Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit: Eine Untersuchung der Haftung nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 sowie der zivilrechtlichen und der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung im deutschen Recht [1 ed.] 9783428555888, 9783428155880

Der Grund der Haftung, die Täterschaft und die Zuordnung von Handlungen, Verschulden und Verantwortlichkeit in der wirts

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German Pages 308 Year 2018

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Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit: Eine Untersuchung der Haftung nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 sowie der zivilrechtlichen und der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung im deutschen Recht [1 ed.]
 9783428555888, 9783428155880

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 302

Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit Eine Untersuchung der Haftung nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 sowie der zivilrechtlichen und der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung im deutschen Recht

Von

Jochen Thieme

Duncker & Humblot · Berlin

JOCHEN THIEME

Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 302

Die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit Eine Untersuchung der Haftung nach Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 sowie der zivilrechtlichen und der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung im deutschen Recht

Von

Jochen Thieme

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D384 Alle Rechte vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-15588-0 (Print) ISBN 978-3-428-55588-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85588-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Februar 2018 berücksichtigt und einzelne bedeutsame Entscheidungen noch bis Juli 2018 ergänzt werden. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle zuvorderst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Philipp Maume, S.J.D. (La Trobe), der mich mit anregender Kritik unterstützt und mir die nötige Freiheit für die Erstellung dieser Arbeit eingeräumt hat. Herrn Professor Dr. Michael Kort gilt mein Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Bedanken möchte ich mich überdies bei Herrn Professor Dr. Raphael Koch, LL.M. (Cambridge), EMBA und Herrn Professor Dr. Christoph Ann, LL.M. (Duke University), für ihre Mitwirkung in der Prüfungskommission. Meinen Eltern bin ich für ihren Zuspruch und ihren steten Rückhalt während meines Studiums und der Entstehung dieser Arbeit sehr dankbar. Besonderer Dank gilt schließlich meiner Frau – ihre liebevolle Unterstützung, ihr Verständnis und ihr offenes Ohr haben wesentlich zu dem Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Berlin, im Juli 2018

Jochen Thieme

Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung

17

§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 2 Zentrale Fragestellung und Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung von Wettbewerbsverstößen durch das Bundeskartellamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Schadensersatz bei Verstößen gegen europäisches Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . 22 § 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 § 4 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Teil 2 Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

28

§ 1 Die Begriffe des Unternehmens und der wirtschaftlichen Einheit in Art. 101 AEUV 28 A. Die Entwicklung der Unionspraxis bis zu dem Urteil Akzo Nobel . . . . . . . . . . . . . 30 I. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch den EuGH . . . 30 II. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch das EuG . . . . . 33 B. Aktuelle Unionspraxis seit dem Urteil Akzo Nobel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 § 2 Wirtschaftliche Einheit als Sanktionsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 § 3 Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit als Adressaten der Geldbuße . . . . . . . . . . . 39 § 4 Die Entstehung der wirtschaftlichen Einheit im europäischen Kartellrecht . . . . . . . . 40 A. Weitergehende praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 C. Grundlegende Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Allgemeine Möglichkeit der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Tatsächliche Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

8

Inhaltsverzeichnis D. Wirtschaftliche Einheit zwischen Schwestergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 E. Gemeinschaftlich kontrollierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 F. Wirtschaftliche Einheit bei (nahezu) 100-%-Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Widerlegung der Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Keine feste Grenze für die Geltung der Vermutungsregel . . . . . . . . . . . . . . . 51 G. Wirtschaftliche Einheit aus mehreren Teilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 H. Zusammenfassung und Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

§ 5 Die Haftung auf Grundlage des europäischen Konzepts der wirtschaftlichen Einheit

54

A. Rechts- und Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Ansätze der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Auswertung der gegenwärtigen Unionspraxis und Stellungnahme . . . . . . . . 57 1. Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Kritische Würdigung der Unionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 IV. Wirtschaftliche Einheit als Zurechnungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 B. Die dogmatische Begründung der Unionsorgane für die Haftung der Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Systematik der Analyse der Unionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Haftungsgrund der handelnden Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Haftungsgrund der Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Tatsächliche Einflussnahme als Beteiligungshandlung bzw. als Verzicht auf den Nachweis einer eigenen Beteiligungshandlung . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Aufsichtspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Haftung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Unternehmen 73 a) Frühere Lösungsansätze in der Unionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Widersprüchlicher Lösungsansatz nach der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Stand der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Auslegung und eigene Deutung der Unionspraxis . . . . . . . . . . . . . 77 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 C. Täterschaft der Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Deutungsansätze im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 D. Adressaten als Täterauswahl der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 E. Verschulden der wirtschaftlichen Einheit und der einzelnen Rechtsträger . . . . . . . 86 F. Ergebnis und kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 § 6 Keine Haftung der Tochter- für die Muttergesellschaft und keine allgemeine Haftung zwischen Schwestergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 § 7 Untersuchungsansatz und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Inhaltsverzeichnis

9

Teil 3 Bußgeldrechtliche und zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Grundlage des deutschen Rechts

100

§ 1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A. Tatsächliche Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Zeitliche Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 § 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 A. Bußgeldrechtliche Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . 103 I. Grundlagen der Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . 103 1. System der dezentralen Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Anwendung des Art. 101 AEUV nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . 104 3. Einschränkungen durch den Umfang der parallelen Anwendung . . . . . . . 106 4. Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003 als Befugnisnorm . . . 109 II. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit der Obergesellschaft 112 1. Mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Fahrlässige Nebentäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Einzelunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Unternehmensverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Garantenstellung aufgrund des betrieblichen Autoritätsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Garantenstellung des Geschäftsherrn für die Gefahrenquelle „Betrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 dd) Garantenstellung bei Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 ee) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG . . . . . . . . . . . 122 a) Obergesellschaft als Inhaberin des „Unternehmens“ im Sinne des Unternehmensverbunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Obergesellschaft als Inhaberin der handelnden Gesellschaft . . . . . . . . 125 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Einwände gegen die Grundannahme der faktischen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Teleologische Einwände gegen eine faktische Betrachtungsweise 128 cc) Kein Anwendungsfall des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 dd) Einwände gegen eine Auslegung des Unternehmens im Sinne eines Unternehmensverbunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 ee) Einwände gegen eine doppelte Inhaberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

10

Inhaltsverzeichnis 4. Faktische Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5. Wirtschaftliche Einheit als kartellrechtliche Außen-GbR . . . . . . . . . . . . . 136 a) Die Qualifikation des Konzerns als GbR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Die wirtschaftliche Einheit ist keine Außengesellschaft . . . . . . . . . . . . 138 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Ahndung auf Grundlage des GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Verbundklausel, § 36 Abs. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Inhalt der Verbundklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Keine Haftung auf Grundlage der Verbundklausel . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Einwirkungen des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Einschränkungen nach dem allgemeinen Vorranggrundsatz des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Einschränkungen durch den Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Neuer Maßstab nach Schenker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Zivilrechtliche Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . . . . 156 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Privatrechtliche Relevanz des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Unionsrechtlich begründetes Recht auf Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Kein originär unionsrechtlicher Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . 159 4. Primärrechtlicher Anwendungsvorrang des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . 161 5. Anwendungsvorrang nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO Nr. 1/2003 . . . . . . . . . . 162 6. Verfahrensautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Nationale Anspruchsgrundlage und Grundfragen der Passivlegitimation . . . 163 III. Die Haftung des Unternehmensträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Einheitliche Zurechnung nach Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Zurechnung auf Grundlage der Verbundklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Zurechnung auf Grundlage des Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Distanzierungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Zurechnung nach nationalen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Organe und leitende Angestellte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Sonstige Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Zurechnung über die Verbundklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Telos der Verbundklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Urteil Entega des Bundesgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Inhaltsverzeichnis

11

IV. Konzernbezogene Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Auswahl- und Überwachungsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Anwendung auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Voraussetzungen der Verrichtungsgehilfeneigenschaft . . . . . . . . . . . . . 182 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Organisationsverschulden der Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Aufsichtspflichtverletzung in der Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4. Einstandspflicht aufgrund der Konzernverbundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Haftung der Konzernobergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 V. Zwischenergebnis und Wirkung des Trennungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . 194 VI. Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Dogmatische Konzepte und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Anerkannte Durchgriffskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 VIII. Europäische Vorgaben und die Einwirkungen auf das nationale Recht . . . . 200 1. Äquivalenzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Meinungsstand in der Literatur in Bezug auf die Passivlegitimation

203

b) Nationale Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Maßgebliche Entscheidungen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Courage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Manfredi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Kone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 aa) Die allgemeinen Vorgaben des effet utile für die Passivlegitimation 213 bb) Primäre Haftung der handelnden Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 216 cc) Sekundäre Haftung der Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (1) Erfordernis der Betrachtung des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . 218 (2) Allgemeines Insolvenzrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (3) Haftungstrennung als allgemeiner Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 220 (4) Effet utile gebietet Durchgriff auf die Obergesellschaft . . . . . . 221 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 IX. Umsetzung der europäischen Vorgaben im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Follow-on-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Persönliche Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Sachliche Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 aa) Verstoß und Zuordnung zu den einzelnen Rechtsträgern . . . . . . . . 227 bb) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

12

Inhaltsverzeichnis c) Zusammenfassung und Auflösung des Widerspruchs zwischen dem Verschuldenserfordernis und den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Stand-alone-Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Analoge Anwendung des § 31 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Gesamtanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Vermutungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 d) Art. 101 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 e) Durchgriffshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 X. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 XI. Stand der Rechtsprechung in den weiteren Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . 247 1. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Bewertung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 A. Bußgeldrechtliche Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . 253 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Zurechnung über § 81 Abs. 3a GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 III. Vergleich mit der Praxis der Unionsorgane und Bewertung . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Einheitliche Sanktionsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Zivilrechtliche Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . . . 259 I. Änderungen durch die 9. GWB-Novelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Bezugnahme auf den Rechtsverletzer in § 33 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . 260 2. Anwendung des § 81 Abs. 3a GWB im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Zwischenergebnis und aktueller Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Richtlinie schreibt kein bestimmtes Haftungsmodell vor . . . . . . . . . . . 268 b) Keine Passivlegitimation des Unternehmens im Sinne der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Mindestvorgaben für ein nationales Haftungsmodell der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 III. Zusammenfassung und Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

Inhaltsverzeichnis

13

Teil 4 Untersuchungsergebnisse

275

§ 1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 A. Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 B. Die Haftung der Obergesellschaft für Geldbußen auf Grundlage des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts für Verstöße gegen Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . 277 C. Zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft im Hinblick auf Verstöße gegen Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 § 2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. AcP a.E. AEUV a.F. AG AG AktG AöR Art. AT Aufl. Az. BB Bd. Begr. BGB BGH BKR BLJ BT BT-Drs. BVerfG bzw. CCZ CML Rev DB d. h. EBOR ECJ ECLR EGKS EG-Vertrag Einl. EL Rev et al. EU EuG EuGH

andere Auffassung Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft Aktiengesetz Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Aktenzeichen Betriebs-Berater Band Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bucerius Law Journal Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Corporate Compliance Zeitschrift Common Market Law Review Der Betrieb das heißt European Business Organization Law Review European Competition Journal European Competition Law Review Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung European Law Review et alii Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof

Abkürzungsverzeichnis EuR EUV EuZW EWG-Vertrag EWS f. ff. FKVO Fn. FS GA GbR gem. GesRZ GG GmbH GmbHG GRUR GRUR Int. GVO GWB GWR HGB h.M. Hrsg. i.d.S. i.S.d. i.S.v. i.V.m. i.w.S. JECLP JPIL JZ KG KOME KSzW LG lit. LS Mio. Mrd. m.w.N. n.F. NJW Nr. NZG NZKart NZWiSt

Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende folgende (Plural) Fusionskontrollverordnung Fußnote Festschrift Generalanwalt/Generalanwältin Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Der Gesellschafter Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gruppenfreistellungsverordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber in diesem Sinne im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Journal of European Competition Law and Practice Journal of Private International Law JuristenZeitung Kommanditgesellschaft Entscheidungen/Beschlüsse der Kommission Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Landgericht litera Leitsatz Million/Millionen Milliarde/Milliarden mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

15

16 OHG OLG OWiG RegE RL Rn. Rs. Rspr. s. S. Slg. st. StGB u. a. UAbs. UWG v. verb. vgl. vs. VO Vor. Vorb. VuR wistra WM wrp WuW z. B. ZEuP ZGR ZHR ZIP ZStW ZweR

Abkürzungsverzeichnis Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Regierungsentwurf Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsprechung siehe Seite/Satz Sammlung ständige Strafgesetzbuch und andere Unterabsatz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom verbundene vergleiche versus Verordnung Vorbemerkung Vorbemerkung Verbraucher und Recht Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb zum Beispiel Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

Teil 1

Einleitung* § 1 Einführung Das europäische Wettbewerbsrecht schützt den freien Wettbewerb vor Verfälschungen.1 Freier Wettbewerb beruht maßgeblich auf der freien Entfaltung unternehmerischer Tätigkeit. Im Teilbereich des Kartellrechts wird der freie Wettbewerb überwiegend von Konzernen2 bedroht. Zwar werden die wettbewerbswidrigen Absprachen von einzelnen Gesellschaften getroffen und umgesetzt. Tatsächlich stehen diese jedoch meist in rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu zahlreichen anderen Gesellschaften eines Konzerns. Die von der Europäischen Kommission geahndeten Kartelle betreffen nahezu jeden Lebensbereich. Aufgedeckt wurden Absprachen über Lebensmittel,3 TV- und Computer-Bildschirme,4 Zinsderivate,5 Vitamine,6 * Alle verwendeten Internetquellen waren bei Abgabe der Arbeit an den Verlag am 15. Juli 2018 abrufbar. Nachfolgend werden Entscheidungen und Beschlüsse der Kommission einheitlich als Entscheidungen bezeichnet, auch wenn diese Rechtshandlungen seit dem Vertrag von Lissabon als Beschlüsse bezeichnet werden, vgl. Art. 288 Abs. 4 AEUV und Art. 249 Abs. 5 EG. Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 Nr. L 1/1 (Kartellverfahrensordnung) ist bislang nicht angepasst worden, sodass in dem Zusammenhang mit dem Erlass von Geldbußen die Rechtshandlungen der Kommission weiterhin als „Entscheidung“ bezeichnet werden. Sofern es sich bei diesen einheitlich als KOME zitierten Entscheidungen um unveröffentlichte Informationsversionen handelt, sind diese unter Angabe der Fallnummer sämtlich unter www.ec.europa.eu/competition abrufbar. 1 Vgl. ursprünglich im Katalog der Tätigkeiten der Gemeinschaft (Art. 3 Abs. 1 lit. g EG), nunmehr seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügt. 2 Die im Nachfolgenden verwendeten Begriffe „Konzern“, „Konzerngesellschaften“ bzw. „konzernierte Gesellschaften“ sind nicht im Sinne des § 18 AktG zu verstehen. Sie werden untechnisch für wirtschaftlich verbundene Rechtsträger und entsprechende Zusammenschlüsse verwendet, da im Unionsrecht und speziell im Wettbewerbsrecht keine eindeutige Definition und Abgrenzung der Begriffe existiert. 3 KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms. 4 KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes. 5 KOME v. 21. 10. 2014, C(2014) 7605, AT.39924 – Swiss Franc interest rate derivatives.

18

Teil 1: Einleitung

Tierfutter,7 Polyurethanschaum8 und Stahl-Strahlmittel9. In den in der deutschen Presse als „Aufzugskartell“ bekannt gewordenen Absprachen teilten verschiedene Tochtergesellschaften diverser Konzerne jeweils in Deutschland, Holland, Belgien und Luxemburg unter anderem den Absatz und Einbau von Aufzügen und Fahrtreppen über einen Zeitraum von bis zu acht Jahren untereinander auf.10 Derart weitreichende Kartelle kommen erst aufgrund der Marktmacht des Gesamtkonzerns zustande; es entsteht ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Nach einer Studie der OECD betrafen die wettbewerbswidrigen Absprachen teilweise über 50 % des gesamten Handels und führten zu einer durchschnittlichen Erhöhung der Preise um 15 % bis 20 %.11 Von den Gewinnen und Vorteilen aus dem Wettbewerbsverstoß profitieren nicht nur der Kartellant, sondern auch die übrigen konzernzugehörigen Gesellschaften. Aus wirtschaftlicher Perspektive erscheinen Konzerne regelmäßig als Einheit. Entsprechend wird der Konzern in den Wirtschaftswissenschaften oftmals als ein einheitliches Unternehmen betrachtet.12 In der Rechtswissenschaft hingegen liegt der Akzent traditionell auf der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften.13 Wird jede Gesellschaft als rechtlich selbstständige juristische Person für den von ihr begangenen Verstoß sanktioniert, bleibt die Sanktion wirtschaftlich betrachtet jedoch regelmäßig weit hinter dem Ausmaß des Schadens zurück, den die Gesellschaften in ihrer Gesamtheit als Konzern verursacht haben. Aus der Perspektive des Unternehmensverbunds überwiegen die wirtschaftlichen Vorteile der Absprache die Sanktion. Der Sanktionszweck der Wettbewerbsregeln wird nicht erreicht. Die Herausforderung bei der wirksamen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts liegt mithin darin, die Verbindungen zwischen den rechtlich selbstständigen Gesellschaften zu berücksichtigen, sodass kein Sanktionsdefizit entsteht. Die Unionsorgane begegnen dieser Problematik mit einem funktionalen Verständnis des Unternehmens. Adressat der europäischen Wettbewerbsregeln und 6

KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine. KOME v. 20. 07. 2010, C(2010) 5004, AT.38866 – Animal Feed Phosphates. 8 KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam. 9 KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives. 10 KOME v. 21. 02. 2007, C(2007) 512 final, AT.38823 – Elevators and Escalators. 11 Der tatsächliche wirtschaftliche Schaden eines Kartells lässt sich nur schwer ermitteln und genau beziffern. Genaue Zahlen der Europäischen Kommission liegen nicht vor. Entsprechend kann die Studie der OECD nur beispielhaft herangezogen werden. Die Untersuchung der OECD betraf neben europäischen Kartellen auch solche aus weiteren OECD-Mitgliedstaaten, die sich an der Umfrage beteiligten, vgl. OECD Studie v. 09. 04. 2002, abrufbar unter http://www.oecd.org/competition/cartels/2081831.pdf. 12 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 18 AktG Rn. 5. 13 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 18 AktG Rn. 6. 7

§ 2 Zentrale Fragestellung und Untersuchungsgegenstand

19

zentraler Begriff in der Praxis des EuGH, des EuG und der Kommission ist das „Unternehmen“ in Art. 101 Abs. 1 AEUV. Dieser Begriff wird extensiv ausgelegt; verschiedene Konzerngesellschaften werden als „wirtschaftliche Einheit“ zu einem einzigen „Unternehmen“ zusammengefasst. Eine solche Zusammenfassung erfolgt zum einen, wenn sämtliche Gesellschaften an dem Verstoß zusammengewirkt haben. In einer Vielzahl von Fällen wird jedoch die handelnde14 Gesellschaft mit ihrer gesellschaftsrechtlichen Obergesellschaft zu einem Unternehmen zusammengefasst, ohne dass letztere an den Verstößen mitgewirkt hat oder von diesen Kenntnis hatte. Dieses aus mehreren Rechtsträgern bestehende „Unternehmen“ – die wirtschaftliche Einheit – verstößt gegen die Wettbewerbsregeln. Da sich die Geldbußen an dem Jahresumsatz des zuwiderhandelnden Unternehmens orientieren, führt die extensive Auslegung zu einer empfindlichen Erhöhung der Sanktionen.15 In der Folge sind die verhängten Geldbußen in den letzten Jahren erheblich gestiegen und haben ihren vorläufigen Zenit in dem Verfahren Trucks erreicht. Dort wurden gegen vier Unternehmen Geldbußen in Höhe von insgesamt 2,9 Milliarden Euro verhängt.16 Tatsächliche Schuldner dieser Geldbuße sind wiederum die einzelnen Rechtsträger; die Rechtsträger werden „stellvertretend“ für das „Unternehmen“ als Bußgeldschuldner herangezogen. Im Ergebnis haften daher auch rein tatsächlich unbeteiligte Konzerngesellschaften für Wettbewerbsverstöße, die von Mitarbeitern anderer Rechtsträger desselben Unternehmens begangen worden sind.

§ 2 Zentrale Fragestellung und Untersuchungsgegenstand Der freie Wettbewerb in Europa wird nicht allein durch die Unionsorgane gewahrt. Mit Inkrafttreten der Kartellverfahrensordnung (VO Nr. 1/200317) am 1. Mai 2004 ist die Durchsetzung des Kartellrechts dezentralisiert worden. In Deutschland ahndet auch das Bundeskartellamt Verstöße gegen Art. 101 AEUV. Bereits 2001 hatte der EuGH in der Entscheidung Courage zudem aus Art. 101 Abs. 1 AEUV ein subjektives Recht auf Schadensersatz desjenigen abgeleitet, der durch einen Wettbewerbsverstoß geschädigt worden ist.18 Neben das public enforcement des Art. 101 14

Im Nachfolgenden wird die Formulierung „handelnde Gesellschaft“ aus rein sprachlichen Gründen für die Anstellungskörperschaft verwendet, deren Mitarbeiter die wettbewerbswidrigen Handlungen begangen haben. 15 Vgl. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1/2003. 16 KOME v. 19. 07. 2016, C(2016) 4673 final, AT.39824 – Trucks. Vgl. auch die Statistik der höchsten durch die Kommission verhängten Kartellgeldbußen, abrufbar unter http://ec.europa. eu/competition/cartels/statistics/statistics.pdf. 17 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 Nr. L 1/ 1. 18 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 26.

20

Teil 1: Einleitung

Abs. 1 AEUV ist damit das private enforcement vor den nationalen Zivilgerichten getreten. Gegenstand dieser Arbeit ist die Frage, ob auch auf nationaler Ebene wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV neben der handelnden Gesellschaft weitere, an dem eigentlichen Wettbewerbsverstoß unbeteiligte Rechtsträger mit einer Geldbuße belegt bzw. zivilrechtlich in Anspruch genommen werden können. Untersucht wird, inwiefern das Bundeskartellamt bzw. die deutschen Zivilgerichte das Haftungskonzept der wirtschaftlichen Einheit bei der Anwendung des Art. 101 AEUV berücksichtigen müssen. Entscheidend sind die Wechselwirkungen des Unionsrechts mit dem nationalen Recht sowie die durch den Effektivitätsgrundsatz gezogene Grenze der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie. Daher ist zunächst eine Auseinandersetzung mit der europäischen Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit erforderlich. Die Arbeit gliedert sich thematisch in drei Teile.

A. Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit Die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit wird in der Literatur ausführlich kritisiert.19 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Haftungskonzept steht hingegen noch ganz am Anfang – obwohl es ständige Rechtsprechung der Unionsgerichte ist. Der Begriff des Unternehmens verschleiert den Grund für die Inanspruchnahme der Rechtsträger sowie die Täterschaft und die Zuordnung von Handlungen, Verschulden und Verantwortlichkeit zwischen dem „Unternehmen“ und den rechtlich selbstständigen Rechtsträgern. Der EuGH verstärkt dies, indem er teils weitreichende Änderungen in seiner Rechtsprechung nicht hinreichend deutlich macht. Eine genaue Untersuchung offenbart, dass zentrale Grundlagen und das dogmatische Gerüst des Haftungskonzepts ungeklärt sind. Bereits über die Rechts- und Handlungsfähigkeit des aus mehreren Rechtsträgern bestehenden Unternehmens gehen die Stimmen in der Literatur auseinander. Grundlegende Fragen, etwa welche Rechtsträger ein Unternehmen bilden und welche Rechtsträger für das wettbewerbswidrige Verhalten anderer Gesellschaften desselben Konzernverbunds gegebenenfalls wechselseitig haften, werden unterschiedlich beantwortet. Auffallend verschiedene Ansätze werden insbesondere im Hinblick auf die Grundlage der Haftung der einzelnen Rechtsträger vertreten. Die divergierenden Schlussfolgerungen werden hierbei meist aus Einzelentscheidungen gezogen. Dies führt dazu, dass der kontinuierliche Wandel der Unionspraxis in der Literatur nur unzureichend Berücksichtigung findet; eine umfassende Auseinandersetzung mit den zahlreichen nebeneinander existierenden Deutungsansätzen 19

Vgl. beispielhaft: Riesenkampff, in: FS Loewenheim, 2009, S. 529, 529 ff.; Steinle, EWS 2004, 118, 118 ff.; Hofstetter/Ludescher, (2010) 33 WC 55, 55 ff.; Kling, wrp 2010, 506, 510 ff.; Thomas, JZ 2011, 485, 485 ff.; Thomas, KSzW 2011, 10, 10 ff.; Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1008 ff.; Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 1 ff.; Bosch, ZHR 2013, 454, 454 ff.; jüngst: Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 87 ff.

§ 2 Zentrale Fragestellung und Untersuchungsgegenstand

21

sowie eine eingehende Analyse der Entscheidungspraxis fehlt. Diese Lücke soll in der vorliegenden Arbeit geschlossen werden und das aktuell in der Unionspraxis angewandte Haftungskonzept die Grundlage der gesamten weiteren Arbeit bilden. Den vorstehenden Fragen kommt hohe politische und wirtschaftliche Brisanz sowie erhebliche praktische Bedeutung zu. Sie sind eng mit der Durchsetzung des europäischen Kartellrechts durch das Bundeskartellamt und der nationalen Durchsetzung etwaiger Schadensersatzansprüche wegen eines Verstoßes gegen europäisches Kartellrecht verknüpft. So leitet beispielsweise das Bundeskartellamt aus der Praxis der Unionsorgane eine konzernweite Aufsichtspflicht ab, um diese als Argumentationsgrundlage im Rahmen seiner eigenen Sanktionsbemühungen fruchtbar zu machen.20 Vertreter eines Compliance-Ansatzes ziehen sie heran, um im Einzelfall die Haftung weiterer Rechtsträger zu begrenzen.21 Gleichsam könnte eine entsprechende Aufsichtspflichtverletzung wiederum die Grundlage für eine zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft bilden. Insbesondere im Hinblick auf eine etwaige deliktische Haftung ist von besonderer Bedeutung, welche Rechtsträger eines Konzerns gegen das europäische Wettbewerbsrecht verstoßen haben und ob hieraus gegebenenfalls (auch) eine wechselseitige zivilrechtliche Haftung folgt.

B. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung von Wettbewerbsverstößen durch das Bundeskartellamt Auch das Bundeskartellamt22 wendet, wenn der innergemeinschaftliche Handel betroffen ist, europäisches Wettbewerbsrecht an und ist hierbei bestrebt, die gesellschaftsrechtliche Obergesellschaft als Bußgeldschuldnerin heranzuziehen, um im Vergleich zu der Unionspraxis keine Sanktionslücken entstehen zu lassen. Entsprechend umstritten ist, ob auch nach nationalem Recht bei der Ahndung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV die Haftung einer unbeteiligten Konzernobergesellschaft begründet werden kann. Insbesondere die Vorgaben des Unionsrechts und des Effektivitätsgrundsatzes werden unterschiedlich beurteilt. Eine dem europäischen Modell nachgebildete Haftung stünde jedoch grundsätzlich in Konflikt mit dem Rechtsträgerprinzip, welches das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht prägt. Es gilt das Spannungsfeld zwischen der notwendigen wirtschaftlichen Be20

Vgl. Ost, in: Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 319; Ost, (2014) 5 JECLaP 125, 127. 21 Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 508. 22 Im deutschen Kartellrecht sind gemäß § 50 Abs. 1 GWB das Bundeskartellamt und die Landeskartellämter nach den §§ 48 und 49 GWB die zuständigen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV. Nach § 50 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 2 GWB ist das Bundeskartellamt für alle Wettbewerbsverstöße zuständig, die über das Gebiet eines Landes hinausreichen. Entsprechend wird im Rahmen dieser Arbeit allein auf den Vollzug durch das Bundeskartellamt eingegangen; es ergeben sich jedoch auch keine Unterschiede zu den Landeskartellämtern.

22

Teil 1: Einleitung

trachtungsweise einerseits und der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze andererseits zu wahren. Dessen ungeachtet vertrat das Bundeskartellamt in einzelnen Verfahren die Auffassung, dass eine Geldbuße gegen die gesellschaftsrechtliche Obergesellschaft auch ohne unmittelbare Beteiligung ihrer Mitarbeiter verhängt werden könnte.23 Angesichts zahlreicher kritischer Stimmen aus der Literatur hat jedoch auch das Bundeskartellamt eine gesetzliche Klarstellung gefordert.24 Dieses Vakuum hat der Gesetzgeber im Rahmen der 9. GWB-Novelle25 zum Anlass genommen, das Kartellordnungswidrigkeitenrecht anzupassen. Mit § 81 Abs. 3a GWB wurde ein neuer Haftungstatbestand für die Konzernobergesellschaft geschaffen. Inwiefern der Gesetzgeber seinem Ziel gerecht geworden ist, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede zu der Lösung nach dem Unionsrecht bestehen, bildet einen weiteren Gegenstand der Ausführungen zum Ordnungswidrigkeitenrecht.

C. Schadensersatz bei Verstößen gegen europäisches Wettbewerbsrecht Die private Durchsetzung des Kartellrechts gewinnt, nachdem 2001 in dem Urteil Courage das Unionsrecht auf Schadensersatz begründet worden ist, stetig an Bedeutung.26 Die zivilrechtliche Haftung der Kartellanten ist dem EuGH zufolge essenziell für die Aufrechterhaltung des wirksamen Wettbewerbs in der Union.27 Zuständig für die Durchsetzung sind die einzelnen Mitgliedstaaten, wobei die Modalitäten dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz genügen müssen. Inwiefern das deutsche Kartelldeliktsrecht diesen Anforderungen im Hinblick auf die Haftung konzernverbundener Gesellschaften genügt, ist nur wenig erforscht. Grundsätzlich richtet sich der Schadensersatzanspruch nach § 33 Abs. 3 GWB gegen denjenigen, der gegen das wettbewerbsrechtliche Verhaltensgebot verstoßen hat. Nach der ständigen Praxis der Unionsorgane ist der Verstoßende das aus mehreren 23 Vgl. Fallberichterstattung des Bundeskartellamtes vom 9. 02. 2012 zu dem Aktenzeichen B1 – 200/06, www.bundeskartellamt.de. Weiter sollen nach den Ausführungen des Direktors des Bundeskartellamtes und Leiters der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamtes auch in den Verfahren gegen Hersteller von Spanplatten und OSB-Platten ebenfalls mit dieser Begründung Bußgelder verhängt worden sein: Ost, NZKart 2013, 25, 25. Den offiziellen Veröffentlichungen der Behörde lassen sich hierzu keine Ausführungen entnehmen. 24 Vgl. Stellungnahme des Bundeskartellamtes zum Regierungsentwurf zur 8. GWB-Novelle vom 22. 06. 2012, S. 16, www.bundeskartellamt.de. 25 Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1. 06. 2017, BGBl. I, S. 1416. 26 Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 26. 27 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27.

§ 2 Zentrale Fragestellung und Untersuchungsgegenstand

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Rechtsträgern bestehende „Unternehmen“. Entsprechend argumentieren diverse Autoren, dass der Effektivitätsgrundsatz eine zivilrechtliche Inanspruchnahme aller Rechtsträger des Unternehmens im Sinne der Unionsrechtsprechung grundsätzlich vorgäbe.28 Im deutschen Recht steht diese Betrachtungsweise in Konflikt mit dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatz und wird daher in Rechtsprechung und überwiegendem Schrifttum wiederum bereits dem Grunde nach abgelehnt. Zentraler Untersuchungsgegenstand ist daher, welche differenzierten Vorgaben dem europäischen Recht im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung konzernverbundener Gesellschaften entnommen werden können. Denn nur dieser Inhalt des Schadensersatzrechts wird durch den Effektivitätsgrundsatz geschützt. Gerade diese Wechselwirkungen und Einwirkungen des europäischen Wettbewerbsrechts mit und auf das nationale Recht werden in der Literatur bislang nur in geringem Umfang berücksichtigt.29 Die europäische und die deutsche Rechtsordnung dürfen jedoch nicht isoliert, sondern müssen in ihren Bezügen zueinander betrachtet werden. Anders als im strafrechtlich geprägten Ordnungswidrigkeitenrecht stehen einer Durchbrechung im Einzelfall keine vergleichbaren verfassungsrechtlichen Hürden entgegen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet daher, wie das nationale Recht im Zivilprozess ausgelegt bzw. fortgebildet werden kann, um eine im Einzelfall unionsrechtlich gebotene Haftung umzusetzen. Hierbei ist zwischen Follow-on-Prozessen nach vorangegangenen Bußgeldverfahren der Kommission und Stand-alone-Verfahren zu unterscheiden. In ersteren sind die deutschen Zivilgerichte gemäß Art. 16 VO Nr. 1/2003 und § 33 Abs. 4 GWB an die Feststellung des Wettbewerbsverstoßes in der Kommissionentscheidung gebunden. Die Rechtsfolgen der extensiven Auslegung des „Unternehmens“ durch die Unionsorgane, die den gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatz aufhebt, wirken damit auf das nationale Kartelldeliktsrecht ein. Es fragt sich, wie weit die rechtliche Beurteilung des deutschen Zivilgerichts durch diese Vorgaben determiniert wird und ob hiervon auch dem deutschen Kartelldeliktsrecht eigene, weitere Tatbestandsvoraussetzungen wie das Verschulden erfasst werden. Für Stand-alone-Verfahren ist ein eigener Lösungsansatz zu entwickeln, um den Trennungsgrundsatz im Einzelfall zu durchbrechen. Hierbei sind die Grenzen der unionskonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung auszuloten. Mit Verabschiedung der Kartellschadensersatzrichtlinie30 am 26. November 2014 haben die vorstehenden Fragen zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Denn noch immer sind die meisten Opfer von Wettbewerbsverstößen nicht in der Lage, Scha28

Vgl. beispielsweise: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457. Nahezu ohne Anklang bei: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 113 ff.; Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 173 ff.; knappe Ausführungen bei: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 93 ff.; Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 159 ff.; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 209 ff. 30 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1. 29

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Teil 1: Einleitung

densersatz zu erlangen.31 Nach einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2008 wurden zwischen Mai 2004 und Herbst 2007 lediglich 96 Schadensersatzklagen in den Mitgliedstaaten ausgemacht; in keinem dieser Fälle wurde rechtskräftig Schadensersatz zugesprochen.32 Jedes Jahr würden den Geschädigten Schadensersatzzahlungen von bis zu 23 Milliarden Euro entgehen.33 Die Kartellschadensersatzrichtlinie zielt darauf ab, die privatrechtliche Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu stärken und regelt zahlreiche, bislang höchst umstrittene Detailfragen des Schadens und der Anspruchsberechtigung. Im Hinblick auf die Passivlegitimation trifft die Richtlinie jedoch keine expliziten Festlegungen. Auch der deutsche Gesetzgeber hat bei der Umsetzung der Richtlinie im Rahmen der 9. GWB-Novelle den zivilrechtlichen Haftungstatbestand unverändert gelassen und die Frage der Passivlegitimation erneut nicht eindeutig geregelt. Zahlreiche Stimmen aus der Literatur folgern, dass die Lösung dieser Problematik der künftigen Rechtsprechung überantwortet worden sei.34 Entsprechend umstritten ist, welche Vorgaben dem Unionsrecht und der Richtlinie zu entnehmen sind und ob eine unionsrechts- bzw. richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Kartelldeliktsrechts geboten ist. Rechtsunsicherheit ist die Folge.

§ 3 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Um konzernspezifische Besonderheiten zu erfassen, ziehen die Unionsorgane die Begriffe des Unternehmens und der wirtschaftlichen Einheit nicht nur im Rahmen der Verbotsvorschrift des Art. 101 Abs. 1 AEUV, sondern auch im Rahmen der Missbrauchskontrolle marktbeherrschender Unternehmen, der Anwendung der Gruppenfreistellungsverordnungen, in der Fusionskontrolle oder wenn die Verbindungen zwischen einem Handelsvertreter und seinem Prinzipal beurteilt werden, heran.35 Diese einheitlich verwendete Terminologie ist jedoch irreführend; hinter dem Begriff der wirtschaftlichen Einheit steht kein übergreifendes, feststehendes Konzept. Der Begriff wird vielmehr zu unterschiedlichen Zwecken und mit be31 Zusammenfassung des Folgenabschätzungsberichts der Kommission als Begleitpapier zu dem Vorschlag für eine Kartellschadensersatzrichtlinie, SWD (2013) 204 final, Rn. 1, https://ec.europa.eu/commission/index_de. Zu den Entwicklungen in anderen Mitgliedstaaten siehe: Rodger, in: Rodger, Competition Law, Comparative Private Enforcement and Collective Redress across the EU, 2014, S. 121, 121 ff. 32 Renda et al., Making antitrust damages actions more effective in the EU, 2007, S. 39 ff. 33 Zusammenfassung des Folgenabschätzungsberichts der Kommission als Begleitpapier zu dem Vorschlag für eine Kartellschadensersatzrichtlinie, SWD (2013) 204 final, Rn. 8, https://ec.europa.eu/commission/index_de. 34 Seeliger/Gürer, BB 2017, 195, 197; Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 395; Petrasincu, WuW 2016, 330, 331. 35 Kurzer Überblick bei: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 16 ff.; Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 38 ff.

§ 4 Gang der Untersuchung

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reichsspezifischen Definitionen, mithin mit unterschiedlichen Bedeutungsgehalten verwendet. Die Entscheidungen des EuGH im Hinblick auf eine zivilrechtliche Haftung des „Unternehmens“ sind ausnahmslos im Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV ergangen und nahezu die gesamte wissenschaftliche Diskussion sowie die deutsche Gerichtspraxis beziehen sich auf eine etwaige Verletzung ebendieser Norm. Gleichwohl löst auch die Verletzung des Art. 102 AEUV Schadensersatzansprüche aus, wie Art. 2 Nr. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie36 nunmehr klarstellt. Bereits im Hinblick auf die Anwendung und Durchsetzung des Art. 101 AEUV bestehen jedoch eine Vielzahl ungeklärter Rechtsfragen. Eine zusätzliche Auseinandersetzung mit etwaigen Besonderheiten im Rahmen der Durchsetzung des Art. 102 AEUV würde den Umfang dieser Arbeit sprengen und bleibt daher künftigen Abhandlungen vorbehalten. Diese Arbeit untersucht sowohl den sanktions- als auch den zivilrechtlichen Durchgriff im Unternehmensverbund, sofern das Kartellverbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV durch die Unionsorgane, das Bundeskartellamt oder durch Zivilgerichte durchgesetzt wird.

§ 4 Gang der Untersuchung Der sich an diese Einführung (Teil 1) anschließende Teil 2 dient der Grundlegung. Untersucht wird der Unternehmensbegriff in Art. 101 AEUV, wie er von den Unionsorganen in ständiger Praxis verwandt wird. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich der Begriff des Unternehmens zu dem Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ verhält, in welchen Konstellationen von einer wirtschaftlichen Einheit gesprochen wird und wie das Unternehmen, respektive die wirtschaftliche Einheit, rechtlich zu qualifizieren ist. Im Anschluss werden der Haftungsgrund der einzelnen Rechtsträger einer solchen wirtschaftlichen Einheit und die Auswirkungen auf die Täterschaft sowie das Verschulden analysiert, wenn Geldbußen nach Art. 23 VO Nr. 1/2003 gegen ein solches Unternehmen verhängt werden. Hierauf aufbauend wird sodann erörtert, welche Rechtsträger in einer wirtschaftlichen Einheit für die wettbewerbswidrigen Handlungen einzustehen haben, die von Mitarbeitern anderer Rechtsträger begangen worden sind. Die Analyse wird zeigen, dass es sich hierbei immer um eine wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft handelt.37 Der Grundlagenteil schließt mit einem Ausblick ab. Auf diesem Verständnis aufbauend widmet sich Teil 3 der Arbeit der Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft, sofern Art. 101 AEUV nicht von den 36 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1. 37 Zu diesem Begriff siehe Teil 2 § 4.

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Teil 1: Einleitung

Unionsorganen, sondern durch das Bundeskartellamt oder vor deutschen Zivilgerichten durchgesetzt wird. In den Vorbemerkungen unter § 1 des dritten Teils werden die tatsächlichen Voraussetzungen für die Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft abgegrenzt und definiert und die zeitliche Anwendbarkeit der Regelungen vor und nach der 9. GWB-Novelle38 erläutert. In § 2 werden die bußgeldrechtliche und die zivilrechtliche Haftung dieser wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft vor der 9. GWB-Novelle untersucht. § 3 widmet sich der Situation nach der Novelle. Im Rahmen des § 2 wird in dessen Unterpunkt A die Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft für Geldbußen erörtert und hierbei zunächst auf das System der dezentralen Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts eingegangen und insbesondere der Umfang der Anwendung des Art. 101 AEUV durch die nationalen Wettbewerbsbehörden erläutert. Im Anschluss wird die mögliche Haftung auf Grundlage des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts und der speziellen Vorschriften des GWB kritisch diskutiert. Zusätzlich zu einer potenziellen Aufsichtspflichtverletzung wird auf die in Praxis und Literatur bislang wenig thematisierte fahrlässige Nebentäterschaft durch Unterlassen eingegangen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit den Einwirkungen des Unionsrechts und der jüngsten Rechtsprechung zu den europäischen Vorgaben für den Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten. In dem sich anschließenden § 2 Unterpunkt B. wird zunächst die Entstehung des unionsrechtlich begründeten Rechts auf Schadensersatz erläutert, bevor auf die zivilrechtliche Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft eingegangen wird. Im Vordergrund stehen hierbei erneut die Wechselwirkungen des europäischen und des nationalen Rechts. Die ausführliche Analyse der Möglichkeiten zur Begründung einer Haftung nach nationalem Recht kommt zu dem Ergebnis, dass eine Haftung nur in wenigen Sonderkonstellationen in Betracht kommt. Der weitere Fokus der Untersuchung liegt daher auf der Frage, inwiefern dieses Ergebnis mit den Vorgaben des europäischen Rechts vereinbar ist. Unter Auseinandersetzung mit den einschlägigen Urteilen des EuGH wird bestimmt, in welchen Konstellationen die Vorgaben des Unionsrechts eine Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes im deutschen Recht gebieten. Hierauf aufbauend werden ein eigener Ansatz entwickelt, wie diese Vorgaben im deutschen Zivilprozess umgesetzt werden können und die Möglichkeiten einer unionskonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung des nationalen Rechts erörtert. Abgerundet wird § 2 Unterpunkt B. mit einem Überblick über den Stand der Rechtsprechung im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung in weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Unter § 3 werden im Rahmen des Unterpunktes A. die Änderungen des deutschen Gesetzgebers hinsichtlich der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft durch die 9. GWB-Novelle erörtert und die 38 Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1. 06. 2017, BGBl. I, S. 1416.

§ 4 Gang der Untersuchung

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Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu der Praxis der Unionsorgane analysiert und bewertet. § 3 Unterpunkt B. widmet sich den Änderungen im deutschen Kartelldeliktsrecht infolge der Umsetzung der europäischen Kartellschadensersatzrichtlinie. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den Vorgaben der Richtlinie in Bezug auf den Anspruchsgegner im nationalen Recht. Diese Vorgaben bestimmen darüber, ob es einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Kartelldeliktsrechts bedarf und in welchem Umfang das nationale Recht auch nach Umsetzung der 9. GWB-Novelle weiterhin unionsrechtskonform auszulegen ist. In Teil 4 der Arbeit werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und mit einem kurzen Ausblick abgerundet.

Teil 2

Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit Das „Unternehmen“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV und die „wirtschaftliche Einheit“ sind die zentralen Begriffe des Haftungskonzepts der Unionsorgane. Entsprechend wird zu Beginn der Untersuchung des europäischen Konzepts zunächst der Begriff des „Unternehmens“ bestimmt und ausführlich auf das Zusammenspiel mit der „wirtschaftlichen Einheit“ eingegangen (§ 1). Im Anschluss wird auf das Unternehmen als Sanktionsadressaten (§ 2) und das Verhältnis zu den Rechtsträgern als Bußgeldadressaten eingegangen (§ 3). In § 4 werden die verschiedenen Konstellationen und Voraussetzungen einer „wirtschaftlichen Einheit“ näher dargestellt. Hierauf aufbauend wird in § 5 das dogmatische Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ und der Haftung der einzelnen Rechtsträger untersucht. Vor diesem Hintergrund kann geklärt werden, in welchen hypothetischen Konstellationen nach dem Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ eine Haftung zwischen verschiedenen Rechtsträgern begründet werden kann (§ 6). Dem schließt sich ein Ausblick an (§ 7).

§ 1 Die Begriffe des Unternehmens und der wirtschaftlichen Einheit in Art. 101 AEUV Art. 101 Abs. 1 AEUV richtet sich allgemein an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Jedoch findet sich weder im europäischen Primär- noch im europäischen Sekundärrecht eine Definition des Begriffs „Unternehmen“.1 Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben sich keine Hinweise zum Begriffsverständnis. Da es sich um einen unionsrechtlichen Begriff handelt, kann für die Auslegung ferner nicht auf nationales Recht zurückgegriffen werden.2 Lediglich3 in Art. 1 des Protokolls 22 zum EWR-Abkommen4 i.V.m. Art. 56 Abs. 4 EWR-Abkommen5 wird das Unternehmen als „jedes Rechtssubjekt, das eine

1

Herrmann, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 950; Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 35. 2 Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, S. 186. 3 Entgegen Frenz, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, S. 186 Fn. 142 enthielt auch Art. 80 EGKS keine grundsätzliche Definition.

§ 1 Begriffe des Unternehmens in Art. 101 AEUV

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kommerzielle oder wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“ definiert, um die Kompetenzbereiche von Kommission und EFTA-Überwachungsbehörde abzugrenzen. Diese Definition ist jedoch nur von begrenztem Wert, da in den Sprachfassungen der übrigen Mitgliedstaaten der Begriff der „Einheit“ und nicht der des „Rechtssubjekts“ verwendet wird6 – die englische Sprachfassung7 beispielsweise spricht unspezifisch von „entity“. Mangels gesetzlicher Vorgaben entscheidet im europäischen Kartellrecht damit die enge oder weite Auslegung des Unternehmensbegriffs letztlich über die Grenzen des Anwendungsbereichs der Wettbewerbsregeln und ihren Wirkungsgehalt.8 Früh wurde erkannt, dass insbesondere große, multinationale Konzerne besonders starken Einfluss auf den Wettbewerb nehmen. Die Teilnahme einer einzelnen Gesellschaft eines großen Konzerns an einem Kartell wirkt sich oftmals stärker auf den Wettbewerb aus als Absprachen zwischen kleinen, autonom agierenden Wirtschaftsteilnehmern. Entsprechend wurden sowohl in der Literatur als auch in der europäischen Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis eine Vielzahl unterschiedlicher Unternehmensbegriffe entwickelt, um die ökonomischen Auswirkungen der Konzernverbindungen gleichsam rechtlich zu erfassen.9 Geldbußen werden kontinuierlich seit 1969 verhängt.10 Um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Konzernzugehörigkeit rechtlich zu erfassen, entwickelten die europäischen Gerichte und die Kommission zunächst parallel zwei unterschiedliche Lösungsansätze. Es entstand eine über einen langen Zeitraum gespaltene und auch noch immer nicht vollkommen konsistente europäische Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis.11 Um einen Beitrag für die Praxis zu leisten, sollen der aktuell in der Unionspraxis vertretene Unternehmensbegriff und das ihm zugrunde liegende Haftungskonzept die Grundlage dieser Arbeit bilden. Auch wenn nach heutigem Stand der zumindest in der Unionspraxis herangezogene Unternehmensbegriff weitgehend einheitlich angewandt wird und in den praxisrelevantesten und damit häufigsten Konzernkonstellationen die Haftungsfolge geklärt ist, sind der Rechtsgrund der Haftung und das 4 Protokoll 22 über die Definition der Begriffe „Unternehmen“ und „Umsatz“, ABl. EG 1994, L 1/185, S. 3. 5 Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EG 1994, L 1/185, S. 3. 6 EuGH, Urt. v. 28. 06. 2005, Rs. C-198/02 P u. a., ECLI:EU:C:2005:408 – Dansk Rorindustri u. a., Rn. 113. 7 Roth/Ackermann, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 1/09, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 104. 8 Herrmann, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 946. 9 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Weiß, Unternehmensbegriff, 2012, S. 88 ff. sowie die nachfolgende Darstellung der Entwicklung in der Rechtsprechung. 10 Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, 1987, S. 14. 11 Fleischer, Dynamik des Wettbewerbsschutzes, 2013, S. 150 macht ihr gar den Vorwurf, dass die „letztlich ergebnisorientierte Lösung der europäischen Judikative und Verwaltung eher verworren“ sei.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

eigentliche Haftungskonzept noch weitgehend ungeklärt. Aufgrund der engen Verknüpfung des Unternehmensbegriffs mit dem Haftungskonzept der Unionsorgane ist die Kenntnis der unterschiedlichen Lösungsansätze und des historischen Wandels in der europäischen Rechtsprechung für die Untersuchung der Rechtsfolgen und des dogmatischen Haftungskonzepts entscheidend. Gerade in dieser fortwährenden Entwicklung liegt der Grund, weshalb das europäische Haftungskonzept noch nicht vollständig ausgestaltet ist und sich in der Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher Deutungsansätze für die aktuelle Praxis entwickelt hat. Dementsprechend soll nachfolgend zunächst die historische Entwicklung der Unionspraxis grob skizziert werden. Auch wenn oder vielmehr gerade weil viele Ungereimtheiten im Hinblick auf den Unternehmensbegriff mit der Entscheidung Akzo Nobel ausgeräumt wurden, orientiert sich die Darstellung an dieser wegweisenden Entscheidung.

A. Die Entwicklung der Unionspraxis bis zu dem Urteil Akzo Nobel Am Anfang der Entwicklung stellten sowohl der EuGH als auch die Kommission auf den von dem Gerichtshof zum EGKS-Vertrag entwickelten institutionellen12 Unternehmensbegriff ab und setzten das Unternehmen mit dem Rechtsbegriff der juristischen oder der natürlichen Person gleich.13 Der EuGH hatte definiert, es handle sich bei einem „Unternehmen um eine einheitliche, einem selbständigen Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren, mit denen auf Dauer ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird“.14

I. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch den EuGH Um die tatsächlichen Auswirkungen von konzertiert handelnden Akteuren auf den Wettbewerb erfassen zu können, die Wettbewerbsregeln effektiver anzuwenden und ihre abschreckende Wirkung zur Entfaltung zu bringen, prägte der Gerichtshof seit Anfang der siebziger Jahre separat zu dem Begriff des Unternehmens den Begriff der wirtschaftlichen Einheit. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit wurde in 12

Vgl. ausführlich zu den terminologischen Unstimmigkeiten in Bezug auf den „institutionellen Unternehmensbegriff“: Weiß, Unternehmensbegriff, 2012, S. 81 ff. Undeutlich: Roth/ Ackermann, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 1/09, Grundfragen Art. 81 Abs. 1 EG Rn. 32. 13 EuGH, Urt. v. 13. 07. 1966, Rs. 56/64 u. a., ECLI:EU:C:1966:41 – Consten/Grundig, S. 337, 386 ff. – mit Wiedergabe der Position der beklagten Kommission auf S. 337; vgl. auch Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 37. 14 EuGH, Urt. v. 13. 07. 1962, Rs. 17/61 u. a., ECLI:EU:C:1962:30 – Klöckner-Werke/ Hoesch, Ls. 3; EuGH, Urt. v. 13. 07. 1962, Rs. 19/61, ECLI:EU:C:1962:31 – Mannesmann, Ls. 3.

§ 1 Begriffe des Unternehmens in Art. 101 AEUV

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Konstellationen, in denen Gesellschaften aufgrund wirtschaftlicher, organisatorischer und rechtlicher Bindungen ihr Marktverhalten nicht mehr autonom bestimmen, herangezogen. Er diente als reiner Zurechnungstatbestand, der die Zurechnung des kartellrechtswidrigen Verhaltens zwischen einzelnen, rechtlich selbstständigen Rechtsträgern ermöglicht. Bereits 1972 formulierte der EuGH in Imperial Chemical Industries: „Der Umstand, daß die Tochtergesellschaft eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, vermag indessen noch nicht auszuschließen, daß ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann. Dies gilt namentlich dann, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im wesentlichen [sic!] Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. Kann eine Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen, so sind die Verbotsvorschriften des Art. 85 Abs. 1 [EWG] in den Beziehungen zwischen ihr und der Muttergesellschaft, mit der sie dann eine wirtschaftliche Einheit bildet, unanwendbar. Wegen der Einheit des so gebildeten Konzerns kann das Vorgehen der Tochtergesellschaft unter bestimmten Umständen der Muttergesellschaft zugerechnet werden“.15

Infolge der Zurechnung des Verhaltens der Tochtergesellschaft an die leitende Gesellschaft wurden beide für den Wettbewerbsverstoß haftbar gemacht. Von diesem Zurechnungsmodell getrennt blieb die Urheberschaft und der Unternehmensbegriff – Verstoßende blieb immer eine der Gesellschaften. Die wirtschaftliche Einheit bestand vielmehr zwischen den Unternehmen.16 Parallel entwickelte der Gerichtshof den Unternehmensbegriff weiter, um der Vielgestaltigkeit der Wirtschaftsrealität gerecht zu werden. Hierbei schrieb der EuGH die Auslegung und Definition des Unternehmensbegriffs schrittweise von einem institutionellen Verständnis hin zu einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise fort. In dem Urteil Höfner/Elser löste er 1991 den Unternehmensbegriff schließlich von der Rechtsträgereigenschaft, um öffentlich-rechtliche Einrichtungen erfassen zu können und definierte das Unternehmen als „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.17

Diese Entwicklung vollzog sich unabhängig von dem im Wesentlichen seit den siebziger Jahren unverändert gebliebenen und lediglich in seinen Voraussetzungen weiter ausdifferenzierten Zurechnungsmodell. Die Definition des Unternehmens und das Zurechnungsmodell standen unabhängig nebeneinander. Die in dem Urteil Höfner/Elser entwickelte Definition wurde nur auf einzelne Wettbewerbsakteure und nicht auf mehrere Akteure als Gruppe bezogen. Lagen die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vor, wurde zwischen diesen Unternehmen zugerechnet. 15 EuGH, Urt. v. 14. 07. 1972, Rs. 48/69, ECLI:EU:C:1972:70 – Imperial Chemical Industries, Rn. 132/135. 16 de Bronett, EWS 2012, 113, 115. 17 EuGH, Urt. v. 23. 04. 1991, Rs. C-41/90, ECLI:EU:C:1991:161 – Höfner/Elser, Rn. 21.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

II. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Kommission Im Rahmen der EWG-Regeln war es die Kommission, die zur Definition des Unternehmensbegriffs der Art. 85, 86 EWG als erste zunehmend wirtschaftliche Kriterien heranzog,18 wenngleich ihre Entscheidungspraxis19 von Schwankungen geprägt war.20 1972 gab die Kommission schließlich den institutionellen Unternehmensbegriff auf. In der Entscheidung Zoja/CSC-ICI wandte sie im Rahmen des Art. 86 EWG erstmals ausdrücklich die Figur der wirtschaftlichen Einheit an. Verfahrensbeteiligte waren unter anderem die amerikanische Commercial Solvents Corporation (CSC) und ihre italienische Tochtergesellschaft Instituto Chemioterapico Italiano (ICI), an der CSC 51 % der Anteile hielt. Die Kommission formulierte, dass es nicht gerechtfertigt sei „zwischen dem Willen und den Handlungen der CSC und der ICI zu unterscheiden. Demnach [seien] die Gesellschaften CSC und ICI […] im Hinblick auf die Anwendung des Art. 86 als ein- und dasselbe Unternehmen oder ein- und dieselbe wirtschaftliche Einheit zu behandeln“21. Anders als der EuGH zog die Kommission den Begriff der wirtschaftlichen Einheit damit nicht als Zurechnungstatbestand heran. Vielmehr stellte sie die als „CSC-ICI-Gruppe“ bezeichnete wirtschaftliche Einheit mit dem Unternehmen gleich und erachtete diese als einheitliches Täterunternehmen im Sinne des Art. 86 EWG.22 1986 definierte die Kommission, dass sich der Begriff des Unternehmens „auf jede Einheit beziehen [könne], die gewerblich tätig [sei], und im Fall von juristischen Personen eine Mutter- oder Tochtergesellschaft oder die von diesen gebildete Einheit [beträfe]“23. Dieses Konzept wurde über die Jahre weiter ausdifferenziert und eine gefestigte Entscheidungspraxis der Kommission über Jahrzehnte entwickelt.24 Nach dieser setzt der Unternehmensbegriff, anders als nach nationalem Verständnis, keine eigene Rechtspersönlichkeit voraus.25 Vielmehr umfasst der Unternehmensbegriff 18

Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 37. Entscheidungen werden seit dem Vertrag von Lissabon als Beschlüsse bezeichnet, vgl. Art. 288 Abs. 4 AEUV und Art. 249 Abs. 4 EG. Da die Kartellverfahrensordnung (EG) Nr. 1/ 2003 bislang nicht angepasst wurde und in dem Zusammenhang mit dem Erlass von Geldbußen diese weiterhin als „Entscheidungen“ bezeichnet werden, wird auch im Rahmen dieser Arbeit einheitlich der Begriff der Entscheidung verwendet. 20 Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 80. 21 KOME v. 14. 12. 1972, 72/457/EWG, L:1972:299:TOC – Zoja/CSC-ICI, S. 54. 22 Vgl. Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 41. 23 KOME v. 23. 04. 1986, 86/398/EWG, L:1986:230:TOC – Polypropylen, Rn. 99. 24 KOME v. 23. 11. 1984, 85/74/EWG, L:1985:035:TOC – Peroxyd-Produkte, S. 1 ff.; ausführlich hierzu: Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 33 ff. 25 Vgl. KOME v. 14. 12. 1985, 85/609/EWG, L:1985:374:TOC – ECS/AKZO, S. 24; KOME v. 23. 04. 1986, 86/398/EWG, L:1986:230:TOC – Polypropylen, Rn. 99; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 189; Vgl. KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 246; KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 19

§ 1 Begriffe des Unternehmens in Art. 101 AEUV

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unabhängig vom Rechtsstatus und von der Art der Finanzierung sämtliche Einheiten, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen.26 Konsequenz der ausschließlichen Unternehmenstäterschaft nach dem Konzept der Kommission war, dass alle Rechtsträger, die Teil der wirtschaftlichen Einheit und damit des Unternehmens waren, für den Verstoß hafteten.27 Die Haftung wurde damit begründet, dass die Rechtsträger Teil des Unternehmens waren, das gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen hat.28 III. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch das EuG Das EuG gab den institutionellen Unternehmensbegriff ebenfalls auf und zog bei der Sanktionierung von konzernverbundenen Rechtsträgern eine organisationsbezogene Definition heran, in deren Zentrum kein selbstständiges Rechtssubjekt, sondern einzelne Komponenten stehen und stellte fest, dass das „den Unternehmen in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag u. a. auferlegte Verbot […] an wirtschaftliche Einheiten gerichtet ist, die jeweils in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel bestehen, die dauerhaft einen bestimmten

final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 691; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 334; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1046; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 259; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 721. 26 KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 246; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 659; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 412; KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen, Rn. 452; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 53; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 68; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 35; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 63; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 53. 27 Nur wenige Entscheidungen stellen widersprüchlich auf eine Zurechnung des Verhaltens bzw. des Verstoßes ab: KOME v. 28. 01. 1998, 98/273/EG, L:1998:124:TOC – VW, Rn. 207; KOME v. 11. 06. 2002, K(2002) 2091, L:2004:056:TOC – Österreichische Banken / Lombard Club, Rn. 477; 480. 28 Vgl. KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 195: „Together those entities form part of the respective undertakings that committed the infringement of Article 81 of the Treaty and they are held jointly and severally liable for their undertaking’s participation in the cartel.“; KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 245; KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 643; KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 693; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1048; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 336; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 260.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit wirtschaftlichen Zweck verfolgt und an einer Zuwiderhandlung im Sinne dieser Vorschrift beteiligt sein kann“.29

In der Folge fasste das Gericht mehrere Gesellschaften als ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts zusammen.30 Aufgrund der Zusammenfassung zu einem Unternehmen wurde die Zuwiderhandlung einer der beteiligten Gesellschaften zugerechnet und diese mit einer Geldbuße belegt.31 Auch die in den nachfolgenden Jahren erlassenen Urteile stimmen in der Rechtsfolge überein, wenngleich ihre Begründungen nicht immer einheitlich erscheinen.32

B. Aktuelle Unionspraxis seit dem Urteil Akzo Nobel Mit der Entscheidung Akzo Nobel erweiterte der EuGH den bis dahin nur für einzelne, rechtlich getrennte Wettbewerbsakteure geltenden Unternehmensbegriff erheblich und gab der ursprünglichen Definition, wonach das Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“33 ist, eine neue Bedeutung. Der Gerichtshof formulierte zum ersten Mal für Konzernkonstellationen, dass „unter dem Begriff des Unternehmens eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird“.34 29 EuG, Urt. v. 10. 03. 1992, Rs. T-11/89, ECLI:EU:T:1992:33 – Shell International Chemical Company, Rn. 311; Vgl. auch: EuG, Urt. v. 14. 05. 1998, Rs. T-352/94, ECLI:EU:T:1998:103 – Mo Och Domsjö, Rn. 87. 30 EuG, Urt. v. 10. 03. 1992, Rs. T-11/89, ECLI:EU:T:1992:33 – Shell International Chemical Company, Rn. 312. 31 EuG, Urt. v. 10. 03. 1992, Rs. T-11/89, ECLI:EU:T:1992:33 – Shell International Chemical Company, Rn. 315. 32 Vgl. EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-314/01, ECLI:EU:T:2006:266 – Avebe, Rn. 135; 141; EuG, Urt. v. 26. 04. 2007, Verb. Rs. T-109/02, T-118/02 u. a., ECLI:EU:T:2007:115 – Bolloré, Rn. 150; EuG, Urt. v. 8. 10. 2008, Rs. T-69/04, ECLI:EU:T:2008:415 – Schunk u. a., Rn. 55, 74 – wobei hier das EuG auch eine Begründung über den Unternehmensbegriff andeutet, wonach das Verhalten der Obergesellschaft persönlich zur Last gelegt würde; EuG, Urt. v. 8. 07. 2008, Rs. T-52/03, ECLI:EU:T:2008:253 – Knauf Gips, Rn. 342; 354 f. – wobei das EuG hier auch ergänzend formuliert, dass die Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung der wirtschaftlichen Einheit zugerechnet würde; EuG, Urt. v. 30. 04. 2009, Rs. T-12/03, ECLI:EU:T:2009:130 – Itochu, Rn. 48. Für einzelne Wettbewerbsakteure verwandte das EuG auch teilweise die Definition des EuGH aus dem Urteil Höfner/Elser (Urt. v. 23. 04. 1991 – C41/90, ECLI:EU:C:1991:161 – Rn. 21), wonach „der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung [umfasst].“ – Vgl. EuG, Urt. v. 22. 10. 1997, Rs. T-213/95 u. a., ECLI:EU:T:1997:157 – SCK/FNK, Rn. 120; EuG, Urt. v. 12. 12. 2006, Rs. T-155/04, ECLI:EU:T:2006:387 – SELEX Sistemi Integrati, Rn. 50. 33 EuGH, Urt. v. 23. 04. 1991, Rs. C-41/90, ECLI:EU:C:1991:161 – Höfner/Elser, Rn. 21. 34 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 55.

§ 1 Begriffe des Unternehmens in Art. 101 AEUV

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In diese Definition der aus mehreren Akteuren bestehenden wirtschaftlichen Einheit wurden die Voraussetzungen des ursprünglichen Zurechnungsmodells aufgenommen und so der Begriff des Unternehmens und der bis dahin selbstständige Begriff der wirtschaftlichen Einheit miteinander verzahnt: „Mutter- und Tochtergesellschaft sind, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden, nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit und damit ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts“.35

Die Entscheidung Akzo Nobel markiert einen bedeutenden Wandel in der Rechtsprechung des EuGH.36 Das Merkmal der „Einheit“ des Unternehmensbegriffs in Art. 101 AEUV wird mit dem der „wirtschaftlichen Einheit“ gleichgesetzt. Damit stellt das Konzept der wirtschaftlichen Einheit kein separates Zurechnungsmodell (mehr) zwischen rechtlich selbstständigen Gesellschaften dar.37 Mutter- und Tochtergesellschaft bilden eine wirtschaftliche Einheit und ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts. Das Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV kann mithin aus einem einzelnen Rechtsträger bestehen oder aus mehreren Rechtsträgern gebildet werden. Der Gerichtshof verzichtet damit auf das Erfordernis der Rechtspersönlichkeit.38 Die Wettbewerbsregeln richten sich nicht mehr nur an einzelne Rechtsträger, sondern auch unmittelbar an die wirtschaftliche Einheit aus mehreren Rechtsträgern. Einzelunternehmen, die in diese Gesamtheit eingegliedert sind, werden nicht mehr als Individuen betrachtet, sondern als Teile der wirtschaftlichen Einheit, die als Gesamtheit die Verantwortung für kartellrechtlich relevantes Verhalten tragen soll.39

35 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 58 f. 36 Ebenso de Bronett, EWS 2012, 113, 120 ff.; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 65; La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 73. Im ausländischen Schrifttum scheint diesem dogmatischen Wandel nur wenig Aufmerksamkeit zuteil zu werden. Weit überwiegend wird das Konzept zwar kritisiert, jedoch als nunmehr feststehend anerkannt, vgl. Kallaugher/Weitbrecht, (2010) 31 ECLR 307, 316; Olaerts/Cauffman, (2011) 32 ECLR 431, 432; La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 73 ff.; Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 68 f.; Vere-Hodge, (2016) 37 ECLR 475, 475. Ausführlich wird hingegen die mit der Entscheidung Akzo Nobel ebenfalls eingeführte „Vermutungslösung“ kritisiert, vgl. Mobley/Mourkas/Murray, (2014) 35 ECLR 499, 500 f.; Leupold, (2013) 34 ECLR 570, 578 ff.; Olaerts/Cauffman, (2011) 32 ECLR 431, 436 f.; Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 78. Zu der „Vermutungslösung“ siehe ausführlicher Teil 2 § 4 F. 37 Ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 154. 38 Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, vor Art. 101 AEUV Rn. 29; Herrmann, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 947; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Vor Art. 101 – 105 AEUV Rn. 39. 39 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 80.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Mit diesem Bedeutungsgehalt wird der funktionale Unternehmensbegriff seit der Entscheidung Akzo Nobel von den europäischen Gerichten sowie der europäischen Kommission einheitlich angewandt.40 Nur noch in wenigen Entscheidungen wird dieser funktionale Unternehmensbegriff teilweise um Begriffsmerkmale ergänzt, die Teil der ursprünglichen institutionellen Unternehmensdefinition waren.41 Aber auch in diesen Fällen wird auf das Merkmal eines selbstständigen Rechtssubjekts verzichtet. Mithin deutet dies keine Rückkehr zum Rechtsträgerprinzip an, sondern es handelt sich um zwei verschiedene Akzentsetzungen eines einheitlichen Unternehmensbegriffs.42 Daneben werden noch bis heute in wenigen Fällen die organisationsbezogenen Komponenten der ursprünglichen Definition des EuG – vornehmlich bei der Beurteilung von Konzernsachverhalten43 – ergänzend herangezogen.44 40 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 55; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 34 f.; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 42; EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 43; EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 47 f.; EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 45 f.; EuG, Urt. v. 7. 06. 2011, Rs. T-217/06, ECLI:EU:T:2011:251 – Arkema France u. a., Rn. 39 f.; EuG, Urt. v. 16. 06. 2011, Rs. T-208/08 u. a., ECLI:EU:T:2011:287 – Gosselin Group u. a., Rn. 40; EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 162; EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 48; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 659; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 412; KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen, Rn. 452; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 53; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 68; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 35; ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 154; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 34. 41 Vgl. beispielhaft EuG, Urt. v. 8. 07. 2008, Rs. T-52/03, ECLI:EU:T:2008:253 – Knauf Gips, Rn. 351. 42 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 13; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 1, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 8; in diesem Sinne wohl auch: Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 175; Weiß, Unternehmensbegriff, 2012, S. 91; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 122 – anders als Hackel dies auf S. 120 darstellt, handelt es sich jedoch nicht um eine Ausprägung des materiell-institutionellen Begriffs, da gerade auf das Erfordernis der Rechtspersönlichkeit verzichtet wird. 43 Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 44. Mit dem ausdrücklich Hinweis, dass diese Einschränkung nur für das Konzernprivileg und die Verhaltenszurechnung zwischen Konzernunternehmen herangezogen wird: Bucher, Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts auf Träger sozialer Sicherungssysteme, 2009, S. 23 f.; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Vor Art. 101 – 105 AEUV Rn. 42. 44 Vgl. bspw. EuG, Urt. v. 20. 03. 2002, Rs. T-9/99, ECLI:EU:T:2002:70 – HFB u. a., Rn. 54; EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 122; oder jüngst EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 32; KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Pre-

§ 2 Wirtschaftliche Einheit als Sanktionsadressat

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Dieser in der ständigen Unionsrechtsprechung und der Verwaltungspraxis der Kommission angewandte funktionale Unternehmensbegriff bildet die Grundlage der gesamten nachfolgenden Untersuchung. Um eine klare Zuordnung zu ermöglichen, wird daher im Rahmen der weiteren Arbeit der Begriff des Unternehmens ausschließlich für einen Zusammenschluss aus mehreren Rechtsträgern zu einem Unternehmen, respektive einer wirtschaftlichen Einheit, verwendet. Einzelne Rechtsträger werden als solche bzw. Gesellschaften oder juristische Personen bezeichnet.

§ 2 Wirtschaftliche Einheit als Sanktionsadressat Art. 101 AEUV ordnet lediglich an, dass Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können und die Behinderung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, verboten sind. Adressat dieser Normbefehle ist das Unternehmen. Art. 23 VO Nr. 1/2003 ergänzt das materielle Verbot als Sanktionsvorschrift und ermöglicht die Verhängung einer Geldbuße im Falle eines schuldhaften Verstoßes. Letzterer bildet die normative Grundlage für das bußgeldbewehrte Einschreiten gegen Wettbewerbsverstöße. Vor Erlass der Entscheidung Akzo Nobel, d. h. unter Geltung des rechtsträgerbezogenen Unternehmensbegriffs, hatte der EuGH ausdrücklich festgestellt, dass die gemäß Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 zu verhängende Geldbuße dem einzelnen Rechtsträger aufzuerlegen sei.45 Diese Unterscheidung zwischen der Täterschaft des Unternehmens und der Haftung der Rechtsträger wird von Teilen der Literatur als zweistufiges Verfahren interpretiert.46 Auf der ersten Stufe, der Tatbestandsebene, wird unter Anwendung des funktionalen Unternehmensbegriffs die materiell-rechtlich für den Rechtsverstoß verantwortliche Einheit identifiziert. Im Rahmen der Vollstreckung werden zum Zwecke der Zustellung und Vollstreckung, mithin aus rein vollstreckungsrechtlichen Erwägungen, der oder die Rechtsträger als Adressaten ermittelt, die für das Unternehmen im wirtschaftlichen Sinne verantwortlich sind. Hieraus wird oftmals ge-

stressing Steel, Rn. 691; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 334; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1046; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 721. 45 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 11. 2000, Rs. C-294/98 P, ECLI:EU:C:2000:632 – Metsä-Serla u. a., Rn. 28 zu dem in diesem Fall einschlägigen Art. 15 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 17/62, der Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 entspricht. 46 Vgl. Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, S. 178; Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 17; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 48; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 126 ff.; ausführliche Kritik an diesem Ansatz bei: Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 19 ff.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

folgert, dass in der Unionspraxis auf Tatbestandsebene und auf Rechtsfolgenebene zwei unterschiedliche Unternehmensbegriffe verwendet würden.47 Zumindest in Bezug auf den aktuell von den Unionsorganen verwendeten Unternehmensbegriff liegt der aktuellen Praxis eine solche Spaltung jedoch nicht zugrunde. Die Adressatenauswahl hat nicht zur Folge, dass die ausgewählten Rechtsträger als das bußgeldrechtliche Unternehmen angesehen werden.48 Der von den Unionsorganen in Art. 101 AEUVund Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 angewandte Unternehmensbegriff ist identisch.49 Der EuGH führt inzwischen übereinstimmend mit dem EuG50 und der Kommission51 aus: „Die Verfasser der Verträge haben sich dafür entschieden, den Unternehmensbegriff zu verwenden und keine anderen Begriffe wie den u. a. in Art. 48 EG verwendeten Begriff der Gesellschaft oder der juristischen Person. Auf diesen Begriff des Unternehmens hat der Unionsgesetzgeber in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 abgestellt, um die Einheit zu definieren, der die Kommission eine Geldbuße auferlegen kann, um eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union zu ahnden“.52 47

Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 131. Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 84; Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 55; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 120; Nowak, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 23 VerfVO Rn. 17, der aber gleichzeitig die wirtschaftliche Einheit als Zurechnungsmodell bezeichnet, vgl. Rn. 19; Kienapfel, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 23 VO (EG) 1/2003 Rn. 20; in diesem Sinne bereits: Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 17; Lessenich, Unternehmensbegriff und Zurechnung, 2000, S. 36. Anders: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 164 ff., der jedoch nicht den Wandel in der Unionspraxis berücksichtigt und im Besonderen auf das Urteil Enichem Anic des EuG vom 17. 12. 1991 abstellt (T-6/89, ECLI:EU:T:1991:74). Dieses betrifft jedoch gerade den Spezialfall der Rechtsnachfolge, weshalb hier abweichend von den allgemeinen Grundsätzen auf die einzelnen Rechtsträger abzustellen ist. Gleichsam erkennt auch er, dass die jüngeren Urteile „eine gewisse Unschärfe“ aufweisen, da sie formulieren, dass die wirtschaftliche Einheit für den Verstoß „einzustehen“ habe. Gerade diese Formulierung ist jedoch nicht rein wirtschaftlich zu verstehen, wie Blome schlussfolgert. Gerade die jüngeren Ausführungen der Unionsorgane belegen, dass Sanktionsadressat und Adressat der Regeln und Grundsätze des Wettbewerbsrechts das Unternehmen, die wirtschaftliche Einheit ist. Mit dem hier herausgearbeiteten Haftungsmodell der Unionsorgane stimmt ebenfalls überein, dass sich die Höhe der zu verhängenden Geldbuße an der Leistungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit orientiert, was auch Blome als Widerspruch zu seinen Schlussfolgerungen einräumen muss: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 175 f. 49 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-247/11 P u. a., ECLI:EU:C:2014:257 – Areva, Rn. 123; EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 187; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 419; a.A. ohne nähere Begründung: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 116. 50 EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 187. 51 KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 419. 52 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-247/11 P u. a., ECLI:EU:C:2014:257 – Areva, Rn. 123 f.; i.d.S. auch: EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-637/13 P, ECLI:EU:C:2017:51 – 48

§ 3 Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit als Adressaten der Geldbuße

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Dass die Geldbuße der betroffenen wirtschaftlichen Einheit auferlegt wird, hat erhebliche Auswirkungen.53 Aus Sicht der Unionsorgane besteht das Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts nur formal aus mehreren juristischen oder natürlichen Personen.54 Entsprechend wird bei der Verhängung der Geldbuße die Leistungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit und nicht die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen Beteiligten berücksichtigt.55 Im Hinblick auf die Höhe der Geldbuße hat dies zur Folge, dass sich der Grundbetrag der Kartellgeldbuße nach der europäischen Bußgeldleitlinie nicht an dem Umsatz der jeweiligen juristischen Person, sondern an dem Umsatz des gesamten, aus mehreren Rechtsträgern gebildeten, Unternehmens orientiert.56 Auch die Kappungsgrenze des Art. 23 Abs. 2 S. 2 VO Nr. 1/2003 orientiert sich an dem Unternehmen und begrenzt die Haftung auf 10 % seines Gesamtumsatzes. Entsprechend erhöhen sich die Geldbußen empfindlich.

