, indem zwecks Risikoverringerung allein auf die Tochtergesellschaft „Max Bahr“ gesetzt wurde“.737 Das Tochterunternehmen hat zwar Gewinne erwirtschaftet, die an den Mutterkonzern abgeführt wurden, das allein konnte aber die von „Praktiker“ bescherten Verluste nicht ausgleichen und war somit als Risikobewältigungsstrategie unzureichend. Schließlich deutet die Liquiditätslücke von ca. 35 Mio. Euro auf einen Fehler in der Finanzplanung hin.738 Die an die Beschäftigten zu zahlenden Gehälter stellten kaum plötzliche Forderungen dar, dennoch sah sich das Unternehmen dazu gezwungen, wieder die Rabattaktionen einzuführen, um die Gehaltsforderungen begleichen zu können. Dies lässt darauf schließen, dass entweder Kapitalgeber bereits einige Zeit, bevor Insolvenz angemeldet wurde, Finanzierungen abgelehnt hatten oder dass die Finanzpläne ungenau aufgestellt worden sind. Das Beispiel der Baumarktkette „Praktiker“ zeigt, dass sich bereits auf der Grundlage einiger weniger der zuvor genannten Leitlinien beurteilen lässt, ob das betriebliche Erfordernis Folge unvermeidbarer wirtschaftlicher Entwicklungen ist
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Spiegel online vom 11. 07. 2013 abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unter nehmen/baumarktkette-praktiker-mit-billig-image-in-die-insolvenz-a-910641.html – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017; der Tagesspiegel vom 12. 07. 2013 abrufbar unter http://www.tages spiegel.de/wirtschaft/insolvenz-der-baumarktkette-warum-praktiker-vor-der-pleite-steht/84 85512.html# – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017. 736 Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. III. 2. 737 Spiegel online vom 11. 07. 2013 abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unter nehmen/baumarktkette-praktiker-mit-billig-image-in-die-insolvenz-a-910641.html – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017. 738 Spiegel online vom 11. 07. 2013 abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unter nehmen/baumarktkette-praktiker-mit-billig-image-in-die-insolvenz-a-910641.html – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017; der Tagesspiegel vom 12. 07. 2013 abrufbar unter http://www.tages spiegel.de/wirtschaft/insolvenz-der-baumarktkette-warum-praktiker-vor-der-pleite-steht/84 85512.html# – zuletzt abgerufen am 10. 07. 2017.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
oder auf einem Missmanagement beruht. Es wäre also möglich unternehmerisches Handeln auf Fehlerhaftigkeit zu untersuchen.
IV. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch Änderung des Arbeitskräftebedarfs Ändert sich der Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers, z. B. durch Änderungen und Erweiterungen des Unternehmensgegenstandes oder durch fortschreitende technische Entwicklungen, müssen auch die Stellenprofile angepasst werden. Weichen die Änderungen soweit von den bisherigen Stellenprofilen ab, dass damit neue Berufsbilder entstehen, und erfüllen die bisherigen Stelleninhaber diese neuen Anforderungen nicht, droht der Arbeitskräftebedarf in der vorherigen Form wegzufallen. Die Verantwortung dafür liegt allein beim Arbeitgeber, weil dieser die der Veränderung vorangegangene Entscheidung getroffen hat, ohne dass Einflussmöglichkeiten arbeitnehmerseits bestanden, z. B. durch Gründung eines Joint-Ventures mit einem chinesischen Unternehmen werden Sprachkenntnisse in Mandarin739 erforderlich oder durch den Einsatz von Arbeitsrobotern fallen sämtliche zuvor von Menschen ausgeführten manuellen Tätigkeiten weg, dafür entsteht ein Bedarf an ITSpezialisten.740 Die Diskrepanz zwischen dem neuen Bedarf und den nicht mehr ausreichenden Qualifikationen der bisherigen Stelleninhaber könnte aus Arbeitgebersicht den Anlass zu einer betriebsbedingten Kündigung liefern. Grundsätzlich gilt, arbeitgeberseitige Verantwortung für den Wegfall bestimmter Tätigkeiten aufgrund von Maßnahmen, die fortschreitender Technologisierung geschuldet sind, die der Anpassung an neue Marktbedingungen dienen, entspricht exakt dem Maß an Verantwortung, das im Rahmen des § 1 II KSchG für zulässig gehalten wird. Der „Heizer auf der E-Lok“ braucht nicht weiter vom Arbeitgeber beschäftigt zu werden.741 Wird dieses Kündigungsrecht hingegen missbraucht, um einen unliebsamen Arbeitnehmer loszuwerden, indem die Anforderungen an die Stelle bewusst so hochgeschraubt werden, dass sie vom Arbeitnehmer nicht mehr erfüllt werden können, liegt ein qualifiziertes Verschulden des Arbeitgebers vor, das zu berücksichtigen ist. Dazwischen ist die vom Gesetzgeber zwar als legitime, aber gesteigerte Verantwortung für die aus unternehmerischer Sicht notwendigen Änderungen von Anforderungsprofilen zu verorten, die zur Folge hat, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung gehalten ist, gem. § 1 II 3 KSchG die Kündigung durch Fortbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen abzuwenden.
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Beispiel nach Latzel, RdA 2013, 73. Beispiel nach Kurt, RdA 2017, 230. Hromadka, RdA 1992, 234, 253.
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V. Verantwortung für eine fehlerhafte Sozialauswahl Dadurch, dass neben dem betrieblichen Erfordernis für eine Kündigung auch eine Sozialauswahl nach § 1 III KSchG zu erfolgen hat, können auch Fehler bei der Sozialauswahl Anknüpfungspunkt der arbeitgeberseitigen Verantwortung sein. Das Gericht überprüft nicht den gesamten Auswahlvorgang, sondern beschränkt seine Kontrolle auf das Auswahlergebnis.742 Dies muss eine ausreichende Berücksichtigung der im Gesetz genannten sozialen Faktoren widerspiegeln. Dabei kommt dem Arbeitgeber ein gewisser Beurteilungsspielraum zu; er ist weder gehalten die bestmögliche Auswahl zu treffen, noch kann das Gericht sein eigenes Bewertungsschema an dessen Stelle setzen.743 Der gerügte Auswahlfehler muss beachtlich für die konkrete Kündigungsentscheidung gewesen sein, damit die Kündigung für unwirksam erklärt werden kann. Dem Arbeitnehmer steht es frei, sich auf lediglich das Kollektiv betreffende Fehler zu berufen, sofern der Arbeitgeber den Vorwurf nicht entkräftet, kann die Kündigung auch in diesen Fällen als sozial ungerechtfertigt angesehen werden. Kann der Arbeitgeber hingegen darlegen, dass dem Arbeitnehmer auch bei ordnungsgemäßer Sozialauswahl gekündigt worden wäre, ist die Auswahlentscheidung noch „ausreichend“, der Fehler wird unbeachtet gelassen.744 Steht indes fest, dass der Arbeitnehmer bei Unterbleiben des Fehlers nicht hätte gekündigt werden dürfen, ist die Kündigung unwirksam, da die Voraussetzungen der Kündigung nicht vorliegen.
VI. Ergebnis Die dargestellten Beispiele haben gezeigt, dass den Arbeitgeber auch eine gesteigerte Verantwortung an den zu einer betriebsbedingten Kündigung führenden Umständen treffen kann. Im nächsten Kapitel wird daher zu untersuchen sein, ob dieses Verhalten von den bei Vertragsschluss vorhandenen Vorstellungen der Parteien abweicht und dem gebilligten Kündigungsrisiko des Arbeitnehmers widerspricht. Die Qualifikation der arbeitgeberseitigen Verantwortung, die notwendig ist, um bei der betriebsbedingten Kündigung berücksichtigt zu werden, liegt also dann vor, wenn die vom Arbeitgeber letztlich zur Kündigung führende Entscheidung eine solche ist, die über das vom Arbeitnehmer übernommene Betriebsrisiko hinausgeht. Rechtsmissbräuchliches Verhalten wird daher Auswirkungen haben. Inwieweit 742 BAG, Urt. v. 02. 03. 2006 – 2 AZR 23/05 – NZA 2006, 1350, 1351; BAG, Urt. v. 15. 06. 1989 – 2 AZR 580/88 – BAGE 62, 116, 123; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 305; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 332, 370. 743 BAG, Urt. v. 31. 05. 2007 – 2 AZR 276/06 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 94; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn. 385. 744 BAG, Urt. v. 09. 11. 2006 – 2 AZR 812/05 – NZA 2007, 549, 551 womit das BAG seine bisherige Rspr. zum sog. Domino-Effekt aufgegeben hat. Bis dahin hatte das BAG die Ansicht vertreten, dass sich alle Arbeitnehmer auf den Auswahlfehler berufen konnten und die Kündigung unwirksam war, auch wenn sie nicht vom Fehler selbst betroffen waren.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
Verhaltensweisen, die zwar schuldhaft sind, aber dennoch unter dem Schutz der unternehmerischen Freiheit stehen, Berücksichtigung finden können, wird ebenfalls im nächsten Kapitel745 untersucht.
E. Verantwortung für Fehlervermeidung bei allen Kündigungsarten I. Anhörungspflicht, § 102 BetrVG Gem. § 102 BetrVG746 ist der Arbeitgeber verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung den Betriebsrat anzuhören, sofern ein solcher im Betrieb gebildet ist. Die Norm verfolgt individuelle und kollektive Schutzziele.747 Zum einen soll die Anhörungspflicht den Arbeitgeber zu einer intensiveren Berücksichtigung der Arbeitnehmerbelange veranlassen und in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass eine Kündigung ganz unterbleibt.748 Zum anderen wird durch die Beteiligung des Betriebsrats bezweckt, dass dieser Einfluss auf die Zusammensetzung der Belegschaft nehmen kann.749 Gleichwohl ist der Arbeitgeber in seiner Kündigungsentscheidung nicht an die Stellungnahme des Betriebsrats gebunden. Die Pflicht erstreckt sich auf die Mitteilung der für die Kündigung relevanten Umstände (subjektive Determiniertheit), so dass der Betriebsrat in der Lage ist den Kündigungssachverhalt zu beurteilen und seine Sicht dem Arbeitgeber darlegen kann. Ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht führt zur Unwirksamkeit der Kündigung, welches gesetzlich angeordnet ist (§ 102 I 3 BetrVG) und die Anhörung zur Wirksamkeitsvoraussetzung macht.750 Obwohl § 66 BetrVG 1952 eine solche Rechtsfolge nicht explizit vorsah, hatte die Rechtsprechung nach dem Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung den Ausschluss des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts bei einem Verstoß gegen die Anhörungspflicht angenommen. Dem Arbeitgeber blieb es verwehrt, sich auf einen an sich berechtigten Kündigungsgrund zu berufen, da er selbst seine ihm obliegende Pflicht, den Betriebsrat zu konsultieren, verletzt hatte.751 Die Argumentation der Rechtsprechung, wonach das Verhalten des Arbeitgebers als „unzulässig“ bzw. „verwirkt“ gewertet wurde752, hat ihre Grundlage in Treu und Glauben (§ 242 BGB). 745
Siehe Dritter Teil unter § 8. Vgl. die Parallelvorschrift § 79 IV BPersVG im öffentlichen Dienst, wonach eine Kündigung mangels Anhörung des Personalrats ebenfalls unwirksam ist. 747 APS/Koch, § 102 BetrVG Rn. 1; vgl. Richardi BetrVG/Thüsing, § 102 Rn. 4. 748 APS/Koch, § 102 BetrVG Rn. 2. 749 BAG, Urt. v. 15. 12. 1994 – 2 AZR 327/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 67; BAG, Urt. v. 09. 05. 1959 – 2 AZR 474/58 – AP Internat. Privatrecht, Arbeitsrecht Nr. 3. 750 BAG, Urt. v. 01. 04. 1976 – 2 AZR 179/75 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 8; APS/Koch, § 102 BetrVG Rn. 151; Richardi BetrVG/Thüsing, § 102 Rn. 5. 751 BAG, Urt. v. 15. 09. 1954 – 1 AZR 258/54 – AP BetrVG § 66 Nr. 1. 752 BAG, Urt. v. 15. 09. 1954 – 1 AZR 258/54 – AP BetrVG § 66 Nr. 1. 746
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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Fraglich ist, ob der von der Rechtsprechung damals verfolgte Ansatz, der unzulässigen Rechtsausübung, zur Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens der Kündigungsbefugnis erneut herangezogen werden kann, wenn es darum geht pflichtwidriges kündigungsrelevantes Verhalten des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dazu bedarf es einer näheren Betrachtung. In der zitierten Entscheidung des BAG wollte der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung kündigen, hatte sich aber selbst pflichtwidrig verhalten, dadurch, dass er den Betriebsrat nicht anhörte. Die Bezeichnung dieses Verhaltens als unzulässig legt die Vermutung nahe, dass das BAG dabei von dem seit einer Entscheidung des Reichsgerichts753 immer wiederkehrenden Grundsatz der Vertragstreue ausging, wonach jemand, der selbst nicht vertragstreu ist, keine Rechte aus der Vertragsverletzung des Gegners herleiten darf.754 Die rechtlichen Konsequenzen755 eigenen vertragsuntreuen Verhaltens können nicht uneingeschränkt auf die vorliegende Problematik übertragen werden. Erstens ist die Rechtsfolge des Rechtsverlusts zu pauschal. Wenn es sich nicht um gleichartige Pflichtverletzungen handelt, z. B. bei Haupt- und Nebenpflichtverletzungen, schaffen spezifische Rechtsbehelfe einen gerechteren Interessenausgleich. Wenn beispielsweise der Schuldner bei der Anlieferung die Tür des Gläubigers zerstört, der Gläubiger indes den Kaufpreis nicht zahlt, entspricht die wechselseitige Verpflichtung zum Schadensersatz eher den Interessen der Parteien als der Ausschluss des Rücktrittsrechts zum Nachteil des Schuldners. Zweitens fehlt es den meisten zivilrechtlichen Normen an einem bestrafenden Zweck756, so dass der Rechtsverlust als Sanktion für das eigene Fehlverhalten als systemfremd erschiene. Die unterlassene Betriebsratsanhörung ist keine, die den Kündigungsgrund mitverursacht hat, sondern, weil das Ergebnis der Anhörung eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit hätte sein können, sich auf die Frage der Erforderlichkeit der Kündigung auswirkt. Insofern war es zwar richtig, die fehlende Anhörung des Betriebsrats zur Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung zu erheben. Dahinter stand jedoch nicht der Gedanke einen Verantwortungsbeitrag des Arbeitgebers am Kündigungsgrund zu berücksichtigen, sondern mit Hilfe des Betriebsrats die Kündigung zu vermeiden. Daher kann die damalige Rechtsprechung nicht auf die vorliegende Untersuchung übertragen werden.
753 BGH, Urt. v. 13. 11. 1998 – V ZR 386/97 – NJW 1999, 352, 353; BGH, Urt. v. 14. 07. 1971 – VIII ZR 49/70 – NJW 1971, 1747, 1748; OLG Nürnberg, Urt. v. 26. 07. 2017 – 2 U 17/7 – NJW-RR 2017, 1263, 1265; RG, Urt. v. 04. 09. 1936 – VII 42/36 – RGZ 152, 119, 123. 754 Angelehnt an die Tu-quoque-Formel RG, Urt. v. 10. 01. 1908 – II 280/07 – RGZ 67, 313, 318 f.; eingehend dazu Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 10 ff. 755 Näher dazu Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 10 ff. 756 Zu den Bedenken gegen eine Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden (§ 253 BGB) Mugdan II, S. 12.
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2. Teil: Die Verantwortung für Störungen im Arbeitsverhältnis
II. Pflicht zur Weiterbeschäftigung Vor Ausspruch einer Beendigungskündigung ist der Arbeitgeber unabhängig vom Grund der Kündigung verpflichtet das Vorhandensein anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Auch wenn es sich hierbei letztlich um nichts anderes als die Konkretisierung des milderen Mittels im Sinne des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes handelt, wird die Weiterbeschäftigungspflicht auf § 1 II 2 Nr. 1b und Nr. 2b KSchG gestützt, die auch in den Fällen zur Anwendung kommen, in denen der Betriebsrat der Kündigung nicht widersprochen hat.757 Die Weiterbeschäftigungspflicht erstreckt sich auf freie sowie in absehbarer Zeit frei werdende Stellen im Unternehmen, die mit der bisherigen Beschäftigung vergleichbar sind, d. h. dem bisherigen Stellenanforderungsprofil entsprechen.758 Ferner muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen anbieten, mithin eine Änderungskündigung aussprechen, da die Versetzung auf solche Arbeitsplätze nicht von seinem Direktionsrecht umfasst ist.759 Einen Anspruch auf Beförderung auf einen höherwertigen Arbeitsplatz hat der Arbeitnehmer hingegen nicht.760 Eine Pflicht zur Freikündigung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes besteht nicht.761 Wird einem Arbeitnehmer gekündigt, obwohl eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung bestand, liegt ein arbeitgeberseitiges Fehlverhalten vor, wodurch zwar nicht die Störung im eigentlichen Sinne mitherbeigeführt wurde, wodurch aber, dadurch dass die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit eine weitere Voraussetzung der Kündigung ist, die Kündigungsmöglichkeit als solche geschaffen wurde.
F. Ergebnis Zur Bestimmung der Gläubigerverantwortlichkeit sind die Zurechnungsregeln aus § 276 I 1 BGB (analog) heranzuziehen. Für Pflichtverletzungen hat der Gläubiger genau wie der Schuldner für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen. Dies folgt aus § 276 I 1 BGB unmittelbar, da sich die Verletzung von echten Pflichten nach dem allgemeinen Sorgfaltsmaßstab beurteilen lässt. Verletzt der Gläubiger bloße Obliegenheiten, die seinen eigenen Interessen dienen, hat er diese mangels Pflicht zur 757
LKB/Krause, § 1 Rn. 191; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 229. KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 230 ff.; LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 145, 342 ff. 759 MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 107. 760 BAG, Urt. v. 29. 03. 1990 – 2 AZR 369/89 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50. 761 BAG, Urt. v. 28. 04. 1998 – 9 AZR 348/97 – NZA 1999, 152, 153; BAG, Urt. v. 29. 01. 1997 – 2 AZR 9/96 – NZA 1997, 709, 710; BAG, Urt. v. 10. 07. 1991 – 5 AZR 383/90 – NZA 1992, 27, 29 f.; Mückl/Hiebert, NZA 2010, 1259, 1264 unter Bezugnahme auf BAG, Urt. v. 08. 02. 1966 – 1 AZR 365/65 – NJW 1966, 1429. 758
§ 3 Mitverantwortung des Arbeitgebers
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eigenen Interessenwahrnehmung analog § 276 I 1 BGB zu verantworten, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Entsprechend § 276 I 1, 2. HS BGB kann sich aus dem Schuldverhältnis auch für den Gläubiger eine strengere, also verschuldensunabhängige, Verantwortung ergeben. Der allgemeinen Gläubigerverantwortlichkeit entsprechend kann der Arbeitgeber für die kündigungsrelevanten Störungen ebenfalls aufgrund von Verschulden oder verschuldensunabhängig (mit-)verantwortlich sein. Da der verhaltensbedingte Kündigungsgrund eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, muss der Arbeitgeber spiegelbildlich zum Pflichtverstoß des Arbeitnehmers ebenfalls eine Pflicht schuldhaft verletzt haben. Pflichten des Arbeitgebers, die im Hinblick auf die Vermeidung eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes bestehen, sind z. B. die ordnungsgemäße Ausübung des Weisungsrechts, die allgemeine Organisationspflicht und Compliance. Für die personenbezogene Störung kann der Arbeitgeber ebenfalls durch schuldhafte Verstöße gegen Pflichten, die den Schutz des Arbeitnehmers hinsichtlich seines Lebens, seiner Gesundheit und seines Persönlichkeitsrechts betreffen, verantwortlich sein. Darüber hinaus trifft den Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsherrschaft über den Betrieb eine verschuldensunabhängige Verantwortung für arbeitsbedingte Erkrankungen. Für den betriebsbedingten Kündigungsgrund ist der Arbeitgeber per definitionem verantwortlich, dadurch, dass er die zum betrieblichen Erfordernis führenden Entscheidungen trifft. Zwar ließen sich im Hinblick auf die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen mit Hilfe betriebswirtschaftlicher Sachverständigengutachten Fehlentscheidungen ermitteln, jedoch führt dies nicht zu einem Verschulden des Arbeitgebers für den Kündigungsgrund, denn hinsichtlich der Art und Weise der Betriebsführung bestehen keine den Arbeitnehmer schützende Pflichten. Den Arbeitnehmer schützende Pflichten, die im Zusammenhang mit der Vermeidung des betrieblichen Erfordernisses stehen und für deren Verstoß der Arbeitgeber im Fall von Verschulden verantwortlich ist, sind u. a. die Pflicht zur Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz und die Pflicht zur betriebsverfassungskonformen Beschäftigung.
Dritter Teil
Auswirkungen der arbeitgeberseitigen Mitverantwortung auf die Kündigungsbefugnis Im vorherigen Kapitel wurde dargelegt, dass es Kündigungssituationen gibt, in denen die personen- oder verhaltensbezogene Störung abweichend vom gesetzlichen Grundgedanken aus der Sphäre des Arbeitgebers stammen kann. Auch bezüglich des betrieblichen Erfordernisses lässt sich eine gesteigerte Verantwortlichkeit des Arbeitgebers feststellen. Im Folgenden geht es um die Frage, welche Konsequenzen die alleinige oder teilweise (Mit-)Verantwortung des Kündigungserklärenden an der Entstehung des Kündigungsgrundes für dessen Kündigungsbefugnis hat. Bereits geklärt ist, wie Mitverschulden bei der Haftung und Mitverantwortung an der Herbeiführung des Rücktritts- und Kündigungsrechts nach den §§ 323, 626 BGB zu berücksichtigen ist. Ob sich daraus Anhaltspunkte für die vorliegende Fragestellung entnehmen lassen, wird Teil dieses Untersuchungsschritts sein. Daher erfolgt zunächst eine Zusammenfassung der allgemeinen Lösungen eigene Verantwortung zu berücksichtigen, um sodann in einem zweiten Schritt deren Übertragbarkeit auf das Kündigungsrecht nach dem Kündigungsschutzgesetz zu prüfen.
§ 4 Allgemeine Lösungswege zur Berücksichtigung von Mitverantwortung Die verschiedenen Möglichkeiten, die beiderseitige Verantwortung zweier Parteien hinsichtlich einer Störung zu berücksichtigen, erstrecken sich von vollständiger Berücksichtigung durch Kompensation über Abwägung und Wertung nach Verantwortungsbeiträgen hin zum Zerrüttungsprinzip im Scheidungsrecht, bei dem es auf die Schuldfeststellung in Bezug auf das Scheitern der Ehe grundsätzlich nicht ankommt. Diese Prinzipien werden im Folgenden kurz dargestellt, um darauf aufbauend untersuchen zu können, ob sie sich auf die von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verantwortende Kündigung übertragen lassen.
A. Rechtsausschluss Der vollständige Rechtsausschluss kommt als Rechtsfolge vor, wenn das Mitverschulden den Tatbestand des auszuübenden Rechts entfallen lässt. Oder nach der
§ 4 Lösungswege zur Berücksichtigung von Mitverantwortung
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Theorie der Kulpakompensation, wenn das Fehlverhalten des Geschädigten das Verschulden des Schädigers kompensiert, so dass der Schadensersatzanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann. Schließlich kann der Rechtsausschluss das Ergebnis einer Abwägung der beiderseitigen Verantwortungsbeiträge sein, wenn die Verantwortung der einen Seite, die der anderen Seite erheblich überwiegt.
I. Fortfall des Tatbestandes Aufgrund vertragswidrigen Verhaltens einer Vertragspartei, kann der anderen Vertragspartei ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) oder ein Notwehrrecht (§ 227 BGB) zustehen. Wie oben bereits dargelegt, müssen vertragswidrige Weisungen nicht befolgt werden.1 Nimmt die Seite, deren Verhalten die Rechtfertigungsgründe begründet, Schlecht- oder Nichtleistungen der anderen Vertragspartei zum Anlass das Vertragsverhältnis aufzulösen, fehlt es am Tatbestand einer Pflichtverletzung, weil die andere Vertragspartei in berechtigterweise ihre Leistung zurückhält, die Weisung nicht befolgt oder ihr sonstiges Handeln gerechtfertigt ist. Die Verantwortung für das eigene Fehlverhalten kann also das Fehlverhalten der anderen Vertragsseite entfallen lassen, mit der Folge, dass das Recht sich darauf zu berufen nicht besteht.
II. Die Kulpakompensation Die Kulpakompensation, die Parallelen zur tu-quoque-Regel aufweist2, ist ein Rechtssatz des gemeinen Rechts zur Regelung der Haftungsverpflichtung, wenn ein Schaden sowohl auf dem Verhalten des Schädigers als auch auf dem des Geschädigten selbst basiert. Danach kompensiert das Verschulden des Geschädigten das des Schädigers mit der Konsequenz, dass der Geschädigte seinen Schaden nicht ersetzt verlangen kann.3 Grundlage dieser Verrechnung war eine Billigkeitserwägung: Fremdes Verschulden dürfe nicht von demjenigen geltend gemacht werden, dem ein vergleichbarer Vorwurf zur Last fällt.4 Ein geringes Eigenverschulden war ausreichender Grund dem Geschädigten die alleinige Verantwortung zuzurechnen. Leichte Modifizierungen erfuhr das bis dahin als „alles-oder-nichts“ verstandene Prinzip im 1
Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. II. 2. a). Vgl. E. Lorenz, JuS 1972, 311, 313. 3 Demelius, Ueber die Kompensation der Kulpa, JhJb 5 (1861), 52, 62 ff.; Koch, Die Lehre von der Compensation, S. 142 ff.; Pernice, Zur Lehre von den Sachbeschädigungen nach römischem Rechte, S. 58 ff. 4 HKK/Jansen, § 254 Rn. 12 m. w. N. Teilweise wurde auf Digestenstelle D. 50,17,203 verwiesen (Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. II, S. 37), die tatsächlich keine Haftungsfragen beinhaltete, sondern aus dem Vermächtnisrecht stammte (Jansen, HWB EuP, Bd. II, S. 1081). 2
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
17. Jahrhundert, als sich die Auffassung durchsetzte, dass nur gleiches oder überwiegendes Mitverschulden die Haftung des Schädigers ausschließt.5 Obwohl bis zur Einführung des BGB viele die Kulpakompensation überzeugend fanden6, war neben der Härte des vollständigen Anspruchsausschlusses problematisch, inwieweit der Geschädigte einer gegen sich selbst gerichteten Sorgfaltspflicht unterliegt, deren Missachtung einen Schuldvorwurf rechtfertigt7, denn ein gesetzlicher Zwang zum Schutz der eigenen Interessen und Rechtsgüter widerspräche der Privatautonomie. Zudem fehlte eine Erklärung dafür, warum das Verschulden des Geschädigten und nicht das des Schädigers ausschlaggebend in der Ermittlung der Haftungsverpflichtung sein sollte.8 So kann es sein, dass die Pflichtverletzung der einen Seite bereits auf Tatbestandsebene eine Pflichtverletzung der anderen Seite ausschließt, beispielsweise, wenn seitens des Gläubigers kein einredefreier Anspruch besteht, kann der Schuldner gar nicht in Verzug mit der Leistung kommen, der Bedarf nach einer Kulpakompensation besteht folglich nicht. Mit der Regelung des § 254 BGB hat sich der Gesetzgeber schließlich von der Kulpakompensation (zumindest) im Schadensrecht abgewandt.9 Verschuldensanteile sind anteilsmäßig zu berücksichtigen. Wie sich aus § 254 I BGB ergibt, schließt eigenes Verschulden bezüglich der Schadensverursachung die Geltendmachung von Schadensersatz auch nicht aus, sondern mindert nur die Anspruchshöhe. Aus diesen Gründen ist das Prinzip der Kulpakompensation nicht weiter zu verfolgen.10
III. Überwiegende Verantwortung, § 323 VI BGB Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung hatte sich der Gesetzgeber zum Ziel gesetzt, eine Lösung für die bis dahin umstrittene Frage zu finden, wie sich eine Mitverantwortung des Gläubigers in Bezug auf die Unmöglichkeit der Leistung auswirkt.11 Gesetzlich geregelt war lediglich, dass der Schuldner seinen Anspruch auf die Gegenleistung im Falle des einseitigen Vertretenmüssens des Leistungshindernisses durch den Gläubiger behält, vgl. § 324 I 1 BGB a. F., nicht aber wie bei beiderseitiger Verantwortung zu verfahren ist. Dass eine weit überwiegende Verantwortung des Gläubigers ausreichend ist, um dem Schuldner bei einem von diesem 5 Von Eisenbach, De compensatione circa maleficia, vel quasi, occasione legis XXXVI. Dig. de dolo malo, S. 23 f., 35, 48, wurde dies als die herrschende Lehre bezeichnet. 6 Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht, Zweite Abteilung: Die Lehre von dem Interesse, S. 157; v. Leyden, Die Culpacompensation im BGB, S. 36; Wendt, JherJB 31 (1892), 147 ff. 7 HKK/Jansen, § 254 Rn. 15 m. w. N. 8 GK-Online BGB/Looschelders (Stand: 01. 03. 2021), § 254 Rn. 2.2. 9 Mugdan II, S. 12 f. 10 Huber, Leistungsstörungen, Bd. II, § 57 I.; E. Lorenz, JuS 1972, 311, 312 ff. 11 Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz, in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 211.
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nicht zu vertretenden Leistungshindernis dessen Anspruch auf die Gegenleistung zu belassen, regelt nun der heutige § 326 II 1 BGB. Diesen Gedanken übertrug man auf den allgemeinen Rücktrittstatbestand.12 Dies war notwendig geworden, weil durch die Schuldrechtsmodernisierung mit dem Tatbestand des § 323 I BGB (Nicht- und Schlechtleistung) die bisherigen spezialgesetzlichen Regelungen zum Rücktritt im Kauf- und Werkvertragsrecht vereinheitlicht, verallgemeinert und zusammengeführt wurden. Das Recht zum Rücktritt wegen Unmöglichkeit der Leistung, ein Unterfall der Nichtleistung, wurde indes gesondert in einer eigens geschaffenen, die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit enthaltenden Vorschrift geregelt. Der Ausschluss des Rücktrittsrechts in § 323 VI BGB wurde also vor dem gleichen Hintergrund normiert, der auch der den § 324 I BGB a. F. beherrschenden Gedanke war: Niemand sollte Rechte daraus herleiten können, dass er durch ein von ihm zu verantwortendes Verhalten, den anderen Vertragsteil bei der Erbringung seiner Leistung behindert, ihm diese erschwert oder gar unmöglich macht.13 Umgekehrt setzt die Befugnis ein für den anderen Vertragsteil belastendes Recht auszuüben voraus, dass dieser die Störung der Vertragsbeziehung zu verantworten hat. Nur wenn man diese Verantwortungsverteilung zugrunde legt, lässt sich mit Fug und Recht behaupten, die Ausübung eines Rechts durch den Gläubiger, dessen Voraussetzungen er durch eigenes Fehlverhalten herbeigeführt hat, sei treuwidrig. Treuwidrig ist es deshalb, weil der Gläubiger ein gesetzliches Leitbild für sich in Anspruch nimmt, dessen Voraussetzungen tatsächlich nicht vorliegen. Dem anderen Vertragsteil würde etwas aufgebürdet, obwohl er in Abweichung vom gesetzlich vorgesehenen Normalfall dies nicht zu verantworten hätte. Die Regelung hat daher den Schutz des Schuldners zum Ziel. Dieser soll nicht schlechter aber auch nicht besser stehen, als er ohne das Gläubigerverhalten stünde.14 Dann hätte er entweder ordnungsgemäß erfüllt und sich seinen Anspruch auf die Gegenleistung verdient oder er hätte zwar schlecht geleistet, müsste ggf. nacherfüllen und Schadensersatz leisten, verlöre seinen Anspruch auf die Gegenleistung erst, wenn der Gläubiger seinen Rücktritt vom Vertrag erklärte. Bei alleiniger Verantwortlichkeit des Gläubigers, welche zur Unmöglichkeit der Leistung führt, bleibt der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung, in voller Höhe bestehen. Ob in § 326 II 1 BGB (und § 324 I BGB a. F.) eine Fiktion dahin-
12 BT-Drs. 6857, „Die Gläubigerverantwortlichkeit sollte auch dann, wenn die Nichtleistung des Schuldners auf anderen Umständen als den in § 275 RE (Unmöglichkeit der Leistung) beruht, nicht unberücksichtigt bleiben.“, in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 765. 13 MünchKomm BGB/Emmerich, 4. Aufl., § 324 Rn. 2. Dahinter verbirgt sich der aus jahrzehntelanger Rechtsprechung überlieferte Rechtssatz, „wer selbst vertragsuntreu ist, kann in der Regel aus der Vertragsverletzung des Gegners keine Rechte herleiten.“ [Tu-quoqueRegel] (RG, Urt. v. 10. 01. 1908 – II 280/07 – RGZ 67, 313, 319; demfolgend BGH, Urt. v. 14. 07. 1971 – VIII ZR 49/70 – NJW 1971, 1747, 1748; BGH, Urt. v. 03. 10. 1962 – NJW 1962, 2198, 2199; BGH, Urt. v. 19. 11. 1959 – VIII ZR 115/58 – WM 1960, 110; RG, Urt. v. 04. 09. 1936 – VII 42/36 – RGZ 152, 119, 123; Staudinger/Kaiser (2012), BGB § 349 Rn. 64). Kritisch dazu E. Lorenz, JuS 1972, 311, 314. 14 Vgl. Kern, AcP 200 (2000), 684, 686 zur Vorgängerregelung (§ 324 BGB a. F.).
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
gehend zu sehen ist, dass der Schuldner ordnungsgemäß geleistet hätte15, erscheint vor dem Hintergrund, dass der Norm die Dogmatik des Schadensrechts zu Grunde liegt16, wiederum fraglich. Dass der Anspruch auf die Gegenleistung erlischt, wenn der Schuldner wegen Unmöglichkeit außer Stande ist, zu leisten, ist die Konsequenz aus der synallagmatischen Verknüpfung der Ansprüche auf Leistung und Gegenleistung: Ohne A kein B. Die Regelung des § 326 II 1 BGB ist insofern eine gewollte Ausnahme von der gesetzlich vorgesehenen Ausgangssituation, wodurch die Gefahr aus den genannten Gründen zu Lasten des Gläubigers verlagert wird. Die alternative Lösung wäre gewesen, die Gläubigerverantwortlichkeit nicht zu berücksichtigen, es also dabei zu belassen, dass der Schuldner seinen Anspruch auf die Gegenleistung verliert, § 326 I BGB (§ 323 I BGB a. F.), und ihm stattdessen nur Schadensersatz, gerichtet auf den entgangenen Gegenleistungsanspruch, zu gewähren. Da der Schuldner, könnte er lediglich Schadensersatz verlangen, wesentlich schlechter stünde, hat sich der Gesetzgeber für die Aufrechterhaltung des Gegenleistungsanspruchs entschieden.17 Wenn die Aufrechterhaltung des Gegenleistungsanspruchs den Schadensersatzanspruch des Schuldners ersetzen soll, ist dieser im Fall der vom Schuldner mit zu verantwortenden Unmöglichkeit entsprechend den im Schadensrecht geltenden Grundsätzen nach § 254 I BGB zu kürzen („Geminderte Gegenleistungspflicht bei Abstandnahme“).18 Voraussetzung einer Lösung allein nach §§ 326 II 1, 254 I BGB ist aber, dass der Gläubiger seinerseits nicht Schadensersatz verlangt. Zu berücksichtigen ist, dass dem Gläubiger im Fall der vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 I, III, 283 BGB unabhängig von der eigenen Verantwortung zusteht. Dem Gläubiger steht es jedoch frei, diesen Schadensersatzanspruch geltend zu machen oder vom Vertrag Abstand zu nehmen, sich also mit dem Verlust des Leistungsanspruchs abzufinden (§ 275 I – III BGB) und auf den an die Stelle der Leistung tretenden Schadensersatzanspruch zu verzichten. Von der Forderung des Gläubigers hängt es daher ab, wie die beiderseits zu verantwortende Unmöglichkeit zu berücksichtigen ist. Macht der Gläubiger seinen Schadensersatzanspruch geltend, bleibt er zur vollen Gegenleistung verpflichtet, während bei dem vom Schuldner zu leistenden Schadensersatzanspruch die Verantwortung des Gläubigers entsprechend § 254 I BGB in Abzug zu bringen ist („Ungeminderte Gegenleistungspflicht bei Schadensersatz“).19 Unterlässt der Gläubiger seine Schadensersatzforderung, bleibt es bei dem um das eigene Verschulden gekürzten Gegenleistungsanspruch des Schuldners.
15 So Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., § 324 Rn. 2; Kern, AcP 200 (2000), 684, 686; ablehnend Huber, Leistungsstörungen Bd. II, S. 750. 16 Huber, Leistungsstörungen Bd. II, S. 749 ff.; vgl. Müller, JZ 2016, 1099, 1101, der dafür plädiert den § 326 II BGB als „typisierte vertragliche Gefährdungshaftung“ zu verstehen. 17 Huber, Leistungsstörungen Bd. II, § 57 II 5 m. w. N. zum Gesetzgebungsverfahren. 18 Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 140. 19 Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 137 ff. Zu den weiteren Lösungsansätzen siehe Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 326 Rn. C 105 ff.
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Wenn indes die beiderseitige Verantwortung (nur) zur Nicht- oder Schlechtleistung und nicht zur Unmöglichkeit führt, kann § 254 I BGB nicht ohne weiteres angewandt werden, denn das Gestaltungsrecht „Rücktritt“ kann abgesehen von den wenigen Situationen, in denen ein Teilrücktritt möglich ist, entweder nur insgesamt oder gar nicht ausgeübt werden. Dessen Ausübung ist jedoch notwendig, damit sich der Gläubiger im Fall der Nicht- oder Schlechtleistung seiner Gegenleistungspflicht entziehen kann. Anders als bei der Nichtleistung infolge von Unmöglichkeit erlischt der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung nicht ipso iure, sondern erst wenn der Gläubiger von seinem Recht zum Rücktritt Gebrauch macht, wozu dieser grundsätzlich berechtigt ist, da das Festhalten an einem nicht zur Leistung fähigen Vertragspartner grundsätzlich unzumutbar ist.20 In Anlehnung daran ließe sich formulieren, dass dem Rücktrittsrecht der Gedanke zu Grunde liegt, dass das Gegenseitigkeitsverhältnis unter der auflösenden Bedingung steht, dass eine der Parteien ihren vertraglichen Pflichten nicht nachkommt. Dieser Gedanke wiederum unterliegt der stillschweigenden Bedingung21 oder der ungeschriebenen Voraussetzung, dass die Bindung des Gegners an den Vertrag nur bei eigener Vertragstreue verlangt werden könne.22 Dieses auf das Rücktrittsrecht zugeschnittene Ausübungshindernis wurde lange Zeit in der Rechtsprechung, wenn auch nicht stets konsequent, verwendet23, bevor es im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung eine Verankerung im Gesetz in Form des Ausschlusses des Rücktrittsrechts bei Verantwortung für den Rücktrittsgrund erfahren hat.24 Da das Rücktrittsrecht verschuldensunabhängig ausgestaltet ist, hätte sich der Gläubiger seiner Gegenleistungspflicht auch dann entziehen können, wenn er selbst für die Nicht- oder Schlechtleistung verantwortlich wäre. Um dies zu verhindern 20
Canaris, Schuldrechtsreform, S. 594 f. mit Verweis auf BT-Drs. 14/6857, wonach vorausgesetzt wird, dass eine zur Abhilfe gesetzte Frist ergebnislos verstrichen ist. 21 So die Herleitung von Hattenhauer (HKK/Hattenhauer, §§ 323 – 325 Rn. 2), der diesen Gedanken, gestützt auf die bona fides, erstmals im kanonischen Recht und später darauf rekurrierend im Naturrecht ausmacht (HKK/Hattenhauer, §§ 323 – 325 Rn. 18, 21, jeweils m. w. N.). Hattenhauer beruft sich dabei auf die „condicio tacita“ oder der im französischen gebräuchlichen „condition résolutoire sous-entendue“, wie es in Art. 1184 des französischen code civil von 1804 heißt, welcher hier als gemeineuropäisches Modell zur Auslegung der Parteienabrede heranzuziehen sei (HKK/Hattenhauer, §§ 323 – 325 Rn. 2). Vgl. Canaris, Schuldrechtsreform, S. XVII, der ähnlich auf die Gebote der Vertragsbindung und Vertragsgerechtigkeit abstellt und zu dem Schluss kommt, dass derjenige, der selbst nicht zur Leistung bereit oder in der Lage ist, nicht vom anderen Vertragspartner erwarten kann, dass dieser am Vertrag festhält. Das Risiko der Vertragsauflösung trüge der nicht zur Leistung fähige Vertragspartner. 22 MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 272. 23 BGH, Urt. v. 26. 10. 1973 – V ZR 204/71 – NJW 1974, 36, 37; BGH, Urt. v. 10. 07. 1970 – V ZR 162/67 – WPM 1970, 1246; BGH, Urt. v. 12. 11. 1957 – VIII ZR 311/56 – NJW 1958, 177. 24 MünchKomm BGB/Ernst, § 323 Rn. 272. Die Berücksichtigung der Gläubigerverantwortlichkeit war in § 324 BGB a. F. nur für die Unmöglichkeit geregelt, nicht in der Vorgängervorschrift vom derzeitigen Rücktrittsrecht, § 326 BGB a. F., in welche sie aber von der Rechtsprechung hineingelesen wurde (kritisch hierzu z. B. Huber, Leistungsstörungen Bd. II, § 42 V).
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bedurfte es der Regelung in § 323 VI BGB, wonach das Rücktrittsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger für den zum Rücktritt berechtigenden Umstand verantwortlich ist. Dies bewirkt wie bei § 326 II 1 BGB (und § 324 I BGB a. F.), dass der Schuldner seine volle Gegenleistung fordern kann. Der Verlust des Rechts „Rücktritt“ auf Seiten des Gläubigers ist dabei das Mittel, um genauso wie bei § 326 II 1 BGB, den Schuldner davor zu bewahren, seinen entgangenen Gegenleistungsanspruch als Schadensersatz eintreiben zu müssen. Basiert eine an sich zum Rücktritt berechtigende Pflichtverletzung nunmehr auch auf einem vom Gläubiger zu verantwortenden Verhalten, kann ein gerechtes Ergebnis, die Kürzung des Gegenleistungsanspruchs des Schuldners entsprechend dem eigenen Verschuldensbeitrag, durch die teilweise Ausübung des Rücktrittsrechts nur bei Teilbarkeit der Leistung erreicht werden. Bei Unteilbarkeit der Leistung besteht hingegen neben der Möglichkeit, die Ausübung des Rücktrittsrechts zuzulassen, nur die Alternative des Ausschlusses. Die Berücksichtigung der Gläubigerverantwortlichkeit kann also nur darauf hinauslaufen, dass das Rücktrittsrecht ausgeschlossen oder nicht ausgeschlossen wird. Das mit der Vorschrift bezweckte Ziel, den Schuldner so zu stellen wie er bei ordnungsgemäßer Leistung bzw. ohne das Gläubigerverhalten stünde, verfängt indes nur, solange die aus der Sphäre des Schuldners stammende Pflichtverletzung nur einen unerheblichen Anteil hat. Der Gläubiger verliert sein Recht zum Rücktritt erst dann, wenn er für die Störung des Vertragsverhältnisses weit überwiegend verantwortlich ist, was ausweislich der Gesetzesmaterialien der Fall sein soll, wenn ein Schadensersatzanspruch (des Gläubigers) wegen Mitverschuldens gem. § 254 I BGB nahezu ausgeschlossen wäre.25 Man wird also sagen können, dass der Gesetzgeber für den Anwendungsbereich der Regelung eine fast alleinige Verantwortung des Gläubigers vor Augen hatte. In den Fällen, in denen Gläubiger und Schuldner gleich viel oder der Gläubiger lediglich marginal mehr für den zum Rücktritt berechtigenden Umstand verantwortlich sind, bleibt es folglich dabei, dass der Gläubiger zurücktreten darf. Bloße Mitverantwortung wirkt sich also nur in den seltensten Fällen aus, grundsätzlich ist sie für das Recht zum Rücktritt unschädlich. Der Schuldner, der seinen Gegenleistungsanspruch verloren hat, trägt dann das Risiko den durch das Gläubigerverhalten erlittenen Schaden mangels vorwerfbarer Pflichtverletzung oder Beweisbarkeit nicht geltend machen zu können. Diese Risikoverteilung entspricht der gesetzlichen Ausgangssituation, dass sich der Schuldner seine Gegenleistung verdienen muss. Anders ist es nur bei alleiniger und nahezu alleiniger Gläubigerverantwortlichkeit, wie der eingangs erwähnte Fall zur missglückten Tätowierung26 zeigt. Die Klage der Klägerin auf Rückzahlung des geleisteten Entgelts wurde abgewiesen. Das Urteil des Gerichts stützt sich darauf, dass die Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 323 I BGB nicht vorgelegen haben, da die Klägerin keine zur Nachbesserung 25 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 211 mit Verweis auf den Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz. 26 Siehe Erster Teil unter § 1 A.
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angemessene Frist gesetzt hat und eine solche auch nicht entbehrlich war.27 Das Nachstechen wäre der Klägerin zumutbar gewesen, weswegen § 636 BGB nicht zur Anwendung kommt. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Fallgruppen des § 323 II BGB bot der Sachverhalt nicht; die Nachbesserung wurde ausdrücklich angeboten. Auf die Regelung des § 323 VI BGB musste das Gericht daher nicht mehr eingehen. Dennoch veranschaulicht der Fall, weswegen hier das Recht der Klägerin zum Rücktritt ausgeschlossen sein muss: Es ist die Tatsache, dass die Klägerin den zum Rücktritt berechtigenden Umstand, die nicht behobene Schlechtleistung, selbst herbeigeführt hat.28 Die fehlende Nachfristsetzung ist ebenfalls ein vom Gläubiger zu verantwortender Umstand29, welcher sich aufgrund des Fristsetzungserfordernisses nur nicht nach § 323 VI BGB auswirkt, sondern dazu führt, dass bereits mangels Vorliegens der Rücktrittsvoraussetzungen gem. § 323 I BGB das Recht zum Rücktritt nicht gegeben ist. Indem sie sich weigerte, das Tattoo nachstechen zu lassen, hinderte sie den Beklagten an der Herstellung desjenigen Zustands, der ursprünglich ihrem Wunsch entsprach. Ließe man den Rücktritt dennoch zu, widerspräche dies der gesetzgeberischen Konzeption, nach der der zum Rücktritt berechtigende Umstand, also sowohl die Schlecht- bzw. Nichtleistung als auch das Ausbleiben einer erfolgreichen Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist, vom Schuldner zu verantworten sein muss. Die Konsequenz eines Rollentauschs zwischen Schuldner und Gläubiger hinsichtlich der Verantwortungsverteilung muss sein, dass die Regelung nicht angewendet wird. Dies lässt sich durch einen Ausschluss des Rücktrittsrechts bewerkstelligen.
B. Erschwerung der Rechtsausübung Während der vorherige Abschnitt gezeigt hat, dass Folge eines eigenen Fehlverhaltens der Verlust eines Rechts sein kann, werden im folgenden Abschnitt Anwendungsbeispiele genannt, bei denen das eigene Fehlverhalten zur Erschwerung der Rechtsausübung führt. Dies zeigt sich u. a. im Schadens- und Kündigungsrecht sowie bei der Vertragsanpassung.
I. Gleichbehandlungsgebot bei der Schadensverursachung, § 254 I BGB Im Ergebnis herrscht heute Einigkeit darüber, dass der Schaden den Verursachungsbeiträgen von Schädiger und Geschädigtem entsprechend zu teilen ist 27 28 29
AG München, Urt. v. 17. 03. 2011 – 213 C 917/11 – NJW 2012, 2452. Kohler, AcP 215 (2015), 165, 186, 189. Staudinger/Schwarze (2020), BGB § 323 Rn. E 4.
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(Quotenlösung).30 Um die dogmatische Konstruktion der Anspruchskürzung wird indes gerungen: Der BGH31 und Teile der Literatur32 sehen in der Vorschrift eine spezialgesetzliche Ausprägung des Billigkeitsgrundsatzes von Treu und Glauben. Das Verlangen nach dem Ersatz eines Schadens, an dem der Geschädigte selbst mitgewirkt habe, sei ein Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium. Nach Ansicht von Looschelders ist es hingegen verfehlt für die Rechtfertigung der Anspruchskürzung auf die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs abzustellen. Vielmehr sei zuvorderst zu klären, warum die Forderung nach vollem Schadensersatz unbillig sei.33 Der Fokus müsse also auf die Schadensentstehung gerichtet werden. Aus dem Gleichbehandlungs- oder Symmetriegebot folge, dass ein Verhalten des Geschädigten, das in gleicher Weise den Schaden mit herbeigeführt hat, bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen ist. Dies sei notwendig, um ausgleichende Gerechtigkeit herzustellen. Dabei wird mit Selbstverständlichkeit von einer Quotelung der Schadenssumme entsprechend der „Tatbeiträge“ ausgegangen, obgleich sich dieses Verständnis erst später im Laufe des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts heraus gebildet hat und sich nicht nachweisen lässt, ob der historische Gesetzgeber diese Interpretation der Vorschrift tatsächlich bezweckte oder ob nicht an der getrennten Zurechnung einzelner Schadenspositionen festgehalten werden sollte.34 Die Quotenlösung habe erst aufgrund vergleichbarer Vorschriften in Österreich, Frankreich und der Schweiz an Zustimmung gewonnen und zur Ablösung der als unbillig empfundenen compensatio culpae geführt, welche jeweils in Anlehnung an das römische Recht eine „Alles-oder-nichts-Lösung“ enthielt.35 Ausgehend von dem heutigen Verständnis, dass ein beiderseitiges, von Schädiger und Geschädigtem schadensverursachendes Verhalten gleichermaßen zu berücksichtigen ist, erscheint die Schadensteilung entsprechend den Verursachungsbeiträgen als angemessener und praktikabler Interessenausgleich. Die Erschwerung bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz besteht also in der Anspruchskürzung. Mit Blick auf den Rücktritt oder die Kündigung kann eine Quotenlösung allerdings nur funktionieren, wenn Leistung und Gegenleistung teilbar sind, so dass sich 30 BGH, Urt. v. 14. 03. 1961 – VI ZR 189/59 – BGHZ 34, 355, 364 f.; GK-Online BGB/ Looschelders (Stand: 01. 03. 2021), § 254 Rn. 1 f.; MünchKomm BGB/Oetker, § 254 Rn. 2; Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 563 ff.; Honsell, Die Quotenteilung im Schadensrecht, S. 10 ff. 31 BGH, Urt. v. 28. 04. 2015 – VI ZR 206/14 – NJW-RR 2015, 1056, 1057; BGH, Urt. v. 18. 04. 1997 – V ZR 28/96 – BGHZ 135, 235, 240; BGH, Urt. v. 20. 03. 1979 – VI ZR 152/78 – BGHZ 74, 25, 36; BGH, Urt. v. 14. 03. 1961 – VI ZR 189/59 – BGHZ 34, 355, 363. 32 Adriani, Der Schuldbegriff in § 254 BGB, S. 22 ff.; Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 109 ff.; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 350 f.; Dunz, NJW 1986, 2234 ff.; heute Palandt/ Grüneberg, § 254 Rn. 1; Jauernig/Teichmann, § 254 BGB Rn. 1. 33 Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 146 ff.; GK-Online BGB/Looschelders (Stand: 01. 03. 2021), § 254 Rn. 10. 34 Siehe dazu ausführlicher HKK/Jansen, § 254 Rn. 26 ff. m. w. N. für die jeweiligen Deutungsansätze zu § 222 a. F. 35 Siehe Dritter Teil unter § 4 A. II.
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der Rücktritt oder die Kündigung auf einen Teilbereich beschränken ließe. Denkbar wäre z. B. die teilweise Kündigung des Arbeitsvertrags, um den Arbeitnehmer von einem bestimmten, besonderes Vertrauen in Anspruch nehmenden Aufgabengebietes zu entbinden, während andere Tätigkeiten noch weiter ausgeführt werden könnten. Liegt hingegen Unteilbarkeit vor, hat eine nur eingeschränkte Geltendmachung des Gestaltungsrechts keinen Sinn.
II. Unzumutbarkeit der Leistung In §§ 275 II, III, 439 IV, 635 III BGB wird dem Schuldner das Recht zur Verweigerung der Leistung eingeräumt. Gem. § 275 II 1 BGB, wenn diese einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zu den Leistungsinteressen des Gläubigers steht. Gem. § 439 IV 1 BGB und § 635 III BGB, wenn die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist eröffnet, wenn die Erbringung der Leistung zwar theoretisch möglich aber faktisch unmöglich ist. Die Leistungsbefreiung erfolgt nicht kraft Gesetzes, sondern erst wenn der Schuldner die Einrede erhebt. Die Einrede ist bei § 275 II 1 BGB am strengsten ausgestaltet.36 Sie erfordert, dass der vom Schuldner zu bewerkstelligende Aufwand völlig unverhältnismäßig ist.37 Dies ist in jedem einzelnen Fall nach den jeweiligen Umständen der Leistungserbringung zu beurteilen. Berücksichtigungsfähige Umstände sind der Wert der Leistung im Verhältnis zur Gegenleistung, der zeitliche Aufwand und die mit der Leistungserbringung einhergehenden Gefahren sowie das immaterielle Interesse des Gläubigers am Erhalt der Leistung.38 Der BGH hat z. B. angenommen, dass es für einen Vermieter unzumutbar gem. § 275 II 1 BGB ist, 95.000 – 170.000 E an Sanierungskosten aufzuwenden, wenn das vermietete Haus einen Verkehrswert von 28.000 E hat.39 Das OLG München hat es für unzumutbar angesehen 68.500 E für den Abriss und Wiederaufbau einer Halle aufzuwenden, die lediglich 18 cm zu kurz geraten ist, wodurch 4,5 qm Nutzfläche verloren gegangen sind, ansonsten aber keine Baumängel aufweist.40 Wie sich aus § 275 II 2 BGB ergibt, ist bei der Ermittlung des dem Schuldner zumutbaren Aufwands auch zu berücksichtigen, ob dieser das Leistungshindernis zu vertreten hat. Dabei ging es dem Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs weder darum, dem Schuldner, der das Leistungshindernis zu vertreten hat, vom Einwand der Unverhältnismäßigkeit auszuschließen41 noch sollte 36 37 38 39 40 41
Begr RegE BT-Drs. 14/6040, S. 232. Begr RegE BT-Drs. 14/6040, S. 129. Ausführlich dazu Staudinger/Caspers (2019), BGB § 275 Rn. 85 ff. BGH, Urt. v. 21. 04. 2010 – V III ZR 131/09 – NJW 2010, 2050, 2052. OLG München, Urt. v. 24. 04. 2013 – 13 U 1800/12 – NJW-RR 2013, 1036, 1037. Begr RegE BT-Drs. 14/6040, S. 131.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
damit eine Freistellung von jeglichem Aufwand desjenigen Schuldners bezweckt werden, der das Leistungshindernis nicht zu vertreten hat.42 Vielmehr folgt aus dem Vertretenmüssen, dass von dem Schuldner erhöhte Anstrengungen zur Überwindung des Leistungshindernisses erwartet werden können. Die Voraussetzungen, unter denen der Schuldner, der das Leistungshindernis zu vertreten hat, die Einrede der Unzumutbarkeit erheben kann, erschweren sich dadurch, dass an die Unzumutbarkeit ein strengerer Maßstab gelegt wird, als wenn der Schuldner das Leistungshindernis nicht zu vertreten gehabt hätte. Der Gesetzgeber spricht in diesem Zusammenhang mit Verweis auf §§ 251 II BGB, 633 II 3 BGB a. F. von einem allgemeinen Rechtsgedanken.43 Damit ist das Vertretenmüssen ein Umstand, mit dem sich Rechtserschwerungen bzw. erhöhte Anforderungen an die Unzumutbarkeit rechtfertigen lassen.44 Es ist jedoch kein Ausschlusskriterium, das die Inanspruchnahme eines Rechts per se versagt.45 So hat der BGH z. B. entschieden, dass selbst die vorsätzliche Herbeiführung des Leistungshindernisses nicht ausschließt, dass der Schuldner berechtigt ist, den Einwand der (groben) Unverhältnismäßigkeit zu erheben46, obwohl das Verschulden regelmäßig dazu führen wird, dass die Einrede zu versagen ist.47 Auch für den Verkäufer erschweren sich die Anforderungen, unter denen er die Nacherfüllung verweigern kann, wenn er den Mangel zu vertreten hat. Gerechtfertigt ist dies deshalb, weil er im Rahmen des Schadensersatzes auch das positive Interesse des Käufers ausgleichen müsste.48 Auch in Bezug auf die Unverhältnismäßigkeitsgrenze in § 251 II 1 BGB hat der BGH entschieden, dass das Verschulden des Schädigers diese zu seinen Lasten verschiebt.49 Entsprechend der Verfahrensweise bei § 275 II BGB wird auch die Zumutbarkeitsgrenze für Vertragsanpassungen im Rahmen der Geschäftsgrundlagenstörung wegen Vertretenmüssens korrigiert. Aus dem Wortlaut von § 313 I BGB, „insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung“, ergibt sich, dass das Vertretenmüssen zu berücksichtigen ist. Auch hier bewirkt das Vertretenmüssen, dass der sich auf die Grundlagenstörung berufenden Partei ein größerer Aufwand zur Beseitigung der Störung bzw. das Festhalten an einem störungsbehafteten Vertragsverhältnis zugemutet werden kann. Es führt nicht dazu, dass ein Berufen auf die 42
So aber Huber, Leistungsstörungen Bd. I, § 3 I 6. Begr RegE BT-Drs. 14/6040, S. 131. 44 Begr RegE BT-Drs. 14/6040, S. 131; Erman/Ulber, § 275 Rn. 24, 72; MünchKomm BGB/Ernst, § 275 Rn. 77; Staudinger/Caspers (2019), BGB § 275 Rn. 107; Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, S. 256 ff.; Emmerich, NZM 2010, 497, 499. 45 Erman/Ulber, § 275 Rn. 72; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 5 Rn. 20, § 6 Rn. 21; Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 197. 46 BGH, Beschl. v. 22. 01. 2014 – VIII ZR 135/13 – NJW 2014, 1881, 1882. 47 BGH, Urt. v. 18. 07. 2008 – V ZR 171/07 – NJW 2008, 3123, 3125. 48 MünchKomm BGB/Westermann, § 439 Rn. 30; Staudinger/Matusche-Beckmann (2013), BGB § 439 Rn. 124. 49 BGH, Urt. v. 02. 10. 1987 – V ZR 140/86 – NJW 1988, 699, 700; BGH, Urt. v. 24. 04. 1970 – V ZR 97/96 – NJW 1970, 1180, 1181; zustimmend Erman/Ebert, § 251 Rn. 23. 43
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Störung der Geschäftsgrundlage zur Auflösung des Vertrags von Anfang an ausgeschlossen ist.50
III. Umfassende Interessenabwägung bei der Kündigung Sachverhalte, in denen sich der Kündigende selbst etwas zu Schulden hat kommen lassen und die Beendigung des Vertrags begehrte, waren vielfach Gegenstand der Rechtsprechung. Diese werden im Folgenden im Hinblick auf den Umgang der Rechtsprechung mit beiderseitigen, zur Kündigung führenden Pflichtverletzungen näher betrachtet. Allerdings handelt es sich bei den nunmehr folgenden Konstellationen nicht ausschließlich um solche, auf die der Fokus der vorliegenden Arbeit eigentlich gerichtet ist. Die Unterschiede bestehen darin, dass nicht das Verhalten beider Vertragsparteien zum Kündigungsgrund für eine Vertragspartei geführt hat, sondern dass das Verhalten beider Vertragsparteien einen eigenen Kündigungsgrund für die jeweils andere Vertragspartei begründet. Da sich die Kündigungsrechte in ihren Voraussetzungen ähneln, können die dort verwendeten Argumentationsstrukturen auch für die vorliegende Untersuchung herangezogen werden. 1. Kündigung eines Handelsvertretervertrags Von den Beispielen, die im Folgenden dargestellt werden, weist die Kündigung eines Handelsvertretervertrags die größten Übereinstimmungen mit der Kündigung eines Arbeitsvertrags auf. In beiden Fällen geht es um die Beendigung einer auf Dauer angelegten Vertragsbeziehung, die die Erbringung von Tätigkeiten für den anderen Vertragsteil zum Inhalt hat. Zum Umgang mit den zur Kündigung Anlass gebenden Verfehlungen, wenn diese von beiden Vertragsparteien ausgehen, hat die Rechtsprechung einige Grundsätze entwickelt: Exemplarisch dazu ein Fall, mit dem sich der BGH im Jahr 1965 zu beschäftigen hatte.51 Der Kläger, ein Ingenieur, der als Handelsvertreter und Konstrukteur für die Beklagte tätig war, streitet mit dieser über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorzeitiger Vertragsauflösung nach § 89a II HGB. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte führten Verstöße gegen die vertraglichen Pflichten der anderen Partei an, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit beider für die Zukunft nicht mehr möglich machten. Beide erklärten die fristlose Kündigung. Das Berufungsgericht hatte der Klage des Klägers, der zuerst gekündigt hatte, stattgegeben und ihm Schadensersatz gewährt. Dessen eigenes Fehlverhalten sei für das Bestehen des Schadensersatzanspruchs unbeachtlich. Nach Ansicht des Berufungsgerichts könne die Gegenseite ihrerseits Schadensersatz verlangen und ggf. auf50 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 6 Rn. 21; Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 199, 267 ff. 51 BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347 ff.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
rechnen. Das Revisionsgericht indes weist darauf hin, dass zunächst geklärt sein müsse, ob der Kläger angesichts seines eigenen Fehlverhaltens überhaupt zur Kündigung befugt war. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des Auflösungsschadens besteht nur, wenn das Vertragsverhältnis beendet wurde und dies auf dem Verhalten oder auf einem von der anderen Vertragsseite hervorgerufenen Umstand beruht. Bei der Frage nach der Kündigungsbefugnis nimmt das Gericht Bezug auf ein vorheriges Urteil des Senats, wonach ein Vertragsteil fristlos kündigen kann, auch wenn er sich selbst vertragswidrig verhalten hat; es merkt allerdings auch an, dass dies keineswegs in jedem Fall so sein müsse.52 Maßgeblich sei eine „Gesamtwürdigung aller Umstände“53. Dies ergebe sich aus den Grundsätzen, die von der Rechtsprechung im Anschluss an die Kündigung von Gesellschaftsverträgen aus wichtigem Grund entwickelt wurden, wenn beide Parteien ein Verschulden trifft.54 Aus dieser Rechtsprechung folgt: Erstens für ein Übernahmeverlangen nach § 142 HGB a. F. ist grundsätzlich kein Raum, wenn beidseitige Verfehlungen der Gesellschafter vorliegen, die jedem Gesellschafter das Recht geben, die Auflösung der Gesellschaft zu beantragen; dann bleibt nur die Auflösungsklage.55 Zweitens wenn eine gegenseitige Abwägung ergibt, dass die Verfehlungen des einen die des anderen völlig in den Hintergrund drängen, so dass diese gar nicht mehr als wichtiger Grund erscheinen, ist diesem das Recht zuzusprechen, die Gesellschaft zu übernehmen. Drittens eine Abwägung setzt nicht voraus, dass beide Verfehlungen jeweils das Gewicht haben, die Ausschließung des anderen Gesellschafters zu rechtfertigen. Schließlich soll derjenige, dessen Waagschale nicht weniger schwer wiegt, nicht automatisch das Recht erhalten, die Gesellschaft zu übernehmen. Es kommt darauf an, ob der in der Person des einen Gesellschafters liegende Grund trotz der Verfehlungen des anderen Gesellschafters, der sich auf eben jenen Grund beruft, erheblich genug ist, dessen Ausschluss zu rechtfertigen.56 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verfehlungen der einen Vertragsseite weniger schwer wiegen, sofern sie in Wechselbeziehung zu Verfehlungen der anderen Vertragsseite stehen. Wie das Gericht in dem Fall des Handelsvertreters, an das der BGH die Sache zur erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze verwiesen hat, entschieden hat, ist nicht bekannt, da die Entscheidung nicht veröffentlicht wurde. Der BGH stellte fest, dass das vom Kläger vorgebrachte vertragswidrige Verhalten der Beklagten im Lichte seiner eigenen Vertragsverletzung betrachtet
52
BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348 m. w. N. So die Interpretation von BGH, Urt. v. 29. 10. 1959 – II ZR 27/58 – VersR 1960, 246 ff. in BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348. 54 BGH, Urt. v. 29. 10. 1959 – II ZR 27/58 – VersR 1960, 246. 55 RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734. 56 So auch BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 110 f. mit Verweis auf RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734. 53
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durchaus als nicht erheblich genug einzuschätzen sei, so dass die Kündigung des Klägers infolgedessen nicht gerechtfertigt sei.57 Nach den von der Rechtsprechung im Gesellschaftsrecht entwickelten und auf die Kündigung von Dienst- und Handelsvertreterverträgen übertragenen Grundsätzen führt also eine Gesamtbetrachtung sämtlicher das Vertragsverhältnis prägender Umstände dazu, dass ein an sich gegebener Kündigungsgrund unter Berücksichtigung des eigenen Verhaltens des Kündigenden nunmehr in einem anderen Licht erscheint. Dies liegt daran, dass in Anbetracht der eigenen Vertragsverletzung an die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung ein strengerer Maßstab zu legen ist. Dadurch verschiebt sich die Grenze des Zumutbaren zu Lasten des sich auf das vertragswidrige Verhalten der Gegenseite Berufenden nach oben, so dass die Störung unter dem verschärften Maßstab nicht unzumutbar ist, weil die nach oben verschobene Schwelle des Zumutbaren nicht überschritten wird, weshalb in der konkreten Situation kein Kündigungsgrund vorliegt. Die Anforderungen an die Kündigung erschweren sich dann insofern, dass der Kündigende zunächst Maßnahmen zur Wiederherstellung einer vertraglichen Grundlage ergreifen muss, auf der das Vertragsverhältnis fortgesetzt werden kann. Er muss versuchen, die für die Kündigung ursächlich gewordene Störung zu beseitigen. Dazu werden Gespräche mit dem Betroffenen notwendig sein, in denen nach alternativen Lösungen gesucht wird. Ggf. sind strukturelle Maßnahmen, wie Änderung des Einsatzortes, des Einsatzgebietes, der Geschäftsverteilung vorzunehmen etc. Ein einmaliger Pflichtverstoß des zu Kündigenden, der im Zusammenhang mit dem Fehlverhalten des Kündigenden steht, wird hinzunehmen sein. Die Erschwerung kann auch darin bestehen, dass Vorfälle für einen längeren Zeitraum hingenommen werden müssen. Erst wenn auch die zur Abwendung der Störung ergriffenen Maßnahmen erfolglos verlaufen sind, kann gekündigt werden. Dies muss jedoch nicht immer die Konsequenz des eigenen Fehlverhaltens sein. Es ist denkbar, dass der Pflichtverstoß der Gegenseite so schwer wiegt, dass trotz des eigenen Verhaltens ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist; dann besteht (sofort) ein Recht zur Kündigung. 2. Kündigung eines Lieferungs- und Abnahmevertrags Zu der Problematik des beiderseitigen Pflichtverstoßes bei der Kündigung eines Vertragsverhältnisses haben die Gerichte auch anhand von Verträgen Stellung genommen, bei denen sich die Parteien langfristig, gerichtet auf einen wiederholten Leistungsaustausch, gebunden haben.58 In einem Fall, den der BGH 1981 zu ent57
BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348. BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265 f.; aus neuerer Zeit zu einem Lizenznehmervertrag OLG München, Urt. v. 09. 07. 2009 – 29 U 5479/08 – juris, wonach „das eigene vertragswidrige Verhalten des kündigenden Vertragsteils eine erhebliche Rolle im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände spielt“. 58
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
scheiden hatte59, hatten die Parteien, der Betreiber eines Großhandels für Holzspäne etc. und die Herstellerin von Holzspänen, einen Spänelieferungs- und Abnahmevertrag geschlossen. Die von der Beklagten hergestellten Späne wurden ausschließlich an den Kläger geliefert. In einer „Kundenschutzzusicherung“ hat sich die Beklagte verpflichtet keine Kunden des Klägers unmittelbar zu beliefern. Nach einiger Zeit kam es zu Unstimmigkeiten über die Einhaltung dieser Abrede. Der Betreiber des Großhandels verklagte die Herstellerin auf Schadensersatz wegen Wettbewerbsverstößen. Die Herstellerin kündigte daraufhin (außerordentlich) das Vertragsverhältnis wegen (anderen) vertragswidrigen Verhaltens des Klägers. Fraglich war, ob die Kündigung der Herstellerin trotz des eigenen vertragswidrigen Verhaltens wirksam war. Bei der Beantwortung der Frage verweist der BGH zunächst auf die Ausführungen zur Kündigung eines Handelsvertretervertrags, bei dem sich beide Vertragsparteien fehlerhaft verhalten haben. Bezüglich einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die der BGH als Revisionsgericht selbst nicht vornehmen kann, die das Berufungsgericht hätte durchführen müssen, stellt der BGH fest, dass diese ergeben kann, „daß gem. § 242 BGB angesichts des „Tatbeitrags“ der Beklagten jedenfalls ihr zuzumuten war, am Vertrage festzuhalten“60. Im Vergleich zur oben dargestellten Lösung beim Handelsvertretervertrag ergeben sich also keine Unterschiede. Der BGH passt hinsichtlich der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen, die auf den Austausch von Sachen gerichtet sind, den Maßstab an das Verhalten des Kündigenden an, bevor eine „Gesamtwürdigung“ aller kündigungsrelevanten Umstände erfolgt. 3. Kündigung eines Mietverhältnisses Beispielhaft für die Kündigung eines Mietverhältnisses sollen zwei Urteile dargestellt werden, in denen mit der Problematik des beiderseitigen Verschuldens unterschiedlich umgegangen wird. In dem früheren Urteil wurde das Kriterium der Zerrüttung61 zur Entscheidung herangezogen, ob ein Recht zur Kündigung besteht, während im späteren Urteil auf die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage62 abgestellt wurde. Dem ersten Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, ein Schützenverein, hatte mit dem Beklagten einen Mietvertrag mit der Dauer von 12 Jahren über die Nutzung einer Schießbahn, eines Fest- und Parkplatzes geschlossen. Der Beklagte ist Eigentümer des Grundstücks und betreibt dort eine Gaststätte. Die Klägerin hatte sich verpflichtet, im Gegenzug für die Nutzung alle Vereinsversammlungen und Festivitäten beim Beklagten abzuhalten. Das Grundstück hatte der Beklagte von der vorherigen Eigentümerin erworben. Zwischen der 59 60 61 62
BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265. BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265. BGH, Urt. v. 04. 06. 1969 – VIII ZR 134/67 – NJW 1969, 1845. BGH, Urt. v. 29. 11. 1995 – XII ZR 230/94 – NJW 1996, 714.
