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German Pages 349 Year 1995
FREDY MÜLLER
Auskunftshaftung nach deutschem und englischem Recht
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 175
Auskunftshaftung nach deutschem und englischem Recht Eine rechtsvergleichende Untersuchung der dogmatischen Grundlagen der Haftung gegenüber Dritten für fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden
Von
Fredy Müller
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Müller, Fredy: Auskunftshaftung nach deutschem und englischem Recht : eine rechtsvergleichende Untersuchung der dogmatischen Grundlagen der Haftung gegenüber Dritten für fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden I von Fredy Müller. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 175) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08259-1 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humb1ot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08259-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde im Sommersemester 1994 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert·Ludwigs·Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dieter Leipold, danke ich sehr herzlich für seine stete Gesprächsbereitschaft und die umfassende Förde· rung, die ich von ihm erfahren habe. Herrn Professor Dr. Peter Schiechtriern gilt mein Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens. Die Anfertigung der Dissertation wurde durch ein Promotionsstipendium nach dem baden-württembergischen Landesgraduiertenförderungsgesetz un· terstützt, wofür ich an dieser Stelle danken möchte. Karlsruhe, im August 1994 Fredy Müller
Inhaltsverzeichnis
J.Kapitel Einleitune
§ 1 AufLeigen des Problems ............................................................................................................... 19 § 2 Fallgruppen. ................................................................................................................................... 21 A
Einteilwtg nach der rechtlichen Haftung:;konstruktion ...........................................................22
B. Einteilung nach der Verllßlichkeit der Auskunft .................................................................... 23 C. Einteilwtg nach Sachverbaltskonstellationen .......................................................................... 24
§ 3 AbgreDZWlg zu Aufldilrungspruchten vor Vertragsschluß ..................................................... 28
2.Kapitel NotwendJ&kelt der Haftung In diesen Flillen
§ 4 Allgemeines .................................................................................................................................... 29 § 5 Gründe im elnzeinen..................................................................................................................... 29 A
Gründe, die sich aus dem Verblltnis zwischen Auskunftgeber wtd Empßnger
der Information ergeben .......................................................................................................... 30
B. Gründe, die ilber das Zwei-Personen-Verblltnis hinausgehen ................................................ 34 C. Zusanunenf8SSWlg.................................................................................................................... 41
3.Kapitel
Darsteilung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
§ 6 Rechtsprechung ............................................................................................................................ 43 A Fallgruppe 1: Unmittelbar dem spAter gesch!digten Emptlnger gegenilber abgegebone Auskilnfte außerhalb einer bestehenden GeschAftsverbindWlg ........................................ .43 I. Stillschweigend gescblossener Auskunftsvertrag ........................................................... 44 ß. HaftungsbegrilndWlg aus § 826 BOB wtd § 823 II BOB ............................................. 52
10
Inhaltsverzeichnis
B. Fallgruppe 2: Unmittelbar dem splter geschAdigten Empflnger gegenOber abgegebene AuskOnfte innerhalb einer bestehenden Geschlftsverbindung .......................................... 53 C. Fallgruppe 3: AuskOnfte bei der Vertragsanbahnung. die von anderen Personen als den zukOnftigen Vertragschließenden, insbesondere von besonderen Sachkundetrl-
gem oder Personen besonderen Vertrauens, abgegeben werden ............................................. 56 I. Einfllhrung ...................................................................................................................... 56 II. Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe ............................................................................. 57 D. Fallgruppe 4: Zur Weitergabe an Dritte bestimmte oder jedenfalls tatsAchlich weitergegebene AuskOnfte, besonders Gutachten, olme daß eine Anfrage des jeweiligen
Endempßngers, der durch die Disposition auf Grund der Auskunft einen Schaden erleidet, vorgelegen hat .........................................................•.....••..••....................•..........•••.•..• 63 I. Einfllhrung in die relevanten Sachverhalte ..................................................................... 63 II. Stillschweigend geschlossener Auslcunftsvertrag ........................................................... 65 l. Bestimmtheit der Auskunft ft1r den Dritten....•........................................................... 66
2. Koukretisierung des Empßngers mittels Zweclcsetzung durch den Auskunftgeber ...................................................................................................................68
3. Zusarnmenfa.ssung ......................................................................................................69
lß. Haftung gernAß § 826 BGB............................................................................................ 70 1. Sittenwidrigk.eit. ......................................................................................................... 71 2. Vorsatz ........................................................................................................................ 74 3. Abschließende Wertung. ............................................................................................. 75 IV. Haftung auf Grund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.........•..•....••76 1. Notwendigkeit eines FOrsorgeverblltnisses ............................................................... 76
2. Schutzwirlcung auf Grund der Vertrag.'llluslegung..................................................... 78
3. Interessengegeosatz..................................................................................................... 79 4. Verblltnis zu anderen Haftungsgrundlagen ............................................................... 82
V. Zusammenfassung zur Fallgruppe 4 ............................................................................... 83 E. Fallgruppe 5: BOrgerlichrecbtliche Prospekthaftung .............................................................. 84 I. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes ................................................................ 86 II. Anwendung,sfllle der Prospekthaftung ...........................................................................88 1. Prospekthaftung bei der Publikumskommanditgesellschaft ...................................... 88 2. Prospekthaftung bei Bauherrenmodellen ................................................................... 91 III. Sacbkriterien der Prospekthaftung und ihr Bezug zur llbrigeo Auskunftshaftung. ............................................................................................................................ 92 1. Angewiesenheitssituation ...........................................................................................93
2. Haftung beru&nlßiger Sachkenner ........................................................................... 94
Inhaltsverzeichnis
11
3. Vertrauen, eigenes wirtsc:baftliches Interesse und Durchgrif1Shaftung......................94 4. Beeinflussung des Anlegers und Garanteostellung .................................................... 96 S. Berufliche Kompetenz und geseJ.Jscbaftliche Rolle .................................................... 98
F. Zusammenfassung zur R.ecbt.sprechung in AuskUDftstllllen.............................................. 99
§ 7 DanteDune von IA~sun&svonchJI&en aus der Lehre............................................................... 99 A
Eigenstandige LOsungen •.•.......•.••..........................•......................................•.•...................... 100 I. Vertrauen....................................................................................................................... 100 1. Lehre von der Vertrauenshaftung im allgemeinen ................................................... 100
a) Darstellung ........................................................................................................... 100
aa) Haftunjp18JU11d ....................................................................... ....................... 100 bb) Sachkriterien in der Lehre von der Vertrauenshaftung ................................ 102 b) Kritik an der Lehre von der Vertrauenshaftung................................................... 109
aa) Kritik an den Sachkriterien und dem tatbestandliehen Aufbau ................... 109 bb) Kritik an der dogmatischen TragBhigkeit der Vertrauenshaftung .............. 112
c) Schlußfolgerung ................................................................................................... 119 2. Vertrauen in Verbindung mit anderen Haftungskonzepten ..................................... 119 a) Konkretisierung der Vertrauenshaftung unter besonderer AnknOpfung an bestimmte Beru&SJUppen. ............................................................................... 119 b) Verbindung der Vertrauenshaftung mit dem Gedanken des einseitigen l..eistunjp~Versprechens ..•.......•.......•................•..•....... ·········· ·············•· .................•. 123
II. Erkllnmgshaftungsl0sungen. ........................................................................................ 127 1. Das Konzept der Selbstbindung ohne Vertrag ......................................................... 127 a) 1bcoretische BegrOmlung .................................................................................... l28 b) Anwendung in Auslaulftsßllen. ........................................................................... 132
2. Vertragsartige Haftung auf Grund der Auskunft als Erklärung und Beru&zugehörigkeit ...................................................................................................... 13S 3. Kritik an den Erklirungshaftung~~lösungen .............................................................. l38
IIL Beruf oder berufliche Stellung...................................................................................... 141 1. Reine Beru&haftung ..............•.................................................................................. 142 a) Darstellung ........................................................................................................... 142
aa) Engerer Ansatz .••.•.......•.•..••..........••••............•..........................•.................•..• 142 bb) Breiterer Ansatz •••..•..•..........•..........•...................••••..........•..............•............ 144 b) Kritik ....................................................................... ............................................. 146
2. Delildsrechtliche berufsbezogene Verk.ehrspflichten zum Schutz fremden Vcrm6gcos ................................................................................................................ 148
Inhaltsverzeiclmis
12
a) Darstellung ........................................................................................................... 148 aa) Allgemeiner Ansatz. ...................................................................................... 148 bb) Prospekthaftung nach der Verkehrspflichtenlehre........................................ 152 b) Kritik an der Verkehrspflichtenlehre ................................................................... 155 IV. Schutz von Rechtsverkehr und Markt als Institutionenschutz .................................•... 161 1. Darstellung................................................................................................................ 161 2. Kritik und Bewertung.....•......................................................................................... 163
V. WiJlensunabhJngige Haftung in einer Sonderverbindung ........................................... 166 1. Darstellung. ............................................................................................................... 166 a) Begründung der Theorie ...................................................................................... 166
b) Anwendung auf die Auskunftstlllle...................................................................... 169 2. Bewertung................................................................................................................. 170 VI. Haftung nach dem ,,Konstruktionsprinzip 'Sonderverbindung'" ..................•............... 174
B. Weiterentwicklungen der Rechtsprechung ............................................................................ 177 I. Schuldverhaltnis mit Schutzwirlcung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation. ....................................................................................................................... 178 1. Darstellung des Schuldverblltnisses mit Schutzwirlcung zugunsten
Dritter........................................................................................................................ 178
2. Kritik an der Lehre vom SchuldverhAltDis mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter und am Vertrag mit Schutzwirlcung zugunsten Dritter ................................ 182
3. Drittschadensliquidation ........................................................................................... 18S
ß . Vertragliche Lösungen .................................................................................................. 187 l. Objektive Feststellung eines Ausk.unftsvertrages ..................................................... 187 a) Allgemeine Darstellung der Lehre ....................................................................... 187
b) Probleme der Erschließung des WiJlens der Vertragschließenden ...................... 191 c) Eigene Begründung unter Rückgriff auf die Lehre von der Zurechnung rechtlich relevanten Verhaltens................................................................... 192 aa) Darstellung.................................................................................................... 193 bb) Übertragung auf die Auskunftshaftung ..................................•...•................. 193 a) Einordnung der Ausk.unftstlllle ............................................................... 194
Jl)
Vergleichbarkeit der Ausk.unftsflUie mit den Fillen der Zurechnung rechtlich relevanten Verbaltens ...........................................•... 19S
cc) Praktische Anwendung der Grundsätze der Lehre von der Zurechnung rechtlich relevanten Verhaltens. .................................................... 198 d) Zur Kritik an den Merkmalen eines stillschweigend geschlossenen Ausk.unftsvertrages............................................................................................... 199 aa) Kritik an den allgemeinen Kriterien ...........................................................•.199
Inhaltsverzeichnis
13
bb) Erfordernis der Nachfrage bei Drittweitergabeflillen ................................... 200 2. Deutung von Prospekten als Willenserklärungen .................................................... 20 I
§ 8 Zwischenergebnis zur Auskunftshaftung nach deutschem Recht.. ...................................... 203
4.Kapitel
Rechtsvergleichende Darstellung der Auskunftshaftung nach englischem Recht § 9 Einordnung Im englischen Recht .............................................................................................. 206
A
Einordnung in das Deliletsrecht ............................................................................................. 206
B. Einordnung innerhalb des Delilctsrechts ..................................... ........................................... 208
C. Haftung auf Grund einer Fiduciary Relationship .................................................................. 21 0 § 10 Abriß der neuerenGeschichte der Auskunftshaftung gegenüber Dritten Im englischen Recbt ....................................................................... ..................... ............................ 211 A
Bis zur Entscheidung Hedley Byrne & Co. Ud v. Heller & Partners Ud ..........................212 I. Frühe Fälle ....................................................................... ............................................. 212
II. Verallgemeinerung des Negligence-Tatbestandes in der Entscheidung Donoghue v. Stevensen und ihre Auswirkungen ......................................................... 217 B. Die Entscheidung Hedley Byrne & Co. Ud v. Heller & Partners Ud ....... .. ....................... 220 I. Schilderung des Sachverhalts und der gerichtlichen Entscheidung. ............................. 220 II. Verbindung und VerhlUtnis der Haftung ftlr Auskünfte und der Haftung bei primllren Vermögensschäden ........................................................................................ 222 C. Weitere Entwicklung der Haftung ftlr primllre Verrnögensschäden und Auskünfte ............ 226 I. Allgemeine Ausdehnung der deliletsrechtlichen Haftung ftlr fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden und die Rücknahme dieser Entwicklung ........................................................................................................................226
II. Neueste Entwicklung der Auskunftshaftung und heute grundlegende Entscheidungen des House ofLords ................................................................................... 232
1. Sachverständige im Grundstücksbereich. ................................................................. 232 2. Wirtschaftsprüfer ....................................................................... .......................... ..... 234 3. Zusammenfassung des heutigen Standes der Auskunftshaftung. ............................. 237 § 11 Aufbau des Haftungstatbestandes des Delikts NegHgence Im Bereich der Auslmnftahaftung ....................................................................... ............................................... 238 A
Haftung ftlr Worte bei primllren Vermögensschäden und die Bedeutung des Merkmals der Special Relationship ........................................................................ ........................ 238 I. Unterscheidung zwischen der Haftung filr Worte und der Haftung ftlr Taten ............. 238
14
Inhaltsverzeichnis 1. Traditionelle BegrQndung ........................................................................................238 2. Kritik an da- traditionellen BegrQndung und neue Begnlndung .............................240 3. Neuere Entwicklung: BeiprimAren VermögensschAden eher Haftung filr Worte als fi1r Taten...................................................................................................241
II. Das Medcmal der Special Relationship ........................................................................ 243 1. Entwicklung und Kritik ............................................................................................243 2. Zweck des Konzepts der Special Relationship .........................................................244 3. Konkretisierung des Inhalts der Special Relationship und Anwendung des Konzepts ..................•...............................•............•.....................••..........•........... 245
B. Au&tellung von einzelnen Merkmalen als Voraussetzungen da- Duty ofCare ................... 247 l
Two-stage Test ..............................................................................................................247
II. Test der freiwilligen Übemalnne einer Verantwortlichkeit ..........................................248
111. Dreiteiliger Test ............................................................................................................ 25 1 C. Neuer Ansatz: Orientierung an Fallkategorien und am Einzelfal1........................................ 254 I. Au&tellung der Sacbkriterien der NAhebeziehung in der Entscheidung Caparo Industries Pie. v. Dickman ............................................................................... 255
II. Ausftlhrlichere Au&tellung von Kriterien da- Nlhebeziehung ....................................256 § 12 Anal,.e der ftlr die Besdmmwt& der erforderlichen Nlhebezlehung bedeutIIUilen Sachkrlterleu wtd reehtpef"llelehende Cberle~wtcen dazu .................................. 259 A
Zwock......................................................................................................................................259 I. Darstellung .................................................................................................................... 259 1. Zweck der Auslamft .................................................................................................260 2. Zweck der Weiterleitung der Auslamft .•...............................................•.........•........264 3. Particular Transaction Rule...................................................................................... 266 4. Erkennbare Bedeutung da- Auslamft ...............•.......................................................268
5. Kritik an dem Kriterium des Zwecks .......................................................................270 II. Rechtsvergleichende Überlegungen ..............................................................................271
B. Abhlngigkeit vom Auskunftgeber...........................•.•.........................................•.................274 I. Darstellung ......................................................................................................................274 II. Rechtsvergleichende Überlegungen. ............................................................................... 275 C. Besti1!l1Tif!,.,it des Auskunftsemptlngers ................................................................................276
I. Darstellung .................................................................................................................... 276 ll. Rechtsvergleichende Überlegungen ................................................................... :.......... 278
D. Fehlen unabblngigen Rats ..................................................................................................... 280 I. Darstellung .................................................................................................................... 280
Inbaltsverzeichnis
15
U. Rechtsvergleichende Überlegungen .............................................................................. 282
E. Eigenscbaften des Auskunftgebers ........................................................................................283 I. Beru1ilzugeh6rigkeit und besondere Kenntnisse des Auskunftgebers ..........................283 1. Darstellung................................................................................................................283 2. Rechtsvergleichende Überlegungen. .........................................................................288 IL Eigenes wirtschaftliches Interesse und lnteressengegensatz.........................................290 1. Darstellung................................................................................................................290 2. Rechtsvergleichende Überlegungen. .........................................................................293
ill. Wissensstand des Auskunftgebers ................................................................................295 1. Darstellung................................................................................................................295 2. Rechtsvergleichende Überlegungen. .........................................................................298 F.
Vertrauen und VertrauendOrfen des Auskunftsempflngers ..................................................300 I. Darstellung....................................................................................................................300 1. Bedeutung des Vertrauens in der Auskunftsbaftung................................................300
2. SchutzwOrdigkeit des Vertrauens .............................................................................302
li. Rechtsvergleichende Überlegungen ..............................................................................305 G. Zusammenfassung zur Bedeutung der Sachkriterien............................................................306
§ 13 Verafelc:h der Faß&ruppen des deatsc:hen Rec:hts mit dem engllsc:hen Recht...................307 § 14 Krltillc:he Ebuc:hitzan& der deUktsrechtllchen Einordnung der Aaskunftshaftana in der enaUsc:hen Rechtslehre ...................................................................................311
5.Kapitel
Eraebnlsse § 15 Veraleich der dogmadschen Koastraldlon der Auskunftshaftung bn deatsc:hen und eJIIIIsc:hen Recht .....................................................................................................315
§ 16 Dogmatlac:he Konstraldlon der AaskunftsJulftu gegenflber Dritten bei primlren Vennlgell88dllden Im deutschen Rec:ht....................................................................321 A
Dogmatische Gnmdlagen der vertraglichen Auskunftshaftung............................................321
B. Anwendung auf die Fallgn~ppen ...........................................................................................322 C. Sachkriterien tllr die Begr11ndung der vertraglichen Auskunftshaftung ...............................326
Uteratarverzelclmls............................................................................................................................330 Venelclmls der Geric:htsentscheldungen .........................................................................................342
Abkünungsveneichnis I. Abldlrzuncen bn deutadlen Redlt Es wird verwiesen auf: Kirclmer, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache. 4. Auß., Berlin, New York 1993.
11. Abldlrzuncen bn enaJisc:hen Reeht AC.
Law Reports, Appeal Cases. 1891 -
AI-R.
Australian Law Reports
AIIE.R.
All England Law Reports
Anglo-Am.LR.
Anglo-American Law Review
App.Cas.
Law Reports, Appeal Cases. - 1890
Aucldand U.LR.
Aucldand Uoiversity Law Review
B.C.S.C.
British Columbia Supreme Court
C.A
Court of Appeal
C.J.
Chief Justice
C.LJ.
Cambridge Law Journal
Can. Bar Rev.
Canadian Bar Review
Ch.
Law Reports, Chancery. 1891-
Ch.D.
Chancery Division /Law Reports, Chancery Division. 1876 - 1890
D.L.R. (2d)
Dominion Law Reports, Second Series
D.LR. (3d)
Dominion Law Reports, Third Series
E.G.
Estates Gazette
E.G.LR.
Estates Gazette Law Reports
H.L
Housc of Lords
I.C.C.LR.
International Company and Commercial Law Review
I.C.LQ.
International and Comparative Law Quarterly
J.
Justice
Abldlrzungsverzeiclmis JJ.
Justices
J.Bus.L.
Journal ofBusiness Law
J.S.P.T.L. (N.S.)
Journal ofthe Society ofPublic Teachers of Law (New Series)
K.B.
Law Reports, King's Bench. 1901- 1952
K.B.D.
King's Bench Division
L.C.
Lord Chancellor
L.J.
Lord Justice
L.JJ.
Lord Justices
L.Q.R.
Law Quarterly Review
Uoyd'sRep.
Uoyd's Law Reports
M.L.R.
Modem Law Review
M.R.
Master ofthe Rolls
N.Z.U.L.R.
New Zealand Universities Law Review
N.L.J.
New Law Journal
N.S.W.L.R.
New South Wales Law Reports
N.Z.L.R.
New Zealand Law Reports
Osgoode Hall L.J.
Osgoode Hall Law Journal
P.
President
P.C.
Privy Council
P.N.
Professional Negligence
Par.
Paragraph
Q.B.
Law Reports, Queen's Bench. 1891 - 1901, 1952-
17
Q.B. (Com.Ct.)
Queen's Bench Division (Commercial Court)
Q.B.D.
Queen's Bench Division I Law Reports, Queen's Bench Division. 1875- 1890
S.AS.R.
South Australia State Reports
S.J.
Solicitors' Journal
S.L.T.
Scots Law Times
S.R. (N.S.W.)
New South Wales State Reports
W.L.R.
Weeldy Law Reports
YaleL.J.
Yale Law Journal
2 F. Müller
1. Kapitel
Einleitung § 1 Aufzeigen des Problems Die Haftung gegenüber Dritten für fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden, die auf unrichtigen Auskünften, Ratschlägen oder Empfehlungen beruhen, liegt im Schnittpunkt zweier rechtlich schwieriger Bereiche. Zum einen ist es das Problem der Auskunftshaftung und zum anderen dasjenige des außervertraglichen Ersatzes primärer Vermögensschäden. Die vorliegende Untersuchung wird die dogmatischen Grundlagen der Auskunftshaftung betrachten und darstellen. Dagegen werden nicht die Gesichtspunkte der näheren Ausgestaltung der Haftung nach Kausalität, Sorgfaltsmaßstab, Verschulden, Umfang des Schadensersatzes und Verjährung betrachtet. Hinsichtlich der zu untersuchenden Sachverhalte geht es in der vorliegenden Arbeit um die Haftung für Auskünfte in einem weiteren Sinne, worunter hier auch die Erteilung von Rat und Empfehlung gefaßt werden soll 1, weil zwischen diesen Erscheinungsformen keine unterschiedliche rechtliche Behandlung stattfindet2 und eine Trennung sich nicht immer genau durchführen läßt.3 Hier teilt§ 676 BGB etwas heute Selbstverständliches4 mit, nämlich daß 1 Ebenso verfahren Bischojf, S. 2, und Dickes, S. 8. 2 Ennan!Hauß § 676 Rn. 1; Jauemig/Vollkommer § 676 Rn. 1; Musielak, Haftung, S. 6: .,unstreitig"; Wiegand, S. 68 u. 69 Fn. 48; aufUnterschiede in der lntensität der geschuldeten Bemühung des Mitteilenden, je nachdem ob es sich um die Erteilung eines Rates, einer Empfehlung oder einer Auskunft handelt. worauf Jost, S. 11, eingeht. konunt es in der vorliegenden Arbeit nicht an; denn in ihr geht es um die dogmatischen Gnmdlagen der Haftung, aber nicht um die Anforderungen an die Sorgfalt des Auskunftgebers. 3 Staudinger!Karl Schtifer § 826 Rn. 267; Suhr, S. 3; Weiser, S. 3; zum Common Law ebenso die Entscheidung San Sebastian Pty. Ud. v. Minister Administering The Environmental Planning and Assessment Act 1979 (1986) 68 AL.R. 161 (High Court of Australia), 170 (per Gibbs CJ.,Mason, Wilson and Dawson JJ.): ..... the distinction between infonnation and advice is an unnecessary and often difficult one to draw"; gegen eine solche Unterscheidung auch Dugdale/Stanton, S. 104 (Nr. 7.14); eine Abgrenzung zwischen Rat und Auskunft wird vorgenommen in OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.12.1987, 11 U 29/87, WM 1988,411,412, sowie vonNeumann, S. 84 f. 4
Milnchener Kommentar/Seiler § 676 Rn. 2; Stahl, S. 37, im Anschluß an Leonhard, § 133,
s. 256.
20
1. Kapitel Einleitung
sich aus einer Auskunft allein keine Haftung des Auskunftgebers ergibt, 5 sondern nur aus Vertrag oder Delikt. Eindeutige Fälle eines Auskunfts- oder Beratungsvertrages bieten keine Schwierigkeit, eine Haftung zu begründen. 6 Anders ist das gegenüber Dritten. Wenn nämlich ein Vertrag nicht ganz eindeutig besteht, also nicht ausdrücklich geschlossen worden ist, kommt das Deliktsrecht in Betracht. In diesen Fällen fehlt es aber bei primären Vermögensschäden an der Verletzung eines der in § 823 I BGB genannten Rechte oder Rechtsgüter. 7 Damit gelangt man zu dem zweiten rechtlich schwierigen Bereich: der Haftung für primäre Verrnögensschäden. Das deutsche Deliktsrecht ist zurückhaltend in der Gewährung von Ersatzansprüchen bei solchen Schäden. Ersetzt werden sie unter den -jedenfalls dem Wortlaut des Gesetzes nach - engen Voraussetzungen von § 826 BGB (wobei also Vorsatz verlangt wird) und bei der Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 II BGB. Einschlägige Schutzgesetze fehlen in diesen Fällen aber meist. Die enge Verbindung dieser beiden Problernbereiche8 ist nicht zufällig, sondern ergibt sich daraus, daß Auskünfte oft ohne ausdrücklichen Vertrag erteilt werden,9 was sich aus ihrer Flüchtigkeit ergibt und daraus, daß Informationen leicht und oft ohne Aufwand zu übermitteln sind. 10 Außerdem will sich der Auskunftgeber oft nicht ausdrücklich binden. 1! Im modernen Wirtschaftsleben ist es infolge seiner Kompliziertheit in der Erbringung und im Absatz von Leistungen immer häufiger erforderlich, dritte Personen als vertragsunbeteiligte Leistungsträger heranzuziehen. 12 Sie erbringen ihre Leistung, oft eine Auskunftserteilung, ohne vertragliche Beziehung zu den Empfängern, die die Auskunft letztlich erhalten. 13 Diese ,,faktischen Destinatäre" treffen aber die Folgen etwaiger Fehler. 14 Die Beziehung zu primären Vermögensschäden ent5 Grunewald, JZ 1982, 627, 627; Honsell, JuS 1976, 621, 621; Suhr, S. 3.
6 Loges, S. 17. 1 Vgl. zur Unterscheidung: Esser/Weyers, §55 II einerseits und§ 55 12 andererseits; Münchener Kommentar!Mertens Vor§§ 823-853 Rn. 1;Palandt/I'homas § 823 Rn. 1.
8 Dazu Damm, JZ 1991,373,374. 9 Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575, 576. 10 Vgl. Jost,
S. 219: "besonders leichte (inunaterielle) Übertragbarkeit" von Informationen.
11 Dirichs, WM 1976, 1078, 1078, bei Fn. 6 u. in Fn. 6: Banken wollen keine unnötigen rechtlichen ,,KlimmzQge" machen; Paul, S. 2; Stevens (1964) 27 M.L.R. 121, 151 zu Banken. 12 Picker, AcP 183 (1983), 369, 493; Picker, JZ 1987, 1041, 1043. 13 Picker, JZ 1987, 1041, 1043. 14 Picker, JZ 1987, 1041, 1043.
§ 2 Fallgruppen
21
springt der Tatsache, daß das Hauptanwendungsgebiet für Auskünfte der wirtschaftliche Bereich ist. 15 Hier kommt es zu primären Verrnögensschäden, wenn wirtschaftliche Entscheidungen durch falsche Auskünfte fehlgeleitet werden. 16 Die Auskunftshaftung ist daher für sich selbst von Bedeutung, aber auch als Anwendungsgebiet oder Beispiel für den Ersatz primärer VerrnögensschädenP Sie kann Vorreiter oder aber Besonderheit in einer allgemeinen Entwicklung im Bereich der Ersatzfähigkeit primärer Vermögensschäden sein. 18 Das Thema ist also folgendermaßen einzugrenzen: Zwischen dem geschädigten Auskunftsempfiinger und dem Empfiinger der Auskunft, der geschädigt wird, besteht nicht eindeutig ein die Auskunftserteilung regelnder Vertrag und auch kein Vertrag, aus dem sich die Auskunftseeteilung als Nebenpflicht ergibt. Der Auskunftgeber gibt die Auskunft nicht mit Vorsatz falsch. Die falsche Auskunft fiihrt beim Empfiinger zu einem primären Verrnögensschaden, wenn auch erst durch eine daran orientierte Handlung oder Entscheidung. Dieser abstrakt beschriebenen Thematik sind verschiedene Fallgruppen zuzuordnen, die diesen Erfordernissen entsprechen.
§ 2 Fallgruppen Da das oben abgesteckte Gebiet der Arbeit einen weiten Bereich umfaßt, bietet es sich an, es in bestimmte Fallgruppen einzuteilen, um einen besseren Überblick zu erlangen. Verschiedene Vorschläge für die Bildung von Fall-
15 So auchJost, S. 39. 16 Vgl. Lord Bridge o[Harwich in Caparo Industries Pie. v. Dickman [1990)2 AC. 605 (H.L), 619 B: "The darnage which may be caused by negligently spoken or written word will normally be contined to economic loss sustained by those who rely on the accuracy of the information or advice they receive as a basis for action." 17 Hohloch, NJW 1979, 2369, 2371, erwähnt die exemplarische Bedeutung der Auskunftshaftung filr den Einsatz des Vertragsrechts zwn Schutz gegen primäre Vermögensschäden.
18 Wie es mit der Entscheidung Hedley Byme & Co. Ltd. v. Heller & Partners Ud.[1964) AC. 465 (H.L.) im englischen Recht der Fall war (siehe zur Wirkung dieser Entscheidung: Fridman, S. 290 (Nr. 12.35) und Brown (1972) 2 Auckland U.LR. 50, SO). Gewöhnlich wird im englischen Recht filr primlre Vermögensschäden kein Schadensersatz aus einem delik.tischen Anspruch, der nur Fahrlässigkeit zur Voraussetzung hat, gewahrt: Salmond & Heuston, 19. Aufl, S. 227 f.; Winfield & Jolowicz, S. 84, 88.
22
1. Kapitel Einleitung
gruppen sind gemacht worden.1 9 Das Einteilungskriterium kann dabei die rechtliche Haftungskonstruktion, die Verläßlichkeit der Auskunft oder die Sachverhaltskonstellation sein. Diese Einteilungen sind im folgenden auf ihre Eignung für bestimmte Zwecke zu untersuchen.
A. Einteilung nach der rechtlichen Haftungskonstruktion Nicht explizit eine Fallgruppeneinteilung, aber doch eine bestimmte Anordnung der Rechtsprechung unternimmt Jost. 20 Er ordnet das Material nach fünf sogenannten "Argumentationssträngen"21 in der Rechtsprechung: (1) Stillschweigender Vertragsschluß.
(2) "Vertragsähnliches" Vertrauensverhältnis. (3) Vertragliche Nebenpflicht zu sorgfältiger Beratung aus einem "fraglos gegebenen Vertrag". (4) ,,Erstreckung von Schutzpflichtfunktionen" eines Vertrages auf Dritte. (5) Haftung aus§ 826 BGB. Diesen Argumentationssträngen weist er jeweils einen Beispielsfall zu. An ihnen stellt er die jeweilige Rechtsprechung zu den Haftungskonstruktionen dar. Damit geht diese Einteilung von den dogmatischen Befunden aus. Das entspricht Josts Ziel, eine allgerneine dogmatische Lösung fiir alle Auskunftsund Beratungsfälle innerhalb der Dritthaftungsproblematik herauszuarbeiten. In dieser Arbeit mit rechtsvergleichendem Ansatz sollen die Sachkriterien, die über das Eingreifen einer Dritthaftung in AuskunftsflUten in verschiedenen Rechten entscheiden, im Mittelpunkt stehen. Daher muß man das Sachverhaltsmaterial eher abgelöst von der dogmatischen Konstruktion betrachten und einteilen. Es kommt auf die Unterschiede in den Sachverhaltskonstellationen an. Eine solche Unterteilung erleichtert auch die rechtsvergleichende Betrachtung, da die dogmatischen Konstruktionen oft unvergleichbar sind. Nach der typologischen Methode der Rechtsvergleichung sind nämlich die konkreten Sachproblerne und nicht die dogmatischen Konstruktionen der Vergleichung zugrundezulegen. 22 Daher kann die Einteilung von Jost hier nicht verwertet werden. Gleichwohl können sich auch bei einer Fallgruppen19 Bischojf, S. 65 - 66; Heesch, S. 119 - 139; Lammel, AcP 179 (1979), 337, 338 f. (im Anschluß anLorenz); Lang, WM 1988, 1001, 1002; Larenz, Schuldrecht, Bd. II, 1, S. 424 ff., insbesondere§ 56 VI 3 -7; Lorenz, FS Larenz 1973; S. 575, 581 - 583; mit Einschränkung auchJost, S. 42 ff. 20 Jost, S. 42 ff. 21 Jost, S. 42.
22 Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575, 580; Zweigert/K6tz, S. 35.
§2
Fallgn~ppen
23
einteilung nach Sachverhaltsmerkmalen - wie sich unten zeigen wird Schwerpunkte bestimmter dogmatischer Haftungsgrundlagen bilden. Insofern können Ähnlichkeiten zu der Einteilung von Jost auftreten.
B. Einteilung nach der Verllßlichkeit der Auskunft Eine deutlich von anderen Lösungen abweichende Fallgruppenbildung hat Bisehoff vorgenommen. Sein Einteilungskriterium ist der "typische Verläßlichkeitscharakter der Verlautbarung". 23 Er kommt zu fiinfFallgruppen: (1) Auskünfte von Kreditinstituten die sowohl unmittelbar gegenüber dem Disponierenden abgegeben, als auch an einen dritten Disponierenden weitergeleitet worden sein können. (2) Individualauskünfte von sonstigen Personen im Geschäftsverkehr.24 (3) Auskünfte berufsqualifizierter Personen, und zwar unmittelbar an "einen individuellen Vertrauenden",25 als Gutachten außerhalb eines Prozesses oder als gutachtliche Stellungnahme in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren, wobei es Bisehoffbei dem letzten um den Rechtsschutz des Beurteilten geht. (4) Beurteilungen von Arbeitnehmern in Zeugnissen und Direktauskünften.26 (5) Auskünfte über Leistungsansprüche (Forderungen)_27
Obwohl Bisehoff ein recht abstraktes Einteilungskriterium, den Verläßlichkeitscharakter der Auskünfte, zugrundelegt, sind die einzelnen Fallgruppen sehr konkret an bestimmten Sachverhaltsmerkmalen orientiert. Es ist nicht ersichtlich, worauf sich der höhere oder mindere Verläßlichkeitscharakter der jeweils zu Fallgruppen zusammengefaßten Auskunftsarten gründet. Das schmälert den Wert dieser Einteilung, da sie nicht durchsichtig und nachvollziehbar genug wird. Ungünstig wirkt sich auch aus, daß es in den Fallgruppen (1) und (3) Unterfallgruppen gibt, die nicht genügend Gemeinsamkeiten haben. Denn es ist für die Haftung, wenn man die anderen Fallgruppenbildungen betrachtet, nicht unerheblich, ob die Auskunft unmittelbar an den endgültigen Empfänger gegeben wird oder erst über andere Zwischenstationen 23 Bischojf, S. 65. 24 Bischojf, S. 66.
25 Bischojf, S. 66. 26 Bischojf, S. 66. 27 Bischojf, S. 66.
24
1. Kapitel Einleitung
zu ihm gelangt. Beide Varianten erfaßt Bisehoffunter Fallgruppe (1). Ähnlich ist es in Fallgruppe (3) mit den unmittelbaren Erklärungen an den Vertrauenden und den Auskünften in Gutachtenform. Überdies wird in diese Gruppe noch der Rechtsschutz des Beurteilten, was eine ganz andere Frage ist. eingeordnet. Andererseits gibt es Überschneidungen bzw. "Übergänge"28 zwischen den Fallgruppen, was Bisehoff selbst feststellt, aber mit dem Hinweis, hier sei deswegen eine konstruktive Gleichbehandlung erforderlich, zu entkräften versucht. 29 Fallgruppen sollen aber gerade Unterschiede aufdecken. Fälle, von denen man vorher weiß, daß sie rechtlich gleich zu behandeln sind, sollten nicht verschiedene Fallgruppen bilden. Bisehoff geht es allerdings darum, bei den verschiedenen Fallgruppen nur einen unterschiedlichen Haftungsmaßstab anzuwenden. In dieser Arbeit sollen aber die Sachkriterien und auch die Konstruktion der Haftung untersucht werden. Für diesen Zweck erscheint die Fallgruppeneinteilung von Bisehoff wenig hilfreich. Sie wird daher aus der weiteren Betrachtung ausgeschieden.
C. Einteilung nach Sachverhaltskonstella tionen Dieses Ordnungsmerkmal verwenden Lorenz, Lammel, Heesch, Larenz und Lang. Was die hier interessierenden Fallkonstellationen betrifft (also außerhalb von eindeutig bestehenden Auskunftsverträgen oder Verträgen, die die Auskunftserteilung als Nebenpflicht enthalten) kommt Lorenz30 auf vier Fallgruppen: ( l) Auskünfte innerhalb einer bestehenden Geschäftsverbindung. (2) Auskunft bei der Anbahnung eines Vertragsabschlusses, wobei er sich hier auf die Auskünfte von künftigen Vertragspartnern oder deren Gehilfen beschränkt. 31 (3) Einmalige Auskunft aufNachfrage des Empflingers. (4) Einmalige Auskunft ohne Anfrage an die Auskunftsperson, also eventuell auch über einen Dritten: z. B. Anfragen des Kunden bei der Hausbank, die bei einer anderen Bank die Auskunft einholt. Im Anschluß an Lorenz stellt Lammel32 folgende Fallgruppen auf: 28 Bischof!, S. 66. 29 Bischof!, S. 66/67. 30 Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575, 581 - 583. 31
Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575, 582.
§ 2 Fallglllppen
25
(1) Anbahnung eines Vertrages oder Bestehen einer vertraglichen Bindung, in deren Rahmen Auskünfte zur Erftillung des Vertragszwecks gegeben werden. (2) Einmalige Auskunft auf Anfrage, worin sich der Kontakt erschöpfen soll (Einmalkontakt). (3) Weitergabe der Auskunft an einen Dritten.
Auffällig ist hier, daß die Fallgruppe der Auskünfte innerhalb einer bestehenden Geschaftsverbindung fehlt. Auch Heesch ordnet das Material der Rechtsprechung in seiner Darstellung nach den unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen, in denen Aukünfte erteilt werden. 33 Er unterscheidet grundsätzlich zwischen "Zwei-PersonenVerhältnissen"34 und "Drei-Personen-Verhältnissen".35 Innerhalb der ZweiPersonen-Verhältnisse bildet er die Unterfallgruppen der "Auskunftserteilung im Rahmen einer besonderen Geschäftsverbindung",36 der "isolierte[n] Auskunftserteilung''37 und der "Auskunft gegenüber unbekannten Verwendem"38. Die Fallgruppe der Drei-Personen-Verhältnisse besteht, soweit es um die in der vorliegenden Arbeit zu behandelnden Konstellationen geht, aus den Unterfallgruppen der "Einflußnahme eines Dritten auf eine Vertragsbeziehung"39, worunter auch zwei Entscheidungen zur Prospekthaftung eingeordnet werden40, ohne daß allerdings schon eine Zuordnung dieser Konstellation zu einer eigenständigen Fallgruppe erfolgt, wie es bei den unten darzustellenden Fallgruppeneinteilungenv on Larenz und Lang der Fall ist, und der "Vorlage der Information durch den Empfänger bei einem dritten Verwender (WeitergabeFälle)". Larenz41 kommt bezüglich der in dieser Arbeit zu behandelnden Fallkonstellationen auf die folgenden fiinfFallgruppen: 32 Lammel, AcP
179 (1979), 337, 338 f.
33 Heesch, S.
119 - 139.
34 Heesch, S.
119.
35 Heesch, S.
129.
36 Heesch, S.
119.
37 Heesch, S.
123.
38 Heesch, S.
127.
39 Heesch, S.
129.
40 Heesch, S. 132 f., die Entscheidungen sind BGH Urt. v. 16.11.1978, li ZR 94177, BGHZ 72, 382, und BGH Urt. v. 22.5.1980, li ZR 209179, BGHZ 77, 172. 41 Larenz, Schuldrecht, Bd. li, 1, S. 424 ff., insbesondere § 56 VI 3 -7.
26
1. Kapitel Einleitung
(1) Raterteilung im Zusanunenhang mit Vertragsverhandlungen. (2) Auskünfte und Empfehlungen im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung. (3) Einmalige Auskünfte außerhalb einer bestehenden Geschäftsverbindung. (4) Zur Weitergabe an Dritte bestimmte gutachtliche Äußerungen und Empfehlungen. (5) Die Prospekthaftung der Gründer einer Publikums-Gesellschaft. Eine weitere, den obigen ähnliche, explizite Fallgruppenbildung stammt von Lang. 42 Er unterscheidet folgende Fallgruppen: (1) Eine Person besonderen Vertrauens (etwa ein Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater) gibt bei Verhandlungen eine Auskunft über ihren Mandanten ab. Hier geht es vor allem um Vertragsverhandlungen. (2) Schriftliche Auskünfte (z. B. Gutachten) werden an Dritte weitergegeben, die davon Dispositionen abhängig machen. (3) Kreditauskünfte von Banken und Sparkassen. (4) Prospekthaftung, jedoch hier nur die Haftung einer kompetent erscheinenden Vertrauensperson, mit deren Sachkunde im Prospekt geworben wird. Diese Einschränkung ist vermutlich dadurch bedingt, daß der Beitrag von Lang sich nur mit der Dritthaftung der Wirtschaftsprüfer und anderer Sachverständigen befaßt. Diese Vorschläge weisen weitgehende sachliche Übereinstimmungen auf. Die von Lang, abweichend von den anderen, aufgestellte Fallgruppe der Kreditauskünfte ist nur das Musterbeispiel für die einmalige Auskunft43 und bildet daher keine eigene Fallgruppe. Die Prospekthaftung fehlt in der Aufstellung von Lorenz, weil sie 1973 bei Erscheinen des Festschriftenbeitrages von Lorenz noch nicht entwickelt worden war. Auch in der Fallgruppenbildung von Lammel fehlt die Fallgruppe der Prospekthaftung, sie hatte sich 1979 auch wohl noch nicht zu einer Fallgruppe verdichtet, da erst wenige Entscheidungen in diesem Bereich ergangen waren. Der gleiche Grund dürfte auch in der Einteilung von Heesch zum Fehlen einer eigenständigen Fallgruppe der Prospekthaftung gefiihrt haben. Die Einteilung von Heesch ist im übrigen wesentlich komplizierter als die übrigen Vorschläge. Daher ist diese Fallgruppenbildung weniger übersichtlich. Sie scheint auch zu fein aufgegliedert zu sein, was dazu fUhrt, daß die Fallgruppe der Auskunft gegenüber unbekannten Verwendem nur eine Gerichtsentscheidung enthält. 44 Diese Kon42 Lang, WM 1988,1001, 1002. 43 Lammel, AcP 179 (1979), 337,338. 44 Diese ist BGH Urt. v. 12.2.1979,11 ZR 177n7, WM 1979, 548 = LM Nr. 19 zu§ 676 BGB; vonHeesch zitiert als BGH NJW 1979, 1595.
§ 2 Fallgruppen
27
stellation ist im wesentlichen mit derjenigen der Fallgruppe (4) bei Lorenz und Larenz, sowie der Fallgruppe (3) bei Lammet und der Fallgruppe (2) bei Lang identisch und sollte daher keine eigene Fallgruppe bilden. Im übrigen entsprechen die von Heesch gebildeten Unterfallgruppen den Fallgruppen (1) bis (4) vonLarenz. Auf Grund des auch im übrigen sehr weitgehenden Gleichklanges zwischen den Ansätzen läßt sich aus ihnen eine Einteilung gewinnen, die von abstrahierten Sachverhaltsmerkmalen ausgeht und dieser Arbeit zugrundegelegt werden soll. Fallgruppe 1: Hierhin gehören die unmittelbar dem später geschädigten Empfänger gegenüber abgegebenen Auskünfte außerhalb einer bestehenden Geschäftsverbindung. Fallgruppe 2: Unmittelbar dem später geschädigten Empfänger gegenüber abgegebene Auskünfte innerhalb einer bestehenden Geschäftsverbindung. Fallgruppe 3: Dies sind Auskünfte bei der Vertragsanbahnung, die von anderen Personen als den zukünftigen Vertragschließenden, insbesondere von besonderen Sachkundeträgem oder Personen besonderen Vertrauens,45 abgegeben werden. Fallgruppe 4: Diese erfaßt zur Weitergabe an Dritte bestimmte46 oder jedenfalls tatsächlich weitergegebene47 Auskünfte, besonders Gutachten, ohne daß eine Anfrage des jeweiligen Endempfängers, der durch die Disposition auf Grund der Auskunft einen Schaden erleidet, vorgelegen hat. 48 Fallgruppe 5: Diese umfaßt die Fälle der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung, sowohl bei Publikumsgesellschaften als auch bei Bauherrenmodellen.49
45 Vr).. Lang, WM 1988, 1001, 1002.
46 Larenz, Schuldrecht, Bd. II, 1, § 56 VI 6. 47 Larenz, FS Larenz 1973, S. 575, 583. 48 Getrennt betrachtet werden die Fallgruppen 1 und 4 auch von Wiegand, S. 58.
49 Zu Prospekthaftung bei Bauherrerunodellen jetzt: BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZI11,314.
28
I. Kapitel Einleitung
§ 3 Abgrenzung zu Außdirungspßichten vor Vertragsschluß Die Haftung fiir nicht erfilllte Aufklärungspflichten bei Vertragsschluß ist nicht eigentlich Auskunftshaftung, sondern stellt einen Teil des Haftungsrechts im Bereich des Vertragsschlusses dar. Sie gehört damit näher zu einem anderen Bereich der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts. Die dort zu behandelnden Fragen zählen speziell zur Haftung aus culpa in contrahendo und führen damit vom Thema der Auskunftshaftung weg. 50 Daher werden diese Bereiche in dieser Arbeit nicht behandelt. Das gilt auch fiir die Fälle der Eigenhaftung von Vertretern aus Verschulden beim Vertragsschluß (vgl. unten § 6 C., zu Fallgruppe 3). Es ist aber richtig, daß in den Fällen der Haftung fiir die Verletzung von Aufklärungspflichten auch Aussagen vorliegen können, die falsch sind, so daß sich sachlich kein großer Unterschied zu Auskünften ergibt. 5 1 Das ist aber nicht in jedem Fall der Verletzung einer vorvertragliehen Aufklärungspflicht so. Darüberhinaus sind die zukünftigen Vertragspartner einander durch das vorvertragliche Verhandlungsverhältnis schon nahe gekommen, was dazu führt, daß sie sich kaum als Dritte gegenüberstehen. Als einheitlicher Haftungsgrund kann hier die Verletzung einer vorvertragliehen Aufklärungspflicht angenommen werden. 52 Aber auch wenn das abgelehnt wird, besteht doch die besondere Konstellation von Auskünften vor Vertragsschluß. Diese wird in dieser Arbeit zwar in Fallgruppe 3 behandelt, aber nur soweit es sich um positive Auskünfte von Personen handelt, die nicht selbst den Vertrag schließen, weder als Vertragspartner noch als Vertreter. 53
50 Nach Ansicht von Stoll, FS Flume Bd. I, S. 741, 765, ergibt sich die Haftung in diesen Fällen schon nach Treu und Glauben urunittelbar aus den Vertragsverhandlungen. Daher behandelt auch er diese Sachverhalte nicht nAher. 51 Ähnlich Schmitz, S. 100. 52 Schmitz, S. 101 gegen die Rechtsprechung (vgl. a. a. 0 ., S. 102), die eine Nebenpflicht aus dem zu schließenden Vertrag anninunt. 53 Diese Abgrenzung wllhlt auch Lang, WM 1988, 1001, 1002.
2. Kapitel
Notwendigkeit der Haftung in diesen Fällen § 4 Allgemeines Angesichts der Schwierigkeit, eine Haftungsgrundlage für die verschiedenen Fälle der Auskunftshaftung gegenüber Dritten zu finden, und der Tatsache, daß die Haftung des Auskunftgebers in diesen Fällen im allgemeinen grundsätzlich bejaht wird, 1 fragt es sich, warum in diesen Konstellationen eine Haftung für die gegebene Auskunft notwendig ist. Daß die Haftung offenbar nötig ist, kann angesichts der lange zurückreichenden ("traditionsreichen")2 und umfangreichen Rechtsprechung, die gerade im letzten Jahrzehnt die Haftung noch verschärft hat, 3 und der im Grundsatz durchweg zustimmenden Literatur4 (wenngleich vor zu großer Haftungsverschärfung auch deutlich gewarnt wird), 5 nicht ernstlich in Frage gestellt werden.
§ 5 Gründe im einzelnen Interessant ist aber die Beantwortung der Frage nach den Gründen dafiir, daß trotz offenbarer Schwierigkeiten, die Haftung rechtlich zu konstruieren, sie in diesen Fällen doch weithin für notwendig gehalten wird, was darin zum Ausdruck kommt, daß eine solche rechtliche Konstruktion der Haftung versucht wird. 1 Larenz, Schuldrecht, Bd. II, 1, §56 VI, S. 425. 2 Jost, S. 11. 3 Ebke!Scheel, WM 1991, 389, 389; auch Damm, JZ 1991, 372, 372, bezüglich der Expertenhaftung. 4 Bohrer, S. 27; Zweifel äußert aber Littbarski, NJW 1984, 1667, 1670, da es sich oft um spekulative Geschäfte handele, bei denen sich die Frage stelle, ob denjenigen, die sie eingehen wollten, nicht größere Selbstverantwortung zugemutet werden könne.
5 Ebke/Scheel, WM 1991,389,394- 398;Ebke, JZ 1990,688, 689; Honsell, JZ 1985, 952, 952; kritisch auch v. Bar, ZGR 1983, 476, 479: "Überborden des Schutzes primärer Vermögensinteressen im außervertraglichen Bereich".
30
2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen Fällen
Im Schrifttum (zum Teil auch in der Rechtsprechung) finden sich verschiedene Begründungen. Sie zerfallen in zwei voneinander zu trennende Gruppen. Einmal handelt es sich um Gründe im Verhältnis zwischen dem Empfänger der Auskunft und der Auskunftsperson. Zum anderen sind es Gründe, die sich auf den Rechts- und Geschäftsverkehr als ganzes beziehen und also über das zweiseitige Verhältnis zwischen dem Auskunftgeber und dem schließliehen Empfänger der Information hinausgehen.
A. Gründe, die sich aus dem Verhältnis zwischen Auskunftgeber und Empfllnger der Information ergeben I. Ein sehr wesentlicher Grund dafür, daß die Haftung des Auskunftgebers im Grundsatz für notwendig gehalten wird, liegt in der Angewiesenheit des Empfilngers und des Teilnehmers am Rechts- und Geschäftsverkehr überhaupt auf fremde Informationen, auf fremdes Wissen schlechthin. 6 Diese Angewiesenheit ist keine persönliche Eigenschaft des jeweiligen Empfängers, sondern sie ist bei nahezu jedem Teilnehmer am Rechts- und Geschäftsverkehr gegeben. Allerdings ist es nicht unmittelbar einsichtig, daß diese Angewiesenheit oder Angewiesenheitsrelation7 besteht. Sie bedarf ihrerseits einer Begründung. Dabei treten die unmittelbaren Ursachen zutage, die dazu fuhren, daß Informationen ausgetauscht werden müssen. Hier ist zunächst die Spezialisierung auf Grund von Arbeitsteilung anzugeben. 8 Sie führt dazu, daß das Wissen, welches erforderlich ist, um Entscheidungen zu treffen, nur bei Spezialisten vorhanden ist9 und im "Alltagswissen" fehlt. 10 Auf Grund der er-
6 Assmann, S. 257 (speziell hiusichtlich Angewiesenheit des Anlegers auf Informationen aus dem Prospekt); Brüggemeier, S. 291; v. Craushaar, S. 16: Olmmacht auf Grund überlegenen Wissens des anderen erzeugt Angewiesenheit auf Rücksichtnalune des überlegenen Vertrauensgewahrers, S. 17: Gesetz und Rechtsprechung haben das bertlcksichtigt; Damm, JZ 1991, 372, 372; Ebke/Scheel, WM 1991, 389, 398: bezogen auf die Prospekthaftung wegen Besonderheiten des Anlegerschutzes; Jost, S. 211,217: aus der Angewiesenheit aufsie ergibt sich die Getlhrlichkeit der Information; K6ndgen, S. 146; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 247; Schulze, JuS 1983, 81, 82; die Abhängigkeit des Auskunftsempfllngers vom Experten betont auch Cane in Furmston, Law ofTort, S. 113, 124.