§ 3 Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit als Adressaten der Geldbuße Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nichtsdestotrotz zwischen dem Unternehmen und den haftenden Unternehmensträgern unterschieden wird. Zwar wird der Unternehmensbegriff einheitlich ausgelegt. Die Trennung zwischen der wirtschaftlichen Einheit und den Rechtsträgern wird jedoch nur auf eine weitere Ebene verschoben. Im Kern bleibt es faktisch bei einer Spaltung. Auch wenn die Geldbuße nach Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 an das Unternehmen gerichtet ist, erkennen die Unionsorgane an, dass der Bußgeldbescheid nicht an die wirtschaftliche Einheit bzw. das Unternehmen adressiert werden kann. Entsprechend formulieren sie, dass aus der zutreffenden Anwendung des Unternehmensbegriffs folge, dass die Geldbußenentscheidung an die einzelnen, das Unternehmen bildenden Rechtsträger zu richten sei.57 So stellt die Kommission regelmäßig fest: Laufen Austria, Rn. 44 f.; EuGH, Urt. v. 4. 09. 2014, Rs. C-408/12 P, ECLI:EU:C:2014:2153 – YKK, Rn. 58 f. 53 Bspw. nehmen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. EU 2006 Nr. C 210/2) der Kommission bei der Wiederholungstäterschaft (Rn. 28) auf das Unternehmen Bezug. Die sich hieraus ergebenden Folgen sind noch nicht gänzlich geklärt. Vgl. hierzu: de Bronett, EWS 2014, 313. 54 Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 07. 2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 – Schindler Holding u. a., Rn. 169. 55 Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 07. 2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 – Schindler Holding u. a., Rn. 168 f. 56 Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. EU 2006 Nr. C 210/2). Ausführlicher hierzu: Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, S. 182 ff. 57 Vgl. EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 165.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit „Für jedes Unternehmen, das einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV begangen hat, müssen eine oder mehrere Rechtspersönlichkeiten identifiziert werden, die für den Verstoß haften sollen“.58

Diese Rechtsträger haften nach ständiger Unionsrechtsprechung gesamtschuldnerisch für die Zahlung der Geldbuße.59 Auch die gesamtschuldnerische Haftung folgt nach Auffassung des EuGH von Rechts wegen aus dem Unternehmensbegriff.60 Der Mechanismus der Gesamtschuld soll die wirksame Einziehung der Geldbußen ermöglichen, die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit verringern und dient damit dem allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Ziel der Abschreckung.61

§ 4 Die Entstehung der wirtschaftlichen Einheit im europäischen Kartellrecht Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 bildet die Grundlage, um gegen verschiedene juristische Personen, die zu ein und demselben Unternehmen gehören, gesamtschuldnerisch zu tragende Geldbußen zu verhängen.62 Bevor damit den Fragen nach der Grundlage der Haftung nachgegangen werden kann, ist zu bestimmen, welche Rechtsträger unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Einheit und ein Unternehmen bilden.63

58 Vgl. KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 192: „For each undertaking that is to be held accountable for infringing Article 101 of the Treaty it is therefore necessary to identify one or more legal entities which should bear legal liability for the infringement.“ Ebenso: KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 722; ähnlich: KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 696; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1048; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 260; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 441. 59 EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 240 ff.; KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen, Rn. 458; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 55; KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 60. So auch die Wiedergabe der Position der Kommission in EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 38. 60 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 57. 61 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 59; EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C625/13 P, ECLI:EU:C:2017:52 – Villeroy & Boch, Rn. 152. 62 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 51. 63 Sofern nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, werden hierbei ausschließlich Urteile bzw. Kommissionsentscheidungen aus dem europäischen Bußgeldrecht und der in diesem Zusammenhang verwendeten wirtschaftlichen (Haftungs-)Einheit herangezogen.

§ 4 Entstehung der wirtschaftlichen Einheit im europäischen Kartellrecht

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A. Weitergehende praktische Bedeutung Im Schrifttum wird die wirtschaftliche Einheit teilweise mit dem Konzern gleichgesetzt; andere Autoren wollen alle konzernzugehörigen Gesellschaften aus dem kartellbetroffenen Bereich erfassen.64 Entsprechend unterschiedlich sind die Schlussfolgerungen. Je nach Ausgestaltung sollen Mutter-, Tochter-, Schwester- und Enkelgesellschaften sogar wechselseitig für die Handlungen der anderen Rechtsträger haften.65 Auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist der Umfang der wirtschaftlichen Einheit umstritten.66 Mit Inkrafttreten der 9. GWBNovelle kommt den tatsächlichen Voraussetzungen zusätzliche Relevanz zu. Der deutsche Gesetzgeber möchte die nationale der europäischen Rechtslage angleichen. Um weitere Rechtsträger mit einem Bußgeld belegen zu können, soll nunmehr auch im deutschen Kartellordnungswidrigkeitenrecht auf die Rechtsprechung des EuGH zu den tatsächlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit zurückgegriffen werden.67 Aus diesem Grund ist die genaue Kenntnis der tatsächlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit von zentraler Bedeutung für die weiteren Untersuchungsschwerpunkte der vorliegenden Arbeit. Nur auf der gesicherten Grundlage, unter welchen Voraussetzungen welche Rechtsträger Teil einer wirtschaftlichen Einheit sind, kann untersucht werden, was den tatsächlichen Grund für die Zusammenfassung und damit den Grund für die Haftung bildet. Erst dieser Zwischenschritt kann schließlich die Basis für belastbare Schlussfolgerungen bilden, welche Rechtsträger überhaupt und in welchem Umfang (gänzlich wechselseitig, Mutter- für Tochtergesellschaft und umgekehrt, Schwestergesellschaften untereinander) für einen anderen Rechtsträger haften.68 Insbesondere im Rahmen des Vollzugs des Art. 101 64 Vgl. bspw. Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, 2015, S. 158 (Konzern). So aus dem englischen Schrifttum scheinbar auch: Danov, (2014) 35 ECLR 487, 491; implizit für den Konzern auch: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 361 f., der jedoch im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung „unter dem Aspekt der Gleichbehandlung zum Einzelunternehmen“ und „im Hinblick auf eine sinnvolle Begrenzung der Haftung des Konzerns“ die Haftung auf die Obergesellschaft und die objektiv an dem Wettbewerbsverstoß beteiligten Gesellschaften beschränken will; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 454 (alle konzernzugehörigen Gesellschaften in kartellbetroffenen Bereich), ebenso: v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 158. 65 Kersting, WuW 2014, 1156, 1159; Kersting, GesRZ 2015, 377, 378; 382; Kersting, in: Kersting/Podszun, 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 7 Rn. 30; ebenso: Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 44 unter Verweis auf Kersting; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 392; 395 unter Verweis auf; Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 373 f., die jedoch abweichend von den Unionsorganen einen rechtsträgerbezogenen Unternehmensbegriff befürwortet. 66 Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 82; Jones, (2012) 8 ECJ 301, 303 f. Siehe zu den Folgen in Zivilprozessen Teil 3 § 2 B. XI. 67 Siehe hierzu ausführlicher und zu dem abweichenden dogmatischen Konzept des deutschen Gesetzgebers, siehe Teil 3 § 3 A. I. 68 Ohne die grundsätzliche Vorgabe des Unionsrechts zu thematisieren bspw.: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 226 ff.; ebenso ohne Bezug zur europäischen Praxis: v. Laufenberg,

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

AEUV durch das Bundeskartellamt oder im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung wird regelmäßig mit einem Vergleich zu der europäischen Rechtslage argumentiert.69 Die sich aus diesem Vergleich (angeblich) ergebende Lücke sei unter Zuhilfenahme des Effektivitätsgrundsatzes zu schließen. Auffallend ist hierbei jedoch, dass sich die Grundparameter dieses Vergleichs oftmals erheblich unterscheiden. Da die tatsächlichen Voraussetzungen, die zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit führen, die Haftung weiterer Rechtsträger auslösen, bilden sie entsprechend die Grundlage der späteren Untersuchung sowohl einer Haftung unter Heranziehung des deutschen Bußgeldrechts als auch der zivilrechtlichen Haftung.

B. Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit Zwei oder mehr Rechtspersönlichkeiten können zu einem Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts zusammengefasst werden, wenn sie unmittelbar bei den wettbewerbswidrigen Handlungen zusammenwirken70 oder wenn ein unmittelbar beteiligter Rechtsträger von einem anderen Rechtsträger kontrolliert bzw. gesteuert wird.71 Unproblematisch ist die erstgenannte Konstellation, da bereits jeweils eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht vorliegt. Von besonderem Interesse sind hingegen die Fälle, in denen eine Gesellschaft allein aufgrund ihrer Kontrolle über die unmittelbar wettbewerbswidrig handelnde Gesellschaft mit dieser eine wirtschaftliche Einheit bildet, ohne dass ihre eigenen Mitarbeiter an den wettbewerbswidrigen Handlungen teilgenommen haben. Denn unbefangen betrachtet liegt zunächst allein ein Verstoß der handelnden Gesellschaft vor. Erst die Zusammenfassung zu der wirtschaftlichen Einheit hat für die kontrollierende Gesellschaft zur Folge, dass sie gesamtschuldnerisch für den Verstoß des Unternehmens haftet. Nur in dieser Konstellation wird die Haftung für die wettbewerbswidrigen Handlungen der anderen Gesellschaft relevant. Entsprechend beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung auf die Fälle, in denen eine der Gesellschaften an den wettbewerbswidrigen Handlungen gänzlich unbeteiligt war. Hierbei sollen unter C. zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit dargestellt werden, bevor unter D. bis F. auf die Sonderkonstellationen der wirtschaftlichen Einheit aus gesellschaftsrechtlichen SchwesterKartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 158 für die Haftung der unbeteiligten Tochtergesellschaft. 69 So auch im Hinblick auf die Umsetzung des deutschen Gesetzgebers im Rahmen der 9. GWB-Novelle Könen, NZKart 2017, 15, 20 und Weck, WuW 2016, 404, 406, welche die Beschränkung der Haftung auf die lenkenden Konzerngesellschaften als von der europäischen Rechtsfigur abweichend erachten. 70 Vgl. beispielhaft KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 252. 71 Vgl. KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 338.

§ 4 Entstehung der wirtschaftlichen Einheit im europäischen Kartellrecht

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gesellschaften, gemeinschaftlich kontrollierten Gesellschaften und bei (nahezu) 100-%-Beteiligung eingegangen wird. G. widmet sich den wirtschaftlichen Einheiten aus mehreren Rechtsträgern; unter H. werden die Erkenntnisse zusammengefasst.

C. Grundlegende Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit Der Gerichtshof formuliert beständig: „Mutter- und Tochtergesellschaft sind Teil ein- und derselben wirtschaftlichen Einheit und bilden ein Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt“.72

Bei der Prüfung, ob eine Gesellschaft ihr Marktverhalten autonom bestimmt oder dem bestimmenden Einfluss einer anderen Gesellschaft unterliegt, werden sämtliche wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen berücksichtigt, die zwischen den Rechtssubjekten bestehen.73 Für den Nachweis einer wirtschaftlichen Einheit ist entscheidend, wie sich diese Verbindungen im Einzelfall gegenseitig bedingen und so in Zusammenschau die fehlende Autonomie begründen. Entsprechend können die Versuche einer Systematisierung in der Literatur nur Anhaltspunkte liefern.74 Überwiegend wird die fehlende Entscheidungsautonomie mit der Beteiligungshöhe der kontrollierenden Gesellschaft, personellen Verflechtungen oder etwaigen Weisungsrechten begründet. Der EuGH weist jedoch darauf hin, dass die Indizien nach der Natur der Sache von Fall zu Fall variieren und daher nicht abschließend aufgezählt werden können.75 72 Grundlegend: EuGH, Urt. v. 14. 07. 1972, Rs. 48/69, ECLI:EU:C:1972:70 – Imperial Chemical Industries, Rn. 132/135 f.; EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 58 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/ 09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 37 f.; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C520/09 P, ECLI:EU:C:2011:619 – Arkema, Rn. 38 ff.; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 54 ff.; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2015, Verb. Rs. C293/14 P u. C-294/14 P, ECLI:EU:C:2015:416 – Fresh Del Monte, Rn. 75. 73 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 37; EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 100; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2015, Verb. Rs. C-293/14 P u. C-294/14 P, ECLI:EU:C:2015:416 – Fresh Del Monte, Rn. 76; KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen, Rn. 457; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 54; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 69; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 36. 74 Vgl. hierzu Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, 2004, S. 323 ff. m.w.N. 75 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 100; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 171.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

In allen Gestaltungen ist für die Entstehung einer wirtschaftlichen Einheit entscheidend, dass die beherrschende Gesellschaft im Zeitraum des Kartellverstoßes bestimmenden Einfluss auf die handelnde Gesellschaft ausüben kann und diesen Einfluss auch tatsächlich ausübt.76 I. Allgemeine Möglichkeit der Einflussnahme Die Beteiligungshöhe ist für die Kommission das wichtigste Indiz, um zu ermitteln, ob die Tochtergesellschaft an die Weisungen der Mehrheitseignerin gebunden ist. Mit ansteigender Kapitalbeteiligung steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines bestimmenden Einflusses.77 Je nach Beteiligungshöhe78 müssen weitere Indizien, sog. Plusfaktoren79, hinzutreten, damit mehrere Rechtsträger als ein Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV behandelt werden können. So wurde beispielsweise über eine Kapitalbeteiligung von 74,44 % hinaus darauf abgestellt, dass die Mehrheitsgesellschafterin Einfluss auf die Bestellung der Mitglieder der Geschäftsleitung und weiterer Organmitglieder hatte, sie stetig über die Marktsituation der Tochtergesellschaft informiert wurde und die Veräußerung der Tochtergesellschaft von einer Genehmigung der Muttergesellschaft abhängig gemacht wurde.80 Regelmäßig wird auch darauf abgestellt, dass dieselben natürlichen Personen gleichzeitig leitende Positionen in den zu einem Unternehmen zusammengefassten Gesellschaften innehatten.81 Obgleich die Kapitalbeteiligung eine Orientierung liefert, betonen die Unionsgerichte, dass sämtliche wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen entscheidend sind. So kann sich eine Kontrolle auch bei Minderheitsbeteiligungen ergeben, wenn etwa im Gesellschaftsvertrag besondere Kontroll-,

76 EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-314/01, ECLI:EU:T:2006:266 – Avebe, Rn. 136; de Bronett, EWS 2012, 113, 122. 77 Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 108. 78 Zu der Vermutungsregel ohne weitere „Plusfaktoren“ im Falle einer (nahezu) 100-%Beteiligung siehe unmittelbar im Anschluss. 79 Der vielfach verwendete Begriff ist unterhalb der 100-%-Schwelle bei genauer Betrachtung irreführend, da allein die Einflussnahme maßgeblich ist. Diese kann jedoch durch ein Bündel von Indizien – auch ohne Bezugnahme auf die Kapitalbeteiligung – begründet werden. Entsprechend ist die Anteilshöhe ein wichtiges, aber nicht das grundlegende und nur um weitere Indizien zu ergänzendes Merkmal. Der Begriff der „Plusfaktoren“ ist vielmehr historisch bedingt, da die Kommission vor Etablierung der Einflussnahmevermutung (bei 100 %igem Kapitalbesitz) zusätzliche „Plus-“Nachweise erbringen musste, um die tatsächliche Einflussnahme zu begründen – vgl. beispielhaft EuGH, Urt. v. 16. 11. 2000 – C-286/98 P, ECLI:EU:C:2000:630 – Stora Kopparbergs Bergslags Rn. 22 ff. 80 KOME v. 22. 07. 2009, C(2009) 5791 final, AT.39396 – Calciumcarbid, Rn. 264 f. 81 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 06. 2005, Rs. C-198/02 P u. a., ECLI:EU:C:2005:408 – Dansk Rorindustri u. a., Rn. 119 f.; EuG, Urt. v. 12. 07. 2011, Rs. T-132/07, ECLI:EU:T:2011:344 – Fuji Electric, Rn. 184.

§ 4 Entstehung der wirtschaftlichen Einheit im europäischen Kartellrecht

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Einfluss- oder Blockaderechte vereinbart wurden.82 In einem Fall sah der EuGH die Kontrolle beispielsweise bei einer 25-%-Beteiligung als gegeben an, da für die Entscheidungen des Verwaltungsrates der Tochtergesellschaft eine 80-%-Mehrheit und damit grundsätzlich die Zustimmung der Minderheitsgesellschafterin erforderlich war.83 II. Tatsächliche Einflussnahme Zusätzlich zu der Möglichkeit der Einflussnahme muss grundsätzlich84 als zweite Komponente der Definition die Ausübung85 des entscheidenden Einflusses anhand einer Reihe tatsächlicher Umstände bewiesen werden.86 Eine genaue Untersuchung der Rechtsprechung des EuGH offenbart hierbei einen erheblichen Wandel. Anders als noch in den frühen87 Entscheidungen des EuGH muss sich der Einfluss nicht konkret auf das wettbewerbswidrige Verhalten der verbundenen Gesellschaft beziehen.88 Tatsächliche Einflussnahme bedeutet gerade nicht, dass die Gesellschafterin zu dem rechtswidrigen Verhalten ermutigt oder dieses veranlasst hat.89 Insbesondere ist die Mitwirkung der Obergesellschaft an oder die Kenntnis von dem Verstoß nicht erforderlich.90 Die Einflussnahme muss sich auch nicht auf den spezifischen Bereich beziehen, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde.91

82

EuG, Urt. v. 12. 07. 2011, Rs. T-132/07, ECLI:EU:T:2011:344 – Fuji Electric, Rn. 183. EuGH, Beschl. v. 15. 06. 2012, Rs. C-494/11 P, ECLI:EU:C:2012:356 – Otis Luxembourg u. a., Rn. 30, 44, 49. 84 Zu der Vermutungsregel im Falle einer (nahezu) 100-%-Beteiligung siehe unmittelbar im Anschluss. 85 Andere Ansicht: Schroeder, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 4/12, Art. 101 AEUV Rn. 462 wohl bzgl. des Konzernprivilegs in Anlehnung an das fehlende Erfordernis in den FKVOen. 86 EuG, Urt. v. 14. 07. 2014, Rs. T-543/08, ECLI:EU:T:2014:627 – RWE u. a., Rn. 102; EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-314/01, ECLI:EU:T:2006:266 – Avebe, Rn. 136; EuGH, Urt. v. 28. 06. 2005, Rs. C-198/02 P u. a., ECLI:EU:C:2005:408 – Dansk Rorindustri u. a., Rn. 118 ff.; EuGH, Urt. v. 2. 10. 2003, Rs. C-196/99 P, ECLI:EU:C:2003:529 – Siderúrgica Aristrain Madrid, Rn. 95 ff.; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 128. 87 Vgl. EuGH, Urt. v. 6. 03. 1974, Verb. Rs. 6/73 u. 7/73, ECLI:EU:C:1974:18 – ICI/CSC, Rn. 136/141. 88 Vgl. hierzu auch: de Bronett, EWS 2012, 113, 121; La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 73. 89 EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 102; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 88; KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 256; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 672. 90 Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 91; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 199; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 169. 83

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Der Gerichtshof senkte die Anforderungen schrittweise ab, sodass nunmehr bereits der unspezifische Einfluss auf die allgemeine Betriebsführung92 bzw. die Unternehmenspolitik genügt.93 Und auch diese Begriffe sind nach Ansicht der Unionsorgane sehr weit auszulegen.94 Selbst das Tagesgeschäft kann in der alleinigen Hand der Tochtergesellschaft liegen, ohne dass eine tatsächliche Einflussnahme ausscheidet.95 Die tatsächliche Einflussnahme kann vielmehr indirekt aus einem Bündel übereinstimmender Umstände hergeleitet werden, auch wenn keiner dieser Umstände für sich allein genügt, um die Existenz eines solchen Einflusses zu belegen.96 Nach Auffassung der Generalanwältin Kokott müssen keine konkreten Weisungen, Leitlinien oder Mitspracherechte im Hinblick auf wesentliche Gesichtspunkte für das Marktverhalten wie die Preisgestaltung, die Herstellungs- und Vertriebsaktivitäten bestehen.97 Bereits die allgemeine98 Einflussnahme auf beispielsweise Unternehmensstrategie, Betriebspolitik, Betriebspläne, Investitionen, Kapazitäten, Finanzausstattung, Humanressourcen und Rechtsangelegenheiten genügt.99

D. Wirtschaftliche Einheit zwischen Schwestergesellschaften Ebendiese vorbenannten Kriterien werden nicht nur innerhalb vertikaler Konzernverbindungen angewandt.100 Wirtschaftliche Einheiten können auch zwischen Schwestergesellschaften ohne Beteiligung einer gemeinsamen Muttergesellschaft 91

KOME v. 11. 09. 2008, C(2008) 2626 final, AT.38695 – Natriumchlorat, Rn. 404; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 170. 92 KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 256. 93 Vgl. zu der historischen Entwicklung: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 174 ff.; ebenso: Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177 f. 94 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 – Schindler Holding u. a., Rn. 112; Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1012; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 68; Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 689. 95 KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 698. 96 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 65; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2015, Verb. Rs. C-293/14 P u. C-294/14 P, ECLI:EU:C:2015:416 – Fresh Del Monte, Rn. 77. 97 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 89. 98 Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 07. 2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 – Schindler Holding u. a., Rn. 112. 99 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 92; Vgl. hierzu und zu weiteren Beispielen: Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 167; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 108 f. 100 Vgl. hierzu auch: Monopolkommission, Sondergutachten 72, Rn. 37.

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entstehen.101 Das maßgebliche Kriterium, die Weisungsgebundenheit, korreliert zwar grundsätzlich mit der Beteiligungshöhe, kann jedoch im Einzelfall auch allein mit personellen Verflechtungen oder rein tatsächlichen, nicht rechtlichen Weisungsrechten begründet werden.102 Wirtschaftlich betrachtet besteht aufgrund des tatsächlich bestehenden Einflusses eine vertikale, gesellschaftsrechtlich eine horizontale wirtschaftliche Einheit. Soweit ersichtlich, äußerte sich der EuGH erstmals in der Entscheidung Aristrain zu dieser Variante.103 Die Begründung des EuG,104 dass die Gesellschaften von denselben natürlichen Personen kontrolliert würden und eine Konzernhaftung nicht daran scheitern dürfe, dass keine juristische Person eindeutig als Konzernspitze ausgemacht werden könne, wies er zurück. Auch in dieser Konstellation sei allein die Weisungsgebundenheit maßgeblich.105 Eine der Schwestergesellschaften müsse über so umfassende Leitungsbefugnisse verfügen, dass der anderen Schwestergesellschaft jede wirkliche Eigenständigkeit bei der Festlegung ihrer Vorgehensweise auf dem Markt fehlt.106 Diese Voraussetzungen waren in dem Knauf-Konzern erfüllt, der im Mittelpunkt des Urteils Knauf Gips stand. In diesem Konzern existierten auf der obersten Ebene rechtlich zwei Schwestergesellschaften, welche von denselben natürlichen Personen kontrolliert wurden.107 Der Gerichtshof führte aus, dass die rechtliche Struktur nicht ausschlaggebend sei, wenn diese nicht die tatsächliche Arbeitsweise und wirkliche Organisation der Gruppe widerspiegele.108 Aufgrund der detailliert nachgewiesenen Leitungsbefugnisse109 stünde die fehlende Autonomie fest, sodass die leitende Schwestergesellschaft für das Handeln der kontrollierten Schwestergesellschaft verantwortlich sei.110 Geringfügig abweichend, aber im Ergebnis identisch, war in 101 Hiervon zu unterscheiden sind wirtschaftliche Einheiten aus mehreren Schwestergesellschaften, die jeweils wettbewerbswidrig gehandelt haben und mit ihrer gemeinsamen Muttergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bilden. 102 Vgl. EuG, Urt. v. 10. 03. 1992, Rs. T-11/89, ECLI:EU:T:1992:33 – Shell International Chemical Company, Rn. 312. 103 EuGH, Urt. v. 2. 10. 2003, Rs. C-196/99 P, ECLI:EU:C:2003:529 – Siderúrgica Aristrain Madrid; ausführlich hierzu: Steinle, EWS 2004, 118, 118 ff. 104 EuG, Urt. v. 11. 03. 1999, Rs. T-156/94, ECLI:EU:T:1999:53 – Siderúrgica Aristrain Madrid, Rn. 141. 105 EuGH, Urt. v. 2. 10. 2003, Rs. C-196/99 P, ECLI:EU:C:2003:529 – Siderúrgica Aristrain Madrid, Rn. 96. 106 EuGH, Urt. v. 2. 10. 2003, Rs. C-196/99 P, ECLI:EU:C:2003:529 – Siderúrgica Aristrain Madrid, Rn. 97. 107 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 3, 66, 96. 108 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 107. 109 hierzu: EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 65 ff. 110 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 109.

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dem Verfahren Dansk Rorindustri111 maßgeblich, dass beide Gesellschaften von einer natürlichen Person kontrolliert und aktiv koordiniert wurden.112 In dem Urteil Jungbunzlauer des EuG113 hatte die gemeinsame Muttergesellschaft die tatsächliche Führung sämtlicher Konzerngeschäfte einer Tochtergesellschaft übertragen. Wettbewerbsrechtlich stellte die leitende Gesellschaft mithin die Konzernspitze der wirtschaftlichen Einheit dar.

E. Gemeinschaftlich kontrollierte Gesellschaften Das Merkmal der fehlenden Autonomie wird auch auf operativ vollkommen selbstständige Gemeinschaftsunternehmen angewandt.114 Gemeinschaftsunternehmen haben mehrere, regelmäßig zu verschiedenen Konzernen gehörende Muttergesellschaften und werden von diesen gemeinsam kontrolliert. Maßgeblich ist der gemeinschaftlich ausgeübte strategische Einfluss auf die Geschäftspolitik im Ganzen.115 Die von den Unionsorganen für hundertprozentige Beteiligungen entwickelte Einflussnahmevermutung116 findet jedoch keine Anwendung, auch wenn die Muttergesellschaften gemeinsam (nahezu) das gesamte Kapital an der Tochtergesellschaft halten.117 Meist handelt es sich um Joint Venture, an denen die Mutterge111

EuGH, Urt. v. 28. 06. 2005, Rs. C-198/02 P u. a., ECLI:EU:C:2005:408 – Dansk Rorindustri u. a., Rn. 119 ff. 112 EuG, Urt. v. 20. 03. 2002, Rs. T-9/99, ECLI:EU:T:2002:70 – HFB u. a., Rn. 56 ff. (Vorinstanz zu Dansk Rorindustri). 113 Anders: Kersting, WuW 2014, 1156, 1159, der das Urteil unter Verweis auf Rn. 125 als Ablehnung der Haftung versteht. 114 EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013, Rs. C-172/12 P, ECLI:EU:C:2013:601 – EI du Pont de Nemours and Company, Rn. 52 im Hinblick auf ein Vollfunktionsunternehmen im Sinne des Art. 3 Abs. 4 FKVO, das eine operativ autonome wirtschaftliche Einheit bezeichnet. 115 EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013, Rs. C-172/12 P, ECLI:EU:C:2013:601 – EI du Pont de Nemours and Company, Rn. 52; EuGH, Urt. v. 18. 01. 2017, Rs. C-623/15, ECLI:EU:C:2017:21 – Toshiba, Rn. 48; GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-293/13 P u. C294/13 P (Fresh Del Monte Produce) v. 11. 12. 2014, ECLI:EU:C:2014:2439, Rn. 86 ff.; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 148; a.A. Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 180 unter Verweis auf: EuG, Urt. v. 14. 07. 2014, Rs. T-543/08, ECLI:EU:T:2014:627 – RWE u. a., Rn. 122 und EuG, Urt. v. 14. 07. 2014, Rs. T-541/08, ECLI:EU:T:2014:628 – Sasol u. a., Rn. 112, die jedoch ebenfalls einräumen, dass das Gericht in EuG, Urt. v. 14. 03. 2013, Rs. T-587/08, ECLI:EU:T:2013:129 – Fresh Del Monte Produce, Rn. 92 ff. den strategischen Einfluss genügen ließ. Vgl. ebenso EuG, Urt. v. 2. 02. 2012, Rs. T-77/08, ECLI:EU:T:2012:47 – The Dow Chemical Company, Rn. 81 f., 92, 107. 116 Siehe hierzu ausführlicher sogleich Teil 2 § 4 F. 117 EuGH, Beschl. v. 15. 06. 2012, Rs. C-494/11 P, ECLI:EU:C:2012:356 – Otis Luxembourg u. a., Rn. 43; EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013, Rs. C-179/12 P, ECLI:EU:C:2013:605 – The Dow Chemical Company, Rn. 55 ff.; EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013, Rs. C-172/12 P, ECLI:EU:C:2013:601 – EI du Pont de Nemours and Company, Rn. 45 ff. Eine Ausnahme stellt EuG, Urt. v. 27. 09. 2012, Rs. T-343/06, ECLI:EU:T:2012:478 – Shell Petroleum u. a., dar. In diesem Urteil handelte es sich um eine konzerninterne, historisch bedingte Doppelspitze, die

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sellschaften zu gleichen Teilen beteiligt sind. Auch andere Beteiligungsverhältnisse sind üblich, jedoch wird eine gemeinsame Kontrolle durch alle Muttergesellschaften umso eher auszuschließen sein, je unterschiedlicher die Beteiligungshöhen ausfallen.118 In diesen Fällen ist der Übergang von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle fließend.119 Entsprechend bildet das Joint Venture mit einer120 oder mit beiden121 Muttergesellschaften eine wirtschaftliche Einheit.122

F. Wirtschaftliche Einheit bei (nahezu) 100-%-Beteiligung In den meisten Anwendungsfällen der wirtschaftlichen Einheit hält eine Gesellschaft eine (nahezu) 100-%-Beteiligung an der handelnden Gesellschaft. Grundsätzlich gilt im europäischen Wettbewerbsrecht die Unschuldsvermutung, sodass die Kommission nach Art. 2 S. 1 VO Nr. 1/2003 die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass die Möglichkeit bestand, bestimmenden Einfluss auszuüben und dass dieser tatsächlich ausgeübt wurde. Hiervon abweichend wurde in der Unionspraxis eine Beweiserleichterung in Form einer Vermutungsregel entwickelt.123 Sofern die beherrschende Gesellschaft direkt oder indirekt124 (nahezu)

aufgrund der zahlreichen Besonderheiten (Rn. 46 ff.) als eine einheitliche Muttergesellschaft behandelt und auf die entsprechend die Einflussnahmevermutung angewandt wurde (Rn. 61). Kling, wrp 2010, 506, 515; Meyring, WuW 2010, 157, 160; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 147; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 141; a.A. im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuG, S. 132; a.A. ebenfalls unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013 – C-179/12 P, ECLI:EU:C:2013:605 – The Dow Chemical Company Rn. 58: Kersting, WuW 2014, 1156, 1162. 118 Ebenso: Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 111. 119 Ebenso wohl: Kling, ZWeR 2011, 169, 185. 120 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 2010, Rs. C-480/09 P, ECLI:EU:C:2010:787 – AceaElectrabel Produzione, Rn. 64 (Beihilfenrecht, nicht Haftungszurechnung, jedoch in Bezug auf den Begriff der wirtschaftlichen Einheit übertragbar); EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 5, 17, 101 ff.; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2015, Verb. Rs. C-293/14 P u. C-294/14 P, ECLI:EU:C:2015:416 – Fresh Del Monte, Rn. 78 ff.; 99. 121 Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013, Rs. C-179/12 P, ECLI:EU:C:2013:605 – The Dow Chemical Company, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 26. 09. 2013, Rs. C-172/12 P, ECLI:EU:C:2013:601 – EI du Pont de Nemours and Company, Rn. 47. 122 Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 115; Zandler, NZKart 2016, 98, 99; Körner, Gesamtschuld, 2016, S. 79 – mit ausführlicher Darstellung des Wandels in der Unionspraxis S. 75 f.; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 150; Haus, Der Konzern 2014, 204, 214 zweifelnd, ob eine oder mehrere parallele wirtschaftliche Einheiten vorliegen. 123 Die Vermutungsregel gilt nicht, wenn die Kommission sie nicht auf alle hundertprozentigen Gesellschaften anwendet, die an dem Verfahren beteiligt sind. Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 58 ff.

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hundert Prozent des Kapitals an der Tochtergesellschaft hält, begründet die Höhe der Kapitalbeteiligung bereits die Möglichkeit der Einflussnahme und die tatsächliche Einflussnahme wird widerleglich vermutet.125 Weitere Indizien müssen nicht hinzutreten.126 I. Widerlegung der Vermutung Um die Vermutung zu widerlegen, muss die Obergesellschaft alle Informationen über die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen den Gesellschaften offenlegen.127 Da sich die tatsächliche Einflussnahme allgemein aus einer strategischen Einflussnahme ergeben kann, genügt es nicht, keinen Einfluss auf das konkrete Marktverhalten ausgeübt zu haben. Es darf insgesamt kein Einfluss auf das Verhalten der Tochtergesellschaft ausgeübt worden sein.128 Überdies muss die Tochtergesellschaft im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung auch finanziell vollkommen unabhängig gewesen sein.129 Entsprechend schwierig gestaltet sich der Vortrag.130 124 EuGH, Urt. v. 8. 05. 2013, Rs. C-508/11 P, ECLI:EU:C:2013:289 – ENI, Rn. 63; KOME v. 28. 11. 2007, C(2007) 5791 final, AT.39165 – Flachglas, Rn. 451; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 90. 125 EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 42; EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-314/01, ECLI:EU:T:2006:266 – Avebe, Rn. 136; EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 60; 63; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-520/09 P, ECLI:EU:C:2011:619 – Arkema, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 129. 126 Ausdrücklich: EuG, Urt. v. 12. 12. 2007, Rs. T-112/05, ECLI:EU:T:2007:381 – Akzo Nobel u. a., Rn. 62; EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 61; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 130 f. Vgl. zu den vor dem Urteil des EuGH in Sachen Akzo Nobel bestehenden Differenzen in der Unionsrechtsprechung und den hieraus resultierenden Interpretationen in der Literatur um die sog. 100-% plus x-Regel: Kling, ZWeR 2011, 169, 176; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 162 f.; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 95 f.; La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 68 ff. 127 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 72. Ausführlich zur Thematik der Widerlegung Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 69 ff. Kritisch: Leupold, (2013) 34 ECLR 570, 578 ff. Siehe für Kritik an der Vermutung aus dem Ausland: La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 73; Mobley/Mourkas/Murray, (2014) 35 ECLR 499, 500 f.; Olaerts/Cauffman, (2011) 32 ECLR 431, 436 f.; Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 78. 128 Bosch, ZHR 2013, 454, 457. 129 EuGH, Urt. v. 8. 05. 2013, Rs. C-508/11 P, ECLI:EU:C:2013:289 – ENI, Rn. 68. 130 Aus den hohen Anforderungen an die Widerlegbarkeit der Kapitalvermutung leiten zahlreiche Autoren einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung ab. Siehe ausführlicher: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 82 ff.; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 182 ff.; Thomas, KSzW 2011, 10, 13; Riesenkampff/Krauthausen, (2010) 31 ECLR 38, 41; vgl. hierzu auch: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 66 ff.

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Die Kommission muss die Argumente zwar prüfen und auf diese angemessen eingehen.131 Fügt sich die Entscheidung in eine ständige Praxis ein, kann sie jedoch auch summarisch unter Bezugnahme auf diese Praxis begründet werden. Nur merklich neue Erwägungen sind explizit darzulegen.132 Dies führt dazu, dass die Einwände der betroffenen Gesellschaften regelmäßig sehr knapp zurückgewiesen werden. II. Keine feste Grenze für die Geltung der Vermutungsregel Ihre Begründung zieht die Vermutungsregel aus den umfassenden Einwirkungsbefugnissen eines Alleingesellschafters.133 Hält die Mehrheitsgesellschafterin alle oder fast alle Anteile, spielen die Interessen von Minderheitsgesellschaftern nur eine marginale Rolle, sodass zwischen den Gesellschaften ein Interessengleichlauf besteht. Stringent wurde die Vermutungswirkung in der Praxis dementsprechend auf nahezu hundertprozentige Beteiligungen ausgedehnt, in denen die Mehrheitsgesellschafterin sich in einer ähnlichen Lage befindet wie der ausschließliche Anteilseigner.134 So wandten Unionsgerichte und Kommission die Vermutungsregel in mehreren Entscheidungen auch auf Beteiligungen in Höhen zwischen 96 % und nahezu 100 % an.135 Eine feste Grenze, wann eine der Alleininhaberschaft vergleichbare Anteilshöhe gegeben ist, hat sich in der Praxis der Unionsorgane nicht herausgebildet.136 In der Auch in den weiteren Mitgl´iedstaaten wird diese Vermutung kritisiert: Mobley/Mourkas/ Murray, (2014) 35 ECLR 499, 500 f.; Leupold, (2013) 34 ECLR 570, 578 ff.; Olaerts/ Cauffman, (2011) 32 ECLR 431, 436 f.; La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 73; Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 78. 131 EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 153. 132 EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 155. 133 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 60. 134 EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-520/09 P, ECLI:EU:C:2011:619 – Arkema, Rn. 53. 135 EuG, Urt. v. 30. 09. 2009, Rs. T-168/05, ECLI:EU:T:2009:367 – Arkema, Rn. 63 ff. (Veröffentlichung nur auf Französisch): 98 %; EuG, Urt. v. 7. 06. 2011, Rs. T-217/06, ECLI:EU:T:2011:251 – Arkema France u. a., Rn. 35; 53: 99,43 %, 97,6 % und 96,48 %; KOME v. 3. 05. 2006, C(2006) 1766 final, AT.38620 – Hydrogene Peroxide, Rn. 428; 441: 96,48 % bzw. 99,46 %; KOME v. 28. 11. 2007, C(2007) 5791 final, AT.39165 – Flachglas, Rn. 451: 96,5 %; KOME v. 11. 09. 2008, C(2008) 2626 final, AT.38695 – Natriumchlorat, Rn. 396: 97 %; EuG, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. T-203/01, ECLI:EU:T:2003:250 – Michelin, Rn. 290: 99 %; EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 55 f.: 97,55 %; EuGH, Urt. v. 22. 05. 2014, Rs. C-36/12 P, ECLI:EU:C:2014:349 – Armando Alvarez, Rn. 18: 98,6 %. 136 Ebenso: Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 111; Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 15; Mobley/Mourkas/Murray, (2014) 35 ECLR 499, 501.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Literatur wird verschiedentlich eine Orientierung an der Grenze von 90 %137 bzw. „mehr als“138 oder „deutlich mehr als“139 90 % der Anteile vorgeschlagen. Eine starre Grenzziehung in Prozentwerten ist jedoch abzulehnen. Intention der Ausdehnung auf Nahezu-Beteiligungen ist es, die Umgehung durch Beteiligungen knapp unterhalb der Hundertprozentschwelle zu verhindern. Entsprechend muss die Anwendung der Vermutungsregel unterhalb von 100 % auf diese Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Soll die Vermutungsregel Anwendung finden, muss die Mehrheitsbeteiligung im konkreten Einzelfall die mit einem Alleingesellschafter vergleichbaren Einwirkungsbefugnisse vermitteln. Hierbei sollten neben den je nach Jurisdiktion nach dem Gesetz bestehenden Sperrminoritäten und Minderheitenrechten insbesondere die vertraglich oder faktisch eingeräumten Minderheitenrechte berücksichtigt werden.140 Sofern hier geringste Einwirkungsbefugnisse oder Sperrrechte der übrigen Eigentümer bestehen, sollte die Vermutungsregel nicht angewandt werden. Andernfalls wäre der Übergang von der Anwendung der Vermutungsregel aufgrund der Nahezu-Alleininhaberschaft ohne besondere Minderheitenrechte zu der Grundregel, die den Nachweis der Weisungsgebundenheit aufgrund der Höhe der Kapitalbeteiligung, ergänzt um weitere „Plus-Faktoren“, fordert, fließend. Dies würde die gesetzliche Beweislastverteilung in ihr Gegenteil verkehren und einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellen.

G. Wirtschaftliche Einheit aus mehreren Teilen Eine wirtschaftliche Einheit kann aus mehr als zwei Gesellschaften bestehen. Ausschlaggebend ist immer, dass zwischen der wettbewerbswidrig handelnden Gesellschaft und den weiteren Teilen der wirtschaftlichen Einheit eine Kette der Weisungsgebundenheit besteht. Wie in zahlreichen Konzernstrukturen üblich, kann eine solche Weisungsgebundenheit durch die jeweils bestehende hundertprozentige Beteiligung an der nachfolgenden Gesellschaft begründet werden.141 In diesen Fällen kann eine widerlegbare Vermutung dafür bestehen, dass die Konzernspitze einen bestimmenden Einfluss auf die Zwischengesellschaft und mittelbar über diese auf die Tochtergesellschaft ausgeübt hat.142 Entsprechend können ganze Geschäftszweige, in denen die Weisungen der Konzernspitze über mehrere Zwischengesellschaften an 137

Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 146. Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 110 f. 139 Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 15. 140 Vgl. hierzu auch: EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 56. 141 EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 86. 142 EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 88; 90; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 132. 138

§ 4 Entstehung der wirtschaftlichen Einheit im europäischen Kartellrecht

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die tatsächlich wettbewerbswidrig handelnde Gesellschaft weitergeleitet werden, eine wirtschaftliche Einheit bilden.143 Dies ist jedoch nicht zwingend. Da das Konzept zur Begründung einer wirtschaftlichen Einheit allein auf der Weisungsgebundenheit der handelnden Gesellschaft beruht, können auch nur Teile einer kapitalmäßig verbundenen Konzernkette eine wirtschaftliche Einheit bilden. Entsprechend befand der EuGH in seinem Urteil Alliance One, dass die Konzernspitze gemeinsam mit einer Zwischengesellschaft Einfluss auf die wettbewerbswidrig handelnde Gesellschaft ausgeübt habe und mit dieser eine wirtschaftliche Einheit bilde.144 Die weitere Zwischengesellschaft, welche die eigentliche Beteiligung an der verstoßenden Gesellschaft hielt und entsprechend Teil der gesellschaftsrechtlichen Kette war, hatte keinen Einfluss ausgeübt und war entsprechend nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit.

H. Zusammenfassung und Schlussfolgerung Die wirtschaftliche Einheit kann nicht vereinfachend mit dem Konzern gleichgesetzt werden.145 Es handelt sich auch nicht um eine eigenständige Konzerndefinition des europäischen Wettbewerbsrechts.146 Unbeteiligte weisungsgebundene Gesellschaften werden nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit, auch wenn sie in der kartellbetroffenen Branche tätig sind.147 Für die Entstehung einer wirtschaftlichen Einheit ist allein ausschlaggebend, dass die Rechtsträger durch eine Kette der Weisungsgebundenheit verbunden sind. Ent143

Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 87. 144 EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 195; 197; 217 f. 145 Ebenso: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 454. Vgl. so aber beispielhaft: Bürger, WuW 2011, 130, 130; Zimmer/Paul, WuW 2007, 970, 972. Unter Verweis auf das Urteil Michelin ebenso: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 200; 167; 175. In dem Urteil Michelin und in dem von diesem in Bezug genommenen Urteil NBIM bildeten jedoch jeweils die unbeteiligte Mutter- und eine verstoßende Tochtergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit (vgl. EuG, Urt. v. 30. 09. 2003 – T-203/01, ECLI:EU:T:2003:250 – Michelin, Rn. 290; EuGH, Urt. v. 9. 11. 1983 – Rs. 322/81, ECLI:EU:C:1983:313 – NBIM, S. 346 ff.). Beiden Fällen lag damit ein wettbewerbswidriges Verhalten der Tochtergesellschaft zugrunde. Inwiefern sich damit die Wiederholungstäterschaft der Muttergesellschaft auf die wirtschaftliche Einheit und die dieser angehörenden Rechtsträger auswirkt, ist eine weitere Frage, der im Rahmen dieser Untersuchung nicht nachgegangen werden kann. Im Hinblick auf die Differenzierung zwischen den einzelnen Rechtsträgern innerhalb eines Unternehmens im Hinblick auf die Wiederholungstäterschaft vgl. beispielhaft EuG, Urt. v. 23. 01. 2014 – T-391/ 09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u.A., Rn. 271. 146 So auch Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 151; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 85; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 176. 147 Vgl. im Fall Akzo Nobel: KOME v. 9. 12. 2004, C(2004) 4717, AT.37533 – Cholinchlorid, Rn. 176; a.A. ohne nähere Begründung: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 454.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

sprechend besteht immer ein wettbewerbsrechtliches Über- bzw. Unterordnungsverhältnis – unabhängig von den gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten. So können wirtschaftliche Einheiten zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften entstehen oder ganze Konzernstrukturen aus Mutter-, Tochter- und Enkelgesellschaften erfassen. Möglich ist aber auch, dass nur Teile der konzernzugehörigen Gesellschaften, beispielsweise Mutter- und Enkelgesellschaften oder auch zwei gesellschaftsrechtliche Schwestergesellschaften, eine wirtschaftliche Einheit bilden. Maßgeblich sind die tatsächlichen wirtschaftlichen, rechtlichen und organisatorischen Gegebenheiten im Einzelfall. Die Höhe der Kapitalbeteiligung ist lediglich ein wichtiges Indiz. Methodisch handelt es sich bei der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit um einen sog. „Typus“, weil die für den Nachweis einer wirtschaftlichen Einheit entscheidenden Merkmale sich wechselseitig ergänzen und gegenseitig vertreten können.148 Die leitende Gesellschaft muss nicht an dem Verstoß mitgewirkt, von ihm Kenntnis gehabt oder zu ihm angestiftet haben. Eine wirtschaftliche Einheit kann vielmehr ohne Bezug zu einem kartellrechtswidrigen Verhalten begründet werden. Die strategische Einflussnahme auf die Gesellschaft und deren allgemeine Betriebsführung genügt.

§ 5 Die Haftung auf Grundlage des europäischen Konzepts der wirtschaftlichen Einheit Die ständige Praxis der Unionsorgane wirft zahlreiche Fragen auf. Der funktionale Unternehmensbegriff verzichtet auf das Erfordernis der Rechtspersönlichkeit,149 sodass sich die Verhaltensgebote des Art. 101 Abs. 1 AEUV an die wirtschaftliche Einheit richten. Dieses aus mehreren Gesellschaften bestehende Unternehmen verstößt gegen die Wettbewerbsregeln.150 Konsistent wird der Grundsatz der persönli148

Thomas, KSzW 2011, 10, 11. Allein diesem Unternehmensbegriff kommt praktische Bedeutung zu, sodass er der Untersuchung zugrunde gelegt wird. Literaturstimmen, die den von den Unionsorganen angewandten Unternehmensbegriff grundsätzlich kritisieren, sollen daher zunächst unberücksichtigt bleiben. Vgl. zu diesen Teil 2 § 5 A. IV. 150 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 36; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-520/09 P, ECLI:EU:C:2011:619 – Arkema, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 42; EuGH, Urt. v. 5. 03. 2015, Rs. C-93/13 P, ECLI:EU:C:2015:150 – Europäische Kommission (Versalis u. a.), Rn. 52; EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 47; EuG, Urt. v. 7. 06. 2011, Rs. T-217/06, ECLI:EU:T:2011:251 – Arkema France u. a., Rn. 41; EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 163; Vgl. KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 277: „The undertaking that committed the infringement is Heijmans, including Heijmans NV and Heijmans Infrastructuur BV.“; KOME v. 9. 11. 2010, 149

§ 5 Haftung auf Grundlage des europ. Konzepts der wirtschaftlichen Einheit

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chen Verantwortung für die Zuwiderhandlung nur auf das betroffene Unternehmen und nicht auf die ihm angehörenden natürlichen oder juristischen Personen bezogen.151 Tatsächlich haften jedoch die einzelnen Rechtsträger gesamtschuldnerisch für den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit. Ziel des nachfolgenden Abschnitts ist es, das gegenwärtige Konzept der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit und seine Rechtsfolgen zu analysieren. Hierzu wird zunächst auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit eingegangen (A.). Anschließend wird die dogmatische Begründung der Unionsorgane für die Haftung der einzelnen Rechtsträger analysiert (B.). Von besonderem Interesse ist hierbei, wer Verstoßender bzw. Täter im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts ist (C. und D.). Grundsätzlich könnten dies die wirtschaftliche Einheit, sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit oder nur die formell-rechtlichen Adressaten der Bußgeldentscheidung sein. Ein gesonderter Abschnitt untersucht die persönliche Verantwortlichkeit der wirtschaftlichen Einheit und ihrer Rechtsträger (E.). F. schließt mit einer kritischen Würdigung ab.

A. Rechts- und Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit Im Ausgangspunkt handelt es sich bei der wirtschaftlichen Einheit nur aus wirtschaftlicher Perspektive um ein einheitliches Objekt. Was ist die wirtschaftliche Einheit jedoch aus rechtlicher Perspektive? Richten sich die Verhaltenspflichten aus Art. 101 Abs. 1 AEUV an die wirtschaftliche Einheit, drängt sich die Frage auf, ob der wirtschaftlichen Einheit auf diese Weise Subjektivität verliehen wird. Selbstständiger Träger von subjektiven Pflichten kann nach hergebrachtem Verständnis jedoch nur ein rechtsfähiges Subjekt sein. Eng mit dieser Frage verknüpft ist auch, wie eine allein aus rechtlich selbstständigen Rechtsträgern bestehende Einheit ohne weitere Verkörperung gegen diese Pflichten verstoßen soll. Die wirtschaftliche Einheit müsste durch eigenes, verantwortliches Handeln Rechtswirkungen hervorrufen. Ist die wirtschaftliche Einheit mithin rechts- und handlungsfähig? I. Ansätze der Literatur In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung beschäftigen sich nur wenige Autoren eingehend mit diesen Fragen. Aufgrund der Formulierung, dass das Unternehmen gegen die Wettbewerbsregeln verstoße, scheint die Unionspraxis wie selbstverständlich darauf abzustellen, dass die Organe und Mitarbeiter der einzelnen C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1113: „SAS AB, SAS Consortium and SAS Cargo Group A/S formed part of a single undertaking that committed the infringement.“ 151 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 55 f.

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Rechtsträger für das Unternehmen tätig werden. Entsprechend wird in der Literatur überwiegend davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Einheit handlungsfähig sei.152 Hierbei soll das wettbewerbswidrige Verhalten der von den einzelnen Rechtsträgern beschäftigten Personen unmittelbar dem von diesen gebildeten Unternehmen zugerechnet153 werden. Ähnlich lassen sich auch die Stimmen deuten, die vertreten, dass das wettbewerbswidrige Verhalten als Handlung des Unternehmens gelte.154 Hamann geht so weit, dass es nicht darauf ankommen soll, welcher juristischen Person innerhalb der wirtschaftlichen Einheit welche Handlung zuzuordnen ist.155 Ähnlich werden teilweise die natürlichen Personen als Mitarbeiter des einheitlichen Unternehmens betrachtet.156 Nach hergebrachtem Rechtsverständnis müsste mit der Feststellung der Handlungsfähigkeit auch die Annahme verbunden sein, dass die wirtschaftliche Einheit rechtsfähig ist. Dies stellen jedoch nur die wenigsten Autoren ausdrücklich fest.157 Von anderer Seite wird die fehlende Rechtsfähigkeit daher als zentrales Argument gegen die Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit eingewandt. Nur einem rechtsfähigen Subjekt könne das Verhalten einer natürlichen Person zugeordnet werden.158 Lessenich leitet die umfassende Rechts- und Handlungsfähigkeit des Unternehmens aus dessen Stellung als Adressat der Wettbewerbsvorschriften ab.159 Er folgert aus der Eigenständigkeit des Unionsrechtssystems, dass dieses eigene Rechtssub152 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 80 deutet die Praxis der Kommission und des EuG in diesem Sinne; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 124; a.A. Kersting, Der Konzern 2011, 445, 448; 449; Kersting, WuW 2014, 1156, 1158, der die Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit verneint und ihr Handlungen bzw. den Verstoß der handelnden Gesellschaft zurechnen möchte. 153 Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 192; Dannecker/Biermann, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 2, 5. Aufl. 2012, vor Art. 23 f. VO 1/2003 Rn. 124; Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 289 f.; Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 147; Lessenich, Unternehmensbegriff und Zurechnung, 2000, S. 38; Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 76 Fn. 194 – wobei sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass er die Zurechnung nicht nur auf sämtliche Mitarbeiter des Unternehmensträgers, sondern auf sämtliche Mitarbeiter der wirtschaftlichen Einheit bezieht; Köhler, wrp 2011, 277, 281; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 259. 154 Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 38; ebenso wohl: Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, S. 176; 179; im Ergebnis ebenso: Mansdörfer/Timmerbeil, EuZW 2011, 214, 216; Köhler, wrp 2011, 277, 281. 155 Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 166; 192. 156 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 2, 5. Aufl. 2012, vor Art. 23 f. VO 1/2003 Rn. 124; Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 23 VerfVO Rn. 17. 157 Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 124; 258 bezeichnet das Unternehmen bspw. als handlungsfähig, jedoch nicht als rechtsfähig. 158 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 81. 159 Lessenich, Unternehmensbegriff und Zurechnung, 2000, S. 38.

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jekte schaffen könne. Methodisch erfolge dies durch die Behandlung des Unternehmens als Zurechnungsendpunkt der Rechtsfolge.160 Durch diese Normierung habe der Unionsgesetzgeber automatisch dessen Handlungsfähigkeit und Pflichtsubjektivität geschaffen.161 In diesem Sinne argumentiert auch Heinichen und entnimmt der Gesamtschau der gesetzlichen Regelungen der Art. 101, 102 AEUV, dass die EU-Wettbewerbsregeln das Unternehmen als Träger kartellrechtlicher Rechte und Pflichten ansehen würden.162 Er begrenzt diese Schlussfolgerung jedoch auf die Kartellrechtsfähigkeit des Unternehmens und nimmt die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit hiervon aus.163 Die Annahme dieser isolierten Kartellrechtsfähigkeit sei geboten, da die verhaltenssteuernde Funktion des Kartellrechts eine faktische, an wirtschaftlichen Kriterien orientierte Betrachtungsweise erfordere.164 Ähnlich spricht sich auch Hamann für eine Differenzierung zwischen Zivil- und Strafrecht aus. Dadurch, dass sowohl die Art. 101, 102 AEUV als auch Art. 23 VO Nr. 1/2003 das Unternehmen als Adressaten benennen würden, sei dieses ein spezielles Subjekt des Kartellrechts165 und strafrechtlich handlungsfähig.166 II. Auswertung der gegenwärtigen Unionspraxis und Stellungnahme Eine genaue Analyse der gegenwärtigen Rechtsprechung der Unionsgerichte und der Entscheidungspraxis der Kommission zeigt jedoch, dass diese teilweise bereits älteren Stellungnahmen und Schlussfolgerungen in der Literatur nicht mit der gegenwärtigen Unionspraxis übereinstimmen. 1. Rechtsfähigkeit Nach Auffassung der Unionsorgane ist die wirtschaftliche Einheit nicht rechtsfähig.167 Die funktionale Auslegung sowohl des Unternehmensbegriffs in Art. 101 AEUV als auch in der VO Nr. 1/2003 führt nicht dazu, dass der wirtschaftlichen Einheit (Kartell-)Rechtsfähigkeit zuerkannt wird. Deutlich wird dies bei der Adressierung der Geldbußen. Denn wäre die wirtschaftliche Einheit nach Auffassung 160

Lessenich, Unternehmensbegriff und Zurechnung, 2000, S. 35. Lessenich, Unternehmensbegriff und Zurechnung, 2000, S. 38. 162 Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 78. 163 In diesem Sinne wohl auch: Ackermann, ZWeR 2012, 3, 14; Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162, 171. 164 Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 78 f. 165 Hieraus folgt wohl, dass es sich nach Auffassung Hamanns bei dem Unternehmen nicht in allen Rechtsgebieten um ein Rechtssubjekt handeln soll. Zu ähnlichen Überlegungen, neue „kartellspezifische Subjekte“ zu schaffen: Papakiriakou, Unternehmensstrafrecht in Kartellsachen, 2002, S. 159 ff. 166 Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 162 f. im Hinblick auf die seinerzeit anwendbaren Art. 85, 86 EWGV und Art. 15 VO Nr. 17. 167 Ebenso: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 73. 161

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der Unionsorgane rechtsfähig, könnten die Geldbußen unmittelbar an diese adressiert werden.168 Die Geldbußen werden dem Unternehmen auferlegt – tatsächlich adressiert werden jedoch die einzelnen Rechtspersönlichkeiten. Ausdrücklich formuliert das Gericht: „Da […] das Gebilde, das gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat, ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts ist, das als solche keine Rechtspersönlichkeit hat, muss die Entscheidung, mit der diese Zuwiderhandlung geahndet und Geldbußen verhängt werden, die einzelnen Gesellschaften im Unternehmen bestimmen, an die die Entscheidung zu richten ist und die für das Unternehmen für die Zahlung der Geldbußen einstehen müssen“.169

Mit der Adressierung der Rechtsträger erkennen die Unionsorgane an, dass sich die Vollstreckung eines Bußgeldbescheides wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV gemäß Art. 299 Abs. 2 AEUV nach mitgliedstaatlichem Recht richtet und einen tauglichen Vollstreckungsadressaten erfordert.170 2. Handlungsfähigkeit Die Untersuchung der Unionspraxis zeigt, dass die wirtschaftliche Einheit nicht handlungsfähig im herkömmlichen Sinne ist. Sie ruft nicht durch eigene Mitarbeiter selbstständig und eigenverantwortlich Rechtswirkungen hervor. Vielmehr begehen die einzelnen Rechtsträger bzw. die für diese handelnden natürlichen Personen die eigentlichen Beteiligungshandlungen, d. h. beispielsweise die Vertragsverhandlungen zwischen zwei Kartellanten.171 Etwas anderes lässt sich auch nicht den in Vergleichsverfahren veröffentlichten Kommissionsentscheidungen entnehmen. In diesen werden bei der Beschreibung der Beteiligungshandlungen meist Sammelbezeichnungen für mehrere Gesellschaften verwendet.172 Entsprechend entsteht zunächst der Eindruck, dass das mit dieser Sammelbezeichnung umschriebene Unternehmen selbst gehandelt habe. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine verkürzte Darstellung aufgrund der Besonderheiten des Vergleichsverfahrens. Dies wird im Rahmen der Ausführungen zur Verantwortlichkeit der Rechtsträger für den Verstoß des Unternehmens deutlich. Hier differenziert die Kommission und be168

Im Ergebnis ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 81. Vgl. EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 134 (verbindliche Verfahrenssprache: Deutsch). 170 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 47. 171 Vgl. KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 444; KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 187 ff.; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1053. Abweichend: KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 277, die insgesamt eine von den übrigen Kommissionsentscheidungen abweichende Konzeption verfolgt. 172 Vgl. beispielhaft KOME v. 10. 12. 2014, C(2014) 9295 final, AT.39780 – Envelopes, Rn. 25, 34; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 31 f.; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 26, 44 f.; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 30. 169

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gründet die Haftung mit dem Verhalten des einzelnen Rechtsträgers bzw. dessen unmittelbarer Mitwirkung an dem Verstoß und unterscheidet zwischen unmittelbar und indirekt beteiligten Rechtsträgern.173 Würden die Beteiligungshandlungen unmittelbar von dem Unternehmen begangen, wäre eine solche Differenzierung nicht möglich.174 Dementsprechend handeln die natürlichen Personen nicht für das Unternehmen, sondern für ihre Anstellungskörperschaften.175 Indirekt bringt dies auch die Feststellung zum Ausdruck, wonach das Täterunternehmen nicht notwendigerweise mit der oder den juristischen Personen identisch ist, deren Mitarbeiter tatsächlich an den Treffen des Kartells teilgenommen haben.176 Widersprüchlich bleibt damit weiterhin die Formulierung, dass „das Unternehmen die Zuwiderhandlung begangen habe“.177 Das Gericht führt in diesem Zusammenhang aus: „Grundsätzlich werden sowohl nach Unionsrecht als auch nach den Rechten der Mitgliedstaaten Handlungen natürlicher Personen, die einer juristischen Person angehören, sei es als Organ oder als Mitarbeiter, dieser juristischen Person zugerechnet. Jedoch weist das Unionsrecht insoweit eine Besonderheit auf, als sich die Art. 81 EG und 82 EG bereits ihrem Wortlaut nach auf […] Unternehmen beziehen. Nach dieser Rechtsprechung kann ein Unternehmen, d. h. eine wirtschaftlichen Einheit, selbst mehrere juristische Personen umfassen. Im Fall einer Beteiligung natürlicher Personen, die diesem Unternehmen angehören, an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln werden unabhängig von der genauen Identität der zu diesem Unternehmen gehörenden juristischen Person, der diese natürlichen Personen angehören, das gesamte Unternehmen und damit sämtliche juristi173 KOME v. 10. 12. 2014, C(2014) 9295 final, AT.39780 – Envelopes, Rn. 59 f.; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 112 ff.; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 179, 194. 174 Diese Trennung zwischen den tatsächlichen – nicht aufgrund des Unternehmensbegriffs fingierten – Beteiligungshandlungen findet sich so auch in der Rechtsprechung des EuGH, bspw. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 45; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11. 07. 2013, Rs. C-440/11 P, ECLI:EU:C:2013:514 – Kommission (Stichting Administratiekantoor Portielje u. a.), Rn. 38. 175 KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 77, erster Spiegelstrich. 176 „The undertaking that participated in the infringement therefore does not necessarily coincide with the precise legal entity or entities within the group of companies whose representatives actually took part in the cartel meetings.“ Vgl. KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 691; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 334; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1046; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 259; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 721; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 440. 177 EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 134; vgl. auch: EuG, Urt. v. 16. 09. 2013, Rs. T-373/10, ECLI:EU:T:2013:455 – Villeroy & Boch u. a., Rn. 324; EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 31.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit schen Personen, aus denen es zur Zeit der Zuwiderhandlung bestand, so behandelt, als hätten sie die Zuwiderhandlung begangen, und es kann gegen sie eine Sanktion verhängt werden“.178

Hieraus folgt, dass in der Unionspraxis die Handlungen der natürlichen Personen nicht im herkömmlichen Sinne unmittelbar der wirtschaftlichen Einheit zugerechnet werden, wie dies zwischen Organen und ihren Anstellungskörperschaften der Fall ist. Die wettbewerbswidrigen Handlungen werden von den Mitarbeitern der jeweiligen Anstellungskörperschaft begangen und gleichsam sowohl als Handlung des Unternehmens als auch als Handlung der übrigen Rechtsträger, die mit der Anstellungskörperschaft das Unternehmen bilden, fingiert. Die Grundlage für die Fiktion der Handlungen des Unternehmens als auch der übrigen Rechtsträger bildet der funktionale Unternehmensbegriff. Die wirtschaftliche Einheit wird lediglich „so behandelt“, als habe sie die Zuwiderhandlung begangen.179 Dies korrespondiert mit dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Einheit nicht rechtsfähig ist, denn damit fehlt bereits das geeignete Zuordnungssubjekt, dem das Verhalten natürlicher Personen zugerechnet werden könnte.180 Die wirtschaftliche Einheit ist weder rechtsfähig noch handlungsfähig im herkömmlichen Sinne.181 III. Kritische Würdigung der Unionspraxis Unbeantwortet bleibt, auf welcher rechtlichen Grundlage diese „Fiktion“ des schuldhaften Verstoßes der wirtschaftlichen Einheit beruht. Die Generalanwältin Kokott scheint dies mit der rechtssoziologischen Erkenntnis182 zu begründen, dass die Gefahren für den unverfälschten Wettbewerb nicht von den Rechtsträgern, sondern von Unternehmen als Subjekten der sozialen Realität ausgehen, wenn sie ausführt, dass es „bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf die sich aus der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeit ergebende Trennung zwischen Unternehmen ankommt, sondern vielmehr darauf, ob sich diese Gesellschaften auf dem Markt einheitlich verhalten“.183 Auch wenn nicht verneint werden kann, dass eine effektive Verhaltenssteuerung bei diesen Unternehmen ansetzen bzw. alle seine Rechtsträger 178 EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-395/09, ECLI:EU:T:2014:23 – Gigaset, Rn. 232 (verbindliche Verfahrenssprache: Deutsch). 179 EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-395/09, ECLI:EU:T:2014:23 – Gigaset, Rn. 232. 180 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 81. 181 Ebenso: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 72. 182 Ausführlicher: Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 75 m.w.N., der selbst jedoch aus der Adressatenstellung des Unternehmens dessen Kartellrechtsfähigkeit folgert. 183 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 42 unter Verweis auf: EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784 – Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, Rn. 41; ebenso: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 448; 453; Kersting, WuW 2014, 1156, 1156 f.; Ost, NZKart 2013, 25, 26 f.; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1175; Hengst, in: Langen/ Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 36; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177.

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erfassen muss, kann das allein nicht als Rechtfertigung für die gegenwärtige Unionspraxis dienen. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ersetzt keine juristische Methodik.184 Anstatt sich konsequent und ausdrücklich zu dieser quasi richterrechtlich begründeten Rechts- und Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit zu bekennen, behandeln die Unionsorgane die wirtschaftliche Einheit lediglich bruchstückhaft, „als ob“ sie rechts- und handlungsfähig wäre. Die wettbewerbswidrigen Handlungen der Mitarbeiter des handelnden Rechtsträgers und damit der Verstoß des Unternehmens werden bei der wirtschaftlichen Einheit „fingiert“. Der sanktionierende Bußgeldbescheid wird gegenüber dem Unternehmen verhängt, jedoch an die Rechtsträger des Unternehmens adressiert, die aus diesem „rein praktischen Erfordernis“185 stellvertretend für den Verstoß des einheitlichen Unternehmens in Anspruch genommen werden. Für Rechtssicherheit sorgen und die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundprinzipien garantieren kann jedoch nur ein dogmatisch konsistentes und transparentes Haftungssystem. Ohne Rechtsfähigkeit kann der wirtschaftlichen Einheit keine Verantwortung für einen Verstoß zugeordnet werden.186 Sie ist schlichtweg kein tauglicher Adressat gesetzlicher Verbote.187 Die europäischen Wettbewerbsverbote dienen der Verhaltenssteuerung.188 Dementsprechend ist die Adressierung der wirtschaftlichen Einheit „materiellrechtlich perplex“,189 da die allein aus ökonomischer Perspektive bestehende Einheit nicht fähig zur Willensbildung190 und damit nicht steuerbar ist. Entsprechende Pflichten können nur durch natürliche Personen verletzt werden. Für die Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit wäre damit erforderlich, dass dieser die Handlungen der natürlichen Personen zugerechnet werden können.191 Doch auch die Zurechnung setzt einen rechtsfähigen Zurechnungsadressaten voraus.192 Ohne Bekenntnis zur Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit bildet die wirtschaftliche Einheit als Täter damit eine reine Fiktion.193 184

Thomas, JZ 2011, 485, 492. Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 55. 186 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 121. 187 Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 72; 74; Vgl. Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 46; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 82; 106; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 68; Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 42. 188 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 68. 189 Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 46. 190 Anders: Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 76, der scheinbar davon ausgeht, dass Unternehmen aus mehreren Rechtsträgern einen eigenständigen Willen bilden können. 191 Vgl. Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 72. 192 Vgl. Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 75. 193 Vgl. Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 82; i.d.S. auch: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 74: „nicht greifbar“. 185

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IV. Wirtschaftliche Einheit als Zurechnungsmodell Die fehlende Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit und die sich hieraus ergebenden Probleme bilden ebenfalls den zentralen Kritikpunkt derjenigen Stimmen in der Literatur, die den funktionalen Unternehmensbegriff ablehnen. Diese Kritiker befürworten einen am Rechtsträgerprinzip orientierten Unternehmensbegriff.194 Die wirtschaftlichen Auswirkungen der aus ökonomischer Perspektive als Einheit auftretenden Rechtsträger sollen durch eine Zurechnung zwischen diesen gelöst werden.195 Zwischen dem Unternehmensbegriff und der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit sei streng zu unterscheiden.196 Die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit sei nur für die Zurechnung zwischen den einzelnen Rechtsträgern heranzuziehen.197 Keinesfalls würden durch die Figur mehrere Konzernunternehmen zu einem relevanten Unternehmen zusammengefasst.198 Durch die Anknüpfung an den Rechtsträger auf Tatbestandsebene könne dieser einheitlich auf der Rechtsfolgenebene adressiert und gegen diesen vollstreckt werden.199 Die nach dem funktionalen Unternehmensbegriff der Unionsorgane erforderliche Unterscheidung zwischen den Adressaten des Wettbewerbsrechts und den Vollstreckungsadressaten könne entfallen.200 Entsprechend wird der Appell an die Unionsorgane gerichtet, wieder terminologisch und inhaltlich zum allgemeinen Rechtsträgerprinzip zurückzukehren, da es keine zwingenden kartellrechtlichen Erfordernisse für eine Abkehr gäbe.201 Auch die Vertreter des Zurechnungsmodells können jedoch nicht verhehlen, dass eine Zurechnung grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage bedarf.

194 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 49; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 66; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 41; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Vor Art. 101 – 105 AEUV Rn. 55 f.; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 4/12, Art. 101 AEUV Rn. 52. 195 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 105 ff.; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 139 ff.; Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 363; 373 f. greift nur auf eine Zurechnung zurück, wenn durch die Aufgabenverteilung im Verbund Tatbestandsdefizite entstehen, beschränkt diese auf das Verhalten und nimmt das Verschulden aus. 196 Vgl. Herrmann, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 1000. 197 Herrmann, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 1000; Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, vor Art. 101 AEUV Rn. 33. 198 Weiß, Unternehmensbegriff, 2012, S. 87. 199 Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 46; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 67; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 41. 200 Herrmann, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 999. 201 Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 4/12, Art. 101 AEUV 52.

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Eine solche ist de lege lata in den europäischen Wettbewerbsvorschriften nicht gegeben.202

B. Die dogmatische Begründung der Unionsorgane für die Haftung der Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit Die Unionsorgane verfolgen kein transparentes und feststehendes Regelungsmodell, sondern haben die Grundlagen der Haftung im Wege der Einzelfallentscheidung entwickelt.203 Auch der Sprachgebrauch ist häufig wenig präzise und es werden einander widersprechende Terminologien verwendet. Gleichzeitig haben sich die Unionsorgane bei der fortschreitenden Entwicklung und Änderung ihres Konzepts scheinbar nicht mit den zahlreichen Stimmen in der Literatur auseinandergesetzt. Aus diesem Grund sind zahlreiche, unterschiedliche Ansätze in der Literatur erarbeitet worden, die auf Grundlage des funktionalen Unternehmensmodells die Haftung der einzelnen Rechtsträger und insbesondere des leitenden Rechtsträgers zu erklären versuchen. Soweit ersichtlich, existiert im Hinblick auf die Rechtswirkungen der wirtschaftlichen Einheit keine grundsätzliche und systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sämtlichen Entscheidungen des EuGH, des EuG und der Kommission. Gleiches gilt für die Gegenüberstellung der in der Literatur vertretenen Erklärungsansätze. Eine präzise Auseinandersetzung ist aber unerlässliche Voraussetzung, um Aussagen über die Haftungsgrundlage und die Folgen der Bildung der wirtschaftlichen Einheit durch mehrere Rechtsträger treffen zu können. Der folgende Abschnitt ermittelt daher das aktuelle dogmatische Konzept der Unionsorgane unter Einbeziehung der historischen Entwicklung. Die in der Literatur entwickelten Ansätze werden dahingehend analysiert, inwiefern sie ein Erklärungsmodell für die aktuelle Entscheidungspraxis bilden können. Die Untersuchung orientiert sich an der häufigsten Konstellation einer wirtschaftlichen Einheit – der Tochtergesellschaft (II.) und ihrer an dem wettbewerbswidrigen Verhalten unbeteiligten Obergesellschaft (III.). Ihr vorangestellt ist eine kurze Erläuterung zu der Systematik der Vorgehensweise (I.).

202 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 107; kritisch: Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 139; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 154 stützt hierauf seine Ablehnung des Zurechnungsmodells. 203 Mansdörfer/Timmerbeil, EuZW 2011, 214, 215 folgern, dass die Rechtsprechung der europäischen Gerichte durch ein grundsätzliches theoretisches Defizit geprägt sei und sich in erster Linie im Sinne eines case law um die gerechte und zugleich effektive Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts bemühe.

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I. Systematik der Analyse der Unionspraxis Die Analyse wurde anhand der Datenbanken auf den Internet-Seiten der Union erstellt.204 Systematisch durchsucht wurden sämtliche veröffentlichten Urteile der Unionsgerichte sowie sämtliche Entscheidungen bzw. Beschlüsse205 der Kommission in dem Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Januar 2018.206 Ältere grundlegende Entscheidungen wurden ebenfalls mit aufgenommen. Aufgrund des Wandels des Unternehmensbegriffs und des hiermit verknüpften dogmatischen Konzepts wurde ein besonderer Schwerpunkt auf die seit dem Urteil Akzo Nobel207 des EuGH ergangenen Entscheidungen gelegt. Im Rahmen der Analyse und Bewertung der von den Unionsorganen getroffenen Feststellungen ist zu beachten, dass diese nicht durchgängig trennscharf formulieren. Insbesondere können Einzelgesellschaften, die Teil eines Unternehmens sind, selbst definitionsgemäß als Unternehmen bezeichnet werden.208 Daher ist nicht immer sicher auszumachen, ob sich die Feststellungen auf eine Einzelgesellschaft oder auf das aus mehreren Gesellschaften gebildete Gesamtunternehmen beziehen. Diverse Entscheidungen der Kommission lassen keine belastbare Aussage zu, weil ein- und dieselbe Definition sowohl für eine oder mehrere Einzelgesellschaften als auch für die gesamte Gruppe, mithin das Unternehmen, verwendet werden und so die Trennung zwischen Rechtsträgern und wirtschaftlicher Einheit verschleiert wird.209 Andere Entscheidungen verwenden Sammelbegriffe, ohne diese zuvor zu definieren.210 Werden Entscheidungen der Kommission und der Unionsgerichte verglichen, ist darüber hinaus zu beachten, dass teilweise für die Kommission entscheidungs204

Datenbank des Gerichtshofes auf http://curia.europa.eu sowie die Datenbank der Europäischen Kommission auf http://ec.europa.eu/competition/. 205 Entscheidungen werden seit dem Vertrag von Lissabon als Beschlüsse bezeichnet, vgl. Art. 288 Abs. 4 AEUV und Art. 249 Abs. 4 EG. Da die Kartellverfahrensordnung (EG) Nr. 1/ 2003 bislang nicht angepasst wurde und in dem Zusammenhang mit dem Erlass von Geldbußen diese weiterhin als „Entscheidungen“ bezeichnet werden, wird auch im Rahmen dieser Arbeit einheitlich der Begriff der Entscheidung verwendet. 206 Hierbei wurden sämtliche Entscheidungen aus dem Bereich „Kartellrecht“ nach den Begriffen „wirtschaftliche Einheit“, „Zurechnung“ und „Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit“ durchsucht. Die Untersuchung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie wurde anhand der zur Verfügung stehenden Datenbanken durchgeführt und geprüft. 207 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel. 208 Bspw. wird in EuGH, Urt. v. 26. 11. 2013, Rs. C-58/12 P, ECLI:EU:C:2013:770 – Groupe Gascogne, Rn. 51 f. der Begriff des Unternehmens für die leitende Gesellschaft und nicht für die wirtschaftliche Einheit verwendet. 209 Bspw. in KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 15, 25 steht die Definition Degussa sowohl für Degussa AG als auch für jede andere Gesellschaft in der Degussa Gruppe; vgl. auch KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 61, 66 bzgl. „MEI“. 210 Bspw. in KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 546 wird der Begriff „Aalberts Group“ verwendet, ohne dass er in dem Beschluss definiert wird.