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Rechtsvorgängerin des Beklagten und der Klägerin gab es einen ähnlichen Vertrag, der der Klägerin auch Eigentum an einigen Gebäuden des Grundstücks sichern sollte. Über diesen Vertrag wurde der Beklagte beim Erwerb des Grundstücks allerdings nicht informiert. Als die Klägerin eine auf dem Grundstück des Beklagten frei gewordene Schießhalle nicht nutzen durfte, weil der Beklagte der Ansicht war, diese stünde ihm als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks zu, kündigte sie den Vertrag fristlos, verlegte ihre Schießanlagen und hielt seitdem keine Versammlungen mehr beim Beklagten ab. Der Beklagte entfernte kurze Zeit nach Ausspruch der Kündigung Teile des Schießstandes der Klägerin und verbot der Klägerin, das Grundstück zu betreten. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage Schadensersatz für die Abmontage ihrer Schießanlage. Der Beklagte verlangt widerklagend Schadensersatz für den entgangenen Gewinn. Das Gericht entschied, dass die eigene Vertragsverletzung das Kündigungsrecht nicht ausschließt, wenn das Vertrauensverhältnis durch beiderseitiges Verschulden nachhaltig zerstört ist. Entscheidend sei allein, ob dem kündigenden Vertragsteil die Fortsetzung des [Pacht-]Verhältnisses nicht mehr zuzumuten ist, was […] auch ohne überwiegendes Verschulden des Gegners der Fall sein kann.63 Weiter ist der Kündigungsempfänger nicht gehindert einen Schadensersatzanspruch trotz eigenen Verschuldens geltend zu machen. Das beiderseitige Verschulden ist bei der Bemessung der Schadenshöhe im Rahmen von § 254 I BGB zu berücksichtigen. Dies entspreche dem bei § 628 II BGB zur Anwendung gelangenden Gedanken, wenn der Schadensersatzspruch des Kündigenden gem. § 254 I BGB gemindert wird, wenn ein mitwirkendes Verschulden des Kündigenden das vertragswidrige Verhalten des Gekündigten veranlasst hat.64 Basiert die zur Kündigung führende Störung hingegen auf einem Umstand, der der Einflusssphäre des Kündigungsempfängers entzogen ist und vielmehr aus den eigenen Interessen des Kündigenden selbst stammt, wie es auch in dem im Folgenden darzulegenden Fall war, ist eine Kündigung nur dann möglich, „wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Lösung vom Vertrag berechtigen“65. In dem Fall, den der BGH 1995 zu entscheiden hatte66, ging es um die Vermietung von Räumlichkeiten zur Nutzung als Café und Restaurant. Der Vermieter der Räumlichkeiten war nur Teileigentümer des Wohn- und Geschäftshauses, in dem sich die Räumlichkeiten befanden. Die Räume waren Sondereigentum. Kurze Zeit später, nachdem der Mietvertrag geschlossen wurde, beschloss die Eigentümergemeinschaft des Hauses mit Zustimmung des Vermieters, dass die vermieteten Räume 63
BGH, Urt. v. 04. 06. 1969 – VIII ZR 134/67 – NJW 1969, 1845, 1846. BGH, Urt. v. 04. 06. 1969 – VIII ZR 134/67 – NJW 1969, 1845, 1846. 65 BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309; BGH, Urt. v. 29. 11. 1995 – XII ZR 230/94 – NJW 1996, 714; BGH, Urt. v. 07. 07. 1971 – VIII ZR 10/70 – WM 1971, 1300, 1302. 66 BGH, Urt. v. 29. 11. 1995 – XII ZR 230/94 – NJW 1996, 714. 64
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nur als Laden- oder Lagerräume genutzt werden dürfen. Es kam zu einem Rechtsstreit, in dem der Vermieter von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung des Restaurantbetriebs und im Fall der Zuwiderhandlung auf Zahlung eines Ordnungsgeldes i. H. v. 52.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft, verklagt wurde. Infolgedessen erklärte der Vermieter dem Mieter, der den Betrieb des Restaurants nicht einstellen wollte und zu einer einverständlichen Vertragsaufhebung nicht bereit war, die außerordentliche Kündigung. Wie der BGH dazu ausführt, beurteilt sich die Wirksamkeit einer solchen Kündigung, bei der die Umstände, auf die sich die Kündigung stützt, entgegen der Regel67 dem Risikobereich des Kündigungsgegners entzogen sind und aus den eigenen Interessen des Kündigenden hergeleitet werden, danach, ob nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage die Auflösung des Vertrags verlangt werden kann. Lägen die Gründe der Kündigung aber in dem Risikobereich der kündigenden Partei, gäben sie dieser grundsätzlich nicht das Recht, sich unter Berufung auf §§ 313, 314 BGB vom Vertrag zu lösen, weil die Rechtsfolgen einer Änderung der Geschäftsgrundlage nicht zu einer Beseitigung der im Vertrag liegenden Risikoverteilung führen dürften.68 Für den vorliegenden Fall bedeutete dies nach Ansicht des Gerichts, dass das Kündigungsrecht nicht bestand, da es in den Risikobereich des Vermieters fällt, der mitgestimmt hatte, dass die Vermietung von Teileigentum nicht mit der Gemeinschaftsordnung vereinbar ist, und dass deshalb der Vertrag nicht nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage hätte aufgelöst werden können.69 Verallgemeinernd lässt sich dem Fall entnehmen, dass maßgeblich für das Recht zur Kündigung bei Umständen ist, die nicht aus der Verantwortungssphäre des Kündigungsempfängers stammen, die vertragliche Risikozuweisung ist, die durch die Kündigung grundsätzlich nicht unterlaufen werden darf. Das hat die bereits oben beschriebenen Kündigungserschwerungen zur Folge70 : An die Zumutbarkeit ist ein strengerer Maßstab zu legen, wonach das vertragswidrige Verhalten des Vertragsgegners länger hingenommen werden muss; durch vertrauensbildende Maßnahmen muss zunächst versucht werden, das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Wie jedoch insbesondere der eben beschriebene Fall zeigt, ist ein konsequenter Ausschluss der Kündigungsbefugnis immer dann, wenn die anlassgebende Störung nach der vertraglichen Risikoverteilung dem Kündigenden selbst zugeordnet ist, in der Pauschalität nicht angebracht.71 Wenn wie in dem beschriebenen Fall nachträgliche rechtliche Unmöglichkeit eintritt, hat die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses 67
BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309. BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309; BGH, Urt. v. 29. 11. 1995 – XII ZR 230/94 – NJW 1996, 714; BGH, Urt. v. 10. 12. 1980 – VIII ZR 186/79 – WM 1981, 66, 67; BGH, Urt. v. 07. 07. 1971 – VIII ZR 10/70 – WM 1971, 1300, 1302. 69 BGH, Urt. v. 29. 11. 1995 – XII ZR 230/94 – NJW 1996, 714. 70 Siehe Dritter Teil unter § 4 B. 71 Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 196. 68
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keinen Sinn. Denn ein Leistungsaustausch findet entsprechend dem Rechtsgedanken gem. §§ 536 I 1, III, 537 II BGB nicht mehr statt, weswegen auch der Mieter kein schutzwürdiges Interesse an der Fortsetzung des Vertrags darlegen kann. Um solche unzumutbaren Umstände zu vermeiden, muss die Kündigungsmöglichkeit erhalten bleiben und der Interessenausgleich auf Sekundärebene erfolgen. Diese Lösung wäre nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage möglich gewesen72, denn auch danach wird der Mechanismus des verschärften Zumutbarkeitsmaßstabs praktiziert. Ist es dem Vermieter rechtlich unmöglich die Mietsache zur Verfügung zu stellen, wofür er gem. §§ 280 I, III, 283 BGB schadensersatzpflichtig ist, und der Mieter aufgrund der Minderung nach § 536 I 1 BGB den Mietzins nicht schuldet, liegt auch unter dem verschärften Maßstab Unzumutbarkeit vor. 4. Ergebnis Die zuvor dargestellten Beispiele haben gezeigt, dass die Rechtsprechung zum Umgang mit der Herbeiführung des Kündigungsgrundes durch den Kündigungserklärenden stark von der Rechtsprechung zur beiderseitigen Herbeiführung des Kündigungsgrundes im Gesellschaftsrecht geprägt ist. Deren grundlegender Gedanke ist, dass grundsätzlich dem Erklärungsempfänger der Umstand zurechenbar sein muss, der das Übernahmeverlangen auslöst. Ergeben sich davon Abweichungen, weil der die Übernahme Erklärende an diesem Umstand selbst mitbeteiligt ist, erschwert sich für diesen die Rechtsausübung. Es ist abzuwägen, ob die Verfehlung des anderen in Anbetracht des eigenen vertragswidrigen Verhaltens noch erheblich genug ist, welches nichts Anderes bedeutet, als dass der Maßstab zu modifizieren ist. Bei Alleinverschulden steht dem Erklärenden das Recht zur Übernahme bzw. zur Kündigung regelmäßig nicht zu. Es widerspricht der vertraglichen Risikoverteilung, müsste der Schuldner die sich aus dem Verschulden des Gläubigers resultierenden Nachteile tragen, während er sich selbst ordnungsgemäß verhalten hat und somit darauf vertrauen durfte, dass ihn diese Folgen gerade nicht treffen. Bei beiderseitigem Verschulden erhöhen sich die Anforderungen an den die Auflösung des Vertragsverhältnisses rechtfertigenden Umstand zu Lasten des Kündigenden; die Schwelle zwischen Zumutbarem und Unzumutbarem steigt. Je nach dem, ob das eigene Verhalten im Lichte des Verhaltens der anderen Partei betrachtet zu vernachlässigen oder als schwer zu gewichten ist, besteht das Kündigungsrecht oder nicht. Tendenziell besteht es so lange, solange die tatsächliche Verantwortungsverteilung der gesetzlich vorgesehenen ähnelt, also ein zumindest nicht unwesentlicher Teil vom Erklärungsempfänger zu verantworten ist. Entsprechendes gilt bei Umständen, die dem Gläubiger kraft Risikotragung zuzurechnen sind. Aufgrund des fehlenden Verschuldens ist der zugrunde zu legende Maßstab zur 72 Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 196 f.; siehe Dritter Teil unter § 4 B. II. und C. II.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Ermittlung der die Vertragsauflösung rechtfertigenden Unzumutbarkeit etwas milder. Mit der Neuausrichtung der Zumutbarkeitsgrenze als Folge des eigenen vertragswidrigen Verhaltens hat die Rechtsprechung auch deutlich gemacht, dass dieses die Kündigungsbefugnis nicht automatisch ausschließt. Unter der Voraussetzung, dass vom Kündigenden dargelegt werden kann, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Zugrundelegung der neuausgerichteten Grenze unzumutbar wäre, kann das Kündigungsrecht trotz der alleinigen Verantwortung des Kündigenden bestehen.
IV. Gedanke der Vertragsanpassung Als Alternative zu den zuvor dargestellten Prinzipien, die im Ergebnis insoweit kompromisslos sind, als dass sie die Kündigung entweder zulassen oder nicht zulassen, bietet sich der Gedanke der Vertragsanpassung an. Kodifiziert in § 313 I, III BGB, ist er das Instrument im Falle sich ändernder, von den bei Vertragsschluss vorhandenen Vorstellungen abweichender Umstände zu reagieren, wenn diese so gewichtig sind, dass sie ein Festhalten am Vertrag zu ungeänderten Bedingungen unzumutbar machen. Da ausweislich des Wortlautes von § 313 I BGB die Risikoverteilung zwischen den Parteien zu Grunde zu legen ist, der Vertrag also insoweit anzupassen ist, als diejenige Partei, die bei unverändertem Vertrag ein ihr nicht zugewiesenes Risiko tragen müsste, von diesem Risiko entlastet wird73, ist der Gedanke der Vertragsanpassung gerade zur Lösung der Fälle geeignet, in denen die Umstandsänderung von beiden Vertragsparteien oder von der sich darauf berufenden Partei allein herbeigeführt wurde.74 Bereits das Reichsgericht hat festgestellt, dass es „einer sorgfältigen Prüfung an der Hand der gesamten Umstände des einzelnen Falles bedarf, um zu ermessen, inwieweit das Verlangen des Klägers in Anbetracht seiner eigenen (…) Handlungsweise mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mehr in Einklang zu bringen ist“75 bzw. „in welchem Umfang es recht und billig ist, sie (die Klägerin) ihres vertragsmäßigen Anspruchs auf Entschädigung für verlustig zu erklären“76. Anhand dieses Falls, in dem es um Ansprüche eines Versicherungsnehmers gegen seine Versicherung trotz beiderseitigen Fehlverhaltens ging, hat das Gericht die Vorzüge der Vertragsanpassung erkannt, indem es die zu zahlenden Versicherungsprämien dem ins Ungleichgewicht geratenen Gegenseitigkeitsverhältnis an-
73
308 f. 74 75 76
MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 89; Köhler, FS 50 Jahre BGH, Bd. I, S. 295, Teubner, Gegenseitige Vetragsuntreue, S. 99. RG, Urt. v. 11. 02. 1938 – VII 165/37 – RGZ 157, 67, 75. RG, Urt. v. 11. 02. 1938 – VII 165/37 – RGZ 157, 67, 76.
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passte, anstatt den Anspruch des Versicherungsnehmers vollständig abzulehnen und den Versicherungsvertrag als aufgehoben anzusehen. Im Kündigungsschutz könnte die Anpassung vor allem bei personen-/krankheitsbedingten und betriebsbedingten Kündigungen zur Anwendung gelangen, um dem Arbeitnehmer, dem aus Gründen, die der Arbeitgeber zu verantworten hat, die Kündigung droht, einen Anspruch auf einen anderen Arbeitsplatz im Unternehmen einzuräumen. Denn das Problem, das sich meistens stellt, wenn der bisher vom Arbeitnehmer ausgeübte Arbeitsplatz entfällt bzw. wenn dieser aufgrund seiner Erkrankung diesen nicht mehr ausüben kann, ist, dass die als milderes Mittel zur Kündigung bereits zu prüfende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nur vergleichbare Arbeitsplätze umfasst, also solche, auf die der Arbeitgeber den Arbeitnehmer kraft seines Weisungsrechts versetzen kann. Vor dem Hintergrund, dass es sich im Fall von arbeitsbedingten Erkrankungen oder zur betriebsbedingten Kündigung führenden betrieblichen Erfordernissen um Risiken handelt, die der Herkunftssphäre des Arbeitgebers zuzuordnen sind, erscheint es nicht unbillig dem Arbeitgeber anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, die nur durch Neuverträge möglich wären, zuzumuten. Da die Verantwortung des Arbeitgebers an der Entstehung des Kündigungsgrundes eine Verschiebung des Kündigungsrisikos zu Lasten des Arbeitnehmers bewirkt hat, ist vor Ausspruch einer Kündigung umfassend zu prüfen, wie der Arbeitnehmer von diesem Risiko wieder befreit werden kann, welches die Weiterbeschäftigung zu anderen Bedingungen, ggf. nach Schulungs- und Rehabilitationsmaßnahmen einschließt, mithin durch Vertragsanpassung erreicht werden kann.
C. Keine Einschränkungen in der Rechtsausübung Die Verantwortung des Gläubigers kann auch folgenlos im Hinblick auf die Ausübung bestimmter Rechte sein. Der Grund dafür kann sein, dass die Verantwortung unerheblich ist oder dass die Rechtsausübung von anderen Faktoren als von Verantwortung abhängt.
I. Unerheblichkeit der Mitverantwortung 1. Umkehrschluss aus § 323 VI BGB So wie die Abwägung der beiderseitigen Verantwortungsanteile ein erhebliches Überwiegen der gläubigerseitigen Verantwortung ergeben kann, kann das Ergebnis der Abwägung genauso gut sein, dass das Verhalten des Gläubigers unerheblich ist. Da gem. § 323 VI BGB nur bei alleiniger oder überwiegender Verantwortung der Gläubiger nicht zurücktreten kann, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine Mitverantwortung jenseits dieser Schwelle unbeachtlich sein kann.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
2. Zerrüttungsprinzip Nach dem für das Scheidungsrecht geltenden Zerrüttungsprinzip kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist, § 1565 I 1 BGB. Der in § 1565 BGB verwendete Begriff des „Scheiterns“ soll die Verbindung mit dem traditionellen Verständnis des Scheidungsgrundes, namentlich schuldhafte Verfehlungen, lösen und eine Abkehr des vormals geltenden Verschuldensprinzips77 herbeiführen.78 Eine Ehe ist in diesem Sinne gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Eheleute nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass sie wiederhergestellt wird, § 1565 I 2 BGB. Der Scheidungsgrund beurteilt sich somit nach objektiven Umständen79, ohne dass der Nachweis der Schuld eines oder beider Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe notwendig ist. Eine solche Schuldfeststellung hatte nach dem alten Scheidungsrecht, gültig bis zum 30. 06. 1977, zur Folge, dass weder das Sorgerecht noch Unterhaltsansprüche verlangt werden konnten. Handelte es sich zudem um eine Verfehlung i. S. v. § 43 S. 2 EheG a. F., also um eine eigene Verfehlung des die Scheidung begehrenden Ehegatten, hatte dies zur Konsequenz, dass das Scheidungsbegehren ungerechtfertigt, mithin ausgeschlossen war.80 Heute spielen diese Verschuldensgesichtspunkte insbesondere zum Schutz der Persönlichkeit im Scheidungsrecht keine Rolle mehr.81 Das bedeutet, dass beiderseitiges Fehlverhalten, obwohl es schwerwiegend ist, angesichts der Sinnlosigkeit, das Eheverhältnis aufrechtzuerhalten, unerheblich ist. Auch wenn das Kündigungsschutzgesetz, wie gezeigt, die Zurechenbarkeit der arbeitsvertraglichen Störung zum Arbeitnehmer voraussetzt, um eine Kündigung zu rechtfertigen, wäre eine Anlehnung an das Zerrüttungsprinzip in solchen Fällen sinnvoll, in denen das Arbeitsverhältnis derartig gestört ist, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist.82 Die arbeitgeberseitige Verantwortung wäre im Rahmen der Kündigung zwar unerheblich, auf Sekundärebene müsste dann aber ein Interessenausgleich durchgeführt werden (Gedanke aus § 9 KSchG83). Der denkbare Anwendungsbereich beträfe hauptsächlich solche Störungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die das Vertrauensverhältnis zerstören.
77
Siehe hierzu MünchKomm BGB/Weber, § 1565 Rn. 5 f. Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 7/650, S. 72 ff.). 79 BVerfG, Urt. v. 28. 02. 1980 – 1 BvL 136/78 – NJW 1980, 689, 690. 80 Vgl. BGH, Urt. v. 21. 12. 1973 – IV ZR 204/72 – NJW 1974, 696. 81 Ggf. kann sich das Verschulden noch im Unterhaltsrecht auswirken (MünchKomm BGB/ Weber, § 1565 Rn. 1). 82 Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 101. 83 Sander, Die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses, S. 219 ff. 78
§ 4 Lösungswege zur Berücksichtigung von Mitverantwortung
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3. Differenzierung nach der Schwere der Pflichtverletzung Nach einem weiteren in der Literatur diskutierten Ansatz zum Umgang mit der Gläubigerverantwortung soll die Pflichtverletzung nach ihrer Intensität kategorisiert werden.84 Danach soll sich richten, ob das Verhalten überhaupt berücksichtigungswürdig ist oder, ob es tendenziell zum Ausschluss des Kündigungsrechts führen könnte. Demnach ließen sich zur Strukturierung des Vorgehens die drei Kategorien geringe, mittlere und erhebliche Intensität bilden.85 Bei geringer Intensität der gläubigerseitigen Pflichtverletzung könnte diese, wie es zeitweise von der Rechtsprechung praktiziert wurde, „völlig in den Hintergrund treten“86, also in der Interessenabwägung unberücksichtigt bleiben. Erst Pflichtverletzungen mittlerer und erheblicher Intensität würden dann in der Interessenabwägung berücksichtigt. Dies würde in den zwei zuletzt genannten Kategorien dazu führen, dass die Verantwortungsanteile von Gläubiger und Schuldner gegeneinander abgewogen würden und dass die Interessenabwägung demzufolge zu dessen Lasten ausgeht, dessen Verantwortung überwiegt. Gegen diese Vorgehensweise spricht, dass dabei unberücksichtigt bleibt, dass eine Störung des Vertragsverhältnisses trotz eigener Mitverantwortung unzumutbar sein kann. Daher ist die Mitverantwortung beim Maßstab, der die Grenze der Zumutbarkeit vorgibt, zu berücksichtigen. Zunächst muss der Maßstab neu kalibriert werden. Die eigene Verantwortung erhöht die Zumutbarkeitsgrenze. Am Ende muss abgewogen werden, ob die Schwere der gegnerischen Pflichtverletzung und damit einhergehende Störung die nunmehr erhöhte Zumutbarkeitsgrenze übersteigt.
II. Beachtung der Mitverantwortung auf der Sekundärebene Während die arbeitgeberseitige Mitverantwortung für die Ausübung der Kündigung einerseits deshalb unbeachtlich sein kann, weil die Mitverantwortung nur einen geringen Anteil ausmacht, kann sie auch im gegenteiligen Fall, selbst bei erheblichem Ausmaß unbeachtlich sein. Grund dafür ist der sowohl in § 628 I 2 BGB als auch in § 9 I 2 KSchG zum Ausdruck kommende Gedanke, dass die Fortsetzung des Vertrags für eine Vertragspartei, auch wenn sie keinen Anlass der Gegenseite zur Kündigung hat, unzumutbar sein kann.87 Anwendungsvoraussetzung von § 9 I KSchG ist, dass die Kündigung des Arbeitgebers sozialwidrig ist, mithin kein Kündigungsgrund vorgelegen hat. Dennoch kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sein, wenn eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zu84
Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 96. Angelehnt an die „Dreistufigkeit“ bei Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 24, der auf die Gefährdung des Vertragszwecks abstellt und zwischen Pflichtverletzungen, die den Vertragszweck unberührt lassen, gefährden oder vereiteln differenziert. 86 BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111; RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734. 87 APS/Biebl, § 9 KSchG Rn. 2; KR-Weigand, § 628 BGB Rn. 35. 85
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
sammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist. Unter dieser Voraussetzung kann das Vertragsverhältnis aufgelöst werden. Die vertragstreue Partei, im Fall von § 9 I KSchG der Arbeitnehmer, im Fall von § 628 I BGB der Dienstberechtigte, ist zu entschädigen (allgemeiner Rechtsgrundsatz).88 Dies zeigt, dass das Beendigungsinteresse trotz eigenen Fehlverhaltens (z. B. falsche Anschuldigungen) höher zu gewichten sein kann als das Bestandsinteresse. Das Ergebnis ist für die sich vertragstreu verhaltene Partei aufgrund der ihr zuzusprechenden Entschädigung nicht unbillig. Würde hingegen dem Bestandsinteresse stets der Vorrang vor dem Beendigungsinteresse eingeräumt, wenn der Kündigende sich selbst vertragswidrig verhalten hat, führte das zu Vertragsverhältnissen, deren Zweck, die gedeihliche Zusammenarbeit, insbesondere im Arbeitsrecht, nicht mehr erreicht werden kann. Daher ist bei der Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Kündigenden auch zu prüfen, ob ein Ausgleich auf Sekundärebene zu einer besseren Lösung führen könnte.
D. Ergebnis Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Mitverantwortung für eine Störung das Recht den Vertrag aufzulösen ausschließen oder in der Ausübung erschweren kann oder für die Rechtsausübung unbeachtlich sein kann. Die dem Ergebnis zu Grunde liegenden Erklärungsansätze basieren auf verschiedenen Prämissen. Dennoch findet sich bei den meisten Ansätzen der Gedanke wieder, dass nach dem Ausmaß der Verantwortung zu differenzieren ist. Nicht überzeugend ist es, erst ab einer bestimmten Schwere der Pflichtverletzung die gläubigerseitige Verantwortung überhaupt zu berücksichtigen. Vielmehr ist jeder Mitverantwortungsanteil in die Entscheidung über die Ausübungsbefugnis einzubeziehen. Denn es kann sein, dass das Verhalten des Gläubigers, auch wenn es nur eine geringfügige Pflichtwidrigkeit darstellt, dass vertragswidrige Verhalten des anderen Vertragsteils weniger erheblich und damit zur Rechtfertigung einer Kündigung ungeeignet macht. In der Regel bleibt geringe Mitverantwortung im Hinblick auf die Ausübung eines Rechts folgenlos. Ein Verantwortungsanteil mittleren Ausmaßes erschwert die Rechtsausübung, indem die Anforderungen dafür erhöht werden. Überwiegende Verantwortung führt grundsätzlich zum Rechtsausschluss, wovon Ausnahmen im Fall der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses gemacht werden.
88 Staudinger/Preis (2019), BGB § 628 Rn. 34 ff.; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 368.
§ 5 Übertragbarkeit auf das Recht zur ordentlichen Kündigung?
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§ 5 Übertragbarkeit auf das Recht zur ordentlichen Kündigung nach dem KSchG? Nachdem anhand des Rücktrittsrechts und des Rechts zur außerordentlichen Kündigung dargestellt wurde, wie mit der Gläubigerverantwortlichkeit bezüglich der Umstände, die dieses Recht normalerweise begründen, im Hinblick auf die Ausübungsbefugnis des Rechts umzugehen ist, stellt sich nunmehr die Frage, inwiefern die dort gewonnenen Erkenntnisse auf das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz übertragbar sind. Die Antwort ist in einem Vergleich der strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Rechten bzw. Eigenarten des Vertragstyps, anhand dessen die Rechtsprechung die maßgeblichen Grundsätze entwickelt hat, zu suchen. Ausgangspunkt dabei ist die Vertragsart, von der das Vorhandensein und der Umfang eines persönlichen Näheverhältnisses, der Leistungsgegenstand, das Verhältnis von Kündigungsfreiheit und Kündigungsschutz sowie die Anforderungen an den Kündigungsgrund abhängt.
A. Bedeutung des persönlichen Näheverhältnisses Die Art des Leistungsgegenstandes beim Handelsvertreter-, Arbeits-, Dienst- und Gesellschaftsvertrag sowie die Art und Weise, wie diese Leistung erbracht wird, bringt es mit sich, dass die Vertragsparteien personell in einer besonderen Bindung zueinanderstehen. Dadurch, dass es sich bei der geschuldeten Leistung jeweils um eine für den anderen Teil des Vertrags zu erbringende Tätigkeit handelt, geraten die Parteien in ein engeres Kontaktfeld, als wenn lediglich eine Sache abzuliefern ist. Hinzu kommt, dass die Tätigkeit meistens in den Räumen des Gläubigers erbracht wird oder zumindest eine gewisse räumliche Nähe bedingt, welches wiederum ein besonderes Maß an Vertrauen voraussetzt und eben dieses gesteigerte Näheverhältnis zwischen den Parteien zur Folge hat89, das bei Verträgen, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, weniger stark ausgeprägt ist. Schließlich lässt sich noch feststellen, dass in allen Fällen die geschuldete Leistung eine solche ist, die in rechtlicher Hinsicht zwar schon, in tatsächlicher Hinsicht nur schwer trennbar mit der Person des Leistenden verbunden ist, mit der Folge, dass eine persönliche, emotionale Ebene Eingang in die Vertragsbeziehung findet. Ausgangspunkt für das Arbeitsverhältnis ist § 613 S. 1 BGB, wonach der Arbeitnehmer „höchstpersönlich“ zu leisten hat. Berücksichtigung findet der Höchstpersönlichkeitsgrundsatz auch bei der Bewertung der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung. Danach schuldet der Arbeitnehmer eine Leistung, die dem ent-
89 Larenz, SchuldR AT, § 2 VI, S. 32; MünchHdb, GesR Bd. I/Möhrle, § 5 Rn. 33; Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 93.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
spricht, wozu er nach „angemessener Anspannung“90 seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten imstande ist.91 Die von einem Gesellschafter geschuldete Leistung, die Erreichung des Gesellschaftszwecks zu fördern, kann von der Erbringung einer Tätigkeit, der Bereitstellung einer finanziellen Einlage bis zur bloßen Anwesenheit variieren92. Das personale Substrat rührt daher, dass die Gesellschafter ihre Person in die Gesellschaft einbringen, indem sie sich „höchstpersönlich“ dazu verpflichten durch ihre Beiträge die Erreichung des gemeinsamen Gesellschaftszwecks zu fördern.93 Die Tätigkeit eines Handelsvertreters besteht darin für einen Unternehmer die Gelegenheit eines Geschäftsabschlusses zu vermitteln, indem er den Markt beobachtet, Geschäftschancen ermittelt und versucht diese zu Gunsten des Unternehmers zu realisieren. Auch dies hängt von den persönlichen Fähigkeiten des Handelsvertreters ab. Durch die erfolgsabhängige Vergütung einerseits und die ständige Aufgabenübertragung durch den Unternehmer andererseits, wodurch dem Handelsvertreter eine Tätigkeitspflicht und die Pflicht, die unternehmerischen Interessen zu wahren, auferlegt werden, werden die beiderseitigen Interessen so eng miteinander verwoben, dass hier ein enges Vertrauensverhältnis entsteht. Die Konsequenzen dieses Näheverhältnisses sind einerseits für das Arbeitsverhältnis die oben genannten Rücksichtnahmepflichten94, für die anderen Vertragsverhältnisse bedeutet dies ebenfalls erhebliche Rücksichtnahmepflichten.95 Andererseits stellt das Näheverhältnis einen Bereich dar, der zusätzliches Konfliktpotential birgt, da hierdurch zu den leistungsbezogenen Störungen menschliche Konflikte noch hinzukommen. Den oben näher dargestellten Urteilen lässt sich entnehmen, welche Bedeutung diese personale Komponente einnimmt: Der Verlust des Vertrauens in die Person des anderen Vertragsteils war häufig der anlassgebende Umstand dafür, dass die Parteien die Kündigung erklärten.96 Insbesondere die als Vorlage für die Entwicklung der Grundsätze zur Berücksichtigung des Mitverschuldens herangezogenen Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern hatten ihren 90
St. Rspr. BAG, Urt. v. 27. 11. 2008 – 2 AZR 675/07 – NZA 2009, 842, 843; BAG, Urt. v. 11. 12. 2003 – 2 AZR 667/02 – NZA 2004, 784, 786 f.; BAG, Urt. v. 20. 03. 1969 – 2 AZR 283/68 – AP GewO § 123 Nr. 27. 91 Statt vieler MünchKomm BGB/Spinner, § 611a Rn. 925. 92 Siehe Schmidt, GesellschaftsR, § 59 II 4. mit weiteren Beispielen. 93 Schmidt, GesellschaftsR, § 3 I 2. a); MünchKomm BGB/Schäfer, Vorb § 705 Rn. 2, 7, § 705 Rn. 157 f.; Staudinger/Habermeier (2003), BGB Vorb § 705 Rn. 68. 94 Siehe Zweiter Teil unter § 2 B. 95 Zum Beispiel die Interessenwahrnehmungspflicht des Handelsvertreters, die es diesem verbietet, dem Unternehmer Konkurrenz zu machen (vgl. EBJS/Löwisch, § 86 HGB Rn. 5 ff.) oder die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht (für Beispiele siehe Henssler/Strohn/Servatius, Gesellschaftsrecht, § 705 BGB Rn. 41 ff.). 96 Vertrauensverlust in Handelsvertreter vgl. BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348; Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses eines Spänelieferungs- und Abnahmevertrags vgl. BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264.
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Ursprung in den persönlichen Verhältnissen der Parteien.97 Dies könnte den Schluss zulassen, dass überall dort, wo es in Vertragsverhältnissen auf persönliche Charaktereigenschaften der Parteien ankommt und wo emotionale Bindungen existieren, das Zerrüttungsprinzip und nicht das Verschuldensprinzip ein probates Mittel ist, bei beidseitigen Pflichtverletzungen eine Vertragsauflösung zuzulassen, wenn das Näheverhältnis zwischen den Parteien endgültig gestört ist.98 Bevor dieser Schluss gezogen werden kann, ist zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsprechung, wonach eine Beendigung des Vertragsverhältnisses trotz eigenen Beitrags bei unwiederbringbarer Störung der Vertrauensgrundlage möglich ist99, auf einen gesellschaftsrechtlichen Sachverhalt bezog. Hier könnte sich ausgewirkt haben, dass der Gesellschaftsvertrag die Erreichung eines bestimmten Zwecks voraussetzt und nicht eine Tätigkeit im Austausch gegen Entgelt geschuldet wird. Während bei Austauschverträgen jede Partei ihren eigenen Zweck mit dem Vertrag verfolgt, müssen die Gesellschafter gemeinsam auf einen von ihnen bestimmten Gesellschaftszweck hinarbeiten. Die Interessen sind nicht gegensätzlich, weil auf die jeweilige zu erbringende Leistung bezogen, sondern gemeinschaftlich.100 Dies hat zur Folge, dass die Einhaltung der jeweiligen Pflichten nicht ausschließlich leistungsbezogen beurteilt werden kann, also danach, ob ein bestimmter Geschäftserfolg erreicht wurde, sondern danach, ob sich der Gesellschaftszweck noch erreichen lässt. Dies setzt bei einer Personengesellschaft voraus, dass zwischen den Gesellschaftern eine Vertrauensgrundlage vorhanden ist, die überhaupt ein gemeinsames Zusammenwirken ermöglicht. Durch den Fokus auf den Gesellschaftszweck gewinnen daher solche Umstände an Bedeutung, die mit der Führung der Gesellschaft nur mittelbar in Zusammenhang stehen, z. B. kann die Geschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafters tadellos sein, aufgrund dessen straffälligen Verhaltens kann es ein Mitgesellschafter dennoch als aussichtslos empfinden die Gesellschaft fortzuführen. In diesem Fall wäre die Kündigung des Gesellschaftsvertrags trotz eigener Pflichtverletzungen des kündigenden Gesellschafters möglich. In Anlehnung daran, müsste ein Arbeitgeber, der einem Arbeitnehmer wegen außerdienstlich begangenen Straftaten (personenbedingt) kündigen möchte, nachweisen, dass dadurch das notwendige Vertrauen in die Person des Arbeitnehmers fehlt oder dass dadurch der Betrieb oder die Arbeitsleistung beeinträchtigt wurde.101 97 Ausschluss eines Mitgesellschafters wegen Krankheit und Alkoholabhängigkeit, Nutzung gemeinsamer Briefbögen, Streit um Abfindungen und Geschäftsführungsbefugnisse, vgl. BGH, Urt. v. 10. 06. 1996 – II ZR 102/95 – NJW 1996, 2573, 2574; Beschimpfungen, Beleidigungen, beabsichtigte Denunziation bei Militärregierung, „ehebrecherisches“ Verhalten, vgl. BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111; „eheliche und geschäftliche Verfehlungen“, vgl. RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733. 98 Teubner, Gegenseitige Vertragstreue, S. 101 m. w. N. 99 BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111; RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733. 100 MünchHdb, GesR Bd. I/Schücking, § 1 Rn. 5. 101 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 173; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 418.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Das Erfordernis einer Vertrauensgrundlage ist jedoch keine alleinige Besonderheit des Gesellschaftsvertrags. Gerade im Arbeitsverhältnis spielt das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine große Rolle. Obwohl das Arbeitsverhältnis nicht den privaten Lebensbereich betrifft, muss gewährleistet sein, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber für eine nicht unerhebliche Dauer zusammenarbeiten können. Dafür muss „die Chemie stimmen“, denn die Zusammenarbeit fordert Vertrauen und hat ein Näheverhältnis zur Folge. Ist das Vertrauensverhältnis unwiederbringbar zerstört, stellt sich auch hier die Frage, ob die weitere Zusammenarbeit noch Sinn hat, da einerseits bei einem gestörten Vertrauensverhältnis mit Leistungseinbußen gerechnet werden kann und da andererseits der Verdacht einer Pflichtverletzung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer unzumutbar machen kann102. Die Beendigungsmöglichkeiten sind im Arbeitsrecht jedoch, sofern das Arbeitsverhältnis die Voraussetzungen von § 1 I KSchG erfüllt und der Anwendungsbereich des Gesetzes gem. § 23 KSchG eröffnet ist, begrenzt. Die Störung im Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber muss so schwerwiegend sein, dass entweder eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt ist oder dass die strengen Anforderungen einer Verdachtskündigung erfüllt sind. Wird gerichtlich festgestellt, dass die Voraussetzungen der personen- oder verhaltensbedingten Kündigung nicht erfüllt sind, ist eine aus solchen Gründen ausgesprochene Kündigung sozialwidrig und unwirksam. Dennoch kann in diesem Fall eine Beendigungsmöglichkeit nach §§ 9, 10 KSchG bestehen, obwohl das Kündigungsschutzgesetz im Grundsatz als Bestandsschutzgesetz den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorgesehen hat.103 Gem. § 9 I KSchG kann das Gericht in einem anhängigen Kündigungsrechtsstreit auf Antrag einer Partei, also auch durch den Arbeitgeber, dessen erklärte Kündigung unwirksam ist, das Arbeitsverhältnis gegen die Zahlung einer Entschädigung auflösen. Hier kommt nun erneut das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ins Spiel. Der nunmehr an die Unzumutbarkeit anzulegende Maßstab104 ist weniger streng als bei § 1 I, II KSchG, weshalb er unterhalb der Schwelle des § 1 II KSchG und weit unter den Anforderungen des § 626 I BGB liegende Vertrauensstörungen zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses ausreichen lassen kann. Die aus Sicht des Arbeitgebers in Betracht kommenden Auflösungsgründe können leistungsbezogen sein oder das Vertrauensverhältnis betreffen. Es kommt lediglich darauf an, dass sie mit 102 St. Rspr. BAG, Urt. v. 27. 11. 2008 – 2 AZR 98/07 – NZA 2009, 604, 605; BAG, Urt. v. 29. 11. 2007 – 2 AZR 724/06 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40; BAG, Urt. v. 06. 11. 2003 – 2 AZR 631/02 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39; BAG, Urt. v. 12. 08. 1999 – 2 AZR 923/98 – NZA 2000, 421. 103 St. Rspr. BAG, Urt. v. 10. 07. 2008 – 2 AZR 1111/06 – NZA 2009, 312, 316; BAG, Urt. v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51; BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45; BAG, Urt. v. 30. 09. 1976 – 2 AZR 402/5 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 3. 104 BVerfG, Beschl. v. 22. 10. 2004 – 1 BvR 1944/01 – NZA 2005, 41, 42; BAG, Urt. v. 24. 05. 2018 – 2 AZR 73/18 – NZA 2018, 1131, 1133; APS/Biebl, § 9 KSchG Rn. 52; ErfK/ Kiel, § 9 KSchG Rn. 12.
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der ausgesprochenen Kündigung im Zusammenhang stehen. Es können also Umstände sein, auf die bereits die Kündigung gestützt wurde, oder Umstände, die sich erst später im Laufe des Kündigungsschutzprozesses herausgestellt haben. Typische Gründe, die einen Auflösungsantrag rechtfertigen, sind bewusst wahrheitswidrige, verleumderische Tatsachenbehauptungen, Beleidigungen, üble Nachrede oder sonst ehrverletzende Äußerungen ebenso Drohungen und Angriffe.105 Ist also, wie vom Gesetzgeber für den Anwendungsbereich des Gesetzes beabsichtigt106, der Vertrauensbereich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betroffen, müsste nun auch das Zerrüttungsprinzip zum Tragen kommen. Der Begriff der Zerrüttung besagt zunächst, dass die Vertrauensgrundlage eines Vertragsverhältnisses gestört ist.107 Es bedarf eines Grundes, der an sich geeignet ist die Auflösung des Vertrags zu rechtfertigen, eine negative Zukunftsprognose, dass die Fortsetzung des Vertrags nicht möglich ist und eine zu Gunsten des Antragstellers ausgehende Interessenabwägung. In konsequenter Anwendung des Zerrüttungsprinzips ist ein Verschulden des Antragsgegners folglich nicht notwendig. Es genügt das Vorliegen der „objektiven Störung“108. Infolgedessen kann das eigene Verschulden des Antragstellers an der Zerrüttung unschädlich sein.109 Allerdings macht die Rechtsprechung hier einige Einschränkungen: Der Auflösungsantrag sei zwar nicht schon dann abzulehnen, wenn den Antragsteller überhaupt ein Verschulden an den Auflösungsgründen trifft. Das Arbeitsverhältnis könne jedoch weder aufgelöst werden, wenn der Antragsteller die Auflösungsgründe treuwidrig herbeigeführt oder provoziert hat oder wenn der Antragsteller die Auflösungsgründe überwiegend zu verantworten hat.110 Begründet wird dies mit dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie dem Rechtsgedanken von § 162 BGB, wonach niemand aus einem treuwidrigen Verhalten einen rechtlichen Vorteil erlangen darf.111 Dadurch, dass ein Auflösungsantrag auch bei überwiegender Verantwortung des Antragstellers abzulehnen ist, erstreckt sich der Ausschluss nicht nur auf vorsätzliches und rechtsmiss105
BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45; ErfK/Kiel, § 9 KSchG Rn. 14. 106 Vgl. Entwurf des Kündigungsschutzgesetzes, abgedruckt in RdA 1951, 58, 64. 107 Eingehend dazu Sander, Die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses, S. 99 ff. 108 BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45; Sander, a. a. O., S. 114. 109 BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2; Schwarze/Eylert/ Schrader/Schwarze, § 9 KSchG Rn. 45, 56; Sander, a. a. O., S. 115 f. 110 BAG, Urt. v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12 – NZA 2014, 250, 254; BAG, Urt. v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51; BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45; BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 111 BAG, Urt. v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12 – NZA 2014, 250, 254; BAG, Urt. v. 23. 02. 2010 – 2 AZR 554/08 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61; BAG, Urt. v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51; BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45; BAG, Urt. v. 07. 03. 2002 – 2 AZR 158/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42; BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
bräuchliches Verhalten, sondern schließt überwiegende Verantwortung, also normales Verschulden, ebenso mit ein. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass nach Ansicht der Rechtsprechung nur Verantwortung in einem sehr geringen Umfang für das Recht, den Auflösungsantrag zu stellen, unschädlich ist. Demnach müsste dem „Verschuldensprinzip“, mit der Konsequenz, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich ist, Vorrang vor dem Zerrüttungsprinzip eingeräumt werden, obwohl wegen des gestörten persönlichen Näheverhältnisses viel dafür spricht, die Zuordnung genau anders herum vorzunehmen. In der Literatur wird die Zweckmäßigkeit der Ansicht der Rechtsprechung bezweifelt.112 Nach Ansicht von Herschel ist es „geradezu perplex“, würde man die Parteien eines funktionsunfähig gewordenen Arbeitsverhältnisses zur Fortsetzung zwingen. Selbst wenn der Antragsteller die Auflösungsgründe in treuwidriger Weise herbeigeführt habe, also selbst bei alleiniger Verantwortung des Antragstellers, müsse dem Auflösungsantrag stattgegeben werden, da andernfalls ein Vertragsverhältnis bestünde, das seinem Zweck nicht mehr gerecht werden kann.113 Vorzugswürdig gegenüber der Rechtsprechung am Ansatz von Herschel ist, dass dieser eine Alternative zum pauschalen Rechtsausschluss, wie es die Rechtsprechung bei bereits überwiegender Verantwortung für die Auflösungsgründe vertritt, bietet. Es ist daher unter Zugrundelegung eines an die Verantwortung des Antragstellers angepassten Maßstabs zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann. Durch die Verschärfung des Maßstabs wäre dies eher zu bejahen, als wenn der Antragsgegner allein die Auflösungsgründe zu verantworten hat. Wenn indes Umstände eingetreten sind, die eine zweckmäßige Fortsetzung nicht mehr zulassen, muss die Auflösung, die wohl nicht als befriedigend empfunden werden kann, dennoch hingenommen werden und durch finanzielle Entschädigung kompensiert werden.114 Der Verantwortungsanteil des Arbeitgebers für die Auflösungsgründe hätte dann je nach Erheblichkeit entsprechende Auswirkungen auf die von ihm an den Arbeitnehmer zu zahlende Abfindung.115 Beide Lösungsansätze stimmen darin überein, dass sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Verschuldens – im Umfang des Verschuldens weichen sie voneinander ab – des Antragstellers zulassen. Ferner basieren beide Ansätze darauf, dass es das Kündigungsschutzgesetz zumindest in Ausnahmefällen zulässt, an die Stelle des Verschuldenprinzips eine Abfindungslösung treten zu lassen. Dies zeigt, dass Störungen im persönlichen Näheverhältnis der Parteien der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus tatsächlichen Gründen Grenzen setzen können. Daher kann das Verschuldensprinzip nicht uneingeschränkt zur Beurteilung, ob eine Auflösung 112 Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 22. 04. 1971 – 2 AZR 205/70 – AP KSchG § 7 Nr. 24; ders., Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2; Sander, Die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses, S. 116. 113 Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 22. 04. 1971 – 2 AZR 205/70 – AP KSchG § 7 Nr. 24. 114 Vgl. Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 115 So auch Sander, Die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses, S. 116 f.
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des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist oder nicht, herangezogen werden, sondern es bedarf der Korrektur durch das Zerrüttungsprinzip. Die Regel, „je größer das Verschulden, desto unwahrscheinlicher die Auflösung“, kann nicht aufgestellt werden. Vielmehr ist stets anhand einer an die Verantwortungsbeiträge angepassten Zumutbarkeitsgrenze zu entscheiden, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist oder nicht. Nach hiesiger Auffassung ist nach diesem Prinzip zur Beurteilung eines Auflösungsantrags nach §§ 9, 10 KSchG vorzugehen. Zudem kann der aus dem persönlichen Näheverhältnis abgeleitete Ansatz, bei Zerrüttung trotz überwiegender Verantwortung die Beendigung zuzulassen, auf das Recht zur Kündigung nach § 1 I, II KSchG übertragen werden. Dies ergibt sich daraus, dass es in der im Rahmen der Kündigung anzustellenden Prognose ebenfalls darauf ankommt, ob das persönliche Näheverhältnis eine Fortsetzung des Vertrags noch zulässt. Zudem ist § 9 KSchG, dadurch, dass die Vorschrift einen im Vergleich zu § 1 I, II KSchG milderen Maßstab enthält, als Auffangtatbestand zur Kündigung konzipiert. Die Vorgehensweise bei der Prüfung des Auffangtatbestands unter Zugrundelegung eines milderen Maßstabs, muss dann erst recht beim Haupttatbestand zur Anwendung kommen, bei dem ohnehin ein strengerer Maßstab gilt, weswegen eine Schwächung des Bestandsschutzes dadurch nicht zu befürchten ist.
B. Strukturierung nach Verantwortung Der Anwendung des oben als Verschuldensprinzip beschriebenen Rechtssatzes im Arbeitsrecht könnte entgegenstehen, dass maßgeblich zur Rechtfertigung einer Kündigung nach dem KSchG nicht das Verschulden des Arbeitnehmers, sondern dessen Verantwortung ist. Dass aber die eigene Verantwortung zu einem Rechtsausschluss oder zu einer Schlechterstellung der Rechtspositionen führt, ist aus anderen Vorschriften des BGB, wie z. B. §§ 122 II, 179 III, 323 VI, 326 II, 645 BGB, bekannt. Dem lässt sich entnehmen, dass es für die Berücksichtigung des eigenen Verhaltens desjenigen, der sich auf ein bestimmtes Recht beruft, keinen Unterschied machen kann, ob es sich dabei um verschuldensabhängige oder verschuldensunabhängige Verantwortung handelt. Die der Berücksichtigung vom Mitverschulden zugrunde liegenden Argumente, das Symmetriegebot und Gerechtigkeitserwägungen116, lassen sich auf das Prinzip der Verantwortung übertragen. In dieser Hinsicht sind die Zurechnungskriterien Verschulden und verschuldensunabhängige Verantwortung gleich zu behandeln. So wie das Mitverschulden an der Schadensentstehung der Geltendmachung des vollständigen Ersatzanspruches die Rechtfertigung entbehrt, kann Mitverantwortung für die Gründe bestimmter Gestaltungsrechte deren Ausübung entgegenstehen.
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Siehe Dritter Teil unter § 4 B. I.
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C. Bedeutung der Arbeitnehmerschutzgesetze Eine weitere Bedeutung für die Berücksichtigung des eigenen Fehlverhaltens des Kündigenden könnte der Tatsache einzuräumen sein, dass die Rechtsgebiete, zu denen die oben zitierten Urteile ergangen sind, den Parteien erhebliche Vertragsfreiheit einräumen117, während den Parteien durch die Arbeitnehmerschutzgesetze erhebliche Einschränkungen auferlegt werden. In Abgrenzung zu anderen Verträgen unterliegen die inhaltliche Ausgestaltung sowie die Vollziehung des Arbeitsvertrags zahlreichen Schutzgesetzen, die zwingend zu beachten sind. Sie dienen dazu, die vertraglichen Nachteile, vor denen sich der Arbeitnehmer aufgrund seiner strukturellen Unterlegenheit nicht selbst zu schützen vermag, auszugleichen. Ein Beispiel, in dem der Arbeitnehmerschutzgedanke eine sonst dogmatisch schlüssige Lösung überlagert, ist die Arbeitnehmerhaftung: Trotz vollen Verschuldens, welches unter normalen Umständen einen uneingeschränkten Schadensersatzanspruch rechtfertigen würde, reduziert sich der Umfang der Arbeitnehmerhaftung zu Lasten des Arbeitgebers.118. Ausgehend von der Zielsetzung der Arbeitsschutzgesetze, in deren Schutzbereich der Arbeitgeber, um dessen Verantwortung es vorliegend geht, nicht fällt, dürften sich daraus keine Einschränkungen für eine den Arbeitgeber belastende Regelung ergeben.
D. Einmalleistungen als Bezugspunkt des allgemeinen zivilrechtlichen Maßstabs Hinsichtlich der Regelung der Rücktrittsbefugnis ist zu berücksichtigen, dass das Rücktrittsrecht zur Lösung von Verträgen gedacht ist, die auf den einmaligen Austausch von Leistungen gerichtet sind. Im Gegensatz dazu haben alle in den Beispielen vorkommenden Vertragstypen (Gesellschaftsvertrag, Handelsvertretervertrag, Dienst- und Arbeitsvertrag) gemein, dass sie auf Dauer angelegt sind, womit sie sich in ihrem Vertragszweck ganz wesentlich von einem Vertrag unterscheiden, der nur auf den einmaligen Austausch einer Leistung ausgerichtet ist. Ziel des Dauerschuldverhältnisses ist ein Leistungsaustausch auf Dauer oder zumindest für einen längeren Zeitraum. Dies setzt voraus, dass die Umstände und Bedingungen, unter denen sich der Leistungsaustausch vollzieht, so beibehalten werden, dass sie den Leistungsaustausch weiter zulassen.119 Dadurch, dass der Vertrag von Anfang an darauf ausgelegt ist, auch ein Leistungsinteresse zu befriedigen, das noch in der
117 MünchKomm BGB/Schäfer, § 705 BGB Rn. 132 ff.; MünchHdb, GesR Bd. I/Schücking, § 2 Rn. 25; MünchKomm HGB/Ströbl, § 84 Rn. 92. 118 Eingehend zu den Gründen der Enthaftung Otto/Schwarze/Krause/Otto, Die Arbeitnehmerhaftung, § 3; zur Entwicklung der Rechtsprechung siehe Schaub/Linck, § 59 ArbR-Hdb Rn. 24 ff. 119 Fikentscher/Heinemann, SchuldR, § 7 Rn. 48; vgl. Larenz, SchuldR AT, § 2 VI, S. 31.
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Zukunft liegt, ergibt sich daraus naturgemäß ein viel größeres Bestandsinteresse bei den Vertragsparteien als bei einmaligen Austauschverträgen. Der Rechtsausschluss trifft den Gläubiger eines einmaligen Austauschvertrags in der Situation, dass die Leistung, zu deren Zweck der Vertrag geschlossen wurde, gestört ist, und sich daran anschließend die Frage stellt, ob der Gläubiger die Gegenleistung schuldet oder nicht. Weitere Interaktionen zwischen Schuldner und Gläubiger verlangt das Vertragsverhältnis ohne neue Absprachen nicht (mehr). Mit der Begleichung der Gegenleistung durch den Gläubiger ist es also beendet. Daraus könnte folgen, dass es dem Gläubiger eher zuzumuten ist, an diesem Vertrag festgehalten zu werden, als ein Arbeitgeber, der als Gläubiger eines Arbeitsvertrags noch eine viel längere Zeit mit dem Arbeitnehmer auskommen muss. Die Anforderungen an den Ausschluss des Rücktrittsrechts könnten im Vergleich zum Recht der ordentlichen Kündigung also niedriger liegen. Andererseits beurteilt sich der Ausschluss des Rücktrittsrechts nicht danach, ob das Festhalten am Vertrag dem Gläubiger zumutbar ist, weil es eine Fortführung des Vertrags im Sinne des weiteren Leistungsaustauschs nicht gibt. Vielmehr hängt das Recht zur Vertragsauflösung davon ab, welcher Vertragspartei das Tragen eines finanziellen Verlustes entweder in Form der Weggabe einer Sache ohne dafür eine Vergütung zu erhalten oder in Form der Entgegennahme und Bezahlung einer Sache, deren Wert die abgehenden Vermögensflüsse nicht kompensiert, eher anzulasten ist. Da die maßgebliche Referenz für den Ausschluss des Rücktrittsrechts die Verteilung einer Vermögenseinbuße ist, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Mehraktigkeit des parteilichen Handelns bei einem Dauerschuldverhältnis dem Ausschluss des Kündigungsrechts entgegensteht, weil die Anforderungen an einen Ausschluss des Lösungsrechts bei den auf den einmaligen Leistungsaustausch ausgerichteten Vertragsverhältnissen niedriger liegen als bei einem Dauerschuldverhältnis. Denn die Einmaligkeit des Leistungsaustauschs spielt für den Ausschluss des Rücktrittsrechts keine maßgebliche Rolle. Das heißt, dass die Tatsache, dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis und den Vertragsverhältnissen, die dem Anwendungsbereich des § 323 BGB unterliegen, um einmalige Austauschverhältnisse handelt, kein Grund ist, die Übertragbarkeit des dem Rücktrittsausschluss dort zugrunde liegenden Gedankens von vornherein für ausgeschlossen zu halten.
E. Vergleich der außerordentlichen Kündigung mit der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrags In den oben dargestellten Fällen ging es um den Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung. Ein wesentlicher Aspekt, der aus Sicht der Rechtsprechung für den Ausschluss des Kündigungsrechts gesprochen haben könnte, könnte die Tatsache gewesen sein, dass dem Kündigenden noch die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung verblieb. Die Versagung des außerordentlichen Kündi-
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gungsrechts könnte also leichter fallen, weil der Rechtseingriff für den Betroffenen weniger erheblich ist, wenn ihm noch das Recht zur ordentlichen Kündigung zusteht. Des Weiteren kommt hinzu, dass die Anforderungen an den Grund der außerordentlichen Kündigung höher liegen als bei der ordentlichen Kündigung. Liegt die Unzumutbarkeitsschwelle höher, kann sie auch leichter unterschritten werden. Andererseits weist die außerordentliche Kündigung auch einige Gemeinsamkeiten mit der ordentlichen Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz auf, weil dort aufgrund der höheren Gewichtung des Bestandsschutzgedankens abweichend vom „normalen“ Kündigungsrecht, wo das Prinzip der Kündigungsfreiheit vorherrschend ist, eine Kündigung ebenfalls nur bei Vorliegen bestimmter Gründe möglich ist. Es ist also zu untersuchen, ob sich vergleichbare Strukturen auffinden lassen, auf die sich das eigene Verhalten des Kündigenden gleichermaßen auswirkt, so dass sich am Ende ein einheitlicher Rechtssatz darüber aufstellen lässt, wie Mitverantwortung zu berücksichtigen ist.
I. Gegenstand der Zumutbarkeit Um die Anforderungen an die Unzumutbarkeit der ordentlichen mit der außerordentlichen Kündigung vergleichen zu können, muss zunächst feststehen, dass Gegenstand der Abwägung überhaupt die Fortsetzung bzw. Beendigung des Vertragsverhältnisses ist. Dafür ist zwischen den einzelnen Vertragsverhältnissen zu differenzieren. 1. Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses a) Gesellschaftsvertrag Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, die zur Berücksichtigung der Mitverantwortung bei Kündigungen herangezogen werden120, bezogen sich ursprünglich nicht auf eine Kündigung, sondern wurden zur Übernahme der Gesellschaft durch einen der Gesellschafter (§ 142 HGB a. F.) aufgestellt121, welches dem heutigen Recht zum Ausschluss eines Gesellschafters (§ 140 I HGB) entspricht. Das maßgebliche und den Ausschluss des Übernahmerechts legitimierende Argument könnte damit auf einer Eigenheit der im Übernahmerecht vorhandenen Interessen120 Vgl. BGH, Urt. v. 29. 11. 1966 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348 und BGH, Urt. v. 29. 10. 1959 – II ZR 27/58 – VersR 1960, 246 (beide zur Kündigung eines Handelsvertretervertrags), die auf BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111 und RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734 (beide zum Ausschluss eines Gesellschafters) verweisen. 121 Nach BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111 handelt es sich bei RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734 um das maßgebliche Urteil zur Berücksichtigung eigener Verfehlungen des klagenden Gesellschafters.
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lage beruhen. Das Übernahmerecht eines Gesellschafters wegen eigener Verfehlungen könnte nur deshalb ausgeschlossen worden sein, weil man die Auflösung der Gesellschaft in diesem Fall für das besser geeignete Mittel erachtete. Dann könnten die Grundsätze zum Ausschluss des Kündigungsrechts im Gesellschaftsrecht nicht ohne weiteres zur Bewertung einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses herangezogen werden. Die Interessenlage wäre zu verschieden, denn eine mit der Auflösung der Gesellschaft etwa vergleichbare Betriebsaufgabe steht im Kündigungsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zur Disposition. Dort geht es um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis beendet oder fortgesetzt wird, während durch die Alternativität von Auflösung und Übernahme feststeht, dass die Gesellschafter so oder so nicht mehr zusammenarbeiten werden. Die gegeneinander abzuwägenden Interessen unterscheiden sich insofern. Nach den Ausführungen des Reichsgerichts kommt eine Übernahme durch einen Gesellschafter gem. § 142 HGB a. F. dann nicht in Betracht, wenn beiderseitige Verfehlungen vorliegen, die beiden Gesellschaftern das Recht geben, die Gesellschaft auszulösen.122 Das Übernahmerecht bestehe nur, wenn die Verfehlung des auszuschließenden Gesellschafters die Verfehlung des Übernehmenden völlig in den Hintergrund drängt. Bei gleich schwerwiegenden Verfehlungen hätten beide Parteien ihr Recht zur Übernahme des Geschäfts „verwirkt“.123 Dies zeigt, dass das Gericht, als es die Grundsätze zum Ausschluss des Übernahmerechts bei beiderseitigen Verfehlungen aufstellte, annahm, dass keiner von beiden Gesellschaftern die Fortführung der Gesellschaft verdient habe, die Auflösung der Gesellschaft in dem Fall das gerechtere Mittel sei und deshalb der Gesellschafterausschluss nicht in Betracht komme.124 Würde man allein diesen Aspekt zu Grunde legen, käme man zu dem Schluss, dass sowohl die Interessenlage als auch die rechtlichen Voraussetzungen beim Ausschluss des Übernahme- bzw. Kündigungsrechts im Gesellschaftsrecht nicht mit dem des Kündigungsrechts des Arbeitgebers vergleichbar sind. Allerdings knüpft die Übernahme an Gründe an, die auch zur Auflösung der Gesellschaft gegeben sein müssen. So existiert neben dem zuvor genannten Urteil des Reichsgerichts125 Rechtsprechung, die sich der Problematik des beiderseitigen Verschuldens bei der Auflösung einer Gesellschaft126 bzw. bei der Kündigung einer BGB-Gesellschaft127 122
RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734. RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II 75/41 – DR 1942, 733, 734. 124 Das gleiche Argumentationsmuster findet sich bereits in RG, Urt. v. 23. 11. 1928 – II 221/ 28 – RGZ 122, 312, 313, wo einem Gesellschafter einer KG verwehrt wurde, seinen Mitgesellschafter auszuschließen, vor dem Hintergrund, dass „jeder von den beiden vertretungsberechtigten Gesellschaftern ein hohes Maß von Schuld an den bestehenden Schwierigkeiten [trage], und es daher höchst unbillig [wäre], wenn man den einen durch Ausschließung des anderen bevorzugen würde“ und die Gesellschaft stattdessen aufgelöst wurde. 125 RG, Urt. v. 17. 11. 1941 – II75/41 – DR 1942, 733, 734. 126 RG, Urt. v. 23. 11. 1928 – II 221/28 – RGZ 122, 312, 313. 127 RG, Urt. v. 26. 02. 1938 – II 116/37 – JW 1938, 1392, 1393. 123
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widmet. Hierzu hat sich eine ähnliche Lösung entwickelt, wodurch die Unterschiede im Hinblick auf die anders gelagerten Interessen relativiert werden. Denn dort wird ausdrücklich auf die Rechtsprechung zum beiderseitigen Verschulden bei der handelsrechtlichen Übernahmeklage Bezug genommen. Danach muss auch bei einer Kündigung nach § 723 BGB das eigene Verhalten des kündigenden Gesellschafters im Hinblick auf die ihm zumutbaren Verfehlungen des zu kündigenden Gesellschafters berücksichtigt werden. Ein allgemeiner Rechtssatz, dahin gehend, dass beiderseitiges Verschulden einen wichtigen Grund und damit das Kündigungsrecht ausschließt, lässt sich jedoch nicht aufstellen128. Auf Grundlage dessen wurde in jüngerer Zeit z. B. entschieden, dass die eigene Schuld am Zerwürfnis der Parteien die Kündigungsbefugnis jedenfalls dann nicht ausschließt, wenn der kündigende Gesellschafter zugleich derjenige ist, der die Finanzierung der Gesellschaft zu verantworten hat.129 Es ging u. a. um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Gesellschaftsvertrags einer BGBGesellschaft, den zwei Aktiengesellschaften geschlossen hatten. Ziel der Gesellschaft war der gemeinsame Betrieb eines UMTS-Netzes, wobei die eine Gesellschaft die Netzlizenzen einbringen sollte, während die beklagte Gesellschaft die Finanzierung übernehmen sollte. Kurze Zeit später ist die Beklagte mit einem Großaktionär der AG in einen unüberwindbaren Streit über die Rentabilität des Netzausbaus geraten. Hinzu kamen unabgesprochene Geldtransaktionen dieses Großaktionärs aus einem von der AG und der Beklagten gemeinsam betriebenen Kooperationsunternehmen, das zum Zwecke der Ersteigerung der Lizenzen gegründet worden war. Aufgrund des Vertrauensverlustes in den besagten Großaktionär kündigte die Beklagte den Gesellschaftsvertrag mit der AG, wozu das Gericht ausführte, dass die Kündigung der Beklagten unabhängig von einem eigenen Verschulden an dem Zerwürfnis mit dem Großaktionär wirksam ist, da es sich bei der Beklagten um den Gesellschafter handelte, den die alleinige Finanzierungspflicht traf.130 Indem die Kündigung für wirksam gehalten wurde, wurde das zerrüttete Vertrauensverhältnis höher gewichtet als das eigene Verschulden des Kündigenden, das allerdings zu Schadensersatzansprüchen der Mitgesellschafter führte.131 Im Fall einer Rechtsanwalts-GbR wurde hingegen das eigene Fehlverhalten des Kündigenden als so schwerwiegend gewichtet, dass diesem das Recht zur außerordentlichen Kündigung aberkannt wurde.132 Dieser hatte aufgrund eines vorangegangenen Streits mit seinen Sozien zunächst dem geschäftsführenden Gesellschafter die Einzelvertretungs- und Einzelgeschäftsführungsbefugnis entzogen, dies der Hausbank der Kanzlei mitgeteilt und diesem Schreiben wiederum ohne Not ein 128 RG, Urt. v. 26. 02. 1938 – II 116/37 – JW 1938, 1392, 1393; RG, Urt. v. 23. 11. 1928 – II 221/28 – RGZ 122, 312, 313. 129 OLG Schleswig, Urt. v. 28. 10. 2010 – 5 U 55/09 – BeckRS 2010, 29118. 130 OLG Schleswig, Urt. v. 28. 10. 2010 – 5 U 55/09 – BeckRS 2010, 29118, II B) 4. c). 131 OLG Schleswig, Urt. v. 28. 10. 2010 – 5 U 55/09 – BeckRS 2010, 29118, II B) 4. c). 132 BGH, Urt. v. 10. 06. 1996 – II ZR 102/95 – NJW 1996, 2573, 2574.
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anderes Schreiben beigefügt, aus dem hervorging, dass die Sozietät hoch verschuldet sei, wodurch diese tatsächlich in Liquiditätsprobleme geriet und wofür die übrigen Gesellschafter Sicherheiten aus ihrem Privatvermögen stellen mussten. Der gemeinsame Kern der am Ende der in den Gerichtsurteilen gefundenen Lösung ist eine Interessenabwägung, nach der sich entscheidet, ob ein wichtiger, zur Kündigung berechtigender Grund vorliegt. Dies wiederum orientiert sich am Auflösungsinteresse, das gegen das Fortsetzungsinteresse abzuwägen ist.133 Bei Unzumutbarkeit der Fortführung der Gesellschaft ist ein Überwiegen des Auflösungsinteresses und damit das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu bejahen. Damit ist sowohl bei einer Kündigung nach § 723 BGB als auch bei der Auflösung und Ausschließung nach §§ 133, 140 HGB das die Interessenabwägung entscheidende Kriterium, ob die Fortführung des Gesellschaftsvertrags trotz Verfehlungen noch zumutbar ist. Damit stimmen die Abwägungsparameter mit denen der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrags insoweit überein. Im Fall der Mitverantwortung des kündigenden Gesellschafters ist zwischen den folgenden drei Fallkonstellationen zu differenzieren: Bei vorsätzlicher Herbeiführung des Auflösungsgrundes kann sich der Kündigende aus Gründen des Rechtsmissbrauchs nicht darauf berufen. Es widerspräche Treu und Glauben ein Handeln, das in der Absicht, seinem Vertragspartner einen Nachteil (die Liquidation der Gesellschaft) zuzufügen, erfolgt, zuzulassen.134 Bei sonstig schuldhaftem Verhalten, also einem solchen, das nicht von vornherein auf die Auflösung der Gesellschaft ausgerichtet ist, wodurch in vorsätzlicher oder fahrlässiger Weise gegen die vertraglichen Pflichten verstoßen wird, ist wiederum zwischen zwei Situationen zu unterscheiden: Das Fehlverhalten beider Parteien kann verschiedene Hintergründe haben und aus verschiedenen Pflichtverletzungen bestehen, man könnte es als parallel beschreiben. In diesem Fall verschiebt sich die Grenze des zumutbaren Verhaltens zu Lasten desjenigen, der sich selbst vertragswidrig verhalten hat, die Pflichtverletzung der Gegenseite jedoch zum Anlass nimmt, zu kündigen.135 In der anderen Konstellation bedingt das Verhalten der einen Partei das Verhalten der anderen Partei, so dass im Endeffekt beide Parteien aufgrund desselben Grundes kündigen könnten. Dann hängt die Kündigungsbefugnis davon ab, ob die vom zu kündigenden Gesellschafter zu verantwortende Störung ausreicht, eine Fortsetzung des Vertrags unter Zugrundelegung des verschärften Maßstabs unzumutbar zu machen. I. d. R. ist dies der Fall, wenn der zu kündigende Gesellschafter auch über133 BGH, Urt. v. 23. 10. 2006 – II ZR 162/05 – NJW 2007, 589, 590; BGH, Urt. v. 12. 07. 1982 – II ZR 157/81 – BGHZ 84, 379, 383; MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 28; Soergel/ Hadding/Kießling, § 723 Rn. 34 ff. 134 Vgl. MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 34, der in diesem Zusammenhang von Arglist spricht; ebenso Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht, § 723 BGB Rn. 22. 135 Die Frage, ob eine Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses zumutbar ist, kann nicht ohne Berücksichtigung der beiderseitigen Verhaltensweisen beantwortet werden (BGH, Urt. v. 21. 11. 2005 – II ZR 367/03 – NJW 2006, 844, 845; BGH, Urt. v. 18. 07. 2005 – II ZR 159/03 – NJW 2005, 3061; BGH, Urt. v. 28. 01. 2002 – II ZR 239/00 – DStR 2002, 868.