1 Brüggemeier, S. 291. 8 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung. S. 299, 319; Brüggemeier, S. 291; K6ndgen, S. 146; Musielak, Haftung. S. 6; Picker, JZ 1987, 1041, 1043.; u. a. auch dazu Weiser, S. 1; speziell zur Entwicklung der Arbeitsteilung und ihren Ursachen: Durkheim, S. 303 oben, 306 - 310, diese Thesen sind nicht unumstritten, vgl. dazu K6ndgen, S. 145.
9 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung. S. 299,319. 10 Jost, S. 201.
§ 5 Grilnde im einzelnen
31
höhten Komplexität des Marktes 11 ist immer mehr Spezialwissen erforderlich, um sachgerecht entscheiden zu können. 12 Dieses Spezialwissen ist schwierig zu erlangen. Oft benötigt der Spezialist eine langdauernde Erfahrung, um es zu erwerben und dann richtige Auskünfte zu geben. Daher sind diese Informationen, insbesondere ein umfangreiches Hintergrundwissen, 13 von einem Nichtfachmann auch bei Anstrengung nicht unmittelbar zu erlangen, 14 was zur Angewiesenheit auf den Experten fiihrt. Auf der Empfängerseite steht infolge einer Ausweitung der Investitionstätigkeit auf ein unerfahrenes Publikum in der Tendenz weniger Wissen zur Verfügung, was die Angewiesenheit auf Informationen in der Breite verstärkt. 15 Hier berührt sich die Frage nach der Notwendigkeit der Informationshaftung mit dem Konsurnentenschutz.16 Der unerfahrene Anleger kann als Konsument betrachtet werden, der Finanzdienstleistungen nachfragt. Zur sachgerechten Auswahl einer Anlageform braucht er verläßliche Auskünfte und vielleicht auch Beratung. 17 Die Haftung dient damit dem Kapitalanlegerschutz, 18 der nötig ist, weil auf Expertenseite eine geschäftliche Überlegenheit infolge eines Wissens- und Erfahrungsvorsprungs19 besteht, aus dem sich die Angewiesenheit auf Auskünfte ergibt.
II Heesch, S. 3 f.; Stevens (1964) 27 M.L.R. 121, 122. Vgl. insbesondere zur Rolle der Wirtschaftsprilfer unter den Bedingungen des modernen Wirtschaftslebens die Entscheidung Haig v. Bamford (1977) 72 D.L.R. (3d) 68 (Supreme Court of Canada), 74 (per Dicksan J.). 12
13 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299,319.
14 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S.
ZR 259n7, BGHZ 74, 103, 107.
299, 318;Jost, S. 201; BGH Urt. v. 22.3.1979, VII
15 Heesch, S. 4; Wiegand, S. 91, insbesondere S. 169 (filr sie ist Bedingung einer Dritthaftung aber, daß sie nicht durch ein Regelungsverbot untersagt ist); auch Stevens (1964) 27 M.L.R. 121, 122 zur
Bedeutung der Beteiligung eines großen Teils der Bevölkerung am Wirtschaftsleben.
16 Zum KonsumentenschutzHeesch, S. 3 mit weiteren Nachweisen; vgl. auchAssmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299, 317 - 320, zum Anlegerschutz; Hartmann, S. 127 - 129 zum Verbraucherschutz bei der Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften.
17 Zur anlegergerechten Anlageberatung vgl. Hoegen, FS Stimpel, S. 247, 251; zur Unterscheidung zwischen Anlagevermittlung und Anlageberatung und den damit verbundenen unterschiedlichen Pflichten: BGH Urt. v. 25.11.1981, IVa ZR 286/80, NJW 1982, 1095, m. Anm. Assmann, NJW 1982, 1083 -1085, undAssmann, S. 243 (ablehnend). 18 Speziell zum Grund filr die Entwicklung der bQrgerlichrechtlichen Prospekthaftung: BGH Urt. v. 6.10.1980, I1 ZR 60/80, BGHZ 79,337,341. 19 BGH Urt. v. 17.5.1982, li ZR 9/82, NJW 1982, 2815, 2816, hier wird die Haftung auf § 826 BGB gegründet und die Sittenwidrigkeit unmittelbar aus dem grob anstößigen Mißbrauch eines Wissens- und Erfahrungsvorsprungs abgeleitet
32
2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen FAllen
II. Teilweise wird die Sachkunde des Experten, wegen derer sich der Auskunftsempfänger zu seinem Handeln bestimmen läßt, auch unmittelbar als Grundlage :fiir die rechtliche Konstruktion einer Haftung in diesen Fällen angenommen. 20 Eng verwandt damit ist die Annahme, daß die Haftung letztlich deshalb bestehe, weil der Experte durch die Auskunft auf Grund überlegenen Wissens die Schädigung verursacht habe. 21 Auch so gesehen kommt aber die Kausalität erst durch die Sachkunde, die den Empfänger der Auskunft zur entsprechenden Disposition verleitet, zustande.
Ill. In fehlender Nachprüfbarkeit der fremden Information liegt ein weiterer Grund :fiir die Notwendigkeit der Haftung. 22 Das bedeutet, daß der Empfänger sich vor der Fehlerhaftigkeit und Unrichtigkeit von Informationen nicht schützen kann. Auch kann er schwer auf andere Informationsgeber ausweichen, weil er auch deren Auskünfte in der Regel nicht überprüfen kann. 23 Die Folge davon ist eine Art monopolartiger Stellung des Informationsträgers.24 Als weitere Folge ergibt sich, daß Informationen nicht stets über den Markt verteilt werden können, weil ihr Wert erst nachträglich festgestellt werden kann, das heißt nach ihrer Verwendung, indem von ihnen eine Disposition abhängig gemacht worden ist, die sich entweder als vorteilhaft oder verlustreich erweist. 25 Der Wert von Informationen ist nämlich auf dem Markt nicht abschätzbar, da er erst nachträglich festgestellt werden kann,26 nicht schon bei ihrem Erwerb. Das führt zu der Aussage, daß, wer Informationen erwerben wolle, auf ihre Qualität vertrauen müsse. 27 Infolgedessen wirken die Marktkräfte nicht auf die Richtigkeit von Informationen hin, deren Sicherstellung daher durch die Statuierung einer Haftung :fiir fehlerhafte Auskünfte als notwendig angesehen wird. Durch die Haftung kann außerdem eine Kompensation :fiir das Fehlen der Nachprüfbarkeit geschaffen werden. Aus diesen beiden Erwägungen ergibt sich eine Begründung da:fiir, daß die Haftung :fiir Auskünfte im allgemeinen :fiir nötig gehalten wird.
20 Aring!Assmann/Bergmann/Brinkmann, JuS
1973, 39, 44.
21 Jost, S. 213. 22 Heesch, S. 163;Jost, S. 220;KtJndgen, S. 23 KtJndgen, S.
147.
147; lhnlichJost, S. 211.
24 Jost, S. 211; Paul, S. 140, der feststellt, der Auskunftgeber verfllge Qber das Monopol wesentlicher Informationen. 25 Assmann, S. 287 unter Bezugnahme auf den wohlfahrtstheoretischen Ansatz der Infonnationsökonomie;Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299, 319;Jost, S. 233 f. 26 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299,319. 27 Assmann, S.
286.
§ S Grande im einzelnen
33
Die Gründe für die fehlende Nachprüfbarkeil liegen in folgendem. Zum ersten ist der Informationswert wie oben erklärt erst nachträglich feststellbar. Zum zweiten erfordert die Nachprüfung gerade das Wissen, daß der Empfänger durch die Auskunft erst zu erlangen hofit, was eine Nachprüfung ausschließt, zumal ein Ausweichen auf einen anderen Informationsträger bei ihm dasselbe Problem der fehlenden Richtigkeitskontrolle entstehen läßt, 28 also keinen Ausweg bietet. Bei bestimmten Geldanlagemöglichkeiten, die von einer kleinen Gruppe von Geschäftsleuten initiiert und auch vertrieben werden, wie die Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften (oft als GmbH & Co. KG29), hat außer den Anbietern auch niemand einen genügend tiefen Einblick in das Projekt, um geeignete Auskünfte darüber geben zu können. 30 Hier zeigt sich, daß das Fehlen der Nachprüfbarkeil der Informationen auch mit der Angewiesenheil auf bestimmte Informationen und Informationsträger verbunden ist. Die fehlende Nachprüfbarkeil von Auskünften verstärkt die Angewiesenheitsrelation zum Auskunftgeber. Auch macht sie die Haftung noch nötiger, als es die Angewiesenheil allein tut. IV. Ein letzter Grund für die Notwendigkeit der Haftung aus dem Verhältnis zwischen dem Informationsträger und dem Empfänger liegt darin, daß die Gefährlichkeit der Information, die sich aus der Angewiesenheil ergibt,31 vom Fachmann besser übersehen werden kann; 32 er kann sie daher am besten eingrenzen. 33 Die Haftung schützt den Empfänger vor den Gefahren der Information, was ihre Notwendigkeit ebenfalls verständlich macht.
28 Köndgen, S. 147.
29 Crezelius, BB 1985, 209, 209; Grannemann, S. 27. 30 Vgl. Assmann, S. 81, der feststellt, daß die Publikums-KG ihre Hinternilinner und Initiatoren, von denen das Gelingen des Untemelunens weitgehend mitbeeinßußt werde, nicht erkennen lasse; das Problem der Undurchschaubark.eit betontHartmann, S. 129. 31 Jost, S. 217. 32 Jost, S. 226. 33 Jost, S. 226. 3 F. Müller
34
2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen FAllen
B. Gründe, die über das Zwei-Personen-Verblltnis34 binausgeben
Diese Gründe betreffen die Auswirkungen und Zwecke der lnfonnationshaftung in einem größeren Rahmen. Betrachtet wird hier die Notwendigkeit der Infonnationshaftung für den Geschäfts- und Rechtsverkehr als ganzen. Auch die Bedeutung der Haftung für den Markt kommt zum Tragen. I. Ein Grund für die Notwendigkeit der Haftung kann darin liegen, daß der Experte das Risiko falscher Auskünfte versichern kann. 35 Gleichzeitig kann der Empfänger der Auskunft sich gegen die Schäden aus falschen Auskünften nicht oder nur unter Schwierigkeiten versichern,36 weil er nur relativ selten in die Lage kommt, Versicherungsschutz gegen falsche Infonnationen zu benötigen. 37 Eine Versicherung wäre daher auch unrationell. 38
Damit hängt auch zusammen, daß der Spezialist die Risiken besser vermeiden kann, weil er die Ursachen falscher Infonnationen unter Kontrolle hat und die Gefahr kennt. 39 Gegen das Argument der Versicherbarkeit wird allerdings, untermauert von empirischen Daten aus den USA, eingewandt, daß eine starke Haftungsausweitung die Versicherbarkeit von Schäden, die durch unrichtige Infonnationen entstehen, wieder in Frage stellt, sie sogar zerstören kann, weil die Versicherungsprämien sehr hoch werden40 und Versicherungen zum Abschluß entsprechender Berufshaftpflichtversicherungsverträge der relevanten Berufe (z. B. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater) nicht mehr bereit sein
34 Vgl. zum Zwei-Personen-Verblltnis Assmann, S. 275: ,,Eine weitere Konsequenz des Marktversagensansatzes zur Pflichtenformulierung verdient der HervorhebWlg: Pflichten folgen nicht mehr ReziproziWsvorstellWlgen im individuellen Zwei-Personen-Austauschverblltnis Wld stellen ebensowenig die von den Verteidigern pflichtenfreier subjektiver Rechte befllrchtete rechtsinunanente (statische) Balance von Recht und Pflicht her." Die Haftpflichten werden nach diesem Ansatz also aus überindividuellen Verhlltnissen gewonnen. Das wird hier auf die Frage nach den Gründen filr die Notwendigkeit der Haftung angewandt. 35 Erwlhnt, aber nicht deutlich gemacht in BGH Urt. v. 23.1.1985, IVa ZR 66/83, WM 1985, 450, 452 = JZ 1985, 951, 952; v. Bar, RabelsZ 44 (1980}, 455, 479- 481 (aber skeptisch hinsichtlich der Richtigkeit dieser EntwicklWlg}; Grunewald, JZ 1982, 627, 630; Heesch, S. 168; Jost, S. 227; Martin (1990) 6 P.N. 176, 176 (rechte Spalte); da das Argument hier nicht als RechtsgrWld filr die HaftWlg herangezogen wird, ist auf die Kritik von Schindhelm/Grothe, DStR 1989, 445, 447, an dieser Stelle nicht einzugehen; das Argument der Versicherbarkeit findet sich in der englischen Entscheidung Morgan Crucible Co. Pie. v. Hili Samuel & Co. Ud. [1991) Ch. 295,302 G.
36 Grunewald, JZ 1982, 627, 630. 37 Jost, S. 227. 38 Jost, S. 227. 39 Grunewald, JZ 1982,627, 630;Heesch, S. 168. 40 F1eming (1990) 106 L.Q.R. 349,351.
§ S Grllnde im einzelnen
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könnten. 4 1 Wenn die Haftpflichtversicherung zur Begründung von Haftpflichten herangezogen wird, soll das auch "auf Dauer unvermeidlich zur Verschärfung der Haftung" führen. 42 Die Warnung vor einer zu weiten Haftungsausdehnung ist berechtigt. Trotzdem bleibt grundsätzlich festzuhalten, daß bei vernünftigen Grenzen der Haftung der Experte den Schaden eher versichern kann als der Informationsempfanger. 43 Dieses Argument liefert allerdings noch keine rechtliche Begründung für die Annahme der Haftung des Informationsträgers in einem bestimmten Fall. 44 Hier geht es zunächst darum, die unterschiedlichen tatsächlichen Gründe für ein Bedürfnis nach Haftung darzustellen. II. Ein weiterer solcher Grund ist der sich aus der Gefahr der Haftung ergebende Anreiz für den Auskunftgeber zu korrektem professionellen Verhalten. 45 Jedoch wird das, jedenfalls für Wirtschaftsprüfer, eindringlich bestritten. 46 Das Argument dafür ist allerdings nur, daß dieser Anreiz auf Grund der Berufshaftpflichtversicherung minimal sei. 47 Außerdem gebe es die Möglichkeit, durch berufsständische Regeln den Sorgfaltsstandard zu sichern. 4 8 Für die Ansicht, daß durch Haftung ein Anreiz zu professionellem Verhalten geschaffen werde, gibt es allerdings auch keine Begründung. Im ganzen erscheinen diese Gründe und Gegengründe nicht sehr stichhaltig. Es bedürfte größerer psychologischer und rechtstatsächlicher Untersuchungen, ob die 41 Ebke/Scheel, WM 1991,389, 398; aufdie Gefahr, daß unversicherbare Risiken entstehen, weist Lord Oliver ofAylmerton in der Entscheidung Caparo Industries Pie. v. Dickman [1990] 2 AC. 605 (H.L.), 643 C hin: die Ausdelmung der Haftung"... would open up a limitless vista ofuninsurable risk for the professional man." 42 Loges,
S. 159.
43 Hopt, FS Pleyer, S. 341, 369 in Fn. 153, berichtet, daß Versicherungen bis zu einer Deckungssunune von filnf Millionen DM zu einer Jahresprämie von 5000,- DM angeboten wOrden und daß Haftpflichtßlle nur bis zu zwei Millionen DM Schaden bekannt seien. 44 Loges, S. 158: Risikoverteilung unabhängig von der Versicherbarkeit zu entscheiden, u. 159; ebenfalls vorsichtig bei der Verwendung wirtschaftlicher Argumente dieser Art: Morgan Crucible Co. Pie. v. Hili Samuel & Co. Ltd. [1991] Ch. 295,306 (C.A), 321 B • C; nachHaTVey (1972) 50 Can. Bar Rev. 580, 608, Fn. 143 ist der Gesichtspunkt der Versicherbarkeit fllr die Haftungstheorie irrelevant, aber in der Praxis finde keine gesunde Entwicklung der Haftung olme Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes statt. 45 Brüggemeier, S. 292; Heesch, S. 163- 165, er spricht von Disziplinierung; Jost, S. 212 u. 214: Anreiz filr ein Bemühen um Zuverlässigkeit, S. 227: " ... Anreiz, durch tragbare PräventionsaufWendungen schon die Gefahr der lnanspruchnalune zu vermeiden, ..."; auch Wiegand, S. 173, nach der die Vemeinung der Haftung geradezu zur UnsorgtlUtigkeit erziehen würde, "da Nachlässigkeiten zu Lasten des Dritten zumeist den Vertragspartner begünstigen, ...", dies bezieht sich auf Konstellationen der Fallgruppe 4; ähnlich fllr den Bereich der Werbung Lehmann, Allokationseffizienz, S. 169, 173. 46 Ebke/Scheel, WM 1991, 389, 397. 47 Ebke/Scheel, WM 1991,389, 397; allgemeiner im gleichen Sinne Loges, S. 159. 48 Heesch, S. 164 f.
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2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen Fällen
Gefahr der Haftung tatsächlich das Berufsverhalten beeinflußt. Gegenwärtig besteht die Diskussion noch aus Behauptungen und Gegenbehauptungen, die nicht recht weiterführen. Überzeugend ist allerdings der Hinweis von Wiegand auf die Konstellationen der Fallgruppe 4 (Weitergabe einer Auskunft durch den unmittelbaren Auftraggeber der Auskunftsperson an den später geschädigten Dritten), bei denen Unrichtigkeiten zu Lasten des Dritten den Auftraggeber begünstigen. 49 Daher kann hier ohne Haftung ein Anreiz zu onsorgfältigem Verhalten bestehen, dem die Haftung entgegenwirkt, da sie eine Sanktion und ein Gegengewicht zur Abhängigkeit vom Auftraggeber bedeutet. Wegen der gewichtigen anderen Gründe, die fiir die Annahme einer Auskunftshaftung hier bereits dargestellt wurden bzw. noch folgen werden, kann dieser Grund auf sich beruhen. Dasselbe gilt auch fiir die Behauptung, daß Wirtschaftsprüfer nur dann am Markt ernst genommen würden, wenn eine Haftung bestehe, 50 und die Gegenbehauptung, im Gegenteil schwächten Haftungsprozesse ihr Ansehen und besser sei eine diskrete berufsständische Eliminierung unflihiger Angehöriger des Berufsstandes. 51 Dagegen ist vorgebracht worden, daß durch berufsständische Kontrolle kein ausreichender Schutz fiir die Verwender der Informationen geschaffen worden sei, wobei ein gewisser Schutzeffekt bei "anerkannten wissensbezogenen Berufen" aber eingeräumt wird. 52 Hier kommt man über Behauptungen nicht hinaus. III. Die Haftung fiir Auskünfte kann, wenn sie zu streng und damit zu belastend ist, allerdings auch negative Folgen haben. Den Gedanken, daß derjenige, der Informationen vergibt, durch die Haftung zu sorgfältiger Arbeitsweise angehalten werde, was die Qualität der Auskünfte erhöht, kann man auch so formulieren, daß der Auskunftgeber als Informationsproduzent mit allen gesellschaftlichen Kosten seiner Handlungsweise (also der Bereitstellung von Informationen) belastet wird. 53 Diese Kosten entstehen durch Fehlinformationen. Mit diesen Kosten, die sich in Vermögensschäden bei den Auskunftsempfängern verkörpern, wird der Auskunftgeber auf dem Weg der Haftung auf Schadensersatz fiir Fehlinformationen belastet. Wenn diese Bedingung erfüllt ist, sind der gesellschaftliche Grenznutzen und die gesell-
49 Wiegand, S. 173. 50 Lang, WM 1988, 1001, 1006; auchFenneil (1992) 8 P.N. 25,27 (linke Spalte) meint, die Haftung erhalte den Ruf der Ehrlichkeit, den ein Berufsstand habe; das liege auch im öffentlichen Interesse (S. 28, rechte Spalte). 51 Ebke/Scheel, WM 1991,389,396. 52 Heesch, S. 164 f. 53 Vgl. Bishop (1980) 96 L.Q.R 360, 365.
§ 5 Grilnde im einzelnen
37
schaftliehen Grenzkosten der Produktion im Gleichgewicht, und die Produktion ist optimal hinsichtlich Umfang und Preis. 54 Bei der Informationsproduktion ergibt sich dabei aber die Schwierigkeit, daß der Informationserzeuger nicht allen gesellschaftlichen Nutzen der von ihm zugänglich gemachten Information über den Preis der Auskunft erwirtschaften kann, weil sich der Informationsfluß nicht wie die Verteilung gegenständlicher Waren kontrollieren läßt und weil es nicht möglich ist sicherzustellen, daß jeder, der eine Information nutzt, auch den entsprechenden Preis an den Erzeuger entrichtet. 55 Wenn diesem aber mittels der Haftung alle gesellschaftlichen Kosten der Informationsvergabe aufgebürdet werden, also auch von denen, die vorher keinen Preis entrichtet haben, kommt es zu einem Ungleichgewicht Der Auskunftgeber erhält durch seine Tätigkeit weniger Erlös, als er an gesellschaftlichen Kosten dafiir zu tragen hat. 56 Daher schränkt er die Vergabe von Informationen ein oder unterläßt sie ganz. 57 Dann wäre der gesamtgesellschaftliche Nutzen aber niedriger, als wenn Informationen vergeben würden. 58 Deshalb darf die Haftung fiir Auskünfte nicht so vollständig und weitreichend sein wie bei anderen wirtschaftlichen Handlungen, fiir die der Produzent über den Preis einen Gegenwert fiir die von ihm zu tragenden Haftungskosten erhält. Bei einer zu strengen Haftung besteht also die Gefahr, den gesellschaftlichen Nutzen, der durch den Anreiz zur Vergabe richtiger Auskünfte erreicht werden soll, gerade im Gegenteil zu verhindern, indem wichtige Informationen fehlen, weil es mit zu hohen Risiken behaftet ist, sie zugänglich zu machen. Das ist bei Überlegungen zur Notwendigkeit der Haftung zu beachten. Die Haftung sollte daher begrenzt sein, wenn die Information fiir viele mögliche Nutzer wertvoll ist, wenn der Informationsgeber über seine Preise nicht den Nutzen von allen möglichen Nutzern abschöpfen kann und die Auferlegung einer Haftung gegenüber allen Geschädigten die möglichen Kosten so bedeutsam ansteigen ließe, daß die Informationsvergabe überhaupt unattraktiv würde. 59
54 Bishop (1980) 96 L.Q.R 360, 365. 55 Bishop (1980) 96 L.Q.R 360,364- 366; ebenso speziell zu Wirtschaftsprllfem F7eming (1990) 106 L.Q.R 349,351. 56 Bishop (1980) 96 L.Q.R 360, 366. 57 Bishop (1980) 96 L.Q.R. 360, 366;F1eming (1990) 106 L.Q.R 349,351. 58 Bishop (1980) 96 L.Q.R 360, 366. 59 Bishop (1980) 96 L.Q.R. 360, 378.
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2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen Fallen
IV. Weiter nehmen manche an, die Haftung für Auskünfte sichere die Funktionsfllhigkeit des Geschäfts- oder Rechtsverkehrs. 60 Damit ist gemeint, die Haftung der Auskunftsperson verhindere, daß der Rechtsverkehr durch Vorsicht und Mißtrauen behindert werde. 61 Hier ist die Steuerungsfunktion der Informationsträger im Rechtsverkehr betroffen, die sich aus der Angewiesenheit auf fremdes Wissen ergibt. 62 Um diese zu sichern und effektiv zu erhalten, wird sie durch die Sanktion der Haftung ,,fiduziarisch gebunden".63 Hieraus ergibt sich die Einschränkung, daß dieses Argument nur dann herangezogen werden kann, wenn sich im Rechtsverkehr der durch die Auskunftshaftung Geschützte in der "generell schwächeren Situation befindet". 64 Das ist dann der Fall, wenn er auf fremde Informationen ständig angewiesen ist, dies also nicht nur eine Ausnahme darstellt. In diesem Fall wird er sich vom Rechtsverkehr zurückziehen oder zu den Geschäftsverkehr behindernden Vorsichtsmaßnahmen greifen, wenn er sich auf fremde Informationen nicht verlassen kann. Die Haftung dient in diesen Fällen dem "Ausgleich kollektiver Informationsungleichgewichte" und führt zur "Waffengleichheit am Markt". 65 Da es nur um eine ,,kollektive" Unterlegenheit geht, hat der Marktteilnehmer von ihm frei gewählte Risiken auch in diesen Fällen selbst zu tragen. 66 Damit wird den Bedenken67 gegen eine zu weitgehende Abnahme des Risikos entsprochen. Wenn ein Teilnehmer am Wirtschaftskreislauf dagegen nur im Einzelfall von der Information her unterlegen ist, wirkt sich das auf den Rechtsverkehr noch nicht aus, weil er trotzdem weiter am Rechtsverkehr ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen teilnimmt. 68 Die Haftung für Auskünfte wirkt sich dahin aus, daß es für Teilnehmer am Rechtsverkehr risikoärmer ist, den gegebenen Auskünften zu trauen, da entweder ein Anreiz zur Abgabe richtiger Auskünfte besteht (bei aller Problematik 60 Heesch, S. 165, der insbesondere auf eine verstärkte Teilnahme des Empfllngers der Information am Rechtsverkehr abstellt, und S. 167; Jost, S. 196 und 213 (S. 213: Steuerungsfunktion der Informationstnlger); Simitis, S. 586. 61 Jost, S.
196.
62 Jost, S.
213.
63 BegriffvonJost, S. 213 bei Fn. 61, in den dort angegebenen Belegstellen findet er sich nicht, aber sie deuten sachlich in diese Richtung. 64 Loges, S.
161.
65 Hopt, AcP
183 (1983), 608,651 f.
66 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 652.
67 Vorgebracht von Heesch, S. 166. 68 Loges, S.
161.
§ 5 Gronde im einzelnen
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dieser Annahme, wie sie oben unter B. 11. 2. b) dargestellt wurde) oder deijenige, der falsche Auskünfte gibt, fi1r den Schaden einstehen muß, so daß der Schaden nicht bei dem Empfänger der Auskunft verbleibt. Allerdings trägt dieser das Risiko der Insolvenz des Auskunftgebers, das allerdings durch dessen Haftpflichtversicherung gemildert sein kann. Durch die Minderung des Risikos werden Entscheidungen des Teilnehmers am Rechtsverkehr erleichtert, was den Rechtsverkehr im ganzen beschleunigt. Man erhom sich von der Auskunftshaftung außerdem eine ungeschmälerte Information und daraus folgend mehr Wettbewerb auf dem Kapitalmarkt.69 Kritisch wird zum Gedanken einer Risikoverminderung und zur Haftungserweiterung im allgemeinen aber angemerkt, daß die verschärfte Haftung die Folge eines die Wohlfahrtsgesellschaft kennzeichnenden Statusdenkens sei. Man wolle das mit Investitionen verbundene Verlustrisiko auf andere abwälzen. Dadurch sei das Haftungsrecht dabei, in den freien Wettbewerb einzugreifen.70 V. Ein mit dem eben dargestellten Grund verbundener, jedoch abstrakterer Ansatz erfaßt die Informationshaftung als Mittel zur Erreichung von Markttransparenz71 und zur Verhinderung von Marktversagen,72 bzw. positiv zur "Gewährleistung von Funktionsvoraussetzungen eines bestimmten (feil-)Marktes"73 Diese Gedanken wurden fi1r die Prospekthaftung auf dem Kapitalmarkt entwickelt. Danach dient die Haftung fi1r den Inhalt von Prospekten dazu, sicherzustellen, daß der Markt durchsichtig ist und über den Wettbewerb und die Qualitätsdiskriminierung kontrolliert wird.74 Qualitätsdiskriminierung dürfte dabei bedeuten, daß die Einschätzung der angebotenen Kapitalanlagen nach ihrer tatsächlichen Güte erfolgt, wozu richtige und möglichst umfassende Informationen erforderlich sind. Daß solche Informationen im Prospekt bereitgestellt werden, wird folgendermaßen erreicht: Diese Ansicht geht davon aus, daß eine Pflicht zur Herausgabe eines richtigen und vollständigen Prospekts eingeführt werden muß.75 Diese ist mit der Haftung als Sanktion be69 Herrmann, JZ 1983, 422, 428/429. 70 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 481 f.
71 Assmann, S. 248; filr Werbeangaben: Lehmann, S. 169, 170- 173, Lehmann begtilßt in diesem Zusanunenhang die Entwicklung der Prospekthaftung und der Sachwalterhaftung als Schritte in die richtige Richtung hin zu einer besseren Allokation aller Gilter auf dem Markt und spricht sich filr eine Erweiterung dieser Haftungskonstruktion aus, S. 173 - 175. 72 Assmann, S. 23 u. 24 oben; zum ,,Marktversagensansatz": S. 275. 73 Assmann, S. 275. 74 Assmann, S. 248. 15 Assmann, S. 331.
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2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen Fällen
wehrt. Dadurch wird erreicht, daß die Anleger sachgerecht entscheiden können. Um zu erklären, daß dieses System vor dem Marktzusammenbruch bewahrt, muß man die Sache andersherum betrachten. Man geht also vom Fehlen einer Prospekthaftung aus. Es fehlt dann an relevanter Information, um auf dem Anlagemarkt rational entscheiden zu können. Deshalb ziehen sich immer mehr Anleger von diesem Markt zurück. 76 Für die seriösen Anbieter wird es schwieriger, die Güte ihrer Anlageangebote nachzuweisen, so daß sie keine Abnehmer mehr finden. 77 Da die Anleger auf Grund fehlender Information die Güte der Produkte nicht fiir das einzelne unmittelbar feststellen können, orientieren sie sich am Marktdurchschnitt und entscheiden sich fiir diese Produkte, in diesem Fall Kapitalanlagemöglichkeiten, denn bessere Produkte können sie nicht als solche erkennen.78 Die besseren Produkte können also nicht als solche zu einem höheren Preis abgesetzt werden, was unter Wettbewerbsbedingungen dazu führt, daß sie vom Markt verschwinden, wodurch der Durchschnitt der Qualität noch weiter sinkt.79 Das veranlaßt potentielle Anleger, Produkte dieses Marktes nicht mehr nachzufragen und auf risikoärmere Anlageformen auszuweichen, was zum Zusammenbruch des Teilmarktes führen kann. 80 Hierbei ist allerdings der steuerliche Anreiz zur Beteiligung an Abschreibungsprojekten, die typischerweise den Gegenstand von Prospekthaftungsfällen bilden, 81 nicht berücksichtigt. Zweifelhaft ist bei dieser Erklärung, ob sie verallgemeinerungsfähig ist. Entwickelt wurde sie nur fiir die Prospekthaftung auf dem Kapitalmarkt. Hier sind die Anbietereines Produkts, hier der Kapitalanlage, und der Informationsträger wenn nicht identisch, so doch zumindest eng verbunden. Das ist bei den übrigen Fallgruppen der Auskunftshaftung nicht so. Vielmehr machen die Auskunftspersonen in den übrigen Fällen Angaben über andere Personen oder Dinge, mit denen sie selbst nicht verbunden sind. Z. B. gibt ein Sachverständiger ein Gutachten über den Wert eines Grundstückes ab. Er bietet es aber nicht selbst zum Kauf an. Wirtschaftsprüfer oder Banken geben Auskünfte über die Bonität eines Dritten. Hier besteht nicht die Konstellation einer Anbieter- und einer Nachfragerseite auf einem Markt. In den übrigen Fällen 76 Assmann, S. 24 u. 289.
77 Assmann, S. 24.
78 Assmann, S. 282, unter Hinweis auf Akerlof, The Quarterly Journal of Econornics, Bd. 84 (1970), S. 488- 500. 79 Assmann, S. 282. 80 Assmann, S. 282 u. 24. 81 Grannemann, S. 15; Crezelius, BB 1985, 209, 209- 211.
§ 5 Gnlnde im einzelnen
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der Auskunftshaftung bewegen sich der Auskunftgeber und der Empfänger der Auskunft auch nicht auf einem relativ engen (Teil-)Markt, 82 dessen Funktionsfähigkeit zu sichern ist, sondern in einem weiteren Bereich und ganz verschiedenen Märkten. Es besteht außerdem keine rechtlich oder durch Marktzwänge hervorgerufene Auskunftspflicht wie die nach dem Marktversagensansatz bestehende Prospektpflicht. Sie kann auch nicht bestehen. weil die Auskunftgeber in den übrigen Fällen außer ihrem Wissen nichts absetzen wollen, was eng damit verbunden ist, wie auf dem Kapitalmarkt, auf dem der Gegenstand des Prospekts, nämlich die Kapitalanlage abgesetzt werden soll. Infolgedessen ist die informationsökonomische Begründung für die Notwendigkeit der Auskunftshaftung nicht für alle Fälle verallgemeinerungsfähig.
C. Zusammenfassung Die Darstellung der Gründe für die Notwendigkeit einer Auskunftshaftung, auch wenn diese Haftung aus dem Gesetz nicht einfach zu begründen ist (vgl. oben § 1), zeigt, daß die weithin bestehende generelle Zustimmung zur Schutzbedürftigkeit des Empfängers der Auskunft, der sich auf ihre Richtigkeit verläßt, auf guten Gründen beruht und daß die Notwendigkeit der Haftung in den hier zu betrachtenden Fällen nicht grundsätzlich bestritten werden kann. Wichtig sind daher einmal der Weg der rechtlichen Konstruktion, auf dem das Ziel der Haftung erreicht werden kann. und zum anderen insbesondere die sachlichen Kriterien, die bestimmen, in welchen Fällen eine Haftung der Auskunftsperson bestehen soll. Die Bestimmung solcher Kriterien ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil eine zu starke Haftungsausweitung beklagt wird83 und ohne solche Kriterien auch weniger Rechtssicherheit besteht. 84 Danach ist diejenige Konstruktion arn besten geeignet, zur Lösung des Problems beizutragen. die einerseits griffige sachliche Abgrenzungskriterien zur Verfügung stellt, mit denen die Reichweite der Dritthaftung sachgerecht
82 BegriffvonAssmann, S. 275.
83 Vgl.Ebke, JZ 1991,688, 689;Ebke!Scheel, WM 1991,389,394- 398;Honsell, JZ 1985,952,
952.
84 Nach Ansicht von Ebke, JZ 1991, 688, 689, täuschten die heute gebräuchlichen Abgrenzungskriterien der Dritthaftung mehr Rechtssicherheit vor, als wirklich vorhanden sei.
42
2. Kapitel Notwendigkeit der Haftung in diesen Fällen
begrenzt ist, und andererseits sich möglichst bruchlos in das geltende Recht einfugt 85 Im folgenden sollen die verschiedenen Konstruktionen, die in der deutschen Rechtsprechung und im deutschen Schrifttum vertreten werden, dargestellt und daraufhin untersucht werden.
85 Hinsichtlieb der Übereinstimmung mit dem Qbrigen Privatrecht ebenso Loges, S. 172: "weitestmögliche Konsistenz".
3. Kapitel
Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht Im folgenden soll die Auskunftshaftung dargestellt und auf taugliche Sachkriterien hin untersucht werden. Dabei wird erst die Rechtsprechung, angelehnt an die oben unter § 2 C. gebildeten Fallgruppen, und im zweiten Teil die Literatur behandelt, was sich anbietet, weil die Probleme in der Praxis aufgetreten und von der Wissenschaft anhand der Rechtsprechung erörtert worden sind. 1 Daher bildet die Rechtsprechung die Grundlage einer Beschäftigung mit der Auskunftshaftung.
§ 6 Rechtsprechung A. Fallgruppe 1: Unmittelbar dem später geschädigten Empfänger gegenüber abgegebene Auskünfte außerhalb einer bestehenden Geschäftsverbindung Eine Durchsicht der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung und wichtiger obergerichtlicher Entscheidungen ergibt, daß in diesen Fällen fast ausschließlich die Konstruktion eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages gewählt wird,2 wobei es auch dazu kommt, eine Haftung im konkreten Fall abzulehnen. 3 Zum anderen findet sich selten die Annahme der Mög1 Einen konzentrierten Überblick aber die in Rechtsprechung und Lehre vertretenen Lösungsansätze zur Auskunftshaftung bietet Schlechtriem, Schuldrecht BT, S. 191 - 193.
2 Z. B.: BGH Urt. v. 17.10.1989, XI ZR 39/89, NJW 1990, 513; BGH Urt. v. 28.1.1985, li ZR 10/84, WM 1985, 381; BGH Urt. v. 2.2.1983, IVaZR 118/81, WM 1983,263 = NJW 1983, 1730 = LM Nr. 27 zu§ 676 BGB; BGH Urt. v. 25.11.1981, IVa ZR 286/80, NJW 1982, 1095 m Arun. Assmann, S. 1083; BGH Urt. v. 25.2.1980, II ZR 134179, WM 1980, 527; BGH Urt. v. 21.12.1972, II ZR 132171, WM 1973, 635; BGH Urt. v. 2.2.1970, li ZR 266/67, WM 1970, 632; BGH Urt. v. 14.11.1968, Vli ZR 51/67, WM 1969, 36; BGH Urt. v. 9.12.1963, VII ZR 101/62, WM 1964, 117; BGH Urt. v. 8.7.1963, VII ZR 44/62, WM 1963, 913; BGH Urt. v. 5.7.1962, VII ZR 199/60, WM 1962, 1110; OLG DOsseidorf Urt. v. 9.2.1989, 6 U 97/88, WM 1989, 676 = ZIP 1989, 493 (Revisionsentscheidung dazu ist BGH Urt. v. 17.10.1989, siehe oben); OLG Oldenburg Urt. v. 29.8.1986, 11 U 31/86, NJW-RR 1987, 1262 = WM 1987, 836. 3 Z. B.: BGH Urt. v. 27.6.1989, XI ZR 52188, NJW 1989, 2882; BGH Urt. v. 25.9.1985, IVa ZR 203/83, KTS 1986, 176; BGH Urt. v. 24.1.1978, VI ZR 105176, WM 1978, 576 (zweite Revisions-
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
lichkeit einer Haftung aus § 826 BGB oder § 823 li BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz. 4
I StiUschweigend geschlossener Auskunftsvertrag
Bestimmte Kriterien werden herangezogen, bei deren Vorliegen die Rechtsprechung einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag annimmt. Mit Unterschieden in der Formulierung und den Details einzelner Fälle ergeben sich im wesentlichen folgende Voraussetzungen: 5 Für den Auskunftgeber muß erkennbar6 sein, daß die Auskunft für den Empfänger von erheblicher Bedeutung und Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen sein wird. 7 Ein stillschweigend geschlossener Auskunftsvertrag soll vor allem dann anzunehmen sein, wenn der Auskunftgeber für die Erteilung der Auskunft besonders sachkundig ist oder wenn bei ihm ein eigenes wirtschaftliches entscheidung. die erste in diesem Fall ist BGH Urt. v. 18.1.1972, VI ZR 184170, WM 1972, 466); offengelassen in OLG Frankfurt Urt. v. 24.6.1991, 11 U 10/91, WM 1992, 91, 93. 4 BGH Urt. v. 1.12.1970, V1 ZR 118/69, WM 1971, 206. 5 Eine sehr ausfUhrliehe und detaillierte Auf1istung und Komrnentierung aller je in Entscheidungen genannten Kriterien findet sich bei Wiegand, S. 78 - 88.
6 Wissen wird in diesen Fällen nicht verlangt. Die bei Wiegand aufgefilhrten Entscheidungen BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111 und Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990 betreffen Sachverhalte der FallgJUppe 4. Dies ist möglichenveise ein Abgrenzungskriterium zu den Sachverhalten der FallgJUppe 4, weil bei der zu dieser FallgJUppe gehörenden Drittweitergabe Wissen verlangt wird; dazu näher unten bei FallgJUppe 4. 7 BGH Urt. v. 13.2.1992, III ZR 28/90, NJW 1992,2080, 2082 (FallgJUppe 3), die Voraussetzungen werden hier als ständige Rechtsprechung bezeichnet; BGH Urt. v. 17.10.1989, XI ZR 39/89, NJW 1990, 513, 513; BGH Urt. v. 27.6.1989, XI ZR 52/88, NJW 1989, 2882, 2884; BGH Urt. v. 17.9.1985, V1 ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532 (FallgJUppe 3); BGH Urt. v. 28.1.1985, II ZR 10/84, WM 1985, 381, 381; BGH Urt. v. 25.2.1980, II ZR 134179, WM 1980, 527, 528; BGH Urt. v. 22.3.1979, Vll ZR 259177, BGHZ 74, 103, 106 (allerdingll Vertretereigenhaftung. in der Nähe von FallgJUppe 3), hier werden die genannten Voraussetzungen als gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bezeichnet; BGH Urt. v. 12.2.1979, II ZR 177177, WM 1979, 548, 550 (FallgJUppe 4); BGH Urt. v. 6.11.1974, VIII ZR 207172, DB 1974,2392,2392 = LM Nr. 14 zu§ 676 BGB, Blatt 1, Rückseite, unter II. 1. der Gründe (FallgJUppe 3); BGH Urt. v. 21.12.1972, II ZR 132171, WM 1973, 635, 635; BGH Urt. v. 1.12.1970, V1 ZR 118/69, WM 1971, 206, 207, die Voraussetzungen werden hier als ständige Rechtsprechung bezeichnet; BGH Urt. v. 6.7.1970, II ZR 85/68, WM 1970, 1021, 1022 (FallgJUppe 4); BGH Urt. v. 14.11.1968, Vll ZR 51/67, WM 1969,36, 37, als ständige Rechtsprechung bezeichnet; BGH Urt. v. 7.1.1965, Vll ZR 28/63, WM 1965, 287, 287 (FallgJUppe 3); BGHUrt. v. 9.12.1963, VliZR 101/62, WM 1964,117,117; BGH Urt. v. 5.7.1962, Vll ZR 199/60, WM 1962, 1110, 1110; BGH Urt. v. 18.1.1960, Vll ZR 195/58, WM 1960, 660, Leitsatz 2 und S. 662, die Berufung aufBGH Urt. v. 29.10.1952, II ZR 283/51, BGHZ 7, 371 ist allerdin(lll unklar, da in diesem Urteil davon ausgegangen wird, daß dem Auskunftgeber die Bedeutung der Auskunft filr den Empfltnger nicht nur erkennbar, sondern klar war; OLG Frankfurt Urt. v. 24.6.1991, 11 U 10/91, WM 1992, 91, 92.
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Interesse im Spiel ist. 8 Hierbei wird das Verhältnis zwischen der Erkennbarkeit der Wesentlichkeit der Auskunft für den Empfänger und den zuletzt genannten Kriterien in der Person des Auskunftgebers (besondere Sachkunde und eigenes wirtschaftliches Interesse) nicht deutlich gemacht. Erkennbar ist aber, daß nach Auffassung des BGH besondere Sachkunde oder eigenes wirtschaftliches Interesse auf Seiten des Auskunftgebers allein nicht ausreichen, um einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag zu begründen.9 Wenn besondere Sachkunde oder eigenes wirtschaftliches Interesse des Auskunftgebers vorliegen, soll offenbar umso eher angenommen werden können, daß es für den Auskunftgeber erkennbar ist, daß die Auskunft für den Empfänger wichtig ist und daß er sie zur Grundlage wichtiger Entschlüsse machen will. In diesem Fall wäre also umso eher ein stillschweigend geschlossener Auskunftsvertrag anzunehmen. Daraus ist geschlossen worden, daß tatsächlich die Erkennnbarkeit der Wichtigkeit der Auskunft zunimmt, wenn der Auskunftgeber besondere Sachkunde hinsichtlich des Gegenstandes der Auskunft oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse hat. I0 Es ist - besonders bei dem letzteren Gesichtspunkt - nicht einsehbar, warum das so sein soll. II Die Bedeutung der Sachkunde und des eigenen wirtschaftlichen Interesses könnte aber deutlich werden, wenn in Erwägung gezogen wird, wie der BGH alle hier genannten Kriterien handhabt und verstanden wissen will. Sie werden in manchen Entscheidungen ausdrücklich nur als Indizien aufgefaßt, die auf den Abschluß eines Auskunftvertrages schließen lassen.I 2 Entscheidend bleibt die Würdigung der Gesamtumstände des Fallesi 3 unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses.I 4 Die Entscheidungen, in denen diese Ausführungen enthalten sind, betrafen zwar Sachver8 BGH Urt. v. I3.2.I992, IIl ZR 28/90, NJW I992, 2080, 2082 (als standige Rechtsprechung bezeichnet); BGH Urt. v. 22.3.I979, VII ZR 259n1, BGHZ 74, I03, I06, mit weiteren Nachweisen. 9 Prinz zu Hohenlohe-Oehringen, BB I986, 894, 894. 10 Staudinger/Wittmann § 676 Rn 13. II Gegen diese Ansicht auch Prinz zu Hohenlohe-Oehringen, BB I986, 894, 895. 12 BGH Urt. v. 13.2.I992, IIl ZR 28190, NJW I992, 2080, 2082; BGH Urt. v. I7.5.I990, IX ZR 85/89, WM I990, I554, I554; BGH Urt. v. I6.6.I988, 111 ZR I82/87, BGHR BGB § 676 Auskunftsvertrag I; BGH Urt. v. Il.IO.I988, XI ZR 1188, WM I988, I828, I829; BGH Urt. v. I9.3.I986, IVa ZR I27/84, JZ I986, 1111, 11I2; BGH Urt. v. I7.9.I985, VI ZR 73/84, WM I985, I 53 I, I532; BGH Urt. v. 24.1.1978, VI ZR I05n6, WM I978, 576, 577; nach Ansicht von Dickes, S. 13I, betont die Rechtsprechung in neueren Entscheidungen, daß die Kriterien nur indizielle Bedeu-
tung hatten.
13 Von Wiegand, S. 79 unter "I I.'' und S. 80 Fn. 89, wird dies als Grundsatz betrachtet; ebenso Lang, WM I988, IOOI, I002.
14 BGH Urt. v. I9.3.I986, IVa ZR I27/84, JZ I986, I11I, 11I2; BGH Urt. v. I7.9.I985, VI ZR 73/84; WM I985, I 53 I, I532;
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
halte der Fallgruppe 3 (Urt. v. 13.2.1992, vom 17.5.1990 und vom 17.9.1985) und 4 (die übrigen Entscheidungen bis auf das Urt. v. 24.1.1978). Das Urteil vom 16.6.1988 ist mangels mitgeteiltem Sachverhalt nicht zuzuordnen. Die Aussagen zum Auskunftsvertrag sind aber nicht auf diese Fallkonstellationen beschränkt, sondern sehr allgemein für alle stillschweigend geschlossenen Auskunftsverträge formuliert. Sie gelten daher auch für diese Fallgruppe 1. Daraus läßt sich entnehmen, daß die besondere Sachkunde und das eigene wirtschaftliche Interesse besonders bedeutsame Anhaltspunkte und Umstände sind, wenn es darum geht, alle Umstände, die für das Vorliegen eines Auskunftsvertrages sprechen, zu würdigen. Es ist davon auszugehen, daß sich das eigene wirtschaftliche Interesse und die besondere Sachkunde nicht darauf auswirken, ob dem Auskunftgeber erkennbar war, daß die Auskunft für den Empfänger von erheblicher Bedeutung war und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse und Maßnahmen machte. Bei der Anwendung dieser Kriterien geht es darum, den Rechtsbindungswillen festzustellen. Dieser muß vorliegen, um einen Vertrag, nicht nur eine nicht rechtsgeschäftlich verbindliche Gefälligkeit, annehmen zu können. 15 Der Rechtsbindungswille ist unabhängig vom wirklichen inneren Willen des Leistenden nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte unter Zugrundelegung des objektiven Empfängerhorizonts des Leistungsempfängers festzustellen. 16 Eine bloße Gefälligkeit scheidet umso eher aus, je bedeutender der Gegenstand ist, um den es sich handelt~ insbesondere wenn hohe wirtschaftliche Verluste drohen können, wird eher mit Rechtsbindungswillen und damit einem Vertrag zu rechnen sein, 17 weil sich aus ihm Ersatzansprüche ergeben können, auf die es bei wirtschaftlich bedeutenden Sachverhalten in besonderem Maße ankommt. Diese Anforderungen an die Feststellung des Rechtsbindungswillens werden vom BGH allgemein angewandt, sie sind nicht auf die Auskunftsfälle beschränkt. Aus ihnen kann man auf die Bedeutung von eigenen wirtschaftlichen Interessen und besonderer Sachkunde bei der Begründung eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages schließen. Es handelt sich dabei um Kriterien für das Vorliegen des Rechtsbindungswillens des Auskunftgebers. Da es bei dessen Feststellung wie oben gesehen auf den objektiven Empfängerhorizont des Leistungsempfängers, hier also desjenigen, der die Auskunft 15 BGH Urt. v. 22.6.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 106; BGH Urt. v. 10.10.1984, VIII ZR 152/83, NJW 1985,313,313. 16 BGH Urt. v. 22.6.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 106 f.; BGH Urt. v. 10.10.1984, VIII ZR 152/83, NJW 1985,313,313. 17 BGH Urt. v. 22.6.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 107; Erman!Sirp, Einl. vor§ 241 Rn. 34; RGRK!Aljf, Vor§ 241 Rn. 8.
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erhält, ankommt, ist einzusehen, daß dieser die Auskunft wnso ernster nimmt und umso eher den Rechtsbindungswillen des Auskunftgebers annimmt, je mehr besondere Sachkunde der Auskunftgeber hinsichtlich des Gegenstandes der Auskunft aufweist. Folglich ist es konsequent, bei der Feststellung eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages auf die Sachkunde des Auskunftgebers abzustellen. Es kommt noch eine weitere Überlegung hinzu, die Breinersdorfer entwickelt hat. Danach liege in dem Auskunftsersuchen wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit nicht nur eine Bitte um die Mitteilung von Tatsachen, sondern der Anfragende wolle, daß der Auskunftgeber ein geschäftliches Risiko zu beherrschen helfe. Das könne eine sachkundige Person ,.nach Auffassung des redlichen Rechtsverkehrs nur ganz oder gar nicht" .18 Das heißt, wenn der sachkundige Auskunftgeber sich überhaupt auf eine Auskunft einläßt, wird dieses Verhalten nach der Verkehrsanschauung als Übernahme der erforderlichen Sorgfaltspflicht zum Schutz des Anfragenden angesehen.19 Der vertraglichen Haftung kann er danach nur durch die Verweigerung der Auskunft entgehen. Die besondere Sachkunde des Auskunftgebers ist also nach dem objektiven Empfängerhorizont ein Anzeichen für eine Auskunft, die Haftungsfolgen aus einem Vertrag auslöst. Wenn allerdings eigenes wirtschaftliches Interesse des Auskunftgebers vorliegt, scheint für den objektiven Beobachter des Verhaltens des Leistenden, auf dessen Beurteilung es nach der Ansicht des BGH ankommt,2° eher Vorsicht geboten zu sein. 21 Der Auskunftsempfänger könnte hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der Auskunft mißtrauisch sein und gerade keine verbindlich gemeinte Auskunft annehmen. Das Verhalten des Auskunftgebers würde dann nicht auf einen Rechtsbindungswillen bei ihm hindeuten. Doch sieht der BGH dies ausdrücklich anders.22 Danach ist das eigene Interesse des Auskunftgebersvielmehr ein Anzeichen für eine rechtliche Verpflichtung.23 Allerdings wird diese Ansicht nicht näher begründet. 24 Das geschieht auch sonst nicht. In manchen Fällen wird das eigene wirtschaftliche Interesse nur er18 Breinersdoifer, S. 78.
19 Vgl. Breinersdorfor, S. 78.
20 BGH Urt. v. 22.6.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 107. 21 Ähnlich Medicus, GmbHR Verhandlungsverschulden.