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relevante Rechtsfragen nicht gerügt wurden und daher den Urteilen der Unionsgerichte, auch wenn einzelne Entscheidungen aufrecht erhalten wurden, keine Bestätigung der dogmatischen Feststellungen der Kommission entnommen werden können. Die verbleibenden Entscheidungen bilden die Grundlage der nachfolgenden Ausführungen. II. Haftungsgrund der handelnden Gesellschaft Die Anstellungskörperschaft, deren Mitarbeiter gehandelt haben – nachfolgend als handelnde Gesellschaft bezeichnet –, wird wie alle Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit von den Unionsorganen „für den Verstoß des Unternehmens“ zur Verantwortung gezogen.211 Widersprüchlich scheint jedoch, dass diese Gesellschaft regelmäßig als die zuwiderhandelnde Gesellschaft bezeichnet wird.212 Dies deutet darauf hin, dass ein eigener Verstoß der handelnden Gesellschaft, meist die Tochtergesellschaft, vorliegt. So formuliert der EuGH: „[…] einer juristischen Person, die nicht Urheberin einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ist, [können] dennoch Sanktionen für die Zuwiderhandlung einer anderen juristischen Person auferlegt werden […], wenn beide Personen Teil derselben wirtschaftlichen Einheit sind und somit das Unternehmen bilden, das gegen Art. 81 EG verstoßen hat“.213

Wird berücksichtigt, dass die wirtschaftliche Einheit nicht handlungsfähig ist, löst sich dieser Widerspruch auf. Aufgrund der regelmäßig sehr langen Kartellzeiträume und der Vielzahl der Beteiligungshandlungen wertet die Kommission ein Kartell als „einzige bzw. einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“.214 Verfolgen die 211

Vgl. beispielhaft: EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 55; EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 31; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 260; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 441. 212 KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 871; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 723; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 55; KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 60; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 70; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 37; KOME v. 21. 10. 2014, C(2014) 7605, AT.39924 – Swiss Franc interest rate derivatives, Rn. 47; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 66; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 54, 56. 213 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 45; EuGH, Urt. v. 17. 09. 2015, Rs. C597/13 P, ECLI:EU:C:2015:613 – Total, Rn. 34. 214 Vgl. KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine, Rn. 560; KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 184; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 138; KOME v. 20. 09. 2006, C(2006)

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Beteiligten ein gemeinsames Ziel,215 wird der gesamte tatsächliche Sachverhalt rechtlich als komplexer Verstoß zusammengefasst.216 Der „einheitliche und fortgesetzte Verstoß“ des Unternehmens wird hierbei allein mit den Beteiligungshandlungen der unmittelbar handelnden Gesellschaften begründet. Die handelnde Gesellschaft wird durch die Eingliederung in die wirtschaftliche Einheit im Außenverhältnis nicht aus ihren kartellrechtlichen Pflichten entlassen.217 Einzelne oder mehrere Beteiligungshandlungen der Serie können bereits für sich einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV darstellen.218 Zutreffend kann die unmittelbar handelnde Gesellschaft daher ebenfalls als Zuwiderhandelnde bezeichnet werden.219 Lässt man die Konzernverbindungen unbeachtet, begeht diese Gesellschaft den Verstoß. Folglich bilden die durch die Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft begangenen Zuwiderhandlungen den Haftungsgrund der Tochtergesellschaft. Diese Handlungen werden gleichsam als Handlungen und damit als Verstoß des Unternehmens fingiert. Demzufolge haftet die handelnde Gesellschaft aufgrund ihrer Handlungen als Teil des Unternehmens für den Verstoß des Unternehmens.220

4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 556; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 857. 215 Ausführlicher hierzu: EuG, Urt. v. 12. 12. 2007, Verb. Rs. T-101/05 u. T-111/05, ECLI:EU:T:2007:380 – BASF und UCB, Rn. 179 ff. 216 Vgl. KOME v. 11. 06. 2002, K(2002) 2091, L:2004:056:TOC – Österreichische Banken / Lombard Club, Rn. 125. 217 KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 682; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 892; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 444; Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 151; i.E. ebenso: Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 373, die jedoch den funktionalen Unternehmensbegriff insgesamt ablehnt. 218 KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine, Rn. 560; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 138; KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 221. 219 KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 871; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 723; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 55; KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 60; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 70; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 37; KOME v. 21. 10. 2014, C(2014) 7605, AT.39924 – Swiss Franc interest rate derivatives, Rn. 47; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 66; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 54, 56. 220 Ebenso: Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 36; Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 131; so wohl auch: Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1174 f.; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177; im Ausgangspunkt auch: Kersting, WuW 2014, 1156, 1158; im Ergebnis auch: Papakiriakou, Unternehmensstrafrecht in Kartellsachen, 2002, S. 163 f.

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III. Haftungsgrund der Obergesellschaft Auch die leitende Obergesellschaft – regelmäßig die Muttergesellschaft – haftet als Teil der wirtschaftlichen Einheit für den Verstoß des Unternehmens.221 Unberücksichtigt bleiben nachfolgend die Fälle, in denen die Obergesellschaft an der Zuwiderhandlung durch eigene Mitarbeiter beteiligt war oder erwiesenermaßen die handelnde Gesellschaft hierzu wissentlich angestiftet oder ihr Verhalten gebilligt hat.222 Die Unionsorgane legen den Begriff der Beteiligung sehr weit aus, sodass auch entsprechende Unterstützungshandlungen eigenständige Tathandlungen darstellen und die Haftung der Obergesellschaft begründen.223 Untersucht werden nur die kritischen224 Fälle, in denen die Haftung der Obergesellschaft allein mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit begründet wird, mithin ihre Mitarbeiter an den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen nicht beteiligt waren. Voraussetzung für die Bildung einer wirtschaftlichen Einheit ist die Möglichkeit der Einflussnahme der Obergesellschaft auf die handelnde Gesellschaft und die tatsächliche Ausübung dieses Einflusses.225 Abzulehnen ist daher die vereinzelt gebliebene Ansicht von Lipowsky226, dass für die Haftung der Obergesellschaft nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Einheit eine eigene Mitwirkung an dem Verstoß erforderlich sei.227 Ein solches Erfordernis widerspricht der Grundkonzeption der wirtschaftlichen Einheit, welche die Haftung einer formal gänzlich unbeteiligten Gesellschaft ermöglicht.228 221 Vgl. KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 63: „NSK Ltd. and its subsidiaries NSK Europe Ltd. and NSK Deutschland GmbH are held jointly and severally liable for the single and continuous infringement committed by NSK.“; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 444; EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 52; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 102. 222 Siehe hierzu auch: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 142 f. 223 EuG, Urt. v. 8. 07. 2008, Rs. T-99/04, ECLI:EU:T:2008:256 – AC-Treuhand, Rn. 112 ff.; 123; 133; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 141; 143 f.; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 77 f.; vgl. auch Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 105 ff. 224 Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, 2015, S. 151, Fn. 473: ungeklärt, ob es sich um eine Haftung für eigenes schuldhaftes Handeln oder um die Zurechnung eines fremden Kartellverstoßes handelt. 225 Vgl. hierzu bereits ausführlich Teil 2 § 4. 226 Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, 1987, S. 136. 227 Vgl. auch die eindeutigen Feststellungen in EuG, Urt. v. 12. 12. 2007, Rs. T-112/05, ECLI:EU:T:2007:381 – Akzo Nobel u. a., Rn. 58; EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 217; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 88. Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 71, jedoch nicht der von ihm angeführte Köhler in wrp 2011, 277, 278. Dieser bezieht sich vielmehr darauf, dass in diesem Fall auf den Nachweis einer Beteiligung verzichtet werden könnte. 228 Im Ergebnis ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 148.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Wird die Haftung ausschließlich mit dem Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit begründet, könnte die tatsächliche Einflussnahme den Anknüpfungspunkt für die Haftung bilden, mithin die Beteiligungshandlung der Obergesellschaft darstellen. Alternativ wäre denkbar, dass das Konzept eine reine Beweiserleichterung darstellt. So könnte aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit auf den Nachweis einer eigenen Beteiligungshandlung der Obergesellschaft verzichtet werden (zu diesen Aspekten 1.). Andere Autoren wiederum argumentieren, dass die Haftung mit einem Unterlassen begründet werden könnte, da die Obergesellschaft eine Aufsichtspflicht träfe (2.). Im Ergebnis folgt die Haftung der Obergesellschaft jedoch scheinbar gleichsam aus dem Vorliegen der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit. Hierauf aufbauend ist weiter zu untersuchen, ob diese Haftung ihren Grund in einer Verhaltenszurechnung oder der extensiven Auslegung des Unternehmensbegriffs findet (hierzu 3.). 1. Tatsächliche Einflussnahme als Beteiligungshandlung bzw. als Verzicht auf den Nachweis einer eigenen Beteiligungshandlung Naheliegend ist zunächst, die Einflussnahme der Obergesellschaft als eigene tatbestandsmäßige Beteiligungshandlung aufzufassen.229 Hierfür kann angeführt werden, dass sich die Einflussnahme nach der früheren Rechtsprechung des EuGH auf das wettbewerbswidrige Verhalten der handelnden Gesellschaft beziehen musste.230 Dies konnte dahingehend verstanden werden, dass die Obergesellschaft die wettbewerbswidrigen Handlungen veranlasst oder gar aktiv unterstützt hat.231 Nach dem weiten Beteiligungsbegriff, der auch Unterstützungshandlungen als tatbestandsmäßige Beteiligungshandlungen erfasst, könnte die Einflussnahme als Beteiligungshandlung der Obergesellschaft qualifiziert werden.232 Eine solche Argumentation dürfte indes überholt sein, da auch der EuGH inzwischen die allgemeine Einflussnahme auf die Betriebsführung bzw. die Geschäftspolitik der handelnden Gesellschaft ohne konkreten Bezug zu der tatbestandsmäßigen Handlung genügen lässt.233 Aufgrund dieser abstrakten, tatunab-

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Zumindest einer Kommissionsentscheidung – als erst- und einmalig gebliebene Abweichung zu sämtlichen übrigen Entscheidungen der Kommission – scheint dieses Verständnis ebenfalls zugrunde zu liegen: KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 300; vgl. Muders, ZWeR 2011, 405, 407 ff. dessen Ansicht jedoch als überholt gelten dürfe, wie auch Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 118 Fn. 798 anmerkt. 230 Vgl. hierzu bereits Teil 2 § 4 C. II. sowie de Bronett, EWS 2012, 113, 121. 231 In diesem Sinne: Papakiriakou, Unternehmensstrafrecht in Kartellsachen, 2002, S. 181 ff. 232 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 223. 233 Vgl. hierzu bereits Teil 2 § 4 C. II. sowie de Bronett, EWS 2012, 113, 121.

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hängigen Merkmale stellt die Einflussnahme keine Veranlassung oder aktive Unterstützung der wettbewerbswidrigen Handlungen dar.234 Eine genaue Untersuchung der Unionspraxis bestätigt, dass die Einflussnahme der Obergesellschaft bei der Ermittlung des Sachverhalts, der zu der „einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ des Unternehmens zusammengefasst wird, unberücksichtigt bleibt.235 Besonders deutlich zeigt sich dies in Konstellationen, in denen sowohl die Ober- als auch die Tochtergesellschaft mit eigenen Mitarbeitern an den Zuwiderhandlungen teilgenomen haben. Die Kommission differenziert und begründet die Haftung der Obergesellschaft mit ihrer direkten Beteiligung an der Zuwiderhandlung. „Zusätzlich“ wird die Obergesellschaft für das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft haftbar gemacht, da sie (vermutet) entscheidenden Einfluss auf sie ausgeübt habe.236 Demnach liegen zwei separate Beteiligungshandlungen vor: die eigene Teilnahme und das „zugerechnete“ Verhalten. Die Einflussnahme findet in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung, stellt demnach für sich keine eigenständige Beteiligungshandlung dar. Andernfalls müsste neben dem eigenen Verhalten und dem „zugerechneten“ Verhalten auch die Einflussnahme als dritter Anknüpfungspunkt Erwähnung finden. Werden mehrere Rechtsträger allein aufgrund der (vermuteten) Einflussnahme zu einem Unternehmen zusammengefasst, wird die Haftung sogar ausschließlich mit dem rechtswidrigen Verhalten der Tochtergesellschaft begründet.237 Entsprechend stellt die Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft keine eigenständige Beteiligungshandlung dar.238 Trotz allem deuten manche Entscheidungen des Gerichtshofs an, dass die Obergesellschaft aufgrund einer eigenen Beteiligungshandlung haftet. Es geht nicht eindeutig hervor, ob grundsätzlich jeder haftende Rechtsträger persönlich an der 234 So wohl auch: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 73; missverständlich: Köhler, wrp 2011, 277, 279, der nicht klar zwischen den Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit und der einzelnen Beteiligungshandlung trennt. 235 Vgl. KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 187 ff.; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 444. Ausdrückliche Unterscheidung auch bei: KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1053. 236 Vgl. KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 422; vgl. auch KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 737; KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 63; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 72; 73. 237 Vgl. KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 683; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 17; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 460. Anders soweit ersichtlich nur KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 305, wonach die Gesellschaften in einer vergleichbaren Situation für ihre Verstöße (Plural) haften sollen. Vgl. ebenfalls: EuG, Urt. v. 15. 07. 2015, Rs. T-45/10, ECLI:EU:T:2015:507 – GEA Group, Rn. 31. 238 So bereits: Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, 1987, S. 56; so wohl auch: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 73.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein muss und lediglich aufgrund des Bestehens der wirtschaftlichen Einheit auf einen Nachweis dieser Beteiligung bei der Obergesellschaft verzichtet wurde: „Da nämlich in einem solchen Fall die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, kann die Kommission eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre“.239

In Betracht käme, dass aufgrund der in der wirtschaftlichen Einheit bestehenden wirtschaftlichen, organisatorischen und personellen Verbindungen beispielsweise auf den Nachweis verzichtet werden kann, dass die Obergesellschaft zu dem wettbewerbswidrigen Verhalten angestiftet hat.240 Doch auch einer solchen Auslegung hat der Gerichtshof eine Absage erteilt, indem er klarstellt, dass die Obergesellschaft nicht persönlich an dem Verstoß beteiligt war und präzisiert: „[…] nicht der Umstand, dass die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft zur Begehung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union angestiftet oder sich an einer solchen von der Tochtergesellschaft begangenen Zuwiderhandlung unmittelbar beteiligt hat, sondern die Tatsache, dass diese beiden Gesellschaften ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit und damit ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, [erlaubt es] der Kommission […], gegen diese Muttergesellschaft eine Geldbuße festzusetzen“.241

Der EuGH bringt die Essenz seiner Entscheidungen auf den Punkt; die leitende Obergesellschaft begeht selbst keine tatbestandsmäßige Beteiligungshandlung. Sie haftet auch nicht aufgrund einer irgendwie gearteten unmittelbaren242 oder mittelbaren Beteiligung, Anstiftung oder Beihilfe.243

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Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 37 f.; EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 58 f. 240 Hiervon zu trennen ist die Vermutung bei (nahezu) vollständiger Kapitalbeteiligung der Obergesellschaft. Diese Vermutung bezieht sich nur auf die Ausübung des tatsächlichen Einflusses und gerade nicht auf eine Beteiligung an dem wettbewerbswidrigen Verhalten, vgl. bereits Teil 2 § 4 F. 241 EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 102; vgl. auch: EuG, Urt. v. 12. 12. 2007, Rs. T-112/05, ECLI:EU:T:2007:381 – Akzo Nobel u. a., Rn. 58. 242 EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 217; EuG, Urt. v. 24. 03. 2011, Rs. T-382/06, ECLI:EU:T:2011:112 – Tomkins, Rn. 38; EuG, Urt. v. 15. 07. 2015, Rs. T-45/10, ECLI:EU:T:2015:507 – GEA Group, Rn. 31. 243 Ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 147 f.; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 176; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1175.

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2. Aufsichtspflichtverletzung Teile der Literatur sowie das Bundeskartellamt244 entnehmen dem europäischen Wettbewerbsrecht eine konzernweite Aufsichtspflicht. Das herrschende Unternehmen soll aufgrund seiner leitenden Position im Konzern eine Garantenpflicht treffen, Wettbewerbsverstöße des abhängigen Unternehmens zu verhindern.245 Stütze finden diese Autoren in einzelnen, sehr frühen Entscheidungen der Kommission, welche die Haftung der Obergesellschaft ebenfalls mit der Kenntnis bzw. der fahrlässigen Unkenntnis begründeten.246 Thomas wiederum entnimmt einer Formulierung des EuGH in der Entscheidung Akzo Nobel eine Garanten- bzw. Aufsichtspflichtverletzung.247 Der Gerichtshof hatte den bestimmenden Einfluss der Obergesellschaft betont und in diesem Zusammenhang formuliert, dass die Haftung der Obergesellschaft daher nicht als eine verschuldensunabhängige Haftung anzusehen sei.248 Entsprechend liegt es nahe, eine schuldhafte Garanten- bzw. Aufsichtspflichtverletzung anzunehmen. Die von diesen Autoren aus einem solchen Pflichtverstoß gezogenen Schlussfolgerungen sind unterschiedlich. Überwiegend soll der Verstoß gegen die Aufsichtspflicht einen eigenen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln darstellen, sodass die Muttergesellschaft in der Folge für dieses eigene Verschulden haftet.249 Skoczylas scheint den Verstoß hingegen als zusätzliche Voraussetzung dafür zu sehen, dass die Muttergesellschaft für die kartellrechtlichen Verstöße des abhängigen Unternehmens zur Verantwortung gezogen werden kann.250 Mit der Annahme einer derartigen Aufsichtspflicht ist schließlich regelmäßig die Schlussfolgerung verbunden, dass die 244 Bundeskartellamt, Stellungnahme zum Regierungsentwurf zur 8. GWB-Novelle (Stand: 22. 6. 2012), S. 15 f. 245 Skoczylas, Verantwortlichkeit, 2011, S. 52; Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 132; Karst, WuW 2012, 150, 154 f.; ausführlich hierzu: Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, 1987, S. 237 ff.; Muders, ZWeR 2011, 405, 411; Papakiriakou, Unternehmensstrafrecht in Kartellsachen, 2002, S. 212 ff.; Ost, NZKart 2013, 25, 26 f.. Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 147 scheint hingegen bereits die Kenntnis als eigene täterschaftsbegründende Beteiligung zu verstehen. Grundsätzlich gegen eine generelle Pflicht des herrschenden Unternehmens: Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 377. 246 Vgl. KOME v. 25. 11. 1980, 80/1283/EWG, L:1980:377:TOC – Johnson und Johnson, Rn. 47. Anders als Muders andeutet, kann jedoch nicht auf die Entscheidung EuG, Urt. v. 14. 05. 1998, Rs. T-354/94, ECLI:EU:T:1998:104 – Stora Kopparbergs Bergslags AB, Rn. 82 ff. bzw. die dieses Urteil aufhebende Entscheidung des EuGH abgestellt werden, da es sich bei der von ihm zitierten Passage nicht um eine während des Verstoßes bestehende wirtschaftlichen Einheit handelt, sondern um die Zurechnung aufgrund des Erwerbs der kartellbeteiligten Gesellschaft, vgl. Muders, ZWeR 2011, 405, 411. 247 Thomas, in: FS Möschel, 2011, S. 675, 682. 248 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 77; ähnlich zuvor bereits: KOME v. 11. 09. 2008, C(2008) 2626 final, AT.38695 – Natriumchlorat, Rn. 407. 249 Karst, WuW 2012, 150, 154 f.; Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 132; Thomas, in: FS Möschel, 2011, S. 675, 682. 250 Skoczylas, Verantwortlichkeit, 2011, S. 52.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Haftung in den Fällen ausgeschlossen sein soll, in denen die Aufsicht ordnungsgemäß ausgeübt worden ist, was durch Compliance-Maßnahmen nachgewiesen werden könne.251 Der Annahme einer Aufsichtspflicht steht jedoch entgegen, dass die Unionsorgane bestehende Compliance-Programme bei der Inanspruchnahme der Obergesellschaft unberücksichtigt lassen.252 Vielmehr wurde das Bestehen eines solchen Programms sogar als Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit herangezogen.253 Ein solches Programm würde die tatsächliche Kontrolle der Geschäftspolitik der Tochtergesellschaften durch die Muttergesellschaft nahelegen. Würde dementgegen eine Aufsichtspflichtverletzung den Anknüpfungspunkt der Haftung bilden, müssten die Maßnahmen zur Verhinderung des Verstoßes der abhängigen Gesellschaft berücksichtigt oder zumindest thematisiert werden. Entsprechend ist die Feststellung des EuGH, dass es nicht auf die Beteiligung der Obergesellschaft an dem Verstoß ankommen soll, so zu verstehen, dass damit auch keine sonstige Beteiligung durch Unterlassen im weiteren Sinne gegeben ist.254 Auch die zunächst mehrdeutigen Ausführungen des EuGH in der Sache Akzo Nobel stellen sich nunmehr, nachdem das neue Haftungssystem in jüngeren Entscheidungen weiter an Kontur gewonnen hat, in einem anderen Licht dar. Die Haftung der Obergesellschaft wird – wie nachfolgend ausführlicher dargelegt – allein mit dem Bestehen der wirtschaftlichen Einheit und der Bildung des einheitlichen Unternehmens begründet.255 In der Folge wird der Obergesellschaft der Verstoß dieses Unternehmens persönlich zur Last gelegt.256 Die Verantwortlichkeit der Obergesellschaft beruht damit auf der Haftung für eigenes Verschulden.257 Vor diesem Hintergrund deutet die Formulierung in dem Urteil Akzo Nobel entgegen Thomas auf diesen Verstoß und nicht auf eine eigene Garanten- oder Aufsichtspflichtverletzung hin. Die Haftung der Obergesellschaft knüpft nicht an eine Aufsichtspflichtverletzung an.258

251

Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 508. EuG, Urt. v. 20. 03. 2002, Rs. T-16/99, ECLI:EU:T:2002:72 – Lögstör Rör (Deutschland), Rn. 326 ff. Vgl. allgemein hierzu: Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 2 f. Kritisch zu der mangelnden Compliance-Berücksichtigung auch: Mobley/Mourkas/Murray, (2014) 35 ECLR 499, 505 f. 253 EuG, Urt. v. 13. 07. 2011, Rs. T-138/07, ECLI:EU:T:2011:362 – Schindler Holding, Rn. 88; EuGH, Urt. v. 18. 07. 2013, Rs. C-501/11 P, ECLI:EU:C:2013:248 – Schindler Holding u. a., Rn. 113. 254 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 72. 255 Ausführlicher hierzu unmittelbar nachfolgend Teil 2 § 5 B. III. 3. 256 Siehe nachfolgend Teil 2 § 5 C. 257 Vgl. EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 51; 52. 258 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 78; Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 2; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177. 252

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3. Haftung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Unternehmen Ohne eigene Beteiligungshandlung oder Aufsichtspflichtverletzung bildet damit einzig das Vorliegen der wirtschaftlichen Einheit, d. h. die Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Unternehmen, den Anknüpfungspunkt für die Haftung der Obergesellschaft. Weitgehend ungeklärt bleibt hierbei jedoch, ob diese Haftung auf einer Zurechnung zwischen der wirtschaftlichen Einheit und der Obergesellschaft, einer Zurechnung zwischen den beteiligten Rechtsträgern oder der extensiven Auslegung des Unternehmensbegriffs fußt. a) Frühere Lösungsansätze in der Unionspraxis Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Kommissionspraxis finden sich diesbezüglich zahlreiche sich in Nuancen unterscheidende, aber auch offen widersprüchliche Feststellungen und Andeutungen.259 Diese Formulierungsunschärfen scheinen insbesondere eine Folge des Wandels des Unternehmensbegriffs zu sein. Zumindest vor der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs durch den EuGH schienen sich grundsätzlich zwei Konzepte gegenüberzustehen.260 Die Kommission zog den leitenden Rechtsträger aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem Unternehmen für die Haftung heran und wandte das Konzept der ausschließlichen Unternehmenstäterschaft konsequent an.261 Sie begründete die Haftung allein damit, dass die Rechtsträger Teil des Unternehmens waren, das gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen habe.262 Wiederholt findet sich die Formulierung: „Wenn eine Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht selbstständig bestimmt, bildet die betreffende Muttergesellschaft eine einzige wirtschaftliche Einheit mit der Tochtergesellschaft und kann entsprechend mit der Begründung für eine Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht werden, dass sie demselben Unternehmen angehört“.263 259

Ebenso: Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 153. Bei genauerer Untersuchung der Entscheidungen finden sich in den Ausführungen der Unionsorgane zahlreiche Widersprüche, vgl.: Lipowsky, Zurechnung von Wettbewerbsverstößen, 1987, S. 51; 54 ff. 261 Nur wenige Entscheidungen stellen widersprüchlich auf eine Zurechnung des Verhaltens bzw. des Verstoßes ab: KOME v. 28. 01. 1998, 98/273/EG, L:1998:124:TOC – VW, Rn. 207; KOME v. 11. 06. 2002, K(2002) 2091, L:2004:056:TOC – Österreichische Banken / Lombard Club, Rn. 477; 480. 262 Vgl. KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 195: „Together those entities form part of the respective undertakings that committed the infringement of Article 81 of the Treaty and they are held jointly and severally liable for their undertaking’s participation in the cartel.“ 263 Vgl. KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 245; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 190; KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 643; KOME v. 30. 06. 2010, C(2010) 4387 final, AT.38344 – Prestressing Steel, Rn. 693; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 260

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Der EuGH hingegen sah vor der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs in der weit überwiegenden Zahl der Entscheidungen die einzelnen Rechtsträger als Normadressaten an und rechnete den leitenden Rechtsträgern – sofern die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vorlagen – die Zuwiderhandlungen der handelnden Rechtsträger zu.264 Im Zentrum beider Lösungsansätze steht das Merkmal der „wirtschaftlichen Einheit“. Die Lösungsansätze propagieren jedoch eine unterschiedliche methodische Anwendung dieses Begriffs. Im ersten Fall wird die wirtschaftliche Einheit als Synonym zu dem Unternehmensbegriff verwandt und qualifiziert so den gesamten Konzern oder bestimmte Teile desselben als Normadressat der europäischen Wettbewerbsregeln. Gehaftet wird als Teil des Unternehmens. Im zweiten Fall dient sie als reiner Zurechnungstatbestand, der die Zurechnung des kartellrechtswidrigen Verhaltens zwischen einzelnen, rechtlich selbstständigen Rechtsträgern ermöglicht.265 Gehaftet wird infolge der Zurechnung. b) Widersprüchlicher Lösungsansatz nach der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs Mit der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs wurden diese Konzepte nur auf den ersten Blick vereinheitlicht. Die Unionsorgane formulieren übereinstimmend, dass das Unternehmen gegen die Wettbewerbsregeln verstoße und die Rechtsträger stellvertretend für dieses zur Haftung herangezogen würden.266 Dementsprechend läge die Schlussfolgerung nahe, dass sich der EuGH auch dem ursprünglich von der Kommission entwickelten Haftungskonzept auf Grundlage des weiten Unternehmensbegriffs angeschlossen hätte. Dies scheint sich anzudeuten, wenn der Gerichtshof formuliert, dass

7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 1048; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 336; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 260. 264 EuGH, Urt. v. 14. 07. 1972, Rs. 48/69, ECLI:EU:C:1972:70 – Imperial Chemical Industries, Rn. 132/135; EuGH, Urt. v. 14. 07. 1972, Rs. 52/69, ECLI:EU:C:1972:73 – J. R. Geigy, Rn. 44; EuGH, Urt. v. 25. 10. 1983, Rs. 107/82, ECLI:EU:C:1983:293 – Telefunken, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 16. 11. 2000, Rs. C-294/98 P, ECLI:EU:C:2000:632 – Metsä-Serla u. a., Rn. 27; EuGH, Urt. v. 28. 06. 2005, Rs. C-198/02 P u. a., ECLI:EU:C:2005:408 – Dansk Rorindustri u. a., Rn. 117. 265 Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 152 m.w.N. 266 KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 63: „NSK Ltd. and its subsidiaries NSK Europe Ltd. and NSK Deutschland GmbH are held jointly and severally liable for the single and continuous infringement committed by NSK.“; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 444; EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 52; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 102.

§ 5 Haftung auf Grundlage des europ. Konzepts der wirtschaftlichen Einheit

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„einer juristischen Person […] Sanktionen für die Zuwiderhandlung einer anderen juristischen Person auferlegt werden können, wenn beide Personen Teil derselben wirtschaftlichen Einheit sind und somit das Unternehmen bilden, das gegen Art. 81 EG verstoßen hat“.267

Eine genauere Untersuchung erweckt jedoch den Eindruck, dass die Konzepte miteinander vermengt wurden.268 Anders als es beispielsweise Aberle suggeriert, besteht gerade keine klare Trennung zwischen einem Konzept der „wirtschaftlichen Einheit als Unternehmen“ und einer „wirtschaftlichen Einheit als reinem Zurechnungsmodell“.269 Die Unionsorgane formulieren vielmehr in unmittelbarem Zusammenhang, dass der Obergesellschaft „Verhalten zugerechnet“ werde und sie andererseits „hafte, weil sie Teil des verstoßenden Unternehmens sei“.270 Der EuGH verweist zur Untermauerung seiner aktuellen Rechtsprechung weiterhin auf frühere Entscheidungen und hat sich nicht deutlich von seinem früheren, rechtsträgerbasierenden Zurechnungsmodell distanziert. Und auch die Kommission scheint zunehmend die Formulierung des EuGH zu übernehmen und die Haftung der Obergesellschaft ergänzend mit einer Verhaltenszurechnung271 zu begründen.272 Der funktionale Unternehmensbegriff hat jedoch bereits zur Folge, dass das gesamte Unternehmen und auch die leitende Obergesellschaft so behandelt werden, als hätten sie die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen.273 Da die Obergesellschaft im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch für den Verstoß des Unternehmens haftet, fragt sich, mit welchem Verständnis die Kommission und die Unionsgerichte den europäischen Begriff der „Zurechnung“ verwenden und welche Folgen sie hieran knüpfen. 267 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 45; EuGH, Urt. v. 17. 09. 2015, Rs. C597/13 P, ECLI:EU:C:2015:613 – Total, Rn. 34. 268 Vgl. auch EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 47 – 50. 269 Vgl. Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 79 ff.; 93 ff. 270 Vgl. beispielhaft: EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 45, 46; EuGH, Urt. v. 17. 09. 2015, Rs. C-597/13 P, ECLI:EU:C:2015:613 – Total, Rn. 34 f.; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 43 f.; EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 52 f. 271 Sämtliche Beschlüsse, die den Begriff der Zurechnung verwenden, stellen auf eine Verhaltenszurechnung ab. Einzige Ausnahme ist KOME v. 11. 06. 2002, K(2002) 2091, L:2004:056:TOC – Österreichische Banken / Lombard Club, Rn. 477, 480, der von der Zurechnung des Verstoßes spricht. 272 KOME v. 28. 01. 1998, 98/273/EG, L:1998:124:TOC – VW, Rn. 207; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 661; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 414; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 442; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 64; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 54. 273 Siehe hierzu bereits Teil 2 § 5 A. II. 2. sowie ausführlicher nachfolgend Teil 2 § 5 C. II.

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aa) Stand der Literatur In der Literatur finden sich unterschiedlichste Deutungsansätze, die sich im Hinblick auf den Gegenstand der Zurechnung und/oder die beteiligten Zurechnungssubjekte unterscheiden, ohne dass dies näher begründet würde. Werden die natürlichen Personen ihrer Anstellungskörperschaft zugeordnet, wird das Verhalten unter extensiver Auslegung des Unternehmensbegriffs der Obergesellschaft zugerechnet.274 Werden die natürlichen Personen bereits unmittelbar der wirtschaftlichen Einheit zugeordnet, wird das Verhalten direkt von dieser zugerechnet.275 Teils wird nicht das Verhalten, sondern die Zuwiderhandlung bzw. der Verstoß der Tochtergesellschaft zugerechnet.276 Andere rechnen den Verstoß des Unternehmens zu.277 Demgegenüber begründen zahlreiche Autoren die Haftung allein mit der extensiven Auslegung des europäischen Unternehmensbegriffs.278 Der Ansatz der Unionsorgane beinhalte dogmatisch keine Zurechnung.279 Es handle sich um eine dem deutschen Recht fremde ökonomische bzw. tatsächliche Betrachtungsweise.280 Die wirtschaftliche Einheit sei das wettbewerbsrechtlich verantwortliche Subjekt.281 Die

274

Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 150 f. Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, S. 176; Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 147; so wohl auch: Kling, wrp 2010, 506, 507, der auf S. 508 jedoch wiederum von der Zurechnung des Verstoßes der handelnden Gesellschaft spricht. Siehe ausführlicher zu diesem scheinbaren Widerspruch bereits unter Teil 2 § 5 B. II. 276 Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 23 VerfVO Rn. 18; Kienapfel, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 23 VO (EG) 1/2003 Rn. 24. Keine klare Trennung bei: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 44, der unter der Überschrift „Zurechnung von Zuwiderhandlungen“ sowohl von Verhaltenszurechnung als auch von Haftungszurechnung und gemeinsamer kartellrechtlicher Verantwortlichkeit aller Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit spricht. Ebenso: Yomere, Mehrfachsanktionierung von Unternehmen, 2010, S. 77, die einerseits von der Zurechnung der Zuwiderhandlung, der Verantwortungszurechnung und der widerleglichen Vermutung einer Schuld spricht. 277 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 14 – widersprüchlich ist jedoch, dass die Autoren gleichsam formulieren, dass die Muttergesellschaft gesamtschuldnerisch für die gegen die Tochtergesellschaft verhängte Geldbuße haften soll, was grundsätzlich auf einen Verstoß der Tochtergesellschaft und nicht der wirtschaftlichen Einheit schließen lässt. Siehe ausführlicher zu diesem scheinbaren Widerspruch bereits unter Teil 2 § 5 B. II. So auch jüngst: Rummel/Weck, ZWeR 2017, 166, 170. 278 Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 31; 53; v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 68 – jedoch ohne nähere Begründung. 279 So zutreffend Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 35; 45, der selbst jedoch nicht den funktionalen Unternehmensbegriff befürwortet. 280 Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1174 f.; i.d.S. auch: Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 37. 281 Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 36; Kersting, WuW 2014, 1156, 1156. 275

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einzelnen Rechtsträger hafteten als Teil der wirtschaftlichen Einheit.282 Ihre Verantwortlichkeit folge direkt aus der Auslegung des primärrechtlichen Unternehmensbegriffs.283 Dies würde durch das von einem übereinstimmenden Interesse und einem einheitlichen Außenauftritt gekennzeichnete Marktverhalten gerechtfertigt.284 Unterschiedlich fallen wiederum die Schlussfolgerungen aus. Manche Autoren beziehen die Haftung auf den Verstoß der handelnden Gesellschaft.285 Überwiegend wird jedoch betont, dass es sich gerade nicht um eine Haftung für Dritte handle.286 Die Rechtsträger würden als juristische Verkörperung des Unternehmens für dessen Zuwiderhandlung haften.287 Andere Autoren wiederum leiten die Haftung für den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit aus der Verantwortung der Rechtsträger für den Betrieb des Unternehmens ab. Dabei werden teilweise alle288 Rechtsträger teilweise nur die leitende Obergesellschaft289 als Betreiber des Unternehmens erachtet. bb) Auslegung und eigene Deutung der Unionspraxis Der EuGH verschleiert, indem er regelmäßig formuliert, dass „nach ständiger Rechtsprechung einer Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft zugerechnet wird“290, die Änderung seines Haftungsmodells.291 Nach der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs begründet der Gerichtshof die „Zurechnung“ erstmals damit, dass bei fehlender Autonomie der handelnden Gesellschaft, Mutter- und Tochtergesellschaft Teil ein- und derselben wirtschaftlichen Einheit sind.292 Grundlage für die Verhängung der Geldbuße gegen die Muttergesellschaft ist 282 Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 36; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 175; Ost, NZKart 2013, 25, 26 f.; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1175; Kersting, WuW 2014, 1156, 1157. 283 Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 30; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 80. 284 Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177; i.d.S. auch: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 453. 285 Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 80. 286 Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 175; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1174 f.; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 672. 287 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 97 f.; so auch: Kersting, WuW 2014, 1156, 1158; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1175; i.d.S. auch: Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 673. 288 So wohl: Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 131. 289 Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 151. 290 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 58. 291 Ebenso: de Bronett, EWS 2012, 113, 121, der darüber hinaus auf den ebenfalls geänderten Bezugspunkt der Einflussnahme durch die Obergesellschaft für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit hinweist. 292 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 59. In der nach Art. 41 der Verfahrensordnung des EuGH (ABl. EU 2012 Nr. L 265/1) in diesem Verfahren verbindlichen englischen Fassung heißt es: „That is the case because, in such a situation, the parent company and its subsidiary form a single economic unit and therefore form a

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in der Folge allein, dass Mutter- und Tochtergesellschaft ein Unternehmen bilden, die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs.293 Der Begriff „Zurechnung“ wird inhaltlich abweichend ausgelegt und beschreibt allgemein und untechnisch die Rechtsfolge dieser extensiven Auslegung. Neben der Feststellung, dass „Verhalten zugerechnet“ werde, formuliert der EuGH inzwischen wahlweise und gleichbedeutend, dass die „Zuwiderhandlung zugerechnet“ oder noch allgemeiner, dass die „Verantwortlichkeit zugerechnet“294 werde.295 In anderen Urteilen findet sich die Abwandlung, dass die „Verantwortung für das Verhalten […] zugerechnet“ bzw. dass die Muttergesellschaft für das Verhalten der Tochtergesellschaft zur Verantwortung gezogen werde.296 Auch in den Urteilen des Gerichts finden sich vermehrt diese Variationen.297 Ähnlich formulierte die Kommission bereits zuvor unter Anwendung des extensiven Unternehmensbegriffs. So heißt es, dass die „Muttergesellschaft für das rechtswidrige Verhalten einer Tochtergesellschaft haftbar zu machen“298 sei oder dass die „Muttergesellschaft […] für die Zwecke der Zuschreibung von Verantwortlichkeiten in Unternehmensgruppen als für das rechtswidrige Verhalten 100 %iger Tochtergesellschaften verantwortlich betrachtet werden […]“ könne.299

single undertaking […]. Thus, the fact that a parent company and its subsidiary constitute a single undertaking […] enables the Commission to address a decision imposing fines to the parent company“. Nunmehr st. Rspr., vgl. EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 38; 102; EuGH, Urt. v. 8. 05. 2013, Rs. C508/11 P, ECLI:EU:C:2013:289 – ENI, Rn. 46; EuGH, Urt. v. 5. 03. 2015, Rs. C-93/13 P, ECLI:EU:C:2015:150 – Europäische Kommission (Versalis u. a.), Rn. 40; EuGH, Urt. v. 16. 06. 2016, Rs. C-155/14 P, ECLI:EU:C:2016:446 – Evonik Degussa u. a., Rn. 27. 293 EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 53: „That is the case because, […] [they] form a single undertaking for the purposes of EU competition law.“ Vgl. auch EuG, Urt. v. 26. 04. 2007, Verb. Rs. T-109/02, T-118/02 u. a., ECLI:EU:T:2007:115 – Bolloré, Rn. 27; EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 217. 294 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 73. In der nach Art. 41 der Verfahrensordnung des EuGH (ABl. EU 2012 Nr. L 265/1) in diesem Verfahren verbindlichen englischen Fassung wird gar „which enables the liability of the parent company to be established“ formuliert. 295 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 64; 73; vgl. auch: EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 59; 75. 296 EuGH, Urt. v. 16. 06. 2016, Rs. C-155/14 P, ECLI:EU:C:2016:446 – Evonik Degussa u. a., Rn. 27; 29. 297 vgl. EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 49; 72; EuG, Urt. v. 29. 02. 2016, Rs. T-265/12, ECLI:EU:T:2016:111 – Schenker, Rn. 216 ff. 298 KOME v. 27. 11. 2002, K(2002) 4557, L:2004:038:TOC – Methylglukamin, Rn. 204. 299 KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 256; vgl. auch: KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 274; KOME v. 10. 05. 2010, C(2010) 3152 final, AT.38511 – DRAMs, Rn. 73.

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Nicht der Wortlaut, sondern die zahlreichen Variationen in Gesamtschau sämtlicher Entscheidungen zeigen, dass die Unionsorgane inhaltlich mit den Formulierungen allein zum Ausdruck bringen möchten, dass die Obergesellschaft für den Verstoß haftet. In Knauf Gips formuliert der Gerichtshof sogar, dass der Obergesellschaft die Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung des Unternehmens, das aus den verschiedenen Rechtsträgern gebildet wurde, „zugerechnet“ werde.300 Entsprechend handelt es sich nicht um die Zurechnung von Verhalten, sondern – allgemeiner – um die Zuordnung von Verantwortlichkeit als Folge der Zusammenfassung von Mutter- und Tochtergesellschaft zu einem Unternehmen. Dies zeigt sich auch in den Entscheidungen der Kommission, die im Anschluss an die „Zurechnung“, wenn die Haftung der Muttergesellschaft begründet wird, weiterhin zwischen der Haftung aufgrund eigener Beteiligung und der Haftung für das Verhalten der Tochtergesellschaft („parental liability“) unterscheidet.301 Mit der ergänzenden „Zurechnung“ in den jüngeren Entscheidungen der Kommission geht keine inhaltliche Änderung einher.302 Rechtstechnisch wird damit gerade nicht die tatsächliche Handlung oder gar ein Verstoß zugerechnet. Von den europäischen Gerichten wird dies nicht beanstandet. Grundlage für die Haftung der Obergesellschaft ist allein die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs.303 Der in den deutschsprachigen Versionen der Entscheidungen verwendete Begriff „Zurechnung“ beschreibt nur noch allgemein die Rechtsfolge, nach der alle Rechtsträger, die gemeinsam das Unternehmen bilden, 300 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 84 (verbindliche Verfahrenssprache: Deutsch). 301 Vgl. KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 655 f.; 687 f.; speziell zu IMI plc als unmittelbar Beteiligte und Muttergesellschaft: Rn. 734; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 347; KOME v. 13. 04. 2011, C(2011) 2528 final, AT.39579 – Consumer Detergents, Rn. 57; KOME v. 19. 10. 2011, C(2011) 7436, AT.39605 – CRT Glass, Rn. 59; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 300 f.; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 788; 826; 840; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 980, 986; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 460; KOME v. 10. 12. 2014, C(2014) 9295 final, AT.39780 – Envelopes, Rn. 59 f.; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 69 f.; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 59 f.; Vgl. auch EuG, Urt. v. 29. 02. 2016, Rs. T-265/12, ECLI:EU:T:2016:111 – Schenker, Rn. 219; EuG, Urt. v. 15. 07. 2015, Rs. T-45/10, ECLI:EU:T:2015:507 – GEA Group, Rn. 31. 302 KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 661; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 414; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 874; KOME v. 10. 12. 2013, C(2013) 8870 final, AT.39685 – Fentanyl, Rn. 442; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 64; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 54. Frühere Verwendung in: KOME v. 28. 01. 1998, 98/273/EG, L:1998:124:TOC – VW, Rn. 207; KOME v. 11. 06. 2002, K(2002) 2091, L:2004:056:TOC – Österreichische Banken / Lombard Club, Rn. 477, 480. 303 So auch: Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 53.

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gleichsam für den Verstoß des Unternehmens verantwortlich sind. Liegen die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vor, folgt aus der extensiven Auslegung des Unternehmensbegriffs die Zuordnung der Verantwortlichkeit an die Obergesellschaft für den durch das Verhalten der Tochtergesellschaft begründeten Verstoß des gemeinsamen Unternehmens. IV. Ergebnis Die handelnde Gesellschaft ist aufgrund der Handlungen ihrer Mitarbeiter, die Obergesellschaft aufgrund der Kontrolle über die handelnde Gesellschaft Teil des Unternehmens.304 Die wettbewerbswidrigen Handlungen werden als Handlungen und damit als Verstoß des Unternehmens fingiert. Entsprechend haftet die handelnde Gesellschaft aufgrund ihrer Handlungen als Teil des Unternehmens für den Verstoß des Unternehmens.305 Die Obergesellschaft haftet für den Verstoß des Unternehmens, der durch das Verhalten der Tochtergesellschaft begründet wurde.306 Verkürzt haftet die Muttergesellschaft mithin für das Verhalten der Tochtergesellschaft.307 Liegen die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vor, wird der Obergesellschaft die Verantwortlichkeit aufgrund der Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Unternehmen zugeordnet. Die Obergesellschaft begeht selbst keine tatbestandsmäßige Beteiligungshandlung. Sie haftet nicht aufgrund einer irgendwie gearteten unmittelbaren308 oder mittelbaren Beteiligung, Anstiftung oder Beihilfe.309 Die Unionspraxis knüpft nicht an eine Aufsichtspflichtverletzung an.310 Grundlage für die Haftung ist allein die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs.

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In diesem Sinne auch: Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 196. Ebenso: Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 36; Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 131; so wohl auch: Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1174 f.; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177; im Ausgangspunkt auch: Kersting, WuW 2014, 1156, 1158; im Ergebnis auch: Papakiriakou, Unternehmensstrafrecht in Kartellsachen, 2002, S. 163 f. 306 Im Ergebnis ebenso: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 449, der jedoch den Begriff der Zurechnung verwendet. 307 Vgl. KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 682. 308 EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 217; EuG, Urt. v. 24. 03. 2011, Rs. T-382/06, ECLI:EU:T:2011:112 – Tomkins, Rn. 38; EuG, Urt. v. 15. 07. 2015, Rs. T-45/10, ECLI:EU:T:2015:507 – GEA Group, Rn. 31. 309 Ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 147 f.; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 176; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1175. 310 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 78; Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 2; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177. 305

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C. Täterschaft der Rechtsträger Damit ist die Frage aufgeworfen, wer Täter bzw. Verstoßender im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts ist. Insbesondere im Hinblick auf die im nachfolgenden Teil der Arbeit zu untersuchende Frage der zivilrechtlichen Haftung der Obergesellschaft ist entscheidend, wer nach dem funktionalen Unternehmensbegriff der Verstoßende ist. Wie dargelegt, ist dies sowohl die wirtschaftliche Einheit als auch die handelnde Gesellschaft. Doch ist auch die Obergesellschaft selbst Verstoßende im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts oder ist sie lediglich für die weiterhin fremden Handlungen, die den Verstoß des Unternehmens bilden, verantwortlich? Einerseits könnte es sich um eine Haftung für einen fremden Kartellverstoß handeln, andererseits könnten sowohl die handelnde Gesellschaft als auch die Obergesellschaft originär für den Verstoß des gemeinsam gebildeten Unternehmens verantwortlich sein. I. Deutungsansätze im Schrifttum In den früheren Entscheidungen der Kommission und der Unionsgerichte beschränkten sich die Folgen der Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit meist auf die gesamtschuldnerische Haftung der beteiligten Rechtsträger sowie die Erhöhung der Geldbuße. Entsprechend wird die Unionspraxis im Schrifttum teilweise dahingehend ausgelegt, dass sie zu einer Haftungseinheit führe.311 Ohne detaillierte dogmatische Begründung habe jeder Rechtsträger für den Rechtsverstoß einzustehen.312 Die Obergesellschaft soll nicht für ein eigenes Fehlverhalten, sondern allein als (Mit-)Trägerin der wirtschaftlichen Einheit haften.313 Dementgegen mehren sich die Autoren, die den funktionalen Unternehmensbegriff zugrunde legen und folgern, dass der Verstoß der Obergesellschaft persönlich zur Last gelegt werde.314 Da eine objektive Rechtsverletzung durch die Gemeinschaft der Rechtsträger vorliege, verletze auch die Obergesellschaft objektiv das materielle Kartell-

311

Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, S. 178. Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 36. 313 Entsprechend deutet Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 89 die Praxis der Kommission; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 447; 451. 314 Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 688; 692; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1174 f.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 14; Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 154, der jedoch aufgrund der fehlenden Rechtssubjektqualität der wirtschaftlichen Einheit deren Verantwortlichkeit ablehnt. Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 90 deutet die Praxis des EuG entsprechend. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 1, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 46 deutet die Unionspraxis noch gespalten. Bei Zugrundelegung des funktionalen Unternehmensbegriffs deutet er die Praxis jedoch ebenfalls entsprechend. So bereits vor den ausdrücklichen Feststellungen durch die Unionsorgane de Bronett, EWS 2012, 113, 122. 312

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

verbot.315 Der Verstoß gelte in den Fällen der wirtschaftlichen Einheit als von der Mutter selbst begangen, da sie Teil des zuwiderhandelnden Unternehmens ist.316 II. Stellungnahme In den jüngeren Entscheidungen auf Grundlage des Modells der Verantwortlichkeitszuordnung317 mehren sich die Hinweise, dass das Konzept des funktionalen Unternehmensbegriffs über eine reine Haftungsanordnung erheblich hinausgeht. Hierfür spricht zunächst ein Vergleich mit der Unionspraxis der Wiederholungstäterschaft. Nach den Bußgeldleitlinien kann der Bußgeldgrundbetrag im Fall der Wiederholungstäterschaft verdoppelt werden.318 Entsprechend muss die Adressatin der Geldbuße bereits in einem früheren Verfahren als Täterin eines Wettbewerbsverstoßes festgestellt worden sein. In diesem Zusammenhang instruktiv ist die Entscheidung Shell des EuG.319 In diesem Verfahren wandte sich die Obergesellschaft gegen die Feststellung der Wiederholungstäterschaft. Denn in dem vorangegangenen Verfahren,320 in dem der erste Verstoß sanktioniert worden war, war sie zwar Teil der wirtschaftlichen Einheit gewesen, jedoch nicht mit einer Geldbuße belegt worden. Entsprechend wandte sie in dem folgenden Verfahren ein, dass sie nicht als Wiederholungstäterin herangezogen werden könne. Das EuG wies dieses Vorbringen mit der Begründung zurück, die Obergesellschaft gelte als Wiederholungstäterin, wenn eine andere Tochtergesellschaft eine weitere Zuwiderhandlung begehe und auch im Verhältnis zu dieser die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vorlägen.321 Folglich war die Obergesellschaft als Teil der wirtschaftlichen Einheit in beiden Verfahren als Verstoßende angesehen worden.322 315

Ost, NZKart 2013, 25, 26 f. Kienapfel, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 23 VO (EG) 1/2003 Rn. 24; ebenso, ohne nähere Begründung: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 207. 317 Siehe hierzu bereits Teil 2 § 5 B. III. 3. b) bb). 318 Bußgeldleitlinien der Kommission, ABl. EU 2006 Nr. C 210/02, Nr. 28., 1. Spiegelstrich. 319 EuG, Urt. v. 27. 09. 2012, Rs. T-343/06, ECLI:EU:T:2012:478 – Shell Petroleum u. a. 320 KOME v. 29. 11. 2006, C(2006) 5700 endg, AT.38638 – Butadien-Kautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk. 321 EuG, Urt. v. 27. 09. 2012, Rs. T-343/06, ECLI:EU:T:2012:478 – Shell Petroleum u. a., Rn. 248; vgl. auch EuG, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. T-203/01, ECLI:EU:T:2003:250 – Michelin, Rn. 290. 322 Kritisch zu beurteilen ist die Entscheidung Calciumcarbid (KOME v. 22. 07. 2009, C(2009) 5791 final, AT.39396 – Calciumcarbid, Rn. 311 f.), in der eine Tochtergesellschaft als Wiederholungstätern behandelt wurde, obwohl sie nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit des vorangegangenen Verfahrens war. Entsprechend urteilte auch das EuG in der Sache ThyssenKrupp, in der es feststellte, dass eine Wiederholungstäterschaft nur dann angenommen werden darf, wenn der Rechtsträger im Verfahren der Vortat Adressat der Beschwerdepunkte war, mithin das Bestehen der wirtschaftlichen Einheit festgestellt worden war und sich entsprechend 316

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Nach den Ausführungen des Gerichtshofs folgt aus dem Bestehen der wirtschaftlichen Einheit, dass „die Muttergesellschaft […] so anzusehen [ist], als habe sie selbst die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union begangen […]“.323

EuG und Kommission formulieren übereinstimmend, dass die Obergesellschaft „so behandelt“ werde, als habe sie die Zuwiderhandlung selbst begangen.324 Die Kommission tenoriert, dass die einzelnen Rechtsträger gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen haben.325 Die ökonomische Betrachtungsweise der Unionsorgane führt mithin zu einer Gleichstellung der Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit im Hinblick auf die Täterschaft. Das Konzept der wirtschaftlichen Einheit überträgt die einheitliche wirtschaftliche Betrachtungsweise, inwiefern der Wettbewerb durch die Gesamtheit des Unternehmens beeinträchtigt wird, auf die einzelnen Rechtsträger. Die Unionsorgane dehnen die Haftung nicht lediglich aus Gründen der Effizienz auf objektiv an der Zuwiderhandlung unbeteiligte Rechtsträger aus. Dementsprechend betonen die europäischen Gerichte übereinstimmend, dass das Gesamtschuldverhältnis sich gerade nicht auf eine Form der Bürgschaft reduzieren lässt.326 Die Rechtsträger sind vielmehr die juristische Verkörperung des aus ökonomischer Perspektive einheitlich agierenden Unternehmens.327 Entsprechend tritt die Verantwortung der Muttergesellschaft neben die Verantwortung der Tochtergesellschaft328 und lässt deren Verantwortlichkeit nicht entfallen.329 Alle Rechtsträger sind Verstoßende im Sinne des verteidigen konnte, vgl. EuG, Urt. v. 13. 07. 2011, Verb. Rs. T-144/07, T-147/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:364 – ThyssenKrupp, Rn. 314 ff. 323 EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 47 (verbindliche Verfahrenssprache: Deutsch); vgl. auch EuGH, Urt. v. 26. 11. 2013, Rs. C-50/12 P, ECLI:EU:C:2013:771 – Kendrion, Rn. 44 ff.; EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 66. 324 EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 193 f.; EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-395/09, ECLI:EU:T:2014:23 – Gigaset, Rn. 231; Vgl. EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 123; Vgl. KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TVand computer monitor tubes, Rn. 892; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 54. 325 Vgl. beispielhaft KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains; KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters. 326 EuGH, Urt. v. 19. 06. 2014, Rs. C-243/12 P, ECLI:EU:C:2014:2006 – FLS Plast, Rn. 107; EuG, Urt. v. 15. 07. 2015, Rs. T-45/10, ECLI:EU:T:2015:507 – GEA Group, Rn. 82; EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 58. 327 Vgl. hierzu: GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 97 f. 328 EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 196. 329 Vgl. EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 135; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

europäischen Wettbewerbsrechts. Ihnen wird derselbe Verstoß zur Last gelegt,330 für den sie als eigenen Verstoß haften. Die Rechtsträger werden für die Zuwiderhandlung der wirtschaftlichen Einheit persönlich verantwortlich gemacht.331 Damit führt das Bestehen der wirtschaftlichen Einheit dazu, dass bei der leitenden Gesellschaft die wettbewerbswidrigen Handlungen der handelnden Gesellschaft fingiert werden und diese „so behandelt bzw. so angesehen“ wird, als ob sie selbst gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hätte. Aus der Perspektive des europäischen Wettbewerbsrechts werden damit die Handlung der Obergesellschaft und der darauf beruhende Verstoß fingiert. Nicht allein die Adressaten der Bußgeldentscheidung, sondern alle Rechtsträger des Unternehmens sind neben der wirtschaftlichen Einheit Täter der Zuwiderhandlung.

D. Adressaten als Täterauswahl der Kommission Die Unionsorgane erkennen an, dass die Grundlage der gemeinsamen Haftung durch die Handlungen der Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft gelegt wurde.332 Dies wirkt sich in zweierlei Hinsicht aus. Zum einen ist die Dauer des auf den Handlungen der Tochtergesellschaft beruhenden Verstoßes einheitlich.333 Anders verhält es sich nur, wenn mehrere Gesellschaften über unterschiedliche Zeiträume die Kontrolle über die handelnde Gesellschaft ausüben. In diesen Fällen haften sie gemeinsam nur für den Zeitraum, in dem sie aufgrund der bestehenden Kontrolle zu einem Unternehmen zusammengefasst werden.334 Zum anderen entspringt die Verantwortlichkeit der Obergesellschaft den Handlungen der Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft.335 Konsequent führt der Gerichtshof daher aus, dass, wenn die Haftung allein in dem Bestehen der wirtschaftlichen Einheit gründet, die Verantcomputer monitor tubes, Fn. 1757: „Contarary [lit!] to what [a party] claims, the Court in case Elf Aquitaine did not state that the parental liability is additional.“ 330 Wiedergabe der Position der Kommission in: EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 187; Vgl. auch: EuG, Urt. v. 8. 10. 2008, Rs. T-69/04, ECLI:EU:T:2008:415 – Schunk u. a., Rn. 74; EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 164; EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 52; EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 56. 331 EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 31. 332 Vgl. hierzu bereits die Ausführungen unter Teil 2 § 5 B. II. 333 KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 272 f. Unterschiede ergeben sich nur in Rechtsnachfolgekonstellationen, bspw. in: KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 277. 334 KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 1045. Etwas anderes gilt nur in den Fällen der Rechtsnachfolge, in denen dieser Grundsatz durchbrochen werden kann. Hierzu ausführlich: Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, passim; Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, passim. 335 Vgl. EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 194.

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wortlichkeit der Muttergesellschaft nicht über die der Tochtergesellschaft hinausgehen könne.336 Hieraus sind jedoch keine Folgerungen für ein etwaiges Rangverhältnis zwischen den Rechtsträgern oder eine Akzessorietät der Haftung zu ziehen.337 Es wird lediglich dem Grunde nach anerkannt, dass ein Anknüpfungspunkt in Form einer Tat erforderlich ist, um überhaupt einen Verstoß zu begründen.338 Die Rechtsträger haften gleichrangig für den Verstoß des gemeinsamen Unternehmens.339 Sowohl die handelnde Gesellschaft als auch die Obergesellschaft sind als Teil der wirtschaftlichen Einheit gleichermaßen für die Zuwiderhandlung verantwortlich.340 Im Übrigen ergeben sich im Hinblick auf die Verantwortlichkeit keine weiteren Unterschiede zwischen den Rechtsträgern. Alle Gesellschaften haften als Gesamtschuldnerinnen, weil sie Teil der wirtschaftlichen Einheit sind, die gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hat.341 Die Kommission formuliert, dass sich ihre Befugnis, mehrere Gesellschaften gesamtschuldnerisch für die Zahlung einer Geldbuße haftbar zu machen, unmittelbar aus der Verantwortung der Unternehmen ergebe;342 das Ermessen sei Folge der gesamtschuldnerischen Natur der Haftung.343 Entsprechend können sämtliche Gesellschaften, die das Unternehmen bilden, herangezogen werden.344 Die leitenden Ziele bei der Auswahl der Adressaten sind Abschreckung und effektive Vollstreckung der Geldbuße.345 Gegenwärtig werden die Entscheidungen regelmäßig an 336

EuGH, Urt. v. 17. 09. 2015, Rs. C-597/13 P, ECLI:EU:C:2015:613 – Total, Rn. 38; 44. Vgl. EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 192 ff. 338 Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 689. 339 KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 892; KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 54. 340 Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 494 deuten die Unionspraxis entsprechend, stehen ihr jedoch kritisch gegenüber. 341 EuGH, Urt. v. 26. 11. 2013, Rs. C-50/12 P, ECLI:EU:C:2013:771 – Kendrion, Rn. 40 – Widergabe der Position der Kommission; EuGH, Urt. v. 27. 04. 2017, Rs. C-516/15 P, ECLI:EU:C:2017:314 – Akzo Nobel II, Rn. 57. 342 So die Wiedergabe der Position der Kommission in EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 33. 343 KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 890. 344 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 50 ff.; vgl. auch EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 50. Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 129 f. und Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 172 deuten die Unionspraxis ebenso. 345 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 59; Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 691; a.A. Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 126, der die Kommissionspraxis dahingehend auslegt, dass der Grad der Verantwortlichkeit ausschlaggebend sei. Dem steht jedoch zum einen entgegen, dass, wie vorstehend begründet, die Verantwortlichkeit für den gemeinsamen Verstoß einheitlich ist. Zum anderen brachte der EuGH seinem Urteil v. 337

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

sämtliche Rechtsträger gerichtet,346 während frühere Entscheidungen meist nur an die Muttergesellschaften gerichtet waren.347 Die Adressierung der Konzernspitze signalisiert, dass die gesamte Gruppe verantwortlich ist und ermöglicht, auf den Gesamtumsatz der wirtschaftlichen Einheit abzustellen.348 In der EU ansässige Zwischengesellschaften werden in Einzelfällen adressiert, um die Vollstreckung zu erleichtern.349 Das ist jedoch nicht zwingend; es bestehen keine Bindungen bezüglich der Ausübung des Ermessens.350

E. Verschulden der wirtschaftlichen Einheit und der einzelnen Rechtsträger Eine Geldbuße nach Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 kann wegen eines Wettbewerbsverstoßes gegen ein Unternehmen verhängt werden, wenn der Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Das hierin zum Ausdruck kommende Schuldprinzip351 wird nach den Ausführungen der Unionsorgane durch den in diesem und dem Rechtsstaatsprinzip verankerten352 Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit gewahrt. Nach diesem Grundsatz haftet nur, wer den Wettbewerbsverstoß persönlich zu verantworten hat.353 Entsprechend formulieren die Unions10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 58 zum Ausdruck, dass sich die Sanktionsbefugnis der Kommission allein auf die Bestimmung des Außenverhältnisses der Gesamtschuld bezieht. Die Berücksichtigung der individuellen Verantwortlichkeit der Rechtsträger bei der Inanspruchnahme käme dementgegen jedoch der Bestimmung der Anteile der Gesamtschuldner im Rahmen ihres Innenverhältnisses gleich. 346 KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 195; KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 343. 347 Vgl. beispielhaft: KOME v. 27. 07. 1994, 94/599/EG, L:1994:239:TOC – PVC, Rn. 44; jüngst auch: KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 783. Zur historischen Entwicklung vergleiche auch: Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 127 ff. 348 Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 691. 349 KOME v. 24. 07. 1969, 69/243/EWG, L:1969:195:TOC – Farbstoffe, S. 11, 16; Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 691. 350 Vgl. KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 890; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 789. In KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 73 (Winoa) bleiben bspw. manche nicht näher benannte Tochtergesellschaften außen vor. 351 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Fn. 27. 352 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 39. 353 Mansdörfer/Timmerbeil, EuZW 2011, 214, 216; Skoczylas, Verantwortlichkeit, 2011, S. 50. Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 07. 2005, Verb. Rs. C-65/02 P u. C-73/02 P, ECLI:EU:C:2005:454 – ThyssenKrupp u. a., Rn. 82; 88; EuG, Urt. v. 4. 07. 2006, Rs. T-304/02, ECLI:EU:T:2006:184 – Hoek Loos, Rn. 118.

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organe, dass die wirtschaftliche Einheit gegen die Wettbewerbsregeln verstößt und nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diesen Verstoß einzustehen habe.354 Wie die schuldhafte Begehung dogmatisch begründet wird, ist den Ausführungen der Unionsorgane nur schwer zu entnehmen.355 Finden sich Feststellungen, werden die subjektiven Tatbestandsmerkmale unmittelbar auf die Unternehmen bzw. die wirtschaftlichen Einheiten bezogen oder der entsprechende Bezug ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang.356 In der überwiegenden Zahl der Entscheidungen fehlen detaillierte Ausführungen zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen. Grund hierfür ist, dass Vorsatz oder Fahrlässigkeit im Sinne des Art. 23 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 1/2003 lediglich Kenntnis oder Kennenmüssen der wettbewerbswidrigen Wirkungen des infrage stehenden Verhaltens voraussetzen.357 Es genügt, wenn sich das Unternehmen nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, dass sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte.358 Bei den weit überwiegend geahndeten Hardcore-Kartellen wird dies unterstellt.359

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EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 11. 12. 2007, Rs. C-280/06, ECLI:EU:C:2007:775 – Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (ETI u. a.), Rn. 39; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 36; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-520/09 P, ECLI:EU:C:2011:619 – Arkema, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 42; EuGH, Urt. v. 5. 03. 2015, Rs. C-93/13 P, ECLI:EU:C:2015:150 – Europäische Kommission (Versalis u. a.), Rn. 52; EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 179; EuG, Urt. v. 13. 07. 2011, Verb. Rs. T-144/07, T-147/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:364 – ThyssenKrupp, Rn. 93. 355 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 113; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 13. Mansdörfer/Timmerbeil, EuZW 2011, 214, 216 vermuten eine Organisationsverantwortlichkeit. Köhler, wrp 2011, 277, 281 rechnet das schuldhafte Verhalten der für die wirtschaftliche Einheit tätigen natürlichen Personen zu. Ebenso wohl auch: Hengst, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 38, 40. Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 117, deutet die Verantwortung der Einheit lediglich sinnbildlich für die gemeinschaftliche Verantwortung der Rechtsträger. 356 KOME v. 14. 12. 1985, 85/609/EWG, L:1985:374:TOC – ECS/AKZO, Rn. 98 – Der Begriff „AKZO“ wird in diesem Verfahren als Bezeichnung für das Unternehmen, bestehend aus AKZO Chemie und ihren Tochtergesellschaften, verwendet. KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen, Rn. 399 f. – In diesem Beschluss wurden je zwei bis vier Gesellschaften als ein Unternehmen zusammengefasst und mit einer Sammelbezeichnung – Heiploeg, Klaas Puul und Kok Seafood – versehen. Lediglich die Bezeichnung „Stührk“ stand für eine einzelne Gesellschaft, da diese nicht in einen Konzern eingebunden war. 357 Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 492. 358 EuG, Urt. v. 6. 07. 2000, Rs. T-62/98, ECLI:EU:T:2000:180 – Volkswagen, Rn. 334; Kienapfel, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 23 VO (EG) 1/2003 Rn. 39; Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 23 VerfVO Rn. 20. 359 Vgl. beispielhaft EuGH, Urt. v. 18. 09. 2003, Rs. C-338/00 P, ECLI:EU:C:2003:473 – Volkswagen, Rn. 94.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

Mithin folgen die Unionsorgane einer von dem deutschen Recht abweichenden Betrachtung. Das Verschulden im Sinne der europäischen Wettbewerbsregeln kann nicht mit dem Verschulden nach dem deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gleichgesetzt werden.360 Dadurch dass bereits das Kennenmüssen ausreicht, werden die Maßstäbe objektiviert und tendenziell streng gehandhabt.361 Nach ständiger Rechtsprechung muss die Kommission auch nicht die natürlichen Personen benennen, deren Handlungen die schuldhafte Begehung begründen.362 Fraglich ist jedoch, ob auch die Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit schuldhaft gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen haben. Für die handelnde Gesellschaft steht dies fest, da die Wettbewerbsverstöße und damit auch das Verschulden allein mit den Handlungen ihrer Mitarbeiter begründet werden.363 Doch umfasst die Fiktion des tatbestandrelevanten Verhaltens sowie des hierauf beruhenden Verstoßes bei der Obergesellschaft auch den Vorwurf der schuldhaften Begehung? Da die Stimmen in der Literatur – wie bereits ausgeführt – über den Anknüpfungspunkt der Haftung auseinandergehen, setzen sich diese Differenzen auch im Rahmen des Verschuldens fort, sehen sich jedoch denselben Einwänden ausgesetzt. So ziehen die Autoren, welche die Haftung mit einer Aufsichtspflichtverletzung begründen, diese entsprechend im Rahmen des Verschuldens heran.364 Die Haftung der Obergesellschaft knüpft nach gegenwärtiger Unionspraxis jedoch nicht an eine Aufsichtspflichtverletzung an; diese kann damit auch nicht den Bezugspunkt des Verschuldens bilden. Ebenso wenig lassen sich der Unionspraxis Hinweise auf eine widerlegliche Vermutung einer eigenen Schuld der Obergesellschaft für den Verstoß der Tochtergesellschaft entnehmen.365 Damit verbleiben Autoren366, welche der Obergesellschaft ohne nähere Begründung das Verschulden der handelnden Ge360 Mansdörfer/Timmerbeil, EuZW 2011, 214, 216; ebenso: Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 14. 361 In diesem Sinne: Mansdörfer/Timmerbeil, EuZW 2011, 214, 216. 362 EuGH, Urt. v. 18. 09. 2003, Rs. C-338/00 P, ECLI:EU:C:2003:473 – Volkswagen, Rn. 95 – 98; EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 38. 363 Siehe hierzu Teil 2 § 5 B. II. 364 Siehe hierzu bereits ausführlich Teil 2 § 5 B. III. 2. 365 So aber: Yomere, Mehrfachsanktionierung von Unternehmen, 2010, S. 77. Dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit liegt keine Schuldvermutung zugrunde. Erstens kommt eine Vermutung nur in einem Teil der Entscheidungen, bei (nahezu) 100 %iger Kapitalinhaberschaft der Obergesellschaft, als Beweiserleichterung zum Tragen. Entsprechend kann sie nicht als Grundlage des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit betrachtet werden, das auch in den Fällen unterhalb 100 %iger Kapitalbeteiligung und damit ohne Vermutung zur Anwendung kommt. Zweitens umfasst die von den Unionsorganen in diesen Fällen praktizierte Vermutung allein die tatsächliche Ausübung von Einfluss. Dieser bildet für sich nicht den Anknüpfungspunkt der Haftung. 366 Bürger, WuW 2011, 130, 138; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 208. Gegen eine Zurechnung des Verschuldens: Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 363.

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sellschaft zurechnen sowie die Vertreter, die in den Wirkungen des funktionalen Unternehmensbegriffs lediglich eine Haftungsanordnung sehen. Letztere gehen stringent davon aus, dass sich der Vorwurf der schuldhaften Begehung allein auf die wirtschaftliche Einheit bezöge und die einzelnen Rechtsträger kein persönlicher Schuldvorwurf träfe.367 Diesen beiden letztgenannten Lagern ist jedoch entgegenzuhalten, dass die extensive Auslegung zu einer Gleichstellung der Rechtsträger im Hinblick auf die Täterschaft führt. Es handelt sich nicht um eine reine Haftungsanordnung. Die Unionsorgane beziehen, anders als noch unter Geltung des Zurechnungskonzepts,368 den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit einheitlich auf das Unternehmen, die wirtschaftliche Einheit.369 Werden die einzelnen Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit für den Verstoß des Unternehmens haftbar gemacht, liegt hierin nach Auffassung der Unionsorgane jedoch kein Verstoß gegen das Schuldprinzip. Kern der Argumentation ist erneut die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs. Wie zuvor begründet, wird in einem solchen Fall der Verstoß der Obergesellschaft persönlich zur Last gelegt.370 Hieraus folgt nach der Argumentation der Unionsorgane, dass die Verantwortlichkeit der Obergesellschaft auf der Haftung für eigenes Verschulden beruht und nicht als eine verschuldensunabhängige Haftung angesehen werden kann.371 Gerade die Anordnung der Gesamtschuld macht deutlich, dass alle Rechtsträger gleichsam für denselben schuldhaft begangenen Verstoß haften. Andernfalls wäre eine Gesamtschuldanordnung widersprüchlich – sie würde die unterschiedlichen Beteiligungsanteile nivellieren.372 Dementsprechend wird gerade 367 In diesem Sinne: Kersting, WuW 2014, 1156, 1164; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 447 – „Zustandshaftung“. So wohl auch: Meyer-Lindemann, WuW 2011, 1235, 1238 – „verschuldensunabhängige Haftung“; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 15; 80; Ackermann, ZWeR 2010, 329, 346 f.; Wachs, Flucht aus der kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung, 2013, S. 179 – „Haftungseinheit“. 368 In der überwiegenden Zahl der früheren, in Rechtsnachfolgekonstellationen ergangenen Urteile findet sich die Formulierung, dass „grundsätzlich diejenige natürliche oder juristische Person einstehen muss, die das an dem Kartell beteiligte Unternehmen zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung leitete“, vgl. EuGH, Urt. v. 16. 11. 2000, Rs. C-248/98 P, ECLI:EU:C:2000:625 – NV Koninklijke KNP, Rn. 71; EuGH, Urt. v. 16. 11. 2000, Rs. C-286/ 98 P, ECLI:EU:C:2000:630 – Stora Kopparbergs Bergslags, Rn. 37; EuG, Urt. v. 14. 12. 2006, Verb. Rs. T-259/02 bis T-264/02 u. T-271/02, ECLI:EU:T:2006:396 – Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a., Rn. 324. Unter der Geltung des funktionalen Unternehmensbegriffs beziehen die Unionsorgane nunmehr den Grundsatz auf die wirtschaftliche Einheit. Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 113; a.A. Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 124 ff., der diesen Wandel in der Unionspraxis und die Besonderheiten der Rechtsnachfolgekonstellationen unberücksichtigt lässt. 369 Vgl. die Nachweise in Fn. 354. 370 Siehe oben Teil 2 § 5 C. 371 Vgl. EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 51; 52. 372 Thomas, in: FS Möschel, 2011, S. 675, 683, der sich jedoch für eine Teilverantwortlichkeit der einzelnen Rechtsträger ausspricht und hieraus den Schluss zieht, dass die Gesamtschuldanordnung daher hierzu im Widerspruch steht.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

nicht zwischen einzelnen, zu einem unterschiedlichen Grad verschuldeten Beteiligungshandlungen unterschieden. Dies bringen die Unionsorgane durch die Formulierung zum Ausdruck, die Gesamtschuld folge aus dem Unternehmensbegriff.373 Der Generalanwältin Kokott zufolge entspricht es dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit, wenn alle Rechtsträger gesamtschuldnerisch haften.374 Hieraus ist abzuleiten, dass nach dem funktionalen Unternehmensbegriff alle Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit gleichsam schuldhaft gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen.375 Das Gericht erkennt in der Entscheidung Evonik an, dass bei kollektiven Einheiten, mithin mehreren zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefassten Rechtsträgern, das Willenselement, welches das Verschulden begründet, im strengeren Sinne nicht existiert.376 Die Brücke zu der schuldhaften Begehung der Obergesellschaft wird dadurch geschlagen, dass ihr durch die Rechtsfiktion der Verstoß zugeordnet wird, der Folge des tatsächlichen Verhaltens natürlicher Personen ist: „Da die für die Zuwiderhandlung verantwortlichen natürlichen Personen zu der wirtschaftlichen Einheit gehören, die durch die juristischen Personen gebildet wird, die für die Zuwiderhandlung haftbar gemacht werden, kann nicht behauptet werden, dass diese juristischen Personen für eine Zuwiderhandlung hafteten, ohne dass sie ein Verschulden träfe […]“.377

Die Fiktion der Handlungen der Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft umfasst demnach auch das Verschulden. Wie bereits im Rahmen der Untersuchung der Handlungsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit dargestellt,378 wird die schuldhafte Begehung der Anstellungskörperschaft zugerechnet und gleichsam bei den weiteren Rechtsträgern des Unternehmens, wie der Obergesellschaft, fingiert.379 Es ist damit 373

EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 47 ff.; 57. 374 GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 39. 375 In diesem Sinne wohl auch: Kienapfel, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 23 VO (EG) 1/2003 Rn. 24; Ost, NZKart 2013, 25, 27; Wachs, WuW 2017, 2, 3. 376 EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 37; Vgl. auch: GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge zur Verb. Rs. C-204/00 P, C-205/ 00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P (Aalborg Portland) v. 11. 02. 2003, ECLI:EU:C:2003:85, Rn. 65 ff. zu Rechtsnachfolgefällen. 377 EuG, Urt. v. 23. 01. 2014, Rs. T-391/09, ECLI:EU:T:2014:22 – Evonik Degussa u. a., Rn. 38 (verbindliche Verfahrenssprache: Deutsch). 378 Vgl. Teil 2 § 5 A. 379 Im Ergebnis auch: Köhler, wrp 2011, 277, 281 ff., der das Verhalten aber anhand des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit zurechnen und nicht allein auf Grundlage des funktionalen Unternehmensbegriffs fingieren möchte. Der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit stellt jedoch keinen Zurechnungsgrund dar, sondern soll nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte allein sicherstellen, dass nur derjenige haftet, der den Verstoß persönlich zu verantworten hat.