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wiegend für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses verantwortlich ist.136 Ferner ist in Anlehnung an § 726 BGB zu berücksichtigen, dass bei endgültiger Zerrüttung, also Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks, kein Ausschluss des Kündigungsrechts in Betracht kommt.137 Es lässt sich festhalten, dass bei der Kündigung eines Gesellschaftsvertrags der Bezugspunkt der Zumutbarkeit die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ist, so dass einer Übertragbarkeit der u. a. anhand des Übernahmerechts entwickelten Grundsätze zur Berücksichtigung des Fehlverhaltens nichts entgegensteht. b) Sonstige Dauerschuldverhältnisse In den Fällen, die die sonstigen Dauerschuldverhältnisse (Handelsvertretervertrag, Lieferung- und Abnahmevertrag sowie Mietvertrag) betreffen, ist der Bezugspunkt der Zumutbarkeit stets die Frage nach der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses.138 Wörtlich heißt in einem Urteil des BGH zur Kündigung eines Handelsvertretervertrags: „Bei Entscheidung der Frage, ob einem Teil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zuzumuten ist, spielt vielmehr im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände regelmäßig sein eigenes Verhalten eine erhebliche Rolle“.139 Darauf Bezug nehmend heißt es in einem anderen Urteil, dass „die gebotene Abwägung [ergeben] kann, daß gem. § 242 BGB angesichts des „Tatbeitrags“ der Beklagten jedenfalls ihr zuzumuten war am Vertrag festzuhalten“.140 Damit kann festgestellt werden, dass bei allen Vertragstypen Bezugspunkt der Zumutbarkeit die Fortsetzung des Vertrags ist. Im Ergebnis läuft somit alles auf eine Interessenabwägung hinaus, bei der sich unabhängig von der Vertragsart dieselben Mechanismen abzeichnen: Je größer der eigene Verantwortungsanteil des Kündigenden am Kündigungsgrund ist, desto höher steigt proportional zum Verantwortungsbeitrag die vom Kündigenden hinzunehmende Zumutbarkeitsgrenze. 2. Zumutbarkeit der dauerhaften Vertragsfortsetzung Freilich ist damit noch nicht gesagt, dass die Antwort auf die Frage, ob es zumutbar ist, einen Vertrag bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen gleichlautend mit derjenigen ist, wenn bei der ordentlichen Kündigung geklärt werden 136
OLG Hamm, Urt. v. 23. 02. 2010 – 27 U 178/05 – BeckRS 2010, 11539; MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 34. 137 MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 34. 138 BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309; BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265; vgl. BGH, Urt. v. 07. 07. 1971 – VIII ZR 10/70 – WM 1971, 1300; BGH, Urt. v. 04. 06. 1969 – VIII ZR 134/67 – NJW 1969, 1845; BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348. 139 BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348. 140 Vgl. zu einem Lieferungs- und Abnahmevertrag BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265.
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muss, ob die Fortsetzung des Vertrags im Grundsätzlichen noch zumutbar ist. Denn die außerordentliche und ordentliche Kündigung unterscheiden sich erheblich: Die außerordentliche Kündigung bewirkt die sofortige Lösung vom Dauerschuldverhältnis, während die ordentliche Kündigung erst nach Ablauf einer Frist zur Beendigung des Vertrags führt. Grund dafür ist, dass im Allgemeinen die außerordentliche Kündigung das Mittel ist, auf einen „Vorfall“ zu reagieren, der die Fortsetzung des Vertrags bereits bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar macht.141 Im Gegensatz dazu ist die ordentliche Kündigung schlicht dazu da, ein auf Dauer eingegangenes Vertragsverhältnis wieder zu beenden. Sie ist als einseitiges und regelmäßig tatbestandsloses Recht142 zur Wahrung der Privatautonomie notwendiger Bestandteil der Freiheit einen Vertrag abzuschließen und diesen wieder auflösen zu können.143 Daraus lassen sich einige Schlussfolgerungen ableiten: Die Schwelle der Unzumutbarkeit liegt wegen der vorzeitigen Beendigung bei der außerordentlichen Kündigung höher als bei der ordentlichen Kündigung144. Wenn ein Fehlverhalten des Kündigenden hinzu kommt, steigen die Anforderungen an die Unzumutbarkeit noch um ein weiteres. Dass eine einfache Störung nicht ausreicht, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu rechtfertigen, ist also auch den strengeren Anforderungen der außerordentlichen im Vergleich zu denen der ordentlichen Kündigung geschuldet. Das höhere Maß an Zumutbarem führt dazu, dass auf Tatbestandsebene kein Kündigungsgrund dargelegt werden kann. Nichtsdestotrotz wird in diesen Fällen von einem „Ausschluss des Kündigungsrechts“145 gesprochen, wobei die Wahl des Begriffs „Ausschluss“ suggeriert, anfänglich hätte ein Kündigungsrecht vorgelegen, das durch nachträglichen korrigierenden Eingriff aufgehoben wurde. Dabei handelt es sich um eine sprachliche Fehlinterpretation, da die Unzumutbarkeit Teil des Kündigungsgrundes ist und deren Fehlen folglich zum Fehlen des Kündigungsgrunds führt. Das sollte der Veran141 Nicht notwendig ist ein Fehlverhalten der anderen Vertragspartei (so aber Beitzke, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, S. 20 ff.), der wichtige Grund kann verschuldensunabhängig entstanden sein oder verschuldet sein, er darf nur nicht aus dem Gefahrenbereich des Kündigenden entstammen. (BGH, Urt. v. 27. 03. 1991 – IV ZR 130/90 – NJW 1991, 1828, 1829; BGH, Urt. v. 07. 07. 1971 – VIII ZR 10/70 – WM 1971, 1300; vgl. Molitor, Die Kündigung, S. 250 der die außerordentliche Kündigung als einen Rechtsbehelf gegen eine Veränderung der von den Parteien für den Vertrag vorausgesetzten Umständen sieht). 142 Ausnahmen davon stellen die ordentliche Kündigung eines Arbeitsvertrags dar, der in den Anwendungsbereich des KSchG fällt, oder die ordentliche Kündigung eines Wohnraummietvertrags. 143 Siehe Zweiter Teil unter § 3 B. I.; APS/Preis, Grundlagen E, S. 101 f.; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis, S. 264 ff., 272 ff. 144 Gilt für das Verhältnis der außerordentlichen und ordentlichen Kündigung im Arbeitsrecht, die dem KSchG unterliegt (h. M. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 480 ff.). Nur dort weisen sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung das Kriterium der Unzumutbarkeit als Bestandteil des Kündigungsgrundes auf. 145 BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111 ff.; RG, Urt. v. 26. 02. 1938 – II 116/37 – JW 1938, 1392, 1393.
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schaulichung dienen, dass bei einer außerordentlichen Kündigung die Anforderungen an einen „Ausschluss“ des Kündigungsrechts niedriger liegen als bei der ordentlichen Kündigung. Zumal der Rechtseingriff in die Privatautonomie des Betroffenen, in Gestalt der Versagung des Rechts, weniger schwer wiegt als bei der ordentlichen Kündigung, da diesem eben noch das Recht zur ordentlichen Kündigung verbleibt. Allein aus der Tatsache, dass es möglich ist, wegen eigenen „Mitverschuldens“ das Recht des Kündigenden abzulehnen, kann noch nicht gefolgert werden, dass dies bei der ordentlichen Kündigung entsprechend so ist. Zwar liegt der Grad der Unzumutbarkeit, den eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erreichen muss, bei einer ordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrags nicht so hoch wie bei einer außerordentlichen Kündigung146, dennoch hat dies nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Anforderungen für den Ausschluss des Kündigungsrechts niedriger liegen. Im Gegenteil, hier wirkt sich aus, dass Bezugspunkt der Zumutbarkeit die dauerhafte Fortsetzung des Vertrags ist. Auf Dauer betrachtet, erweist sich das Zurückbleiben des Geleisteten hinter dem vertraglich Geschuldeten – trotz eigenen Fehlverhaltens – eher als unzumutbar als bis zum Ablauf einer gewissen Frist. Das niedrigere Störungsniveau der ordentlichen Kündigung ist der Grund dafür, dass die doch beträchtliche Anzahl von Gerichtsentscheidungen, in denen dem einen Vertragsteil das Recht zur außerordentlichen Kündigung versagt wurde147, nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Hürden für eine Versagung des Kündigungsrechts bei der ordentlichen Kündigung höher liegen.
II. Der Kündigungsgrund 1. Bei der Auflösung einer Gesellschaft Sowohl die Kündigung nach § 723 BGB als auch die Auflösungsklage nach § 133 HGB setzen für die sofortige Beendigung der Gesellschaft einen wichtigen Grund voraus, der wegen einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses die Fortsetzung der Gesellschaft bis zur nächst möglichen Kündigungsmöglichkeit bzw. bis zum vorhergesehenen Vertragsende unzumutbar macht.148 Dieser weit gefassten Formulierung lassen sich zwei wesentliche Bestandteile des Kündigungsgrundes entnehmen, die auch Teile des ordentlichen Kündigungsgrundes nach § 1 I KSchG 146
APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 267; mit Einschränkungen KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 312 ff.; LKB/Krause, § 1 165; LSSW/Löwisch, Vor § 1 Rn. 160. 147 Zum Beispiel BGH, Urt. v. 27. 03. 1991 – IV ZR 130/90 – NJW 1991, 1828, 1829; BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265; BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348; BGH, Urt. v. 15. 06. 1951 – V ZR 86/50 – NJW 1951, 836, 837; RG, Urt. v. 23. 10. 1930 – IV 721/29 – RGZ 130, 375, 378. 148 St. Rspr. BGH, Urt. v. 22. 05. 2012 – II ZR 2/11 – DStr 2012, 1760, 1762; BGH, Urt. v. 24. 07. 2000 – II ZR 320/98 – NJW 2000, 3491, 3492; BGH, Urt. v. 17. 12. 1959 – II ZR 32/59 – BGHZ 31, 295, 304; BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111 ff.; MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 28; Soergel/Hadding/Kießling, § 723 Rn. 34.
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sind. Erste Voraussetzung ist eine Störung unterschiedlichen Ursprungs, die sich dergestalt auf die Vertragsbeziehung auswirkt, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich erscheint.149 § 723 I 3 Nr. 1 BGB nennt beispielhaft die schuldhafte Verletzung wesentlicher vertraglicher Verpflichtungen.150 Ebenfalls zu den personenbezogenen Gründen gehören Eigenschaften des Gesellschafters, wie Alter oder Krankheit.151 Darüber hinaus kommen nicht personenbezogene Gründe in Betracht, die z. B. aus wirtschaftlicher Sicht das Erreichen des Gesellschaftszwecks zumindest als gefährdet, wenn nicht unmöglich, erscheinen lassen.152 Neben diesem geschäftlichen Bereich sind Umstände aus dem außergeschäftlichen Bereich, wie Konflikte innerhalb der Familien der Gesellschafter, denkbar.153 Verallgemeinernd lässt sich dem entnehmen, dass es für einen Kündigungsgrund keines Verschuldens bedarf154 ; maßgeblich ist vielmehr ein negatives Abweichen in tatsächlicher Hinsicht von den von den Gesellschaftern für das Erreichen des Gesellschaftszwecks zu Grunde gelegten Umständen. Der zweite Bestandteil des Kündigungsgrundes ist die Interessenabwägung, in der unter eingehender Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls das Auflösungsinteresse des einen Gesellschafters dem Interesse der übrigen Gesellschafter, die Gesellschaft fortzuführen, gegenübergestellt wird.155 In die Abwägung einzustellende Faktoren sind u. a. die Ursachen, Art und Schwere der nunmehr das Gesellschaftsverhältnis beeinträchtigenden Störung, ob der für die Kündigung ausschlaggebende Umstand schuldhaft herbeigeführt worden ist, welchen Grad an persönlicher Zusammenarbeit Zweck und Struktur der Gesellschaft erfordern, auf welche Dauer die Gesellschaft angelegt ist, wie sich die gesellschaftliche Zusammenarbeit in der Vergangenheit gestaltet hat und ob sich durch mildere Mittel die Kündigung abwenden lässt.156 Wie bereits erläutert, ist die Interessenabwägung das 149 MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 28; PWW/v. Ditfurth, § 723 BGB Rn. 11; Soergel/Hadding/Kießling, § 723 Rn. 34. 150 Siehe Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht, § 723 BGB Rn. 12 für weitere Beispiele. 151 MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 33; MünchHdb. GesR Bd. 1/Gummert, § 21 Rn. 32. 152 MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 35; MünchHdb. GesR Bd. 1/Gummert, § 21 Rn. 29. 153 BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111 ff. (Beziehung zu der Ehefrau eines Mitgesellschafters); OLG Jena, Urt. v. 09. 07. 1997 – 2 U 1248/96 – NZG 1998, 343, 347 (Äußerung eines strafrechtlichen Verdachts); Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht, § 723 BGB Rn. 13 f.; MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 31. 154 Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht, § 723 BGB Rn. 14. 155 BGH, Urt. v. 12. 07. 1982 – II ZR 157/81 – BGHZ 84, 379; MünchHdb. GesR Bd. 1/ Gummert, § 21 Rn. 26; Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht, § 723 BGB Rn. 11; PWW/ v. Ditfurth, § 723 BGB Rn. 11. 156 BGH, Urt. v. 22. 05. 2012 – II ZR 2/11 – DStR 2012, 1760, 1762; BGH, Urt. v. 21. 11. 2005 – II ZR 367/03 – NJW 2006, 844, 845; BGH, Urt. v. 28. 01. 2002 – II ZR 239/00 – DStR 2002, 868; BGH, Urt. v. 08. 07. 1976 – II ZR 34/75 – WM 1976, 1030, 1031; MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 28; MünchHdb GesR Bd. 1/Gummert, § 21 Rn. 27, 30 f.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Einfallstor zur Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Kündigenden, da infolge dessen Fehlverhaltens ein strengerer Maßstab an die Zumutbarkeitsschwelle zu legen ist.157 2. Bei der Ausschließung eines Gesellschafters Ähnlich wie der Kündigungsgrund strukturiert ist, ist auch der wichtige Grund, der Voraussetzung für die Ausschließung eines Gesellschafters nach § 140 HGB ist, strukturiert. § 140 HGB verweist dem Grunde nach auf die Voraussetzungen einer Kündigung nach § 133 HGB mit der Einschränkung, dass es sich um einen Umstand in der Person des auszuschließenden Gesellschafters handeln muss, der die Fortsetzung der Gesellschaft unzumutbar macht. Wesentlich für einen wichtigen Grund, der zur Ausschließung eines Gesellschafters berechtigt, ist daher das Vorliegen einer Störung des Gesellschaftsverhältnisses und eine Interessenabwägung, die zu Lasten des ausschließenden Gesellschafters geht.158 Hervorzuheben ist indes eine Besonderheit im Rahmen der Interessenabwägung, die der Tatsache geschuldet ist, dass es sich um einen personenbezogen Grund handelt: Infolgedessen verschieben sich bzw. im Vergleich mit der Auflösung einer Gesellschaft verengen sich die Abwägungsparameter dahin gehend, dass die Fortsetzung der Gesellschaft mit eben dem auszuschließenden Gesellschafter unzumutbar sein muss159, es muss sich eine Zweiteilung der Gesellschafter in „gesellschaftstreue“ und „gesellschaftsfeindliche“160 aufdrängen. Andernfalls wäre die Gesellschaft nach § 133 HGB aufzulösen. 3. Beim Mietvertrag Die außerordentliche Kündigung eines Mietvertrags ist gem. § 543 I 2 BGB zulässig, wenn dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Darunter ist im Allgemeinen eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses infolge schwerer Pflichtverletzung des anderen Teils zu verstehen.161 Diese muss nicht vom anderen Vertragsteil zu vertreten sein. § 543 I 2, 157
Für die Verortung des Mitverschuldens des Kündigenden in die Interessenabwägung auch BGH, Urt. v. 24. 07. 2000 – II ZR 320/98 – NJW 2000, 3491, 3492; BGH, Urt. v. 30. 11. 1951 – II ZR 109/51 – BGHZ 4, 108, 111 ff.; MünchHdb. GesR Bd. 1/Gummert, § 21 Rn. 30 f.; MünchKomm BGB/Schäfer, § 723 Rn. 34; MünchKomm HGB/Schmidt, § 133 Rn. 25; Oetker/ Kamanabrou, § 133 HGB Rn. 6. 158 Ausführlicher dazu MünchKomm HGB/Schmidt, § 140 Rn. 16 ff. 159 Baumbach/Hopt/Roth, § 140 HGB Rn. 7; EBJS/Lorz, § 140 Rn. 5. 160 Die Begriffswahl geht zurück auf K. Schmidt, GesR § 50 III 1b; ebenso EBJS/Lorz, § 140 Rn. 16; Kilian, WM 2006, 1567, 1569; Piehler, DStR 1991, 686, 687. 161 BGH, Urt. v. 26. 04. 2002 – LwZR 20/01 – NZM 2002, 660, 661; Blank/Börstinghaus, Miete, § 543 Rn. 7; Palandt/Weidenkaff, § 543 BGB Rn. 4 f.; Schmidt-Futterer/Blank, MietR § 543 BGB Rn. 164.
§ 5 Übertragbarkeit auf das Recht zur ordentlichen Kündigung?
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III BGB normiert jedoch, dass das Verschulden im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass der Gesetzgeber hier von der Zurechenbarkeit des Kündigungsgrundes dergestalt ausgeht, dass der zur Kündigung führende Umstand vom zu Kündigenden grundsätzlich zu verantworten sein muss. So hat der BGH in einem Fall ausgeführt, in dem die Vermieterin, ein Energieunternehmen, den mit einem Schuheinzelhändler über ein brach liegendes Gelände abgeschlossenen Mietvertrag außerordentlich kündigen wollte, da die Fläche zum Bau eines Kraftwerks benötigt wurde, dass eine außerordentliche Kündigung […] in der Regel nur auf Umstände gestützt werden kann, die in der Person oder zumindest im Risikobereich des Kündigungsgegners begründet sind.162 Betreffen die zur Kündigung führenden Umstände indes Vorgänge, die nicht in der Einflusssphäre des Kündigungsgegners liegen, vielmehr aus dem eigenen Interessenkreis des Kündigenden stammen, ist den Interessen des Kündigungsgegners grundsätzlich Vorzug vor denen des Kündigenden zu gewähren, der die Beendigung des Vertragsverhältnisses anstrebt.163 Ausnahmen sind allerdings dann zu machen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Vertrag anzupassen oder unter Leistung einer Entschädigung an den anderen Teil aufzulösen.164 In dem Fall der Kündigung anlässlich des Baus des Heizkraftwerks entschied das Gericht, dass die Vermieterin bei Vertragsschluss nicht das Risiko übernommen hat, dass die Fläche nicht zum Bau eines Kraftwerks genutzt werde, die Voraussetzungen, die zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, vorlagen und der Vertrag deshalb gegen Zahlung einer Entschädigung aufzulösen war.165 In abschließender Betrachtung sind dem Fall zwei Aspekte zu entnehmen, die den Kündigungsgrund betreffen. Erstens, der Kündigungsgrund, also Umstände, weswegen den Parteien die Vertragsfortsetzung unzumutbar würde, umfasst von den Parteien nicht verschuldete Umstände, also die Realisierung eines bestimmten Risikos. Zweitens, ist die Verteilung des Risikos nach der Interessenlage der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorzunehmen, sofern keine vorrangigen gesetzlichen Regelungen zur Verteilung des Risikos existieren. Hieraus könnten sich u. a. Anhaltspunkte für den Umgang mit der arbeitgeberseitigen Verantwortung im Hinblick auf die personenbedingte Kündigung gewinnen lassen, weil auch dort die zur Kündigung führende Störung, insbesondere bei Krankheit, nicht verschuldet sein muss.
162 BGH Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309, 310; so auch Blank/ Börstingshaus, Miete, § 543 Rn. 6; Hirsch, WM 2006, 418, 422. 163 BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309, 310; BGH, Urt. v. 07. 07. 1971 – VIII ZR 10/70 – WM 1971, 1300, 1302. 164 BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309, 310; BGH, Urt. v. 07. 07. 1971 – VIII ZR 10/70 – WM 1971, 1300, 1302. 165 BGH, Urt. v. 13. 12. 1995 – XII ZR 185/93 – ZMR 1996, 309, 310.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
4. Bei sonstigen Dauerschuldverhältnissen Der wichtige Grund zur Kündigung eines Handelsvertretervertrags ist deckungsgleich mit dem, der zur außerordentlichen Kündigung eines Gesellschaftsvertrags erforderlich ist, weswegen die von der Rechtsprechung im Gesellschaftsrecht entwickelten Grundsätze zum Umgang mit dem eigenen Fehlverhalten des Kündigenden auf dieses Vertragsverhältnis einschließlich des Dienstvertrags übertragen worden sind.166 Gleiches trifft auf die außerordentliche Kündigung eines Abnahme- und Lieferungsvertrags zu.167 5. Vergleich mit dem Grund einer ordentlichen Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz Zunächst fällt auf, dass bei allen Kündigungssituationen, bis auf bei der betriebsbedingten Kündigung, die Strukturelemente der Leistungsstörung und der Interessenabwägung vorkommen. Konzentriert man den Vergleich zunächst auf den Begriff der Störung, so ergibt sich, dass dieser hinsichtlich des Gesellschaftsverhältnisses wesentlich weiter gefasst ist als bei der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrags. Während dort allein das vertraglich vereinbarte Austauschverhältnis maßgeblich ist168, kann eine Störung des Gesellschaftsverhältnisses auch von außerhalb der Gesellschaft stammen. Dies hängt mit dem Gesellschaftszweck zusammen, zu dessen gemeinsamer Erreichung sich die Gesellschafter aufgrund privatautonomen Willensentschlusses zusammengeschlossen haben, was kaum einer diese Freiheit einschränkender Gesetzgebung unterliegt, und insofern jedwedes Ziel zum Inhalt haben und aus Sicht der Gesellschafter auch durch jedweden Umstand gefährdet sein kann. In Abgrenzung dazu sind bei einem Arbeitsverhältnis, das dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes unterliegt, die Störungsursachen zum Schutz des Arbeitnehmers auf Gründe der Person, des Verhaltens und auf betriebsbedingte begrenzt. Dennoch gibt es Überschneidungen bei den kündigungsrelevanten Umständen, wie z. B. das pflichtwidrige Verhalten oder unverschuldete in der Person liegende Gründe, sofern sie Auswirkungen auf die Leistungsbeziehung haben. Somit liegt der gesellschaftsrechtlichen Auflösung bzw. der Ausschließung, da diese ausschließlich personenbezogen ist, und der Kündigung der gleiche Gedanke zugrunde: Wenn der eine Vertragsteil es zu verantworten hat, dass die Erreichung des Vertragszwecks beeinträchtigt, erschwert oder unmöglich wird, soll dem anderen das Recht zustehen, sich vom Vertrag zu lösen. Sobald indes diese Verantwortung nicht mehr einseitig von dem zu kündigenden Vertragsteil ausgeht, sondern der Kündigende selbst zur Störung des Vertragsverhältnisses beigetragen hat, kann dieser 166 BGH, Urt. v. 29. 11. 1965 – VII ZR 202/63 – NJW 1966, 347, 348; BGH, Urt. v. 29. 10. 1959 – II ZR 27/58 – VersR 1960, 246. 167 BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265. 168 Siehe Zweiter Teil unter § 2 C. II. 1.
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Gedanke nicht mehr uneingeschränkte Geltung für sich beanspruchen. Dies gilt sowohl für die Auflösung und Ausschließung als auch für die Kündigung. Der eigene Beitrag des Kündigenden ändert nichts daran, es wird weder gegengerechnet noch kompensiert, dass der zur Kündigung führende von der anderen Vertragspartei verursachte oder in deren Person liegende Umstand vorhanden ist. Auch das trifft auf Auflösung, Ausschließung und Kündigung zu, da der Kündigungsgrund jeweils zweistufig geprüft wird: Zunächst tatsächlich (Störung), dann normativ (Interessenabwägung). Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten, dass der bei Auflösung, Ausschließung und Kündigung verwandte Begriff der Störung – insoweit gibt es Übereinstimmungen – die der Störung zugrunde liegende Verantwortungsverteilung nicht zum Ausdruck bringt. Das zweite Element, aus dem sich die Kündigungsgründe zusammensetzen, ist die Interessenabwägung. Auch hier gibt es inhaltliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Struktur. Weil die Fortführung der Gesellschaft mit der Erreichung des Gesellschaftszwecks und der gesellschaftlichen Struktur korrespondiert, kann man verallgemeinernd festhalten, dass die über die Fortsetzung der Gesellschaft entscheidende Interessenabwägung offener169 für mehr zu berücksichtigende Faktoren ist als die Interessenabwägung bei einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die sich in erster Linie an arbeitsverhältnisbezogenen Umständen orientiert, wie z. B. Betriebszugehörigkeit und Dauer des ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses. Die persönlichen Verhältnisse, wie die familiäre Situation oder Unterhaltspflichten, können von Bedeutung sein, wenn sie einen Einfluss auf die Störung aufweisen (z. B. Fehlen wegen der Erkrankung eines Kindes). Als alleinige Abwägungsfaktoren kommen persönliche Umstände jedoch nicht vor, da es sich um solche handelt, die in keinem Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis stehen.170 Dies einmal außer Acht lassend, kristallisiert sich dennoch sowohl bei der Auflösung einer Gesellschaft bzw. Ausschließung eines Gesellschafters als auch bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses als wesentliches und insoweit übereinstimmendes Kriterium die Frage der Zumutbarkeit heraus. Wenn auch teilweise auf verschiedenen Aspekten basierend geht es in struktureller Hinsicht stets um die Gewichtung des Auflösungsinteresses im Verhältnis zum Fortsetzungsinteresse. Da der Begriff der Zumutbarkeit nicht mit einer feststehenden, allgemeingültigen Bedeutung belegt ist, sondern relativ ist, weil entscheidend der zugrunde zu legende Maßstab ist, der wiederum die jeweiligen Umstände, wie es zu der Störung des Vertragsverhältnisses gekommen ist, abbildet, ist dies, wie bereits gezeigt, der richtige Ort, in dem sich das Verhalten des Kündigenden berücksichtigen lässt. 169 Bei der Auflösung einer Gesellschaft können z. B. die wirtschaftlichen Folgen für einen Gesellschafter durchaus eine Rolle spielen (BGH, Urt. v. 29. 01. 1968 – II ZR 126/66 – WM 1968, 430; BGH, Urt. v. 23. 11. 1959 – II ZR 187/58 – WM 1960, 49, 50; MünchKomm HGB/ Schmidt, § 133 Rn. 26). 170 APS/Vossen, § 1 KschG Rn. 184; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 83; MünchKomm BGB/ Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 130; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 221; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 170; Wank, RdA 1987, 129, 145.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
III. Eigene Pflichtverletzungen jenseits von § 254 I BGB In den bereits mehrfach in Bezug genommenen Urteilen171 ging es um ein eigenes Fehlverhalten des Kündigenden, das für sich betrachtet ebenfalls einen Kündigungsgrund darstellen würde, die konkrete zwischen den Parteien in Streit stehende Pflichtverletzung des zu Kündigenden jedoch nicht unmittelbar herbeigeführt hat. Gab es bereits in der Vergangenheit Streitigkeiten zwischen den Parteien, angenommen von der Seite des Kündigenden ausgehend, und kommt es daraufhin zu einer Pflichtverletzung der anderen Vertragspartei, als Reaktion auf das Vorgefallene, infolge einer Provokation, aus Trotz oder dem Gefühl der Gleichgültigkeit darüber, dass Absprachen nicht eingehalten werden, so wäre dies menschlich betrachtet nachvollziehbar, normativ hingegen entlastet das vorangegangene Fehlverhalten die nunmehr handelnde Vertragspartei nicht von der Verantwortung für ihr Handeln, denn dieses beruht auf einem autonom gebildeten Willensentschluss. Wenn hier die Rede von Mitverantwortung ist, ist deren Bezugspunkt die „Zerrüttung“ des Vertrauensverhältnisses als Folge der beiderseitigen Pflichtverletzungen. Es ist daher zu den Fällen abzugrenzen in denen die Pflichtverletzungen beider Parteien in ein und derselben Störung münden, also in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Beispielsweise wie in dem Fall der Ärztin, in dem der vorgesetzte Chefarzt seiner Ausbildungs- und Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist und es deshalb zu der Pflichtverletzung der Ärztin kam, bestimmte Blutwerte nicht anzufordern.172 Hier ist die Schuld der Ärztin von vornherein beschränkt. Das Mitverschulden des Kündigenden wirkt sich in dem Fall also nicht nur auf die Zumutbarkeitsschwelle aus, sondern mindert den Verschuldensanteil des zu Kündigenden. Dies wiederum macht die in Streit stehende Pflichtverletzung insgesamt weniger schwerwiegend, welches in der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist. Anders gestaltet es sich, wenn beide Parteien für verschiedenartige Pflichtverletzungen verantwortlich sind. Aus der Rechtsprechung lassen sich dafür folgende Beispiele anführen: Verstoß gegen vertragliches Konkurrenzverbot einerseits und sonstige Vertragswidrigkeiten, die in erster Instanz eine außerordentliche Kündigung rechtfertigten, andererseits173, Vorenthaltung der tarifmäßigen Vergütung einerseits und Verfehlung aus finanzieller Not andererseits174, Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften einerseits und rechtswidrige Arbeitsniederlegung andererseits175, Provokation einerseits und Tätlichkeit andererseits176. 171 Zum Beispiel BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264; BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58; LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347; LAG Frankfurt, Urt. v. 11. 09. 1957 – II LA 199/57 – AP BGB § 626 Nr. 19. 172 LAG Düsseldorf, Urt. v. 04. 11. 2005 – 9 Sa 993, 05 – DB 2006, 455, 456. 173 BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265 f. 174 LAG Frankfurt, Urt. v. 11. 09. 1957 – II LA 199/57 – AP BGB § 626 Nr. 19. 175 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58. 176 LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347.
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Hier setzt die Rechtsprechung das Verschulden beider Vertragsparteien zueinander ins Verhältnis und wägt ab, welche der Parteien im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung die größere Verantwortung trägt.177 Eine Rolle für die Bemessung des Verschuldens spielt z. B. die Schwere der Pflichtverletzung, so dass der Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers folglich als schwer wiegender zu werten ist als dessen Ausholen der Hand zur Tätlichkeit.178 Ferner wird berücksichtigt, ob bei Abstellen der Pflichtverletzung der einen Vertragspartei wieder mit dem rechtmäßigen Verhalten der anderen Vertragspartei gerechnet werden kann.179 So wertet das LAG Frankfurt die aus finanzieller Not heraus begangene Verfehlung als weniger schwer wiegend, weil sie nicht aus „krimineller Neigung“ begangen wurde, sondern nur einmalig erfolgt ist und es der Arbeitgeber durch tarifgemäße Vergütung selbst in der Hand hat, erneute Verfehlungen zu verhindern.180 Das BAG stuft die rechtswidrige Arbeitsniederlegung der Arbeitnehmer deshalb als weniger schwerwiegend ein, weil der Arbeitgeber den Anlass zum Streik gesetzt hat, indem gegen die Betriebsverfassung verstoßen und damit die zum Streik führende „explosive Lage“ erst geschaffen wurde.181 Ergibt die Gesamtwürdigung der Umstände, dass der eigene „Tatbeitrag“ des Kündigenden den überwiegenden Anteil an der Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ausmacht, ist es diesem eher zuzumuten weiterhin am Vertrag festzuhalten. Das Recht zur Kündigung bzw. zum Rücktritt wäre dann ausgeschlossen. Sekundäransprüche können aber geltend gemacht werden.182
F. Ergebnis Ausschlaggebend für die Übertragbarkeit der im Gesellschaftsrecht entwickelten Grundsätze auf die Kündigung eines Handelsvertretervertrags war, dass es sich sowohl beim Handelsvertretervertrag als auch beim Gesellschaftsvertrag um Dauerschuldverhältnisse handelt, bei denen die gegenseitigen Interessen derartig miteinander verknüpft sind, dass die Aufrechterhaltung des Vertrags ein besonderes Maß an gegenseitigem Vertrauen voraussetzt.183 Ein solches Dauerschuldverhältnis ist auch der Arbeitsvertrag. 177
BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265; Emmerich, JuS 1981, 535, 536. 178 LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347. 179 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58; LAG Frankfurt, Urt. v. 11. 09. 1957 – II LA 199/57 – AP BGB § 626 Nr. 19. 180 LAG Frankfurt, Urt. v. 11. 09. 1957 – II LA 199/57 – AP BGB § 626 Nr. 19. 181 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58. 182 BGH, Urt. v. 11. 02. 1981 – ZR 312/79 – NJW 1981, 1264, 1265; Emmerich, JuS 1981, 535, 536. 183 BGH, Urt. v. 29. 10. 1959 – II ZR 27/58 – VersR 1960, 246.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Die größten Gemeinsamkeiten weisen die hier in Rede stehenden Auflösungen und Ausschließungen mit der verhaltensbedingten Kündigung auf. In diesen Fällen geht es darum, dass sich der zu Kündigende aufgrund eines eigenen freien Willensentschlusses, mithin schuldhaft, vertragswidrig verhalten hat und dadurch den Kündigungsgrund setzt. Trägt der Kündigende durch eigenes Fehlverhalten selbst zur Störung der Vertragsbeziehung bei, trifft die Zuordnung der Störungsherkunft zur Sphäre des Kündigungsgegners nicht mehr zu. Dem Kündigungsgrund wird die Grundlage entzogen. Angesichts der gleichen Strukturmerkmale [schuldhafte Herbeiführung der Störung und eine für die Berücksichtigung der Verschuldensbeiträge beider Beteiligten offenen, über die Zurechnung des Pflichtverstoßes entscheidenden Interessenabwägung] können daher die zum Umgang mit dem eigenen schuldhaften Fehlverhalten des Kündigenden im Gesellschaftsrecht entwickelten Grundsätze für die verhaltensbedingte Kündigung im Ansatz übernommen werden. Daraus folgt, die Verantwortung für die Störungsursache ist zu berücksichtigen. Die Mitverantwortung des Arbeitgebers schließt dessen Kündigungsbefugnis nicht grundsätzlich aus. Die jeweiligen Verschuldensbeiträge sind in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Das Verschulden des Arbeitgebers kann zur Folge haben, dass die Schwelle, was ihm im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertrags zugemutet werden kann, steigt und den Pflichtverstoß des Arbeitnehmers insoweit in einem anderen Licht erscheinen lässt. Es kann ebenso zur Folge haben, dass die Schuld des Arbeitnehmers von vornherein so gering ist, dass sie keine Kündigung rechtfertigt. Gemeinsame Merkmale weist die krankheitsbedingte mit der außerordentlichen Kündigung in den Fällen auf, in denen wegen Umständen, die außerhalb des Einflusses des Kündigungsgegners liegen, gekündigt werden soll. Die krankheitsbedingte Kündigung ist ein Unterfall der personenbedingten Kündigung, welche ihren Grund in einem Leistungsdefizit des Arbeitnehmers hat, das wiederum auf Umstände in dessen Person zurückzuführen ist. Typische Gründe für einen Eignungsmangel sind: Krankheit, Sucht, fehlende Arbeitserlaubnis, familiäre Verpflichtungen, Gewissensentscheidungen und Glaubenskonflikte sowie außerbetrieblich begangene Straftaten und Haft.184 Wesentlich für den personenbedingten Kündigungsgrund ist, in Abgrenzung zum verhaltensbedingten Kündigungsgrund, der Mangel an Steuerbarkeit im Hinblick auf die das Arbeitsverhältnis belastende Störung.185 Bei Sucht und Krankheit steht dies außer Frage, sofern die Krankheit nicht aus fahrlässig verursachten Unfällen resultiert oder vom Arbeitnehmer mutwillig herbeigeführt wurde. Die anderen Beispiele stellen deshalb personenbedingte Gründe dar, weil es sich um Aspekte handelt, die dem Arbeitnehmer nicht als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vorwerfbar sind. Damit kann allgemein formuliert werden, dass der personenbedingte Kündigungsgrund als Reaktion auf Störungen des vertragli184
KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 280 ff.; Hako-KSchR/Denecke, § 1 Rn. 465, 495 ff. APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 120, 265; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 188; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 147; MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 115 Rn. 1. 185
§ 6 Mitverantwortung für Entstehung personenbedingten Kündigungsgrundes
253
chen Austauschverhältnisses zugeschnitten ist186, die von keiner Vertragspartei verschuldet, wohl aber, wie sich aus den voran gegangen Ausführungen und aus den genannten Beispielen ergibt, nur dann vom Gesetzeszweck erfasst sind, wenn die Störungen aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen. Arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten weisen jedoch einen unverkennbaren Zusammenhang zu der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit aus, welcher es gebietet, die Verteilung der dafür bestehenden Verantwortung nicht nach dem casum-sentit-dominus Grundsatz vorzunehmen. Da es beim Ausbruch von Erkrankungen um die Realisierung von teilweise vorhersehbaren, teilweise unvorhersehbaren Risiken geht, sollte die der Geschäftsgrundlagenlehre entnommene und im Mietverhältnis bei außerhalb der Sphäre des Kündigungsgegners liegenden zur Kündigung führenden Umständen angewandte Risikobetrachtung auch für die Bewertung des personenbedingen Kündigungsgrundes herangezogen werden.
§ 6 Mitverantwortung für die Entstehung des personenbedingten Kündigungsgrundes Nachfolgend wird dargestellt, welche Auswirkungen arbeitgeberseitige Mitverantwortung für die Störung des personenbedingten Kündigungsgrundes auf das Kündigungsrecht haben kann. Da im Normalfall der personenbedingte Kündigungsgrund davon abhängt, dass der Arbeitnehmer die Störung zu verantworten hat, kann die arbeitgeberseitige Mitverantwortung für die Störung das Kündigungsrecht beeinflussen. In Literatur und Rechtsprechung herrscht überwiegend Einigkeit darüber, dass im Fall von arbeitsbedingter Krankheit, Berufskrankheit und auf Betriebsunfällen basierender Krankheit „besondere Anforderungen“ an die Kündigung zu stellen sind.187 Nur vereinzelt wird vertreten, dass die Art der Tätigkeit als Krankheitsursache nicht zu berücksichtigen sei.188 Begründet wird dies u. a. mit der 186 APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 120; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 104; LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 225; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 281. 187 BAG, Urt. v. 07. 11. 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; BAG, Urt. v. 20. 10. 1954 – 1 AZR 193/54 – NJW 1954, 1949, 1950; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 174; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 146 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn. 385 f.; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 288, 311, 313, 376; MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 115 Rn. 47; Schaub/Linck, § 131 ArbR-Hdb Rn. 10; SPV/Preis, Zweiter Abschnitt § 2 Rn. 1264; LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 227; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 425; Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, § 4 Rn. 64; Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 583 f.; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 208; Liebig, Krankheit als Kündigungsgrund, S. 149 ff.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 445; Hennige, AuA 1995, 145; Pflüger, DB 1995, 1761, 1763; Schwerdtner, DB 1990, 375, 378; Stein, BlStSozArbR 1979, 161; Weller, ArbRGeg. Bd. 20, S. 89. 188 ArbG Rheine, Urt. v. 12. 05. 1976 – 2 Ca 268/76 – juris; v. Maydell/Eylert, Anm. BAG, Urt. v. 22. 02. 1980 – 7 AZR 295/78 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 5; Schukai, DB 1976, 2015, 2016.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Rechtssicherheit, welche die Vertreter dieser Ansicht im Falle der Berücksichtigung als gefährdet sehen.189 Abzulehnen ist auch die Auffassung, wonach ein Zusammenhang zwischen Erkrankung und Tätigkeit nicht bestehe und stattdessen der Arbeitnehmer in der Pflicht sei, sich „eine andere, weniger schwere Arbeit zu suchen“.190 Soweit die Krankheitsursache für nicht relevant gehalten wird, ist dem entgegen zu halten, dass das Kündigungsrecht von einer strikten Verantwortungsverteilung bezüglich der zur Kündigung berechtigenden Störung ausgeht. Ob die Störung aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt und damit die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Verantwortungsverteilung vorliegt, ist im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung zu untersuchen. Ein Abweichen davon ist ein Abweichen des gesetzlich vorgesehenen Regelfalls und kann daher für die Wirksamkeit der Kündigung nicht unbeachtlich sein. Die Einteilung der Störungsherkunft nach Sphären macht es erforderlich bei der krankheitsbedingten Kündigung, die Krankheitsursache zu berücksichtigen. Die Verordnung über anerkannte Berufskrankheiten (BKV)191, die auf den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft basiert, zeigt, dass es einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen einer bestimmten Tätigkeit und Erkrankung gibt. Danach sind Arbeiten mit Chemikalien oder Arbeiten, von denen physische Einwirkungen ausgehen, wie Druck, Vibration, Lärm, Staub oder die das Tragen schwerer Lasten erfordern, besonders prädestiniert, Gesundheitsschädigungen auszulösen.192 Auch zu anderen Erkrankungen, die nicht in der Berufskrankheiten-Verordnung gelistet sind oder die nicht den für die Anerkennung als Berufskrankheit notwendigen Schweregrad erreichen, existieren wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass diese auf Umstände zurückzuführen sind, die in der ausgeübten Tätigkeit angelegt sind.193 Daher ist es richtig, die Kündigung wegen Krankheit hinsichtlich der Herkunft der Erkrankung einer gesonderten Prüfung zu unterziehen. Wird die Ursächlichkeit der Tätigkeit für die Erkrankung bejaht, variieren die Lösungsvorschläge, wie damit umzugehen ist, von „Berücksichtigung in der Interessenabwägung“194, „besonderen
189 v. Maydell/Eylert, Anm. BAG, Urt. v. 22. 02. 1980 – 7 AZR 295/78 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 5. 190 Schukai, DB 1976, 2015, 2016 in Bezugnahme auf ArbG Rheine, Urt. v. 12. 05. 1976 – 2 Ca 268/76 – juris. 191 Abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bkv/BKV.pdf – zuletzt abgerufen am 20. 08. 2018. 192 Vgl. z. B. die wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 2106: Druckschädigung der Nerven (Bek. des BMA v. 01. 08. 2001 – Iva 4-45222 – 2106 BArbBl. 9/2001, S. 59 ff.) oder die wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 4115: Lungenfibrose durch extreme und langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen – (Siderofibrose) (Bek. des BAMS v. 01. 09. 2006 – 4-45222 – 4113 BArbBl. 10/2006, S. 35 ff.). 193 Siehe die Beispiele bei Nowak, Arbeitsmedizin, S. 94 f., 100, 114, 136, 140 f., 159 ff. 194 BAG, Urt. v. 07. 11. 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; BAG, Urt. v. 07. 11. 1985 – 2 AZR 657/84 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 17, wo es heißt: in der Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, „dass die Ursache der Arbeitsunfähigkeit von
§ 6 Mitverantwortung für Entstehung personenbedingten Kündigungsgrundes
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Anforderungen, Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze“195 bis hin zum „Ausschluss des Kündigungsrechts“196. Ziel dieses Abschnitts ist es mithilfe der aus der Grundlagenlehre gewonnenen Ansätze Fallgruppen zu erstellen und die verschiedenen Konstellationen voneinander abzugrenzen und einzuordnen. Naheliegende Fälle, zu denen Rechtsprechung vorhanden ist und in denen der Arbeitgeber eine Mitverantwortung für die personenbedingte Kündigung trägt, betreffen sehr häufig die Kündigung wegen Krankheit, weswegen diese hier beispielhaft behandelt wird.
A. Der Normalfall: Vom Arbeitnehmer zu tragendes Krankheitsrisiko Zu Beginn dieses Kapitels soll der Normalfall einer krankheitsbedingten Kündigung analysiert werden, um erstens zu zeigen, dass trotz fehlenden Verschuldens seitens des Arbeitnehmers die Interessenabwägung zu dessen Lasten ausgehen muss. Zweitens dient das Beispiel als Referenz, um die Abweichungen, die sich bei arbeitgeberseitiger Mitverantwortung ergeben, deutlicher aufzuzeigen. Dem typischen Fall einer krankheitsbedingten Kündigung ohne Mitverantwortung des Arbeitgebers könnte folgender hypothetischer Sachverhalt zu Grunde liegen. Ein Arbeitnehmer, der seit sieben Jahren bei seinem Arbeitgeber beschäftigt ist, ohne dass es dabei zu nennenswerten Fehlzeiten kam, erkrankt zunehmend häufiger und langanhaltender: Zuerst sechs Monate wegen eines Verkehrsunfalls, drei Wochen wegen eines häuslichen Unfalls, innerhalb eines Jahres; im Folgejahr ein Monat wegen Grippe, drei Wochen insgesamt aus verschiedenen Gründen und schließlich ohne Gewissheit der Rückkehr wegen einer Hepatitis. Der Arbeitgeber ist zur Abfederung der Betriebsbeeinträchtigungen gezwungen, eine Ersatzkraft einzustellen. Nachdem die Möglichkeiten, die das Teilzeit- und Befristungsgesetz für den flexiblen Personaleinsatz gewährt, erschöpft sind, die Rückkehr der Stammkraft nach wie ganz erheblicher Bedeutung ist“ …es ist zu klären, ob die bronchitischen Erkrankungen eine Folge von Zugluft, Schleifstaub und Nachtschichtarbeit sind. 195 LAG Köln, Urt. v. 08. 07. 1982 – 3 Sa 370/81 – AuR 1983, 27; LAG Düsseldorf, Urt. v. 11. 07. 1952 – 2 Sa 180/52 – DB 1952, 740, wonach ein „längeres Zuwarten zumutbar erscheint, wenn sich der Arbeitnehmer die Erkrankung durch schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers oder durch jahrelange Arbeit in dessen Betrieb zugezogen hat“. 196 LAG Hamburg, Urt. v. 30. 06. 1999 – 8 Sa 19/99 – LAGE KSchG § 1 Krankheit Nr. 30: „Im Falle eines vom Arbeitgeber verschuldeten Arbeitsunfalls (kann) die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausfallen“; LAG Düsseldorf, Urt. v. 24. 10. 1962 – 1 Sa 430/62 – BB 1963, 41, 42, wonach eine Entlassung gegen Treu und Glauben verstößt, wenn sich der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit im Betrieb des Arbeitgebers zugezogen hat; ArbG Bochum, Urt. v. 03. 04. 1981 – 1 Ca 519/80 – BB 1981, 2006: „Bei einer arbeitsplatzbedingten Krankheit ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, den Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen, der seinen gesundheitlichen Fähigkeiten entspricht. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, dann kann die Krankheit eine Kündigung nicht rechtfertigen.“
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
vor ungewiss ist, der Arbeitgeber letzten Endes nur Beschäftigungsbedarf für eine Kraft hat, entschließt er sich dazu, dem erkrankten Arbeitnehmer zu kündigen.197 Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BAG zur Kündigung wegen lang andauernder Krankheit198 wäre diese gerechtfertigt, weil objektive Tatsachen vorliegen, die zu der Annahme berechtigen, dass die Arbeitsunfähigkeit für nicht absehbare Zeit andauern wird (negative Gesundheitsprognose). Mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in den nächsten 24 Monaten ist nicht zu rechnen, so dass die Ungewissheit darüber zu einer nicht näher darzulegenden betrieblichen Beeinträchtigung führt, die in der Interessenabwägung als erheblich zu gewichten ist und hinter der die Interessen des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes zurückzutreten haben. Denn die Grenze der dem Arbeitgeber zumutbaren Beeinträchtigung ist erreicht. Der diesbezüglich zu bildende Maßstab basiert auf folgenden Erwägungen. In diesem Fall deckt sich die tatsächliche mit der gesetzgeberischen Konzeption der Verantwortungsverteilung für eine personenbedingte Kündigung. Grund der Störung ist im vorliegenden Beispiel eine unverschuldete Krankheit des Arbeitnehmers. Der zur Kündigung führende Umstand ist für den Kündigungsgegner also nicht beherrschbar. An sich widerspräche eine Kündigung wegen Vorgängen, die der Einflusssphäre des zu Kündigenden entzogen sind, also wegen Krankheit, den Grundsätzen von Treu und Glauben, da es für eine Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda im Allgemeinen, im Arbeitsrecht des besonderen (sozialen) Bestandsschutzgedankens, eines Zutuns des zu Kündigenden bedarf. Die Interessen des Kündigenden, defizitäre Vertragsverhältnisse beenden zu dürfen, sind ebenso gewichtig. Die Lösung für diesen Interessenkonflikt liefert § 1 II KSchG, wonach es neben einer verschuldensabhängigen Verantwortung auch auf verschuldensunabhängige Verantwortung ankommt. Daher ist zu untersuchen, welcher Partei das Risiko der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zugeordnet ist. Lässt man die arbeitsbedingten Erkrankungen außer Betracht, gehören normale Krankheiten zu den Ereignissen, die zur Leistungserschwerung oder Unmöglichkeit der Leistung führen, deren Eintrittsrisiko gemäß der gesetzlichen Gefahrtragung (§ 275 BGB) der Schuldner zu tragen hat.199 Dies wiederum folgt aus dem casum-sentit-dominus Grundsatz.200 In dem vorangestellten Fall, erkrankte der Arbeitnehmer zunächst aufgrund zweier Unfälle, dann durch einen Virus und zuletzt infizierte er sich mit Hepatitis. Dabei handelt es sich durchweg um Ereignisse, die zum allgemeinen Lebensrisiko dazu gehören. Es sind zwar keine Ereignisse, die steuerbar, beeinflussbar oder mit Sicherheit vorhersehbar sind; aufgrund der Zuordnung zum allgemeinen Lebensrisiko und damit zum persönlichen Risiko des Arbeitnehmers kann 197
Nr. 7. 198
Angelehnt an BAG, Urt. v. 25. 11. 1982 – 2 AZR 140/81 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit
BAG, Urt. v. 15. 08. 1984 – 7 AZR 536/82 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 16; BAG, Urt. v. 25. 11. 1982 – 2 AZR 140/81 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 7. 199 LAG Köln, Urt. v. 25. 05. 2010 – 2 SaGa 7/10 – juris; MünchKomm BGB/Ernst, § 275 Rn. 25. 200 HKK/Schermaier, § 275 Rn. 5, Fn. 36.
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im Ergebnis festgestellt werden, dass es sich bei einer solchen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit um eine Störung handelt, die der Arbeitnehmer zu verantworten hat.201 Diese nach Verantwortenssphären ordnende Betrachtung ersetzt freilich nicht die anderen Kriterien – negative Gesundheitsprognose, betriebliche Beeinträchtigung, Verhältnismäßigkeit – sondern ist in die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu integrieren. Dies ist der richtige Prüfungsort, denn die Herkunft der Störung ändert nichts daran, dass eben eine Störung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Hier lässt sich wieder die Parallele zu § 323 I, VI BGB ziehen. Gleichfalls, wie dort das Vertretenmüssen oder Nichtvertretenmüssen des Schuldners nichts daran ändert, dass eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt ist, mithin ein Rücktrittsgrund gegeben ist, und erst im Nachhinein geprüft wird, ob dieses Rücktrittsrecht zu versagen ist, weil der Gläubiger derjenige ist, der den Rücktrittsgrund zu verantworten hat, ist bei der Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung zu untersuchen, aus wessen Verantwortungs- oder Risikossphäre die Leistungsstörung stammt. Stammt sie, wie hier, aus der Sphäre des Arbeitnehmers, geht dies neben den anderen zu berücksichtigenden Umständen, wie die Schwere der Störung und den daraus resultierenden betrieblichen Folgen, in der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers. Denn aufgrund der ausschließlichen Verantwortung des Arbeitnehmers ist ein aus Arbeitgebersicht weniger strenger Maßstab hinsichtlich der Zumutbarkeit zu bilden. Es ist zwar zu berücksichtigen, dass die Verantwortung des Arbeitnehmers verschuldensunabhängig, also nicht vorwerfbar ist, weswegen die Grenze der Unzumutbarkeit hier höher liegt als bei der verhaltensbedingten Kündigung, die eine verschuldete Pflichtverletzung voraussetzt; sie liegt aber aufgrund der alleinigen arbeitnehmerseitigen Verantwortung niedriger als wenn der Arbeitgeber die Störung mitzuverantworten hätte. Auch wenn sich allgemeine Aussagen über den Ausgang der Interessenabwägung nur schwer treffen lassen, geht sie aufgrund der niedrigen Zumutbarkeitsgrenze jedenfalls dann zu Lasten des Arbeitnehmers aus, wenn zu dessen Verantwortung noch hinzukäme, dass es sich um eine schwere Störung des Austauschverhältnisses handelt, z. B. weil feststeht, dass der Arbeitnehmer unheilbar erkrankt ist bzw. nicht rehabilitiert werden kann und deshalb nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird202, oder weil die betrieblichen Beeinträchtigungen erheblich sind, z. B. weil ständig Aushilfen eingestellt und eingearbeitet werden müssen oder weil es Streitigkeiten zwischen den verbleibenden Arbeitnehmern über die Vertretungspflichten gibt.203 201 Noch deutlicher zur Sphäre des Arbeitnehmers lassen sich Krankheiten zuordnen, die dieser selbst schuldhaft herbeigeführt hat; beispielsweise durch Risikosport oder durch die Ausübung einer die Belastungsgrenze überschreitenden Nebentätigkeit, vgl. BAG, Urt. v. 22. 02. 1980 – 7 AZR 295/78 – NJW 1981, 298, 301. 202 Aufwand entsteht z. B. durch Rückstellungen für den Abgeltungsanspruch des Urlaubs nach § 7 III, IV BUrlG; denn dieser erlischt auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums erkrankt ist, sondern erst nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres. 203 Vgl. ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 140 mit weiteren Beispielen.
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B. Rechtsausschluss Ändert sich die zuvor beschriebene Verantwortungsverteilung dahin gehend, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorsätzlich schädigt, um dies als Anlass einer personenbedingten Kündigung zu nehmen, oder ist er für die zur Kündigung führende Störung überwiegend verantwortlich, ist das Kündigungsrecht regelmäßig ausgeschlossen.204
I. Vorsatz Bei der vorsätzlichen Herbeiführung eines Arbeitsunfalls durch den Arbeitgeber ist den Arbeitnehmerinteressen am Bestand des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Vorrang einzuräumen.205 Dies folgt daraus, dass sich die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber infolge seines Vorsatzes erhöht. Da er das schädigende Ereignis mindestens billigend in Kauf genommen hat, muss er auch die sich daraus ergebenden Einschränkungen des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitnehmer infolge des Unfalls nicht oder nur noch weniger als geschuldet leisten kann, akzeptieren. Wörtlich heißt es in dem bereits zitierten Urteil des BAG, in dem es um die Kündigung des durch eine Störung des Headsets geschädigten Call-Center-Beschäftigten ging: „Das (die Hinnahme einer Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen sei dem Arbeitgeber zumutbar) gelte umso mehr, wenn der Arbeitgeber die Umstände, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, zu vertreten oder das Unfallrisiko gar billigend in Kauf genommen hat.“206
Dabei nimmt das Gericht Bezug auf einen Fall, den es im Jahr 1972 zu entscheiden hatte, in dem es um die Kündigung eines arbeitsunfähig erkrankten Berufskraftfahrers ging, der infolge eines Arbeitsunfalls seine Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte. Zu dem Arbeitsunfall war es gekommen, als der Arbeitnehmer beim Beladen des LKW herabstürzte, das von der Arbeitgeberin billigend in Kauf genommen wurde, indem diese unstreitig wissentlich die einschlägigen Sicherheitsvorschriften zum Beladen von LKWs der Berufsgenossenschaft nicht beachtet hatte. Das Gericht hält daher eine vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls durch die Arbeitgeberin für nicht ausgeschlossen. Ferner heißt es in dem Urteil, für den Fall, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsunfall vorsätzlich, sei es auch nur bedingt vorsätzlich, herbeiführt und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit zum Anlass einer Kündigung nimmt, sei die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 138 I BGB unwirksam.207 Zu dem Rückgriff auf § 138 I BGB sah sich das Gericht vermutlich deshalb veranlasst, weil 204 205 206 207
Zur Ausnahme siehe Dritter Teil unter § 6 D. II. 1. Zur Ausnahme siehe Dritter Teil unter § 6 D. II. 1. BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 664/13 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 53. BAG, Urt. v. 08. 06. 1972 – 2 AZR 285/71 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 1.
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die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes wegen Unterschreitung der Sechsmonatsfrist noch nicht anwendbar waren. In dem weiteren Fall, dass der Arbeitgeber nicht nur vorsätzlich den Arbeitsunfall herbeiführt, sondern von vornherein damit erreichen will, den Arbeitnehmer arbeitsunfähig zu machen, um dies zum Anlass einer personenbedingten Kündigung nehmen zu können, würde man ebenfalls aufgrund der Verantwortungsverteilung dem Arbeitgeber das Kündigungsrecht nicht zuerkennen. Denn die Schädigungsabsicht, Vorsatz in Gestalt des dolus directus 1. Grades, ist die schärfste Verschuldensform, die das BGB kennt. Diese Schuld bewirkt in der Interessenabwägung, dadurch, dass sich die Zumutbarkeitsgrenze weit zu Lasten des Arbeitgebers verschiebt, einen kaum aufwägbaren Vorsprung der Interessen des Arbeitnehmers. Trotzdem verbleibt die Möglichkeit, dass die Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers ausgeht, z. B. dann, wenn der Arbeitnehmer soweit geschädigt ist, dass er seine und auch keine andere Arbeit dauerhaft nicht mehr ausüben kann.208 In der Literatur wird teilweise der Ausschluss des Kündigungsrechts des Arbeitgebers bei vorsätzlicher Schädigung des Arbeitsnehmers vor dem Hintergrund verneint, dass der Arbeitgeber nach § 104 I 1 SGB VII nicht von der Haftung für Arbeitsunfälle freigestellt wird, wenn er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat.209 Dem ist nicht zu folgen. Als Argument wird zur Haftungsfreistellung gem. § 636 RVO a. F. angeführt, dass sowohl bei fahrlässiger Verursachung als auch bei vorsätzlicher Herbeiführung durch die hinzutretenden zivilrechtlichen Ersatzansprüche alle Vermögensnachteile des Arbeitnehmers abgedeckt seien, so dass eine Beschränkung der Kündigungsfreiheit eine systemwidrige Verdoppelung des Arbeitnehmerschutzes sei.210 Dies trifft weder auf die derzeit einem Arbeitnehmer aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehenden Leistungen (§§ 26 – 103 SGB VII) zu noch auf den im Fall von Vorsatz vom Arbeitgeber nach § 280 I BGB an den Arbeitnehmer zu zahlenden Schadensersatz. Bei der Kompensation der Vermögensnachteile, die der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsplatzverlustes erleidet, wird er jedenfalls nicht so gestellt, als hätte er bis zum Renteneintrittsalter gearbeitet.211 Im Übrigen, um aus der Aufhebung der Haftungsprivilegierung für vorsätzliches Verhalten auch Folgen für das Kündigungsrecht herleiten zu können, müsste sich der Vorschrift ein abschließender Charakter entnehmen lassen, der eine über die Haftung hinausgehende Inanspruchnahme des Arbeitgebers sperrt. Das Finanzierungsargument212, das für den abschließenden Charakter der gesetzlichen Unfallversicherung angeführt wird, verfängt im Fall des Vorsatzes gerade nicht, weil 208
Siehe Dritter Teil unter § 6 D. II. 1. Konzen, Anm. zu BAG, Urt. v. 08. 06. 1972 – 2 AZR 285/71 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 1. 210 Konzen, Anm. zu BAG, Urt. v. 08. 06. 1972 – 2 AZR 285/71 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 1. 211 Das BAG favorisiert in diesen Fällen eine Abfindungslösung („Entschädigung eigener Art“) BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2; demfolgend BAG, Urt. v. 12. 06. 2003 – 8 AZR 341/02 – AP BGB § 628 Nr. 16. 212 BT-Drs. 13/2204 S. 72; siehe Zweiter Teil unter § 5 B. I. 2. a), 5. e). 209
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in diesen Fällen die Unfallversicherung nicht allein für die vom Arbeitnehmer erlittenen Schäden aufkommt. Der Arbeitgeber haftet gegenüber dem Arbeitnehmer ebenfalls. Gem. § 110 SGB VII kann die Unfallversicherung bei dem Arbeitgeber für ihre dem Arbeitnehmer erbrachten Leistungen Regress nehmen. Da die wirtschaftliche Einstandspflicht trotz Beitragszahlung beim Arbeitgeber liegt, kann aus der Durchbrechung der Haftungsprivilegierung auch gefolgert werden, dass der Arbeitgeber im Fall von Vorsatz gerade nicht vor einer weiteren Inanspruchnahme geschützt werden soll. Daher ist die Verantwortung im Rahmen der Prüfung des Kündigungsrechts auch in diesem Fall berücksichtigungsfähig. Im Ergebnis bedeutet das daher, dass eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung unwirksam ist, wenn sie auf eine Krankheit gestützt wird, die auf einem vom Arbeitgeber vorsätzlich herbei geführten Arbeitsunfall beruht, denn der hohe Grad des Verschuldens hat zur Folge, dass seine Beendigungsinteressen hinter denen des Arbeitnehmers zurücktreten. Nichts Anderes kann gelten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch außerdienstliches Verhalten schädigt. Die Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 II BGB, die auch im außerdienstlichen Bereich gilt, führt dazu, dass der Arbeitgeber nicht wie ein Dritter zu behandeln ist. Würde der Arbeitnehmer durch einen Dritten so geschädigt, dass er arbeitsunfähig wird, unterfiele dies dem von ihm zu tragenden allgemeinen Lebensrisiko. Wird der Arbeitnehmer durch ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitgebers geschädigt, gelten weiterhin die allgemeinen Zurechnungsregeln. Danach hat der Arbeitgeber die Störung zu verantworten. Für außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers gilt, dass es den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt, wenn dadurch das Arbeitsverhältnis beeinträchtigt wird.213 Typische Beeinträchtigungen bestehen in der Verletzung der Rücksichtnahmepflicht, also einem Pflichtverstoß der zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigt, etwa, wenn ein im Fahrdienst beschäftigter Arbeitnehmer in der Freizeit Alkohol konsumiert, so dass er alkoholisiert zur Arbeit erscheint214 oder wenn ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit einen Ladendiebstahl zum Nachteil seines Arbeitgebers begeht, wodurch dessen Vermögen geschädigt wird.215 Straftaten, die sich nicht gegen den Arbeitgeber richten, können eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn die Straftat entweder Anlass dazu gibt die erforderliche Eignung des Arbeitnehmers in Zweifel zu ziehen oder das Vertrauen in den Arbeitnehmer zerstört; Ersteres z. B. bei Vermögensdelikten von Arbeitnehmern, die mit der Betreuung des Vermögens des Arbeitgebers betraut sind, oder Letzteres, wenn z. B. pädagogische Mitarbeiter wie Lehrer oder Erzieher durch sittliche Verfehlungen im 213 BAG, Urt. v. 27. 01. 2011 – 2 AZR 825/09 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49; BAG, Urt. v. 02. 03. 2006 – 2 AZR 53/05 – NZA-RR 2006, 636, 638; APS/Vossen, § 626 BGB Rn. 80. 214 LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20. 12. 1999 – 7 Sa 1112/99 – EzBAT § 53 BAT Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51. 215 BAG, Urt. v. 27. 11. 2008 – 2 AZR 193/07 – AP BGB § 626 Nr. 219; BAG, Urt. v. 20. 09. 1984 – 2 AZR 633/82 – AP BGB § 626 Nr. 80.
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Privatbereich auffällig geworden sind.216 Soweit also durch das außerdienstliche Verhalten eine Beeinträchtigung vorliegt, wird die Störung wie ein normaler Kündigungsgrund behandelt. Die Störung muss die Prognose rechtfertigen, dass es zu weiteren betrieblichen Beeinträchtigungen kommen wird und eine Kündigung muss verhältnismäßig sein. Daher ist auch bei den Störungen aus dem außerdienstlichen Bereich zu untersuchen, wer diese zu verantworten hat. Ist dies nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber, ergeben sich daraus die in diesem Kapitel dargestellten Konsequenzen, also eine erhebliche Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze. Zudem hat der Arbeitnehmer im Fall der vorsätzlichen Herbeiführung des Kündigungsgrundes durch den Arbeitgeber die Möglichkeit, die in sozialwidriger Weise ausgesprochene Kündigung zum Anlass eines Auflösungsantrags gem. § 9 KSchG mit entsprechender Entschädigung zu nehmen und Schadensersatz gem. §§ 280 I, 241 II BGB, § 823 I, II BGB für die Verletzung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend zu machen.
II. Überwiegende Verantwortung beim Arbeitgeber Auch die überwiegende Verantwortung des Arbeitgebers an der zur Kündigung führenden Störung hat regelmäßig den Ausschluss des Kündigungsrechts zur Folge. Die überwiegende Verantwortung liegt meist bei den im Folgenden darzulegenden Umständen vor. 1. Schuldhafte Schutzgesetzverletzung Zur Veranschaulichung, wie sich eine Schutzgesetzverletzung des Arbeitgebers auf dessen Kündigungsbefugnis auswirkt, wird noch einmal auf den Fall, in dem es um einen Monteur für Markisenmontagen ging217, Bezug genommen. Dem Monteur und späteren Kläger wurde aus personenbedingten Gründen gekündigt. Das Gericht erachtete die Kündigung aus mehreren Gründen für unwirksam: Eine negative Gesundheitsprognose sei zwar aufgrund der Fehltage in der Vergangenheit gegeben, was fehlt, sei eine von der Arbeitgeberin konkret dargelegte Betriebsstörung. Die Ausfälle oder geringere Belastbarkeit des Arbeitnehmers seien durch Umplanungen vermeidbar. Die Entgeltfortzahlungskosten überstiegen nicht das zumutbare Normalmaß. Zudem hielte die Kündigung einer Interessenabwägung nicht stand, „weil (…) die Fehlzeiten des Klägers auf gesundheitswidrige betriebliche Zustände zurückzuführen sind.“218 Die Entscheidung verdient im Ergebnis Zustimmung, was das Gericht indes unterlässt, ist eine nähere Auseinandersetzung mit den Verantwor-
216 217 218
APS/Vossen, § 626 BGB Rn. 80b. LAG Hessen, Urt. v. 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris. LAG Hessen, Urt. v. 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
tungsbeiträgen. Wie im Ausgangsfall219 ist der richtige Prüfungsort dafür die Interessenabwägung. Nach ständiger Rechtsprechung ist „auf der 3. Stufe, bei der Interessenabwägung, unter anderem von Bedeutung, ob die Krankheit des Arbeitnehmers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist. Wenn die betrieblichen Verhältnisse nicht die alleinige oder die primäre Ursache für die krankheitsbedingten Fehlzeiten sind, sondern sich nur in Verbindung mit einer besonderen Anlage des Arbeitnehmers auswirken können, sind sie für die Interessenabwägung bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht unerheblich.“220 Dem hat sich die überwiegende Mehrheit in der Literatur angeschlossen.221 Andere Auffassungen, wie z. B. der Vorschlag, die Verantwortung an der Krankheitsentstehung bereits in die negative Gesundheitsprognose einzubeziehen222, überzeugen nicht. Solange der Arbeitgeber seinen Nebenpflichten, die Arbeit arbeitsschutzgerecht zu gestalten, nicht nachkommt, soll eine negative Gesundheitsprognose abzulehnen sein.223 Die Verstöße gegen Vorschriften des Arbeitsschutzes sind zwar abstellbar, da damit aber nicht automatisch die Genesung des Arbeitnehmers einhergeht, würde eine positive Gesundheitsprognose zu einer Rückkehrfiktion führen, die das Endergebnis hinsichtlich der Kündigungsbefugnis jedoch verfälscht, wenn die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit tatsächlich oder auf lange Zeit ausgeschlossen ist. Bei der Erstellung der negativen Gesundheitsprognose kann es daher nur darum gehen, ob und wann mit der Rückkehr des Arbeitnehmers an seinen Arbeitsplatz ausgehend von dessen tatsächlichen Gesundheitszustand im Zeitpunkt der Kündigung zu rechnen ist. Auch nach hiesiger Auffassung ist die Interessenabwägung der richtige Ort die Verantwortung für die Störungsverursachung zu berücksichtigen224, weil die Interessenabwägung das relative Moment ist, mit dem Einzelfallgerechtigkeit hergestellt werden kann, dadurch, dass im zugrunde zu legenden Maßstab die Verantwortung für die Störung berücksichtigt wird. Dabei scheidet eine Abwägung zwischen den 219 Gemeint ist der Fall einer normalen krankheitsbedingten Kündigung wie unter B. II 1. beschrieben. 220 BAG, Urt. v. 05. 07. 1990 – 2 AZR 154/90 – NZA 1991, 185, 187; BAG, Urt. v. 06. 09. 1989 – 2 AZR 118/89 – NZA 1990, 305, 306; BAG, Urt. v. 23. 06. 1983 – 2 AZR 15/82 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 10; LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris. 221 APS/Oetker, § 1 KSchG Rn. 109; LKB/Krause, § 1 Rn. 384 ff.; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 376; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 156, 203; Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 156; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 208 ff.; Liebig, Die Krankheit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund, S. 149 ff.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 227, 444 ff. 222 Nebe, Anm. zu BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49 unter 2. b). 223 Nebe, Anm. zu BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49 unter 2. b). 224 So BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 472/01 – NZA 2003, 483, 485; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 80; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 219; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 199, 207.