1993, 533, 536, zur Eigenhaftung des GmbH-Geschilftsfilhrers aus
22 BGH Urt. v. 5.7.1962, Vll ZR 199/60, WM 1962, 1110, 1111. 23 BGH Urt. v. 5.7.1962, Vll ZR 199/60, WM 1962, 1110, 1111. 24 Heesch, S.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
wähnt und, ohne daß näher darauf eingegangen würde, ein stillschweigend geschlossener Auskunftsvertrag angenommen. 25 In einem neueren Urteil wurde auf das Kriterium des eigenen wirtschaftlichen Interesses größeres Gewicht gelegt. 26 Doch ging der BGH hier auch nicht auf die Bedeutung des eigenen wirtschaftlichen Interesses gerade für den Rechtsbindungswillen und sein Vorliegen ein. Hier hatte eine Bausparkasse gegenüber einer Hypothekenbank eine falsche Auskunft über die Abtretung von Ansprüchen eines Bausparers erteilt. Das eigene wirtschaftliche Interesse der Bausparkasse soll darin liegen, daß durch zuverlässige Auskünfte der Bausparkassen das Bausparen an sich gefördert werde, und damit auch das Geschäft der Auskunftgeberin. Dazu sei Vertrauen in die Auskünfte nötig, das durch die Haftung für falsche Auskünfte erreicht werde. Diese Interessenlage spreche für die Haftung der Bausparkasse. Letztlich wird hier also nur begründet, warum eine Haftung bestehen sollte, aber nicht, warum das eigene wirtschaftliche Interesse für das Vorhandensein eines Rechtsbindungswillens und damit einen Auskunftsvertrag spricht. Diese Beobachtung weist auf die eigentliche Bedeutung des eigenen wirtschaftlichen Interesses hin. Es hat den Anschein, als solle jemand mit einem solchen Interesse erst recht haften, weil gerade bei ihm die Gefahr einer Interessenkollision und damit die Möglichkeit unsorgflUtig gegebener falscher Auskünfte besonders groß ist. Dafür spricht die Aussage des BGH, daß eigenes wirtschaftliches Interesse den Auskunftgeber nicht berechtige, bei der Erteilung der Auskunft unsorgflUtig zu sein. 27 Eine unmittelbare Verbindung zum Rechtsbindungswillen ist nach allem also nicht festzustellen. Eher schafft dieses Merkmal eine Verbindung zu grundlegenden Gerechtigkeitserwägungen, wonach, wer den Willensentschluß eines anderen im eigenen Interesse beeinflußt, :fiir die Richtigkeit seiner Aussage einzustehen hat (siehe zu diesen Überlegungen auch unten § 6 E. III. zur Einstandspflicht bei der Prospekthaftung). Als Ergebnis dieser Überlegungen bleibt anzumerken, daß die Kriterien besondere Sachkunde und eigenes wirtschaftliches Interesse des Auskunftgebers Hilfsmerkmale sind, bei deren Vorliegen nach Ansicht des BGH mehr dafür 25 BGH Urt. v. 14.11.1968, VII ZR 51/67, WM 1969, 36, 37; BGH Urt. v. 8.7.1963, VII ZR 44/62, WM 1963, 913, 914, in diesem Fall wurde das eigene wirtschaftliche Interesse mit dem Kriterium, daß die Auskunft vom Auskunftsempfanger zur Grundlage wirtschaftlich bedeutender Maß.. nahmen gemacht wird, vermengt, indem das eigene wirtschaftliche Interesse zwar im Obersatz erwähnt wird, aber später unter die wirtschaftliche Bedeutung der Auskunft filr den Empfanger subsumiert wird. 26 BGH Urt. v. 17.10.1989, XI ZR 39/89, NJW 1990,513, 514linke Spalte oben. 27 BGH Urt. v. 5.7.1962, VII ZR 199/60, WM 1962, 1110, 1111.
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spricht, einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag anzunehmen als ohne sie, wobei sie rechtunver bunden neben den Hauptmerkmalen für einen solchen Auskunftsvertrag stehen. Diese Hauptmerkmale sind, daß es für den Auskunftgeber erkennbar ist, daß die Auskunft für den Auskunftsempfänger wichtig ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahme n machen wird. Für die bruchlose Einordnung der Rechtsprechung zum stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag in die Rechtsordnung ist es erforderlich, daß sie mit allgemeinen Kriterien übereinstimmt. Ob diese Anforderung erftillt ist, wird im folgenden untersucht. Die Hauptmerkmale, die bei der Auslegung für einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag sprechen, lassen sich zusammenfassend unter dem Begriff der Erkennbarkeit der Wichtigkeit der Angelegenheit für den Auskunftgeber würdigen. Legt man das oben schon vorgestellte allgemeine Konzept der Rechtsprechung zur Feststellung des Rechtsbindungswillens, also der Verbindlichkeit einer Leistung, zugrunde, ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung der Kriterien. Rechtsbindungswille ist nämlich immer dann anzunehmen, wenn die Angelegenheit von hoher Bedeutung ist. Auch das erkennbare Interesse des Begünstigten spricht dafür, daß nach objektivem Empfängerhorizont ein Rechtsbindungswille des anderen anzunehmen ist. 28 Dann muß die Leistung des anderen nicht mehr nur als GeflUligkeit aufgefaßt werden, denn sie ist dazu zu bedeutsam geworden. Somit erweckt der Leistende beim Empfänger nach dem objektiven Empfangerhorizont den Eindruck einer rechtlichen Bindung, woran er festgehalten wird. Ebenso werden die Auskunftsfälle bei der Annahme eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages behandelt. Das bedeutet, daß sich der BGH auch bei den Auskunftsfilllen auf der allgemeinen Linie hält. Da hier also keine Besonderheiten gelten, spricht viel für die Richtigkeit dieser Kriterien. Sie passen sich damit in das ganze Rechtssystem ein und stellen keinen Fremdkörper oder eine Sonderentwicklung an einer Stelle dar, der bzw. die möglicherweise nicht zu begründen wäre. Sehr präzise sind die Kriterien allerdings nicht. Aber es scheint so, als verhindere die Mannigfaltigkeit der vorkommenden Sachverhalte eine stärkere Präzisierung. Es entsteht dann eine sehr große Zahl an Kriterien, die nicht in allen Fällen von Bedeutung sind und geprüft werden können. Wiegand hat einundzwanzig Kriterien, die für oder gegen einen Vertragsschluß sprechen oder auf die es für diese Frage nicht ankommt, aus der Rechtsprechung zusam28 BGH Urt. v. 22.6.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 107. 4 F. Müller
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mengestellt. 29 An ihnen zeigt sich die Vielgestaltigkeit der verwendeten Kriterien. Die meisten sind Hilfskriterien, d. h. sie können nicht allein eine vertragliche Verbindlichkeit begründen oder ausschließen. Man wird sich daher mit den hier dargestellten weiten Kriterien begnügen müssen. Wenn diese Merkmale vorliegen, soll der stillschweigend geschlossene Auskunftsvertragmit Erteilung der Auskunft bzw. Beratung zustandekornrnen,30 so daß also vorher keine vertraglichen Beziehungen vorhanden gewesen sein müssen. Dagegen besteht der Einwand, daß § 676 BGB als restriktive Auslegungsregel gerade die Schlußfolgerung von der bloßen Auskunft auf einen Vertragsschluß verbiete. 31 Allerdings stützt sich diese Ansicht nur auf eine Stelle aus den Protokollen der 2. Kornmission zur Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wiegand weist selbst nach, daß dieses Verständnis von § 676 BGB zwar in den ersten Jahrzehnten nach lokrafttreten des BGB vertreten, dann aber aufgegeben wurde. 32 Diese Veränderung in der Auslegung von § 676 BGB war erlaubt; denn die Vorstellungen der historisch an der Gesetzgebung Beteiligten sind hier nur als Ansichten der Kornmission zu betrachten, die den Gesetzentwurf ausarbeitete, der erst durch das Handeln der nach der Verfassung zuständigen Organe Gesetz wurde. Diese Vorstellungen sind daher fiir die spätere Rechtsanwendung nicht bindend. 33 Darüberhinaus darf die historische Auslegung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nur zur Bestätigung des durch die anderen Auslegungsgesichtspunkte gefundenen Ergebnisses verwendet werden;34 ihr Ergebnis ist also nicht verpflichtend. Es kommt hinzu, daß das von Wiegand gefundene Ergebnis der historischen Auslegung auch nicht das einzige mögliche ist. 35 In den Motiven zu § 676 BGB ist die Möglichkeit, daß für eine Auskunft aus einem stillschweigend geschlossenen Vertrag gehaftet wird, ausdrücklich erwähnt und anerkannt. Es wird weiter festgestellt, daß zu diesen Vertragsfällen auch diejeni29 Wiegand, S. 78 f.
30 BGH Urt. v. 22.3.1979, VII ZR 259177, BGHZ 74, 103, 106 (gehört zu Fallgruppe 3); BGH Urt. v. 6.11.1974, VIII ZR 207172, DB 1974,2392,2392 = LM Nr. 14 zu§ 676 BGB Blatt 1, Rilck· seiteunter II. 1. der Gründe (gehört zu Fallgruppe 3); BGH Urt. v. 14.11.1968, VII ZR 51/67, WM 1969, 36, 37: hier ist von Beratung die Rede. 31 Wiegand, S. 88 • 92. 32 Wiegand,
S. 90 Fn. 121.
33 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 329; im gleichen SinneEnneccerus!Nipperdey, S. 329. 34 BVerfG Urt. v. 21.5.1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312; BVerlU Beschluß v. 17.5.1960, 2 BvL 11159, 11160, BVerfGE 11, 126, 130 f.; BVeriD Urt. v. 16.2.1983, 2 BvE 1,2,3,4/83, BVerfGE 62, 1, 45; vgl. lpsen!Epping, JuS 1992, 305, 309 Fn. 37. 35 Zu einem differenzierten Ergebnis der historischen Auslegung kommtJost, S. 38 ff.
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gen gehörten, in welchen Rat und Empfehlung kraft Gewerbes oder Berufes erteilt seien.36 Damit sind wesentliche Elemente der späteren Rechtsprechung bereits vorgezeichnet.37 Die Ansicht, § 676 BGB sei eine in der von Wiegand angenommen Weise restriktive Auslegungsregel, ist mithin nicht zwingend. Mit ihr entzöge man außerdem jeglicher Annahme eines konkludent geschlossenen Auskunftsvertrages den Boden. Da der konkludent geschlossene Vertrag gerade nur in der Leistungserbringung deutlich wird, also hier in der Auskunftserteilung, darin aber nach dieser Ansicht nicht der Vertragsschluß deutlich werden kann, wäre stets eine besondere Abrede über den Vertragsschluß erforderlich. Damit läge schon ein ausdrücklich geschlossener Vertrag vor. Die Probleme liegen aber gerade in solchen Fällen, in denen das nicht der Fall ist, in denen also ausdrückliche Abreden fehlen. Ein fast völliger Ausschluß38 des stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages läßt sich aber aus § 676 BGB seinem Wortlaut nach nicht herleiten. Auch ein stillschweigend geschlossener Vertrag ist ein vollwertiger Vertrag und daher von der in § 676 BGB aufgeführten vertraglichen Haftung erfaßt. Mithin überzeugt diese Ansicht nicht. Es bleibt damit festzuhalten, daß ein Auskunftsvertrag mit Erteilung der Auskunft zustandekommen kann, wenn für den Auskunftgeber die wesentliche Bedeutung der Auskunft für den Empfänger und dessen Entschlüsse erkennbar ist. Abschließend ist noch darzustellen, aus welcher dogmatischen Figur sich die vertragliche Haftung genau ergibt. Diese Frage wird hinsichtlich des stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages in der Rechtsprechung soweit ersichtlich nicht problematisiert. Für den ausdrücklich geschlossenen Auskunfts- oder Beratungsvertrag wird die Haftung nach einer Ansicht, die auch in der Rechtsprechung vertreten wird, auf eine positive Vertragsverletzung -und zwar auch dann, wenn es sich um einen Werkvertrag handelt- gestützt. Begründet wird dies damit, daß der Vermögensschaden auf Grund einer fal36 Motive in Mugdan, Bd. 2, S. 310, zu § 604 des ersten EntwurfS des BOB. 37 Zeuner, Karlsruher Forum 1988, S. 3, 5; ähnlich auchJost, S. 39, der darlegt, daß die "Frage, ob fahrlässiges Fehlverhalten des Beraters außerhalb zweifelsfrei feststehender vertraglicher Beziehungen, also als von vertraglich festgelegten Sorgfaltsanforderungen isolierter Akt oder Unterlassung zur Haftung fllhren soll, ... an sich schon durch § 604 E I bzw. durch § 676 BOB abschlägig beschieden" wurde, daß es aber dabei nicht bleiben sollte, wofilr sich schon in den Motiven Anzeichen finden (nämlich die eben im Text zitierte Stelle). 38 Wiegand, S. 92, läßt ihn nur zu, wenn "ganz besondere ... Umstände ausnalunsweise eirunal eine andere Entscheidung rechtfertigen".
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
sehen Auskunft ein Mangelfolgeschaden sei. 39 Nach anderer Ansicht ergibt sich die Haftung auf Schadensersatz bei Verschulden aus § 635 BGB; in anderen Fällen sei nur ein Vorgehen gemäߧ 634 BGB möglich. 40 Die von der Rechtsprechung zum ausdrücklich geschlossenen Auskunftsvertrag vertretene Ansicht ist auf den stillschweigend geschlossenen Vertrag zu übertragen, weil dieser sich vonjenem nur in den Umständen seines Abschlusses unterscheidet, bei den Leistungsstörungen aber gleich zu behandeln ist. Wenn eine Auskunft falsch ist, liegt eine Schlechtleistung vor, für die im Falle des Verschuldens aus positiver Vertragsverletzung zu haften ist.
In der Literatur haben sich Dirichs, Bürger und Breinersdorfer speziell zum stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag bei der Kreditauskunft einer Bank geäußert. Nach ihrer Ansicht handelt es sich um einen Vertrag sui generis, der § 305 BGB unterfalle und die auskunftgebende Bank vertraglich verpflichte, bei der Auskunft die notwendige Sorgfalt walten zu lassen. 41 Die Verletzung dieser Pflicht führt danach zu einer Haftung aus positiver Forderungsverletzung. 42 Diese Ansicht bestätigt also die oben aus der Rechtsprechung zum ausdrücklich geschlossenen Auskunftsvertrag gezogenen Schlüsse.
n
Haftungsbegründung aus § 826 BGB und § 823 ll BGB
In der Fallgruppe I gibt es auch die Möglichkeit, eine Haftung des Auskunftgebers aus einer unerlaubten Handlung gemäß § 826 BGB oder § 823 II BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, etwa § 263 StGB anzunehmen. Doch ist davon nur selten die Rede. In der veröffentlichten höchstrichterlichen Rechtsprechung findet sich beispielsweise eine Entscheidung aus dieser Fallgruppe, in der deliktische Haftungsnormen eine Rolle spielen. 43 Hier wurde bei der Zurückverweisung auf Grund eines Verfahrensmangels dem Berufungsgericht die Prüfung dieser Normen aufgegeben. Der BGH äußert sich selbst nicht näher zu ihrem Vorliegen.
39 BGH Urt. v. 20.10.1964, VI ZR 101/63, NJW 1965, 106;Larenz, Schuldrecht, Bd. ll, I, S. 426. 40 Honsel~ JuS 1976, 621, 622. 41 Dirichs, S. 36;Barger, S. 151 f.; im Anschluß an ihnBreinersdorfer, S. 77. 42 So ausdrücklich Barger, S. 152. 43 BGH Urt. v. 1.12.1970, VI ZR 118/69, WM 1971,206,207.
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Es bleibt festzuhalten, daß die Begründung der Auskunftshaftung aus deliktsrechtlichen Vorschriften in der Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe kaum vorkommt. Das ist eher typisch für die Fallgruppen 3 und vor allem 4 und soll dort näher dargestellt werden.
B. Fallgruppe 2: Unmittelbar dem später geschädigten Empfänger gegenüber abgegebene Auskünfte innerhalb einer bestehenden Geschäftsverbindung Das Abgrenzungsmerkmal, nach dem diese Fallgruppe gebildet wird, ist nicht rein vom Sachverhalt bestimmt, sondern ist auch ein rechtlicher Begriff. Daher fällt sie ein wenig aus dem Rahmen der anderen Fallgruppen, soll aber wegen ihrer rechtlichen Besonderheit als eigene betrachtet werden. Die neueren höchstrichterlichen Urteile zu dieser Fallgruppe sind nicht sehr zahlreich. Bis auf das Urteil des BGH vom 3.12.196844 betreffen alle Entscheidungen die Haftung von Banken für Auskünfte. 45 Die Haftung wird hier gerade auf Grund der dauernden bzw. laufenden Geschäftsverbindung oder Beziehung angenommen. Dabei wurde teilweise ein besonderes Vertrauensverhältnis verlangt, 46 in anderen Fällenjedoch nicht. 47 Unterschiede zwischen diesen und jenen Sachverhalten sind aber nicht vorhanden. Die Pflicht, eine Auskunft richtig und vollständig zu erteilen, ergibt sich nach dieser Rechtsprechung als Nebenverpflichtung aus der dauernden Geschäftsverbindung und dem durch sie begründeten Vertrauensverhältnis48
44 BGH Urt. v. 3.12.1968, VI ZR 213/66, WM 1969, 247. 45 BGH Urt. v. 29.11.1967, Ib ZR 165/65, BGHZ 49, 167; BGH Urt. v. 24.5.1967, Ib ZR 170/64, WM 1967, 1077; BGH Urt. v. 7.6.1956, II ZR 52/55, WM 1956, 1056; BGH Urt. v. 5.1.1955, VI ZR 227/53, WM 1955, 230; BGH Urt. v. 28.4.1954, II ZR 279/53, BGHZ 13, 198; nach MallerGraff, S. 230, trifft das auch filr den größten Teil der fiüheren Entscheidungen, insbesondere des
Reichsgerichts, zu.
46 BGH Urt. v. 3.12.1968, VI ZR 213/66, WM 1969,247, 248; BGH Urt. v. 29.11.1967, Ib ZR 165/65, BGHZ 49, 167, 168; BGH Urt. v. 24.5.1967, Ib ZR 170/64, WM 1967, 1077, 1078; BGH Urt. v. 28.4.1954, II ZR 279/53, BGHZ 13, 198, 200.
47 BGH Urt. v. 7.6.1956, II ZR 52/55, WM 1956, 1056, 1056; BGH Urt. v. 5.1.1955, VI ZR 227/53, WM 1955, 230, 233. 48 BGH Urt. v. 3.12.1968, VI ZR 213/66, WM 1969,247, 248; BGH Urt. v. 29.11.1967, Ib ZR 165/65, BGHZ 49, 167, 168.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
bzw. dann, wenn sich in einer bestehenden Geschäftsverbindung ein Vertrauensverhältnis herausgebildet hat. 49 Widersprüchlich ist es, in gleichgelagerten Fällen ein herausgebildetes Vertrauensverhältnis nicht zu verlangen (vgl. oben). Das Vertrauensverhältnis selbst ist als unklares Kriterium kritisiert und auch als Rechtswirkungsgrund einer Haftung für Auskünfte innerhalb einer laufenden Geschäftsverbindung abgelehnt worden. 50 In den Entscheidungen, die hier schon genannt wurden und in denen das Vertrauensverhältnis erwähnt worden ist, wird sein Vorliegen meist nicht konkret am Sachverhalt überprüft, 51 was Philipowski auch allgemein festgestellt hat. 52 Seine Ansicht, daß das Vertrauensverhältnis nur als gedankliche Hilfsvorstellung dem Zweck diene, "letztlich auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende Rechtspflichten und Rechtsfolgen systematisch besser einordnen und erklären zu können", S3 ist daher überzeugend.54 Da auch die Rechtsprechung also das Vertrauensverhälnis nicht wirklich der Haftung zugrundelegt, könnte der Haftungsgrund unmittelbar in der Geschäftsverbindung zu finden sein. Er liegt darin, daß die Einbettung der Auskunft in ein Verhältnis vieler einzelner vertraglicher Beziehungen in der Geschäftsverbindung ihr den reinen Gefälligkeitscharakter nimmt. Das beruht auf der schutzwürdigen Erwartung des einen Geschäftspartners auf die Bereitschaft des anderen zum Abschluß weiterer Geschäfte. 55 Dessen Verhalten, hier also die Erteilung der Auskunft, ist in der Geschäftsverbindung immer eine Pflege der Geschäftsbeziehung zur Erzielung weiterer Geschäftsabschlüsse in ihr. Deshalb ist sie nicht nur Gefälligkeit, sondern mit einer Schutzpflicht belegt, bei der Erteilung einer Auskunft sorgfältig zu verfahren. 56 Bei der Verletzung dieser Pflicht muß also ftir eine unrichtige Auskunft 49 BGH Urt. v. 24.5.1967, lb ZR 170/64, WM 1967, 1077, 1078; BGH Urt. v. 28.4.1954, li ZR 279/53, BGHZ 13, 198, 200.
50 Maller-Graff, S. 229, zur näheren Begründung dieser Ansicht: S. 227 f.; Philipowski, S. 104. 51 So nicht in: BGH Urt. v. 29.11.1967, lb ZR 165/65, BGHZ 49, 167, 168; BGH Urt. v. 24.5.1967, lb ZR 170/64, WM 1967, 1077, 1078, in diesem Fall hatte die Geschäftsbeziehung zur beklagten Volksbank erst seit weniger als einem halben Jahr bestanden, so daß eine genaue Prüfung des verlangten Vertrauensverhältnisses nahegelegen hätte; BGH Urt. v. 28.4.1954, li ZR 279/53, BGHZ 13, 198, 200. 52 Philipowski, S. 22. 53 Philipowski, S. 23 f.
54 Zustimmend auchMaller-Graff, S. 229. 55 Malkr-Graff, S. 229.
56 Malkr-Graff, S. 230.
§ 6 Rechtsprechung
55
gehaftet werden. Diese Deutung entspricht der tatsächlichen Rechtsprechungspraxis eher als die Annahme eines Vertrauensverhältnisses, aus dem gehaftet wird, obgleich die Ansicht von Müller-Graff durch die Berufung auf die schutzwürdige Erwartung des einen Geschäftspartners57 doch in der Nähe des Begriffs vom schutzwürdigen Vertrauen angesiedelt ist. Es sollte die Betonung daher stärker auf die Einbettung der Auskunft in eine Reihe einzelner Verträge gelegt werden, was dazu führt, daß jegliches geschäftliche Verhalten in dieser Beziehung nicht mehr unverbindlich ist, sondern der weiteren Vertiefung der Geschäftsbeziehung dient. Daher ist eine Art vorvertraglicher Schutzpflicht hier gegeben,58 aus deren Verletzung gehaftet wird.Damit lassen sich die Ergebnisse der Rechtsprechung erklären. Als Haftungsbegründung findet die bestehende Geschäftsverbindung allerdings soweit ersichtlich seit dem Urteil des BGH vom 3.12.196859 in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Haftungsgrundlage keine Anwendung mehr. 60 Diese Konstruktion wird möglicherweise durch die des stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages verdrängt.61
57 Mflller-Graff, S. 229. 58 Ein vorvertragliches Schuldverblltnis ninunt an OLG Köln Urt. v. 15.12.1989, 20 U 96/89, NJW-RR 1990, 485, 487.
59 Az.: VI ZR 213/66, WM 1969, 247.
60 Das von Staudinger/Wittmann § 676 Rn. 12 angeft\hrte Urteil des BGH v. 15.12.1975, II ZR 28n4, WM 1976, 630, betraf ein Kreditverblltnis, also einen Vertrag. Folglich ist dort auch (WM 1976,630, 631) von einer gemlß § 242 BGB als Nebenleistung bestehenden Pflicht zur Auskunftseeteilung die Rede. Der Entscheidung liegt also eine andere Sachverhaltskonstellation zugrunde, wenngleich der BGH den Begriffstllndige Geschlftsverbindung verwendet Ähnlich scheint die Behandlung der Geschlftsverbindung in dem Urt. des BGH v. 27.6.1989, XI ZR 52/88, NJW 1989, 2882, zu erfolgen. Hier werden als mögliche Anspruchsgrundlagen zwar "besondere Treuepflichten aus Vertrag oder Geschlftsbeziehung" oder ein Auslcunftsvertrag genannt (NJW 1989, 2882, 2884), nach Verneinung eines sonstigen Vertragsverblltnisses wird aber gleich zur PrOfung eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages übergegangen. Von der Geschäftsbeziehung ist keine Rede mehr. Es hat den Anschein, als werde der Gescb!ftsbeziehung neben dem Vertragsverhältnis keine eigenstllndige Bedeutung eingeräumt. 61 So in BGH Urt. v. 27.6.1989, XI ZR 52/88, NJW 1989, 2882 (vgl. genauer vorige Fußnote).
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
C. Fallgruppe 3: Auskünfte bei der Vertragsanbahnung, die von anderen Personen als den zukünftigen Vertragscbließenden , insbesondere von besonderen Sacbkundeträgem oder Personen besonderen Vertrauens, abgegeben werden L Einführung
Zur Illustration mag ein Sachverhalt aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts dienen.62 Hier hatte ein Angestellter einer Brauerei bei den Vertragsverhandlungen über den Kauf einer Gaststätte zwischen dem späteren Kläger und dem damaligen Inhaber der Gaststätte dessen Angabe über den Bierabsatz in der Gaststätte bestätigt. Diese Angabe erwies sich als überhöht. Den dadurch infolge des Kaufs der Gaststätte entstandenen Schaden machte der Käufer unter anderem gegen die Brauerei geltend. Das Reichsgericht machte nur Ausführungen zur Haftung der Brauerei. Wegen Fehlens der Vertretungsmacht des Angestellten der Brauerei sollte zwischen Käufer und Brauerei kein Auskunftsvertrag zustandegekommen sein (den das Berufungsgericht angenommen hatte). Die Haftung der Brauerei wurde hier aus Verschulden bei Vertragsschluß hergeleitet, da deren Angestellter, obgleich nicht abschlußermächtigt, einen Schuldübernahmevertrag mit dem Gaststättenkäufer über die Schulden des vorherigen Inhabers vorbereitet habe. Das Verschulden des Angestellten sei der Brauerei zuzurechnen, was nicht näher begründet wurde. In diesem Fall hatte also jemand, der Angestellte, der selbst nicht am Vertrag, hier dem Kaufvertrag über die Gaststätte, beteiligt war, bei den Verhandlungen über den Abschluß dieses Vertrages eine falsche Auskunft über eine vertragswesentliche Tatsache gegeben. Genau solche Sachverhalte bilden diese Fallgruppe. Eine Besonderheit lag hier darin, daß die rechtlichen Ausfiihrungen nur die Haftung der Brauerei betrafen und so mittels des Schuldübemahmevertrages, an dem sie selbst als Vertragspartnerin beteiligt war, eine Haftung aus culpa in contrahendo konstruiert werden konnte. In den meisten Fällen bietet sich dieser Weg nicht an, weil kein Vertragsverhältnis zwischen dem Auskunftgeber, den man mit Bohrer als Dispositionsgaranten bezeichnen kann,63 und dem Geschädigten besteht. Die Fälle der Vertretereigenhaftung aus culpa in contrahendo, in denen also der Vertreter einer Vertragspartei für Verschulden bei Vertragsverhandlungen 62 RGUrt. v. 25.9.1931, II 518130, I.Z 1932, Spalte38.
63 Bohrer, S. 4, dort auch aufS. 1 (Fall2) leicht abgewandelt der hier vorgestellte Sachverhalt.
§ 6 Rechtsprechung
57
selbst haften soll, weisen eine besondere Nähe zu speziellen Aspekten der culpa in contrahendo auf und fuhren von der Auskunftshaftung fort. Sie betreffen auch nicht nur falsche Auskünfte, sondern auch andere Verfehlungen der Vertreter. 64 Daher werden diese Sachverhalte nicht zu dieser Fallgruppe gezählt.65
II. Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe
In den Urteilen zu Sachverhalten dieser Fallgruppe wurde die Haftung der Auskunftsperson, wenn sie bejaht wurde, mit einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag begründet.66 Dabei wurden dieselben Voraussetzungen fiir einen solchen Vertrag angenommen wie in den unter Fallgruppe 1 dargestellten Entscheidungen. Im Urteil des BGH vom 13.2.1992 wurde das Vorliegen eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages mit der Begründung abgelehnt, daß der beklagte Steuerberater, der bei Verhandlungen über eine Beteiligung an einer Handelsgesellschaft Auskünfte zur finanziellen Lage des Unternehmens gegeben hatte, in diesen Verhandlungen erkennbar in erster Linie die Interessen seines Auftraggebers zu vertreten hatte, die denen des Klägers und Auskunftsempfllngers entgegengesetzt gewesen seien.67 Hier kam als Gesichtspunkt, der gegen einen Auskunftsvertrag sprach, noch hinzu, daß auch der Auskunftsempfänger einen eigenen Berater hatte. Insbesondere dann seien besondere Umstände erforderlich, um eine persönliche Haftung des Beraters einer Partei fiir Erklärungen in den Verhandlungen annehmen zu können. 68 Solche Umstände konnte der BGH in dem zu entscheidenden Fall nicht feststellen.
64 Zu den verschiedenen möglichen Pflichtverletzungen siehe Schmitz, S. 17 - 24. 65 Ebenso offenbar Lang, WM 1988, 1001, 1002. 66 BGH Urt. v. 29.10.1952, li ZR 283151, BGHZ 7, 371, 374; BGH Urt. v. 13.6.1962, VIII ZR 235/61, WM 1962, 845, 847 (hier aber zu weiterer Ermittlung des Sachverhalts hinsichtlich eines Auskunftsvertrages zulilckverwiesen); BGH Urt. v. 7.1.1965, VI1 ZR 28163, WM 1965, 287, 287; vom Berufungsgericht auch in BGH Urt. v. 3.12.1973, II ZR 144n2, BB 1974, 297, in welchem der BGH allerdings nur auf§ 826 BGB abstellt; abgelehnt wurde die Haftung aus einem Auskunftsvertrag in BGH Urt. v. 6.11.1974, Vlll ZR 201n2, DB 1974, 2392 = LM Nr. 14 zu§ 676 BGB wegen Mangels an Verschulden. 67 BGH Urt. v. 13.2.1992, Ili ZR 28/90, NJW 1992,2080,2082, 68 BGH Urt. v. 13.2.1992, IIl ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2083; im Anschluß an BGH Urt. v. 11.7.1988,IIZR232/87, WM 1988,1535.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
In einer Entscheidung, in der es um die Haftung eines Rechtsanwalts ging, wurde auch eine Haftung auf Grund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erwogen, aber wegen der Gegenläufigkeit der Interessen zwischen dem Mandanten und dem Auskunftsempfänger fanden sich keine Anhaltspunkte fiir die Einbeziehung dieses in den Schutzbereichs des Beratungsvertrages zwischen Anwalt und Mandant.69 In drei neueren Entscheidungen wurde auch eine Haftung auf Grund der culpa in contrahendo erwähnt. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen die Eigenhaftung eines Vertreters auf sogenannte Sachwalter erweitert.7° Nach dieser Rechtsprechung haften Personen, die in Vertragsverhandlungen tätig werden, ohne im Rechtssinne Vertreter einer Partei zu sein, aus culpa in contrahendo, wenn sie in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nehmen und eine Gewähr fiir Bestand und Erfüllung des abzuschließenden Geschäfts bieten oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluß des Vertrages haben71 bzw., strenger formuliert, sogar gleichsam in eigener Sache verhandeln. 72 Diese Merkmale bilden gleichzeitig die Definition des Sachwalters nach dem Verständnis des BGH.73 In den drei Entscheidungen zu dieser Fallgruppe, die die Sachwalterhaftung erwähnen, wurde das Vorliegen dieser Merkmale jeweils verneint. 74
In dem Urteil vom 17.9.1985 wurde auch eine Haftung aus einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag mit der Begründung abgelehnt, der beklagte Steuerbevollmächtigte, der sich in den Vertragsverhandlungen und schriftlich über Umsatz und Gewinn des Unternehmens, an dem sich der 69 BGH Urt. v. 17.5.1990, IX ZR 85/89, WM 1990, 1554, 1555. 70 Zuerst in BGH Urt. v. 5.4.1971, VII ZR 163/69, BGHZ 56, 82. ErwlJhnt in BGH Urt. v. 21.1.1975, VIII ZR 101173, BGHZ 63, 382; BGH Urt. v. 19.12.1977, II ZR 164176, BGHZ 70, 337; BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209179, BGHZ 77, 172; BGH Urt. v. 9.10.1986, II ZR 241185, WM 1987, 77; BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531; insbesondere BGH Urt. v. 25.9.1985, IVa ZR 237/83, WM 1985, 1520, 1521; in diesen Entscheidungen wurde die Sachwalterhafumg allerdings nie bejaht und als tragender Entscheidungsgrund angefilhrt, z. T. betrafen die Entscheidungen auch andere Fallkonstellationen, insbesondere BGHZ 63, 382 (Vertreter), BGHZ 70, 337 (Schutzpflichten nach Vertragsschluß, ausdrilcklich S. 341: ,,Rechtsprechung [zur Sachwalterbaftung) filhrt aber im vorliegenden Falle nicht weiter.", richtig eingeordnet bei Grunewald, JZ 1982, 627, 629, unklar dagegen He"mann, JZ 1983, 422, 425) und BGHZ 77, 172 (Prospekthaftung). Offenbar wurde die Sachwalterhaftung nur im ersten Urteil BGHZ 56, 82 tatsächlich bejaht 71 BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532; BGH Urt. v. 25.9.1985, IVa ZR 237/83, WM 1985, 1520, 1521.
n BGH Urt. v. 5.4.1971, VII ZR 163/69, BGHZ 56, 82, 84. 73 BGH Urt. v. 11.7.1988, II ZR 232/87, WM 1988, 1535, 1536.
74 BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532; BGH Urt. v. 11.7.1988, II ZR 232/87, WM 1988, 1535, 1536; BGH Urt. v. 17.5.1990, IXZR 85/89, WM 1990, 1554, 1555.
§ 6 Rechtsprechung
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Kläger beteiligen wollte, geäußert hatte, sei kein unparteiischer Sachwalter, weswegen kein Vertrauen des Klägers gerechtfertigt gewesen sei.75 In dem sehr ähnlich liegenden Fall, der dem Urteil des BGH vom 7.1.1965 zugrunde lag, wurde eine vertragliche Haftung für einen falschen Status (nach Feststellung des BGH handelt es sich dabei um "eine Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Firma"76) dagegen angenommen.77 In diesem Fall wollte der angestellte Leiter einer Speditionsfirma eine Handelsgesellschaft gründen, um die Speditionsfirma zu übernehmen und selbständig weiterzuführen. Darüber verhandelte er mit der späteren Bürgin, von der er sich eine Sicherheit zugunsten der Speditionsfirma erhoffi:e. Bei einer Unterredung erschien er mit einem beratenden Volkswirt und vereidigten Buchprüfer. Die spätere Bürgin verlangte die Vorlage einer Bilanz. Der Buchprüfer erklärte, ein solcher Status lasse sich "nicht aus dem Ärmel schütteln". Die Beteiligten vereinbarten, daß der Buchprüfer eine Bilanz erstellen solle. Dabei legte er nur die von dem Leiter angegebenen Zahlen zugrunde, wodurch der Status objektiv falsch wurde und ein zu günstiges Bild bot. Die aus der Bürgschaft in Anspruch genommene Bürgin verlangte ihren Verlust als Schadensersatz von dem Buchprüfer. Problematisch war in diesem Fall, ob vertragliche Beziehungen des Buchprüfers auch zu der klagenden Bürgin bestanden, obwohl nur der Leiter der Spedition für die Erstellung der Bilanz dem Buchprüfer eine Vergütung schuldete. Der BGH stellte entscheidend darauf ab, daß eine Übereinkunft darüber erzielt worden sei, daß der Buchprüfer eine Vermögensübersicht erstellen sollte, die als Kreditunterlage für die spätere Klägerin brauchbar sei.78 Das konnte nach Ansicht des BGH nur eine Übersicht sein, deren Grundlagen vom Buchprüfer sachlich geprüft waren. Daß dieser eine eigene Nachprüfung der Buchführungszahlen vornehmen würde, wurde aus seiner Äußerung, ein Status lasse sich "nicht aus dem Ärmel schütteln", geschlossen.79 Damit verbindet der BGH die Fragen nach dem Abschluß eines Vertrages und nach dessen Inhalt. Er schließt aus dem von ihm mittels Auslegung gewonnenen Inhalt (der deshalb nicht zwingend ist) darauf, daß gerade auch zu der Bürgin vertragliche Beziehungen bestanden. In der wesentlichen Grundkonstellation entspricht der Sachverhalt aber dem des Urteils vom 17.9.1985, 75 BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532. 76 BGH Urt. v. 7.1.1965, VII ZR 28/63, WM 1965, 287, 287. 77 BGH Urt. v. 7.1.1965, VII ZR 28/63, WM 1965, 287, 287. 78 BGH Urt. v. 7.1.1965, VII ZR 28/63, WM 1965, 287, 287. 79 BGH Urt. v. 7.1.1965, VII ZR 28/63, WM 1965, 287, 288.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
so daß das andere Ergebnis in dem neuen Urteil verwundert. Gleichwohl ist die Entscheidung in beiden Fällen das Ergebnis einer einzelfallbezogenen Auslegung, so daß man nicht mit Entschiedenheit sagen kann, eine der beiden Entscheidungen sei unvertretbar. Die Haftung auf Grund der culpa in contrahendo wurde im Urteil vom 17.9.1985 nur kurz erwähnt. Sie wurde unter Hinweis auf die schon bei der Prüfung eines Auskunftsvertrages verneinte Sachwalterstellung des beklagten Steuerbevollmächtigten abgelehnt. 80 Der BGH hielt hier eine Haftung aus § 826 BGB für möglich und verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung unter diesem Gesichtspunkt zurück. In der zweiten Entscheidung, in der die Sachwalterhaftung Erwähnung fand, 81 sind die Erläuterungen ausfiihrlicher. Es ging um die Haftung eines Rechtsanwalts, der nach Verhandlungen über die Beteiligung des späteren Klägers an einer GmbH, deren Geschäftsführer Mandant des Rechtsanwalts war, eine falsche Angabe über den Unternehmenswert der GmbH in eine von ihm formulierte privatschriftliche Vereinbarung aufgenommen hatte. Das Berufungsgericht hatte hier eine Haftung aus dem Rechtsgrund der culpa in contrahendo in Form der Sachwalterhaftung angenommen, da der Kläger auf die Angabe deshalb vertraut habe, weil sie von einem Rechtsanwalt stammte. Der BGH hat diese Auffassung abgelehnt, da er nach dem Verhalten des Rechtsanwalts nicht annehmen zu können meinte, dieser habe in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen. Ausdrücklich lehnt der BGH es ab, in einem Rechtsanwalt schon auf Grund seines Berufes eine Vertrauensperson zu sehen. Allerdings verneinte der BGH eine Sachwalterhaftung in diesem Fall nicht gänzlich, sondern hielt sie dann für möglich, wenn der Rechtsanwalt sich nicht auf die Rolle des Rechtsberaters einer Partei beschränkt, "sondern die Verhandlungsführung maßgeblich selber in die Hand genommen" und den (überhöhten) Unternehmenswert als eigene Angabe eingeführt hätte. Aufgrunddessen wurde an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zurückverwiesen. 82 In dem Urteil vom 17.5.1990 finden sich ebenfalls nur kurze Ausführungen zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Sachwalterhaftung im speziellen
Fal1.83
80 BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532. 81 BGH Urt. v. 11.7.1988, II ZR 232/87, WM 1988, 1535. 82 BGH Urt. v. 11.7.1988, II ZR 232/87, WM 1988, 1535, 1537. 83 BGH Urt. v. 17.5.1990, IX ZR 85/89, WM 1990, 1554, 1555.
§ 6 Rechtsprechung
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Damit beziehen sich diese Urteile in ihrer Ablehnung der Sachwalterhaftung auf spezielle Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts und enthalten keine Ablehnung dieser Haftungsfigur :ftir alle Fälle dieser Fallgruppe. Die Sachwalterhaftung kann daher auch hier, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, angewandt werden. 84 Im ganzen ergibt sich :ftir die Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe ein uneinheitliches Bild, doch scheint die Konstruktion eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages bevorzugt zu werden. Die Abgrenzung zur Haftung aus culpa in contrahendo in Form der Sachwalterhaftung ist dabei unklar, da beide Haftungsgründe auch nebeneinander geprüft werden.85 Das ist von Bohrer als willkürlich kritisiert worden.86 Ihm geht es dabei ausschließlich um die dogmatische Trennung zwischen culpa in contrahendo und Vertrag, sowie um beider dogmatischen Aufbau. Versucht man Sachkriterien einer Auskunftshaftung herauszuarbeiten, so ergibt sich hier eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Auskunftsvertrag und culpa in contrahendo. 87 Das Vertrauen des Auskunftsempfängers, das notwendig ist, wenn die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens zur Voraussetzung der Sachwalterhaftung gemacht wird, spielt auch bei den Voraussetzungen des Rechtsbindungswillens bei dem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag eine Rolle. Und zwar muß es :ftir den Auskunftgeber erkennbar sein, daß der Empfänger von der Auskunft bedeutsame Entschlüsse oder Maßnahmen abhängig macht. Das bedeutet nichts anderes, als daß der Auskunftsempfänger auf die Richtigkeit der Auskunft vertraut, sonst würde er seine Entscheidungen davon nicht abhängig machen. Somit nimmt der Auskunftgeber auch hier persönliches Vertrauen in Anspruch, wie es der Sachwalter als Voraussetzung der Haftung tun muß. Besonders deutlich ist diese Übereinstimmung im Urteil des BGH vom 17.9.1985 ausgeführt. 88 Hier wird ein Auskunftsvertrag mit der Erwägung abgelehnt, daß der klagende Auskunftsempfänger wegen der abhängigen, einem unparteiischen Sachwalter nicht gleichkommenden Stellung 84 So auch Lang, WM 1988, 1001, 1003. 85 So in BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532; eine Haftung kann auch aus beiden Grilnden nebeneinander gegeben sein: BGH Urt. v. 22.3.1979, VII ZR 259177, BGHZ 74, 103, 108 (Haftung eines Kapitalanlagevennittlers, gehört nicht zur Fallgruppe 3). 86 Bohrer, S. 69-74, insbesondere zum Brauereifall (RG Urt. v. 25.9.1931, II 518/30, lZ 1932, Sp. 38) S. 73. 87 Was auch Bohrer, S. 69 u. 73, feststelh; ebenso Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 89; Breinersdorfor, S. 86; aufS. 91 stimmt er den Kriterien zu, soweit sie nach nonnativer Auslegung als
Voraussetzungen des Rechtsbindungswillens bei einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag verwendet werden. 88 BGHUrt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531 fi
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
des beklagten Auskunftgebers auf "abgewogene, gründlich geprüfte Auskünfte" des Auskunftgebers nicht habe vertrauen dürfen. 89 Das bedeutet, daß in diesem Fall das Verhalten des Auskunftgebers nach dem objektiven Empfängerhorizont, auf den es ankommt, nicht den Schluß auf den Rechtsbindungswillen zuließ. Bei der Behandlung der Frage, ob eine Haftung auf der Grundlage der culpa in contrahendo in Form der Sachwalterhaftung in Betracht kam, wird in diesem Urteil auf die Erwägungen zum Auskunftsvertrag verwiesen und die Haftung abgelehnt, weil der Auskunftgeber nicht für sich persönlich besonderes Vertrauen in Anspruch genommen habe. Hier fällt die Übereinstimmung der Sachkriterien also deutlich ins Auge. Die Übereinstimmung ist auch in dem Urteil des BGH vom 13.2.1992 erkennbar. In dieser Entscheidung nennt der BGH als mögliche Gesichtspunkte, mit denen ein stillschweigend geschlossener Auskunftsvertrag begründet werden könnte, gerade die Voraussetzungen der Sachwalterstellung: einen persönlichen Einsatz des Auskunftgebers, ein eigenes wirtschaftliches Interesse, eine besondere, auf seine Person gegründete Gewähr des Auskunftgebers für die Bonität des Unternehmens (über das eine Auskunft erteilt wurde) oder eine eigenständige besondere Expertenstellung als unabhängige, neutrale Person.90 Die Sachwalterhaftung selbst wird in der Entscheidung nicht erwähnt.91 Auch das Merkmal der besonderen Sachkunde des Auskunftgebers deutet auf das Vertrauenselement hin. Wenn sie vorhanden ist, ist das Vertrauen in die Richtigkeit der Auskunft eher gerechtfertigt. Somit besteht auch bei diesen Kriterien über das Vertrauen eine Verbindung zur Sachwalterhaftung. Noch deutlicher ist die Übereinstimmung bei dem Merkmal des eigenen wirtschaftlichen Interesses, denn dieses wird in dieser Formulierung bei beiden Begründungen der Haftung verwendet. 92 Oben wurde schon dargestellt, daß dieses Sachkriterium bei der Vertragshaftung problematisch ist, weil es sich nicht recht einordnen läßt und eher zur Vorsicht93 bei der Verwendung einer Auskunft zu gemahnen scheint. Bei der Sachwalterhaftung dient es der Überbrückung des Unterschiedes zwischen der gewöhnlich aus culpa in con89 BGH Urt. v.
17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532.
90 BGH Urt. v.
13.2.1992, 111 ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2083.
91 Nur die Vertretereigenhaftung aus c. i. c. wird mit kurzer Begründung abgelehnt, BGH Urt. v. 13.2.1992,111 ZR 28/90, NJW 1992,2080,2083. 92 Vgl. BGH Urt. v. Gtilnde.
17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532 unter II. 1.
93 Ähnlich Medicus, GrnbHR Verhandlungsverschulden.
1993, 533, 536, zur Eigenhaftung des
b) und c) der
GrnbH-Geschäftsfilhrers aus
§ 6 Rechtsprechung
63
trahendo haftpflichtigen späteren Vertragspartei und dem nur ausnahmsweise haftenden Sachwalter. Darin wird die Funktion dieses Merkmals deutlicher. Jemand, der selbst wirtschaftlich interessiert ist und dabei auf die Entschlüsse eines anderen mit seiner Auskunft einwirkt, soll dies nicht unverbindlich tun können. Diese Überlegung ist bei der Sachwalterhaftung deutlich zu erkennen, obwohl sie nicht ausgesprochen wird. Aber wie oben unter § 6 A. I. schon angedeutet, scheint gerade dies auch der tiefere Grund für die Haftung auf Grund eines Auskunftsvertrages, die bei eigenem wirtschaftlichen Interesse eher anzunehmen sein soll, zu sein. Kurz gefaßt sind die von der Rechtsprechung in dieser Fallgruppe angewandten Sachkriterien also Vertrauendürfen in die Auskunft und eigenes wirtschaftliches Interesse des Auskunftgebers. Dabei ist "Vertrauendürfen" ein recht weiter Begriff, der durch genauere Merkmale wie die besondere Sachkunde oder unparteiische Stellung (als Sachwalter) der Auskunftsperson konkretisiert wird.
D. Fallgruppe 4: Zur Weitergabe an Dritte bestimmte oder jedenfalls tatsichlieh weitergegebene Auskünfte, besonders Gutachten, ohne daß eine Anfrage des jeweiligen Endempfängers, der durch die Disposition auf Grund der Auskunft einen Schaden erleidet, vorgelegen hat L Einführung in die relevanten Sachverhalte
Zu dieser Fallgruppe gehören verschiedene typische Sachverhalte. Zunächst sind etwa Fälle zu nennen, in denen ein Grundstückssachverständiger im Auftrag des Eigentümers ein Gutachten über den Wert eines Grundstücks angefertigt hat, das dieser dann etwa bei Verkaufsverhandlungen94 oder bei Bemühungen um einen Kredit95 vorlegt. Wenn sich der Käufer oder Kreditgeber daraufhin auf das Geschäft einläßt, kann er bei einem zu hoch geschätzten Wert Vermögensschäden erleiden. Fraglich ist dann, ob er von dem Sachverständigen Schadensersatz verlangen kann. 94 BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 3SS (sogenannte Klufergruppenentscheidung). 95 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282; BGH Urt. v. 21.4.1970, VI ZR 246/68, WM 1970, 878; BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR 1/65, WM 1966, 1148; BGH Urt. v. 28.6.1966, VI ZR 287/64, WM 1966, 1150; OLG Karlsruhe Urt. v. 22.12.1989, 14 U 152/88, NJW-RR 1990,861.
64
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Weitere typische Sachverhaltskonstellationen sind solche, in denen Bilanzen und andere Vermögensaufstellungen,96 die von Steuerberatem97 oder Wirtschaftsprüfern stammen und zugleich von letzteren testiert sind,98 vom Auftraggeber Dritten vorgelegt werden, die daraufhin etwa Geldkredit gewähren oder verlängern99 oder sonst eine Geschäftsverbindung100 aufrechterhalten. In anderen Sachverhalten werden Bilanzen, die von Wirtschaftsprüfern testiert, aber nicht von ihnen erstellt worden sind, ebenfalls zu Kreditzwecken Dritten vorgelegt. 101 Die Fallgruppe erfaßt aber auch bloße mündliche Auskünfte, die dann vom Empfänger an Dritte weitergegeben werden, beispielsweise Aussagen eines Vorstandssprechers einer Bank zur Finanzierung eines Bauprojekts gegenüber einem Landrat, der die Information an Bauhandwerker weitergibt, die daraufhin vorleisten und später deswegen Verluste erleiden, wenn sich die Finanzierung doch als ungesichert erweist. 102 Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, daß nun Sachverhalte in den Blick kommen, in denen man recht eigentlich von Dritthaftung für Auskünfte sprechen kann, weil tatsächlich drei Personen beteiligt sind und sich die Eigenschaft als Dritter nicht in der bloßen Definition erschöpft, daß es sich um jemanden handelt, der nicht eindeutig und offensichtlich in Vertragsbeziehungen hinsichtlich der Auskunft zum Auskunftgeber steht (vgl. oben§ 1). Die Rechtsprechung hat in diesen Fällen drei Haftungsgrundlagen in Betracht gezogen: einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag, § 826 BGB und einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Deren Voraussetzungen nach der Rechtsprechung werden im folgenden dargestellt. 96 Dazu z. B. VermOgensübersicht: BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111 1986,711.
=
WM
97 BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375; BGH Urt. v. 18.2.1987, IVa ZR 232/85, KTS 1988, 314; BGH Urt. v. 26.11.1986, IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758; BGH Urt. v. 14.1.1969, VI ZR 130/67, WM 1969, 470; OLG Frankfurt Urt. v. 20.9.1988, 11 U 15/88, WM 1989, 1618; OLG Karlsruhe Urt. v. 7.2.1985, 12 U 132/82, WM 1985,940 (hier auch zur Haf.. tung des Wirtschaftsplilfers); LG Karlsruhe, Urt. v. 30.4.1982, 7 0 287n9, ZIP 1982, 1098 (hier auch zur Haftung des Wirtschaftsplilfers).
98 BGH Urt. v. 5.12.1972, VI ZR 120ni, WM 1973, 141; LG MOnchengladbach Urt. v. 31.5.1990, 1 0 630/86, NJW-RR 1991,415. 99 Z. B. in BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989,375.
100 BGH Urt. v. 10.7.1964,lb ZR 208/62, WM 1964, 1163 (hier allerdings ohne Beteiligung eines Wirtschaftsplilfers oder Steuerberaters); BGH Urt. v. 21.11.1957, VII ZR 25/57, WM 1958, 397 (Helfer in Buch- und Steuersachen). 101 OLG Köln Urt. v. 14.12.1990, 19 U 283/89, VersR 1991, 564.
102 BGH Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990.
§ 6 Rechtsprechung
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ll. Stillschweigend geschlossener Auskunftsvertrag
Die Kriterien, deren Vorliegen zur Annahme eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages berechtigt, sind etwa die gleichen wie bei der Fallgruppe 1. Allerdings gibt es einen bemerkenswerten Unterschied. Da hier gewöhnlich drei Personen beteiligt sind, der Auskunftgeber, der unmittelbare Empfänger der Auskunft und der Dritte, der der Endempfanger der Auskunft ist und bei seinen Dispositionen auf der Grundlage der Auskunft einen Schaden erleidet, gibt es keinen unmittelbaren Kontakt zwischen dem Auskunftgeber und dem Dritten. An dieser Stelle setzt eine Verschärfung der Voraussetzungen des Auskunftsvertrages an. In diesen Fällen ist es erforderlich, daß die Auskunft fiir den darauf Vertrauenden bestimmt ist und daß sich der Auskunftgeber bewußt ist, daß sie fiir den Dritten bedeutsam ist und ihm zur Grundlage entscheidender Vermögensdispositionen dienen soll. 103 Es finden sich dafiir auch andere Formulierungen, wie, daß dieses dem Auskunftgeber klar war104 oder daß er es erkannt hat und weiß. 105 An der fehlenden "unmittelbaren Fühlungnahme" zwischen Auskunftgeber (hier einem Wirtschaftsprüfer) und dem Auskunftsempfänger (einer Bank) scheiterte die Annahme eines Auskunftsvertrages allerdings im Urteil des BGH vom 5.12.1972, 106 obwohl hier ausdrücklich festgestellt wurde, daß dem testierenden Wirtschaftsprüfer die später klagende Bank bekannt war107 und er auch wußte, daß die weiteren Ausfertigungen von Bilanz und Erfolgsrechnung, die er der geprüften Handelsfirma überließ, zur Vorlage bei Banken bestimmt waren. 108 Ebenfalls wegen Fehlens unmittelbarer Beziehungen zwischen dem Auskunftgeber und dem Geschädigten wurde ein Auskunftsvertrag im Urteil des 103 BGH Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990, 1991; BGH Urt. v. 12.2.1979, II ZR 177177, WM 1979, 548, 549 = LM Nr. 19 zu § 676 BGB unter I. 1. und 2. der Gründe, weiter gefaßt werden die Voraussetzungen allerdings unter II. der Gründe(= WM 1979, 548,550); BGH Urt. v. 30.3.1976, V1 ZR 21174, WM 1976,498, 499; insbesondere BGH Urt. v. 12.7.1966, V1 ZR 1/65, WM 1966, 1148, 1149; BGH Urt. v. 21.11.1957, Vll ZR 25/57, WM 1958, 397, 398; unter Hinweis auf das Urt. v. 12.7.1966: OLG Hamm Urt. v. 29.4.1986, 9 U 290/85, NJW-RR 1987, 209, 209; unter Hinweis auf das Urt. v. 30.3.1976: OLG Köln Urt. v. 15.2.1984, 13 U 207/83, WM 1985, 598,
598.