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naheliegend, dass die Unionsorgane entsprechend auch bei der wirtschaftlichen Einheit die schuldhafte Begehung fingieren.380 Sowohl die wirtschaftliche Einheit als auch sämtliche Rechtsträger des Unternehmens haften für einen schuldhaft begangenen Verstoß, der ihnen persönlich zur Last gelegt wird.

F. Ergebnis und kritische Würdigung Die einzelnen Rechtsträger haften als juristische Verkörperung des Unternehmens gesamtschuldnerisch für den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit.381 Die ökonomische Betrachtungsweise der Unionsorgane führt zu einer Gleichstellung der Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit im Hinblick auf die Täterschaft. Sowohl die handelnde Gesellschaft als auch die Obergesellschaft sind als Teil der wirtschaftlichen Einheit gleichermaßen für die Zuwiderhandlung verantwortlich.382 Ihnen wird derselbe Verstoß zur Last gelegt,383 für den sie als eigenen Verstoß haften. Sie werden als ein einheitlicher Teilnehmer an der Zuwiderhandlung behandelt.384 Die handelnde Gesellschaft haftet aufgrund der Handlungen ihrer Mitarbeiter als Teil des Unternehmens. Die Zuordnung der Verantwortlichkeit an die Obergesellschaft folgt hingegen allein aus der extensiven Auslegung des Unternehmensbegriffs. Zu diesem Zweck wird die schuldhafte Handlung bei der Obergesellschaft fingiert, sie wird so behandelt, als habe sie gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Kersting ist insofern zuzustimmen, als die wirtschaftliche Einheit den „Nexus der Haftung“ bildet.385 Sein Erklärungsansatz für das europäische Haftungskonzept vermag jedoch nicht zu überzeugen.386 Er bemüht – beschränkt auf das Wettbewerbsrecht – einen Vergleich der wirtschaftlichen Einheit mit einer Außen-GbR. Da die einzelnen Konzerngesellschaften als wirtschaftliche Einheit gemeinsam wettbewerblich handelten und gemeinsam am Markt aufträten, seien sie als Gesellschaft 380

Zu den abweichenden Deutungen in der Literatur vgl. die Nachweise in Fn. 355. Vgl. EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 52; Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-97 – 08 P (Akzo Nobel) v. 23. 04. 2009, ECLI:EU:C:2009:262, Rn. 97 f. 382 Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 494 deuten die Unionspraxis entsprechend, stehen ihr jedoch kritisch gegenüber. 383 Wiedergabe der Position der Kommission in: EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 187. 384 Vgl. EuG, Urt. v. 3. 03. 2011, Rs. T-122/07 u. a., ECLI:EU:T:2011:70 – Siemens Österreich u. a., Rn. 123. 385 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 449. 386 Ablehnend: Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 179 ff.; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 44; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 74; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 304 f.; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 155; Bosch, ZHR 2013, 454, 461; Löbbe, ZHR 2013, 518, 549; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 167 f.; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 111 ff. 381

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bürgerlichen Rechts zu behandeln. Die Vereinbarung zwischen den Gesellschaften komme schlüssig durch gemeinsame Zweckverfolgung zustande.387 Entsprechend begründet er so den Verstoß des Unternehmens und vergleicht die Haftung der einzelnen Rechtsträger mit einer Haftung analog § 128 S. 1 HGB. Dieser Vergleich hinkt jedoch bereits im Ausgangspunkt. Anders als die Außen-GbR ist die wirtschaftliche Einheit gerade nicht rechts- und handlungsfähig.388 Die Außen-GbR kann als Rechtssubjekt selbst Adressat der Geldbußenentscheidung sein und für den Verstoß haften.389 Dieser grundlegende Unterschied muss konsequent beachtet und darf gerade nicht durch einen Vergleich nivelliert werden.390 Das dogmatische Konzept der Unionsorgane ist inkonsequent, die Begründung für die Haftung der Obergesellschaft in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung nicht tragfähig. Unvoreingenommen betrachtet, handelt es sich um eine Behauptung, keine überprüfbare Begründung.391 Der schuldhafte Verstoß der Obergesellschaft, mithin die Täterschaft, beruht lediglich auf einer Fiktion. Allein die Notwendigkeit einer effizienten Durchsetzung des Kartellrechts kann die gegenwärtige Praxis nicht rechtfertigen.392 Auch der Verweis auf die „allgemeinen ungeschriebenen Grundsätze des Wettbewerbsrechts“393 und den wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Haftung allein auf der Rechtsfortbildung der Unionsorgane und der Auslegung des Unternehmensbegriffs beruht.394 Das Einstehenmüssen für den Verstoß eines anderen Rechtsträgers bedarf eines Verpflichtungsgrundes.395 Die Haftung kann nicht lediglich aufgrund von tatunabhängigen Kriterien aus der Auslegung des Unternehmensbegriffs gewonnen werden. Denn tatsächlich sind die Rechtsträger allein aufgrund der fehlenden Autonomie der handelnden Gesellschaft zu einer wirtschaftlichen Einheit verbunden. Ausschlaggebend sind die Möglichkeit zur und die tatsächliche Einflussnahme der Oberge387

Kersting, Der Konzern 2011, 445, 450. Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 41; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 74. 389 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 43. 390 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 41. Ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Ansatz Kerstings unter Teil 3 § 2 A. II. 5. 391 Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 22. 392 Ebenso: Bosch, ZHR 2013, 454, 461; Bechtold/Bosch, ZWeR 2011, 160, 168; Gehring/ Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 6; Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1018; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 167; So aber: Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 673. 393 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 451 f. 394 Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 78 sieht hierin einen Verstoß gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip und die Gewaltenteilung; ebenso: Gehring/ Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 6; dies andeutend: de Bronett, EWS 2012, 113, 122; Kliebisch, Das Gemeinschaftsunternehmen im Kartell- und Konzernrecht, 2014, S. 340; ausfürhliche, kritische Auseinandersetzung bei Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 87 ff. 395 Vgl. Thomas, KSzW 2011, 10, 12, der eine gesetzliche Normierung fordert; Gehring/ Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 6. 388

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sellschaft auf die allgemeine Geschäftsführung. Damit wird nur von dem allgemeinen Einfluss auf die Geschäftsführung darauf geschlossen, dass auch auf die wettbewerbswidrigen Handlungen Einfluss genommen worden sein müsste. Allein dieser Verdacht bildet die Grundlage für die Gleichstellung der Rechtsträger im Hinblick auf die Täterschaft und die Fiktion des schuldhaften Verstoßes.396 Auf die Spitze getrieben wird diese Vorgehensweise in den Fällen, in denen die Obergesellschaft (nahezu) hundert Prozent des Kapitals an der handelnden Gesellschaft hält. Da in diesen Fällen sogar auf den Nachweis der tatsächlichen Einflussnahme verzichtet werden kann, basiert die Gleichstellung im Hinblick auf die Täterschaft ausschließlich auf der Kapitalverbindung.397 Die Inanspruchnahme beruht mithin allein auf dem aus wirtschaftlicher Perspektive einheitlichen Auftreten der Rechtsträger; sie knüpft nicht an tatabhängige Kriterien an. Die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs kaschiert damit lediglich eine im Gesetz nicht begründete Haftungsanordnung.398 Folglich rückt das Haftungsmodell der Unionsorgane in den Bereich einer verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung für das Verhalten der beherrschten Gesellschaft.399 Gerade der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit400 wird jedoch ausgehebelt, indem er allein auf die wirtschaftliche Einheit bezogen und dieser Einheit gleichzeitig keine Rechtsfähigkeit zuerkannt wird.401 Die weder rechts- noch handlungsfähige wirtschaftliche Einheit kann sich nicht selbst auf 396 In der Folge wird das wettbewerbswidrige Verhalten der Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft bei der Obergesellschaft fingiert. Die Haftung beruht nicht auf der Vermutung einer eigenen Beteiligungshandlung. Vgl. hierzu bereits ausführlicher Teil 2 § 5 B. III. 397 Entsprechend leiten zahlreiche Autoren aufgrund der hohen Anforderungen an die Widerlegbarkeit der Kapitalvermutung einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung ab. Siehe ausführlicher: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 82 ff.; Thomas, KSzW 2011, 10, 13; Riesenkampff/Krauthausen, (2010) 31 ECLR 38, 41; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 182 ff.; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 397 ff.; kritisch auch: La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 68; 70 ff. 398 Thomas, (2012) 3 JECLaP 11, 21: „collective guilt“; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 79; Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 42: „Konzernzustandshaftung“; Thomas, KSzW 2011, 10, 12: „Sippenhaft“; Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1014; Kling, wrp 2010, 506, 510; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 106; Bosch, ZHR 2013, 454, 460; Soyez, EuZW 2007, 596, 597; Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 487; Hofstetter/Ludescher, (2010) 33 WC 55, 56; Kliebisch, Das Gemeinschaftsunternehmen im Kartell- und Konzernrecht, 2014, S. 336. 399 Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1014; 1018; Kling, ZWeR 2011, 169, 178. 400 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 56 (Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit und damit Schuldgrundsatz); EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 55 f.; 66 (Grundsätze der persönlichen Verantwortlichkeit sowie der individuellen Straf- und Sanktionsfestsetzung). Aufgrund der Schwere der Sanktion, des Verschuldenserfordernisses und des repressiven Charakters finden nach herrschender Meinung die straf- und verfahrensrechtlichen Prinzipien des Unionsrechts auf die kartellrechtliche Geldbuße Anwendung, vgl. Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 103; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 71; Thomas, KSzW 2011, 10, 11 ff.; Kokott/Dittert, WuW 2012, 670, 671; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1176. 401 Ebenso in nationalem Kontext: Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 58.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

eine Verletzung ihrer Rechte berufen. Bestehen die Rechte nicht zumindest parallel, werden die tatsächlich sanktionierten Rechtsträger faktisch ihres Rechtsschutzes beraubt.402 In der auf tatunabhängigen Kriterien beruhenden Fiktion des schuldhaften Wettbewerbsverstoßes liegt ein Verstoß gegen das in dem Verschuldenserfordernis des Art. 23 VO Nr. 1/2003 zum Ausdruck kommende Schuldprinzip.403

§ 6 Keine Haftung der Tochter- für die Muttergesellschaft und keine allgemeine Haftung zwischen Schwestergesellschaften In der Literatur ist umstritten, welche Konzerngesellschaft für die wettbewerbswidrigen Handlungen der Mitarbeiter einer anderen Konzerngesellschaft haftet.404 Zahlreiche Autoren erachten sämtliche Gesellschaften, die im Verhältnis zu der Obergesellschaft ein Autonomiedefizit aufweisen, gemeinsam mit der Obergesellschaft als eine wirtschaftliche Einheit.405 Dies hat erhebliche Auswirkungen. Innerhalb einer solchen wirtschaftlichen Einheit sollen Mutter-, Tochter-, Schwesteroder Enkelgesellschaften – unabhängig von einer eigenen Beteiligung an dem Wettbewerbsverstoß – wechselseitig für die wettbewerbswidrigen Handlungen der jeweils anderen Gesellschaft haften.406 402 Ebenso: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 82; Zandler, NZKart 2016, 98, 104; vgl. auch: Thomas, JZ 2011, 485, 494. 403 Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 82; Thomas, JZ 2011, 485, 493 f.; Thomas, KSzW 2011, 10, 12; de Bronett, EWS 2012, 113, 122; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 396; Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 201 ff.; aus dem internationalen Schrifttum so auch: La Rocca, (2011) 32 ECLR 68, 73. 404 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 48 bezeichnet die Fragen der Verantwortlichkeit einer Tochtergesellschaft für ihre Muttergesellschaft oder zwischen Schwestergesellschaften als „unklar“. 405 Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 361 f., der jedoch im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung „unter dem Aspekt der Gleichbehandlung zum Einzelunternehmen“ und „im Hinblick auf eine sinnvolle Begrenzung der Haftung des Konzerns“ die Haftung auf die Obergesellschaft und die objektiv an dem Wettbewerbsverstoß beteiligten Gesellschaften beschränken will. Die grundsätzliche Haftung schlussfolgert er aus den Entscheidungen Dansk Rorindustri aus dem Jahre 2005 und Aristrain aus dem Jahre 2003. Hierbei macht er jedoch nicht deutlich, dass es sich bei beiden Entscheidungen um besondere Konstellationen handelte. In Dansk Rorindustri stand eine natürliche Person an der Konzernspitze, in der Entscheidung Aristrain handelte es sich gerade um ein wettbewerbsrechtliches Über-/Unterordnungsverhältnis, weshalb die eine Schwester- die andere Schwestergesellschaft kontrollierte. Den Entscheidungen kann gerade keine allgemeine Haftung im Unternehmensverbund entnommen werden. Siehe hierzu bereits unter Teil 2 § 4 D. 406 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 454; Kersting, WuW 2014, 1156, 1159; Kersting, GesRZ 2015, 377, 378; 382; ebenso: Bieber, Gesamtschuldnerische Haftung, 2014, S. 44 unter Verweis auf Kersting; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 392, 395 unter Verweis auf; Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 373 f., die jedoch abweichend von den Unionsorganen einen rechtsträgerbezogenen Unternehmensbegriff befürwortet. Könen, NZKart 2017, 15, 20, erachtet entsprechend die Umsetzung des deutschen Gesetzgebers im Rahmen der

§ 6 Keine Haftung der Tochter- für die Muttergesellschaft

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Wie bereits erläutert, entsteht eine wirtschaftliche Einheit nur dann zwischen zwei Rechtsträgern, wenn diese durch eine Kette der Weisungsgebundenheit miteinander verbunden sind.407 Grundlage bildet immer der Wettbewerbsverstoß durch die unselbstständige handelnde Gesellschaft.408 Eine unbeteiligte Gesellschaft ist nur Teil dieser wirtschaftlichen Einheit, wenn sie als leitende Gesellschaft auf die handelnde Gesellschaft Einfluss genommen hat.409 Dementsprechend folgt bereits aus der Struktur der wirtschaftlichen Einheit, dass eine unbeteiligte Gesellschaft nicht Teil einer wirtschaftlichen Einheit ist und nicht für die wettbewerbswidrigen Handlungen weiterer Konzerngesellschaften haftet.410 Bilden verschiedene Rechtsträger eine wirtschaftliche Einheit, stellt sich die Frage der wechselseitigen Haftung. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Den Ausgangsfall soll die in der Unionspraxis am häufigsten anzutreffende Fallgruppe bilden: Die leitende Obergesellschaft ist an dem durch die handelnde Gesellschaft begangenen Verstoß gänzlich unbeteiligt. In dieser Konstellation folgt aus dem Haftungskonzept der Unionsorgane, dass die handelnde Gesellschaft nie für das Verhalten der Obergesellschaft haftet.411 Es besteht kein eigener Verstoß der Obergesellschaft; sie war an der Zuwiderhandlung nicht beteiligt.412 Die Rechtsträger haften gemeinsam für den allein auf Grundlage 9. GWB-Novelle in § 81 GWB, wonach die Haftung auf die lenkenden Konzerngesellschaften beschränkt wird, als von der europäischen Rechtsfigur abweichend. In diesem Sinne wohl auch: Brettel/Thomas, WuW 2016, 336, 338, die annehmen, dass eine gänzlich unbeteiligte Schwestergesellschaft Teil der wirtschaftlichen Einheit sei. Hierbei ist jedoch einschränkend anzumerken, dass Brettel und Thomas das europäische Konzept grundsätzlich ablehnen und dementsprechend pointiert formulieren. Ebenso für Schwestergesellschaften Kruis, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2018, S. 248 und wohl auch: Weck, WuW 2016, 404, 406. 407 Ausführlich hierzu bereits: Teil 2 § 4. Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 85 f.; im Ergebnis ebenso: Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 177, die innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit für die Haftung Weisungsgebundenheit fordern und bei deren Vorliegen von einer wirtschaftliche Einheit „im engeren Sinne“ sprechen. 408 Vgl. beispielhaft: KOME v. 9. 12. 2004, C(2004) 4717, AT.37533 – Cholinchlorid, Rn. 176. Siehe hierzu bereits Teil 2 § 5 B. II. 409 Vgl. EuG, Urt. v. 3.03.3011, Verb. Rs. T-117/07 u. T-121/07, ECLI:EU:T:2011:69 – Areva und Alstom, Rn. 617. 410 KOME v. 8. 12. 2010, C(2010) 8761 final, AT.39309 – LCD – Liquid Crystal Displays, Rn. 338; Vgl. EuG, Urt. v. 17. 05. 2013, Rs. T-146/09, ECLI:EU:T:2013:258 – Parker ITR u. a., Rn. 126. Es scheint zumindest nicht denkbar, dass eine gesellschaftsrechtliche Muttergesellschaft gegenüber ihrer Tochtergesellschaft aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen, rechtlichen und organisatorischen Verbindungen weisungsgebunden ist. 411 Andere Ansicht, jedoch ohne Bezug zur gängigen Praxis: v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 158. 412 Die Haftung der Obergesellschaft folgt allein aus dem funktionalen Unternehmensbegriff. Ihr liegt keine eigene Beteiligungshandlung in Form der tatsächlichen Einflussnahme oder eine Aufsichtspflichtverletzung zugrunde. Siehe hierzu bereits ausführlicher Teil 2 § 5 B. III. Andere Ansicht: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 454, der ein eigenes Fehlverhalten der Muttergesellschaft unterstellt.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

der Handlungen der handelnden Gesellschaft fingierten Verstoß. Entsprechend haftet die Tochtergesellschaft weiterhin nur für ihr schuldhaftes Verhalten. Gleiches gilt für das Verhältnis von gesellschaftsrechtlichen Schwestergesellschaften. War eine der Gesellschaften an dem Wettbewerbsverstoß nicht beteiligt, entsteht zwischen diesen nur dann eine wirtschaftliche Einheit, wenn eine der Gesellschaften aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen, rechtlichen und organisatorischen Verbindungen auf ihre Schwestergesellschaft Einfluss genommen hat.413 In diesem sehr seltenen Ausnahmefall sind die Rechtsträger jedoch nur gesellschaftsrechtlich Schwestergesellschaften. Wettbewerbsrechtlich handelt es sich um ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis. Nur die leitende wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft haftet für den bei ihr fingierten Verstoß der handelnden gesellschaftsrechtlichen Schwestergesellschaft. In der Abwandlung wird unterstellt, dass sowohl die Obergesellschaft als auch die handelnde Gesellschaft an dem Verstoß beteiligt waren.414 Es liegen mithin tatbestandsmäßige Handlungen der Obergesellschaft vor, für welche die Untergesellschaft als Teil der wirtschaftlichen Einheit haften könnte. Im Ergebnis haftet die Untergesellschaft jedoch auch in dieser Konstellation nur für ihren eigenen Verstoß. Grund hierfür ist nicht das Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“, sondern das Konzept der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“. Beurteilt die Kommission ein über einen längeren Zeitraum andauerndes Kartell mit einer Vielzahl von Beteiligungshandlungen unterschiedlicher Beteiligter wertet sie sämtliche Handlungen als eine „einzige bzw. einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“.415 Einzelne Beteiligungshandlungen werden nicht unterschieden und in selbstständige Zuwiderhandlungen untergliedert.416 Infolge dieser Zusammenfassung werden alle an der Zuwiderhandlung zusammenwirkenden Gesellschaften als Mittäter der Zuwiderhandlung betrachtet.417 Jeder beteiligte Rechts413

Ebenso: Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 120. Vgl. beispielhaft KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 252. 415 Vgl. KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine, Rn. 560; KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 184; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 138; KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 556; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 857. 416 Vgl. KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine, Rn. 560; KOME v. 27. 11. 2002, K(2002) 4557, L:2004:038:TOC – Methylglukamin, Rn. 176; KOME v. 11. 06. 2002, K(2002) 2091, L:2004:056:TOC – Österreichische Banken / Lombard Club, Rn. 125; KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 136, 138; KOME v. 31. 05. 2006, C(2006) 2098 final, AT.38645 – Methacrylates, Rn. 221; KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 208; KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 44. 417 Vgl. KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 184. KOME v. 12. 10. 2011, C(2011) 7273 final, AT.39482 – Exotic Fruit (Bananas), Rn. 208; vgl. auch: EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-625/13 P, ECLI:EU:C:2017:52 – Villeroy & Boch, Rn. 56 f. 414

§ 6 Keine Haftung der Tochter- für die Muttergesellschaft

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träger trägt insgesamt die Verantwortung für die Zuwiderhandlung einschließlich der von den anderen Kartellmitgliedern begangenen Handlungen.418 Dies zugrunde gelegt, haften nach dem Konzept des „einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes“ alle beteiligten Rechtsträger, sowohl die handelnde Obergesellschaft als auch die handelnde Untergesellschaft, grundsätzlich für ein- und denselben Verstoß – unabhängig davon, ob sie eine wirtschaftliche Einheit bilden oder nicht.419 Das können beispielsweise Mutter- und Tochter- oder auch Schwestergesellschaften sein. Die Haftung der handelnden Gesellschaften beruht damit nicht auf dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit, wonach ihnen der fremde Verstoß der anderen handelnden Gesellschaft persönlich zur Last gelegt wird. Jede der Gesellschaften haftet bereits aufgrund ihrer Beteiligung an dem aus sämtlichen Handlungen aller Beteiligten gebildeten eigenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß. Von besonderem Interesse ist die Kombination der Konzepte der „wirtschaftlichen Einheit“ und der „einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung“ in einem kleinen Konzern. Oftmals sind mehrere handelnde Schwestergesellschaften an einem Verstoß beteiligt und werden währenddessen von einer unbeteiligten Obergesellschaft geleitet. In dieser Konstellation bilden sämtliche Rechtsträger eine einzige wirtschaftliche Einheit. Doch auch in diesem Fall haften die handelnden Schwestergesellschaften nicht aufgrund einer wechselseitigen Fiktion der Handlungen für den jeweiligen Verstoß der anderen Schwestergesellschaft. Da alle an der Zuwiderhandlung beteiligt waren, sind sie bereits Mittäter und tragen gemeinsam die Verantwortung für den einheitlichen und fortgesetzten Verstoß. Allein die unbeteiligte Obergesellschaft haftet auf Grundlage der wirtschaftlichen Einheit für den bei ihr fingierten einheitlichen Verstoß. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass aufgrund des Konzeptes der wirtschaftlichen Einheit nur bei der unbeteiligten Obergesellschaft tatsächlich ein zuvor nicht bestehender Verstoß begründet, d. h. fingiert, wird. Schadensersatzklagen können nicht gegen Gesellschaften gerichtet werden, die nicht aktiv an dem Verstoß beteiligt waren oder mangels eigener Weisungsbefugnisse über die handelnden Gesellschaften nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit sind. Hieraus folgt gleichzeitig, dass eine Haftung weiterer Rechtsträger nicht auf den Effektivitätsgrundsatz

418

KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine, Rn. 562; KOME v. 21. 12. 2005, K(2005) 5592, AT.38443 – Kautschukchemikalien, Rn. 186. KOME v. 13. 09. 2006, C(2006) 4090, AT.38456 – Bitumen-NL, Rn. 140; KOME v. 20. 09. 2006, C(2006) 4180 final, AT.38121 – Rohrverbindungen, Rn. 558; KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, Rn. 860; KOME v. 5. 12. 2012, C(2012) 8839 final, AT.39437 – TV and computer monitor tubes, Rn. 641; KOME v. 19. 03. 2014, C(2014) 1788 final, AT.39922 – Bearings, Rn. 45. 419 Die weiteren Auswirkungen der wirtschaftlichen Einheit, wie die Erhöhung des für die Verhängung des Bußgelds maßgeblichen Umsatzes, treten gleichsam ein.

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Teil 2: Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit

gestützt werden kann, wenn Art. 101 AEUV nach deutschem420 Recht vollzogen wird.421 Der allgemeine Grundsatz der effektiven Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts gebietet, dass das nationale Recht wirksame und hinreichend abschreckende Sanktionen bereithält.422 Gleichsam kann aus dem Effektivitätsgrundsatz nicht abgeleitet werden, dass er eine Sanktion fordert, die einschneidender ist, als die nach europäischem Recht bestehende Sanktion. Fehlt die Haftung bereits nach dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit, kann ein Anspruch bzw. eine Haftung nicht auf diese Argumentation gestützt werden.

§ 7 Untersuchungsansatz und Ausblick An der gegenwärtig praktizierten Lösung konzernrechtlicher Problemlagen über den funktionalen Unternehmensbegriff und die wirtschaftliche Einheit bestehen erhebliche Zweifel. Nichtsdestotrotz bildet die hiermit begründete Haftung der Obergesellschaft ein Faktum in der ständigen Unionsrechtsprechung. Zwar wäre ein Vorstoß auf legislativer Ebene, der beispielsweise die wirtschaftliche Einheit als Rechtsträger ausgestaltet oder klare, tatbezogene Zurechnungskriterien normiert, wünschenswert.423 Auch ein gänzlich neues Haftungsmodell, das an eine Aufsichtspflicht der Obergesellschaft anknüpft, wäre denkbar.424 Gegenwärtig ist ein solcher Vorstoß jedoch nicht zu erwarten. Vor diesem Hintergrund und um die Praxistauglichkeit zu gewährleisten, werden den nachfolgenden Teilen dieser Arbeit der aktuell angewandte funktionale Unternehmensbegriff425 und das beschriebene Haftungsmodell426 zugrunde gelegt. Es bleibt die weitere Entwicklung der Praxis zu beobachten. Insbesondere die Kommission hat sich in der Vergangenheit als Motor eines wirtschaftlich ausgelegten europäischen Wettbewerbsrechts erwiesen. Beachtenswert sind daher auch jüngste Entscheidungen, die eine Entwicklung hin zur Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit andeuten. Anders als in ihren früheren Entscheidungen unterscheidet die Kommission bereits im Rahmen der Sachverhaltserläuterungen klar zwischen dem Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts und den juristischen Personen, die 420

Ebendiese Fragen stellen sich auch in den übrigen Mitgliedstaaten, wie sie bspw. Danov, (2014) 35 ECLR 487, 491 für die Haftung im englischen Schadensersatzrecht formuliert und eine große Unsicherheit feststellt. 421 Siehe ausführlicher zu den Stimmen, die auf Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes eine bußgeldrechtliche und eine zivilrechtliche Haftung aller konzernangehörigen Gesellschaften fordern, Teil 3 § 2 A. VI. 2. und Teil 3 § 2 B. VIII. 2. 422 BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 18. 423 Weitere Vorschläge auch bei: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 75. 424 Vgl. Zandler, NZKart 2016, 98, 103 f.; Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 8 ff.; Thomas, KSzW 2011, 10, 14. 425 Siehe hierzu oben Teil 2 § 1 B. 426 Hierzu ausführlich oben Teil 2 § 5.

§ 7 Untersuchungsansatz und Ausblick

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dieses bilden und behandelt damit das Unternehmen wie ein weiteres, separates Subjekt: „Die in diesem Verfahren beteiligten Unternehmen [:] K+N Die relevanten Rechtsträger sind: (a) Kühne + Nagel International AG mit Sitz in Schindellegi (Schweiz); (b) Kuehne + Nagel A.E. mit Sitz in Athen (Griechenland)“.427

In einer anderen Entscheidung adressierte die Kommission die Geldbuße sogar nicht nur an die einzelnen Gesellschaften, die nach ihrer Feststellung für den Verstoß dieses Unternehmens verantwortlich waren, sondern daneben ausdrücklich auch an das Unternehmen selbst.428

427 428

KOME v. 15. 07. 2015, C(2015) 4646 final, AT.40098 – Blocktrains, Rn. 3 f. KOME v. 17. 06. 2015, C(2015) 3891 final, AT.40055 – Parking heaters, Rn. 68.

Teil 3

Bußgeldrechtliche und zivilrechtliche Haftung für Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Grundlage des deutschen Rechts In dem nachfolgenden Teil dieser Arbeit wird die Haftung der Obergesellschaft für Geldbußen, sofern Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV durch das Bundeskartellamt geahndet werden und allgemein die zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft für diese Verstöße untersucht. Hierbei wird nach den Vorbemerkungen (§ 1) zwischen dem Zeitraum vor und nach der 9. GWB-Novelle unterschieden (§ 2 und § 3).

§ 1 Vorbemerkungen A. Tatsächliche Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit Im Fokus stehen hierbei jeweils Konstellationen, in denen die Unionsorgane die Haftung der Obergesellschaft allein auf das Vorliegen der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit stützen.1 Ohne Berücksichtigung bleiben Fälle, in denen die Obergesellschaft an der Zuwiderhandlung durch eigene Mitarbeiter oder Leitungspersonen beteiligt war. In diesen Fällen kann die Verhängung einer Geldbuße bzw. ein Schadensersatzanspruch aufgrund der Handlungen der eigenen Mitarbeiter regelmäßig unproblematisch begründet werden. Nach ständiger Unionsrechtsprechung genügt für die Verhängung einer Sanktion gegen die Obergesellschaft, dass diese die Möglichkeit zur Erteilung von Weisungen an die handelnde Gesellschaft hatte und hiervon Gebrauch gemacht hat.2 Die Einflussnahme muss sich weder auf das wettbewerbswidrige Verhalten noch auf den kartellbetroffenen Unternehmensbereich beziehen. Die leitende Gesellschaft muss 1 Nach dem Konzept der Unionsorgane haftet die unbeteiligte Tochtergesellschaft nicht für einen von Mitarbeitern der Muttergesellschaft begangenen Verstoß und es besteht keine Haftung der unbeteiligten Schwestergesellschaft ohne Weisungsbefugnisse. Ausgangspunkt für die Entstehung einer wirtschaftlichen Einheit bilden immer die wettbewerbswidrigen Handlungen einer Gesellschaft und die Weisungsgebundenheit ebendieser Gesellschaft, vgl. Teil 2 § 4 C. und Teil 2 § 5 B. II. Entsprechend sind diese Konstellationen nicht Gegenstand der Untersuchung. 2 Ausführlich hierzu Teil 2 § 4.

§ 1 Vorbemerkungen

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nicht auf die Geschäftspolitik der kartellrechtswidrig handelnden Gesellschaft einwirken. Es genügt die strategische Einflussnahme auf die Gesellschaft und deren allgemeine Betriebsführung. Wird geprüft, ob eine Gesellschaft ihr Marktverhalten autonom bestimmt oder dem bestimmenden Einfluss einer anderen Gesellschaft unterliegt, werden sämtliche wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen berücksichtigt, die zwischen den Rechtssubjekten bestehen.3 Die hierfür herangezogenen Indizien variieren von Fall zu Fall.4 Hält die Obergesellschaft (nahezu) 100 % des Kapitals an der handelnden Gesellschaft, wird die Möglichkeit der Einflussnahme durch die Höhe der Kapitalbeteiligung indiziert und die tatsächliche Einflussnahme vermutet. Kenntnis oder Billigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens seitens der Organe der Obergesellschaft ist nicht erforderlich.5 Diese Sachverhalte sollen im Folgenden untersucht und als „tatsächliche Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit“ bezeichnet werden.

B. Zeitliche Anwendbarkeit Das mit Wirkung vom 9. Juni 2017 in Kraft getretene Neunte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (9. GWB-Novelle) nimmt umfangreiche Änderungen im deutschen Kartellbußgeldrecht und im Kartelldeliktsrecht vor.6 Aufgrund des Rückwirkungsverbotes nach Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 3 OWiG gilt das neue Bußgeldrecht erst für nach diesem Datum beendete Kartelltaten. Für die im Rahmen dieser Untersuchung relevanten zivilrechtlichen Vorschriften bestimmt § 186 Abs. 3 S. 1 GWB, dass die neuen Bestimmungen rückwirkend auf Schadensersatzansprüche anzuwenden sind, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind. Da sich das anwendbare Recht nach dem Zeitpunkt der Schadensentstehung richtet,7 wird die vor der Novelle geltende Rechtslage jedoch weiterhin über Jahre 3 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 20. 01. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21 – General Química u. a., Rn. 37; EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 100; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2015, Verb. Rs. C-293/14 P u. C-294/14 P, ECLI:EU:C:2015:416 – Fresh Del Monte, Rn. 76. 4 EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, Rn. 100; EuGH, Urt. v. 29. 09. 2011, Rs. C-521/09 P, ECLI:EU:C:2011:620 – Elf Aquitaine, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 19. 07. 2012, Rs. C-628/10 P, ECLI:EU:C:2012:479 – Alliance One International u. a., Rn. 171. 5 Die Unionsorgane legen den Begriff der Beteiligung sehr weit aus, sodass entsprechende Unterstützungshandlungen bereits eigenständige Tathandlungen darstellen, vgl. die Nachweise in Teil 2 Fn. 223. 6 Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1. 06. 2017, BGBl. I, S. 1416. 7 BGH, Urt. v. 12. 06. 2018, Az. KZR 56/16, NZKart 2018, 315, Rn. 33; Grothe, in: Säcker/ Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, § 199 Rn. 9; Scherzinger, NZKart 2017,

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

hinaus maßgeblich sein, wie sich beispielhaft an dem aktuell im medialen Fokus stehenden LKW-Kartell zeigt. Die aufgedeckten Kartelle reichen regelmäßig weit in die Vergangenheit zurück; jeder kartellbetroffene Beschaffungsvorgang wird verjährungstechnisch individuell beurteilt.8 Das LKW-Kartell erstreckte sich über einen Zeitraum von 14 Jahren und wurde erst 2011 mit Einleitung der ersten Ermittlungsmaßnahmen durch die Kommission beendet.9 Während der – wie in dem Fall des LKW-Kartells – oft fünf und mehr Jahre laufenden Ermittlungen ist die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährung gehemmt, § 199 Abs. 3 BGB, § 33 Abs. 5 GWB a.F.10 Die kenntnisabhängige Verjährung von drei11 Jahren beginnt regelmäßig erst mit Kenntnis bzw. pflichtwidriger Unkenntnis des erlassenen Bußgeldbescheides bzw. der Einsichtnahme in denselben, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.12 Hinzu tritt die Nachhemmung von weiteren sechs Monaten, § 204 Abs. 2 BGB.13 In dem Beispiel des LKW-Kartells hat dies zur Folge, dass aktuelle Schadensersatzklagen noch auf Schadensersatzansprüche gestützt werden können, die bereits 2001 entstanden sind.14

307, 308; Fritzsche/Klöppner/Schmidt, NZKart 2016, 412, 413; Ollerdißen, in: Kersting/ Podszun, 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 11 Rn. 19; Schuler/Stübinger, in: Stancke/Weidenbach/ Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2018, S. 346. 8 OLG Düsseldorf, Urt. v. 29. 01. 2014, Az. VI-U (Kart) 7/13, WuW 2015, 55 ff. unter Verweis auf BGH, Vorlagebeschl. v. 12. 10. 2006, Az. III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362, 367; Ollerdißen, in: Kersting/Podszun, 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 11 Rn. 19; i.E. auch: Schuler/ Stübinger, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2018, S. 347; differenzierend: Pohlmann, wrp 2015, 546, 547 f.; 551. 9 Pressemitteilung der Kommission vom 27. 09. 2017, abrufbar unter: http://europa.eu/ra pid/press-release_STATEMENT-17-3509_en.htm. 10 § 33 Abs. 5 GWB a.F. findet auch auf vor dem 1. Juli 2005 entstandene Kartellschadensersatzansprüche Anwendung: BGH, Urt. v. 12. 06. 2018, Az. KZR 56/16, NZKart 2018, 315, Rn. 65 ff. Hierbei stellt die h.M. auf die Einleitung der Ermittlungsmaßnahmen ab: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 79; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 35; Seifert, WuW 2017, 474, 479; a.A. stellt auf den förmlichen Verfahrenseinleitungsbeschluss ab: Topel, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 50 Rn. 172. 11 Ist die kenntnisabhängige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 9. GWBNovelle noch nicht abgelaufen, verlängert sich diese sogar von drei auf fünf Jahre, §§ 186 Abs. 3 S. 2, 33 h Abs. 1 GWB. 12 Str., ob bereits die Kenntnis der Pressemitteilung ausreicht oder die Einsichtnahme erforderlich ist – ausführlich hierzu: Seifert, WuW 2017, 474, 475 m.w.N. 13 Ist die kenntnisabhängige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 9. GWBNovelle noch nicht abgelaufen, verlängert sich diese sogar von sechs Monaten auf ein Jahr, §§ 186 Abs. 3 S. 2, 33 h Abs. 6 S. 2 GWB. 14 Zu den zusätzlichen Besonderheiten der Verjährung von Schadensersatzansprüchen, die vor der Schuldrechtsnovelle entstandenen sind und den daher teilweise zum 1. 01. 2002 neu angelaufenen Verjährungsfristen siehe Pohlmann, WuW 2013, 357, 358 f.

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle A. Bußgeldrechtliche Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle Der nachfolgende Teil der Arbeit untersucht, ob das Bundeskartellamt bei einem Verstoß gegen europäisches Wettbewerbsrecht in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit eine Sanktion gegen die Obergesellschaft verhängen kann. Zunächst wird das System der dezentralen Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts erläutert und knapp auf die ordnungswidrigkeitenrechtlichen Grundlagen eingegangen (I.). Dem schließt sich die Untersuchung an, inwiefern in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit auch unter Anwendung des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts (II.) bzw. des GWB (III.) eine Sanktion gegen die Obergesellschaft verhängt werden kann. Auf dieser Grundlage ist zu diskutieren, ob sich hieraus Verwerfungen mit den europäischen Vorgaben der Effektivität und der Äquivalenz ergeben (IV.). Unter V. werden die Ergebnisse dieses Untersuchungsteils zusammengefasst. I. Grundlagen der Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts 1. System der dezentralen Durchsetzung Die europäische Wettbewerbsvorschrift Art. 101 AEUV wird in ihrem Anwendungsbereich dezentral durchgesetzt. Mit Inkrafttreten der Kartellverfahrensordnung am 1. Mai 2004 wurde in Art. 5 VO Nr. 1/2003 die sachliche Zuständigkeit der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des Art. 101 AEUV niedergelegt und näher umschrieben.15 Art. 4 und Art. 5 VO Nr. 1/2003 sehen ein System der parallelen Zuständigkeiten der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden vor. Die Verantwortung der mitgliedstaatlichen Kartellbehörden für die Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts tritt neben die Verantwortung der Kommission. Nur sofern die Kommission ein Verfahren einleitet, entfällt nach Art. 11 Abs. 6 i.V.m. Art. 3 VO Nr. 1/2003 die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden. Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen16 fallen unter das Verbot des Art. 101 AEUV, wenn sie eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken und geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.17 Dies ist der Fall, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher 15

Dalheimer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 3/05, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 1. 16 Nachfolgend zusammenfassend nur als „Vereinbarungen“ bezeichnet. 17 van der Hout/Walzel, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 7.

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Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach, den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann.18 Ist diese von den Unionsgerichten weit19 ausgelegte Definition erfüllt, haben die nationalen Kartellbehörden und Gerichte gemäß Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 bzw. der inhaltsgleichen Bestimmung in § 22 Abs. 1 GWB die materiellen europäischen Wettbewerbsvorschriften des Art. 101 AEUV zusätzlich zu dem einzelstaatlichen Kartellrecht anzuwenden.20 Aufgrund der wirtschaftlichen Verknüpfungen in der Europäischen Union ist dies der Regelfall.21 In der Praxis des Bundeskartellamtes steht entsprechend der Vollzug der europäischen Wettbewerbsregeln im Vordergrund.22 2. Anwendung des Art. 101 AEUV nach nationalem Recht In Deutschland handelt nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB ordnungswidrig, wer schuldhaft gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt. Für Ordnungswidrigkeiten nach Bundesrecht gilt gemäß § 2 OWiG das deutsche Ordnungswidrigkeitengesetz – mit seinen besonderen Regeln und Traditionen sowie seiner verfassungsrechtlichen Verankerung.23 Folglich wendet die Kartellbehörde bei der Verhängung von Bußgeldern für einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV grundsätzlich die nationalen Regelungen des Allgemeinen Teils des OWiG sowie die Verfahrensregeln des OWiG und der StPO an.24 18

EuGH, Urt. v. 11. 12. 1980, Rs. 31/80, ECLI:EU:C:1980:289 – NV L’Oréal u. a., 3775, 3791 Rn. 18. 19 Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 1, 5. Aufl. 2012, Art. 101 Abs. 1 Rn. 196; Sura, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 9. Vgl. EuGH, Urt. v. 24. 09. 2009, Verb. Rs. C-125/07 P, C-133/07 P, C-135/07 P u. C-137/07 P, ECLI:EU:C:2009:576 – Erste Group Bank u. a., Rn. 36 ff. sowie Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags (ABl. EU 2004 Nr. C 101/07). Den Leitlinien der Kommission kommt in der Praxis erhebliche Bedeutung zu, jedoch haben sie keine Bindungswirkung für die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte, vgl. nur van der Hout/Walzel, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 8; Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/ Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 10. 20 Zwischen den Tatbeständen besteht Gesetzeskonkurrenz. § 81 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 1 GWB ist gegenüber § 81 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 101 AEUV subsidiär vgl. Dannecker/ Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 32; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 73; 90. 21 Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 1: Wegen des großen Anwendungsbereichs der Zwischenstaatlichkeitsklausel werden nahezu alle Fälle, die Kartellvereinbarungen von wirtschaftlicher Bedeutung betreffen, nach Unionsrecht entschieden. 22 Ost/Kallfaß/Roesen, NZKart 2016, 447, 450. 23 Achenbach, ZWeR 2009, 3, 9. 24 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 12; 23; Meyer-Lindemann, in: Loewenheim/Meessen/Rie-

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Art. 101 Abs. 1 AEUV richtet sich grundsätzlich nur an Unternehmen als Täter und stellt damit ein Sonderdelikt dar.25 Nach der Systematik des Ordnungswidrigkeitenrechts werden die wettbewerbswidrigen Handlungen jedoch von natürlichen Personen begangen.26 Nur natürliche Personen können einen eigenen Willen bilden, sind daher handlungs- und schuldfähig und kommen als Täter einer Ordnungswidrigkeit in Betracht.27 Den tatsächlich handelnden natürlichen Personen wird unter den Voraussetzungen des § 9 OWiG die „Unternehmenseigenschaft“, das für die Ahndung erforderliche persönliche Merkmal, zugerechnet. Nach § 9 OWiG können mithin die an dem Kartellverstoß beteiligten vertretungsberechtigten Organe bzw. Organmitglieder, Gesellschafter und gesetzlichen Vertreter (Abs. 1) sowie die zur Betriebsleitung und zur eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung beauftragten Personen (Abs. 2) einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht begehen. Diese Personengruppen sollen im Folgenden zusammenfassend als Leitungspersonen bezeichnet werden.28 § 30 OWiG bildet die zentrale Weichenstellung des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts für die Verhängung von Sanktionen gegen einen Verband. Werden durch die Ordnungswidrigkeit Pflichten eines Verbands verletzt oder wurde bzw. sollte dieser Verband bereichert werden, können die Zuwiderhandlung und das Verschulden der Leitungsperson29 diesem Verband zugerechnet30 werden. Im Gegensatz zu Art. 101 AEUV bzw. Art. 23 VO Nr. 1/2003 richtet sich § 30 Abs. 1 OWiG nicht an Unternehmen, sondern an juristische Personen und ihnen gleichsenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 81 GWB Rn. 170; Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 2; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 261. 25 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 88. 26 Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 31; Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, Vorbemerkungen Rn. 19; Bosch, ZHR 2013, 454, 462. 27 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25. 10. 1966, Az. 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, 323, 336 sowie die Nachweise in Fn. 26. Auch § 30 OWiG begründet keine Täterschaft des Verbands. Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 30. 28 Anders als nach der Unionspraxis, in welcher auch das Verhalten untergeordneter Mitarbeiter zurechnet wird, ist der relevante Personenkreis nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht auf Leitungspersonen beschränkt, vgl. Achenbach, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/ Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 11/14, § 81 GWB Rn. 254; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 28; 33. 29 Die Personenkreise in § 30 OWiG und § 9 OWiG sind nahezu komplementär, vgl. Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 9 Rn. 28. Im Hinblick auf Verletzungen des Wettbewerbsrechts lässt § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG lediglich nicht erkennen, ob die Leitung von Teilbereichen des Unternehmens, wie in § 9 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, für eine Anknüpfung genügt. 30 Nach der herrschenden Meinung im Schrifttum stellt § 30 OWiG eine Zurechnungsnorm dar und statuiert keine selbstständige Täterschaft des Verbands. Täter ist allein die natürliche Person. Ausführlich zu dieser Kontroverse mit zahlreichen Nachweisen Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 201 ff.; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 149 ff.

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gestellte Personenvereinigungen. Bei den aufgezählten Verbänden handelt es sich um einen abgeschlossenen Katalog.31 In der Aufzählung in § 30 Abs. 1 OWiG kommt zum Ausdruck, dass sich der Gesetzgeber im Ordnungswidrigkeitenrecht gegen eine echte Unternehmensgeldbuße und für das Rechtsträgerprinzip entschieden hat.32 Adressat einer Verbandsgeldbuße, die wegen eines Kartellverstoßes festgesetzt wird, ist somit nicht das Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV bzw. Art. 23 VO Nr. 1/ 2003, sondern dessen Rechtsträger. Aufgrund des Rechtsträgerprinzips kann § 30 OWiG auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Begriff der juristischen Person in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 5 OWiG insgesamt eine gewerblich tätige Einheit bzw. den Konzernverbund als Ganzes erfasst.33 Entsprechend entschied der BGH in einer Rechtsnachfolgekonstellation, dass eine Umdeutung des § 30 OWiG im Sinne einer Unternehmensgeldbuße nicht in Betracht käme.34 Dies würde einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich vorgegebene Wortlautgrenze und damit gegen das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellen.35 Anders als gemäß Art. 23 VO Nr. 1/2003 können nach dem maßgeblichen deutschen Recht damit nur Rechtsträger mit einem Bußgeld belegt werden. Anknüpfungspunkt für eine Geldbuße bildet immer die Ordnungswidrigkeit einer Leitungsperson dieses Rechtsträgers. Hieraus folgt, dass nur gegen den Verband, dessen Leitungsperson die Bezugstat begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt werden kann. Es fragt sich jedoch, inwieweit bei der Anwendung des Art. 101 AEUV auch die diesbezügliche Unionspraxis in das deutsche Recht einwirkt. Wie im vorstehenden Teil der Arbeit zum Unionsrecht herausgearbeitet, ist Normadressatin und Verstoßende im Sinne des Art. 101 AEUV das aus mehreren Rechtsträgern bestehende Unternehmen, die wirtschaftliche Einheit. 3. Einschränkungen durch den Umfang der parallelen Anwendung Einschränkungen für die Ahndung auf Grundlage des nationalen Rechts könnten sich unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 ergeben. Dieser ordnet an, dass die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln von den mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbe31

Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 30 Rn. 11; Meyer-Lindemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 81 GWB Rn. 33. 32 BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 15; Achenbach, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 11/14, § 81 GWB Rn. 101. 33 Vgl. hierzu Achenbach, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, § 81 GWB Rn. 47, zitiert nach Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 264 Fn. 1141. 34 BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 15. 35 Ausführlich: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 265 ff.

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hörden auf Verstöße mit zwischenmitgliedstaatlicher Bedeutung anzuwenden sind. Damit ist die Frage aufgeworfen, was genau von der „Anwendung“ umfasst ist. Die Pflicht könnte sich auf die Anwendung des Rechts auf Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen, mithin die materielle Prüfung, ob der entsprechende Sachverhalt den Tatbestand des Art. 101 AEUV erfüllt, beschränken oder aber darüber hinausgehen. Umfasst der Zwang zur Anwendung des Unionsrechts auch den Begriff des Unternehmens und gar das Konzept der wirtschaftlichen Einheit und seine Haftungsgrundsätze? Die Antwort auf diese Fragen liegt im Verständnis des europäischen Begriffs des Verfahrensrechts. Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 harmonisiert nicht das Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten.36 Die Mitgliedstaaten sind nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie bei der Ausgestaltung der Durchsetzung des Unionsrechts weitgehend37 frei.38 Der europäische Verfahrensbegriff ist erheblich weiter gefasst als das Begriffsverständnis nach deutscher Dogmatik. Verfahrensrecht meint nicht nur das „formelle Recht“ im Sinne des Prozess- und Organisationsrechts, sondern umfasst alle Vorschriften, mit denen europäische Vorgaben umgesetzt werden – unabhängig davon, ob es sich dabei nach nationalem Verständnis um „Verfahrensrecht“ oder „materielles Recht“ handelt.39 Entsprechend erfasst der Grundsatz der Verfahrensautonomie auch Normen, die sich aus deutscher Perspektive mit materiellrechtlichen Fragen befassen, wie beispielsweise §§ 9, 30 und 130 OWiG, welche die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit regeln.40 Hieraus folgt, dass der Zuwiderhandelnde und mithin der Adressat eines Bußgeldes auch bei einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nach nationalem Recht bestimmt wird.41 Die Vorgabe in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 bezieht sich nur auf die 36 Schneider, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 22 GWB Rn. 6; Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 22 GWB Rn. 6; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 76; de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 3; Puffer-Mariette, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 16. 37 Zu den Einschränkungen durch den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz siehe ausführlich unter Teil 3 § 2 A. IV. 2. 38 Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, Einleitung Rn. 83. 39 Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 09. 1983, Verb. Rs. 205/82 bis 215/82, ECLI:EU:C:1983:233 – Deutsche Milchkontor, 2633, 2665, Rn. 17; Schroeder, AöR 2004, 3, 22; Harnos, ZWeR 2016, 284, 291; Galetta, in: Schwarze, Der Rechtsschutz vor dem Gerichtshof der EU nach dem Vertrag von Lissabon, Beiheft Europarecht 1/2012, S. 37, 37. 40 Harnos, ZWeR 2016, 284, 291. 41 Im Ergebnis ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 261 sowie Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 158 ff. Letzterer argumentiert damit, dass kein zwingender Gleichlauf zwischen dem deutschen und dem europäischen Unternehmensbegriff bestünde. Dies ist für die vorstehende Frage jedoch insofern nicht entscheidend, da die Vorschriften des OWiG für die Ahndung des wettbewerbswidrigen Verhaltens dem Grunde nach maßgeblich sind.

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Beurteilung des potenziell wettbewerbswidrigen Verhaltens.42 Denn Ziel der Anwendung des materiellen europäischen Wettbewerbsrechts ist es, ein kohärentes Wettbewerbsrecht zu gewährleisten.43 Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sollen einheitlich beurteilt werden.44 Die Rechtsfolgen, die ein Verstoß auslöst, werden hingegen von den Mitgliedstaaten eigenständig festgelegt.45 Unterschiede, die sich aus der mangelnden Vereinheitlichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden grundsätzlich hingenommen.46 Die nationalen Wettbewerbsbehörden sind weder an die Rechtsprechung der europäischen Gerichte noch an die Verwaltungspraxis der Kommission gebunden.47 Entsprechend bestimmt sich die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit nach den §§ 9, 14, 30 und 130 OWiG.48 Unabhängig davon, ob es sich bei der Gesellschaft, deren Mitarbeiter den Verstoß begangen haben, um einen Teil einer wirtschaftlichen Einheit handelt, bleibt es im deutschen Recht dabei, dass nur die Gesellschaft bebußt werden kann, die Beteiligte i.S.d. § 14 OWiG ist.49 Für das Verfahren der gleichzeitigen Anwendung von GWB und Unionsrecht gilt grundsätzlich das deutsche Recht.50 Ihre Grenze findet diese Verfahrensautonomie in den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, mithin insbesondere in dem unionsrechtlichen Effektivitäts- sowie dem Äquivalenzgebot.51 Hiernach müssen die Mitgliedstaaten insbesondere ge-

42 Bardong, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 57; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 76; Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 2. 43 van der Hout/Walzel, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 1; Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 1. 44 Vgl. Erwägungsgrund 8 der Begründung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. EG 2003 Nr. L 1/1). 45 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 11; Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 32, S. 12, Rn. 14; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 76. 46 Puffer-Mariette, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 5 VO (EG) 1/2003 Rn. 20. 47 Bardong, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 81. 48 Künstner, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, Vor. 81 GWB Rn. 3. 49 Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 174; Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 2. 50 Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 22 Rn. 9; Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 22 GWB Rn. 6; Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 19. 51 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 230. Vgl. Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder,

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währleisten, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind und dass Verstöße gegen die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Wettbewerbsrecht.52 4. Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003 als Befugnisnorm Um nicht an das nationale Rechtsträgerprinzip gebunden zu sein, vertritt unter anderem Ost – der seinerzeit als Leiter der Abteilung Grundsatzfragen des Kartellrechts seine Position ausdrücklich als Rechtsverständnis des Bundeskartellamtes bezeichnete –, dass nationale Wettbewerbsbehörden auf Grundlage des Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003 Geldbußen gegen Unternehmen im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit verhängen könnten.53 Diese Vorschrift bestimmt, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden bei Verstößen gegen Art. 101 AEUVoder Art. 102 AEUV „Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen“ verhängen können. Gestützt wird diese Argumentation auf das Urteil Tele2 Polska54 des EuGH. Der Gerichtshof hatte darüber zu befinden, ob die polnische Wettbewerbsbehörde eine Entscheidung erlassen könne, mit der diese feststellt, dass keine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise i.S.d. Art. 102 AEUV vorliegt. Im Hinblick auf die Prüfung polnischer Wettbewerbsvorschriften ist im polnischen Recht eine entsprechende Entscheidungsbefugnis vorgesehen. Im Hinblick auf Art. 102 AEUV sieht das Unionsrecht jedoch nur eine entsprechende Befugnis der Kommission vor und bestimmt, dass die nationalen Behörden lediglich entscheiden können, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden, Art. 5 Abs. 2, Art. 10 VO Nr. 1/2003. Eine solche Befugnis ist jedoch wiederum im polnischen Recht nicht vorgesehen. Ost will diesem Urteil entnehmen, dass der Gerichtshof entschieden habe, die nationalen Behörden könnten unmittelbar auf Grundlage des Art. 5 VO Nr. 1/2003 eine Entscheidung erlassen, mit der diese feststellen, dass für sie kein Anlass zum Tätigwerden besteht. Bei konsequenter Weiterentwicklung ergäbe sich hieraus auch die Befugnis zur Verhängung von Geldbußen auf Grundlage des Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003.55 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Ausführungen des EuGH nicht so eindeutig sind, wie dies Ost scheinbar annimmt. In seiner abschließenden Antwort auf die FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 14; Bardong, in: Bornkamm/Montag/ Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 58. 52 Puffer-Mariette, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 5 VO (EG) 1/2003 Rn. 19. 53 Ost, in: Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 314 ff.; Mühlhoff, NZWiSt 2013, 321, 325; i.E. ebenso: Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 3. 54 EuGH, Urt. v. 3. 05. 2011, Rs. C-375/09, ECLI:EU:C:2011:270 – Tele2 Polska. 55 Ost, in: Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 315.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Vorlagefrage entschied der Gerichtshof lediglich, dass Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 als unmittelbar anwendbare Vorschrift der Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die über die nach Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 bestehenden Befugnisse hinausgeht.56 Damit bekräftigte der EuGH lediglich den allgemein anerkannten Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten. Anders als Ost es suggeriert, hat der EuGH gerade nicht die Ausführungen des Generalanwalts Mazák übernommen, wonach mit Art. 5 VO Nr. 1/2003 allen einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden die gleichen, in der Vorschrift enthaltenen Entscheidungsbefugnisse übertragen worden seien und es keiner Umsetzung in nationales Recht bedürfe.57 Jedenfalls lässt sich dem Urteil des EuGH nicht entnehmen, dass auf Art. 5 VO Nr. 1/2003 insgesamt und Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003 im Speziellen ohne Weiteres Eingriffe und belastende Maßnahmen der nationalen Wettbewerbsbehörden gestützt werden können.58 Die Entscheidung des EuGH betrifft gerade nicht die Befugnis, Sanktionen zu verhängen. Auch eine konsequente Weiterentwicklung, wie von Ost vorgeschlagen, ist abzulehnen. Es erscheint grundsätzlich problematisch, eine Verpflichtungsnorm in eine Befugnisnorm auf dem Gebiet des Strafrechts im weiteren Sinne umzudeuten.59 Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003 stellt nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum im Verhältnis zum Bürger keine Rechtsgrundlage dar, um unionsrechtliche Geldbußen zu verhängen.60 Hierfür sprechen sowohl Wortlaut und Systematik als auch die Entstehungsgeschichte der 56

EuGH, Urt. v. 3. 05. 2011, Rs. C-375/09, ECLI:EU:C:2011:270 – Tele2 Polska, Rn. 35; ebenso die Deutung in: BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 30; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. 12. 2012, Az. 1 Kart 7/12 (OWi), NZKart 2013, 166, 169. 57 GA Mazák, Schlussanträge zur Rs. C-375/09 (Tele2 Polska) v. 7. 12. 2010, ECLI:EU:C:2010:743, Rn. 57. Vgl. EuGH, Urt. v. 3. 05. 2011, Rs. C-375/09, ECLI:EU:C:2011:270 – Tele2 Polska, passim. 58 Vgl. BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 30. 59 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 19. 60 BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, 2200, Rn. 22 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. 12. 2012, Az. 1 Kart 7/12 (OWi), NZKart 2013, 166, 167 f.; Dannecker/ Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 22; Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/ 07, Art. 5 VO 1/2003, der grundsätzlich Art. 5 VO (EG) 1/2003 als unmittelbar geltende Ermächtigungsgrundlage erachtet (vgl. Rn. 2 ff.), nimmt hiervon ausdrücklich die Befugnis Geldbußen zu verhängen aus, Rn. 14; Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 2, 5. Aufl. 2012, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 1 mit Fn. 1; Rn. 3; Bürger, WuW 2011, 130, 134; Dalheimer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 3/05, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 17; Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 127; Schnelle, WuW 2015, 332, 337; Sura, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 9 f.; de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 7; Bechtold, in: FS Schwarze, 2014, S. 518, 527; a.A. van der Hout, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 5 VO 1/ 2003 Rn. 4; 8; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 9 f.; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 111 ff.

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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VO Nr. 1/2003. So hat die Kommission in der Begründung ihres Vorschlags für die spätere VO Nr. 1/2003 ausdrücklich festgehalten, dass die Verordnung keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Sanktionen vorsieht.61 Ein Vorschlag62 des Parlaments Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich dahin abzuändern, dass die nationalen Kartellbehörden die Sanktionsvorschriften der VO Nr. 1/2003 und damit auch die Befugnisse der Kommission zur Verhängung von Geldbußen, Art. 23 VO Nr. 1/2003, unmittelbar selbst hätten anwenden können, ist abgelehnt worden.63 Auch ein Vergleich der Zuständigkeitsbestimmungen der Kommission mit denen der nationalen Wettbewerbsbehörden zeigt, dass Art. 5 VO Nr. 1/2003 lediglich Entscheidungsbefugnisse und Aufgaben auf die Mitgliedstaaten überträgt und keine eigenständige Rechtsgrundlage zur Verhängung von Sanktionen gegenüber dem einzelnen Bürger enthält.64 Art. 4 VO Nr. 1/2003 bestimmt ausdrücklich, dass die Kommission über die in der VO Nr. 1/2003 vorgesehenen Befugnisse verfügt. Demgegenüber sieht Art. 5 VO Nr. 1/2003 lediglich vor, dass die Wettbewerbsbehörden zuständig sind und die einzeln aufgezählten Entscheidungen erlassen können. Diese differenzierten Formulierungen in Verbindung mit der Feststellung, dass die Wettbewerbsbehörden neben den Geldbußen sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängen können, macht deutlich, dass sich die Entscheidungsbefugnisse – jedenfalls sofern solche bestehen – ausschließlich nach nationalem Recht richten.65 Demnach erklärt Art. 5 VO Nr. 1/2003 auch nicht die Sanktionsbefugnisse nach Art. 23 VO Nr. 1/2003 in den Mitgliedstaaten für anwendbar, sondern macht deren jeweiliges Bußgeldrecht den Zwecken des europäischen Wettbewerbsrechts dienstbar.66 Art. 5 Abs. 1 S. 2, 4. Spiegelstrich VO Nr. 1/2003 schafft den rechtlichen Rahmen für die Ausgestaltung des nationalen Rechts durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber, soweit es um die Anwendung der europäischen Wettbewerbsvorschriften geht. Die Voraussetzungen für den Erlass der benannten Sanktionen regeln die Mitgliedstaaten.67

61 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 („Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag“), KOM (2000) 582 endg. – unter Art. 5. 62 Dok. Nr. A5 – 0229/2001, ABl. EG 2002 Nr. C 72 E/305, S. 306. 63 Vgl. hierzu ausführlicher: OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. 12. 2012, Az. 1 Kart 7/12 (OWi), NZKart 2013, 166, 169; BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 29. 64 BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 28; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 112. 65 OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. 12. 2012, Az. 1 Kart 7/12 (OWi), NZKart 2013, 166, 167 f. 66 Achenbach, ZWeR 2009, 3, 9; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 112. 67 BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, 2201, Rn. 33.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

II. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit der Obergesellschaft Das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht knüpft an die Handlungen einer Leitungsperson an, um eine Geldbuße gegen den Verband zu verhängen. In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit begeht allein das Organ bzw. der Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft die wettbewerbswidrigen Handlungen. Gegen die Obergesellschaft kann auf dieser Grundlage demnach keine Geldbuße verhängt werden. Es ist zu untersuchen, ob anhand der tatsächlichen Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit die Anknüpfungstat einer Leitungsperson der Obergesellschaft begründet werden kann. In Betracht kommt eine Teilnahme durch Unterlassen. § 14 OWiG erweitert den Kreis der Beteiligten68 und statuiert das im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Einheitstäterprinzip.69 Täter und Teilnehmer gelten demnach gleichermaßen als Beteiligte.70 Voraussetzung für eine Ahndung ist jedoch, dass der Beteiligte im Sinne des § 14 OWiG vorsätzlich gehandelt hat.71 Fahrlässige Beteiligung ist nicht erfasst. Wird die wirtschaftliche Einheit allgemein mit der Kapitalbeteiligung oder allgemeiner strategischer Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft begründet, mangelt es den Leitungspersonen der Obergesellschaft jedoch am Vorsatz im Hinblick auf einen durch Mitarbeiter der Tochtergesellschaft begangenen Wettbewerbsverstoß. Kenntnis oder Billigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens seitens der Organe der Obergesellschaft ist nach der Unionspraxis gerade nicht erforderlich. Entsprechend sind die Voraussetzungen für die Ahndung einer Teilnahme durch Unterlassen regelmäßig nicht erfüllt. Anknüpfungspunkt für eine Ordnungswidrigkeit einer Leitungsperson der Obergesellschaft bildet daher allein die Möglichkeit der Einwirkung auf die Tochtergesellschaft und die dadurch begründete rechtliche Verantwortlichkeit. Eine derartige Zurechnung fremden Verhaltens ist möglich über das Institut der mittel68 Soll eine Geldbuße gegen den Verband festgesetzt werden, ist die Beschränkung auf Leitungspersonen nach § 30 OWiG zu beachten. § 14 Abs. 1 S. 2 OWiG erweitert jedoch den Kreis der Personen, gegen die persönlich eine Geldbuße verhängt werden kann. 69 Der Anwendung von § 14 OWiG im Hinblick auf eine vorsätzliche Anstiftung bzw. vorsätzliche Beihilfe zu einer Haupttat in grenzüberschreitenden Sachverhalten dürfte Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 1/2003 nicht entgegenstehen, da die Unionsorgane den Begriff der Beteiligung sehr weit auslegen, sodass entsprechende Unterstützungshandlungen bereits eigenständige Tathandlungen darstellen, vgl. die Nachweise in Teil 2 Fn. 223. Zweifelnd: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 182, der jedoch eine entgegenstehende Praxis des EuG und der Kommission einräumt. Für die vorliegende Arbeit muss diese Frage im Ergebnis nicht entschieden werden, da für die Anwendung des § 14 OWiG die Kenntnis der Obergesellschaft von dem konkreten Verstoß erforderlich wäre. Dies scheidet in den hier untersuchten, allein auf der allgemeinen Weisungsgebundenheit basierenden, Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit aus. 70 Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 14 Rn. 1. 71 BGH, Urt. v. 6. 04. 1983, Az. 2 StR 547/82, BGHSt 31, 309, 311 ff.; statt aller: Rengier, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 14 Rn. 5 ff.

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baren Täterschaft (hierzu 1.), kraft einer Inanspruchnahme als Überwachergarant für das Tochterunternehmen nach den Regeln des unechten Unterlassungsdelikts, § 8 OWiG (nachfolgend 2.) oder auf Grundlage einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG (3.). Über diese klassischen Varianten hinaus wird in der Literatur diskutiert, ob eine Verantwortung der Obergesellschaft begründet werden könnte, indem diese als Organ der Tochtergesellschaft eingeordnet (4.) oder indem die gesamte wirtschaftliche Einheit als Personengesellschaft qualifiziert wird (5.). 1. Mittelbare Täterschaft Insbesondere in der Rechtsprechung wurde wiederholt eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft in unternehmerischen und geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen in Betracht gezogen.72 In der Literatur ist lebhaft umstritten, inwiefern sich über diese Konstruktion die Probleme der Verantwortlichkeit aus dem Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen lösen lassen.73 Für die Konstellation der wirtschaftlichen Einheit ist diese Diskussion jedoch von untergeordneter Relevanz, da bereits die engen Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft in der Sonderform74 des „Täters hinter dem Täter“ nicht erfüllt sind. „Täter hinter dem Täter“ ist, wer eine tatherrschaftliche Beeinflussungsmöglichkeit auf den unmittelbaren Täter innehat.75 Dies setzt eine die konkrete Tat steuernde, im eigenen Täterinteresse vorgenommene Beteiligung voraus. Das bloße Bestehen oder Ausnutzen unternehmerischer oder geschäftsähnlicher Organisationsstrukturen und Befehlshierarchien reicht nicht aus.76 Neben dem eigenen Tatbeitrag muss der mittelbare Täter den Tatmittler bzw. den unmittelbaren Täter bewusst einsetzen.77 In den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit haben die Leitungspersonen der Obergesellschaft weder aktiv an dem Kartellverstoß teilgenommen noch haben sie vorsätzlich gehandelt. Sie hatten keine Kenntnis von dem wettbewerbswidrigen Verhalten der Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft und haben die konkrete Tat auch nicht gesteuert. Entsprechend scheidet eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft aus.

72 BGH, Urt. v. 11. 12. 1997, Az. 4 StR 323/97, NJW 1998, 767, 769; BGH, Beschl. v. 26. 08. 2003, Az. 5 StR 145/03, NJW 2004, 375, 378. 73 Vgl. nur: Joecks, in: Joecks/Miebach, MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 25 Rn. 135 ff. 74 Alle im Strafrecht entwickelten Fallgruppen finden auch im Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung: Rengier, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 14 Rn. 89. Die Tatherrschaft kraft „organisatorischer Machtapparate“ ist in Rechtsprechung und Literatur weitgehend anerkannt, vgl. nur: Joecks, in: Joecks/Miebach, MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 25 Rn. 135 ff. 75 Vgl. Kühl, in: Heger/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 25 Rn. 2. 76 Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 14 Rn. 10. 77 Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 14 Rn. 11.

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2. Fahrlässige Nebentäterschaft durch Unterlassen In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit handeln die Mitarbeiter der Tochtergesellschaft bereits vollverantwortlich und – anders als die Obergesellschaft – meist vorsätzlich, ohne dass gegen dieses Verhalten eingeschritten wird. Unter diesen Voraussetzungen kommt grundsätzlich eine Täterschaft der Leitungspersonen der Obergesellschaft in Form der fahrlässigen Nebentäterschaft durch Unterlassen in Betracht.78 Ordnungswidrig handelt nach § 8 OWiG, wer es unterlässt einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand einer Bußgeldvorschrift gehört und der rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt.79 Unechte Unterlassungsdelikte setzen voraus, dass ein besonderer Rechtsgrund festgestellt wird, um jemanden ausnahmsweise dafür verantwortlich zu machen, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter aktiv tätig zu werden. Der Täter muss rechtlich verpflichtet sein, den Erfolg abzuwenden, also eine Garantenstellung innehaben.80 Die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügt nicht.81 a) Garantenstellung Damit ist entscheidend, ob der Geschäftsleitung der Konzernobergesellschaft eine Garantenstellung im Hinblick auf Kartellverstöße zukommt, die durch die Mitarbeiter der Tochtergesellschaft begangen werden. Wer Garant ist, wird grundsätzlich durch Auslegung ermittelt.82 Nach der neueren Lehre wird hierbei nach materiellen Kriterien unterschieden. Alle Garantenpositionen werden auf zwei Grundtypen zurückgeführt – den Beschützer- und den Überwachergaranten. Der Beschützergarant trägt Schutzpflichten für ein bestimmtes

78 Fahrlässige Nebentäterschaft ist nach in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretener Ansicht auch möglich, wenn bereits der andere Täter vorsätzlich und vollverantwortlich handelt. Vgl. hierzu ausführlicher: Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, Vorb. zu §§ 13 ff. Rn. 101j; Rengier, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 14 Rn. 108 f. Zweifel an der fahrlässigen Nebentäterschaft durch Unterlassen, da bereits § 130 OWiG weitgehende Aufsichtspflichten statuiert bei: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 24. 79 Die zusätzliche Einschränkung, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun zu entsprechen habe, hat nur bei verhaltensgebundenen Delikten eine eigenständige Bedeutung und ist daher im Hinblick auf die hier untersuchte Ahndung von Verstößen gegen Vorschriften des Wettbewerbsrechts ohne Relevanz. 80 Vgl. nur BGH, Urt. v. 25. 07. 2000, Az. 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013, 3014; BGH, Urt. v. 10. 07. 2012, Az. VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439, 3441, Rn. 18. 81 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 21. 11. 2002, Az. 2 BvR 2202/01, NJW 2003, 1030, 1030; BGH, Urt. v. 24. 02. 1982, Az. 3 StR 34/82, NJW 1982, 1235, 1235; BGH, Urt. v. 10. 07. 2012, Az. VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439, 3441, Rn. 18. 82 Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 9.

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Rechtsgut und garantiert dessen Unversehrtheit.83 Der Überwachergarant trägt die Verantwortung dafür, dass fremde Rechtsgüter nicht durch Gefahrenquellen, die seinem Zuständigkeitsbereich unterliegen, beeinträchtigt werden.84 In diesem Rahmen wird bei Bedarf jedoch auch weiterhin an die herkömmlichen formalen Kriterien wie etwa vertragliche oder faktische Übernahme, Gesetz oder Ingerenz angeknüpft. Inwiefern sich auf Grundlage des Garantenkonzepts Handlungspflichten der Obergesellschaft im Hinblick auf das Verhalten in der Tochtergesellschaft begründen lassen, ist noch wenig erforscht. Um die möglichen materiellen Grundlagen einer solchen Handlungspflicht zu ergründen, soll daher zunächst das wesentlich stärker ausgeprägte Meinungsbild in einer Einzelgesellschaft untersucht werden. aa) Einzelunternehmen Ob und gegebenenfalls aus welchem Grund dem Betriebsinhaber oder -leiter im Einzelunternehmen eine Stellung als Überwachergarant bezüglich aller durch den Betrieb seines Unternehmens geschaffenen Gefahren zukommt – die sogenannte „Geschäftsherrenhaftung“ –, ist Gegenstand einer lebhaften Debatte. In der Rechtsprechung lassen sich Tendenzen sowohl für als auch gegen die Anerkennung einer Garantenstellung ausmachen.85 Der vierte und der fünfte Strafsenat des BGH erkannten in zwei vielbeachteten Entscheidungen die Garantenstellung der Geschäftsleitung nach den Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung dem Grunde nach an.86 Der sechste Zivilsenat entschied hingegen, dass die aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung abgeleitete Legalitätspflicht nur gegenüber der eigenen Anstellungskörperschaft bestünde und daher keine Garantenstellung zugunsten Dritter begründen könne.87 Auf eine Garantenstellung nach den Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung ging der Senat nicht ein, obwohl dies aus unternehmensbezogener Perspektive in Betracht gekommen wäre.88 Entsprechend wird dem Urteil entnommen, dass die Garantenfunktion von Geschäftsleitern gegenüber Dritten gänzlich infrage gestellt worden sei.89 83

Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 9. Rengier, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 8 Rn. 22. 85 Ausführlich: Utz, Geschäftsherrenhaftung, 2016, S. 85 ff. 86 BGH, Urt. v. 20. 10. 2011, Az. 4 StR 71/11, NJW 2012, 1237, 1238, Rn. 13. Hinsichtlich des BGH, Urt. v. 17. 07. 2009, Az. 5 StR 394/08, NJW 2009, 3173, 3175, Rn. 2 entnimmt dies die h.M. einem obiter dictum: Dannecker, NZWiSt 2012, 441, 443; Behling, BB 2010, 892, 892; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 991; Kühl, Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, S. 721 Rn. 118b; Schlösser, NZWiSt 2012, 281, 286; Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 83; Utz, Geschäftsherrenhaftung, 2016, S. 98; a.A. Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 28; Spring, GA 2010, 222, 224 ff. 87 BGH, Urt. v. 10. 07. 2012, Az. VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439, 3441, Rn. 22 f. 88 Vgl. hierzu die Kritik bei: Dannecker, NZWiSt 2012, 441, 442 f.; 445; 450. 89 Nietsch, CCZ 2013, 192, 192; Dannecker, NZWiSt 2012, 441, 450; Utz, Geschäftsherrenhaftung, 2016, S. 102. 84

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

In der Literatur deutet sich ein Überwiegen der Befürworter der „Geschäftsherrenhaftung“ an.90 Nichtsdestotrotz sind noch zahlreiche Einzelfragen ungeklärt. Unter den Befürwortern lassen sich verschiedene Ansätze ausmachen, mit denen eine Handlungspflicht des Geschäftsherrn und damit eine Garantenstellung begründet werden. So wird die Gleichstellung des unechten Unterlassens mit dem aktiven Tun teilweise auf die institutionelle Stellung des Geschäftsherrn gestützt.91 Das betriebliche Autoritätsverhältnis würde die Eigenverantwortlichkeit des handelnden Mitarbeiters aufheben.92 Andere sehen den materiellen Haftungsgrund der Garantenverantwortung darin, dass dem Geschäftsherrn eine Gesamtverantwortlichkeit für die Gefahrenquelle „Betrieb“ zukomme.93 Die tatbestandsmäßigen Erfolge der Straftaten werden als Verwirklichung der im Betrieb angelegten Risiken begriffen. Hierbei wird nicht zwischen Gefahren unterschieden, die von Sachen ausgehen und solchen, die von einzelnen Mitarbeitern verursacht werden. Entscheidend soll die Herrschaft über den Betrieb als einheitliche Gefahrenquelle und nicht über die einzelne Person sein.94 Andere stellen ebenfalls die Herrschaft über die Gefahrenquelle „Betrieb“ in den Mittelpunkt ihrer Argumentation, orientieren sich jedoch einschränkend an dem Gedanken der Ingerenz und begründen die Garantenstellung mit der Gefahrschaffung im Einzelfall.95 bb) Unternehmensverbund Inwiefern sich Handlungspflichten der Obergesellschaft im Hinblick auf das Verhalten der Tochtergesellschaft begründen lassen, ist, soweit ersichtlich, in der Rechtsprechung noch nicht thematisiert worden. In der Literatur diskutieren die Befürworter einer Garantenstellung verschiedene Ansätze, die im Kern auf der Grundlage beruhen, dass derjenige, der Herrschaftsmacht ausübt bzw. ausüben kann, die Verantwortung für das schädigende Ereignis trägt. Einige Autoren wollen für die Entstehung einer Garantenstellung die Möglichkeit der Einflussnahme der Obergesellschaft auf die Tochtergesellschaft genügen las-

90 Befürwortend: Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 349 ff.; 365; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 116 ff.; 187; Dannecker, NZWiSt 2012, 441, 443; Rengier, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 8 Rn. 47; ablehnend: Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 39; differenzierend: Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 146 f. 91 Schünemann, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann, LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 14 Rn. 67 f.; Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 101 ff. 92 Schünemann, wistra 1982, 41, 45; Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 102. 93 Dannecker, NZWiSt 2012, 441, 444; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 989 f.; Ransiek, AG 2010, 147, 150; Utz, Geschäftsherrenhaftung, 2016, S. 139; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 13 Rn. 70. 94 Dannecker, NZWiSt 2012, 441, 444. 95 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 361. Allein auf den Gedanken der Ingerenz abstellend: Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 39 ff.