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verfassungsrechtlich geschützten Bestands- und Lösungsinteressen von vornherein aus, weil deren Ausgleich, die praktische Konkordanz, mit der Normierung des § 1 II KSchG bereits hergestellt ist.225 Einfallstor für die Verantwortung ist der in der Abwägung zugrunde zu legende Maßstab. Besteht arbeitgeberseitige Verantwortung für die Störung, ist ein strenger Maßstab an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anzulegen. Das bedeutet, je größer der Verantwortungsbeitrag des Arbeitgebers ist, desto eher ist ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zumutbar, wodurch die für eine Kündigung zu erreichende Grenze der Unzumutbarkeit zu Lasten des Arbeitgebers steigt. Unterstellt, in dem eingangs erwähnten Fall des erkrankten Markisenmonteurs lägen die sonstigen Voraussetzungen für eine personenbedingte Kündigung vor, wäre die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Verantwortung an der Erkrankung wie folgt vorzunehmen: Demjenigen, dem die Störungsursache zuzurechnen ist, dessen Interessen sind in der Abwägung konsequenterweise geringer zu gewichten. Abweichend vom obigen Ausgangsfall muss hier nicht auf Risikosphären abgestellt werden, denn die vorliegende Erkrankung lässt sich auf eine schuldhafte Schutzpflichtverletzung der Arbeitgeberin zurückführen226, so dass hier sogar von verschuldensabhängiger Verantwortung, also Verschulden, seitens der Arbeitgeberin gesprochen werden kann. Damit liegt bereits ein starkes Indiz dafür vor, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgehen wird, denn nach der geltenden Rechtsordnung ist es die grundsätzliche Konsequenz einer schuldhaften Verletzung fremder Rechtsgüter, dass die Interessen des Handelnden negativ zu bewerten, d. h. in einer Interessenabwägung zurückzustellen, sind.227 Gem. § 2 I LasthandhabV wäre die Arbeitgeberin verpflichtet gewesen, Maßnahmen zu treffen oder Arbeitsmittel bereitzustellen, die die Gefährdung der Beschäftigten durch das Tragen von Lasten vermeiden. Eine Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes gem. § 5 ArbSchG i. V. m. § 2 II LasthandhabV wurde nicht durchgeführt. Eine nach § 12 ArbSchG vorgeschriebene Unterweisung der Arbeitnehmer über die von der Tätigkeit ausgehenden Gefahren ist unterblieben. Auch hat es die Arbeitgeberin entgegen §§ 3 LasthandhabV, 7 ArbSchG unterlassen, bei der Übertragung von Aufgaben die körperliche Eignung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Selbst als dieser bereits erkrankt war, wurde ihm noch das Heben von Lasten von mehr als 50 – 120 kg zugewiesen, obwohl es Arbeiten gab, bei denen das durchschnittlich zu tragende Gewicht nur 20 kg ausgemacht hätte. Diese gesetzli225 ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 82 f.; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 128 ff.; Wank, RdA 1987, 129 f. 226 Zur Beweislast bzgl. der Ursächlichkeit siehe nachfolgend in diesem Abschnitt. 227 Grundsätzlich führt die schuldhafte Verletzung fremder Rechtsgüter zur Schadensersatzpflicht, vgl. §§ 280 I, 241 II, 823 ff. BGB. Dass sich Verschulden nachteilig auf die eigene Rechtsausübung auswirkt, ist z. B. in §§ 275 II 2, 326 II 1 BGB geregelt. Nach RG, Urt. v. 27. 06. 1940 – II 31/39 – RGZ 164, 257, 258 unterfiele die Herleitung eigener Rechte aus einem schuldhaft hervorgerufenen Zustand der unzulässigen Rechtsausübung. Siehe auch Hubmann, AcP 155 (1956), 86, 119.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
chen Pflichten werden über §§ 618, 241 II BGB Bestandteil der arbeitsvertraglichen Pflichten. Da die Arbeitgeberin hier nicht vorgetragen hat, wie sie ihren Pflichten nachgekommen ist, ist eine fahrlässige, mithin schuldhafte Pflichtverletzung der Arbeitgeberin anzunehmen. Für die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung trägt der Arbeitnehmer die Beweislast. Das bedeutet, dass er seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden und ggf. durch ein medizinisches Sachverständigengutachten den ursächlichen Zusammenhang belegen muss. Es ist dann Sache des Arbeitgebers den ursächlichen Zusammenhang auszuräumen.228 Gelingt ihm das wie im vorliegenden Fall nicht, muss er sich die Erkrankung des Arbeitnehmers als Resultat seiner Pflichtverletzung zurechnen lassen. In die Interessenabwägung geht also eine überwiegende Verantwortung des Arbeitgebers an dem zur Kündigung führenden Umstand ein. Dass der Arbeitnehmer theoretisch selbst für die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitsschutzes hätte sorgen können, ist als lediglich geringer, zu vernachlässigender Eigenverantwortungsteil zu werten. Insbesondere der unterlassene Wechsel des Arbeitsplatzes durch arbeitnehmerseitige Kündigung, wie vom ArbG Rheine angenommen229, ist kein Grund, den Arbeitgeber aus der Verantwortung zu entlassen.230 Den Arbeitnehmer zu verpflichten, seinen bisherigen Arbeitsplatz aufzugeben, und ihm das Risiko aufzubürden, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, um den Arbeitsschutz zu erhalten, der ihm gesetzlich zusteht, ist aufgrund der proportional zur Betriebszugehörigkeit steigenden Wahrscheinlichkeit, keinen anderen Arbeitsplatz mehr zu erhalten, unzumutbar. Zudem käme die arbeitnehmerseits ausgesprochene Kündigung einem Verzicht auf den gesetzlich vorgeschriebenen Arbeits- und Kündigungsschutz gleich, welches mit dessen Zielen, einen festgeschriebenen Schutzstandard zu gewährleisten, nicht vereinbar wäre. Darüber hinaus wird nicht selten dem Arbeitnehmer die notwendige Sachkenntnis fehlen, ohne Unterweisung die von Arbeitsstoffen, Arbeitsmitteln oder der Tätigkeit selbst ausgehenden Gefahren zu erkennen. Jedenfalls ist es nachvollziehbar, wenn dieser „des Betriebsfriedens“ wegen auf die Durchsetzung seiner Rechte verzichtet. Als Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass die Interessenabwägung tendenziell zu Lasten des Arbeitgebers ausgeht, sofern dieser wegen schuldhafter Nichteinhaltung der Arbeitsschutzgesetze für die Erkrankung des Arbeitnehmers verantwortlich ist.231
228 BAG, Urt. v. 29. 07. 1993 – 2 AZR 155/93 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 27; LAG Hessen, Urt. v. 15. 09. 2000 – 2 Sa 1833/99 – juris; Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 583 f. 229 ArbG Rheine, Urt. v. 12. 05. 1976 – 2 Ca 268/76 – juris; Schukai, DB 1976, 2015, 2016, „Wenn aber nicht auszuschließen ist, dass die Anfälligkeit der Klägerin für ihre Krankheiten ihre Ursache in der Art der ihr zugeteilten Arbeitsaufgaben haben kann, liegt es im eigenen Gesundheitsinteresse der Klägerin, sich eine andere, weniger schwere Arbeit zu suchen“. 230 So auch Preis, Prinzipien des Kündigungsrecht, S. 444, Fn. 64. 231 So auch LAG Köln, Urt. v. 08. 07. 1982 – 3 Sa 370/81 – BeckRS 1982, 30709095; ArbG Bochum, Urt. v. 03. 04. 1981 – 1 Ca 519/80 – BB 1981, 2006; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 208; Preis, a. a. O. S. 445; Weller, ArbRGeg, Bd. 20 (1983), S. 79.
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Dies ist nicht das Ergebnis einer Abwägung der jeweiligen Verschuldensanteile beider Parteien, wobei die Abwägung zu Gunsten desjenigen ausgeht, dessen Verschuldensanteil geringer wiegt. Das Verschulden des Arbeitgebers hat zur Folge, dass sich der zur Überprüfung der Kündigung anzulegende Maßstab ändert, indem sich die Anforderungen an die Zumutbarkeitsgrenze erhöhen. Die Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenze hat zum Effekt, dass einerseits schuldhaftes Arbeitnehmerverhalten, das unter normalen Bedingungen, die Grenze überschreitet und eine Kündigung legitimiert, noch innerhalb der hinzunehmenden Zumutbarkeitsschwelle bleibt; andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass ein erhebliches Arbeitnehmerverschulden die erhöhte Zumutbarkeitsschwelle überschreitet und eine Kündigung rechtfertigt. Hat der Arbeitnehmer die Störung nicht oder nur in unerheblichem Umfang mitzuverantworten und liegt stattdessen bzw. gleichzeitig ein vom Arbeitgeber zu verantwortender schuldhafter Verstoß gegen ein Schutzgesetz vor, wirkt die Erhöhung der Zumutbarkeitsschwelle für den Arbeitgeber wie folgt: im Hinblick auf Kurzerkrankungen muss er mehr Fehlzeiten und im Hinblick auf Langzeiterkrankungen längere Fehlzeiten hinnehmen. Die daraus resultierenden Betriebsbeeinträchtigungen sind in die Interessenabwägung als weniger schwer einzustellen, weil sie auf eigenes Verschulden zurückzuführen sind. Ferner bedeutet eine höhere Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber, dass dieser einen höheren Einsatz dabei zeigen muss, für den erkrankten, aber noch arbeitsfähigen Arbeitnehmer einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu finden.232 Dies schließt die Verpflichtung ein, durch Ausübung des Weisungsrechts einen besetzten Arbeitsplatz „freizumachen“, also andere Arbeitnehmer umzusetzen und die anfallende Arbeit so umzuverteilen, dass dem Erkrankten eine Weiterarbeit auf einem anderen aber vergleichbaren Arbeitsplatz möglich ist.233 Ferner trifft den Arbeitgeber die grundsätzliche Pflicht den bisherigen Arbeitsplatz leidensgerecht umzugestalten.234 Auch eine Weiterbeschäftigung zu anderen Vertragsbedingungen, wobei der Arbeitnehmer einen Anspruch analog § 313 I BGB auf Zustimmung zur Vertragsanpassung hat, kann dem Arbeitgeber zugemutet werden. Da sich der dabei zu betreibende Aufwand, danach 232 Vgl. ArbG Bochum, Urt. v. 03. 04. 1981 – 1 Ca 519/80 – BB 1981, 2006, wonach der Arbeitgeber den erkrankten Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz einzusetzen hat, der seinen ärztlicherseits festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen entspricht, anstatt ihm zu kündigen. Dem lag zu Grunde, dass der Arbeitnehmer an Atemwegserkrankungen litt, die darauf zurückzuführen waren, dass der Arbeitgeber bestimmte Absaugvorrichtungen nicht vorhielt, so dass der Arbeitnehmer, der Schweißarbeiten zu verrichten hatte, die Schweißdämpfe einatmen musste. 233 St. Rspr. BAG, Urt. v. 13. 05. 2015 – 2 AZR 565/14 – NZA 2015, 1249, 1250; BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 664/13 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 53; BAG, Urt. v. 29. 01. 1997 – 2 AZR 9/96 – NZA 1997, 709, 710; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. 06. 2015 – 4 Sa 400/14 – BeckRS 2015, 72312. 234 St. Rspr. BAG Urt. v. 13. 05. 2015 – 2 AZR 565/14 – NZA 2015, 1249, 1252; BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 755/13 – NZA 2015, 612, 615; BAG, Beschl. v. 23. 09. 2008 – 6 AZN 84/ 08 – NZA 2009, 396, 399; vgl. die BT-Drs. 14/5074, S. 113 zur Einführung von § 84 II SGB IX.
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beurteilt, was dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, gelten auch hier andere, höhere Grenzwerte, wenn der Arbeitgeber die Erkrankung schuldhaft verursacht hat, als im Vergleich dazu wenn der Arbeitnehmer beispielsweise altersbedingt nicht mehr in der Lage ist, die Arbeit zu verrichten. Nichtsdestotrotz ist die Grenze des zumutbaren Aufwands auch in diesem Fall für den Arbeitgeber erreicht, wenn er neue Stellen schaffen oder derzeit mit anderen Arbeitnehmern besetzte Stellen freikündigen müsste. Darauf besteht für den Arbeitnehmer trotz der Verantwortung des Arbeitgebers für die Erkrankung kein Anspruch. Aufgrund der variierenden Gegebenheiten ist es kaum möglich allgemein gültige Vorhersagen über den Ausgang der Interessenabwägung zu treffen. Es steht fest, dass die auf schuldhaften Schutzgesetzverstößen beruhende Verantwortung des Arbeitgebers ein gewichtiges Indiz für die zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgehende Interessenabwägung darstellt. Da die Interessenabwägung jedoch auf einer Gesamtschau weiterer Faktoren, wie der Schwere der Pflichtverletzung, des Verschuldensgrades und des Maßes an betrieblichen Beeinträchtigungen basiert, ist es nicht auszuschließen, dass der Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt bleibt, wenn ihn nur leichte Fahrlässigkeit trifft oder die Schutzgesetzverletzung als nicht allzu schwerwiegend zu werten ist, beispielsweise weil der Arbeitgeber eine Anpassung an neuere Schutzvorschriften versäumt hat, der bisherige Schutzstandard aber eingehalten wurde. In dem vorliegenden Fall ist die Pflichtverletzung als schwerwiegend anzusehen, denn zur Verfügung stehende Hilfsmittel, z. B. Hebebühnen oder fahrbare Kräne, hätten die Gefahr für körperliche Schäden erheblich lindern können. Der Verschuldensgrad ist vorliegend hoch, da es jedem einleuchtet, dass das Heben von Lasten in der Gewichtsklasse von 50 – 120 kg ohne jegliche Hilfsmittel zu Schädigungen der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur führen kann. Ferner sind die betrieblichen Beeinträchtigungen angesichts der Tatsache, dass der Betroffene in der Lage ist, Tätigkeiten mit Lasten von bis zu 20 kg auszuführen, als gering zu bewerten. Das Arbeitsverhältnis kann also unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers und durch Umverteilung von Arbeit noch sinnvoll – jedenfalls angesichts des Verschuldens der Arbeitgeberin für diese in zumutbarer Weise – aufrechterhalten werden. Daher geht hier die Interessenabwägung zu Lasten der Arbeitgeberin aus. Ähnliches gilt beispielsweise bei Verstößen gegen den Nichtraucherschutz und unterlassener Gefährdungsbeurteilungen: Haben Arbeitnehmer gem. § 618 I BGB i. V. m. § 5 ArbStättV einen Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz gegen ihren Arbeitgeber, den dieser nicht erfüllt und erkranken diese Arbeitnehmer infolge des ständigen Einatmens der mit tabakrauchdurchsetzten Luft235, mit der Konsequenz, dass sie häufig fehlen oder gar dauerhaft die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können, und infolgedessen sich der Arbeitgeber dazu veranlasst sieht, ihnen personenbedingt zu kündigen, kann festgehalten werden, dass die Interessenabwä235
Angelehnt an BAG, Urt. v. 19. 05. 2009 – 9 AZR 241/08 – BAGE 131, 18.
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gung tendenziell zu Gunsten der Arbeitnehmer ausgeht, die Kündigung somit unwirksam sein wird. Die eigentliche Ursache der Störung des Arbeitsverhältnisses geht nicht vom Arbeitnehmer aus, sondern hat ihre Herkunft im Verhalten des Arbeitgebers, womit ein dem Arbeitnehmer allein zurechenbarer Grund nicht vorliegt. Die Verantwortung des Arbeitgebers für die Störung bestimmt sich zum einen dadurch, dass deren Ursprung betrieblich bedingt ist, mithin aus seiner Sphäre stammt. Ferner basiert die arbeitgeberseitige Verantwortung auf einem Fehlverhalten, und wiegt deswegen besonders schwer, weil der Arbeitgeber die Störung hätte vorhersehen, vermeiden bzw. jedenfalls verringern können, wenn er ordnungsgemäß seinen Schutzpflichten nachgekommen wäre. Die grundsätzliche Verantwortung des Arbeitnehmers für seine Person tritt also hinter der überwiegenden Verantwortung des Arbeitgebers wegen Verschuldens zurück. Für die Interessenabwägung hat dies zwei Auswirkungen. Erstens ist wegen des Verschuldens des Arbeitgebers der Interessenabwägung ein verschärfter Maßstab zugrunde zu legen, so dass die Grenze der Unzumutbarkeit hoch anzusetzen ist. Der Arbeitgeber müsste daher erhebliche vom Arbeitnehmer zu verantwortende Beeinträchtigungen vortragen, um die Kündigung zu rechtfertigen. Dies wird ihm aber nur schwer gelingen können, denn das arbeitgeberseitige Verschulden überlagert die arbeitnehmerseitige verschuldensunabhängige Verantwortung. Als zweiter Aspekt in der Interessenabwägung führt das dazu, dass die vom Arbeitnehmer ausgehende Beeinträchtigung diesem weniger vorwerfbar ist und daher mit geringerem Gewicht in die Interessenabwägung einzustellen ist. Dies, die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze einerseits und die geringere Vorwerfbarkeit andererseits, haben zur Folge, dass dem Arbeitgeber die durch Fehlzeiten des Arbeitnehmers bedingten betrieblichen Beeinträchtigungen nicht unzumutbar sind. Da die Unzumutbarkeit nicht erreicht wird, ist der Arbeitgeber gehalten bei längerer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers diesem die Rückkehrmöglichkeit ins Arbeitsverhältnis, auch auf andere Arbeitsplätze, zu erhalten. In einem anderen Fall, der bereits erwähnt wurde, ging es um die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung eines Gasrohrnetzwerkers.236 Der Arbeitnehmer war seit zwölf Jahren im Außendienst der Beklagten im Bereich des Rohrleitungs- und Anlagenbaus beschäftigt, ehe er wegen eines Wirbelsäulenschadens arbeitsunfähig wurde. Es wurde festgestellt, dass der Kläger nur noch körperlich leichte Arbeit überwiegend im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen verrichten kann und Kälte, Nässe, Zugluft und starke Temperaturschwankungen vermeiden soll. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Ablauf eines Jahres seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei unwirksam. Die Beklagte hätte ihn auf anderen Arbeitsplätzen, etwa als Sicherheitsbeauftragten, einsetzen müssen. Das BAG hob das stattgebende Urteil des LAG Berlin-Brandenburg237 auf und verwies die Sache zurück an das LAG, weil nicht festgestellt 236 237
BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18. 12. 2008 – 14 Sa 1428/08 – juris.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
worden war, ob eine negative Gesundheitsprognose im Zeitpunkt der Kündigung gerechtfertigt war. Es hätte allerdings auch berücksichtigt werden müssen, dass der Arbeitgeber für die Störung mitverantwortlich ist, indem er es unterlassen hat eine Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes gem. § 5 ArbSchG durchzuführen und weder die von der Tätigkeit ausgehenden Risiken, insbesondere witterungsbedingte und solche durch das Tragen von Lasten, erkannt noch durch Schutzmaßnahmen Abhilfe geschaffen hat. Das BAG hätte daher erkennen müssen, dass die Zumutbarkeitsschwelle im Hinblick auf die vom Arbeitgeber hinzunehmenden Betriebsbeeinträchtigungen deshalb höher anzusetzen ist und in Anbetracht der dargelegten Beeinträchtigungen noch nicht überschritten ist. Darüber hinaus hätte eine Wiedereingliederung des Arbeitnehmers mit den von ihm angeführten Hilfsmitteln versucht werden müssen.238 2. Schuldhafte Verursachung eines Arbeitsunfalls durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer Bei der fahrlässigen Herbeiführung eines Arbeitsunfalls durch den Arbeitgeber sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Einmal die, dass der Arbeitgeber den Arbeitsunfall allein verursacht239 und auf der anderen Seite die Konstellation, in der sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber den Unfall verschuldet haben. Beiderseitige schuldhafte Verantwortung liegt z. B. vor, wenn es der Arbeitgeber versäumt, den Arbeitnehmer über die Bedienungsweise einer Maschine aufzuklären und dieser die Maschine ohne die notwendige Einweisung bedient, so dass es zum Unfall kommt. Zunächst ist der Maßstab der Zumutbarkeitsgrenze festzulegen. Aufgrund des überwiegenden arbeitgeberseitigen Verschuldens ist zu prüfen, ob sich die Zumutbarkeitsgrenze zu dessen Lasten verschiebt. Im Gegenzug ist zu prüfen, ob die Zumutbarkeitsgrenze wegen erheblichen arbeitnehmerseitigen Verschuldens herabzusetzen ist. Dann kann entschieden werden, ob die Zumutbarkeitsgrenze durch die vorhandenen Beeinträchtigungen überschritten wird. Handelt es sich z. B. um nur dem Arbeitgeber zugängliche Informationen, die dem Arbeitnehmer vorenthalten werden, für dessen Arbeit jedoch unverzichtbar sind und besteht für den Arbeitnehmer keine andere Möglichkeit der Informationserlangung bzw. war aus seiner Sicht ein Unfall nicht zu erwarten, träte die Verantwortung des Arbeitnehmers hinter der des Arbeitgebers zurück. Umgekehrt ist das Verschulden des Arbeitnehmers stärker zu gewichten, wenn der Arbeitgeber eine Pflicht von geringerer Bedeutung verletzt hat, wie z. B. wenn der Arbeitnehmer nicht über bestimmte Gefahren unterrichtet wird, die allgemein be238 So i. E. auch Nebe, Anm. zu BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. 239 Siehe Dritter Teil unter § 6 C. I. 3. c).
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kannt sind.240 Entscheidend für das Abwägungsergebnis und damit für die Kündigungsbefugnis ist somit auch die Schwere des jeweiligen Pflichtverstoßes. Je schwerwiegender der Verstoß der einen Seite ist, desto geringer fällt die Pflichtverletzung der anderen Seite unter dem geänderten Bewertungsmaßstab ins Gewicht.
C. Erschwerung der Kündigung Immer dann wenn der Arbeitgeber nicht weit überwiegend für den Kündigungsgrund verantwortlich ist, ist zu prüfen, ob sich die Kündigungsbefugnis erschwert, dadurch, dass sich die Grenze der Unzumutbarkeit in der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitgebers verschiebt. Je höher die Grenze liegt, desto mehr Maßnahmen können von dem Arbeitgeber verlangt werden, durch die die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers wiederhergestellt und das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden kann. Für die Kündigungsbefugnis kommt es somit darauf an, die vom Arbeitgeber noch hinzunehmenden Belastungen von jenen abzugrenzen, die trotz einer Mitverantwortung des Arbeitgebers diesem nicht mehr zugemutet werden können. Dies gilt insbesondere für Erkrankungen, die nicht auf einem Verstoß des Arbeitgebers gegen einschlägige Schutzgesetze beruhen, sondern für arbeitsbedingte Folgeerkrankungen, die der Arbeitnehmer erlitten hat, ohne dass dem Arbeitgeber ein Verschuldensvorwurf gemacht werden könnte. Obwohl alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen werden, kann die Störung des Arbeitsverhältnisses nicht verhindert werden, wenn die Tätigkeit untrennbar mit bestimmten latenten Gefahrenquellen verbunden ist, wie z. B. Strahlenbelastung im Luft- und Schienenverkehr, toxikologische Stoffe, wie Benzo(a)pyren, Schwefelsäure und Asbest in verschiedenen Industriezweigen, (Fein)Staubentwicklung bei der Gewinnung bestimmter Rohstoffe, Druckschädigungen bei manuellen Tätigkeiten etc. Im Folgenden geht es um die Auswirkung der arbeitgeberseitigen Verantwortung für arbeitsbedingte Erkrankungen des Arbeitnehmers, die, wie oben herausgearbeitet wurde, auch vom Arbeitgeber verschuldensunabhängig zu tragen ist.241 Eine Vorhersage, dahin gehend, dass das in die Interessenabwägung einzustellende und dem Arbeitgeber zurechenbare Risiko arbeitsbedingter Erkrankungen wahrscheinlich zum Ausschluss der Kündigungsbefugnis führt, kann nicht getroffen werden.242 Der Ausgang der Interessenabwägung ist trotz der erhöhten Zumutbarkeitsgrenze offen.
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Siehe Dritter Teil unter § 6 D. I. Siehe Zweiter Teil unter § 3 B. I. 5. d). 242 Zu verallgemeinernd die von Rosenland gezogene Konsequenz, dass die Rechtsprechung des BAG nur dahin gehend interpretiert werden könne, dass bei betrieblicher Verursachung der Krankheit im Regelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses vorläge (Rosenland, ArbuR 1991, 266, 272). Zu anderen Ergebnissen der Interessenabwägung führt eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit, siehe Dritter Teil unter § 6 D. II. 1. 241
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I. Höhere Zumutbarkeit hinsichtlich hinzunehmender Störungen 1. Verschuldensabhängige Verantwortung a) Krankmachendes Organisationsverschulden Krankheitsursächlich können nicht nur die von der Arbeit selbst ausgehenden Begleitumstände und Gefahren sein, sondern auch die vom Arbeitgeber vorgegebenen Bedingungen, unter denen die Arbeit auszuüben ist. Gemeint sind übermäßige (psychische243) Belastungen durch die Verrichtung von Akkordarbeit, ein mengenorientiertes, auf Prämien basierendes Bezahlsystem244, die Überschreitung der zulässigen Arbeitszeit, das Ableisten von Überstunden zur Kompensation von Arbeitskräftemangel etc., was zu einer insgesamt erhöhten Krankheitsanfälligkeit bzw. zu erschöpfungsbedingten Krankheiten oder zu Minder- und Schlechtleistungen führen kann. Auch wenn solche Arbeitsbedingungen durch Schutzvorschriften vermieden werden sollen (z. B. § 3 ArbzG), es also Überschneidungen mit dem vorherigen Abschnitt gibt245, lassen sich diese Krankheitsursachen unter dem allgemeinen Begriff des Organisationverschuldens zusammenfassen. Ein Organisationsverschulden stellt es z. B. dar, wenn ein Arbeitgeber als Anbieter von Pflegedienstleistungen aufgrund von personeller Unterbesetzung allein eine Pflegekraft den Dienst pro Schicht ausüben lässt246 oder wenn ein Arbeitgeber unter Verstoß gegen § 3 ArbzG einen Arbeitnehmer 230 – 240 Stunden pro Monat arbeiten lässt247. Beruft sich im Kündigungsschutzprozess ein Arbeitnehmer auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der hohen Arbeitsbelastung und den Fehlzeiten, ist es Sache des Arbeitgebers die Nichtursächlichkeit seiner Arbeitsorganisation zu beweisen. Gelingt ihm dies nicht, geht sein Verschulden zumutbarkeitssteigernd zu seinen Lasten in die Interessenabwägung ein. Teilweise wird erwogen, die Aufstockung des Personals unter dem Aspekt des milderen Mittels zu prüfen, sofern der Arbeitskräftemangel die Ursache der Erkrankung ist, mit dem Ergebnis, dass die Kündigung mangels Erforderlichkeit unwirksam ist.248 Dies erscheint nach diesseitiger Auffassung insofern problematisch, als dass durch die pauschale Verpflichtung, weiteres Personal einzustellen, die Grenze der Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Gerichte im Hinblick auf die unternehmerische Freiheit überschritten werden könnte. Der Ansatz ist daher zu modifizieren. Zutreffend ist die Verknüpfung des Organisationsverschuldens sowohl mit der Zumutbarkeit innerhalb 243 Zum Einfluss der Arbeitsbedingungen auf die Psyche und daraus resultierende Pflichten für Arbeitgeber siehe Lützeler, BB 2014, 309, 316; Podehl, DB 2016, 1695, 1699. 244 BAG, Urt. v. 17. 01. 2008 – 2 AZR 536/06 – NZA 2008, 693, 695. 245 Siehe Dritter Teil unter § 6 B. II. 1. 246 ArbG Halberstadt, Urt. v. 10. 11. 2004 – 3 Ca 974/04 – BeckRS 2004, 31052629; siehe zum Zusammenhang zwischen Erkrankung und niedriger Personalkapazität Stein, BlStSozArbR 1979, 161, 164. 247 BAG, Urt. v. 07. 11. 2002 – 2 AZR 599/01 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40. 248 Stein, BlStSozArbR 1979, 161, 164.
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der Interessenabwägung als auch mit der Erforderlichkeit der Kündigung. Das arbeitgeberseitige Organisationsverschulden hat zum einen eine höhere Zumutbarkeitsschwelle an hinzunehmenden betrieblichen Beeinträchtigungen zur Folge und zweitens eine Erhöhung der Anstrengungen, die der Arbeitgeber zur Vermeidung der Kündigung, d. h. bei der Suche nach einer leidensgerechten Beschäftigung, vorzunehmen hat. Prozessual schlägt sich dies in den gesteigerten Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers in Bezug auf das Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten nieder, sofern ein bEM nicht durchgeführt wird. In dem Fall, in dem das LAG Schleswig-Holstein249 über die Kündigung einer wegen Überlastung am Burn-out-Syndrom erkrankten Altenpflegerin zu entscheiden hatte, führten diese gesteigerten Anforderungen dazu, dass der Arbeitgeber mit seinem Vortrag, der Personalschlüssel sei erfüllt, die seitens der Klägerin erhobenen Behauptungen über erhöhte Arbeitsbelastungen nicht entkräften konnte. Vielmehr hätte es hier einer konkreten Aufschlüsselung der Arbeitsverteilung bedurft. Ferner genügte der Arbeitgeber seiner Darlegungslast auch deshalb nicht, weil nach Auffassung des Gerichts Hilfsmittel zur Arbeitserleichterung zur Verfügung gestanden hätten, deren Erfolglosigkeit im Hinblick auf die Leiden der Arbeitnehmerin der Arbeitgeber nicht zu erklären vermochte. Schließlich führt das Gericht noch eine vorübergehende Teilzeitbeschäftigung zur Ermöglichung längerer Regenerationspausen und langfristigen Stabilisierung des Gesundheitszustands der Arbeitnehmerin an.250 Zusammengefasst für den Fall, dass das Organisationsverschulden des Arbeitgebers zu kündigungsrelevanten Erkrankungen bei den Arbeitnehmern führt, ist der Arbeitgeber gehalten, durch Umverteilung von Arbeit, durch Änderung der Arbeitsabläufe und durch den Einsatz von Hilfsmitteln die durch den vorherigen Zustand hervorgerufenen Belastungs- und Erschöpfungserscheinungen wieder zu beseitigen. Der Unterschied zum zuvor genannten Ansatz251 liegt darin, dass es nicht Sache der Gerichte ist, dem Arbeitgeber konkrete Maßnahmen aufzuerlegen, sondern dass dieser darlegen muss, warum er keine Gegenmaßnahmen ergriffen hat bzw. dass diese nicht erfolgversprechend wären. Gelingt ihm dies nicht und trägt stattdessen der Arbeitnehmer substantiiert mildere Mittel als die Kündigung vor, scheitert die Kündigung in der Interessenabwägung an der Erforderlichkeit. b) Eignungsmängel wegen Organisationsverschuldens Eine Folge des arbeitgeberseitigen Organisationsverschuldens kann es sein, dass der Arbeitnehmer zwar nicht erkrankt, aber dennoch nicht in der Lage ist, seine Arbeit auszuüben. Zu denken ist an Eignungsmängel, die auf einer unzureichenden Einweisung und Unterrichtung in und über die zu verrichtenden Arbeiten beruhen. Das LAG Nürnberg252 hatte über die Wirksamkeit einer Kündigung eines Kraft249 250 251 252
LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 18. 09. 2013 – 3 Sa 133/13 – PflR 2014, 22, 24. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 18. 09. 2013 – 3 Sa 133/13 – PflR 2014, 22, 24. Stein, BlStSozArbR 1979, 161, 164. LAG Nürnberg, Urt. v. 12. 06. 2007 – 6 Sa 37/07 – NZA-RR 2008, 178, 179 f.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
fahrers zu entscheiden, der im Vergleich zu anderen Beschäftigten erheblich mehr Zeit für die vorzunehmenden Fahrten benötigte und deshalb wegen Minderleistung gekündigt werden sollte. Der betroffene Arbeitnehmer war seit zwölf Jahren in dem Betrieb der Beklagten tätig gewesen, bevor es zu einem Betriebs(teil)übergang kam, dem der Arbeitnehmer widersprochen hatte, und nachdem er in einem anderen Bereich der Beklagten eingesetzt wurde. Während er zuvor Heizöl ausgefahren hatte, wurde er nach dem Arbeitsbereichswechsel mit der Auslieferung von Farben und Materialien, einschließlich der Beladung des Fahrzeugs, betraut. Bei den Auslieferungsfahrten handelte es sich um andere Strecken als die, die er von der Auslieferung des Heizöls kannte. Die Einarbeitung in den neuen Arbeitsbereich bestand lediglich darin, dass er bei einem anderen Fahrer mitfuhr. Das Gericht befasst sich zwar nicht mit der Frage, ob die „Einarbeitung“ bereits unzureichend gewesen sein könnte – Orientierung und Arbeitsschritte beim Be- und Entladen lassen sich durch eigenes Tun eher erlernen als durch das bloße Dabeisein bei Kollegen – sondern wirft der Arbeitgeberin vor, Organisationsmaßnahmen wie die Anschaffung eines Navigationsgeräts, die Sortierung der Lieferscheine in geographisch zweckmäßiger Reihenfolge, nicht ergriffen zu haben, oder die Fahrzeuge mit den Kundenbestellungen so bestückt zu haben, dass dies eine Vorsortierung ergibt, welche dem Arbeitnehmer die Ausübung seiner Arbeit erleichtert hätte. Nach Ansicht des Gerichts war die Kündigung unwirksam, weil der Arbeitgeber nicht alles Erforderliche getan hat, um dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung in angemessener Form zu ermöglichen. Die Kündigung war nicht letztmögliches Mittel. Sie wäre abzuwenden gewesen, wenn der Arbeitgeber die genannten Hilfestellungen erbracht hätte bzw. den Arbeitnehmer richtig eingearbeitet hätte.253 Das Gericht berücksichtigt also das Organisationsverschulden des Arbeitgebers mit der Folge, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist, verortet dies allerdings in die Erforderlichkeitsprüfung. Im Ergebnis ist dem Urteil zuzustimmen. Zwischen den Aspekten der fehlenden Erforderlichkeit wegen Aussicht auf Leistungsbesserung bei Bereitstellung von Hilfsmitteln und der Unangemessenheit wegen Mitverschuldens des Arbeitgebers bezüglich der Störung hätte differenziert werden müssen. In der Interessenabwägung hätte deutlicher herausgestellt werden müssen, dass der Arbeitnehmer aufgrund der unzureichenden Einarbeitung die Störung des Arbeitsverhältnisses nicht allein zu verantworten hatte. Entsprechend der Verantwortungsverteilung mindert sich der Grad der Vorwerfbarkeit zu Gunsten des Arbeitnehmers. Zudem nimmt unter Zugrundelegung eines verschärften Maßstabs die Zumutbarkeit zu Lasten des Arbeitgebers im Hinblick auf hinzunehmende Leistungsdefizite zu. Ferner wirkt sich das Mitverschulden so auf die Kündigungsbefugnis aus, dass die Anforderungen an die Maßnahmen zur Abwendung der Kündigung steigen. Für den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass es dem Arbeitgeber, bevor er hätte kündigen können, zuzumuten gewesen wäre, den Arbeitnehmer erneut in seine Arbeit einzuweisen, die zu fahrenden Touren geographisch zu ordnen oder das Fahrzeug mit einem Navigationsgerät auszustatten. Erst wenn sich gezeigt hätte, dass 253
LAG Nürnberg, Urt. v. 12. 06. 2007 – 6 Sa 37/07 – NZA-RR 2008, 178, 179.
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die Maßnahmen erfolglos bleiben, wäre die Kündigung zulässig. Damit bewirkt die arbeitgeberseitige Mitverantwortung in Form des Organisationsverschuldens eine Kündigungserschwerung, die zur Folge haben kann, dass sich Kündigungszeitpunkt nach hinten verschiebt oder dass die Störung durch entsprechende Umorganisation behoben und die Kündigung unnötig wird. c) Mobbing Das eigene Verhalten des Arbeitgebers oder ihm zurechenbares Verhalten Dritter kann zur Erkrankung des Arbeitnehmers führen und daher mit einer krankheitsbedingten Kündigung im Zusammenhang stehen. Unter Berücksichtigung der vorangegangenen Erläuterungen soll an dieser Stelle der bereits mehrfach erwähnte Fall der seitens der Vorgesetzten unangemessen behandelten Sekretärin, die daraufhin psychisch erkrankte und krankheitsbedingt gekündigt werden sollte254, exemplarisch für die Fälle dargestellt werden, in denen Arbeitnehmer Opfer von Mobbing sind. Richtiger Prüfungsort für die Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Arbeitgebers ist, wie zuvor dargestellt, die Interessenabwägung.255 Für die Pflicht zur Berücksichtigung des Fehlverhaltens genügt es, wenn „nicht ausgeschlossen werden [kann], dass hierdurch der Gesundheitszustand der Klägerin nicht unwesentlich negativ beeinflusst worden ist und entsprechend die negative Gesundheitsprognose jedenfalls auch auf diese Umstände mit zurückzuführen ist.“256 Was das Gericht im Folgenden macht, ist eine Wertung sämtlicher Vorfälle dahin gehend, ob ein Zusammenhang mit den psychischen Erkrankungen der zu kündigenden Arbeitnehmerin plausibel ist. Da die Arbeitnehmerin durch ihr unmittelbares Umfeld unbestritten einer Vielzahl von Erniedrigungen und einem die Persönlichkeit verletzenden Verhalten ausgesetzt wurde und ihre Anwesenheit sowie die von ihr entsprechend ihrer Fähigkeiten erbrachte Leistung abwertend beurteilt wurde, lässt sich eine Mitursächlichkeit der „der betrieblichen Sphäre der Beklagten zuzurechnenden Umstände“ für die Erkrankung der Arbeitnehmerin annehmen. Ist dieser Zusammenhang festgestellt, ist die eigentliche Interessenabwägung vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Gerichts geht es dabei nicht um die Abwägung des Arbeitgeberinteresses gegen die Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmerin (die Möglichkeit der Mitursächlichkeit des Arbeitgeberverhaltens und ein Schwerbehindertengrad von 40 % machten die Arbeitnehmerin besonders schutzwürdig257), sondern die Interessenabwägung ist unter Einbeziehung der Verantwortung für die Krankheitsursache vorzunehmen: Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass eine Kündigung unverhältnismäßig wäre. Die Verantwortung für den Kündigungsgrund liegt nicht überwiegend bei der 254 255 256 257
LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris. Siehe Dritter Teil unter § 6 B. II.1. LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris. LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Arbeitnehmerin. Die kündigungsrelevante Erkrankung steht in engem Zusammenhang mit dem Verhalten des Arbeitgebers. Die Zumutbarkeitsgrenze erhöht sich, so dass die Störung nicht mehr die Schwelle zur Unzumutbarkeit übersteigt. Die innerhalb von zwei Jahren über einen Zeitraum von sechs Wochen258 hinausgehenden Entgeltfortzahlungskosten sind dem Arbeitgeber aufgrund der Mitverantwortung für die Störung noch zuzumuten. Darüber hinaus traten die Erkrankungen anlassbezogen, aufgrund des Arbeitgeberverhaltens, auf. Daher besteht Grund zur Annahme, dass bei Verhaltensänderung durch den Arbeitgeber mit erheblich weniger krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen ist. Es fehlt folglich auch eine die Erforderlichkeit der Kündigung rechtfertigende Negativprognose. Aus diesen Gründen geht die Interessenabwägung hier zu Gunsten der Arbeitnehmerin aus, obwohl das Gericht den Mobbingtatbestand nicht als erfüllt ansieht, sondern von einer (nur) unangemessenen Behandlung ausgeht.259 Demnach müsste die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers in den Fällen ausgehen, in denen Arbeitnehmer durch Vorgesetzte gemobbt werden oder der Arbeitgeber nicht gegen Mobbingfälle unter den Beschäftigten einschreitet. 2. Verschuldensunabhängige Verantwortung In dem bereits erwähnten Fall, in dem das Arbeitsgericht Bremen über die Kündigung einer wegen Unterkühlung erkrankten Arbeitnehmerin zu entscheiden hatte, wurde die Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam gehalten, da die Krankheitsursache ihren Ursprung in der betrieblichen Sphäre des Arbeitgebers hatte. Für das Ergebnis ohne Folge war, dass der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Vermeidung einer Unterkühlung der Betriebsräume bei einem winterlichen Kälteeinbruch getan hatte.260 Ein Aspekt, der in dem vorliegenden Urteil unbeachtet blieb, aber zu berücksichtigen gewesen wäre, ergibt sich aus dem Vergleich mit den Konstellationen, in denen der Arbeitgeber seine Pflichten verletzt und in denen bei Einhaltung der Schutzpflichten die Erkrankung vermeidbar oder zumindest in ihren Folgen weniger schlimm gewesen wäre. Wenn bereits in diesen Fällen die Interessenabwägung es zulässt, bei Überschreiten der Unzumutbarkeitsschwelle das Recht zur Kündigung nicht auszuschließen, muss dies für das schutzgesetzkonforme, aber dennoch zu Erkrankungen führende Verhalten erst recht gelten. Das rechtmäßige, aber zur Arbeitsunfähigkeit führende Verhalten darf nicht als gleich schwerwiegend gewertet werden. Entsprechend ist die Schwelle der Unzumutbarkeit etwas niedriger anzusetzen als in den Fällen, in denen der Arbeitgeber gegen Vorschriften des Arbeits-
258 Genauere Angaben zu den Fehlzeiten enthält das Urteil nicht (LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris). 259 LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/97 – juris. 260 ArbG Bremen, Urt. v. 15. 04. 1954 – I Ca 178/54 – DB 1954, 804.
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schutzes verstößt, mit der Folge, dass Kündigungen tendenziell eher zulässig sind als bei rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten. Der andere Aspekt, der in die Interessenabwägung einzustellen ist, ist, dass die Rechtsgüter des Arbeitnehmers durch den laufenden Betrieb einer ständigen Gefährdung ausgesetzt sind. Dadurch, dass sich der Arbeitnehmer ihm fremden Betriebsstrukturen unterordnen muss, setzt er sich Risiken aus, die er nicht beherrschen kann, weil sie der Organisationshoheit des Arbeitgebers unterliegen. Der Arbeitgeber, der sich nur in den selteneren Fällen diesen Risiken auch selbst aussetzt, diese Risiken aber steuern kann, profitiert davon, dass sich der Arbeitnehmer für ihn in diese Gefahr begibt. Daher zieht nicht nur die schuldhafte Verletzung fremder Rechtsgüter, sondern auch die nicht vorwerfbare, aber aufgrund der Risikoverteilung zurechenbare Gefährdung eine „Minderbewertung der Interessen des Handelnden“ nach sich.261 Wesentlich für das Ergebnis der Interessenabwägung ist letztlich die Zumutbarkeit: Wegen des vom Arbeitgeber zu tragenden Risikos für arbeitsbedingte Erkrankungen seiner Beschäftigten verschiebt sich bei einem nachgewiesenen Kausalzusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit und der Erkrankung die Zumutbarkeitsgrenze zu seinen Lasten mit der Konsequenz, dass dieser längere bzw. häufigere Fehlzeiten hinnehmen muss, der Arbeitsplatz also für den ausgefallenen Arbeitnehmer länger freibleiben muss.262 a) Häufige Kurzerkrankungen Wenn beispielsweise im „Normalfall“ krankheitsbedingter Kündigungen wegen häufiger Kurzerkrankungen eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei der Entstehung von Entgeltfortzahlungskosten von mehr als zwölf Wochen innerhalb von zwei Jahren angenommen werden kann263, ist für den Fall, dass es sich um arbeitsbedingte Erkrankungen handelt, dem Arbeitnehmer ein längerer Ausfallzeitraum zuzugestehen. Es dürften Entgeltfortzahlungskosten für bis zu 18 Wochen264 noch angemessen sein, wenn der Arbeitgeber verschuldensunabhängig für die Krankheitsursache verantwortlich ist. Übertragen auf den Bremer Fall265 der wegen Kälte in den Betriebsräumen erkrankten Arbeitnehmerin bedeutet das, dass das 261
Hubmann, AcP 155 (1956), 84, 119. So bereits BAG, Urt. v. 20. 10. 1954 – 1 AZR 193/54 – NJW 1954, 1949, 1950; demfolgend LAG Köln, Urt. v. 08. 07. 1982 – 3 Sa 370/81 – BeckRS 1982, 30709095; LAG Düsseldorf, Urt. v. 11. 07. 1952 – 2 Sa 180/52 – DB 1952, 740. 263 BAG, Urt. v. 16. 07. 2015 – 2 AZR 15/15 – NZA 2016, 99, 101; BAG, Urt. v. 20. 01. 2000 – 2 AZR 378/99 – NZA 2000, 768, 770; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 221; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 144; vgl. KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 361, die Grenzwerte jedoch nicht als Kündigungsautomatismus verstanden wissen möchte. 264 Siehe nächster Abschnitt, Dritter Teil § 6 C. I. 2. b). 265 ArbG Bremen, Urt. v. 15. 04. 1954 – I Ca 178/54 – DB 1954, 804. 262
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Gericht hätte prüfen müssen266, ob die Entgeltfortzahlungskosten noch in dem genannten Rahmen für schuldlos zu verantwortende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gelegen hätten. Das Ergebnis wäre vermutlich gewesen, dass der Arbeitgeber die konkrete Ausfallzeit seiner Beschäftigten noch hinzunehmen gehabt hätte und demzufolge nicht hätte kündigen können. b) Ungewiss lang andauernde Arbeitsunfähigkeit Führen die Arbeitsbedingungen zu einer dauerhaften oder ungewiss lang andauernden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, könnte man, von der Schwere der erlittenen Schädigung auf eine erhebliche Verantwortung des Arbeitgebers schließend, zu der Annahme gelangen, dass in dem Fall erst recht die Kündigungsbefugnis ausgeschlossen sein müsste. Diese Annahme würde jedoch dem Austauschcharakter des Arbeitsverhältnisses nicht gerecht. Trotz der gravierenden Folgen für den Arbeitnehmer und selbst wenn eine entsprechend hohe Verantwortung des Arbeitgebers bestünde, geht die Interessenabwägung hier tendenziell zu Lasten des Arbeitnehmers aus.267 Das Arbeitsverhältnis wurde eingegangen um einen bestimmten Arbeitsbedarf des Arbeitgebers zu decken. Bei dauernder oder unabsehbar langer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers steht fest, dass dieser Zweck nicht mehr erreicht werden kann. In einem solchen Fall wird in ständiger Rechtsprechung eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen angenommen. „Der Arbeitgeber ist auf unabsehbare Zeit gehindert, sein Direktionsrecht ausüben zu können und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. Eine ordnungsgemäße Planung des Einsatzes des Arbeitnehmers kann nicht mehr erfolgen.“268 Die dauernde Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit mit unabsehbarem Ende war nach früherer Ansicht des BAG als (dauernde) Unmöglichkeit im Sinne des heutigen § 275 I, III BGB zu klassifizieren.269 Damit seien die Hauptleistungspflichten beider Ver-
266 1954 bestand die heute maßgebliche Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung noch nicht. Die erste in der AP abgedruckte Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung stammt aus den Jahren 1968 (BAG, Urt. v. 12. 03. 1968 – 12. 03. 1968 – AP KSchG § 1 Krankheit Nr. 1) und 1969 (BAG, Urt. v. 10. 06. 1969 – AP KSchG § 1 Krankheit Nr. 2). 267 BAG, Urt. v. 18. 01. 2007 – 2 AZR 759/05 – juris; BAG, Urt. v. 29. 04. 1999 – 2 AZR 431/ 98 – BAGE 91, 271, 278; BAG, Urt. v. 06. 11. 1997 – 2 AZR 94/97 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 42; BAG, Urt. v. 21. 05. 1992 – 2 AZR 399/91 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30. 268 BAG, Urt. v. 18. 01. 2007 – 2 AZR 759/05 – juris; BAG, Urt. v. 29. 04. 1999 – 2 AZR 431/ 98 – BAGE 91, 271, 278; BAG, Urt. v. 06. 11. 1997 – 2 AZR 94/97 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 42; BAG, Urt. v. 21. 05. 1992 – 2 AZR 399/91 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30. 269 Mit dem Begriff der Unmöglichkeit hat das BAG in früheren Urteilen gearbeitet (vgl. BAG, Urt. v. 21. 05. 1992 – 2 AZR 399/91 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30; BAG, Urt. v. 22. 09. 1994 – 2 AZR 719/93 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 25), ist dann aber davon abgerückt und spricht heute überwiegend von betrieblichen Beeinträchtigungen (die Abkehr von der Verwendung des Begriffs „Unmöglichkeit“ begann mit BAG, Urt. v. 19. 05. 1993 – 2 AZR 539/92 – juris).
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tragsparteien entfallen.270 Das Austauschverhältnis sei dadurch in schwerstmöglicher Weise gestört. Aufgrund der Tatsache, dass eine Rückkehr des Arbeitnehmers auf seinen Arbeitsplatz (so gut wie) ausgeschlossen ist, verschiebt sich der Beurteilungsmaßstab in der Interessenabwägung weg von der Verantwortung der Störungsverursachung. Stattdessen gewinnt das in der Interessenabwägung zu berücksichtigende Kriterium, die Sinnhaftigkeit das Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten, an Bedeutung, weshalb die Interessen des Arbeitnehmers in der Abwägung hinter die des Arbeitgebers zurücktreten sollen.271 Dieser Argumentationsansatz ist einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Die Vergleichbarkeit mit dem durch Unmöglichkeit eingetretenen Zustand ist zunächst naheliegend. Da die Unmöglichkeit zum Erlöschen der Leistungs- und infolgedessen zum Erlöschen der Gegenleistungspflicht (§ 326 I BGB) führt272, ist die Betonung der infolge des Erlöschens der Leistungspflichten eingetretenen Sinnlosigkeit eines nicht mehr erfüllbaren Vertrags273 nachvollziehbar. Im Gesellschaftsrecht führt die Unmöglichkeit der Zweckerreichung sogar zur Auflösung des Gesellschaftsvertrags kraft Gesetzes (§ 726 BGB), wobei dies mit der wesentlichen Bedeutung des Gesellschaftszwecks für den Gesellschaftsvertrag gerechtfertigt wird.274 Selbst der Gesellschafter, der die Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks zu verantworten hat, kann sich auf die Vorschrift berufen und die Auflösung der Gesellschaft verlangen.275 Gäbe es die Vorschrift (§ 726 BGB) nicht, wäre bei ent270
Nach Ablauf der Entgeltfortzahlungspflicht (§ 3 I EFZG) gilt auch für das Arbeitsverhältnis § 326 I BGB. Viele Beschäftigte sind gem. § 44 I SGB V durch die Zahlung eines Krankengeldes durch die gesetzlichen Krankenkassen für weitere 78 Wochen abgesichert. 271 Vgl. LAG Thüringen, Urt. v. 15. 11. 2012 – 3 Sa 71/12 – juris; LAG Hamm, Urt. v. 20. 01. 2000 – 8 Sa 1420/99 – NZA-RR 2000, 239, 240. 272 §§ 275 I – III, 326 I BGB geben ein verbreitetes Rechtsprinzip wieder (vgl. Art. 79 CISG; § 878 ABGB; Art. 1218 code civil). Zur Begründung dieses Rechtsprinzips werden verschiedene Ansätze angeführt, wie, dass es sich um ein „Naturgesetz“ handele, was nicht geleistet werden könne, könne nicht geschuldet sein (so der Ansatz im preußischen ALR §§ 51 – 57; Mugdan II, S. 24 („Natur der Sache“); Oertmann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, § 306 Nr. 1 („Natur der Sache“); Canaris, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 43, 49); wie die regula iuris, impossibilium nulla obligatio est (D 50, 17 185 (Celsus); die römische Überlieferung als grundlegenden Rechtsgedanken von § 275 BGB bzw. § 306 BGB a. F. sehen MüchKomm BGB/Ernst, § 275 Rn. 30; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, § 3 Rn. 4 (zu § 306 BGB a. F.); Huber, Leistungsstörungen Bd. 1, § 4 I; Schlechtriem, FS Sonnenberger, S. 125, 128; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 4 Rn. 2); oder wie der moralphilosophische Ansatz „ought implies can“ (Henderson, Philosophy Vol. 41 (1966), 101 ff.; Mason, American Philosophical Quarterly 40 (4), 319 ff.; Margolis, Australian Journal of Philosophy Vol. 48 (1970), 33 ff.; Wollschläger, Unmöglichkeitslehre; Hruschka, FS Reimers, 459, 460 f.; Wolff, JZ 1995, 280). 273 Siehe die Regierungsbegründung in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 658; ders., JZ 2001, 499 ff.; vgl. MünchKomm BGB/Ernst, § 275 Rn. 33 („Leistungsurteil ohne Sinn“); Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 4 Rn. 1, spricht von der Sinnlosigkeit des Aufwands als Grund für die Entlastung. 274 Mugdan II, S. 347 f. 275 MünchKomm BGB/Schäfer, § 726 Rn. 1.
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sprechendem Sachverhalt die Auflösung durch Kündigung herbeizuführen.276 Aufgrund der Nähe zur Unmöglichkeit hat das Reichsgericht für den Fall entschieden, dass bei einem vom kündigenden Gesellschafter mitzuverantwortenden Zerwürfnis, die Kündigungsbefugnis dann nicht ausgeschlossen ist, wenn das Zerwürfnis „in einer den gesellschaftlichen Interessen abträglichen Weise ein gedeihliches Zusammenarbeiten ausschließ[t]“.277 Daran angelehnt wird im Arbeitsverhältnis argumentiert, wenn es dem Arbeitnehmer unmöglich wird, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, habe es keinen Sinn, einen Vertrag aufrecht zu erhalten, bei dem die Hauptleistungspflichten dauerhaft unerfüllbar sind und damit der Zweck des Vertrags unerreichbar geworden ist. Folglich sei es legitim, diesen zu beenden. Auf die Verursachung der Unmöglichkeit oder der Verantwortung daran komme es (dann) nicht (mehr) an.278 Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der zu kündigende Arbeitnehmer hatte sich ein Wirbelsäulenleiden zugezogen, das es ihm dauerhaft unmöglich machte, die geschuldete Arbeit auszuüben. Damit war das Arbeitsverhältnis „endgültig gescheitert“. Aufgrund der daraus resultierenden negativen Gesundheitsprognose lagen erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen vor, weswegen die Interessenabwägung nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führte. In der Entscheidung des BAG heißt es: Auch der Umstand, dass die Erkrankung im Zusammenhang mit der geleisteten Arbeit steht, kann nichts daran ändern, dass bei einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit in aller Regel davon auszugehen ist, dass der Arbeitgeber eine weitere unabsehbare Zeit billigerweise nicht hinzunehmen braucht.279 Dieser Ansicht des BAG kann nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Richtig ist, dass dem Arbeitnehmer dadurch, dass die vertraglichen Pflichten bereits entfallen sind, also insbesondere kein Lohnanspruch mehr besteht, kaum Nachteile durch die Kündigung entstehen. Dadurch, dass sich der Arbeitnehmer nicht mehr einbringen und sich seinen Lohnanspruch auch nicht mehr erarbeiten kann, ist ein Interesse am Erhalt des Arbeitsverhältnisses zunächst schwer zu begründen. Tarifvertragliche Ansprüche oder Ansprüche aus betrieblicher Übung, in denen sich der Arbeitgeber zu freiwilligen Leistungen, wie z. B. zur Zahlung eines Jubiläumsgeldes, verpflichtet hat, die der Arbeitnehmer im Fall der Kündigung einbüßte, können nicht den Ausschlag zu seinen Gunsten geben. Denn es wäre unbillig, wenn sich die vom Arbeitgeber freiwillig angebotenen Leistungen nachteilig auf dessen Kündigungsbefugnis auswirken könnten. So stünde ein Arbeitgeber, der seinen Beschäftigten nichts dergleichen zukommen lässt, besser da. Ferner wirkt sich eine Kündigung zum Zeitpunkt, in dem die beiderseitigen Pflichten ruhen, nicht mehr nachteilig für die Rentenansprüche des Arbeitnehmers aus. Grundlage der Berechnung der gesetzli276 Zum Verhältnis § 723 BGB – § 726 BGB Henssler/Strohn/Kilian, Gesellschaftsrecht § 726 Rn. 1, 4. 277 RG, Urt. v. 26. 02. 1938 – II 116/37 – JW 1938, 1392, 1393. 278 BAG, Urt. v. 19. 04. 2007 – 2 AZR 239/06 – NZA 2007, 1041, 1043. 279 BAG, Urt. v. 19. 04. 2007 – 2 AZR 239/06 – NZA 2007, 1041, 1043.
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chen Rente sind in erster Linie die Zeiten, in denen ein Entgelt gezahlt wird (Beitragszeiten § 55 SGB VI). Sowohl für den Fall der Arbeitsunfähigkeit als auch der Arbeitslosigkeit werden Entgeltpunkte auf Grundlage von Anrechnungszeiten gebildet (§§ 58, 71 ff. SGB VI). Bei der betrieblichen Altersvorsorge im Sinne von § 1 I, II Nr. 1, Nr. 2 BetrAVG, deren Anwartschaften der Arbeitnehmer verlöre, würde ihm vor Ablauf des Bestehens einer 5-jährigen Versorgungszusage gekündigt (§ 1 b I 1 BetrAVG), handelt es sich um freiwillige, nicht berücksichtigungsfähige Leistungen des Arbeitgebers. Ein Nachteil erwächst dem Arbeitnehmer auch nicht im Hinblick auf die Entgeltumwandlung der betrieblichen Altersvorsorge, zu der der Arbeitgeber verpflichtet ist (§ 1 a I 1 BetrAVG). Da es sich hierbei um eine fast überwiegend arbeitnehmerfinanzierte Form der betrieblichen Altersvorsorge handelt, wurde mit § 1 b V 1 BetrAVG die Unverfallbarkeit der im Rahmen dieser Vorsorge erlangten Anwartschaften geregelt. Der einzige Vorteil, der dem Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis zu Gute käme, wäre, dass er gem. § 1 a IV 1 BetrAVG berechtigt bliebe, die Versicherung oder Versorgung mit eigenen Beiträgen fortzusetzen. Dieser Aspekt fällt nicht erheblich ins Gewicht, da der Arbeitnehmer privat zu vergleichbaren Bedingungen die Möglichkeit hat, sich zu versichern. Das bedeutet, dass sich beim Vergleich der Stellung des Arbeitnehmers im „ausgesteuerten“ formal fortbestehenden Arbeitsverhältnis mit der nach Kündigung zumindest in finanzieller Hinsicht kaum eine Besserstellung ergibt. Dabei wird in der Situation, in der die Dauer der Störung ungewiss ist, verkannt, dass das Suspendieren der Leistungspflichten im Arbeitsverhältnis mit der der Auflösung des Vertrags ähnlichen Suspendierung der Pflichten eines auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Vertrages nicht gleichgesetzt werden kann. Das Arbeitsverhältnis ist auf Dauer eingegangen, so dass trotz Unterbrechung eine Erfüllung zu einem späteren Zeitpunkt denkbar ist, und das Arbeitsverhältnis ist aufgrund des Leistungsgegenstands „Arbeit“ flexibler für Änderungen. Anders als bei einer einmalig zu erbringenden Leistung soll der Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit einen Arbeitsbedarf beim Arbeitgeber befriedigen, was auch nach Umsetzung oder Versetzung von einem anderen Arbeitsplatz aus möglich ist, weswegen hier Vertragsanpassungen eher möglich sind. Diese Option, irgendwann nach Genesung oder Umschulung und ggf. Vertragsänderung auf einem anderen Arbeitsplatz wieder ins „Arbeitsverhältnis“ zurückzukehren, würde dem Arbeitnehmer genommen, setzte man die Suspendierung der Leistungspflichten mit dem Zustand nach Auflösung des Vertrags gleich. Insoweit ist der oben genannte Satz zu korrigieren: Es ist die Rückkehrmöglichkeit, die dem Arbeitnehmer durch die Kündigung genommen wird und ihn benachteiligt. Die nach Genesung sich ergebende Rückkehroption begründet ein schützenswertes Interesse am Bestand des Arbeitsverhältnisses. Der mit der Kündigung eintretende Verlust der Rückkehroption stellt einen nicht unerheblichen Nachteil dar, der es rechtfertigt die Zumutbarkeit in der Interessenabwägung zu erhöhen. Betriebsbeeinträchtigungen sind infolgedessen länger hinzunehmen. Im Rahmen der Erforderlichkeit sind bei der Suche nach milderen Mitteln
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
zur Kündigung größere Anstrengungen zu leisten, um durch alternative Beschäftigungsmöglichkeiten das Arbeitsverhältnis noch zu erhalten. Da es grundsätzlich richtig ist, die ungewiss langandauernde Arbeitsunfähigkeit mit der dauernden gleichzustellen, um dem Arbeitgeber Planungssicherheit zu geben, stellt sich nunmehr die Frage, ab welchem Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, die ungewiss lang andauernde Arbeitsunfähigkeit einer mit Sicherheit feststehenden dauerhaften Arbeitsunfähigkeit gleichzustellen ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber zu verantworten ist. Grundsätzlich ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG nach einem 24 monatigen Zeitraum davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht mehr wieder aufnehmen kann.280 Als maßgebliche Orientierungshilfe für den genannten Zeitraum diente § 14 II TzBfG, wonach die zulässige Höchstdauer für die Einstellung einer sachgrundlos befristet beschäftigten Ersatzkraft zwei Jahre beträgt. Weil es dem Arbeitgeber für diese Zeit grundsätzlich ohne rechtliche Risiken möglich ist, eine Ersatzkraft befristet einzustellen, wurde dieser Zeitraum auch für das Abwarten bis zum Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung, wenn die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar ist, zu Grunde gelegt.281 Wenn die Erkrankung ihre Ursache in den betrieblichen Umständen hat, ist der zweijährige Zeitraum zu verlängern, um die Verantwortung des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Wie oben bereits dargelegt, dürfte dem Arbeitgeber angesichts seiner Verantwortung ein zu überbrückender Zeitraum von bis zu zweieinhalb Jahren, verbunden mit zusätzlichen Kosten für eine Personalreserve, noch zuzumuten sein.282 Für Arbeitnehmer, die danach wieder genesen, bestünde somit die Möglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt in den Betrieb auf den bisherigen Arbeitsplatz zurückzukehren. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um eine Gleichsetzung der ungewiss langandauernden mit der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit handelt, eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht vorliegen muss, das Arbeitsverhältnis mithin nach Genesung des Arbeitnehmers noch fortgesetzt werden könnte, hat es hier im Unterschied zur feststehenden Arbeitsunfähigkeit nicht nur Sinn, sondern macht auch der Bestandsschutzgedanke, aus dem sich die Pflicht zur Berücksichtigung der Verantwortung an der Entstehung des Kündigungsgrundes ableitet, erforderlich, hier den Zeitraum zumutbarer Fehlzeiten zu erhöhen. Es widerspräche der Struktur von § 1 KSchG, wenn eine Fiktion zu Lasten des Arbeitnehmers einträte, für deren Grund nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber verantwortlich wäre. Ähnlich wie bei der Gleichstellung der vorübergehenden Unmöglichkeit mit einem dauerhaften 280 BAG, Urt. v. 13. 05. 2015 – 2 AZR 565/14 – NZA 2015, 1249, 1250; BAG, Urt. v. 19. 04. 2007 – 2 AZR 239/06 – NZA 2007, 1041, 1043; vgl. BAG Urt. v. 21. 05. 1992 – 2 AZR 399/91– AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 30, wonach schon nach 11/2 jähriger Fehlzeit von dauernder Arbeitsunfähigkeit auszugehen sein kann, wenn die ärztliche Bescheinigung und das Prozessverhalten des Arbeitnehmers dazu Anlass geben. 281 Siehe Dritter Teil unter § 6 C. I. 1. c); BAG, Urt. v. 13. 05. 2015 – 2 AZR 565/14 – NZA 2015, 1249, 1250; KR-Rachor, § 1 Rn. 398. 282 Siehe Dritter Teil unter § 6 C. I. 1. c).