104 OLG Hamm Urt. v. 21.11.1988, 22 U 77/88, NJW-RR 1989, 600, 600.
105 OLG Köln Urt. v. 20.10.1987, 15 U 55/87, NJW-RR 1988, 335,335.
106 BGH Urt. v. 5.12.1972, V1 ZR 120171, WM 1973, 141, 143; ebenso jetzt LG Mönchengladbach Urt. v. 31.5.1990, 1 0 630/86, NJW-RR 1991,415,415 unter Hinweis aufdas Urt. des BGH v.
5.12.1972.
107 BGH Urt. v. 5.12.1972, V1 ZR 120171, WM 1973, 141, 143. 108 BGH Urt. v. 5.12.1972, V1 ZR 120171, WM
renz 1983, S. 27, 95 Fn. 225. 5 F. Müller
1973, 141, 141; dazu ablehnend Canaris, FS La-
66
3. Kapitel DarsteUung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
BGH vom 20.1.1954 abgelebnt.l 09 In diesem Fall hatte eine Stadtverwaltung einem Bauunternehmer eine Bescheinigung darüber erteilt, daß er einen größeren städtischen Bauauftrag erhalten habe und daß es diesbezüglich bald zur Zahlung der Vergütung :ftir Bauarbeiten kommen werde. Diese Auskunft war unrichtig, weil tatsächlich kein Vertrag über die Erbringung von Bauleistungen :ftir die Stadt bestand. Es wurde fälschlich der Eindruck erweckt, der Bauunternehmer habe einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung.110 Unter Vorlage dieser Bescheinigung erhielt er von einer Kreissparkasse einen Kredit. Die Kreissparkasse ließ sich zur Sicherung die in der Bescheinigung genannte Forderung abtreten. Weiterhin legte er die Bescheinigung aber auch einer Lieferantin vor, die daraufhin auf Kredit lieferte und mit ihrer Forderung ausfiel, als der Bau zum Erliegen kam. Sie hatte mit ihrer Klage gegen die Stadt keinen Erfolg. Der BGH führte aus, daß die Stadt keine Haftung "gegenüber jedem beliebigen Dritten übernehmen" wollte.1 11 Damit weisen diese Entscheidungen auf die besondere Schwierigkeit dieser Fälle hin, die darin liegt, daß ein Kriterium gefunden werden muß, um den Kreis der möglichen Gläubiger, die sich auf eine Schadensersatzpflicht auf Grund eines Auskunftsvertrages berufen könnten, einzugrenzen und genauer zu bestimmen. Die Gefahr eines schwer übersehbaren Haftungsrisikos war auch die Erwägung, die den BGH in dem Urteil vom 5.12.1972 erkennbar leitete.112
1. Bestimmtheit der Auskunft ftJr den Dritten Dieses Kriterium könnte in dem Erfordernis liegen, daß die Auskunft fiir den Dritten bestimmt sein muß (vgl. oben). In dem Urteil, in dem sich besonders deutliche Ausfiihrungen zu den Voraussetzungen der Annahme eines Auskunftsvertrages in Fällen ohne unmittelbaren Kontakt zwischen Auskunftgeber und Auskunftsempfänger finden, ist dieses Kriterium dahingehend gefaßt, daß die Auskunft (allgemein) fiir Dritte bestimmt sein und dem Auskunftgeber bewußt sein muß, daß sie :ftir weitere Kreise bedeutsam sein
109 BGH Urt. v. 20.1.1954, li ZR 155/52, BGHZ 12, 105, 108 f. 110 Vgl. BGH Urt. v. 20.1.1954, IIZR 155/52, BGHZ 12, 105, 109 und 110. 111 BGH Urt. v. 20.1.1954, II ZR 155/52, BGHZ 12, 105, 109. 112 BGHUrt. v. 5.12.1972, VIZR 120nl, WM 1973, 141, 143.
§ 6 Rechtsprechung
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wird. 113 Darin liegt also überhaupt keine Begrenzung auf bestimmte dritte Empfänger der Auskunft, sondern hier wird ein Angebot des Auskunftgebers zum Abschluß eines Auskunftsvertrages an den, den es angeht, angenommen, wie es das OLG Hamm und das OLG Köln tatsächlich formulierten. 114 Das ist ungewöhnlich, insbesondere da es auch an einem besonderen Begründungsaufwand für diese Annahme fehlt; denn das Zustandekommen eines Vertrages mittels eines Angebots an den, den es angeht, ist nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig zu vemeinen.115 Entsprechend engere Voraussetzungen verlangt daher der BGH in dem Urteil vom 16.10.1990: Hier scheint der BGH der Ansicht zu sein, daß die Auskunft gerade für den konkreten (später geschädigten) Dritten bestimmt sein muß und daß dem Auskunftgeber bewußt sein muß, daß die Auskunft gerade für diesen bedeutsam ist.116 Gegenüber dem dort als Beleg zitierten Urteil des BGH vom 30.3.1976 117 ist die Formulierung im entscheidenden Punkt enger, da 1976 noch von "für weitere Kreise ... bedeutsam" die Rede war, 118 die Auskunft nun aber für den Dritten, für den sie bestimmt ist, bedeutsam sein muß. 119 Hiernach ist ein Auskunftsvertrag mit einem dritten Empfänger nur denkbar, wenn bei dem Kontakt zwischen dem Auskunftgeber und dem unmittelbaren Empfänger der Auskunft die Absicht der Übermittlung der Auskunft und auch die von der Auskunft "abhängenden Entscheidungen des oder der Empfänger unmißverständlich zum Ausdruck kommen." 120 Diese Kriterien verlangen, daß so viele Informationen an den Auskunftgeber vom unmittelbaren Empfänger der Auskunft übermittelt werden, daß in vielen Fällen diese Informationen ohne Bestimmung des Drittempfängers, an den die Auskunft weitergegeben wird, nicht gegeben werden können. In der Sache wird damit offenbar die Kenntnis des Dritten durch den Auskunftgeber zur Haftungsvoraussetzung gemacht. Aber auch wenn die Kenntnis von der Person des Dritten nicht vorhanden ist, müssen dem Auskunftgeber so weitgehende 113 BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR l/65, WM 1966, 1148, 1149; ähnlich OLG Hamm Urt. v. 29.4.1986, 9 U 290/85, NJW-RR 1987, 209, 209 unter Hinweis auf das Urt. v. 12.7.1966; ähnlich auch OLG Köln Urt. v. 15.2.1984, 13 U 207/83, WM 1985, 598, 598. 114 OLG Hamm Urt. v. 29.4.1986, 9 U 290/85, NJW-RR 1987, 209, 209; OLG Köln Urt. v. 20.10.1987, 15 U 55/87, NJW-RR 1988,335,336. 115 BGH Urt. v. 6.7.1970, li ZR 85/68, WM 1970, 1021, 1022 mit weiteren Nachweisen; BGH Urt. v. 12.2.1979, li ZR 177n7, WM 1979, 548,550 = LM Nr. 19 zu§ 676 BOB. 116 BGH Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990, 1991. ll1 BGH Urt. v. 30.3.1976, VI ZR 21n4, WM 1976,498. 118 BGH Urt. v. 30.3.1976, VI ZR 21n4, WM 1976,498,499. 119 BGH Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990, 1991. 120 BGH Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990, 1991.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Informationen vorliegen, daß für ihn, wenn er sich auf die Vergabe der Auskunft einläßt, das Haftungsrisiko übersehbar sein kann. Weitere Korrekturen und Einschränkungen der Auskunftshaftung in diesen Fällen ergeben sich aus der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände dahingehend, ob unter Berücksichtigung von Verkehrsauffassung und Verkehrsbedürfnis ein Vertragsschluß anzunelunen ist 121 Allerdings ist dieses Kriterium vage und führt zu Rechtsunsicherheit
2. Konkretisierung des Empftingers mittels Zwecksetzung durch den Auskunftgeber
Ein etwas anderer Ansatz zur Eingrenzung des Kreises möglicher Gläubiger in dieser Fallgestaltung findet sich in zwei Urteilen des BGH, in denen es jeweils um eine schriftliche Mitteilung ging, deren Inhalt einem Dritten zur Kenntnis gelangte, der im Vertrauen darauf investierte und dabei Verluste erlitt.122 Der BGH entschied in diesen Fällen, daß die schriftliche Mitteilung an "einen ganz bestimmt umgrenzten Interessentenkreis"123 gerichtet sei. 124 Die Umgrenzung ergibt sich in diesen Fällen aus dem Zweck der Mitteilung, eine bestimmte Art von Privatanlegern für eine Investition in Form einer Darlehensgewährung anzusprechen und zu gewinnen.125 Die Konkretisierung des Empfllngerkreises wird hier von dem Auskunftgeber anband seiner mit der Mitteilung an den unmittelbaren Empfllnger, den Betreiber des Projekts, für das Geldgeber gesucht werden, verbundenen Zielsetzung selbst vorgenommen, 126 so daß er sich aus eigenem Antrieb gerade auch denen zuwendet, an die die Mitteilung weitergegeben wird. Die eigene Zwecksetzung ersetzt in diesen Fällen also die Kenntnis von dem dritten Empfänger. Insofern hängt 121 BGH Urt. v. 11.10.1988, XI ZR 1/88, WM 1988, 1828, 1829; BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111, 1112; ebenso (allerding.o; Entscheidungen aus Fallgruppe 3): BGH Urt. v. 17.5.1990, IX ZR 85/89, WM 1990, 1554, 1554; BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532; die Aussage findet sich ebenfalls in BGH Urt. v. 24.1.1978, VI ZR 105n6, WM 1978,
516,511.
122 BGH Urt. v. 12.2.1979, II ZR 111n1, WM 1979, 548 = LM Nr. 19 zu § 676 BGB; BGH Urt. v. 22.9.1982,1Va ZR 322/80, NJW 1983,276 = LM Nr. 26 zu§ 676 BGB; vgl. zu diesen Entscheidungen Wiegand, S. 62. 123 BGH Urt. v. 12.2.1979, li ZR 111n1, WM 1979, 548, 550.
124 Mit etwas anderer Formulierung ebenso BGH Urt. v. 22.9.1982, IVa ZR 322/80, NJW 1983, 276, 277. 125 BGH Urt. v. 12.2.1979, ll ZR 177n7, WM 1979, 548, 550; BGH Urt. v. 22.9.1982, IVa ZR 322/80, NJW 1983, 276, 276 und 277. 126 Wiegand, S. 62.
§6Rechtsprechung
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das Zustandekommen des Auskunftsvertrages von einem Willenselement in der Person des Auskunftgebers ab. Das entspricht der Privatautonomie. Ein Angebot an den, den es angeht, liegt darin nach Ansicht des BGH nicht.127 Dieses hätte einen Empfängerkreis, der nicht nur aus denen bestünde, an die sich das Angebot nach seiner anband abstrakter Kriterien festgestellten Zielsetzung richtet, sondern der Empfängerkreis eines solchen Angebotes bestimmt sich aus der Sicht der Empfänger. Diese bestimmen durch ihre Annahme, daß es sie angeht. Darum ist in solchen Fällen der Empfängerkreis auch ganz unbestimmt und unübersehbar, wie der BGH richtig feststellt. 128 Das Angebot an den, den es angeht, entstammt der Figur des Geschäfts mit dem, den es angeht. Hier findet sich keinerlei den Empfangerkreis begrenzende Zwecksetzung desjenigen Vertragspartners, der anfangs schon feststeht, sondern das Geschäft kann mit jedem zustande kommen, der hinter demjenigen steht, mit dem der feststehende Vertragspartner unmittelbar zu tun hat. Die Konkretisierung geht also von jenem aus. Ebenso ist es bei dem Angebot an den, den es angeht, auch bei Auskunftsverträgen. Deshalb lag in den beiden hier geschilderten Fällen eine solche Figur wegen der konkretisierenden Zwecksetzung des Auskunftgebers nicht vor. Das Urteil vom 12.2.1979 ist daher konsequent und nicht in sich widersprüchlich. 129
Diese Abgrenzungsmethode wird aber nur in wenigen Fällen angewendet werden können, da eine Zwecksetzung, wie sie hier vorlag, ein besonderes Merkmal dieser Sachverhalte war. Verallgemeinerungsfähig ist dieses Kriterium daher nicht.
3. Zusammenfassung Im allgemeinen kommt es deshalb nach der Rechtsprechung darauf an, daß der Auskunftgeber weiß, daß die Auskunft an Dritte weitergegeben wird und sie bei dem Dritten Grundlage bedeutender wirtschaftlicher Entscheidungen sein wird. Da in neuerer Zeit eine detaillierte Information über den Dritten gefordert zu werden scheint, 130 ist eine Begrenzung des Haftungsrisikos auf bestimmte Gläubiger eher als früher erreicht. Gleichwohl bleibt anzumerken, 127 BGH Urt. v.
12.2.1979, li ZR 177n7, WM 1979,548, 550. 128 BGH Urt. v. 12.2.1979, li ZR 177n7, WM 1979, 548, 550. 129 So aber Wiegand, S. 63 oben: ,,perplex"; gegen den BGH auch Breinersdor[er, S. 162, der den Personenkreis der Empßnger der Auskunft in dem Sachverhalt des Urteils des BGH vom 12.2.1979, li ZR 177n7, WM 1979, 548 = LM Nr. 19 zu § 676 BGB, zum nach seiner Ansicht maßgebenden Zeitpunkt der Auskunftserteilung fi1r ,,nach wie vor unbestinunt" hält. 130 Vgl. BGH Urt. v. 16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990, 1991.
70
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
daß von den gewöhnlichen Voraussetzungen eines Vertragsschlusses hier kaum noch die Rede ist. Es geht weitgehend nur um Abgrenzungskriterien für den Personenkreis, gegenüber dem der Auskunftgeber dem der Auskunftgeber haften soll. Bei einem Vertrag stehen die Vertragsparteienjedoch deutlich fest, so daß nicht zweifelhaft ist, wem gegenüber zu haften ist. Das kann darauf hindeuten, daß die Vertragskonstruktion in diesen Fällen überdehnt wird. Fragen der personalen Reichweite der Haftung stellen sich demgegenüber eher bei der deliktsrechtlichen Haftung gemäß § 826 BGB, da sie prinzipiell gegenüber jedem Geschädigten eingreift. 131 Diese Überlegungen fiihren zur zweiten in den Fällen dieser Fallgruppe häufig verwendeten Haftungsgrundlage.
m
Haftung gemäß § 826 BGB
Als zweite wichtige Haftungsgrundlage findet sich in dieser Fallgruppe die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB. Wegen der schon unter oben li. erkennbaren Schwierigkeiten bei der Begründung von Auskunftsverträgen in diesen Fällen findet die Haftung aus § 826 BGB ein bedeutendes Anwendungsfeld innerhalb der Auskunftshaftung gerade in dieser Fallgruppe.132 Bei der Subsumtion unter den Tatbestand von § 826 BGB sind regelmäßig die Merkmale "vorsätzlich" und "in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise" problematisch, und ihnen werden ausfiihrlichere Darlegungen gewidmet. Nach dem Wortlaut der Vorschrift haftet der Schädiger dann nicht, wenn er nicht vorsätzlich handelt. Bei der oben dargestellten vertraglichen Haftung reicht nach § 276 I 1 BGB Fahrlässigkeit aus. Daher könnte man annehmen, daß die Haftung aus § 826 BGB nicht mehr zum Thema der Haftung für durch fahrlässig falsche Auskünfte verursachte primäre Vermögensschäden gehört. Doch ist schon an dieser Stelle anzumerken, daß es der Untersuchung bedarf, ob die Rechtsprechung in der Sache den Vorsatz wirklich verlangt. Wegen einer eigenartigen Beziehung zwischen Sittenwidrigkeit und Vorsatz bietet es sich an, mit dem Merkmal der Sittenwidrigkeit die Darstellung zu beginnen.
131 Vgl. zu dieser Frage BGH Urt. v. 20.2.1979, VI ZR 189178, NJW 1979, 1599, wo es um die Haftung gegenOber dem Bankkunden fllr eine von Bank zu Bank gegebene Auskunft ging. 132 Jost, S. 181; dies stellt auchMertens inMünchener Kommentar§ 826 Rn. 175 nach Fn. 291 fest; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 216, ist der Ansicht, daß die Auskunftshaftung der Hauptanwendungsfall des Schutzes vor leichtfertigen Vermögensschädigungen Ober § 826 BOB sei.
§ 6 Rechtsprechung
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1. Sittenwidrigkeit
Das Merkmal der Sittenwidrigkeit ist als tatsachenleeres Merkmal 133 je nach der im Rahmen des § 826 BGB vorliegenden Fallgruppe mit konkreten Sachmerkmalen zu füllen und nicht allgemein zu definieren. 134 Der Auskunftgeber handelt nach der Rechtsprechung in diesen Fällen dann sittenwidrig, wenn er leichtfertig und gewissenlos ein falsches Gutachten erstellt bzw. eine falsche Auskunft erteilt. 135 In anderen Urteilen ist von einem leichtfertigen, grobfahrlässigen Verhalten die Rede, 136 oder auch davon, daß sich der Gutachter grobfahrlässig der Erkenntnis verschließt, daß das Gutachten unrichtig ist, 137 oder es findet sich nur die Formulierung von einem leichtfertigen Verhalten.138 Das (neueste) Urteil des BGH vom 24.9.1991 139 enthält nähere Erläuterungen zu der logischen Verknüpfung dieser verschiedenen Begriffe. Danach liegt in der leichtfertigen Erstellung (und man muß hinzufügen: falschen Erstellung) eines Gutachtens eine Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Adressaten des Gutachtens und - darauf kommt es hier an - dem in seinem Informationsbereich stehenden Dritten. Diese Rücksichtslosigkeit wird darüberhinaus noch unter Berücksichtigung der Bedeutung des Gutachtens fiir die Entschließung des Adressaten und des Dritten und der von dem Gutachter in Anspruch genommenen Kompetenz bewertet, wobei sich als Ergebnis die Rücksichtslosigkeit als gewissenlos darstellen muß, damit das Verhalten des Gutachters als sittenwidrig zu beurteilen ist.140
133 Wiegand, S.
130.
134 Erman!G. Schiemann § 826 Rn. 5; llhnlich zur Bedeutung der Fallgruppen Manchener Kommentar/Mertens § 826 Rn. 12; RGRK/Steffen § 826 Rn. 14.
135 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282, 3283; BGH Urt. v. 20.2.1979, VI ZR 189n8, NJW 1979, 1599, 1599; BGH Urt. v. 13.7.1956, VI ZR 132/55, WM 1956, 1229, 1229; OLG Karlsruhe Urt. v. 7.2.1985, 12 U 132/82, WM 1985, 940, 942; LG Karlsruhe, Urt. v. 30.4.1982, 7 0 287n9, ZIP 1982, 1098, 1100. 136 BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR 1/65, WM 1966, 1148, 1149; BGH Urt. v. 28.6.1966, VI ZR 287/64, WM 1966, 1150, 1151. 137 BGH Urt. v. 21.4.1970, VI ZR 246/68, WM 1970, 878, 879. 138 BGH Urt. v. 14.1.1969, VI ZR 130/67, WM 1969, 470, 470; OLG Frankfurt Urt. v. 20.9.1988, 11 U 15/88, WM 1989, 1618, 1619. 139 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282. 140 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282, 3283.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Leichtfertig ist das Verhalten des Gutachters etwa dann. wenn er bei der Erstellung des Gutachtens nachlässig ermittelt. 141 Oft wird hier davon gesprochen, daß Angaben "ins Blaue" hinein gemacht werden. 142 Zusammenfassend läßt sich dieser Begriff als besonders ausgeprägte Fahrlässigkeit bezeichnen, also ein Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt in besonders starkem Maße. Dabei ist als Maßstab der professionelle Standard des Auskunftgebers im weiteren Sinne (also des Gutachters und des Auskunftgebers im engeren Sinne) anzulegen. Gegenüber der Kritik Wiegands ist einzuräumen, daß die rechtliche Regelung dieser Standards oft wenig klar ist. 143 Gleichwohl kann auf die Bestimmung der groben Fahrlässigkeit nicht verzichtet werden, weswegen sie von der Rechtsprechung vorzunehmen ist, wie das in dem Bereich der Verschuldensabstufungen auch sonst geschieht. Da im leichtfertigen Verhalten auch gleich die Rücksichtslosigkeit liegt, kommt es im weiteren darauf an, daß das Verhalten des Auskunftgebers als gewissenlos bewertet werden kann. Hierbei kommt es nunmehr offenbar auf Kriterien an, die sich schon bei der Begründung einer vertraglichen Haftung in dieser Fallgruppe finden, nämlich die Bedeutung des Gutachtens oder der Auskunft für den Adressaten und den dritten Empfänger, 144 um dessen Ansprüche es hier geht. Auch auf eine sich aus Ansehen oder Beruf des Auskunftgebers ergebende Vertrauensstellung soll es ankommen. 145 Besonders wenn sie vorliegt, soll die Gewissenlosigkeit im Verhalten des Auskunftgebers festzustellen sein. 146 Das erinnert an die oben dargestellten Kriterien für das Vorliegen eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages, nämlich die besondere Bedeutung der Auskunft für den Empfänger und die besondere Sachkunde des Auskunftgebers. Beides kehrt bei der Bewertung seines Verhaltens als gewissenlos wieder. Auch für die Einnahme einer Vertrauensstellung gilt das. Schon oben (unter § 6 C. II.) ist herausgearbeitet worden, daß auch für die Bewertung der Beziehung zwischen Auskunftgeber und Auskunftsempfänger als Auskunftsvertrag das Vertrauen des Empfängers in die Auskunft eine große Rolle spielt. Ebenso gilt das für die Sachwalterhaftung aus culpa in con141 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991,3282,3283. 142 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282, 3283; BGH Urt. v. 13.2.1992, Ili ZR 28/90, NJW 1992,2080, 2083;RGRK/Stejfon § 826 Rn 52; Wiegand, S. 125. 143 Kritik hieran von Wiegand, S. 127. 144 Vgl. BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991,3282,3283. 145 BGH Urt. v. 13.7.1956, VI ZR 132/55, WM 1956, 1229, 1229. 146 BGH Urt. v. 13.7.1956, VI ZR 132/55, WM 1956, 1229, 1229; BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR 1165, WM 1966, 1148, 1149; BGH Urt. v. 28.6.1966, VI ZR 287/64, WM 1966, 1150, 1151.
§ 6 Rechtsprechung
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trahendo, bei der in der einen Variante ausdrücklich die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens zur Voraussetzung der Haftung gernacht wird. Hier bei der Haftung gemäß § 826 BGB kann sich die Gewissenlosigkeit daraus ergeben, daß eine Vertrauensstellung mißbraucht wird. In beiden Fällen wird das Vertrauen des Auskunftsempfängers enttäuscht und dies zu einer Voraussetzung der Haftung gemacht. Hinsichtlich der subjektiven Seite der Sittenwidrigkeit ist grundsätzlich die Kenntnis der zur Bewertung eines Verhaltens als sittenwidrig führenden Sachverhaltsumstände erforderlich. 147 Diese Umstände sind bei der Auskunftshaftung die grobfahrlässig verursachte Unrichtigkeit der Auskunft und die besondere berufliche Vertrauensstellung des Auskunftgebers. Da nur Fahrlässigkeit hinsichtlich der Falschheit der Auskunft nötig ist, verlangt die Rechtsprechung hier also zum Teil nicht die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. 148 Was die berufliche Vertrauensstellung angeht, so ist das Bewußtsein des Auskunftgebers davon, daß er sie innehat, in keinem Fall zweifelhaft gewesen und deshalb nicht erörtert worden. Damit sind die Voraussetzungen, unter denen die Sittenwidrigkeit angenommen wird, bei den AuskunftsflUten gegenüber anderen Fällen erleichtert. Die in Anspruch genommene Kompetenz, die Bedeutung der Auskunft auch für dritte Empfänger und die Einnahme einer Vertrauensstellung sind Erschwerungsgründe, anhand deren die Leichtfertigkeit des Auskunftgebers bewertet wird. Liegen sie vor, erscheint die Leichtfertigkeit als besonders mißbilligenswert und damit als gewissenlos. Hier entsteht infolge der Ähnlichkeit der Kriterien mit denen, die auch bei der Begründung eines Auskunftsvertrages herangezogen werden, der Eindruck, daß auch bei der Begründung einer vertraglichen Haftung oft nur das Verhalten des Auskunftgebers an seiner Stellung und der Bedeutung der Sache gemessen und mißbilligt wird, was dann zu seiner Haftung führt. Das klang oben bei der Untersuchung der Bedeutung des eigenen wirtschaftlichen Interesses für den Rechtsbindungswillen schon an (vgl. oben§ 6 A. I.). Ist auf diese Weise die Gewissenlosigkeit des Verhaltens des Auskunftgebers begründet, ist es auch sittenwidrig.
147 RGRK/Steffen § 826 Rn. 29 mit weiteren Nachweisen; Manchener Kommentar!Mertens § 826 Rn. 43. 148 Honsell, JuS 1976, 621, 628, der diese Vorgehensweise ablehnt
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
2. Vorsatz Wie oben schon erwähnt, ist das zweite problematische Merkmal bei der Begründung, daß der Auskunftgeber gemäߧ 826 BGB haftet, der Vorsatz. Hierfür reicht der bedingte Vorsatz in der Form aus, daß der Schädiger eine Schädigung des Opfers für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.149 In den Auskunftsfällen dieser Fallgruppe muß der Auskunftgeber damit rechnen, daß die Auskunft oder ein von ihm erstelltes Gutachten an Dritte weitergegeben wird, diese also davon Kenntnis erlangen, und daß es dadurch zu einer Schädigung dieser Dritten kommen wird. 150 Wer der geschädigte Dritte sein wird, braucht der Auskunftgeber nicht zu wissen. 151 Es genügt, daß der Auskunftgeber mit der Möglichkeit rechnet. irgendjemand werde Schaden erleiden, und er diese Möglichkeit in Kauf nimmt. 152 In dem Urteil des OLG Frankfurt vom 20.9.1988 wird sogar verlangt, daß der Auskunftgeber positive Anhaltspunkte dafür hat. daß der Auftraggeber eine testierte Bilanz nur für eigene Zwecke verwendet, um den Vo:satz ausschließen zu können. 153 Damit sind die an das Vorliegen des Vorsatzes gestellten Anforderungen recht gering, was im Schrifttum kritisiert wird. 154 Eine Erweiterung kommt noch durch die Verknüpfung des die Sittenwidrigkeil begründenden leichtfertigen Verhalten und des Vorsatzes zustande. Nach der Rechtsprechung kann nämlich von dem leichtfertigen und gewissenlosen Verhalten, bei dem bekanntlich nur grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unrichtigkeit der Auskunft erforderlich ist, auf den Schädigungsvorsatz ge-
149 Allgemein: RGRK/Steffen § 826 Rn. 33 mit weiteren Nachweisen; Manchener Kommentar/Mertens § 826 Rn. 61; Erman!G. Schiemann§ 826 Rn. 14; und speziell zu AuskunftsflUlen: BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991,3282,3283. 150 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991,3282, 3283; BGH Urt. v. 26.11.1986, IVa ZR86/85, NJW 1987,1758, 1759; BGHUrt. v. 30.3.1976, VIZR21174, WM 1976,498, 500; BGH Urt. v. 21.4.1970, VI ZR 246/68, WM 1970, 878, 879; OLG Frankfurt Urt. v. 20.9.1988, 11 U 15/88, WM 1989, 1618, 1620; in der Sache ebenso BGH Urt. v. 14.1.1969, VI ZR 130/67, WM 1969, 470, 470. 151 BGH Urt. v. 13.7.1956, VI ZR 132/55, WM 1956, 1229, 1229; LG Karlsruhe, Urt. v. 30.4.1982, 7 0 287179, ZIP 1982, 1098, 1101. 152 BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR 1165, WM 1966, 1148, 1149; BGH Urt. v. 28.6.1966, VI ZR 287/64, WM 1966, 1150, 1152. 153 OLG Frankfurt Urt. v. 20.9.1988, 11 U 15/88, WM 1989, 1618, 1620; hierin sehen Ebke/Scheel, WM 1991, 389,390, eine Umkehr der Beweislast zuungunsten des Auskunftgebers, in diesem Fall eines Steuerberaters. 154 Wiegand,
S.
127 f.
§ 6 Rechtsprechung
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schlossen werden. 155 insbesondere, wenn der Auskunftgeber selbst erkannt hat, daß er sich so verhält. 156 Damit entfernt sich die Rechtsprechung deutlich von den üblichen Voraussetzungen des Vorsatzes157 als Wissen und Wollen des Erfolges im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit.158
3. Abschließende Wertung
Eine Haftung aus § 826 BGB ist somit in dreifacher Weise in den Voraussetzungen erleichtert. Zum ersten ist nur grobe Fahrlässigkeit bei der Erteilung der Auskunft oder eines Gutachtens erforderlich, um die Sittenwidrigkeit annehmen zu können. Zweitens werden an die Annahme des Schädigungsvorsatzes nur geringe Anforderungen gestellt. Zum Dritten gibt es noch die Möglichkeit, von der groben Fahrlässigkeit beim Sittenverstoß auf den Schädigungsvorsatz zu schließen. Angesichts dieser Erweiterungen des Anwendungsbereichs von § 826 BGB fallen darunter auch fahrlässig falsche Auskünfte. So gelingt die Anwendung von § 826 BGB auch bei den hier behandelten Fällen fahrlässig falsch erteilter Auskünfte. Deshalb sind die oben (vor 1.) angedeuteten Bedenken widerlegt. Im Rahmen des Schädigungsvorsatzes wird hier weniger verlangt als bei der Begründung vertraglicher Haftung in dieser Fallgruppe. Dort war nämlich jeweils die positive Kenntnis davon erforderlich, daß die Auskunft an einen Dritten weitergegeben werden sollte und neuerdings wurden die erforderlichen Informationen des Auskunftgebers über die Verwendung der Auskunft und ihre Bedeutung fiir den dritten Empfänger noch erweitert. 159 Hier bei der Haftung aus § 826 BGB reicht es aus, wenn der Auskunftgeber mit der Weitergabe der Auskunft rechnet, zum Teil werden sogar positive Anhaltspunkte fiir die Nichtweitergabe verlangt, um den Vorsatz nicht anzunehmen. Nicht unbedingt ausgeglichen wird das durch das Erfordernis der Sittenwidrigkeit, 155 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282, 3283; BGH Urt. v. 12.12.1978, VI ZR 132177, VersR 1979, 283, 284; BGH Urt. v. 6.7.1970, II ZR 85/68, WM 1970, 1021, 1023; BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR 1/65, WM 1966, 1148, 1149. 156 BGH Urt. v. 24.9.1991, VI ZR 293/90, NJW ZR 132n7, VersR 1979, 283, 284.
1991, 3282, 3283; BGH Urt. v. 12.12.1978, VI
157 Zum gewöhnlichen Vorsatzbegriff: Erman!Battes § 276 Rn. 16 mit weiteren Nachweisen; in der Formulierung etwas abweichend: Wiegand, S. 127 f. 158 In der Sache so: Honsell, JuS 1976, 621, 628 f. 159 Vgl. BGH Urt. v.
16.10.1990, XI ZR 165/88, WM 1990, 1990, 1991.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
da hierbei auch die schon in der Vertragsbegründung in Ansatz gebrachten Kriterien der Sachkunde und Vertrauensstellung herangezogen werden, so daß der Unterschied letztlich nur darin besteht, bei § 826 BGB grobe Fahrlässigkeit zu verlangen, während bei der vertraglichen Haftung einfache Fahrlässigkeit ausreicht. Dieser Unterschied ist aber nur gradueller Natur und nicht ganz klar festzustellen. Entsprechend wird häufig die vertragliche Haftung neben der aus § 826 BGB in den Urteilen geprüft, 160 woraus ersichtlich ist, daß es sich nicht um völlig eindeutig voneinander abgegrenzte Fallkonstellationen handelt. Daran kann man erkennen, daß die Sachkriterien der Haftung offenbar weitgehend die gleichen sind, wenn eine vertragliche oder deliktsrechtliche Lösung in Frage steht. Das spricht dafiir, daß es sich um Kriterien handelt, die den Erfordernissen eines gerechten Interessenausgleichs zwischen dem Auskunftgeber und dem Empfänger der Auskunft nahekommen. Die gegenläufigen Interessen ergeben sich daraus, daß die Handlungsfreiheit des Auskunftgebers durch die Haftung beschränkt vrird, während der Empfänger der Auskunft an richtigen, und damit keinen Schaden stiftenden Informationen interessiert ist und einen Schaden auf den Informanten abwälzen möchte.
IV. Haftung auf Grund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Als dritte Haftungsgrundlage findet sich in dieser Fallgruppe in der Rechtsprechung der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dieser bietet sich wegen des in dieser Fallgruppe jeweils bestehenden Vertrages zwischen dem Auskunftgeber und dem, über dessen Verhältnisse (im weitesten Sinne) Auskunft gegeben werden soll, an. Es muß dann untersucht werden, ob dieser Vertrag auch den dritten Empfänger der Auskunft schützen soll.
1. Notwendigkeit eines Fürsorgeverhältnisses Diese Schutzwirkung ist vom BGH zunächst unter Hinweis darauf, daß in den zu entscheidenden Fällen ein Fürsorgeverhältnis zwischen dem Gläubiger des mit dem Auskunftgeber geschlossenen Vertrages und dem Dritten, der 160 BGH Urt. v. 30.3.1976, VI ZR 21n4, WM 1976, 498; BGH Urt. v. 5.12.1972, VI ZR 120n1, WM 1973, 141; BGH Urt. v. 6.7.1970, II ZR 85/68, WM 1970, 1021; BGH Urt. v. 21.4.1970, VI ZR 246/68, WM 1970, 878; BGH Urt. v. 14.1.1969, VI ZR 130/67, WM 1969, 470; BGH Urt. v. 12.7.1966, VI ZR 1/65, WM 1966, 1148; BGH Urt. v. 10.7.1964, lb ZR 208/62, WM 1964, 1163; OLG Hamm Urt. v. 21.11.1988, 22 U 77/88, NJW-RR 1989, 600.
§6
Rechtsprechung
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durch die Auskunft geschädigt worden ist, nicht bestand, abgelehnt worden. 161 In einem Urteil aus dieser Zeit nahm der BGH einen echten Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 I BGB an. 162 Doch stellte der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt einen Sonderfall dar, weil das Drittinteresse in der Anfrage besonders deutlich gemacht worden war.163 Mit dem Erfordernis eines Fürsorgeverhältnisses entsprachen diese Entscheidungen der üblichen Begründung für einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, wonach dieses Merkmal fur das erforderliche schutzwürdige Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages notwendig ist. 164 Ein einprägsamer Ausdruck dafür ist, daß der Gläubiger fur das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich sein müsse.165 Hiervon hat sich die Rechtsprechung teilweise gelöst. Das Merkmal des Fürsorgeverhältnisses im Sinne einer Mitverantwortlichkeit fur Wohl und Wehe des Dritten soll sich nur auf den Schutz gegen physische Einwirkungen, nicht auf den Schutz vor Vermögensschäden beziehen166 und auch nur dann Voraussetzung fur eine Erweiterung der vertraglichen Schutzwirkung auf Dritte sein, wenn diese durch Auslegung allein nach der objektiven Interessenlage anzunehmen ist, 167 was aber auch nur für den Regelfall, nicht ausnahmslos gelten soll. 168 Wenn sich aber bei der Auslegung der Parteierklärungen oder sonstigen Parteiverhaltens169 oder stillschweigend aus den besonderen Umständen des Einzelfalles170 Anhalte für die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrages ergeben, soll diese Einbeziehung möglich 161 BGH Urt. v. 5.12.1972, VI ZR 120nl, WM 1973, 141, 143; BGH Urt. v. 30.3.1976, VI ZR 21n4, WM 1976, 498, 499; ebenso auch das Berufungsgericht in BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111 und BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375. 162 BGH Urt. v. 25.4.1974, II ZR 161172, WM 1974, 685, 686: dem Dritten solhe ein eigenes Forderungsrecht zustehen, dieser Auslegung des Berufungsgerichts schloß der BGH sich an; siehe zu diesem Urteil ausftlhrlich Wiegand, S. 95 - 98. 163 Gegen eine Verallgemeinerung des Inhalts dieser EntscheidungBreinersdoljer, S. 121. 164 Erman!H. P. Westermann § 328 Rn. 12a. 16S Erman!H. P. Westermann § 328 Rn. 12a. 166 BGH Urt. v. 23.1.1985, IVaZR 66/83, WM 1985,450,451. 167 BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111, 1111 (mit Anmerkung von Eb/ce!Fechtrup); BGH Urt. v. 23.1.1985, IVaZR 66/83, WM 1985,450,451 f.; BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356. 168 BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356. 169 BGH Urt. v. 23.1.1985, IVa ZR 66/83, WM 1985,450, 451. 170 BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356.
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und zulässig sein, ohne daß es auf das Anvertrautsein von Wohl und Wehe ankonunt.171 Es ergeben sich in der Anwendung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zwei Fallgruppen, einmal die, bei der es um den Integritätsschutz von Körper und Eigentum geht, und zum anderen die, bei der der Ersatz reiner Vermögensschäden in Rede steht. 172 Hier geht es um die zweite Fallgruppe.
2. Schutzwirkung aufGrund der Vertragsauslegung
Da in den zu betrachtenden Auskunftsfällen kein Fürsorgeverhältnis zwischen dem Gläubiger des Auskunfts- oder Beratungsvertrages und dem geschädigten Dritten besteht, ist nunmehr ohne dieses Erfordernis durch Auslegung zu bestimmen, ob und welche Schutzpflichten gegenüber dem Dritten zu bejahen sind. 173 Dafür werden bestinunte Sachkriterien herangezogen. Allerdings äußert sich die höchstrichterliche Rechtsprechung weit weniger deutlich und bestimmt als bei den bisher dargestellten Haftungsgrundlagen, 174 sondern stellt oft nur allgemein die Notwendigkeit der Auslegung fest, um die genaueren Festlegungen der Tatsacheninstanz zu überlassen. 175 Es lassen sich aber doch zumindest einige Kriterien nennen. Zunächst wird anerkannt, daß der Auskunftgeber nicht in unzumutbarer Weise mit Schadensersatzpflichten gegenüber Dritten belastet werden darf, was einen wichtigen Gesichtspunkt der Auslegung darstellt. 176 Daher soll die Schutzpflicht auf eine überschaubare, klar abgrenzbare Personengruppe beschränkt bleiben, 177 bzw. es 171 BGH Urt. v. 26.11.1986, IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1759; BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111, 1111; in der Sache ebenso: BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375, BGH Urt. v. 28.4.1982, IVa ZR 312/80, NJW 1982, 2431 und OLG Karlsruhe Urt. v. 22.12.1989, 14 U 152/88, NJW-RR 1990,861. 172 Jost, S.
171.
173 BGH Urt. v. 26.11.1986, IVaZR 86/85, NJW
1987, 1758, 1759.
174 In dem Urteil des BGH v. 21.1.1993, I1I ZR 15/92, WM 1993, 897, 897, heißt es dazu, daß dann, wenn der Kreditgeber die Vorlage einer Bilanz verlange, der als Kreditgeber des Auftraggebers vorgesehene Dritte regelmAßig als vom Parteiwillen in den Schutzbereich des Vertrages zwischen dem Auftraggeber und einem Wirtschaftsprilfer einbezogen anzusehen sei; in diesem Urteil fmden sich keine Ausfilhrungen dazu, unter welchen Voraussetzungen diese Einbeziehung anzunehmen ist 115 Besonders knapp BGH Urt. v. 28.4.1982, IVa ZR 312/80, NJW 1982, 2431, wo auf das Erfordernis der Auslegung gar nicht eingegangen wird; BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375, 376 f.; BGH Urt. v. 19.3.1986, IVa ZR 127/84, JZ 1986, 1111, 1111; BGH Urt. v. 23.1.1985, IVaZR 66/83, WM 1985, 450, 452; Ahnlieh auch BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356.
176 BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 356. ITI BGH Urt. v. 26.11.1986, IVaZR 86/85, NJW
1987, 1758, 1759.
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soll die Personengruppe der ersatzberechtigten Dritten objektiv abgrenzbar sein. 178 Diese müssen allerdings nicht namentlich bekannt sein, ebensowenig ihre Zahl. 179 Der BGH meint, diese Gruppe bildeten diejenigen Personen, denen die Auskunft (im konkreten Fall war es ein Zwischenabschluß eines Geschäftsbetriebs, der von zwei Steuerberatern erstellt worden war) erkennbar als Entscheidungsgrundla ge dient. 180 Allerdings wird hier nicht gesagt. wem diese Tatsache erkennbar sein muß, doch ist wohl in Anlehnung an die Haftung aus einem Auskunftsvertrag und der aus§ 826 BGB von der Erkennbarkeit durch den Auskunftgeber auszugehen. Für das Bestehen einer vertraglichen Schutzpflicht gegenüber dem Dritten soll auch sprechen, daß der Auskunftgeber mit der Weitergabe der Auskunft (im konkreten Fall eines Gutachtens) an einen Dritten (d. h. nicht an den bestimmten Dritten) rechnen muß. 181 In dem Urteil des OLG Karlsruhe vom 22.12.1989 wird nur festgestellt, daß der Gutachter mit der Weitergabe des Gutachtens an einen Dritten rechnete, 182 so daß es hier nicht darauf ankam, ob es auch ausreicht, wenn der Auskunftgeber mit der Weitergabe nur rechnen muß, also fahrlässig nicht damit rechnet. Hier sind also Parallelen zu den Sachkriterien einer vertraglich begründeten und der deliktsrechtlichen Auskunftshaftung in dieser Fallgruppe erkennbar. Auch dort war es um das Wissen von der Weitergabe der Auskunft an den Dritten bzw. darum. daß der Auskunftgeber mit der Weitergabe rechnete (dies bei § 826 BGB), gegangen. Auch die Bedeutung der Auskunft für den dritten Empfänger kehrt hier wieder, allerdings fordert die Rechtsprechung hier nur die Erkennbarkeit dessen für den Auskunftgeber, nicht positives Wissen wie sicherlich beim Auskunftsvertrag (wenn der unmittelbare Kontakt fehlt) und weniger deutlich bei der Haftung aus § 826 BGB.
3. Interessengegensatz Allerdings gibt es einen Gesichtspunkt, der die Anwendung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in diesen Fällen zweifelhaft macht. In manchen Entscheidungen ist eine Haftung auf Grund dieser Rechtsfigur des178 BGH Urt. v. 23.1.1985, IVa ZR 66/83, WM 1985,450, 452; BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 355. 179 BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355, 355. 180 BGH Urt. v. 26.11.1986, IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1760. 181 BGH Urt. v. 23.1.1985, IVa ZR 66/83, WM 1985, 450,452. 182 OLG Karlsrube Urt. v. 22.12.1989, 14 U 152/88, NJW-RR 1990, 861,861.
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halb versagt worden. weil zwischen dem Auftraggeber der Auskunftsperson und dem Dritten gegenläufige Interessen bestünden, die eine Auslegung in Richtung einer Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages ausschlössen. 183 Dieses Argument speist sich aus der Überlegung, daß es dem Auftraggeber auf ein besonders günstiges Gutachten oder eine besonders günstige Auskunft ankommt, das oder die er dem Dritten vorlegt, um von ihm einen Kredit zu erlangen, was umso leichter gelingt, je positiver im Gutachten die wirtschaftliche Lage des Auftraggebers oder der Wert seiner Sicherheiten dargestellt ist. Auf der anderen Seite wünscht sich der Dritte als Kreditgeber ein möglichst schonungsloses Gutachten bzw. eine solche Auskunft, das oder die vorhandene Risiken gut erkennen läßt.l84 Diesen Überlegungen hat der BGH in anderen Urteilen widersprochen. 185 In weiteren Urteilen gibt es zu diesem Gesichtspunkt keine Ausführungen. obwohl die Möglichkeit einer Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter festgestellt wird 186 oder das Urteil gerade daraufberuht Der BGH stellt, wenn er sich dazu äußert, jeweils darauf ab, daß, wer ein Gutachten oder eine gutachtliche Äußerung bei einer Person, die über eine besondere, staatlich anerkannte Sachkunde verfüge, bestelle, um davon gegenüber Dritten Gebrauch zu machen, in der Regel daran interessiert sei, daß die Ausarbeitung die entsprechende Beweiskraft besitze. 187 Eine etwas andere Begründung ist die, daß ein Sachverständiger mehreren Personen gegenüber Sorgfaltspflichten haben könne, auch solchen mit unterschiedlichen Interes-
183 BGH Urt. v. 18.2.1987, IVa ZR 232/85, KTS 1988,314, 316; BGH Urt. v. 5.12.1972, VI ZR 120nl, WM 1973, 141, 143; OLG Köln Urt. v. 14.12.1990, 19 U 283/89, VersR 1991, 564, 565; LG Mönchengladbach Urt. v. 31.5.1990, 1 0 630/86, NJW-RR 1991, 415, 417 (das Urteil beruht letztlich aber auf Überlegungen, die fallorientiert sind und auf Besonderheiten des Sachverhalts eingehen); ftlr einen Sonderfall (Rechtsanwaltshaftung in Fallgruppe 3) vgl. auch BGH Urt. v. 17.5.1990, IXZR85/89, WM 1990,1554,1555. 184 Vgl. zu dieser KonfliktlageK6ndgen, S. 374 und Dickes, S. 155 f. 185 BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375, 376 f.; BGH Urt. v. 26.11.1986, IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1759; BGH Urt. v. 23.1.1985, IVaZR66/83, WM 1985,450,452. 186 BGH Urt. v. 28.4.1982, IVa ZR 312/80, NJW 1982, 2431; nicht erwähnt wird die lnteressengegeniAufigkeit auch in BGH Urt. v. 2.11.1983, IVa ZR 20/82, NJW 1984,355, was hiernicht erforderlich war, weil der Auftraggeber des Gutachtens und der später Geschädigte beide als GrundstOckskiufer in Betracht kamen, also gerade das gleiche Interesse hatten, anderer Ansicht ist offenbar H opt, NJW 1987, 1745, 1746, der dieses Urteil zusammen mit der ersten Revisionsentscheidung im Konsulfall (BGH Urt. v. 28.4.1982, IVa ZR 312/80, NJW 1982, 2431) als Beleg ftlr die Preisgabe des Arguments von der Gegenläufigkeit der Interessen anfilhrt, entgegen Hopt hat die Preisgabe wohl noch nicht vollständig stattgefunden, da neuere Urteile darauf zurilckgreifen. 187 BGH Urt. v. 26.ll.I986, IVaZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1759.
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sen.188 Danach soll die Gegenläufigkeit der Interessen nicht gegen die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages sprechen.189 Nach der ersten Argumentation wird also schon das Bestehen gegenläufiger Interessen bestritten, während es nach der zweiten offenbar eingeräumt, aber seine Bedeutung fiir die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages abgelehnt wird. In beiden Argumentationsweisen geht es um die unabhängige, von Interessen unbeeinflußte Stellung des Auskunftgebers, die auf seinem bestimmten Beruf beruht. Das letztere wird besonders im Urteil vom 26.11.1986 190 deutlich. in dem Berufe aufgefiihrt werden, deren Angehörige eine vom Staat anerkannte Sachkunde besitzen. Hieraus wird geschlossen, daß diese Berufsstellung in Form einer beruflichen Gewährübernahme im Geschäftsverkehr in Herausbildung einer bestimmten Fallgruppe des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter das eigentliche sachliche Kriterium der Einbeziehung der Dritten in den Schutzbereich des Vertrages und damit der Haftung des Auskunftgebers darstelle. 191 In der Tat kommt es dem BGH offenbar entscheidend auf diese berufliche Stellung an, auch dann, wenn nicht auf die Absicht des Auftraggebers abgestellt wird, ein mit der auf anerkannter Sachkunde beruhender Beweiskraft ausgestattetes Gutachten etc. zu erhalten, sondern dem Auskunftgeber Sorgfaltspflichten gegenüber Personen mit unterschiedlichen Interessen auferlegt werden. Dann wird sogar noch deutlicher, daß von Dritten auf die von Interessen seines Auftraggebers unabhängige Sachkunde des Auskunftgebers und damit die Richtigkeit der Auskunft gerade wegen der Berufsstellung vertraut werden darf. Der Auskunftgeber darf sich nämlich von Interessengegensätzen in seiner Arbeit nicht beeinflussen lassen. Allerdings finden sich diese Argumente des BGH in den Passagen, in denen das Argument der Gegenläufigkeit der Interessen abgelehnt wird, nicht aber eigentlich bei der Haftungsbegründung. Hier stellt das Gericht auf die Auslegung der Parteierklärungen und sonstigen Umstände ab, wenn die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Auskunftsvertrages zu untersuchen ist. Deshalb kann nicht ohne weiteres festgestellt werden, die besondere Sachkunde sei das eigentliche Kriterium der Haftung in diesen Fällen. Es spielt aber - wie auch schon beim stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag und bei der Haftung aus § 826 BGB - eine Rolle. 188 BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375, 377; BGH Urt. v. 23.1.1985, IVa ZR 66/83, WM 1985, 450, 452. 189 BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989,375,377. 190 BGH Urt. v. 26.11.1986, IVaZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1759. 191 SoHopt, NJW 1987,1745, 1746. 6 F. Müller
3. Kapitel DarsteUung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
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In Urteilen, die Sorgfaltspflichten des Auskunftgebers zugunsten des Dritten wegen der Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers und des Dritten ablehnen. finden sich in der Sache Anklänge an die Voraussetzungen der Sachwalterhaftung und der vertraglichen Auskunftshaftung in den Fällen, in denen die letztere neben der Sachwalterhaftung in Betracht gezogen und abgelehnt wurde. 192 So wird argumentiert, daß der Steuerberater keine neutrale Stellung zwischen seinem Auftraggeber und dessen Gläubigem (die regelmäßig die Dritten sind, um deren Schutz es geht) einnehme. 193 Dieselbe neutrale Position wurde auch in dem Urteil des BGH vom 17.9.1985 gefordert. Diese Entscheidungen und die oben referierten. in denen auf Grund der beruflichen Stellung Sorgfaltspflichten in zwei Richtungen angenommen wurden, stehen recht unverbunden nebeneinander, was bedauerlich ist, weil sie im wesentlichen gleich gelagerte Sachverhalte betrafen (mit Ausnahme des Urteils vom 17.9.1985, das zur Fallgruppe 3 gehört). Die Tendenz in der höchstrichterlichen Rechtsprechung scheint nun aber dahin zu gehen, auch Steuerberatern Sorgfaltspflichten gegenüber Personen mit unterschiedlichen Interessen aufzuerlegen. 194 Daraus wird geschlossen. daß der mögliche Interessenkonflikt nur noch ein Teilaspekt innerhalb der Auslegung der Parteierklärungen sei.195
4. Verhtiltnis zu anderen Haftungsgrundlagen
Das Wissen von der Weitergabe der Auskunft an den Dritten bzw. darum, daß der Auskunftgeber mit der Weitergabe rechnete (dies bei § 826 BGB), sowie die Bedeutung der Auskunft für den dritten Empfiinger spielen auch bei der Haftung auf Grund eines Auskunftsvertrages und aus § 826 BGB eine Rolle. Auch was die Bedeutung des Berufes und der Fachkunde des Auskunftgebers angeht, gleichen die~ Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in diesen Fällen denen der Haftung aus einem Aus192 Solch ein Fall ist BGH Urt. v. 17.9.1985, VI ZR 73/84, WM rater als verlllngerter Ann seines Auftraggebers bezeichnet wird
1985, 1531, in dem der Steuerbe-
193 BGH Urt. v. 18.2.1987, IVa ZR 232/85, KTS 1988, 314, 316; ebenso unter Hinweis auf die eben genannte Entscheidung OLG KOin Urt. v. 14.12.1990, 19 U 283/89, VersR 1991,564,565 f. 194 BGH Urt. v. 18.10.1988, XI ZR 12/88, WM 1989, 375, 376 f. (die Klage war hier allerdin~ lrotzdem erfolglos, weil der Steuerberater llliCh dem Wortlaut seines Testats ftl.r die inhaltliche Richtigkeit der Jahresabschlüsse gerade nicht einstand); BGH Urt. v. 26.11.1986, IVa ZR 86/85, NJW
1987, 1758, 1759. 195 Dickes, S.