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sen.96 Überwiegend fordern die Befürworter jedoch, dass die Leitungsmacht tatsächlich ausgeübt wird.97 Nicht immer lässt sich dabei den Stellungnahmen entnehmen, in welchem Ausmaß von der Leitungsmacht tatsächlich Gebrauch gemacht worden sein muss, um Überwachungspflichten entstehen zu lassen.98 Einige Autoren setzen voraus, dass es sich um eine direkte Einflussnahme auf die operativen, kartellbetroffenen Geschäftstätigkeiten handeln müsse.99 Andere wollen zur Voraussetzung machen, dass die Entscheidung des herrschenden Unternehmens von der Tochter eingeholt worden ist oder relevante Informationen bei der Mutter vorlagen, die Handlungsbedarf erkennen ließen.100 Auf welche materielle Grundlage die Handlungspflichten gestützt werden sollen, geht aus den Stellungnahmen der Befürworter nur selten deutlich hervor. Teilweise wird allgemein damit argumentiert, dass die Ausrichtung der weisungsgebundenen Tochtergesellschaft auf die Interessen der Obergesellschaft die Pflichten auf die Ebene der Obergesellschaft hebe.101 Mitunter deutet sich eine Orientierung an der institutionellen Stellung der Obergesellschaft und ihrem Autoritätsverhältnis an. Die Pflichten werden aus der Dominanz der Obergesellschaft abgeleitet, insbesondere wenn die Tochtergesellschaft wie eine eigene Betriebsabteilung geleitet wird.102 Andere machen die Herrschaft über die Organisation und die Gefahrenquelle „Konzern“ zur Grundlage ihrer Argumentation.103 b) Stellungnahme Wie im Folgenden dargestellt wird, vermag jedoch weder die Begründung anhand der Autoritätsstellung noch der Begründungsansatz des „Betriebs“ als Gefahrenherd104 im Unternehmensverbund zu überzeugen.

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Karst, WuW 2012, 150, 151 f.; so wohl auch: Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1852, der in Ausnahmefällen eine Garantenstellung bei einer 100 %-Beteiligung in Betracht ziehen will; Tiedemann, NJW 1986, 1842, 1845; Kaufmann, Pflichtverletzungen im Unternehmen, 2003, S. 30. 97 Eidam, Straftäter Unternehmen, 1997, S. 19; Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 2012, S. 62 ff.; Grieger, Corporate Crime und Compliance, 2010, S. 93 f.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 84 ff.; Mansdörfer/Timmerbeil, WM 2004, 362, 368 f.; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 158. 98 Thiele, wrp 2006, 999, 1001, in Ausnahmefällen, wenn die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft von der Obergesellschaft „faktisch bestimmt“; ebenso: Deselaers, WuW 2006, 118, 123. 99 Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 506 ff. 100 Ransiek, ZGR 1999, 613, 628 ff. 101 Dreher, ZWeR 2004, 75, 103; Ransiek, ZGR 1999, 613, 629. 102 Eidam, Straftäter Unternehmen, 1997, S. 19. 103 Ransiek, ZGR 1999, 613, 615 f., 628 f. 104 Bzw. des Gefahrenherds „Unternehmen“ auf Konzernebene.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

aa) Garantenstellung aufgrund des betrieblichen Autoritätsverhältnisses Gegen eine allgemeine Garantenstellung des Geschäftsherrn aufgrund seiner Autoritätsstellung und der hieraus erwachsenden Herrschaftsmacht spricht ein Vergleich mit den Übrigen in der strafrechtlichen Literatur anerkannten Garantenstellungen aufgrund von Herrschaftsmacht.105 Eine Garantenhandlungspflicht ist etwa bei Eltern und Lehrern zu Kindern, von JVA-Bediensteten zu Strafgefangenen und von Mitarbeitern einer geschlossenen psychiatrischen Klinik zu deren Patienten oder in militärischen und behördlichen Unterordnungsverhältnissen anerkannt.106 Bereits im Einzelunternehmen ist zu bezweifeln, dass das heutige Rollenverständnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit den vorgenannten Personengruppen vergleichbar ist.107 Ein innerbetriebliches Weisungsrecht kann mit dem Autonomiegefälle zwischen Kindern, Strafgefangenen oder Patienten und ihren Garanten nicht gleichgestellt werden.108 Auch wenn ein arbeitsvertragliches Weisungsrecht besteht, führt dies nicht zu einer Gehorsamspflicht des Arbeitnehmers.109 Die Argumentation der Befürworter verliert umso mehr an Gewicht, je dezentraler und weniger hierarchisch die Aufgabenwahrnehmung organisiert ist und je mehr von den Leitungsorganen auf Mitverantwortung, Vertrauen und Kooperation der Angestellten gesetzt wird.110 Soll dieser Ansatz auf den Unternehmensverbund übertragen werden, verstärken sich diese Zweifel erheblich.111 Die Garantenstellung aufgrund der Autoritätsstellung wird mit dem privilegierenden Wissen des Geschäftsherren, seiner Direktionsgewalt und der korrespondierenden Gehorsamspflicht des Abhängigen begründet.112 Anders als innerhalb eines einzelnen Unternehmensträgers unterliegen die einzelnen Mitarbeiter in der Tochtergesellschaft jedoch nicht den Weisungen der Obergesellschaft. Sofern Weisungsrechte bestehen, müssen diese an die Leitungsorgane der Tochtergesellschaft gerichtet werden.113 Aufgrund der grundsätzlichen Eigenständigkeit der Leitungsorgane der Tochtergesellschaft sowie ihrer Pflichtenund Gesetzesbindung als Organe ist zu erwarten, dass diese entsprechende Weisungen prüfen und – anders als dies gegebenenfalls noch bei einem einfachen Arbeitnehmer angenommen werden könnte – rechtswidrigen und damit unverbindli105 Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 32 f.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 358 f.; Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 506 ff. 106 Vgl. Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 13 Rn. 52. 107 Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 33. 108 Ebenso: Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 162; Koch, ZHR 2007, 554, 576; Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 68. 109 So aber: Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 102. 110 Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 33, der entsprechend eine Geschäftsherrenhaftung insgesamt ablehnt. 111 Ebenso: v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 141. 112 Vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität, 1979, S. 102, der diese Ansicht begründet hat; Schünemann, wistra 1982, 41, 45. 113 Vgl. §§ 308, 323 AktG, § 37 GmbHG; ebenso: Koch, ZHR 2007, 554, 577.

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chen114 Weisungen nicht nachkommen.115 Auch das Argument des überlegenen Wissens verliert im Unternehmensverbund an Überzeugungskraft. Die Tochtergesellschaft hat die Informationshoheit über ihre Unternehmensabläufe. Die Obergesellschaft kann zwar von ihren Informationsrechten Gebrauch machen, von einem privilegierenden Wissen kann jedoch keinesfalls die Rede sein. bb) Garantenstellung des Geschäftsherrn für die Gefahrenquelle „Betrieb“ Die Haftung für Gefahrenquellen wurde grundsätzlich – ohne Bezug auf Unternehmenssachverhalte – für Sachgefahren entwickelt und wird auch überwiegend primär auf diese bezogen.116 Wird die Garantenstellung des Geschäftsherrn auf Grundlage der Gefahrenquelle „Betrieb“ begründet, werden jedoch Sach- und Personalgefahren gleichgestellt. Anders als bei Sachgefahren, bei denen allein der Geschäftsherr die Möglichkeiten besitzt, den Erfolg zu verhindern, handelt es sich bei menschlichem Handeln in der Regel um willensgetragenes Verhalten.117 Der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges hängt nicht vom Zufall, sondern von einem Willensakt der handelnden Person ab. Die Einbeziehung von Personalgefahren lässt sich daher nur rechtfertigen, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter in einem Betrieb bestimmungsgemäß mit Gefahrstoffen hantiert. Reine Personalgefahren, mithin Gefahren, die allein durch das Verhalten von Betriebsmitarbeitern hervorgerufen werden, ohne dass dabei sachliche Betriebsmittel eine Rolle spielen, müssen ausgenommen werden.118 Andernfalls entfernt sich die Haftung zu weit von ihrer materiellen Rechtfertigung – der Gefahrenquelle „Betrieb“. Es reicht aus, wenn das Recht auf die handelnden Personen einwirkt. Die Heranziehung des Geschäftsherrn zum Schutz des gefährdeten Rechtsgutes ist nicht erforderlich.119 Da sich bei Verstößen gegen Vorschriften des Wettbewerbsrechts reine Personalgefahren realisieren, scheidet eine Garantenstellung nach diesem Begründungsansatz aus.

114 Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 308 AktG Rn. 52a; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 323 AktG Rn. 6; Stephan/Tieves, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 37 Rn. 118 f.; Ransiek, ZGR 1999, 613, 629. 115 Koch, ZHR 2007, 554, 577; Spindler, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 15 Rn. 126. 116 Vgl. Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 191; Koch, AG 2009, 564, 573. 117 Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 34 f. 118 Spring, Strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, 2009, S. 160; Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 35; so auch die Deutung von: Roxin, in: FS Beulke, 2015, S. 239, 250; Bedenken auch bei: Koch, AG 2009, 564, 573. 119 Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 35; Spring, Strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, 2009, S. 167.

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cc) Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit Entscheidend gegen die allgemeine Begründung einer Garantenstellung sowohl aufgrund einer Autoritätsstellung als auch aufgrund der Inhaberschaft der Gefahrenquelle „Unternehmen“ spricht im Unternehmensverbund jedoch der Gedanke des im Sanktionsrecht zentralen Prinzips der Eigenverantwortlichkeit.120 Im Allgemeinen ist niemand für das Verhalten frei und eigenverantwortlich handelnder Dritter verantwortlich. Jeder haftet grundsätzlich allein für sein eigenes Verhalten.121 Diese Verantwortungsverteilung kann nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden. Im Unternehmensverbund steht mit der Tochtergesellschaft ein weiterer Rechtsträger zwischen der handelnden Person und der Obergesellschaft, sodass dieser Konflikt noch deutlicher hervortritt. Der Wettbewerbsverstoß liegt in erster Linie im Verantwortungsbereich des handelnden Mitarbeiters. Selbst wenn eine Durchbrechung im Einzelunternehmen befürwortet wird, kommt zunächst eine Verantwortung der Tochtergesellschaft in Betracht. Diese Tochtergesellschaft hat jedoch als eigenständiger Rechtsträger ein geschlossenes System an Verantwortlichkeiten und kann unmittelbar Einfluss auf die Geschehensabläufe nehmen. Der Wettbewerbsverstoß liegt damit nicht in der Verantwortungssphäre der Obergesellschaft. Letztere hat im Verhältnis zu der Tochtergesellschaft geringere Einflussmöglichkeiten auf den Gefahrenherd „Unternehmen“. Ihr kommt, wie vorstehend näher begründet, keine besondere Autoritätsstellung über die Personalgefahr zu. dd) Garantenstellung bei Gefahrschaffung Hieraus folgt nicht, dass eine Sanktion der Obergesellschaft grundsätzlich ausscheidet. Jedoch ist der Ausnahmecharakter der Verantwortlichkeit für Handlungen Dritter zu wahren. Es muss ein besonderer Rechtsgrund zum Tätigwerden bestehen, der die Verantwortung der Obergesellschaft im Unternehmensverbund begründet und die rechtliche Einstandspflicht des Unterlassenden rechtfertigt. Im Hinblick auf die Obergesellschaft kann eine Überwachungsgarantenstellung im Unternehmensverbund daher nur bei einer Gefahrschaffung im Einzelfall angenommen werden.122 Die Verantwortung des Geschäftsherrn für einen von einem Dritten eigenverantwortlich herbeigeführten Erfolg ist in einem solchen Einzelfall darin zu sehen, dass der Geschäftsherr eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, deren Realisierung er hätte vorbeugen müssen.123 Erst der Nachweis einer Gefahrerhöhung erlaubt es, 120 Kritisch auch: Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, Vorb. zu §§ 25 ff. Rn. 104. 121 Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 2002, S. 145; 163; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 135; Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 116; Spring, Strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, 2009, S. 145; 209. 122 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 361; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 193; in diesem Sinne: Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29, 30. Im Ergebnis ebenso: Beulke, in: FS Geppert, 2011, S. 23, 39, der eine entsprechende Haftung auf eine Garantenstellung aus Ingerenz – und damit ein pflichtwidriges Vorverhalten – stützt. 123 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 361.

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eine Garantenstellung anzunehmen. Nur dann kann eine Garantenstellung der Obergesellschaft im Unternehmensverbund gerechtfertigt werden. Er bildet die normative Brücke, die aus der Möglichkeit einen Erfolg verhindern zu können eine Pflicht werden lässt, den Erfolg verhindern zu müssen.124 ee) Schlussfolgerung Übertragen auf die tatsächliche Konstellation der wirtschaftlichen Einheit kann eine Garantenstellung der Obergesellschaft dementsprechend nicht allein mit einer hundertprozentigen Kapitalbeteiligung begründet werden.125 Die Beteiligung ändert nichts an dem Faktum, dass die Untergesellschaft ein rechtlich selbstständiger Rechtsträger ist.126 Das Prinzip der Eigenverantwortung steht im Unternehmensverbund auch einer Garantenstellung entgegen, die aus dem bloßen Bestehen der Einflussnahme- und Kontrollmöglichkeiten über die abhängige Gesellschaft abgeleitet wird.127 Zuzugeben ist, dass eine Aufsichtspflicht nur denjenigen treffen kann, der auch die Möglichkeiten hat, den Erfolg zu verhindern. Dies ist eine allgemein anerkannte Grundlage des Unterlassungsdelikts; die erfolgsabwendende Handlung muss dem Unterlassenden objektiv möglich sein.128 Wie vorstehend dargelegt, muss eine Garantenstellung im Unternehmensverbund neben der Abwendungsmöglichkeit jedoch auch eine Gefahrschaffung oder -erhöhung zur Grundlage haben. Die Herrschaftsmöglichkeit als solche kann die Garantenstellung nicht begründen, sondern nur den Inhalt einer bestehenden Garantenstellung bestimmen.129 Die Gefahr muss in der Verantwortungssphäre des potenziellen Garanten liegen. Ähnlich wie das bloße Halten einer Beteiligung kann das bloße Machtverhältnis die erforderliche Rechtspflicht zur Überwachung und Erfolgsabwendung nicht ersetzen.130 Auch im Hinblick auf eine tatsächliche Leitung der Gesellschaft muss der Gedanke der Gefahrschaffung ausschlaggebend sein. Die Konzernierung an sich und die damit – je nach Form der Konzernierung in ihrer Intensität unterschiedlich ausgeprägten – regelmäßig einhergehenden Einflussnahmen beispielsweise auf die all124

Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 358. Koch, AG 2009, 564, 573. So aber: Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1852; Tiedemann, NJW 1986, 1842, 1845. 126 Deselaers, WuW 2006, 118, 122; Thiele, wrp 2006, 999, 1001; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 235; Hofstetter/Ludescher, in: FS v. Büren, 2009, S. 485, 505. 127 So aber: Karst, WuW 2012, 150, 151 f.; Dreher, ZWeR 2004, 75, 103. 128 Vgl. nur Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 8 Rn. 20; Rönnau, ZGR 2016, 277, 284. 129 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 95. 130 Ebenso: Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 198 f.; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 187; in diesem Sinne auch: Heine, Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 117; Koch, AG 2009, 564, 573; Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 143. 125

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gemeine Geschäftsführung können folglich keine Garantenstellung begründen. Generelle Einflussnahmen, die gesetzeswidriges Verhalten weder fördern noch veranlassen, lassen keine Aufsichtspflichten entstehen. Die Hoheit über die Prüfung und Ausführung der Vorgaben verbleibt bei der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft. Anders verhält es sich, wenn durch das Einwirken auf die Tochtergesellschaft eine Gefahr begründet wird, die der Unternehmung der Tochtergesellschaft nicht immanent ist.131 Dies kann anzunehmen sein, wenn die Obergesellschaft den Zugriff auf Informationen anderer Konzerngesellschaften ermöglicht und aufgrund ihrer Marktstellung Kontakte zu anderen, nicht konzernzugehörigen Gesellschaften herstellt. Unbenommen bleibt, dass in Einzelfällen eine Garantenstellung aufgrund vertraglicher oder faktischer Übernahme begründet werden kann.132 Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Obergesellschaft die kartellrechtliche Aufsichtspflicht ausdrücklich übernimmt, indem sie eine konzerndimensionale Aufsicht einführt.133 3. Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG Auf Grundlage der §§ 130, 30, 9 OWiG kann gegen die Obergesellschaft ein Bußgeld verhängt werden, wenn den Leitungspersonen zwar keine direkte Zuwiderhandlung nachgewiesen werden kann, diese aber eine Aufsichtspflicht verletzt haben. Der Inhaber eines Unternehmens nach § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen ihn treffende straf- oder bußgeldbewehrte Pflichten zu verhindern und die begangene Zuwiderhandlung durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Als Verstoß gegen eine Inhaberpflicht kommen alle sanktionsbewehrten Handlungen in Betracht, die in Zusammenhang mit der Unternehmensführung stehen.134 Zu diesen betriebsbezogenen Pflichten gehört auch die Vermeidung von Verstößen gegen § 81 GWB.135 Motiv des § 130 OWiG ist mithin, dass derjenige, der zur Erfüllung eigener Pflichten Dritte einsetzt, sich deren Zuwider131 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 386; in diesem Sinne auch: Koch, AG 2009, 564, 573; Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 143. 132 Achenbach/Ransiek/Rönnau/Beckemper, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, S. 40. 133 Ebenso: Dreher, ZWeR 2004, 75, 103; Rönnau, ZGR 2016, 277, 292; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 189 f.; Koch, ZHR 2007, 554, 578; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 387; Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 143. Ebenso im Rahmen des § 130 OWiG: Wirtz, WuW 2001, 342, 348 f. und Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 42; a.A. im Rahmen des § 130 OWiG: Haus, Der Konzern 2014, 204, 217. 134 Grundmeier, Der Konzern 2012, 487, 488. Vgl. auch BT-Drs. 16/3656, S. 14. 135 Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 20.

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handlungen entgegenhalten lassen muss, sofern er selbst nicht alles Erforderliche und Zumutbare unternimmt, um Rechtsverstöße zu vermeiden.136 Insbesondere das Bundeskartellamt vertrat in einem Verfahren gegen die Tondachziegelbranche die Auffassung, dass bei einem Wettbewerbsverstoß in einer Tochtergesellschaft auch gegen eine Obergesellschaft wegen einer Aufsichtspflichtverletzung auf Grundlage der §§ 130, 9, 30 OWiG eine Geldbuße verhängt werden könnte.137 Adressat der Geldbuße war in diesem Fall die Etex Holding GmbH. Diese Holding war zwar nicht an den Kartellabsprachen beteiligt, beherrschte jedoch zwei der zuwiderhandelnden Gesellschaften. Ausweislich der Ermittlungen des Bundeskartellamtes hatte einer der Manager der Etex Holding GmbH konkrete Kenntnis von den kartellrechtswidrigen Absprachen in den abhängigen Gesellschaften erlangt und war trotzdem nicht eingeschritten. Auch wenn diese konkrete Entscheidung später aus tatsächlichen Gründen aufgehoben wurde,138 hält das Bundeskartellamt grundsätzlich an seiner Auffassung fest.139 Demnach soll eine bußgeldbewehrte Aufsichtspflicht im Konzern bestehen, kartellrechtswidriges Verhalten der unter der Leitung der Obergesellschaft stehenden Gesellschaften zu verhindern.140 Wie das Bundeskartellamt diese Aufsichtspflichtverletzung im Detail begründet hatte, lässt sich den Veröffentlichungen der Behörde nicht entnehmen. Ost, seinerzeit Direktor beim Bundeskartellamt und Leiter der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamtes, führt in einer Veröffentlichung aus, dass die Obergesellschaft als Inhaberin des Unternehmens im Sinne des „Konzerns“ verstanden werde.141 Angesichts zahlreicher kritischer Stimmen aus der Literatur hat jedoch auch das 136 Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 74; Rönnau, ZGR 2016, 277, 281. 137 Vgl. Fallberichterstattung des Bundeskartellamtes vom 9. 02. 2012 zu dem Aktenzeichen B1 – 200/06, www.bundeskartellamt.de. Weiter sollen nach den Ausführungen des Direktors des Bundeskartellamtes und Leiters der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamtes auch in den Verfahren gegen Hersteller von Spanplatten und OSB-Platten ebenfalls mit dieser Begründung Bußgelder verhängt worden sein: Ost, NZKart 2013, 25, 25. Den offiziellen Veröffentlichungen der Behörde lassen sich hierzu keine Ausführungen entnehmen. 138 Wie sich nachträglich herausstellte, war die Person, mit dessen Aufsichtspflichtverletzung das Bundeskartellamt seine Entscheidung begründet hatte, vor der Zuwiderhandlung aus der Geschäftsführung ausgeschieden. Entsprechend konnte gegen die Obergesellschaft keine Geldbuße nach § 30 OWiG verhängt werden, da hierfür an eine Leitungsperson anzuknüpfen ist. 139 Vgl. Fallberichterstattung des Bundeskartellamtes vom 12. 04. 2012 zu den Aktenzeichen B1 – 200/06-P2 und B1 – 200/06-U13, www.bundeskartellamt.de. 140 Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2011/2012 u. a., BTDrs. 17/13675, S. 67. 141 Ost, NZKart 2013, 25, 26 – Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder, die nicht notwendigerweise mit der des Bundeskartellamtes übereinstimmt. Entsprechend interpretieren die dogmatische Grundlage der Entscheidung auch: Koch, AG 2009, 564, 565; Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 32 f.; Grundmeier, Der Konzern 2012, 487, 489; a.A. Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 140: Inhaberin des Tochterunternehmens.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Bundeskartellamt eine gesetzliche Klarstellung gefordert.142 Mit Erlass der 9. GWBNovelle hat sich der Gesetzgeber nunmehr für einen anderen Lösungsweg entschieden, ohne hierbei ausdrücklich zu einer Anknüpfung an § 130 OWiG Stellung zu nehmen.143 Das neue Bußgeldrecht gilt jedoch erst für Kartelltaten, die nach dem 9. Juni 2017 beendet werden. Um eine Haftung der Obergesellschaft für durch Mitarbeiter der handelnden Gesellschaft begangene Zuwiderhandlungen zu begründen, sind dogmatisch zwei Ansätze144 denkbar: Zum einen könnten sowohl die Obergesellschaft als auch die handelnde Gesellschaft nebeneinander als Inhaberin der Tochtergesellschaft als Unternehmen im Sinne des § 130 OWiG erachtet werden. Zum anderen könnte der Begriff des Unternehmens erweitert ausgelegt werden und so als Zusammenfassung mehrerer Rechtsträger im Sinne eines „Konzerns“ dienen. Als Spitze dieser Zusammenfassung könnte die Obergesellschaft als Inhaberin dieses aus mehreren Rechtsträgern bestehenden Unternehmens betrachtet werden und eine Konzernaufsichtspflicht innehaben. a) Obergesellschaft als Inhaberin des „Unternehmens“ im Sinne des Unternehmensverbunds Teile der Literatur legen dementsprechend den Begriff des „Unternehmens“ in § 130 OWiG erweiternd aus, um die Norm auf die Obergesellschaft in einem Unternehmensverbund anzuwenden und begründen dies mit einer faktischen Betrachtungsweise.145 Die rechtliche Selbstständigkeit des einzelnen abhängigen Rechtsträgers dürfe im Bereich der Aufsichtspflichtverletzung außer Acht gelassen werden.146 Der „Konzern“147 sei mit einem Unternehmen vergleichbar, denn er habe 142 Vgl. Stellungnahme des Bundeskartellamts zum Regierungsentwurf zur 8. GWB-Novelle vom 22. 06. 2012, S. 16, www.bundeskartellamt.de. 143 Vgl. hierzu ausführlicher unter Teil 3 § 3 A. 144 Rönnau, ZGR 2016, 277, 290; Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 120. 145 Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 27; Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 160; Ost, NZKart 2013, 25, 27; Grundmeier, Compliance, 2011, S. 68, 78 f. (mit Einschränkungen auf Ebene der Aufsichtspflichten, S. 82 ff.); Grundmeier, Der Konzern 2012, 487, 492; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 25; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 363; so wohl auch: Becker/Vollmer, KSzW 2015, 235, 239. 146 Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 27; Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 160. 147 Es bleibt bei zahlreichen Autoren unklar, mit welchem Inhalt sie den Begriff „Konzern“ verwenden, d. h. ob sie eine Konzernstruktur i.S.d. § 18 AktG vor Augen haben oder auch faktische Konzernverhältnisse i.S.d. §§ 311 ff. AktG erfasst sein sollen. Die Bezugnahme auf eine „einheitliche Leitung“ scheint oftmals auf ein Konzernverhältnis i.S.d. § 18 AktG hinzudeuten, andererseits stellen dieselben Autoren gleichzeitig allein auf die faktische Struktur ab, vgl. beispielhaft Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 27. Kritisch hierzu auch: Koch, AG 2009, 564, 566; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 402 f. Grundmeier,

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eine einheitliche Leitung und diese bestimme die Geschäftspolitik der einzelnen Rechtsträger.148 Für diese einheitliche Leitung sollen, wenn keine rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten bestehen, bereits die faktischen Durchgriffsrechte genügen.149 Dieser faktischen Betrachtungsweise könne die rechtliche Selbstständigkeit der abhängigen Gesellschaft nicht entgegengehalten werden. Denn Begriffe in strafrechtlichen Normen, die ursprünglich aus dem Zivilrecht stammten, seien nicht schlechthin akzessorisch im Sinne des Zivilrechts zu verstehen.150 Ergänzend zu der faktisch gebotenen Betrachtungsweise wird teilweise auch auf die europäische Haftungslage der wirtschaftlichen Einheit verwiesen, um die Aufsichtspflicht der Obergesellschaft über das Unternehmen im Sinne eines „Konzerns“ zu begründen.151 Unterschiedlich beurteilt wird jedoch der Umfang der hieraus erwachsenden Aufsichtspflichten der Obergesellschaft als Inhaberin der „Konzerns“. Manche Autoren nehmen eine allgemeine Konzernaufsichtspflicht an, schränken diese jedoch ein, wenn die Konzernobergesellschaft keine rechtlichen Möglichkeiten hatte, die Zuwiderhandlung zu verhindern.152 Andere wollen Aufsichtspflichten der Obergesellschaft nur in dem Umfang entstehen lassen, wie diese auch tatsächlich auf die Tochtergesellschaft Einfluss genommen hat.153 b) Obergesellschaft als Inhaberin der handelnden Gesellschaft Auch die übrigen Autoren, die § 130 OWiG im Unternehmensverbund anwenden wollen, stützen sich auf eine faktische Betrachtungsweise. Sie sprechen sich jedoch dafür aus, die Obergesellschaft als Inhaberin des Unternehmens der Tochtergesellschaft zu betrachten. In der Folge sind sowohl der Rechtsträger der Tochtergesellschaft als auch die Obergesellschaft „Inhaber“ des Unternehmens der Tochtergesellschaft. Voraussetzung sei allein, dass die Obergesellschaft rechtlich oder faktisch über die Möglichkeit verfüge, auf die Tochtergesellschaft Einfluss zu nehmen bzw.

Der Konzern 2012, 487, 492 verwendet den Begriff allgemein für den Unternehmensverbund und erfasst auch faktische Konzerne und schlichte Abhängigkeitsverhältnisse. 148 Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 25. 149 Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 27; Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 160. 150 Grundmeier, Compliance, 2011, S. 78; Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 153. 151 Ost, NZKart 2013, 25, 26; Grundmeier, Compliance, 2011, S. 60 ff.; Ost, in: Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 319; Ost, (2014) 5 JECLaP 125, 127; Ost, in: FS Roth, 2015, S. 413, 417; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 283 f. 152 Grundmeier, Compliance, 2011, S. 82 ff.; Grundmeier, Der Konzern 2012, 487, 494 ff.; so wohl auch: Ost, NZKart 2013, 25, 26; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 284. 153 Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 161; Caracas, Verantwortlichkeit, 2014, S. 86 ff.; i.d.S. wohl auch, jedoch nicht eindeutig: Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 25; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 285.

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diese zu leiten.154 Im Unterschied zu den Vertretern der rein faktischen Betrachtungsweise des Konzerns als „Unternehmen“ stellen diese Autoren bereits bei der Beurteilung der Inhaberstellung auf die tatsächlich bestehenden Eingriffsmöglichkeiten der Obergesellschaft ab – ein tatsächlicher Eingriff wird überwiegend jedoch auch von diesen Autoren nicht gefordert.155 Andere Autoren stehen einer Inhaberschaft der Obergesellschaft in Bezug auf das Unternehmen der Tochtergesellschaft grundsätzlich ablehnend gegenüber, lassen jedoch in Einzelfällen Ausnahmen zu. Eine Inhaberschaft der Obergesellschaft könne angenommen werden, wenn die Obergesellschaft die Untergesellschaft vollumfänglich geleitet habe156 oder die Obergesellschaft eine 100-%-Beteiligung an der Untergesellschaft halte.157 Andere befürworten Aufsichtspflichten nur, wenn die Obergesellschaft tatsächlich die eigentlich der Tochtergesellschaft obliegenden Aufsichtsmaßnahmen übernommen habe.158 c) Stellungnahme Den Befürwortern einer faktischen Betrachtungsweise – unabhängig davon, ob diese die Obergesellschaft als Inhaberin des „Konzerns“ oder des Unternehmens der Tochtergesellschaft betrachten – ist zuzugeben, dass im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht auch bei der Verwendung zivilrechtlich geprägter Begriffe eine autonome Bestimmung des Begriffsgehalts nicht ausgeschlossen ist.159 Entsprechend kann der Begriff des Unternehmens in § 130 OWiG grundsätzlich als „Konzern“ ausgelegt werden und der „Inhaber“ einer Gesellschaft muss nicht zwingend ihr gesellschaftsrechtlicher Unternehmensträger sein. Nichtsdestotrotz ist die allgemeine Anwendung des § 130 OWiG auf die Obergesellschaft im Hinblick auf Zuwiderhandlungen in der Tochtergesellschaft abzu154 Dreher, ZWeR 2004, 75, 103; Karst, WuW 2012, 150, 151 f.; Bohnert/Krenberger/ Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 130 Rn. 7; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 350 f. Ebenso wohl auch: Mansdörfer/Timmerbeil, WM 2004, 362, 368 f., bei denen jedoch nicht deutlich wird, ob ggf. über die bloße Möglichkeit zur Einflussnahme auch die tatsächliche Ausübung der Einflussnahme gefordert wird. 155 Im Ergebnis bestehen zu den Autoren, welche die Obergesellschaft als Inhaber des „Konzerns“ einordnen, jedoch bei den Aufsichtspflichten auf die rechtlichen Einflussmöglichkeiten abstellen, keine Unterschiede. 156 Deselaers, WuW 2006, 118, 123 lehnt grundsätzlich Aufsichtspflichten ab. Eine Ausnahme hiervon soll gelten, wenn als „Plusfaktor“, die Tochtergesellschaft von der Obergesellschaft „faktisch geführt“ werde. Ähnlich: Bosch, ZHR 2013, 454, 466: „tatsächlich so geführt“. 157 Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1852; Rütsch, Strafrechtlicher Durchgriff, 1987, S. 115 f. 158 Wirtz, WuW 2001, 342, 348; Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 42; Rönnau, ZGR 2016, 277, 292; Dreher, ZWeR 2004, 75, 103; Achenbach, NZWiSt 2012, 321, 327. 159 Ausführlich: Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 152 ff. unter Verweis auf die grundlegende Arbeit von Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, 1938.

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lehnen.160 Im Folgenden sollen zunächst die Einwände diskutiert werden, die beiden Lösungsansätzen gleichermaßen entgegenstehenden (hierzu aa) bis cc)), bevor jeweils gesondert auf die Auslegung des Unternehmens im Sinne eines Unternehmensverbunds (dd)) und die Annahme einer doppelten Inhaberschaft eingegangen wird (ee)). Dem schließt sich ein Fazit an (ff)). aa) Einwände gegen die Grundannahme der faktischen Betrachtungsweise Bereits die Grundannahme der faktischen Betrachtungsweise muss in Zweifel gezogen.161 Konzerne sind nicht ausnahmslos wie ein einzelnes Unternehmen organisiert. Das Wirtschaftsleben ist vielgestaltig, Konzerne sind regelmäßig historisch gewachsen. Es werden unterschiedliche Managementphilosophien vertreten.162 Entsprechend existieren streng hierarchisch, aber auch stark dezentral organisierte Konzerne. Keinesfalls kann allgemein davon ausgegangen werden, bestehende Weisungsbefugnisse führten dazu, dass eine Tochtergesellschaft die Interessen der Muttergesellschaft verfolgt.163 In einem faktischen Konzern besteht bereits keine Verpflichtung zur aktiven Leitung oder organisatorischen Konzentration.164 Aber auch in Bezug auf Vertragskonzerne wird eine Pflicht zur zentralisierten Leitung überwiegend abgelehnt.165 Der Leitung der Obergesellschaft kommt ein weitge160 Im Ergebnis so wohl auch die Mehrheit des Schrifttums: Meyer-Lindemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 81 GWB Rn. 31; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 203 ff.; Verse, ZHR 2011, 401, 410; Spindler, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 15 Rn. 127 f.; Achenbach, NZWiSt 2012, 321, 326 f.; Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 58; Kling, wrp 2010, 506, 513; Koch, ZHR 2007, 554, 570 ff.; Koch, WM 2009, 1013, 1017 f.; Koch, AG 2009, 564, 567 ff.; Petermann, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 99, 105; Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 121 ff.; Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 141; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 283 ff.; Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 31 ff.; Haus, Der Konzern 2014, 204, 217; Achenbach, in: Jaeger/ Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 11/14, § 81 GWB Rn. 196 ff.; Kahlenberg/Heim, BB 2016, 1863, 1869 f.; zweifelnd: Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 160; v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 129 f., Meyer-Lindemann, in: Kersting/Podszun, 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 17 Rn. 18. 161 Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 94; ausführlich S. 81 ff.; Andeutung bereits bei: Koch, AG 2009, 564, 570; ebenso: Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 214. 162 Detaillierte empirische Untersuchung bei: Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 81 ff. 163 So aber: Dreher, ZWeR 2004, 75, 103. 164 Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2014, § 76 Rn. 45; Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, § 18 Rn. 20; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 76 Rn. 47. 165 Überblick über den Meinungsstand bei: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 76 Rn. 85; Liebscher, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anhang § 13 (GmbH-Konzernrecht) Rn. 1194 f.

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hender Ermessensspielraum zu, wie sie den Verband organisiert und welche Eigenverantwortung sie den Tochtergesellschaften überlässt.166 Eine Gleichsetzung aufgrund einer einheitlichen, einebnenden wirtschaftlichen und damit tatunabhängigen Betrachtungsweise wird der wirtschaftlichen Realität nicht gerecht. Entsprechend mahnt Theile, dass durch die einseitige Bestimmung der „tatsächlichen Verhältnisse des Wirtschaftslebens“ durch Aufsichtsbehörden und Strafjustiz ein Willkürpotenzial entstehe.167 Das Sanktionsbedürfnis führe zu einer Konstruktion tatsächlicher Verhältnisse des Wirtschaftslebens, die mit den faktischen Gegebenheiten innerhalb des Wirtschaftslebens möglicherweise nicht viel gemein haben.168 bb) Teleologische Einwände gegen eine faktische Betrachtungsweise Werden die Begriffe „Unternehmen“ und „Inhaber“ ausgelegt, sind grundsätzlich sämtliche legislativen Wertungen, die sich aus der Gesetzessystematik, der Historie der Norm und insbesondere ihrem Normzweck ergeben können, zu berücksichtigen. Während sich im Hinblick auf das zutreffende Verständnis des Unternehmens- und des Inhaberbegriffs des § 130 OWiG aus der Gesetzgebungsgeschichte und der Gesetzessystematik nur wenige Rückschlüsse ziehen lassen,169 stehen insbesondere teleologische Erwägungen einer faktischen Betrachtungsweise entgegen. Delegiert der Inhaber seine unternehmensbezogenen Pflichten auf untergeordnete Mitarbeiter, hätte dies zur Folge, dass der Inhaber sanktionslos bliebe, da diese Mitarbeiter regelmäßig nicht die hohen Anforderungen des § 9 OWiG erfüllen. Der Inhaber als Normadressat handelt nicht und derjenige, der handelt, ist nicht Normadressat.170 Die bußgeldbewehrte Aufsichtspflicht in § 130 OWiG schließt diese Sanktionslücke, indem die Zuwiderhandlung gegenüber dem delegierenden Unternehmensinhaber auf Grundlage seiner Aufsichtspflichtverletzung geahndet wird.171

166 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 76 Rn. 88; Spindler, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2014, § 76 Rn. 42; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 76 Rn. 47; Liebscher, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anhang § 13 (GmbH-Konzernrecht) Rn. 1195. 167 Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 95. 168 Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 95. 169 Ausführlicher hierzu: Koch, AG 2009, 564, 568; Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 121 ff.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 407 f.; ebenso: Rönnau, ZGR 2016, 277, 291. 170 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 409; Koch, ZHR 2007, 554, 572. 171 BT-Drs. V/1269, S. 68 f. Vgl. auch: Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 130 Rn. 2; Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 4; Koch, ZHR 2007, 554, 572; Koch, AG 2009, 564, 568 f.

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Diese Ahnungslücke würde in Konzernkonstellationen jedoch schon gar nicht entstehen.172 Denn auch die Vertreter einer faktischen Betrachtungsweise halten an der originären Aufsichtspflicht der Anstellungskörperschaft der zuwiderhandelnden Mitarbeiter fest.173 Es besteht folglich ein geschlossenes System der Verantwortlichkeiten in der Tochtergesellschaft: Die Geschäftsleiter der Konzerntochter haften im Falle der Delegation nach §§ 130, 9 OWiG, die Konzerntochter selbst nach §§ 130, 9, 30 OWiG. Der Normzweck des § 130 OWiG ist erfüllt. Eine faktische Betrachtungsweise und eine erweiterte Konzernaufsichtspflicht würden keine Sanktionslücke schließen, sondern den Zugriff auf einen zusätzlichen Schuldner eröffnen. Diese zusätzliche Haftungskomponente ist nicht mit der Intention des Gesetzgebers in Einklang zu bringen.174 Die faktische – oder: wirtschaftliche175 – Betrachtungsweise steht nicht in Einklang mit dem Telos der Norm.176 cc) Kein Anwendungsfall des § 130 OWiG Die Vertreter der faktischen Betrachtungsweise ergänzen den Begriff des Unternehmensinhabers weit überwiegend um struktur- und handlungsbezogene Elemente bzw. lassen Aufsichtspflichten nur entstehen, wenn Aufsichtsmöglichkeiten bestehen oder tatsächlich auf die Tochtergesellschaft eingewirkt worden ist.177 Infolgedessen entstehen die Aufsichtspflichten nur unter bestimmten Voraussetzungen bzw. in beschränktem Umfang. Diese Einschränkungen lassen sich jedoch nicht mit der Konzeption des § 130 OWiG vereinbaren; die verbleibenden Konstellationen bilden keine Anwendungsfälle des § 130 OWiG. Wie vorstehend im Rahmen der teleologischen Erwägungen erläutert, hatte der Gesetzgeber bei der Normierung des § 130 OWiG eine grundsätzliche Verantwortungssphäre – das Unternehmen – vor Augen. § 130 OWiG soll eine drohende Sanktionslücke schließen, wenn Zuwiderhandlungen in dieser Verantwortungssphäre nicht durch den Inhaber selbst, sondern durch Mitarbeiter begangen werden. Dieser Grundkonzeption des Gesetzgebers entspricht allein eine allgemeine, den 172

Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 287 f.; Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 38; Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 34; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 103. Ebenso: OLG München, Beschl. v. 23. 09. 2014, Az. 3 Ws 599/14, 3 Ws 600/14, Rn. 15. 173 Caracas, Verantwortlichkeit, 2014, S. 84; Grundmeier, Der Konzern 2012, 487, 494; Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung, 1976, S. 161; Grundmeier, Compliance, 2011, S. 68; Wirtz, WuW 2001, 342, 349. 174 Im Ergebnis ebenso: v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 260; Bosch, ZHR 2013, 454, 466. 175 So auch: Ost, NZKart 2013, 25, 27; Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 76; Grundmeier, Der Konzern 2012, 487, 490; vgl. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 65 ff. 176 Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 124; Rönnau, ZGR 2016, 277, 292; v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 261; Koch, AG 2009, 564, 571; Verse, ZHR 2011, 401, 410. 177 Vgl. die Nachweise in Fn. 152, 153 sowie 156 – 158.

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Bereich des gesamten Unternehmens umfassende Verantwortungssphäre.178 Daher lässt sich eine punktuelle Aufsichtspflicht infolge einzelner Einwirkungen oder Kontrollmöglichkeiten mit dem Begriff des Unternehmensinhabers – sowohl in Bezug auf den „Konzern“ als auch auf die Tochtergesellschaft – nicht in Einklang bringen. Dem Begriff des Unternehmensinhabers wohnt keine flexible, sondern eine statische Verantwortlichkeitszuweisung inne.179 Täter ist allein der Inhaber des Unternehmens. Mit diesem Grundkonzept ist es insbesondere nicht vereinbar, dass die Obergesellschaft im Einzelfall im Hinblick auf einzelne Einflussnahmen oder je nach Einflussnahmemöglichkeit zu der Tochtergesellschaft als zweite Unternehmensinhaberin hinzutritt. Überdies unterscheiden sich die von den Befürwortern in den benannten Einzelfällen abgeleiteten Aufsichtspflichten aufgrund ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen und inhaltlichen Ausgestaltung fundamental von den herkömmlichen von § 130 OWiG erfassten Pflichten. Sie resultieren nicht aus einer Zustandsverantwortlichkeit als Unternehmensträger, sondern knüpfen an eine konkrete Handlung an.180 Eine solche Pflicht ist nicht als unternehmensbezogene Inhaberpflicht anzuerkennen.181 Genau betrachtet, erachten die Befürworter die Obergesellschaft damit nicht als Adressatin der betriebsbezogenen Pflichten der Tochtergesellschaft. Vielmehr entstehen durch den steuernden Eingriff bzw. die tatsächliche Übernahme der Aufsichtsmaßnahmen die Aufsichtspflichten als Korrelat zu diesen Eingriffen auf Ebene der Obergesellschaft neu. In diesen Fällen würde aber je nach tatsächlicher Ausgestaltung bereits eine Garantenstellung aufgrund des gefahrerhöhenden Verhaltens bzw. tatsächlicher Übernahme begründet.182 Entsprechend fraglich ist, ob diese Aufsichtspflichten überhaupt von § 130 OWiG erfasst werden. Selbst wenn man die erheblichen Bedenken gegen die Inhaberschaft der Konzernobergesellschaft in Bezug auf den „Konzern“ bzw. das Unternehmen der Tochtergesellschaft außer Acht lässt und in diesen speziellen Einzelfällen § 130 OWiG auf die Obergesellschaft anwenden wollte, wäre die grundsätzliche Subsidiarität der Verantwortlichkeit nach § 130 OWiG gegenüber einer solchen wegen Unterlassens nach § 8 OWiG zu beachten.183 Auch unter diesem Aspekt muss eine Sanktionslücke, die den Rückgriff auf § 130 OWiG gebieten würde, wohl verneint werden. Die angesprochenen Eingriffe werden vielmehr grundsätzlich von § 8 OWiG erfasst. 178

So wohl: Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 27. Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 413; ebenso: Koch, AG 2009, 564, 572 f., der mit dieser Begründung eine Ergänzung des Inhaberbegriffs ablehnt. 180 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 410; Koch, AG 2009, 564, 569. 181 Koch, WM 2009, 1013, 1018; ebenfalls kritisch, aber im Ergebnis offen lassend: Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 410. 182 Siehe hierzu auch bereits Teil 3 § 2 A. II. 2. b) dd). Ebenso: Koch, AG 2009, 564, 570; 573; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 152. Im Hinblick auf die Übernahme einer Aufsichtspflicht auch: Achenbach, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 11/14, § 81 GWB Rn. 199. 183 Vgl. Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 23. 179

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dd) Einwände gegen eine Auslegung des Unternehmens im Sinne eines Unternehmensverbunds Selbst wenn man unterstellt, dass die Obergesellschaft die Inhaberin eines Unternehmens im Sinne eines Unternehmensverbunds wäre, ist weiter zweifelhaft, welche Aufsichtspflichten die Konzernobergesellschaft im Unternehmen „Konzern“184 treffen sollen. Verfehlt ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf die Praxis der Unionsorgane, um eine Aufsichtspflicht der Obergesellschaft zu begründen.185 Dem europäischen Konzept der wirtschaftlichen Einheit liegt bereits keine konzernweite Aufsichtspflicht zugrunde.186 Einen argumentativen Ansatzpunkt könnten gesellschaftsrechtliche Regelungen, wie etwa §§ 76, 91, 93 AktG, bieten, die im Zivilrecht anerkanntermaßen gewisse Überwachungs- und Organisationspflichten der Leitungsebene begründen.187 Auch aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Beteiligungsbesitzes wird nach ganz herrschender Meinung auf eine Aufsichtspflicht des Leiters einer Obergesellschaft geschlossen.188 Entsprechend könnte die Delegation dieser Pflichten eine eigene Aufsichtspflicht der Obergesellschaft begründen. Einem solchen Ansatz ist jedoch entgegenzuhalten, dass diese Pflichten nur gegenüber der eigenen Obergesellschaft bestehen.189 Es handelt sich um reine Pflichten im Innenverhältnis, die zudem einem breiten Ermessensspielraum der Geschäftsleitung der Obergesellschaft unterfallen.190 Wenn die Leitungspflicht jedoch bereits in gesellschafts- und zivilrechtlicher Hinsicht keinen Schutz der Tochtergesellschaft – geschweige denn Dritten gegenüber – vermittelt, erscheint es wenig überzeugend, ordnungswidrig-

184 Der Begriff „Konzern“ wird hier untechnisch im Sinne eines Unternehmensverbunds verwandt, vgl. hierzu bereits Fn. 147. 185 So aber: Ost, NZKart 2013, 25, 26; Ost, (2014) 5 JECLaP 125, 127; ähnlich: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 283 f., die ohne nähere Begründung feststellt, dass „eine Aufsichtspflicht im Konzern durch das europäische Kartellrecht vorgesehen“ sei; ablehnend auch: Bosch, ZHR 2013, 454, 465 f.; Achenbach, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 11/14, § 81 GWB Rn. 198. 186 Siehe ausführlich hierzu bereits Teil 2 § 5 B. III. 2. Ebenso: Achenbach, NZWiSt 2012, 321, 325; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 77 f. 187 Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 142; vgl. auch: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 76 Rn. 93. 188 Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 33. 189 BGH, Urt. v. 10. 07. 2012, Az. VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439, 3441; Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 142; Koch, ZHR 2007, 554, 572; Koch, AG 2009, 564, 569; Fleischer, CCZ 2008, 1, 3; Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 67; v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 142. 190 Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 33.

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keitenrechtliche Sanktionen an eine solche Pflicht zu knüpfen.191 Insbesondere aufgrund des strafrechtsähnlichen Charakters und der unterschiedlichen Zielsetzungen von Ordnungswidrigkeitenrecht und Zivilrecht wäre es verfehlt, den zivilrechtlichen Maßstab unbefangen auf § 130 OWiG zu übertragen.192 Ein weiterer Ansatz könnte darin liegen, die Obergesellschaft als die eigentliche Adressatin der betriebsbezogenen Inhaberpflichten der Tochtergesellschaft zu betrachten.193 Doch auch diese Argumentation kann nicht überzeugen. Ein solcher Ansatz würde implizieren, dass die Gründung bzw. wirtschaftliche Betätigung der Tochtergesellschaft als Delegation der originären Pflichten der Obergesellschaft aufzufassen wäre. Die Gründung eines selbstständigen Rechtsträgers stellt jedoch keine Pflichtendelegation dar.194 Vielmehr entstehen die Pflichten, je nach Art und Umfang der tatsächlichen Betätigung, in der rechtlich selbstständigen Gesellschaft originär. ee) Einwände gegen eine doppelte Inhaberschaft Die Annahme, die Konzernobergesellschaft sei parallel zu der Konzerntochtergesellschaft die Inhaberin des Unternehmens der Tochtergesellschaft, scheint bereits im Hinblick auf den Wortlaut des § 130 OWiG problematisch. Die Norm sanktioniert das Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen, die Verstöße gegen Pflichten verhindern sollen, die „den“ Inhaber treffen, formuliert mithin im Singular.195 Noch schwerer wiegen jedoch die eigene Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft und das gesellschaftsrechtliche Begriffsverständnis des „Inhabers“. In der gesellschaftsrechtlichen Terminologie wird der Unternehmensinhaber zumeist mit dem Unternehmensträger gleichgesetzt, also mit der Gesellschaft, von der das Unternehmen betrieben wird.196 Betreibt eine juristische Person das Unternehmen, so ist diese der „Inhaber“ und nicht etwa der Gesellschafter dieser juristischen Person.197 Dementsprechend ist der Unternehmensinhaber i.S.d. § 130 OWiG nur der jeweilige 191 Spindler, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 15 Rn. 125; ebenso: Tschierschke, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 137, 142; Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 33; i.E. ebenso: Muders, Haftung im Konzern, 2014, S. 170. 192 Vgl. v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 260. 193 Grundmeier, Compliance, 2011, S. 73; a.A. Koch, ZHR 2007, 554, 573. 194 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 191. 195 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 412; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 150; v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 259. 196 Theile, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 73, 76; Koch, ZHR 2007, 554, 571; Koch, WM 2009, 1013, 1018; Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 120. 197 v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 259; Rust, NZKart 2015, 502, 503; Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 39 verweisen ergänzend auf den Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG, der von der Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person spricht; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 102.

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Unternehmensträger – auch im Konzern treffen die betriebsbezogenen Pflichten jede Gesellschaft lediglich in Bezug auf das eigene Unternehmen.198 Bestätigung findet diese Argumentation in einem obiter dictum des BGH.199 In der Entscheidung Mixbeton deutete der BGH Zweifel an, ob eine Obergesellschaft im Rahmen des § 130 OWiG überhaupt eine Aufsichtspflicht gegenüber ihrer Tochtergesellschaft verletzen könne. Der Inhaberstellung der Obergesellschaft könnte die Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft entgegenstehen. Letztere sei als eigene Rechtspersönlichkeit Inhaberin des Gesellschaftsunternehmens.200 Allein die Möglichkeit der Einflussnahme macht die Konzernobergesellschaft nicht zur Inhaberin des Unternehmens der Tochtergesellschaft und vor allem nicht zur Adressatin der betriebsbezogenen Pflichten.201 Dies wird durch einen Blick auf die allgemeinen Grundsätze der Garantenhaftung untermauert. Denn auch § 130 OWiG findet seinen Geltungsgrund in der garantenähnlichen Stellung des Unternehmensinhabers,202 sodass sich dessen Verantwortung in diese allgemeinen Grundsätze einfügen muss.203 Jedoch ist sowohl im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht als auch im Zivilrecht unbestritten, dass die bloße Möglichkeit eine Gefahrenquelle zu beherrschen außerhalb der eigenen normativ zugeordneten Verantwortungssphäre nicht genügt, um Garanten- oder Verkehrspflichten zu begründen.204 Die entsprechende Zuordnung kann auch nicht mit der verallgemeinernden Prämisse begründet werden, dass Konzerngesellschaften grundsätzlich im Interesse der Obergesellschaft handeln, wie der Vergleich mit einem Einzelunternehmen zeigt.205 Im Einzelunternehmen ist anerkannt, dass der Gesellschafter nicht Adressat der betriebsbezogenen Pflichten ist.206 Es fehlt bereits an einer sachlichen Grundlage für die Differenzierung, dass in Konzernverhältnissen aufgrund der faktischen Eingriffsmöglichkeiten auch die Obergesellschaft und mithin der Gesellschafter 198

Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 130 Rn. 5a. So die Deutung auch bei: Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 58. 200 BGH, Urt. v. 1. 12. 1981, Az. KRB 3/79, GRUR 1982, 244, 247. 201 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 205. 202 Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 130 Rn. 2; Muders, Haftung im Konzern, 2014, S. 44. 203 Koch, AG 2009, 564, 572. 204 Koch, AG 2009, 564, 572 m.w.N. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. 11. 2002, Az. 2 BvR 2202/ 01, NJW 2003, 1030, 1030; BGH, Urt. v. 24. 02. 1982, Az. 3 StR 34/82, NJW 1982, 1235, 1235; BGH, Urt. v. 10. 07. 2012, Az. VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439, 3441 Rn. 18. 205 Siehe hierzu bereits ausführlich unter Teil 3 § 2 A. II. 3. c) aa). So jedoch: Dreher, ZWeR 2004, 75, 103. 206 Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 25; v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 259. Inhaber ist derjenige, dem die Erfüllung der den Betrieb oder das Unternehmen treffenden Pflichten obliegt, um deren sanktionsrechtliche Durchsetzung es bei § 130 OWiG geht – die Eigentümerstellung oder die Kapitalbeteiligung sind hierbei nicht von Bedeutung. Entsprechend kann die Beteiligung allein die Inhaberstellung nicht begründen. 199

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Inhaber des Unternehmens sein soll. Vielmehr würde eine Unterscheidung – je nach Beteiligung eines Einzel- oder eines Konzernunternehmens – zu einer Spaltung des Inhaberbegriffs innerhalb desselben Tatbestandes führen, der methodisch nicht zu erklären ist.207 ff) Ergebnis Eine Haftung der Obergesellschaft für Kartellverstöße, die von Mitarbeitern der Tochtergesellschaft begangen werden, kann nicht auf § 130 OWiG gestützt werden. Die Norm ist nicht auf Konzernsituationen anwendbar. Eine erweiternde Auslegung würde ohne gesetzgeberische208 Entscheidung stillschweigend den Abschied von dem für das Konzernrecht grundlegenden Trennungsprinzip und der volkswirtschaftlich sinnvollen Möglichkeit der Haftungsdifferenzierung einleiten.209 Dies erkennt auch die überwiegende Zahl der Befürworter einer konzernweiten Anwendung des § 130 OWiG an und nimmt daher zahlreiche handlungsbezogene Einschränkungen vor. Im Hinblick auf diese handlungsbezogenen Elemente lassen sich jedoch sachgerechtere Ergebnisse über eine Haftung wegen fahrlässiger Nebentäterschaft durch Unterlassen finden.210 § 130 OWiG ahndet die Verletzung von Aufsichtspflichten, die aus der Delegation von inhaberbezogenen Pflichten herrühren. Anders verhält es sich hingegen, wenn Pflichten bei der Obergesellschaft erst aufgrund einzelner Eingriffe neu entstehen. Neu entstandene Aufsichtspflichten, die sich aus allgemeinen Organisationspflichten herleiten, sind nicht nach § 130 OWiG, sondern über die Pflichten als Überwachergarant nach § 8 OWiG bußgeldbewehrt. Unterschiede, die sich daraus ergeben, dass es nach § 130 OWiG für eine Sanktion bereits genügt, wenn die Tat durch eine gehörige Aufsicht wesentlich erschwert worden wäre, während es nach § 8 OWiG des Nachweises bedarf, dass eine ordnungsgemäße Aufsicht den Erfolgseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte,211 sind hinzunehmen.

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Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 286. Insbesondere kann der Stellungnahme der Bundesregierung im Rahmen der 8. GWBNovelle, dass Aufsichtspflichten im Konzern keiner Normierung bedürften, da der bestehende Rechtsrahmen ausreiche, um entsprechende Aufsichtspflichtverletzungen zu erfassen, BTDrs. 17/9852, S. 49, nicht als entsprechende Klarstellung interpretiert werden. Zum einen handelt es sich um eine Feststellung ohne jegliche Begründung und zum anderen ist zwischen Bundesregierung und Gesetzgeber zu unterscheiden. Ausführlich hierzu Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 123 f.; ebenso: Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 35; kritisch auch: v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 258; a.A. Ost, NZKart 2013, 25, 27. 209 Einen Verstoß gegen das Trennungsprinzip bejahend: v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 264. 210 Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 A. II. 2. b) dd). 211 Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 126; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 346. 208

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4. Faktische Organschaft Teilweise wird in der Literatur die Obergesellschaft als Organ der Tochtergesellschaft betrachtet und die Haftung der Obergesellschaft über den Gedanken der faktischen Organschaft begründet.212 Dieser Argumentation liegt folgender Gedanke zugrunde: Die Leitungspersonen eines Verbandes nehmen die Überwachungspflichten ihrer Anstellungskörperschaft wahr. Für Pflichtverletzungen müssen diese über § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG einstehen. Würde nunmehr die Obergesellschaft als Organ der Tochtergesellschaft erachtet, träfen diese die Überwachungspflichten der Tochtergesellschaft, sodass sie für Verstöße gegen diese Pflichten verantwortlich gemacht werden könnte.213 Dies ist aus mehreren Gründen nicht überzeugend. Zum einen werden in der Literatur bereits erhebliche Zweifel im Hinblick auf die Anwendung der Figur der faktischen Organschaft bei natürlichen Personen eingewandt.214 Speziell gegen die Anwendung der Figur auf eine juristische Person spricht aber, dass diese schon regulär kein Organ einer anderen juristischen Person sein kann, vgl. §§ 76 Abs. 3 S. 1 AktG, 6 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Nur natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen können Leitungspersonen sein. Entsprechend stellte der BGH in einer zivilrechtlichen Entscheidung fest, dass diese gesetzliche Grenze auch bei der Beurteilung eines faktischen Organs maßgeblich ist.215 Eine entsprechende Auslegung im Ordnungswidrigkeitenrecht stünde weiter in Widerspruch mit dem aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleiteten Analogieverbot, § 3 OWiG.216 Nach diesem ist jede Rechtsanwendung ausgeschlossen, die tatbestandsausweitend über den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Äußerste Grenze der Interpretation bildet der mögliche Wortsinn.217 Selbst wenn auch bei rechtlich vorgeprägten Begriffen das Verständnis des Adressaten und die anerkannte allgemeinsprachliche Bedeutung zu berücksichtigen ist,218 kann unter den Begriff des Organs keine juristische Person gefasst werden, um an die Organstellung eine Sanktion zu knüpfen. Organe sind auch nach allgemeinsprachlichem Verständnis natürliche Personen. Überdies würde die Ausdehnung der faktischen Organschaft auf juristische Personen im Sanktionsrecht gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete Bestimmtheitsgebot verstoßen. Danach hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen einer Sanktion so genau zu um212 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 233 ff.; angedeutet auch bei: Tiedemann, NJW 1986, 1842, 1845 f. 213 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 233. 214 Vgl. hierzu ausführlich: Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 427 ff. m.w.N. 215 BGH, Urt. v. 25. 02. 2002, Az. II ZR 196/00, NJW 2002, 1803, 1805; a.A. WimmerLeonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 401. 216 Vgl. allgemein nur: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 3 Rn. 1; 3. 217 Ständige Rspr., vgl. nur: BVerfG, Beschl. v. 23. 10. 1985, Az. 1 BvR 1053/82, NJW 1986, 1671, 1672; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/ Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 64. 218 Groß, Verantwortlichkeit faktischer Vertretungsorgane, 2007, S. 81.

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schreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Sanktionstatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.219 Jedermann muss vorhersehen können, welches Verhalten im Allgemeinen verboten und mit Strafe bedroht ist.220 § 9 OWiG ermöglicht grundsätzlich die Sanktion der Leitungsebene, wenn dieser besondere persönliche Merkmale fehlen, welche die Möglichkeit der Ahnung begründen. Wollte man über § 9 OWiG auch die Obergesellschaft als Organ erfassen, müsste die Norm jedoch zweifach angewendet werden. Die Obergesellschaft als juristische Person kann über § 9 OWiG nicht unmittelbar belangt werden. Entsprechend würden zunächst die Pflichten der Tochtergesellschaft über § 9 OWiG auf die Obergesellschaft als Organ im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 1 OWiG übergeleitet. Sodann würden die Pflichten erneut über § 9 OWiG auf die Organe der Obergesellschaft übertragen, sodass im Anschluss über § 30 OWiG die Verantwortung wieder auf die Obergesellschaft zurückgeleitet werden könnte.221 Im Kern zeigt sich, dass § 9 OWiG allein als Vehikel zur Überleitung der Pflichten der Tochtergesellschaft auf die Obergesellschaft herangezogen wird. Diese Funktion kommt der Norm jedoch nicht zu. Anzumerken bleibt, dass das Problem auch nicht dadurch gelöst werden könnte, dass auf die Leitungspersonen der Obergesellschaft als faktisches Organ der Tochtergesellschaft abgestellt würde. Es würde nur ein weiterer Anknüpfungspunkt geschaffen, um die Haftung der Tochtergesellschaft und nicht der Obergesellschaft für etwaige Pflichtverstöße zu begründen. Der Handelnde würde in diesen Fällen gerade als faktisches Organ der Tochtergesellschaft in deren Pflichtenkreis tätig.222 5. Wirtschaftliche Einheit als kartellrechtliche Außen-GbR Einen anderen Ansatz könnte der Vorschlag Kerstings bilden, der nicht das Ordnungswidrigkeitenrecht, sondern das deutsche Gesellschaftsrecht heranzieht, um eine Ahndung der Obergesellschaft zu konstruieren. Das Defizit der mangelnden Rechtsfähigkeit der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit löst er auf, indem er diese als Außengesellschaft bürgerlichen Rechts erfasst, die von den Rechtsträgern der wirtschaftlichen Einheit gebildet wird.223 Für den Verstoß der Tochtergesellschaft als vertretungsberechtigter Gesellschafterin könnte diese Außen-GbR als rechtsfähige Personenvereinigung über § 30 Abs. 1 Nr. 3 OWiG mit einer Geldbuße belegt werden. Die Obergesellschaft würde für diesen Verstoß analog § 128 HGB haften

219 BVerfG, Beschl. v. 6. 05. 1987, Az. 2 BvL 11/85, NJW 1987, 3175, 3175; BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010, Az. 2 BvR 2559/08 u. a., NJW 2010, 3209, 3210. 220 BVerfG, Beschl. v. 23. 06. 2010, Az. 2 BvR 2559/08 u. a., NJW 2010, 3209, 3210. 221 So ausdrücklich: Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 277. 222 Dies verkennt Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 263 Fn. 147, die keinerlei Besonderheiten ausmachen will, da das Organhandeln ohnehin zugerechnet werde. 223 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 449 ff.; Kersting, WuW 2014, 1156, 1170 f.; Kersting/ Preuß, WuW 2016, 394, 396; 400; Kersting, GesRZ 2015, 377, 382 f.

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und könnte nach § 90 Abs. 1 OWiG, § 2 Abs. 1 lit. b VwVG als Vollstreckungsschuldnerin in Anspruch genommen werden.224 a) Die Qualifikation des Konzerns als GbR Diese verallgemeinernde Gleichsetzung der wirtschaftlichen Einheit, mithin unterschiedlichster Konzernverbindungen, mit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist im Schrifttum weit überwiegend auf Ablehnung gestoßen.225 Gegen die Gründung einer GbR durch die Teilglieder eines Unterordnungskonzerns wird das konzerntypische Abhängigkeitsverhältnis eingewandt; es fehle an der gleichberechtigten Zweckverfolgung.226 Auch die Interessenlage im Unterordnungskonzern spräche meist gegen die Annahme einer GbR. Es werde gerade keine gemeinsame Vertretung, Geschäftsführung oder ein gemeinsames Gesellschaftsvermögen angestrebt. Zentral für die Konzernierung sei die Haftungsdiversifikation – ebendiese werde aber durch den Ansatz Kerstings aufgehoben.227 Ob die Teilglieder eines Unterordnungskonzerns228 im Einzelfall eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bilden können, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden.229 Unabhängig davon, ob die Gründung einer GbR generell ausgeschlossen oder im Einzelfall in Erwägung gezogen wird, weichen sämtliche Autoren in einem Punkt grundlegend von der Konstruktion Kerstings ab. Auch die Autoren, die den 224 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 459; Kersting, WuW 2014, 1156, 1171; Kersting/ Preuß, WuW 2016, 394, 396; 400. 225 Gehring/Kasten/Mäger, CCZ 2013, 1, 6; Löbbe, ZHR 2013, 518, 549 f.; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 43 f.; Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 204; Koch/ Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 176 ff.; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 304 f.; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 175 ff.; Bosch, ZHR 2013, 454, 461. 226 Koppensteiner, in: Zöllner/Noack, KK-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 18; Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rn. 66; Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/ Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 177; Löbbe, ZHR 2013, 518, 539 f.; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 44; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 304. 227 Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 183; zustimmend: von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 304. 228 Im Gleichordnungskonzern wird überwiegend das Bestehen einer GbR angenommen (vgl. nur Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, § 18 Rn. 52 m.w.N.). Mangels Über-/Unterordnungsverhältnis stellt dieser jedoch keine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Unionspraxis dar. Würde ein Gleichordnungskonzern nach der Unionspraxis als wirtschaftliche Einheit qualifiziert, läge tatsächlich ein Über-/Unterordnungsverhältnis vor (vgl. hierzu bereits Teil 2 § 4 D.). Mangels gleichberechtigter Zweckverfolgung stünde dann wohl auch in diesem Einzelfall das Über-/Unterordnungsverhältnis der Gründung einer GbR entgegen bzw. entstünde eine Innen-GbR. 229 Ausführliche Darstellung des Streitstandes bei: Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 176 ff.; siehe auch: Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, 2004, S. 64 f.

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Konzern als GbR ansehen, qualifizieren diesen – wie auch Kersting230 einräumt – ausschließlich als Innengesellschaft.231 b) Die wirtschaftliche Einheit ist keine Außengesellschaft Voraussetzung für die Anwendung des § 128 HGB (analog) und eine Haftung der Obergesellschaft wäre, dass es sich um eine Außengesellschaft handelt. Gerade diese zentrale Feststellung Kerstings lässt sich jedoch weder sachlich noch dogmatisch begründen. Kersting argumentiert, für die Annahme der Außengesellschaft solle bereits das „gemeinsame Auftreten am Markt“ ausschlaggebend sein.232 Eine Außengesellschaft muss jedoch bereits begriffsnotwendig nach außen auftreten und eine hierfür erforderliche Organisation vorhalten.233 Anders als eine Innengesellschaft schließt die Außengesellschaft Geschäfte nicht im Namen des Gesellschafters, sondern im Namen der Gesellschaft ab.234 Die Gesellschaft muss gegenüber Dritten als rechtsfähige Einheit auftreten.235 Bereits an diesem Auftreten im Rechtsverkehr fehlt es jedoch in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit.236 Die Tochtergesell-

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Kersting, Der Konzern 2011, 445, 450. Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, Vor § 15 Rn. 7; Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, 2004, S. 65; Klippert, Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Konzernen, 1984, S. 37 f.; Koppensteiner, in: Zöllner/Noack, KK-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 10; Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 318; Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rn. 66. Gleiches gilt für die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, bei dem regelmäßig das Bestehen einer GbR angenommen wird, jedoch nur als Innengesellschaft, vgl. nur: Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rn. 67. 232 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 450; Kersting, WuW 2014, 1156, 1170; Kersting, GesRZ 2015, 377, 383. 233 Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 254. 234 Vgl. Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 254; 275; 305; Schücking, in: Gummert/Weipert, Münch. HdB. GesR, Bd. 1, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 5; 44; BGH, Urt. v. 26. 06. 1960, Az. II ZR 172/59, NJW 1960, 1851, 1852. 235 Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 BGB Rn. 7. 236 Unter anderem aufgrund der weitreichenden Haftungsfolgen kommt es darüber hinaus nicht allein auf das ggf. eigenmächtige Auftreten eines Gesellschafters an, sondern auf die zwischen den Gesellschaftern getroffene Absprache, ob die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnehmen soll oder nicht (vgl. Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 279; Schücking, in: Gummert/Weipert, Münch. HdB. GesR, Bd. 1, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 2). Selbst wenn ein Auftreten im Rechtsverkehr gegeben ist und nur ein konkludenter Vertragsschluss in Betracht kommt, ist nach Rechtsprechung und herrschender Meinung auf den Parteiwillen und nicht auf den objektiven Befund des Erscheinungsbildes abzustellen (vgl. Schücking, in: Gummert/Weipert, Münch. HdB. GesR, Bd. 1, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 4). Teile der Literatur sprechen sich überdies dafür aus, einschränkend den Begriff der einverständlichen Geschäftsaufnahme i.S.v. § 123 HGB auf die GbR anzuwenden (vgl. Servatius, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 BGB Rn. 7; Schäfer, in: Habersack, MüKo 231

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schaft tritt in eigenem Namen und nicht im Namen der wirtschaftlichen Einheit auf. Selbst wenn man unterstellt, dass eine Konzerngesellschaft nicht als Einzelgesellschaft, sondern als Teil eines Gesamtkonzerns wahrgenommen werden sollte, ist das tatsächliche Erscheinungsbild für die Unterscheidung von Außen- und Innengesellschaft nicht maßgeblich.237 Anders als nach der Auffassung Kerstings ist nicht das allgemeine Auftreten am Markt entscheidend, sondern in wessen Namen die Absprache getroffen wird. Auch der Verweis Kerstings auf die Perspektive des Unionsrechts, aus welcher eine wirtschaftliche Einheit bestünde, da Mutter- und Tochtergesellschaft gemeinsam am Markt agierten, führt nicht weiter.238 Die Unionsorgane nehmen zwar eine wirtschaftliche Betrachtung vor, folgen jedoch einer gänzlich vom deutschen Gesellschaftsrecht abweichenden Dogmatik. Ob eine wirtschaftliche Einheit besteht, bestimmen sie nicht anhand ihres Auftretens, sondern anhand der rechtlichen, wirtschaftlichen und organisatorischen Verbindungen zwischen den einzelnen Rechtsträgern.239 Auch nach der Unionspraxis ist die wirtschaftliche Einheit weder rechts- noch handlungsfähig. Die einzelnen Rechtsträger treten in eigenem Namen auf, ihre Handlungen werden lediglich bei der wirtschaftlichen Einheit fingiert.240 Die fehlende Tragfähigkeit des Ansatzes Kerstings zeigt sich noch deutlicher darin, dass er die wirtschaftliche Einheit nur kontextbezogen241 als Außengesellschaft qualifizieren möchte. Die GbR soll nur für die Zwecke des Wettbewerbsrechts als Außengesellschaft und im Übrigen als reine Innengesellschaft behandelt werden.242 Zivilrechtlich werde jede Gesellschaft für sich selbst tätig und schließe Verträge nur in eigenem Namen. Wettbewerbsrechtlich träte sie hingegen als Einheit nach außen auf.243 Doch auch diese kontextbezogene Betrachtung vermag nicht zu überzeugen. Koch und Harnos weisen zu Recht darauf hin, dass sich die Kartellverstöße häufig gerade aus Verträgen ergeben: Konkurrenten stimmen sich über Preise und Gebiete ab; Lieferanten legen im Liefervertrag Mindestpreise für die Veräußerung an Endkunden fest.244 Der einheitliche Sachverhalt, aus dem der

BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 2). Hierbei handelt es sich um weitere Einschränkungen – Voraussetzung ist immer, dass die Außengesellschaft im Rechtsverkehr in Erscheinung tritt. 237 Schücking, in: Gummert/Weipert, Münch. HdB. GesR, Bd. 1, 4. Aufl. 2014, § 3 Rn. 5. 238 Kersting, WuW 2014, 1156, 1170. 239 Siehe hierzu bereits Teil 2 § 4 C. 240 Siehe hierzu bereits Teil 2 § 5 A. II. 241 So die treffende begriffliche Zusammenfassung von: von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 304. 242 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 452. 243 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 452. 244 Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 187.

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Kartellverstoß resultiert, kann nicht in einen wettbewerbsrechtlichen und einen zivilrechtlichen Teil aufgespalten werden.245 Doch selbst wenn man unterstellen würde, dass einzelne Absprachen rein wettbewerbswidrige Inhalte zum Gegenstand hätten, entstünde keine kontextbezogene Außengesellschaft. Präzise beurteilt, muss die Argumentation nicht erst bei dem Vertragsinhalt, sondern noch einen Schritt zuvor, bei der tatsächlichen Vereinbarung an sich, ansetzen. Der Inhalt einer Vereinbarung kann strafrechtlich, zivilrechtlich und wettbewerbsrechtlich beurteilt werden. So kann eine Vereinbarung beispielsweise wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, jedoch aus einem anderen Grund zivilrechtlich unwirksam sein. Der eigentliche Sachverhalt, mithin ob die Vereinbarung in eigenem Namen oder im Namen der GbR getroffen wurde, unterliegt jedoch nicht der rechtlichen Beurteilung.246 Wie bereits erläutert, tritt die Tochtergesellschaft jedoch in eigenem Namen auf. Nimmt Kersting dementgegen eine kontextbezogene GbR an, unterstellt er ein Handeln im Namen der GbR, wenn diese für die Zwecke des Wettbewerbsrechts als Außengesellschaft beurteilt werden soll. Das zeigt, dass Kersting im Kern die GbR allein bei der (wettbewerbs-)rechtlichen Beurteilung als Außengesellschaft behandelt. Es ist jedoch nicht möglich allein nach rechtlicher Beurteilung nach außen aufzutreten. Eine Außengesellschaft entsteht durch tatsächliches Auftreten nach außen, das Handeln im Namen der Gesellschaft. Im Ergebnis postuliert Kersting ohne sachliche Grundlage das Bestehen einer Außen-GbR, um über die Haftungsfolge analog § 128 HGB eine der europäischen Rechtslage vergleichbare Haftung zu erreichen.247 6. Zwischenergebnis Im Gegensatz zu Art. 101 AEUV bzw. Art. 23 VO Nr. 1/2003 richtet sich § 30 Abs. 1 OWiG nicht an Unternehmen, sondern an juristische Personen und ihnen gleichgestellte Personenvereinigungen. Die wirtschaftliche Einheit ist im deutschen Recht für den Kartellverstoß nicht verantwortlich. Die Sanktion der einzelnen

245 Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 188; zustimmend: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 179; zweifelnd auch: von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 305. 246 Anders sicherlich, wenn Unsicherheiten bestehen und durch Auslegung der Inhalt der Erklärung präzisiert wird. Diese Konstellation liegt jedoch nicht vor. Auch Kersting stellt allgemein auf das Auftreten am Markt und nicht die Erklärung im Einzelfall ab. Im Übrigen besteht keine Vermutung für das Vorliegen einer Außengesellschaft. Der Gläubiger muss das Auftreten im Namen der Gesellschaft beweisen, vgl. BGH, Urt. v. 26. 06. 1960, Az. II ZR 172/ 59, NJW 1960, 1851, 1852; Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 279. 247 Im Ergebnis ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 44; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 305. Anzumerken bleibt, dass die Ahndung auf Grundlage des Ansatzes Kerstings erheblich über die Haftung nach der Unionspraxis hinausginge. Anders als nach Unionsrecht würden sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit wechselseitig für sämtliche Verstöße haften, vgl. hierzu bereits Teil 2 § 6.