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Leistungshindernis ist dafür das maßgebliche Kriterium die Zumutbarkeit283, die wiederum von der Verantwortung für die Störung abhängig ist. Hat also wie hier der Arbeitgeber die Störung, bei der ungewiss ist, ob sie vorübergehend oder dauerhaft ist, zu verantworten und nicht der Arbeitnehmer, so kann nicht zu dessen Lasten die Gleichstellung mit der dauerhaften Störung erfolgen. 3. Arbeitsunfall Auch ein Arbeitsunfall als krankheitsauslösendes Ereignis ist zumutbarkeitssteigernd zu berücksichtigen. Dabei ist nach dem Verantwortungsgrad zu unterscheiden. a) Unverschuldeter Arbeitsunfall Selbst wenn der Arbeitgeber alle Schutzvorschriften beachtet und sich der Arbeitnehmer entsprechend der erforderlichen Sorgfalt verhält, kann es zu Unfällen während der Arbeit kommen. Wenn sich in den Unfällen ein von der Arbeit ausgehendes spezifisches Risiko realisiert, sollten auch die auf einem Arbeitsunfall beruhenden Folgen als ein vom Arbeitgeber zu tragendes Betriebsrisiko angesehen werden. Der Arbeitgeber ist derjenige, der den Betrieb und damit den Arbeitsablauf organisiert, und derjenige ist, der den Nutzen daraus zieht, dass sich der Arbeitnehmer diesem Ordnungsrahmen unterwirft. Trotzdem stellt es nicht automatisch ein Kündigungsverbot dar, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist.284 Wie sich das diesbezüglich dem Arbeitgeber zugewiesene Risiko auf die Kündigungsbefugnis auswirkt, wurde in der Rechtsprechung teilweise unterschiedlich gewürdigt. In früheren Urteilen285 wurden die auf Arbeitsunfällen beruhenden Fehlzeiten nicht bei der Erstellung der Gesundheitsprognose berücksichtigt. Richtiger Ort dafür ist nicht die Gesundheitsprognose sondern die Interessenabwägung.286 Die Gesundheitsprognose für einen Arbeitnehmer kann nur sinnvoll nach den Heilungsaussichten für die konkrete Erkrankung beurteilt werden. So wäre eine positive Prognose, weil die Krankheit auf einem Arbeitsunfall basiert, widersprüchlich, wenn 283
Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 4 Rn. 23 ff. BAG, Urt. v. 18. 01. 2007 – 2 AZR 759/05 – juris; BAG, Urt. v. 18. 01. 2001 – 2 AZR 616/ 99 – NZA 2002, 455, 457; LAG Thüringen, Urt. v. 15. 11. 2012 – 3 Sa 71/12 – juris. 285 BAG, Urt. v. 14. 01. 1993 – 2 AZR 343/92 – NZA 1994, 309, 310; BAG, Urt. v. 06. 09. 1989 – 2 AZR 19/89 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 21; vgl. DFL-AR/Kaiser, § 1 KSchG Rn. 79. 286 So heute die h. M. BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 664/13 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 53; BAG, Urt. v. 18. 01. 2007 – 2 AZR 759/05 – juris; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 174; LKB/Krause, § 1 Rn. 384 f.; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 203; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 313; MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 115 Rn. 48; Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 226; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 446. 284
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
es kaum Aussicht auf Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit gibt. Nicht in die Gesundheitsprognose einzubeziehen sind nur solche Fehltage, die auf einmaligen, ausgeheilten und nicht wiederkehrenden Erkrankungen beruhen, wozu insbesondere solche Fehlzeiten zählen können, die sich aus Unfällen ergeben. Ist hingegen die Genesung unwahrscheinlich oder nicht absehbar, ändert die Ursache der Erkrankung nichts an der Prognose. Auswirkungen hat die Ursache der Erkrankung indes auf die vom Arbeitgeber noch in zumutbarer Weise hinzunehmenden Fehlzeiten und sonstigen betrieblichen Beeinträchtigungen, welche in der Interessenabwägung zu prüfende Umstände sind. Maßgebliche Kriterien sind dabei wie bei der Kündigung wegen arbeitsbedingter Krankheit einerseits die Gefährlichkeit der Arbeit und die damit verbundene Unfallgefahr; je nachdem mit welcher Risikoeintrittswahrscheinlichkeit diese bewertet ist, je höher, desto höhere Anforderungen sind an die dem Arbeitgeber zumutbaren betrieblichen Beeinträchtigungen zu stellen. Dazu gehört, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien oder durch das Direktionsrecht freizumachenden Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.287 Für die Weiterbeschäftigung kommen Arbeitsplätze in Betracht, die entweder gleichwertig oder geringer bewertet sind.288 Der Arbeitgeber ist gehalten von seinem Direktionsrecht Gebrauch zu machen und andere Arbeitnehmer umzusetzen, sofern diese Rotation einen Arbeitsplatz hervorbringt, auf dem der erkrankte Arbeitnehmer noch tätig werden kann. b) Fahrlässig verursachter Arbeitsunfall Die fahrlässige Alleinverursachung des Unfalls durch den Arbeitgeber betrifft z. B. Fälle, in denen aus Unachtsamkeit bestimmte Wartungen, Reparaturen nicht durchgeführt werden, Schutzausrüstung nicht erneuert wird, in der Haltbarkeit begrenzte Stoffe nicht ausgetauscht werden etc., so dass es aufgrund der Mängel in der Betriebsausstattung zu Unfällen kommt, bei denen Arbeitnehmer zu Schaden kommen, wie z. B. ein Sturz von einer ungesicherten Treppe wie in dem Fall der Opernsängerin289. Führt dies zu kündigungsrelevanten Erkrankungen, ist in der Interessenabwägung das Verschulden des Arbeitgebers als Ursache der Erkrankung zu berücksichtigen.290 Im Anschluss an das bereits dargelegte Vorgehen bei nicht vermeidbaren und vorsätzlich herbeigeführten Arbeitsunfällen ergibt sich daraus für die vorliegende Konstellation konsequenterweise eine Gewichtung, die schwerer wiegt als bei den 287
APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 167; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 106 f. BAG, Urt. v. 19. 04. 2007 – 2 AZR 239/06 – NZA 2007, 1041, 1043; BAG, Urt. v. 05. 08. 1976 – 3 AZR 110/75 – AP KSchG 1969 Krankheit Nr. 1. 289 Bühnenoberschiedsgericht Hamburg, Beschl. v. 21. 03. 1994 – BO Sch 12/94 – NJW 1995, 903; siehe Zweiter Teil unter § 3 B. I. 1. b). 290 KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 313; LKB/Krause, § 1 Rn. 384; Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 156; Liebig, Die Krankheit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund, S. 153 f. 288
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nicht vermeidbaren, aber weniger schwer zu gewichten ist als bei den vorsätzlich herbeigeführten Unfällen. Daraus lässt sich eine höhere Zumutbarkeitsgrenze bezüglich der betrieblichen Beeinträchtigungen und gesteigerte Anforderungen an die vom Arbeitgeber im Rahmen des milderen Mittels zur Abwendung der Kündigung vorzunehmenden Anstrengungen ableiten. Danach kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, einen anderen Arbeitnehmer durch Ausübung seines Weisungsrechts zu versetzen, wenn auf der dadurch frei werdenden Stelle der durch den Betriebsunfall behinderte Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden kann.291 Die Verantwortung für den Betriebsunfall rechtfertigt es, den Arbeitgeber im Rahmen der Suche nach milderen Mitteln zur Kündigung dazu zu zwingen, von seinem Direktionsrecht Gebrauch zu machen, so dass durch personelle Umorganisation die Kündigung vermieden wird. Besteht diese Möglichkeit der Weiterbeschäftigung nicht, bewirkt die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze, dass der Arbeitgeber längere Fehlzeiten als bei vom Arbeitnehmer zu verantwortender Arbeitsunfähigkeit hinnehmen muss. Soweit diesbezüglich von einer Wartefrist des Arbeitgebers gesprochen wird292, ist dem zuzustimmen. Denn dadurch, dass in der Interessenabwägung die Zumutbarkeitsgrenze erhöht wird, kann die Abwägung z. B. ergeben, dass bei einer Fehlzeit von zweieinhalb Jahren ab dem Arbeitsunfall die Störung dem Arbeitgeber nicht unzumutbar ist, während eine Fehlzeit von dreieinhalb Jahren dann die Grenze der Unzumutbarkeit übersteigt. Dies läuft im Ergebnis auf die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einhaltung einer Wartefrist hinaus. c) Vom Arbeitgeber zu tragendes Risiko für vom Arbeitnehmer verschuldete Arbeitsunfälle Wenn der Arbeitnehmer den Arbeitsunfall pflichtwidrig und schuldhaft herbeigeführt hat, sind die Interessen im Vergleich zur unfallbedingten, aber schuldlosen Erkrankung etwas anders zu gewichten.293 Zu Gunsten des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen, dass er in der konkreten Situation keinen Einfluss darauf nehmen kann, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig handelt und es zum Unfall kommt; z. B. wenn dieser Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften bewusst missachtet. Auch wenn der Arbeitgeber zuvor durch Einweisungen, Schulungen etc. präventiv tätig geworden ist, kann er in der konkreten Situation den Willensentschluss des Arbeitnehmers nicht beeinflussen. Die alleinige Zurechnung zum Arbeitnehmer und entsprechende Einbeziehung in die Abwägung zu dessen Lasten
291
BAG, Urt. v. 29. 01. 1997 – 2 AZR 9/96 – NZA 1997, 709, 710. Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 157; Liebig, Die Krankheit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund, S. 154. 293 KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 313; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 203; Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 157; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 211a ff.; Liebig, Krankheit als Kündigungsgrund, S. 154; Weller, ArbR dGgw 1982 (20), S. 89, 101. 292
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
bedarf daher in der ersten Situation (vorsätzliche Herbeiführung) keiner weiteren Ausführungen; der Willensentschluss des Arbeitnehmers spricht insofern für sich. Eine differenzierte Betrachtung ist indes bei der fahrlässigen Herbeiführung des Unfalls geboten.294 Aus denselben Gründen, die den Arbeitnehmer bei der Haftung für Sachschäden privilegieren, ist bei der fahrlässigen Herbeiführung von Personenschäden zu berücksichtigen, dass die betrieblichen Umstände, wie z. B. vorgegebene Arbeitsabläufe, bestimmte einzuhaltende Zeitvorgaben, die gestellten Arbeitsgeräte etc., zum Unfallgeschehen beitragen. Auch hier gilt daher, dass leicht fahrlässiges Verhalten des Arbeitnehmers Teil des Betriebsrisikos des Arbeitgebers ist. Entsprechend der Quotelung bei der Enthaftung bei Sachschäden ist hier bei fahrlässigem Verhalten die Pflichtwidrigkeit des Arbeitnehmers gegenüber der Verantwortung des Arbeitgebers zurückzustellen. Grobe Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers, die zu einem Betriebsunfall führt, wird hingegen grundsätzlich zu dessen Lasten in die Interessenabwägung eingestellt werden können. 4. Weitere die Zumutbarkeit erhöhende Umstände Neben den erhöhten Anforderungen an die Unzumutbarkeit müssen weitere Umstände in der Interessenabwägung berücksichtigt werden. So kann das arbeitsbedingte Krankheitsrisiko ausschlaggebend sein, also die Höhe der Wahrscheinlichkeit, an der ausgeübten Tätigkeit zu erkranken, wobei zum einen auf anerkannte Zahlen aus der medizinischen Wissenschaft zurückzugreifen ist, z. B. gesicherter Krankheitseintritt einer Arthrose im Kniegelenk bei 13.000 Arbeitsstunden im Knien und einer Belastung von mindestens einer Stunde pro Schicht295, und zum anderen auch auf die Fehltage der Arbeitnehmer im Betrieb, die eine vergleichbare Tätigkeit ausführen. Weisen diese eine ähnlich hohe Anzahl an Fehltagen auf, deutet dies auf ein erhebliches von den betrieblichen Umständen ausgehendes bzw. der Arbeit immanentes Risiko hin. Lässt sich ein solches gesteigertes Risiko verzeichnen, hebt dies die Zumutbarkeitsgrenze um ein weiteres Mal an.296 Ferner ist der Krankheitsverlauf zu berücksichtigen; beruht die Krankheit monokausal auf der ausgeübten Tätigkeit oder ergibt sich die Arbeitsunfähigkeit erst aus einem Zusammenspiel mit anderen Faktoren, wie der körperlichen Veranlagung bzw. mit Vorerkrankungen des Arbeitnehmers. Im letzten Fall, also einem nicht monokausalen Verlauf, ginge dies zu Lasten des Arbeitnehmers in die Interessenabwägung 294 Vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 444 f., 334 f., der auf den Verschuldensmaßstab von § 1 LohnFG abstellt; SPV/Preis, Zweiter Abschnitt § 2 Rn. 1265 zu § 3 EFZG. 295 Siehe Nowak, Verdacht auf Berufskrankheit, S. 58 f. zu BK 2112 Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung. 296 Für eine Berücksichtigung der Fehlzeiten anderer vergleichbarer Arbeitnehmer BAG, Urt. v. 10. 05. 1990 – 2 AZR 580/89 – EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 31; BAG, Urt. v. 15. 02. 1984 – 2 AZR 573/82 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 14; i. E. so auch Kothe, AiB 1990, 125, 130 f.; Schwerdtner, DB 1990, 375, 378.
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ein, da die betrieblichen Umstände in dem Fall nur einen anteiligen Verursachungsbeitrag ausmachen und die Verantwortung des Arbeitgebers somit geringer ist als die des Arbeitnehmers. Denn dass sich ein mit einer negativen gesundheitlichen Disposition ausgestatteter Arbeitnehmer auf einen Arbeitsplatz bewirbt, kann der Arbeitgeber nicht beeinflussen; ihm das Risiko der Sicherheit von gesundheitlichen Eignungstests zuzuweisen, wäre nicht sachgerecht.297 Etwas anderes folgt jedoch aus dem Grundsatz des venire contra factum proprium, wenn der Arbeitgeber bei Einstellung des zu kündigenden Arbeitnehmers von dessen chronischer Erkrankung wusste. Denn das Wissen von bereits vorhandenen Erkrankungen, die später zum Anlass einer Kündigung genommen werden, hat zur Folge, dass sich die Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung erhöhen. In diesem Zusammenhang hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber, der bei Einstellung des Arbeitnehmers Kenntnis von dessen Erkrankung hat, längere Fehlzeiten hinzunehmen hat.298 In dem konkreten Fall, in dem ein Arbeitnehmer wegen chronischer Bronchitis seine Arbeit nicht ausüben konnte, genügten dem Gericht Fehlzeiten von ca. 857 Tagen in den letzten fünf Jahren vor Ausspruch der Kündigung nicht, um die Kündigung zu rechtfertigen.
II. Weiterbeschäftigung Schließlich ist noch die Bedeutung der Erkrankung für die konkret geschuldete Tätigkeit zu ermitteln. 1. Weiterbeschäftigung trotz geminderter Leistung Verhindert die Krankheit lediglich, dass eine bestimmte geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbracht werden kann, der Großteil der Tätigkeit aber verrichtet werden kann, bewirkt die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze, dass ein teilweiser Ausfall der Arbeitsleistung dauerhaft hinzunehmen ist.299 Erleidet beispielsweise ein Möbelschreiner oder Parkettleger ein Karzinom der Nasenhaupt- und Nasenneben297 In BAG, Urt. v. 05. 07. 1990 – 2 AZR 154/90 – NZA 1991, 185, 187, wies das Bronchialsystem eines Arbeitnehmers eine erhöhte Reizbarkeit auf, die jedoch nicht ihre Ursache in den betrieblichen Umständen hatte. Es konnte nur nicht ausgeschlossen werden, dass die erhöhte Reizbarkeit des Bronchialsystems durch die Staubluft am Arbeitsplatz ungünstig beeinflusst wurde. Daher war dem Einfluss der betrieblichen Umstände in der Interessenabwägung keine überwiegende Bedeutung einzuräumen, weswegen die Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers ausging; zustimmend APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 175; ErfK/ Oetker, § 1 KSchG Rn. 146; SPV/Preis, Zweiter Abschnitt § 2 KSchG Rn. 1264. 298 BAG, Urt. v. 10. 06. 1969 – 2 AZR 94/68 – AP KSchG § 1 Krankheit Nr. 2. 299 Für die Sozialwidrigkeit der Kündigung in diesen Fällen Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 446, angelehnt an BAG, Urt. v. 20. 10. 1954 – 1 AZR 193/54 – NJW 1954, 1949, 1950, wo es heißt, dass bei im Betrieb erlittenen Beschädigungen vom Arbeitgeber „besondere Rücksicht“ zu fordern ist.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
höhlen, so wird es für diesen schwierig auch nur noch einen verringerten Anteil seiner bisherigen Tätigkeit mit einem für den Arbeitgeber zumutbaren Ausmaß an Ausfällen auszuüben, denn bei diesen Berufen ist der Anteil des Staub absondernden Eichen- und Buchenholzes überdurchschnittlich hoch.300 Anders wäre im Fall einer angestellten Friseurin zu entscheiden, die aufgrund von Feuchtigkeit ein Hautekzem301 erleidet. Da das Shampoonieren und Spülen nur einen geringen und verhältnismäßig unbedeutenden und somit leicht durch eine andere Kraft zu ersetzenden Anteil der zu erbringenden Arbeit ausmacht, stellt dies einen krankheitsbedingten Arbeitsausfall dar, den der Arbeitgeber hinnehmen muss. Während eine nur verringerte Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers infolge der arbeitsbedingten Erkrankung hinzunehmen ist, spricht der vollständige Verlust der Einsetzbarkeit zunächst einmal für ein Überwiegen des Arbeitgeberinteresses in der Interessenabwägung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitgeber auf jeden Fall wird kündigen können. In der Erforderlichkeit der Kündigung ist unter Einbeziehung des Gedankens der Vertragsanpassung die Frage aufzuwerfen, ob die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung zu anderen Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz besteht. Kann dies bejaht werden, ist dies vorrangig zur Kündigung umsetzen. 2. Weiterbeschäftigung auf anderem Arbeitsplatz Bei Krankheit des Arbeitnehmers sind neben der Umgestaltung des Arbeitsplatzes zu einem leidensgerechten Platz (§ 167 II 1 SGB IX) auch Umschulungsund Fortbildungsmaßnahmen (§ 1 II 3 KSchG) zu berücksichtigen, die die Weiterarbeit auf einem ganz anderen Arbeitsplatz ermöglichen würden, und deren erfolgreichen Abschluss der Arbeitgeber aufgrund seiner Verantwortung an der Erkrankung des Arbeitnehmers gehalten ist, abzuwarten. Zu Unrecht ist daher die Entscheidung des LAG Hamm erfolgt, in der das Gericht das Abwarten bis zum Abschluss der Umschulungsmaßnahme trotz gesteigerter Fürsorgepflichten des Arbeitgebers für nicht erforderlich hielt.302 Dadurch, dass sich die Schwelle der Zumutbarkeit aufgrund der arbeitgeberseitigen Verantwortung erhöht hat, sind dem Arbeitgeber Beeinträchtigungen bei der Personalplanung zuzumuten. Insbesondere kann vor diesem Hintergrund vom Arbeitgeber verlangt werden, dass er den Abschluss einer Umschulung abwartet. Zudem würde auch der Sinn und Zweck des bEM verfehlt, wenn es genügte, dass der Arbeitgeber pro forma Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit einleitet, deren Ergebnis jedoch nicht abwartet. Die im Rahmen des bEM gefundenen Beschäftigungsmöglichkeiten sollen als
300
S. 87.
Siehe hierzu die Ausführungen zu BK 4203 bei Nowak, Verdacht auf Berufskrankheit,
301 Siehe zum Zusammenhang von Feuchtigkeit und Hautekzemen die Ausführungen zu BK 5101 bei Nowak, Verdacht auf Berufskrankheit, S. 92 ff. 302 LAG Hamm, Urt. v. 20. 01. 2000 – 8 Sa 1420/99 – NZA-RR 2000, 239, 240.
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mildere Mittel zur Kündigung vorrangig umgesetzt werden, um diese zu vermeiden.303 3. Weiterbeschäftigung nach Weiterbildung und Umschulung Durch fortschreitende technische Entwicklung, insbesondere Digitalisierung und Arbeit 4.0, die zu Änderungen der bisherigen Arbeitsumwelt führt, kann es sein, dass der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit nicht mehr geeignet ist. Da es grundsätzlich Sache des Arbeitnehmers ist, sich leistungsbereit zu halten, ist der Anteil an Verantwortung des Arbeitgebers für die fehlende Eignung wegen Wissensrückständen und unterbliebener Weiterbildung hier geringer. Das bedeutet für das Recht zur Kündigung, dass es sich dann erschwert, wenn es der Arbeitgeber durch versäumte Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zu verantworten hat, dass ein Kündigungsgrund vorliegt. Dies setzt allerdings voraus, dass die Weiterbildung erfolgversprechend ist, der Arbeitnehmer also über hinreichendes Entwicklungspotential sowie über Weiterbildungsbereitschaft verfügt und Kosten und Nutzen dabei in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Je stärker der Arbeitgeber von den Umstrukturierungen profitiert, beispielsweise Ersetzung einer veralteten Produktionsmaschine durch eine neue, die leistungsstärker ist und weniger Betriebskosten verursacht, desto mehr kann im Hinblick auf Intensität, Dauer und Umfang der Umschulung des Arbeitnehmers verlangt werden.304 Bezogen auf das Beispiel bedeutete dies, dass der Arbeitgeber einen Fertigungsmechaniker, der zuvor nur manuell gearbeitet hat, hinsichtlich des Einsatzes und der Bedienung computergestützter Systeme für den Produktionsprozess zu schulen, die Kosten für die Schulung zu tragen, den Arbeitsausfall während der Schulungszeit hinzunehmen und eine Einarbeitungszeit zu gewähren hat. Je weiter sich die Neuerungen von den bei Vertragsschluss vorliegenden Umständen entfernen305, desto größere Anstrengungen muss der Arbeitgeber im Hinblick auf die Fortbildung des Arbeitnehmers unternehmen, um diesem die Weiterarbeit auf seinem Arbeitsplatz zu ermöglichen.306 Unter diesen Voraussetzungen müsste er einem Arbeitnehmer, der sich mit den Neuerungen etwas schwerer tut, die Fortbildung ermöglichen und diesem nach Teilnahme an der Fortbildung weitere Zeit zur Weiterbildung während der Ausübung der Tätigkeit (Training on the Job) zugestehen. Die Grenze des Zumutbaren ist jedoch erreicht, wenn die Weiterarbeit das Erlernen eines komplett neuen Ausbildungsberufs erfordern würde.
303
ErfK/Rolfs, § 167 SGB IX Rn. 8; Joussen, DB 2009, 286, 290; siehe Dritter Teil unter § 6 C. II. 1. 304 Vgl. Wisskirchen/Bissels/Schmidt, NZA 2008, 1386, 1389. 305 Schwarze, Anm. zu LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898/98 – LAGE § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55, S. 11. 306 Kurt, RdA 2017, 230, 232 f.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Wird hingegen erst später im Laufe des Arbeitsverhältnisses und nicht von Anfang an eine Fähigkeit des Arbeitnehmers gefragt, die aber Einstellungsvoraussetzung war, z. B. Fachsprachenkenntnisse aufgrund des Einstiegs eines ausländischen Investors, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer hier nicht die volle Zeit wie zum erstmaligen Erwerb der Fähigkeit gewähren. In dem Beispiel wäre es dem Arbeitgeber zumutbar, abzuwarten bis der Arbeitnehmer einen Auffrischungskurs belegt hat. Die Kündigung erschwert sich zu Lasten des Arbeitgebers nicht soweit, dass er es dem Arbeitnehmer ermöglicht haben muss, die Sprache komplett neu zu erlernen. Damit lässt sich im Ergebnis festhalten, dass sich, da § 1 II 3 KSchG unter den Vorbehalt der Zumutbarkeit gestellt wurde, die arbeitgeberseitige Verantwortung für Eignungsmängel zu größeren Anstrengungen bei Weiterbildungsmaßnahmen führen kann. Die Kündigungserschwernis folgt daraus, dass die Weiterarbeit nach erfolgter Fortbildung ein milderes Mittel zur Kündigung darstellen kann und deren Potenziale zunächst getestet und abgewartet werden müssen.
III. Erschwerungen im Zusammenhang mit dem bEM Im obigen Abschnitt wurden die Bezugspunkte der arbeitgeberseitigen Verantwortung, einmal der Kündigungsgrund selbst und der Ausspruch einer unverhältnismäßigen Kündigung, dargelegt. Die Verantwortung bestand konkret (1) in der Nichtdurchführung, (2) nicht ordnungsgemäßen Durchführung, (3) Nichtumsetzung des bEM und (4) im Verkennen und Nichtbeseitigen arbeitsplatzbedingter Gefahren. Vorliegend werden nun die aus den Verstößen gegen § 167 II SGB IX resultierenden Konsequenzen für das Kündigungsrecht des Arbeitgebers dargestellt. 1. Folgen nicht ordnungsgemäßer Durchführung des bEM Gilt das Kündigungsschutzgesetz für den betroffenen Arbeitnehmer nicht, sei es weil die sechs-monatige Wartefrist noch nicht abgelaufen ist oder dieser in einem dem Kündigungsschutzgesetz nicht unterfallenden Kleinbetrieb beschäftigt ist, ist auch der Anwendungsbereich von § 167 II SGB IX nicht eröffnet.307 Ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar, führt die bloße Nichtdurchführung eines bEM nicht zwingend zu einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Das bEM selbst stellt kein milderes Mittel zur Kündigung dar, sondern dient dazu solche, wie z. B. die leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen, zu finden.308 Folglich muss zu einer Verletzung der 307
BAG, Urt. v. 28. 06. 2007 – 6 AZR 750/06 – AP BGB § 307 Nr. 27; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 197. 308 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399; BeckOK/Gutzeit, SozR (Stand: 01. 03. 2021) § 167 SGB IX Rn. 16.
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Durchführungspflicht hinzukommen, dass die Möglichkeit einer Beschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz bestanden hat.309 Ist dies der Fall, erhöhen sich die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast für den Arbeitgeber. Er kann sich nicht mehr pauschal darauf berufen, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten als milderes Mittel zur Kündigung existierten nicht, sondern er muss konkret vortragen, warum eine leidensgerechte Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht möglich ist.310 Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, sich darauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie eine leidensgerechte Beschäftigung aussehen könnte.311 In diesem Zusammenhang entschied das BAG, dass die krankheitsbedingte Kündigung eines Maschinenbedieners sozialwidrig war, da die beklagte Arbeitgeberin nicht darlegen konnte, warum die vom Arbeitnehmer aufgezeigten alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht geeignet waren, eine Kündigung zu vermeiden. Eine Tätigkeit als Etikettierer in der Versandabteilung des Unternehmens oder eine Weiterbeschäftigung nach leidensgerechter Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes (im Sitzen statt im Stehen) kämen als mildere, vorrangig zu berücksichtigende Mittel in Betracht.312 Wurde das bEM hingegen nicht durchgeführt, weil es ohnehin keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, kann dem Arbeitgeber daraus kein Nachteil entstehen; er hat jedoch die Darlegungs- und Beweislast für die Entbehrlichkeit des bEM zu tragen.313 Er muss in seinem Vortrag ausführlich und in allen Einzelheiten darlegen, dass weder eine Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Umgestaltung möglich gewesen sind und keine andere Beschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit bestanden hat, so dass ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, erneute Krankheitszeiten zu verhindern und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.314 Führt der Arbeitgeber ein bEM durch, das den Mindestanforderungen nicht genügt, gilt das Gleiche: Eine gleichwohl ausgesprochene Kündigung ist nicht per se
309 BAG, Urt. v. 12. 07. 2007 – 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 197b; Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 SGB IX Rn. 46. 310 BAG, Urt. v. 12. 07. 2007 – 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 197c; LPK-SGB IX/Düwell, § 167 Rn. 108. 311 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399; Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 SGB IX Rn. 48. 312 BAG, Urt. v. 12. 07. 2007 – 2 AZR 716/06 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 28. 313 BAG, Urt. v. 23. 04. 2008 – 2 AZR 1012/06 – NZA-RR 2008, 515, 517; Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 SGB IX Rn. 50. 314 BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 755/13 – NZA 2015, 612, 615; BAG, Urt. v. 20. 03. 2014 – 2 AZR 565/12 – NZA 2014, 602, 605; BAG, Urt. v. 24. 03. 2011 – 2 AZR 170/10 – NZA 2011, 992, 994.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
sozialwidrig; den Arbeitgeber trifft jedoch hinsichtlich des Fehlens geeigneter Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten eine verschärfte Darlegungs- und Beweislast.315 Hat das bEM zu einem positiven Ergebnis geführt, wurde mithin eine Möglichkeit gefunden, krankheitsbedingte Fehlzeiten zu vermeiden, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese vor Ausspruch einer Kündigung umzusetzen bzw. innerhalb einer gewissen Wartefrist zu erproben.316 Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Handelt es sich bei den im bEM-Verfahren gefundenen Lösungen um solche, die erstmals der Verwirklichung des Arbeitsschutzes dienen, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf deren Umsetzung aus § 618 BGB.317 Handelt es sich um über dieses Schutzniveau hinausgehende Maßnahmen, findet die Umsetzungspflicht ihre Schranken in der finanziellen Zumutbarkeit, die i. d. R. dann erreicht ist, wenn die Arbeitsumgebung grundlegend neu gestaltet werden müsste.318 Kündigt der Arbeitgeber dennoch, muss er darlegen, warum die Maßnahmen nicht verwirklicht werden konnten oder warum bei deren Realisierung trotzdem keine Aussicht auf Verringerung der Fehlzeiten bestanden hat.319 Anderenfalls wird die Kündigung bei unterbliebener Darlegung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern, da es dem Arbeitnehmer regelmäßig gelingen wird, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen und somit die Erforderlichkeit der Kündigung in Abrede wird stellen können. So hat das BAG einen Fall zur erneuten Entscheidung an das LAG zurückverwiesen, da nicht geklärt worden war, ob eine im Rahmen des bEM entwickelte und von der Betriebsärztin vorgeschlagene Reha-Maßnahme dem Arbeitnehmer angeboten wurde und ferner ob die Ineffektivität der Maßnahme hinreichend von der Arbeitgeberin dargelegt wurde320, mithin nicht auszuschließen war, dass mildere Mittel zur ausgesprochenen Kündigung zur Verfügung standen. Das ArbG München321 hat in einer vergleichbaren Konstellation, in der ein Arbeitgeber die Erprobung der im Rahmen des bEM ermittelten leidensgerechten Umgestaltung des Arbeitsplatzes nicht abgewartet hatte, die Kündigung für vorschnell und somit unwirksam erklärt.
315 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399; APS/Dörner/Vossen, § 1 KSchG Rn. 197d. 316 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399; Kossens/von der Heide/Maaß, § 84 SGB IX Rn. 51; Düwell, JbArbR (43), S. 91, 104; Joussen, DB 2009, 286, 290. 317 Siehe Zweiter Teil unter § 3 B. I. 1. a). 318 Seel, öAT 2012, 265, 268. 319 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399; HWK/Thies, § 167 SGB IX Rn. 25; Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben/Neumann, § 167 SGB IX Rn. 17; Schaub/ Linck, § 131 ArbR-Hdb Rn. 9; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 249a; Düwell, JbArbR (43), S. 91, 104. 320 BAG, Urt. v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 400/08 – NZA 2010, 398, 399. 321 ArbG München, Urt. v. 26. 02. 2008 – 3 Ca 14337/08 – AE 2009, 336; vgl. LAG Hamm, Urt. v. 11. 11. 2011 – 13 Sa 805/11 – juris.
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Werden die im bEM gefundenen Hilfsmittel seitens des Arbeitgebers grundlos nicht angewandt, stellt dies ein Kündigungshindernis dar, wenn der Arbeitnehmer durch den Einsatz der Hilfsmittel oder durch entsprechende Umgestaltung des Arbeitsplatzes weiter hätte arbeiten können. Denn dann fehlt es an der Erforderlichkeit der Kündigung. Dies hat zur Konsequenz, dass die personenbedingte Kündigung unverhältnismäßig ist.322 Stellt sich dies erst zu einem Zeitpunkt heraus, in dem die bisherige Stelle des Arbeitnehmers durch einen anderen Arbeitnehmer wiederbesetzt ist, der zuvor gekündigte Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden muss, könnte der Arbeitgeber angesichts des Beschäftigungsüberhangs eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen wollen. Dies liefe jedoch auf eine Umgehung der Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung hinaus. Da der Beschäftigungsüberhang auf einem vom Arbeitgeber zu verantwortenden Gesetzesverstoß beruht, weil die grundlos verweigerte Umsetzung der im bEM gefundenen Ergebnisse rechtswidrig ist, kann dem Arbeitgeber das Recht zur betriebsbedingten Kündigung nicht ohne Einschränkungen zustehen. Ausgehend von den beschriebenen Fehlerquellen im bEM-Verfahren, unterlassene oder fehlerhafte Durchführung und unterlassene oder fehlerhafte Umsetzung, lässt sich im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer Kündigung Folgendes abschließend feststellen: Unterlässt der Arbeitgeber das bEM oder führt es fehlerhaft durch, wirkt sich diese arbeitgeberseitige Verantwortung auf die Wirksamkeit der Kündigung nur aus, wenn der Arbeitgeber nicht darlegen kann, dass das bEM erfolglos verlaufen wäre, mithin mildere Mittel zur Kündigung nicht hervorgebracht hätte. Verweigert der Arbeitgeber willkürlich die Bereitstellung von Hilfsmitteln oder die Umsetzung der im bEM gefundenen Ergebnisse, die den Arbeitsplatz leidensgerecht gemacht und dem Arbeitnehmer die Fortsetzung seiner bisherigen Täigkeit erlaubt hätten, hat diese arbeitgeberseitige Verantwortung zur Folge, dass die ausgesprochene Kündigung an der Erforderlichkeit scheitert. 2. Folgen unterlassener Gesundheitsprävention Im Unterschied zu den zuvor genannten Verfahrensverstößen stellt sich hier nicht die Frage, ob alternative Beschäftigungsmöglichkeiten eine Kündigung abwenden können, sondern wie der Umstand zu bewerten ist, dass es der Arbeitgeber in der Vergangenheit unterlassen hat, ein bEM durchzuführen, daher arbeitsplatzbedingte Gefahren nicht erkannt und nicht beseitigt hat, so dass der Arbeitnehmer nunmehr dauerhaft bzw. derartig erkrankt ist, dass der Arbeitgeber an sich zur Kündigung berechtigt wäre.
322 Düwell, JhbdArbR Bd. 43, 2006, S. 91, 104, der davon spricht, dass dem Arbeitgeber die Kündigungsmöglichkeit „verwehrt“ ist, wenn der Arbeitgeber die im bEM gefundenen Maßnahmen nicht umsetzt.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Hier ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber vermeidbar gewesen wäre, dass die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre, wenn das bEM rechtzeitig und ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre.323 Ausgehend vom Gesetzeszweck, durch Prävention bleibende Gesundheitsschäden zu vermeiden und chronischer Erkrankungen vorzubeugen324, kann es nicht sein, dass ein Arbeitgeber, der es unterlässt Schutzmaßnahmen gegen arbeitsplatzbedingte Gefahren zu ergreifen, so dass sich diejenige Gefahr realisiert, die gerade verhindert werden soll, darauf seine Kündigung stützen kann.325 Da das bEM mit den Anforderungen des Arbeitsschutzes korreliert326, also keine darüber hinausgehenden Maßstäbe setzt, ergeben sich Überschneidungen mit den oben bereits dargestellten Fällen arbeitgeberseitiger Mitverantwortung an der Erkrankung des Arbeitnehmers. Die eigentliche Verantwortung des Arbeitgebers an der Erkrankung des Arbeitnehmers resultiert also (bereits) aus der nicht arbeitsschutzkonformen Beschäftigung. Zu dieser bestehenden Verantwortung kommt der Verstoß gegen § 167 II 1 SGB IX noch hinzu. Die Erkrankung des Arbeitnehmers lässt sich folglich auf zwei Verhaltensweisen des Arbeitgebers mit zurückführen: Hauptursächlich sind die vom Arbeitgeber geschaffenen Arbeitsbedingungen, nebenursächlich ist das nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführte bEM, obwohl der Arbeitgeber dazu verpflichtet gewesen wäre. Die Auswirkungen auf die Kündigungsbefugnis sind daher nach den Kriterien wie bei der Kündigung aufgrund arbeitsbedingter Erkrankung zu bestimmen. Das bedeutet im Einzelnen: Ein vorsätzlicher Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzgesetze und das vorsätzliche Nichteinschreiten nach § 167 II 1 SGB IX führt dazu, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgeht, wenn noch eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Hat der Arbeitgeber fahrlässig gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften verstoßen und kein bEM durchgeführt, bewirkt dessen Verantwortung hinsichtlich der 323
Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben/Neumann, § 167 SGB IX Rn. 17. BT-Drs. 15/1783, S. 16. 325 Vgl. Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 517, Rn. 478; Neumann/Pahlen/Winkler/ Jabben/Neumann, § 167 SGB IX Rn. 17, die für eine Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Verantwortung in der Interessenabwägung plädieren. Zu anderer Ansicht, aber zu Unrecht, gelangen Namensdorf/Natzel, DB 2005, 1794, 1798, da sie der Meinung sind die „Schadensursache“ sei im Kündigungsrecht irrelevant, was sie damit begründen, dass das Verschuldensprinzip bei der personenbedingten Kündigung keine Rolle spiele. Wie bereits erläutert, ist aber die Zurechenbarkeit der Störung zum Arbeitnehmer der Rechtfertigungsgrund der personenbedingten Kündigung, so dass es auf die Verantwortung des Arbeitgebers sehr wohl ankommt. 326 LPK-SGB IX/Düwell, § 167 Rn. 45; MAH SozR/Nebe, § 20 Rn. 26; Kothe, AiB 2009, 385, 388; Nebe, Anm. BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49. 324
§ 6 Mitverantwortung für Entstehung personenbedingten Kündigungsgrundes
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Krankheitsentstehung, dass sich die Schwelle der Zumutbarkeit für eine Kündigung erhöht, welches einen Ausgang der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitgebers zur Folge haben kann. Hat der Arbeitgeber sämtliche Arbeitsschutzvorschriften eingehalten, ist der Arbeitnehmer dennoch aus arbeitsbedingten Gründen erkrankt und wurde kein bEM durchgeführt, kommt es darauf an, inwiefern das bEM den weiteren Krankheitsverlauf beeinflussen kann. Wenn durch das bEM die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers erhalten werden kann, kann der Arbeitgeber sogar ausnahmsweise dazu verpflichtet sein, Maßnahmen zu treffen, die über das Niveau der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzstandards hinausgehen.327 Hätte die Durchführung des bEM zu wesentlichen Verbesserungen der Gesundheit des Arbeitnehmers geführt und wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Schlimmeres vermieden worden, ist dies ein Aspekt dafür, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgeht. Ist ein Krankheitszustand beim Arbeitnehmer eingetreten, bei dem die Rückkehr des Arbeitnehmers in das Arbeitsverhältnis unmöglich oder für unzumutbar lange Zeit unabsehbar ist, besteht das Recht des Arbeitgebers zur Kündigung trotz der (vorsätzlichen) Verstöße gegen Schutzgesetze und des (vorsätzlichen) Unterlassens eines bEM.
IV. Zusammenfassung der Kündigungserschwerungen Folgende Kündigungserschwerungen hat der Arbeitgeber bei von ihm zu verantwortenden Störungen hinsichtlich des personenbedingten Kündigungsgrundes hinzunehmen: Die Mitverantwortung des Arbeitgebers hat zur Folge, dass sich die Grenze der zumutbaren Beeinträchtigungen zu seinen Lasten erhöht. Dem Arbeitgeber ist es zuzumuten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Störungsursache abzustellen. Er hat falsche Anschuldigungen zurückzunehmen, z. B. wenn er dem Arbeitnehmer zu Unrecht unterstellt hat, absichtlich seinen Arbeitspflichten nicht nachzukommen, sondern in den Ruhestand treten zu wollen.328 Den Rückkehrinteressen des Arbeitnehmers auf den alten Arbeitsplatz ist in den Fällen, in denen der Arbeitgeber eine nicht unerhebliche Mitverantwortung für die Störung trägt, ein Abwägungsvorsprung einzuräumen, da die Störung anlassbezogen war und damit Grund zur Annahme besteht, dass das Arbeitsverhältnis störungsfrei fortgesetzt werden kann, wenn der Arbeitgeber die störungsursächlichen Umstände beseitigt. Insbesondere bei Störungen, die auf einer vom Arbeitgeber zu verantwortenden Störung beruhen, ist eine Kündigung nur unter erschwerten Voraussetzungen 327
Faber, Soziale Sicherheit 2008, 130, 132 (unter Bezugnahme auf BAG, Urt. v. 17. 02. 1998 – 9 AZR 84/97 – AP BGB § 618 Nr. 26); Weber, FS Kohte, S. 81, 91. 328 LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. 02. 2019 – 17 Sa 1605/18 – NZA-RR 2019, 307, 308.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
möglich. Die Grenze der dem Arbeitgeber zumutbaren Fehlzeiten, Gehaltsfortzahlungskosten, betrieblichen Umstrukturierungsmaßnahmen, um den erkrankten Arbeitnehmer auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiter beschäftigen zu können, verschiebt sich deutlich nach oben. Dem Arbeitnehmer ist die Möglichkeit, in das Arbeitsverhältnis zurückzukehren, länger zu gewähren als bei nicht arbeitsbedingten Erkrankungen. Die Grenzen der von der Rechtsprechung entwickelten hinzunehmenden Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten sind zu modifizieren. Wenn der Arbeitgeber bereits ohne Verschulden Entgeltfortzahlungskosten innerhalb von zwei Jahren für zwölf Wochen hinzunehmen hat329, können ihm bei Verschulden, je nach Schwere, 18 – 24 Wochen zuzumuten sein. Bei lang andauernder Leistungsunfähigkeit hält das BAG im Normalfall einen Überbrückungszeitraum von 24 Monaten entsprechend der Möglichkeit nach § 14 II 1 TzBfG eine befristete Ersatzkraft einzustellen für angemessen.330 Bei einer vom Arbeitgeber verschuldeten dauernden Arbeitsunfähigkeit mit ungewisser Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit müsste man sich daran orientieren, welcher Zeitraum dem Arbeitgeber zumutbar ist, in dem er Entgelt zu zahlen hat, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten (grundsätzlich zwölf Wochen bei Verschulden 18 – 24), und dem Zeitraum, in dem der Arbeitgeber den Arbeitsausfall ohne erhebliche Belastungen überbrücken kann (24 Monate). In Anbetracht dessen erscheint ein um bis zu sechs Monate verlängerter Überbrückungszeitraum (zweieinhalb Jahre) bei Verschulden vertretbar. Bei arbeitsbedingten, nicht dauerhaften, sondern häufig auftretenden Erkrankungen erhöht sich die Zumutbarkeitsgrenze zu Lasten des Arbeitgebers, so dass die betrieblichen Beeinträchtigungen erheblich sein müssen, um die Arbeitnehmerinteressen an der Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags überwiegen zu können. Solange innerhalb eines bestimmten Zeitraums die Möglichkeit der Genesung und Rückkehr des Arbeitnehmers besteht, der Arbeitnehmer noch einen überwiegenden Teil seiner Arbeitsleistung erbringen kann oder die Möglichkeit einer anderweitigen (leidensgerechten) Weiterbeschäftigung besteht, geht die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers aus. Die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers besteht daher nur, sofern die Störung auch im Verhältnis zur erhöhten Zumutbarkeitsschwelle unzumutbar ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine weit überwiegende Verantwortung für den Kündigungsgrund trägt, wenn den Arbeitnehmer im Vergleich zum Ar329
St. Rspr. BAG, Urt. v. 16. 07. 2015 – 2 AZR 15/15 – NZA 2016, 99, 101 f.; BAG, Urt. v. 23. 01. 2014 – 2 AZR 582/13 – NZA 2014, 962, 964; BAG, Urt. v. 08. 11. 2007 – 2 AZR 292/06 – NZA 2008, 593; BAG, Urt. v. 07. 11. 2002 – 2 AZR 599/01– AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; BAG, Urt. v. 20. 01. 2000 – 2 AZR 378/99 – NZA 2000, 768, 770; BAG Urt. v. 06. 11. 1997 – 2 AZR 94/97 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 42. 330 BAG, Urt. v. 13. 05. 2015 – 2 AZR 565/14 – NZA 2015, 1249, 1250; BAG, Urt. v. 30. 09. 2010 – 2 AZR 88/09 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 49; BAG, Urt. v. 12. 04. 2002 – 2 AZR 148/01 – NZA 2002, 1081, 1083; BAG, Urt. v. 29. 04. 1999 – 2 AZR 431/98 – BAGE 91, 271, 278.
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beitgeber eine gesteigerte Verantwortung trägt oder wenn das Ausmaß der Störung immens ist. Eine Störung immensen Ausmaßes liegt zum Beispiel vor, wenn keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit mehr für den Arbeitnehmer besteht oder wenn die vom Arbeitgeber zu überbrückenden Fehlzeiten einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren übersteigen würden.
D. Keine Einschränkungen trotz Verantwortung Obwohl der Arbeitgeber Mitverantwortung für die zur Kündigung führende Störung trägt, kann die Kündigung zulässig sein. Grund dafür kann einmal sein, dass eine im Vergleich zur arbeitnehmerseitigen Verantwortung geringere arbeitgeberseitige Verantwortung vorliegt. Der Grund der uneingeschränkten Kündigungsbefugnis kann aber auch sein, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Störung unerfüllbar geworden ist und dessen Fortsetzung damit keinen Sinn mehr ergibt. Der Interessenausgleich erfolgt dann auf Sekundärebene.
I. Wegen Unerheblichkeit Dass nur die überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers zum Ausschluss seiner Rechte führt, ergibt sich bereits aus der gesetzgeberischen Wertung in § 323 VI BGB und § 326 II 1 BGB. Das bedeutet im Umkehrschluss zwar nicht, dass lediglich überwiegende Verantwortlichkeit Auswirkungen auf die Rechtsausübung hat. Wie zuvor erörtert, kann Mitverantwortung unterhalb der Schwelle der überwiegenden Verantwortung die Rechtsausübung erschweren. Dem steht allerdings nicht entgegen, dass es Mitverantwortung geben kann, die sich in der Interessenabwägung nicht zu Lasten des Gläubigers auswirkt. Dies wiederum hängt von der Schwere der Pflichtverletzung und dem Grad des Verschuldens bzw. vom Umfang der Verantwortung ab. Der Verstoß gegen ein Schutzgesetz, das der Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers dient, wiegt beispielsweise schwerer als das Unterlassen einer Unterweisung über allgemeingültige „ErsteHilfe-Maßnahmen“, da deren Kenntnis als bekannt vorausgesetzt werden darf, während das richtige Verhalten für den Fall, dass es zu einer Störung bei einer Maschine des Arbeitgebers kommt, spezielle Kenntnisse erfordert, die der Arbeitgeber vermitteln muss. Grob fahrlässiges Verhalten beeinflusst die Interessenabwägung stärker als leicht fahrlässiges Verhalten und verschuldensunabhängige Verantwortung fällt weniger stark ins Gewicht als Verschulden. In dem Fall, in dem sich eine Berufsschullehrerin mit Hepatitis-C infizierte, als sie die offene Wunde eines Schülers verband, ohne dabei Schutzhandschuhe zu tragen, wäre der Mitverantwortung der Arbeitgeberin, weil diese nicht auf die Ansteckungsgefahr hingewiesen und über Schutzmaßnahmen aufgeklärt hatte, in der Interessenabwägung,
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
wenn es zu einer krankheitsbedingten Kündigung der Arbeitnehmerin käme, ein geringeres Gewicht einzuräumen als dem Eigenverschulden der Arbeitnehmerin.331
II. Aufgrund von angemessener Lösung auf Sekundärebene Den vorherigen Ausführungen scheint das nachfolgende Untersuchungsergebnis zu widersprechen, dass auch ein besonders gravierendes Verschulden des Arbeitgebers unbeachtlich für dessen Kündigungsrecht sein kann. Der Widerspruch ist dahingehend aufzulösen, dass neben dem Verantwortungsbeitrag berücksichtigt werden muss, ob eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch Sinn hat. 1. Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit Hat die arbeitsbedingte Erkrankung oder der Arbeitsunfall zur Folge, dass der Arbeitnehmer weder seine bisherige Tätigkeit noch eine andere dauerhaft ausüben kann, würde eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses dessen Zweck verfehlen. Die Leistungserbringung seitens des Arbeitnehmers ist unmöglich. Führt Unmöglichkeit bei auf den einmaligen Leistungsaustausch gerichteten Schuldverhältnissen zum Erlöschen der Leistungspflichten und damit zur Beendigung des Leistungsaustauschs auf Primärebene, begründet die Unmöglichkeit bei Dauerschuldverhältnissen ein legitimes Beendigungsinteresse. Ist also das Arbeitsverhältnis sinnentleert, muss der Arbeitgeber unabhängig von seinem Verschulden kündigen können.332 Dies ist kein Verstoß gegen das Rechtsprinzip, wonach niemand aus eigenem gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhalten einen rechtlichen Vorteil erzielen darf.333 Denn das Verschulden des Arbeitgebers kann immer noch im Wege der Haftung berücksichtigt werden. Gem. §§ 280 I, 241 II BGB und § 823 I, II BGB kann der Arbeitnehmer Schadensersatz wegen der Verletzung seiner Integrität geltend machen. Gem. §§ 280 I, III, 281 I 1, 1. Alt., III BGB hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, welcher allerdings auf den Zeitpunkt begrenzt ist, zu dem der Vertrag frühest möglich hätte gekündigt werden können.334 Einer Krankenschwester, die sich während der Arbeit bei einem Unfall an der Wirbelsäule verletzte, innerhalb von vier Jahren an 766 Tagen der Arbeit krankheitsbedingt fernblieb und nur noch Tätigkeiten verüben konnte, bei denen sie weder heben noch tragen musste, durfte daher gekündigt werden.335 Auch die Kündigung 331
Vgl. BAG, Urt. v. 14. 12. 2006 – 8 AZR 628/05 – AP BGB § 618 Nr. 28. Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 333 Larenz, BGB AT, 8. Aufl., S. 327 unter Berufung auf „clean hands doctrine“ und den tu quo que Einwand. 334 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 22 Rn. 3. 335 BAG, Urt. v. 05. 12. 1963 – 2 AZR 148/63 – DB 1963, 1720. 332
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eines als Call-Center-Agent tätigen Arbeitnehmers war rechtmäßig. Dieser hatte, was streitig war, aber zu seinen Gunsten unterstellt wurde, aufgrund eines Defekts in seinem Headset einen akustischen Schock erlitten. Der behandelnde Arzt attestierte, dass der Arbeitnehmer keine Tätigkeiten mehr ausüben dürfe, die durch Lärmbelästigungen oder permanentes Telefonieren gekennzeichnet seien, womit die Weiterbeschäftigung in einem Call-Center unmöglich wurde.336 Auch das LAG BerlinBrandenburg hat ein überwiegendes Interesse einer Arbeitgeberin an der Kündigung eines langjährig Beschäftigten selbst bei Unterstellung einer Mitverantwortung angenommen.337 Der Arbeitnehmer hatte durch einen Arbeitsunfall seinen linken Daumen verloren, blieb infolgedessen krankheitsbedingt der Arbeit fern und erlitt später eine psychische Beeinträchtigung (Fehlzeit insgesamt ca. dreieinhalb Jahre). Zwischen den Parteien ist streitig, ob die psychische Erkrankung auf das Verhalten der Arbeitgeberin zurückgeführt werden kann. Selbst wenn zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt würde, dass er in der Vergangenheit zu Unrecht abgemahnt wurde, dass ihm zu Unrecht seine Arbeitsunfähigkeit vorgeworfen und dass ihm ebenfalls zu Unrecht unterstellt wurde, er wolle in den Ruhestand treten, bringt dies kein schützenswertes Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes hervor. Denn eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wäre in dem konkreten Fall dauerhaft sinnentleert gewesen. Der Arbeitnehmer war nicht in der Lage an der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer teilzunehmen, weil er dort auf den Geschäftsführer der Arbeitgeberin getroffen wäre. Daher bestand Grund zur Annahme, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit in Zukunft nicht mehr werde ausüben können. Wie die genannten Beispiele zeigen, macht es bei derartig gravierenden Störungen des Arbeitsverhältnisses, insbesondere bei einer der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit gleichgestellten Ungewissheit über die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit, keinen Sinn vom Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung weitere Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung zu verlangen. Wenn offensichtlich ist, dass diese vergleichbar mit einem nicht durchgeführten bEM, nicht dazu in der Lage gewesen wären, den Arbeitnehmer wieder in den Zustand der Arbeitsfähigkeit zu versetzen und einen Leistungsaustausch wieder zu ermöglichen. Mangels geeigneter Maßnahmen zur Abwendung der Kündigung und wegen gravierender Störungen kann daher eine Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitgebers ausgehen, selbst wenn dieser die Störung überwiegend zu verantworten hat. 2. Zerrüttung In den Fällen, in denen krankheitsursächlich ein vom Arbeitgeber ausgehendes oder nicht unterbundenes Mobbing war, kann es sein, dass das Vertrauensverhältnis 336 337
308 f.
BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 664/13 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 53. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. 02. 2019 – 17 Sa 1605/18 – NZA-RR 2019, 307,
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber dadurch dauerhaft zerrüttet ist. Daher kann die Fortsetzungsmöglichkeit des Arbeitsverhältnisses in den Fällen von Mobbing nicht allein von den Genesungsaussichten der (psychischen) Erkrankung abhängen. Wie zuvor dargestellt, besteht aufgrund der arbeitgeberseitigen Verantwortung an der Störung grundsätzlich kein Kündigungsrecht, wenn die Erkrankung des Arbeitnehmers nicht dauerhaft ist, so dass nach diesem Grundsatz auch in Fällen von Mobbing, sofern der Arbeitnehmer wieder genesen ist, nicht gekündigt werden könnte. Im Unterschied zur dauerhaften Arbeitsunfähigkeit würde hier die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht wegen physischer Gründe unmöglich, sondern weil aufgrund des zerstörten Vertrauensverhältnisses nicht anzunehmen ist, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch zusammenarbeiten wollen. Wenn das zur Kündigung führende Verhalten des Arbeitgebers treuwidrig war und darauf ein Auflösungsantrag nach § 9 KSchG gestützt wird, ist diesem stattzugeben. Grundsätzlich räumt die Rechtsprechung „dem Grundsatz des Bestandsschutzes den Vorrang vor der Erwägung [ein], ob künftig noch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist“338. Erreicht die Störung des Vertrauensverhältnisses aber ein Ausmaß, das mit der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung vergleichbar ist, muss dies auch die gleichen Konsequenzen haben. Die Verantwortung für die Störung kann nicht zur Folge haben, dass eine Partei gezwungen wird, das sinnlos gewordene Vertragsverhältnis fortzusetzen. Angesichts dieser Tatsache, dass die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses keinen Sinn mehr hat, ist der Verantwortung dafür weniger Bedeutung einzuräumen und dem Kündigungsinteresse ist der Vorzug zu gewähren.339 Denn an dem unzumutbaren Zustand ist nicht dadurch etwas zu ändern, dass der einen oder anderen Vertragspartei die Verantwortung dafür gegeben wird. Da die Verantwortung des Arbeitgebers für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entschädigungserhöhend berücksichtigt wird340, ist es legitim dem Auflösungsinteresse mehr Gewicht zuzusprechen als dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers.
E. Ergebnis Wie sich den zuvor dargestellten Fallkonstellationen entnehmen lässt, ist bei der Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Verantwortung an der personenbezogenen Störung zunächst danach zu unterscheiden, ob das Arbeitsverhältnis noch fortgesetzt werden kann oder ob der Arbeitnehmer dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, die Arbeitsleistung zu erbringen. Besteht die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis fort338
BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. Vgl. RG, Urt. v. 27. 06. 1940 – II 31/39 – RGZ 164, 257, 258 zur Auflösung einer Gesellschaft wegen persönlicher Zerwürfnisse unter den Gesellschaftern, wonach ein „unheilbares Zerwürfnis“ die Auflösung rechtfertigt, auch wenn der die Auflösung verlangende Gesellschafter an der Entstehung des Zerwürfnisses mitschuldig ist. 340 Siehe Vierter Teil. 339
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zusetzen, bewirkt die Verantwortung des Arbeitgebers, dass sich der Zumutbarkeitsmaßstab bezüglich hinzunehmender Beeinträchtigungen entsprechend seinem Verantwortungsbeitrag zu seinen Lasten verschärft. Je nach Größe des Anteils an der Störung steigt die Grenze der dem Arbeitgeber zumutbaren betrieblichen Beeinträchtigungen. Bei überwiegender Verantwortung, insbesondere bei Vorsatz, führt dies regelmäßig zum Ausschluss des Kündigungsrechts, weil die kündigungsrelevante Störung nicht die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze erreicht. Wer lediglich die betriebstypischen Risiken zu verantworten hat, kann tendenziell eher kündigen, als jemand, der sich das schuldhafte Nichteinhalten des Arbeitsschutzes zurechnen lassen muss. Neben der Erhöhung der Zumutbarkeit wird die arbeitgeberseitige Verantwortung bei der Frage nach Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten berücksichtigt. Die Ausübung des Kündigungsrechts wird zudem dadurch erschwert oder kann ganz ausgeschlossen sein, dass Arbeitsplätze für den Arbeitnehmer leidensgerecht umgestaltet werden müssen oder dass der Arbeitnehmer fortzubilden ist, um auf anderen vergleichbaren und vergleichbar dotierten Stellen, die jedoch keine gänzlich neue Berufsausbildung erfordern, weiterarbeiten kann. Falls der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig ist und das Arbeitsverhältnis nicht mehr fortgesetzt werden kann, besteht das Kündigungsrecht des Arbeitgebers ohne Einschränkungen. Der Arbeitnehmer ist entsprechend der Höhe der arbeitgeberseitigen Verantwortung für den Verlust seines Arbeitsplatzes zu entschädigen.
§ 7 Mitverantwortung für die Entstehung des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes Wesensmerkmal der verhaltensbedingten Kündigung ist ein schuldhafter Pflichtverstoß des Arbeitnehmers, womit die Störung grundsätzlich aus dessen Sphäre stammt. Ein vorhandenes Verschulden des Arbeitnehmers als das hier maßgebliche Zurechnungskriterium schließt es nicht aus, dass der Arbeitgeber in das Arbeitnehmerverhalten interveniert hat, weswegen er Mitverantwortung für die Störung hat und wodurch die arbeitnehmerseitige Pflichtverletzung in einem anderen Licht erscheint. Wenn die Arbeitnehmersphäre als Herkunft der Störung nicht mehr zweifelsfrei angenommen werden kann, muss das Recht des Arbeitgebers zur Kündigung neu überdacht werden. Dass eine andere Verantwortungsverteilung den strukturellen Grundprinzipien des Kündigungsrechts widerspräche, wurde oben bereits ausgeführt.341 Daher kann über die Wirksamkeit einer Kündigung nicht ohne Beachtung der Verursachungs- und Verantwortungsanteile von Arbeitnehmer und Arbeitgeber entschieden werden.342 Wie sich Verschiebungen der Verantwortungs341
Siehe Zweiter Teil unter § 1 B. und C. Vgl. BAG, Urt. v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51 zur Rechtmäßigkeit eines Auflösungsantrags nach § 9 I 2 KSchG, wobei das BAG vor dem Hintergrund des Bestandsschutzkonzepts des KSchG davon ausgeht, dass Verursachungsbeiträge, 342
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
anteile auf die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers bei verhaltensbedingten Kündigungen auswirken, ist Gegenstand des vorliegenden Abschnitts.
A. Rechtsausschluss Wie bei der personenbedingten Kündigung kann die Mitverantwortung des Arbeitgebers bei größer werdendem Anteil für die Störung zum Ausschluss des Kündigungsrechts führen. Dies liegt zum einen daran, dass Voraussetzung einer verhaltensbezogenen Störung eine schuldhafte Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer ist. Bei zunehmender arbeitgeberseitiger Verantwortung erscheint die Störung weniger als ausschließliche Ausprägung des Arbeitnehmerwillens und lässt sich nicht mehr exakt auf dessen Willen zurückführen. Da aufgrund der arbeitgeberseitigen Mitverantwortung ein strengerer Maßstab bei der Interessenabwägung gilt, sind dem Arbeitgeber mehr Störungen als unter normalen Bedingungen zuzumuten. Neben Äquivalenzstörungen können auch Störungen im Vertrauensbereich Anlass einer verhaltensbedingten Kündigung sein. Der Aspekt des verlorenen Vertrauens verliert bei arbeitgeberseitiger Beteiligung an Konflikten im Vertrauensbereich als Kündigungsgrund die Rechtfertigung. Sind persönliche Konflikte kündigungsursächlich, in denen von beiden Beteiligten ein vorsätzliches, auf die Schädigung des anderen zielendes Verhalten ausgeht, kann wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens das Recht zur Kündigung ausgeschlossen sein. In der nachfolgenden Aufzählung wird dies exemplarisch an einigen Fallgruppen konkretisiert.
I. Rechtsmissbräuchliches Verhalten 1. Venire contra factum proprium Das Kündigungsrecht des Arbeitgebers kann ausgeschlossen sein, wenn die Kündigung auf eine Störung gestützt wird, die der Arbeitgeber zu verantworten hat. Dies kann ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers darstellen, wenn das Arbeitnehmerverhalten zuerst erwünscht und dann zum Anlass der Kündigung genommen wird. Das BAG hatte einen Fall zu entscheiden, in dem einem Arbeitnehmer wegen der Aufnahme verbotener Wettbewerbstätigkeit außerordentlich und ordentlich gekündigt wurde. Die Wettbewerbstätigkeit hatte der Arbeitnehmer aufgenommen, nachdem der Arbeitgeber ihm zuvor schon einmal außerordentlich und ordentlich gekündigt hatte.343
die von Kollegen, Vorgesetzten oder sonstigen Personen, für die der Arbeitgeber nach § 278 BGB einzustehen hat, ausgehen, nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gewertet werden dürfen. 343 BAG, Urt. v. 23. 10. 2014 – 2 AZR 644/13 – NZA 2015, 429, 430.
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Die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers besteht in der Aufnahme von Tätigkeiten für ein Konkurrenzunternehmen, womit er gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot verstößt. Da kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart war, beschränkt sich das Verbot auf das laufende Vertragsverhältnis, einschließlich des Zeitraums indem eine unwirksame Kündigung gerichtlich angegriffen wird und sich die Unwirksamkeit bestätigt. An sich ist ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot geeignet eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Vorliegend haben sich aber sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer widersprüchlich verhalten. Der Arbeitgeber hat durch den Ausspruch der ersten, nicht gerechtfertigten außerordentlichen Kündigung gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen. Mit dem Ausspruch der zweiten Kündigung verlangt er vom Arbeitnehmer ein Verhalten, auf das er nur einen Anspruch gehabt hätte, wenn das Arbeitsverhältnis besteht. Gerade dies wollte er allerdings durch seine vorangegangenen Kündigungen beenden. Der Arbeitnehmer wiederum möchte die Unwirksamkeit der ersten Kündigung festgestellt haben, legt allerdings ein Verhalten zu Tage, das nur gerechtfertigt wäre, wenn die Kündigung wirksam ist.344 In der Interessenabwägung ist erstens zu berücksichtigen, dass erst die Kündigung des Arbeitgebers den Arbeitnehmer zur Konkurrenztätigkeit bewogen hat. Zweitens kann der Arbeitgeber nicht einerseits durch Ausspruch einer außerordentlichen und ordentlichen Kündigung sein erhebliches Beendigungsinteresse kundtun und sich dann auf etwas berufen, was ihm nur gebührt, wenn die Kündigung unwirksam und der Arbeitsvertrag weiterhin wirksam ist. Wegen des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens soll das Recht zur Kündigung in diesem Fall ausgeschlossen sein. Der Rechtsausschluss wird mit dem Vertrauensschutz gerechtfertigt.345 Immer wenn der Handelnde einem selbst geschaffenen Vertrauenstatbestand widerspricht, wird dies mit einem Rechtausschluss sanktioniert, weil das Vertrauen der Gegenseite vorrangig schutzwürdig ist. In dem zuvor beschriebenen Fall hat der Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung einen gewissermaßen „negativen“ Vertrauenstatbestand geschaffen, dahingehend, dass der Vertrag aus seiner Sicht beendet ist. Dadurch, dass er in der darauffolgenden Kündigung wegen eines Verhaltens kündigt, das bei Wirksamkeit der vorherigen Kündigung rechtmäßig gewesen wäre, setzt er sich zu seinem vorherigen Verhalten in Widerspruch. Der Arbeitnehmer durfte im Vertrauen auf die nicht mehr gewünschte Fortsetzung des Vertrags die Konkurrenztätigkeit annehmen. Dadurch, dass der Arbeitgeber die erste Kündigung ausgesprochen hat, hat er zur Annahme veranlasst, dass das Arbeitsverhältnis beendet sei und dass das Wettbewerbsverbot 344
BAG, Urt. v. 23. 10. 2014 – 2 AZR 644/13 – NZA 2015, 429, 431. St. Rspr. BGH, Urt. v. 16. 03. 2017 – I ZR 39/15 – GRUR 2017, 702, 713; BGH, Urt. v. 04. 02. 2015 – VIII ZR 154/14 – NJW 2015, 1087, 1089; BGH, Urt. v. 19. 06. 1980 – III ZR 91/79 – NJW 1980, 2407, 2408; BGH, Urt. v. 09. 05. 1960 – III ZR 32/59 – BGHZ 32, 273, 279; MünchKomm BGB/Schubert, § 242 Rn. 314; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 55; Canaris, die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 278 ff., 372 ff.; Dette, Venire contra factum proprium, S. 45 ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 6. 345
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
nicht mehr bestehe. Daher hat es der Arbeitgeber mitzuverantworten, dass der Arbeitnehmer einem Rechtsirrtum unterlag. Dass dieser die Rechtmäßigkeit der Kündigungen gerichtlich prüfen ließ, verlangt keine andere Bewertung, da die Inanspruchnahme von Rechtsschutz eine berechtigte Interessenwahrnehmung darstellt. Da das Verschulden des Arbeitnehmers aufgrund der Mitverantwortung des Arbeitgebers somit als geringer als bei alleiniger Verantwortung einzustufen ist, ist der Pflichtverstoß mit weniger Gewichtung in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgeht, da dessen Verhalten unter dem verschärften Zumutbarkeitsmaßstab nicht ausreicht, um aus Sicht des Arbeitgebers eine Fortsetzung des Vertrags unzumutbar zu machen. Daher hat das BAG in diesem Fall zu Recht geurteilt, dass das Recht des Arbeitgebers zur Kündigung ausgeschlossen ist.346 Während das BAG seine Entscheidung auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens gestützt hat, ist nach diesseitiger Auffassung eine Interessenabwägung auf Grundlage eines an die jeweiligen Verantwortungsbeiträge angepassten Zumutbarkeitsmaßstabs durchzuführen. 2. Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Weisungsrechts Eine Form der rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Weisungsrechts ist es, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Weisung erteilt, die zwar „noch“ rechtmäßig ist, er aber hofft, dass der Arbeitnehmer diese als unbillig empfinden und nicht befolgen wird, um die Nichtbefolgung als Grund für eine Kündigung nehmen zu können. Denkbar wäre dies insbesondere im Hinblick auf Umsetzungen in andere Betriebe347 und Versetzungen in andere Bundesländer oder ins nahe Ausland348, die, sofern sie im Arbeitsvertrag nicht ausgeschlossen sind, grundsätzlich zulässig sind (§ 106 GewO). Da § 226 BGB voraussetzt, dass die Rechtsausübung keinem anderen Zweck als der Schadenszufügung eines anderen dient349, ist der sehr eng gefasste Anwendungsbereich nur in seltenen Fällen eröffnet, denn sobald ein objektiver Vorteil für den Handelnden ersichtlich ist, greift das Schikaneverbot nicht. Da eine Weisung der Konkretisierung arbeitsvertraglicher Pflichten dient, kann der Arbeitgeber stets einen objektiven Vorteil darlegen. Daher wurde in den Fällen rechtsmissbräuchlicher Weisung auf § 242 BGB als Korrekturinstrument zurückgegriffen. Beispiele aus der Rechtsprechung dafür sind eine für den Arbeitnehmer „willkürlich“ erscheinende aber zulässige Umsetzung an eine andere Schule350, die nach 30jähriger Tätigkeit erstmals angeordnete Sonn- und Feiertagsarbeit351 oder der 346 347 348 349 350 351
BAG, Urt. v. 23. 10. 2014 – 2 AZR 644/13 – NZA 2015, 429, 431. Vgl. BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11 – NZA 2012, 858, 859. Vgl. LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14 – DStR 2015, 486, 487. Palandt/Ellenberger, § 226 Rn. 2; Medicus, BGB AT, Rn. 130. BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11 – NZA 2012, 858, 860. Vgl. BAG, Urt. v. 15. 09. 2009 – 9 AZR 757/08 – NZA 2009, 1333, 1334.