157.
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kunftsvertrag und aus § 826 BGB, wo es beide Male auf die berufliche Stellung und Kompetenz des Auskunftgebers ankommt (vgl. oben § 6 D. III. 1.). Bei einem Vergleich zeigt sich, daß der Auskunftgeber auf Grund eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter schärfer haftet als bei einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag, weil er beim Vertrag mit Schutzwirkung schon dann haftet, wenn er nur mit der Weitergabe der Auskunft an den Dritten rechnen mußte; das Wissen von der Drittweitergabe der Auskunft ist nicht erforderlich. 196 Dasselbe gilt hinsichtlich der Bedeutung der Auskunft für den Dritten, wo bei dem Vertrag mit Schutzwirkung nur auf ihre Erkennbarkeit abgestellt wird. 197 Auch gegenüber der Haftung aus § 826 BGB sind die Voraussetzungen einer Haftung auf Grund des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geringer, denn dort wird eine leichtfertig falsche AuskunftseTteilung verlangt, während bei der vertraglichen Haftung auch zugunsten Dritter einfache Fahrlässigkeit genügt.l98 Da die Fallkonstellationen dieselben sind und auch die Sachkriterien der Haftung sich von der Art her nicht unterscheiden, ist kein überzeugender Grund für diese ungleichen Haftungsvoraussetzungen ersichtlich. Die Einführung einer Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stellt damit eine Haftungsverschärfung für Auskunftgeber dar. Diese wirkt sich insbesondere für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Grundstückssachverständige aus, da es sich sehr häufig um Fälle handelt, an denen sie beteiligt sind.
V. Zusammenfassung zur Fallgruppe 4
In der Fallgruppe 4 konnten drei Haftungsgrundlagen festgestellt werden, die etwa das gleiche Gewicht bei der Anwendung haben. Es zeigte sich, daß die sachlichen Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung eine Haftung annimmt, einander ähneln. 199 Es kommt immer darauf an, daß der Auskunftgeber besondere Sachkunde hat oder Vertrauen in Anspruch nimmt, das auch auf einer bestimmten beruflichen Stellung beruhen kann. Das sind eher objektive Kriterien. 196 Anderer Ansicht Dickes, S. 197 BGH Urt.
165 f., der keine Unterschiede zu erkennen meint
v. 26.11.1986, IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1760.
198 Auch Dickes, S. zungenfest
212, stelh bei der Haftung aus§ 826 BGB leicht erhöhte Haftungsvorausset-
199 So auch Dickes, S. 163, fi1r den Auskunftsvertrag und den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, er spricht von ,,fast identischen Voraussetzungen".
84
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Bei den Voraussetzungen, die subjektiv genannt werden können, geht es um die Wahrnehmung des Auskunftgebers hinsichtlich der Verwendung seiner Auskunft. Hier treten Unterschiede auf. Beim stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag wird ausdrücklich verlangt, daß er weiß, daß die Auskunft an einen bestimmten Dritten weitergegeben wird und daß sie fiir dessen Entscheidungen bedeutsam sein wird. Oder aber die Auskunft muß nach der Willensrichtung des Auskunftgebers, nach seiner Zwecksetzung also, fiir eine bestimmte Gruppe ("class" könnte man im englischen Recht formulieren), bestimmt sein. Bei der Haftung aus § 826 BGB wird das Erfordernis der kognitiven Einstellung des Auskunftgebers zur Verwendung seiner Auskunft nicht deutlich ausgesprochen. Hier ist bedingter Schädigungsvorsatz erforderlich. Danach muß der Auskunftgeber mit der Weitergabe der Auskunft an den Dritten und dessen Schädigung rechnen. Das bedeutet, daß er es nicht genau zu wissen braucht, womit die Anforderungen etwas geringer sind. Bei der Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist nur erforderlich, daß der Auskunftgeber mit der Drittverwendung der Auskunft rechnen mußte, es reicht also die fahrlässige Unkenntnis schon aus. Damit sind die Voraussetzungen der Haftung bei dieser Konstruktion arn geringsten. Da sie erst in neuerer Zeit auf diese Fälle angewandt worden ist, kann von einer Haftungsverschärfung gesprochen werden. Es scheint so zu sein, daß man leichter Schutzwirkungen aus einem zweifellos bestehenden Vertrag ableitet und eher davon absieht, einen ganz neuen Vertrag (den stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag mit dem Dritten) zu konstruieren oder das Urteil der Sittenwidrigkeit und vorsätzlichen Schädigung auszusprechen. So kommt es fast unmerklich zu Haftungsverschärfungen, deren man sich aber bewußt werden sollte, um die Rechtsanwendung steuern zu können.
E. Fallgruppe 5: Bürgerlichrechtliche Prospekthaftung Die bürgerlichrechtliche oder zivilistische Prospekthaftung betrifft Fälle der Kapitalanlegerwerbung unter Verwendung von Prospekten außerhalb der Anwendungsbereiche der in §§ 45, 46 BörsG, § 12 AusllnvG und § 20 KAGG gesetzlich geregelten Fälle einer Prospekthaftung. Diese Normen greifen in den zugrundeliegenden Fallkonstellationen nicht ein, weil kein Börsenhandel
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mit Prospektpflicht vorliegt und die besonderen Voraussetzungen von § 12 AusllnvG und§ 20 KAGG nicht erfüllt sind.2oo Das neue Wertpapierverkaufsprospektgesetz20 1 könnte eine rechtliche Regelung für diese Fallgruppe enthalten, da es eventuell für die Geschäftsanteilsscbeine einer GmbH oder KG gelten könnte und diese Gesellschaften häufig als Rechtsformen von Abschreibungsgesellschaften vorkommen, die das Hauptanwendungsgebiet der zivilistischen Prospekthaftung bilden. Jedoch bezieht sich das Gesetz in seinem§ 1 nur auf Wertpapiere. Diese Anteilsscheine unterfallen dem Wertpapierbegriff auch in seiner weitesten Definition unstreitig nicht. 202 Damit ist die Haftungsnorm des Gesetzes in seinem § 13, der auf die §§ 45 - 48 BörsG verweist, auf die Fälle der zivilistischen Prospekthaftungnicht anwendbar. 203 Auch eine analoge Anwendung des Wertpapierverkaufsprospektgesetzes wird abgelehnt, weil dadurch wegen des verschärften Verschuldeosmaßstabes des § 45 I BörsG, der grobe Fahrlässigkeit verlange, der Anlegerschutz gegenüber der zivilistischen Prospekthaftung unbillig eingeschränkt werde. 204 Darüberhinaus spricht nach dieser Ansicht gegen eine analoge Anwendung der Prospekthaftungsnormen aus dem Wertpapierverkaufsprospektgesetz auch die Tatsache, daß in diesem Gesetz auf die §§ 45 - 48 BörsG verwiesen wird. Weil schon die unmittelbare Analogie zu den Prospekthaftungsnormen des Börsengesetzes allgemein abgelehnt werde205 , soll das nach dieser Ansicht auch für eine mittelbare Analogie über das Wertpapierverkaufsprospektgesetz gelten. 206 200 Crezelius, BB
1985, 209, 212 mit weiteren Nachweisen; Wiegand, S. 289.
201 Gesetz aber WertpapierverkaufSprospekte und zur Änderung von Vorschriften über Wertpapiere
vom 13.12.1990, BGBl I, S. 2749. 202 soSchdfor,ZIP
1991,1557,1558.
203 So auchMaller-Boruttau, JA 1992, 225, 233. 204 Maller-Boruttau, JA
1992, 225, 233 f.
205 Vgl. zur Ablehnung
der analogen Anwendung der Haftungmorrnen des Börsengesetzes: Assmann, S. 251; Assmann, WM 1983, 138, 143: der Analogie bedürfe es auf Grund der Ausdehnung quasi-kontraktlieber Verpflichtungsgründe wohl kaum mehr; v. Bar, ZGR 1983, 476, 502; ausfUhrlieh Hartmann, S. 96- 98; Lutter, FS Barmann 1975, S. 605, 628 f.; SoergeVWittmann, Vor§ 275 Rn. 338, der die Analogie als naheliegend bezeichnet, letztlich Oberwiegen bei ilun die Bedenken; nicht Oberzeugt von einer solchen Analogie auch Pleyer/Hegel, ZIP 1986, 681, 684; da.fllr nur Coing, WM 1980, 206, 211 f. und eingeschränkt neben einer Haftung aus c. i. c. Canaris, Bankvertragsrecht (1981), Rn. 2294; ausdrücklich gegen Coing: BGH Urt. v. 6.10.1980, li ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 340 unten, auf S. 342 wird festgestellt, daß mit der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung eine weitgehende Übereinstimmung mit der gesetzlich geregelten Prospekthaftung hinsichtlich des verpflichteten Personenkreises erreicht sei; ebenso im Anschluß daran BGH Urt. v. 4.5.1981, II ZR 193/80, WM 1981, 1021, 1022. 206 Maller-Boruttau, JA 1992, 225, 234.
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3. Kapitel DarsteUung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Die Vertriebsmethoden entsprechen in diesen Fällen dem Informationsbedürfnis der Anleger weithin nicht. 2°7 Da diese wenig Einflußmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft haben, an der sie sich beteiligen, ist die vorherige Information über die Anlagemöglichkeit und ihre Risiken für sie von umso größerer Bedeutung.208 Diesem Informationsbedürfnis werden die "teils unrichtigen teils unvollstandigen" Prospekte sowie die "sogenannten Anlageberatef', die ,,Eigeninteresse und Beratung miteinander vermischen", oft nicht gerecht. 209 Infolgedessen fragt es sich dann, auf welcher Rechtsgrundlage ein durch einen falschen Prospekt getäuschter Anleger einen Schaden geltend machen kann. Im Fall einer vorsätzlichen Täuschung des Anlegers durch falsche Angaben in einem Prospekt kann darin allerdings ein Kapitalanlagebetrug gemäß § 264a StGB210 liegen, der ein Schutzgesetz ist,2 11 so daß gegen den Täuschenden ein Schadensersatzanspruch nach § 823 II BGB i. V. m. § 264a StGB bestehen kann. Die Anwendbarkeit des § 264a StGB auf Bauherrenmodelle istjedoch zweüelhaft (zu B3uherrenmodellen unten ll. 2.).212
L Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
Unter dem Oberbegriff Prospekthaftung werden zum Teil recht unterschiedliche Fallgestaltungen zusammengefaßt. Hier sollen aber nur die Sachverhalte behandelt werden, in denen die Verwendung eines Prospekts als Auskunftsmittel für die Haftung nach der Rechtsprechung eine entscheidende Rolle spielt, so daß geradezu von einer Rechtsfigur der Prospekthaftung gesprochen werden kann. Auszuscheiden sind daher die Vermittler- oder Vertriebsfälle, in denen also eine Person oder ein Unternehmen Kapitalanlagen (insbesondere Beteiligungen an Publikumskommanditgesellschaften, wofür die Prospekthaftung ursprünglich entwickelt wurde) unter Verwendung eines Prospekts vertreibt oder vermittelt. Denn in diesen Fällen wendet der BGH nicht die von ihm 207 Assmann, S. 76. 208 Assmann, S. 76. 209 Assmann, S. 76.
210 Eingefilbrt durch das Zweite Gesetz zur Beklmpfung der WirtschaftskriminaliW vom
15.5.1986.
211 BGH Urt. v. 21.10.1991, II ZR 204/90, BGHZ 116, 7, 13 f.
212 Vgl. dazu Dreher!TrlJndle, StGB, § 264a Rn. 5.
§ 6 Recbtsprechung
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entwickelte Prospekthaftung, sondern die oben schon beschriebene Sachwalterhaftung oder die Eigenhaftung des Vertreters aus culpa in contrahendo an. 213 In diesen Fällen kommt es fiir die Haftung nicht auf den Prospekt an,
sondern sie kann unabhängig davon gegeben sein, die Werbemethode ist fiir die Haftung nicht ausschlaggebend. 214 Dies ist daher keine Prospekthaftung.215 Die eben bereits erwähnte Sachwalterhaftung aus culpa in contrahendo ist fiir eine Haftung in den Fällen der sogenannten Prospekthaftung im weiteren Sinn, 216 wobei es sich nicht um Vermittlerfälle auch die Anspruchsgrundlage
handelt.217 Hier liegt also auch keine wirkliche Prospekthaftung vor,218 diese daneben bestehen. 219 Infolgedessen werden auch diese Fälle hier nicht näher behandelt, was diese Seite der Haftung angeht.
kann
213 Vgl. die FAlle BGH Urt. v. 22.3.1979, Vll ZR 259m, BGHZ 74, 103, 108 (mit Ausfllhrungen zur Prospekthaftung aufS. 109, wobei hier die Haftung gerade nicht auftypisiertes Vertrauen, sondern auf einen zusAtzlieben Vertrauenstatbestand gestOtzt wird); BGH Urt. v. 27.6.1984, IVa ZR 231/82, WM 1984, 1075, 1076; in beiden Entscheidungen wurde auch eine Haftung aus einem Auskunftsvertrag bejaht; BGH Urt. v. 9.10.1989, II ZR 257/88, WM 1990, 145, insbesondere 148; BGH Urt. v. 25.11.1981, IVa ZR 286/80, NJW 1982, 1095; unter Hinweis aufBGHZ 74, 103: OLG Karlsruhe Urt. v. 9.2.1989, 9 U 183/87, MDR 1990, 819. Auf die wirklichen Anspruchsgrundlagen in den FAllen der sog. Prospekthaftung im weiteren Sinne weist Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299, 301 Fn. 9, hin; ilhnlich Grannemann, S. 56, der diese FAlle ebenfalls aus der Betrachtung ausscheidet. Vgl. insbesondere zur Abgrenzung dieser FAlle von der Prospektbaftung: BGH Urt. v. 4.5.1981, II ZR 193/80, WM 1981, 1021, 1022. Nach Grannemann, S. 56, deutete sich die Abgrenzung der auf typisiertes Vertrauen gestOtzten Haftung (= Prospektbaftung) und der auf persönliches Vertrauen gegrilndeten Haftung bereits an in BGH Urt. v. 10.4.1978, II ZR 103n6, WM 1978, 611, worin es auch um die Haftung eines Anlagevermittlers ging.
214 Wiegand, S. 290, die mit diesem Argument diese FAlle ebenfalls aus der Prospekthaftung ausscheidet 215 So Roller, S. 21. 216 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299,301 Fn. 9; Wittmann, FS Baumgirtel, S. 637, 642. 217 Auf diesen Bereich schrinkt Grannemann diese Haftungsgrundlage zu Unrecht ein. Siebe dagegen aber die Entscheidungen BGH Urt. v. 21.5.1984, II ZR 83/84, WM 1984, 889, 890; BGH Urt. v. 14.1.1985, II ZR 124182, WM 1985, 534, 534 f.; BGH Urt. v. 17.2.1986, II ZR 238/84, WM 1986, 583, 583; in ihnen wurde die Haftung auf Grund persönlichen Vertrauens bei anderen als VermittlerflUlen erörtert Die bei Assmann, a. a. 0., S. 301 Fn. 9 noch angefilhrte Entscheidung BGH Urt. v. 1.10.1984, II ZR 158/84, WM 1984, 1529, paßt hier nicht, weil der Schwerpunkt der Begrilndung dort auf der Stellung des Beklagten als Vertragspartner der zu werbenden Kommanditisten als Gründungskommanditist lag; mit gleicher Begrilndung wurde die Haftung bejaht in BGH Urt. v. 30.3.1987, II ZR 163/86, NJW 1987, 2677 = WM 1987, 811 (dazu nAher Wiegand, S. 295), ebenso BGH Urt. v. 24.5.1982, II ZR 124/81, BGHZ 84, 141, 143, Haftung einer Treuhandkommanditistin (dazu v. Bar, ZGR 1983, 476, 491 - 493). 218 Roller, S. 21 f. 219 BGH Urt. v. 17.2.1986, II ZR 238/84, WM 1986, 583, 584; OLG Koblenz Urt. v. 10.12.1987, 5 U 502/87, AnwBI1989, 119; Roller, S. 22.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
R Anwendungsfälle der Prospekthaftung
Die Darstellung konzentriert sich also auf die Prospekthaftung im engeren Sinne, bei der es entscheidend auf den Prospekt ankommt. Sie wurde zunächst an der Publikumskommanditgesellschaft entwickelt und in neuerer Zeit auch auf Bauherrenmodelle erstreckt.
1. Prospekthaftung bei der Publikumskommanditgesellschaft
Diese Gesellschaft ist häufig als GmbH & Co. KG aufgebaut220 mit einer Komplementär-GmbH und den Anlegern als Kommanditisten, welche oft eine große Anzahl erreichen. Gesellschaftsrechtlich schließt der Anleger also mit den übrigen Anlegern als Kommanditisten und der GmbH einen Gesellschaftsvertrag ab. 22 1 Bei einer vorvertragliehen Täuschung durch einen unrichtigen Prospekt hätten daher die Kommanditisten, die zu der Zeit der Gesellschaft schon angehörten, dem getäuschten Anleger aus Verschulden bei Vertragsschluß zu haften, und zwar in entsprechender Anwendung von § 278 BGB222 auch fiir die Handlungen der Komplementär-GmbH, durch die sie meist bei der Anwerbung neuer Anleger vertreten werden. Der BGH hat diese Haftung allerdings schon in dem Urteil vom 14.12.1972 abgelehnt,223 weil die Kommanditisten in einer Publikumskommanditgesellschaft auf Grund ihrer meist hohen Zahl (im konkreten Fall etwa 500) und der Gestaltung des Gesellschaftsvertrages, insbesondere der übermächtigen Stellung der auch bei der Werbung weiterer Kommanditisten allein nach außen in Erscheinung tretenden Komplementär-GmbH, nicht in der Lage seien, auf die Beitrittsverhandlungen rechtlich oder tatsächlich Einfluß zu nehmen. Daher werde ihnen von den weiteren Anlegern kein Verhandlungsvertrauen entgegengebracht. Aufgrunddessen bestehe fiir eine Haftung der Kommanditisten aus Verhandlungsverschulden kein Grund. An dieser Ansicht hält der BGH auch in einem neueren Urteil fest. 224 Scheiden die Kommanditisten als Schuldner eines Schadensersatzanspruchs aus, so richtet sich die Haftung gegen den Vertreter, hier also die Komple220 Roller, S. 26 mit weiteren Nachweisen; H artmann, S. 1. 221 So auchHartmann, S. 23. 222 BGH Urt. v. 14.12.1972, II ZR 82nO, NJW 1973, 1604, 1605.
223 BGH Urt. v. 14.12.1972, II ZR 82170, NJW 1973, 1604, 1605. 224 BGH Urt. v. 20.1.1992, II ZR 90/91, ZIP 1992, 322, 323: ausdrilcklich im Anschluß an das Urteil vom 14.12.1972.
§6
Rechtsprechung
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mentar-GmbH. Es soll hier also die Vertretereigenhaftung aus culpa in contrahendo eingreifen, die bereits oben in Fallgruppe 3 erwähnt wurde. Allerdings ist damit noch nicht viel gewonnen, da die Komplementar-GmbH meist wenig solvent ist. 225 In der ersten226 Entscheidung zur Prospekthaftung hat der BGH die Eigenhaftung des Vertreters aus Verschulden bei Vertragsschluß auch auf den Vertreter des Vertreters und damit auf die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und darüberhinaus auf die Initiatoren, Gestalter und Gründer der Publikumskommanditgesellschaft, die das Management bilden oder beherrschen, ausgeweitet, wenn die Prospekte mit ihrer aktiven oder duldenden Mitwirkung formuliert und in Verkehr gebracht werden. 227 Später wurden in die Haftung weiter einbezogen die Personen, die hinter der KomplementarGmbH und der Publikumskommanditgesellschaft stehen und neben der Geschäftsleitung besonderen Einfluß in der Gesellschaft ausüben und deshalb Mitverantwortung tragen. 228 Allgemein formuliert haften diejenigen wegen falscher oder unvollständiger Prospektangaben, die für die Geschicke der Gesellschaft und damit für die Herausgabe des Prospekts verantwortlich sind. 229 Das gilt auch dann, wenn ihre Bedeutung und ihr Einfluß nicht nach außen in Erscheinung treten, weder im Prospekt noch auf sonstige Weise. 230 Die Haftung ergibt sich aus der Inanspruchnahme typisierten Vertrauens.231 Dieses Vertrauen leitet sich aus einer Garantenstellung her, die kraft Amtes oder Berufs entsteht oder auf einer besonderen Fachkunde oder einer allgemein anerkannten und hervorgehobenen beruflichen und wirtschaftlichen Stellung beruht. 232 Es ersetzt das bei der Sachwalterhaftung oder der Vertretereigenhaftung aus Verschulden bei Vertragsschluß sonst erforderliche persönliche Vertrauen. 225 v. Bar, ZGR 1983, 476, 482 und 484, deutet das an. 226
v. Bar, ZGR 1983, 476, 481.
BGH Urt. v. 24.4.1978, II ZR 172/76, BGHZ 71, 284, 287 f.; siehe dazu v. Bar, ZGR 1983, 476,481 f. 228 BGH Urt. v. 16.11.1978, II ZR 94177, BGHZ 72, 382 (Leitsatz), 386 f.; BGH Urt. v. 6.10.1980, II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 342. 229 BGH Urt. v. 22.3.1982, II ZR 114/81, BGHZ 83, 222, 224 und zusanunenfassend BGH Urt. v. 26.9.1991, VII ZR 376/89, NJW 1992, 228, 229 und BGH Urt. v. 31.3.1992, XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 906. 230 BGH Urt. v. 16.11.1978, II ZR 94177, BGHZ 72, 382, 387; BGH Urt. v. 6.10.1980, II ZR 60/80, BGHZ 79,337, 342; BGH Urt. v. 22.3.1982, IIZR 114/81, BGHZ 83,222,224. 231 BGH Urt. v. 21.5.1984, II ZR 83/84, WM 1984,889, 889; OLG Koblenz Urt. v. 10.12.1987, 5 U 502/87, AnwBI1989, 119, 119. 232 BGH Urt. v. 6.10.1980, II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 341; BGH Urt. v. 22.3.1982, II ZR 114/81, BGHZ 83, 222, 224. 227
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Weiter haften für falsche oder unvollständige Prospektangaben Personen, die nicht zu den Gründern, Initiatoren oder Gestaltern gehören und auch nicht daneben besonderen Einfluß ausüben und Mitverantwortung tragen. Das ist dann der Fall, wenn sie eine Garantenstellung einnehmen, die im wesentlichen der oben beschriebenen entspricht, und wenn sie darüberhinaus durch ihr nach außen namentlich233 in Erscheinung tretendes Mitwirken an der Prospektgestaltung und die Abgabe von Erklärungen einen besonderen zusätzlichen Vertrauenstatbestand schaffen. 234 Die Garantenstellung kann hier auch darauf beruhen, daß diese Personen berufsmäßige Sachkenner sind. 235 Danach sind hier vor allem Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer gemeint.236 Ein derartiger berufsmäßiger Sachkenner haftet für die Richtigkeit der Prospektangaben nur, "soweit sie sich auf ihn beziehen und ihm demgemäß zuzurechnen sind."237 Hier reicht es aus, wenn eine gutachtliche Äußerung dieser Personen im Prospekt abgedruckt ist. 238 In einem neuerenUrteil hat der BGH die Haftung dieser Personen nun unter erleichterten Voraussetzungen angenommen.239 Danach ist es ausreichend, wenn im Prospekt auf die Tätigkeit einer solchen Person auch ohne Namensnennung hingewiesen wird und die Anleger den Namen erfahren und ein von von ihr erstelltes Gutachten auf Anforderung erhalten können. Nur der Beruf, hier ein Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, muß im Prospekt angegeben sein, weil sich darauf das Vertrauen der Anleger richtet. (Vgl. dazu ausführlicher unten 2.). Damit war die Prospekthaftung von der Rechtsprechung entwickelt. Sie bezog sich zunächst nur auf die Prospekthaftung bei Publikumskommanditgesellschaften.
233 BGH Urt. v. 14.4.1986, II ZR 123/85, WM 1986, 904, 906. 234 BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209n9, BGHZ 77, 172, 176; BGH Urt. v. 6.10.1980, II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 341; BGH Urt. v. 21.11.1983, li ZR 27/83, NJW 1984, 865, 866. 235 BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209n9, BGHZ 77, 172, 177. 236 BGH Urt. v. 22.5.1980, li ZR 209n9, BGHZ 77, 172, 177. 237 BGH Urt. v. 21.11.1983, II ZR 27/83, NJW 1984, 865, 866,linke Spalte, unter 2. a) am Ende. 238 BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209n9, BGHZ 77, 172 tf. 239 BGHUrt. v. 3l.S.1990, VII ZR340/88, BGHZ 1ll, 314, insbesondere 320; ahnlieh auch BGH Urt. v. 16.6.1992, XI ZR 166/91, WM 1992, 1269, 1270, wo allerdings offengelassen wird, ob eine Prospekthaftung aus Garantenstellung vorliegt, aber die Haftung einer Bank daraus abgeleitet wird, daß sie im Prospekt gesondert als ,,Referenz" genannt war.
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2. Prospekthaftung bei Bauherrenmodellen
Später erweiterte die Rechtsprechung den sachlichen Anwendungsbereich der eben dargestellten Haftungsgrundsätze auf Ansprüche geschädigter Teilhaber an Bauherrenmodellen. Ob die Grundsätze hier anwendbar waren, wurde vom BGH zunächst offengelassen,240 während das OLG Celle das später bejahte, aber zugleich eine Haftung "allgemein aus Verschulden bei Vertragsschluß (sog. "culpa in contrahendo")" annahm. 241 An Haftungsvoraussetzungen wurden hier aber ausschließlich diejenigen der Prospekthaftung untersucht. In dem Urteil vom 31.5.1990 hat auch der BGH erstmals die Prospekthaftung bei einem Bauherrenmodell angewandt242 und diese Rechtsprechung später fortgeführt. 243 Auf Grund des Urteils vom 31.5.1990 haftete daher zunächst der Geschaftsfiihrer und Mehrheitsgesellschafter einer GmbH, die Beteiligungen an Bauherrenmodellen, die sie selbst initiierte, auf den Markt brachte. Er gehörte damit zu den das Management bildenden Initiatoren, die schon in dem Urteil des BGH vom 24.4.1978244 als haftpflichtig angesehen wurden. Daneben haftete hier auch ein Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, der den Prospekt geprüft und einen Bericht darüber verfaßt hatte, auf den in dem Prospekt, aber ohne Namensnennung, hingewiesen wurde. Der BGH rückte hier von dem früher245 aufgestellten Erfordernis der namentlichen Nennung derjenigen Personen ab, die nicht das Management bilden oder sonst maßgebenden Einfluß ausüben. 246 Er ließ es hier genügen, daß jeder Anleger den Namen erfahren konnte, wenn er, was im Prospekt angeboten wurde, den Prüfungsbericht des Wirtschaftsprüfers bei der GmbH anforderte. Der BGH 240 BGH Urt. v. 27.10.1983, VII ZR 12/82, NJW 1984,863, 864. 241 OLG Celle, Urt. v. 25.7.1985, 14 U :.!23/84, NJW 1986,260,260, danebensollte hiereine Haftung auf Grund der Verletzung einer Nebenpflicht zu richtiger und vollstandiger Unterrichtung aus einem Treuhandvertrag vorliegm Nur auf diese Rechtsgrundlage sUltzt sich auch das Urteil des OLG Köln vom 22.5.1981, 20 U 107/80, WM 1982,23,24. Deshalb ist die Berufung des BGH im Urteil vom 31.5.1990 auf diese Entscheidung nicht recht überzeugend. 242 BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111, 314, 317 f.; ebenso BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 341/88, WM 1990, 1658, 1658 f. zum gleichen Sachverhalt wie das Urteil VII ZR 340/88, nur mit anderer Kllgerin. 243 BGH Urt. v. 25.10.1990, VII ZR 284/88, WM 1991, 13 (das Urteil sUltzt sich allerdings tragend auf Verschulden bei Vertragsverhandlungen, die Prospekthaftung wird herangezogen, um die Unrichtigkeit des Urteils des Berufungsgerichts festzustellen); BGH Urt. v. 26.9.1991, VII ZR 376/89, NJW 1992, 228. 244 BGH Urt. v. 24.4.1978,11 ZR 172176, BGHZ 71,284. 245 1n BGH Urt. v. 14.4.1986,11 ZR 123/85, WM 1986, 904, 906. 246 BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111,314,320.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
begründete diese Haftungserweiterung damit, daß der Wirtschaftsprüfer durch die Hervorhebung der von ihm durchgeführten Prüfung im Prospekt zum Vertrauensträger werde und er um besonderes Vertrauen werbe, auf Grund dessen Anleger zum Beitritt zur Bauherrengemeinschaft bewogen werden sollten. Damit macht also eine besonders nachdrückliche Herausstellung im Prospekt die Nennung des Namens entbehrlich. Dem Urteil vom 26.9.199llag ein Projekt zugrunde, das nach der Formulierung des BGH Elemente der reinen Kapitalbeteiligung und des Bauherrenmodells vereinigte. 247 Hier waren die Anleger stille Gesellschafter einer Hotelbetriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung und Gesellschafter einer Baugemeinschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Daran zeigt sich die Nähe zwischen den beiden Anwendungsbereichen der Prospekthaftung, weswegen sich eine gleichmäßige Anwendung der Prospekthaftungsgrundsätze empfiehlt. In Haftung genommen wurde hier ein Steuerberater, der zum einen Mehrheitsgesellschafter einer GmbH war, die als Initiatorin des Bauherrenmodells fungierte. Darüberhinaus war er Geschäftsführer und Gesellschafter einer Steuerberatungsgesellschaft (einer GmbH), der die steuerliche Beratung hinsichtlich des Projekts oblag. Hierbei wurde der Beklagte jeweils selbst tätig. Da er allerdings rechtlich nicht zur Geschäftsfuhrung der Initiatorin oder der Baugemeinschaft zählte, war er sogenannter Hintermann der Baugemeinschaft, der neben der rechtlichen Geschäftsfuhrung besonderen Einfluß ausübt und Mitverantwortung trägt. Man erkennt, daß die von der Publikumskommanditgesellschaft her bekannten typischen Konstellationen auch beim Bauherrenmodell, bzw. einer Mischform mit reiner Kapitalbeteiligung, auftauchen, so daß die Unterschiede zwischen den beiden Anwendungsfällen der Prospekthaftung gering sind.
m Sachkriterien der Prospekthaftung und ihr Bezug zur übrigen Auskunftshaftung Nachdem die Anwendungsfälle der Prospekthaftung - vor allem hinsichtlich der haftenden Personen - beschrieben worden sind, sollen im folgenden die Sachkriterien, die bei der Annahme der Prospekthaftung maßgeblich sind, näher untersucht werden. Die Aussagen in der Rechtsprechung sind in dieser Fallgruppe nicht sehr bestimmt.
247 BGH Urt. v. 26.9.1991, VII ZR 376/89, NJW 1992,228,229.
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1. Angewiesenheilssituation Zur Begründung der Prospekthaftung als Rechtsinstitut dient - besonders bei der Übertragung ihrer Grundsätze auf Bauherrenmodelle - die Feststellung, daß der Prospekt "oftmals die einzige, jedenfalls wichtigste Informationsquelle" für den Anleger sei, mit der er die Anlage beurteilen und das Risiko abschätzen könne.248 Damit betont das Gericht die Angewiesenheitssituation, die in dieser Arbeit oben§ 5 A. I. bereits dargestellt wurde. Sie wird als Rechtfertigung249 der Haftung für die Richtigkeit des Prospekts herangezogen. Damit finden sich hier einmal offen die hinter den Urteilen stehenden sozialen und wirtschaftlichen Erwägungen, die zu der Annahme der Haftung führen, die sogenannten "policy"-Überlegungen. 250 Eine weitere Begründung liegt in der Feststellung, daß der Prospekt die Grundlage für einen wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risiken verbundenen Beteiligungsentschluß sei. 25 1 Damit ist die Prospekthaftung der Haftung für andere Auskünfte nahe, insbesondere bei der vertraglichen Haftung, für die es auch darauf ankam, daß die Auskunft die Entscheidungsgrundlage für wirtschaftlich bedeutsame Maßnahmen und Entschlüsse des Empfängers der Auskunft bildete. Der Unterschied ist aber, daß diese Eigenschaft des Prospekts nicht im Einzelfall untersucht wird. Sie wird als immer vorhandene Beschaffenheit aller Prospekte vorausgesetzt. Darin zeigt sich die Begrenzung der Figur der Prospekthaftung auf den oben beschriebenen Bereich der Publikumskommanditgesellschaften und Bauherrenmodelle, in dem die Sachverhalte in den wesentlichen Punkten zumeist gleich liegen und eine besondere Begründung sich daher erübrigt. Trotzdem besteht eine Rückbindung an den weiteren Anwendungsbereich der allgemeinen Auskunftshaftung gegenüber Dritten.
248 BGH Urt. v. 26.9.1991, VII ZR 376/89, NJW 1992,228, 229; BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111,314, 317; BGH Urt. v. 6.10.1980, II ZR 60/80, BGHZ 79,337, 344; BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209n9, BGHZ 77, 172, 176; zur Angewiesenheitssituation sachlich ebenso BGH Urt. v. 17.6.1991,11 ZR 121/90, WM 1991, 1543, 1543.
249 BGH Urt. v. 26.9.1991, VII ZR 376/89, NJW 1992, 228, 229. 250 Assmann, S. 227; v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 456; Heesch, S. 161.
251 BGH Urt. v. 6.10.1980, 11 ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 344; BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209179, BGHZ 77, 172,176.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
2. Haftung berujsmaßiger Sachkenner Diese Verbindung zur Haftung aus einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag zeigt sich bei der Prospekthaftung derjenigen Personen, die keinen Einfluß auf die Geschäftsleitung der Anlagegesellschaft bei der Publikumskommanditgesellschaft oder der Initiatorin des Bauherrenmodells haben, aber im Prospekt gutachterliehe Erklärungen abgeben, wobei es sich zumeist um Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer handelt. Die Parallele besteht zu Sachverhalten der Fallgruppe 4, bei denen im Einzelfall Auskünfte des Experten an Dritte gelangen. Jene müssen sich bei der Haftung aus einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag der Weitergabe bewußt sein, was bei der Mitarbeit an einem Prospekt natürlich2 52 der Fall ist. Deshalb wurde auch vorgeschlagen, diese vertragliche Haftung (oder mit den gleichen sachlichen Voraussetzungen die Vertrauenshaftung) auf diese Prospektfälle anzuwenden, zumal die Äußerung im Prospekt dem Anleger auch als Entscheidungsgrundlage in bedeutenden Fragen diene. 253 Hierin drückt sich die Verbindung mit den übrigen Fällen der Auskunftshaftung aus. Die Rechtsprechung ist diesen Weg nicht gegangen. Der Grund liegt vermutlich darin, daß die Gemeinsamkeit mit den Initiatoren der Anlageprojekte, nämlich der herausgegebene Prospekt, die Rechtsprechung veranlaßte, die gleiche Haftungsgrundlage zu wählen wie bei den maßgeblich hinter dem Vorhaben Stehenden. Man könnte fast sagen, daß die einmal entwickelte Haftungsgrundlage der Prospekthaftung eine gewisse Eigendynamik entwickelte und so auch die neben dem Anlageprojekt stehenden Experten in die Haftung auf dieser Grundlage hineinzog.
3. Vertrauen, eigenes wirtschaftliches Interesse und Durchgriffshaftung Der tragende Gesichtspunkt der Haftungsbegründung des BGH in den Prospekthaftungsfällen ist das Vertrauen des Anlegers.254 Weil die Prospekthaftung aus der Vertretereigenhaftung und der Sachwalterhaftung aus culpa in contrahendo entwickelt wurde und dort eine der beiden Alternativen für die Anwendung dieser Rechtsfiguren die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens ist, mußte dieser Gesichtspunkt auch hier bedeutsam sein.
252 Nirk, FS Hefennehl1976, S. 189, 198. 253 Nirk, FS Hefenneh11976, S. 189, 198 f. 254 Coing, WM 1980, 206, 211 (unter 3.).
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Von dem zweifellos auch immer vorhandenen eigenen wirtschaftlichen Interesse der Initiatoren ist allerdings in der Rechtsprechung nicht die Rede. Wie oben schon dargestellt, entwickelte sich die Prospekthaftung auch in einer Suche nach solventen Schuldnern. Diese fanden sich in den hinter der Publikumskommanditgesellschaft und der Komplementär-GmbH stehenden natürlichen Personen. Diese Gesellschaften selbst haben aber auch eigenes wirtschaftliches Interesse am Beitritt des Anlegers. Wenn auf das Argument des eigenen wirtschaftlichen Interesses abgestellt wird, kann zwar die Vertretereigenhaftung der Gesellschaften begründet werden. Es fragt sich dann aber, ob dieses Argument auch noch die zweite Stufe der Haftungsausdehnung, nämlich die Inanspruchnahme der hinter der Gesellschaft stehenden natürlichen Personen, also der Initiatoren, begründen kann, um solvente Schuldner zu erhalten. Wäre das möglich, gäbe es keine logische Begründung dafür, die Reihe von immer weiteren Ausdehnungen der Haftung an einer Stelle zu unterbrechen, solange bei einem potentiellen Schuldner eigenes wirtschaftliches Interesse vorliegt. Es wäre dann so, daß jeder, der eigenes wirtschaftliches Interesse hat, haften müßte. Mit dieser Begründung käme man argumentativ einer Durchgriffshaftung der Geschäftsführer und Gesellschafter durch die GmbH hindurch nahe, denn es würde deutlich, daß das eigene wirtschaftliche Interesse auch schon bei der GmbH selbst vorhanden ist, nicht nur bei den hinter ihr stehenden natürlichen Personen. 2SS Mit dem Beschluß des BGH vom 1.3.19932 S6 zeichnet sich darüberhinaus ein Abrücken von der Begründung der Haftung des GmbH-Geschäftsführers aus dem Vorliegen besonderen eigenen wirtschaftlichen Interesses ab. Dieser Beschluß betriffi: zwar nur die Konstellation, daß der Geschäftsführer zur Absicherung von Gesellschaftsverbindlichkeiten persönliche Bürgschaften oder dingliche Sicherheiten zur Verfügung gestellt hat. Doch ist die Tendenz des II. Zivilsenats, der auch die Prospekthaftung entwickelt hat, deutlich, die Haftung 255 Den Gesichtspunkt der DurchgrißShaftung behandelt Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299 - 316, besonders S. 308, 311 f. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Prospekthaftung ,,mit dem Makel des Verdachts des verdeckten Durchgriffs behaftet" sei, S. 31S. Er stellt auch fest, daß der BGH ,jeglichen Durchgriffsjargon" vennieden habe, S. 302. Offenbar gerade wegen der von der DurchgrifiShaftung entfernten Äußerungen des BGH lehnt v. Bar die Möglichkeit, es könne hier eine Durchgriffshaftung vorliegen, ab: JuS 1982, 637, 640. Anders aber v. Bar, ZGR 1983, 476, 483 f., wo er feststellt, "daß in der Prospekthaftung mindestens bei funktionaler Betrachtung das Ideengut der Durchgriffshaftung wirkt, ..." (S. 483). Nach Ansicht von Hartmann, S. 34, ,)iegt zumindest aus der Sicht der Haftpflichtigen ein 'Durchgrifi' [Anftlhrungszeichen im Original] vor." Diese Art des Durchgriffs wird von ilun als dem Charakter der juristischen Person widersprechend abgelehnt (S. 34 - 38). Der BGH äußerte sich zum Problem der Durchgriffshaftung in BGH Urt. v. 4.S.l981, II ZR 193/80, WM 1981, 1021 und lehnte unter diesem Gesichtspunkt die Übertragung der ProspekthaftungsgrundsAtze auf die Vennittlung von Warenterminoptionen ab. (Diese Entscheidung wird ausfilhrlich besprochen von v. Bar, ZGR 1983, 476, 483 f.). 256 BGH Beschl. v. 1.3.1993, II ZR 292191, ZIP 1993, 763 = GmbHR 1993, 420.
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aus c. i. c. wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses einzuschränken. So hat er etwa entschieden, daß eine Beteiligung des Geschäftsführers und Gesellschafters einer GmbH an der von ihm vertretenen Gesellschaft allein nicht ausreicht, um seine Haftung aus Verhandlungsverschulden wegen unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteresses zu begründen.257 In einem weiteren Urteil tritt er der in der Literatur verbreiteten Ablehnung der Haftung des Geschäftsführers aus Verhandlungsverschulden auf Grund wirtschaftlichen Eigeninteresses nicht ausdrücklich entgegen und lehnt eine Haftung ab, wenn das wirtschaftliche Interesse des Geschäftsführers nur aus einem Provisionsanspruch besteht. 258 Es wird erwartet, daß die c. i. c.-Vertreterhaftung wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses in Zukunft eventuell auf die Fallgruppe beschränkt wird, in der der Geschäftsführer gleichsam in eigener Sache handelt. 259 Auch diese neuere Entwicklung zeigt, daß das eigene wirtschaftliche Interesse zur Begründung der Prospekthaftung nicht herangezogen werden
kann.
4. Beeinflussung des Anlegers und Garantenstellung Das Anlegervertrauen soll den hinter der Komplementär-Gmbfl260 bzw. hinter der Kommanditgesellschaft261 stehenden Initiatoren, Gründern und Gesellschaftern gelten, weil die Komplementär-GmbH selbst ein abstraktes Gebilde sei, dessen interne Verhältnisse und finanzielle Leistungsfähigkeit die Anleger nicht kennen würden. 262 Mit dem Vertrauen verbunden ist das Kriterium der Beeinflussung des Entschlusses der Anleger. Jeder soll für die Fehler des Prospekts haften, der dadurch, daß er den Prospekt mit Wissen und Wollen in den Verkehr gebracht hat,263 den Entschluß des Anlegers durch von 257 BGH Urt. V. 1.7.1991, li ZR 180/90, GmbHR 1991,409. 258 BGH Urt. v. 16.3.1992, II ZR 152/91, ZIP 1992, 694, 695; nach seiner eigenen Einsch!tzung hat der Senat in dieser Entscheidung die Frage, ob sich eine persönliche Haftung des Vertreters mit dessen eigenem wirtschaftlichen Interesse am Vertragsschluß begrilnden läßt, ausdnlcldich offengelassen (so BGH Beschl. v. 1.3.1993, II ZR 292/91, ZIP 1993,763, 765). 259 Ulmer, ZIP 1993,769, 771; zustimmend zu Ulmerinder Beschränkung der VertretereigenhaftungMedicus, GmbHR 1993, 533, 536. 260 BGH Urt. v. 24.4.1978, II ZR 172/76, BGHZ 71, 284, 287; BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR
209n9, BGHZ 77,172,
176.
261 BGH Urt. v. 16.11.1978, li ZR 94n7, BGHZ 72, 382, 385 und 387. 262 BGH Urt. v. 16.11.1978, II ZR 94n7, BGHZ 72, 382, 385; BGH Urt. v. 24.4.1978, li ZR 172n6, BGHZ 71, 284, 287. 263 BGH Urt. v. 22.5.1980, II ZR 209n9, BGHZ 77, 172, 176; BGH Urt. v. 11.2.1980, II ZR 259n8, WM 1980, 825, 825.
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ihm in Anspruch genommenes und ihm entgegengebrachtes Vertrauen beeinfloßt hat. 264 Diesen seihen Personen soll auch das Vertrauen der Anleger gelten. Da es aber nicht im konkreten Fall jeweils vorliegen, sondern nur typischerweise bestehen muß, zeigt das Kriterium der Beeinflussung der Anleger den eigentlichen Anknüpfungspunkt der Haftung. Die Erwähnung des Vertrauens dient offenbar der Anknüpfung der Figur der Prospekthaftung an die Sachwalterhaftung aus culpa in contrahendo, von deren Voraussetzungen sich die Prospekthaftung durch die Einbeziehung eines immer weiteren Kreises von zur Haftung verpflichteten Personen, die nicht einmal mehr nach außen dem Anleger gegenüber in Erscheinung getreten zu sein brauchen, weit entfernt hat. Aktuelles Vertrauen muß nicht vorliegen, um die Prospekthaftung begründen zu können. Die Prospekthaftung gerät damit in die Nähe einer Einstandspflicht für die Beeinflussung des Anlegerentschlusses und dadurch verursachte Schäden. Zu einem solchen Haftungsverständnis paßt auch, daß die Rechtsprechung selbst als weiteres Haftungskriterium die Garantenstellung anführt, die auf Grund des Amtes oder Berufes entsteht oder auf einer besonderen Fachkunde oder beruflichen und wirtschaftlichen Stellung beruht und aus der das Vertrauen entstehen soll. 265 Diese Garantenstellung nimmt die Rechtsprechung auch bei den an der Herstellung des Prospekts mitwirkenden beruflichen Sachkennern wie Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern an,266 die allerdings nach außen in Erscheinung treten müssen. v. Bar hat diese Begründungen als "nahezu klassische deliktsrechtliche Gedankengänge" bezeichnet.267 Der Begriff Garantenstellung ist deliktsrechtlichen Ursprungs268 und findet sich in dem Bereich der Sachwalterhaftung oder der culpa in contrahendo sonst nicht. Er paßt daher nicht recht in die Begründung einer Haftung auf Grund dieser Rechtsfiguren.
264 BGH Urt. v. 26.9.1991, VII ZR376/89, NJW 1992,228, 229; BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111,314, 318; BGH Urt. v. 22.5.1980, ll ZR 209179, BGHZ 77, 172, 175.
265 BGH Urt. v. 22.3.1982, ll ZR 114/81, BGHZ 83, 222,223 f.; BGH Urt. v. 6.10.1980, ll ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 341.
266 BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111, 314 (Leitsatz 2), 320; BGH Urt. v. 21.11.1983, ll ZR 27/83, NJW 1984, 865, 866; BGH Urt. v. 22.5.1980, li ZR 209179, BGHZ 77, 172,177. 267 v. Bar, JuS 1982, 637, 640. 268 Jost, S. 206, er verweist auch auf straftechtliehe Bezüge; KtJndgen, S. 359 Fn. 35, lehnt den Begriff ab, weil er schon ftlr die Pflichtenbegründung bei der Haftung ftlr Unterlassen besetzt sei. 7 F. Müller
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
5. Berufliche Kompetenz und gesellschaftliche Rolle
Die aus dem Beruf entwickelte Garantenstellung erinnert an die Anknüpfung an die berufliche Kompetenz oder Vertrauensstellung, wenn die Haftung von Auskunftgebern, besonders Gutachtern, aus § 826 BGB begründet wird, wie sie oben bei der Fallgruppe 4 beschrieben wurde. Die Bezugnahme auf Fachkunde und berufliche Stellung verbindet die Prospekthaftung mit den anderen Fallgruppen und Haftungsbegründungen der Auskunftshaftung. Auch dort spielten diese Eigenschaften des Auskunftgebers fiir die Begründung seiner Haftung durchweg eine Rolle. Coing hat aus der Anknüpfung der Rechtsprechung an ein typischerweise bestehendes Vertrauen in die beruflichen Sachkenner gerade auf Grund ihrer Qualifikation gefolgert, daß hier in Wahrheit die Haftung auf einem Vertrauen in die gesellschaftliche Rolle als Fachmann beruhe, nicht auf dem Vertrauen zur Person selbst.269 Aus der Haftungsbegründung mit einer Garantenstellung, die erst nach dem Erscheinen von Coings Abhandlung aufgekommen ist, ergeben sich gewichtige Anhaltspunkte für eine solche Deutung. Verstärkt werden diese Anhaltspunkte neuerdings dadurch, daß der BGH jetzt auf die namentliche Nennung eines Wirtschaftsprüfers, der die Konzeption eines Bauherrenmodells und den zugehörigen Prospekt geprüft hat, im Prospekt verzichtet und trotzdem eine Haftung annimmt. 270 Hier beschränkt sich der BGH ganz auf die fachliche Qualifikation als Vertrauens- und damit Haftungsgrundlage und schließt mit den Worten: "Sein Name ist ohnedies fiir den Anlageinteressenten regelmäßig weniger wichtig als seine berufliche Qualifikation. "271 Damit verdeutlicht der BGH hinreichend, daß es auf ein Vertrauen in die Person des beruflichen Sachkenners bei der Haftung nicht ankommt. Überdies war in diesem Fall keine Äußerung des Wirtschaftsprüfers im Prospekt abgedruckt. Es wurde nur darauf hingewiesen, daß ein Wirtschaftsprüfer den Prospekt und den Bauherrenvertrag geprüft habe. Mithin gab es fiir die Anleger auch keine bestimmte Aussage, auf die sich ihr Vertrauen richten konnte. Nur die berufliche Stellung eines Wirtschaftsprüfers blieb als Anknüpfungspunkt übrig. Eine solch starke Verselbständigung der Berufsstellung zur Haftungsgrundlage kommt in den vergleichbaren Fällen der Fallgruppe 4 nicht vor. Hier ist auch die Annahme eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages
269 Coing, WM 1980, 206, 211. 270 BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111,314,320. 271 BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR340/88, BGHZ 111,314,320.
§ 7 Darstellung von LOsungsvorschUlgen aus der Lehre
99
wie von Nirk vorgeschlagen nicht mehr möglich, denn dazu wäre die Abgabe einer eigenen Erklärung des beruflichen Sachkenners im Prospekt notwendig. Im Bereich der Prospekthaftung sowohl der Initiatoren, Gründer usw. als auch der beruflichen Sachkenner spielen die berufliche Stellung und die Fachkunde eine wesentlich bedeutendere Rolle als in den übrigen Fallgruppen der Auskunftshaftung. Obwohl bei den Haftungskriterien die aufgezeigten Verbindungen zu den übrigen Auskunftsfällen bestehen, hat sich die Prospekthaftung am weitesten von allgemeinen Haftungsgrundlagen entfernt und kann so als Sonderrecht für den Vertrieb bestimmter Kapitalanlageformen betrachtet werden. 272
Daraus ergibt sich, daß die Ansätze der Prospekthaftung nicht verallgemeinerungsfähig sind.
F. Zusammenfassung zur Rechtsprechung in Auskunftsflillen Die Darstellung hat gezeigt, daß gewisse Sachkriterien bei der Haftung trotz unterschiedlicher dogmatischer Haftungsgrundlagen immer wieder auftreten. Diese sind die berufliche Stellung des Auskunftgebers und die damit verbundene Fachkunde, die Bedeutung der Auskunft für wichtige wirtschaftliche Entschlüsse und Maßnahmen des Auskunftsempfängers und die Erkennbarkeil oder das Wissen des Auskunftgebers hinsichtlich dieser Bedeutung. Ebenso wichtig sind das Vertrauen des Auskunftsempfängers zum Auskunftgeber und das eigene wirtschaftliche Interesse des Auskunftgebers an Maßnahmen des Empfängers der Auskunft. ·
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre Die Rechtsprechung zeigt ein vielgestaltiges Bild an dogmatischen Konstruktionen für eine Haftung des Auskunftgebers in den genannten Fallgruppen. Da die herangezogenen Sachkriterien einander trotz tmterschiedlicher dogmatischer Ansätze ähneln, bietet es sich an, eine einheitliche rechtliche Grundlage der Auskunftshaftung zu entwickeln. Das ist im Schrifttum auch getan worden. Solche eigenständigen Lösungen werden im folgenden anband bestimmter Sachkriterien, die in ihnen vorherrschen oder sie charakterisieren, 272 Assmann, S. 227 und besonders S. 245.
100
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
dargestellt (Teil A.). Danach folgen Vorschläge, die sich an die Lösungen der Rechtsprechung anlehnen und diese modifizieren und fortentwickeln (Teil B.).