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Rechtsträger kann auch nicht dadurch begründet werden, dass die wirtschaftliche Einheit wettbewerbsrechtlich als Gesellschaft bürgerlichen Rechts konstruiert wird. Die Kapitalbeteiligung an der Tochtergesellschaft und die damit verbundene Möglichkeit der Einflussnahme bzw. die allgemeine, nicht auf das wettbewerbswidrige Verhalten bezogene Einflussnahme kann keine rechtliche Verantwortlichkeit der Obergesellschaft begründen. Eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung auf Grundlage des § 130 OWiG scheidet aus, da die Obergesellschaft weder Inhaberin eines „Konzerns“ noch der Tochtergesellschaft ist. Inhaberin und Aufsichtspflichtige i.S.d. § 130 OWiG ist allein die Tochtergesellschaft als Rechtsträger des wettbewerbswidrig handelnden Unternehmens. Auch die Ahndung einer fahrlässigen Nebentäterschaft durch Unterlassen scheidet in den weit überwiegenden Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit aus. Das Modell der Geschäftsherrenhaftung kann nicht auf den Konzern übertragen werden. Der Obergesellschaft kommt keine allgemeine Garantenstellung für aus der Tochtergesellschaft heraus begangene Wettbewerbsverstöße zu. Nur in Einzelfällen kann eine Garantenstellung begründet und damit eine Sanktion auf Grundlage des § 8 OWiG verhängt werden. Das kommt in Betracht, wenn die Obergesellschaft eine der Tochtergesellschaft nicht immanente Gefahr geschaffen oder Aufsichtspflichten der Tochtergesellschaft vertraglich oder faktisch übernommen hat. III. Ahndung auf Grundlage des GWB Da der grundlegende Sanktionstatbestand in § 81 GWB normiert ist, jedoch auf Grundlage des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts eine Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit regelmäßig nicht begründet werden kann, ist zu fragen, ob sich eine Ahndung auf besondere Vorschriften des GWB stützen lässt. 1. Die Verbundklausel, § 36 Abs. 2 GWB Die im Vergleich zu der Ahndungspraxis auf Unionsebene bestehenden Lücken könnten dadurch geschlossen werden, dass das wettbewerbswidrige Verhalten der Leitungspersonen der Untergesellschaft auf Grundlage der Verbundklausel, § 36 Abs. 2 GWB, der Obergesellschaft zugerechnet wird. a) Inhalt der Verbundklausel § 36 Abs. 2 GWB findet auf das gesamte248 GWB Anwendung und ermöglicht die Zurechnung im Unternehmensverbund. Zweck der Norm ist, Unternehmensgruppen, 248 BT-Drs. 13/9720, S. 56; BGH, Urt. v. 23. 06. 2009, Az. KZR 21/08 – Entega, Tz. 15 m.w.N.; a.A. Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, 2004, S. 59 ff.; 188 ff.

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die wegen gegenseitiger Verflechtungen in der Regel eine wettbewerbliche Einheit bilden, im Rahmen des Kartellrechts auch tatsächlich als Einheit zu behandeln.249 § 36 Abs. 2 S. 1 GWB bestimmt, dass verbundene Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen sind, wenn ein beteiligtes Unternehmen ein abhängiges oder herrschendes Unternehmen im Sinne des § 17 AktG oder ein Konzernunternehmen im Sinne des § 18 AktG ist. Hierbei erfasst die Verbundklausel grundsätzlich alle Arten abhängiger sowie beherrschender Unternehmen jeglicher Rechtsform.250 b) Keine Haftung auf Grundlage der Verbundklausel Auf den ersten Blick scheinen sich die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 GWB und der wirtschaftlichen Einheit im Sinne der Unionspraxis im Wesentlichen zu gleichen. Herrschende und abhängige Unternehmen (§ 17 AktG) oder Konzernunternehmen (§ 18 AktG) bilden ein „einheitliches Unternehmen“. Gleichsam ergeben sich je nach Einzelfall Unterschiede zu der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit, da die Verbundklausel anders als die Rechtsfigur auf dem Begriff der Beherrschung i.S.d. Aktienrechts basiert.251 Dieser Begriff der Beherrschung deckt sich nicht mit dem der wirtschaftlichen Einheit nach europäischem Wettbewerbsrecht.252 Nichtsdestotrotz folgern einzelne Autoren, dass über die Verbundklausel eine „Identifizierung von Konzernen mit wirtschaftlichen Einheiten“ stattgefunden habe und auf dieser Grundlage wechselseitig Handlungen zugerechnet werden könnten.253 Eine solche Auslegung hätte jedoch zur Folge, dass über § 36 Abs. 2 GWB im Kartellordnungswidrigkeitenrecht die Täterschaft eines gänzlich unbeteiligten Rechtsträgers begründet würde, weshalb erhebliche Zweifel an der entsprechenden Anwendung der Verbundklausel bestehen.254 Wie der Bundesgerichtshof in einer Zweifelnd im Hinblick auf die Geltung für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht: Achenbach, ZWeR 2009, 3, 12; Haus, NZKart 2013, 183, 188. 249 Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 36 GWB Rn. 215. Vgl. auch BT-Drs. 13/9720, S. 56 (noch unter Abs. 3). 250 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 36 GWB Rn. 834; Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 36 GWB Rn. 217. 251 Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 36 GWB Rn. 215. 252 Neuhaus, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 36 GWB Rn. 216; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 36 GWB Rn. 787 m.w.N.; Stanka, Vertikale Haftungszurechnung, 2015, S. 162; Buntscheck, EuZW 2007, 423, 425. 253 Dück/Schultes, WM 2013, 9, 11; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 1 GWB Rn. 46 deutet ohne nähere Ausführungen eine Zurechnung von Verhaltensweisen und Marktanteilen anderer konzernzugehöriger Gesellschaften an. 254 Ablehnend ebenfalls: Schnelle, WuW 2015, 332, 337; Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/ Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 28.

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Entscheidung im Hinblick auf die Rechtsnachfolge festgestellt hat, sieht das geltende Recht keine bußgeldrechtliche Konzernhaftung vor. Eine Zurechnung, die eine bußgeldrechtliche Haftung begründet, kann nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung erfolgen.255 Ebendies gilt auch für § 36 Abs. 2 GWB. Hätte der Gesetzgeber mit § 36 Abs. 2 GWB eine solche gesetzliche Regelung zur Sanktionierung einführen wollen, wäre eine ausdrückliche Normierung erforderlich gewesen, die den Paradigmenwechsel bei der Ahndung klar benennt. Auch die Gesetzgebungsmaterialien lassen darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Anwendung nie in Erwägung gezogen hatte. § 36 Abs. 2 GWB galt bis zur 6. GWB-Novelle ausschließlich für die Berechnung von Marktanteilen und Umsatzerlösen in der Fusionskontrolle.256 Erst mit der 6. GWB-Novelle wurde knapp festgestellt, dass die Beschränkung auf die Fusionskontrolle aufgeboben und die Verbundklausel auf den gesamten Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeweitet wird.257 Hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Verbundklausel nunmehr die Grundlage für eine täterschaftsbegründende, konzernweite Verhaltens- und Verschuldenszurechnung im Kartellordnungswidrigkeitenrecht bilden könnte. Im Übrigen stünde eine solche Anwendung des § 36 Abs. 2 GWB nicht mit der Funktionsweise der Verbundklausel in Einklang und verstieße gegen grundlegende Prinzipien des Verfassungsrechts. § 36 Abs. 2 GWB ist keine isoliert anwendbare Zurechnungsnorm. Die Verbundklausel kann bei der Subsumtion unter ein konkretes Tatbestandsmerkmal einer Norm aus dem GWB herangezogen werden, um hierbei die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu berücksichtigen. Das GWB selbst beinhaltet jedoch keine Norm zur Ahndung einer Kartellordnungswidrigkeit, in dessen Rahmen über § 36 Abs. 2 GWB die konzernrechtliche Perspektive berücksichtigt werden könnte.258 Bei der Ahndung von Kartellverstößen findet vielmehr das allgemeine Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung. Um eine Zurechnung zu begründen, müsste § 36 Abs. 2 GWB damit im Rahmen des § 30 OWiG Anwendung finden können. Ob die Verbundklausel überhaupt außerhalb des GWB bei der Subsumtion unter Normen des OWiG herangezogen werden kann, erscheint bereits fraglich.259 Noch schwerer wiegt jedoch, dass sich § 36 Abs. 2 GWB nicht in die Systematik des Kartellordnungswidrigkeitenrechts einfügt.260 Die Verbundklausel kann grundsätzlich nur Anwendung finden, wenn die entsprechende Norm an den

255 BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 20. 256 BT-Drs. 13/9720, S. 56 (noch unter Abs. 3). 257 BT-Drs. 13/9720, S. 56 (noch unter Abs. 3). 258 § 81 Abs. 4 GWB stellt keine Eingriffsnorm dar. Vgl. hierzu ausführlicher unmittelbar nachfolgend Teil 3 § 2 A. III. 2. 259 Zweifelnd: Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 142; ablehnend: Achenbach, ZWeR 2009, 3, 12; Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 39. 260 Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 57.

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Unternehmensbegriff anknüpft.261 § 30 OWiG liegt hingegen das Rechtsträgerprinzip zugrunde, adressiert werden nur juristische Personen oder vergleichbare Personenvereinigungen.262 Um die Zurechnung des Verhaltens der Leitungspersonen an sämtliche konzernverbundenen Gesellschaften zu ermöglichen, müsste daher auf Grundlage des § 36 Abs. 2 GWB der Begriff der juristischen Person in § 30 OWiG erweiternd als Zusammenschluss aus mehreren Rechtsträgern ausgelegt werden. Eine solche Umdeutung in eine Unternehmensgeldbuße würde jedoch über den möglichen Wortsinn hinausgehen und folglich gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete Analogieverbot verstoßen.263 Überdies würde die Verhängung eines Bußgeldes gegen eine unbeteiligte Obergesellschaft gegen den Grundsatz in dubio pro reo verstoßen, wenn der Bußgeldbescheid auf § 36 Abs. 2 GWB beruhen sollte und die Verbundklausel im konkreten Einzelfall aufgrund einer Vermutung Anwendung fände.264 So lässt § 36 Abs. 2 S. 1 GWB i.V.m. § 17 Abs. 2 AktG beispielsweise eine einfache Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1 AktG) genügen, um zu vermuten, dass die in Mehrheitsbesitz befindliche Gesellschaft von ihrer Mehrheitseigentümerin abhängig ist und erlaubt in diesem Fall eine Zurechnung. Damit würde sich die Anwendung der Vermutungsregel zulasten des Betroffenen auswirken und folglich im nationalen Kartellordnungswidrigkeitenrecht gegen die Unschuldsvermutung verstoßen.265 Sofern die Inanspruchnahme über § 36 Abs. 2 GWB allein auf strukturellen Faktoren beruhen würde, stünde überdies ein Verstoß gegen das Schuldprinzip im Raum.266 2. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB Einen weiteren möglichen Ansatzpunkt für die Inanspruchnahme der unbeteiligten Obergesellschaft könnte § 81 Abs. 4 S. 2 GWB bilden.267 Diese Bestimmung knüpft nicht an einen Rechtsträger an, sondern stellt bei der Ermittlung des Ge261

Koch, ZHR 2007, 554, 564. In diesem Sinne auch: Haus, NZKart 2013, 183, 188; Achenbach, ZWeR 2009, 3, 12 – jeweils im Hinblick auf § 81 GWB. 262 Vgl. BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 15; Achenbach, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 11/14, § 81 GWB Rn. 101. 263 BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 14 f.; i.E. ebenso: Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 57; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 307; Deselaers, WuW 2006, 118, 122. 264 Ebenso: Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 57 f.; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 307; Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 142; Kling, wrp 2010, 506, 513; Haus, NZKart 2013, 183, 188. 265 Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 58. 266 Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 36 GWB Rn. 810; Schnelle, WuW 2015, 332, 337; Deselaers, WuW 2006, 118, 122; v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 121. 267 Zur grundsätzlichen Kritik an der Norm vgl.: Deselaers, WuW 2006, 118, 121 ff.; Thiele, wrp 2006, 999, 999 ff.; Achenbach, ZWeR 2009, 3, 3 ff.

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samtumsatzes auf den weltweiten Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen ab, die als wirtschaftliche Einheit operieren. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien soll hierbei der Begriff der wirtschaftlichen Einheit der europäischen Rechtslage entsprechen.268 Angestoßen durch die zweideutige Formulierung in den ersten von dem Bundeskartellamt bekannt gemachten Bußgeldleitlinien, dass die „Leitlinien […] für die Festsetzung von Geldbußen nach § 81 Abs. 4 S. 2 gegen Unternehmen [gelten]“269, wurde in der Literatur teilweise diskutiert, ob § 81 Abs. 4 S. 2 GWB eine Eingriffsnorm darstellt und § 30 OWiG als lex specialis vorgeht.270 So wurde angeführt, dass der Unternehmensbegriff in § 81 Abs. 4 S. 2 GWB auch eine Übernahme des europäischen Zurechnungssystems beinhalte.271 Andere Autoren haben erwogen, § 81 Abs. 4 S. 2, 3 GWB als Zurechnungsnorm heranzuziehen.272 Diesen Überlegungen ist der Bundesgerichtshof inzwischen entgegengetreten und auch die weit überwiegende Mehrheit der Stimmen in der Literatur273 lehnt diesen Ansatz mit überzeugenden Argumenten ab. § 81 Abs. 4 GWB ordnet nicht die Geltung des europäischen Unternehmensbegriffs im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht an, sondern hat allein die Bußgeldbemessung zum Gegenstand.274 Wie sich aus dem Wortlaut und der Systematik des § 81 GWB ergibt, betrifft der in § 81 Abs. 4 S. 2, 2. HS GWB enthaltene Bezug auf das „Unternehmen“ und die Be268

BT-Drs. 16/7156, S. 11. Bekanntmachung des Bundeskartellamtes Nr. 38/2006 unter I.1. (Geltungsbereich). Zu den (verfassungsrechtlichen) Einwänden gegen die Bezugnahme auf die wirtschaftliche Einheit in der Umsatzberechnung vgl.: Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 59 ff.; Haus, Der Konzern 2014, 204, 214 f.; Achenbach, ZWeR 2009, 3, 8; Deselaers, WuW 2006, 118, 121; a.A. Weitbrecht/Mühle, WuW 2006, 1106, 1106 ff. 270 Bach/Klumpp, NJW 2006, 3524, 3525 verstehen die Formulierung des Bundeskartellamtes dahingehen, dass dieses § 81 Abs. 4 S. 2 als Eingriffsnorm auslegt; Klocker/Ost, in: FS Bechtold, 2006, S. 229, 247 Rn. 61; Ost ist von diesem Ansatz jedoch zwischenzeitlich abgerückt: Ost, NZKart 2013, 25, 26 Fn. 6. 271 Dück/Schultes, WM 2013, 9, 10 ff.; 14; Ackermann, ZWeR 2010, 329, 345 steht einer Angleichung an die europäische Rechtspraxis über § 81 Abs. 4 GWB grundsätzlich offen gegenüber, äußert jedoch auch Bedenken und legt sich nicht fest. 272 Im Ergebnis jedoch ablehnend: Dos Santos Goncalves, Bußgeldhaftung im Konzern, 2015, S. 143; Bürger, WuW 2011, 130, 134. 273 Heinichen, wrp 2012, 159, 161; Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 976; Bürger, WuW 2011, 130, 134; Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 175; Schnelle, WuW 2015, 332, 337; Koch, ZHR 2007, 554, 563; 566 f.; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 78; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 247; Achenbach, ZWeR 2009, 3, 9 ff.; Weitbrecht/Mühle, WuW 2006, 1106, 1114; Wiesenack/Klein, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 5, 28; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 35; Wiedmann/Funk, BB 2015, 2627, 2633; v. Laufenberg, Kartellrechtliche Konzernhaftung, 2017, S. 122 f. 274 Vgl. BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 21 (obiter dictum). 269

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stimmung seines Umsatzes allein die Rechtsfolgenseite.275 Das deutsche Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht erkennt die Handlungs- und Schuldfähigkeit überindividueller Einheiten nicht an.276 Ob eine juristische Person aufgrund des Handelns ihrer Leitungsperson mit einem Bußgeld belegt werden darf, wird abschließend durch § 30 OWiG bestimmt.277 3. Zwischenergebnis Weder auf Grundlage der Verbundklausel des § 36 Abs. 2 GWB noch über § 81 Abs. 4 GWB kann eine Sanktion gegen die Obergesellschaft einer wirtschaftlichen Einheit nach unionsrechtlichem Verständnis begründet werden. § 36 Abs. 2 GWB fügt sich nicht in die Systematik des § 30 OWiG ein und kann für sich allein nicht die Grundlage für eine täterschaftsbegründende, konzernweite Verhaltens- und Verschuldenszurechnung bilden. § 81 Abs. 4 GWB ist keine Eingriffsnorm und ordnet nicht die Geltung des europäischen Unternehmensbegriffs im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht an. Anders als im europäischen Recht begründet die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit im deutschen Recht keine Haftung der Obergesellschaft, sondern dient allein der Umsatzbemessung bei der Verhängung von Geldbußen gegen die Tochtergesellschaft. IV. Einwirkungen des Unionsrechts Aufgrund der Anknüpfung an das Rechtsträgerprinzip im deutschen Sanktionsrecht unterscheiden sich die europäischen und die deutschen Haftungsfolgen gravierend. In Konstellationen, die auf europäischer Ebene die gesamtschuldnerische Haftung aller Rechtsträger aufgrund einer gemeinsamen wirtschaftlichen Einheit zur Folge hätten, können in Deutschland Geldbußen nur gegen die handelnde Tochtergesellschaft verhängt werden. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Ergebnis mit den europäischen Vorgaben vereinbar ist. Einschränkungen könnten sich aus dem allgemeinen Vorranggrundsatz des Unionsrechts (hierzu 1.) und dem Effektivitätsgrundsatz ergeben (2.). 1. Einschränkungen nach dem allgemeinen Vorranggrundsatz des Unionsrechts Die vorrangige Anwendung speziell des Art. 101 AEUV wird grundsätzlich durch die Konvergenzregel sichergestellt. Sie bestimmt jedoch lediglich, dass die mildere unionsrechtliche Kartellrechtsnorm vor der strengeren einzelstaatlichen Norm an275

Vgl. Heinichen, wrp 2012, 159, 161. Achenbach, ZWeR 2009, 3, 9. 277 BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, 2198 f., Rn. 10 ff., insbes. Rn. 13; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 68. 276

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zuwenden ist, vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO Nr. 1/2003 bzw. den inhaltsgleichen § 22 Abs. 2 S. 1 GWB.278 Die Regelung müsste allenfalls beachtet werden, sofern das deutsche Recht strengere Regelungen als das Unionsrecht vorsieht. Der nicht normierte Vorranggrundsatz hingegen sichert allgemein den Vorrang des strengeren europäischen Rechts gegenüber milderem nationalen Wettbewerbsrecht und ist in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte anerkannt. Er bleibt von den Regelungen in Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 unberührt, wie dies auch § 22 Abs. 2 S. 3 GWB für das deutsche Recht festschreibt.279 Nach dem allgemeinen Vorranggrundsatz dürfen die einheitliche Anwendung des Unionskartellrechts und dessen volle Wirksamkeit einschließlich der zu seinem Vollzug ergehenden Maßnahmen in der EU nicht durch einzelstaatliches Recht beeinträchtigt werden.280 Das bei der Beurteilung des Einzelfalls strengere Unionsrecht genießt im Konflikt mit milderem einzelstaatlichen Recht Vorrang.281 Insofern könnte die Unionspraxis im Hinblick auf den Unternehmensbegriff und das ihm innewohnende Haftungsmodell eine „strengere“ Vorgabe darstellen und Abweichungen im nationalen Recht verdrängen. Nach der maßgeblichen Walt Wilhelm Entscheidung des EuGH kommt der Vorrang bei Verboten des Unionsrechts, negativen Entscheidungen der Kommission und „gewissen positiven“282, wenn auch mittelbaren Eingriffen zur Förderung einer harmonischen Entwicklung des Gemeinschaftslebens in Betracht.283 Hieraus folgt, dass der Anwendungsvorrang nur Geltung beansprucht, sofern das Unionsrecht eine positive oder negative Regelung trifft.284 Der Grundsatz des Anwendungsvorrangs ergänzt die Wirkung unmittelbar anwendbarer285 Unionsbestimmungen.286 Er löst Kollisionslagen, die zwischen 278 van der Hout/Walzel, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 16. 279 BT-Drs. 15/3640, S. 47; de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 1; Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 22 GWB Rn. 10; van der Hout/Walzel, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 16; Weber, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 10 f. 280 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 02. 1969, Rs. 14 – 68, ECLI:EU:C:1969:4 – Walt Wilhelm u. a., S. 13 f.; Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 4; Bunte, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, Einleitung Rn. 75; de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 2. 281 Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 12; Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/ Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 22 Rn. 18. 282 Nach herrschender Meinung kamen hiernach Freistellungsentscheidungen und Gruppenfreistellungen der Kommission unbedingter Vorrang vor widersprechenden Maßnahmen des nationalen Rechts zu, vgl. Bechtold, in: FS Schwarze, 2014, S. 518, 519. 283 EuGH, Urt. v. 13. 02. 1969, Rs. 14 – 68, ECLI:EU:C:1969:4 – Walt Wilhelm u. a., S. 14. 284 Kirchhoff, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 1725. 285 Ebenfalls als „unmittelbare Geltung“ oder „unmittelbare Wirkung“ bezeichnet, vgl. hierzu ausführlich Klein, Unmittelbare Geltung, 1988, S. 1 ff.

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Unionsrecht und nationalem Recht aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit der europäischen Norm entstehen.287 Unmittelbar anwendbar ist eine Bestimmung des AEUV, wenn sie eine klare, eindeutige, unbedingte und vollständige Rechtsfolge enthält und keiner weiteren Konkretisierung durch Ermessensausübung bedarf.288 Art. 101 Abs. 1 AEUV enthält jedoch allein das Verbot eines bestimmten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens.289 Der Norm lässt sich keine entsprechende klare und unbedingte Vorgabe für die Haftung der wirtschaftlichen Einheit im Sinne des Unionsrechts bzw. die Haftung der Obergesellschaft als Teil einer solchen wirtschaftlichen Einheit entnehmen. Wie im vorangegangenen Teil dieser Arbeit herausgearbeitet, folgt die Fiktion eines schuldhaften Verstoßes der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit allein aus der Auslegung des Unternehmensbegriffs in Art. 101 AEUV durch die Unionsorgane und unterlag und unterliegt einem stetigen Wandel. Die Inanspruchnahme der einzelnen Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit mit der Folge der gesamtschuldnerischen Haftung beruht auf einer Ermessensentscheidung der Europäischen Kommission. Art. 101 Abs. 1 AEUV lassen sich daher keine Vorgaben dafür entnehmen, dass im nationalen Sanktionsrecht das Konzept der wirtschaftlichen Einheit anzuwenden ist. Der Anwendungsvorrang greift nicht ein. 2. Einschränkungen durch den Effektivitätsgrundsatz Die eingangs290 erläuterte Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, welche die Grundlage für die Anwendung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bestimmungen bildet, wird durch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere das unionsrechtliche Effektivitäts- sowie das Äquivalenzgebot begrenzt.291 Aus Art. 4 Abs. 3 EUV, der den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit von Union und Mitgliedstaaten normiert, wird abgeleitet, dass die Mitgliedstaaten zur effektiven 286 Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 4 EUV Rn. 101. 287 Seyr, Effet utile, 2008, S. 124; Mosiek, Effet utile, 2003, S. 28; Beljin, EuR 2002, 351, 353 f. m.w.N. 288 Kirchhoff, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 1709. 289 Ausführlicher zu den früheren Differenzen bezüglich der unmittelbaren Anwendbarkeit des in Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgesprochenen Verbots: Kirchhoff, in: Bornkamm/Montag/ Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Einl. Rn. 1710. Ebenso im Hinblick auf Vorgaben für das nationale Zivilrecht: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 100; vgl. auch: Bardong, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 70. 290 Siehe hierzu Teil 3 § 2 A. I. 3. 291 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, Vor § 81 GWB Rn. 230. Vgl. Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 14; Bardong, in: Bornkamm/Montag/ Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 58.

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Durchsetzung des Unionsrechts verpflichtet sind.292 Art. 197 AEUV unterstreicht die grundlegende Bedeutung der Verwaltungskooperation für die Effektivität des Vollzugs des Unionsrechts.293 Speziell der sechste und der achte Erwägungsgrund der VO Nr. 1/2003 gebieten, das europäische Wettbewerbsrecht wirksam durchzusetzen.294 Die Mitgliedstaaten müssen gewährleisten, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind und dass Verstöße gegen die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Wettbewerbsrecht.295 Entsprechend wird von diversen Autoren das Effektivitätsgebot herangezogen, um die bestehenden dogmatischen Strukturen des deutschen Bußgeldrechts zu überwinden und eine Angleichung an die europäische Rechtslage zu erreichen.296 So wird regelmäßig argumentiert, dass die unterschiedliche Herangehensweise im deutschen und im europäischen Recht die Rechtssicherheit leiden lasse.297 Das Unionsrecht verlange seine effektive Durchsetzung. Diese sei bereits nicht mehr gewahrt, wenn nach deutschem Recht nur die Tochtergesellschaft – und damit aus unionsrechtlicher Perspektive untergeordnete Teile einer wirtschaftlichen Einheit – für den Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV sanktioniert werden könnten.298 Das Effektivitätsgebot sei dabei nicht erst dann betroffen, wenn die effektive Durchsetzung generell infrage stünde, sondern bereits, wenn in wichtigen Fallkonstellationen eine adäquate Sanktionierung nicht sichergestellt sei.299 Vielmehr komme das Gebot der Effektivität im Ergebnis einem unionsrechtlichen Kongruenzgebot gleich.300 Damit müsse der unionsrechtlich bestimmte materielle Normadressat – mithin das Unternehmen im Sinne des Unionsrechts – durch die nationale Rechtsordnung sanktionierbar sein.301

292

EuGH, Urt. v. 7. 01. 2004, Rs. C-201/02, ECLI:EU:C:2004:12 – Wells, Rn. 64; König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2011, S. 106 f.; von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 9/13, Art. 4 EUV Rn. 85. 293 Terhechte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 197 AEUV Rn. 1. 294 Harnos, ZWeR 2016, 284, 285. 295 Puffer-Mariette, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 5 VO (EG) 1/2003 Rn. 19. 296 Vgl. allgemein zum effet utile im europäischen Kartellrecht: Roth, wrp 2013, 257, 257 ff. 297 Kersting, WuW 2014, 1156, 1170. 298 Kersting, WuW 2014, 1156, 1170. 299 Ost/Kallfaß/Roesen, NZKart 2016, 447, 452; in diesem Sinne wohl auch: Ackermann, ZWeR 2012, 3, 6; 16 f.; 18 f., der hieraus jedoch einen Handlungsauftrag an den Gesetzgeber ableitet. 300 Ost, NZKart 2013, 25, 26; Ost, (2014) 5 JECLaP 125, 131. 301 Ost, NZKart 2013, 25, 26; Ost, (2014) 5 JECLaP 125, 131.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Dieser Forderung nach einer Unternehmensgeldbuße ist der BGH, wie bereits ausgeführt, mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten.302 Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung wird durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit, beschränkt. Sie darf nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen, sondern muss sich im Rahmen der nach nationalem Recht zulässigen Methoden richterlicher Rechtsfindung bewegen.303 Hierbei ist dem im deutschen und europäischen Verfassungsrecht verankerten Gesetzlichkeitsprinzip sowie der Wortsinngrenze im Besonderen Rechnung zu tragen. Aufgrund der abschließenden Aufzählung der sanktionierbaren Verbände in § 30 OWiG und des darin zum Ausdruck kommenden Rechtsträgerprinzips, kann § 30 OWiG nicht in eine Unternehmensgeldbuße umgedeutet werden. Dies würde einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich vorgegebene Wortlautgrenze und damit gegen das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellen.304 Die Argumentation des Bundesgerichtshofes bezieht sich jedoch allein auf die durch den Wortlaut des § 30 OWiG gezogene Grenze und das in der Norm zum Ausdruck kommende Rechtsträgerprinzip. Eine zumindest im Ergebnis dem Unionsrecht entsprechende Sanktionierung der Obergesellschaft für einen von Mitarbeitern der Tochtergesellschaft begangenen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht könnte jedoch auch ohne eine erweiterte Auslegung des § 30 OWiG, sondern über § 130 OWiG erreicht werden. Auch wenn, wie bereits ausgeführt305, eine faktische Betrachtungsweise im Rahmen des § 130 OWiG abzulehnen ist und eine hierfür erforderliche Aufsichtspflicht über die Tochtergesellschaft und ihre Mitarbeiter nicht besteht, könnte die Annahme einer solchen Aufsichtspflicht mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot begründet werden. Entsprechend nimmt Ost an, dass allein die Auffassung, die eine sanktionierte Aufsichtspflicht befürwortet, dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot genügen würde.306 An anderer Stelle deutet er an, dass sich aus dem europäischen Recht allgemein eine Garantenstellung der Obergesellschaft für das Handeln der Tochtergesellschaft ergeben könnte.307 a) Stellungnahme Der europäische Gesetzgeber hat in der VO Nr. 1/2003 die einzelstaatlichen Sanktionsregeln nicht harmonisiert. Er traf damit eine Grundentscheidung dahin302 BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 14 f. 303 BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 19. 304 Vgl. BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 14 f. 305 Siehe ausführlicher bereits Teil 3 § 2 A. II. 3. c). 306 Ost, in: Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 320; Ost, NZKart 2013, 25, 26. 307 Ost, NZKart 2013, 25, 27, Fn. 16.

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gehend, dass sich die Sanktionen nach den unterschiedlichen nationalen Vollzugsregeln der einzelnen Mitgliedstaaten richten. Verweist die unionsrechtliche Vorgabe für die Sanktionierung von Gemeinschaftsrechtsverstößen durch Private auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, hat der nationale Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten.308 Hierbei wird die grundsätzliche Autonomie der einzelnen Mitgliedstaaten geachtet. Der Gerichtshof verlangt lediglich die Einhaltung des Äquivalenzgrundsatzes, mithin dass der nationale Gesetzgeber darauf achtet, dass Verstöße gegen das Unionsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht.309 Der für die gegenständliche Frage maßgebliche Effektivitätsgrundsatz310 verpflichtet den deutschen Gesetzgeber allein, ein Sanktionssystem vorzusehen, das effektiv, verhältnismäßig und abschreckend ist.311 In diesem Rahmen können die Mitgliedstaaten frei bestimmen, welche Sanktionen verhängt werden.312 Für die Beurteilung, ob die nach deutschem Recht bestehenden Sanktionen effektiv und abschreckend sind, ist daher eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen.313 In Deutschland besteht ein eigenständiges, historisch gewachsenes und ausdifferenziertes Haftungssystem.314 Insbesondere ist hierbei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in § 81 Abs. 4 S. 2 und S. 3 GWB – auch wenn die Geldbuße allein gegen die handelnde Tochtergesellschaft verhängt werden kann – für die Ermittlung 308 EuGH, Urt. v. 21. 09. 1989, Rs. 68/88, ECLI:EU:C:1989:339 – Kommission/Griechenland, Rn. 23; EuGH, Urt. v. 10. 07. 1990, Rs. C-326/88, ECLI:EU:C:1990:291 – Hansen, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 27. 02. 1997, Rs. C-177/95, ECLI:EU:C:1997:89 – Ebony Maritime und Loten Navigation, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art, Rn. 62. 309 Puffer-Mariette, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 5 VO (EG) 1/2003 Rn. 19. Ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz steht hier nicht in Frage, da sich die Sanktionen für Verstöße gegen deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht nach einheitlichen deutschen Regeln richten. 310 Zur subjektiv-rechtlichen Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes, sofern es um aus dem europäischen Recht erwachsende Rechte geht, siehe ausführlich die Ausführungen zur zivilrechtlichen Haftung. In diesen Konstellationen dürfen die Mitgliedstaaten die Durchsetzung dieser Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder wesentlich erschweren. 311 Sura, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 10; EuGH, Urt. v. 21. 09. 1989, Rs. 68/88, ECLI:EU:C:1989:339 – Kommission/Griechenland, Rn. 23 f.; EuGH, Urt. v. 10. 07. 1990, Rs. C-326/88, ECLI:EU:C:1990:291 – Hansen, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 27. 02. 1997, Rs. C-177/95, ECLI:EU:C:1997:89 – Ebony Maritime und Loten Navigation, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art, Rn. 62. Vgl. auch die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. EU 2004 Nr. C 101/03, S. 1. 312 Sura, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 5 VO 1/2003 Rn. 10; König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2011, S. 125. 313 Harnos, ZWeR 2016, 284, 292; Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 44. 314 Mäger, NZKart 2015, 329, 330.

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der Höhe der gegen diese Gesellschaft zu verhängenden Geldbuße auf den Gesamtumsatz der wirtschaftlichen Einheit im Sinne des Unionsrechts abstellt. Die Geldbußen können bis zu 10 % des Gesamtumsatzes aller weltweit als wirtschaftliche Einheit operierenden natürlichen und juristischen Personen betragen. Auch im Rahmen der Bußgeldzumessung wird bei der Bewertung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Leistungsfähigkeit schon gegenwärtig auf das Unternehmen im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit abgestellt.315 In den Bußgeldleitlinien verwendet das Bundeskartellamt den Begriff der Unternehmensgröße in diesem Sinne als maßgeblichen Faktor.316 Durch die Einbeziehung des Gesamtumsatzes wird so bereits auf der Rechtsfolgenseite die Konzernzugehörigkeit der bebußten Gesellschaft berücksichtigt. Überdies darf im Rahmen eines Vergleichs des deutschen und des europäischen Sanktionssystems der Blick nicht nur einseitig darauf gerichtet werden, dass keine Geldbuße unmittelbar gegen die Obergesellschaft verhängt werden kann. Vielmehr ist daneben zu berücksichtigen, dass das deutsche Bußgeldsystem an anderer Stelle erheblich schärfer ausgestaltet ist. Anders als nach den europäischen Vorschriften können die deutschen Kartellbehörden auch Geldbußen gegen natürliche Personen verhängen, §§ 81 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 GWB, 9 OWiG.317 Zu Recht weist Bürger darauf hin, dass diese zusätzliche Sanktionsmöglichkeit bei der Bewertung der Effektivität und des Abschreckungseffektes nicht unterschätzt werden darf.318 Es ist psychologisch ein erheblicher Unterschied, ob die einzelne Leitungsperson ordnungswidrig handelt und sich einem persönlichen Bußgeld von bis zu einer Million Euro ausgesetzt sieht oder ob ihr Verhalten für sie selbst ohne Sanktion bleibt.319 Zu berücksichtigen bleibt schließlich, dass die Kartellbehörden der EU-Mitgliedstaaten zusammen mit der europäischen Kommission das Europäische Netzwerk der Wettbewerbsbehörden – European Competition Network (ECN) bilden.320 Ist der zwischenstaatliche Handel berührt und sind mehrere Jurisdiktionen betroffen, sind zunächst sämtliche Wettbewerbsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten als auch die Kommission zuständig. Kompetenzkonflikte werden auf Grundlage des Kriterienkatalogs zu Zuständigkeitsfragen in der ECN-Bekanntmachung gelöst.321 Rz. 8 Ziff. 2 der ECN-Bekanntmachung nennt hierbei als eines der Kriterien für die 315

Ost/Kallfaß/Roesen, NZKart 2016, 447, 450. Vgl. Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren des Bundeskartellamtes v. 25. 06. 2013, Rn. 14, www.bundeskartellamt.de. 317 Die Kommission kann nur in dem Ausnahmefall, dass eine natürliche Person selbst Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV ist, gegen diese ein Bußgeld verhängen. Auf die handelnden Mitarbeiter trifft dies nur in den seltensten Fällen zu. 318 Bürger, WuW 2011, 130, 135; ebenso: v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 262; Suchsland/ Rossmann, NZKart 2016, 342, 343; Brettel/Thomas, Compliance, 2016, S. 44. 319 Bürger, WuW 2011, 130, 135. 320 Siehe hierzu auch allgemein: Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 482 ff. 321 Bekanntmachung über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. EU 2004 Nr. C 101/43. 316

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„gute“ Eignung einer Wettbewerbsbehörde sich des Falles anzunehmen, dass diese die Zuwiderhandlung angemessen ahnden kann. Aufgrund der weichen Formulierung der einzelnen Kriterien könnte damit im Einzelfall auch in bi- bzw. multilateralen Behördenkontakten diejenige Behörde für zuständig erklärt werden, die im Einzelfall die Sanktion sämtlicher aus Perspektive des Unionsrechts beteiligter Rechtsträger gewährleistet.322 Auch die Kommission hat grundsätzlich die Möglichkeit, einen Fall gemäß Art. 11 Abs. 6 VO Nr. 1/2003 an sich zu ziehen und auf Grundlage der Unionspraxis nach Art. 23 VO Nr. 1/2003 eine Geldbuße gegen die wirtschaftliche Einheit zu verhängen.323 Diese Optionen lassen die aus dem Umfeld des Bundeskartellamtes stammenden Befürworter eines Kongruenzgebotes meist unerwähnt – denn werden die Sanktionen nicht von den deutschen Kartellämtern verhängt, fließt das Bußgeld nicht in den deutschen Staatshaushalt. Dies kann jedoch keinen Einfluss auf die Beurteilung der Effektivität eines Sanktionssystems haben. Es kann vor diesem Hintergrund daher nicht überzeugen, dass sich der Effektivitätsgrundsatz zu einem eine Sanktion gebietenden Kongruenzgebot wandeln soll.324 Vielmehr ist erneut der unionsrechtliche Rahmen in Erinnerung zu rufen. Die VO Nr. 1/2003 enthält keine Vorschriften, durch welche die einzelstaatlichen Sanktionsregeln harmonisiert werden. Diese Grundentscheidung zugunsten des nationalen Vollzugs würde ignoriert, wenn jeder Unterschied zwischen den nationalen Rechtsordnungen mithilfe des Effektivitätsgrundsatzes oder gar eines Kongruenzgebotes überspielt würde.325 Das Effektivitätsgebot gebietet die Sicherstellung der Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln, beinhaltet aber keine Pflicht zur Übernahme eines ganz bestimmten Haftungsmodells bzw. zur Erreichung identischer Rechtsfolgen.326 b) Neuer Maßstab nach Schenker? Es fragt sich jedoch, ob diese Beurteilung mit der jüngsten Rechtsprechung der EuGH zu vereinbaren ist. So wird von manchen Autoren die Auffassung vertreten, 322

Siehe hierzu auch: Harnos, ZWeR 2016, 284, 296. Ausführlich hierzu: Harnos, ZWeR 2016, 284, 297 f. 324 Ost, NZKart 2013, 25, 26; Ost, (2014) 5 JECLaP 125, 131 liefert auch keine Belege für seine Feststellung, sondern verweist jeweils lediglich auf einen Brief des Generaldirektors Italianer an den Präsidenten des Bundeskartellamtes vom 18. 6. 2012, veröffentlicht als Anlage zur Stellungnahme des Bundeskartellamtes zum Regierungsentwurf zur 8. GWB-Novelle vom 22. 6. 2012, www.bundeskartellamt.de. 325 Kahlenberg/Heim, BB 2016, 1863, 1870: der Effektivitätsgrundsatz verlangt keine vollständige Harmonisierung; Harnos, ZWeR 2016, 284, 291; 293. Allgemein zum Effektivitätsgebot: von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 9/13, Art. 4 EUV Rn. 85. 326 v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 261; Bardong, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 58; Böse, ZStW 2014, 132, 155; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 157 im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung; Brettel/ Thomas, Compliance, 2016, S. 41. 323

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dass der Gerichtshof in der Rechtssache Schenker die Regelungen der VO Nr. 1/2003 sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in sanktionenrechtlicher Hinsicht zum „Goldstandard“ erhoben habe.327 In dem Verfahren Schenker entschied der EuGH über die Vorlagefrage, unter welchen Voraussetzungen eine nationale Wettbewerbsbehörde einen unvermeidbaren Verbotsirrtum annehmen und von einer Sanktionierung des Wettbewerbsverstoßes Abstand nehmen könne.328 Er urteilte, dass im Interesse einer einheitlichen Anwendung des Art. 101 AEUV die Mitgliedstaaten an die subjektiven Voraussetzungen keine höheren Anforderungen stellen dürften, als in Art. 23 VO Nr. 1/2003 vorgesehen.329 Aus diesen Ausführungen wird teilweise gefolgert, dass der Effektivitätsgrundsatz einen neuen Inhalt bekommen habe: Die Effektivität werde am Maßstab des Unionsrechts bemessen; mithin sei eine Sanktion nur effektiv, wenn sie mindestens so streng sei, wie nach dem Unionsrecht vorgesehen.330 Dieser Gedanke könnte auch auf die Haftung der Obergesellschaft in der wirtschaftlichen Einheit übertragen und so die Verantwortlichkeit der Obergesellschaft im nationalen Ordnungswidrigkeitenrecht begründet werden.331 Eine entsprechende Deutung geht jedoch weit über die Ausführungen des EuGH hinaus. Der in Bezug genommenen Entscheidung kann nicht entnommen werden, dass die VO Nr. 1/2003 auch in sanktionenrechtlicher Hinsicht zum „Goldstandard“ erhoben werden sollte. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass in der Rechtssache Schenker die grundsätzliche ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit des Bußgeldadressaten nach nationalem Recht außer Frage stand. Wollte man diese Rechtsprechung hingegen auf die Konzernhaftung übertragen, würde hiermit entgegen den nationalen Regelungen eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit der Obergesellschaft erstmals begründet. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wird auch die unionsrechtskonforme Auslegung durch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rückwirkungsverbots, die Bestandteil des Gemeinschaftsrechts sind, beschränkt.332 Eine gesetzlich nicht vorgesehene strafrechtliche Verantwortlichkeit kann auch nach der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht auf eine unionsrechtskonforme Auslegung gestützt werden, wenn die in Rede stehende nationale Regelung sich andernfalls als unionsrechts-

327 Ost, in: FS Roth, 2015, S. 413, 425; Brömmelmeyer, NZKart 2014, 478, 482; Becker/ Vollmer, KSzW 2015, 235, 241. 328 EuG, Urt. v. 29. 02. 2016, Rs. T-265/12, ECLI:EU:T:2016:111 – Schenker, Rn. 33 ff. 329 EuG, Urt. v. 29. 02. 2016, Rs. T-265/12, ECLI:EU:T:2016:111 – Schenker, Rn. 36. 330 Weitbrecht, in: FS Schwarze, 2014, S. 886, 901; i.E. ebenso: Bechtold, in: FS Schwarze, 2014, S. 518, 526. 331 Völcker, in: FS Roth, 2015, S. 647, 660 wirft diese Frage auf und steht dieser Entwicklung mit Blick auf die Rechtssicherheit skeptisch gegenüber. 332 EuGH, Urt. v. 7. 01. 2004, Rs. C-60/02, ECLI:EU:C:2004:10 – Strafverfahren gg X, Rn. 61; EuGH, Urt. v. 28. 06. 2012, Rs. C-7/11, ECLI:EU:C:2012:396 – Caronna, Rn. 52.

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widrig erweisen könnte.333 Diese Grenze gilt auch für die Begründung einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit.334 Überdies würde die grundlegende Entscheidung des Unionsgesetzgebers gegen eine legislative Harmonisierung in ihr Gegenteil verkehrt, wären die nationalen Wettbewerbsbehörden im Gewand ihrer nationalen Vorschriften zur einheitlichen Anwendung der Vorgaben nach der Sanktionsvorschrift der Verordnung, Art. 23 VO Nr. 1/2003, verpflichtet.335 Die Kommission hat jedoch in ihrem Begründungsvorschlag für die VO Nr. 1/2003 dementgegen explizit festgehalten, dass die Verordnung keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Sanktionen vorsieht.336 Der Vorschlag337 des Parlaments, wonach die nationalen Kartellbehörden die in der Verordnung vorgesehenen Befugnisse zur Verhängung von Geldbußen unmittelbar selbst hätten anwenden können, ist abgelehnt worden.338 Vielmehr entsprach es dem Verständnis des europäischen Gesetzgebers bei der Verabschiedung der VO Nr. 1/2003, dass die gegenwärtig in den Mitgliedstaaten vorhandenen Sanktionsmechanismen, trotz erheblicher Unterschiede untereinander und gegenüber dem Sanktionsmechanismus der VO Nr. 1/2003, eine wirksame Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gewährleisten.339 Hiermit stehen die Korrekturen des EuGH in Einzelaspekten aufgrund der fortschreitenden Entwicklung des Kartellrechts in Einklang, nicht hingegen die umfassende Überformung der nationalen Sanktionskonzepte auf Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes.340

V. Ergebnis Wird gegen Art. 101 AEUV verstoßen, wenden die hiesigen Kartellbehörden deutsches Ordnungswidrigkeitenrecht an, um diesen Verstoß zu ahnden. Die na333 EuGH, Urt. v. 7. 01. 2004, Rs. C-60/02, ECLI:EU:C:2004:10 – Strafverfahren gg X, Rn. 61 ff.; EuGH, Urt. v. 28. 06. 2012, Rs. C-7/11, ECLI:EU:C:2012:396 – Caronna, Rn. 52; 55. 334 Ebenso: BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, Rn. 20. 335 So grundsätzlich auch: Harnos, ZWeR 2016, 284, 291. 336 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 („Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag“), KOM (2000) 582 endg. – unter Art. 5. 337 Dok. Nr. A5 – 0229/2001, ABl. EG 2002 Nr. C 72 E/305, S. 306. 338 Vgl. hierzu ausführlicher: OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. 12. 2012, Az. 1 Kart 7/12 (OWi), NZKart 2013, 166, 169; BGH, Beschl. v. 16. 12. 2014, Az. KRB 47/13, NJW 2015, 2198, 2201, Rn. 29. 339 Weitbrecht, in: FS Schwarze, 2014, S. 886, 896. 340 In diesem Sinne auch: Brinker, in: FS Schwarze, 2014, S. 536, 537, der darauf hinweist, dass der Grundsatz nicht geeignet sei, um allgemein gültige Prinzipien zu postulieren, die an die Stelle gesetzgeberischer Akte treten können; ebenso: Harnos, ZWeR 2016, 284, 298; entsprechende Tendenz auch bei: Böse, ZStW 2014, 132, 165.

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tionalen Kartellbehörden können nicht auf Art. 5 bzw. Art. 23 VO Nr. 1/2003 als Befugnisnormen zurückgreifen. Geldbußen gegen Personenverbände können nur auf der Grundlage des § 30 OWiG verhängt werden. Das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht sieht allein eine Zurechnung an die Personenverbände vor, deren Repräsentanten gehandelt haben. Eine „Fiktion“ der schuldhaften Handlungen bei der wirtschaftlichen Einheit oder der Obergesellschaft, wie sie aus dem europäischen Konzept der wirtschaftlichen Einheit folgt, findet keine Grundlage im OWiG. Entsprechend kann nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht eine Geldbuße neben der handelnden Gesellschaft nicht gegen weitere Gesellschaften im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit verhängt werden. Aus wettbewerbspolitischer Sicht besteht daher insbesondere im Vergleich zu der Praxis der Unionsorgane ein Sanktionsdefizit. Nach geltender Rechtslage kann diese Lücke nicht dadurch geschlossen werden, dass andere Normen aus dem GWB herangezogen oder bestehende Normen des OWiG erweiternd ausgelegt werden. Doch auch trotz dieses wettbewerbspolitischen Sanktionsdefizits steht das deutsche Sanktionssystem nicht in Konflikt mit dem europäischen Effektivitätsgrundsatz. Aus dem Unionsrecht folgt kein Kongruenzgebot. Vielmehr kann aus dem Effektivitätsgrundsatz allenfalls ein Handlungsauftrag an den Gesetzgeber abgeleitet werden, ein effektiveres Sanktionssystem zu schaffen.341 Diesen Auftrag hat der deutsche Gesetzgeber mit der 9. GWB-Novelle angenommen.

B. Zivilrechtliche Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle Der nachfolgende Teil der Arbeit untersucht die deliktische Haftung der Obergesellschaft, wenn in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit durch Mitarbeiter der Tochtergesellschaft gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen wird. Den Schwerpunkt bildet hierbei die Frage, ob die Haftung auf Schadensersatz wegen Verstößen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Grundlage des deutschen Rechts in Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts steht. Daher ist im Anschluss an die unter I. behandelten Grundlagen in den Abschnitten II. bis VII. zunächst zu untersuchen, inwiefern unter Anwendung des nationalen Rechts eine Haftung der Obergesellschaft begründet werden kann. Im Anschluss daran ist im Detail zu bestimmen, welche Vorgaben dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz zu entnehmen sind und zu erörtern, ob diese in Konflikt mit den zuvor gefundenen Ergebnissen stehen (VIII.). Auf die hieraus zu ziehenden Konsequenzen wird unter IX. einzugehen sein. Nach einer Zusammenfassung (X.) wird unter XI. ein Überblick über den Stand der Rechtsprechung in den neben Deutschland aktuell bedeutsamsten Jurisdiktionen für Kartellschadensersatzklagen gegeben. 341 Aberle/Holle, in: Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117, 127 f.

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I. Grundlagen Im Rahmen der Grundlagen soll einleitend zunächst knapp auf die privatrechtliche Relevanz des Unionsrechts eingegangen (1.) und die Grundlage des unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs bei Verstößen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV erörtert werden (2.). Unter 3. wird begründet, weshalb sich dieser unionsrechtliche Schadensersatzanspruch nach nationalem Recht richtet. Bevor daher in den sich anschließenden Teilen der Arbeit die Haftung auf Grundlage des nationalen Rechts untersucht wird, sind zuvor der Vorrang des Unionsrechts (4. und 5.) und die Verfahrensautonomie (6.) zu erläutern. 1. Privatrechtliche Relevanz des Unionsrechts Das europäische Primärrecht342 enthält keine Regelungen zu den zivilrechtlichen Schadensersatzfolgen bei Verstößen gegen das europäische Wettbewerbsrecht. Im Hinblick auf die zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes legt Art. 101 Abs. 2 AEUV lediglich fest, dass nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verbotene Vereinbarungen bzw. Beschlüsse, nichtig sind. Hieraus ist jedoch nicht zu folgern, dass das europäische Kartellrecht keinerlei privatrechtliche Relevanz aufweist. Die unmittelbare Wirkung des primären Unionsrechts ist seit der EuGH-Entscheidung Van Gend & Loos343 anerkannt. In dieser Entscheidung betonte der EuGH, dass das Unionsrecht sich auch an Private richtet. Hieraus folge, dass es dem Einzelnen nicht nur Pflichten auferlege, sondern auch Rechte verleihe. Solche Rechte entstünden, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimme, aber auch wenn der Vertrag anderen eindeutige Verpflichtungen auferlege.344 Für das Wettbewerbsrecht entschied der EuGH schließlich in BRT/SABAM endgültig345, dass die Wettbewerbsregeln auch unmittelbar in privatrechtlichen Beziehungen wirken und dort Rechte entstehen lassen, die von den Gerichten der Mitgliedstaaten zu wahren sind.346

342 Zu der europäischen Schadensersatzrichtlinie 2014/104/EU siehe ausführlich unter Teil 3 § 3 B. II. 343 EuGH, Urt. v. 5. 02. 1963, Rs. 26/62, ECLI:EU:C:1963:1 – Van Gend & Loos, S. 7 ff. 344 EuGH, Urt. v. 5. 02. 1963, Rs. 26/62, ECLI:EU:C:1963:1 – Van Gend & Loos, S. 25. 345 Andeutungen bereits bei EuGH, Urt. v. 6. 02. 1973, Rs. 48/72, ECLI:EU:C:1973:11 – Brasserie de Haecht, Rn. 6. 346 EuGH, Urt. v. 30. 01. 1974, Rs. 127/73, ECLI:EU:C:1974:6 – BRT/SABAM, Rn. 15/17; ebenso EuGH, Urt. v. 30. 04. 1974, Rs. 155/73, ECLI:EU:C:1974:40 – Giuseppe Sacchi, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 28. 02. 1991, Rs. C-234/89, ECLI:EU:C:1991:91 – Stergios Delimitis, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 18. 03. 1997, Rs. C-282/95 P, ECLI:EU:C:1997:159 – Guérin automobiles, Rn. 39.

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2. Unionsrechtlich begründetes Recht auf Schadensersatz In dem grundlegenden Urteil Courage, auf das später347 noch ausführlich einzugehen sein wird, legte der EuGH im Jahr 2001 das Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV dahingehend aus, dass dem Einzelnen aus diesem Verbot unmittelbar ein individuelles Recht auf Schadensersatz erwächst.348 Der Gerichtshof stellte fest, dass „die volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots […] beeinträchtigt [wäre], wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch entsprechendes Verhalten entstanden“ sei.349

Die Grundlage für dieses individuelle Recht auf Schadensersatz entnimmt der Gerichtshof demzufolge dem Gebot der „vollen Wirksamkeit“ bzw. der „praktischen Wirksamkeit“ des jetzigen Art. 101 AEUV oder – wie es in der Originalsprache des auf Französisch arbeitenden EuGH heißt – „la pleine efficacité“ bzw. „l’effet utile“.350 Der effet utile stellt nach herrschender Meinung in der unionsrechtlichen Literatur eine Ausprägung der teleologischen Auslegungsmethode dar bzw. ist dieser zuzuordnen.351 Auch wenn die Unterscheidung zwischen „voller“ und „praktischer“ Wirksamkeit und, wie auch in vorstehendem Zitat, die scheinbare Präzisierung durch die Verknüpfung mittels „insbesondere“ eine Differenzierung zwischen den Begriffspaaren nahelegen, handelt es sich im Ergebnis um eine rein sprachliche Variation. Zwischen den Begriffen besteht kein Bedeutungsunterschied.352 Der Gerichtshof selbst greift seit 1963353 auf den auch als Grundsatz der praktischen Wirksamkeit bezeichneten effet utile zurück, wenngleich er sich bislang nicht zu seinem Bedeutungsgehalt geäußert oder ihn abstrakt definiert hat.354 Im Kern soll die 347

Ausführlich hierzu unter Teil 3 § 2 B. VIII. 2. c) aa). EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 25 f.; seither st. Rspr. vgl. EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 60; EuGH, Urt. v. 14. 06. 2011, Rs. C-360/09, ECLI:EU:C:2011:389 – Pfleiderer, Rn. 28; EuGH, Urt. v. 6. 06. 2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 – Bundeswettbewerbsbehörde (Donau Chemie), Rn. 21. 349 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 26. 350 In der nach Art. 41 der Verfahrensordnung des EuGH (ABl. EU 2012 Nr. L 265/1) in diesem Verfahren verbindlichen englischen Fassung werden die Begriffe „full effectiveness“ und „practical effect“ verwendet. 351 Seyr, Effet utile, 2008, S. 103, Fn. 73 m.w.N.; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 218; Ebers, Unionsprivatrecht, 2016, S. 250. 352 Ausführlich hierzu: Seyr, Effet utile, 2008, S. 281 ff., 290; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 214 ff.; 217. 353 EuGH, Urt. v. 15. 07. 1963, Rs. 34/62, ECLI:EU:C:1963:18 – Bundesrepublik Deutschland, S. 318. 354 Seyr, Effet utile, 2008, S. 103; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 219. 348

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Auslegung anhand des effet utile den praktischen Nutzen sichern und die Ziele der auszulegenden Vorschrift gewährleisten, sodass sich ihre Wirkungen entfalten können.355 Das unionsrechtliche Recht auf Schadensersatz folgt mithin aus der am effet utile orientierten Auslegung des Art. 101 AEUV. Der EuGH begründet dies damit, dass die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union zu den wesentlichen Zwecken der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln gehöre.356 Diesem Zweck sei durch die am effet utile orientierte Auslegung des Art. 101 AEUV zur Wirkung zu verhelfen. Die zivilrechtliche Haftung der Kartellanten sei, ergänzend zu der bußgeldrechtlichen Haftung, essenziell und förderlich für die Aufrechterhaltung des wirksamen Wettbewerbs in der Union. Mittels des Schadensersatzanspruchs werde die Durchsetzungskraft der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln erhöht.357 Die Schadensersatzklagen trügen wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft bei und eigneten sich dazu, von Wettbewerbsverstößen abzuhalten.358 Die Stärkung der Durchsetzungskraft und der Abschreckungseffekt bilden damit zwei Gründe, weshalb der effet utile des Art. 101 Abs. 1 AEUV das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gebietet. 3. Kein originär unionsrechtlicher Schadensersatzanspruch Das Unionsrecht selbst sieht keinen originären Schadensersatzanspruch vor. Insbesondere unter Verweis auf die Francovich-Entscheidung359 des EuGH, mit der die Staatshaftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Unionsrecht begründet wurde, leiteten einige Stimmen360 aus der zitierten Passage361 des Urteils Courage einen rein unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch ab. In aktuellen Veröffentlichungen tritt, soweit ersichtlich, nur Mäsch362 noch immer für einen genuin unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch ohne Rückgriff auf nationales Recht ein.363 355

Vgl. Seyr, Effet utile, 2008, S. 104; 275 ff. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 357 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 358 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 359 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991, Verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90, ECLI:EU:C:1991:428 – Francovich, Rn. 1 ff. 360 Nowak, EuZW 2001, 717, 718; Mäsch, EuR 2003, 825, 842; Karollus, ecolex 2006, 797, 799; ausführliche Auseinandersetzung mit diesen Stimmen bei Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 199 ff.; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 24 ff. 361 Siehe unmittelbar vorstehend unter Teil 3 § 2 B. I. 2. 362 Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 33 GWB Rn. 2. 363 Auch Generalanwalt van Gerven, der in seinen Schlussanträgen zu der Rechtssache Banks (EuGH Rs. C-128/92) noch einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch vertreten 356

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Er räumt jedoch ebenfalls ein, dass die Anwendung des nationalen Rechts auf Verstöße gegen europäisches Kartellrecht unschädlich ist, wenn hierbei das Primat des Unionsrechts in europäischen Fällen beachtet wird. Den Befürwortern eines rein unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist entgegenzuhalten, dass der EuGH in der Rechtssache Courage364 und den nachfolgenden Entscheidungen365 anders als in der Francovich-Entscheidung gerade keine Anspruchsvoraussetzungen für einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch benannt hat.366 Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch die Schadensersatzrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014. In dem 11. Erwägungsgrund der Richtlinie wird ausgeführt, dass für Schadensersatzklagen die innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren der Mitgliedstaaten gelten, da keine entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften bestehen.367 Entsprechend vertritt inzwischen der ganz überwiegende Teil des Schrifttums, dass sich die Schadensersatzhaftung als Rechtsfolge der Verletzung des europäischen Kartellrechts allein nach nationalem Recht richtet.368 Art. 101 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, den Kartellopfern einen Schadensersatzanspruch zu gewähren, der in den Grenzen von Äquivalenz und Effektivität auszugestalten ist.369 Zuzuhatte, gab diese Meinung noch vor Veröffentlichung der Courage-Entscheidung auf, vgl. van Gerven, (2000) 37 CML Rev 501, 503. 364 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 29. Ausführlich zu dieser Entscheidung unter Teil 3 § 2 B. VIII. 2. c) aa). 365 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 62; EuGH, Urt. v. 6. 06. 2013, Rs. C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366 – Bundeswettbewerbsbehörde (Donau Chemie), Rn. 25 ff. 366 Göertz, Private Durchsetzung, 2007, S. 106. Zu den dogmatischen und praktischen Problemen der Herleitung ungeschriebener Zivilrechtfolgen unmittelbar aus dem Unionsrecht: Weyer, ZEuP 1999, 424, 425 ff. 367 Richtlinie 2014/104/EU, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1, S. 11: „Da keine entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften bestehen, gelten für Schadensersatzklagen die innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren der Mitgliedstaaten.“ So auch Glöckner, wrp 2015, 410, 413; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 96. 368 Weyer, GRUR Int. 2002, 57, 58; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 213 m.w.N. in Fn. 961; Kaufmann, Konzeption, 2007, S. 24; Göertz, Private Durchsetzung, 2007, S. 105; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 92; Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 43 m.w.N. in Fn. 84; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 327 m.w.N. in Fn. 175; Bürger, WuW 2011, 130, 136; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 43; GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-557/12 (Kone) v. 30. 01. 2004, ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 21 ff.; Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 42; Glöckner, wrp 2015, 410, 413; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 96 m.w.N. in Fn. 672; Füller, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2016, Art. 101 AEUV Rn. 489; Johne, Der offensive Schadensersatzanspruch, 2015, S. 19; Schröter/van der Hout, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 210; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 281; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 170. 369 Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 43; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457.

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stimmen ist in diesem Zusammenhang denjenigen Autoren, die spezifiziert ein unionsrechtlich begründetes Recht auf Schadensersatz bejahen, einen unionsrechtlichen Anspruch jedoch verneinen, sodass die Anspruchsvoraussetzungen dem nationalen Recht zu entnehmen sind.370 Im Ergebnis hat diese Differenzierung jedoch keine praktischen Auswirkungen.371 Schadensersatzansprüche potenzieller Kartellopfer folgen nationalem Recht. 4. Primärrechtlicher Anwendungsvorrang des Unionsrechts Vereinzelt wird diskutiert, ob sich der Anwendungsvorrang des Unionsrechts auf die zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft auswirken könnte.372 Wie bereits im ordnungswidrigkeitenrechtlichen Teil dieser Arbeit ausführlich begründet, werden über den Anwendungsvorrang Kollisionslagen zwischen Unionsrecht und nationalem Recht jedoch nur gelöst, wenn die europäische Norm unmittelbar anwendbar ist.373 Dies setzt voraus, dass die Bestimmung eine eindeutige, klare und unbedingte Verpflichtung374 oder ein entsprechendes Verbot begründet.375 Art. 101 Abs. 1 AEUV erklärt alle Vereinbarungen bzw. vergleichbare Verhaltensweisen, die sich zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs eignen und dies bezwecken oder bewirken, für verboten und nichtig. Damit werden klare und unbedingte Verbote aufgestellt. Die Verletzung derselben entfaltet auch im Zivilrecht Wirkungen und begründet Schadensersatzansprüche gegen Private.376 Der Norm lässt sich jedoch keine klare und unbestimmte Vorgabe für die Haftung der wirtschaftlichen Einheit im Sinne des Unionsrechts bzw. die Haftung der Obergesellschaft als Teil einer solchen wirtschaftlichen Einheit entnehmen. Auch eine klare und eindeutige Bestimmung der Passivlegitimation im Zivilprozess ist Art. 101 AEUV nicht zu entnehmen.377

370

Jones/Beard, (2002) 23 ECLR 246, 252; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 43; a.A. Füller, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2016, Art. 101 AEUV Rn. 490. 371 Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 203 f. 372 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 101. 373 Seyr, Effet utile, 2008, S. 124. 374 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 4. 12. 1974, Rs. 41/74, ECLI:EU:C:1974:133 – Yvonne van Duyn, Rn. 5/7. 375 Seyr, Effet utile, 2008, S. 124; König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2011, S. 59 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 5. 02. 1963, Rs. 26/62, ECLI:EU:C:1963:1 – Van Gend & Loos, S. 25. 376 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 25 f. 377 Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 147 f.; 176; Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 190; im Ergebnis ebenso: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 102, dessen Aussage dahingehend zu präzisieren ist, dass Wertungen allein keinen Anwendungsvorrang auslösen können.

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5. Anwendungsvorrang nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO Nr. 1/2003 Hieraus folgt gleichsam, dass weder Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO Nr. 1/2003 noch der inhaltsgleiche § 22 Abs. 2 S. 1 GWB Vorgaben für die zivilrechtliche Haftung aufstellen. Wie im Rahmen der bußgeldrechtlichen Ausführungen dargestellt, wird im Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV durch Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 lediglich der Anwendungsvorrang des milderen europäischen Kartellrechts begründet.378 Nach den vorstehenden Ausführungen ist dem primären Unionsrecht jedoch weder positiv noch negativ eine abschließende Maßgabe für die zivilrechtliche Passivlegitimation zu entnehmen.379 Anders gewendet lässt sich somit ebenfalls festhalten, dass der unionsrechtliche Anwendungsvorrang einer (potenziellen) zivilrechtlichen Haftung der Obergesellschaft nach nationalem Recht nicht entgegensteht. 6. Verfahrensautonomie Nach ständiger Unionsrechtsprechung ist Normadressatin und Verstoßende im Sinne des Art. 101 AEUV das aus mehreren Rechtsträgern bestehende Unternehmen, die wirtschaftliche Einheit. Auch im Rahmen der zivilrechtlichen Ahndung der Verstöße gegen europäisches Wettbewerbsrecht ist damit die Frage aufgeworfen, inwiefern die diesbezügliche Unionspraxis bei der Anwendung des Art. 101 AEUV durch das Zivilgericht in das deutsche Recht einwirkt. Die Antwort folgt – wie im Bußgeldrecht – aus dem Wechselspiel zwischen dem Gebot der möglichst einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und dem Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten.380 Enthält das Unionsrecht keine eigenen Regelungen, wird es von den Mitgliedstaaten grundsätzlich nach ihrem nationalen Recht vollzogen.381 Auch Art. 3 Abs. 1 S. 1 VO Nr. 1/2003, der gleichsam für die zivilrechtliche382 Ahndung von Verstößen mit zwischenmitgliedstaatlicher Bedeutung anordnet, dass die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln auf diese Verstöße „parallel“ anzuwenden sind, enthält keine solche 378 Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 A. IV. 1. Vgl. im Hinblick auf die Differenzen, ob Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 zu einer deckungsgleichen, unionsrechtsfreundlichen Diskussion zwingt: Weiß, Unternehmensbegriff, 2012, S. 167 f.; Roth, in: FS Loewenheim, 2009, S. 545, 552 ff. 379 Darüber hinaus gilt die Vorrangregel nach ihrem Wortlaut und überwiegend vertretener Ansicht in der Literatur nur hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung, nicht dagegen bei Divergenzen zwischen nationalem und EU-Kartellrecht hinsichtlich anderer Tatbestandsmerkmale des Kartellverbots. Vgl. hierzu Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 1, 5. Aufl. 2012, VO 1/2003 Art. 3 Rn. 24. 380 Siehe hierzu bereits ausführlicher Teil 3 § 2 A. I. 3. 381 EuGH, Urt. v. 21. 09. 1983, Verb. Rs. 205/82 bis 215/82, ECLI:EU:C:1983:233 – Deutsche Milchkontor, 2633, 2665, Rn. 17. 382 Vgl. Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 13.

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eigene Regelung. Wie bereits zuvor erläutert, bezieht sich die Vorgabe in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 lediglich auf die Beurteilung des potenziell wettbewerbswidrigen Verhaltens.383 Der Begriff des Unternehmens bzw. das Konzept der wirtschaftlichen Einheit werden nicht erfasst. Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sind die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Bestimmungen frei, die dem Schutz der Rechte dienen, die den Bürgern aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts erwachsen.384 Nach dem traditionell sehr weiten Begriffsverständnis des EuGH385 umfasst die Verfahrensautonomie nicht nur die prozessualen Rahmenbedingungen der Klage, sondern darüber hinaus auch die eigentlichen Ansprüche, welche die subjektiven Rechte gegen Verletzungen durch Dritte schützen und die nach deutschem Rechtsverständnis dem materiellen Recht zuzuordnen sind.386 Entsprechend richtet sich die Anwendung des Art. 101 AEUV bei der zivilrechtlichen Ahndung der Verstöße nach deutschem Recht. Ihre Grenze findet diese Autonomie in den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, mithin insbesondere in dem unionsrechtlichen Effektivitäts- sowie dem Äquivalenzgebot.387 II. Nationale Anspruchsgrundlage und Grundfragen der Passivlegitimation § 33 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 GWB statuiert in Deutschland als lex specialis388: 383 Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 A. I. 3. Bardong, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 57; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 76; Klusmann, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 2. 384 Ständige Rspr., vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 1995, Rs. C-312/93, ECLI:EU:C:1995:437 – Peterbroeck, Rn. 12; Seyr, Effet utile, 2008, S. 150; de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 3; Dohms, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 106 AEUV Rn. 38; Wachs, WuW 2017, 2, 7. 385 Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 09. 1983, Verb. Rs. 205/82 bis 215/82, ECLI:EU:C:1983:233 – Deutsche Milchkontor, 2633, 2665, Rn. 17; Schroeder, AöR 2004, 3, 22; Harnos, ZWeR 2016, 284, 291. 386 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 99; Galetta, in: Schwarze, Der Rechtsschutz vor dem Gerichtshof der EU nach dem Vertrag von Lissabon, Beiheft Europarecht 1/2012, S. 37, 37. 387 Vgl. Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 10/06, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 14; Bardong, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 3 VO 1/2003 Rn. 58. 388 Die Anspruchsgrundlage ist lex specialis zu § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und wird auf alle Schadensersatzansprüche angewandt, die nach Inkrafttreten der Norm, mithin am 7. Juli 2005, entstanden sind, vgl. BGH, Urt. v. 28. 06. 2011, Az. KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI Durchschreibepapier, Rn. 13; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 62; Schröter/van der Hout, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 101 AEUV Rn. 235; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 113.

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„wer einen Verstoß [gegen Art. 101 AEUV] vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“.

Es wird nicht näher bestimmt, wer gegen Art. 101 AEUV verstoßen hat, mithin gegen wen sich der Anspruch richtet. Da sich die Haftung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie nach nationalem Recht richtet, folgt hieraus, dass der Zuwiderhandelnde und damit der zivilrechtliche Anspruchsgegner auch bei einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nach nationalem Recht bestimmt wird. Auf § 33 GWB finden die anerkannten allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze Anwendung.389 Entsprechend gelten die allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätze auch für die Bestimmung des Anspruchsgegners.390 Danach ist das Subjekt zum Ersatz verpflichtet, das die unerlaubte Handlung begangen hat.391 Nach hergebrachtem Verständnis kann nur ein rechtsfähiges Subjekt Träger von subjektiven Pflichten sein. Lässt man die Frage der Handlungsfähigkeit zunächst außen vor, kann damit nur ein Subjekt in Anspruch genommen werden, das Rechtsfähigkeit besitzt.392 Anerkannt rechtsfähig sind neben natürlichen auch juristische Personen und einige Personengesellschaften.393 Hieraus folgt, dass zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nicht gegen die wirtschaftliche Einheit im Sinne eines Unternehmens gerichtet werden können. Das Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV als wirtschaftliche Einheit aus mehreren Rechtsträgern ist nicht rechtsfähig.394 Der deutsche Gesetzgeber hat die wirtschaftliche Einheit nach der Unionsrechtsprechung weder als eigenständigen Rechtsträger noch als eine der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vergleichbare Gesamthandsgemeinschaft anerkannt.395 Den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine entsprechenden Ausführungen entnehmen.396 Auch der systematische Ver389 Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 28; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 34; Bürger, WuW 2011, 130, 136; i.E. ebenso: LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491 f.; LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 80 f. (Juris). 390 Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 38. 391 Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 32; Mäsch, in: Berg/ Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 33 GWB Rn. 36; Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, 8. Aufl. 2015, § 33 Rn. 26; Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 106. 392 Ebenso: Körner, Gesamtschuld, 2016, S. 271; Scheidtmann, wrp 2010, 499, 501. 393 Vgl. Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, § 14 Rn. 9 f. 394 Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 849 Fn. 153; Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 187; Körner, Gesamtschuld, 2016, S. 271; Koch/Harnos, in: Eisele/Koch/ Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 171, 175. 395 Vgl. zur Rechtsentwicklung der GbR: Schäfer, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 705 Rn. 9 ff. 396 7. GWB-Änderungsgesetz, BT-Drs. 15/3640; Preismissbrauchsnovelle, BT-Drs. 16/ 5847; 8. GWB-Änderungsgesetz, BT-Drs. 17/9852. Auch im Rahmen der 9. GWB-Novelle

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gleich mit den bußgeldrechtlichen Vorschriften des GWB zeigt, dass die europäische Rechtsfigur den deutschen kartellrechtlichen Normen nicht zugrunde liegt.397 Wie sich aus dem Wortlaut und der Systematik des § 81 GWB ergibt, betrifft der in § 81 Abs. 4 S. 2, 2. HS GWB enthaltene Bezug auf das „Unternehmen“ und die Bestimmung seines Umsatzes allein die Rechtsfolgenseite.398 Überlegungen, inwiefern der wirtschaftlichen Einheit aufgrund der Rechtsprechung des EuGH (Teil-) Rechtsfähigkeit zukommt und damit eine Anerkennung auch im Zivilprozess geboten sein könnte, können dahinstehen.399 Auch nach der Praxis der Unionsorgane ist das Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit nicht rechtsfähig.400 Die fehlende Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit kann auch nicht dadurch überspielt werden, dass sie kontextbezogen als kartellrechtliche Außengesellschaft bürgerlichen Rechts aufgefasst wird.401 Wie bereits im Rahmen der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Untersuchung ausführlich diskutiert, kann der entsprechende Ansatz Kerstings weder sachlich noch dogmatisch überzeugen.402 Bereits an der Gründung einer GbR bestehen Zweifel, da es in vertikalen Konzernverhältnissen an einer gemeinsamen Zweckverfolgung fehlt. Im Übrigen tritt die wirtschaftliche Einheit nicht als rechtsfähige Einheit im Rechtsverkehr auf, was jedoch Voraussetzung für die Entstehung einer Außen-GbR wäre. Passivlegitimiert ist der Träger des Unternehmens, das den Verstoß begangen hat.403 Im deutschen Wettbewerbsrecht ist, wie im Handelsrecht, der Unternehmensträger das Subjekt der Rechte und Pflichten, die das Objekt Unternehmen betreffen.404 wurde dem Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit keine (Teil-)Rechtsfähigkeit zuerkannt. Siehe hierzu ausführlicher unter Teil 3 § 3 A. II. 397 Ebenso: Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 77; Scheidtmann, wrp 2010, 499, 503; a.A. Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457. 398 Vgl. ausführlicher bereits Teil 3 § 2 A. III.2; ebenso: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 203 ff.; a.A.: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 458. 399 Lessenich, Unternehmensbegriff und Zurechnung, 2000, S. 38 folgert aus der Normierung des „Unternehmens“ als Zurechnungsendpunkt der unionsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften dessen umfassende Rechtsfähigkeit; Heinichen, Unternehmensbegriff, 2011, S. 78; Ackermann, ZWeR 2012, 3, 14; Dannecker/Dannecker, NZWiSt 2016, 162, 171 begrenzen diese Schlussfolgerung jedoch auf die Kartellrechtsfähigkeit des Unternehmens und nehmen die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit hiervon aus; ähnlich: Hamann, Das Unternehmen als Täter, 1992, S. 162 f. 400 Vgl. hierzu die Ausführungen Teil 2 § 5 A. 401 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 458; Kersting, WuW 2014, 1156, 1171 f. 402 Siehe hierzu Teil 3 § 2 A. II. 5. Ablehnend speziell im zivilrechtlichen Kontext auch: Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 155. 403 Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 849; Krohs, in: Busche/Röhling, KKKartR, 2017, § 33 GWB Rn. 58; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 282. 404 Vgl. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl. 2016, vor § 1 Rn. 41; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 38.