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Einsatz zu Tätigkeiten, die zu Gewissenskonflikten seitens des Arbeitnehmers führen.352 In einem weiteren Fall des BAG ging es um die Wirksamkeit einer Versetzung einer Flugbegleiterin von Münster/Osnabrück nach Düsseldorf. Im Arbeitsvertrag war der Einstellungsort, Münster/Osnabrück, bezeichnet, womit keine Festlegung als Arbeitsort verbunden war, so dass die Versetzung zulässig war.353 Angenommen in den genannten Beispielen hätte der Arbeitgeber sein ihm zustehendes Weisungsrecht gebraucht, um den Arbeitnehmer zu einer Nichtbefolgung zu verleiten, weil es für ihn den Anschein erweckt, als sei die Weisung unwirksam, erfüllte dieses Verhalten den Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung. Eine unzulässige Rechtsausübung kann angenommen werden, wenn der verfolgte Zweck dem Zweck des ausgeübten Rechts widerspricht.354 Der Zweck von § 106 S. 1 GewO, womit dem Arbeitgeber das Weisungsrecht eingeräumt wird, besteht darin, den Inhalt des Arbeitsvertrags im Rahmen der bestehenden Gesetze entsprechend den konkreten betrieblichen Bedürfnissen zu konkretisieren. Dadurch, dass die Weisung hier dazu ausgeübt wird, dass der Arbeitnehmer eine Pflicht verletzt, die als Grund zur Kündigung genommen werden soll, besteht schon keine Übereinstimmung mit dem Gesetzeszweck. Kommt wie hier noch hinzu, dass das Recht ausgeübt wird, um die andere Vertragspartei zu schädigen, kann dies nicht folgenlos bleiben. Die Konsequenz des Rechtsmissbrauchs, die auf die Arglisteinrede, die exceptio doli, des römischen Rechts zurückgeht355 und als Anwendungsfall von § 242 BGB Eingang ins geltende Recht gefunden hat356, ist, dass demjenigen, der sich arglistig verhalten hat, die dem Recht entsprechenden Rechtsfolgen versagt werden.357 Die Rechtsausübung ist unwirksam, ein Anspruch kann nicht erhoben werden, Tatsachen können nicht berücksichtigt werden oder derjenige, der die andere Vertragspartei zu einem Fehlverhalten herausgefordert hat, kann sich auf dieses Fehlverhalten nicht berufen.358 Ergänzend kann auch der Rechtsgedanke von § 226 BGB herangezogen werden. Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. Demnach wäre eine rechtsmissbräuchliche
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Vgl. BAG, Urt. v. 24. 02. 2011 – 2 AZR 636/09 – NZA 2011, 1087, 1088. BAG, Urt. v. 28. 08. 2013 – 10 AZR 569/12 – NZA-RR 2014, 181, 182. 354 BGH, Urt. v. 04. 02. 2015 – VIII ZR 154/14 – NJW 2015, 1087, 1089; MünchKomm BGB/Schubert, § 242 Rn. 208. 355 Ausführlich dazu HKK/Haferkamp, § 242 Rn. 47 ff. 356 RG, Urt. v. 17. 03. 1932 – IV 372/31 – RGZ 135, 374, 376; MünchKomm BGB/Schubert, § 242 Rn. 209. 357 MünchKomm BGB/Schubert, § 242 Rn. 221. 358 LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/2000 – NZA-RR 2001, 347, 359; ArbG Kiel, Urt. v. 16. 01. 1997 – 5d Ca 2306/96 – juris; vgl. die Rspr. zur Provokation zu Vertragsverstößen zwecks Einforderung einer Vertragsstrafe BGH, Urt. v. 23. 01. 1991 – VIII ZR 42/90 – NJW-RR 1991, 568, 569; RG, Urt. v. 01. 04. 1935 – VI 541/34 – RGZ 147, 228, 233; GK-Online BGB/Kähler (Stand: 01. 01. 2021), § 242 Rn. 1480 f. 353
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Weisung, die allein bezweckt, den Arbeitnehmer zu einem kündigungsrelevanten Verhalten zu veranlassen, von vornherein unwirksam. Dem Wortlaut von § 106 GewO folgend, wonach der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben hat, hatte das BAG zunächst angenommen, dass Weisungen, die dem Billigkeitsgebot widersprechen zwar unbillig, aber nicht unwirksam sind, sondern vom Arbeitnehmer vorläufig bis zu einer Klärung des Gerichts befolgt werden müssten.359 Nach neuerer Rechtsprechung des BAG360 steht nunmehr fest, dass eine unbillige Weisung seitens des Arbeitnehmers nicht befolgt werden muss; im Ergebnis wird die Weisung also so behandelt als wäre sie unwirksam. Für die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers bedeutet das, dass diese nicht besteht, weil bereits keine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegt. In dem o. g. Fall aus der Rechtsprechung, dem eine Versetzung eines Arbeitnehmers nach Belgien zugrunde lag, mit welcher der Arbeitnehmer nicht einverstanden war, die Arbeit dort nicht aufnahm und weswegen er gekündigt werden sollte, wurde daher zu Recht entschieden, dass keine Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers bestand.361 Denn die Versetzung war rechtswidrig, weswegen die Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers keine Pflichtverletzung ist. In anderen Fällen, in denen der Arbeitgeber in sonstiger Weise ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers in der Absicht deswegen zu kündigen herbeiführt, kann er sich wegen Rechtsmissbrauchs nicht darauf berufen. Das BAG hat das Recht eines Arbeitgebers zur (außerordentlichen) Kündigung wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung verneint, weil es der Arbeitgeber zu verantworten hatte, dass sich der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft befand und seine Arbeitspflicht nicht erfüllen konnte, da er seinen Beschäftigten zuvor bei der Staatsanwaltschaft wegen Betruges verdächtigt hatte.362 Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung zum sog. Auflösungsverschulden bei der Prüfung von Auflösungsanträgen nach § 9 KSchG.363 Dass dem Arbeitgeber darin (§ 9 I 2 KSchG) das Recht eingeräumt wird, bei vorangegangener unwirksamer Kündigung einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung zu stellen, zeigt, dass ein Auflösungsantrag nicht schon abzulehnen ist, wenn der Arbeitgeber die Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses mitverschuldet hat. Die Grenze des zulässigen Mitverschuldens 359
BAG, Urt. v. 22. 02. 2012 – 5 AZR 249/11 – NZA 2012, 858, 860. BAG, Urt. v. 18. 10. 2017 – 10 AZR 330/16 – NZA 2017, 1452, 1458; siehe Zweiter Teil unter § 3 C. II. 2. b), c). 361 LAG Köln, Urt. v. 28. 08. 2014 – 6 Sa 423/14 – DStR 2015, 486, 487. 362 BAG, Urt. v. 16. 03. 1967 – 2 AZR 64/66 – DB 1967, 823. 363 Unwirksamkeit des Auflösungsantrags des Arbeitgebers bei: unzutreffendem Vorwurf der Denunziation (BAG, Urt. v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51); vom Arbeitgeber ausgehendem Mobbing (BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45); Ausspruch einer sittenwidrigen Kündigung (BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2). 360
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ist jedoch dann erreicht, wenn der Arbeitgeber Auflösungsgründe anführt, die er in verwerflicher Weise selbst geschaffen hat.364 „Er würde sich sonst dem Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung aussetzen. Auch und gerade auf dem Gebiet des KSchRechtes ist der Grundsatz von Treu und Glauben und der Rechtsgedanke des § 162 BGB, daß niemand aus einem treuewidrigen Verhalten einen rechtl. Vorteil ziehen darf, zu beachten und zu verwirkl.; das gilt jedenfalls, soweit nicht die Anforderungen des § 242 BGB hinsichtl. der Sozialwidrigkeit der Kündigung durch § 1 KSchG abschließend geregelt worden sind.“365
Wenn also die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht ausreicht, die Kündigung des Arbeitgebers zu rechtfertigen und dieser daher das Arbeitsverhältnis durch einen Auflösungsantrag beenden lassen will, den er auf Gründe stützt, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat, ist es grundsätzlich richtig, ihm dies zu versagen. Ähnlich verhält es sich, wenn der Arbeitgeber den Kündigungsgrund in Gestalt der arbeitnehmerseitigen Pflichtverletzung treuwidrig herbeiführt. In beiden Fällen ist der Arbeitgeber der Veranlasser der Störung. Die Mitverantwortung des Arbeitgebers, obwohl der Arbeitnehmer selbst eigenverantwortlich schuldhaft handelt, lässt sich wie zuvor beschrieben366 entsprechend dem Gedanken der Ingerenz rechtfertigen. Deshalb wäre es nicht nur unbillig, diese Störung dem Arbeitnehmer allein vorzuwerfen, sondern der Arbeitgeber muss sich aufgrund des hinter der Weisung stehenden Ziels, der Nichtbefolgung, die Störung zurechnen lassen. Folglich ergibt die neuausgerichtete Interessenabwägung auch hier, dass das Recht zur Kündigung tendenziell ausgeschlossen ist. Eine Ausnahme davon ist wie bei der personenbedingten Kündigung zu machen, wenn das Arbeitsverhältnis dauerhaft zerrüttet ist und eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen ist.367 3. Rechtsmissbräuchliche Ausübung des Abmahnungsrechts Das vorherige Ergebnis, der Ausschluss des Kündigungsrechts, lässt sich auf Fälle übertragen, in denen der Arbeitgeber in rechtsmissbräuchlicher Weise von seinem Abmahnungsrecht Gebrauch macht. Spricht ein Arbeitgeber eine Vielzahl von Abmahnungen aus, um im Falle einer Pflichtverletzung seitens des Arbeitnehmers, der tariflichen Kündigungsschutz genießt, für eine außerordentliche Kündigung „vorgesorgt“ zu haben, verstößt dies unabhängig davon, ob die Mahnungen zu Recht 364 BAG, Urt. v. 11. 07. 2013 – 2 AZR 994/12 – NZA 2014, 250, 254; BAG, Urt. v. 02. 06. 2005 – 2 AZR 234/04 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51; BAG, Urt. v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 240/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 45; BAG, Urt. v. 07. 03. 2002 – 2 AZR 158/01 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42; BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2; LAG Köln, Urt. v. 17. 01. 1996 – 8 (11) Sa 768/95 – LAGE § 626 BGB Druckkündigung Nr. 1; APS/Biebl, § 9 KSchG Rn. 59; LKB/Linck, § 9 Rn. 54; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 9 KSchG Rn. 53; KR-Spilger, § 9 KSchG Rn. 72. 365 BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 366 Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. IV. 1. 367 Siehe Dritter Teil unter § 7 C. II.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
erfolgt sind, gegen das Übermaßverbot. In einem Fall, den das Arbeitsgericht Kiel368 zu entscheiden hatte, hatte ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer innerhalb von neun Tagen neun Abmahnungen zu Sachverhalten aus den zurückliegenden sechs Monaten erteilt. Der Arbeitnehmer hatte auf Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte geklagt. Der Klage wurde stattgegeben. Dem Gericht drängte sich der Eindruck auf, dass die Beklagte versucht hat, den Kläger mit allen Mitteln derart unter Druck zu setzen, dass dieser letztendlich seine berufliche Tätigkeit aufgibt oder Fehler macht und ihr, der Beklagten, bei nächster Gelegenheit die Möglichkeit zur fristlosen Kündigung gibt.369 Dieses Verhalten, das nach Ansicht des Gerichts den Tatbestand des Mobbings erfüllt370, stellt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls auch eine unzulässige Rechtsausübung dar. Darüber hinaus ist eine vom Arbeitgeber bezweckte Pflichtverletzung entsprechend dem Gedanken der Ingerenz zurechenbar. Arbeitgeberseitige Verantwortung ist demnach vorhanden. In dem vorliegenden Beispiel kommen zwei Verhaltensweisen des Arbeitnehmers als Anknüpfungspunkte für eine Kündigung in Betracht, die unter dem Aspekt der arbeitgeberseitigen Mitverantwortung relevant sind. Wie dargelegt und worauf auch das Gericht den Fokus gerichtet hat, könnte der Arbeitgeber gewillt gewesen sein, eine Kündigung auf eine durch die Vielzahl seiner Abmahnungen provozierte Pflichtverletzung zu stützen. Darüber hinaus böte auch das abgemahnte Verhalten Anlass zu einer Kündigung. Hinsichtlich Letzterem wäre zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber daran eine Mitverantwortung trägt. Zum einen in Form eines Organisationsverschuldens dadurch, dass er es zunächst für einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr unterlassen hat, die Pflichtverletzungen abzumahnen. Es hätte seinen Pflichten entsprochen, den Arbeitnehmer auf seine Fehler hinzuweisen, die richtige Arbeitsweise zu verlangen und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Bewährung zu geben. Dadurch, dass er dies unterlassen hat, mindert sich der Verantwortungsgrad des Arbeitnehmers für die zunächst nicht abgemahnten Folgepflichtverletzungen, so dass das arbeitgeberseitige Kündigungsinteresse das Fortsetzungsinteresse des Arbeitnehmers wegen zu geringer Vorwerfbarkeit nicht überwiegt. Darüber hinaus ist das Kündigungsrecht auch nach dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen. Indem der Arbeitgeber die Pflichtverletzungen zunächst nicht abgemahnt hat, hat er einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass das arbeitnehmerseitige Verhalten entweder gar keine oder zumindest keine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellt. Daher wäre eine Kündigung, gestützt auf das zunächst tolerierte Verhalten, widersprüchlich. Hinsichtlich des durch die Abmahnungen provozierten Verhaltens käme man wie zuvor beschrieben in der Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass die Schwelle der Unzumutbarkeit, die für den Arbeitgeber zu dessen Lasten nach oben verschoben
368 369 370
ArbG Kiel, Urt. v. 16. 01. 1997 – 5d Ca 2306/96 – juris. ArbG Kiel, Urt. v. 16. 01. 1997 – 5d Ca 2306/96 – juris. ArbG Kiel, Urt. v. 16. 01. 1997 – 5d Ca 2306/96 – juris.
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ist, nicht erreicht ist. Tendenziell wäre daher eine Kündigung, die auf einer provozierten Pflichtverletzung des Arbeitnehmers beruht, unwirksam.
II. Alleinige Verantwortung durch Provokation Wie sich aus den vorherigen Darstellungen ergibt, ist bei den Fällen, die die Ausübung des Weisungsrechts betreffen, zwischen drei Konstellationen zu unterscheiden. In der einen Konstellation ist die Weisung offensichtlich rechtswidrig oder „unbillig“, so dass deren Nichtbefolgung seitens des Arbeitnehmers keine Pflichtverletzung darstellt und daher keine Kündigung rechtfertigen kann.371 Eine weitere im Zusammenhang mit der Ausübung des Weisungsrechts stehende Konstellation ist das Organisationsverschulden des Arbeitgebers, das im anschließenden Gliederungspunkt dargestellt wird.372 Hier geht es um die Folgen einer Weisung, mit der der Arbeitgeber eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers in Form eines aktiven Tuns bezweckt. In diese Kategorie sind auch die Fälle mit aufzunehmen, in denen sich Arbeitgeber Dritter bedienen, die sie als Lockspitzel einsetzen.373 In einem ersten Gedankenschritt ist festzuhalten, dass unabhängig vom Arbeitgeberverhalten ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen die vertraglichen Pflichten vorliegt. Zudem handelt der Arbeitnehmer willentlich, so dass an sich er die Störung zu verantworten hätte. So wie z. B. im Fall des bereits oben näher beschriebenen Sparkassenleiters, der sich zu einer Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen verleiten ließ.374 Das Verhalten des Arbeitnehmers basiert auf dessen autonom gefassten Willensentschluss. Trotz der Umstände hätte er sich nicht provozieren lassen dürfen. Ein anderes Verhalten, Ruhe zu bewahren, wäre möglich und zumutbar gewesen. Der Arbeitnehmer hätte sich, sofern vorhanden, an im Betrieb zuständige Vertrauensleute oder an den Betriebsrat wenden oder ggf. gerichtlich versuchen müssen, seinen Unterlassungsanspruch durchzusetzen. Ein Selbsthilferecht besteht nur unter engen Voraussetzungen, so dass sich, sofern diese nicht gegeben sind, der Arbeitnehmer abseits des Rechts begibt. Auch eine Provokation durch den Arbeitgeber entbindet den Arbeitnehmer nicht von der Einhaltung seiner eigenen Pflichten. Der Versuch, einen Kollegen zu schlagen, stellt also eine vorsätzliche Pflichtverletzung dar. Damit ist die Analyse der arbeitnehmerseitigen Verantwortung für die Interessenabwägung aber noch nicht abgeschlossen. Auf der Ebene der Schuld wirkt sich aus, dass das Verhalten des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber mit zu verantworten ist. Ähnlich der mittelbaren Täterschaft nutzt der Arbeitgeber sein überlegenes Wissen über die geschaffenen Umstände, die den Arbeitnehmer zu einer kündigungsrele371
Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. II. 2. Siehe Dritter Teil unter § 7 A. III. 373 Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. IV. 1. 374 Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. II. 2. a); LAG Thüringen, Urt. v. 10. 04. 2001 – 5 Sa 403/ 2000 – NZA-RR 2001, 347. 372
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
vanten Pflichtverletzung veranlassen sollen. Entweder wird entsprechend dem Gedanken der Anstiftung nach § 26 StGB das fremde Ausführungsverhalten zugerechnet, wenn der Arbeitgeber seinen Willen vorher kommuniziert oder bei verdecktem Handeln – so wie im vorliegenden Fall – erfolgt die Zurechnung gem. § 25 I, 2. Var. StGB entsprechend dem Gedanken der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft.375 Das überlegene Wissen begründet eine Tatherrschaft, von der der Tatmittler nichts weiß, die aber bewirkt, dass der Hintermann so zu behandeln ist, als habe er selbst die Ausführungshandlung verwirklicht.376 Daher hat der Arbeitgeber, der durch seine Weisungen vorsätzlich den Arbeitnehmer dazu veranlasst, sich pflichtwidrig zu verhalten, die am Ende der Kausalkette stehende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zu verantworten. Es tritt genau das ein, was vom Arbeitgeber mit den Weisungen bezweckt war. Das Handeln des Arbeitnehmers ist aufgrund dessen Eingliederung in die Organisationsstrukturen des Arbeitgebers für diesen vorhersehbar und steuerbar. Erhöhte Arbeitsbelastung, schikanöse Weisungen, die darauf angelegt sind, dass sich der Betroffene in Affektsituationen, in denen er die Beherrschung verliert aber dennoch verschuldensfähig ist, sich in rechtswidriger Weise zur Wehr zu setzen versucht, sind solche Umstände, die das Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverhalten verbindende Band darstellen. Die absichtliche Ausübung des Weisungsrechts, um den Arbeitnehmer zu einer Pflichtverletzung zu provozieren, oder die billige Inkaufnahme, dass sich der Arbeitnehmer durch die Arbeitsumstände zu Pflichtverletzungen verleiten lässt, haben zur Folge, dass sich der Arbeitgeber die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers als eigene zurechnen lassen muss. Der in diesen Fällen die Zurechenbarkeit des Arbeitnehmerverhaltens rechtfertigende Grund ist auf objektiver Ebene die Ursächlichkeit der durch Ausübung des Weisungsrechts entstandenen Umstände und auf subjektiver Ebene der mit der Weisung verfolgte Zweck. Zum entsprechenden Ergebnis gelangt man auch unter Zugrundelegung des Gedankens, nach dem in den sog. Herausforderungsfällen die Zurechenbarkeit nicht durch das eigene Verhalten des Geschädigten durchbrochen wird. Dies ist der Fall, wenn sich der Geschädigte durch das Verhalten des Schädigers herausgefordert fühlen durfte. Voraussetzung dafür ist, dass durch die Herausforderung ein gesteigertes Risiko geschaffen wird und dass das darauf folgende Verhalten des Geschädigten auf einer billigenswerten Motivation beruht.377 Dies zeigt, dass dem Schädiger sogar Willensentscheidungen des Geschädigten zugerechnet werden können, die dieser unter den vom Schädiger geschaffenen Umständen getroffen hat. Da diese Grundsätze in Fällen angewendet werden, in denen der Schädiger die Herausforderungssituation durch fahrlässiges Verhalten herbeiführt, können sie erst recht 375
Fischer, § 25 StGB Rn. 11 ff. m. w. N. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 StGB Rn. 8 m. w. N. 377 BGH, Urt. v. 31. 01. 2012 – VI ZR 43/11 – NJW 2012, 1951, 1952; BGH, Urt. v. 13. 07. 1971 – VI ZR 125/70 – NJW 1971, 1980, 1981; BGH, Urt. v. 24. 03. 1964 – VI ZR 33/63 – NJW 1964, 1363, 1364; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25. 04. 2017 – 10 U 173/15 – NJW-RR 2017, 1055, 1056; Larenz, SchuldR AT, § 27 III b; MünchKomm BGB/Oetker, § 249 Rn. 170 ff. 376
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herangezogen werden, wenn die Herausforderungslage vorsätzlich herbeigeführt wird. Denn so liegt es hier, dadurch, dass der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen so zum Nachteil des Arbeitnehmers ändert, dass ihn diese stressen und er sich davon unter Druck gesetzt fühlt, schafft der Arbeitgeber Umstände, die den Arbeitnehmer zu Fehlentscheidungen verleiten sollen. Darin liegt die Herausforderungslage. Das vom Arbeitnehmer zu Tage gelegte pflichtwidrige Verhalten ist nicht nur nachvollziehbare Folge des Arbeitgeberverhaltens, es ist sogar von diesem bezweckt. Die Grenze der Zurechenbarkeit des Arbeitnehmerverhaltens als Reaktion auf das Arbeitgeberverhalten stellen (erst) völlig unangemessene Verhaltensweisen dar, die über das hinausgehen, was vom Arbeitgeber bezweckt wurde, und für diesen unvorhersehbar waren, wie im Beispiel die Zerstörung von Teilen des Betriebs. Trägt der Arbeitgeber hingegen Mitverantwortung für die Pflichtverletzung, wirkt sich dies folgendermaßen auf sein Kündigungsrecht aus: Das Kündigungsrecht wegen verhaltensbezogener Störungen basiert auf dem Gedanken, dass die Störung schuldhaft vom Arbeitnehmer verursacht wurde. Das Verschulden des Arbeitnehmers ist aber in solchen Fällen neu zu bewerten, in denen der Arbeitgeber kraft überlegenen Wissens und unter Ausnutzung der betrieblichen Strukturen das Verhalten des Arbeitnehmers zum Zwecke seiner Kündigungsabsicht lenkt. Das Verschulden des Arbeitnehmers entfällt zwar nicht, dadurch, dass der Arbeitgeber die Pflichtverletzung bezweckt. Dadurch, dass die Pflichtverletzung aber auch dem Arbeitgeber zurechenbar ist, nimmt die Vorwerfbarkeit gegenüber dem Arbeitnehmer ab. Dem Arbeitnehmer fehlt einerseits das Wissen, dass er bewusst Umständen ausgesetzt wird, die zu einem vertragswidrigen Verhalten veranlassen sollen. Zudem manifestiert sich in der Störung exakt das vom Arbeitgeber bezweckte Verhalten. In gewisser Weise lässt sich darin ein Einverständnis des Arbeitgebers sehen. Jedenfalls muss sich der Arbeitgeber vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes an seinem Handeln festhalten lassen. Dies folgt auch aus dem Rechtsgedanken der Vorschrift § 116 S. 1 BGB, wonach der geheime Vorbehalt, das Erklärte nicht zu wollen, nicht zur Nichtigkeit der Willenserklärung führt. Übertragen auf die provozierte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers bedeutet dies, dass der Arbeitgeber im Nachhinein dadurch, dass er diese als Kündigungsgrund verwendet, nicht erklären kann, diese nicht gewollt zu haben. Denn der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer zu dem kündigungsrelevanten Verhalten veranlasst. Da sich der Arbeitnehmer so verhalten hat, wie es der Arbeitgeber beabsichtigt hat, kann er sich nicht auf einen Vertrauensverlust berufen. Zudem ist aufgrund des verschärften Maßstabs die Zumutbarkeitsgrenze hoch anzusetzen und die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers diesem nur in verringertem Umfang vorwerfbar. Das führt dazu, dass die Störung für den Arbeitgeber am Ende nicht unzumutbar erscheint. Daher besteht das Recht des Arbeitgebers zur Kündigung nicht.
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III. Überwiegende Verantwortung wegen Organisationsverschuldens Das Organisationsverschulden beschreibt Situationen von arbeitgeberseitigem Fehlverhalten hinsichtlich der Betriebsführung, der Koordinierung von Betriebsabläufen, der Bestimmung der Arbeitsordnung etc. Ein Organisationsverschulden des Arbeitgebers kann im Zusammenhang mit arbeitnehmerseitigen Pflichtverletzungen, insbesondere solchen die leistungsbezogen sind, stehen. Auswirkungen auf die Arbeit des Arbeitnehmers hat es zum Beispiel, wenn es der Arbeitgeber (fahrlässigerweise) unterlässt, bestimmte Weisungen zu erteilen, die für die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer notwendig wären. Entspricht die Arbeitsleistung dadurch nicht dem gewünschten Ergebnis, weil dem Arbeitnehmer seitens des Arbeitgebers bestimmte Informationen nicht erteilt wurden, ist das schlechte Arbeitsergebnis auch dem Arbeitgeber zuzurechnen. Der Arbeitgeber hat es auch zu verantworten, wenn er durch seine Weisungen Arbeitsbedingungen schafft, die die Arbeitsleistung fehleranfälliger machen. Zur Verantwortung des Arbeitgebers für die Organisation der betrieblichen Abläufe gehört insbesondere das Anlernen und Einweisen in die Bedienung bestimmter Geräte oder in die Durchführung bestimmter Arbeitsvorgänge. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber zur Überprüfung seiner von ihm auszubildenden Beschäftigten verpflichtet. Kommt der Arbeitgeber dieser Aufgabe nicht oder nur unzureichend nach, hat dies unmittelbare Folgen dafür, ob seine Beschäftigten in der Lage sind, ihre Arbeit ordnungsgemäß, entsprechend ihren vertraglichen Verpflichtungen, zu erfüllen. Beiderseitige Verantwortung für eine Pflichtverletzung liegt z. B. im nachfolgenden Fall vor. Der Rechtsstreit über eine außerordentliche Kündigung basierte darauf, dass ein an Diabetis erkrankter Oberarzt sechs Stunden ohne Pause gearbeitet hatte, obwohl er zur Nahrungsaufnahme zwecks Vermeidung eines Zuckerschocks auf regelmäßige Pausen angewiesen war, als ein erneuter Notfallpatient eingeliefert wurde.378 Wegen der Notwendigkeit einer Mittagspause lehnte er die Behandlung des Patienten vorerst ab, womit er seine vertraglichen Pflichten verletzte und welches der Arbeitgeber zum Anlass der Kündigung nahm. Die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers überschreitet die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze jedoch nicht. Denn der Arbeitgeber hat es durch sein Organisationsverschulden zu verantworten, wenn in diesen Fällen, in denen gesetzlich und zur Gewährleistung einer sicheren Patientenversorgung Pausen gemacht werden müssen, keine Vertretung des Arztes organisiert ist. Ferner führt es zum Organisationsverschulden, wenn der Arbeitgeber Sonderwissen, bestimmte Arbeitsmaterialien und Geräte etc. vorenthält. Dann fehlen die Voraussetzungen dafür die Arbeitsleistung wie geschuldet erbringen zu können. Wie sehr die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung mit der Arbeitsorganisation des 378 LAG Rheinland-Pfalz v. 11. 04. 2005 – 7 Sa 1/05 – juris; der Entscheidung zustimmend APS/Vossen, § 626 Rn. 209.
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Arbeitgebers zusammenhängt, zeigt der Fall der Ärztin, die mangels Hinweises auf die elektronische Abrufmöglichkeit die Laborwerte eines stationär neu aufgenommenen Patienten nicht geprüft hatte und dieser schwere Gesundheitsschädigungen erlitt.379 Der Arbeitgeber hat also nicht nur im eigenen Interesse die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringen kann, sondern ist gegenüber dem Arbeitnehmer sogar dazu verpflichtet. Das folgt aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 1 GG i. V. m. Art. 2 I GG), aus dem die Beschäftigungspflicht hergeleitet wird (§§ 611a, 613, 242 BGB). Ausgehend von dem fahrlässigen Verhalten der behandelnden Ärztin käme man zu dem Ergebnis, dass diese allein die Pflichtverletzung zu verantworten hätte. Ein wichtiges Detail, das die Verantwortungsverteilung grundlegend ändert, ist, dass der Ärztin seitens der Krankenhausleitung, vertreten durch ihre unmittelbaren Vorgesetzten, den Ober- und Chefarzt, nicht mitgeteilt wurde, dass mit Einführung eines EDV-Systems eine elektronische Abrufmöglichkeit für Laborwerte geschaffen wurde, der schriftliche Ausdruck also nicht mehr abgewartet werden musste. Aus Sicht der Ärztin sah es so aus, als hätte das Labor die Daten noch nicht übersandt, während die Daten tatsächlich elektronisch abrufbar waren, was zwar nichts daran ändert, dass die Ärztin von sich aus hinsichtlich des Verbleibs hätte nachfragen müssen. Da der Ärztin die elektronische Abrufmöglichkeit nicht bekannt gegeben wurde, kann dieser die Pflichtverletzung nicht vorgeworfen werden, weil ein fahrlässiger Pflichtenverstoß das Erkennenkönnen und die Möglichkeit des normgemäßen Verhaltens voraussetzt. Das Mitverschulden der Vorgesetzten, in Form der unterlassenen Unterrichtung, hat zur Folge, dass der Ärztin das normgemäße Verhalten, das Einsehen der Laborwerte am Computer weder möglich noch erkennbar war. Hinzu kommt, dass es sich bei der Ärztin um eine unter der Aufsicht des Chef- und Oberarztes stehende Assistenzärztin handelte, die ihrerseits ebenfalls die Übersendung der Laborwerte nicht veranlassten, obwohl ihnen bei der Visite die leere Patientenakte hätte auffallen müssen. Daher sind für die Gesundheitsschädigung des Patienten drei Verantwortungsstränge auseinanderzuhalten: Die Fehlentscheidung der Ärztin, das Vorhalten von Sonderwissen über die technischen Gegebenheiten und die Verletzung der Ausbildungs- und Überwachungspflicht durch die Vorgesetzten. Damit ist die Herkunft der Störung des Arbeitsverhältnisses, die fehlerhafte Behandlung des Patienten, nicht mehr allein in der Sphäre der zu kündigenden Ärztin zu verorten. Wie bei der personenbedingten Kündigung ist dies durch die Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze in die Interessenabwägung einzubeziehen. Der Ansatz380, wonach 379 Siehe Zweiter Teil unter § 3 C. I.; LAG Düsseldorf, Urt. v. 04. 11. 2005 – 9 Sa 993, 05 – DB 2006, 455, 456. 380 Kothe/Weber, jurisPR-ArbR 23/2009 Anm. 1. Grund für diesen Ansatz lieferte eine Entscheidung des BAG, Urt. v. 17. 01. 2008 – 2 AZR 536/06 – NZA 2008, 693, 695, in der es um eine verhaltensbedingte Kündigung wegen qualitativer Minderleistung ging. Die Minderleis-
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
das Organisationsverschulden auf Ebene der Störung zu berücksichtigen sein soll, überzeugt nicht. Danach soll das Organisationsverschulden des Arbeitgebers zu einer Absenkung des Leistungsmaßstabs führen, so dass letzten Endes keine zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung seitens des Arbeitnehmers vorliegt. Zur Ermittlung, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, ist richtigerweise auf die arbeitsvertragliche Vereinbarung und nicht auf das seinerseits vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers abzustellen. Die fehlende Arbeitsorganisation seitens des Arbeitgebers ist eine Frage des Vertretenmüssens der Pflichtverletzung und daher in der Interessenabwägung zu berücksichtigen.381 Dies führt neben dem verschärften Maßstab dazu, dass der Pflichtverstoß als weniger schwerwiegend zu werten ist. Dies liegt nicht daran, dass fremdes Verschulden eigenes Verschulden „kompensiert“.382 Der Grund für die andere Gewichtung innerhalb der Interessenabwägung ist die konsequente Anwendung der Zurechnungsregeln auf jedes als ursächlich für die Pflichtverletzung in Betracht kommende Verhalten, welches Ausprägung des Gleichbehandlungsgebots ist, wonach jedes kausale, schuldhafte Handeln zu berücksichtigen ist. Somit ergibt sich das individuelle Verschulden aus der Gesamtschau mit den anderen Verursachungsbeiträgen, wobei sich der konkrete Verschuldensanteil sowohl abhängig von der Schwere der Pflichtverletzung als auch der Verschuldensform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) bemisst. Wenn das Organisationsverschulden darin besteht, dass notwendige Kenntnisse nicht vermittelt werden, kann es dazu führen, dass das Verschulden des Arbeitnehmers entfällt oder dass das Fehlverhalten weniger vorwerfbar ist. Übertragen auf den vorliegenden Fall heißt das, dass angesichts der Lebensgefahr, der der Patient ausgesetzt war, das Handeln der Ärztin, nach dem Verbleib der Laborwerte nicht nachzufragen zunächst als schwerwiegender Pflichtverstoß einzuordnen ist. Allerdings ist ferner in der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber die Ausbildung der Ärztin übernommen hatte. Dadurch erhöhen sich die im Vergleich zu „normalen“ Arbeitnehmern bestehenden Einweisungs- und Überwachungspflichten. Der Arbeitgeber ist verpflichtet die zur Erbringung der Arbeitsleistung nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Das Weisungsrecht kann nur entsprechend der vorhandenen Fähigkeiten und Eignung des Arbeitnehmers ausgeübt werden. Zu Beginn der Übernahme der Tätigkeit wäre vorliegend daher noch eine intensivere Betreuung und Überwachung erforderlich gewesen, zumal der Krankenhausträger im Verhältnis zu den Patienten eine fachärztliche Behandlung schuldete, während die behandelnde Ärztin lediglich Assistenzärztin war. In Anbetracht dessen relativieren sich die Verantwortungsanteile für die Störung erheblich. tung sei nach Ansicht von Kothe/Weber das Ergebnis unzureichender Arbeitsorganisation und stelle daher keine Äquivalenzstörung dar. 381 LAG Düsseldorf, Urt. v. 04. 11. 2005 – 9 Sa 993, 05 – DB 2006, 455, 456. 382 Siehe Dritter Teil unter § 4 A. II.
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Dadurch, dass der Arbeitgeber seiner Ausbildungs- und Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist, hat er die Pflichtverletzung sowohl mitverursacht als auch nicht verhindert, wobei im vorliegenden Fall das Unterlassen schwerer wiegt als die Mitverursachung durch die unterbliebene Einweisung. Trotz ihres Status als Assistenzärztin hätte die Ärztin erkennen können und müssen, dass die Laborwerte abgefragt werden müssen, weswegen die unterbliebene Einweisung die arbeitnehmerseitige Verantwortung insoweit nur leicht verringert. Dadurch, dass es die die Assistenzärztin weiter ausbildenden Ärzte unterlassen haben, selbst die Laborwerte anzufordern, wozu sie ebenfalls wegen ihrer eigenen Pflichten und ihrer Überwachungspflichten verpflichtet gewesen wären, hat sich deren Pflichtverletzung ebenfalls in der Störung manifestiert. Das Unterlassen wiegt in diesem Fall insofern besonders schwer, als dass durch ein Einschreiten der Ober- und Chefärzte die Fürsorgepflichtverletzung gegenüber dem Patienten noch hätte abgewendet werden können. Aufgrund ihrer Stellung als Überwachungsgaranten gegenüber der Assistenzärztin hätten die Ober- und Chefärzte korrigierend einschreiten und verhindern müssen, dass sich der Fehler der Assistenzärztin zum Nachteil des Patienten auswirkt. Dadurch, dass sie dies unterlassen haben, haben sie eine neue Kausalität in Gang gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist die Verantwortungsverteilung hinsichtlich der Störung des Arbeitsverhältnisses folgendermaßen zu beurteilen. In einem ersten Schritt ist festzuhalten, dass eine Pflichtverletzung gegenüber einem Patienten stets auch eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt. Daher ist bei der Beurteilung der Schwere der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung auch zu berücksichtigen, wie sich die Pflichtverletzung auf die Versorgung des Patienten ausgewirkt hat. Ausgehend davon, dass unter den beschriebenen Umständen die Fürsorgepflichtverletzung gegenüber dem Patienten durch die behandelnden Ober- und Chefärzte noch abwendbar war, liegt die Verantwortung für die Fürsorgepflichtverletzung wegen überholender Kausalität beim Arbeitgeber, der sich das Handeln seiner Ober- und Chefärzte zurechnen lassen muss. Damit verbleibt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung durch die Assistenzärztin, dadurch, dass sie nicht nach den Laborwerten gefragt hat, die jedoch nicht mit kausal für die Fürsorgepflichtverletzung des Patienten geworden ist. Dass die Assistenzärztin es daneben unterlassen hat, die Laborwerte am Computer einzusehen, stellt keine schuldhafte Pflichtverletzung dar, da ihr diese technische Möglichkeit seitens des Arbeitgebers zuvor nicht genannt worden war. Damit lassen sich die Folgen eines Organisationsverschuldens dahingehend zusammenfassen, dass es dazu führen kann, dass eine neue Kausalität in Gang gesetzt wird, die die Kausalität der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers überholt. Es kann dazu führen, dass einem Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung nicht vorgeworfen werden kann, wenn dieser mangels Einweisung, Schulung oder Aufklärung keine Kenntnis von bestimmten Vorgängen haben kann. Es kann dazu führen, dass sich das Verschulden des Arbeitnehmers hinsichtlich der Pflichtverletzung verringert, wenn die Pflichtverletzung auch dem Arbeitgeber zurechenbar ist. Das wiederum führt
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dazu, dass sich die Gewichtung der Interessen zu Gunsten des Arbeitnehmers dadurch verschiebt, dass einerseits die Grenze der Zumutbarkeit angehoben wird und andererseits der Pflichtverletzung weniger Bedeutung einzuräumen ist, da sie dem Arbeitnehmer weniger vorwerfbar ist.
IV. Überwiegende Verantwortung durch Einwilligung in Compliance-Verstöße Die Kündigung wegen Compliance-Verstößen und das Mitverschulden des Arbeitgebers daran ist Inhalt dieses Abschnitts. Anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung wird nachfolgend die arbeitgeberseitige Verantwortung in diesen Fällen dargelegt. Ob das Kündigungsrecht hier besteht, entscheidet sich entweder wie in den meisten Fällen in der Interessenabwägung oder alternativ kann es vorkommen, dass das Verhalten des Arbeitgebers die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers entfallen lässt. Wie am Ende des Abschnitts näher dargelegt wird, sind Überschneidungen mit Fallgruppen von § 242 BGB denkbar, so dass sich die Wirksamkeit der Kündigung auch danach richten kann. Unter Compliance sind Maßnahmen zur Einhaltung aller, das Unternehmen betreffenden Gesetze, Standards und selbstgeschaffenen Regeln durch die Beschäftigten zu verstehen.383 Von Vorständen einer Aktiengesellschaft wird gem. § 91 II AktG verlangt, dass diese ein „Überwachungssystem“ einrichten. Ansonsten enthält das nationale Recht kaum Vorgaben für unternehmensinterne ComplianceStrukturen. Üblich ist die Einführung eines Verhaltenskodexes in Form einer Betriebsvereinbarung.384 Liegt ein Compliance-Verstoß eines Beschäftigten vor, bedeutet dies also, dass dieser gegen die unternehmensinternen Verhaltensrichtlinien zur Vermeidung von objektiv rechtswidrigem Verhalten verstoßen hat. Zudem kann es sein, dass das Verhalten des Arbeitnehmers einen Straftatbestand erfüllt, beispielsweise bei der Annahme oder Zahlung von Bestechungsgeldern (§ 299 StGB). Zwingend ist die Verwirklichung eines Straftatbestandes durch den Arbeitnehmer für ein compliancewidriges Verhalten nicht. 1. Compliance-Verstöße, die einen Straftatbestand erfüllen Begeht ein Beschäftigter eine Straftat und verstößt sein Verhalten gleichzeitig gegen die internen Compliancerichtlinien, z. B. wettbewerbsbeschränkende Abreden oder Bestechung zwecks Erhalts eines Auftrags, stellt dies eine an sich zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung dar, ungeachtet von der Frage, ob der Ar-
383
Schaub/Koch, Arbeitsrecht, Compliance; Kreßel, NZG 2018, 841. Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1508; Kreßel, NZG 2018, 841 ff.; mit weiteren Beispielen Sonnenberg, JuS 2017, 917 ff. 384
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beitnehmer die Straftat „zu Gunsten“ des Unternehmens begangen hat.385 Dass Vorgesetzte davon Kenntnis haben, die Pflichtverletzung mittragen oder den Arbeitnehmer dazu veranlasst haben, beseitigt den Tatbestand der Pflichtverletzung nicht.386 Denn das Vorliegen einer Pflichtverletzung bestimmt sich nach objektiven Maßstäben, aus Sicht eines objektiven Betrachters in der Rolle eines verständigen Arbeitgebers.387 Danach stellt jedes Verhalten, das „dem Betrieb abträglich“388 ist, einen Verstoß gegen die arbeitnehmerseitige Treuepflicht dar. Dazu gehören Straftaten, auch wenn der Arbeitnehmer nicht eigennützig handelt. Denn dadurch droht nicht nur dem Arbeitnehmer selbst eine Strafverfolgung, sondern auch dem Arbeitgeber als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe. Wird z. B. eine Schwarze Kasse gebildet, liegt nach Ansicht der Rechtsprechung Untreue vor.389 Das vom Beschäftigten verfolgte Ziel, dem Unternehmen lukrative Aufträge zu verschaffen, kompensiert den Vermögensschaden nicht.390 Zudem kann das Verhalten vielerlei Sanktionen für das Unternehmen nach sich ziehen. Nach §§ 30 I, III, 17 IV OWiG drohen Bußgelder und Gewinnabschöpfung. Nach § 2 I Nr. 1 VOB/A bzw. § 2 I 1 VOL/A dürfen solche Unternehmen nicht mehr im Verfahren an der Vergabe öffentlicher Aufträge beteiligt werden. Gleiches gilt nach § 97 IV GWB. Auch nach internationalem Recht (z. B. US Foreign Corrupt Practises Act; UK Bribery Act) können Geldstrafen verhängt werden. Hinzu können Rufschäden, Imageverluste und Nachfragerückgänge kommen, weswegen aus objektiver Sicht strafbares Verhalten eines Arbeitnehmers, auch wenn sich dieser nicht auf Kosten des Arbeitgebers bereichert, als Pflichtverletzung zu werten ist.391 Ausschlaggebend für das Recht des Arbeitgebers zur Kündigung ist nicht allein das Vorliegen einer Pflichtverletzung, sondern das in der Interessenabwägung zu berücksichtigende Verschulden. Hat sich der Arbeitgeber in Person seiner Vertreter, die Vorgesetzte des Arbeitnehmers sind, so verhalten, dass der Arbeitnehmer zu der Annahme berechtigt war, sein compliancewidriges Handeln werde geduldet bzw. sei sogar erwünscht, liegt arbeitgeberseitiges Mitverschulden vor, das den Verschuldensanteil des Arbeitnehmers mindert. Für arbeitgeberseitiges Mitverschulden in Form des Organisationsverschuldens genügt es, wenn dieser ein nur unzureichendes
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BAG, Urt. v. 17. 03. 2005 – 2 AZR 245/04 – NZA 2006, 101, 104; BAG, Urt. v. 17. 08. 1972 – 2 AZR 415/71 – AP BGB § 626 Nr. 65; ErfK/Preis, § 611 Rn. 722 f., ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 210 mit Verweis auf ErfK/Niemann, § 626 Rn. 98, 98a. 386 BAG, Urt. v. 21. 05. 2015 – 8 AZR 116/14 – NZA 2015, 1517, 1519; LAG Düsseldorf, Urt. v. 27. 11. 2015 – 14 Sa 800/15 – BeckRS 2016, 65558, Rn. 182. 387 APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 265, 271; Benecke/Groß, BB 2015, 693, 694; Steinkühler/ Kunze, RdA 2009, 367, 368 f. 388 BAG, Urt. v. 16. 08. 1990 – 2 AZR 113/90 – NZA 1991, 141, 142. 389 BGH, Urt. v. 29. 08. 2008 – 2 StR 587/07 – NJW 2009, 89, 91 f. 390 BGH, Urt. v. 29. 08. 2008 – 2 StR 587/07 – NJW 2009, 89, 92. 391 Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 243; Eufinger, CCZ 2017, 130, 133; Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 370.
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Compliancesystem eingeführt hat oder sich nicht um dessen Einhaltung kümmert.392 Entsprechend dem Ausmaß der Verantwortung, von aktiver Beteiligung bis hin zur Passivität, ist die arbeitgeberseitige Verantwortung in der Interessenabwägung zu gewichten. Auf Seiten des Arbeitnehmers kann sich ein Verbotsirrtum schuldmindernd auswirken. Indem der Arbeitgeber eine bestimmte Weisung ausspricht, z. B. Geld zur Auftragsunterstützung zahlt393, oder trotz Kenntnis nicht einschreitet, suggeriert er, dass das Verhalten des Arbeitnehmers akzeptiert werde und rechtens sei. Dennoch entlastet dies den Arbeitnehmer nicht davon, sein Handeln im Hinblick auf allgemeingültige Normen zu prüfen. Gerade bei strafrechtlicher Relevanz des Verhaltens trifft ihn eine Nachforschungsobliegenheit. Regelmäßig wird es sich deshalb um einen vermeidbaren Verbotsirrtum auf Seiten des Arbeitnehmers handeln. Die Vermeidbarkeit des Irrtums hat zur Folge, dass das Verhalten des Arbeitnehmers nicht als schuldlos, aber fahrlässig zu bewerten ist. Bei nur fahrlässigem Arbeitnehmerverhalten wird man tendenziell sagen können, dass das Verschulden des Arbeitgebers, wenn dieser keine hinreichenden Organisationsmaßnahmen getroffen oder bereits compliancewidriges Verhalten in der Vergangenheit toleriert hat, größer ist als das des Arbeitnehmers.394 Um das Maß des Verschuldens des Arbeitnehmers näher bestimmen zu können, kommt es auf weitere Einzelheiten, wie die Position im Betrieb und damit einhergehende Entscheidungsbefugnisse an. Allgemein lässt sich wohl sagen, dass der Verschuldensgrad umso geringer ist, je weniger eigene Entscheidungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer hat. Je weitreichender dessen Befugnisse sind, je näher die Position in der Unternehmenshierarchie an die des Arbeitgebers angesiedelt ist, desto größer ist hingegen der Verantwortungsanteil des Arbeitnehmers.395 Zu Gunsten des auf Weisung handelnden Arbeitnehmers ist zu berücksichtigen, dass, obwohl diese Weisungen unwirksam sind und vom 392
Eufinger, CCZ 2017, 130, 135. BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11 – NZA 2013, 199, 201. 394 ErfK/Niemann, § 626 BGB Rn. 98a (gilt entsprechend für die Interessenabwägung bei der ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 204, 210); MünchKomm BGB/Henssler, § 626 Rn. 179 f.; Eufinger, CCZ 2017, 130, 135; ders., DB 2016, 471, 475; Benecke/Groß, BB 2015, 693, 695; a. A. Dzida, NZA 2012, 881, 883; Kolbe, NZA 2009, 228, 231 die die drohenden Strafzahlungen als das Verschulden des Arbeitnehmers erschwerend ansehen und deswegen dessen Verschulden in der Interessenabwägung mehr Gewicht einräumen wollen. 395 So hing die Wirksamkeit einer (außerordentlichen) Kündigung eines bei Audi als Abteilungsleiter der Dieseltechnik beschäftigten Ingenieurs davon ab, ob dieser auf Anweisung des Top-Managements gehandelt hat. Siehe hierzu Süddeutsche Zeitung vom 29. 08. 2017 abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/abgasaffaere-schweigen-und-aussit zen-1.3643606 – zuletzt abgerufen am 06. 12. 2017 und Süddeutsche Zeitung vom 26. 09. 2017 abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/diesel-affaere-teilerfolg-fuer-audi-1.3683 659 – zuletzt abgerufen am 06. 12. 2017. Inzwischen wurde der Streit durch außergerichtliche Einigung beigelegt. Siehe Wirtschaftswoche vom 22. 07. 2018 abrufbar unter https://www. wiwo.de/unternehmen/auto/abgasskandal-audi-zahlt-ex-ingenieur-millionen-abfindung/227232 74.html – zuletzt abgerufen am 05. 10. 2018. 393
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Arbeitnehmer nicht hätten befolgt werden müssen, sich der Arbeitnehmer in einer Zwangssituation befindet. Aus Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, verzichtet dieser im Zweifel darauf Konflikte mit dem Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis auszutragen. Widersprüchlicher wird das Arbeitgeberverhalten und damit für den Arbeitnehmer noch schwieriger einzuordnen, wenn der Arbeitgeber einerseits Complianceschulungen abhält, auf Anti-Korruptionsrichtlinien des eigenen Regelwerks hinweist, andererseits aber weiterhin Geld zur „Auftragsunterstützung“ zahlt, das für Kundenbetreuung ausgegeben werden soll.396 Für einen solchen Fall hat das BAG einen unvermeidbaren Verbotsirrtum seitens des Arbeitnehmers angenommen.397 Immer dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, „dass einem Arbeitnehmer von seinem Vorgesetzten ein den des Unternehmens Antikorruptionsrichtlinien widersprechendes Verhalten gestattet wird“398, ist anzunehmen, dass der Irrtum für den Arbeitnehmer unvermeidbar ist. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass die Vorgesetzten über das Regelwerk disponieren dürfen. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Vorgesetzten kollusiv zusammenwirkt. Bei Unvermeidbarkeit des Irrtums hat der Arbeitnehmer jedenfalls schuldlos gehandelt, so dass kein Kündigungsgrund besteht. Liegt zwar schuldhaftes Arbeitnehmerverhalten vor, das aber aufgrund des Mitverschuldens des Arbeitgebers als weniger schwerwiegend zu beurteilen ist, reicht dies tendenziell nicht aus, um die erhöhten Anforderungen an die Unzumutbarkeit im Rahmen der Interessenabwägung aufzuwiegen. Daher besteht auch hier kein Kündigungsrecht. 2. „Nur“ compliance-widriges Verhalten Hat der Arbeitnehmer nur gegen das unternehmensinterne Regelwerk verstoßen, liegt also kein strafbares Verhalten vor, wirkt sich die Beteiligung des Arbeitgebers am Compliance-Verstoß folgendermaßen aus. Indem der Arbeitgeber durch aktive Beteiligung oder durch das Tolerieren ihm bekannter Compliance-Verstöße seine Akzeptanz vermittelt, setzt er die Maßstäbe seines eigenen Regelwerks außer Kraft. Folglich können diese keine Pflichtverletzung mehr wegen vertragswidrigen Verhaltens begründen. Geht das dem Arbeitnehmer suggerierende Verhalten, die Compliance-Verstöße würden vom Arbeitgeber gebilligt, von einem dem Arbeitnehmer zwar vorgesetzten Beschäftigten aus, der selbst nicht dazu befugt ist, über das unternehmensinterne Regelwerk zu entscheiden, unterliegt der Arbeitnehmer, der auf die Wirksamkeit der Einwilligung seines Vorgesetzten vertraut, einem Verbotsirrtum. Die Folge davon ist, 396 397 398
BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11 – NZA 2013, 199, 201. BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11 – NZA 2013, 199, 201. BAG, Urt. v. 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11 – NZA 2013, 199, 201.
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dass er sich zwar pflichtwidrig, aber bei Unvermeidbarkeit des Irrtums schuldlos verhält. Die Vermeidbarkeit des Irrtums hängt davon ab, ob die fehlende Befugnis seines Vorgesetzten erkennbar war. Regelmäßig wird dem Arbeitnehmer die genaue Kompetenzverteilung innerhalb der Linie nicht bekannt sein. Es wird auch nicht von ihm verlangt, dass er sich mit der Reichweite der Kompetenz seines Vorgesetzten en detail auseinandersetzt. Als Empfänger der Weisung darf der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass diese von den Befugnissen des Erteilenden umfasst ist. Wenn sich also die kompetenzüberschreitende Weisung seines Vorgesetzten dem Arbeitnehmer nicht hätte aufdrängen müssen oder dieser nicht wider besseren Wissens handelt, war der Irrtum für den Arbeitnehmer unvermeidbar. Eine Kündigung ist dann nicht möglich, weil der Arbeitnehmer an der Pflichtverletzung keine Schuld trägt. War der Irrtum hingegen vermeidbar oder hat der Arbeitnehmer vorsätzlich gegen die Compliance-Richtlinien verstoßen, liegt zwar eine dem Arbeitnehmer vorwerfbare Pflichtverletzung vor, wobei zu berücksichtigen ist, inwieweit der Anteil dafür beim Arbeitnehmer und inwieweit beim Arbeitgeber liegt. Dadurch, dass sich die Zumutbarkeitsgrenze wegen des arbeitgeberseitigen Mitverschuldens erhöht hat, kommt es außerdem auf die Schwere der Beeinträchtigung an, ob diese geeignet ist bei geringerer Vorwerfbarkeit die erhöhten Anforderungen an die Unzumutbarkeit aufzuwiegen. 3. Verstoß gegen § 242 BGB Stützt der Arbeitgeber seine Kündigung auf einen infolge des compliancewidrigen Verhaltens eingetretenen Vertrauensverlust, kann die arbeitgeberseitige Beteiligung am Compliance-Verstoß zum Ausschluss des Kündigungsrechts wegen widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB führen. Der grundsätzlichen Annahme, dass sowohl bei Straftaten als auch bei Compliance-Verstößen das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört ist399, ist zuzustimmen. Damit zeigt der Arbeitnehmer durch sein Verhalten, dass er sich bedenkenlos über geltendes Recht hinwegsetzt. Anders ist das Verhalten des Arbeitnehmers zu beurteilen, wenn sich der Arbeitgeber am Compliance-Verstoß beteiligt hat. Denn dann hat er selbst einen Vertrauenstatbestand geschaffen und aufrechterhalten, dass er das comliancewidrige Verhalten des Arbeitnehmers billigt. Da es für einen Vertrauenstatbestand nicht darauf ankommt, dass dieser bewusst hervorgerufen wird, kommt es auch nicht darauf an, dass das Handeln des Arbeitnehmers nur von den unmittelbaren Vorgesetzten geduldet wurde und nicht vom eigentlichen vertretungsberechtigten Organ des Unternehmens, solange diesem das Verhalten der Vorgesetzten zugerechnet werden kann, was der Fall ist, sofern sich der Vorstand des Unternehmens nicht damit entlasten kann, alles zur Vermeidung von Korruption getan zu haben. Aus diesem 399 BAG, Urt. v. 15. 11. 1995 – 2 AZR 974/94 – NZA 1996, 419, 420 f.; BAG, Urt. v. 17. 08. 1972 – 2 AZR 415/71 – AP BGB § 626 Nr. 65.
§ 7 Mitverantwortung für Entstehung verhaltensbedingten Kündigungsgrundes
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Grund kann der Arbeitgeber seine Kündigung nicht damit rechtfertigen, sein Vertrauen in die Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit des Arbeitnehmers verloren zu haben, wenn er zuvor den Arbeitnehmer zum compliancewidrigen Verhalten angewiesen bzw. diesen hat gewähren lassen. Dass er sich daran beteiligt hat, indem er mit dem Arbeitnehmer „gemeinsame Sache gemacht hat“, zeigt, dass er gerade nicht auf die Redlichkeit des Arbeitnehmers vertraut hat. Die Kündigung nun mit einem Vertrauensverlust zu begründen, stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, in Form des daraus abgeleiteten Verbots des venire contra factum proprium dar. Daher ist die Kündigung in einem solchen Fall wegen widersprüchlichen Verhaltens unzulässig.400
B. Erschwerung der Kündigung Mitverantwortung des Arbeitgebers für die Störung, die die Verantwortung des Arbeitnehmers nicht überwiegt, kann sich kündigungserschwerend auswirken. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Störung das Äquivalenzverhältnis betrifft.
I. Höhere Zumutbarkeit hinsichtlich hinzunehmender Störungen Die Art und Weise, wie der Arbeitgeber die Arbeit organisiert, bestimmte Abläufe strukturiert, Arbeitszeiten vorgibt, kann dazu führen, dass sich die Arbeit des Arbeitnehmers in der Qualität verschlechtert oder in der Quantität hinter der geschuldeten Menge zurückbleibt. Die Auswirkungen dieses Organisationsverschuldens weichen von den oben beschriebenen Varianten deshalb ab, weil sich das hier zu untersuchende Mitverschulden von dem oben dargestellten in der Intensität unterscheidet. Während die oben beschriebenen Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers notwendig waren, damit der Arbeitnehmer überhaupt seine Tätigkeit ausüben konnte, geht es hier um Organisationsmängel, die dem Arbeitnehmer die Ausübung seiner Tätigkeit lediglich erschweren und die Arbeit daher fehleranfällig machen. Bei wiederholter Schlecht- oder Minderleistung kann grundsätzlich nach Abmahnung und bei Vorliegen einer negativen Prognose, dass sich das Verhalten des Arbeitnehmers nicht ändern wird, verhaltensbedingt gekündigt werden.401 Hat der Arbeitgeber hingegen Mitverantwortung für die Störung, ist dies im Rahmen der Interessenabwägung im Hinblick auf zumutbare Betriebsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. 400
ArbG München, Urt. v. 02. 10. 2008 – 13 Ca 17197/07 – NZA-RR 2009, 134, 136; Küttner/Kania, Personalbuch, Schmiergeld Rn. 7; Benecke/Groß, BB 2015, 693, 695; Eufinger, RdA 2018, 224, 232; Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 370. 401 BAG, Urt. v. 11. 12. 2003 – 2 AZR 667/02 – NZA 2004, 784, 785; BAG, Urt. v. 15. 08. 1984 – 7 AZR 228/82 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 8; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 278; KRRachor, § 1 KSchG Rn. 487 f.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
1. Bewährungsphase In einem Fall, den das Arbeitsgericht Berlin402 zu entscheiden hatte, ließ sich die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers darauf zurückführen, dass die Weisungen des Arbeitgebers zu ungenau waren. Durch die Weisungen sollten die Arbeitspflichten, da sie nicht näher im Arbeitsvertrag geregelt waren, konkretisiert werden. Die Arbeitnehmerin war als Verkäuferin in einem Fachmarkt beschäftigt. Zur Kündigung war es gekommen, weil aus Sicht der Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin, indem sie es unterließ im Geschäft für Ordnung zu sorgen, ihre vertraglichen Pflichten verletzt hatte. Die Arbeitgeberin hatte durch Weisung verlangt, im Fachmarkt „absolute Ordnung“ herzustellen. Damit war die Weisung aber nach Auffassung des Gerichts „hoffnungslos unklar“, denn was unter Ordnung zu verstehen war, war für die Arbeitnehmerin ohne nähere Angaben nicht ersichtlich. Mangels Bestimmtheit verneint das Gericht hier sanktionierbare Vertragspflichten. Die zur Kündigung angeführte „Unordnung im Fachmarkt“ genügte dem Gericht mangels Substantiiertheit nicht, weswegen eine Pflichtverletzung der Arbeitnehmerin verneint wurde.403 Unterstellt, die Arbeitgeberin hätte substantiiert eine Unordnung in dem Fachmarkt vorgetragen, hätte ein vertragswidriges Verhalten wegen Verstoßes gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 II BGB unabhängig von der Unwirksamkeit der Weisung vorgelegen. Die seitens der Arbeitgeberin unklar erteilte Weisung bewirkt, dass diese es mitzuverantworten hat, dass die Unordnung nicht beseitigt wurde. Der Arbeitgeberin oblag es, die Pflichten der Arbeitnehmerin soweit zu konkretisieren, dass diese der Weisung genaue Handlungen hätte entnehmen können.404 Da die Arbeitgeberin dies nicht tat, erhöht sich die Zumutbarkeitsschwelle zu ihren Lasten. Die gesteigerten Anforderungen an die Unzumutbarkeit des arbeitnehmerseitigen Fehlverhaltens können sich zum einen auf die Intensität der Störung beziehen oder zum anderen in zeitlicher Hinsicht wirken. Infolgedessen könnte auf die bloß optische Unordnung als Anknüpfungspunkt der Pflichtverletzung die Kündigung nicht gestützt werden. Vielmehr müsste sich die Pflichtverletzung in ihrer Intensität gesteigert haben, welches zum Beispiel der Fall wäre, wenn sich die Unordnung zu einer Gefahr für die den Laden betretenden Kunden verdichtet hätte. In zeitlicher Hinsicht bedeutet die Erhöhung der Zumutbarkeitsschwelle, dass die Arbeitgeberin die Störung im Hinblick auf eine Kündigung hinnehmen muss. Sie muss die Weisung neu erteilen und so fassen, dass ihr ein konkreter Handlungsauftrag entnommen werden kann. Bevor der Arbeitgeber kündigen kann, muss dem Arbeitnehmer eine „Bewährungsfrist“ oder „Umlernphase“ gewährt werden, in der abzuwarten ist, ob der Arbeitnehmer dazu in der Lage ist, die neuen Weisungen umzusetzen und Störungen dadurch vermieden werden.405 Die Länge einer solchen Bewährungsfrist 402 403 404 405
ArbG Berlin, Urt. v. 03. 06. 2005 – 28 Ca 9003/05 – juris. ArbG Berlin, Urt. v. 03. 06. 2005 – 28 Ca 9003/05 – juris. Vgl. Hunold, NZA 2009, 830, 832. Vgl. Hunold, NZA 2009, 830, 831.
§ 7 Mitverantwortung für Entstehung verhaltensbedingten Kündigungsgrundes
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sollte nach der Art der Tätigkeit, der Schwierigkeit der Aneignung und Dauer, ab wann mit einer routinierten Arbeit gerechnet werden kann, bemessen werden. 2. Hinzunehmende Schlechtleistung Ferner ist in der Rechtsprechung anerkannt und wird zumutbarkeitserschwerend berücksichtigt, dass es Tätigkeiten gibt, bei denen Fehler kaum zu vermeiden sind und daher vom Arbeitgeber eher hinzunehmen sind.406 Dies trifft insbesondere auf monotone und repetitive Arbeit zu. Dies gilt auch, wenn die Arbeitsverteilung durch den Arbeitgeber so erfolgt, dass die Arbeit unter erheblichem Zeitdruck stattfindet.407 In einem Kündigungsrechtsstreit zwischen einer Lager- und Versandarbeiterin und einem Versandunternehmen wegen qualitativer Minderleistung stellte das BAG fest, dass der Arbeitgeber zunächst das Unterschreiten der Durchschnittsleistung durch den Arbeitnehmer darlegen muss. Sodann ist es Sache des Arbeitnehmers, darzulegen, warum er trotz des Unterschreitens des Durchschnitts seine persönliche Leistungsfähigkeit wie geboten ausschöpft. Kann er darlegen, dass betriebliche Umstände dafür ursächlich sind, ist es wiederum Sache des Arbeitgebers dies zu widerlegen.408 Die Kündigung wurde letztlich nach Zurückverweisung vom BAG an das LAG Sachsen für unwirksam gehalten.409 Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Kündigung hätte auch mit Hilfe des Kriteriums der Zumutbarkeit beantwortet werden können. Richtigerweise wäre hier die problematische Arbeitsgestaltung durch den Arbeitgeber zu berücksichtigen gewesen.410 Beim Verpacken von Waren zum Versand handelt es sich um eine äußerst monotone und repetitive Arbeit, mit der Folge, dass mit Dauer der Beschäftigung die Fehlerquote steigt. Gem. § 2 ArbSchG wäre es Aufgabe des Arbeitgebers gewesen durch entsprechende Arbeitsorganisation dem vorzubeugen, z. B. durch „Jobrotation“, bzw. für Erleichterungen zu sorgen. Wenn der Arbeitgeber dies unterlassen hat, muss in der Zumutbarkeit berücksichtigt werden, dass er die daraus resultierenden Fehler zunächst hinzunehmen hat und erst nach Anpassung der Arbeitsorganisation, sollte sich die Fehlerhäufigkeit dann nicht gebessert haben, kündigen kann. Die Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze hat zur Folge, dass der Arbeitgeber dann kündigen kann, wenn die Störung in ihrem Ausmaß erheblich ist und dem Arbeitnehmer auch in ebenso großem Umfang vorwerfbar ist und dadurch die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird.
406 BAG, Urt. v. 17. 01. 2008 – 2 AZR 536/06 – NZA 2008, 693, 695; LAG Sachsen, Urt. v. 01. 10. 2008 – 3 Sa 298/08 – BB 2009, 165, 166. 407 BAG, Urt. v. 17. 01. 2008 – 2 AZR 536/06 – NZA 2008, 693, 695; LAG Sachsen, Urt. v. 01. 10. 2008 – 3 Sa 298/08 – BB 2009, 165, 166; Kothe/Weber, jurisPR-ArbR 23/2009 Anm. 1, C. 408 BAG, Urt. v. 17. 01. 2008 – 2 AZR 536/06 – NZA 2008, 693, 695. 409 LAG Sachsen, Urt. v. 01. 10. 2008 – 3 Sa 298/08 – BB 2009, 165, 167. 410 So auch Kothe/Weber, jurisPR-ArbR 23/2009 Anm. 1, C.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
3. Beseitigung der Störungsursache, § 167 I SGB IX Hat der Arbeitgeber durch sein pflichtwidriges Verhalten zur Entstehung der Störung beigetragen, muss er, bevor er kündigen kann, versuchen die Störung zu beseitigen. Bestand das pflichtwidrige Verhalten in einem Unterlassen, muss das versäumte Verhalten vor Ausspruch der Kündigung nachgeholt werden. Bezüglich der Kündigung eines Arbeitnehmers, dessen Schwerbehinderung anerkannt war, führt das BAG u. a. aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers durch frühzeitige Einschaltung der in § 84 I SGB IX a. F. genannten Stellen positiv hätte beeinflusst werden können, so dass eine Kündigung entbehrlich gewesen wäre.411 Dies ist ein Grund, weswegen das Berufungsurteil aufgehoben und zurück an das LAG verwiesen wurde. Damit macht das Gericht deutlich, dass die Vermeidbarkeit der kündigungsursächlichen Störung durch den Arbeitgeber ein zu berücksichtigender Umstand ist, der, hätte er die Kündigung entbehrlich gemacht, erheblichen Einfluss auf das Kündigungsrecht hätte. Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Einem Arbeitnehmer soll außerordentlich mit Auslauffrist, denn die ordentliche Kündigung ist tarifvertraglich abbedungen, gekündigt werden, weil dieser eine amtsärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit verweigert. Die von ihm erbrachte Arbeitsleistung betrug 10 – 20 % der seiner Kollegen. Gründe dafür wurden seitens der Arbeitgeberin nicht ermittelt. Ferner wurde kein Präventionsverfahren nach § 84 I SGB IX a. F. durchgeführt. Nach dieser Vorschrift, nunmehr in § 167 I SGB IX geregelt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten mit Hilfe der genannten Stellen nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Störung beseitigt werden kann und wie das Arbeitsverhältnis störungsfrei fortgesetzt werden kann. Die Vorschrift hat präventiven Charakter. Das darin angeordnete Verfahren dient dazu, die Entstehung von Kündigungsgründen zu vermeiden.412 Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, hat dies in erster Linie Folgen für die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Erforderlichkeit der Kündigung. Hätte mit einer frühzeitigen Durchführung des Verfahrens die Kündigung vermieden werden können, beispielsweise, weil dann erkannt worden wäre, dass der Arbeitnehmer zu Teilen der geforderten Arbeit aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht, zu anderen Teilen aber gut in der Lage ist, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung das Ergebnis des Suchprozesses erproben. Er muss also die zu einem früheren Zeitpunkt versäumte Pflicht nachholen. Damit verlängert sich erstens zu Gunsten des Arbeitnehmers die der Negativprognose zugrunde zu legende Zeit, welches sich wie eine Verlängerung der Kündigungsfrist auswirkt, und zweitens steigt der vom Arbeitgeber zu betreibende Aufwand, die Kündigung noch zu vermeiden. 411
BAG, Urt. v. 25. 01. 2018 – 2 AZR 382/17 – NZA 2018, 845, 851. BAG, Urt. v. 25. 01. 2018 – 2 AZR 382/17 – NZA 2018, 845, 850; BAG, Urt. v. 21. 04. 2016 – 8 AZR 402/14 – NZA 2016, 1131, 1133; BAG, Urt. v. 07. 12. 2006 – 2 AZR 182/06 – NZA 2007, 617, 619. 412
§ 7 Mitverantwortung für Entstehung verhaltensbedingten Kündigungsgrundes
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II. Modifizierung der Treuepflichten Zu einer Modifizierung der arbeitnehmerseitigen Treuepflichten kann es kommen, wenn dem Verhalten des Arbeitnehmers ein Fehlverhalten des Arbeitgebers vorausgegangen ist, ohne dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zum Fehlverhalten des Arbeitnehmers gekommen wäre. Im Unterschied zu den vorherigen Gliederungspunkten stehen die Pflichtverletzungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aber nur in einem mittelbaren Zusammenhang, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils gegen unterschiedliche Pflichten verstoßen. Die Reaktion des Arbeitnehmers mag verständlich und nachvollziehbar sein, ist aber keine unvermeidbare Folge des rechtswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers. Dazu ein Beispiel aus der Rechtsprechung. Die Klägerin, die sich mit ihrer Klage gegen eine außerordentliche Kündigung wehrte, hatte an einem rechtswidrigen Streik, einer kollektiven Arbeitsniederlegung ohne gewerkschaftlichem Aufruf oder Genehmigung, teilgenommen. Vor der Belegschaft wurde die Arbeitnehmerin mehrfach aufgefordert, die Arbeit wiederaufzunehmen, dem sie sich – wohl aufgrund des psychischen Drucks, nicht als Abtrünnige dazustehen, – widersetzte. Wegen dieser beharrlichen Arbeitsverweigerung wurde ihr fristlos gekündigt. Grund der Arbeitsniederlegung der gesamten Belegschaft war, dass die Betriebsratsvorsitzende in rechtswidriger Weise fristlos entlassen worden war.413 Das BAG hat zwar die Revision der Klägerin für unbegründet und damit die Kündigung für wirksam gehalten414, richtigerweise hätte erkannt werden müssen, dass die Kündigung unwirksam war. Zuzustimmen ist dem BAG zwar in der Annahme, dass eine Arbeitsverweigerung wegen der Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellt, die an sich geeignet ist eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.415 Nicht zuzustimmen ist dem BAG bei der weiteren Prüfung des Kündigungsgrundes, weil dabei verschiedene Aspekte außer Acht gelassen werden. Unberücksichtigt bleibt zum einen, dass sich die Klägerin in einer psychischen Zwangssituation befunden hat. Hätte sie die Arbeit wiederaufgenommen, hätte sie vor der Belegschaft als „Streikbrecherin“ dagestanden. Dieser Aspekt ist bedeutsam für die Frage, ob eine weitere Zusammenarbeit noch zumutbar ist. Angesichts des Zusammenhangs zwischen der Arbeitsverwei413
BAG, Urt. v. 21. 10. 1969 – 1 AZR 93/68 – AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 41. BAG, Urt. v. 21. 10. 1969 – 1 AZR 93/68 – AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 41. Anders entschied das BAG in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem die Arbeitgeberin ebenfalls betriebsverfassungsrechtliche Rechte der Arbeitnehmer außer Acht gelassen hatte (§ 106 BetrVG), der Betriebsrat wurde über den Übergang von Kurzarbeit zu Massenentlassungen nicht unterrichtet, und somit „durch ihr eigenes vorwerfbares Verhalten entscheidend zum Entstehen der explosiven Lage im Betrieb beigetragen“ hatte, welches in der Interessenabwägung zu Gunsten des zu kündigenden Arbeitnehmers zu berücksichtigen war (BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58). 415 BAG, Urt. v. 21. 10. 1969 – 1 AZR 93/68 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 41; demfolgend BAG, Urt. v. 22. 10. 2015 – 2 AZR 569/14 – NZA 2016, 417, 419; APS/Vossen, § 626 Rn. 210; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 604. 414
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
gerung und des von der Belegschaft ausgehenden Drucks ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin von sich aus, erneut die Arbeit verweigern würde.416 Ein viel wesentlicherer Aspekt, auf den das BAG indes gar nicht einging, ist, wie das rechtswidrige Vorverhalten der Arbeitgeberin zu werten ist. Die rechtswidrige Kündigung der Betriebsrätin begründet, obwohl sie die Arbeitnehmer in ihrem Recht auf eine Interessenvertretung berührt, kein individuelles Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB. Auch die erteilte Weisung, die Arbeit wiederaufzunehmen, ist nicht mangels ordnungsgemäßer Mitbestimmung rechtswidrig, da sie mangels kollektiver Bezüge nicht der Mitbestimmung unterliegt. Der Verstoß der Arbeitgeberin gegen das Betriebsverfassungsrecht durch die rechtswidrige Kündigung der Betriebsrätin hat jedoch zur Folge, dass der gegenüber dem Arbeitnehmer bestehende Treueanspruch des Arbeitgebers so modifiziert wird, dass Pflichtverletzungen, die aus der vom Arbeitgeber geschaffenen Konfliktsituationen stammen, nicht zur Begründung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses herangezogen werden können.417 Für das die Unzumutbarkeit mitbegründende Element der negativen Prognose fehlt es an der arbeitnehmerseitigen Veranlassung. Allenfalls bei betriebsverfassungsrechtlichen Verstößen des Arbeitgebers könnte es wieder zu einem vertragswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers kommen. Allerdings ist dann der Arbeitgeber zunächst verpflichtet das seinerseits rechtswidrige Verhalten zu unterlassen. Daher ist die daraus resultierende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber nicht unzumutbar. Eingangs418 wurde die Frage aufgeworfen, wie eine Kündigung zu bewerten ist, wenn die dazu führende Störung eine bewusste Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aus Wut, Ärger und Trotz über das Verhalten des Arbeitgebers darstellt. Exemplarisch dafür ließe sich der vom LAG Hamburg419 entschiedene Fall der schikanierten Sekretärin in folgender abgewandelter Form heranziehen. Als Trotzreaktion darauf, dass ihre Arbeit nicht gewürdigt, sondern ihre Anwesenheit vielmehr abwertend beurteilt wird („Sie sind mir ein Klotz an meinem Bein“), verschweigt sie ihren Vorgesetzten wichtige Termine, die diese daraufhin aus Unkenntnis nicht wahrnehmen können. Für sich betrachtet, stellte dies eine erhebliche Pflichtverletzung seitens der Arbeitnehmerin dar, da unter normalen Umständen durch das bewusste Verschweigen relevanter Informationen ein Verhalten zu Tage gelegt wird, das einzig darauf angelegt ist, den Arbeitgeber in erheblichem Umfang zu schädigen. In Anbetracht der vorausgegangenen Pflichtverletzungen des Arbeitgebers in Form der 416
Staudinger/Preis (2019), BGB § 626 Rn. 135. Für die Berücksichtigung des vorausgegangenen rechtswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers (nunmehr) BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58; MünchKomm BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 272 f.; Ramm, AuR 1971, 65, 67; Rüthers, Anm. BAG, Urt. v. 21. 10. 1969 – 1 AZR 93/68 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 41 IV. b); ders., JZ 1970, 625, 631. 418 Siehe Erster Teil unter § 1 A. 419 LAG Hamburg, Urt. v. 08. 12. 1999 – 3 Sa 17/99 – juris; siehe Dritter Teil unter § 6 C. I. 1. c). 417
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Beleidigung steigt allerdings das Maß des für den Arbeitgeber noch zumutbaren Fehlverhaltens. Trotz der schwerwiegenden Verfehlung muss der Arbeitgeber erst eine Abmahnung aussprechen, die unter normalen Umständen entbehrlich wäre. Setzt sich das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers fort, kann gekündigt werden. Entsprechend ist zu verfahren, wenn es um Whistleblowing durch Arbeitnehmer geht, die verkennen, dass in Wirklichkeit kein meldepflichtiges Verhalten seitens des Arbeitgebers vorliegt. Nach Abmahnung kann diesen gekündigt werden, sofern sie ihr Verhalten nicht beenden. Hat der Arbeitgeber hingegen durch „grenzwertiges“ Verhalten dazu Anlass gegeben, dass Arbeitnehmer vermeintliche Pflichtverstöße öffentlich machen, ist dies durch die Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze in der Interessenabwägung zu berücksichtigen.