A. Eigenstindige Lösungen L Vertrauen
1. Lehre von der Vertrauenshaftung im allgemeinen a) Darstellung aa) Haftungsgrund Bei der Darstellung der Rechtsprechung wurde ersichtlich, daß das Vertrauen immer eine wichtige Rolle spielt. In der Lehre von der Vertrauenshaftung wird zwischen dem Vertrauen als Glied in der Ursachenkette, die bei falschen Auskünften zum Schaden führt, und dem Vertrauen als rechtlichem Grund der Haftung unterschieden. 273 Der Auskunftsempfiinger erleidet nur dann einen Schaden, wenn er Dispositionen, meist wirtschaftlicher Art, auf Grund der Auskunft und an ihr orientiert trifil. Insofern handelt er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft. Demgegenüber geht es bei der Vertrauenshaftung um etwas anderes. In diesem Fall verbindet der Auskunftsempfiinger mit der Auskunft nicht nur bestimmte Erwartungen ihrer Richtigkeit, sondern auch Erwartungen über das Verhalten des Auskunftgebers. Von ihm wird sorgfältiges Vorgehen bei der Erarbeitung der Kenntnisse, die der Auskunft zugrunde liegen, angenommen.274 Hieraus ergibt sich also eine Verhaltenserwartung des Auskunftsempfiingers gegenüber dem Auskunftgeber. Es muß dem Auskunftgeber zurechenbar sein, sie hervorgerufen zu haben. Es muß also die ,,Zurechenbarkeit des Vertrauenstatbestandes" vorliegen. 275 Das bedeutet, daß die Vertrauenshaftung nur
273 Zu dieser Unterscheidung Bohrer, S. 80 undHeesch, S. 100 f., 158. 274 Bohrer, S. 80.
275 Canaris, Vertrauenshaftung. S. 473.
§7
Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
101
eingreift, wenn der andere Teil nach den konkreten Umständen des Falles vertrauen durfte, wodurch das Kriterium des Vertrauens konkretisiert wird. 276 Indem so eine zurechenbare Verhaltenserwartung277 geschaffen wird, nimmt der Auskunftgeber Vertrauen des Empfängers, der es dem Auskunftgeber gewährt, in Anspruch. So beruht die Haftung nach dieser Lehre auf der Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen. 278 Diese Lehre geht über die Erklärung der culpa in contrahendo aus diesem Vertrauensgesichtspunkt,279 wie sie besonders einflußreich bei Ballerstedt Ausdruck gefunden hat, hinaus und begründet die Haftung auf Grund des Vertrauens auch für andere Fallkonstellationen als dritte Haftungsschiene zwischen Vertrag und Delikt.280 Damit kann die Vertrauenshaftung auch für Auskunftsfalle fruchtbar gemacht werden. Ihre Vertreter kritisieren an den vertraglichen Haftungslösungen der Rechtsprechung einmal, daß sie Fiktionen seien,281 und zum anderen, daß es keine vertragliche Pflicht zur AuskunftseTteilung als vertraglich vereinbarte Leistung und damit auch keinen Anspruch des Auskunftsempfängers auf die Erteilung einer Auskunft gebe.282 Die Lehre von der Vertrauenshaftung setzt dem den Gedanken von Schutzpflichten ohne primäre Leistungspflicht entgegen, die die Situation der AuskunftsflUte treffen sollen, in denen sich der Auskunftgeber nicht verpflichtet, eine Auskunft zu geben, aber gleichwohl dann haften soll, wenn er eine unrichtige Auskunft gibt. 283 Die Schutzpflichten beruhen auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das einen rechtsgeschäftliehen Kontakt zur Voraussetzung hat, in dem Vertrauen in 276 Rümker, ZHR 147 (1983), 27, 32.
2n Begriffvon Bohrer, S. 92. 278 Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575, 618 in Anlehnung an Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 506 u. 508; nach Ansicht von Hartmann, S. 23, geht dieser Gedanke aufBallerstedt zurllck. 279 Dagegen Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 170, mit dem Hinweis, daß die These der herrschenden Meinung, die gesteigerte Verantwortung in contrahendo (also bei Vertragsschluß) rechtfertige sich aus dem Vertrauensgedanken, niemals Oberzeugend begrQndet worden sei. Hier kann aus thematischen Granden auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Ansicht von Frotz nicht eingegangen werden.
°
28 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 84, 93 und besonders 102; vgl. zur Mehrspurigkeit des Haftungsrechts und den Einordnungsproblemen der Auskunftshaftung Schlechtriem, Schuldrecht BT, S.192f. 281 Canaris, Vertrauenshaftung. S. 533 Fn. 41; Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 93; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 88;Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575,618. 282 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 89; Nißl, S. 148; Schlegelberger!Hefer mehl, HOB, § 347 Rn. 42; a. A Staudinger/Wittmann § 676 Rn. 7, der aber auch die Lehre von der Vertrauenhaftung ver-
tritt.
283 Canaris, Vertrauenshaftung. S. 533 Fn. 41, 539; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 78, 88 und insbesondere 89; Schlegelberger!Hefermehl, HOB, § 347 Rn. 42.
102
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Anspruch genommen wird. 284 Der tragende Haftungsgrund ist das Vertrauen auf die Auskünfte in allen ihren Spielarten.285
bb) Sachkriterien in der Lehre von der Vertrauenshaftung (1) Eine Haftung nach der Lehre von der Vertrauenshaftung hat zur Voraussetzung, daß der Auskunftgeber besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt bzw. bei ihm eine besondere persönliche Vertrauenswerbung vorliegt. 286 Diese Aussagen können zu zwei Tatbestandsmerkmalen konkretisiert werden. Einmal liegt solche Vertrauenswerbung in der besonderen Sachkunde des Auskunftgebers, zum zweiten in seinem Eigeninteresse am Gegenstand der Auskunft. 287 Diese Merkmale werden auch als Vertrauensumstände bezeichnet. 288 Sie ermöglichen es dem Auskunftsempfänger, bestimmte Erwartungen an das Verhalten des Auskunftgebers und die Richtigkeit der Auskunft zu hegen (vgl. oben aa) am Anfang).289
Die Vertrauenswerbung auf Grund der besonderen Sachkunde wurde von Wiegand tatbestandlieh stärker konkretisiert. 290 Danach können als Vertrauensumstände, an deren Vorliegen die Vertrauenshaftung angeknüpft wird, die Berufsausübung oder Fachkunde des Auskunftgebers und besondere äußere Zeichen (aufgeführt wird nur das Wirtschaftsprüfersiegel) herangezogen werden.291 Dabei sollen eine einschlägige Berufsausbildung oder längere Tätigkeit und die damit verbundene Erfahrung in der betreffenden Branche Eie284 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538 f.; auch Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 78 (allerdings im Ralunen der GeschAftsverbindung); Canaris, JZ 1965, 475, 479; Nirk, FS Hauß, S. 267, 280, insbesondere S. 281 f. zur Auskunftshaftung gcgenllber Dritten. 285 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 106/107; ähnlichLorenz, FS Larenz 1973, S. 575,618, erbezieht sich aber auf die ,,Inanspruchnahme des Vertrauens" unter Hinweis auf Ballerstedt, AcP 151 (1950/Sl), SOl, 506 u. 508 und ist damit stArker der Anhindung an die c. i. c. verhaftet; filr die Vertrauenshaftungauch Staudinger/Wittmann § 676 Rn. 7. 286 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 92, zur Kreditauskunft; Nirk, FS Hauß, S. 267, 282; vg). auch Wiegand, S. 248 zur Vertrauenswerbungkraft Beru&ausllbung. 287 Canaris,
Bankvertragsrecht, Rn. 89 u. 92; Bohrer, S. 83 ff.
81 ff., insbesondere S. 83 u. 84; gegen den von Canaris, Vertrauenshaftung, S. ff., verwendeten Begriff "Vertrauenstatbestand": Bohrer, S. 82 Fn. 23. 288 Bohrer, S.
491
289 Bohrer, S. 82 am Ende; Schlegelberger/Hefermehl, HOB, § 347 Rn. 42, der besonders Beruf und Fachkunde als Eigenschaften des Auskunfgcbers betont, an denen die Gewähr fi1r die Richtigkeit der Auskunft anlcnllpft.
290 Vgl. Wiegand, S. 245-276. 291 Wiegand, S . 284.
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
103
mente der Vertrauenswerbung sein. 292 Hinzukommen müssen nach dieser Ansicht "vertrauenheischende Äußerungen" des Auskunftgebers, damit die Haftung nicht nur an Beruf und Fachkunde angeknüpft wird. Das dient einer Verschärfung der Haftungsvoraussetzungen zu dem Zweck, die Vertrauenshaftung strenger von der vertraglichen Haftung bei einer entgeltlichen Beratung im Rahmen eines Vertrages zu unterscheiden, weil der Auskunftsempfiinger in einer vertraglichen Beratung als schützenswerter angesehen wird. 293 hn Bereich der Vertrauenshaftung auf Grund der Berufsausübung oder besonderer Fachkunde des Auskunftgebers soll die Haftung im Falle einer ganz evidenten Gleichheit von Wissen, Erfahrung oder Fachkunde zwischen dem Auskunftgeber und dem geschädigten Dritten entfallen, weil der Auskunftgeber dann nicht mehr als Experte über den Geschädigten hinausgehoben sei. 294
In der freiwilligen Verwendung des Wirtschaftsprüfersiegels liegt der zweite von Wiegand konkretisierte Vertrauensumstand. Während der gesetzlich vorgeschriebenen Verwendung dieses Siegels keine vertrauenschaffende Wirkung beigelegt wird. soll dessen freiwillige Verwendung einer Aussage größeres Gewicht beim Empfiinger verleihen. 295 Was die Feststellung des Vertrauens angeht, gibt es zwei gegensätzliche Ansichten. Nach der ersten muß das Vertrauen des Auskunftsempfiingers nicht als psychische Tatsache positiv festgestellt werden. Weil es sich um einenjuristisch-normativen Begriff handele, könne bei der Feststellung auch typisierend verfahren werden, 296 was die Anwendung der Vertrauenshaftung bei der Prospekthaftung ermöglicht. Nach der von Bohrer vertretenen anderen Ansicht ist aber eine tatsächliche Vertrauensbeziehung nachzuweisen. 297 Damit ist die Unterscheidung in die subjektive und die objektive Theorie innerhalb der Vertrauenshaftung angesprochen.298 Nach der subjektiven Theorie muß das Vertrauen im konkreten Fall tatsächlich vorliegen und nachgewiesen werden. Nach der objektiven Lehre reichen typische Merkmale, die für das Vorliegen von Vertrauen sprechen, aus. 292 Wiegand, S. 248 f. (zur Berufilausbildung), S. 250 f. (zur lAngeren Tätigkeit). 293 Wiegand, S.
254.
294 Wiegand, S.
269 ff.
295 Zum Ganzen Wiegand, S. 272 - 276. 296 Canaris, Vertrauenshaftung. S. 503 f. 297 Bohrer, S. 78 f., 254. 298 Zu dieser Unterscheidung: Loges, S. tung); Wiegand, S. 232 f.
73 (zur c. i. c.) und S. 74 (allgemein zur Vertrauenshaf-
104
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Tatsächlich muß auch die subjektive Theorie an äußere, objektive Merkmale anknüpfen, um von ihnen auf die innere Tatsache, daß bei einem Menschen Vertrauen vorlag, schließen zu können. 299 Daher ist der Unterschied nicht sehr groß. Die Formulierung bei manchen Autoren, die die Lehre von der Vertrauenshaftung befürworten, erschwert auch eine Zuordnung zu einer Theorie. So ordnet Wiegand den Aufsatz Ballerstedts300 der objektiven Theorie zu,301 während Loges meint, "vor allem" Ballerstedt knüpfe die Haftung für Verschulden bei Vertragsschluß subjektiv, also an das Vertrauen selbst, an.302 Der Vertrauensumstand des eigenen wirtschaftlichen Interesses ist in den Fällen der Vertretereigenhaftung und der Sachwalterhaftung aus culpa in contrahendo entwickelt worden.303 Hier zeigt dieses Merkmal, wenn es vorliegt, daß ausnahmsweise nicht der Vertretene derjenige ist, der an dem Geschäft wirtschaftlich interessiert ist, sondern der Vertreter oder der Sachwalter. Deswegen kann ihm nach dieser Rechtsprechung die Haftung auferlegt werden. In der Lehre von der Vertrauenshaftung wird dieses Merkmal allgemein als Vertrauensumstand verwendet, weil sie aus der c. i. c. und ihren Erweiterungen entwickelt worden ist und an deren Merkmale anknüpft. 304 In einem Auskunftsfall paßt dieses Merkmal aber nicht recht. Ein Auskunftgeber hat nur in Ausnahmefällen ein wirtschaftliches Eigeninteresse. 305 Dieses Merkmal hat nur in Vertreterfällen wesentliche Bedeutung. 306 Bezeichnend für die Unangemessenheil dieses Merkmals ist es auch, daß nach der Lehre von der Vertrauenshaftung andererseits ein dem des Auskunftsempfangcrs entgegenstehendes wirtschaftliches Eigeninteresse des Auskunftgebers jenem gegenüber aufgedeckt werden muß307 oder daß der Auskunftgeber sich davon 299 Loges, S. 74. 300 Ballerstedt, AcP
151 (1950/51), 501,506 ff.
30l Wiegand, S. 233 Fn.
14.
302 Loges, S. 72.
303 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 27, beachte den Verweis auf Rn. 27 in Rn. 89. 304 Loges, S. 49; das wird deutlich, wenn Canaris, Bankvertragsrecht, in Rn.
89, die die Auskunftshaftungder Bank betrifft, fl1r die Vertrauensumstande und hier u. a. fl1r das Eigeninteresse auf Rn. 27 verweist, die inhaltlich aber die Dritthaftung bei der c. i. c. und bei der positiven Vertragsverletzung. sowie allgemein bei einer Schutzpflichtverletzung betriffi. 305 Wiegand, S. 222. 306 Wiegand, S. 229 [ 307 Lorenz, FS Larenz 1973, S. 575, 620.
§ 7 Darstellung von Lösungworschlllgen aus der Lehre
105
wenigstens nicht beeinflussen lassen darf. 308 Danach ist das wirtschaftliche Eigeninteresse also kein Vertrauensumstand, sondern gerade umgekehrt ein Anlaß zu Mißtrauen gegenüber der Auskunft. Dieser Widerspruch wird in der Lehre von der Vertrauenshaftung nicht aufgelöst. Nach allem ist dieses Merkmal als Sachkriterium für das Eingreifen der Vertrauenshaftung wenig geeignet. Das hatte sich auch schon bei der Betrachtung der Rechtsprechung zu Fallgruppe 1 ergeben. (2) Da es sich bei der Vertrauenshaftung für Auskünfte um Erklärungshaftung als einer Spielart der Vertrauenshaftung handelt, 309 muß die Auskunft an den Empfllnger und Vertrauenden gerichtet oder adressiert sein.310 Die Auskunft ist richtungsbedürftig. 311 Das wird zum Teil recht eng gefaßt, wenn ein Auskunftskontakt mit einem bestimmten Auskunftsuchenden verlangt wird. 312 Andererseits soll ein unmittelbarer rechtsgeschäftlicher Kontakt zum vertrauenden Auskunftsempfänger nicht erforderlich sein.313 Eine Auskunft ad incertas personas bleibt möglich und :fiihrt auch zur Haftung, wofür die Prospekthaftung ein Anwendungsfall sein soll. 314
Nach der ersten Ansicht, wonach der Kontakt zu einem bestimmten Auskunftsuchenden erforderlich ist, könnte es in den meisten Fällen der Fallgruppe 4 und in wohl allen Fällen der Fallgruppe 5 nicht zu einer Haftung kommen. 315 Lösbar wären die Fälle der Fallgruppe 3, in denen die Auskunft in Vertragsverhandlunge n einem bestimmten Verhandlungsgegner gegenüber abgegeben wird. Das gilt auch für die Fallgruppen 1 und 2. Diese Beschränkung der Haftungsmöglichkeiten verwundert, da Lorenz gerade Fallgestaltungen der Fallgruppe 4 (bei ihm Fallgruppe 5)316 als Anwen-
308 Canaris, Bankvertra~echt, Rn.
88 am Ende.
FS Larenz 1983, S. 27, 94 f; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532 f; SoergeVWiedemann, Vor§ 275 Rn. 348. 309 Canaris, 310 Canaris,
FS Larenz 1983, S. 27, 95.
311 Lorenz, FS Larenz 1973, S. 312 SoLorenz, FS Larenz
575, 619.
1973, S. 575,619.
313 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 96; ilhnlichNirk, FS Hauß, S. 267,282. 314 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 95; Nirk, FS Hauß, S. 267, 282: filr Rechtsanwalt, der ein Gutachten zu einem Prospekt abgibt, also nach der Tenninologic des BGH filr die sogenannten be-
rufsmäßigen Sachkenner.
315 Diese Schlußfolgerungzieht auchMusielak, Haftung, S. 31 316 Lorenz, FS Larenz
1973, S. 575, 583.
zu Fallgruppe 4.
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
106
dungsfälle der Vertrauenshaftung betrachtet317 und bei ihnen nur die Überdehnung vertraglicher Konstruktionen durch die Rechtsprechung kritisiert, ein Bedürfnis für einen Schadensersatz in diesen Fällen aber anerkennt.318 (3} Eine weitere Voraussetzung einer Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung ist, daß der Auskunftgeber die vermögenswirksame Bedeutung der Auskunft erkennen kann, 319 damit er das Haftungsrisiko einschätzen kann. 320 Canaris bezieht die Einschätzung des Haftungsrisikos mit in den Gesichtspunkt der Gerichtetheit der Auskunft ein. 321 Sachlich unterscheiden sich die Ansichten im Ergebnis aber nicht. Eine strengere Ansicht verlangt dagegen zur Einschränkung des Haftungsrisikos in den Fällen, in denen der Auskunftgeber von seinem Auftraggeber nur ein einmaliges Honorar und keine Provision für die Vorbereitung eines Vertragsabschlusses erhält, daß ein sogenannter Vertrauenserweis des Empfängers der Auskunft vorliegt. 322 Damit ist gemeint, daß der später Geschädigte "deutlich macht, daß er sich auf die Fachkunde des Dritten [d. h. des Auskunftgebers, der Verf.] verläßt."323 Damit wird in den Sachverhalten der Fallgruppe 4 eine Begrenzung des Kreises der potentiellen Gläubiger erreicht, was dort, wie sich schon oben bei der Darstellung der Rechtsprechung zeigte, ein besonderes Problem ist. Wiegands Ansatz unterscheidet sich von dem der Rechtsprechung und den soeben unter diesem Punkt ( (3)) dargestellten Ansätzen innerhalb der Vertrauenshaftung dadurch, daß nicht von der Sicht des Schädigers ausgegangen wird, um den Kreis der Gläubiger zu bestimmen. (4) Der oben unter (3) genannten subjektiven Voraussetzung, daß der Auskunftgeber die vermögenswirksame Bedeutung der Auskunft erkennen kann, ist die Anforderung ähnlich, die Bohrer an die Zurechnung der Vertrauensumstände stellt. Danach muß der Auskunftgeber erkennen können, daß der Empfänger sein Vertrauen in die Richtigkeit der Auskunft an dessen Sachkunde oder berufliche Position anknüpft, daß er die Auskunft also gerade wegen dieses Umstandes verwendet. 324 317 So versteht auchMusielak, Haftung, S. 30, Lorenz. 318 Lorenz, FS Larenz
1973, S. 575, 616 u. 618.
319 Lorenz, FS Larenz
1973, S. 575, 619; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 347 Rn 42.
320 Lorenz, FS Larenz
1973, S. 575, 619.
321 Canaris, FS Larenz
1983, S. 27, 95.
322 Wiegand, S. 260 - 267. 323 Wiegand, S. 324 Bohrer, S.
261.
91 f.
§ 7 Darstellung von Lösung.vorschligen aus der Lehre
107
Bei Sachverhalten der Fallgruppe 4 wird verlangt, daß der Auskunftgeber - über diese Anforderung hinausgehend - mit der Orientierung unbeteiligter Personen an der Auskunft rechnet, damit es zur Haftung kommt. 325 Ähnlich verlangt Wiegand eine Gerichtetheit der Vertrauenswerbung, worunter zu verstehen ist, "daß der Hinweis auf die Berufsstellung etc. und die vertrauenswerbende Äußerung nach außen gegeben worden sind oder daß ihr Inverkehrbringen geduldet worden ist."326 Dabei wird vermutet, daß die vertrauenswerbende Äußerung gerade an den Geschädigten gerichtet war. Dem Auskunftgeber soll den Gegenbeweis erbringen müssen, um die Haftung abzuwenden. 327 (5) Der Haftungsbegrenzung dient das Erfordernis des geschäftlichen Auskunftskontakts328 oder der Teilnahme am rechtsgeschäftliehen Verkehr.329 Die Terminologie ist unterschiedlich. Teilweise ist auch von dem Erfordernis des rechtsgeschäftliehen Kontakts die Rede. 330 Dabei soll der Begriff "Teilnahme am rechtsgeschäftliehen Verkehr'' geringere Anforderungen stellen und wird von Canaris bevorzugt, 331 weil der Begriff des rechtsgeschäftliehen Kontakts danach einen Bezug zu einem Vertrag voraussetze. 332 Diese Verengung wurde später abgelehnt. 333 Einen Bezug zu einem Vertrag verlangt aber auch Lorenz trotz der abweichenden Formulierung nicht.
Sachlich bedeutet dieses Merkmal, daß die Auskunft fii.r den Auskunftgeber berufseinschlägig sein muß und daß ein bloßer sozialer Kontakt nicht ausreicht. 334 Damit führt dieses Merkmal nur dazu, private Auskünfte außerhalb des Geschäftslebens von der Haftung auszuschließen. Die einschlägige Rechtsprechung zeigt aber, daß solche Fälle vor Gericht so gut wie nicht vor325 Bohrer, S. 92. 326 Wiegand, S.
256.
327 Wiegand, S. 257 ff.
328 Diesen BegriffvmwendetLorenz, FS Larenz 329 Canaris, FS Lareuz
°
1973, S. 575, 619.
1983, S. 27, 107.
33 Canaris, Bank.vertragsrecht, Rn. 91.
FS Larenz 1983, S. 27, 108; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538 und dort Fn. 72; ablehnend Huber, FS v. Caemmerer, S. 359, 376 Fn. 85, da es keine Teilnalnne am rechtsgeschAftlichen Verkehr sei, ein fehlerhaftes Gutachten in Umlauf zu bringen; daher wäre bei Zugrundelegung der AnsichtHubers die Vertrauenshaftungfilr die Fallgruppe 4 nicht vmwendbar. 331 Canaris,
33 2 So noch Canaris, VersR
1965, 114, 117.
333 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 334 Lorenz, FS Larenz Rn. 91.
538 und ~rt Fn. 72.
1973, S. 575, 619; Canaris, Bank.vertragsrecht, Rn. 14 (bei Fn. 30), Rn. 78,
108
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
kommen. 335 Das Merkmal hat daher keine starke Abgrenzungskra ft Diese könnte der Berufseinschlägigkeit zukommen, aber auch hier zeigt die Rechtsprechung, daß die Auskunftgeber sich auch in den problematischen Fällen innerhalb des Sachbereiches ihres Berufes bewegt haben. Eine Auskunft außerhalb dessen würde auch nicht leicht dazu führen, daß der Empfänger entsprechend handelt, weil sie nicht vertrauenerweckend ist. Es ist unklar, wie diese Voraussetzung zu bestimmen ist. Zu verlangen, daß der Kontakt auf den Abschluß eines Rechtsgeschäfts zielt oder eines vorbereiten soll, würde die Vertrauenshaftung wohl zu sehr einengen.336 (6) Umstritten ist innerhalb der Lehre von der Vertrauenshaftung, ob der Auskunftgeber ein demjenigen des Empfängers der Auskunft entgegenstehendes wirtschaftliches Eigeninteresse ihm gegenüber aufdecken muß. Lorenz verlangt das, 337 während Canaris den Auskunftgeber nur für verpflichtet hält, sich von seinem eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht beeinflussen zu lassen. 338 Letzteres erscheint innerhalb einer Haftungsbegründung konsequenter, weil die Aufdeckung eines entgegenstehenden Interesses den Vertrauenstatbestand gerade zerstört und somit nicht zur Haftung führt. Wenn es nicht aufgedeckt wird und die Auskunft falsch ist, wird ohnehin gehaftet, gleichgültig, ob die Unrichtigkeit gerade durch die Interessenkollision verursacht worden ist oder nicht. Das entgegenstehende eigene wirtschaftliche Interesse ist nur kein Rechtfertigungsgrund für eine falsche Auskunft, dazu bedarf es aber keiner Aufdeckung. (7) Die Auskunft muß fahrlässig falsch erteilt sein.339 Es handelt sich also
um eine Verschuldenshaftung.
335 Preuss, S. I 59, ist der Ansicht, daß FAlle solcher privater Auskünfte wohl nur ganz selten vor Gericht kommen WOrden. Eine Ausnahme ist die englische Entscheidung Chaudhry v. Prabhakar [I989] I W.L.R. 29 (C.A). 336 Stoll, FS Flume Bd. I, S. 74I, 770 Fn. 139: kritisch speziell zu dem von Canaris aufgestellten Erfordernis, von dem nicht klar se~ wie es bestimmt werden solle. 337 Lorenz, FS Larenz
I973, S. 575, 620.
338 Canaris, Bank.vertragsrecht, Rn. 88 am Ende. 339 Lorenz, FS Larenz
I973, S. S1S, 6I8.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
109
b) Kritik an der Lehre von der Vertrauenshaftung
aa) Kritik an den Sackkriterien und dem tatbestandliehen Aufbau Die Darstellung der Lehre von der Vertrauenshaftung, soweit sie sich auf die Auskunftshaftung bezieht, hat schon gezeigt, daß es schwer ßllt, einen exakten Tatbestand zu formulieren. Daran übt das Schrifttum ebenfalls Kritik. Eine Lehre erlangt umso größere Berechtigung, je sachgerechter sie die gegebenen Probleme auch in tatsächlicher Anwendung im Vergleich zu anderen Vorschlägen der Lehre und zur Rechtsprechung löst. Das bedeutet, daß eine Lehre dann überzeugend ist, wenn sie einen eindeutigen Tatbestand formuliert, mit dem möglichst genau entschieden werden kann, ob die daran geknüpfte Rechtsfolge, hier also eine Haftung auf Schadensersatz für Schaden, der durch eine unrichtige Auskunft verursacht wurde, eintritt. Es wird bezweifelt, daß die Lehre von der Vertrauenshaftung dieser Anforderung genügt. Die in den Fällen der Auskunftshaftung, die sich auf Schadensersatz richtet, anzuwendende negative Vertrauenshaftung hat, wie auch von einem ihrer Vertreter selbst zugegeben wird,340 keinen Tatbestand.34I mindestens fehlt es an "tatbestandlicher Konturierung".342 Dies hat sich schon oben gezeigt, als versucht wurde, tatbestandliehe Voraussetzungen der Vertrauenshaftung in Auskunftsfällen darzustellen. Verschiedene Vertreter dieser Lehre nehmen nicht die gleichen Voraussetzungen an. Vertrauen ist ein überall verbreitetes und darum kaum faßbares Phänomen.343 Da daher mit dem Aufwerfen des Vertrauensgesichtspunktes die rechtliche Selektionsaufgabe hinsichtlich des Eingreifens oder Nichteingreifens einer Haftung im konkreten Fall erst gestellt,344 aber noch nicht gelöst ist, müssen weitere Kriterien herangezogen werden, wie die Sachkunde und das eigene wirtschaftliche Interesse des Auskunftgebers. Wie oben gesehen, spielt auch die Berufseinschlägigkeit eine Rolle. Darin verdeutlicht sich das Problem, daß nur berechtigtes, nicht jedwedes Vertrauen rechtlich relevant und damit schützenswert ist.345 Vertrauen bedeutet im Privatrecht kein sozial340 Bohrer, S. XV.
341 Loges, S. 28. 342 Loges, S. 28; mangelnde dogmatische Kontur kritisiert an den Konstruktionen gesetzlicher Schuldverh!ltnisse im Rahmen der Vertrauenshaftung auch Huber, FS v. Caemmerer, S. 359, 376. 343 Kc'Jndgen, S. 98.
344 Pie/cer, JZ 1987, 1041, 1046; Picker, AcP 183 (1983), 369, 429. 345 Assmann, S. 231.
110
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
psychologisches Faktum, sondern normativiertes Vertrauendürfen. 346 Welches Vertrauen aber berechtigt oder schutzwürdig ist, läßt sich aus dem Vertrauen selbst nicht entnehmen. 347 Insofern ist Vertrauen ein leerer Begriff,348 und das gilt auch, wenn die Rechtsprechung den Vertrauensgesichtspunkt zur Haftungsbegründung verwendet. Daher sind Kriterien außerhalb des Vertrauens heranzuziehen. Auch diese sind allerdings unbestimmt geblieben. 349 In diesem Zusammenhang wird kritisiert, daß die Rechtsprechung durch Verwendung des Vertrauensprinzips die Fragen, ob jemand als Verantwortlicher nur erscheint oder wirklich verantwortlich ist, nicht auseinanderhalte. 350 Dadurch werden Vertrauen und dessen rechtliche Schutzwürdigkeit vermengt. Ein anderer Einwand auf dieser tatbestandliehen Ebene besteht darin, daß das Kriterium des Vertrauens keine Abgrenzungskraft habe, 351 sondern zu unbestimmt sei.352 Als Kriterium ist es danach zu ungenau, um Fälle der Haftung von solchen der Nichthaftung abzugrenzen. Damit führe die Anwendung der Vertrauenshaftung zu Rechtsunsicherheit, 353 wenn die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit oder Berechtigung des Vertrauens dem Einzelfall überlassen bleibe.3 54 Der typisiert-normative Vertrauensbegriff,355 der von der Vertrauenshaftungslehre zum Teil verwendet wird356 und in der Rechtsprechung deutlich bei der Prospekthaftung in Gebrauch ist, wird kritisiert, weil er bedeute, daß es in Wirklichkeit auf das Vorliegen von Vertrauen in den Fällen der Vertrauens346 K6ndgen, S.
116.
1982, 1083, 1085: Vertrauen sei noch kein Zurechnungskriterium;Jost, S. 127 im Anschluß anAssmann; Loges, S. 69 u. 85; Schmitz, S. 43; Wiegand, S. 241: aus dem Vertrauensgedanken sei nicht ableitbar, "wann eine Gleichstellung der Haftung von Personen, die keine vertragliche Bindung erstreben, mit Haftung nach vertraglichen Grundsitzen möglich ist''. 347 Assmann, S. 231;Assmann, NJW
348 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 644: Leerfonnel.
349 K6ndgen, S.
98.
350 v. Bar, ZGR
1983, 476, 482.
351 Pie/cer, JZ 1987,1041, 1046;Picker, AcP 183 (1983), 369, 420; ähnlichK6ndgen, S. 100 u. S. 356, der mangelnde "dogmatische OperationaliW" an der Vertrauenshaftung kritisiert; gegen K6ndgen: Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 106, der anfUhrt, das dürfe nicht vorbringen, wer selbst nur eine so fragwürdige Kategorie wie die Selbsthindung ohne Vertrag anzubieten habe. 352 Schmitz, S.
42.
86; Pie/cer, AcP 183 (1983), 369, 421; v. Bar, ZGR 1983, 476, 499 (bezQglich der Prospekthaftung); Wiegand, S. 235 (hinsichtlich der Rechtsprechung). 353 Loges, S.
354 Loges, S. 61. 355 Vgl. zur BegrißSbildungLoges, S. 79 mit weiteren Nachweisen. 356 Vgl. oben§ 7 AI. 1. a) bb); Canaris, Vertrauenshaftung. S. 503 f.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
111
haftungnicht ankomme. 357 Dieses Vorgehen diskreditiere das Vertrauen als Tatbestandsmerkmal und auch als inneren Grund der Haftung. 358 Damit soll Vertrauen als "Anleitung zur Pflichtenbegründung" untauglich geworden und durch andere Gesichtspunkte zu ersetzen sein. 359 Diese Kritik zeigt den Mangel der Vertrauenshaftung auf, der darin liegt, daß das vorgebliche Hauptmerkmal dieser Lehre (und auch der Rechtsprechung, wenn sie ihre Lösungen auf Vertrauensgesichtspunkte stützt), das Vertrauen, im Tatbestand kaum vorkommt und auch nicht vorkommen kann, weil es als Tatbestandsmerkmal zu unbestimmt ist. Außerdem erfolgt keine klare Trennung zwischen der Bedeutung von Vertrauen als Tatsache und dem normativen Vertrauendürfen, das in der Schutzwürdigkeit oder Berechtigung des Vertrauens zum Tragen kommt. Die tatbestandliehe Abgrenzungskraft der Vertrauenshaftungslehre ist nur schwach ausgeprägt.360 Vor allem nennen ihre Vertreter selbst kein trennscharfes Kriterium, sondern verwenden allgemeine Ausdrücke wie die Inanspruchnahme von Vertrauen, die Teilnahme arn rechtsgeschäftliehen Verkehr, die Berufseinschlägigkeit, die teils nicht präzise genug sind, teils eine Abgrenzung dort erreichen, wo sie sich nicht als Problem stellt. Auch die praktische Anwendbarkeit der Vertrauenshaftung ist zweifelhaft, wenn Lorenz in den problematischen Fällen der Fallgruppe 4 (Weitergabe von Gutachten an Dritte) nach der von ihm entwickelten Ausprägung der Vertrauenshaftungslehre keine Haftung des Auskunftgebers annimmt, dieses Ergebnis aber nicht deutlich macht und doch zugleich die Haftung in diesen Fällen für wünschenswert hält.361 Positiv ist anzumerken, daß mit den beiden tatbestandliehen Konkretisierungen der Vertrauenshaftung durch Wiegand (Vertrauenshaftung auf Grund von Berufsausübung oder Fachkunde und auf Grund der freiwilligen Verwendung des Wirtschaftsprüfersiegels, vgl. oben§ 7 A. I. 1. a) bb) (1)) verhältnismäßig gut feststellbare Sachkriterien vorliegen, die es ermöglichen, die Vertrauenshaftung schärfer zu fassen und auch gegenüber der Rechtsprechung die Vorhersehbarkeit der Haftungsrisiken für den Auskunftgeber zu verbessern.
357 Assmann, S. 230; v. Bar, ZGR 1983, 476, 488; Hartmann, S. 42 f.; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 644: Vertrauen ist nur Leerfonnel; Loges, S. 79; ähnlich Strauch, JuS 1992, 897, 900. 358 Loges, S. 79. 359 Assmann, S. 230 zur Prospekthaftung. 360 Vgl. dazu auch die Kritik von Breinersdorfer, S.
180.
361 Musielak, Haftung, S. 31, kritisiert, daß die Lehre in dieser Fallgruppe nicht anwendbar ist.
112
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Das Erfordernis eines Vertrauenserweises des Auskunftsempfängers gegenüber dem Auskunftgeber (vgl. oben§ 7 A. I. 1. a) bb) (3)) bietet ein recht griffiges, allerdings strenges Abgrenzungskriterium. Daß der Geschädigte dem Auskunftgeber vor einer Disposition mitgeteilt hat, daß er dessen Auskunft seinem Entschluß zugrunde lege, ist in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen soweit ersichtlich nicht vorgekommen. Daher würde sich die Zahl der Haftungsfälle bei Anwendung dieses Kriteriums verringern. Allerdings würden sich potentielle Geschädigte bei Bekanntwerden dieses Kriteriums vermutlich absichern, indem sie sich an die Auskunftgeber wendeten. Dann wäre diese Nachfrage keine Besonderheit mehr, sondern Routine, so daß es sich fragen würde, ob darin noch ein Vertrauenserweis läge. Vorteilhaft ist an diesem Konzept, daß dem Auskunftgeber in den Weitergabefällen (Fallgruppe 4) die Möglichkeit gegeben wird, eine Haftung durch die Zerstörung des Vertrauenstatbestandes abzuwenden. Das schützt vor den zuweilen beklagten unüberschaubaren Haftungsrisiken.362 Andererseits könnte sich aus der Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen Auskunftgebern der Zwang ergeben, sich nicht gegen das Vertrauen Dritter zu verwahren und den Vertrauenstatbestand nicht durch die Mitteilung, nicht haften zu wollen, zu zerstören. Dann wäre dieser Vorteil nicht mehr gegeben.
bb) Kritik an der dogmatischen Tragfahigkeit der Vertrauenshaftung Zu untersuchen bleibt noch die dogmatische Fundierung der Vertrauenshaftung. Ein mit der Bildung eines Tatbestandes der Vertrauenshaftung noch eng velbundener, aber die dogmatische Begründung der Vertrauenshaftung betreffender Einwand geht dahin, daß sie Schutzpflichten (etwa zur Erteilung einer richtigen Auskunft) aus der erst nach der Handlung (etwa der Auskunftserteilung) entstehenden Ursächlichkeil der Handlung für den Schaden herleite. Die Ursächlichkeil der falschen Auskunft beruhe auf dem Vertrauen des Geschädigten. Dieses Vorgehen sei rechtsdogmatisch ausgeschlossen, weil man nicht aus der Ursächlichkeil eines Verhaltens eine diesem Verhalten vorgelagerte Schutzpflicht begründen könne. 363 Damit wird an die Bedeutung des Vertrauens als Glied der zum Schaden fUhrenden Ursachenkette angeknüpft. Schon oben ist beschrieben worden, daß -jedenfalls nach Bohrer- die Vertrauenshaftung nicht auf dem Vertrauen als 362 Wiegand, S. 266. 363 Fratz, GS Gschnitzer, S. 163, 170; Fratz, S. 60 (wörtlich ilbereinstinunend mit dem Beitrag in der GS Gschnitzer). Beide Fundstellen beziehen sich explizit auf die Dritthaftung aus c. i. c. Zustimmend: Jast, S. 126; Schmitz, S. 107.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
113
bloßem Teil der Ursachenkette beruht, sondern daß es um Verhaltenserwartungen des Vertrauenden an den Auskunftgeber geht.364 Diese Erwartungen können schon vor der Auskunft und den schadenstiftenden Dispositionen des Vertrauenden vorliegen. 365 Das Vertrauen als Teil der Ursachenkette liegt allerdings erst nach der Auskunft. 366 Die Verhaltenserwartungen an den Auskunftgeber, die sich auf sein Vorgehen bei der Beschaffung der nötigen Information und derErteilungder Auskunft beziehen, liegen mit großer Wahrscheinlichkeit schon vor der Auskunft vor, wenn sich der Auskunftsempfänger an den Auskunftgeber wendet. Bei Konstellationen der Fallgruppe 4 und wohl auch 3 ist das zweifelhaft, weil der Auskunftsempranger die Auskunft oft ungefragt erhält und sich den Auskunftgeber nicht selbst aussucht. Gleichwohl können die Erwartungen hier verborgen vorhanden sein und sich dann aktualisieren. Die auf den zeitlichen Aspekt der Vertrauensgewährung abstellende Kritik trifft die Dogmatik der Vertrauenshaftung daher noch nicht. Weiter wird bezweifelt, daß sich die negative Vertrauenshaftung aus dem Gesetz ableiten lasse. 367 Als gesetzliche Regelungen der positiven Vertrauenshaftung, bei der das Vertrauen auf den Schein einer bestimmten Rechtslage geschützt wird, werden§ 122 BGB (Schutz des Vertrauens auf das Vorliegen und den Bestand einer Willenserklärung), §§ 170 ff. BGB, insbesondere § 179 BGB (Schutz des Vertrauens darauf, daß das Geschäft mit dem Vertretenen zustandekommt), und§§ 307, 309 BGB genannt.3 68 Als weitere gesetzliche Ausprägung der positiven Vertrauenshaftung werden die Gutglaubensvorschriften der §§ 932 ff. BGB angeführt, die dem Schutz des Vertrauens darauf dienten, daß der Besitzer, seiner Behauptung entsprechend, auch Eigentümer der Sache sei. 369 Somit ist die positive Vertrauenshaftung, bei der das Vertrauen auf scheinbar vorliegende Rechtslagen geschützt wird, im Gesetz enthalten. Die Kritik an der negativen Vertrauenshaftung richtet sich dagegen, daß sie nicht wie die positive Vertrauenshaftung, die Rechtsscheinhaftung sei, auf einem Rechtsscheintatbestand beruhe,370 was darin zum Aus364 Bohrer, S.
80.
365 Loges, S. 75, aber ohne die Unterscheidung Bohrers zu belilcksichtigen; kritisch zur Ansicht von Frotz auchPicker, AcP 183 (1983), 369, 428, der anmerkt, daß man das Vertrauen nicht auf die Voraussetzung der UrsAchlichkeit beschränken dürfe; weniger klar allerdings Picker, JZ 1987, 1041, 1046, wo er feststellt, daß das Vertrauen inuner ein Glied in der Ursachenkette sei. 366 In diesem Punkt anders Loges, S.
75.
367 Nach Ansicht von Krimphove, S. 8, kennt das Gesetz eine allgemeine Vertrauenshaftung nicht
Er lehnt die Lehre von der Vertrauenshaftung daher ab. 368 Loges, S.
43.
369 Loges, S. 44. 370 Loges, S. 8 F. Müller
47.
114
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
druck komme, daß in den AuskunftsfiUlen nicht auf den Schein einer Rechtslage, sondern auftatsächliche Umstände vertraut werde. 371 Auch in anderer Hinsicht sei die negative Vertrauenshaftung nicht mit der positiven vergleichbar und daher nicht wie diese aus dem Gesetz abzuleiten. 372 Dabei wird angefiilut, daß es bei der Rechtsscheinhaftung mehrere erlaubte Möglichkeiten der Rechts- oder Sachlage gebe und das Vertrauen auf die wahrscheinlichere Möglichkeit geschützt sei, während bei der negativen Vertrauenshaftung die Rechtsordnung sowohl ein unredliches Verhalten als auch ein redliches als gleichwertige Alternativen billigen müßte, damit sinnvollerweise von einem Vertrauenstatbestand für die eine oder die andere Möglichkeit gesprochen werden könne. 373 Das sei nicht der Fall, weil die Rechtsordnung ein redliches Verhalten als allein wünschenswert voraussetze.374 Deshalb bedürfe es hier keines besonderen Vertrauenstatbestandes, damit man ein redliches Verhalten erwarten dürfe. 375 Dies ist auf die Situation von Vertragsverhandlungen und die Haftung aus culpa in contrahendo bezogen. Bei der Auskunftshaftung fragt sich jedoch, ob die Rechtsordnung eine richtige Auskunft als allein redlich erwartet (abgesehen von der vorsätzlich falsch erteilten Auskunft, wo alles auf die Anwendung von § 826 BGB hindeutet). Denn wenn sie das täte, wäre das Auffinden einer Haftungsnorm bei Schäden auf Grund fahrlässig falscher Auskünfte nicht so problematisch. Diese Begründung ist daher in diesem Bereich nicht überzeugend. Als dritter Grund gegen die Gleichsetzung mit der positiven Vertrauenshaftung wird ange:ftihrt, daß bei der negativen Vertrauenshaftung nur Integritäts-, aber nicht Dispositionsschutz gewährt werde. 376 Das bedeutet, daß bei der Rechtsscheinhaftung der Disponierende so gestellt wird, als sei der Rechtsschein, auf den er mit Recht vertraut hat, die wirkliche Rechtslage, während bei der negativen Vertrauenshaftung der Vertrauende nur so gestellt wird, als hätte er eine richtige Auskunft erhalten und die Disposition dann unterlassen. 377 Er erhält den dadurch entstandenen Vermögensverlust ersetzt. Scheidet eine unmittelbare Anhindung der Auskunftshaftung aus der Vertrauenshaftung an Rechtsscheintatbestände danach aus, wird untersucht, ob sie 371 Loges, S. 44; SchmilZ, S. 30. 372 Loges, S. 44 - 46 u. 47 f. 373 SchmilZ, S. 30.
374 SchmilZ, S. 30. 375 SchmilZ, S. 30. 376 Loges, S.
45 f.; SchmilZ, S.
107 f.
377 Vgl. Loges, S. 46; SchmilZ, S. 108.
§ 7 Darstellung von LOsungsvorschlägen aus der Lehre
115
sich aus einer Vertrauensbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem bzw. aus einem besonderen Vertrauensverhältnis begründen läßt.378 Dagegen wird jedoch vorgebracht, daß in einem Schuldverhältnis und auch in einem vorvertragliehen Verhandlungsstadium kein Vertrauensverhältnis, sondern ein Interessenwiderstreit zwischen den Parteien bestehe.379 Konkret gegen den Lösungsansatz von Lorenz wird eingewandt, daß bei Auskunftsfällen zwischen dem Geschädigten und dem Auskunftgeber nicht "notwendig vertragsgleiche[... ] Beziehung[en]"380 bestünden, die man als gesetzliches Schuldverhältnis qualifizieren könnte, wie Lorenz es tue. Diese Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses sei lebensfremd.381 Eine Herleitung der Haftung auf Grund einer Vertrauensbeziehung aus einer Analogie zu bestimmten Normen des BGB, die sich mit dem Verhältnis vor Vertragsschluß und in ihm bestehenden Pflichten befassen, wie §§ 307, 309, 463, 523 I, 600, 663, 694 BGB,382 scheitere am Fehlen der strukturellen Vergleichbarkeit383 der von den Normen geregelten Sachverhalte und der Konstellationen, auf die sie in Form einer Gesetzesanalogie erstreckt werden sollen.384 Insofern ist nach dieser Ansicht die Vertrauenshaftung nicht aus dem Gesetz ableitbar. An anderer Stelle wird daher auch festgestellt, daß Vertrauen bei primären Vermögensschäden vom Gesetz nur in zwei Fällen geschützt werde: Einmal dürfe man auf die Redlichkeit eines Vertragspartners vertrauen, zum anderen darauf, nicht in sittenwidriger Weise vorsätzlich geschädigt zu werden, wogegen § 826 BGB schütze.385 Das Gesetz kenne keine Haftung zwischen Delikt und Vertrag, 386 wo die Vertrauenshaftung wie oben beschrieben als dritte Spur angesiedelt wird.
Als weitere Möglichkeit, die Vertrauenshaftung aus einer Vertrauensbeziehung dogmatisch zu begründen, wird die induktive Ableitung eines allgemei378 Loges, S. 48 - 70. 379 Loges, S.
49 f.
380 Huber, FS v. Caenunerer, S. hinzugefUgt bzw. fortgelassen).
3S9, 376 (Anfilhrungszeichen auch im Original, Klanunerinhalt
38! Huber, FS v. Caenunerer, S. 3S9, 376. 382 Loges, S. S2. 383 Begriffbei Loges, S. S4. 384 Loges, S. S3. 385 v. Bar, ZGR 1983, 476, 496. 386 v. Bar, ZGR 1983, 476, 496.
116
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
nen Rechtssprinzips des Vertrauensschutzes aus allen Normen, die mit dem Vertrauensgedanken zu tun haben, vorgestellt und kritisiert. 387 Die Kritik hieran richtet sich zunächst dagegen, Vertrauen als per se schutzwürdig anzusehen, was die Prämisse dieser Ansicht sein müsse. 388 Da die Ethik nur blindes Vertrauen als wertvoll ansehe, die Rechtsordnung dieses gerade nicht schütze, wie es überhaupt nicht jedes Vertrauen schütze, 389 könne sich die Ansicht auf Vertrauensbegriffe der Ethik nicht stützen und müsse bestimmen, welches Vertrauen schutzwürdig sei und dafiir Kriterien :finden. 390 Es fehle in der Literatur zur Vertrauenshaftung an herausgearbeiteten, klaren Kriterien, was kritisiert wird. 391 Wie oben schon dargestellt, können solche Kriterien auch nicht aus dem Vertrauensbegriff selbst gewonnen werden. Daher trage das Vertrauensschutzprinzip die daraus abgeleiteten Rechtspflichten im Rahmen der Vertrauenshaftung nicht.392 Wenn aber auf die hinter dem Vertrauen stehenden Werte zurückgegriffen würde, würden diese geschützt und nicht das Vertrauen. 393 Es handelte sich dann nicht mehr um eine Vertrauenshaftung. Ein weiterer Einwand gegen die Lehre von der Vertrauenshaftung besteht in der Erkenntnis, daß das Recht dem Vertrauensschutz vorgelagert sei. 394 Die Rechtsordnung und ihre Durchsetzung in der Rechtsprechung schaffien erst das Vertrauen. Dieses richte sich nicht auf Personen oder ihr Verhalten, sondern darauf, daß die Rechtsordnung in der Wirklichkeit durchgesetzt werde. Man vertraue also in Wahrheit auf den Rechtsschutz. 395 Daher sei die Erwartung an das (redliche oder unredliche) Verhalten von Personen auf eine Erwartung an ein normatives Anforderungsprofil einer Rolle dieser Personen, aber nicht auf das Vertrauen gegenüber ihnen als Personen selbst gegründet.396 Da das Vertrauen in normkonformes Verhalten anderer Personen
387 Loges, S.
54.
388 Loges, S.
54- 65.
389 Loges, S.
57.
390 Loges, S. 55 ff. 391 Loges, S.
57 f.; Köndgen, S. 98 f.
392 Loges, S.
61 u. 85.
393 Loges, S.
69.
394 Loges, S.
70.
395 Assmann, S. 232;Jost, S. 396 Assmann, S.
232.
126.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlllgen aus der Lehre
117
Nonnen voraussetze, könnten aus dem Vertrauen keine Nonnen gewonnen werden. 397 In diesem Zusammenhang wird auf die Funktion des Vertrauens hingewiesen, wenn das Recht bereits die Verhaltenserwartungen sichert. Hier bedürfe es keines Vertrauens mehr, es sei funktionslos. 398 Das Vertrauen sei vielmehr in Beziehungen erforderlich, in denen Sicherheit noch nicht durch das Recht geschaffen wird. In diesen außerrechtlichen Bereichen sei das Vertrauen aber nicht einklagbar. Damit ist es nicht Gegenstand des Rechts. Auch in verrechtlichten Bereichen, wie etwa der Geschäftswelt, habe das Vertrauen einen Platz. Es sichere hier beispielsweise die Grundlagen langfristiger Beziehungen. Das heißt also, daß diese Beziehungen nicht aufgenommen oder aufgenommene abgebrochen werden, wenn ein gewisses Vertrauen fehlt. Man kann sich aber gerade in diesen Fällen nicht auf das Recht berufen, weil dadurch nach Ansicht von Assmann das Vertrauen zerstört wird und Mißtrauen aufkommt. 399 Die rechtliche Einklagbarkeil ersetzt das Vertrauen durch rechtliche Ansprüche. Es verschwindet also. Mithin verwischt nach dieser Ansicht die Lehre von der Vertrauenshaftung den Unterschied zwischen Recht und Vertrauen. 400 Vielmehr spielt das Vertrauen neben dem Recht eine Rolle, jedoch nicht in ihm. Daher können daraus keine Rechtsansprüche selbständig abgeleitet werden. Die Erkenntnis, daß Vertrauen nur hinsichtlich der rechtlichen Sanktion für Fehlverhalten bestehe, leitet zu dem Vorwurf über, daß in der Argumentation der Vertrauenshaftung ein Zirkelschluß401 oder gedanklicher Zirkel402 liege. Mit diesen in gleicher Bedeutung gebrauchten Bezeichnungen ist gemeint, daß das Vertrauen, auf das sich die Haftung gründen soll, erst dadurch entstehe, daß eine Haftung aus Vertrauen konstruiert werde. 403 Das Vertrauen richte sich dann aber darauf, daß unredliches Verhalten durch Schadensersatzpflichten von Rechts wegen sanktioniert werde. Damit ist das Vertrauen das Rechtsschutzziel der Vertrauenshaftung, insbesondere der Rechtspre397 Loges, S. 69. 398 Assmann, S.
232.
399 Assmann, S. 232 f.
400 Assmann, S. 232 unter Verweis aufLuhmann, S. 37. 401 Loges, S. 80 ff., insbesondere S. 82, unter Hinweis auf v. Bar, im Anschluß an v. Bar Hartmann, S. 41. 402 v. Bar, ZGR 1983, 476, SOO. 403 v. Bar, ZGR 1983, 476, SOO zur Prospekthaftung; Loges, S. 82 f.; älmlichAssmann, S. 231, der dies auf die Erkenntnis bezieht, daß nur der in seinem Vertrauen geschützt sei, der erwarten dürfe, in seinem Vertrauen Rechtsschutz zu genießen, welches die tautologische Formel Ballerstedts sei.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
chung, soweit sie auf Vertrauensgesichtspunkte zurückgreift, aber keine zureichende Begründung fi1r eine Haftung. Diese Kritik gipfelt in dem Vorwurf, die Vertrauenshaftung konstruiere Pflichten vom mißbilligten Erfolg her und lasse so fi1r diesen Erfolg auf Schadensersatz haften.404 Als letztes ist noch ein systematischer Einwand gegen die dogmatische Grundlage der Vertrauenshaftung darzustellen. Danach wird festgestellt, daß auch in Fällen einer deliktischenund vertraglichen Haftung Vertrauen vorhanden gewesen sei. Insbesondere wenn ein Auskunftsvertrag ausdrücklich abgeschlossen worden sei, liege am meisten Vertrauen und auch der beste Grund dafi1r vor. 405 In diesen Fällen werde auf das Vertrauen aber hinsichtlich der Haftung überhaupt nicht abgestellt. 406 Das Vertrauen werde als Haftungsgrund immer nur dort herangezogen, "wo es durchweg nur in geminderter Form existiert", wobei nicht erklärt werde, warum das so sei. 407 Diese Inkonsequenz der Vertrauenshaftungslehre wird kritisiert. 408 Infolgedessen habe das Vertrauen keine dogmatische Abgrenzungskraft, denn es sei allen Haftungsformen als integrierender Bestandteil gemeinsam: der vertraglichen, quasi-vertraglichen (also vertrauenshaftungsrechtlichen) und deliktischen Haftungsform. 409 Es könne daher nicht spezifischer Bestandteil nur einer Haftungsform (die dann die Vertrauenshaftung wäre) sein.410 Mithin fehlt es der Vertrauenshaftung nach dieser Ansicht an einem eigenständigen Haftungsgrund, da das Vertrauen diesen Haftungsgrund nicht bilden kann. 411 Diese Kritik verdeutlicht Unstimmigkeiten in der eigenständigen Begründung der Vertrauenshaftung als dritter Haftungsspur zwischen Vertrag und Delikt und ihrer Abgrenzung von diesen beiden Haftungsgrundlagen.