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III. Die Haftung des Unternehmensträgers In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit ist der Rechtsträger als Subjekt der wettbewerbsrechtlichen Pflichten des Unternehmens meist eine Gesellschaft und damit nicht selbst handlungsfähig.405 Die deliktische Verantwortlichkeit einer Gesellschaft wird dadurch begründet, dass ihr das Verhalten und das Verschulden natürlicher Personen zugerechnet werden.406 Recht unproblematisch ist dies, wenn nur ein Rechtsträger existiert. Anders verhält es sich hingegen in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit. Hier existieren zwei oder mehrere Rechtsträger des „Unternehmens“ wirtschaftliche Einheit. Entscheidend für die Haftung der einzelnen Unternehmensträger ist damit, welche natürliche Person gehandelt hat und welchem Rechtsträger diese Handlung zugerechnet wird. 1. Einheitliche Zurechnung nach Unionsrecht Im Rahmen des Konzepts der wirtschaftlichen Einheit der Unionsorgane werden die Handlungen der wettbewerbswidrig handelnden Mitarbeiter der Anstellungskörperschaft zugerechnet und sowohl bei der Obergesellschaft als auch bei dem Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV fingiert. Entsprechend ist zu fragen, ob diese Zuordnung des Verhaltens auch bei der Anwendung des Art. 101 AEUV im Kartelldeliktsrecht zu berücksichtigen ist. Teile der Literatur sprechen sich für eine solche einheitliche Zuordnung aus. Erstmals wurde dieser Gedanke von Pohlmann formuliert. Sie stützt ihre Schlussfolgerung auf die Feststellung, dass für den Eintritt bußgeldrechtlicher wie zivilrechtlicher Konsequenzen jeweils die Erfüllung des Tatbestandes von Art. 101 AEUVerforderlich ist. Ob der Tatbestand der Wettbewerbsregel erfüllt sei, müsse für alle Rechtsgebiete einheitlich entschieden werden.407 a) Zurechnung auf Grundlage der Verbundklauseln Die Tatbestandserfüllung selbst begründet sie, da sie den einheitlichen Unternehmensbegriff der Unionsorgane ablehnt und allein den einzelnen Rechtsträger als Unternehmen definiert, mit einer Zurechnung zwischen diesen Unternehmensträgern.408 Grundlage dieser Zurechnung sind nach ihrer Auffassung die allgemeinen Zurechnungsregeln, wie sie in den Verbundklauseln der Gruppenfreistellungsver405 Der Fall, dass eine natürliche Person ein Unternehmen bildet, ist theoretisch möglich, jedoch sehr selten und soll daher nicht weiter untersucht werden. 406 Vgl. beispielhaft Merkt, in: Fleischer/Goette, MüKo GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 13 Rn. 34. 407 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 355. Hervorhebung durch den Verfasser. 408 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 41 f.; 49 f.; 356. Es ist anzumerken, dass zum Zeitpunkt als Pohlmann ihren Ansatz entwickelte, auch der EuGH noch seine frühere Zurechnungslösung vertrat und zwischen den einzelnen Rechtsträgern trennte.

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ordnungen zum Ausdruck kommen. Diese sollen auch der Zurechnung in Art. 101 AEUV zugrunde liegen.409 Grundlage ihrer Argumentation ist es, die sachlich unbegründete Ungleichbehandlung des Konzerns gegenüber Einheitsunternehmen zu vermeiden.410 Die durch die Aufgabenteilung im Konzern entstehenden Tatbestandsdefizite sollen die Zurechnung erforderlich machen.411 Ist das verbundene Unternehmen an dem Wettbewerbsverstoß unbeteiligt, soll hingegen keine Zurechnung stattfinden. Es haftet allein der zumindest teilweise wettbewerbswidrig handelnde Rechtsträger.412 Dieser auf Grundlage der Verbundklauseln entwickelte Zurechnungsansatz ist auf zahlreiche Kritik in der Literatur gestoßen.413 Für die vorliegende Untersuchung entscheidend ist jedoch bereits, dass der Ansatz in Widerspruch zu der aktuellen Lösung der Unionsorgane steht. Die Entstehung einer wirtschaftlichen Einheit nach der Unionsrechtsprechung hängt allein von tatunabhängigen Kriterien ab, mithin fehlt es gerade an jeglicher tatbezogenen Beteiligung der Obergesellschaft. Gerade eine solche allgemeine Konzernzustandshaftung lehnt Pohlmann aber ab.414 Nach ihrem Zurechnungsmodell fände keine (einheitliche) Zurechnung an die Obergesellschaft statt.415 Entsprechend kann eine nähere Auseinandersetzung mit der von Pohlmann entwickelten Zurechnungslösung dahinstehen. b) Zurechnung auf Grundlage des Art. 101 AEUV Zu diskutieren bleibt jedoch die Grundannahme Pohlmanns, dass für das Bußgeldrecht und das Zivilrecht einheitlich zu beurteilen sei, ob ein Unternehmen den Tatbestand der Wettbewerbsregeln erfüllt. Pohlmann argumentiert, dass wenn die Frage der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens einheitlich zu beantworten sei, dies auch für die Zurechnung gelten müsse. Denn die Frage nach der Zurechnung fremden Verhaltens sei eine Frage der Tatbestandserfüllung.416 Bulst und Meeßen haben diese Argumentation, jedoch ohne sie weiter zu vertiefen, aufgegriffen und treten nunmehr unter Verweis auf die Arbeit Pohlmanns allgemein für eine einheitliche Zurechnung

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Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 381. Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 372. 411 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 372. 412 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 372. 413 Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 156 ff.; Menz, Wirtschaftliche Einheit und Kartellverbot, 2004, S. 102 ff.; 106; Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 102 ff.; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 164 f. 414 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 347, im Hinblick auf die von ihr im Rahmen des Art. 101 AEUV herangezogenen GVOs. 415 Entsprechend bezeichnet Leffrang die von Pohlmann für die Entwicklung ihres Ansatzes gewählten Beispiele des „arbeitsteiligen“ Kartellverstoßes unter Zurechnungsaspekten als Ausnahmen, nicht als Regel, vgl. Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 103. 416 Pohlmann, Unternehmensverbund, 1999, S. 355. 410

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auf Grundlage der Unionsregeln ein.417 Die Zurechnung stützen sie dabei unmittelbar auf Art. 101 AEUV. Die Voraussetzungen der Verhaltenszurechnung müssten als Vorfrage sowohl für die bußgeldrechtlichen als auch die zivilrechtlichen Konsequenzen einheitlich sein.418 Auch Thomas spricht sich für dafür aus, dass das kartellverwaltungs- und bußgeldrechtlich verantwortliche Unternehmen ebenfalls kartelldeliktsrechtlich haftet.419 Er begründet dies knapp mit dem Verweis auf Art. 101 AEUV und dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung.420 Dieser gebiete, dass die Anwendung des Kartellrechts nicht zu einer Normspaltung führen dürfe.421 Jüngst hat sich auch Blome für eine einheitliche Zurechnung ausgesprochen und ergänzt, dass das Unionskonzept nicht ausdrücklich auf das Bußgeldrecht beschränkt worden sei.422 Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass sich der von Pohlmann geprägte Begriff der „Tatbestandserfüllung“ gewandelt hat.423 Pohlmann bezeichnete damit aufgrund ihres rechtsträgerbezogenen Ansatzes die Ausfüllung von Tatbestandsdefiziten von teilweise wettbewerbswidrig handelnden Rechtsträgern. Nunmehr wird er allgemein auf das Konzept der wirtschaftlichen Einheit der Unionsorgane bezogen. Auf diese Weise werden auch die Fälle erfasst, in denen die Obergesellschaft tatunbeteiligt war. „Tatbestandserfüllung“ bezieht sich nunmehr allgemein auf die Begründung der Haftung. Hinter dieser Argumentation steht damit die zu hinterfragende Prämisse, ob den europäischen Wettbewerbsvorschriften und speziell Art. 101 AEUV die Zu417 Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 231 f.; Bulst, BLJ 2008, 81, 93; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 388 f.; Kling, wrp 2010, 506, 508, der jedoch das Konzept des EuGH insgesamt ablehnt, vgl. S. 510; Johne, Der offensive Schadensersatzanspruch, 2015, S. 116; tendenziell wohl auch: Vollrath, NZKart 2013, 434, 438; ohne Begründung wohl auch: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 226. 418 Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 389. 419 Wie Pohlmann hat auch Thomas einen eigenen Unternehmensbegriff entwickelt. Entsprechend ist diese Formulierung nicht dahingehen zu verstehen, dass Thomas für die Passivlegitimation der wirtschaftlichen Einheit eintritt. Er definiert Unternehmen als die aus einer Sach- und Personengesamtheit und dem sie leitenden, rechtsfähigen Unternehmensträger bestehende funktionale Einheit. Sofern mehrere verbundene Gesellschaften eine wirtschaftliche Einheit bilden, sind sie als Träger des Unternehmens nebeneinander kartellrechtlich verantwortlich. Beiden wird ein eigener Kartellverstoß zur Last gelegt. Auch wenn seinem Ansatz damit, anders als Klotz (S. 163) ausführt, im Kern keine Zurechnung zugrunde liegt, können seine für die Unternehmenskontinuität gemachten Ausführungen auf die Frage der einheitlichen Zuordnung der Handlungen an die Unternehmensträger fruchtbar gemacht werden. Vgl. Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 51; 154; 224. Inzwischen scheint Thomas von dieser Ansicht jedoch abgerückt zu sein. In seinen jüngeren gemeinsamen Veröffentlichungen mit Kling bzw. Legner spricht er sich ausdrücklich gegen eine Übertragung in das Zivilrecht aus, vgl. Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 852; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156 f. Er gehört vielmehr zu den Kritikern einer an der Unionspraxis orientierten „Konzernhaftung“: Brettel/Thomas, Compliance, 2016, passim. 420 Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit, 2005, S. 224. 421 Ebenso, im Anschluss an Thomas: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 348. 422 Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 347. 423 Kritisch zu diesem Begriff: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 104; 108 f.

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ordnung der Haftung als gemeinsame Vorfrage für alle Sanktionen einheitlich zu entnehmen ist. Nach den im unionsrechtlichen Teil herausgearbeiteten Grundsätzen würde dies bedeuten, dass sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit potenziell schadensersatzpflichtig wären.424 In der Literatur haben sich, soweit ersichtlich, nur Leffrang und Klotz ausführlicher mit diesem Ansatz auseinandergesetzt.425 Beide Autoren lehnen im Ergebnis eine einheitliche Zurechnung ab. Leffrang weist darauf hin, dass im Zivilrecht eigene Zurechnungsnormen bestünden und diese nicht deckungsgleich mit der Zurechnung im Straf- und Verwaltungsrecht seien.426 Für eine Ausnahme im Kartelldeliktsrecht sei kein Grund ersichtlich.427 Mit einer möglichen Normspaltung könne nicht argumentiert werden. Da kein gemeinschaftsweit einheitlich geregelter Schadensersatzanspruch bestünde, sei davon auszugehen, dass auch für den Teilaspekt der Zurechnung abweichende Ergebnisse in Kauf genommen werden müssten.428 Auch das Trennungsprinzip stünde in Konflikt mit einer pauschalen, einheitlichen Zurechnung.429 Klotz verweist darauf, dass den Art. 101 ff. AEUV keine konkreten Rechtsfolgen zu entnehmen seien.430 Die Sanktionen ergäben sich erst aus dem nationalen Recht. Wenn man „zutreffend davon ausgeht, dass der Muttergesellschaft Verhalten erst zugerechnet werden muss“, könnten sich die Rechtsfolgen nur aus einem „Mix“ aus europäischem und nationalem Recht ergeben.431 Offen bleibt bei dieser Argumentation jedoch, weshalb beide Rechtsordnungen zu kombinieren sind und insbesondere weshalb eine Zurechnung nach nationalen Regeln zwingend sein soll. c) Stellungnahme Damit ist die Frage aufgeworfen, welche Zurechnungsregeln dem Grunde nach Anwendung finden und ob und unter welchen Voraussetzungen hiervon pauschal oder im Einzelfall eine Abweichung geboten ist. Wird berücksichtigt, dass die Ausgestaltung der Schadensersatzansprüche gerade den Mitgliedstaaten überantwortet ist,432 wird deutlich, dass im Kern maßgeblich ist, inwiefern das europäische 424

Vgl. Teil 2 § 5 C II. und Teil 2 § 5 D. Auch Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 215 hat sich, ohne die Thematik weiter zu vertiefen, der Argumentation dieser beiden Autoren angeschlossen. 426 Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 105. 427 Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 105. 428 Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 106. 429 Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 107. 430 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 165. 431 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 165. 432 Ganz h.M., vgl. die Nachweise in Fn. 368. Vgl. auch: EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 64; EuGH, Urt. v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a., Rn. 24. Nunmehr auch bestätigt in der Schadensersatzrichtlinie, Richtlinie 2014/104/EU, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1, S. 11 425

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Recht die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Zuordnung des Verhaltens an die Rechtsträger im nationalen Recht einschränkt. Daher ist für die Beantwortung auf die allgemeinen Prinzipien abzustellen. Die Mitgliedstaaten sind bei der Ausgestaltung der Bestimmungen frei, die dem Schutz der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte dienen.433 Grundsätzlich findet nationales Recht und finden folglich auch die nationalen Zurechnungsregeln Anwendung.434 Soll hiervon abgewichen werden, muss dem Europäischen Recht eine einschlägige Gemeinschaftsregelung zu entnehmen sein, andernfalls ergeben sich die Einschränkungen allein aus dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz.435 Auffällig ist, dass sämtliche Autoren, die eine einheitliche Zurechnung befürworten, nicht ausführen, auf welcher Grundlage sie dem europäischen Wettbewerbsrecht diese abweichende Vorgabe entnehmen. Dies überrascht, da eine einheitliche Zurechnung ein Grundprinzip des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts, den Trennungsgrundsatz, nivelliert.436 Rechtlich selbstständige Gesellschaften sind die Träger der an sie gerichteten Pflichten; nur sie haften für entsprechende Verstöße.437 Auch wenn in einem Konzern Verbindungen zwischen verschiedenen Rechtsträgern bestehen, haften diese grundsätzlich nicht wechselseitig. Neben den speziellen konzernrechtlichen Vorschriften bestehen nur eng umgrenzte und besonders begründete Ausnahmen, insbesondere bei existenzgefährdenden Eingriffen, sonstigen Missbrauchsfällen oder der Vermögensmischung. Soll eine Durchbrechung dieses Grundsatzes begründet werden, sind daher die potenziellen Anknüpfungspunkte des Unionsrechts zu untersuchen. Dem europäischen Wettbewerbsrecht muss eine allgemeine Vorgabe für die Zuordnung des wettbewerbswidrigen Verhaltens zu entnehmen sein. Hierbei könnte zunächst an Art. 3 VO Nr. 1/2003 zu denken sein, der eine parallele Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts auf grenzüberschreitende Sachverhalte gebietet. Doch auch im Hinblick auf die Vorgaben des Art. 3 VO Nr. 1/2003 wird nicht vertreten, dass die wettbewerbsrechtliche Beurteilung eines Verhaltens nicht von der Frage der Zurechnung desselben getrennt werden könnte.438 Einheitlich soll allein die Wettbewerbswidrigkeit der Vereinbarung, des Beschlusses oder der aufeinander abge433 Ständige Rspr. EuGH, Urt. v. 14. 12. 1995, Rs. C-312/93, ECLI:EU:C:1995:437 – Peterbroeck, Rn. 12; Seyr, Effet utile, 2008, S. 150; Vgl. Wachs, WuW 2017, 2, 7. de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 3. 434 Im Ergebnis ebenso: Harms, in: FS Hartmann, 1976, S. 165, 174, ohne jedoch diesen Gesamtbezug herzustellen. 435 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 64; EuGH, Urt. v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a., Rn. 24. 436 Kritisch auch: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 107 f. 437 Ellenberger, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, vor § 21 Rn. 12; vgl. Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 1 Rn. 4; Scheidtmann, wrp 2010, 499, 501. 438 Vgl. hierzu zum Bußgeldrecht bereits Teil 3 § 2 A. I. 3. sowie vorstehend Teil 3 § 2 B. I. 5.

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stimmten Verhaltensweise beurteilt werden.439 Auch Art. 101 AEUV kann keine Regelung entnommen werden, die eine Abweichung von den nationalen Zurechnungsregeln gebietet. Art. 101 Abs. 1 AEUV legt lediglich fest, dass ein bestimmtes Verhalten wettbewerbswidrig ist. Art. 101 Abs. 2 AEUV bestimmt allein, dass entsprechende Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind. Isoliert betrachtet folgt aus Art. 101 AEUV weder ein bußgeldrechtliches noch ein zivilrechtliches Haftungsmodell.440 Der Begriff des Unternehmens und die Dogmatik der Verhaltenszuordnung wurden allein durch die Praxis der Unionsorgane geprägt. Daher kann hieraus nicht gefolgert werden, dass dieses Haftungsmodell grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten allgemein bei der Anwendung des Art. 101 AEUV heranzuziehen wäre. Gerade dass das Konzept der wirtschaftlichen Einheit erst – für die bußgeldrechtliche Haftung nach Art. 23 VO Nr. 1/2003 – entwickelt werden musste, zeigt, dass Art. 101 bzw. Art. 23 VO Nr. 1/2003 keine entsprechende Vorgabe zu entnehmen ist. Es handelt sich damit gerade nicht um eine Regelung des Unionsrechts und damit eine für alle Rechtsgebiete einheitlich zu beantwortende „Vorfrage“. Im Hinblick auf die aufgeworfene Frage existiert kein bindendes oder vorrangiges Unionsrecht.441 Auch bei der Anwendung des Art. 101 AEUV durch das Bundeskartellamt wird keine einheitliche Zurechnung diskutiert, obwohl es sich hier ebenfalls um eine Frage der „Tatbestandserfüllung“ handeln würde.442 Bei näherer Betrachtung kann auch das Argument der Einheit der Rechtsordnung nicht herangezogen werden, um eine entsprechende Vorgabe des Unionsrechts zu begründen. Eine Normspaltung setzt vielmehr zunächst voraus, dass das europäische Recht eine Vorgabe für die Verhaltenszuordnung enthält. Ist diesem keine bestimmte Zuordnung zu entnehmen, führt auch die unterschiedliche Zuordnung im Rahmen des Art. 23 VO Nr. 1/2003 und des § 33 GWB nicht zu einer Normspaltung. Damit zeigt sich, dass auch diesem Argument zunächst die Frage vorgelagert ist, ob dem europäischen Recht eine Vorgabe zu entnehmen ist bzw. ob der Effektivitäts- oder der Äquivalenzgrundsatz eine bestimmte Zuordnung gebieten. Mangels einschlägiger Gemeinschaftsregelung richtet sich die potenzielle Einwirkung des Unionsrechts – ggf. auch auf die innerstaatlichen Zurechnungsregeln – folglich nach dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz. Diese Grundsätze 439 Vgl. Erwägungsgrund 8 der Begründung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 Nr. L 1/1. 440 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156; i.E. ebenso: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 165. 441 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156. Zu der Frage, inwiefern der Schadensersatzrichtlinie (Richtlinie 2014/104/EU, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1) eine ausdrückliche Vorgabe zu entnehmen ist, siehe Teil 3 § 3 B. II. Aufgrund des Rückwirkungsverbots kann eine Untersuchung an dieser Stelle dahinstehen. 442 Grund ist sicherlich die durch § 30 OWiG vorgegebene Wortlautgrenze und das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG. Nichtsdestotrotz wird der grundsätzliche Gedanke bei der Anwendung des Art. 101 AEUV auf Grundlage des nationalen Bußgeldrechts nicht angeführt.

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sind verletzt, wenn der Schutz der unionsrechtlich begründeten Rechte auf Grundlage der mitgliedstaatlich anwendbaren Vorschriften nicht ihren speziellen Vorgaben entspricht.443 Zunächst ist daher zu untersuchen, welche Rechtsträger in den tatsächlichen Konstellationen einer wirtschaftlichen Einheit nach den nationalen Vorschriften auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden können. Erst auf dieser Grundlage kann beurteilt werden, ob dieses Ergebnis in Konflikt mit den Vorgaben des Effektivitäts- oder Äquivalenzgrundsatzes steht. Anders als Leffrang es formuliert, ist es daher gerade keine Frage des deutschen Rechts, ob die unionsrechtlichen Anforderungen auch den Wertungen entsprechen, die nach der Rechtsprechung des BGH eine Durchbrechung des Trennungsprinzips ermöglichen.444 Im Zweifelsfall gebieten der Effektivitäts- bzw. der Äquivalenzgrundsatz eine Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes zum Schutz des unionsrechtlich begründeten Rechts auf Schadensersatz. Sollte dies der Fall sein, schließt sich die Frage an, welche Folgen hieraus zu ziehen sind und ob eine Verletzung gegebenenfalls eine „einheitliche Zurechnung“ oder einen sonstigen Durchgriff im Einzelfall gebietet. Eine pauschale Zurechnung, die sich an der von den Unionsorganen entwickelten Verhaltenszuordnung orientiert, scheidet aus. d) Distanzierungsobliegenheit Jüchser vertritt einen etwas abweichenden Ansatz, um im Rahmen des nationalen Schadensersatzanspruchs den Unternehmensbegriff des Art. 101 AEUV inklusive der ihm innewohnenden Zurechnung heranzuziehen.445 Er stützt den Transfer in das deutsche Recht darauf, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Normierung des § 33 GWB seine Distanzierungsobliegenheit verletzt habe.446 Sofern der nationale Gesetzgeber auf das Unionsrecht verweise und dieselben Begriffe verwende, seien diese einheitlich auszulegen.447 Konkret erkennt Jüchser eine entsprechende Verletzung darin, dass der deutsche Gesetzgeber zwar nicht in der Anspruchsgrundlage, jedoch in § 33 Abs. 3 S. 4 GWB vorgesehen hat, dass der Schadensersatzanspruch von dem „Unternehmen“ zu verzinsen ist. Hieraus folge, dass auch ein „Unternehmen“ Verstoßender im Sinne des § 33 Abs. 3 S. 1 GWB sein könne. Da der deutsche Gesetzgeber damit denselben Begriff wie in Art. 101 AEUV – „Unternehmen“ – verwandt habe, müsse das deutsche Recht dem Unionsrecht Folge leisten. Um dies zu vermeiden, hätte der deutsche Gesetzgeber zur Klarstellung Begriffe verwenden müssen, die von denen des Unionsrechts abweichen. Allein aus der Verwendung derselben – grundsätzlich neutralen – Begrifflichkeit „Unternehmen“ kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass das europäische 443 444 445 446 447

Ausführlicher hierzu nachfolgend Teil 3 § 2 B. VIII. Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 108. Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 180. Hierzu ausführlicher: Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 177 ff. Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 177.

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Zuordnungskonzept in das deutsche Recht übernommen werden sollte. Der Gesetzgeber muss dem Begriff zumindest den gleichen Sinngehalt zuweisen.448 Wie ein systematischer Vergleich zu § 81 Abs. 4 GWB zeigt, findet die europäische Betrachtung der wirtschaftlichen Einheit nach dem Willen des Gesetzgebers allein bei der Bestimmung des Umsatzes konzernverbundener Rechtsträger Anwendung.449 Insbesondere den Gesetzgebungsmaterialien zu § 33 GWB lässt sich kein Anhaltspunkt für eine abweichende Beurteilung entnehmen. Im Einklang mit der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie richtet sich die Verhaltenszurechnung daher grundsätzlich nach den nationalen Vorschriften. 2. Zurechnung nach nationalen Vorschriften Im deutschen Deliktsrecht richtet sich die Zurechnung des Verhaltens natürlicher Personen nach § 31 BGB und § 831 BGB. Grundsätzlich kann sich ein Kartellverstoß auch gleichzeitig als Vertragsverletzung darstellen, sodass in diesem Rahmen § 278 BGB herangezogen wird. In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit kommt jedoch eine Vertragsbeziehung zwischen dem Geschädigten und der Obergesellschaft nicht in Betracht, sodass sich die folgenden Ausführungen auf die deliktischen Zurechnungsregeln beschränken. a) Organe und leitende Angestellte Nach § 31 BGB haftet der Verein für jede zum Schadensersatz verpflichtende Handlung, die ein verfassungsmäßig berufener Vertreter in Ausübung der ihm zustehenden Verrichtung begangen hat. Die Vorschrift wird über ihren Wortlaut hinaus auf alle Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit angewendet – unabhängig von der konkreten Rechtsform.450 Der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ wird bei juristischen Personen weit ausgelegt. Nach ständiger Rechtsprechung ist es ausreichend, dass dem Beschäftigten durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensgemäße Funktionen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen

448 Vgl. zu der Diskussion, ob der deutsche Gesetzgeber durch den expliziten Verweis in § 2 Abs. 2 S. 1 GWB auf die Gruppenfreistellungsverordnungen eine deckungsgleiche Auslegung des Unternehmensbegriffs (begrenzt auf die Begriffe in § 1 und 2 Abs. 1 GWB) erforderlich gemacht hat: Weiß, Unternehmensbegriff, 2012, S. 169 ff. Ablehnend: Schwensfeier/Knauff, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 130 GWB Rn. 35. 449 BT-Drs. 16/7156, S. 11. 450 Mansel, in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 31 Rn. 2. Vgl. auch §§ 86 S. 1, 89 Abs. 1 BGB.

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Erfüllung zugewiesen sind.451 Erfasst wird damit in etwa der Personenkreis der leitenden Angestellten.452 Mit der „Lehre vom Organisationsmangel“ wurde der Anwendungsbereich des § 31 BGB durch die Rechtsprechung sogar noch darüber hinaus erweitert.453 Aus dieser folgt, dass die Gesellschaft für alle wichtigen Aufgabenbereiche mit selbstständigen Entscheidungsbefugnissen und entsprechender Eigenverantwortung einen Vertreter im Sinne des § 31 BGB bestellen muss.454 Erfüllt die tatsächlich eingesetzte Person diese Funktion nicht bzw. ist noch nicht einmal ein weisungsabhängiger Verrichtungsgehilfe zuständig, wird die unterbliebene Bestellung fingiert.455 Über die Lehre vom Organisationsmangel werden die Kartellabsprachen leitender Angestellter aufgrund der Bedeutung der Tätigkeit und der hiermit zwangsläufig verbundenen Entscheidungsbefugnisse auch in Personengesellschaften erfasst, bei denen die Ausdehnung des Begriffs des verfassungsmäßigen Vertreters auf leitende Angestellte umstritten456 ist.457 Im Übrigen muss die handelnde Person in Ausübung der ihr zustehenden Verrichtung gehandelt haben. Dies erfordert einen sachlichen Zusammenhang zwischen ihrem Aufgabenkreis und der schädigenden Handlung. Es wird nicht auf die Vertretungsmacht, sondern auf den zugewiesenen Geschäftsbereich und die Fähigkeit, für die Gesellschaft zu handeln, abgestellt.458 Handeln die Organe bzw. die leitenden 451 Ständige Rspr., vgl. nur: BGH, Urt. v. 30. 10. 1967, Az. VII ZR 82/65, NJW 1968, 391, 392; BGH, Urt. v. 14. 03. 2013, Az. III ZR 296/11, NJW 2013, 3366, 3367; Arnold, in: Säcker/ Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, § 31 Rn. 5. 452 Vgl. § 5 BetrVG, Arnold, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, § 31 Rn. 20; Schöpflin, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 31 Rn. 7. 453 Ausführlicher zu dem nebeneinander der Konstruktionen: Arnold, in: Säcker/Rixecker/ Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, § 31 Rn. 6 ff.; Schöpflin, in: Bamberger/Roth/ Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 31 Rn. 14 ff. 454 BGH, Urt. v. 28. 04. 1954, Az. II ZR 279/53, NJW 1954, 1193, 1194; BGH, Urt. v. 5. 03. 1963, Az. VI ZR 55/62, NJW 1963, 902, 902. 455 Schöpflin, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 31 Rn. 14. 456 Arnold, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, § 31 Rn. 25 ff.; Neubauer/Herchen, in: Gummert/Weipert, Münch. HdB. GesR, Bd. 2, 4. Aufl. 2014, § 28 Rn. 21. 457 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, 2010, S. 652; a.A. Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, 2015, S. 106 mit dem Argument, dass die Entscheidung gar nicht hätte getroffen werden dürfen. Dies kann jedoch nicht überzeugen. Die Ausdehnung soll gerade die Exkulpationsmöglichkeit des § 831 BGB bei deliktischem Verhalten abmildern. § 31 BGB stellt generell auf die Verrichtung und nicht die Art der Ausführung der im Einzelfall vorgenommenen Verrichtung ab. Unerlaubte Handlung ist niemals Verrichtung, andernfalls wäre § 31 BGB inhaltsleer, vgl. BGH, Urt. v. 8. 07. 1986, Az. VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941, 2942. Dass ein einfacher Mitarbeiter nur eine wettbewerbswidrige Absprache trifft, aber nicht mit der gesamten Verrichtung, d. h. den Kontakten mit den übrigen Kartellanten betraut ist, scheint ein rein theoretischer Fall zu sein. 458 BGH, Urt. v. 8. 02. 1952, Az. I ZR 92/51, NJW 1952, 537, 538; BGH, Urt. v. 8. 07. 1986, Az. VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941, 2941.

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Angestellten im Rahmen ihres zugewiesenen Aufgabenbereichs, gilt dies als Handeln des Rechtsträgers selbst und begründet unmittelbar dessen kartellrechtliche Verantwortlichkeit.459 Neben dem eigentlichen Handeln ist auch das Unterlassen erfasst, d. h., wenn die Leitungsperson Kenntnis von dem Verstoß hatte und trotz Möglichkeit den Verstoß zu verhindern, nicht eingeschritten ist.460 b) Sonstige Mitarbeiter Haben andere als die vorstehend genannten Personen gehandelt, bestimmt sich die allgemeine deliktische Haftung nach § 831 Abs. 1 BGB. Geschäftsherren haften für Schäden, die ihre Verrichtungsgehilfen in Ausführung der Verrichtung rechtswidrig verursachen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Zurechnungsnorm wie § 31 BGB, sondern um einen eigenständigen Haftungstatbestand für vermutetes Verschulden des Geschäftsherrn bei der Auswahl und Überwachung seiner Mitarbeiter. Entsprechend kann sich der Rechtsträger im Hinblick auf das vermutete eigene Verschulden bei der Auswahl und/oder Überwachung des Mitarbeiters entlasten.461 Voraussetzung für die Haftung über § 831 Abs. 1 BGB ist jedoch ein Eigendelikt des Verrichtungshilfen. Daher erscheint auf den ersten Blick problematisch, dass Art. 101 AEUV allein Unternehmen adressiert. Der einfache Mitarbeiter kann demnach kein Eigendelikt begehen, sodass § 831 BGB nicht erfüllt wäre.462 Im Rahmen des § 31 BGB wird dies aufgelöst, indem die Handlungen der leitenden Angestellten als Handlungen der Gesellschaft betrachtet werden bzw. indem die Verkehrspflichten der Gesellschaft gleichsam als Verkehrspflichten des leitenden Angestellten aufgefasst werden.463 § 831 Abs. 1 BGB nicht auf einen Kartellverstoß eines einfachen Mitarbeiters anzuwenden, würde jedoch Sinn und Zweck der Norm widersprechen. § 831 Abs. 1 BGB verlängert die Verantwortung des Geschäftsherrn, wenn er die Verrichtung anstelle seiner selbst durch Gehilfen ausführen lässt.464 Entscheidend muss daher sein, ob das Verhalten widerrechtlich wäre, wenn der Geschäftsherr es vorgenommen 459 Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 33 GWB Rn. 37; Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 33; Bürger, WuW 2011, 130, 137. So die h.M. der Organtheorie. Orientiert man sich hingegen eng am Wortlaut des § 31 BGB und fordert ein Eigendelikt des Handelnden, kann andernfalls die Pflicht der Gesellschaft gleichsam als Pflicht des Handelnden verstanden werden, vgl. Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 106. Im Ergebnis besteht im Hinblick auf die Haftung des Unternehmensträgers kein Unterschied. 460 Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 33 GWB Rn. 37; Krohs, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2017, § 33 GWB Rn. 199; Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 16. 461 Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 33 GWB Rn. 38. 462 Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, 2015, S. 106 f. 463 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 459. 464 Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 531; 535.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

hätte.465 Selbst wenn man dies anders sehen wollte, scheint die hierdurch verbleibende Haftungslücke jedoch eher theoretischer Natur zu sein, da Kartellabsprachen nicht von einfachen Angestellten getroffen werden. Gemeinsame Treffen mit Mitbewerbern und die Abstimmung von Preisen sowie deren Umsetzung erfordern einen eigenen Entscheidungsspielraum. Im Zweifel werden diese Konstellationen daher über die erweiterte Auslegung des § 31 BGB bzw. die Lehre vom Organisationsmangel erfasst. c) Zwischenergebnis In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit liegt keine Handlung eines Organs oder eines leitenden bzw. sonstigen Angestellten der Obergesellschaft vor. Es handeln ausschließlich natürliche Personen im und aus dem Wirkungskreis der Tochtergesellschaft. Entsprechend wird auf Grundlage des deutschen Rechts die wettbewerbswidrige Handlung der natürlichen Person allein der Tochtergesellschaft zugerechnet.466 Auch wenn nach europäischem Wettbewerbsrecht sowohl die Obergesellschaft als auch die Tochtergesellschaft die Unternehmensträger der wirtschaftlichen Einheit sind, haftet damit allein die handelnde Tochtergesellschaft. 3. Zurechnung über die Verbundklausel Im Kartellzivilrecht könnte jedoch über die allgemeinen deliktischen Zurechnungsregeln hinaus eine Zurechnung auf Grundlage der Verbundklausel (§ 36 Abs. 2 GWB) in Betracht zu ziehen sein. Anders als im Ordnungswidrigkeitenrecht würde eine solche Anwendung nicht mit dem aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleiteten Analogieverbot kollidieren.467 Entsprechend wird teilweise angeführt, dass aus der Geltung der Verbundklausel für das gesamte GWB und der Entscheidung Entega468 des BGH eine allgemeine Konzernhaftung im Kartellzivilrecht folge.469 Die Verbundklausel schaffe eine umfassende konzernspezifische Zurechnung.470 465 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 237; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 76 III 5d mit Fn. 183. 466 Gleiches gilt auch bei einem Verstoß gegen § 1 GWB, dem ebenfalls der funktionale Unternehmensbegriff zugrunde liegt. Bei der Beteiligung konzernverbundener Unternehmen fallen auch im deutschen Kartellrecht der Normadressat und der primäre Sanktionsadressat auseinander. Natürliche Personen handeln regelmäßig nur für ihre Anstellungskörperschaften: Berg/Mudrony, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, § 1 GWB Rn. 8; 16. 467 Ausführlicher zu dem Inhalt der Norm und der Anwendung der Verbundklausel im Kartellordnungswidrigkeitenrecht siehe bereits oben Teil 3 § 2 A. III. 1. 468 BGH, Urt. v. 23. 06. 2009, Az. KZR 21/08 – Entega. 469 Gussone, WuW 2016, 393, 393; Dück/Schultes, WM 2013, 9, 11; Jung/Gussone/Lesinska, Energieblog v. 29. 08. 2013, abrufbar unter: http://www.derenergieblog.de/alle-themen/ wettbewerbs-und-kartellrecht/konzernhaftung-auch-beim-kartellschadensersatz/.

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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Die wenigen Stellungnahmen im Schrifttum lehnen eine solch allgemeine Zurechnung ab.471 Klotz stützt dies darauf, dass § 36 Abs. 2 GWB allein Eigenschaften, Verhaltensweisen und Kenntnisse, jedoch keine Haftung zurechnen könne.472 Er kommt unter Hinweis auf den Wortlaut des § 36 GWB und die Systematik des Gesetzes zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber mit der Verbundklausel nicht das Haftungsmodell des Unionsrechts rezipiert habe.473 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Doch die entscheidende Frage ist vielmehr, ob auf Grundlage der Verhaltenszurechnung auch eine Haftung der Obergesellschaft begründet werden könnte. Denn wie auch Klotz einräumt, können über § 36 Abs. 2 GWB grundsätzlich Verhaltensweisen zugerechnet werden. Damit ist zu untersuchen, ob einem Rechtsträger, dessen Leitungspersonen nicht an dem wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligt waren, auf Grundlage des § 36 Abs. 2 GWB die Verhaltensweisen der übrigen konzernverbundenen Gesellschaften zugerechnet werden können. a) Telos der Verbundklausel Dies würde voraussetzen, dass § 36 Abs. 2 GWB eine wahlweise wechselseitige Zurechnung von Kenntnissen und Handlungen im Konzern ermöglicht. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dies mit Sinn und Zweck des § 36 Abs. 2 GWB zu vereinbaren ist. In der Entwicklungsgeschichte der Norm kommt vielmehr zum Ausdruck, dass die Verbundklausel darauf ausgerichtet ist, die Zweckerreichung der unterschiedlichsten Wettbewerbsvorschriften des GWB sicherzustellen. Die Vorgängernorm zu § 36 Abs. 2 GWB wurde 1965 eingeführt und galt ursprünglich allein für die Berechnung von Marktanteilen in der Fusionskontrolle. Mit der 2. GWB-Novelle wurde die Norm auf die Berechnung der Umsatzerlöse und der Beschäftigtenzahl in der Fusionskontrolle ausgedehnt.474 Kern der Regelung war damit seit 1973 in all diesen Fällen, dass die wirtschaftliche Marktmacht der verbundenen Gesellschaften rechtlich Berücksichtigung findet, um nicht durch eine Aufspaltung in einzelne Gesellschaften die entsprechenden Schwellenwerte in der Fusionskontrolle unterlaufen zu können. Die Verbundklausel ermöglicht damit, die wirtschaftlichen Zusammenhänge bei der Subsumtion unter ein konkretes Tatbestandsmerkmal einer anderen Norm zu berücksichtigen.

470 Jung/Gussone/Lesinska, Energieblog v. 29. 08. 2013, abrufbar unter: http://www.derener gieblog.de/alle-themen/wettbewerbs-und-kartellrecht/konzernhaftung-auch-beim-kartellscha densersatz/. 471 Scheidtmann, wrp 2010, 499, 502; Könen, NZKart 2017, 15, 16; Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 216 f.; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 321 ff. Zu den ablehnenden Stimmen im Hinblick auf das Ordnungswidrigkeitenrecht vgl. die Nachweise in Fn. 254. 472 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 171. 473 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 171. 474 BT-Drs. 6/2520, S. 26.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Mit der 6. GWB-Novelle wurde die Verbundklausel ausweislich der Gesetzesbegründung weitgehend übernommen.475 Abweichend von dem bisherigen Recht sollte die Klausel nunmehr nicht nur für die Berechnung der Marktanteile und der Umsatzerlöse, sondern im gesamten Anwendungsbereich des Gesetzes gelten.476 Eine Änderung des Telos ging ausweislich der Gesetzesmaterialien hiermit nicht einher. Die Verbundklausel kann demnach grundsätzlich bei der Anwendung jeder Norm aus der Fusionskontrolle, des Missbrauchs- oder des Kartellrechts herangezogen werden. Wie auch vor der 6. GWB-Novelle folgt hieraus, dass bei der Anwendung des § 36 Abs. 2 GWB aus jeder konkreten Norm ihr spezieller Zweck zu ermitteln ist, der nicht dadurch unterlaufen werden soll, dass das wettbewerbliche Unternehmen auf mehrere rechtlich selbstständige Rechtsträger aufgespalten wird. Um diesen Normzweck der konkreten GWB-Vorschrift zu erreichen und ihre Wirkung zu erhalten, werden verbundene Rechtsträger auf Grundlage des § 36 Abs. 2 GWB als wettbewerbliche Einheit behandelt. Die Verbundklausel bildet damit die normative Grundlage, um bei der konkreten Beurteilung einer kartellrechtlichen Fragestellung die Gesamtheit des Konzerns zu berücksichtigen. Die Vorschrift wird angewandt, um einer bereits vollumfänglich oder teilweise kartellrechtswidrig handelnden Gesellschaft bestimmte Verhaltensweisen oder Kenntnisse verbundener Rechtsträger tatsächlich zuzurechnen.477 Voraussetzung ist jedoch immer ein tatbestandlicher Anknüpfungspunkt, der durch den Rechtsträger gesetzt wurde, dem zugerechnet werden soll.478 Erst dann sichert § 36 Abs. 2 GWB die Zweckerreichung der einschlägigen Norm. Ohne tatbestandlichen Anknüpfungspunkt kann § 36 Abs. 2 GWB nicht die Anwendbarkeit der Normen des GWB an sich begründen. Die Verbundklausel schließt lediglich Schutzlücken, die durch die rechtliche Aufspaltung eines aus wirtschaftlicher Perspektive einheitlichen Unternehmens entstehen. Haben allein natürliche Personen aus dem Wirkungskreis der Tochtergesellschaft gehandelt, fehlt es damit bei der Anwendung des § 33 GWB an einem Anknüpfungspunkt in Form einer Handlung der Obergesellschaft – § 36 Abs. 2 GWB kann nicht herangezogen werden.479

475 BT-Drs. 13/9720, S. 56 (noch unter Abs. 3). BegrRegE 2. GWB-Novelle BT-Drs. 6/ 2520, S. 26. 476 Anders: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 322 – die Verbundklausel soll nur Anwendung finden, wenn die entsprechende Norm vor der 6. GWB-Novelle bereits auf die Verbundklausel verwiesen hat. Dem widerspricht jedoch die Formulierung, dass die Klausel auf den gesamten Anwendungsbereich des GWB erweitert werden sollte. Hierin kommt gerade keine Beschränkung auf die früheren Verweisnormen zum Ausdruck. 477 Vgl. Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 36 GWB Rn. 807. 478 Siehe vergleichend den Ansatz Pohlmanns auf Grundlage der europäischen Verbundklauseln, Teil 3 § 2 B. III. 1. a). Auch Pohlmann setzt immer einen Anknüpfungspunkt der Obergesellschaft voraus und schließt auf Grundlage der Verbundklauseln nur Schutzlücken. 479 Im Ergebnis ebenso, jedoch gänzlich ohne Begründung: Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 217.

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b) Urteil Entega des Bundesgerichtshofes Dieses Grundprinzip spiegelt sich auch in der Entscheidung Entega des BGH wider. In diesem Verfahren hatte die Beklagte und Zurechnungsadressatin aktiv am Markt Strom zu einem höheren Preis als ihre Schwestergesellschaft angeboten. Auf Basis dieses Anknüpfungspunktes stand in Frage, ob die Preisgestaltung der Beklagten missbräuchlich war, es sich um „ungünstigere Entgelte“ im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB a.F.480 gehandelt hatte. Im Rahmen des § 19 GWB handelt der Normadressat missbräuchlich, wenn er auf den von ihm bedienten, vergleichbaren Märkten mit vergleichbaren Abnehmern ohne sachliche Rechtfertigung Preise und Konditionen mit unterschiedlichen Strukturen fordert.481 Die Beklagte selbst verwandte jedoch keine unterschiedlichen Preismodelle. Die Unterschiede ergaben sich erst aus einem Vergleich mit den Preisen ihrer Schwestergesellschaft. Um die Preisgestaltung innerhalb der konzernverbundenen Gesellschaften, die sich aus wirtschaftlicher Perspektive wie ein Akteur darstellten, zu vergleichen, zog der BGH die Verbundklausel heran. Denn nur durch die einheitliche Betrachtung der Preisgestaltungen aller konzernzugehörigen Unternehmen konnte verhindert werden, dass das Verbot der missbräuchlichen Preisspaltung durch eine Aufteilung der Tätigkeit auf verschiedene Rechtsträger umgangen wird.482 Nachdem in dem Verfahren feststand, dass die Beklagte auf vergleichbaren Märkten unterschiedliche Preise gefordert hatte, war im Weiteren fraglich, ob hierfür eine sachliche Rechtfertigung vorlag, die den Vorwurf der Missbräuchlichkeit entkräften konnte. Der Zweckerreichung des § 19 GWB stand der Einwand der Beklagten entgegen, dass sie ihrer materiellen Beweislast für die „sachliche Rechtfertigung“ der Preisspaltung nicht ohne die Mitwirkung der Muttergesellschaft nachkommen könne. Dies wiederum deutet den Einwand an, dass die Beklagte keine Kenntnis von den der Preisgestaltung ihrer Schwestergesellschaft zugrunde liegenden Parametern hat und sich entsprechend nicht gegen den Vorwurf des missbräuchlichen Verhaltens verteidigen könne. Aus diesem Grund könne die Beklagte nicht in Anspruch genommen werden. Aus wirtschaftlicher Perspektive fehlte ihr diese Kenntnis jedoch nur aufgrund der Aufspaltung des wettbewerblichen Unternehmens in zwei einzelne Gesellschaften. Entsprechend wurde ihr, um diesen Einwand zu entkräften, die Kenntnis von den Grundlagen der Preisfestsetzung über § 36 Abs. 2 GWB zugerechnet und der fehlende Vortrag als Verzicht der Prozesspartei auf den Vortrag ihr günstiger Tatsachen gewertet.483 Die Wissenszurechnung diente der Entkräftung des von der Beklagten vorgebrachten prozessualen Einwands, 480

Jetzt: § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB. Vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 286 ff. 482 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 06. 2009, Az. KZR 21/08 – Entega, Tz. 16. 483 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 06. 2009, Az. KZR 21/08 – Entega, Tz. 13. 481

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um den Zweck des § 19 GWB zu erreichen und den Wettbewerb zu schützen. Folglich lässt sich aus der Entscheidung Entega keine allgemeine konzerninterne Wissenszurechnung aufgrund einer arbeitsteiligen Aufteilung des tatsächlichen Geschehens ableiten.484 Ziel war nicht, einen zusätzlichen Schuldner zu schaffen, sondern die bereits teilweise tatbestandlich handelnde Gesellschaft als Schuldner zu erhalten. Dem Urteil Entega des BGH kann daher nicht entnommen werden, dass die Klage auch gegen die Obergesellschaft hätte gerichtet werden können oder gar eine allgemeine Konzernhaftung begründet worden sei.485 Dieser Konstellation würde es jedoch entsprechen, wenn im Rahmen des § 33 Abs. 3 GWB der gänzlich unbeteiligten Obergesellschaft die wettbewerbswidrigen Handlungen der Tochtergesellschaft zugerechnet werden könnten. Wollte man auf einen eigenen tatbestandlichen Anknüpfungspunkt des Zurechnungsadressaten verzichten, würde dies im Ergebnis bedeuten, dass auch sämtliche anderen konzernverbunden Gesellschaften aus gänzlich anderen Branchen wegen eines Wettbewerbsverstoßes in Anspruch genommen werden könnten, da ihnen sämtliche Handlungen der anderen Konzerngesellschaften zugerechnet werden könnten. Eine allgemeine Verhaltenszurechnung auf Grundlage des § 36 Abs. 2 GWB scheidet aus. IV. Konzernbezogene Haftungstatbestände Nach den klassischen Zurechnungsregeln sowie der Verbundklausel kann keine Haftung der Obergesellschaft begründet werden. Auch wenn damit die Zurechnung der eigentlichen wettbewerbswidrigen Handlungen ausscheidet, könnte jedoch ein anderes Verschulden auf Ebene der Obergesellschaft den Anknüpfungspunkt für die Haftung der Obergesellschaft bilden. In Betracht kommt ein Auswahl- und Überwachungsverschulden (hierzu 1.), ein Organisationsverschulden (2.) oder eine Aufsichtspflichtverletzung (3.). Daneben könnte sich bereits aus der Konzernverbundenheit eine Einstandspflicht ergeben (4.). 1. Auswahl- und Überwachungsverschulden Einen möglichen Ansatzpunkt könnte die Anwendung von § 831 Abs. 1 S. 1 BGB auf den Unternehmensverbund bilden. Verschiedentlich wird diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Tochtergesellschaft als Verrichtungsgehilfin ihrer 484 So aber: LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 68 (Juris); wie hier ablehnend: Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 79 ff., die jedoch in ihrer Argumentation unberücksichtigt lassen, dass das LG Berlin eine sekundäre Darlegungsund Beweislast der Beklagten zu 4) und zu 5) annimmt und in diesem Rahmen die Wissenszurechnung täterschaftsbegründend wirkt. 485 Im Ergebnis ebenso: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 323; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 228 ff.

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Obergesellschaft qualifiziert werden kann.486 Im Zusammenhang mit Verstößen gegen europäisches Wettbewerbsrecht scheint dieser Ansatz von besonderem Interesse, da sich die Haftungskonzepte der wirtschaftlichen Einheit und des § 831 BGB auf den ersten Blick zu ähneln scheinen. Grundlage beider Konzepte ist die mangelnde Selbstständigkeit des Handelnden. Das europäische Konzept ist durch die fehlende Autonomie der handelnden Gesellschaft gekennzeichnet. Anknüpfungspunkt des nationalen Konzepts ist die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Verrichtungsgehilfen, mithin der Tochtergesellschaft. a) Anwendung auf juristische Personen Teile der Literatur sprechen sich jedoch bereits grundlegend gegen eine Anwendung des § 831 BGB auf juristische Personen aus;487 insbesondere die historische Auslegung der Norm wird eingewandt.488 Qualifizierte man eine juristische Person als Verrichtungsgehilfe, würde dies zu dem Phänomen des Zwischengehilfen und der vom Gesetz nicht vorgesehenen „Potenzierung der Geschäftsherreneigenschaft“ führen.489 Zwar muss eingeräumt werden, dass in dem ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren ausschließlich Konstellationen mit natürlichen Personen als Verrichtungsgehilfen diskutiert wurden.490 Den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob dies allein den wirtschaftlichen Verhältnissen der damaligen Zeit geschuldet war oder ob es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung handelt.491 Aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen wurden juristische Personen jedenfalls nicht. Selbst wenn der Gesetzgeber juristische Personen bei der Normierung nicht vor Augen gehabt haben sollte, sind das Gesetz und seine Auslegung an die gewandelten Rahmenbedingungen anzupassen.492 Der Wortlaut des § 831 BGB

486 Hierbei wird die rechtliche Selbstständigkeit der Tochtergesellschaft, die mit ihrer eigenen Organisation zwischen der Obergesellschaft und den Angestellten der Tochtergesellschaft steht, geachtet. Die Angestellten der Tochtergesellschaft werden nicht als Verrichtungsgehilfen der Obergesellschaft qualifiziert. 487 Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 205; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 76 Rn. 22; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 274 f. 488 Ehricke, Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998, S. 130; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 191; Koch, WM 2009, 1013, 1018; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 409. 489 Ehricke, Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998, S. 131; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 410; Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 220 f. 490 Vgl. Horn, Entstehung der Vorschriften zur Gehilfenhaftung, 2007, S. 121 ff. 491 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 264 f. 492 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 131, der treffend darauf hinweist, dass andernfalls mit diesem Argument auch die Anwendung des § 1004 BGB auf die Störerhaftung des Hostproviders abgelehnt werden könnte.

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spricht zunächst neutral von einem „anderen“.493 „Anderer“ ist jedes vom Geschäftsherrn zu trennende Rechtssubjekt, folglich auch eine juristische Person.494 Bei der Exkulpation ist entsprechend auf die Organe der juristischen Person abzustellen, deren Handlungen und Verschulden die deliktische Verantwortlichkeit der Gesellschaft begründen.495 Bei genauer Betrachtung zeigt sich auch, dass es sich nicht auf die Geschäftsherreneigenschaft auswirkt, wenn eine juristische Person anstelle einer natürlichen Person als Verrichtungsgehilfin qualifiziert wird.496 Vielmehr findet § 831 BGB auf das Verhältnis zwischen Ober- und Tochtergesellschaft als auch auf dasjenige der Tochter zu ihren Angestellten Anwendung, wenn diese die Verrichtung auf ihre Angestellten überträgt.497 Die Geschäftsherreneigenschaft wird nicht potenziert, die Angestellten der Tochtergesellschaft werden nicht zu Verrichtungsgehilfen der Obergesellschaft. Damit sprechen die besseren Gründe für eine grundsätzliche Einbeziehung von juristischen Personen in den Anwendungsbereich des § 831 BGB. b) Voraussetzungen der Verrichtungsgehilfeneigenschaft Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, zu bestimmen, unter welchen Umständen eine rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft als Verrichtungsgehilfin ihrer Konzernobergesellschaft eingeordnet werden kann. Anders als natürliche Personen ist die Tochtergesellschaft nicht institutionell in das Unternehmen der Obergesellschaft eingegliedert. Aufgrund ihrer rechtlichen Selbstständigkeit kann sie sich wirtschaftlich weitgehend unabhängig entfalten.498 Rechtlich selbstständige Vertragspartner wiederum fallen allgemein aus dem Anwendungsbereich des § 831 BGB heraus, denn sie sind für ihr Verhalten selbst verantwortlich.499 Der Vertragspartner – und vermeintliche Geschäftsherr – darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass sein Vertragspartner den deliktischen Sorgfaltspflichten nachkommt.500 Andererseits handelt es sich bei der Tochtergesellschaft, je nach Ausgestaltung des Konzernverhältnisses, nicht um ein vollständig selbstständiges Unternehmen. Die 493 In der Rechtsprechung wird dies nicht problematisiert, sondern § 831 BGB ohne nähere Ausführungen auf juristische Personen angewandt, vgl. nur: BGH, Urt. v. 28. 02. 1989, Az. XI ZR 70/88, WM 1989, 1047, 1050; BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003. 494 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 205; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 264. 495 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 207; Bunting, ZIP 2012, 1542, 1547; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 267; Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 192. 496 Im Ergebnis ebenso mit abweichender Begründung: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 132; Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 221. 497 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 207; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 266; Bunting, ZIP 2012, 1542, 1547. 498 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 271. 499 Wagner, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 831 Rn. 16. 500 Wagner, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 831 Rn. 16.

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Verbundenheit als Teile eines großen Konzerns führt aufgrund der rechtlichen oder faktischen Einwirkungsmöglichkeiten der Obergesellschaft regelmäßig zu einer gemeinsamen Ausrichtung der Teilgesellschaften.501 Allgemein wird in ständiger Rechtsprechung formuliert, dass Verrichtungsgehilfe ist, wer von den Weisungen seines Geschäftsherrn abhängig ist.502 Der potenzielle Verrichtungsgehilfe muss allgemein oder im konkreten Fall im Einflussbereich des Geschäftsherrn stehen, sich in einer gewissen Abhängigkeit zu ihm befinden und die Tätigkeit muss ihm von dem potenziellen Geschäftsherrn übertragen worden sein.503 Abhängigkeit ist hierbei nicht im Sinne einer sozialen Über-/Unterordnung zu verstehen, sondern als Eingliederung in den Organisationskreis des Geschäftsherrn.504 Das Weisungsrecht muss nicht jedes Detail umfassen. Es umschreibt die Befugnis, auf das Verhalten des Handelnden tatsächlich Einfluss zu nehmen und dessen Tätigkeit jederzeit zu beschränken, zu entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen zu können.505 Soll ein selbstständiges Unternehmen als Verrichtungsgehilfe eingestuft werden, wird jedoch regelmäßig auf eine Weisungsgebundenheit in Bezug auf die Ausführung der konkreten Einzelverrichtung abgestellt.506 In einer jüngeren Entscheidung stellte der BGH fest, dass es bei selbstständigen Unternehmen allgemein und auch bei konzernverbundenen Gesellschaften „in der Regel“ an dieser Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit fehlt.507 Die Übertragung von Aufgaben im Konzern diene regelmäßig dem Zweck der selbstständigen und gerade nicht der weisungsgebundenen Aufgabenerfüllung. Entgegen mancher Autoren können diese Ausführungen jedoch nicht dahingehend interpretiert werden, dass der BGH die Anwendung des § 831 BGB im Konzern generell ausgeschlossen 501

Ebenso: Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 209 f.; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 271. 502 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003. 503 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003; BGH, Urt. v. 28. 02. 1989, Az. XI ZR 70/88, WM 1989, 1047, 1050; BGH, Urt. v. 25. 04. 2012, Az. I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279, 1283. 504 Wagner, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 831 Rn. 15; Teichmann, in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 831 Rn. 5; missverständlich insoweit: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 220 – „soziales Abhängigkeitsverhältnis“. 505 BGH, Urt. v. 28. 02. 1989, Az. XI ZR 70/88, WM 1989, 1047, 1050; BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003; BGH, Urt. v. 25. 04. 2012, Az. I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279, 1283; Teichmann, in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 831 Rn. 5. 506 BGH, Urt. v. 25. 04. 2012, Az. I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279, 1283: „[…] nicht ausgeschlossen, dass ein rechtlich selbständiges Unternehmen, soweit es eine Tätigkeit ausübt, bei der es den Weisungen eines anderen Unternehmens unterworfen ist, auch dessen Verrichtungsgehilfe ist.“ Ebenso: Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 823 Rn. 20; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 209; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 530; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 269 unter Verweis auf: BGH, Urt. v. 29. 06. 1956, Az. I ZR 129/54, NJW 1956, 1715, 1715 f.; BGH, Urt. v. 5. 10. 1979, Az. I ZR 140/ 77, NJW 1980, 941, 941; BGH, Urt. v. 28. 02. 1989, Az. XI ZR 70/88, WM 1989, 1047, 1015; BGH, Urt. v. 12. 06. 1997, Az. I ZR 36/95, NJW-RR 1998, 250, 251 f. 507 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003.

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hat.508 Die Karlsruher Richter wiesen im konkreten Fall den „pauschalen Vortrag“ der Kläger zurück und sahen daher, ihrer Grundregel entsprechend, die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit nicht als erfüllt an.509 Der Entscheidung ist damit lediglich zu entnehmen, dass eine konzerninterne Aufgabenzuweisung allein nicht genügen kann, um die Konzerngesellschaft als Verrichtungsgehilfe einzuordnen.510 Damit reiht sich das Urteil in die Linie früherer Urteile des Bundesgerichtshofes ein, wonach „besondere Umstände“ vorliegen müssen, um die Verrichtungsgehilfeneigenschaft eines rechtlich selbstständigen Unternehmens zu begründen.511 Hierbei ist nicht auf die rechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Beziehungen abzustellen. Entscheidend ist die tatsächliche Eingliederung in den Organisationsbereich (Abhängigkeit) und die Weisungsgebundenheit.512 Entsprechend vielgestaltig ist der Meinungsstand in der Literatur. Vogt möchte die Verrichtungsgehilfeneigenschaft bereits bejahen, wenn die Tätigkeit durch die Obergesellschaft vorgezeichnet worden ist, sie sich mithin an den Vorstellungen der Konzernspitze ausrichtet.513 Andere fordern einschränkend, dass die Tochtergesellschaft sich bei der Verrichtung der Tätigkeit als verlängerter Arm der Obergesellschaft darstellen müsse.514 Bork tendiert im Vertragskonzern und im Einzelfall im faktischen Konzern zur Annahme der Verrichtungsgehilfeneigenschaft.515 Bunting wiederum lässt allein die Eingliederung oder den Abschluss eines Beherrschungsvertrages genügen.516 Die höchsten Anforderungen stellt Ballerstedt, der die abhängige Gesellschaft nur als Verrichtungsgehilfin ansehen möchte, wenn ihre rechtliche Selbstständigkeit aufgrund 100 %igen Kapitalbesitzes, Personalunion und sonstiger Umstände als bloße Formalität erscheint, da sie einem Einheitsunternehmen vergleichbar in die Obergesellschaft eingegliedert sei.517

508

So aber: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 205; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 132 f.: „schlechterdings nicht Verrichtungsgehilfin“. 509 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003: „Die Klägerin hat insoweit auch keine konkreten Umstände aufgezeigt, die eine Abweichung vom dem für selbstständige Unternehmen geltenden Grundsatz rechtfertigen.“ 510 Ebenso: Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 264. 511 BGH, Urt. v. 25. 04. 2012, Az. I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279, 1283; BGH, Urt. v. 28. 02. 1989, Az. XI ZR 70/88, WM 1989, 1047, 1047. 512 BGH, Urt. v. 28. 02. 1989, Az. XI ZR 70/88, WM 1989, 1047, 1050; BGH, Urt. v. 25. 04. 2012, Az. I ZR 105/10, GRUR 2012, 1279, 1283: Erfüllt bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages. 513 Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 216 ff.; 217. 514 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 535; 539; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 274; Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 823 Rn. 16. 515 Bork, ZGR 1994, 237, 255. 516 Bunting, ZIP 2012, 1542, 1547. 517 Ballerstedt, DB 1956, 813, 814.

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c) Stellungnahme Grundsätzlich ist der Anwendung des § 831 BGB auch auf konzernverbundene Gesellschaften zuzustimmen. Einschränkend ist hierbei zu berücksichtigen, dass nach § 831 BGB der Verrichtungsgehilfe „zu einer Verrichtung bestellt“ worden sein muss. In diesem regelmäßig nicht viel beachteten Tatbestandsmerkmal kommt das Leitbild des Gesetzgebers zum Ausdruck: Der Geschäftsherr muss einen Arbeitsvorgang, den er nicht selbst ausführt, auf seinen Verrichtungsgehilfen auslagern.518 Übertragen auf das Verhältnis konzernverbundener Gesellschaften muss die Tochtergesellschaft damit Verrichtungen ausführen, welche die Obergesellschaft ohne diese selbst ausführen würde.519 Dementgegen kann es nicht genügen, dass die Obergesellschaft wirtschaftlich von der Tätigkeit der Tochtergesellschaft profitiert und je nach Ausgestaltung des Konzernverhältnisses mittels Direktiven oder einer Konzernpolitik der Tätigkeit der Tochtergesellschaft eine allgemeine Ausrichtung vorgibt.520 Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Tochtergesellschaft bzw. die wirtschaftliche Nutzziehung der Obergesellschaft allein rechtfertigt nicht die Einordnung als Verrichtungsgehilfe.521 Erste Grundvoraussetzung ist daher die Arbeitsteilung, denn erst wenn der Geschäftsherr die Arbeitsteilung nicht ordnungsgemäß betreibt, indem er seine Hilfspersonen nicht sorgfältig genug auswählt, anleitet oder beaufsichtigt, schafft er einen erhöhten Gefahrenbereich, für dessen typische Folgen er einstehen muss.522 Der Verrichtungsgehilfe muss sich als verlängerter Arm des Geschäftsherrn darstellen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Obergesellschaft die Tochtergesellschaft speziell für den Vertrieb des von ihr produzierten Produkts gründet und ihr damit die Tätigkeit überträgt.523 Holle formuliert allgemein, dass eine „funktionale Rückkoppelung zu einem Arbeitsvorgang des Geschäftsherrn“ erforderlich sei.524 Dieser Gedanke Holles sollte jedoch nur als Kriterium herangezogen werden, um die allgemeine, auf den Konzernerfolg ausgerichtete Tätigkeit der Tochtergesellschaft auszugrenzen und darf nicht überstrapaziert werden. Eine zu enge Interpretation stößt bereits an ihre Grenzen, wenn beispielsweise der Arbeitsvorgang einer Holdinggesellschaft eines Mischkonzerns zu bestimmen wäre. Entsprechend würde eine solche Auslegung den wirtschaftlichen Realitäten nicht gerecht. Vielmehr stellt es 518

Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 535; 539; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 273. 519 Ebenso: Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 535; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 274; Bork, ZGR 1994, 237, 255; Koch, WM 2009, 1013, 1018. 520 Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 192. 521 Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 192; Vogt, Verbandsgeldbuße, 2009, S. 210; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 274. 522 Bernau, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 831 Rn. 5. 523 Jedoch auch in diesen Fällen müssen die Voraussetzungen der Abhängigkeit und der Weisungsgebundenheit erfüllt sein, um die Tochtergesellschaft als Verrichtungsgehilfin zu qualifizieren. 524 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 274.

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sich ebenfalls als Verrichtung einer Tätigkeit der Obergesellschaft dar, wenn die Obergesellschaft der Tochtergesellschaft – einer eigenen Betriebsabteilung vergleichbar – keinen eigenen Handlungsspielraum belässt und damit die Tätigkeit gleichsam an sich zieht.525 Denn die fehlende Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit bildet die Grenze zwischen Verrichtungs- und Erfüllungsgehilfen.526 Gerade die Weisungsgebundenheit manifestiert die Zuordnung des Gehilfen zur Herrschaftssphäre des Geschäftsherrn.527 Auch in diesen Fällen stellt sich die Verrichtung der Tochtergesellschaft als „verlängerter Arm“ der Obergesellschaft dar. Zweite Grundvoraussetzung der Ersatzpflicht des Geschäftsherrn für die von dem Verrichtungsgehilfen zugefügten Schäden ist, dass dieser auf dessen Verhalten tatsächlich Einfluss nehmen konnte.528 Es ist entscheidend, dass die Tätigkeit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird.529 Die Beurteilung kann sich hierbei jedoch nicht pauschal an einzelnen Formen der Konzernierung orientieren. Für die deliktische Verantwortlichkeit kann es nicht darauf ankommen, worauf die Abhängigkeit bzw. die Weisungsgebundenheit beruht, sodass es keiner Unterscheidung zwischen vertraglicher und faktischer Konzernierung bedarf.530 Ausschlaggebend sind die tatsächlichen, auch faktischen Einwirkungsmöglichkeiten im Einzelfall.531 Diese Voraussetzungen können auch ohne das Vorliegen rechtlich abgesicherter Befugnisse erfüllt sein. In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit wird in den überwiegenden Fällen eine Inanspruchnahme der Obergesellschaft über § 831 Abs. 1 525 Ähnlich erhöhte Anforderungen an die Weisungsgebundenheit stellt die Rechtsprechung im Hinblick auf die Einbeziehung selbstständiger Unternehmen auf, vgl. Fn. 506. Es kann jedoch keinen Unterschied machen, ob der Dritte ausdrücklich mit der Tätigkeit betraut wurde oder ob sich die Verrichtung aufgrund der konzerninternen Verbindungen faktisch als Tätigkeit für die Obergesellschaft darstellt. Ähnlich entschied das OLG Düsseldorf, dass eine Holdinggesellschaft für das patentverletzende Tun ihrer Tochtergesellschaft einzustehen hat, wenn die Tochtergesellschaft den Vorgaben der Holding bei Herstellung, Angebot und Vertrieb patentverletzender Gegenstände zu folgen hat, vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23. 01. 2013, Az. I2 W 33/12, GRUR-RR 2013, 273, 274; tendenziell auch: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 192; Koch, WM 2009, 1013, 1018; a.A. Verse, ZHR 2011, 401, 413. 526 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003. 527 Bernau, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 831 Rn. 99. 528 Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 823 Rn. 17. Dies übersieht: Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 206, der kritisiert, dass „teilweise wenig differenziert und lediglich auf die Weisungsbefugnis der Muttergesellschaft abgestellt“ werde – gerade dieses Kriterium unterscheidet den Verrichtungs- vom Erfüllungsgehilfen und begründet die deliktische Haftung des Geschäftsherrn. 529 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003. 530 Ebenso: Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 272, Fn. 211. 531 BGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Az. VI ZR 174/11, NJW 2013, 1002, 1003; Buxbaum, GRUR 2009, 240, 243; Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 271 f.; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 122; zu eng: Bunting, ZIP 2012, 1542, 1547; Bernau, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 831 Rn. 100; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 539.

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S. 1 BGB jedoch ausscheiden. Nur in den wenigsten Fällen wird sich die Tätigkeit der Tochtergesellschaft als „verlängerter Arm“ der Obergesellschaft darstellen, da diese die Verrichtung übertragen oder an sich gezogen hat. Insbesondere in der letztgenannten Konstellation ist eine Einflussnahme auf die konkrete Verrichtung, mithin den kartellbetroffenen Unternehmensbereich zu fordern, um die für § 831 BGB notwendige Eingliederung in den Organisationskreis der Obergesellschaft zu begründen. Nach dem Konzept der Unionsorgane genügen für die Entstehung der wirtschaftlichen Einheit hingegen bereits die Möglichkeit der Einflussnahme und die unspezifische Einflussnahme auf die allgemeine Betriebsführung. Auch die Exkulpationsmöglichkeit stünde einer Haftung regelmäßig entgegen. Denn § 831 BGB und die wirtschaftliche Einheit unterscheiden sich grundlegend in ihrem Anknüpfungspunkt für die Haftung. Während nach dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit der bestimmende Einfluss und die Ausübung desselben auf die Tochtergesellschaft im Ergebnis zu einer Fiktion der Handlung der Tochtergesellschaft bei der Obergesellschaft führen, haftet der Geschäftsherr im Rahmen des § 831 BGB nicht für fremdes Delikt. Es handelt sich im letzteren Fall nicht um eine Haftung für Gehilfenverschulden, sondern um Geschäftsherrenverschulden. Die Obergesellschaft haftet nur für die Risiken, die aus der von ihr fehlerhaft organisierten und geführten Arbeitsorganisation hervorgehen.532 Gegenüber der Allgemeinheit ist der Geschäftsherr nur zur Beachtung dieser eigenen Verkehrspflichten verpflichtet. Demnach kann die Haftung der Obergesellschaft nur in den wenigsten Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit auf § 831 Abs. 1 BGB gestützt werden. 2. Organisationsverschulden der Obergesellschaft Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Exkulpationsmöglichkeiten des Geschäftsherrn wurde in der Rechtsprechung die Figur des Organisationsverschuldens entwickelt.533 Auch vorliegend könnte zu überlegen sein, die Inanspruchnahme der Obergesellschaft auf ein solches Organisationsverschulden zu stützen. Im Rahmen dieses Konzepts entwickelte die Rechtsprechung in der Einzelgesellschaft weitgehende Organisationspflichten des Unternehmensträgers zum Schutz Dritter. Grundlage bildet das allgemeine Verkehrspflichtkonzept.534 Hierbei wird die Organisationspflicht nicht als eigenständige Verkehrspflicht begriffen, sondern akzessorisch an eine anderweitig bestehende Verkehrspflicht angeknüpft.535 Wer eine Gefahr schafft, muss seinen Betrieb so organisieren, dass die für die Erfüllung primärer Verkehrspflichten nötigen Vorkehrungen auch wirklich erfolgen.536 Unter 532 533 534 535

S. 96. 536

Vgl. nur: Bernau, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 831 Rn. 5. Vgl. ausführlicher: Harnos, BKR 2012, 185, 190. Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2. Aufl. 2011, S. 760. Koch, WM 2009, 1013, 1017; Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, S. 96.

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dem Begriff des Organisationsverschuldens wurden die Haftungsgrundsätze der Rechtsprechung stetig fortentwickelt.537 Hiernach haftet der Unternehmensträger nach § 823 Abs. 1 BGB, wenn nicht mittels ausreichender Kontrolle und allgemeiner Aufsichtsvorgaben dafür gesorgt ist, dass die innerbetrieblichen Abläufe so organisiert sind, dass Schädigungen Dritter vermieden werden.538 Die Pflichten entstehen, wenn der Geschäftsherr Dritte einschaltet, um seine bestehende Verkehrspflicht zu erfüllen.539 Inwiefern die deliktische Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensorganisation nur im Rahmen der einzelnen Korporation besteht oder dem Grunde nach über den einzelnen Rechtsträger auch andere Gesellschaften desselben Konzerns erfasst, wird in der Literatur selten diskutiert.540 In der Rechtsprechung finden sich in den wenigen Entscheidungen mit Konzernbezug nur vage Andeutungen.541 In einem Urteil aus dem Bereich der Produkthaftung hat sich der BGH restriktiv positioniert und die Verantwortlichkeit aus Verkehrspflichten jeweils dem Konzernunternehmen zugeordnet, aus dessen Sphäre die Gefahrenquelle stammt.542 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Eine nähere Auseinandersetzung kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch dahinstehen, da, selbst wenn man dies anders sehen wollte, der haftungsbegründende Wettbewerbsverstoß bereits nicht in den Anwendungsbereich der richterrechtlich entwickelten Haftung wegen eines Organisationsverschuldens fiele. Denn die Rechtsprechung knüpft eine Handlungspflicht bzw. Organisationspflicht typischerweise an eine gegenständliche Gefahrschaffung, wenn beispielsweise Produkte in den Verkehr gebracht werden oder mit gefährlichen Stoffen hantiert wird.543 Bei Kartellverstößen realisiert sich jedoch weder eine Sachgefahr noch eine Gefahr aus dem Umgang mit deliktisch geschützten Rechtsgütern. Vielmehr trifft ein 537 Vgl. beispielhaft: BGH, Urt. v. 30. 01. 1996, Az. VI ZR 408/94, NJW 1996, 867, 868. Der allgemein verwandte Begriff ist insofern irreführend, als dass es nicht um Verschuldensfragen, sondern um die Bestimmung der dem Unternehmensträger obliegenden deliktischen Sorgfaltspflichten geht, vgl. Wagner, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 98. 538 BGH, Urt. v. 8. 02. 1952, Az. I ZR 92/51, NJW 1952, 537, 418; BGH, Urt. v. 13. 05. 1955, Az. I ZR 137/53, NJW 1955, 1314, 1315; BGH, Urt. v. 30. 01. 1996, Az. VI ZR 408/94, NJW 1996, 867, 868; Wagner, in: Habersack, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 97. 539 BGH, Urt. v. 14. 01. 1982, Az. III ZR 58/80, NJW 1982, 2187, 2188; Hoffmann, Außenhaftung, 2009, S. 134; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2. Aufl. 2011, S. 698. 540 Ablehnend: Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2. Aufl. 2011, S. 945 ff. Für die Entstehung von Handlungspflichten in eng umgrenzten Ausnahmefällen, wie der Übertragung einer Aufgabe der Obergesellschaft auf die Tochtergesellschaft oder die Übernahme von bei der Tochtergesellschaft bestehenden Pflichten durch die Obergesellschaft: Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 322 ff.; 341 f. 541 Ausführlicher: Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2. Aufl. 2011, S. 945 f. 542 BGH, Urt. v. 5. 05. 1981, Az. VI ZR 280/79, NJW 1981, 2250, 2250. 543 Vgl. die Rechtsprechungsübersichten bei: Matusche-Beckmann, Organisationsverschulden, 2001, S. 37 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 292 ff.