C. Keine Einschränkungen trotz Mitverschuldens Wie bei der personenbedingten Kündigung kann es bei der verhaltensbedingten Kündigung möglich sein, dass diese zulässig ist, obwohl den Arbeitgeber ein Mitverschulden an der Störung trifft.
I. Unerhebliches Mitverschulden Ist das Verschulden des Arbeitgebers im Vergleich zum Verschulden des Arbeitnehmers für die Störung unerheblich, besteht das Kündigungsrecht des Arbeitgebers ohne Einschränkungen. Dass eine geringe Verantwortung für die Störung nicht zwingend rechtliche Nachteile auslöst, folgt z. B. aus § 323 VI BGB, wonach nur alleinige oder überwiegende Verantwortung rechtliche Konsequenzen hat, oder aus § 275 II 2 BGB, wonach zur Ermittlung des unverhältnismäßigen Aufwands das Vertretenmüssen des Schuldners lediglich zu „berücksichtigen“ ist. Wie sich somit aus dem Wortlaut ergibt, wird der Einwand der Unzumutbarkeit durch das Vertretenmüssen gerade nicht von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr bewirkt das Vertretenmüssen eine Änderung der Anforderungen an die Unzumutbarkeit, in Form einer Erschwerung, welche trotz Vertretenmüssens erfüllt sein können.420 Gleiches gilt auch für das Anpassungs- oder Auflösungsverlangen nach § 313 I, III BGB, das ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, wenn die sich auf die Grundlagenstörung berufene Partei diese zu vertreten hat.421 Auch hier ist der an die Unzumutbarkeit anzulegende Abwägungsmaßstab zu modifizieren, welches jedoch nicht dazu führt, dass das Auflösungsinteresse nicht das Bestandsinteresse überwiegen kann. Dies lässt den Umkehrschluss zu, dass geringfügiges Vertretenmüssen, auch nur eine geringfügige 420 421
Soergel/Ekkenga/Kunz, § 275 Rn. 160; Staudinger/Caspers (2019), BGB § 275 Rn. 107. Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 186, 197.
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Erschwerung nach sich zieht, so dass im Ergebnis von den Rechten ohne Einschränkungen Gebrauch gemacht werden kann. Da das Kündigungsrecht eine Interessenabwägung voraussetzt, in der mit dem Verschulden und der Risikoverteilung diese Prinzipien berücksichtigt werden, auf denen die Rechte der genannten Vorschriften basieren, lässt sich dieser Gedanke auch auf die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers übertragen.
II. Zerrüttung Wenn die Störung ein solches Ausmaß angenommen hat, dass das Arbeitsverhältnis als zerrüttet bezeichnet werden kann, kann der Arbeitgeber unabhängig von seinem Mitverschulden kündigen.422 Gerade wenn die Störung das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber betrifft, wie es bei der verhaltensbedingten Kündigung in der Regel der Fall sein dürfte, kann es sein, dass „geschehene Rechtsverletzungen nicht mehr ungeschehen gemacht werden“423 können. Die Folge davon ist, dass das nötige wechselseitige Vertrauen weder zum Arbeitnehmer noch umgekehrt zum Arbeitgeber vorhanden ist, womit die personale Grundlage fehlt, auf der das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden kann. Dann ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus persönlichen Gründen unzumutbar i. S. v. § 275 III BGB. Die Frage nach der Verursachung tritt im Hinblick auf die Kündigungsbefugnis hinter der Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt werden kann, zurück. Zum Tragen kommt das Mitverschulden des Arbeitgebers auf der Sekundärebene. Nach diesen Grundsätzen wäre in dem oben geschilderten Fall des Arbeitsgerichts Gießen, in dem es um die Entschädigung einer Arbeitnehmerin wegen eines Lockspitzeleinsatzes durch deren Arbeitgeberin ging424, zu entscheiden gewesen, wenn Gegenstand des Verfahrens auch die Kündigung der Arbeitnehmerin gewesen wäre. Durch das Ansetzen von Spitzeln auf die Arbeitnehmerin und die versuchte Verleitung zu Pflichtverletzungen wurde die Arbeitnehmerin nicht nur in erheblicher Weise in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, sondern in massiver Weise von der Arbeitgeberin hintergangen. Dadurch, und dadurch, dass die Arbeitgeberin ein „Strategiekonzept“ ausgearbeitet hat, wie sie unliebsame Arbeitnehmer „loswerden“ kann, wozu sie die Klägerin in dem genannten Verfahren zählte, ist der weiteren Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeberin die Vertrauensgrundlage entzogen. Das Arbeitsverhältnis ist als zerrüttet anzusehen, ohne Aussicht auf eine gedeihliche Fortsetzung. Daher wäre in diesem Fall trotz überwiegender Verantwortung der Arbeitgeberin an der Pflichtverletzung die Kündigung als zulässig anzusehen. Die arbeitgeberseitige Verantwortung bliebe bei diesem Ergebnis 422
Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 123; Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 424 ArbG Gießen, Urt. v. 10. 05. 2019 – 3 Ca 433/17 – juris. 423
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jedoch nicht unberücksichtigt. Die Arbeitnehmerin hat einen Anspruch auf Entschädigung.425
D. Ergebnis Wie bei arbeitgeberseitiger Mitverantwortung bei einem an sich zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigenden Pflichtverstoß des Arbeitnehmers vorzugehen ist, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Zunächst sind die Situationen voneinander zu unterscheiden, in denen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einerseits noch sinnvoll erscheint und in denen die Fortsetzung ausgeschlossen ist. In der letzteren Variante besteht zwar das Kündigungsrecht des Arbeitgebers unabhängig von dessen Verschulden. Der Arbeitnehmer ist aber für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen.426 In den anderen Fällen ist die Mitverantwortung des Arbeitgebers in der Interessenabwägung zu berücksichtigen, wenn dadurch nicht bereits auf Tatbestandsebene die Pflichtverletzung entfallen ist. Der Ausgang der Interessenabwägung hängt von den jeweiligen Verschuldensanteilen ab, wobei neben der Verschuldensform zu Lasten des Arbeitgebers dessen Einflussmöglichkeiten kraft seines Weisungsrechts und zu Lasten des Arbeitnehmers dessen Entscheidungsfreiheiten mit zunehmend höherer Position in der Unternehmenshierarchie zu berücksichtigen sind. Die Mitverantwortung des Arbeitgebers bewirkt, dass an die Zumutbarkeitsgrenze ein strengerer Maßstab zu legen ist. Zumutbarkeitserhöhend und damit kündigungserschwerend wirken sich sowohl Pflichtverletzungen des Arbeitgebers aus, die im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerverhalten stehen, als auch das vom Arbeitgeber zu tragende Risiko (z. B. fehleranfälliger Leistung, wenn die vom Arbeitnehmer zu verrichtende Tätigkeit monoton und repetitiv ist). Auf einen Vertrauensverlust oder Treueverstoß kann sich der Arbeitgeber nicht berufen, wenn er die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers mit der Absicht, dies zum Anlass der Kündigung zu nehmen, selbst herbeigeführt hat. Zudem hat die Mitverantwortung des Arbeitgebers zur Folge, dass die Pflichtverletzung dem Arbeitgeber weniger vorwerfbar ist, weswegen auch bei der Gewichtung der Schwere der Pflichtverletzung in der Interessenabwägung eine Verschiebung zu Gunsten des Arbeitnehmers stattfindet. Nimmt hingegen das Verschulden des Arbeitnehmers den überwiegenden Anteil ein und ist das Verschulden des Arbeitgebers hinsichtlich der Pflichtverletzung gering, besteht das Kündigungsrecht.
425 426
Siehe Vierter Teil. Siehe Vierter Teil.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
§ 8 Verantwortung für das betriebliche Erfordernis Bei der betriebsbedingten Kündigung ist arbeitgeberseitige Verantwortung notwendigerweise vorhanden. Voraussetzung für ein vom Arbeitgeber verschuldetes Fehlverhalten hinsichtlich der finanziellen Situation wäre eine zu einer wirtschaftlichen Betriebsführung zwingende Pflicht, die dem Schutz des Arbeitnehmers dient. Eine derartige gesetzliche Verpflichtung wäre aber wohl nicht mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der unternehmerischen Freiheit nach Art. 12 I GG vereinbar. Zwar gebieten die Rechte der Kapitalanleger und Gesellschaftseigner dem Unternehmer Pflichten aufzuerlegen, wie u. a. Mitteilungspflichten oder die Pflicht zur Rechnungslegung, die dem Interesse an der Wirtschaftlichkeit der Unternehmung dienen. Diese entfalten aber keinen Arbeitnehmerschutz. Arbeitgeberseitige Pflichten, die hingegen arbeitnehmerschützend sind und deren Verstöße in der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, sind einige betriebsverfassungsrechtliche Pflichten, wie z. B. die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 99 f. BetrVG, da diese auch individualschützend sind.427 Ferner ergeben sich aus den Voraussetzungen des Kündigungsgrundes selbst Vorgaben, wie z. B. dass die Zuweisung eines anderweitigen Arbeitsplatzes nicht möglich sein darf.428 Die Missachtung oder Vereitelung dieser Vorgaben stellt ein Fehlverhalten dar, das zu einer Modifizierung des Kündigungsrechts, insbesondere auf Sekundärebene, führen kann.
A. Berücksichtigungsfähigkeit der arbeitgeberseitigen Verantwortung Arbeitgeberseitige Verantwortung ist dem betriebsbedingten Kündigungsgrund dadurch immanent, dass der Arbeitgeber durch seine Entscheidung das betriebliche Erfordernis herbeiführt. Wird das betriebliche Erfordernis in zweckwidriger Weise herbeigeführt, kann dies Auswirkungen auf das Kündigungsrecht haben. Ähnlich den Fällen, in denen einige Instanzgerichte bei einer schuldhaften Eigenbedarfskündigung des Vermieters dessen Kündigungsbefugnis verneint haben429, wäre bei schuldhafter Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses der Ausschluss des 427
NK-GA/Preuss, § 99 BetrVG Rn. 6 f.; Richardi BetrVG/Thüsing, § 99 Rn. 11. Siehe Zweiter Teil unter § 3 E. 429 AG Hamburg-Altona, Urt. v. 28. 07. 2011 – 318c C 231/10 – ZMR 2011, 882, 883 bei der Abwägung der wechselseitigen Interessen sei zu berücksichtigen, dass die Wohnsituation des Vermieters (der Eigenbedarf) selbstverschuldet sei, weswegen den Interessen des zu kündigenden Mieters der Vorrang gebührt; AG Köln, Urt. v. 25. 08. 1992 – 217 C 14/92 – WuM 1994, 211, 212 „die Kläger haben einen etwaigen Eigenbedarf quasi selbst verschuldet“, weswegen der Grund des Eigenbedarfs abzulehnen sei; mit Erfolg wurden die Räumungsklagen zweier Vermieter beschieden, da deren Eigenbedarf gerade nicht verschuldet war (LG Berlin, Urt. v. 13. 08. 1990 – 61 S 339/89 – WuM 1990, 504, 505; AG Dortmund, Urt. v. 07. 03. 1990 – 136 C 708/89 – DWW 1991, 28, 29). 428
§ 8 Verantwortung für das betriebliche Erfordernis
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Kündigungsrechts ebenfalls denkbar. Dass nach dem Grundsatz der freien unternehmerischen Entscheidung430 eine Überprüfung einer arbeitgeberseitigen Maßnahme auf Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit durch die Gerichte nicht stattfindet, sollte kein Hinderungsgrund sein, offensichtliche, verschuldete Fehlentscheidungen festzustellen.431 Wenngleich als Konsequenz der Feststellung der verschuldeten Betriebsbedingtheit ein Rechtsausschluss des Kündigungsrechts als Sanktion für die Fehlentscheidung nur schwer in Betracht kommen kann, muss die bloße Prüfung indes zulässig sein, um daraus zumindest sekundäre Rechte herleiten zu können.432 Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die Versagung des Kündigungsrechts allein wegen der Herbeiführung des Eigenbedarfs durch den Vermieter gegen die dem Schutz von Art. 14 GG unterliegende Befugnis verstieße, „das Leben durch Gebrauch des Eigentums so einzurichten, wie man es für richtig hält“433, und daher eine schuldhafte Eigenbedarfskündigung zugelassen hat434, so wäre der grundsätzliche Ausschluss des Rechts des Arbeitgebers zur betriebsbedingten Kündigung bei schuldhafter Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses mit Art. 12 I, Art. 2 I und Art. 14 GG unvereinbar, weil dies das Recht des Arbeitgebers missachtete, „seinen Betrieb hinsichtlich Größe und Personal nach den eigenen Vorstellungen zu führen“.435 Weil das verfassungsrechtlich geschützte Recht, den Betrieb jederzeit stillzulegen436, mit dem Recht zur betriebsbedingten Kündigung in § 1 II KSchG einfachgesetzlich ausgestaltet wurde, ist darin eine wichtige Determinante für die Berücksichtigung des Verschuldens zu sehen, wenn das betriebliche Erfordernis auf 430 St. Rspr. BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549; BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65; BAG, Urt. v. 30. 04. 1987 – 2 AZR 184/86 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; BAG, Urt. v. 07. 12. 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157, 162. 431 Herschel/Steinmann, Kündigungsschutzgesetz, § 1 Rn. 41, 42a; Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – SAE 1973, 193, 196. 432 Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 169; ders., Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 433 BVerfG, Beschl. v. 03. 10. 1989 – 1 BvR 558/89 – BVerfGE 81, 29, 33 f.; BVerfG, Urt. v. 14. 02. 1989 – 1 BvR 308/88 – BVerfGE 79, 292. 434 Die Figur des schuldhaften Eigenbedarfs taucht daher in der führenden Kommentarliteratur gar nicht mehr auf (Schmidt-Futterer/Blank, MietR, § 573 BGB Rn. 111 ff.) bzw. wird im Zusammenhang mit dem Kauf vermieteter Wohnungen („gekaufter Eigenbedarf“) abgelehnt (GK-Online BGB/Geib (Stand: 01. 04. 2021), § 573 Rn. 88; MünchKomm BGB/Häublein, § 573 Rn. 89, 102; Palandt/Weidenkaff, § 573 Rn. 29). Zu Recht weist Rolfs daraufhin, dass allein die schuldhafte Herbeiführung des Eigenbedarfs die Voraussetzungen eines Missbrauchseinwands nicht erfüllt, sondern im Hinblick auf den zu kündigenden Mieter Treuwidrigkeit vorliegen müsse (Staudinger/Rolfs (2018), BGB § 573 Rn. 136 f.). Siehe dazu Oetker, ZMR 1984, 77, 78. 435 BVerfG, Beschl. v. 22. 10. 2004 – 1 BvR 1944/01 – NZA 2005, 41, 42; BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 91/98 – BAGE 90, 182, 188. 436 BAG, Urt. v. 21. 02. 2002 – 2 AZR 749/00 – BB 2002, 2335, 2337; BAG, Urt. v. 05. 02. 1998 – 2 AZR 227/97 – NZA 1998, 771, 773.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
einem Managementfehler beruht: Wenn das Recht zur Betriebsstilllegung einhergehend mit dem Recht zur betriebsbedingten Kündigung jederzeit besteht, kann es im Fall der schuldhaften Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses nicht ausgeschlossen sein437. Die zweite Determinante folgt aus dem „das gesamte Schuldrecht beherrschenden Grundsatz der Vertragstreue438, die nur dann zurücktreten muß, wenn anders ein untragbares, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbares Ergebnis nicht zu vermeiden wäre.“439 Ein derartiges, nicht hinnehmbares Ergebnis liegt jedoch dann nicht vor, wenn es von der Partei, die sich darauf beruft, verschuldet ist oder wenn es aufgrund der vertraglichen Risikozuweisung von dieser zu tragen ist.440 Dies zeigt, dass es zwar einen Vorrang des vertraglichen Bestandsschutzes vor dem Auflösungsinteresse gibt. Da dieses Vorrangverhältnis in Abhängigkeit dazu steht, von welcher Vertragspartei das Risiko einer Störung zu tragen ist, gebietet es, die Kündigung darauf zu prüfen, ob eine arbeitgeberseitige Verantwortung für das betriebliche Erfordernis vorliegt, die nicht vom Arbeitnehmer zu tragen ist.441 Des Weiteren ist die Berücksichtigung wie folgt zu rechtfertigen: Erstens, ist die arbeitgeberseitige Verantwortung, dadurch, dass der Kündigungsgrund als Tatbestandsmerkmal ein betriebliches Erfordernis voraussetzt, ohnehin zu prüfen. Dies erfordert die Feststellung, dass überhaupt ein betriebliches Erfordernis vorliegt, woran sich die Kontrolle anschließt, dass das betriebliche Erfordernis nicht auf einer rechtsmissbräuchlichen unternehmerischen Entscheidung basiert. Dadurch, dass eine Rechtsmissbrauchskontrolle stattfindet, mit dem Ziel, betriebliche Erfordernisse, die auf rechtsmissbräuchlichen Unternehmerentscheidungen beruhen, als Kündigungsgrund auszuscheiden, findet die Prüfung arbeitgeberseitiger Verantwortung bei der betriebsbedingten Kündigung auf Tatbestandsebene statt. Denn die rechtsmissbräuchliche Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses ist eine be437 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 550; LAG Köln, Urt. v. 25. 08. 1994 – 6 Sa 152/94 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 27; ErfK/ Oetker, § 1 KSchG Rn. 239; i. E. KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 560. 438 Auch wenn im Allgemeinen Schuldrecht im Hinblick auf die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen die Vertragstreue den Einschränkungen der Kündigungsfreiheit unterliegt, ist der Grundsatz der Vertragstreue wiederum für das Arbeitsverhältnis zutreffend, da dort der Vorrang der Kündigungsfreiheit gerade nicht gilt, sondern durch das KSchG dem Bestandsschutz das überwiegende Gewicht eingeräumt wird. 439 BGH, Urt. v. 25. 05. 1977 – VIII ZR 196/75 – NJW 1977, 2262, 2263; BGH, Urt. v. 29. 03. 1974 – V ZR 128/72 – NJW 1974, 1186; BGH, Urt. v. 11. 07. 1958 – VIII ZR 96/57 – NJW 1958, 1772, 1773. 440 St. Rspr. BGH, Urt. v. 03. 05. 1995 – XII ZR 29/94 – BGHZ 129, 297, 310; BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2391; BGH, Urt. v. 25. 05. 1977 – VIII ZR 196/75 – NJW 1977, 2262, 2263; BGH, Urt. v. 06. 07. 1964 – VIII ZR 41/63 – WM 1964, 1025; Erman/Böttcher, § 313 Rn. 19 ff.; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 75; NK-BGB/ Jung, § 313 Rn. 69, 76; PWW/Stürner, § 313 Rn. 14 ff.; bereits Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 107 f. 441 Vgl. Herschel, SAE 1973, 195, 196.
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sonders gesteigerte Form der arbeitgeberseitigen Verantwortung, in Form von Vorsatz, die die Kündigung wegen des fehlenden Kündigungsgrundes unwirksam macht. Zweitens, ist die arbeitgeberseitige Verantwortung auch deshalb zu berücksichtigen, weil das Recht zur betriebsbedingten Kündigung einen gesetzlich gesondert geregelten Fall der Störung der Geschäftsgrundlage darstellt. Da nach der Lehre von den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage die Verantwortung für die Störung zu berücksichtigen ist, ist auch im Rahmen der Prüfung der betriebsbedingten Kündigung die Verantwortung zu würdigen.442 Die Konsequenz aus der Einbeziehung der Grundlagenlehre in die Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung ist, dass die im Zusammenhang mit der Störung der Geschäftsgrundlage entwickelten Grundsätze zur Berücksichtigung der Verantwortung im Hinblick auf die Herbeiführung der Störung zu berücksichtigen sind. Nach der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, selbst eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, wird eine Vertragsauflösung bzw. -anpassung wiederum nur angenommen, soweit es geboten ist.443 Danach kann die Anpassung des Vertrags verlangt werden, „soweit einem Teil das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann“444. Zur Beurteilung der Gebotenheit wird neben den Umständen des Einzelfalls insbesondere auf die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung abgestellt. Demnach kann eine Vertragsanpassung ausscheiden, wenn eine vorrangige vertragliche oder gesetzliche Zuweisung der Störung in die Risikosphäre der sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufenden Partei vorhanden ist.445 Erklären lässt sich dies mit der Ausnahmefunktion der Störung der Geschäftsgrundlage und Subsidiarität zur vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung. Die Norm soll nur zur Anwendung kommen und eine Vertragsanpassung oder -auflösung ermöglichen, wenn die Risikoverteilung nicht bereits anderweitig durch Vertrag oder Gesetz geregelt ist. Dadurch wird erreicht, dass die den Parteien gesetzlich sonst zur Verfügung ste442 BAG, Urt. v. 05. 06. 2014 – 2 AZR 615/13 – NZA 2015, 40, 42; BAG, Urt. v. 08. 10. 2009 – 2 AZR 235/08 – NZA 2010, 465, 467; GK-Online BGB/Martens (Stand: 01. 09. 2018), § 313 Rn. 95.1; Schaub/Linck, § 121 ArbR-Hdb Rn. 4. 443 Bereits Rspr. des Reichsgerichts RG, Urt. v. 15. 12. 1941 – V 77/41 – RGZ 168, 121, 126; RG, Urt. v. 03. 08. 1938 – VI 247/37 – RGZ 158, 166, 175; RG, Urt. v. 16. 02. 1937 – VII 233/36 – RGZ 153, 356, 359; RG, Urt. v. 01. 12. 1936 – VII 107/36 – RGZ 152, 403, 404; demfolgend der BGH: BGH, Urt. v. 21. 12. 2010 – X ZR 122/07 – NJW 2011, 989, 991; BGH, Urt. v. 25. 05. 1977 – VIII ZR 196/75 – NJW 1977, 2262, 2263; BGH, Urt. v. 29. 03. 1974 – V ZR 128/72 – NJW 1974, 1186; BGH, Urt. v. 20. 05. 1970 – VIII ZR 197/68 – NJW 1970, 1313; BGH, Urt. v. 11. 07. 1958 – VIII ZR 96/57 – NJW 1958, 1772, 1773; BGH, Urt. v. 23. 05. 1951 – II ZR 71/50 – BGHZ 2, 176, 188. 444 BGH, Urt. v. 21. 12. 2010 – X ZR 122/07 – NJW 2011, 989, 991; BGH, Urt. v. 25. 05. 1977 – VIII ZR 196/75 – NJW 1977, 2262, 2263; BGH, Urt. v. 29. 03. 1974 – V ZR 128/72 – NJW 1974, 1186; BGH, Urt. v. 20. 05. 1970 – VIII ZR 197/68 – NJW 1970, 1313; BGH, Urt. v. 11. 07. 1958 – VIII ZR 96/57 – NJW 1958, 1772, 1773; BGH, Urt. v. 23. 05. 1951 – II ZR 71/50 – BGHZ 2, 176, 188. 445 Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 47 ff.; Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 22 ff.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
henden einseitigen Beendigungsmöglichkeiten (§§ 314, 626, 323, 324 BGB), die voraussetzen, dass die die Erklärung empfangene Partei in zurechenbarer Weise eine Störung verursacht hat, nicht von § 313 BGB überlagert werden. Zur Vermeidung dessen erstreckt sich der Anwendungsbereich der Störung der Geschäftsgrundlage in Ergänzung zu den zuvor genannten Vorschriften auf die Situationen, in denen die Erfüllung des Vertrags aufgrund einer Änderung der oder aufgrund eines Irrtums über die bei Vertragsschluss vorhandenen Umstände in unzumutbarer Weise erschwert wurde. Dennoch bedeutet die Risikotragung nicht, dass der das Risiko tragenden Partei ein Berufen auf die Störung der Geschäftsgrundlage von vornherein verwehrt wäre. Denn nach dem Wortlaut des § 313 I BGB stellt die Zumutbarkeit der hinzunehmenden Störung ein negatives Tatbestandsmerkmal dar. Daraus folgt, dass die Verantwortung für die Störung („Risikoverteilung“) eine Geltendmachung der Störung der Geschäftsgrundlage nicht von vornherein hindert446, sondern dass diese erst dann zum Ausschluss des Rechts führt, wenn sie sich als ein „Teilaspekt der Unzumutbarkeit“447 entsprechend auswirkt. Die eigene Verantwortung des sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage Berufenden kann also die Inanspruchnahme des Rechts erschweren und ausschließen, dadurch, dass sich die Zumutbarkeit der hinzunehmenden Störung erhöht. Der anzulegende Maßstab wird daher entsprechend dem Verantwortungsgrad verschärft. Eine gesteigerte Verantwortung, z. B. in Form groben Verschuldens oder Rechtsmissbrauchs, hat weitreichendere Auswirkungen, die dann zum Ausschluss des Rechts führen können. Könnte sich eine Partei durch vorsätzliche Herbeiführung der Umstände ein solches Anpassungs- oder Auflösungsrecht verschaffen, würde das Prinzip, wonach eine Vertragsauflösung nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist, umgangen. Dieses Prinzip dient aber gerade dazu, das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Grundsatz pacta sunt servanda und der Beendigung aufrecht zu erhalten und gewährleistet, dass das bei Vertragsschluss abgegebene Angebot nicht wertlos ist, weil mit einer jederzeitigen Abstandnahme gerechnet werden müsste. Das Vertrauen der jeweils von der Auflösung betroffenen Partei in die Einwilligung in den Vertrag gebietet es, eine von der sich darauf berufenden Partei herbeigeführten Änderung der Umstände nur insoweit zur Vertragsanpassung und -auflösung zuzulassen, wenn auch eine gesteigerte Unzumutbarkeit, eine Art „Opfergrenze“, dargelegt wird. Aufgrund der Änderung der dem Vertrag zugrunde gelegten Umstände kann dieser seine Richtigkeitsgewähr für die eingegangenen Verpflichtungen verloren haben. Die „Opfergrenze“ oder „Zumutbarkeitsgrenze“ ist nach der Rechtsprechung erreicht, wenn das Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerech-
446
BGH, Urt. v. 02. 10. 1991 – XII ZR 145/90 – NJW 1992, 427, 428; Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 6 Rn. 20 f.; siehe zur Aufwandsstörung Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 196; ders., zur Verwendungsstörung, a. a. O., S. 227 f. 447 Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 32.
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tigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnissen führt.448 Der Wortlaut von § 313 I BGB, wonach es darauf ankommt, dass „einem Teil“ das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann, ließe es zu die Zumutbarkeitsgrenze allein aus Sicht der Partei zu bestimmen, die die Vertragsanpassung verlangt. Der Sinn und Zweck der Vorschrift, der darin zum Ausdruck kommt, dass insbesondere die Risikoverteilung zwischen den Parteien zu berücksichtigen ist, gebietet es hingegen bei der Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze auf die beiderseitigen Interessen abzustellen, da anders eine Berücksichtigung der Risikoverteilung nicht möglich wäre. Es ist daher eine Interessenabwägung durchzuführen, wobei neben der Risikoverteilung die Vorhersehbarkeit, Zurechenbarkeit und Beherrschbarkeit des Risikos sowie Einflussmöglichkeiten, der Grad der Verantwortung und sonstige Interessen und Wertungen zu berücksichtigen sind.449 Daher kann auch bei Verantwortung für die Störung das ausschlaggebende Kriterium die Funktionslosigkeit450 des Vertrags oder die Existenzbedrohung451 für die benachteiligte Partei sein. Diskutiert wurde eine Zumutbarkeitsgrenze bereits von Larenz bei Störungen des Äquivalenzverhältnisses. Nach Ansicht von Larenz soll das Kündigungs- oder Anpassungsrecht dann nicht ausgeschlossen sein, wenn die weitere Durchführung des Vertrags dauerhaft zu einem Verlust auf Seiten der einen Vertragspartei führen würde.452 In der Rechtsprechung wurde das Erreichen einer „Opfergrenze“ teilweise nur bejaht, wenn die Umstandsänderung billigerweise nicht vorauszusehen war.453 Ausdrücklich heißt es in einem Fall, in dem sich ein Hotelpächter wegen Unrentabilität auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, dass eine Vertragspartei auch dann für ihr Versagen einzustehen hat, wenn dies bei weiterer Erfüllung des Vertrags den „Verfall des Vermögens“ zur Folge haben könnte.454 Damit wurde die wirtschaftliche Unzumutbarkeit von der Rechtsprechung zwar als Abwägungskriterium herangezogen aber nicht als ausschlaggebend erachtet. Dem kann nicht gefolgt werden. Zutreffend ist, dass das Kriterium der Unwirtschaftlichkeit nicht allein zur Entscheidung über die Vertragsbeendigung herangezogen werden darf. Die Interessenabwägung dient indes gerade dazu flexibel die jeweiligen Umstände zu bewerten, weswegen zur Ermittlung der individuellen Interessen auch das Kriterium der Existenzbedrohung nicht außer Acht bleiben sollte. Das Kriterium der Exis448 BGH, Urt. v. 04. 07. 1996 – I ZR 101/94 – BGHZ 133, 281, 287; BGH, Urt. v. 29. 04. 1982 – BGHZ 84, 1, 9; BGH, Urt. v. 23. 05. 1951 – II ZR 71/50 – BGHZ 2, 176, 188. 449 NK-BGB/Jung, § 313 Rn. 79. 450 Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 2 ff. 451 NK-BGB/Jung, § 313 Rn. 79. 452 Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 90, spricht von einer so einschneidenden Belastung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit, die in Anlehnung an die Rechtsprechung zu sog. „Knebelungsverträgen“ selbst gegen Treu und Glauben verstoße und daher nicht mit dem Grundsatz der Vertragstreue gerechtfertigt werden könne. 453 BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2391; BGH, Urt. v. 25. 05. 1977 – VIII ZR 196/75 – NJW 1977, 2262, 2263. 454 BGH, Urt. v. 07. 10. 2004 – I ZR 18/02 – NJW 2005, 1360, 1361; BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2392.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
tenzbedrohung ist mit dem ultima ratio Charakter der Vorschrift vereinbar, dadurch, dass es selbst extrem hohe Anforderungen stellt, mithin selbst ultima ratio ist. In anderen Fällen hat die Rechtsprechung die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung als Beendigungsgrund anerkannt.455 Gerechtfertigt wurde z. B. die Kündigung eines unwirtschaftlich gewordenen Handelsvertretervertrags damit, dass der Handelsvertreter an den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gebunden war. Die Folge der Beteiligung sei, dass der wirtschaftliche Niedergang des Unternehmens dadurch nicht mehr ausschließlich in die Risikosphäre des Unternehmens falle, sondern auch das Interesse des Vertragspartners betreffe und entsprechend von diesem mitzutragen sei.456 Damit kann festgehalten werden, dass das Risiko oder die eigene Verantwortung des sich auf die Grundlagenstörung Berufenden nicht automatisch dazu führt, dass eine Vertragsanpassung oder -beendigung ausgeschlossen ist. Die eigene Verantwortung kann sich aber auf die Zumutbarkeit der hinzunehmenden Störung auswirken oder auf Sekundärebene zum Tragen kommen. Abschließend ist deshalb zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage, weswegen auch bei der betriebsbedingten Kündigung arbeitgeberseitige Verantwortung Auswirkungen auf die Kündigungsbefugnis haben kann, festzuhalten, dass dies der zwangsläufig daraus folgende Prüfungsschritt ist, dass der betriebsbedingte Kündigungsgrund ein gesondert geregelter Fall der Störung der Geschäftsgrundlage ist. Das betriebliche Erfordernis entspricht der Umstandsänderung, die die Störung der Geschäftsgrundlage darstellt, und so wie für die Rechtsfolge in § 313 I BGB als negatives Tatbestandsmerkmal die fehlende Zumutbarkeit unter Abwägung der beiderseitigen Interessen geprüft wird, ist bei der betriebsbedingten Kündigung entsprechend zu verfahren. Dadurch, dass das Kriterium der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung in die Wirksamkeitsprüfung aufgenommen wird, erlangt die Prüfung im Hinblick auf die jeweilige „Opfergrenze“ mehr Flexibilität, da diese wiederum unter der Berücksichtigung der Verantwortungsverteilung zwischen den Parteien gebildet wird. Auch hier gilt, dass sich ein gesteigerter Verantwortungsgrad verschärfend auf den zugrunde zu legenden Maßstab auswirkt.457 Welche Fallgruppen sich hieraus hinsichtlich des Kündigungsrechts ergeben können, werden in den folgenden Abschnitten dargestellt.
455 BGH, Urt. v. 28. 10. 2002 – II ZR 353/00 – NJW 2003, 431; BGH, Urt. v. 21. 04. 1975 – II ZR 2/73 – WM 1975, 761; BGH, Urt. v. 20. 02. 1958 – II ZR 20/57 – VersR 1958, 243. 456 BGH, Urt. v. 20. 02. 1958 – II ZR 20/57 – VersR 1958, 243. 457 Herschel/Steinmann, Kündigungschutzgesetz, § 1 Rn. 41; Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, 157, 169; ders., Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2.
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B. Keine Einschränkungen des Kündigungsrechts I. Fortfall von Beschäftigungsbedarf aufgrund von Betriebsstilllegungen Der Arbeitgeber kann das betriebliche Erfordernis vorsätzlich herbeiführen, indem er z. B. seinen Betrieb stilllegt oder den Umfang soweit beschränkt, dass Beschäftigungsbedarf entfällt. In der Kommentarliteratur wird unter Bezugnahme u. a. auf ein Urteil des BGH458 aus dem Jahr 2004 vertreten, dass es einer Vertragspartei bei vorsätzlicher Herbeiführung der zur Störung der Geschäftsgrundlage führenden Umstände verwehrt ist, den Anspruch auf Vertragsanpassung geltend zu machen.459 In dem Urteil ging es um die Rückabwicklung eines Finanzierungsgeschäfts zwischen Bank und Leasinggeber, wobei auch das Verhältnis der Leasingvertragsparteien von Bedeutung war. Die an die Bank verkauften Forderungen aus den Leasingverträgen waren mangels Bonität der Leasingnehmerin und mangelnder Sicherheiten, weil die Leasingobjekte nicht in der angegebenen Anzahl existierten, wertlos. Die Veritätshaftung des Leasinggebers gegenüber der Bank hätte die Nichtigkeit der Leasingverträge, aus der die verkauften Forderungen stammen, vorausgesetzt. Das Gericht stellte fest, dass sich die Leasingnehmerin nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zwecks Kündigung des Leasingvertrags berufen kann, da sie die dem Vertrag zugrunde gelegten Umstände, das teilweise Fehlen der Leasingobjekte, selbst herbeigeführt hatte.460 Aus der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung ist zur vorsätzlichen Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses der „Strumpffabrikfall“461 bekannt. Vermutlich462 hatte einer der drei OHG-Gesellschafter die Betriebsstätte in Brand gesetzt, vermutlich um eine Brandschutzversicherung in Anspruch zu nehmen. Drei Tage nach dem Brand wurde der Belegschaft mit Ausnahme von fünf leitenden Angestellten, die mit der Abwicklung des Unternehmens betraut wurden, außerordentlich gekündigt. Gegen diese Kündigung setzte sich einer der Arbeitnehmer gerichtlich zur Wehr und verlangte bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er ein neues Arbeitsverhältnis aufgenommen hatte, „Lohnfortzahlung“, also Vergütung nach §§ 611, 615 S. 1, 3 BGB in der heutigen Fassung. Das BAG entschied zu Recht, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei, da es andernfalls zu einer unzulässigen Verlagerung des Betriebsrisikos auf den Arbeitnehmer käme, und dass der Anspruch auf Vergütung bestand, weil der Arbeitgeber unabhängig davon, ob der Brand selbst 458
BGH, Urt. v. 10. 11. 2004 – VIII ZR 186/03 – NJW 2005, 359, 362. Siehe nur MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 75; Palandt/Grüneberg, § 313 Rn. 22 f.; PWW/Stürner, § 313 Rn. 18. 460 BGH, Urt. v. 10. 11. 2004 – VIII ZR 186/03 – NJW 2005, 359, 362. 461 BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik). 462 Das Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführer wurde eingestellt, da ihnen die Brandstiftung nicht nachgewiesen werden konnte. 459
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
verschuldet war, das Risiko, der Zerstörung der Fabrik durch Brand, zu tragen hat, insbesondere deshalb weil von dem Betrieb einer Strumpffabrik wegen der leichten Entzündbarkeit synthetischer Stoffe eine hohe Brandgefahr ausgeht. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob sich dem Urteil Aussagen bezüglich der hier von Interesse befindlichen ordentlichen Kündigung entnehmen lassen. Grundlage dieser Entscheidung waren folgende Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Annahmeverzugsvergütung und Kündigungsrecht: „… die Frage, ob ein Arbeitgeber bei einer Betriebsstockung denjenigen Arbeitnehmern, die nicht beschäftigt werden können, aus wichtigem Grunde fristlos kündigen kann, [ist] eng damit verknüpft, ob der Arbeitgeber bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zur Lohnfortzahlung verpflichtet wäre. Wenn und solange die infolge der Betriebsstockung nicht einsatzfähigen Arbeitnehmer die Fortzahlung ihres Lohnes begehren können, kommt eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber nicht in Betracht. Wenn hingegen die Arbeitnehmer das Betriebsrisiko zu tragen haben und ihre Lohnansprüche damit entfallen, kann […] für beide Seiten ein berechtigtes Interesse bestehen, sich von einem inhaltlos gewordenen Arbeitsverhältnis zu lösen.“463 Dass das BAG eine Lösung vom Arbeitsverhältnis unter der Bedingung für zulässig hält, dass der Arbeitgeber nicht mehr zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, kann nicht so verstanden werden, dass diese Verknüpfung auch für die ordentliche Kündigung gelten soll. Denn das Urteil basiert auf dem klägerischen Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis für den Zeitraum bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden hat, infolgedessen der Kläger Lohnfortzahlung auch nur bis Ablauf der Kündigungsfrist verlangt hat. Offenbar hatte der Kläger im Anschluss an das bisherige Arbeitsverhältnis, circa einen Monat später, wieder eine anderweitige Arbeitsstelle gefunden, weswegen der entscheidungserhebliche Zeitraum seinerseits auf die Kündigungsfrist begrenzt worden war. Worum es dem BAG im Kern mit der Verknüpfung der Lohnfortzahlungspflicht mit dem Kündigungsrecht ging, beschränkt sich darauf, dass das vom Arbeitgeber zu tragende (Lohn-)Risiko wegen eines verwirklichten Betriebsrisikos nicht durch außerordentliche Kündigung auf den Arbeitnehmer abgewälzt wird.464 Dies zeigt sich auch darin, dass es an anderer Stelle heißt, dass im Falle des Ruhens der beiderseitigen Rechte und Pflichten ein berechtigtes Interesse für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses besteht.465 Wenn also demnach nach Ablauf der Kündigungsfrist das Recht zur außerordentlichen Kündigung besteht, bedeutet das im Umkehrschluss, dass eine ordentliche Kündigung auch bei einem vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko 463 BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik) unter Bezugnahme auf Müller, DGWR 1937, 208 ff.; Herschel, DGWR 1937, 297 ff. 464 BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik). 465 So auch Beuthien, Anm. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik).
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zulässig sein muss, da die ordentliche Kündigung ohnehin nur unter Einhaltung einer Frist möglich ist.466 Weiteres entscheidungserhebliches Kriterium ist nach Ansicht des BAG unter Bezugnahme auf den Lösungsvorschlag von Herschel467 der Sinn, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Dieser fehle, wenn das Arbeitsverhältnis auf unabsehbare Zeit nicht verwirklicht werden kann, weswegen in solchen Fällen das Kündigungsinteresse das Interesse am Erhalt des Arbeitsverhältnisses überwiegen könne.468 Diesen Gedanken hat Herschel später noch weiter konkretisiert, wonach das Verschulden des Arbeitgebers im Hinblick auf ein betriebliches Erfordernis selbst nach § 162 II BGB nicht zum Ausschluss des Kündigungsrechts führen kann, wenn dadurch ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis aufrechterhalten würde.469 Der Auffassung Herschels ist zu folgen. Dafür sprechen nicht nur die faktischen Umstände, unter denen sich das Arbeitsverhältnis schon aus tatsächlichen Gründen nicht fortsetzen lässt, sondern zu diesem Ergebnis führt auch die als negative Tatbestandsvoraussetzung durchzuführende Interessenabwägung. Selbst unter Zugrundelegung des wegen des Verschuldens verschärften Zumutbarkeitsmaßstabs gelangt man dazu, dass eine dauerhafte Fortführung des Arbeitsverhältnisses unter den Bedingungen, dass null Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer bestehen, der Arbeitsgeber aber zur Vergütung in voller Höhe verpflichtet ist, nicht zumutbar sein kann. Die Pflicht zur Fortführung eines derartig nachteilhaften Vertrags ohne Beendigungsmöglichkeit wäre schlichtweg nicht mit der Privatautonomie zu vereinbaren, zu deren Wahrung die Abstandnahme von Verträgen möglich sein muss. Dieses Ergebnis, wonach das Recht des Arbeitgebers zur betriebsbedingten Kündigung bestehen kann, selbst wenn dieser das betriebliche Erfordernis vorsätzlich herbeiführt, widerspricht einer verbreiteten Ansicht in der Literatur zum Umgang mit der vorsätzlich herbeigeführten Geschäftsgrundlagenstörung.470 Im Unterschied zu dem Leasingnehmer aus dem oben genannten Urteil471 ist das Verhalten des Arbeitgebers verfassungsrechtlich geschützt. Aus Art. 12 I GG folgt das Recht ein Unternehmen zu gründen, es zu führen und die aus Sicht des Unternehmers dazu notwendige Anzahl von Beschäftigten einzustellen.472 So wie niemand einen Anspruch auf Einstellung erheben würde, wenn ein Unternehmen gemessen an 466
Beuthien, Anm. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik). 467 Herschel, DGWR 1937, 297, 298. 468 BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik). 469 Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 22. 04. 1971 – 2 AZR 205/70 – AP KSchG § 7 Nr. 24; ders., FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 169; ders., Anm. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – SAE 1973, 193, 196. 470 Siehe nur MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 75; Palandt/Grüneberg, § 313 Rn. 22 f.; PWW/Stürner, § 313 Rn. 18. 471 BGH, Urt. v. 10. 11. 2004 – VIII ZR 186/03 – NJW 2005, 359, 362. 472 BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
seinen Zielen mit zu wenig Beschäftigten geführt wird, ist der Unternehmer nicht verpflichtet die vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten so zu belassen, wie sie ursprünglich geschaffen wurden.473 Bei einer nachweislichen Verminderung des Beschäftigungsbedarfs ist der Unternehmer berechtigt als actus contrarius zur Einstellung das Arbeitsverhältnis wieder zu beenden.474 Da es kein Recht auf einen Arbeitsplatz gibt475, ist der Unternehmer auch nicht verpflichtet seinen Betrieb für immer fortzuführen.476 Die Betriebsstilllegung, wodurch der gesamte Beschäftigungsbedarf dauerhaft entfällt, ist einer der Anwendungsfälle einer betriebsbedingten Kündigung.477 Neben den verfassungsrechtlichen Erwägungen kommt wie bereits erwähnt der von Herschel angeführte Aspekt zum Tragen, dass die durch den Fortfall des Beschäftigungsbedarfes eingetretene „Unmöglichkeit“ des Leistungsaustauschs unabhängig von einer schuldhaften Verursachung besteht. Die Arbeitsgerichte könnten den Arbeitgeber nicht zwingen seine Unternehmung wieder aufzunehmen oder fortzuführen. Daher ist die arbeitgeberseitige Verantwortung in Form der vorsätzlichen Betriebsstilllegung kein Grund das Recht zur betrieblichen Kündigung auszuschließen, solange es sich nicht um einen rechtsmissbräuchlichen Versuch handelt, die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes z. B. durch Verkleinerung der Betriebsgröße zu umgehen478. Gleiches gilt für die teilweise Betriebsstilllegung und Betriebsbeschränkung.
II. Fortfall von Beschäftigungsbedarf durch rechtsmissbräuchliches Verhalten Mit den Konsequenzen einer rechtsmissbräuchlichen Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses seitens des Arbeitgebers hat sich die Rechtsprechung bereits häufig befasst. Danach ist das Recht zur Kündigung tendenziell ausgeschlossen, wenn der Zweck der unternehmerischen Entscheidung nur darin besteht, den betroffenen Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu nehmen und sich von
473
KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 17; MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 112 Rn. 27. BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169, 176; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 213 f. 475 BAG, Urt. v. 14. 02. 1978 – 1 AZR 76/76 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58. 476 BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 91/98 – BAGE 90, 182, 188; Zöllner, 52. DJT, S. D 100. 477 MHdBArbR/Berkowsky, 3. Aufl., § 112 Rn. 27; LSSW/Schlünder, § 1 Rn. 397. 478 BAG, Urt. v. 20. 11. 2014 – 2 AZR 512/13 – NZA 2015, 679, 682 („Grenze der Willkür“); BAG, Urt. v. 23. 02. 2012 – 2 AZR 548/10 – NZA 2012, 852, 854; BAG, Urt. v. 16. 12. 2004 – 2 AZR 66/04 – NZA 2005, 761, 763 („begrenzte Überprüfung auf offensichtliche Unsachlichkeit, Unvernünftigkeit oder Willkür“); BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590. 474
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ihnen „frei“ zu trennen.479 Zudem nimmt die Rechtsprechung an, dass sich der Arbeitgeber nach dem Rechtsgedanken von § 162 BGB, wonach niemand berechtigt ist, aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten einen Vorteil zu ziehen, nicht berechtigt ist, sich auf das Fehlen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu berufen, wenn diese erst mit neu eingestellten Beschäftigten besetzt werden und danach den bisher Beschäftigten gekündigt wird.480 Die Unwirksamkeit der Kündigung als unmittelbare Folge des Rechtsmissbrauchs kann jedoch nicht die Lösung sein. Denn die Pflicht ein mangels Beschäftigungsbedarfes funktionslos gewordenes Arbeitsverhältnis fortzuführen ergibt keinen Sinn. Die Arbeitsgerichte können den Arbeitgeber weder dazu verpflichten, bezogen auf den zuletzt genannten Fall die neueingestellten Beschäftigten zu entlassen noch neue Stellen zu schaffen. Im Fokus der Entscheidung über die Kündigungsbefugnis muss daher auch beim Rechtsmissbrauch die Frage stehen, ob noch Beschäftigungsbedarf besteht oder nicht. Nach dem zugrunde zu legenden strengen Maßstab wird die Zumutbarkeitsfrage, welche Nachteile der Arbeitgeber bei der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hinzunehmen hat, z. B. Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Konditionen, wenn nur noch Beschäftigungsbedarf in stark reduziertem Umfang vorhanden ist, bei einem rechtsmissbräuchlich handelnden Arbeitgeber eher zu bejahen sein als im Normalfall. Vor diesem Hintergrund waren die Entscheidungen des BAG in den zwei zuerst genannten Urteilen, die Kündigungen für unwirksam zu erachten, richtig, denn in den beiden Fällen hatte sich die unternehmerische Entscheidung in keinster Weise auf den Beschäftigungsbedarf ausgewirkt.481 In einem der beiden Fälle482 hatte der Arbeitgeber gekündigt, um dieselben Tätigkeiten von neuen Arbeitnehmern verrichten zu lassen, die über eine in das Unternehmen eingegliederte Organgesellschaft (§ 2 II Nr. 2 UStG) tätig werden sollten. Durch die Übertragung der Arbeiten auf die Organgesellschaft hatte der Arbeitgeber versucht, den Fortfall des Beschäftigungsbedarfes für die bisherigen Arbeitnehmer herbeizuführen. Dadurch, dass gleichzeitig mit der Kündigung neue Arbeitnehmer die bisherigen Arbeitsabläufe übernehmen sollten, war jedoch gerade kein Beschäftigungsbedarf entfallen. Sollte die Maßnahme nur der Senkung der Personalkosten gedient haben, hätte der Arbeitgeber die ihm dafür zur Verfügung stehenden Mittel, einvernehmliche Vertragsauflösung, Änderungskündigung, natürliche Personalverringerung, wählen müssen oder er hätte versuchen können durch Tarifvertrag Einsparungen zu erreichen. Denn der Arbeitgeber hat mit Abschluss des Arbeitsvertrages seine Einstellungsentscheidung getroffen, nach welcher er sich unter
479 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 551; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590, 593. 480 BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 481 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549, 551; BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97 – NZA 1999, 590, 593. 482 BAG, Urt. v. 26. 09. 2002 – 2 AZR 636/01 – NZA 2003, 549.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
den Bedingungen des Kündigungsschutzes selbst zur Weiterbeschäftigung gebunden hat.483 In dem bereits im zweiten Teil484 genannten Fall485, in dem es um die Kündigung eines Fotosetzers ging, für den keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (mehr) bestand, da die Arbeitgeberin die zuvor freien Arbeitsplätze vor Ausspruch der Kündigung besetzt hatte, wäre nach diesseitiger Auffassung ebenfalls zu untersuchen gewesen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber hätte zugemutet werden können. Die Antwort hinge davon ab, ob noch irgendeine Form von Beschäftigungsbedarf vorhanden wäre. Ergibt das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung Null zu Hundert, wäre die Unzumutbarkeitsschwelle auch zu Gunsten des rechtsmissbräuchlich handelnden Arbeitgebers erreicht. Damit der Arbeitgeber, der vollendete Tatsachen schafft, nicht privilegiert wird, ist § 162 BGB entsprechend anzuwenden. Danach ist die Kündigung zwar nicht unwirksam, der vom Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich erlangte Vorteil der Kündigungsbefugnis darf diesem jedoch nicht kompensationslos erhalten bleiben. Nach dem Rechtsgedanken von § 162 BGB steht dem Arbeitnehmer daher ein Entschädigungsanspruch zu.486
III. Fortfall von Beschäftigungsbedarf durch betriebswirtschaftliche Fehlentscheidungen Der Fortfall des Beschäftigungsbedarfs, der die betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich legitimiert, kann auf einem fahrlässigen Verstoß des Arbeitgebers entweder gegen wirtschaftliche oder gegen rechtliche Pflichten beruhen. Aufgrund der unterschiedlichen Prüfungsdichte einer betriebsbedingten Kündigung, die einen wirtschaftlichen Anlass hat, und einer solchen, die auf einer strukturellen unternehmerischen Entscheidung beruht, ist bei der Untersuchung der Auswirkungen einer arbeitgeberseitigen Fehlentscheidung nach den Kündigungsursachen noch einmal innerhalb des Kündigungsgrundes zu differenzieren. Da hinsichtlich Letzterer, also bei Rechtsverstößen, eine umfangreichere Kontrolle möglich ist, sind weitreichendere Rechtsfolgen denkbar, die im nächsten Abschnitt erörtert werden.487
483 BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 484 Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. I. 2. 485 BAG, Urt. v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65. 486 Vgl. Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, 157, 169; ders., Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2; siehe Vierter Teil. 487 Siehe Dritter Teil unter § 8 C.
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1. Fahrlässige Herbeiführung der Störung im laufenden Arbeitsverhältnis Ob sich betriebswirtschaftliche Fehlentscheidungen des Arbeitgebers negativ auf dessen Kündigungsbefugnis in der Form auswirken, dass sich der vom Arbeitgeber zu erbringende Aufwand zur Vermeidung des Fortfalls des Beschäftigungsbedarfs erhöht, dass die Anforderungen an die Unzumutbarkeit hinsichtlich hinzunehmender Beeinträchtigungen steigen oder dass der Arbeitnehmer auf Sekundärebene zu entschädigen ist, hängt davon ab, inwieweit der Arbeitnehmer das Risiko der Kündigung übernommen hat. Dass sämtliche Entscheidungen, die die Führung des Betriebs betreffen, der unternehmerischen Freiheit zuzuordnen sind, verbietet es nicht grundsätzlich, an die Kündigung höhere Anforderungen zu stellen. Dies ließe sich durch die gegenläufigen Grundrechtspositionen der Arbeitnehmer durchaus rechtfertigen.488 Dies wäre jedoch eine rechtspolitisch zu treffende Entscheidung, die die derzeitige Ausgestaltung des Kündigungsschutzes nicht abbildet. Damit hängt das Kündigungsrecht davon ab, wie das Risiko, den Arbeitnehmer im Rahmen der Unternehmung beschäftigen zu können, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilt ist.489 Zur Beantwortung der Frage, wann der Arbeitnehmer dieses Risiko trägt, ist in erster Linie der Arbeitsvertrag maßgeblich. Haben sich die Parteien dahingehend geeinigt, dass betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sein sollen, übernimmt der Arbeitgeber das Risiko. Sofern die Parteien darüber keine Absprachen treffen490, gilt das Kündigungsschutzgesetz, wodurch betriebsbedingte Kündigungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zulässig sind. Dadurch, dass der Arbeitnehmer ein von ihm nicht zu beherrschendes Kündigungsrisiko wegen des Wegfalls von Beschäftigungsbedarf akzeptiert, willigt der Arbeitnehmer durch den Abschluss des Arbeitsvertrags darin ein, dass ein Teil des unternehmerischen Risikos, mit der Unternehmung zu scheitern, auf ihn abgewälzt wird. Entscheidend für die vorliegend zu beantwortende Fragestellung ist, in welchem Umfang sich diese Risikoverlagerung vollzieht oder ob die Risikoübernahme begrenzt ist. Ausgehend von den persönlichen Umständen des Arbeitnehmers und den situationsbedingten Umständen des Vertragsschlusses dürfte davon auszugehen sein, dass die Entwicklung des Unternehmens und das damit einhergehende Risiko Aspekte sind, die vom Arbeitnehmer bei seiner Entscheidung zum Vertragsschluss wohl eher nur unterbewusst berücksichtigt werden. Daher dürfte anzunehmen sein, dass die Arbeitsvertragsparteien zunächst davon ausgehen, dass der bei Vertragsschluss von ihnen vorgefundene Beschäftigungsbedarf weiterhin anhalten bzw. sich in ihrem Sinne entwickeln werde.491 Dennoch ist davon auszugehen, dass mit der Vertrags488
KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 560; Stein, BB 2000, 457, 460. Siehe Dritter Teil unter § 8 B. I., BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28 (Strumpffabrik). 490 Siehe Zweiter Teil unter § 2 F. 491 Vgl. Esser/Schmidt, SchuldR AT I/2, § 24 II wohl in Anlehnung an die clausula rebus sic stantibus als allgemeiner Rechtsgrundsatz. 489
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
zusage die Übernahme des Kündigungsrisikos jedenfalls für solche Kündigungen erklärt wird, die im Zusammenhang mit den marktbezogenen Umständen wie Nachfragerückgang, Absatzeinbruch, Verlust von Marktanteilen, konjunktureller Schwankungen etc. stehen, da die Abhängigkeit der Unternehmung von wirtschaftlichem Erfolg jedem klar sein dürfte. Aufgrund der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten gem. § 241 II BGB, die ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten verbieten, müsste der Arbeitnehmer an sich darauf vertrauen dürfen, dass der Arbeitgeber vertragsschädigendes Verhalten z. B. in Form betriebswirtschaftlich unsinniger Entscheidungen, unterlässt. Dies und die Auslegung im Zweifel nicht für fremde Fehler einstehen zu wollen, spräche für die Annahme, dass der Arbeitnehmer das Risiko wegen unternehmerischer Fehlentscheidungen gekündigt zu werden, nicht übernimmt. Das hätte zur Konsequenz, dass das Kündigungsrecht des Arbeitgebers erheblich eingeschränkt würde. Gerade im Hinblick auf die praktische Überprüfbarkeit erscheint dieses Ergebnis hinterfragungswürdig. Es ließen sich zwar Kontrollmaßstäbe finden, die für die Begrenzung der Risikoabwälzung herangezogen werden könnten. Danach ließe sich schuldhaftes Handeln des Arbeitgebers feststellen, z. B. wenn dieser gegen wesentliche Grundsätze betriebswirtschaftlichen Handelns im Sinne einer ordnungsgemäßen Unternehmensführung verstößt492 ; etwa, indem er sämtliche technologische, gesellschaftliche, rechtliche und politische Entwicklungen, die Einfluss auf die für den Markt relevante Bedürfnisstruktur haben, ignoriert. Als wiederkehrendes Kennzeichen von Unternehmensniedergängen lässt sich ausmachen, dass unrentable Investitionen getätigt werden, dass der Umsatz sinkt, dass Marktanteile verloren gehen, dass keine Gewinne mehr erwirtschaftet werden, dass (Personal-)Kosten in keinem ausgeglichenen Verhältnis zu den Einnahmen stehen, so dass sich das Management, „in die Enge getrieben“, zu immer riskanteren Geschäften hinreißen lässt. Die Abwendung der Krise gelingt dadurch nur in den wenigsten Fällen, so dass das Unternehmen schließlich in einer dauerhaften wirtschaftliche Krise verharrt (sog. „Segelschiff-Effekt“).493 Andererseits ist gerade Wesensmerkmal unternehmerischer Entscheidungen, dass sie unter Unsicherheit getroffen werden und stets dazu dienen Risiken einzugehen. Eine risikobehaftete Entscheidung kann also richtig sein, auch wenn sich im Nachhinein deren Misserfolg zeigt. Dies als ein unternehmerisches Fehlverhalten zu werten, erfordert daher speziellen Sachverstand, der durch Gutachten in die Arbeitsgerichtsprozesse geholt werden müsste. Da es jedoch weder Ziel des individuellen Kündigungsschutzes noch Aufgabe der Arbeitsgerichte ist, unternehmeri-
492
Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. III. Vgl. Dold/Gensch/Brockhoff, Handbuch für Innovationsmanagement, S. 191; Weis, Praxishandbuch Innovation, S. 54. 493
§ 8 Verantwortung für das betriebliche Erfordernis
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sche Entscheidungen auf Wirtschaftlichkeit hin zu überprüfen494, besteht für die Einholung solcher Sachverständigengutachten keine Notwendigkeit. Zudem widerspräche eine derartige Kontrolle auch der Intention des Kündigungsschutzgesetzes, betriebsbedingte Kündigungen als Ausprägung der unternehmerischen Freiheit, Art. 12 GG, in weitem Umfang zuzulassen. Da also eine Kontrolle insoweit nicht möglich ist, muss angenommen werden, dass dies auch den Parteien bewusst ist, wobei Erkennbarkeit gem. §§ 133, 157 BGB genügt. Die Konsequenz ist, dass der Arbeitnehmer das Risiko, aus betriebsbedingten Gründen gekündigt zu werden, auch in den Fällen trägt, in denen sich im Nachhinein herausstellt, dass das Kündigungserfordernis bei einer anderen unternehmerischen Entscheidung vermeidbar gewesen wäre. Dass in der Risikoübernahme auch die Risiken wirtschaftlicher Fehldispositionen eingeschlossen sind495, steht im Einklang mit der Entscheidung des Gesetzgebers den derzeitigen Kündigungsschutz so auszugestalten, dass bei betriebsbedingten Kündigungen gerade kein absoluter Kündigungsschutz zu Gunsten des Arbeitnehmers gewährt wird. Der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers ist ein Vorrang vor dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers eingeräumt. Die Gewährleistung eines sowohl im Sinne des Grundgesetzes als auch im Sinne der Wirtschaftsordnung unabdingbaren Rahmens unternehmerischer Freiheit sowie arbeitsmarktpolitische Erwägungen, wie die Förderung von Einstellungen, gebieten dies. Restriktionen bei der Kündigung zögen unerwünschte wirtschaftspolitische Folgen nach sich.496 Da der Arbeitnehmer also das Risiko für Kündigungen übernommen hat, haben unternehmerische Fehlentscheidungen des Arbeitgebers, die eine betriebsbedingte Kündigung auslösen, keine Auswirkungen auf die Kündigungsbefugnis. 2. Grob fahrlässige Herbeiführung der Störung im laufenden Arbeitsverhältnis Fraglich ist, ob die vollständige Überwälzung des Risikos auf den Arbeitnehmer für alle Arten wirtschaftlicher Fehlentscheidungen gilt oder ob zwischen einfach fahrlässigen und grob fahrlässigen Fehlentscheidungen zu differenzieren ist. So könnten bei grob fahrlässigen Entscheidungen, z. B. wegen offensichtlicher Vorhersehbarkeit bestimmter wirtschaftlicher Entwicklungen oder bei Geschäften, die von vornherein ein erhebliches Risiko enthalten, Einschränkungen vorzunehmen sein.
494
KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 560, 571; Herschel/Steinmann, Kündigungsschutz § 1 Rn. 41, 42a. 495 LAG Köln, Urt. v. 25. 08. 1994 – 6 Sa 152/94 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 27; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 239; i. E. KR-Rachor, § 1 Rn. 560. 496 Siehe Zweiter Teil unter § 2 F. III. 1. a).
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Im Regierungsentwurf des Kündigungsschutzgesetzes von 1951 wird mehrfach betont, dass das Gesetz vor „nicht notwendigen“ Kündigungen schützen soll.497 Dies könnte die Schlussfolgerung zulassen, dass der Gesetzgeber bei den zur betriebsbedingten Kündigung berechtigenden Umständen nur von solchen ausgegangen ist, die außerhalb des Einflussbereichs des Arbeitgebers liegen, weil Kündigungen, die nicht notwendig sind, vom Arbeitgeber vermieden werden können. Umgekehrt wären notwendige Kündigungen nur solche, die sich nicht vermeiden lassen. Damit könnte eine Beschränkung des Kündigungsrechts auf solche Kündigungen zum Ausdruck gebracht worden sein, deren Umstände gerade nicht auf einem krassen Fehlverhalten des Arbeitgebers basieren. Herschel spricht in diesem Zusammenhang von einem Schutz der Betriebszugehörigkeit vor „unbegründeter Zerstörung“ und sieht ein das Kündigungsrecht ausschließendes Fehlverhalten des Arbeitgebers darin, wenn Maßnahmen zur Abwendung der Kündigung, z. B. durch Arbeitsstreckung, nicht ergriffen werden.498 Erwähnenswert ist im Hinblick auf vermeidbare Störungen auch der Ansatz des BGH aus einem zur Grundlagenstörung entschiedenen Fall, in dem es darum ging, dass ein Hotelpächter wegen mangelnder Rentabilität aufgrund grob fahrlässiger unternehmerischer Fehlentscheidungen die Beendigung des Vertrages begehrte. Die Parteien hatten im Jahr 1964 einen Pachtvertrag über ein Hotel auf der Insel Juist geschlossen, der für eine Laufzeit von 20 Jahren gelten sollte. Dem Pächter wurde ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt, wenn ihm die Fortführung des Betriebs wegen höherer Gewalt oder eines sonstigen nicht verschuldeten Umstands unzumutbar wird. Ferner erhielt der Pächter das Recht, bauliche Veränderungen vorzunehmen, wenn er dafür die Kosten trägt. Der Verpächter verpflichtete sich im Gegenzug Zimmer und Restaurationsräume mit Heizung auszustatten und die notwendigen Außenreparaturen vorzunehmen. Nachdem der Verpächter es abgelehnt hatte die Zimmer mit Dusche, WC und Waschbecken auszustatten, kündigte der Pächter das Vertragsverhältnis nach zehn Jahren fristlos, mit der Begründung, er habe seit der Pachtübernahme nur Verlust erlitten, da sich aufgrund der mangelhaften sanitären Ausstattung das Objekt nicht kostendeckend bewirtschaften ließe.499 Das Gericht befand, dass weder die Voraussetzungen des vertraglich vereinbarten Kündigungsrechts vorlagen noch dass sich der Pächter auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen konnte.500 Nach Ansicht des Gerichts sind die Umstände, die nach dem Vertragszweck nur in den Risikobereich eines Vertragsteils fallen, grundsätzlich nicht geeignet, dem hierdurch betroffenen Vertragspartner eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu ermöglichen. Mit Abschluss des Pachtvertrags übernehme der Pächter das unternehmerische Risiko, während der Laufzeit des Vertrags Erträge zu erwirtschaften, die die Kosten decken und einen 497 498 499 500
RegBrg. BT-Drs. 1/2090, S. 9, 11. Herschel/Steinmann, Kündigungsschutzgesetz § 1 Rn. 41, 45. BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2391. BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2391.