404 Frotz, OS Gschnitzer, S. 163, 110;Frotz, S. 62;Loges, S. 81. 405 Picker, AcP 183 (1983), 369,422 und zur Bedeutung des Vertrauens bei bestehendem Vertrag allgernein S. 425 - 427. 406 Picker, AcP 183 (1983), 369, 421 ff.; Picker, JZ 1987, 1041, 1046; darauf, daß auch mit einer schuldvertraglichen WillenserklArung Vertrauen in Anspruch genommen werde, weist K6ndgen, S. I OS unten, hin.
407 Picker, AcP
183 (1983), 369, 424.
408 Picker, AcP 183 (1983), 369, 424.
. 409 Picker, JZ 1987, 1041, 1046; lhnlichHartmann, S. 77. 410 Picker, JZ
1987, 1041, 1046; Ptcker, AcP 183 (1983), 369, 427.
411 Picker, AcP 183 (1983), 369, 421; nachHartmann, S. 77, verliert das Vertrauenselement seine besondere pflicbtenbegrllndende Bedeutung.
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
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c) Schlußfolgerung Die Darstellung der Kritik an der Lehre von der Vertrauenshaftung (und teilweise auch an der betreffenden Rechtsprechung) hat deutlich gemacht, daß sowohl hinsichtlich der tatbestandliehen Klarheit und der Sachkriterien dieser Lehre als auch hinsichtlich ihrer dogmatischen Begründung so viele Bedenken bestehen, daß die Vertrauenshaftung als eigenständige und umfassende Lösung der Auskunftshaftung gegenüber Dritten bei primären Vermögensschäden nicht in Betracht kommt. Sie könnte aber in Verbindung mit anderen Haftungskonzepten für die Auskunftshaftungfruchtb ar gemacht werden. Solche Vorschläge sind im folgenden zu untersuchen.
2. Vertrauen in Verbindung mit anderen Haftungskonzepten
a) Konkretisierung der Vertrauenshaftung unter besonderer Anknüpfung an bestimmte Berufsgruppen Unter Verwendung berufssoziologischer Argumente wird die Vertrauenshaftung zum Teil für die Haftung bestimmter Berufsgruppen konkretisiert.412 Gemeint sind dabei Fachleute,413 Experten414 oder, etwas genauer beschreibend, vermögenssorgende Berufe,415 besonders wenn sie wie in den Sachverhalten der Fallgruppe 4 tätig werden.416 Es handelt sich bei den Fachleuten um Angehörige von Berufen, die besonders vertrauensbezogen sind und sich in einer bestimmten berufssoziologischen Rolle befinden. Diese Berufe sollen sogenannte alte Professionen wie Rechtsanwälte und auch neue wie Anlageberater, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sein. 417 Sie grenzen sich von anderen durch hohe fachliche
412 Grunewald, AcP 187 (1987), 285,299. 41 3 Grunewald, JZ 1982,627 (Titel des Au&atzes), 631. 414 Grunewald, AcP 187 (1987), 285 (Titel des Au&atzes). 415 Herrmann, JZ 1983, 422 (Titel des Au&atzes). 416 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 299; weitergehend Grunewald, JZ fi1r alle Fallgruppen der Ausk.unftshaftung. 417 Herrmann, JZ 1983, 422, 422 f.
1982, 627, 631: Lösung
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutsehern Recht
Ausbildungsanforderungen und eine Berufszulassung ab.418 Schon daraus419 oder aus der Heranziehung zur Bewältigung einer bestimmten Aufgabe wegen seiner besonderen Fähigkeiten420 rechtfertige sich das Vertrauen des Auskunftsempfiingers in die Tätigkeit des Experten. Der Vertrauenssachverhalt sei anonym,42 1 denn er begründe sich aus der Berufsstellung, nicht aus derbesonderen Redlichkeit oder Vertrauenswürdigkeit einer bestimmten Person. Diese Feststellung bezieht sich insbesondere auf die Prospekthaftung, die Herrmann als anonyme Sachwalterhaftung bezeichnet, wobei er aber auch andere Haftungslagen aus der Rechtsprechung einbezieht. 422 Wegen dieses Berufsvertrauens sollen die entsprechenden Fachleute für "durch ihre Sachkunde autorisierte Angaben" verschuldensahhängig haften.423 In Weiterentwicklung dieses Ansatzes424 für die Fallgruppe 4 wurde später angenommen, daß einem von einem Experten in Verkehr gebrachten Gutachten (für andere Auskünfte dürfte aber nichts anderes gelten) eine berufliche Gewährübernahme425 oder eine Garantieerklärung426 beigegeben sei, nach der der Gutachter so verstanden werden müsse, daß er für die Richtigkeit finanziell einstehe.427 Diese Garantieerklärung wird daraus abgeleitet, daß der Experte wisse, daß im Geschäftsverkehr auf sein Gutachten infolge seiner beruflichen Fachkunde vertraut werde und daß die betroffenen Verkehrskreise davon ausgingen, er hafte. 428 Von dieser Einschätzung lebe er.429 Eingeschränkt wird die Haftung durch folgende Kriterien: Es muß eine gewisse Seriositätsschwelle überschritten sein, 430 für sogenannte Parteigutachten, das heißt Gutachten, die von einer an der in Rede stehenden Streitigkeit 418 Herrmann, JZ 1983, 422, 423, insbesondere 425. 419 Herrmann, JZ 1983, 422, 423. 420 Grunewald, JZ 1982, 627, 630. 421 Herrmann, JZ 1983, 422, 425. 422 He"mann,
JZ 1983, 422, 425.
423 Grunewald, JZ 1982, 627, 631. 424 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 299 Fn. 34 (gemeint ist dort trotz des Druckfehlers
JZ 1982).
425 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 300 im Anschluß anHopt, FS Pleyer, S. 341, 359. 426 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 305. 427 Grunewald, AcP 187 (1987), 285,300. 428 Grunewald, AcP 187 (1987), 285,299. 429 Grunewald, AcP 187 (1987), 285,299. 430 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 300.
§ 7 Darstellung von Ulsungsvorschllgen aus der Lehre
121
beteiligten Partei in Auftrag gegeben worden sind. wird wegen des hier bestehenden Interessengegensatzes zwischen dem Geschädigten und dem Auftraggeber des Gutachtens nicht gehaftet,431 keine Haftung tritt auch dann ein, wenn das Gutachten seinen Zweck fiir den Empfänger erkennbar schon beim Auftraggeber erfiillt hat,432 schließlich darf das Gutachten nicht von vornherein fiir eine Vielzahl von Personen bestimmt sein, womit die Haftung fiir Testate bei Pflichtprüfungen nach § 322 HGB ausgeschlossen bleiben soll.433 Gegen die Annahme einer mit der Verbreitung des Gutachtens abgegebenen Garantieerklärung ist eingewandt worden, daß damit das, was der Beurteiler als rechtlich richtig erachte, den Parteien als vereinbart unterstellt werde. 434 Diese Lehre führt zu einer recht weitgehenden Haftung in den Konstellationen der Fallgruppe 4, und es mangelt ihr an strengen Abgrenzungskriterien. Es ist zum Beispiel nicht ganz klar, wann die genannte Seriositätsschwelle überschritten ist. An Beispielen, wie den Hinweisen in Zeitschriften oder im Börsenteil der Zeitung,435 läßt sich das Kriterium zwar demonstrieren. Aber allgemeine Kriterien der Seriosität fehlen. Als Teil der Lehre von der Vertrauenshaftungsieht sich der Vorschlag von Grunewald außerdem allen Einwänden gegen die dogmatische Begründung der Vertrauenshaftung, die oben dargestellt worden sind, ausgesetzt. Im Gegensatz zu dem Vorschlag Wiegands hat dieser Vorschlag aber nicht den Vorzug einer besonders straffen Konturierung des Tatbestandes, der diese Mängel kompensieren würde. Eine stärkere Verdeutlichung des Tatbestandes weist der sonst ähnliche Vorschlag von Herrmann auf. Hier wird verlangt, daß der Auskunftgeber in einem besonderen Sozialkontakt stand. 436 Damit soll gemeint sein, daß der Angehörige des vermögenssorgenden Berufes bei der Vorbereitung eines Vertrages tätig wird und den Zweck des Vertrages und die Person desjenigen kennt, in dessen Vermögenslage der später Geschädigte vertraut. 437 Dieses Kriterium ist bei den Fallgruppen 3, 4 und 5 verwendbar. Es erstaunt, daß es nach diesem Vorschlag darauf ankommen soll, daß der Auskunftgeber die Person 431 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 300, sie nennt dazu den Fall BGH Urt. v. 18.6.1962, VII ZR 237/60, WM 1962,933. 432 Grunewald, AcP
187 (1987), 285,301.
433 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 302 f. 434 Picker, JZ
1987, 1041, 1043 Fn. 12.
435 Gnmewald, AcP 187 (1987), 285,300. 436 Herrmann,
JZ 1983, 422, 426.
437 Herrmann, JZ 1983, 422, 427.
122
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
desjenigen kennt, über dessen Vermögenslage oder ähnliches er Auskunft gibt oder ein Gutachten erstellt. Das ist eine Selbstverständlichkeit, weil er sonst gar keine Auskunft erteilen könnte. Oben war dagegen beschrieben worden, daß die Rechtsprechung - allerdings undeutlich - die Kenntnis von der Person des Geschädigten verlangt. Das ist einleuchtender. Geeigneter erscheint das Erfordernis, den Zweck des vorzubereitenden Vertrages zu kennen. Dann kann der Auskunftgeber das Haftungsrisiko besser einschätzen. Da er auch weiß, daß ein Vertrag abgeschlossen werden soll, ist ihm ebenfalls klar, daß sich der spätere Geschädigte eventuell auf seine Auskunft, insbesondere ein Gutachten, verläßt. Daher wird er durch die Haftung nicht überraschend getroffen. Das Kriterium führt daher zu einer das Interesse des Auskunftgebers wahrenden Begrenzung der Haftung. Die Anknüpfung an die Teilnalune des Berufsangehörigen an Vertragsverhandlungen, um damit die Haftung zu begründen, wird als Überdehnung des Anwendungsbereichs der c. i. c. kritisiert.438 Besonders Herrmann stellt, wie oben beschrieben, auf die Zugehörigkeit des Auskunftgebers zu einem bestimmten Berufsstand und seiner Teilnahme an der Vorbereitung eines Vertrages ab. Damit kann die daraus abgeleitete Haftung so verstanden werden, daß sie sich aus einem weitergehenden Verständnis der Rechtsfigur der c. i. c. ergibt. Gegen eine solche Haftungsbegründung wird vorgebracht, daß die Sorgfaltspflichten aus c. i. c. den Vertragsparteien auferlegt seien, weil sie das Verhandlungsgeschehen beherrschten.439 Daran ändere die Hinzuziehung eines beruflich besonders qualifizierten Verhandlungsgehilfen nichts, da er sich grundsätzlich den Interessen der Partei, ftir die er tätig werde, unterordne. 440 Die Anknüpfung an das Vertrauen in den Berufsangehörigen als Vertrauensträger verkehre so die der c. i. c. zugrunde liegende Wertung in ihr Gegenteil. 441 Die Kritik trifft vor allem auf die Verwendung des Haftungskonzepts von Herrmann auf Konstellationen der Fallgruppe 3 zu. Diese Kritik stellt eine Verbindung zwischen diesem Konzept und der Sachwalterhaftung, die die Rechtsprechung entwickelt hat (vgl. oben § 6 C. II.), her. Die Auswertung der entsprechenden Rechtsprechung hat erbracht, daß die Voraussetzungen der Sachwalterhaftung kaum je erftillt waren. Es ist daher richtig, zu kritisieren, die Voraussetzungen in typisierter Form als Begründung ftir ein Haftungskonzept zu verwenden, das in seiner konkreten Anwendung geringere Anforderungen an die Haftung stellt, da die schärferen Anfor438 Breinersdorfer, S. 89. 439 Breinersdorfer, S. 89. 440 Breinersdorfer, S. 89. 441 Breinersdorfer, S. 90.
§ 7 Darstellung von l..Osung.worschllgen aus der Lehre
123
derungen der Sachwalterhaftung bereits in den Kriterien der Berufszugehörigkeit verwendet worden sind und daher im Einzelfall nicht mehr untersucht werden müssen. 442 Da die Auffassungen von Grunewald und Herrmann beide sehr an die Berufsstellung des Auskunftgebers anknüpfen, sind sie den gleichen Einwänden ausgesetzt wie die Berufshaftung. Darauf soll aber unten bei der Behandlung der Berufshaftung im ganzen eingegangen werden.
b) Verbindung der Vertrauenshaftung mit dem Gedanken des einseitigen Leistungsversprechens Da ein deutlicher Austausch von Willenserklärungen in den AuskunftsflUlen, die in dieser Arbeit untersucht werden, nicht vorkommt, bietet es sich an, in der Auskunft (im weitesten Sinn, worunter auch Gutachten, Testate und anderes fallen) unter bestimmten Voraussetzungen ein einseitiges Leistungsversprechen zu sehen und von daher die Vertrauenshaftung zu konkretisieren.443 Das soll dazu dienen, die Rechtsgeschäftslehre von der Fiktion eines Rechtsbindungswillens zu entlasten, die nach dieser Ansicht in der Annahme von stillschweigend geschlossenen Auskunftsverträgen liegt. 444 Dieses Konzept verlangt für eine Haftung aus Vertrauen, daß mit der Auskunft ein einseitiges Leistungsversprechen, meist auf die sorgfiUtige Erteilung der Auskunft gerichtet, verbunden ist, durch das das Vertrauen des Versprechensempfängers in Anspruch genommen und er zu Dispositionen veranlaßt wird. 445 Dieses Leistungsversprechen soll eine stillschweigende Übernahme von Verantwortung für die Auskunft bedeuten. 446 Die näheren Voraussetzungen ähneln dabei ausdrücklich denen, die die Rechtsprechung bei der Feststellung eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrages anwendet, was nicht verwundert, da diese Lehre in diesen 442 Vgl. zu den gegenOber dem Haftungskonzept von Herrmann höheren Anforderungen der Rechtsprechung: Breinersdoifer, S. 90. 443 Stoll, FS Flume Bd. 1, S. 741, 754; vgl. auch die Kritik an der nach Stolls Meinung zu großen Weite der Vorschläge von Ballerstedt und Canaris aufS. 752 f. 444 Stoll, FS Flume Bd. 1, S. 741, 747. 44S Stoll, FS Flume Bd. 1, S. 741, 765.
446 Stoll, FS Flume Bd. 1, S. 741, 767, wo diese Wendung aus der Rede Lord Devlins in dem Fall Hedley Byme & Co. Ud. v. Heller & Partners Ud. [1964] AC. 465 (H.L) zustimmend herangezogen wird; vgl. S. 766: die Entscheidung sei der Sache nach ein Beleg fllr die gesetzliche Vertrauenshaftung kraft Leistungsversprechens.
124
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Fällen der Haftung eine andere dogmatische Grundlage geben will, um die Rechtsgeschäftslehre zu entlasten. 447 Folglich soll es darauf ankommen, ob die Auskunft mit beruflicher Sachkunde erteilt wird und ob der Auskunftgeber weiß "oder sich sagen muß, daß der Empfänger der Auskunft sie zur Grundlage wesentlicher Vermögensverfiigungen machen will." 448 Weiterhin muß die Auskunft bei DrittweitergabefiUlen fur den Dritten bestimmt sein, was der Richtungsbedürftigkeit in dem Ansatz von Lorenz entsprechen soll.449 In Abgrenzung dazu soll sich nach Stolls Lehre die Richtung der Auskunft aber nur aus dem mit ihr verbundenen Einstandsversprechen ergeben können. 450 Interessant an dieser Lehre ist, daß hier darauf abgestellt wird, daß der Auskunftsempranger zu Dispositionen veranlaßt wird. 451 Daraus ergibt sich zum Teil die Haftung. Auf diesen Aspekt, daß jemand haften soll, wenn und weil er jemand anderen zu Vermögensdispositionen veranlaßt hat, wurde bei der Darstellung der Rechtsprechung als hinter den Argumenten stehender Wertungsgesichtspunkt schon hingewiesen. Hier wird daran die Haftung offen angeknüpft. Einen ähnlichen Ansatz wie Stoll verfolgt Hohloch. Er kritisiert die Annahme eines Leistungsversprechens mit dem Einwand, daß in den betreffenden Fällen der Auskunftsetteilung ein solches nirgends vorliege und daß der Auskunftgeber mit der Auskunft nicht den Gedanken an eine eigene zukünftige Leistung verbinde. 452 Trotz dieser Kritik wird aber dem in der Sache augewandten Kriterium der Übernahme der Verantwortlichkeit und Haftung zugestimmt. 453 Darin liege aber nur ein Haftungsversprechen. Das Haftungsversprechen rechtfertige die Anwendung vertragsrechtlicher Rechtsfolgen in der vertragsähnlichen Vertrauenshaftung. 454 Die Kritik von Seiten der allgemeinen Lehre von der Vertrauenshaftung an dem Ansatz des einseitigen Leistungsversprechens geht dahin, daß die Einseitigkeit des Versprechens keine Vorteile bringe, denn dieses Phänomen gebe 447 Vgl. Stall, FS Flurne Bd. 1, S. 741,747. 448 Stall, FS Flurne Bd. 1, S. 741, 767. 449 Stall, FS Flurne Bd. 1, S. 741, 768. 45° Stall, FS Flume Bd. 1, S. 741, 768. 451 Stall, FS Flume Bd. 1, S. 741, 765 u. 773. 452 Hahloch, NJW 1979, 2369, 2372; ähnliche Kritik bei K6ndgen, S. 355. 453 Hahloch, NJW 1979, 2369, 2373, mit der Kritik an der Nichtübereinstimmung dieses Kriteriums mit der Annalune eines Leistungsversprechens bei Stall in Fn. SO. 454 Hahloch, NJW 1979, 2369, 2373.
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
125
es auch bei einem Vertrag. 455 Der Lehre wird eine geflihrliche Nähe zur Fiktion vorgeworfen, was das Vorhandensein des einseitigen Leistungsversprechens betrifft. 456 Damit trifft diese Lehre derselbe Vorwurf wie die Rechtsprechung zum stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag, die sie in diesem Punkt verbessern wollte. Insofern ist der Gewinn durch die Lehre vom einseitigen Leistungsversprechen nicht groß. Kritisch wird auch bemerkt, daß die Konzentration auf das Leistungsversprechen zu eng sei, da es eine größere Bandbreite versprechensähnlicher Selbstbindungen gebe. 457 Daher komme es zu der Konstruktion einer Auskunft nicht als Leistung, sondern als Versprechen, fiir die Richtigkeit einstehen zu wollen. 458 Die Auskunft sei aber nicht Leistungsversprechen, sondern Leistungsbewirkung, sonst liege bei der falschen Auskunft darin zugleich Versprechen und Versprechensbruch. 459 Allerdings wird - wie auch im Leistungsversprechen - in dem Haftungsversprechen eine Fiktion gesehen, weil der Auskunftgeber an den Haftungsfall nicht denke, wenn er die Auskunft nur fahrlässig falsch gebe und also an ihre Richtigkeit glaube.460 Daher wird diese Konstruktion als nicht haltbar angesehen.461 Eine weitere Kritik weist darauf hin, daß diese Lösung dem deutschen Rechtssystem nicht entspreche und durch Stolls rechtsvergleichende Hinweise auf ähnliche Haftungsgründe in anderen Rechtsordnungen diese Haftung nicht systemgemäß werde. 462 Auch stoße dieser Haftungsansatz an die Grenzen der hohen Form- und Deutlichkeitsanforderungen fiir Haftungsversprechen im deutschen Recht. 463 Das ist jedoch nicht überzeugend, weil man sich auch 455 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 94; AhnlichBreinersdoifer, S. 182 f., der unter den von Stoll vorausgesetzten Bedingungen eines einseitigen Leistungsversprechens bereits eine rechtsgeschAftliche Haftung annimmt; Hartmann, S. 80 (allerdings nicht vom Standpunkt der allgemeinen Lehre von der Vertrauenshaftung aus). 456 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 94; ebenfalls mit dem Vorwurf der Fiktion ausdnlcklich gegen Hohloch: Larenz, Schuldrecht, Bd. li, 1, S. 425 Fn. 48; der Vorwurf der Fiktion ebenfalls bei K6ndgen, S. 190; Wiegand, S. 280 f. 457 KtJndgen, S.
105.
458 KtJndgen, S.
105.
459 KtJndgen, S. 355; im Anschluß daran ebenso Wiegand, S. 281.
460 KtJndgen, S. 356. 461 KtJndgen, S. 356. 462 Wiegand, S. 281. 463 Wiegand, S. 282.
126
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
konkludent verpflichten kann. Wiegand erwähnt als Beispiel für die von ihr erwähnten Grenzen die Formvorschriften bei der Bürgschaft. Es handelt sich bei der Auskunftshaftung aber nicht um die Haftung für fremde Schuld, sondern um eine Haftung für eigenes Versagen bei der Erbringung einer Leistung. Dieser Fall ist mit der Bürgschaft nicht vergleichbar. Darüberhinaus gibt es als anderes Sicherungsversprechen außer der Bürgschaft die Schuldmitübernahme, die keinen besonderen Formvorschriften unterliegt. 464 Weiter wird gegen die in diesem Abschnitt dargestellte Lehre eingewandt, daß dieser Ansatz kein geeigneter Weg zur tatbestandliehen Präzisierung sei, weil die Verwendung eines einseitigen Leistungs- oder Haftungsversprechens zu rechtsgeschäftliehen Erklärungen fiihre, die an die Stelle des Vertrauenstatbestandes träten. Die Abgabe eines Versprechens sei nur ein Vertrauensfaktor neben anderen. 465 Diese Kritik richtet sich dagegen, daß zur Konkretisierung nicht auf tatsächliche Umstände, die das Vertrauen begründen, zurückgegriffen wird, sondern auf das Versprechen als rechtsgeschäftlicher Erscheinung. Der Versprechensbegriff verlagere so den dogmatischen Ausgangspunkt. 466 Die grundsätzliche Kritik Pickers an der Vertrauenshaftung wendet sich auch gegen den Ansatz der Vertrauenshaftung bei einseitigem Leistungsversprechen. Auch hier wird festgestellt, daß es an einer inneren Abgrenzung des Haftungsgrundes von der Deliktshaftung und der vertraglichen Haftung fehle, da auch in diesen Fällen das Vertrauen des Geschädigten vorhanden sei (bei der vertraglichen Haftung sogar am stärksten) und eine Rolle spiele, wenn es zum Schaden komme. 467 Hier werde das Vertrauen dagegen von der Lehre von der Vertrauenshaftung als für die Haftung nicht beachtlich angesehen. Angesichts der allgemeinen Kritik an der Vertrauenshaftung, die auch diesen Ansatz triffi, kann er nicht als umfassende Lösung angesehen werden. Er lenkt den Blick aber auf den Aspekt der Übernahme einer Verantwortlichkeit, die mit der Auskunft verbunden sein kann. Wertvoll ist der Hinweis auf das englische Recht, 468 auf den bei der Behandlung dieses Rechts zurückzukommen sein wird.
464 Zur Schuldmitübernahme und ihrer gnmdsitzlichen Formfreiheit Palandt/Heinrichs, Überblick vor§ 414 Rn. 2 und3. 46S &hulze, JuS 1983,81,85 f. 466 &hulze, JuS 1983,81,85 f. 467 Picker, AcP 183 (1983), 369,423 u. 425 f.; AbnlicbK6ndgen, S. 105. 46S Stoll, FS Flume Bd. 1, S. 741,766 f.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschllgen aus der Lehre
127
Der Gesichtspunkt der freiwilligen Übernahme von Verantwortung leitet über zu einem anderen Konzept der Auskunftshaftung, der Selbstbindung ohne Vertrag, das im nächsten Abschnitt dargestellt werden soll.
ß. Erklirungsbaftungslösungen
Die vorzustellenden Ansätze legen das Schwergewicht ihrer Argumentation auf die Auskunft selbst als eine an einen Adressaten gerichtete Erklärung mit einem bestimmten, über das Tatsächliche hinausgehenden Inhalt. Es geht um "Verpflichtungen aus Handeln zu kommunikativen Zwecken, das beim Adressaten bestimmte Erwartungen oder Handlungen auslösen soll, aber nicht Willenserklärung im technischen Sinne ist."469 Es soll sich dabei um eine Geltungserklärung handeln, was bedeutet, daß die Auskunft mit einem Anspruch auf ihre Richtigkeit gegeben wird. 470 Auch diese Ansätze suchen - wie die Lehre von der Vertrauenshaftung - nach einer Haftungskonstruktion zwischen Vertrag und Delikt. Sie soll quasi-vertraglich sein471 bzw. "quasi als vertragliche anzusehen" sein. 472 Man kann hier allerdings nicht von einer einheitlichen Lehre sprechen, da die Konzepte sich voneinander unterscheiden. Der Gesichtspunkt, die Bindung durch die Erteilung der Auskunft selbst zu betonen, ist ihnen aber gemeinsam. Die Lehren werden zunächst dargestellt, wobei auch schon Kritik geübt wird. Danach sind sie im ganzen zu bewerten.
1. Das Konzept der Selbstbindung ohne Vertrag
Die theoretische Begründung dieses Konzepts soll kurz dargestellt werden, bevor auf die hier vor allem interessierenden Sachkriterien einer Auskunftshaftung auf der Grundlage dieses Konzepts eingegangen wird.
469 K6ndgen, S. 114; ähnlichJost, S. 254f. 470 Jost, S. 255. 47! K6ndgen, S. 111, 118, insbesondere S. 185 ff. 472 Jost, S. 253.
128
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
a) Theoretische Begründung Als die zwei "Verpflichtungselernente" dienen in dieser Lehre Selbstbindung und Reziprozität. 473 Die Selbstbindung einer Person ergebe sich aus ihrer Selbstdarstellung474 in einem ,,fortwährenden Interaktionsprozeß", die nicht das Resultat eines vorn übrigen Verhalten abgrenzbaren Einzelakts sei,475 sondern auf dem ganzen Verhalten einer Person beruhe. 476 So entstünden sogenannte normative Erwartungen an das Verhalten dieser Person. 477 Bei der Falsifizierung dieser normativen Erwartungen rücke man nicht von ihnen ab, sondern sehe ihre Nichterfiillung, ihre Enttäuschung als einen Regelverstoß an. 478 Zu erklären bleibt aber, ob und wie derartige normative Erwartungen vorn Recht anerkannt und bei Enttäuschung geschützt werden, der empfundene Regelverstoß also mit rechtlichen Sanktionen, im Zivilrecht mit einer Haftung, belegt wird. 479 Nach Köndgen haben "normative Erwartungen in sozialen Interaktionen eine Tendenz ..., pflichtbildend auch im (Quasi-) Vertragsrecht zu wirken."480 Rechtlich gesicherte ("stabilisierte") Erwartungen werden von Köndgen legitime Erwartungen genannt. 481 Sie stellten nur einen Teil der normativen Erwartungen, die aufnur soziale (nicht rechtliche) Normen verwiesen, dar.482 In weiterem Umfang als bei nicht intentionalen Selbstdarstellungen werde eine Verbindlichkeit durch Selbstbindung bei intentionalen Selbstdarstellungen erreicht. 483 Sie würden bewußt als Träger von Informationen eingesetzt und sollten ein bestimmtes Erwarten oder Handeln auslösen. 484 Intentionale geschäftsbezogene Selbstdarstellungen will Köndgen als Zusicherung persönli-
473 K"ndgen, S. 280, zum Begriff "Verpflichtungselement": S. 281 oben. 4 74 K"ndgen, S.
165- 167, insbesondere S. 167.
475 K6ndgen, S.
181.
476 K(Jndgen, S.
187.
477 K"ndgen, S.
167 f., PhAnomen der ,,Nonnemergenz".
478 K"ndgen, S.
117.
479 Vgl. auch K(Jndgen, S. 117 zu legitimen Erwartungen. 480 K"ndgen, S.
164/165.
481 K(Jndgen, S. 117. 482 K(Jndgen, S. 117. 483 K(Jndgen, S.
174.
484 K6ndgen, S.
174.
§ 7 Darstellung von Lös~orschlllgen aus der Lehre
129
eher Eigenschaften ansehen. 485 Daraus soll sich eine Berufshaftung durch Zusicherung professioneller Fähigkeiten ergeben.486 Quasi-vertragliche Selbstbindungen würden oft an das Publikum als Kollektiv adressiert. was sie von Willenserklärungen unterscheide. 487 Das macht sie fiir die Begründung einer Haftung fiir Auskünfte interessant, weil diese oft auch nicht an ganz bestimmte Empfänger gerichtet sind. Differenziert würden Selbstbindungsakte durch die soziale Rolle desjenigen, der Selbstdarstellungsakte erbringe. 488 Unter einer Rolle versteht Köndgen, daß "einem Individuum ... als Inhaber einer Position bestimmte Verhaltensweisen zugemutet" werden. 489 Sie dürften nicht an eine Situation, bei deren Eintritt sie fiir alle in ihr befindlichen Personen gelten würde, anknüpfen.490 In einem Bezug zur Selbstbindung stehe das Phänomen der Rolle dadurch, daß die Rollenübernahme häufig von Selbstdarstellung&- und Selbstbindungsakten begleitet sei und andererseits Selbstbindungsakte in Beziehung zu einer Rolle stünden und so wahrgenommen würden. 491 Besonders gute Beispiele fiir dieses Konzept sind nach Köndgen die Berufsrollen.492 Während die Selbstdarstellung, die zur Selbstbindung fiihre, erkläre, wie Verpflichtungen entstünden,493 erkläre das zweite Verpflichtungselement, die Reziprozität, "warum eingegangene Selbstbindungen über die Zeit Bestand haben."494 Reziprozität fiihre außerdem zur Angemessenheitskontrolle, ob eine Selbstbindung als rechtliche Pflicht durchgesetzt werden dürfe. 495
485 KtJndgen, S.
178.
486 KtJndgen, S.
179.
487 KtJndgen, S.
187.
488 KtJndgen, S. 281.
489 KlJndgen, S. 197; Ahnlieh Rehbinder, FS Hirsch, S. 141, 163, der darunter "die Summe aller Verhaltensregeln, die dem Inhaber einer bestimmten sozialen Position von der Gesellschaft aufgegeben werden", versteht. 490 Köndgen, S.
197.
491 K6ndgen, S. 200. 492 K6ndgen, S. 210 ff. 493 KtJndgen, S. 280. 494 K6ndgen, S.
280.
495 KtJndgen, S. 280. 9 F. Müller
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Nach Köndgen ist Reziprozität "das Prinzip, daß empfangene Leistungen zu erwidern sind." 496 Es diene als ,,Funktionsbedingung stabiler sozialer Beziehungen".497 Dazu seien Vertrauen zwischen den Beteiligten und die Gleichheit der Tauschpartner erforderlich. 498 Das letztere bedeute, daß die Rechte und Pflichten umkehrbar sein müßten und die Leistungen für jeden gleich viel wert und gleich dringend sein müßten. 499 Im Rahmen der Auskunftshaftung kann Reziprozität aber kaum bedeuten, daß auch der Auskunftsuchende einmal Auskunftgeber gegenüber dem ersten Auskunftgeber sein kann, denn der Auskunftsuchende ist oft nicht selbst Experte auf einem bestimmten Gebiet, und selbst wenn er es wäre, dürfte die Konstellation, daß der Auskunftgeber selbst gerade hierüber eine Auskunft benötigt, äußerst selten sein, so daß darauf keine Haftungstheorie gestützt werden kann. Leider macht Köndgen nicht deutlich, wie das Reziprozitätsprinzip die durch Selbstbindung entstandene Verpflichtung stabilisiert, was nach seiner allgemeinen Darstellung die Funktion des Reziprozitätsprinzips sein soll. Es muß vermutlich so sein, daß der durch Selbstbindung in eine Verpflichtung Geratene darin verharrt und diese Verpflichtung annimmt, weil er von anderen (allgemein, nicht nur von demjenigen, dem er nun verpflichtet ist), die durch Selbstdarstellung bei ihm Erwartungen wecken, dasselbe erhofft oder erwartet. Das paßt zu Köndgens Terminus von der Reziprozität als Hintergrundserwartung. Die Erwartung des durch Selbstdarstellung Gebundenen ist nicht konkret auf ein Gegenüber gerichtet, sondern bildet einen vagen Hintergrund und ist auf alle gerichtet. 500 Dadurch wirkt dieser Teil der Theorie recht schwer greifbar und schwer verständlich. Deutlicher wird das Konzept der Reziprozität bei der Behandlung von Macht als Reziprozitätsproblem. Wenn jemand eine Anfrage an einen anderen richte, räume er diesem, weil er von seiner Auskunft das eigene Verhalten abhängig mache, eine Machtposition ein. 501 Wenn der Auskunftgeber von dieser Machtstellung durch Erteilung der Auskunft Gebrauch mache, 502 müsse der Mißbrauch der Position verhindert werden, was durch Reziprozität, d. h.
496 KlJndgen, S. 234, 242. 497 KlJndgen, S. 240. 498 KlJndgen, S. 243. 499 KlJndgen, S. 243.
500 Vgl. KlJndgen, S. 247. 501 KlJndgen, S. 268.
502 Dazu KlJndgen, S. 268.
§ 7 Darstellung von LösungsvonchUlgen aus der Lehre
131
die Auferlegung von Sorgfaltspflichten auf den Auskunftgeber, erfolge. 503 Das müsse aber durch das Recht erfolgen, das hier Reziprozität durchsetze. Neben den beiden Verpflichtungselementen Selbstbindung und Reziprozitätsprinzip stehen das Konzept der sozialen Rolle, das wegen seiner Nähe zum Selbstbindungsprinzip schon oben im Zusammenhang damit dargestellt wurde, und das Konzept des ,.Marktes als Systemreferenz rechtsgeschäftliehen Handelns". Diese Konzepte seien vertragsrechtliche Differenzierungsprinzipien. 504 Davon ist noch das Konzept des Marktes als Systemreferenz darzustellen. Es soll bedeuten, daß danach differenziert wird, ob das Verhalten, aus dem sich eventuell eine Haftung ergibt, marktbezogen ist oder nicht, wenn das Vorliegen einer Haftung bestimmt wird. 505 Um Erwartungen zu sichern, "werden marktbezogene Erklärungenper se emstgenommen". 506 Sie seien in dieser Weise verbindlich. Handeln mit Marktbezug werde vom übrigen Handeln einer Person oft dadurch abgegrenzt, daß es im Rahmen der beruflichen Rolle erfolge. 5°7 Der Markt als Systemreferenz bestimme, welche Anforderungen an den Rechtsbindungswillen der Handelnden zu stellen seien.508 Da das Handeln mit Marktbezug wie oben gezeigt mit einer Art Verbindlichkeitsvermutung ausgestattet ist, sind hier die Anforderungen an einen besonderen Rechtsbindungswillen desjenigen, der sich durch Selbstbindung verpflichtet, also geringer als außerhalb des Marktgeschehens. Diese Lehre ist unabgeschlossen, was Köndgen selbst mitteilt. 5°9 Für ihn stellt sie nur eine Verbindung von vier Theorieelementen ohne lückenlosen Erklärungswert dar.5IO
503 KtJndgen, S. 269.
504 KtJndgen, S. 281. 505 Vgl. KtJndgen, S. 272/273 (allerdinS'I sehr undeutlich).
506 KtJndgen, S. 276. 507 KtJndgen, S. 278. 508 KtJndgen, S. 281.
509 KtJndgen, S. 281.
°
51 KtJndgen, S. 281.
132
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
b) Anwendung in AuskunftsfiUlen Im folgenden ist die Anwendung dieser Lehre auf die Auskunftsfälle darzustellen. Sie soll auf der Grundlage der Berufsrolle511 und der Selbstbindung eine Lösung fiir diese Fälle bieten. Nach dieser Ansicht handelt es sich bei Auskünften und Raterteilungen um kommunikatives Handeln mit Geltungsanspruch. 512 ln diesem Geltungsanspruch soll der Selbstbindungseffekt liegen. 513 Der Geltungsanspruch bedeute die implizite Erhebung eines Wahrheitsanspruches, wenn und indem man eine Auskunft gebe.5 14 Man behauptet damit, den Inhalt der Auskunft zu wissen. Raterteilungen und Empfehlungen enthielten leicht abweichend von der Auskunft ein normatives Element und den Anspruch, daß das dem Empfänger angesonnene Verhalten richtig sei (Richtigkeitsanspruch). 515 Der Geltungsanspruch verweise darauf, daß die Auskunft oder der Rat auf "soliden Grundlagen basiert".516 Er soll auch das Vertragsähnliche an der Auskunftshaftung sein. 517 Sie soll daher in der außetvertraglichen Berufshaftung eine Sonderstellung einnehmen. Wegen der Vertragsähnlichkeit der Auskunft wird die Haftung nicht allein auf die Berufsposition oder soziale Rolle des Auskunftgebers gestützt. Die Rolle diene vielmehr nur dazu zu differenzieren, welche Pflichten dem Auskunftgeber auferlegt würden, nicht aber zur Begründung der Pflichten.518 Ein weiteres Differenzierungsprinzip ist der Markt als Handlungssystem, wie es oben schon allgemein dargestellt worden ist. Die Marktbezogenheit der Auskunft soll nach Köndgen den in der Vertrauenshaftungerforderlichen geschäftlichen Kontakt ersetzen. 519 Aus der Marktbezogenheit ergebe sich das Bewußtsein, etwas Rechtserhebliches zu tun ("marktbezogene Auskünfte präsumieren" dieses Bewußtsein nach Köndgens Terminologie). 52° 511 K6ndgen, S.
354.
512 K6ndgen, S. 356. 513 K6ndgen, S. 356 u. 357 unten. 514 K6ndgen, S. 357. 515 K6ndgen, S. 357. 516 K6ndgen, S. 358. 517 K6ndgen, S. 358. 518 K6ndgen, S. 359. 519 K6ndgen, S. 359, von ilun wird das als Erfordernis der herrschenden Lehre bezeichnet
°
52 K6ndgen, S. 359.
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
133
Die Berufsrolle des Auskunftgebers differenziert die Haftung weiter. Es müsse sich um eine Rolle handeln, die die Erteilung von Rat und Auskunft mit sich bringe, und die Auskunft bzw. der Rat müßten rollenspezifisch sein, also gerade zu dem Sachbereich gehören, mit dem sich der Auskunftgeber berufsmäßig befasse. 521 Gleich steht dem letzteren eine rollentypische Sachnähe des Auskunftgebers. 522 Ist so die Haftung des Auskunftgebers grundsätzlich bejaht worden, bleibt noch der personale Schutzumfang abzugrenzen. Das heißt, es muß bestimmt werden, welche Auskunftsempfänger sich noch im Schutzbereich der quasivertraglichen Haftung aus Selbstbindung befinden. 523 Nicht anspruchsberechtigt sei derjenige, der nicht bestimmungsgemäß, wenn auch für den Berufspraktiker vorhersehbar, von beruflichem Handeln betroffen werde. 524 Im Schutzbereich seien nur sogenannte Leistungsbenefiziare, zu denen der Auskunftsuchende, der zugleich Empfänger der Auskunft sei, gehöre, aber auch solche Personen, denen gegenüber der Berufspraktiker Leistungen erbringe, nachdem er von einem anderen dafür eingeschaltet worden sei525 (das wären Sachverhaltsgestaltungen der Fallgruppe 4). Außerdem befinden sich nach dieser Lehre sogenannte intendierte Benefiziare, die "lediglich durch die Richtung des Rollenhandeins identifiziert zu sein" brauchen,526 im personellen Schutzbereich dieser Haftung. Als Beispiel führt Köndgen hierzu die Entscheidung des BGH vom 12.2.1979527 an (vgl. zu diesem Urteil oben§ 6 D. II. 2.), in der eine Mitteilung vom Absender an "einen ganz bestimmt umgrenzten Interessentenkreis"528 gerichtet war. Abzugrenzen ist diese originäre und quasi-vertragliche Position des Leistungsbenefiziars529 von der nur deliktischen Berufshaftung, für die nach Köndgens Konzept ebenfalls noch Raum bleibt. Er schließt sich der Sache nach den Ergebnissen der Rechtsprechung zu § 826 BGB im Bereich der Auskunftshaftung an. Danach sollen "deliktische Berufspflichten gegenüber sol521 KIJndgen, S. 360. 522 KIJndgen, S. 361. 523 KIJndgen, S. 362. 524 Köndgen, S. 363. 525 KIJndgen, S.
363.
526 Ktindgen, S. 363. 527 BGH Urt. v.
12.2.1979, II ZR 177177, WM 1979, 548 = LM Nr. 19 zu§ 676 BOB. 52S BGH Urt. v. 12.2.1979, II ZR 177177, WM 1979,548, 550. 529 K6ndgen, S. 365.
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftun nach deutschem Recht
134
eben Dritten" bestehen, "deren Vermögen notwendig von der Berufstätigkeit betroffen wird und deren Betroffenheit daher dem Berufspraktiker (ebenso notwendig) bewußt ist." 530 Dadurch wird der Kreis der Personen, gegenüber denen für die Vermögensschäden auf Grund falscher Auskünfte gehaftet wird, über den Kreis der sogenannten "intendierten Leistungsbenefiziare", die durch die quasi-vertragliche Haftung geschützt sind, erweitert. 531 Im Bereich deliktischer Haftung soll allerdings qualifizierte Fahrlässigkeit erforderlich sein. 532 Der Grund dafür liege in dem Rollenkonflikt des Auskunftgebers, der zwischen seinem Auftraggeber und einem Auskunftsempfänger stehe. 533 Der Konflikt wird im Haftungsrecht dadurch gelöst, daß gegenüber dem nachgeordneten Auskunftsempfänger (an den etwa ein Gutachten oder eine testierte Bilanz weitergegeben wird, vgl. oben die Fallgruppe 4 zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) nur unter der Voraussetzung grober Fahrlässigkeit gehaftet wird, 534 worauf sich die Anforderungen an die Haftung aus § 826 BGB, wie oben gezeigt, reduziert haben.535 Daraus ergibt sich ein abgestufter Haftungsschutz. 536 Gegenüber intendierten Leistungsbenefiziaren wird quasi-vertraglich für jede Fahrlässigkeit gehaftet, 537 während gegenüber anderen Geschädigten grobe Fahrlässigkeit erforderlich ist. Und diesen gegenüber haftet der Auskunftgeber auch nur deliktisch, nicht quasi-vertraglich nach dem Selbstbindungskonzept Die Abgrenzung zwischen den erstrangigen Bezugspersonen538 und den übrigen Dritten (den nachgeordneten Rollenbenefiziaren539) ist für die Bestimmung der Haftung nach diesem Konzept also sehr wichtig. Leider werden dafür keine klaren Kriterien angegeben. Bereits die Terminologie grenzt nicht klar ab, weil beide Gruppen von Anspruchsberechtigten als Rollenbenefiziare bezeichnet werden. 540 Das ist unklar, weil von dem durch die Rollenzugehö-
°K~ndgen,
53
S. 373.
531 K~ndgen, S. 373. 532 Köndgen, S. 374. 533 K6ndgen, S. 374 ff.
534 K~ndgen, S. 379. 535 Dies bestreitet allerdings Lang, Karlsruher Forum 1988, S. 13, 13. 536 K~ndgen, S. 375.
531 K~ndgen, S. 373. S38 BegriffbeiK~ndgen, S. 379. S39 Begriffbei K~ndgen, S. 379.
S40 Die Anspruchsberechtigten aus der quasi-vertraglichen Haftung bei K~ndgen, S. 363, die Obrigen aufS. 379 mit dem Zusatz ,,nacbgeordnet".
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
135
rigkeit des Auskunftgebers bestimmten Haftungskonzept nur die Anspruchsberechtigten aus der quasi-vertraglichen Haftung profitieren, die nachgeordneten Rollenbenefiziare aber gerade auf die deliktische Haftung beschränkt sind. Somit sollte es sich bei den letzteren logisch nicht um Rollenbenefiziare handeln können. Das sagt Köndgen auch, wenn er feststellt, daß diejenigen, die nur deliktische Ansprüche haben könnten, "nicht mehr in einer aktuellen Rollenbeziehung" stünden. 541 Auch fehlt eine klare Abgrenzung zwischen Sachverhaltskonstellationen innerhalb der Fallgruppe 4, in denen noch intendierte Leistungsbenefiziare von Berufshandeln betroffen werden und also Ansprüche aus einer Selbstbindung des Auskunftgebers haben, und anderen Konstellationen der Fallgruppe 4, in denen nur ein deliktischer Anspruch aus § 826 BGB besteht. Die Ergebnisse der Rechtsprechung in den letzteren Fällen erkennt Köndgen wie schon gesagt an. Da er aber außerdem Beispiele der Fallgruppe 4 für sein Konzept der quasi-vertraglichen Haftung nennt, 542 wäre diese Unterscheidung notwendig. Diese Auslassungen mindern die praktische Verwendbarkeit dieses Konzepts, wenn es auch eine neue theoretische Deutung darstellt.
2. Vertragsartige Haftung auf Grund der Auskunft als Erkltirung und der BerufszugehOrigkeit Ein ähnliches Konzept hat Jost vorgestellt, das aber theoretisch weniger aufwendig als dasjenige von Köndgen ist. Ein wichtiges Element dieser Haftungslehre bildet die Erklärung, die an den Geschädigten gerichtet ist. Entsprechend der Lehre von der Selbstbindung ohne Vertrag soll es sich bei der Auskunft um eine Geltungserklärung wie bei einer Willenserklärung handeln. 543 Deswegen soll die Haftung auch nach dieser Ansicht vertragsähnlich sein. 544 Der Grund dafür, in der Auskunft eine Geltungserklärung zu sehen, liege darin, daß durch die an den Empfänger gerichtete Aussage eine Sinnübertragung erfolge. Ihm werde der Inhalt der Auskunft übermittelt. Dadurch entstünden beim oder im Empfänger der
S41 KlJndgen, S. 365. S42 KlJndgen, S. 363 bei Fn. 63 und deutlicher in Fn. 63, zum Teil auch S. 364 bei Fn. 71 und Fn. 73. S4l Jost, S. 255. 544 Jost, S. 255.
136
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Auskunft Vorstellungen. Aufihren Inhalt richte der Empfänger sein Verhalten ein.545 Der Verpflichtungsgrund dieser Haftungskonstruktion soll in der überlegenen Stellung des Auskunftgebers liegen. Die Überlegenheit soll dabei auf der Sachkunde des Auskunftgebers oder auf seiner besseren Verfiigungsmöglichkeit über Informationen beruhen. 546 Es ist ausdrücklich eine willensunabhängige Haftung. 547 Da es schwierig ist, diese Überlegenheit als solche im konkreten Fall festzustellen, soll als Indikator die besondere berufliche Stellung oder der Status als Informationssachverstandiger dienen. 548 Es geht um den "beruflichen Bezug" zu der benötigten Information. 549 Statt dieser Berufsstellung könne auch das eigene wirtschaftliche Interesse des Auskunftgebers als Indikator für Überlegenheit im Informationsbereich herangezogen werden, 550 weil es eine Nähe des Auskunftgebers zum Gegenstand der Auskunft bezeichne. Diese eben skizzierte Stellung des Auskunftgebers "autorisiert" nach dieser Lehre seine Auskunft, was die kommunikative Beziehung zum Empfänger über andere Kontakte hinaushebe und so die Haftung begründe. 551 Diese besondere Stellung des Auskunftgebers wird von dieser Lehre als besonders wichtig angesehen, 552 wichtiger als in dem Konzept von Köndgen, in dem die Berufsstellung nur der Haftungsdifferenzierung dient. Allerdings grenzt sich die Lehre durch die Heranziehung einer Erklärungshaftung von reiner Berufshaftung wiederum auch ab, wobei Jost Wert darauf legt, daß sich die Haftung nach seinem Konzept nicht aus der Selbstdarstellung des Auskunftgebers und daraus folgender Selbstbindung ergibt. 553 Neben die beiden dargestellten Elemente Erklärungshaftung und "Sonderbeziehung"554 durch Überlegenheit tritt als dritter Grund für eine Vertragsähnlichkeit der Haftung der Vermögensbezug von Auskünften. Da der 545 Jost, S. 254.
546 Jost, S. 255. 547 Jost, S. 236 oben, in der Sache auch S. 255.
548 Jost, S. 255 f. 549 Jost, S.
256.
550 Jost, S.
256.
551 Jost, S. 256. 552 Vgl. Jost, S. 257: steht im ,,Mittelpunkt der hier versuchten Haftungsbegründung''. 553 Jost, S. 257 unten. 554 Jost, S. 254.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
137
Vertrag das typische Instrument zur Wahrnehmung von Vermögensinteressen sei, soll in den Auskunftsfällen eine Haftung vertraglicher Art55 5 vorliegen. 556 Es ist aber schwer nachzuvollziehen, wie aus dem offenbar empirischen Befund, daß durch Verträge oft Vermögensinteressen wahrgenommen werden, das normative Ergebnis folgen soll, die Auskunftshaftung müsse vertragsartig konstruiert sein. Wenn Vermögensinteressen so gut durch Verträge wahrgenommen werden, dann könnte auch in den Auskunftsfällen ein Vertrag geschlossen werden. Das wäre nach dieser Argumentation sogar zu erwarten. Somit bedürfte es dann keiner besonderen vertragsartigen Haftung. Das Argument trägt daher nicht. Durch die drei beschriebenen Elemente ist die Haftung nach dieser Lehre begründet. Auch hier wird es als nötig angesehen, den personellen Schutzbereich, also den Umfang des Kreises potentieller Gläubiger, die auch Haftungsbenefiziare genannt werden, 557 zu begrenzen. Dazu dient dieser Lehre die Gerichtetheit der Auskunft. 558 Unproblematisch ist das bei einem unmittelbaren Kontakt zwischen der Auskunftsperson und dem Empfänger. 559 Das würde bei den in dieser Arbeit vorgestellten Fallgruppen l bis 3 vorliegen. Schwieriger ist die Abgrenzung bei den Fallgruppen 4 und 5 (ähnlich für Jost in seinen Fällen 4 und 5)560 . Für diese Fälle werden keine besonderen konkretisierenden Kriterien genannt, sondern nur Beispiele angeführt, von denen behauptet wird, in ihnen liege die erforderliche Gerichtetheit der Auskunft vor. 561 Zum Teil führtJostauch ein neues Kriterium der "Schutzrichtung" des Auskunftshandeins ein. 562 Doch scheint es nur in wenigen speziellen Fällen als Abgrenzungskriterium nutzbringend zu sein. Die dafür angeführten Beispielsfälle, in denen es um die Ansprüche intendierter Testamentserben geht, die wegen eines Fehlers des das Testament ausarbeitenden Rechtsanwalts oder Notars (z. B. auch weil dieser zu spät zur Niederschrift des Testaments erscheint) nicht Erben geworden sind, 563 können auch nicht als Auskunftsfälle
555 Jost, S. 254. 556 Jost, S. 256 f. 557 Jost, S. 258, vgl. die Älmlichk.eit der Terminologie zu K6ndgen. 558 Jost, S. 259. 559 Jost, S. 259. 560 Jost, S. 261.
561 Jost, S. 262- 264. 562 Jost, S. 262. 563 Jost, S. 262.
138
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
gelten. 564 Es handelt sich um allgemeines berufliches Fehlverhalten. Das gilt auch für den Fall, in dem ein Rechtsanwalt eine Scheidungsvereinbarung fehlerhaft formulierte, so daß den Kindern der Eheleute eigentlich vorgesehene Ansprüche entgingen. An weiteren Konkretisierungen der Gerichtetheit fehlt es. Daher bleibt diese Abgrenzung vage. Im Gegensatz zu Köndgen sollen nach der Lehre von Jost in ihr auch die Fälle der Haftung für falsche Auskünfte aus § 826 BGB aufgehen. 565 Es ergeben sich für diese Lehre in diesen Fällen gegenüber der obigen allgemeinen Darstellung des Konzepts von Jost keine Besonderheiten, so daß darauf nicht weiter einzugehen ist.