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Gewinn erzeugen. In diesem Risiko inbegriffen seien alle nachfragebezogenen Schwankungen der Hotelauslastung wie etwa Änderung der Reisegewohnheiten, Änderung der Ansprüche an Leistung und Qualität, Preisdisziplin etc.501 Wurden bisher nur marktbezogene, nicht mit Sicherheit beherrschbare Faktoren aufgezählt, für die der Pächter die Verantwortung qua Risikozuweisung trägt, ist der die Fahrlässigkeit seines Verhaltens begründende Umstand der, dass es der Pächter trotz der offensichtlichen Vorhersehbarkeit, dass sich die Ansprüche der Hotelgäste an den Komfort der Zimmer ändern werden, nicht unternommen hat, die Hotelzimmer zu sanieren. Da „vorhersehbar war, dass Hotelgäste in zunehmendem Maße durch Zentralheizung beheizbare Zimmer mit Bad/WC oder Dusche/WC verlangen würden, ergab sich daraus die Notwendigkeit entsprechender baulicher Veränderungen“.502
Dadurch, dass der Pächter insoweit untätig geblieben ist, hat er durch sein eigenes Verhalten zum Nachfragerückgang nach seinem Hotel und letzten Endes zum nicht mehr rentablen Betrieb beigetragen. Dem entsprechend müsste grob fahrlässiges unternehmerisches Fehlverhalten angenommen werden, wenn trotz deutlicher Vorhersehbarkeit bestimmter negativer Entwicklungen nichts zu deren Abwendung unternommen wird. Aus der Vergangenheit ist der Niedergang großer namhafter Unternehmen, vergleichbar mit dem Schicksal des Hotelpächters, bekannt. Bei Rank Xerox führte die umständliche, vom technischen Fortschritt überholte Vertriebsstruktur zu erheblichen Verlusten von Marktanteilen.503 Im Fall der Baumarktkette „Praktiker“ hat die Unternehmensführung zu lange auf eine „Billigstrategie“ gesetzt, die fehlschlug, weil die für die Finanzierung der Preisführerschaft erforderliche Kostenführerschaft nicht gegeben war.504 Jüngst hat die Geschäftsführung des weltweit an Autohersteller liefernden Airbag-Produzenten Takata Insolvenz angemeldet, weil an einem offensichtlich mit Produktionsfehlern behaftetem Herstellungsverfahren – die ausgelösten Airbags führten wegen ihrer Inhaltsstoffe zum Tod der Fahrzeuginsassen – festgehalten wurde. Da in allen Fällen vorhersehbar war, dass sich aus der eigenen Untätigkeit negative Auswirkungen auf die Unternehmung und insbesondere dann den Beschäftigungsbedarf ergeben könnten, liegt es aufgrund der Parallelen zum Hotelpachtfall nahe, die Rechtsprechung zu übernehmen. Wie es im Hotelpachtfall angeklungen ist, in dem das Gericht dem Pächter zum Vorwurf machte, dass er bauliche Umbaumaßnahmen zwecks Anpassung an das zunehmende Verlangen der Gäste nach Komfort, nicht durchführte, obwohl diese Entwicklung „vorhersehbar“505 war, wird auch in der Literatur das Kriterium der 501 502 503 504 505
BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2391. BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2392. Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. III. 2. b). Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. III. 2. d), 5. BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390, 2392.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Vorhersehbarkeit zur Rechtfertigung der Risikozuweisung herangezogen506, bevor es die Kommentarliteratur als ein Ausschlusskriterium gegen die Anwendbarkeit der Lehre von der Geschäftsgrundlage aufgegriffen hat.507 Dahinter steht der Gedanke, dass derjenige, der Entscheidungen trifft, die sich letztlich als nachteilhaft herausstellen, aufgrund der Vorhersehbarkeit deren Folgen und sonstigen Entwicklungen die bessere Möglichkeit hatte, diese abzuwehren, zu mildern oder sich durch Versicherungen, Kreditaufnahme etc. darauf einzustellen.508 Ob die Störung durch aktives Tun herbeigeführt oder wegen Unterlassens nicht abgewendet wurde, spielt für die Bestimmung der Schwere des Verhaltensvorwurfes keine Rolle. In beiden Fällen richtet sich dies nach der „Vorhersehbarkeit“ und „Vermeidbarkeit“ (Möglichkeit und Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens) der Störung. Kegel spricht in diesem Zusammenhang von einem Verschulden gegen sich selbst, weil außerhalb des eigenen Machtbereichs liegende Umstände durch das Unterlassen der notwendigen Gegenmaßnahmen in den eigenen Machtbereich gezogen würden, weswegen die Vorhersehbarkeit das Berufen auf die Geschäftsgrundlage nach seiner Ansicht ausschließt.509 Die herrschende Meinung leitet aus der Vorhersehbarkeit eines Risikos zugleich die vertragliche Übernahme jenes Risikos durch die Partei ab, für welche das Risiko vorhersehbar war, sofern keine anderweitigen vertraglichen Absprachen erfolgt sind.510 Daraus wiederum folge, dass aus der Realisierung dieses Risikos keine Rechte hergeleitet werden können511; wie Kegel dargestellt hat, bedeute Risiko übernehmen, es zu tragen.512 Grund dieser Annahme könnten die historischen Wurzeln der Geschäftsgrundlage, die Lehre von der clausula rebus sic stantibus513, 506
Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 107 f.; Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 135, 200 ff.; Stötter, AcP 166 (1966), 149, 181; Ulmer, AcP 174 (1974), 167, 185 ff.; später Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 49 ff.; Köhler, FS BGH, Bd. I, S. 295, 303; Lembke, Vorhersehbarkeit und Geschäftsgrundlage, S. 174 ff.; kritisch Quass, Die Nutzungsstörung, S. 246 f. 507 Erman/Böttcher, § 313 Rn. 24; Jauernig/Stadler, § 313 BGB Rn. 24; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 74; Palandt/Grüneberg, § 313 Rn. 23; PWW/Stürner, § 313 Rn. 14; Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 82 ff. 508 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 53. 509 Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 135, 203. 510 Aus der Rspr. BGH, Urt. v. 23. 05. 2014 – V ZR 208/12 – NJW 2014, 3439, 3442; BGH, Urt. v. 09. 01. 2009 – V ZR 168/07 – NJW 2009, 1348; BGH, Urt. v. 10. 03. 1972 – V ZR 87/70 – WM 1972, 656, 657; grundlegend Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 135, 200: „Contracter c’est prévoir. Der Vertrag ist gefährlich und soll gefährlich sein.“; BeckOK/Lorenz, BGB (Stand: 01. 02. 2021) § 313 Rn. 28; Erman/Böttcher, § 313 Rn. 24; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 74; NK-BGB/Jung, § 313 Rn. 74. 511 In der Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 175, 176, heißt es dazu: „Bei zumindest voraussehbarer Änderung wird ein Festhalten am Vertrag aber oft zumutbar sein, etwa dann, wenn Vorkehrungen hätten getroffen werden können.“ 512 Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 135, 203. 513 Pfaff, FS Unger, S. 221 ff.; Seuffert, Obligatorische Verträge, S. 45 ff.
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die Lehre von der Voraussetzung514 oder die Geschäftsgrundlage nach Oertmann515, sein. Alle Theorien verfolgten das Ziel, eine Lösung für den Einfluss sich ändernder Wirtschaftsfaktoren, wie Krieg, Zölle, Ernteausfälle, auf den Bestand des Vertrags zu finden.516 In Anbetracht, dass es sich hierbei um plötzliche, von außen auf das Vertragsverhältnis wirkende Umstände handelt, widerspräche die Aufnahme vorhersehbarer, fahrlässig herbeigeführter oder nicht abgewendeter Umstände der Genese der Geschäftsgrundlagenlehre. Auf die betriebsbedingte Kündigung lässt sich der Gedanke, Vorhersehbarkeit als Ausschlusskriterium des Kündigungsrechts zu werten, nicht übertragen. Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen hätte das Gegenteil dessen zur Konsequenz, welches das Kündigungsschutzgesetz mit dem Recht zu betriebsbedingten Kündigungen bezweckt. Es soll dem Unternehmer ermöglichen seine Unternehmung nach seinen Vorstellungen mit dem von ihm dafür für erforderlich gehaltenem Personal zu führen, worin mittelbar die Wirtschaftlichkeit der Unternehmung eingeschlossen ist. Hat eine offensichtliche Fehlentscheidung nun dazu geführt, dass z. B. Marktanteile in erheblichem Umfang verloren gegangen sind, dass Umsätze eingebrochen sind, so dass Betriebsschließungen in Betracht kommen, wäre es hinsichtlich des Zwecks des Kündigungsrechts widersinnig dem Arbeitgeber Kündigungen zu verwehren. Denn der Ausschluss würde verhindern, dass der Arbeitgeber seine Unternehmung nach neuen Vorstellungen weiterführen kann; er wäre zur Fortsetzung der gescheiterten Unternehmung gezwungen, die Aufwendungen für Personalkosten würden die Gesamtsituation des Unternehmens vermutlich verschlimmern und eine Restrukturierung erschweren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Gesetz indes dazu dienen, dass der Arbeitgeber Anpassungen seines Personalbestandes an sein (neues) Unternehmenskonzept vornehmen kann. Die weitere Konsequenz des Ausschlusses des Kündigungsrechts wäre, dass über das Kündigungsschutzgesetz auf mittelbarem Wege eine bestimmte Unternehmensführung vorgegeben würde. Dass eine Unterteilung von Kündigungen in solche, deren betriebliches Erfordernis ggf. fahrlässig herbeigeführt wurde und die zulässig sind, und in solche mit einem grob fahrlässig herbeigeführten Anlass, die unzulässig sind, vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, ergibt sich aus dem Kündigungsschutzgesetz selbst. Das Kündigungsschutzgesetz enthält dazu schlichtweg keine Bestimmungen. Darüber hinaus gehört das Eingehen von Risiken jedweder Reichweite zu unternehmerischen Entscheidungen dazu, weswegen das Kriterium der Vorhersehbarkeit für wirtschaftlich bedingte Kündigungen ungeeignet ist, daran einen Rechtsausschluss zu knüpfen. Da theoretisch alles Erdenkliche voraussehbar wäre, lässt sich damit für den wirtschaftlichen Bereich keine Risikozuweisung zwischen 514
Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung; ders., AcP 78 (1892), 161 ff. 515 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. 516 Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 6, 9, 45 f.; Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 135, 153, 189; Köhler, FS BGH, Bd. I, S. 295; Wieling, Jura 1985, 505 ff.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
den Parteien vornehmen.517 Die Anwendung des Kriteriums hat im Arbeitsverhältnis auch deshalb keinen Sinn, weil ein Großteil der für die Betriebsführung notwendigen wirtschaftlichen Entscheidungen solche sind, die nur unter Unsicherheit getroffen werden können, bei denen also stets verschiedene Entwicklungsszenarien in Betracht kommen, durchgespielt werden müssen und mit denen stets ein wirtschaftliches Risiko einhergeht. Es kommt hinzu, dass das vom Unternehmer einzukalkulierende Risiko branchen-, markt- und produktabhängig variiert. Unternehmen, die ihren Absatzmarkt außerhalb Europas haben, deren Produktions- und Beschaffungsbereiche abhängig von Importgütern sind, unterliegen beispielsweise größeren Risikoschwankungen als ein ortsansässiger Handwerksbetrieb. Die metallverarbeitenden Betriebe können Krisen eher bewältigen als beispielsweise die Flugbranche oder kleinere Banken. Dafür, dass Arbeitgebern, deren Geschäftsgegenstand stärker risikobehaftet ist, die Kündigung von vornherein erschwert werden soll, gibt es jedoch im Kündigungsschutzgesetz oder in der Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte. Das Kündigungsschutzgesetz differenziert ab dem Vorhandensein von mehr als zehn Beschäftigten in einem Betrieb nicht einmal mehr nach der Größe oder Finanzkraft des Arbeitgebers. Auch wenn es systematisch folgerichtig gewesen wäre, die Einschränkungen, die nach der Lehre von der Geschäftsgrundlage hinsichtlich des Auflösungsrechts zu machen sind, auf das Kündigungsrecht zu übertragen, lässt sich dies nicht mit der unternehmerischen Freiheit vereinbaren, die jedwede Entscheidung wirtschaftlicher Bandbreite erlaubt. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Kündigungsschutzgesetz soll die unternehmerische Freiheit durch die Möglichkeit zur betriebsbedingten Kündigung verwirklicht werden.518 Auch vor diesem Hintergrund hat die zwar systematisch stringente Beschränkung hinter dem Verständnis, zu dem der Gesetzeszweck veranlasst, nämlich, dass betriebsbedingte Kündigungen, die durch wirtschaftliche Umstände grob fahrlässig herbeigeführt wurden, zulässig sind, zurückzutreten. Zweitens, muss die Schlussfolgerung, dass eine vorhersehbare Störung dazu führt, dass eine Vertragsbeendigung wegen Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen ist, in Frage gestellt werden. Denn dem BGB lässt sich auch die gegenteilige Wertung, dass die „Vorhersehbarkeit“ die Einrede der Unzumutbarkeit gerade nicht ausschließt, entnehmen. Gem. § 275 II 2 BGB ist bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen dessen Vertretenmüssen zu berücksichtigen. Die Regelung, dass das Vertretenmüssen zumutbarkeitserhöhend zu berücksichtigen ist, ist gerade kein Rechtsausschluss, sondern besagt, dass sich abhängig von der Verantwortung für das Leistungshindernis der Leistungsaufwand erhöht. Das kann dazu führen, dass eine Leistung noch zumutbar ist, so dass sich der Schuldner tatsächlich nicht auf Unmöglichkeit berufen kann. Das Ergebnis der Abwägung kann 517
Vgl. Soergel/Teichmann, § 313 Rn. 82 f., 84. RegBrg. BT-Drs. 1/2090, S. 11, wonach wirklich notwendige Kündigungen nicht verhindert oder erschwert werden sollen. 518
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indes auch sein, dass der Leistungsaufwand unzumutbar hoch wäre, so dass sich der Schuldner auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen kann. Der in der Rechtsprechung519 und Literatur520 teilweise angenommene Automatismus, dass Verschulden zum Rechtsausschluss führe, besteht demnach nicht. Vielmehr eröffnet das Gesetz Raum für eine Interessenabwägung, bei der sich das Vertretenmüssen zumutbarkeitserhöhend auswirken kann.521 Wenn schon das Vertretenmüssen keinen Ausschlussgrund darstellt, kann Vorhersehbarkeit als Komponente von Fahrlässigkeit ebenfalls nicht zum Ausschluss führen.522 Dieser Gedanke bezüglich der Leistungserschwerung lässt sich spiegelbildlich auf die Verwendungsstörung des Gläubigers übertragen. Das bedeutet, dass das Kündigungsrecht wegen der Vorhersehbarkeit von Umständen, die das betriebliche Erfordernis bedingen, nicht einzuschränken ist. Daher hat das LAG Köln523 die Kündigungsschutzklage eines als Polier beschäftigten Maurermeisters zu Recht abgewiesen. Dem Kläger war aus betriebsbedingten Gründen gekündigt worden, weil aufgrund unternehmerischen Fehlverhaltens der Bedarf für zwei Poliere entfallen war. Der Arbeitgeber hatte sich auf riskante Finanzierungsmodelle eingelassen, bewusst falsche Preiskalkulationen durchgeführt und technische Mängel in Kauf genommen. Ausgehend von der Vertragszusage gehört das Risiko betriebswirtschaftlicher Fehlentscheidungen, zu dem Risiko, das der Arbeitnehmer – auch wenn es ihm widerstrebt – zu tragen hat, weil er es mit Akzeptanz der Möglichkeit zur betriebsbedingten Kündigung übernimmt. Folgerichtig ist der Arbeitgeber trotz dieser gesteigerten Verantwortung für das betriebliche Erfordernis zur Kündigung berechtigt. 3. Herbeiführung der Störung durch vorvertragliche fehlerhafte Personalplanung Der Arbeitskräfteüberhang kann auch dadurch vom Arbeitgeber zu verantworten sein, dass er vor Vertragsschluss seinen Bedarf an Arbeitskräften falsch eingeschätzt hat. Der Irrtum und die darauf beruhende Herbeiführung des betrieblichen Erfor519 BGH, Urt. v. 21. 12. 2010 – X ZR 122/07 – NJW 2011, 989, 991; BGH, Urt. v. 24. 09. 2002 – XI ZR 345/01 – NJW 2002, 3695, 3697 f.; BGH, Urt. v. 03. 05. 1995 – XII ZR 29/94 – BGHZ 129, 297, 310; BGH, Urt. v. 19. 04. 1978 – VIII ZR 182/76 – NJW 1978, 2390 f. 520 Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 107 f.; Kegel, Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, S. 135, 200 ff.; Stötter, AcP 166 (1966), 149, 181; Ulmer, AcP 174 (1974), 167, 185 ff.; später Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 49 ff.; Köhler, FS BGH, Bd. I, S. 295, 303; Lembke, Vorhersehbarkeit und Geschäftsgrundlage; MünchKomm BGB/ Finkenauer, § 313 Rn. 75; NK-BGB/Jung, § 313 Rn. 76; PWW/Stürner, § 313 Rn. 18. 521 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 6 Rn. 20 f. 522 Vgl. Lembke, Vorhersehbarkeit und Geschäftsgrundlage, S. 111 f., 170 f., wonach aus der Vorhersehbarkeit eines Risikos weder dessen Übernahme noch ein Verschuldensvorwurf gegen sich selbst folge. 523 LAG Köln, Urt. v. 25. 08. 1994 – 6 Sa 152/94 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 27.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
dernisses wären vermeidbar gewesen, wenn der Arbeitgeber eine Personalbedarfsplanung vorgenommen hätte. Hier ebenfalls anzunehmen, dass das Kündigungsrecht des Arbeitgebers keinen Einschränkungen unterliegt524, wirft Fragen auf. Bei der unterlassenen Bedarfsplanung handelt es sich um einen vom Arbeitgeber zu verantwortenden Fehler, für den der Arbeitnehmer im Wege der Vertragszusage im Zweifel nicht das Kündigungsrisiko übernehmen wollte. Daher spricht hier viel dafür, dass das Kündigungsrecht des Arbeitgebers nicht uneingeschränkt bestehen kann. In Betracht käme eine Verschärfung des an die Unausweichlichkeit der Kündigung anzulegenden Maßstabs525 dadurch, dass sich die Unzumutbarkeitsgrenze zu Lasten des Arbeitgebers verschiebt. Die Hürden für die Darlegung der Unzumutbarkeit dürfen jedoch nicht derart hoch gelegt werden, dass eine solche Darlegung nahezu unmöglich ist und Kündigungen ausgeschlossen sind. Wenn das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bei nicht vorhandenem Beschäftigungsbedarf Null zu Hundert beträgt, ist dem Arbeitgeber auch unter Zugrundelegung des wegen seines Verschuldens verschärften Zumutbarkeitsmaßstabs die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar, so dass er kündigen kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein neueingestellter Arbeitnehmer hinsichtlich des Erhalts seines Arbeitsverhältnisses weniger schutzwürdig ist als ein langjährig Beschäftigter. Wie bei den Kündigungen, die im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Fehlentscheidungen stehen, stünde die Wirksamkeitsprüfung der Kündigung hier zwangsläufig in Konflikt mit dem unternehmerischen Konzept. Da es darum geht, mit wie viel Arbeitskraft die Unternehmensstrategie umgesetzt werden soll, ist die unternehmerische Freiheit in ihrem Kernbereich berührt, weswegen eine Verpflichtung zu einer Weiterbeschäftigung unter eines zu Lasten des Arbeitgebers veränderten Verhältnisses von Arbeitsumfang und Gegenleistung nur schwer möglich sein kann. Dafür, dass der Arbeitgeber entgegen der Risikoverteilung kündigen kann, muss er den Arbeitnehmer entschädigen.526
C. Erschwerung der Kündigung Trägt der Arbeitgeber die Verantwortung für das betriebliche Erfordernis durch Verhaltensweisen, die nicht dem Kernbereich der unternehmerischen Freiheit unterfallen, kann es zu Erschwerungen des Kündigungsrechts kommen. Wie oben dargelegt527, sind dies rechtsmissbräuchliche oder betriebsverfassungswidrige Entscheidungen, durch die das betriebliche Erfordernis herbeigeführt oder die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vereitelt wird. Da das zur Kündigung führende Handeln des Arbeitgebers anders als die die wirtschaftlichen Belange des Betriebs betref524 525 526 527
Vgl. Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, 157, 168, 169. Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 169. Siehe Vierter Teil. Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. I., II.
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fenden Entscheidungen nicht demselben verfassungsrechtlichen Schutz unterliegt, können die Anforderungen an die fehlende Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses erhöht werden. Trotz Fortfalls von Beschäftigungsbedarf kann der Arbeitgeber verpflichtet sein das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Dass Fortfall von Beschäftigungsbedarf nicht zu einer „Sinnentleerung“ des Arbeitsverhältnisses führt, wurde in der Literatur auch anders gesehen.528 Der Einwand Herschels529, dass bei Fortfall des Beschäftigungsbedarfs ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis entstünde, erscheint auf den ersten Blick nicht ungerechtfertigt zu sein, da die Fälle des dauerhaften Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs der Situation der Unmöglichkeit nahe stehen. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass mit einer Betriebseinstellung oder der Aufgabe von Betriebsstätten nicht das Ende der gesamten Unternehmung verbunden sein muss. Die Einstellung eines Betriebs schließt nicht aus, dass an anderen Betriebsstätten ein Beschäftigungsbedarf besteht. Entscheidend ist also in welchem Umfang Beschäftigungsbedarf entfällt. Darüber hinaus kommt es darauf an, ob das Beschäftigungshindernis dauerhaft oder nur vorübergehend besteht.
I. Weiterbeschäftigung oder Entschädigung Als Kompromiss zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, der mit der derzeitigen Ausgestaltung des Kündigungsschutzes konform ist, lässt sich über eine strengere Pflicht zur Weiterbeschäftigung nachdenken. Infolgedessen obläge dem Arbeitgeber ein größerer Aufwand bei der Darlegung der Erforderlichkeit der Kündigung und Kündigungen würden wegen der Vorrangigkeit einer Weiterbeschäftigung hinausgezögert. Dies erfordert keine gesetzliche Änderung des Kündigungsschutzes, da sich dieses Ergebnis durch eine geänderte Gewichtung in der Interessenabwägung bei Zugrundelegung eines angepassten Bewertungsmaßstabs erreichen lässt. Dadurch, dass die Weiterbeschäftigungspflicht ausgedehnt wird, entstehen im Verhältnis zur Kündigung mildere Mittel, wodurch die Kündigung weniger notwendig wird und wodurch sich die Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit für den Arbeitgeber erhöhen. Konkret wäre die Weiterbeschäftigungspflicht, die grundsätzlich nur bezüglich freier bzw. in absehbarer Zeit frei werdender und mit der bisherigen Tätigkeit vergleichbarer Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens für einschlägig gehalten wird530, im Fall der schuldhaften Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses durch den Arbeitgeber derart zu modifizieren, dass sie 528
Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 169. Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 169. 530 BAG, Urt. v. 08. 05. 2014 – 2 AZR 1001/12 – NZA 2014, 1200, 1202; BAG, Urt. v. 07. 02. 1991 – 2 AZR 205/90 – AP KSchG 1969 § 1 Umschulung Nr. 1; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 109; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 250; KR-Rachor, § 1 KSchG Rn. 818. 529
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
unabhängig von aktuell freien Arbeitsplätzen greift, so dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben wird, auf einem später, für den Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht vorhersehbar, frei werdenden Arbeitsplatz weiter zu arbeiten.531 In der Zeit, in der noch kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, sind vom Arbeitgeber zu finanzierende Überbrückungsmöglichkeiten, wie Umschulungen oder Qualifizierungsmaßnahmen für andere Tätigkeiten, in Betracht zu ziehen. Dadurch wird der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses verbessert. Denn die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlängert sich, dadurch, dass eine Art Wartefrist eingehalten werden muss, in der versucht wird, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer zu finden. Weiter werden die Interessen des Arbeitnehmers dadurch geschützt, dass er sich während dieser Zeit weiterbilden kann, da sich dadurch seine Chance auf eine Weiter- oder auf eine schnelle Anschlussbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber erhöhen. Darüber hinaus folgt aus der erweiterten Weiterbeschäftigungspflicht, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für andere freie Arbeitsplätze, für die der Arbeitnehmer die notwendige Qualifikation besitzt, die aber nicht mit der Tätigkeit der bisherigen Stelle vergleichbar sind und unter normalen Bedingungen nicht von der Weiterbeschäftigungspflicht erfasst werden, ein neues Vertragsangebot unterbreiten muss bzw. analog § 313 I BGB einer Vertragsanpassung zustimmen muss. Die dem Arbeitgeber zumutbare Zeit, den Arbeitnehmer bei weiterer Bezahlung im Betrieb zu halten, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt auf einer anderen Stelle weiterbeschäftigen zu können, kann nicht unbegrenzt sein. Das entspräche einem Ausschluss des Rechts zur Kündigung „durch die Hintertür“. Daher ist die Zeit der einsatzlosen Weiterbeschäftigungspflicht zu beschränken, so dass nach Ablauf dieser Zeit, sofern sich die betrieblichen Umstände nicht verändert haben, also kein Arbeitsplatz frei geworden, kein Bedarf für den Einsatz des zu kündigenden Arbeitnehmers entstanden ist, die Kündigung schließlich erforderlich ist, der Arbeitgeber folglich von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen kann. Bei der Ermittlung der zumutbaren Dauer der Weiterbeschäftigung sind als Bemessungsfaktoren die Größe des Unternehmens, die Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers und die Dauer der Weiterbildungsmaßnahme heranzuziehen. Als zumutbar dürfte ein Zeitraum von mindestens sechs Wochen gelten. Wie sich aus § 3 I EFZG ergibt, ist dies ein Zeitraum, den der Gesetzgeber selbst bei einer vom Arbeitgeber nicht verschuldeten Störung grundsätzlich für diesen hinnehmbar hält. Ausnahmen gelten in Krisenzeiten und bei Massenentlassungen. Kann der Arbeitgeber darlegen, dass eine Weiterbeschäftigung von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben wird, z. B. wegen Betriebsaufgabe, kommt als letzte Möglichkeit eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Ent-
531 Unzutreffend daher das LAG Hamm, Urt. v. 20. 01. 2000 – NZA-RR 2000, 239, 240 in dem der Zusammenhang zwischen Verantwortung am Kündigungsgrund und gesteigerter Weiterbeschäftigungspflicht seitens des Arbeitgebers verkannt wurde.
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schädigung in Betracht.532 Obwohl das Kündigungsschutzgesetz ein Bestandsschutzgesetz ist, ist diesem das Abfindungskonzept, wie aus §§ 1a, 9 KSchG folgt, nicht fremd.533 Zudem wird das Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten, dadurch, dass dem Bestandsschutz Vorrang gegenüber der Abfindungslösung eingeräumt wird, nicht in Frage gestellt, da die Abfindungslösung lediglich das Ergebnis der gesteigerten Kündigungsanforderungen wegen des vom Arbeitgeber zu verantwortenden Kündigungsgrundes ist. Der Bestandsschutz wird zudem dadurch gestärkt, dass sich die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers erhöhen. Um von der Entschädigungslösung Gebrauch machen zu können, muss dargelegt werden, dass die zuvor genannten Möglichkeiten entweder ausgeschöpft worden, nicht erfolgsversprechend oder unzumutbar sind. Der Gedanke, Verantwortung in eine entgeltliche Entschädigung zu transformieren, findet sich auch in §§ 326 II, 645 BGB, wonach der Schuldner die Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger nicht entschädigungslos hinnehmen muss, da er vom Gläubiger weiter (teilweise) Vergütung verlangen kann. Soweit daraus folgt, dass es eine entschädigungslose Entlastung des Gläubigers aus dem Schuldverhältnis nicht gibt, sofern er die „Störung“ des Leistungsverhältnisses zu verantworten hat, muss dies erst recht gelten, wenn die Schwere der Störung hinter der Unmöglichkeit der Leistung zurückbleibt, sondern vielmehr im Bereich der Verwendbarkeit der Leistung liegt und auf freien Entschlüssen des Gläubigers beruht. Denn selbst bei vorsätzlicher Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses, wäre der Arbeitnehmer nicht aus tatsächlichen Gründen gehindert die Arbeitsleistung zu erbringen.534 Der zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung führende Umstand ist erst die vom Arbeitgeber getroffene Entscheidung, einen Überhang an Arbeitskräften abzubauen. Führt man die Grundsätze der Lehre der Geschäftsgrundlage mit der gesetzgeberischen Entscheidung zusammen, der unternehmerischen Freiheit unter bestimmten Voraussetzungen den Vorrang vor dem Kündigungsschutz einzuräumen, ergibt dies eine „Abfindungslösung“535, wonach das Arbeitsverhältnis nur gegen Leistung einer Entschädigung aufgelöst werden kann536, wobei der Grad der arbeitgeberseitigen Verantwortung bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung 532 Vgl. Herschel, FS Schnor von Carolsfeld, S. 157, 169; ders., Anm. BAG, Urt. v. 22. 04. 1971 – 2 AZR 205/70 – AP KSchG § 7 Nr. 24. 533 In vielen Mitgliedsstaaten der EU wird eine Abfindungslösung statt Bestandsschutz praktiziert: z. B. Abfertigungsanspruch in Österreich, Transitievergoeding in den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Portugal (näher dazu Mozet, NZA 1998, 128 ff.; Zachert, Beendigungstatbestände von Beschäftigungsverhältnissen im internationalen Vergleich, S. 11 ff.; ders., WSI Mitteilungen 3/2004, S. 132, 133). 534 Das vorsätzliche Abbrennen der Betriebsstätte stellt wohl nur einen dramatischen Ausnahmefall dar (vgl. BAG, Urt. v. 28. 09. 1972 – 2 AZR 506/71 – AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 28). 535 Siehe Vierter Teil. 536 So i. E. auch Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157, 168 f. der zur Begründung des „Schadensersatzanspruchs“ den Gedanken des § 162 II BGB heranzieht.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
zum Ausdruck kommen sollte. Bei vorsätzlicher Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses müsste die Entschädigung also höher ausfallen als bei Fahrlässigkeit. Zusammengefasst, die Verantwortung des Arbeitgebers für das betriebliche Erfordernis bewirkt, dass sich die Weiterbeschäftigungspflicht auf einen längeren Zeitraum erstreckt und Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen umfasst. Sie ist vorrangig vor einer Entschädigung in Geld. Die Verantwortung des Arbeitgebers kann jedoch nicht zur Folge haben, dass die Weitbeschäftigungspflicht auf den gesamten Konzern ausgedehnt wird. Dem steht erstens entgegen, dass der Verantwortungsbereich des Arbeitgebers regelmäßig auf seine Unternehmung begrenzt ist. Es fehlt die Berechtigung über die Personalangelegenheiten anderer Unternehmen des Konzerns entscheiden zu können.537 Zweitens ist die Intensivierung der Weiterbeschäftigungspflicht deswegen begründet, weil der Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für die Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses trägt. Den Verantwortlichen der anderen konzernangehörigen Unternehmen ist das hier zu Einschränkungen der Kündigungsbefugnis führende Verhalten des einen Arbeitgebers nicht zurechenbar538, so dass ein Eingriff in deren unternehmerische Gestaltungsfreiheit nicht zu rechtfertigen ist.
II. Abbau rechtlicher Hindernisse aus der Sphäre des Arbeitgebers Exemplarisch für den Abbau rechtlicher Hindernisse aus der Sphäre des Arbeitgebers steht das Ersuchen einer Einigung mit dem Betriebsrat bei vorausgegangenen Verstößen gegen das BetrVG. Hat der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 99 I BetrVG verletzt539 und verlangt dieser gem. § 101 S. 1 BetrVG die Beseitigung des betriebsverfassungswidrigen Zustandes, besteht aufgrund des betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbots ein Beschäftigungsüberhang. Bei der Untersuchung, wie sich das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitgebers auf dessen Kündigungsbefugnis auswirkt, ist zwischen einer rechtmäßigen und einer nicht gerechtfertigten Verweigerung seitens des Betriebsrats zu unterscheiden.
537 Der Einfluss eines beherrschenden Unternehmens ist grundsätzlich gesellschaftsrechtlich vermittelt, d. h. Einflussmöglichkeiten bestehen über den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung entsprechend derer Zuständigkeiten (siehe hierzu MünchKomm AktG/Bayer, § 17 Rn. 14 ff.). Zu den Ausnahmen aufgrund faktischer oder vertraglicher Einflussmöglichkeiten siehe ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 246, welche nichts daran ändern, dass die gesteigerten Weiterbeschäftigungspflichten mangels Zurechenbarkeit nicht zu rechtfertigen sind. 538 Das gilt auch im Verhältnis zwischen einem i. S. v. § 17 AktG abhängigen und beherrschenden Unternehmen. 539 Siehe Zweiter Teil unter § 3 D. II. 2.
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1. Ungerechtfertigte Verweigerung der Zustimmung Wenn die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Maßnahme unbegründet ist, ändert dies nichts daran, dass zunächst eine wirksame Zustimmungsverweigerung im Raum steht.540 Der Vollzug der personellen Maßnahme wäre folglich betriebsverfassungswidrig, weswegen es in Fällen ungerechtfertigter Zustimmungsverweigerung zu einem Überhang von Beschäftigungsbedarf kommen kann. Scheitert z. B. eine Versetzung eines Arbeitnehmers an der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, selbst wenn dessen bisherige Stelle bereits wiederbesetzt ist, nicht ohne Einschränkungen betriebsbedingt kündigen. Mit der dem Arbeitnehmer angebotenen Versetzung hat er bei diesem berechtigtes Vertrauen in deren Erfolg hervorgerufen, das er durch sein betriebsverfassungswidriges Handeln verletzt hat. Daraus folgt erstens, dass sich der Arbeitgeber erneut um eine Einigung mit dem Betriebsrat zu bemühen hat. Zweitens muss er von seinem Recht aus § 99 IV BetrVG, wonach er ein Zustimmungsersetzungsverfahren beantragen „kann“, Gebrauch machen. Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber, dass dieser zur Durchsetzung seiner Rechte ein Gerichtsverfahren bestreitet.541 Bei Vorliegen besonderer Umstände ist anerkannt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 IV BetrVG durchzuführen.542 Ein Anspruch besteht, beispielsweise wenn der Arbeitgeber dies vertraglich durch eine Selbstverpflichtung zugesichert hat543, wenn die Verweigerung offensichtlich unbegründet ist544, oder wenn ein kollusives Zusammenwirken zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zu Lasten des Arbeitnehmers vorliegt545. Wie sich der zuletzt genannten Ausnahme entnehmen lässt, ist ein Verschulden des Arbeitgebers also geeignet, die Pflicht zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens zu begründen. Anders als im Fall der Kollusion ist nicht zwingend, dass der Arbeitgeber bei einem betriebsverfassungswidrigen Handeln vorsätzlich gehandelt hat. Regelmäßig wird der Verstoß auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sein. Die Unterrichtungspflicht des Betriebsrats gem. § 99 I BetrVG besteht unabhängig von Verschulden. Ein Verstoß gegen diese Pflicht, auch ein unverschuldeter, begründet je-
540 BAG, Beschl. v. 21. 11. 1978 – 1 ABR 91/76 – AP BetrVG 1972 § 101 Nr. 3; BAG, Beschl. v. 18. 07. 1978 – 1 ABR 43/75 – AP BetrVG 1972 § 101 Nr. 1; Richardi BetrVG/ Thüsing, § 99 Rn. 302. 541 BAG, Urt. v. 21. 02. 2017 – 1 AZR 367/15 – AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 68. 542 BAG, Urt. v. 22. 09. 2005 – 2 AZR 519/04 – BAGE 116, 7, 16; Richardi BetrVG/Thüsing, § 99 Rn. 312. 543 BAG, Urt. v. 16. 03. 2010 – 3 AZR 31/09 – NZA 2010, 1028, 1030. 544 BAG, Urt. v. 22. 09. 2005 – 2 AZR 519/04 – BAGE 116, 7, 16. 545 BAG, Urt. v. 16. 03. 2010 – 3 AZR 31/09 – NZA 2010, 1028, 1030; BAG, Urt. v. 22. 09. 2005 – 2 AZR 519/04 – BAGE 116, 7, 16.
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
doch entsprechend dem Gedanken der Ingerenz die Verantwortung des Arbeitgebers das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen. Bis zum Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens kann der Arbeitgeber nicht kündigen und ist gem. § 615 S. 1, 3 BGB zur Zahlung des Annahmeverzugslohns verpflichtet. Im Fall der Neueinstellung unterfällt der Arbeitnehmer nicht dem Bestandsschutz des Kündigungsschutzgesetzes bis das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, § 1 I KSchG. Bliebe die Pflichtwidrigkeit des Arbeitgebers deswegen unberücksichtigt, würde man nach Ansicht von Richardi den Arbeitnehmer um seinen sozialen Bestandsschutz bringen.546 Der Arbeitgeber könnte das Vertragsverhältnis einseitig beenden, obwohl der Arbeitnehmer nach Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens einen Anspruch auf Beschäftigung gehabt hätte und nach Ablauf der entsprechenden Zeit den Kündigungsschutz erlangen würde. Es könne nicht sein, dass ein betriebsverfassungswidriger Zustand, den der Arbeitgeber herbeigeführt hat, Grund dafür ist, dem Arbeitnehmer seinen Bestandsschutz zu nehmen.547 Dabei übersieht Richardi jedoch, dass der Gesetzgeber die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses als Erprobungszeit belassen hat, in der es dem Arbeitgeber freistehen soll, dem Arbeitnehmer zu kündigen oder ihn weiterzubeschäftigen. Bei Ausspruch der Kündigung soll der Arbeitgeber nur an die Einhaltung der Kündigungsfrist (§ 622 I BGB) gebunden sein.548 Daher wirkt sich die Pflichtwidrigkeit des Arbeitgebers auf dessen Kündigungsbefugnis erst aus, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht. Die oben genannten Einschränkungen bei der Kündigung im Fall der nicht durchführbaren Versetzung gelten entsprechend für den Fall, dass der neueingestellte Arbeitnehmer aufgrund eines betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbotes nicht beschäftigt werden kann. 2. Gerechtfertigte Verweigerung der Zustimmung Verweigert der Betriebsrat der Einstellung eines Arbeitnehmers zu Recht die Zustimmung, muss sich der Arbeitgeber, auch wenn der Arbeitnehmer bereits Bestandsschutz genießt, von dem Arbeitsvertrag lösen können. Das eigene Verschulden hinsichtlich der Herbeiführung des Beschäftigungsüberhangs aufgrund des Verstoßes gegen das BetrVG schließt, wie oben dargelegt, das Kündigungsrecht nicht automatisch aus. Die dauerhafte Bindung an einen Arbeitsvertrag, ohne dass der Arbeitnehmer beschäftigt werden kann, der Arbeitgeber aber zur Zahlung der Vergütung gem. § 615 S. 1, 3 BGB verpflichtet ist, ist für den Arbeitgeber unzumutbar. Wenn der Arbeitnehmer keine Leistung erbringt, der Arbeitgeber im Gegenzug die 546
Richardi, DB 1973, 428, 429 f. Richardi, DB 1973, 428, 430. 548 BAG, Urt. v. 20. 02. 2014 – 2 AZR 859/11 – NZA 2014, 1083, 1085; BAG, Urt. v. 16. 02. 1989 – 2 AZR 347/88 – NZA 1989, 962; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 27 f. 547
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volle Gegenleistung schuldet, ist das Äquivalenzverhältnis in erheblicher Weise gestört. Nun könnte eingewandt werden, dass der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 615 S. 1, 3 BGB nicht einmal ein Verschulden des Arbeitgebers voraussetzt. Sogar ohne jegliches Verschulden kann ein Arbeitgeber dazu verpflichtet sein, den aus seiner Sicht sinnfreien Zustand hinzunehmen, also Vergütung zahlen zu müssen, ohne dass der Arbeitnehmer seine Leistung erbringt. Führt der Arbeitgeber diesen Zustand schuldhaft herbei, kann dies also nicht unmittelbar zur Unzumutbarkeit führen. Im Unterschied zum Annahmeverzug kann der Arbeitgeber in der vorliegenden Situation den Annahmeverzug nicht durch Wiederannahme der Leistung beenden. Verwehrte man ihm, das Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche Kündigung zu beenden, bliebe er dauerhaft an dieses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung gebunden. Die Dauerhaftigkeit ist also der Aspekt, der den Zustand unzumutbar macht und die Kündigung letztlich rechtfertigt. Der einzige von der Seite des Arbeitnehmers herrührende Umstand, der sich zumutbarkeitserhöhend zu Lasten des Arbeitgebers auswirken könnte, ist dessen Vertrauen in den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Aufgrund der nur kurzen Dauer des Arbeitsverhältnisses kann dieses am Kündigungsrecht im Ergebnis nichts ändern. Da der Betriebsrat die Weiterbeschäftigung rechtmäßig verweigert, hat eine Verlängerung der Weiterbeschäftigungspflicht mit dem Ziel, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu beschäftigen, keinen Sinn. Denkbar wäre die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb des Unternehmens. Aufgrund der nur kurzen Dauer des Arbeitsverhältnisses kann von dem Arbeitgeber aber nicht dieselbe Anstrengung verlangt werden, die zur Vermeidung einer Kündigung eines langjährigen Beschäftigten erwartet würde. Aus diesem Grund scheidet hier die Pflicht zur Weiterbeschäftigung aus. Der Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer findet daher auf Sekundärebene statt. Der Arbeitnehmer hat für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber. Als Anspruchsgrundlagen kommen dafür §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten, gerichtet auf Ersatz des Vertrauensschadens, und § 311a BGB, gerichtet auf das positive Interesse, in Betracht. Bei der Höhe der Entschädigung ist einerseits der Verschuldensgrad des Arbeitgebers und andererseits die Dauer, für die das Arbeitsverhältnis bestand, zu berücksichtigen. Im Fall der Einstellung dürfte diese also tendenziell nicht sehr hoch ausfallen. Anders gestaltet es sich, wenn der Betriebsrat die vom Arbeitgeber in Aussicht gestellte Versetzung zu Recht verweigert, die bisherige Stelle des Arbeitnehmers aber wiederbesetzt ist. Da der Arbeitnehmer auf der neuen Stelle nicht eingesetzt werden kann und auf die alte Stelle nicht mehr zurück kann, entsteht hier wieder ein Beschäftigungsüberhang. Aufgrund der vorausgehenden Beschäftigung, die den betroffenen Arbeitnehmer entsprechend der Dauer schutzwürdiger macht, kann der Arbeitgeber den Beschäftigungsüberhang nicht unmittelbar durch eine Kündigung beseitigen. Sein Verschulden erhöht den von ihm zu betreibenden Aufwand, die Kündigung durch eine Weiterbeschäftigung zu vermeiden. Zudem dürfte sich die
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
längere Beschäftigungsdauer auch in der Sozialauswahl auswirken. Der länger Beschäftigte dürfte in der Regel sozial schutzwürdiger sein. Aufgrund der längeren Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kommt hier anders als bei der gescheiterten Einstellung auch eine Pflicht zur Weiterbildung in Betracht. Zudem verlängert sich die Pflicht, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, um diesem größere Chancen auf die Weiterbeschäftigung auf noch freiwerdenden Arbeitsplätzen zu gewähren. Erst wenn dies nicht gelingt oder der Arbeitgeber die Erfolglosigkeit der Maßnahmen darlegen kann, kann er unter Zahlung einer Entschädigung das Vertragsverhältnis kündigen. 3. Ergebnis Bei einer unberechtigten Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Maßnahme des Arbeitgebers, ist dieser gehalten die Einigung mit dem Betriebsrat zu suchen. Ferner muss er das Zustimmungsersetzungsverfahren beantragen. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung hingegen zu Recht, ist der Arbeitnehmer weniger schutzwürdig. Der vom Arbeitgeber zur Vermeidung der Kündigung zu betreibende Aufwand ist entsprechend geringer. Das Arbeitsverhältnis mit einem neu eingestellten, dem betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbot unterfallenden Arbeitnehmer darf vom Arbeitgeber gekündigt werden. Kann infolge einer betriebsverfassungswidrigen Versetzung eines Arbeitnehmers für diesen keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gefunden werden, besteht hier das Kündigungsrecht. Der Arbeitgeber ist aber wie bei der Kündigung infolge einer betriebsverfassungswidrigen Einstellung zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet.
III. Fortbildung bei Änderung des Stellenprofils Ist der bisherige Stelleninhaber infolge von Anpassungen an den technischen Fortschritt oder durch die Änderung des Stellenprofils entbehrlich geworden549, ist die Verantwortung des Arbeitgebers folgendermaßen im Rahmen der Anforderungen an die Vermeidbarkeit der Kündigung zu berücksichtigen. Gem. § 1 II 3 KSchG ist eine Kündigung auch sozial ungerechtfertigt, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen 549 Siehe hierzu die Beispiele aus der Rspr. BAG, Urt. v. 10. 07. 2008 – 2 AZR 1111/06 – NZA 2009, 312, 316 (Kündigung wegen Änderung des Stellenprofils, wonach langjährige Berufserfahrung erforderlich ist); BAG, Urt. v. 07. 07. 2005 – 2 AZR 399/04 – NZA 2006, 266 (Kündigung wegen Neuausrichtung der Geschäftsführung); LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 17. 01. 2017 – 5 Sa 166/16 – BeckRS 2017, 104842 (Arbeitszeitverkürzung wegen Digitalisierung von Kinosälen); LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16. 04. 2015 – 5 Sa 638/14 – BeckRS 2015, 69777 (Kündigung wegen Änderung des vorausgesetzten Sprachniveaus); ArbG Köln, Urt. v. 10. 12. 2009 – 10 Ca 7342/09 – BeckRS 2012, 65698 (Änderung des Einsatzortes wegen möglicher Telearbeit).
§ 8 Verantwortung für das betriebliche Erfordernis
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möglich ist. Aus dem Wortlaut „zumutbar“ ergibt sich, dass der Arbeitgeber entsprechend seiner Verantwortung versuchen muss, dem Arbeitnehmer durch Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zu ermöglichen auf der bisherigen Stelle oder einer anderen Stelle im Betrieb weiterzuarbeiten. Hohe Anforderungen sind z. B. anzunehmen, wenn der Arbeitgeber alle Maschinen austauscht und durch neue ersetzt.550 Ebenfalls hohe Anforderungen sind anzunehmen, wenn sich der Arbeitnehmer seine Untauglichkeit durch die bisherige Tätigkeit zugezogen hat.551 Erst wenn diese Maßnahmen scheitern oder ausnahmsweise von vornherein aussichtslos erscheinen, kann das Arbeitsverhältnis beendet werden. Anhand dieser gesetzlich geregelten Kündigungserschwerung ist das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Freiheit einerseits, unter welche die Neubewertung und Neuausrichtung von Stellen fallen, und andererseits der vertragliche Bestandsschutz in Einklang zu bringen. Denn mit seiner Einstellungsentscheidung hat sich der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer mit dessen konkret vorhandenen Fähigkeiten und Entwicklungspotential gebunden.552 Zwar übernimmt der Arbeitnehmer durch seine Vertragszusage das Risiko für nach Vertragsschluss auftretende Eignungsmängel, jedoch ist dieses Risiko auf solche Mängel begrenzt, mit denen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge gerechnet werden kann, z. B. Absolvierung von Flugstunden zwecks Erhalt der Fluglizenz bei Piloten; ggf. Erwerb und Erhalt des Führerscheins bei Beschäftigten im Fahrdienst; Erlernen neuer Computersoftware bei Büroangestellten. Die Änderungen der Arbeitsanforderungen, um die es hier geht, führen zu vom Arbeitgeber zu verantwortenden Eignungsmängeln. Die Folge der Verantwortung ist, dass die personenbedingte Kündigung erschwert wird.553 Damit diese Erschwerung nicht durch einen Austausch des Kündigungsgrundes umgangen werden kann, kann auch die betriebsbedingte Kündigung nur unter Erschwerungen möglich sein.554 Dass § 1 II 3 KSchG geeignet ist, die Kündigungsbefugnis einzuschränken, hängt damit zusammen, dass die Vorschrift unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit der Schulungsmaßnahme steht555, welche sich bei arbeitgeberseitiger Verantwortung erhöht. Soweit dies auf das „einseitige Machtgefälle“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht und den Bestandsschutzgedanken des Kündigungsschutzgesetzes zurückgeführt wird556, ist dem entgegen zu halten, dass dieser Ansatz keine Stütze im Wortlaut der Norm findet, während die 550
ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 390. ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 390. 552 LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898/98 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55. 553 Siehe Dritter Teil unter § 6 C. 554 LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898/98 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55, das betriebliche Erfordernis verneinend, richtigerweise scheitert die betriebsbedingte Kündigung im Prüfungspunkt der Erforderlichkeit. 555 Siehe Zweiter Teil unter § 3 B. III. 2. 556 Kurt, RdA 2017, 230, 231. 551
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3. Teil: Arbeitgeberseitige Mitverantwortung auf Kündigungsbefugnis
Anpassung der Zumutbarkeitsschwelle unter Berücksichtigung der Verantwortung dem herkömmlichen Mechanismus der Maßstabsbildung entspricht. Richtig ist daher, wie es bereits das LAG Hessen in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1999 über die Einführung eines sprachbasierten Qualitätsmanagement-Systems erkannt hat, dass der aus der Änderung der Arbeitsanforderungen resultierende Wegfall des Beschäftigungsbedarfs allein aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt und dies der Umstand ist, der es nicht nur rechtfertigt, sondern gebietet, die Grenze der zumutbaren Schulungsmaßnahmen hoch anzusetzen.557 Im Unterschied zur „normalen“ betriebsbedingten Kündigung, bei der der Arbeitsbedarf infolge einer unternehmerischen Entscheidung wegfällt, bleibt der Arbeitsbedarf in der vorliegenden Konstellation vorhanden, der Arbeitnehmer verliert durch die Strukturmaßnahme aber seine Eignung, die Arbeit weiter zu verrichten. Der Grund für die Kündigungserschwernis durch höhere Zumutbarkeitsanforderungen liegt in der Zurechenbarkeit des zur Kündigung führenden Umstands. Aus der Änderung des Anforderungsprofils folgt ein höherer Weiterbildungsaufwand.558 Zudem muss der Arbeitgeber darlegen, dass es sich bei der neuen geforderten Qualifikation nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung“, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für eine Stellenprofilierung handelt.559 Das bedeutet insgesamt, dass der vom Arbeitgeber zu betreibende Aufwand für eine Kündigung steigt je höher sein Grad an Verantwortung für den Kündigungsgrund ist. Liegt im Vergleich zur normalen betriebsbedingten Kündigung eine gesteigerte Verantwortung vor, bewirkt § 1 II 3 KSchG, dass der Arbeitgeber nur unter der erschwerenden Voraussetzung kündigen kann, dass Weiterbildungsmaßnahmen entweder erfolglos geblieben sind, von Anfang an keinen Erfolg versprechen oder wegen Unzumutbarkeit nicht in Betracht kommen.
D. Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die arbeitgeberseitige Verantwortung für das betriebliche Erfordernis, sofern diese aus betriebswirtschaftlichen Entscheidungen folgt, keine Auswirkungen auf das Recht zur Kündigung hat. Der Kündigungsschutz kann keine betriebswirtschaftliche Kontrolle gewährleisten. Sonstige Verantwortung, deren Kontrollmöglichkeiten nicht eingeschränkt sind, kann zu Erschwerungen bei der Ausübung des Kündigungsrechts führen. Wie sich der Lehre von der Störung der Geschäftsgrundlage entnehmen lässt, führt Verantwortung nicht automatisch zu 557 LAG Hessen, Urt. v. 19. 07. 1999 – 16 Sa 1898/98 – LAGE KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55. 558 So auch Kocher, NZA 2010, 841, 844; Vogt/Oltmanns, NZA 2012, 599, 601; Wisskirchen/Bissels/Schmidt, NZA 2008, 1386, 1389 f.; im Ergebnis ebenfalls Kurt, RdA 2017, 230, 231 f.; a. A. Latzel, RdA 2013, 73, 76. 559 BAG, Urt. v. 07. 07. 2005 – 2 AZR 399/04 – NZA 2006, 266, 269; BAG, Urt. v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 326/03 – NZA 2004, 1268, 1271.
§ 8 Verantwortung für das betriebliche Erfordernis
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einem Rechtsausschluss. Da sich die Verantwortung zumutbarkeitserhöhend auswirkt, bedeutet dies vom Arbeitgeber größere zu leistende Anstrengungen zur Vermeidung der Kündigung. Dazu gehört die über die Kündigungsfrist hinausgehende Weiterbeschäftigung, um durch das Freiwerden anderer Stellen die Kündigung noch abzuwenden. Durch Umschulung und Weiterbildung hat der Arbeitgeber die Chancen des Arbeitnehmers, dass sich eine anderweitige Beschäftigung für diesen findet, zu erweitern. Zudem kann sich aus der Verantwortung des Arbeitgebers ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zustimmung zur Vertragsanpassung für eine Weiterbeschäftigung auf einer anderen Stelle ergeben. Soweit der Arbeitgeber das Vorhandensein von Beschäftigungsbedarf in verringertem Umfang zu verantworten hat, kann dem Arbeitgeber auch ein schlechteres Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zuzumuten sein. Wenn diese Mittel ausgeschöpft sind, kann der Arbeitgeber kündigen. Seine Verantwortung an der Entstehung des Kündigungsgrundes ist auf der Sekundärebene im Rahmen eines Entschädigungsanspruchs zu berücksichtigen.
Vierter Teil
Die Entschädigung Das Recht des Arbeitgebers zur Kündigung trotz dessen überwiegender Verantwortung für den Kündigungsgrund wurde damit begründet, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei besonders schwerwiegenden Störungen unabhängig von der Verantwortung für die Störung unzumutbar sein kann. Da es dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widerspräche, wenn der Vorteil der Kündigungsbefugnis für den Arbeitgeber kostenlos bliebe, muss ein Ausgleich mit den Interessen des Arbeitnehmers auf Sekundärebene stattfinden. Im Fall des Verschuldens des Arbeitgebers stehen dem Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche aus §§ 280 I, 241 II BGB; §§ 311 II, 280 I, 241 II BGB; § 823 I BGB; § 826 BGB zu. Aus nicht schuldhafter Verantwortung des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer keine vergleichbaren Ansprüche herleiten. Insbesondere bei arbeitgeberseitigem Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Herbeiführung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes stellt sich die Frage, inwieweit dies überhaupt zu Gunsten des Arbeitnehmers schadensersatzbegründend sein kann, wenn schon keine Pflicht zur Fortsetzung des Betriebs besteht.1 Kompensationsfähige Schutzgüter, für die Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können, sind die körperliche Integrität, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers oder das enttäuschte Vertrauen in den Bestand des Vertrags. Einen adäquaten Schadensersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes erhält der Arbeitnehmer ohnehin nicht, denn der Arbeitsplatz als solcher ist kein geschütztes Rechtsgut. Der Auflösungsschaden ist begrenzt auf die frühest mögliche Kündigungsmöglichkeit.2 Der Ersatzanspruch für Aufwendungen oder entgangenen Gewinn, wenn z. B. ein anderes Arbeitsangebot abgelehnt wurde, ginge ebenfalls nur soweit, dass die entgangene Vergütung bis zum Zeitpunkt der ersten Kündigungsmöglichkeit unter Anrechnung des bezogenen Gehalts verlangt werden könnte. Ist die Kündigung des Arbeitgebers sozialwidrig, kann der Arbeitnehmer gem. § 9 I 1 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragen und der Arbeitgeber würde vom Gericht zur Zahlung einer Abfindung verurteilt. Nur in diesem Fall, der Sozialwidrigkeit der Kündigung, ist gesetzlich vorgesehen, dass der Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Entschädigung erhält.3 1 Dies verneinend Herschel, Anm. BAG, Urt. v. 15. 02. 1973 – 2 AZR 16/72 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 2. 2 Schwarze, Leistungsstörungsrecht, § 22 Rn. 3. 3 APS/Biebl, § 9 KSchG Rn. 2; LKB/Linck, § 9 KSchG Rn. 12 ff.
4. Teil: Die Entschädigung
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Kann der Arbeitgeber trotz überwiegender Verantwortung sozialgerechtfertigt kündigen, existiert also eine Schutzlücke zum Nachteil des Arbeitnehmers. Denn unabhängig davon, ob der Arbeitgeber verschuldet oder verschuldensunabhängig für die Störung verantwortlich ist, bekommt der Arbeitnehmer keine Entschädigung für den verlorenen Arbeitsplatz. Betroffen davon sind u. a. die Fälle, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen arbeitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kündigt und die Krankheit nicht als Berufskrankheit anerkannt ist, Fälle, in denen das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers wegen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses überwiegt, sowie die Fälle der betriebsbedingten Kündigung. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung wurde in diesen Fällen damit begründet, dass die Störung ein derartiges Ausmaß angenommen hat, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Aufgrund der Unzumutbarkeit und Sinnlosigkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wird dem Beendigungsinteresse also Vorrang vor der Störungsursache eingeräumt. Dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, ist auch der § 9 I KSchG zugrunde liegende Gedanke, der es rechtfertigt den Bestandsschutz gegen Zahlung einer Entschädigung zu durchbrechen. Diesen Anspruch nur Arbeitnehmern zuzusprechen, denen in sozialwidriger Weise gekündigt wurde, erscheint nicht angemessen, da die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers trotz eigener Verantwortung legitim sein kann und die Kündigung rechtfertigt. Weicht der Grundsatz der vom Arbeitnehmer zu verantwortenden Störung zur Rechtfertigung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zurück, muss die arbeitgeberseitige Verantwortung auf der Sekundärebene zur Rechtfertigung eines Abfindungsanspruchs berücksichtigt werden. So ist dem hier bereits mehrfach herangezogenen § 326 II 1, 1. HS, 1. Alt. BGB die Wertung zu entnehmen, dass gläubigerseitige Verantwortung nicht zu einer Schlechterstellung des Schuldners führen darf, weswegen diesem sein Gegenleistungsanspruch trotz Unmöglichkeit der Leistungserbringung zu erhalten ist und der Gläubiger sein Recht, die Befreiung von der Pflicht zur Gegenleistung, verliert. Deshalb kann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei arbeitgeberseitiger Verantwortung für die Störung nur mit der Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung, einer Abfindung, einhergehen. Daher ist § 9 I KSchG analog auf die Fälle anzuwenden, in denen der Arbeitgeber trotz eigener Verantwortung wegen überwiegenden Beendigungsinteresses bei Vorhandensein einer Störung, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unmöglich macht, berechtigterweise kündigen kann. In der Höhe der Abfindung muss der Umfang der arbeitgeberseitigen Verantwortung für die Störung, also insbesondere der Verschuldensgrad, zum Ausdruck gebracht werden. Daneben sind bei der Höhe der Abfindung entsprechend § 10 KSchG das bezogene Gehalt, die Dauer der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb, das Alter, die Sozialdaten und die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.
Fünfter Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse § 9 Inhaltliche Zusammenfassung Das Kündigungsschutzgesetz ist als Bestandsschutzgesetz ausgestaltet, woraus sich ergibt, dass Kündigungen bei einer vom Arbeitnehmer zu verantwortenden Störung gerechtfertigt sind oder wenn ein betriebliches Erfordernis vorhanden ist. Für Letzteres übernimmt der Arbeitnehmer im Zuge des Vertragsschlusses das Risiko. Weicht die tatsächliche Verantwortungsverteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber für die zur Kündigung führende Störung davon ab, muss dies im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden. Die Auswirkung der arbeitgeberseitigen Verantwortung auf dessen Kündigungsrecht kann sein, dass dieses ausgeschlossen ist, erschwert oder uneingeschränkt besteht. Dies hängt davon ab, ob unter Zugrundelegung eines verschärften Zumutbarkeitsmaßstabs die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Es ist abzuwägen, ob die aufgrund der arbeitgeberseitigen Verantwortung dem Arbeitnehmer weniger vorwerfbare Störung eine Beeinträchtigung für den Arbeitgeber darstellt, die auch nach dem verschärften Maßstab unzumutbar ist. Tendenziell lässt sich sagen, dass mit zunehmender Verantwortung des Arbeitgebers dessen Kündigungsrecht immer weitreichenderen Einschränkungen unterliegt. Es ist jedoch nicht so, dass die arbeitgeberseitige Verantwortung, je schwerwiegender sie ist, stets zum Ausschluss des Kündigungsrechts führt. Entscheidend ist auch, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch Sinn hat. Ist dies nicht der Fall, ist der Arbeitgeber trotz überwiegender Verantwortung für die Störung zur Kündigung berechtigt. Dem Arbeitnehmer steht dafür ein Entschädigungsanspruch analog § 9 I KSchG zu.
§ 10 Thesen A. Mitverantwortung für die personenbezogene Störung Der Arbeitgeber kann für die personenbezogene Störung mitverantwortlich sein, indem er schuldhaft gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstößt, die dem Schutz der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dienen. Für arbeitsbedingte Erkrankungen ist der Arbeitgeber verschuldensunabhängig verantwortlich. Für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers hat der
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Arbeitgeber für sein eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen einzustehen. Die Mitverantwortung des Arbeitgebers hat zur Folge, dass im Rahmen der Interessenabwägung hinsichtlich der Zumutbarkeit ein entsprechend des Verantwortungsbeitrags verschärfter Maßstab zu seinen Lasten zugrunde zu legen ist. Eine vorsätzliche Herbeiführung der personenbezogenen Störung führt zum Ausschluss des Kündigungsrechts, da die Interessenabwägung ergibt, dass die verursachte Störung für den Arbeitgeber nicht unzumutbar ist, sofern dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung nicht dauerhaft unmöglich geworden ist. Der verschärfte Maßstab wirkt dadurch kündigungserschwerend, dass sich das Ausmaß der hinzunehmenden Störungen zu Lasten des Arbeitgebers erhöht, der Arbeitnehmer trotz geminderter Leistungsfähigkeit weiterzubeschäftigen ist oder dass eine Weiterbeschäftigung nach Umschulung, Weiterbildung auf einem anderweitigen, leidensgerechten Arbeitsplatz zu erfolgen hat. Überwiegende Verantwortung aufgrund schuldhafter Verletzungen des Arbeitsschutzes, wegen unterlassenen Einschreitens gegen Mobbing oder wegen Organisationsverschuldens führen aufgrund erhöhter Zumutbarkeit regelmäßig zum Ausschluss des Kündigungsrechts. Bei häufigen Kurzerkrankungen muss der Arbeitgeber einen längeren Zeitraum hinnehmen, in dem der Arbeitnehmer krankheitsbedingt ausfällt. Bei ungewiss lang dauernden Erkrankungen verlängert sich die Zeit, nach deren Ablauf die Erkrankung mit einer dauerhaften Erkrankung gleichgestellt wird. Geringe Verantwortung des Arbeitgebers führt zu keinen Einschränkungen bei der Kündigung. Ebenfalls zu keinen Einschränkungen kann es trotz überwiegender Verantwortung kommen, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung aufgrund der personenbezogenen Störung unmöglich oder das Arbeitsverhältnis zerrüttet ist. In den zuletzt genannten Fällen steht dem Arbeitnehmer ein Entschädigungsanspruch analog § 9 I KSchG zu.
B. Mitverantwortung für die verhaltensbezogene Störung Da der Grund einer verhaltensbedingten Kündigung eine schuldhafte Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer ist, besteht die arbeitgeberseitige Verantwortung in einem Mitverschulden der Pflichtverletzung. Zu arbeitgeberseitigem Fehlverhalten kommt es im Wesentlichen durch Organisationsverschulden und durch den Ausspruch von Weisungen. Die Verantwortung des Arbeitgebers hat zwei Auswirkungen auf die Interessenabwägung. Einerseits ist hinsichtlich der Zumutbarkeit ein verschärfter Maßstab zugrunde zu legen. Andererseits bewirkt die arbeitgeberseitige Verantwortung, dass dem Arbeitnehmer die Pflichtverletzung entsprechend des Umfangs der arbeitgeberseitigen Verantwortung weniger vorwerfbar ist. Beides hat zur Folge, dass sich die
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
Voraussetzungen, unter denen dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, erschweren. Daneben kann arbeitgeberseitige Verantwortung den Kündigungsgrund dadurch entfallen lassen, dass kein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt. Dies ist bei rechtsmissbräuchlichen Weisungen der Fall. Da diese unwirksam sind, besteht keine Folgepflicht, gegen die der Arbeitnehmer verstoßen könnte. Bezweckt der Arbeitgeber mit seinen Weisungen ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers, entweder in der Form der Arbeitsverweigerung oder in Form eines aktiven Tuns, das zum Anlass der Kündigung genommen werden soll, muss sich der Arbeitgeber dies als eigenes zurechnen lassen. Das Recht zur Kündigung ist infolge der zu Lasten des Arbeitgebers verschobenen Interessenabwägung in der Regel ausgeschlossen, außer das Arbeitsverhältnis ist zerrüttet. Die Duldung compliancewidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers oder die Veranlassung dazu seitens des Arbeitgebers führt regelmäßig zu einer überwiegenden Verantwortung, weswegen auch hier die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausgeht. Auch das Organisationsverschulden des Arbeitgebers kann zum Ausschluss des Kündigungsrechts führen. Macht der Arbeitnehmer infolge der schlechten Arbeitsorganisation Fehler, mindert dies seine Schuld. Die erhöhte Zumutbarkeitsgrenze bewirkt, dass Schlechtleistungen des Arbeitnehmers in größerem Umfang hinzunehmen sind. Der Kündigungsaufwand erhöht sich zu Lasten des Arbeitgebers dadurch, dass er dem Arbeitnehmer Zeit gewähren muss, sich zu bewähren, nachdem er seinerseits die Organisationsmängel behoben hat. Bei geringem Organisationsverschulden oder bei einem sonstigen Fehlverhalten, das in mittelbarem Zusammenhang zur Pflichtverletzung des Arbeitnehmers steht, erschwert sich die Kündigung dadurch, dass der Arbeitgeber Störungen länger und in vermehrtem Umfang hinnehmen muss. Das Recht zur Kündigung kann trotz Mitverantwortung für die Störung ausgeübt werden, wenn das arbeitgeberseitige Verschulden im Vergleich zum Verschulden des Arbeitnehmers deutlich geringer ist oder wenn im Verhältnis zum arbeitgeberseitigen Mitverschulden die Pflichtverletzung so erheblich ist, dass eine Fortsetzung dem Arbeitgeber auch bei Zugrundelegung eines verschärften Maßstabs nicht zugemutet werden kann. Der Arbeitgeber kann bei erheblicher Mitverantwortung unter den Voraussetzungen kündigen, dass das Arbeitsverhältnis zerrüttet ist und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist. Im letzteren Fall hat der Arbeitnehmer analog § 9 I KSchG einen Anspruch auf eine Entschädigung.
C. Verantwortung für das betriebliche Erfordernis Für die betriebsbedingte Kündigung ist der Arbeitgeber per se verantwortlich, indem er durch eine unternehmerische Entscheidung das betriebliche Erfordernis herbeiführt. Auch wenn es verfassungsrechtlich möglich wäre, ist es rechtspolitisch
§ 10 Thesen
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nicht gewollt, der Verantwortung für unternehmerische Fehlentscheidungen kündigungsrechtliche Folgen beizumessen. Das vom Arbeitnehmer zu tragende Risiko umfasst sowohl die zur Kündigung führende Entscheidung, den Betrieb einzuschränken, die Anzahl der Beschäftigten zu verringern oder den Betrieb stillzulegen. Dies gilt auch, wenn die Kündigung dazu dient, unternehmerische Fehlentscheidungen der Vergangenheit zu korrigieren. Das Kündigungsrecht besteht für all jene Fälle einschränkungslos, in denen die Herbeiführung des betrieblichen Erfordernisses der unternehmerischen Freiheit unterfällt. Ausgeschlossen ist das Kündigungsrecht lediglich, wenn der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich handelt, also ein betriebliches Erfordernis vorgibt, obwohl sich der Beschäftigungsbedarf nicht verringert hat. Erschwerungen bei der Ausübung des Kündigungsrechts sind denkbar, wenn es aufgrund des Verschuldens des Arbeitgebers zu einem betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbot kommt oder wenn der Arbeitgeber Änderungen der Stellenprofile vornimmt, wodurch sich der Beschäftigungsbedarf im Vergleich zur Einstellungssituation erheblich ändert. Im ersten Fall ist der Arbeitgeber gehalten auf die Beschäftigung des Arbeitnehmers hinzuwirken. Wenn sich die Beschäftigung als betriebsverfassungswidrig erweist, besteht das Kündigungsrecht. Ist hingegen das Verhalten des Betriebsrats nicht gerechtfertigt, muss der Arbeitgeber erneut dessen Zustimmung ersuchen oder das Zustimmungsersetzungsverfahren betreiben. Für die an zweiter Stelle genannten Fälle ordnet § 1 II 3 KSchG zumutbare Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen an, mit denen der Arbeitgeber die Kündigung zu vermeiden versuchen muss. Auch hier richtet sich die Maßstabsbildung, mit der die Anforderungen an die Unzumutbarkeitsschwelle festgelegt werden, nach dem Grad der Verantwortung des Arbeitgebers.
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Stichwortverzeichnis Abwägung siehe Interessenabwägung Äquivalenzstörung siehe Störung Arbeitsunfähigkeit siehe Mitverantwortung Arbeitsunfall siehe Mitverantwortung Bestandsschutz
58
Entschädigung
361
Gläubigerverantwortung
105
Interessenabwägung, Maßstab 238, 271
77, 217,
Kündigungsgrund – betriebsbedingt 327 – krankheitsbedingt 255, 261, 270, 275 – personenbedingt 253 – Schlechtleistung 319 – verhaltensbedingt 299 Mitverantwortung – Arbeitsunfähigkeit 281 – Arbeitsunfall 281 – betriebsbedingter Kündigungsgrund 327 – Erschwerung 213, 269, 319 – Organisationsverschulden 309 – personenbedingter Kündigungsgrund 253 – Rechtsausschluss 206, 258, 300 – verhaltensbedingter Kündigungsgrund 299 – Weisungen 302 Pflichten – Arbeitsorganisation
159
– Arbeitsschutz 110 – betriebliches Eingliederungsmanagement 288 – Persönlichkeitsrecht 145 – Weisung 162 – Weiterbeschäftigung 185, 285 Soziale Rechtfertigung 66 Störung – Äquivalenzstörung 63 – betriebsbedingte 80 – personenbedingte 62 – verhaltensbedingte 62 – Vertrauensverhältnis 65 Verantwortung – allgemein 105 – Vermeidung betriebsbedingte Störung 182, 327 – Vermeidung personenbedingte Störung 109 – Vermeidung verhaltensbedingte Störung 159 – verschuldensabhängig 105, 110, 159 – verschuldensunabhängig 107, 127 – Vertretenmüssen 78 Verhältnismäßigkeit siehe Interessenabwägung Verschulden 40, 105, 110 Zumutbarkeit 271, 274 Zurechnung – als Teil des Kündigungsgrundes – Begriff 33, 70 – Interessenabwägung 77
70, 75