3. Kritik an den Erklarungshaftungsl6sungen Oben (unmittelbar vor § 6) wurden als Anforderungen an ein geeignetes dogmatisches Konzept zur Lösung des Problems der Auskunftshaftung einerseits griffige Abgrenzungskriterien, zum anderen die möglichst bruchlose Einfügung in das geltende Recht genannt. Im Verhältnis zwischen beiden Anforderungen muß wohl folgendes gelten: Je weiter sich eine Lehre vom geltenden Recht entfernt, desto besser müssen die Abgrenzungskriterien sein, um diesen Bruch mit dem geltenden Recht zu legitimieren. Unter diesem Anforderungsprofil sind die Erklärungshaftungslösungen zu beurteilen. Ein rechtsquellentheoretisches Argument gegen die Haftung aus Selbstbindung gründet sich darauf, daß eine Haftung entweder von der Rechtsordnung vorgegeben sei, dann handele es sich nicht um Selbstbindung, sondern Bindung kraft Gesetzes, oder aber daß die Rechtsordnung den Parteien Selbstbindungselemente zur Verfügung stelle, wodurch die Bindung "rechtsgeschäftlieh und gegebenenfalls eben vertraglicher Natur'' sei. 566 Es gebe keine dritte Rechtsquelle zwischen Rechtsgeschäft und Gesetz, 567 weshalb die Selbstbindung ohne Vertrag als eine fragwürdige Kategorie bezeichnet wird.5 68 564 Vgl. zur Unterscheidung dieser FAlle von den AuskunftsWien auch die englische Entscheidung Ross v. Caunters [1980] Cb. 297,312 G- 314 E, in der insbesondere aufdas Fehlen eines Vertrauens auf eine Information abgestellt wird. 565 Jost, S. 262 ff. 566 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 93 f. 567 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 94. 568 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 106.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
139
Ähnlich ist der Vorwurf, daß die Zurechnungsgesichtspunkte der Selbstbindung nicht selbst besagten, warum sich aus ihnen weitere Verhaltenspflichten (etwa zu sorgßUtigen Nachforschungen, um eine richtige Auskunft geben zu können) ergäben. 569 Köndgen gebe durch die Heranziehung von Rolle und Person des Auskunftgebers zum Zweck der Differenzierung der Haftung selbst zu, daß die Selbstbindung allein nicht ausreiche und eine weitere Rechtsnorm erfiillt sein müsse, um zu einer Haftung zu gelangen.570 Richtet sich diese Kritik von einem zurückhaltenden Standpunkt aus, was die Schaffung neuer Verhaltenspflichten und deren Begründungen angeht, gegen das Konzept der Selbstbindung ohne Vertrag, so "geht [anderen] diese Lehre noch nicht weit genug".571 Aus dieser Richtung wird vorgebracht, daß diese Lehre zur Strukturierung vorvertraglicher Verantwortlichkeilen zu begrenzt sei.572 Damit seien nicht alle in der quasi-vertraglichen Haftung heute vorhandenen Regeln zu begründen. 573 Hieraus kann man entnehmen, daß weitergehende Verhaltensregeln gefordert werden. Ebenso wie in der oben angefiihrten Kritik wird die Selbstbindungslehre als dafür nicht ausreichend angesehen. Zusammenfassend geht die Kritik also dahin, daß das selbstbindende Verhalten keine oder jedenfalls nicht alle notwendigen Pflichten selbständig begründen kann. Damit wäre das Konzept als dogmatische Begründung untauglich und die von ihm postulierte Haftung existierte also nicht. Bei der Darstellung des Selbstbindungskonzepts war ersichtlich, daß dieses Konzept sich in weiten Bereichen nur auf eine Beschreibung tatsächlicher Vorkommnisse und Verhaltensweisen beschränkt. Es fehlt ihm die Anhindung an gesicherte rechtliche Erkenntnisse und anerkannte Regeln, welche beispielsweise die Vertrauenshaftung in bestimmten Bereichen zu bieten vermag.574 Dagegen bestehen zwar ebenfalls Bedenken (vgl. oben§ 7 A. I. 1. b) bb)). Aber bei der Selbstbindungslehre kann man gar keine bestimmte Rückführung auf schon etablierte rechtliche Konstruktionen erkennen. Sie ist damit - trotz der Kritik an der Vertrauenshaftung- noch weniger rechtlich fundiert als diese. Probleme bestehen besonders bei der Umsetzung der empirischen Befunde in rechtliche Verhaltensanforderungen. Dabei fehlt es an einer Begründung dafür, daß die Erzeugung bestimmter Erwartungen bei anderen 569 Loges, S.69.
570 Larenz, Schuldrecht, Bd. li,
1, S. 425.
571 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 625. 572 Assmann, S. 239.
573 Assmann, S. 238 f.
574 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 106, zur Begründung der Vertrauenshaftung aus der culpa in contrahendo.
140
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
diesen gegenüber gerade rechtliche, nicht nur gesellschaftliche, Verpflichtungen begründet. 575 Damit verbunden ist der Mangel an praktischer Verwendbarkeit dieser Lehre, da die Theorieelemente zu abstrakt bleiben. Auch die Erklärungshaftungslehre auf Grund einer Berufsstellung, die Jost vorschlägt, ist dogmatisch nicht besser abgesichert. Hier wird zu sehr von für Auskunftsempfänger vielleicht wünschbaren Haftungspflichten aus argumentiert. Vorn Bedürfnis für eine Haftung, wie es in der vorliegenden Arbeit oben im zweiten Kapitel dargestellt wurde, wird auch auf eine im Recht vorhandene Haftung geschlossen. Die Haftung soll als Mittel zur Erreichung von Markttransparenz und Transaktionskostenreduzierung dienen. 576 Dabei soll diejenige Seite, die der Beherrschung der Gefahren des Rechtsverkehrs näher steht, haften, wenn sich die Gefahren verwirklichen. 577 Die Auferlegung der Haftung soll durch das Ziel, Informationsungleichgewichte auf dem Markt zu verhindern, gerechtfertigt sein. 578 Als Begründung einer gesetzlichen Regelung oder Anordnung einer Haftung könnten diese Gründe herangezogen werden. Aber es ist nicht richtig, aus solchen sozialen oder wirtschaftlichen Rollenbefunden oder -überlegungen unmittelbar rechtliche Folgerungen herzuleiten, da die Rechtsordnung auf eigenständigen rechtlichen Entscheidungen beruht. 579 Sie liefern allein keine dogmatische Fundierung für eine Haftungslehre, die schon nach geltendem Recht anwendbar sein soll. Sie können eher als Gesichtspunkte bei der Auslegung geltender Haftungsgrundlagen verwendet werden und für eine weitergehende Anwendung dieser bestehenden Normen sprechen. Damit fehlt es dieser Lehre an einer dogmatisch tragfähigen Absicherung der von ihr vorgeschlagenen Haftung. Auch was den anderen zu untersuchenden Bereich, nämlich die Qualität der Abgrenzungsmerkmale oder Sachkriterien einer Haftung, angeht, konnte man schon oben bei der Darstellung des Selbstbindungskonzepts erkennen, daß hier gegenüber gesetzesnäheren (in diesem Sinne auch traditionelleren) Lösungen keine wesentlichen Fortschritte bestehen. Daher wird diesem Konzept mangelnde "Griffigkeit" vorgeworfen. 580 Die Abgrenzung zwischen Leistungs575 Ähnlich die Kritik von Breinersdorfer, S. 184 f., der anfilhrt, daß soziologische Erkenntnisse nicht zur Grundlage der Rechtsdogmatik gemacht werden könnten. 576 Jost, S. 236.
577 Jost, S. 236. 578 Jost, S. 236 oben (über "4.3"). 579 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 648. 580 Hartmann, S. 88.
§ 7 Darstellung von Ulsungsvorschliigen aus der Lehre
141
benefiziaren und anderen Dritten, die nur deliktsrechtliche Ansprüche haben, bleibt unklar. Das Kriterium, daß das Rollenhandeln in die Richtung des Dritten gehen muß, damit dieser als intendierter Rollenbenefiziar gelten kann und einen besonderen Schadensersatzanspruch erhält, ist unpräzise. Irgendwie in die Richtung eines später Geschädigten ging das Handeln des "Schädigers" (im untechnischen Sinne, da seine Haftung nicht feststeht, sondern gerade umstritten ist) immer, so daß es diesem Kriterium an Abgrenzungskraft mangelt. So kann man sich im ganzen der Ansicht anschließen, daß die soziologischen und rollentheoretischen Beschreibungen nicht auf die positiv-rechtliche Ebene umgesetzt werden können. 58 1 In dem Ansatz von Jost haben die Sachkriterien der Haftung auch keine große Abgrenzungskraft. Das trifft in besonderem Maße auf die Gerichtetheit der Auskunft zu. Die Kriterien sind zu weit und müssen daher im Einzelfall konkretisiert werden, was die Vorhersehbarkeit der Haftung und damit die Rechtssicherheit nicht verbessert. Nach allem bieten die Theorien der Erklärungshaftung keine wirklich überzeugende eigenständige Lösung, da ihre dogmatische Fundierung schwach ist und ihre Sachkriterien gegenüber bisher angewandten Lösungen jedenfalls keine Verbesserungen bringen.
ill Beruf oder berufliche Stellung
Im Bereich einer besonderen Vertrauenshaftung in Anlehnung an eine Berufsgruppe (oben§ 7 A. I. 2. a)) und auch bei den Erklärungshaftungslösungen ist das Sachkriterium der Berufszugehörigkeit bereits aufgetreten. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, daß es nur eine kleine Gruppe von Berufen ist, deren Angehörige oft in Auskunftsfällen haftbar gemacht werden. 582 Das gibt Anlaß, eventuell die berufliche Stellung als hauptsächliches Kriterium der Haftung zu verwenden. 581 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 94. 582 Lammel, AcP 179 (1979), 337, 358 f., dessen Auswertung folgende Ergebnisse erbrachte: 73 mal Banken, 19 mal Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, 19 mal Rechtsanwälte und/oder Notare, 14 mal öffentlich bestellte Sachverständige, 37 sonstige Fälle, "die jedoch deshalb vemachlllssigt werden können, weil entweder eine Haftung mangels Vorliegens vertrauensbildender Faktoren entfiel oder ein spezieller Auskunftsvertrag geschlossen oder die Auskunft innerhalb bestehender Vertragsverhältnisse begehrt wurde"; Paul, S.122- 125, kommt zu ähnlichen Ergebnissen: danach betrAgt der Anteil der Fälle, an denen Banken oder sogenannte Wirtschaftsberater, worunter er Rechtsanwälte und Notare, Steuerberater, Helfer in Steuersachen, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Geldmakler versteht, beteiligt waren, 75% aller untersuchten Entscheidungen.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Zu unterscheiden ist zwischen Lösungen, die sich auf den Beruf bzw. die Berufszugehörigkeit des Auskunftgebers als solche beschränken und daraus die Haftung herleiten, und anderen, die Berufsangehörigen bestimmte deliktsrechtliche Verkehrspflichten bei der Erteilung von Auskünften im Interesse fremden Vermögens (Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens) auferlegen und die Haftung aus deren Verletzung herleiten. 583 Bei letzteren ist die Anhindung an den Beruf weniger eng als bei den reinen Berufshaftungslehren. Trotzdem ist die Verbindung deutlich genug, um diese Lehren unter diesem Gesichtspunkt zu behandeln.
1. Reine Berufshaftung a) Darstellung Die Konzepte der Berufshaftung gehen aus von dem schon oben erwähnten Befund, daß immer wieder die gleichen Berufe in Auskunftsfällen eine Rolle spielen, und von der ÜberJegung, daß es damit auch in der Rechtsprechung zu den Auskunftsfällen letztlich entscheidend nur auf die Berufstätigkeit und Berufszugehörigkeit des Auskunftgebers ankomme.584 Bei der Entwicklung eines solchen Konzepts ergeben sich zwei Anforderungen. 585 Einmal müssen deutliche Merkmale für die Bestimmung der haftbarmachenden Berufstätigkeiten gefunden oder entwickelt werden. Zum anderen muß die Berufshaftungstheorie geeignet sein, den Kreis deijenigen abzugrenzen, die in den Schutzbereich der Haftung fallen, also den der potentiellen Gläubiger.
aa) Engerer Ansatz Das Konzept der Berufshaftung setzt bei der soziologischen Berufsrolle an. 586 Diese besagt, daß eine Person, in diesem Fall der Angehörige einer Be583 Vgl. zu dieser UnterscheidungHopt, Aktuelle Rechtsfragen, S. 38, wo er zwischen den Ansätzen einer Haftung aus gesetzlichem SchuldverhA!tnis und aus dem Deliktsrecht unterscheidet 584 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 618 u. 635; in der Sache auch Hopt, NJW 1987, 1745, 1746, wenn er im Fall einer Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (so die Rechtsprechung) eine Berufshaftung mit demselben Ergebnis llllllehmen will; Paul, S. 148 f., allerdings noch undeutlich. 585 Brandner, JZ 1985, 757, 761. 586 Dazu auch, aber noch wenig ausgefllhrtMertens, VersR 1974, 509, 511 f.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
143
rufsgruppe, als ein von der Gesellschaft in Pflicht genommener Funktionsträger anzusehen ist. 587 Es findet eine Kollektivierung der Einzelperson statt. Bei alten Professionen liege durch berufliche Spezialisierung eine besondere Berufsrolle vor. 588 Bei ihnen habe eine Professionalisierung durch besondere Ausbildung, Zulassung zum Beruf und Regeln für dessen Ausübung stattgefunden. 589 Diese Kennzeichen der Profession seien durch Gesetz geregelt, wodurch es zur Professionalisierung komme. 590 Die Gesetze rechtfertigten die Erwartungen an die Angehörigen einer Berufsrolle. 591 Die gesetzliche Ordnung der Angelegenheiten eines Berufes bedeute die staatlich geregelte Anerkennung der Berufsgruppe im Außenbereich. das heißt in der Öffentlichkeit, wodurch die Berufausübenden zugleich auf den Staat und die ihn repräsentierenden Bürger verpflichtet würden. 592 Die Berufsrolle verfestige sich, was von den Berufsangehörigen zum Teil selbst begrüßt werde. 593 Dies legitimiere die Erwartung an den Angehörigen eines solchen Berufs, daß er für falsche Auskünfte auch gegenüber solchen Personen haften werde, die nicht seine Vertragspartner seien. 594 Dazu ist nach dieser Ansicht erforderlich, daß es sich um ein offenes Berufsbild handelt, was bedeutet, daß der Beruf entweder im oben beschriebenen Sinn gesellschaftsbezogen ist oder daß "ein offenes Angebot gemacht wird."595 Diese Gesellschaftsbezogenheit auf Grund gesetzlicher Berufsregeln liegt nach dieser Ansicht bei den Berufen, deren Angehörige in Auskunftsfällen üblicherweise auftreten, vor. 596 Eine etwas andere Argumentation geht dahin, daß der Fachmann sich die Spezialisierung geschäftlich zunutze mache. Daher müsse er sich auch an den Nachteilen der Berufsrolle festhalten lassen. 597 Das führt dann zur Haftung.
587 Lamme/, AcP
179 (1979), 337, 359 f.
588 Hopt, AcP 183 (1983), 608,645.
589 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 645. 590 Lammel, AcP 179 (1979), 337,360. 591 Lammel, AcP
179 (1979), 337,360.
592 Lammel, AcP 179 (1979), 337,360.
593 Hopt, AcP 183 (1983), 608,649. 594 Lammel, AcP 179 (1979), 337,361. 595 Lammel, AcP 179 (1979), 337,362. 596 Lammel, AcP 179 (1979), 337,362-364. 591 Hopt, AcP 183 (1983), 608,650.
144
3. Kapitel Darstellung der Auskwtftshaftung nach deutschem Recht
Zum Teil spielt innerhalb der Berufshaftung der Vertrauensgedanke eine Rolle, wenn als Grundlage der Auskunftshaftung berufsbezogenes Vertrauen dienen soll. 598 Dieses muß nach dieser Lehre aber legitimiert sein durch "gesetzliche oder selbstorganisatorische Öffnung der Berufstätigkeit zur Allgemeinheit"599, was z. B. auch durch Selbstdarstellung einer Profession geschehen kann. 600 Es soll sich um eine Haftung kraft Berufsstellung zwischen Vertrag und Delikt handeln. 601 Es ist auch die Rede von selbständigen rechtlichen Berufspflichten zwischen Vertrag und Delikt602 oder Schutzpflichten ex lege auf Grund selbständigen beruflichen Auftretens am Markt. 603 Die Haftung wird hier also nicht in den Bereich deliktsrechtlicher Verkehrspflichten eingeordnet. Die Einordnung bleibt vage. Rechtspolitisch wird aber eine Einordnung ins Deliktsrecht als wünschenswert betrachtet.6°4 Aber nach der lex lata soll die Haftung durch eine solche Einordnung noch nicht allen Anforderungen an eine Haftung aus Gesetz gerecht werden, die sowohl von deliktsrechtlichen Schwächen (Gehilfenhaftung, Verjährung, Beweislastverteilung) befreit ist als auch im einzelnen sachgerecht konkretisiert werden kann. 605 Infolgedessen wird eine Einordnung vermieden. 606 Die Tendenz geht aber zu einer eigenständigen Kategorie der Berufshaftung. 607
bb) Breiterer Ansatz Die bisher beschriebene Berufshaftung ist noch eng auf die Auskunftshaftung bezogen. Dem wird ein breiterer Ansatz zur Seite gestellt, der auf Grund 598 Lammel, AcP 179 (1979), 337, 365; auchPaul, S. 1411142, der aber nicht die im folgenden er· wlhnten berufssoziologischen Argumente verwendet, so daß es sich nicht um eine einheitliche Lehre handelt.
599 Lammel, AcP 179 (1979), 337,365. 600 Hopt, FS Fischer, 1979, S. 237,251.
Lammel, AcP 179 (1979), 337, 365; im Anschluß an Lammel vertritt Strauch, JuS 1992, 897, 902, eine "beruDbezogene Erk.llnlngshaftung". 601
602 Hopt, FS Fischer, 1979, S. 237, 252. 603 Hopt, NJW
1987, 1745, 1746; AhnlichHopt, AcP 183 (1983), 608,658.
604 Hopt, AcP 183 (1983), 608,661. 605 Hopt, AcP
183 (1983), 608,662.
606 Z.B. auch bei Hopt, AcP 183 (1983), 608, 705, wo er Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens behandelt. Selbst diese werdentrotzdieses Begriffil nicht eingeordnet. 607 So die Beurteilung von Manchener
Hopt.
Kommentar/Mertens § 826 Rn. 469 zu dem Ansatz von
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
145
einer umfassenden Betrachtungsweise den tragenden Grund der Haftung besser herausarbeiten soll.608 In diesem Ansatz wird auch versucht, die Voraussetzungen der Berufshaftung zu konkretisieren. Voraussetzung für eine Haftung auf Grund von Berufsrecht sei selbständiges berufliches Auftreten am Markt.609 Selbständigkeit bedeutet danach "eigenes Geradestehen am Markt".610 Dadurch sollen Hilfspersonen aus dem Berufsrecht und der aus ihm resultierenden Haftung ausgeschieden werden. Die Rechtsprechung erfasse dieses Element in der Sachwalterhaftung mit dem Kriterium eines besonderen persönlichen Vertrauens, wenn ausnahmsweise sonst unselbständige Personen selbständig am Markt aufträten. 611 Weiter muß nach dieser Ansicht ein berufseinschlägiges Auftreten am Markt vorliegen. 612 Dieses Kriterium dient in dreifacher Hinsicht wichtigen Ausgrenzungen. Zunächst führt private Tätigkeit nicht zur Haftung. Eine Berufstätigkeit muß im Erwerbsleben am Markt erfolgen, um eine Haftung auslösen zu können.613 Zum zweiten müsse die Tätigkeit berufseinschlägig sein, worunter in diesem engen Sinn verstanden wird, daß die Tätigkeit gerade auf den Beruf des in Haftung Genommenen bezogen war. Nur dann komme die Spezialisierung (die oben als Grundlage der Berufshaftung angeführt wurde) im konkreten Fall zum Tragen. 614 Als drittes geht es um die Begrenzung des Kreises der potentiell geschützten Gläubiger. Das Abgrenzungskriterium soll hier lauten: berufliche Gewährübernahme.615 Es wird allerdings nur die Problematik aufgezeigt und keine Lösung angeboten. 616 Damit sind zwar die Probleme aufgezeigt und die denkbare Bedeutung des Berufes für die Haftung dargelegt worden. Es fehlt aber eine wirkliche Konkretisierung der Sachkriterien der Haftung, sie war wohl auch nicht beab-
60S Hopt, AcP
183 (1983), 608,639.
609 Hopt, AcP
183 (1983), 608,669 f.
610 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 678. 611 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 680.
612 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 680-683.
6!3 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 680 f.
614 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 681.
615 Hopt, AcP
183 (1983), 608, 683 (auch 682).
616 Hopt, AcP
S.62.
10 F. Müller
183 (1983), 608, 683
und ebenso
707; dagegen richtet sich die Kritik von Stahl,
146
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
sichtigt, sondern eher eine Beschreibung und Neubewertung des gegenwärtigen Zustandes in der Rechtsprechung. 617
b) Kritik Die Kritik an dem Konzept der Berufshaftung im Schrifttum wendet einmal grundsätzlich ein, daß die Berufszugehörigkeit, die berufliche Funktion oder die soziologische Rolle keine Haftungsgründe darstellten und auf dieser Grundlage eine Pflichtenzuordnung dogmatisch nicht möglich sei.618 Es sei nicht geklärt, wodurch es bei der Rollentheorie legitimiert sei, einer Person Verhaltensregeln aufzuerlegen. 619 Auch ließen sich nicht- wie Lammel es als Begründung der Pflichtenzuordnung vorschlägt- aus der Verbandsanerkennung bestimmter Berufsstände privatrechtliche Pflichten herleiten, deren Verletzung zur Haftung fUhren solle.620 Die Wahrnehmung beruflicher Funktionen könne nur den Inhalt (anderweitig begründeter) Rechtspflichten beeinflussen.621 Den Aspekt der Zugehörigkeit zu einem Berufzur Begründung der Haftung herauszugreifen wird als willkürlich betrachtet.622 Auch wird es bestritten, daß der Beruf ein systematisch klassifizierbarer Rechtsbegriffi23 bzw. die Berufshaftung eine rechtssystematische Kategorie624 sei. Damit wird die Eignung des Berufs als eigenständiger Verpflichtungsgrund ebenfalls angezweifelt. Abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand gegen die Möglichkeit, Rechtspflichten aus der Zugehörigkeit zu einem Berufsstand herzuleiten, wird auch beklagt, daß die Berufszugehörigkeit als Verpflichtungsgrund zu beschränkt sei und daher nicht in allen relevanten Fallgestaltungen zu einer Lösung führen könne. 625 Der Kreis möglicher Verpflichteter wird dabei als zu 617 In der Bewertung ebenso: Loges, S.
147.
618 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 83;Aring!Assmann!Bergmann!Brinkmann, JuS
Hartmann, S. 93;Loges, S.
149.
619 Aring!Assmann/Bergmann!Brinkmann, JuS
620 Loges, S.
1973, 39, 45;
1973, 39, 45.
149.
621 Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 83.
622 Canaris, FS Larenz 623 Loges, S .
1983, S. 27, 83.
152.
624 v. Bar, ZGR 1983, 476,
507, der darausjedoch die unten zu behandelnde deliktsrechlliche Ver-
kehrspflichtenhaftung entwickelt
625 Assmann, S. 247 (speziell zur Eignung des Berufs als Verpflichtungsgrund fllr die Prospekthaftung, die von ihm gAnzlieh verneint wird) " ... scheidet ... als 'Gesamtbegründung' einer Prospekthaftung
§ 7 Darstellung von LOsungsvorschlAgen aus der Lehre
147
beschränkt angesehen, da eine Fehldisposition des Auskunftsempfängers nicht nur auf die Überlegenheit des Auskunftgebers auf Grund seines Berufs, sondern auch auf seinem momentan-aktuellen Informationsstand beruhen könne, der zu einer falschen Auskunft und einem Handeln des Empfängers entsprechend der Auskunft führe. 626 Am Kriterium des Berufs wird weiter bemängelt, daß es den Kreis der von der Haftung Geschützten nicht abgrenze, vielmehr sei dies notwendigerweise ein beliebiger Kreis, der alle umfasse, die in den beruflichen Gefahrenbereich gerieten. 627 So ist nach dieser Ansicht die Berufshaftung einerseits zu eng, weil die berufliche Stellung nicht alle haftungsrelevanten Fälle erfaßt, und andererseits zugleich zu weit, weil der personale Schutzbereich nicht abgegrenzt ist.628 Diese Kritik richtet sich gegen die Verwendung beruflicher Verkehrspflichten, so daß sie sich auch auf das unten noch zu behandelnde Verkehrspflichtenkonzept bezieht. Ferner wird eingewandt, daß eine Beschränkung der nach ihrer Konzeption allgemein bestehenden Berufspflichten auf bestimmte Destinatäre im Widerspruch zu den Prämissen dieser Doktrin stünde und doch wieder zu einer Haftung aus einer Sonderverbindung oder einem "Quasi-Kontrakt" führen würde. 629 Demnach kann dieses Konzept also von seiner Anlage her die Eingrenzung des Kreises der Geschützten nicht leisten. Es handelt sich um einen konstruktiven Mangel, der nicht behoben werden kann, ohne Prämissen des Konzepts aufzugeben. Ein eher außerrechtlicher Kritikpunkt ist der Hinweis auf die Gefahr eines sozialen Determinismus, der mit der dieses Konzept bestimmenden Rollentheorie verbunden sei.630 Das könne dazu führen, daß jeder nach seiner Rolle funktionieren müsse, die ihm in einer Art richterlicher Sozialgestaltung zuaus."; Breinersdorfor, S. 187; Hartmann, S. 93; Loges, S. 152, der den Infonnationsvorsprung des Auskunftgebers als ,,inneren Grund" der Haftung bezeiclmet (Anfilhnmgszeichen im Original); Picker,
JZ 1987, 1041, 1046; Ptcker, AI:P 183 (1983), 369, 440 • 442 (Inkongroenz zwischen heutigem und ldlnftigem IntegriWsschutz bei Verwirklichung von Refomunaßnahmen im Hinblick auf eine deliktische Beru&haftung), 446 (es wllrden SchutzlOcken bestehen), 502 (Berufshaftung zu eng). 626 Picker, AI:P 183 (1983), 369, 445; Almlieh Loges, S. 152, der sich auf den Infonnationsvorspnmg bezieht, vgl. oben vorherige Fußnote. 627 Picker, AI:P 183 (1983), 369, 502; AhnlichHartmann, S. 94. 628 Picker, AI:P 183 (1983), 369,502. 629 Picker, AI:P 183 (1983), 369, 503, Anfilhrungszeichen im Original. 630 Loges, S. 65 f.;Picker, AI:P 183 (1983), 369,504.
148
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
gewiesen werde. 631 Das widerspreche der Selbstbestimmung. Man muß allerdings anerkennen, daß die Lehre von der Berufshaftung, wie oben schon angemerkt, die bisher gefundenen Haftungsergebnisse nicht ändern, sondern auf eine andere Grundlage stellen will. Insofern kommt es noch nicht zu erweiterten Rollenzuweisungen. Diese Gefahren werden daher auch eher für die Zukunft erwartet, wenn man die Kritik recht versteht. Es läßt sich der Schluß ziehen, daß die Zugehörigkeit zu einem Beruf zwar ein tatsächliches Merkmal vieler AuskunftsOOie ist, jedoch als alleinige Haftungsbegründung nicht flexibel genug und auch dogmatisch nicht gesichert ist, insbesondere dann nicht, wenn man berufliche Schutzpflichten nicht den deliktsrechtlichen Verkehrspflichten zuordnet. Das Konzept einer reinen Berufshaftung bietet daher keine überzeugende Lösung.
2. Deliktsrechtliche berufsbezogene Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens a) Darstellung aa) Allgemeiner Ansatz Zum Teil ausgehend von der Ansicht, das Recht der unentgeltlichen Auskunftshaftungsei "genuines Deliktsrecht",632 wird angenommen, daß es Verkehrspflichtenzum Schutz fremden Vermögens gebe, deren Verletzung zu einer Haftung nach Deliktsrecht ftihre. 633 Die Verkehrspflichten umfaßten dabei die Berufspflichten, denn diese seien keine rechtssystematische Kategorie. 634
631 Pickßr, AcP 183 (1983), 369, 504. 632 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 472; v. Bar, JZ 1979, 728, 729. 633 v. Bar, Verkehrspflicht.m, S. 204 ff., insbesondere S. 233 - 238 zu deliktischen Berufspflichten; v. Bar, JZ 1979, 728, 729; v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 474 - 476; v. Bar, ZGR 1983, 476, 504512: zur Prospelcthaftung; auch de lege ferenda v. Bar, Gutachten, S. 1771 f.; Brilggemeier, S. 291 294 (Rn 456- 461); Huber, FS v. Caemmerer, S. 359, 377- 383; Ahnlieh auchMertens, AcP 178 (1978), 227, 240 f., 252 u. 253 bei Fn. 107 (zur Dritthaftung von Wirtschaftsplilfem), Mertens schllgt allerdings ein "bewegliches System des Deliktsrechts" vor (S. 25 1) und ordnet die von ihm vorgeschlagenen Haftung:;ausdehnungen (vgl. dazu a. a. 0. S. 253) nicht eindeutig in den Bereich von Verkehrspflichten ein; filr die Prospekthaftung Assmann, S. 272 und S. 273 ff. ("§ 9 Prospekthaftung als BOndei kapitalmarktbezogener lnfonnationspflichten"). 634 v. Bar, ZGR 1983, 476, 507.
§ 7 Darstellung von Lösung,worschlllgen aus der Lehre
149
Die Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens bestehen nach dieser Ansicht in der Form von Berufspflichten.635 Nach dieser Lehre ergibt sich aus der Analyse der zur Auskunftshaftung ergangenen Rechtsprechung, daß hier in Form anderer dogmatischer Lösungen der Sache nach bereits solche berufsbezogenen Verkehrspflichten eingeführt worden seien und verwendet würden. 636 Die Probleme seien bei den verwendeten dogmatischen Konstruktionen, wie Vertrag oder§ 826 BGB, aber falsch angesiedelt. 637 Folglich gebiete schon die Systemehrlichkeit, die Verkehrspflichten offen zu verwenden.638 Daher müsse es Berufsverkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens geben. Ansonsten bestünde auch eine Ungleichbehandlung zwischen den Berufen, bei deren Ausübung es zu Einwirkungen auf die in § 823 I BGB geschützten Rechte und Rechtsgüter komme und dabei Verkehrspflichten zu beachten seien, während die Angehörigen von Berufen, bei deren Ausübung fremdes Vermögen betroffen und an ihm Schaden verursacht werde, keine Verkehrspflichten träfen. 639 Es wird vorgeschlagen, bei der Verwirklichung des Verkehrspflichtenkonzepts berufsorientierte Fallgruppen herauszuarbeiten.640 Dabei soll bisher nur die Fallgruppe der Berufspflichten von Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Schätzern, Banken und Versicherungen vorhanden und vorsichtig entwickelbar sein.641 Mit dieser Fallgruppe sind die in der vorliegenden Arbeit interessierenden Auskunftsfälle 635 v. Bar, ZGR 1983, 476, 507; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 233 f., 236; v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 474; Huber, FS v. Caenunerer, S. 359 ff., insbesondere S. 378 f.; Brilggemeier, S. 292 (Rn. 458); andeutungsweise auchMertens, AcP 178 (1978), 227, 240 f.; deutlicher Münchener Kommentar!Mertens § 823 Rn. 476 (unter (1) ). 636 Assmann, S. 255 (zu § 826 BOB); Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299, 320 (zur Prospekthaftung); v. Bar, Verkehrspflichten, S. 204 ff., insbesondere S. 211 (zu § 826 BOB), 216 u. 23 5 (das von der Rechtsprechung verwendete Kriterium des eigenen wirtschaftlichen Interesses, siehe oben§ 6 A 1., sei in Wahrheit ein Gesichtspunkt filr die Anwendung von Verkehrspflichten, da "der Gesichtspunkt der Vorteilsziehung aus der Gefahr bei der Entstehung von Sicherungspflichten Berücksichtigung zu finden hat."); Huber, FS v. Caenunerer, S. 359, 366. 637 Huber, FS v. Caemmerer, S. 359, 366 (zum Vertrag, bei dem es nur auf die individuelle Willensrichtung des Auskunftgebers, nicht aufberufliche Pflichten ankomme) u. 375 (zu§ 826 BOB). 638
v. Bar, ZGR 1983, 476, 5ll; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 235; v. Bar, RabelsZ 44 (1980),
455,471.
639 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 234; llbnlich Huber, FS v. Caemmerer, S. 359, 379; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 240 f.; der Sache nach ebensoAssmann, S. 275, der aber darauf abstellt, daß absolu-
te Rechte und bloße Vermögenspositionen deshalb gleich behandelt (und geschützt) werden müßten, weil sie beide knappe Ressourcen auf dem Markt seien und Geld und Ware problemlos austauschbar seien. 640 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 236. 641 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 237; diese Fallgruppe nennt in Form einer abstrakten Beschreibung auchMertens, AcP 178 (1978), 227,252 (unter "(3) die Übernahme einer fremdvermögensbezogenen
sozialen Rolle").
1SO
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
getroffen. Das Konzept der Verkehrspflichten wurde hinsichtlich seiner praktischen Anwendung vor allem dafür entwickelt. Es fehlen allerdings genauer ausgearbeitete Sachkriterien, nach denen sich die Haftung im Einzelfall bestimmen würde. In erster Linie geht es um eine neue dogmatische Einordnung der bisher schon bestehenden Ergebnisse im Sinne von Systemehrlichkeit zum Zweck der Widerspruchsfreiheit der Rechtsanwendung. 642 Die durch die gerichtliche Bestimmung der Verkehrspflichten hervorgerufene geringe Vorausbestimmtheit der Haftung wird im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit bewußt akzeptiert. Das entspreche auch dem Lebensgefühl einer hochzivilisierten Nation. 643 Nach dieser Lehre werden die Verkehrspflichten wie Schutzgesetze, denen sie nach dieser Ansicht funktional gleichstehen,644 in § 823 II BGB eingeordnet. 645 Auch die richterliche Praxis verfahre tatsächlich so.646 Mertens spricht sich für eine Fortentwicklung von§ 823 I und II BGB insgesamt aus. 647 Brüggemeier sieht in der "deliktischen Informationshaftung" nur eine Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes deliktiscber Berufshaftung in Form einer Verkehrspflicbt, für einen geordneten Verlauf bei der eigenen Berufsausübung zu sorgen.648 Auf Grund dessen soll diese Pflicht in § 823 I BGB eingeordnet werden (was der üblichen Einordnung der Verkehrspflichten innerhalb von § 823 BGB entspricht), sie soll jedoch trotzdem auch reine Vermögensinteressen schützen, wenn den einschlägigen Berufen die Wahrung von Vermögensinteressen obliege.649 Hier bestimmt also die Verkehrspflicht den Bereich der in § 823 I BGB geschützten Rechte und Rechtsgüter, ohne 642 v. Bar, Vcrkcluspflichteu, S. 235; v. Bar, ZOR 1983,476,511. 643 v. Bar, Vcrkcbrspflichten, S. 168. 644 v. Bar, Vcrkcbrspflichteu, S. 168 (die Einordnung der Vcrkeluspflichten beruhe "auf ihrer gesetzesgleichen Wirkung"); v. Bar, RabelaZ 44 (1980), 455, 475; Ihnlieh Mertens, VersR 1980, 397, 397, der die Verkehrspflichten fllr wesensverwandt mit den Schutzgesetzen hAlt 645 Assmann, S. 262 (aber beschrlnkt auf Verk.eluspflichten, die vom Einzelfall gelöste ,,Prinzipien mittlerer Reichweite" darstellen, lhnlichMertens, AcP 178 (1978), 227,230, allgemein zur Einbeziehung von Richterrecbt in § 823 ß BOB); Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299, 321; v. Bar, ZOR 1983,476, 510; v. Bar, Verk.ehrspflichten, S. 159; v. Bar, RabelaZ 44 (1980), 455, 474; Huber, FS v. Caemmerer, S. 359, 377, 379.
646 v. Bar, Verk.cluspflichten, S. 165.
647 Mertens, AcP 178 (1978), 227, 252, a. a. 0. S. 231 bezeichnet er die Einordnung in § 823 II BOB jedoch als ungelöstes Problem; die gleiche EinschAtzung hinsichtlich der Ansicht von Mertens vertritt Canaris, FS Larenz 1983, S. 27, 77 Fn. 161. 648 Brilggemeier, S. 291 (Rn. 456) unter Berufung aufBGH Urt v. 17.12.1953, IV ZR 117/53, LM Nr. 2 zu § 823 (H) BOB.
649 Brilggemeier, S. 291 (Rn. 456).
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
151
daß es näher begründet wird. Daher dürfte der Vorschlag mit dem geltenden Recht nicht vereinbar sein.650
Auch Breinersdorfer ordnet den deliktsrechtlichen Schutz des Auskunftsempfangcrs vor falschen Auskünften in § 823 I BGB ein, indem er in einer falschen Auskunft unter besonderen Voraussetzungen eine Verletzung des sogenannten Rechts auf ungestörte wirtschaftliche Betätigung sieht.651 Dieses Recht ergibt sich nach seiner Ansicht aus dem in Art. 2 GG angelegten Rechtsgedanken, "daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch im Bereich der Erwerbstätigkeit einer wirksamen zivilrechtliehen Absicherung bedarf'.652 Konkretisiert wird die Verletzung dieses Rechts durch Anforderungen an die Eingriffsintensität und eine Interessenabwägung.653 Die Anforderungen an die Eingriffsintensität sollen bereits dann erfüllt sein, wenn eine auskunftgebende Bank eine fehlerhafte Kreditauskunft in Richtung auf den späteren Verwender in Verkehr bringt.654 Damit ist diese Schwelle sehr niedrig angesetzt, und die Entscheidung über die Verletzung dieses Rechts fällt letztlich allein auf der Stufe der Interessenabwägung, was den Tatbestand dieses Schadensersatzanspruchs sehr unbestimmt werden läßt. Aber auch die Kriterien der Interessenahwägung bleiben unbestimmt. Die staatliche Aufsicht über bestimmte auskunftgebende Berufsangehörige (Wirtschaftsprüfer, Steuerberater) beziehungsweise Institutionen (Banken) soll dazu berechtigen, auf die Einhaltung eines "Kembestandes an absolut unverzichtbaren Berufsregeln" zu vertrauen. 655 Leichtfertig falsch erteilte Auskünfte seien ein Verstoß gegen solche Regeln und bedeuteten daher eine Verletzung des Rechts auf ungestörte wirtschaftliche Betätigung. Dieser deliktsrechtliche Schadensersatzanspruch soll nur subsidiär zu anderen vertraglichen oder deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen durchgreifen. 656 Ein solcher Anspruch auf Grund einer Verletzung eines Rechts auf ungestörte wirtschaftliche Betätigung wird, soweit ersichtlich, sonst nicht vertreten. Er wendet sich vom anerkannten Umfang des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, aus dem das Recht auf ungestörte wirtschaftliche 65° Im Ergebnis wohl ähnliche Bewertung von Jost, S. 185: Systembruch läßt sich nicht rechtfertigen (jedenfalls nicht mit BrQggemeiers Begrtlndung). 651 Breinersdorfor, S.
166 ff.
652 Breinersdorfor, S. 167. 653 Breinersdorfor, S. 169- 171. 654 Breinersdorfer, S.
170.
655 Breinersdorfor, S. 171. 656 Breinersdorfor, S. 172.
152
3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
Betätigung entwickelt worden ist,657 in hohem Maße ab und erweitert ihn stark. Dieses Recht hat damit keine tatbestandliehe Kontur mehr. Es fehlt ihm der Gegenstand, so daß es nicht neben die Rechte und Rechtsgüter, die in § 823 I BGB beispielhaft genannt sind, treten kann. Die Konkretisierungsversuche über die Eingriffsintensität und die Interessenahwägung fiihren nicht weiter, da auch diese Erwägungen unklar bleiben. Da offenbar ohnehin nur leichtfertig falsch erteilte Auskünfte erfaßt werden sollen, ist es zweifelhaft, ob dieser Schadensersatzanspruch neben dem aus § 826 BGB, wie er von der Rechtsprechung angewandt wird, noch einen Anwendungsbereich hat. Dieser Vorschlag überzeugt nach allem nicht. Gegen eine eventuell anzunehmende Unvereinbarkeit der Einordnung der Verkehrspflichten in § 823 II BGB mit Art. 2 EGBGB, wonach Gesetz im Sinne des BGB jede Rechtsnorm ist, wird eingewandt, daß auch Richterrecht als Gesetz in diesem Sinne anzusehen sei, weil es gleichgültig sei, woher eine Vorschrift, die als Norm angewendet werde, ihre Legitimation erhalte.658 Eine andere Argumentation geht dahin, daß Verkehrspflichten Gewohnheitsrecht seien und infolgedessen als Gesetze im Sinne von Art. 2 EGBGB und § 823 II BGB zu gelten hätten.659 Auch würden Verwaltungsakte, also Verhaltensgeboteder Verwaltung, als Schutzgesetze anerkannt. Dann könne fiir Verkehrspflichten, also richterliche Verhaltensgebote, nichts anderes gelten.660
bb) Prospekthaftung nach der Verkehrspflichtenlehre
Besondere Ausprägungen der Verkehrspflichtenlehre wurden fiir die Fallgruppe der Prospekthaftung entwickelt.661 Es soll hier eine "weitgehend standardisierte Festlegung von (quasi-deliktischen) Verkehrspflichten" zum Anlegerschutz vorgenommen werden. 662 Informationsverantwortlichkeiten wer-
657 Breinersdorfor, S.
166 f.
658 Huber, FS v. Caenunerer, S. 359, 377, 381 f. 659 v. Bar, ZGR
455,475.
1983, 476, 511; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 164; v. Bar, RabelsZ 44 (1980),
660 v. Bar, RabelsZ 44 (1980), 455, 475; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 164 f. 661
Assmann, S. 252 ff.; Assmann, Richlerliche Recbtsfortbildung. S.
1983, 476, 511.
662 Assmann, S. 252.
299, 320 ff.; v. Bar, ZGR
§ 7 Darstellung von LösungsvorschlAgen aus der Lehre
153
den auf die mit der Prospekterstellung verbundenen Personen verlagert, wn informationsbedingtes Marktversagen zu verhindern. 663 Mit der Konstruktion der Prospekthaftung über Verkehrspflichten sollen zwei wesentliche Vorteile verbunden sein. Zwn einen ende damit die systemwidrige Ausweitung der Grauzone einer Haftung zwischen Vertrag und De1ikt.664 Diese Fortschreibung des Deliktsrechts bleibe ein isolierter Eingriff, der nicht andere Rechtsgebiete eher unbeabsichtigt in die Rechtsfortbildung hineinziehe, was bei dem Konzept der Rechtsprechung geschehe. 665 So sei man auch zu einer genaueren Fallgruppenbildung gezwungen.666 Zwn anderen könnten deliktsrechtliche Verkehrspflichten ohne Bezug auf mögliche vertragliche Beziehungen und Organisationsformen, in denen der potentiell Verantwortliche steht, formuliert werden, 667 wodurch ein Leerlaufen der Haftung auf Grund geschickter Vertragsgestaltung verhindert werde. 668 Bei dieser Vergehensweise bestehe aber ein Bedarf an Konkretisierung dieser Verkehrspflichten. 669 Dabei soll an Gesichtspunkte der Berufshaftung angeknüpft werden670 (was zeigt, daß das Verkehrspflichtenkonzept enge Verbindungen zur Berufshaftung aufweist). Im Zuge einer solchen Konkretisierung wurde die auf Verkehrspflichten beruhende Prospekthaftung zur Verhinderung von Marktversagen auf dem Kapitalmarkt entwickelt.671 Danach soll die Herausgabe eines Prospekts Voraussetzung für den Vertrieb einer Kapitalanlage sein, also eine Prospektpflicht bestehen. 672 Schon dies ist Ausfluß einer Verkehrspflicht zur "Vermeidung informationsbedingten Marktversagens".673 Der Haftungsverbund der für die Information Verantwortlichen wird unabhängig von vertraglichen Be-
663 Assmann, S.
273 f.;Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299,320.
664 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299,321.
66S v. Bar, ZGR 1983, 476, 500. 666 v. Bar, ZGR 667 Assmann,
1983, 476, 501.
Richterliche Rechtsfortbildung, S. 299,321.
66S Assmann, S.
293/294.
669 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung. S. 299,321.
670 Assmann, Richterliche Rechtsfortbildung. S. 299,321. 671 Assmann, S. 273 -309, besonders ab S. 292. 672 Assmann, S.
294.
673 Assmann, S.
294.
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
ziehungen zum Anleger gebildet, was interne Kontrollen auf der Anbieterseite begünstigen soll. 674 Experten wie z. B. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, die mit Aussagen im Prospekt erscheinen, haften nach dieser Lehre nur für die Richtigkeit dieser Aussagen, nicht für sonstige Angaben des Prospekts. 675 Wirtschaftsprüfer sollen hier auch dann haften, wenn im Prospekt auch ohne Nennung ihres Namens auf einen von ihnen erstellten Prüfungsbericht hingewiesen wird und dieser von den Anlegern angefordert werden kann.6 76 Diesen Vorschlag hat der BGH in seinem Urteil vom 31.5.1990 der Sache nach, aber ohne Assmann zu erwähnen, in seine Rechtsprechung übernommen. 677 Nach Assmanns Ansicht beschränkt sich die Haftung auch nicht auf bestimmte Aussagen, sondern bezieht sich auf den ganzen Prospekt, weil er im ganzen auf Vollständigkeit und Richtigkeit geprüft worden ist und sich die Erklärung eines Wirtschaftsprüfers damit auf den ganzen Prospekt erstreckt. 678 Sie haften daher nur wegen ihrer weitreichenden Aussage so umfassend, was aber keine prinzipielle Unterscheidung von anderen Experten bedeutet. 679 Mit der Haftungskonstruktion über Verkehrspflichten wird erreicht. daß nicht nur der Ersterwerber, sondern auch weitere Erwerber auf Grund der Prospekthaftung anspruchsberechtigt sind. 680 Um die Haftung dadurch nicht unkalkulierbar auszuweiten, soll eine zeitliche Grenze bestehen, nach deren Überschreiten nicht mehr gehaftet wird.681 Die Prospekthaftung nach diesem Konzept ist eine Verschuldenshaftung.682 Hinsichtlich der Kausalität der falschen Prospektangabe für den Schaden soll eine widerlegliehe Vermutung bestehen. 683 Der Schaden muß sich des weiteren im Schutzbereich der verletzten Prospektpflicht realisieren. 684 Das 674 Assmann, S.
294 f.
675 Assmann, S.
295, 349 f.
676 Assmann, S.
351.
n
6
BGH Urt. v. 31.5.1990, VII ZR 340/88, BGHZ 111,314,319 f.
678 Assmann, S.
351 u. 307.
679 Assmann, S.
307.
680 Assmann, S.
295 f.
681 Assmann, S.
296.
682 Assmann, S.
296.
683 Assmann, S.
297, 362.
684 Assmann, S.
297 f., 361.
§ 7 Darstellung von Lösungsvorschlägen aus der Lehre
155
heißt, daß keine Ersatzpflicht besteht, wenn die Schäden durch Ursachen entstehen, auf die sich die mangelhafte Infonnation im Prospekt nicht bezog. 68 5 Es wird auch eine Konkretisierung des notwendigen Prospektinhalts versucht. Die Prospektangaben müßten richtig und vollständig sein. Sie müßten daher alles umfassen, was ein vernünftiger Anleger für wichtig halte. 686 Der Prospekt müsse über alle denkbaren Risikofaktoren informieren, da er sich an unerfahrene Anleger wende. 687 Dabei wurde in folgender Weise vorgegangen: Zunächst wurde eine allgemein gehaltene Verkehrspflicht zur Vermeidung infonnationsbedingten Marktversagens aufgestellt, aus der dann umfassend einzelne Pflichten abgeleitet wurden.
b) Kritik an der Verkehrspflichtenlehre Die Verkehrspflichtenlehre ist auf Ablehnung in der Literatur gestoßen und wird von der Rechtsprechung nicht ausdrücklich berücksichtigt. 688 Die Kritik geht in zwei Richtungen. Einmal wird das Konzept allgemein kritisiert689 und insbesondere vor einer zu großen, kaum noch zu begrenzenden Haftungsausweitung gewarnt. 690 Spezieller wird andererseits die Einordnung der Verkehrspflichten in§ 823 II BGB abgelehnt.691 Gegen dieses Konzept wird eingewandt, daß es im Deliktsrecht zwar ein empfindliches Schutzgefälle zwischen Rechten und Rechtsgütern einerseits und dem reinen Vermögen auf der anderen Seite gebe und daß dieser Unter685 Assmann, S. 297 f., 361. 686 Assmann, S. 299. 687 Assmann, S. 300. 688 Stahl, S. 44, nach seiner Ansicht soll mit einer Kenntnisnahme durch die Rechtsprechung auch in Zukunft nicht zu rechnen sein; zur Nichtberücksichtigung durch die Rechtsprechung: Damm, JZ
1991, 373, 382.
689 Canarls, FS Larenz 1983, S. 27,81- 84; Grunewald, JZ 1982,627, 631; Herrmann, JZ 1983, 422, 426; Jost, S. 187- 189; KlJndgen, S. 366 f.; Picker, JZ 1987, 1041, 1047; StoU, Richterliche Fortbildung, S. 42- 45; Wiegand, S. 184 f.
690 Grunewald, AcP 187 (1987), 285, 298; Hartmann, S. 108 f.; Herrmann, JZ 1983, 422, 426; KlJndgen, S. 366 f.; Wiegand, S. 184 f.; speziell zur Prospekthaftung Immenga, ZHR 151 (1987),
148, 158.
691 Canarls, FS Larenz 1983, S. 27, 77 - 81; Herrmann, JZ Picker, AcP 183 (1983), 369, 499; Picker, JZ 1987, 1041, 1047.
1983, 422, 426; Jost, S. 188 f.;
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3. Kapitel Darstellung der Auskunftshaftung nach deutschem Recht
schied der in der modernen Gesellschaft zunehmenden Bedeutung des reinen Vermögens nicht mehr gerecht werde, daß aber darauf bereits durch die Ausdehnung der schutzgesetzlichen Deliktshaftung und die extensive Anwendung von § 826 BGB reagiert worden sei.692 Da das Vermögen als Verletzungsobjekt nicht so greifbar sei wie die in § 823 I BGB aufgefiihrten Rechte und Rechtsgüter oder durch Schutzgesetze geschützte Rechte, da deren Signalfunktion für den Schädiger fehle, müsse das Vermögen im Deliktsrecht in besonderer Weise behandelt werden. 693 Köndgen bemerkt dazu, daß das keine Eigenart des deutschen Rechts sei, sondern z. B. auch im Cornrnon Law nicht anders sei.694 Diese Frage wird unten bei der Behandlung der Auskunftshaftung nach englischem Recht noch genauer zu untersuchen sein (vgl. dazu unten§ 10 C. I. und§ 15). Entsprechend wird gegen die Verkehrspflichtenlehre eingewandt, daß dadurch Fälle nach Deliktsrecht gelöst werden sollten, die ihm nicht zuzuordnen seien.695 Es sei auf den Schutz reinen Vermögens nicht ausgerichtet und solle eklatanteren Verstößen vorbehalten bleiben.696 Auch sei die Lösung mit den Nachteilen des Deliktsrechts, wie etwa der Exculpationsmöglichkeit des § 831 BGB, verbunden. 697 Bei der Auskunftshaftung geht es nach der Gegenmeinung auch nicht um gegenüber jedem bestehende, also deliktsrechtliche, Sorgfaltspflichten, sondern es muß im Einzelfall eine besondere Beziehung (Sonderverbindung)698 zum Geschädigten begründet werden, aus der sich Pflichten zur Anwendung besonderer Sorgfalt diesem gegenüber ergeben.699 Auch aus diesem Grund wird die Einordnung der Auskunftshaftung ins Deliktsrecht abgelehnt. Gegenüber der Haftung etwa aus c. i. c. ergebe sich nach diesem Konzept eine verschärfte Verschuldenshaftung, da der Verschuldensbezug verkürzt sei.
692 Köndgen, S. 366. 693 Köndgen, S. 366 f.; im Ergebnis gleicher Ansicht last, S. 189.
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