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Mitarbeiter eine wettbewerbswidrige Absprache. Inwiefern auch reine Personalgefahren von den Organisationspflichten erfasst sind, lässt sich dem Konzept nicht sicher entnehmen – die einschlägigen Sachverhalte betreffen fast durchweg Sachgefahren.544 Gegen eine Haftung spricht insbesondere der Vergleich mit § 831 BGB. Auch in diesem Rahmen ist der Geschäftsherr für Rechtsgefahren, die von natürlichen Personen ausgehen, nur eingeschränkt deliktisch verantwortlich. Eine allgemeine Organisationspflicht aufgrund arbeitsteiligen Vorgehens würde dieses Ergebnis konterkarieren.545 Auch in der insoweit vergleichbaren Diskussion im Sanktionsrecht im Hinblick auf die Garantenstellung des Betriebsinhabers begründet die reine Personalgefahr keine Verantwortlichkeit.546 Einen weiteren Ansatz, um zu begründen, dass die Gesellschaft so organisiert sein müsste, dass Kartellverstöße auf sämtlichen Stufen vermieden werden, könnte die allgemeine Legalitätspflicht bilden.547 Um die grundsätzlich nur im Innenverhältnis bestehenden Pflichten auf das Außenverhältnis zu übertragen, wird erwogen, sie aufgrund der hohen Wertigkeit des kartellrechtlichen Opferschutzes als Ausfluss einer Verkehrssicherungspflicht zur Legalität zu begreifen.548 Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine derart umfassende Legalitätspflicht noch in den Anwendungsbereich des Verkehrspflichtkonzeptes fällt. Verkehrspflichten bestimmen, in welchem Umfang eine von dem Gesetzgeber geschützte Rechtsposition bereits im Vorfeld einer Verletzungshandlung Schutz beanspruchen kann.549 Im Ergebnis käme eine allgemeine Legalitätspflicht der Formulierung eines freischwebenden Verhaltensgebots gleich. Dies stünde im Widerspruch zu der Entscheidung des Gesetzgebers, in § 823 BGB kein allgemeines Schädigungsverbot zu schaffen. Insbesondere das Schutzgesetzerfordernis in § 823 Abs. 2 BGB würde nivelliert. Speziell im Hinblick auf einen Kartellverstoß scheidet eine Verkehrssicherungspflichtverletzung – unabhängig von ihrer Begründung im Einzelfall – als Anknüpfungspunkt für einen Schadensersatzanspruch auch bereits dem Grunde nach aus. Die dem Organisationsverschulden zugrunde liegenden Verkehrspflichten sind dogmatisch in § 823 Abs. 1 BGB verortet.550 Die Anerkennung besonderer Verkehrssicherungspflichten ändert nichts an der Grundausrichtung des deutschen 544

Koch, WM 2009, 1013, 1017. Ebenso: Aberle, Sanktionsdurchgriff, 2013, S. 192; tendenziell auch: Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 544, 546. 546 Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 A. II. 2. b) cc). 547 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 30 (in Bezug auf das Einzelunternehmen). 548 Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 38 (in Bezug auf das Einzelunternehmen). 549 Holle, Legalitätskontrolle, 2014, S. 286. 550 Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 823 Rn. 381; Staudinger, in: Schulze/Dörner/Ebert/Hoeren/Kemper/Schreiber/Schulte-Nölke/ Saenger/Staudinger, BGB, 9. Aufl. 2016, § 823 Rn. 62; Hoffmann, Außenhaftung, 2009, S. 134; Hager, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823 Rn. E 4 f. 545

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Deliktsrechts, reine Vermögensschäden nicht unmittelbar zu ersetzen.551 Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass die deliktischen Handlungspflichten dem Schutz der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter dienen.552 Entsprechend sind die aus einem Kartellverstoß resultierenden allgemeinen Vermögensschäden nicht geschützt. 3. Aufsichtspflichtverletzung in der Obergesellschaft Weiter könnte angedacht werden, die Obergesellschaft wegen einer Aufsichtspflichtverletzung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 130 OWiG, § 31 BGB in Anspruch zu nehmen. Mangels eigener tatbestandsmäßiger Handlung wird die Anspruchsgrundlage nicht von § 33 GWB verdrängt. Aus § 823 Abs. 2 BGB haftet der Geschäftsführer, und über § 31 BGB die Obergesellschaft, den Angehörigen des geschützten Personenkreises auf Schadensersatz, wenn ein Schutzgesetz im Sinne der Norm verletzt wurde. In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit kommt ein entsprechender Anspruch jedoch nicht in Betracht. Überwiegend wird dies damit begründet, dass § 130 OWiG nach mehrheitlich vertretener Ansicht kein Schutzgesetz darstellt.553 Auch der BGH hat, vor dem Hintergrund, dass über § 823 Abs. 2 BGB grundsätzlich ein Anspruch gegen die Geschäftsleiter begründet würde, ausgeführt, dass der individualschützende Charakter einer Norm nicht ausreicht, um sie als Schutzgesetz anzuerkennen. Ein Gesetz könne nur als Schutzgesetz anerkannt werden, wenn der dadurch entstehende Schadensersatzanspruch sinnvoll und im Licht des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erschiene.554 § 130 OWiG ziele darauf ab, die Sanktionsmöglichkeit auf den Unternehmensträger zu erstrecken. Dies werde im Bereich des zivilen Deliktsrechts jedoch bereits durch §§ 831, 31 BGB erreicht. Auch soweit dies nicht der Fall sei, gäbe es keinen Grund, über § 130 OWiG die Haftung auf die Organmitglieder im Hinblick auf deren Aufsichtspflicht zu erstrecken.555 Andere Autoren hingegen wollen § 130 OWiG als Schutzgesetz insoweit qualifizieren, als die Unterlassung von Aufsichtsmaßnahmen zur Verletzung von Pflichten 551

Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 823 Rn. 288. 552 BGH, Urt. v. 27. 01. 1987, Az. VI ZR 114/86, NJW 1987, 2671, 2672; zustimmend: Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 76 III 2 a). 553 Hösch, Der schadensrechtliche Innenausgleich, 2015, S. 154; Rust, NZKart 2015, 502, 508; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 133 f.; Scheidtmann, wrp 2010, 499, 505; Spindler, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 327; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 43 Rn. 85; Pelz, in: Hauschka/Moosmayer/ Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 47; BGH, Urt. v. 13. 04. 1994, Az. II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1803 f. 554 BGH, Urt. v. 13. 04. 1994, Az. II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1803. 555 BGH, Urt. v. 13. 04. 1994, Az. II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1803.

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führt, denen ihrerseits Schutzgesetzcharakter zukommt.556 Da vorliegend ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV infrage steht, dessen Schutzgesetzcharakter allgemein anerkannt ist, würden diese Autoren demnach im Falle eines Wettbewerbsverstoßes § 130 OWiG heranziehen.557 Eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Ansicht kann jedoch an dieser Stelle dahinstehen. Selbst wenn man § 130 OWiG als Schutzgesetz anerkennen würde, wäre die Norm nicht verletzt. Wie bereits im Rahmen der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Betrachtung ausgeführt, folgt aus § 130 OWiG keine Aufsichtspflicht der Obergesellschaft über ihre Tochtergesellschaft.558 Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 130 OWiG, § 31 BGB scheidet folglich in jedem Fall aus. 4. Einstandspflicht aufgrund der Konzernverbundenheit Neben den deliktischen Anknüpfungspunkten könnte eine Einstandspflicht der Obergesellschaft auch aufgrund der zwischen ihr und der Tochtergesellschaft bestehenden Konzernverbindungen aus den §§ 291 ff. AktG folgen.559 Dem liegt nicht die Vorstellung zugrunde, dass die wirtschaftliche Einheit nach der Unionspraxis mit einem Konzerntyp gleichzusetzen wäre.560 Der Begriff des Unternehmens des europäischen Wettbewerbsrechts findet keine Entsprechung im nationalen Recht. Zu untersuchen ist jedoch, in welchen Formen der Konzernierung eine Einstandspflicht der Obergesellschaft begründet sein könnte. a) Begrifflichkeiten Hierbei ist grundsätzlich zwischen Vertragskonzernen (§§ 291 ff. AktG), faktischen Konzernen (§§ 311 ff. AktG) und Eingliederungskonzernen (§§ 319 ff. AktG) zu unterscheiden. Der Vertragskonzern entsteht durch Abschluss eines Unternehmensvertrages (§ 291 AktG), die Eingliederung setzt einen Eingliederungsbeschluss 556

Mertens, AcP 1978, 227, 241; tendenziell: Lutter, ZHR 1993, 464, 478. Vor Einbeziehung des Art. 101 AEUV in den Anwendungsbereich des § 33 GWB im Jahre 2005 wurde der Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. Art. 101 AEUV abgeleitet. 558 Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 A. II. 3. c) ff). A.A. Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 283 f.; 295 f., die ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass das europäische Kartellrecht eine konzernweite Aufsichtspflicht gebiete und entsprechende Verstöße sowohl bußgeldrechtlich als auch zivilrechtlich über § 130 OWiG zu erfassen seien. 559 Bei Personengesellschaften folgt eine gesamtschuldnerische Haftung der Obergesellschaft als Gesellschafterin bzw. Komplementärin aus §§ 128, 161 HGB (analog). Entsprechend werden im Konzern in der Regel Kapitalgesellschaften als Tochtergesellschaften eingesetzt. 560 Anders der Ansatz von Wieser, der die Haftungsfolgen verschiedener Konzernierungsformen auf eine Vergleichbarkeit mit den Rechtsfolgen der wirtschaftlichen Einheit untersucht und jeweils herausarbeitet, dass die wirtschaftliche Einheit im Sinne der Unionspraxis nicht mit den einzelnen deutschen Konzerntypen übereinstimmt, vgl. Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 191 ff. 557

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voraus (§§ 319 f. AktG). Im faktischen Konzern beruht die Leitungsfunktion der Obergesellschaft weder auf einem Eingliederungsbeschluss noch auf einem abgeschlossenen Unternehmensvertrag, sondern wird allein durch die regelmäßig auf Mehrheitsbeteiligung beruhende Abhängigkeit vermittelt.561 Je nach Intensität der Einflussnahme durch die Obergesellschaft wird weiter zwischen dem faktischen und dem qualifiziert faktischen Konzern unterschieden. In einem faktischen Konzern ist die Einflussnahme auf einzelne isolierbare Maßnahmen beschränkt und wird nach der gesetzlichen Konzeption von Nachteilszufügung gegen Einzelausgleich gemäß § 311 AktG und Schadensersatzhaftung gemäß § 317 AktG ausgeglichen.562 Der qualifiziert faktische Konzern wiederum ist von einer so umfassenden und nachhaltigen Einflussnahme seitens der Obergesellschaft geprägt, dass sich einzelne Schadenszufügungen nicht mehr isolieren lassen und die zuvor beschriebene gesetzliche Konzeption an ihre Grenzen stößt.563 Je nach Rechtsform der Untergesellschaft wird weiter zwischen Aktien- und GmbH-Konzernen unterschieden. Besteht trotz einheitlicher Leitung zwischen den Gesellschaften kein Abhängigkeitsverhältnis i.S.d. § 17 AktG, liegt ein Gleichordnungskonzern vor, vgl. § 18 Abs. 2 AktG.564 b) Haftung der Konzernobergesellschaft Die konzernrechtlichen Vorschriften begründen einen direkten Anspruch gegen die Obergesellschaft allein in dem seltenen Fall, dass eine Aktientochtergesellschaft in eine Aktienobergesellschaft eingegliedert worden ist, dem Eingliederungskonzern, § 322 AktG.565 In den übrigen Fällen des Vertragskonzerns sowie den in der Praxis bedeutsamen Konstellationen des faktischen bzw. des qualifiziert faktischen Konzerns besteht lediglich eine Innenhaftung der Obergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft. Im Aktien- und im GmbH-Vertragskonzern hat die Obergesellschaft während des Bestehens eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages der Tochtergesellschaft einen etwaig bei dieser entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, § 302 AktG.566 Hierunter fallen auch Fehlbeträge, die bei der Tochtergesellschaft 561

Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, § 18 Rn. 9. Vgl. Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, § 18 Rn. 11. 563 Der Begriff des qualifiziert faktischen Konzerns ist damit kein eigener Konzerntypus, sondern beschreibt eine bestimmte Intensität der Einflussnahme in einem faktischen Konzern. Der Begriff wurde von dem Arbeitskreis GmbH-Reform im Jahre 1972 erdacht, vgl. Bayer, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2016, § 18 Rn. 8; 11. 564 Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 18 Rn. 29. 565 Beide Gesellschaften müssen Aktiengesellschaften sein, vgl. nur: Hüffer, in: Hüffer/ Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 319 Rn. 4. 566 Reine Innenhaftung: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 302 Rn. 5. §§ 302, 303 AktG finden auf den GmbH-Vertragskonzern analoge Anwendung: BGH, Urt. v. 5. 11. 2001, Az. II ZR 119/00, NJW 2002, 822, 823; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien562

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entstehen, weil gegen diese Schadensersatzansprüche wegen der von ihr begangenen Wettbewerbsverstöße geltend gemacht werden.567 Mithin haftet die Obergesellschaft indirekt für die aus den Wettbewerbsverstößen entstandenen Schäden.568 Eine indirekte Haftung kommt auch in den Konstellationen des faktischen als auch des qualifiziert faktischen Konzerns in Betracht. Hierbei ist grundsätzlich zwischen einem GmbH- und einem Aktienkonzern zu differenzieren. In einem Aktienkonzern kommt ein Anspruch der Tochtergesellschaft aus §§ 311, 317 AktG oder § 826 BGB bzw. §§ 302, 303 AktG analog569 in Betracht. In einem GmbHKonzern ist an eine Haftung wegen Verstößen gegen die allgemeine Treuepflicht oder einen Anspruch aus § 826 BGB wegen existenzvernichtenden Eingriffs zu denken. Besteht in einem Gleichordnungskonzern eine dem qualifiziert faktischen Unterordnungskonzern vergleichbare Interessenlage, da eine der Gesellschaften die grundsätzlich gleichgeordnete Gesellschaft faktisch lenkt, können je nach Rechtsform ebenfalls entsprechende Ansprüche begründet sein.570 Unabhängig von der Unterscheidung zwischen den Formen der Konzernierung ist jedoch für die Entstehung eines Anspruchs eine nachteilige Einflussnahme (§§ 311, 317 AktG, Treuepflicht) bzw. ein vorsätzlicher Eingriff in das Gesellschaftsvermögen (§ 826 BGB) von Seiten der Obergesellschaft erforderlich. Einflussnahme bezeichnet hierbei jedes Verhalten der Obergesellschaft, wodurch sich die abhängige Gesellschaft veranlasst sehen durfte, ein Rechtsgeschäft oder eine Maßnahme zu

und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 302 AktG Rn. 30a; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 46 m.w.N.; 52 f. 567 Es ist unerheblich für die Pflicht zum Verlustausgleich der Obergesellschaft, worauf der Jahresfehlbetrag beruht, vgl. BGH, Urt. v. 11. 11. 1991, Az. II ZR 287/90, NJW 1992, 505, 506; Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2015, § 302 Rn. 19; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 302 Rn. 9. 568 Dritte haben kein Klagerecht zur Durchsetzung. Gläubiger ist allein die Gesellschaft: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 302 Rn. 18 m.w.N. zu dem Streit, inwiefern Aktionären die actio pro socio einzuräumen ist. Gläubiger der Gesellschaft können auf den Anspruch durch Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835 ZPO) zugreifen, Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 302 Rn. 16. 569 Der BGH hat seine für den qualifiziert faktischen GmbH-Konzern entwickelte Rechtsprechung, wonach die §§ 302 f. AktG analog angewandt werden sollten, aufgegeben und stützt die Haftung nunmehr auf § 826 BGB. Infolgedessen ist umstritten, ob die §§ 302 f. AktG weiterhin analog für den qualifiziert faktischen Aktienkonzern herangezogen werden oder ob allein auf §§ 311 ff. AktG und § 826 BGB abzustellen ist. In Praxis und Literatur spielt die Frage jedoch eine untergeordnete Rolle, da es nur sehr wenige Fälle gibt, in denen eine Aktiengesellschaft die abhängige Tochtergesellschaft ist. Dementsprechend wird der Frage hier nicht weiter nachgegangen. Zum Streitstand vgl. Altmeppen, in: Goette/Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2015, Anhang zu § 317 Rn. 10 ff. 570 Vgl. ausführlicher: Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 483 ff. Dies entspricht grundsätzlich den (sehr seltenen) Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit, in denen eine Schwestergesellschaft wettbewerbsrechtlich aber nicht gesellschaftsrechtlich eine Obergesellschaft darstellt.

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ergreifen, die sich auf ihre Vermögens- oder Ertragslage auswirken kann.571 Für § 826 BGB ist eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch missbräuchliche Eingriffe in das Vermögen der GmbH gefordert.572 Die tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit zeichnen sich jedoch gerade dadurch aus, dass die Obergesellschaft keinen schädigenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft genommen hat. Die Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit und die Haftung der Obergesellschaft beruht allgemein auf der fehlenden Autonomie der Tochtergesellschaft, die auf der Möglichkeit der Einflussnahme und der tatsächlichen Einflussnahme im Einzelfall gründet. Hierbei genügt jedoch eine grundsätzliche Einflussnahme auf die allgemeine Geschäftspolitik. Ein Bezug zu dem wettbewerbswidrigen Geschäftsbereich ist nicht erforderlich. Hierin kann weder ein nachteiliger Einfluss noch ein schädigender Eingriff im Sinne der benannten Normen liegen. Ein entsprechender Einfluss bzw. ein schädigender Eingriff werden lediglich in wenigen Einzelfällen vorliegen. Auch wenn das Gesetz grundsätzlich den Vertragskonzern als Regelfall betrachtet, bildet dieser in der Praxis den Ausnahmefall der Konzernierung.573 Entsprechend scheidet in den weit überwiegenden tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit sowohl ein direkter Anspruch gegen die Obergesellschaft als auch eine indirekte Haftung derselben für die durch die Wettbewerbsverstöße der Tochtergesellschaft entstandenen Schäden aus. Die Schadensersatzansprüche richten sich allein gegen die handelnde Tochtergesellschaft. V. Zwischenergebnis und Wirkung des Trennungsgrundsatzes Die Zurechnung der von den natürlichen Personen begangenen wettbewerbswidrigen Handlungen richtet sich auch im Falle eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV nach deutschem Recht. Auf Grundlage der deliktischen Zurechnungsnormen haftet die Obergesellschaft nicht für Handlungen, die von Repräsentanten und Angestellten ihrer Tochtergesellschaft begangen wurden. Nach § 31 BGB haftet nur der Rechtsträger, dessen Leitungspersonen in seinem Wirkungskreis als seine Repräsentanten tätig geworden sind. Auf Ebene der Obergesellschaft bestehen keine Anknüpfungspunkte für eine Haftung auf Grundlage eines eigenen Verschuldens ihrer Leitungsorgane für die von den Repräsentanten der Tochtergesellschaft begangenen wettbewerbswidrigen Handlungen. Fehlt es damit bei der Obergesellschaft an einer eigenen schuldhaften Tatbeteiligung, scheidet auch eine Haftung auf Grundlage des §§ 830 Abs. 1 bzw. 571 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 311 Rn. 13; Altmeppen, in: Goette/ Habersack, MüKo AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 75 ff. 572 BGH, Urt. v. 16. 07. 2007, Az. II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2690; Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 1 Rn. 25. 573 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 291 Rn. 4; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 136.

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Abs. 2 BGB aus.574 Voraussetzung für eine Haftung ist auch hier ein unterstützender eigener Tatbeitrag bzw. eine Förderung der fremden Haupttat.575 Ohne eigene Veranlassung, Mitwirkung oder Kenntnis haftet die Obergesellschaft nicht für den Verstoß der Tochtergesellschaft.576 Im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht gilt das Trennungsprinzip, wie es etwa in § 13 Abs. 2 GmbHG bzw. § 1 Abs. 1 AktG zum Ausdruck kommt.577 Juristische Personen und ihre Gesellschafter sind selbstständige, voneinander unabhängige Rechtsträger mit gesonderten Vermögensmassen, die unterschiedlichen Gläubigern haften.578 Auch im Konzernverbund haftet danach jede juristische Person nur mit ihrem eigenen Vermögen und nicht mit dem Vermögen ihrer Gesellschafter.579 Dieser Grundsatz der Haftungstrennung ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten europäischen Mitgliedstaaten580 sowie im europäischen Gesellschaftsrecht581 anerkannt. Die Mithaftung 574 Dies gilt auch in den Fällen, in denen aufgrund der Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB a.F., § 33b GWB n.F. bzw. Art. 16 VO Nr. 1/2003 das Gericht an die Feststellung des Verstoßes gebunden ist. Es ist ein vorsätzlicher Verstoß erforderlich. Das Verschulden wird von der Bindungswirkung nach zutreffender herrschender Meinung jedoch nicht erfasst. Siehe hierzu ausführlicher unter Teil 3 § 2 B. IX. 1. b) bb). 575 Vgl. Teichmann, in: Jauernig, BGB, 16. Aufl. 2015, § 830 Rn. 3 ff. § 830 BGB gilt nur zwischen einzelnen beteiligten Kartellanten, nicht in Bezug auf die einzelnen Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit. § 830 BGB kann erst Anwendung finden, wenn die Handlung nachgewiesen ist und kann nicht zur Fiktion der Handlung herangezogen werden. 576 Ebenso: Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 32 f.; Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 206; Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, 8. Aufl. 2015, § 33 Rn. 26; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/ Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 38 ff.: de lege lata nur eigene Veranlassung/Mitwirkung, de lege ferenda für die Entwicklung eigener Aufsichtspflichten; LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 79 ff. (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491 f.; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 297; nicht festgelegt: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 30. 577 Dies betonen speziell im Hinblick auf die kartelldeliktische Haftung: Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 852; Fritzsche/Klöppner/Schmidt, NZKart 2016, 412, 415; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 303; Bürger, WuW 2011, 130, 136; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 155; Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 975; Scheidtmann, wrp 2010, 499, 501; Kühne/Woitz, DB 2015, 1028, 1029. Bei Personengesellschaften folgt eine gesamtschuldnerische Haftung der Obergesellschaft als Gesellschafterin bzw. Komplementärin aus §§ 128, 161 HGB (analog). Entsprechend werden in einem Konzern in der Regel Kapitalgesellschaften als Tochtergesellschaften eingesetzt. 578 Vgl. BGH, Urt. v. 16. 10. 2003, Az. IX ZR 55/02, NJW 2004, 217, 218. 579 BGH, Urt. v. 10. 12. 2007, Az. II ZR 239/05, NZG 2008, 670, 672; BGH, Urt. v. 29. 11. 1956, Az. II ZR 156/55, NJW 1957, 181, 181 f. 580 Ausdrücklich normiert in § 64 Abs. 2 des österreichischen GmbHG, Art. 61, 210 und 437 des belgischen Code de Sociétés/Wetboek van Vennootschappen, Art. 1 Abs. 2 des dänischen Lov om anpartsselskaber, Art. L-225-I des französischen Code de Commerce, Art. 2462 des italienischen Codice Civile oder Art. 154 Abs. 1 S. 3 des slowakischen Gesetzes No. 513/ 1991, zitiert nach Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, S. 1015 m.w.N. für das englische und das niederländische Recht.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

bedarf eines besonderen Rechtsgrundes, z. B. der Übernahme einer Bürgschaft. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes und damit ein Haftungsdurchgriff ist dem deutschen Gesellschafts- und Konzernrecht grundsätzlich fremd. VI. Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes Gleichsam ist anerkannt, dass der Trennungsgrundsatz kein absolutes Verbot darstellt, sondern im Einzelfall eine Durchbrechung möglich und erforderlich ist. Entsprechend könnte zu überlegen sein, ob auch in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit ein Durchgriff auf die Obergesellschaft geboten ist. 1. Dogmatische Konzepte und Rechtsprechung Im Schrifttum werden im Wesentlichen zwei dogmatische Konzepte vertreten, um im Einzelfall einen Durchgriff zu begründen.582 Auf Serick geht die Missbrauchstheorie zurück, wonach die Trennung zwischen juristischer Person und Gesellschafter aufzuheben ist, wenn objektiv und subjektiv das Konzept der juristischen Person missbraucht wird.583 Nach der von Müller-Freienfels begründeten Normzweck- bzw. Normanwendungslehre584 wird der juristischen Person nur relative Rechtsfähigkeit zuerkannt; ihr soll kein gesetzlich fest umrissener Rahmen zukommen. Vielmehr bestimmen Sinn und Zweck der konkret angewandten Norm darüber, ob diese die juristische Person im Einzelfall als selbstständige Rechtsperson behandelt wissen will und damit über die Grenze des Trennungsprinzips.585 Die Rechtsprechung des BGH lässt sich keinem dieser in der Literatur entwickelten Konzepte zuordnen, sondern folgt einem pragmatischen Ansatz, der je nach Einzelfall variiert. Zentral ist hierbei der Grundgedanke, dass es sich um eng umgrenzte Ausnahmefälle handeln muss, um das Rechtsinstitut der juristischen Person nicht auszuhöhlen: „Über die Rechtsform der juristischen Person darf nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden“.586

581 Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europea). 582 Ausführlicher zu den Mischtheorien: Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 9 II 1c und 3. 583 Serick, Rechtsform und Realität, 1955, passim, z. B. S. 203 ff. 584 Die Terminologie wird in der Literatur uneinheitlich verwandt, vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 9 III. 585 Müller-Freienfels, AcP 1957, 522, 529 ff. 586 BGH, Urt. v. 30. 01. 1956, Az. II ZR 168/54, NJW 1956, 785, 785; BGH, Urt. v. 8. 07. 1970, Az. VIII ZR 28/69, NJW 1970, 2015, 2016.

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2. Anerkannte Durchgriffskonstellationen In Rechtsprechung und Literatur haben sich drei Konstellationen herausgebildet, anhand derer vornehmlich eine Durchbrechung diskutiert wird. Entsprechend sollen diese die Grundlage bilden, um zu ergründen, ob die hierbei berücksichtigten Wertungen und Voraussetzungen auch eine Durchbrechung in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit rechtfertigen könnten. Ein tatsächlicher Durchgriff, d. h. eine Haftung des Gesellschafters gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten, kommt in den Fällen der Vermögens- bzw. Sphärenmischung in Betracht.587 Voraussetzung neben der objektiven Vermögensmischung ist hier, dass der Gesellschafter die Tatsachen kennt oder kennen muss und aufgrund seines Einflusses für die Vermischung verantwortlich ist.588 Die bereits dem Grunde nach sehr umstrittene589 Fallgruppe der Unterkapitalisierung sowie die des existenzvernichtenden Eingriffs werden von dem Bundesgerichtshof als mögliche590 Fälle der Haftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft aus § 826 BGB eingeordnet. Sie setzten damit zumindest Eventualvorsatz voraus. Die Existenzvernichtung muss voraussehbare Folge des Eingriffs bzw. der Unterkapitalisierung gewesen sein und der Gesellschafter muss dies billigend in Kauf genommen haben.591 Als Grundkonsens dieser Fallgruppen lässt sich insbesondere den Ausführungen der Zivilgerichte entnehmen, dass sich der hinter der juristischen Person stehende Gesellschafter treuwidrig verhalten haben muss.592 Das Trennungsprinzip, die rechtliche Verschiedenheit der juristischen Person und der hinter ihr stehenden Person, muss von Letzterer in rechtsmissbräuchlicher Weise ausgenutzt worden sein.593 Das unter Achtung des Trennungsgrundsatzes gefundene Ergebnis muss aufgrund des Verhaltens des Gesellschafters in Widerspruch zu Treu und Glauben

587 Dogmatisch handelt es sich um eine Haftung analog § 128 HGB: BGH, Urt. v. 14. 11. 2005, Az. II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, Ls. 1; BGH, Urt. v. 16. 07. 2007, Az. II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2691. 588 BGH, Urt. v. 13. 04. 1994, Az. II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802; Schöpflin, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1. 11. 2017, § 21 Rn. 19; Reuter, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2015, Vor § 21 Rn. 34. Auch Raiser, der grundsätzlich von einer verschuldensunabhängigen Haftung ausgeht, beschränkt die Haftung auf die verantwortlichen Gesellschafter: Raiser, in: FS Lutter, 2000, S. 637, 645. 589 Siehe ausführlich: Lieder, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 376 ff. 590 Die mögliche Bildung einer entsprechenden Fallgruppe in § 826 BGB wurde angedeutet in: BGH, Urt. v. 28. 04. 2008, Az. II ZR 264/06, NJW 2007, 2437, 2440. 591 Zu den entschiedenen Fällen der Existenzvernichtungshaftung: BGH, Urt. v. 16. 07. 2007, Az. II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, 2691; BGH, Urt. v. 9. 02. 2009, Az. II ZR 292/07, NJW 2009, 2127, 2129. 592 Vgl. Altmeppen, in: Altmeppen/Roth, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 13 Rn. 133. 593 BGH, Urt. v. 10. 12. 2007, Az. II ZR 239/05, NZG 2008, 670, 672; BGH, Urt. v. 5. 11. 1980, Az. VIII ZR 230/79, NJW 1981, 522, 525; BGH, Urt. v. 8. 07. 1970, Az. VIII ZR 28/69, NJW 1970, 2015, 2016.

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stehen.594 Grundsätzlich handelt es sich mithin um eine Verhaltens-, nicht um eine Zustandshaftung.595 3. Schlussfolgerung Gerade dass es sich um eine Haftung für treuwidriges Verhalten handelt, macht deutlich, dass auf dieser Argumentationsgrundlage in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit der Durchgriff auf die Obergesellschaft, sei er als Außen- oder Innenhaftung ausgestaltet, nicht allgemein begründet werden kann. Im Regelfall hat die Obergesellschaft die rechtliche Selbstständigkeit der Tochtergesellschaft gerade nicht für Wettbewerbsverstöße ausgenutzt. Sie hat keinen entsprechenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft genommen. Ausreichend für die Entstehung der wirtschaftlichen Einheit ist die strategische Einflussnahme auf die Gesellschaft und deren allgemeine Betriebsführung. Kenntnis oder Billigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens seitens der Organe der Obergesellschaft ist nicht erforderlich. Insbesondere in den überwiegend anzutreffenden Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit, die sich durch eine hundertprozentige Kapitalverbundenheit auszeichnen, wird sogar die tatsächliche, allgemeine, nicht auf den Verstoß bezogene Einflussnahme vermutet. Damit besteht zwischen der Obergesellschaft und der wettbewerbswidrig handelnden Tochtergesellschaft lediglich eine einfache Konzernverbundenheit. Gerade diese einfache Konzernverbundenheit genügt jedoch nicht für einen Durchgriff nach den vorbenannten Grundsätzen.596 Eine allgemeine Fremdsteuerung der juristischen Person, insbesondere deren konzernrechtliche Abhängigkeit, löst nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes noch keine Durchgriffshaftung der herrschenden Obergesellschaft aus.597 Auch die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung in einen Konzernverbund steht dem nicht entgegen.598 Die Ausnutzung der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungs-

594

BGH, Urt. v. 5. 11. 1980, Az. VIII ZR 230/79, NJW 1981, 522, 525; BGH, Urt. v. 8. 07. 1970, Az. VIII ZR 28/69, NJW 1970, 2015, 2016. 595 So auch: Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 13 Rn. 44. Ebenso die unterschiedlichen dogmatischen Ansätze in der Literatur, a.A. nur vereinzelt Autoren, die allein die Struktur der Tochtergesellschaft zum Anknüpfungspunkt der Haftung machen wollen. Vgl. hierzu im Überblick: Lieder, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 377. Wie nachstehend ausgeführt, fehlt es jedoch auch an einer solchen gläubigergefährdenden Struktur. Die Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit zeichnen sich allein dadurch aus, dass aus der konzernverbundenen Tochtergesellschaft heraus ein Delikt begangen wird. 596 BGH, Urt. v. 29. 11. 1956, Az. II ZR 156/55, NJW 1957, 181, 181 f.; BGH, Urt. v. 10. 12. 2007, Az. II ZR 239/05, NZG 2008, 670, 672. 597 BGH, Urt. v. 29. 11. 1956, Az. II ZR 156/55, NJW 1957, 181, 181 f.; BGH, Urt. v. 4. 05. 1977, Az. VIII ZR 298/75, NJW 1977, 1449, 1450. 598 BGH, Urt. v. 4. 05. 1977, Az. VIII ZR 298/75, NJW 1977, 1449, 1451.

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möglichkeiten zur Risiko- und Haftungsminimierung allein begründet allgemein keine Ausnahme von dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip.599 Dies gilt auch für die Fallgruppe der Unterkapitalisierung, die in der Literatur teilweise herangezogen wird, um einen möglichen Haftungsdurchgriff in den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit zu begründen. Der von einigen Autoren in diesem Zusammenhang diskutierte Fall beschreibt eine ganz spezifische Situation, die gerade nicht den Regelfall der wirtschaftlichen Einheit darstellt. So unterstellen diese Autoren, dass eine Obergesellschaft ihre Verantwortlichkeit umginge, indem sie beispielsweise eine mit geringem Eigenkapital ausgestattete Verkaufsgesellschaft gründet, um wirtschaftliche Vorteile aus den dort begangenen Wettbewerbsverstößen zu ziehen.600 Dieses Beispiel spiegelt nicht die üblichen Verhältnisse wider, in denen die Unionsorgane das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen den konzernverbundenen Gesellschaften annehmen.601 Es kann allenfalls eine Ausnahme im Einzelfall bilden und bestätigt damit vielmehr, dass auch diese Autoren nur in diesen Ausnahmefällen einen Durchgriff befürworten. Dementsprechend kann in den tatsächlichen Konstellationen und den weit überwiegenden Fällen der wirtschaftlichen Einheit eine Inanspruchnahme der Obergesellschaft weder auf einen tatsächlichen Durchgriff noch auf einen Anspruch aus § 826 BGB gestützt werden. VII. Zwischenergebnis Nach deutschem Recht haftet in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit grundsätzlich nur die Anstellungskörperschaft der handelnden Mitarbeiter, mithin die Tochtergesellschaft. Die Voraussetzungen der anerkannten Durchgriffskonstellationen sind nicht erfüllt. Eine Außenhaftung der Obergesellschaft kommt nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen über § 831 Abs. 1 S. 1 BGB oder in einem Eingliederungskonzern in Betracht. Beiden Konstellationen kommt jedoch nur geringe praktische Bedeutung zu.

599

LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 81 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 492; Kindler, in: FS Säcker, 2011, S. 393, 399. 600 Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 319 f.; eine entsprechende Andeutung findet sich auch bei: Harms, in: FS Hartmann, 1976, S. 165, 174. 601 Anzumerken bleibt zu diesem Beispiel, dass ein Haftungsdurchgriff grundsätzlich subsidiär ist. Sollte eine Obergesellschaft eine Tochtergesellschaft gegründet haben, um Wettbewerbsverstöße zu begehen, liegt jedoch aufgrund der Kenntnis der Leitungsorgane ein direkter Anspruch aus §§ 33 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 GWB gegen die Obergesellschaft nahe.

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VIII. Europäische Vorgaben und die Einwirkungen auf das nationale Recht Fraglich ist daher, ob dieses Ergebnis mit den europäischen Vorgaben vereinbar ist. Auf europäischer Ebene verstößt das Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht und die es bildenden Rechtsträger haften für das Bußgeld. Zivilrechtlich haftet auf nationaler Ebene nach vorstehendem Ergebnis für ein- und denselben Verstoß nur ein Rechtsträger, der Handelnde. Das Unionsrecht überlässt die Ausgestaltung der Haftungsfolgen jedoch nicht gänzlich den nationalen Rechtsordnungen. Vielmehr erkannte der EuGH früh, dass die Gewährleistung des Rechts allein nicht genügt. Dementsprechend hat er die Ausgestaltung des nationalen Rechts an die Wahrung der unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz sowie der Effektivität gebunden.602 Aus diesen Prinzipien lassen sich Vorgaben ableiten, welche die Sanktionen nach dem Recht der Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts maßgeblich beeinflussen.603 Kurz gesagt, endet die Gestaltungsautonomie der Mitgliedstaaten dort, wo sie sich in diskriminierender Weise auf das Unionsrecht und den von diesem gewährleisteten Schadensersatzanspruch oder dessen Effektivität auswirkt.604 Entscheidend ist damit, welche Vorgaben dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz hinsichtlich des Anspruchsgegners und der Haftung der einzelnen Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit zu entnehmen sind und ob die nationalen Vorschriften diesen Vorgaben entsprechen. 1. Äquivalenzgrundsatz Nach dem Äquivalenzgrundsatz bzw. dem Diskriminierungsverbot605 dürfen „nationale Vorschriften […] in Bezug auf die Durchsetzung des EU-Rechts nicht weniger günstig sein als solche für den Vollzug des innerstaatlichen Rechts“606. Gleichartige, rein nationale und unionsrechtliche Sachverhalte dürfen nach den nationalen Regelungen nicht unterschiedlich behandelt werden. Folglich werden hierbei Verfahren verglichen, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird.607 602

Vgl. hierzu allgemein Seyr, Effet utile, 2008, S. 137 ff.; Obwexer, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 4 EUV Rn. 102 ff. 603 Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 96. 604 Rodriguez, EuR 1992, 289, 295. 605 Früher, bis EuGH, Urt. v. 10. 07. 1997, Rs. C-261/95, ECLI:EU:C:1997:351 – Palmisani, Rn. 1 von dem EuGH verwendete, gleichbedeutende Begrifflichkeit. 606 EuGH, Urt. v. 10. 07. 1997, Rs. C-261/95, ECLI:EU:C:1997:351 – Palmisani, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 29. 607 Vgl. beispielhaft EuGH, Urt. v. 21. 09. 1983, Verb. Rs. 205/82 bis 215/82, ECLI:EU:C:1983:233 – Deutsche Milchkontor, Rn. 23.

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Hieraus folgt, dass die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche in ihren Voraussetzungen und Haftungsfolgen im Falle einer Verletzung des nationalen und des europäischen Kartellrechts identisch sein müssen. Dem Grundsatz sind jedoch keine positiven Vorgaben im Hinblick auf die Ausgestaltung des Schutzes zu entnehmen. Sofern nach nationalem Recht kein Schutz besteht, liegt hierin kein Verstoß gegen den Diskriminierungsgrundsatz. Übertragen auf die aktuelle Fragestellung, würde die unbeteiligte Obergesellschaft in einem rein nationalen, gleichartigen Sachverhalt, der auf europäischer Ebene einer allein mit der Kapitalverbundenheit bzw. der allgemeinen Einflussnahme begründeten „wirtschaftlichen Einheit“ entsprechen würde, nicht deliktisch haften. Denn auch bei Verstößen gegen § 1 GWB finden, wie vorstehend für Verstöße gegen Art. 101 AEUVausgeführt, die §§ 31, 831 BGB Anwendung. Dementsprechend gebietet der Äquivalenzgrundsatz keine zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft.608 Anders als in der Literatur teilweise argumentiert, kann zur Aktivierung des Äquivalenzgrundsatzes nicht angeführt werden, dass die Obergesellschaft unterschiedlich haften würde, je nachdem welche Behörde im vorangegangenen Verfahren das Bußgeld erlässt.609 Diese Argumentation unterstellt, dass in einem zivilrechtlichen Follow-on Prozess – d. h. einem Zivilprozess im Anschluss an ein behördliches Verfahren – die Obergesellschaft haften würde, wenn die Kommission ein Bußgeld nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Einheit gegen die Obergesellschaft verhängt. Die Verletzung des Äquivalenzgrundsatzes soll daraus resultieren, dass die Obergesellschaft nicht haften würde, wenn das Bundeskartellamt die Geldbuße erlassen hätte. Dieser Argumentation ist zu widersprechen. Erstens setzt sie voraus, dass in einem zivilrechtlichen Follow-on Prozess die Bindungswirkung nach § 33 Abs. 4 GWB zu einer zivilrechtlichen Haftung der Obergesellschaft führen würde. Bereits diese Prämisse ist, wie später noch ausführlich darzustellen ist, unzutreffend.610 In keinem der beiden Beispiele würde die Obergesellschaft zivilrechtlich haften. Zweitens kann die entsprechende Argumentation nicht auf den Äquivalenzgrundsatz gestützt werden. Zum einen werden nicht rein nationale Sachverhalte zu einem Vergleich mit unionsrechtlichen Sachverhalten herangezogen. Zum anderen wäre der Äquivalenzgrundsatz nur tangiert, wenn die Schadensersatzfolge im Falle der Verletzung des Unionsrechts geringer ausfiele als im Falle der Verletzung des nationalen Rechts. In dem für die angebliche Verletzung des

608 Ebenso: Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 176; implizit auch: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 102; a.A. Weitbrecht, WuW 2015, 959, 965, der jedoch zwei Sachverhalte vergleicht, denen jeweils ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV zugrunde liegt. Der Äquivalenzgrundsatz ist hingegen verletzt, wenn „nationale Vorschriften […] in Bezug auf die Durchsetzung des EU-Rechts nicht weniger günstig sind als solche für den Vollzug des innerstaatlichen Rechts“. 609 So aber Weitbrecht, WuW 2015, 959, 965. Dem widersprechen Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 157. 610 Hierzu ausführlicher unter Teil 3 § 2 B. IX. 1.

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Äquivalenzgrundsatzes gebildeten Beispiel wäre dies jedoch gerade umgekehrt. Die Haftung infolge der Kommissionsentscheidung wäre schärfer. 2. Effektivitätsgrundsatz Anders als der Äquivalenzgrundsatz begründet der Effektivitätsgrundsatz positive Vorgaben für den Einzelfall. Der auf dem Prinzip der Gemeinschaftstreue fußende Grundsatz gebietet den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten, für die volle Wirksamkeit unionsrechtlicher Bestimmungen zu sorgen, indem sie das Unionsrecht uneingeschränkt anwenden und die Rechte schützen, die dem Einzelnen danach zustehen.611 Die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte darf „nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert“ werden.612 Aus dem Effektivitätsgebot folgt nicht, dass jede nationale Regelung, die das Unionsrecht behindert, unzulässig ist.613 Problematisch ist jedoch, dass der EuGH keine allgemeinen Kriterien entwickelt hat, wann eine nationale Regelung nicht mehr dem Effektivitätsgebot entspricht. Die unionsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der aus dem Unionsrecht erwachsenden subjektiven Rechte, mithin der subjektiv-rechtlichen Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes, sind in hohem Maße durch einzelfallbezogene richterliche Rechtsfortbildung geprägt.614 Der unionsrechtliche Rahmen, dem das nationale Deliktsrecht zur Durchsetzung des Schadensersatzrechts zu entsprechen hat, wurde durch den EuGH allein in den grundlegenden Entscheidungen Courage und Manfredi abgeleitet.615 Es existieren keine spezielleren europäischen Regelungen neben dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz, die unmittelbar auf das Zivilrecht der Mitgliedstaaten einwirken.616 In der Folge führt diese Kontrolle am Maßstab des Primärrechts nicht zu einer 611 Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 19. 06. 1990, Rs. C-213/89, ECLI:EU:C:1990:257 – Factortame, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 9. 03. 1978, Rs. 106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Simmenthal, Rn. 14/16; Wesselburg, Drittschutz, 2010, S. 33. 612 EuGH, Urt. v. 5. 03. 1980, Rs. 265/78, ECLI:EU:C:1980:66 – H. Ferwerda, Rn. 10; EuGH, Urt. v. 21. 09. 1983, Verb. Rs. 205/82 bis 215/82, ECLI:EU:C:1983:233 – Deutsche Milchkontor, Rn. 19. 613 Seyr, Effet utile, 2008, S. 155. 614 König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2011, S. 57; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 31. Zu den Versuchen einer abstrakten Umschreibung siehe: Berninghausen, Europäisierung des Vertrauensschutzes, 1998, S. 52; Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 459. 615 Vgl. Drexl, in: FS Canaris, 2007, S. 1339, 1339. 616 Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 101 AEUV Rn. 128; Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 692. Zu der Richtlinie 2014/104/EU (Schadensersatzrichtlinie) siehe ausführlicher unter Teil 3 § 3 B. II. Die neuen Bestimmungen finden auf Schadensersatzansprüche Anwendung, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind. Maßgeblich ist hierbei der den tatbestandsmäßigen Handlungen nachgelagerte Eintritt des Schadens.

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Vollvereinheitlichung, sondern es werden lediglich Mindeststandards festgelegt.617 Jedoch sind auch Detailfragen der Modalitäten des nationalen Rechts an der Vorgabe der vollen Wirksamkeit zu messen.618 Was dies im Einzelfall bedeutet, muss wiederum für jedes Tatbestandsmerkmal gesondert herausgearbeitet werden.619 Entsprechend umstritten ist die Reichweite des Effektivitätsgrundsatzes. a) Meinungsstand in der Literatur in Bezug auf die Passivlegitimation Die wissenschaftliche Diskussion über die Einwirkungen der europäischen Vorgaben in Bezug auf den Anspruchsgegner lässt sich auf zwei Pole reduzieren: Teile der Literatur folgern aus dem effet utile, dass der unionsrechtliche Begriff der wirtschaftlichen Einheit einschließlich der unionsrechtlichen Zuordnung der Verantwortlichkeit auch im Zivilrecht gelte. Als Folge hiervon müssten sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit im Zivilprozess passivlegitimiert sein. Die Gegenansicht spricht sich grundlegend gegen die Haftung der Obergesellschaft aus, wenn diese nicht durch eigene Mitarbeiter an dem Verstoß beteiligt war. Die Befürworter sehen in dem Effektivitätsgrundsatz gleichsam einen Motor für die allgemeine Durchsetzungskraft des Wettbewerbsrechts.620 Dementsprechend begründen sie das Ergebnis abstrakt mit dem Zweck des Wettbewerbsrechts. Stütze finden die Autoren hierbei in den Ausführungen des EuGH, wonach durch den Schadensersatzanspruch die Durchsetzungskraft der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln erhöht werde und die Schadensersatzklagen wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitrügen.621 Weiter wird argumentiert, dass das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit entwickelt worden sei, um eine Umgehung der Verantwortlichkeit durch gesellschaftsrechtliche Konstrukte zu verhindern.622 Dieser Gedanke greife auch im Schadensersatzrecht und stehe einer Freistellung der Obergesellschaft entgegen.623 Die effektive Durchsetzung des Unionsrechts gebiete, dass im deutschen Recht nicht nur „untergeordnete“ Teile einer wirtschaftlichen Einheit zivilrechtlich in Verantwortung genommen werden könnten.624 Zentrales Argument ist, dass andernfalls eine Insolvenz die Haftung verhindern könnte.625 Falls nur die unmittelbar handelnde 617

Roth, wrp 2013, 257, 260. Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 102. 619 Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 43. 620 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457. 621 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 622 Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48. 623 Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48. 624 Kersting, WuW 2014, 1156, 1171; Kersting, GesRZ 2015, 377, 382. 625 Kersting, WuW 2014, 1156, 1171. 618

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Untereinheit kartelldeliktisch hafte, bestünde die Möglichkeit, dass der Schadensersatzberechtigte aufgrund der geringen Solvenz des Schuldners leer ausginge.626 Dies würde die Möglichkeit eröffnen, kartelldeliktische Haftungsgefahren auf geringer kapitalisierte Töchter auszulagern.627 Hierdurch würde allgemein die Effektivität des europäischen Rechts auf Schadensersatz beschränkt.628 Es bestünde mithin eine unionsrechtliche Pflicht, Schadensersatzansprüche der Kartellgeschädigten zu ermöglichen, um die Durchsetzungskraft der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln zu erhöhen.629 Insbesondere die Befürworter einer Konzerngeldbuße argumentieren, dass ein Gleichlauf hergestellt und damit auch eine Konzernhaftung im Zivilrecht begründet werden müsse. Wenn bereits die erhöhten verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bußgeldrechts eine solche Haftung zuließen, müsse dies erst Recht – a maiore ad minus – für das Zivilrecht mit seinen „abgeschwächten“ Anforderungen gelten.630 Dem widersprechend betonen die Vertreter der Gegenauffassung, dass der Grundsatz der Effektivität die „volle Wirksamkeit“ und nicht die „höchstmögliche“ Wirksamkeit erfordere.631 Nicht jede Hürde bei der Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs tangiere die effektive Durchsetzung der Wettbewerbsregeln.632 Nach dem Effektivitätsgrundsatz müsse gewährleistet werden, dass effiziente schadensersatzrechtliche Durchsetzungsmechanismen griffen.633 Der Grundsatz schreibe jedoch nicht vor, wie weit die Passivlegitimation reichen müsse. Aufgrund der bestehenden, uneingeschränkten Schadensersatzmöglichkeit nach § 33 Abs. 3 GWB sei im geltenden System keine praktische Unmöglichkeit oder übermäßige Erschwerung festzustellen.634 Insbesondere stehe der Effektivitätsgrundsatz nicht der

626 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457; Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48. 627 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457; Bulst, (2003) 4 EBOR 623, 642; Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48; Kersting, WuW 2014, 1156, 1171; Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 395. 628 Bulst, (2003) 4 EBOR 623, 642; Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48; Ebers, Unionsprivatrecht, 2016, S. 595. 629 Kahle, Leistungskondiktion als Alternative, 2013, S. 85. 630 Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 48 f.; Kahle, Leistungskondiktion als Alternative, 2013, S. 85 zieht diesen Schluss gar daraus, dass im europäischen Bußgeldrecht eine weite Zurechnung etabliert sei. Dem sind zwei Argumente entgegenzuhalten. Erstens impliziert das Bestehen einer Praxis nicht ihre Rechtmäßigkeit. Zur Kritik an der konkreten Rechtsfigur siehe bereits Teil 2 § 5 F. Zweitens könnte dieser Schluss allenfalls aus einer bestehenden nationalen Bußgeldpraxis gezogen werden. Mangels eines europäischen Rechtsaktes wäre nur diese an den identischen nationalen Vorgaben zu messen, sodass ein Erst-recht-Schluss gezogen werden könnte. 631 Roth, wrp 2013, 257, 262. 632 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 105. 633 Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 980. 634 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 157.

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Beibehaltung eigener Zurechenbarkeits- oder Haftungsmaßstäbe entgegen.635 Die Effektivität erfordere nicht die Zurverfügungstellung von mehreren bzw. möglichst vielen Schuldnern, auch wenn dies im Interesse der Gläubiger liege.636 Den Befürwortern wird entgegengehalten, dass der Anspruch gegen die Tochtergesellschaft genüge und der Anspruch gegen die Muttergesellschaft nicht essenziell sei.637 Insbesondere das Insolvenzrisiko könne kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Die mögliche Insolvenz sei keine Besonderheit des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs.638 Vielmehr bestünde das Risiko bei jeder Gesellschaft im Konzernverbund. Diesem sei mit den allgemeinen Regeln, insbesondere den insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen zu begegnen.639 Ein potenzieller Anspruch gegen die Obergesellschaft stellte eine Privilegierung des Kartellgeschädigten gegenüber anderen Geschädigten dar, die weder erforderlich noch geboten sei.640 Der Zugriff auf die Obergesellschaft sei, anders als im Bußgeldrecht, auch nicht unter dem Aspekt der allgemeinen Durchsetzungskraft des Wettbewerbsrechts geboten. Im europäischen Bußgeldrecht werde der Zugriff auf die Obergesellschaft damit begründet, dass nur auf diese Weise sichergestellt werden könne, dass bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße die reale Wirtschaftskraft des gesamten Unternehmens zutreffend berücksichtigt und die Vollstreckbarkeit der Geldbuße nicht gefährdet werde.641 Diese Wertungen träfen nicht auf das Schadensersatzrecht zu, dessen primäre Funktion der Ausgleich des Vermögensschadens sei.642 Die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes werde durch den erlittenen Schaden des Geschädigten vorgegeben. Die Wirtschaftskraft des Unternehmens, das gegen das Kartellrecht verstoßen hat, sei für Fragen des zivilrechtlichen Schadensersatzes daher irrelevant.643 Neben diesen effizienzbezogenen Gesichtspunkten warnen von Hülsen und Kasten allgemein davor, die ökonomischen Anreize der Haftungslimitierung zu untergraben.644 Die Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs in das 635 Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 980; ähnlich im gesamtschuldnerischen Zusammenhang: Schnelle, WuW 2015, 332, 337. 636 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 157; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 299; Bürger, WuW 2011, 130, 139; Scheidtmann, wrp 2010, 499, 503; Kruis, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2018, S. 254. 637 Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 176 f. 638 Bürger, WuW 2011, 130, 139; ebenso: LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 81 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491 f. 639 Bürger, WuW 2011, 130, 139. 640 Bürger, WuW 2011, 130, 139. 641 Bürger, WuW 2011, 130, 139. 642 Bürger, WuW 2011, 130, 139. 643 Bürger, WuW 2011, 130, 139. 644 von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 302.

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deutsche Schadensersatzrecht würde einen Paradigmenwechsel von großer Tragweite darstellen, der in seinen Auswirkungen weit über das Kartellrecht hinausginge.645 So berge die Aufhebung des Trennungsprinzips das Risiko, dass die Investitionsbereitschaft in Deutschland absinken würde.646 Die Kritik von von Hülsen und Kasten richtet sich allgemein gegen die unionsrechtliche Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit, da diese nicht die Qualität der konkreten Ausübung des Einflusses berücksichtige und (quasi-automatisch) die Kosten der Kartellgeschädigten den Konzernobergesellschaften aufbürde.647 Eine Übertragung der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit auf das Zivilrecht sei schon aus diesem Grund nicht wünschenswert.648 b) Nationale Rechtsprechung In Deutschland finden sich lediglich zwei veröffentlichte Urteile, die sich mit der deliktischen Haftung einer Obergesellschaft beschäftigen, die an den Wettbewerbsverstößen unbeteiligt war – mithin die tatsächliche Konstellation der wirtschaftlichen Einheit zum Gegenstand haben. In beiden Verfahren handelte es sich um Follow-on-Klagen gegen das „Aufzugskartell“. Die Europäische Kommission hatte 2007 festgestellt, dass in Deutschland zwischen 1995 und 2003 auf drei- bis sechsmal jährlich stattfindenden Kartelltreffen wettbewerbswidrige Absprachen getroffen worden waren.649 Die Wettbewerber hatten Quoten für den Verkauf von neuen Fahrtreppen und Aufzügen abgesprochen sowie vereinbart, dass bestehende Kundenbeziehungen zu respektieren seien. Die Bußgeldentscheidung der Kommission wurde jeweils an die Obergesellschaft und die handelnde Tochtergesellschaft als Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit adressiert.650 Die Obergesellschaft wurde allein auf Grundlage ihrer Alleingesellschafterstellung und der 100-%-Vermutung als Teil der wirtschaftlichen Einheit betrachtet und mit einer Geldbuße belegt.651 Die Kläger nahmen daraufhin in beiden Zivilverfahren sowohl die Obergesellschaft als auch die handelnden Tochtergesellschaften als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch. 645

von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 303 f. von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 302. 647 von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 302. 648 von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 302 f. 649 KOME v. 21. 02. 2007, C(2007) 512 final, AT.38823 – Elevators and Escalators. 650 Vgl. KOME v. 21. 02. 2007, C(2007) 512 final, AT.38823 – Elevators and Escalators, S. 145 f. Der Sachverhalt wurde aus Darstellungsgründen vereinfacht. 651 In dem Verfahren vor dem LG Düsseldorf wurde neben der handelnden Gesellschaft und der Gesellschaft an der Spitze des Konzerns auch die ebenfalls unbeteiligte Zwischenholding verklagt. Sowohl die Gesellschaft an der Spitze als auch die Zwischenholding waren allein aufgrund der 100-%-Vermutung – jeweils als Obergesellschaft im Verhältnis zur nachgeordneten Gesellschaft – Teil der wirtschaftlichen Einheit, vgl.: KOME v. 21. 02. 2007, C(2007) 512 final, AT.38823 – Elevators and Escalators, Rn. 636. Aufgrund der identischen Ausführungen des Gerichts wird aus Darstellungsgründen nur auf eine Obergesellschaft abgestellt. 646

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Sowohl das Landgericht Berlin als auch das Landgericht Düsseldorf wiesen die Klagen gegen die Obergesellschaft ab.652 Diese sei weder an den wettbewerbswidrigen Absprachen oder deren Umsetzung beteiligt gewesen noch habe sie Kenntnis von den Vorgängen gehabt.653 Entsprechend scheide eine Zurechnung nach §§ 31, 831 BGB aus. Die Haftungszuordnung nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Einheit, mithin eine Zurechnung an die Obergesellschaft, beanspruche im zivilrechtlichen Schadensersatzverfahren keine Gültigkeit.654 Beide Gerichte betonten, dass der deutschen nationalen Rechtsprechung ein Haftungsdurchgriff aufgrund des geltenden Trennungsgrundsatzes fremd sei.655 Die anerkannten Ausnahmen seien vorliegend nicht erfüllt. Einen Verstoß gegen europäisches Recht aufgrund der Beschränkung der Haftung auf die handelnde Gesellschaft lehnten beide Gerichte ab.656 Auch unter dem Aspekt des effet utile sei kein abweichendes Ergebnis geboten.657 Die Haftung der handelnden Gesellschaft sei ausreichend, die Durchsetzung des Schadensersatzrechts damit nicht unzumutbar erschwert.658 Ohne Zugriff auf das Vermögen der Obergesellschaft könne dies im Falle der Insolvenz der handelnden Gesellschaft zwar zu einem Forderungsausfall führen, jedoch lege die Rechtsordnung dieses Risiko jedem Gläubiger in gleicher Weise auf.659 c) Maßgebliche Entscheidungen des EuGH Im Kern unterscheiden sich die Stimmen in der Literatur sowie die ergangenen Urteile darin, welche Wirkungen sie dem effet utile bzw. dem Effektivitätsgrundsatz beimessen und welchen Stellenwert sie dem Abschreckungseffekt für die Durchsetzbarkeit des Wettbewerbsrechts einräumen. Als Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Diskussion sollen daher im Folgenden die wichtigsten europäischen Entscheidungen660 daraufhin untersucht werden, welche Vorgaben die prak652

LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 79 (Juris). LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 80 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491. 654 LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 80 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491 f. 655 LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 81 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 492. 656 LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 492. 657 LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 82 (Juris). 658 LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 82 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 492. 659 LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 82 (Juris); LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 492. 660 Die in Zusammenhang mit dem Effektivitätsgrundsatz regelmäßig zitierten EuGHUrteile Pfleiderer (ECLI:EU:C:2011:389) und Donau Chemie (ECLI:EU:C:2013:366) betrafen Sonderkonstellationen, in denen das Recht auf Schadensersatz mit dem Schutz der für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts sehr bedeutsamen Kronzeugenregelungen abgewogen 653

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tische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln und der Effektivitätsgrundsatz speziell im Wettbewerbsrecht für die nationalen Rechtsordnungen aufstellen und welcher Stellenwert der Präventionswirkung im Zivilrecht zukommt. aa) Courage In der Rechtssache Courage verklagte eine Brauerei einen britischen Pub-Betreiber auf Zahlung des Kaufpreises für geliefertes Bier. Der Pub-Betreiber berief sich vor Gericht auf die Nichtigkeit des Bierliefervertrages wegen Verstoßes gegen Kartellrecht. Gleichzeitig verlangte er Schadensersatz, da er infolge des Vertrages in der Vergangenheit überhöhte Preise bezahlt habe. Der englische Court of Appeal legte dem EuGH u. a. die Frage vor, ob ein Grundsatz des nationalen Rechts, wonach derjenige keinen Schadensersatz verlangen kann, der sich dazu auf eine eigene rechtswidrige Beteiligung am Kartellverstoß berufen müsse, mit dem Unionsrecht vereinbar sei.661 Zur Beantwortung stellt der Gerichtshof grundlegend fest: „Die volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist“.662

Der EuGH begründet diese am effet utile orientierte Auslegung663 damit, dass ein solcher Schadensersatzanspruch die Durchsetzungskraft der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln erhöhe und abschreckend wirke. Entsprechend trügen Schadensersatzklagen wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union bei.664 Im Hinblick auf die Modalitäten beschränkte er sich jedoch auf die allgemeine Aussage, dass diese dem Äquivalenzgrundsatz und dem Effektivitätsgrundsatz genügen müssen. Die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte dürfe nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden.665

wurde. Im Hinblick auf die hier untersuchten Wirkungen und Schranken des Effektivitätsgrundsatzes lassen sich aus diesen Urteilen keine zusätzlichen Erkenntnisse gewinnen, weshalb sie nachfolgend nicht näher untersucht werden. 661 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 16; vgl. Drexl, in: FS Canaris, 2007, S. 1339, 1342. 662 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 26. 663 Siehe hierzu bereits unter Teil 3 § 3 B. I. 2. 664 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 665 Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 29.

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Andererseits macht der EuGH in seiner Entscheidung auch deutlich, dass das unionsrechtliche Recht nicht uneingeschränkt gewährleistet werden muss: Im Einzelfall können die Mitgliedstaaten das Recht auf Schadensersatz einschränken oder gänzlich ausschließen, ohne dabei gegen die Grundsätze der Äquivalenz666 und der Effektivität zu verstoßen. Ein Ausschluss steht mit dem Effektivitätsgrundsatz in Einklang, wenn das unionsrechtlich gewährleistete Recht andernfalls zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führen würde.667 Ebenfalls könne ein Ausschluss dadurch gerechtfertigt werden, dass die entsprechende Partei selbst eine erhebliche Verantwortung für den Wettbewerbsverstoß trage. Dies begründet der Gerichtshof damit, dass hinter dieser Einschränkung der in den meisten Rechtssystemen der Mitgliedstaaten anerkannte und auch von dem Gerichtshof selbst angewandte Grundsatz stehe, dass ein Einzelner nicht aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten Nutzen ziehen dürfe.668 bb) Manfredi Dem nahezu fünf Jahre nach Courage ergangenen Urteil Manfredi lagen Schadensersatzklagen verschiedener Verbraucher gegen ihre Kfz-Haftpflichtversicherer zugrunde. Die Kläger hatten überhöhte Prämienaufschläge bezahlt, welche die verklagten Versicherungsunternehmen im Rahmen eines für rechtswidrig erklärten Kartells vereinbart hatten. Der Gerichtshof bestätigte seine Rechtsprechung aus dem Urteil Courage und präzisierte, dass jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen könne, wenn zwischen diesem und dem Kartell ein „ursächlicher Zusammenhang“ bestünde.669 Formelhaft wiederholte er, dass sich die Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts nach dem innerstaatlichen Recht des einzelnen Mitgliedstaats bestimmten, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten seien.670 Von besonderem Interesse ist die sinngemäße Vorlagefrage, ob bei der Auslegung des Art. 81 EG-Vertrag (jetzt Art. 101 AEUV) der Abschreckungszweck dem nationalen Recht die Vorgabe machen könne, Strafschadensersatz zu gewähren.671 Auf ebenjene abschreckende Wirkung hatte der EuGH in Courage abgestellt, um seine Auslegung anhand des effet utile zu begründen. Der Abschreckungszweck bildet demnach einen der Gründe, weshalb Schadensersatzklagen zur Aufrechterhaltung 666

Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz läge nur vor, wenn das innerstaatliche Recht für gleiche, aber rein innerstaatliche Sachverhalte andere Modalitäten vorsähe. Siehe hierzu bereits ausführlicher Teil 3 § 2 B. VIII. 1. 667 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 30. 668 Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 31. 669 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 63. 670 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 64; 71; 77; 92. 671 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 20.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

eines wirksamen Wettbewerbs beitragen und damit den Wettbewerbsregeln zur vollen und praktischen Wirksamkeit verhelfen. Die Beantwortung lässt daher Rückschlüsse zu, welche Bedeutung und welches Gewicht der Gerichtshof dem Abschreckungseffekt für die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs beimisst. Der Generalanwalt Geelhoed wies in seinen Schlussanträgen zu dieser Frage darauf hin, dass privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Durchsetzung grundsätzlich verschiedenen Zwecken dienten, aber einander ergänzen könnten.672 Geldbußen hätten eine bestrafende und eine verhaltenslenkende Funktion und sollten ausreichend abschreckende, d. h. präventive, Wirkung entfalten. Strafschadensersatz habe keine Grundlage im Unionsrecht. Nach Auffassung der meisten Mitgliedstaaten dienten Schadensersatzklagen allein der Kompensation.673 Im Ergebnis gebiete der effet utile des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt: Art. 101 Abs. 1 AEUV) keinen Strafschadensersatz.674 Der Gerichtshof führte bei der Beantwortung der Vorlagefrage schließlich lediglich aus, dass Strafschadensersatz unter den Voraussetzungen der Äquivalenz geboten sein könne.675 Der Effektivitätsgrundsatz wurde nicht thematisiert. Aus dem Umstand, dass der Effektivitätsgrundsatz nicht berührt war, folgt gleichzeitig, dass Strafschadensersatz nicht zu dem für die praktische Wirksamkeit der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln gebotenen Inhalt des Rechts auf Schadensersatz zählt. Dies ergibt sich aus der Funktion des Effektivitätsgrundsatzes. Denn der Inhalt des Rechts auf Schadensersatz richtet sich allein nach der am effet utile orientierten Auslegung der europäischen Wettbewerbsregeln. Ist eine bestimmte Folge nicht geboten, findet auch der Effektivitätsgrundsatz keine Anwendung. Der Effektivitätsgrundsatz dient allein der Kontrolle, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Modalitäten die Ausübung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Der Effektivitätsgrundsatz per se gebietet nicht, dass die nationalen Schadensersatzansprüche möglichst effektiv ausgestaltet werden. Auf den zusätzlichen, potenziellen Abschreckungseffekt eines Strafschadensersatzes ging der EuGH nicht ein. Dass die Zuerkennung von Strafschadensersatz grundsätzlich die abschreckende Wirkung des Schadensersatzanspruchs erhöhen würde, ist unbestreitbar.676 Entsprechend kann aus dem Schweigen des Gerichtshofs 672 GA Geelhoed, Schlussanträge zur Verb. Rs. C-295/04 – 298/04 (Manfredi) v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 64. 673 GA Geelhoed, Schlussanträge zur Verb. Rs. C-295/04 – 298/04 (Manfredi) v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 66, 68. 674 GA Geelhoed, Schlussanträge zur Verb. Rs. C-295/04 – 298/04 (Manfredi) v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 70. 675 EuGH, Urt. v. 13. 07. 2006, Rs. C-295/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi, Rn. 93. 676 Vgl. zu den amerikanischen „tremble damages“: GA Geelhoed, Schlussanträge zur Verb. Rs. C-295/04 – 298/04 (Manfredi) v. 26. 01. 2006, ECLI:EU:C:2006:67, Rn. 65.

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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gefolgert werden, dass die Abschreckungswirkung im Rahmen der Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs durch die Mitgliedstaaten keinen unionsrechtlich determinierten Vorrang gegenüber anderen Interessen oder Prinzipien genießt. Der Schadensersatzanspruch an sich erfüllt den Zweck der Abschreckung und fördert so die Aufrechterhaltung des wirksamen Wettbewerbs.677 Die praktische Wirksamkeit, der effet utile der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln, fordert nicht zusätzlich, dass der Anspruch inhaltlich abschreckend ausgestaltet wird. cc) Kone In dem Verfahren Kone entschied der EuGH zu der Frage, welche Vorgaben dem Effektivitätsgrundsatz für das Tatbestandsmerkmal des „ursächlichen Zusammenhangs“ zu entnehmen sind. Das österreichische Recht sah einen kategorischen Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs mangels Adäquanz des Kausalzusammenhangs vor, wenn der Kläger Schäden geltend machte, die ihm durch die vertragliche Beziehung mit einem Kartellaußenseiter entstanden waren, der im Windschatten der durch die Kartellanten erhöhten Marktpreise seine eigenen Preise erhöht hatte („umbrella-pricing“). Das vorlegende Gericht bat um Stellungnahme, inwiefern ein solcher Ausschluss mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar sei oder ob dieser einen Zuspruch von Schadensersatz auch in dieser Konstellation gebiete. In seiner Würdigung hob der EuGH die grundsätzliche Bedeutung des Schadensersatzanspruchs für die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln besonders hervor. Anders als in den früheren Entscheidungen argumentierte er nicht mit den Vorgaben des Äquivalenz- oder des Effektivitätsgrundsatzes, sondern ausschließlich mit dem Zweck der Wettbewerbsvorschriften. Der Gerichtshof betonte, dass die Vorschriften über die Rechtsbehelfe „speziell“ im Bereich des Wettbewerbsrechts die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht beeinträchtigen dürften.678 Die Mitgliedstaaten dürften zwar die nationalen Vorschriften erlassen, die den Schutz des unionsrechtlich begründeten Rechts auf Schadensersatz gewährleisten. Bei der Anwendung des nationalen Rechts müssten sie aber die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherstellen und insbesondere das mit Art. 101 AEUV verfolgte Ziel berücksichtigen. Dieses Ziel bestünde darin, die Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten.679 Zentral für die volle Wirksamkeit und das Erreichen des mit Art. 101 AEUV verfolgten Ziels sei das jedermann zustehende Recht, den ihm entstandenen Schaden ersetzt zu verlangen.680 Dieses Recht auf Schadensersatz, konkretisierte der EuGH, 677 Vgl. EuGH, Crehan, Rn. 27. 678 EuGH, Urt. Rn. 26. 679 EuGH, Urt. Rn. 32. 680 EuGH, Urt. Rn. 32 f.

Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a., v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a., v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a.,

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bestünde unabhängig von einer vertraglichen Beziehung. Maßgeblich sei allein, dass der Kartellant den Verstoß begangen habe und für diesen erkennbar gewesen sei, dass hieraus ein entsprechender Schaden folgen könne.681 Ein kategorischer Ausschluss des Schadensersatzanspruchs stelle die volle Wirksamkeit des Art. 101 AEUV infrage. Sofern bestimmte Voraussetzungen682 im konkreten Einzelfall erfüllt seien, müsse der Geschädigte auch in Fällen des „umbrella-pricing“ sein nach Unionsrecht bestehendes Recht auf Schadensersatz durchsetzen können. d) Stellungnahme Der europäische Gerichtshof gewinnt den Inhalt des Rechts auf Schadensersatz mittels Auslegung anhand des effet utile aus den Wettbewerbsregeln. Seinen Entscheidungen ist keine Aussage im Hinblick auf den Anspruchsgegner zu entnehmen. Einzige benannte Voraussetzung ist, dass derjenige, der in Anspruch genommen wird, den Verstoß begangen hat. Nach ständiger Unionspraxis verstößt das Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht. Mithin besteht der aus dem effet utile der Wettbewerbsregeln folgende Anspruch auf Schadensersatz grundsätzlich gegenüber diesem Unternehmen.683 Das verstoßende Unternehmen wird, sofern mehrere konzernverbundene Gesellschaften beteiligt sind, als wirtschaftliche Einheit durch die tatsächlich handelnden und die durch Einflussnahme verbundenen Gesellschaften des Konzerns gebildet. Unabhängig von einer Beteiligung durch eigene Mitarbeiter sind in dieser wirtschaftlichen Einheit unter Zugrundelegung der unionsrechtlichen Verantwortlichkeitszuordnung sämtliche Rechtsträger gleichsam Verstoßende – entweder tatsächlich oder sie werden entsprechend „behandelt“. Sowohl Ober- als auch Tochtergesellschaft sind Verstoßende im Sinne des Wettbewerbsrechts und haben den Schaden verursacht. Aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit des Unternehmens folgt hieraus in Konzernkonstellationen, dass der durch den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit verursachte Schaden von einem der Rechtsträger, welche die wirtschaftliche Einheit bilden, ersetzt werden muss. Sind sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit Verstoßende, liegt es zunächst nahe, dass ein jeder auch Schuldner des Schadensersatzanspruchs ist. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass – anders als es die Stellungnahmen in der Literatur nahelegen – nicht allgemein zu diskutieren ist, wie ein effektives Kartellschadensersatzrecht ausgestaltet werden könnte und wo dessen Grenzen zu ziehen wären. Vielmehr muss untersucht werden, wie viel Gestaltungsspielraum dem nationalen Gesetzgeber im Rahmen des Effektivitätsgrundsatzes bei der Ausge681 EuGH, Urt. v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a., Rn. 34. 682 Näher hierzu: EuGH, Urt. v. 5. 06. 2014, Rs. C-557/12, ECLI:EU:C:2014:1317 – Kone AG u. a., Rn. 34. 683 So jüngst auch das englische Spezialgericht für Kartellsachen, das Competition Appeal Tribunal in Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11, Rn. 350.

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staltung des unionsrechtlich gebotenen Schadensersatzanspruchs verbleibt. Es geht gerade nicht um die für den Kartellgeschädigten vorteilhafteste Lösung, aber auch nicht grundsätzlich um die Wahrung des konzernrechtlichen Trennungsgrundsatzes. Der Effektivitätsgrundsatz kann nicht abstrakt684 als Motor für die allgemeine Durchsetzungskraft des Wettbewerbsrechts herangezogen werden und gebietet nicht die möglichst effektive Ausgestaltung der nationalen Schadensersatzansprüche. Der Effektivitätsgrundsatz sichert nur den für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlichen Inhalt des Rechts auf Schadensersatz. Dieser Inhalt wird allein durch Auslegung der Wettbewerbsvorschriften anhand des effet utile gewonnen. Der Grundsatz hält die Mitgliedstaaten dazu an, die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz nicht praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, wenn diese die Regelungen für die Umsetzung des Schadensersatzrechts ausgestalten. Maßgeblich ist daher allein, ob die gegenwärtige Rechtslage (§§ 31, 831 BGB, Trennungsgrundsatz) den aus dem effet utile der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln folgenden Vorgaben genügt. Entscheidende Frage ist damit, ob die praktische Wirksamkeit, der effet utile, der europäischen Wettbewerbsregeln dem nationalen Gesetzgeber die Vorgabe macht, dass sämtliche Rechtsträger des Unternehmens erstund gleichrangig für den durch den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit verursachten Schaden haften. Weiter ist zu untersuchen, ob ein faktischer Ausschluss dieses Rechts auf Schadensersatz in der Insolvenz des handelnden Rechtsträgers mit diesen Vorgaben vereinbar ist. aa) Die allgemeinen Vorgaben des effet utile für die Passivlegitimation Dem Grunde nach dient der Schadensersatzanspruch der Kompensation. Der effet utile der europäischen Wettbewerbsregeln gebietet, dass der Geschädigte den Schaden ersetzt erhält, der ihm durch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln entstanden ist.685 Dem Kompensationsgebot ist mithin genüge getan, wenn der Ersatz des Schadens erlangt werden kann – unabhängig davon, ob hierfür ein oder mehrere Schuldner zur Verfügung stehen. Entsprechend müssen die nationalen Regelungen nicht möglichst effektiv sein, jedoch darf dieser Kerngehalt nicht grundsätzlich ohne Berücksichtigung des Einzelfalls beschränkt werden. Der EuGH hat das Bestehen des Schadensersatzanspruchs darüber hinaus auch damit begründet, dass dieser allgemein dazu beitragen soll, dass nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen wird. Anders als traditionell in Deutschland686 dient

684

So aber: Kersting, WuW 2014, 1156, 1170; 1171. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 26. 686 § 249 Abs. 1 BGB; vgl. nur Oetker, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKo BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 8 m.w.N. 685

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der unionsrechtliche Schadensersatzanspruch687 damit auch der Prävention.688 Speziell die Diktion der Courage-Entscheidung689, dass ein Schadensersatzanspruch die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln erhöhe und abschreckend wirke und auf diese Weise wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs beitrüge, könnte demnach dahingehend gedeutet werden, dass die Geschädigten einen Anspruch gegen alle Rechtsverletzter haben sollten.690 Mithin ist für die Frage, ob nicht nur ein, sondern alle Rechtsträger passivlegitimiert sein sollten, die Bedeutung des Abschreckungseffekts691 für die praktische Wirksamkeit des europäischen Wettbewerbsrechts maßgeblich. Gegen eine solch weitreichende Auslegung dieser Passage spricht jedoch ihr historischer Kontext. Als 2001 die Entscheidung Courage erging, konzentrierte sich die Sanktionierung von Kartellverstößen auf die staatliche Verhängung von Geldbußen. Die private Kartellverfolgung war gänzlich unterentwickelt und als zweite Säule der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts quasi nicht existent.692 Entsprechend ist die in Bezug genommene Passage in der Courage-Entscheidung vielmehr dahingehend zu verstehen, dass die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, an sich den Zweck der Abschreckung erfüllt und so die Aufrechterhaltung des wirksamen Wettbewerbs fördert. Damit gebietet der Abschreckungseffekt allein, dass ein Schadensersatzanspruch besteht. Für seine inhaltliche Ausgestaltung oder die Anzahl der Schuldner lassen sich keine darüber hinausgehenden zwingenden Vorgaben entnehmen.

687 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27; Wagner, AcP 2006, 352, 404. 688 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27; Bürger, WuW 2011, 130, 139; GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-557/12 (Kone) v. 30. 01. 2004, ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 65; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 143. Entsprechend verweist die Gesetzesbegründung zu dem 7. GWB-Änderungsgesetz (BT-Drs. 15/3640, S. 35) auf den für die Rechtsprechung des EuGH leitenden doppelten Zweck des Individualschutzes und der Steuerungsfunktion. Siehe auch: Bornkamm, in: Langen/ Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 20; 140; a.A. Roth, wrp 2013, 257, 262; Füller, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2016, Art. 101 AEUV Rn. 477. 689 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 690 So auch die Überlegung in Zusammenhang mit der neuen Richtlinie 2014/104/EU bei: Roth, ZHR 2015, 668, 686 f. 691 Ausführlich zum Präventionszweck im Kartellrecht: Ackermann, ZWeR 2010, 329, 332. Grundlegend zur Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht: Wagner, AcP 2006, 352. 692 Die im Auftrag der Kommission erstellte und 2004 veröffentlichte Ashurst-Studie führt für den gesamten Zeitraum 1958 – Mitte 2004 in Deutschland lediglich 29 Schadensersatzklagen, von denen wiederum nur neun erfolgreich waren. Selbst das am 19. 12. 2005 veröffentlichte Grünbuch der Kommission bzgl. Schadensersatzklagen wegen der Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts bezeichnet den Bereich der privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts als völlig unterentwickelt, S. 4.

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Dieses Ergebnis wird auch durch das Urteil Manfredi gestützt. Der Gerichtshof ging bei der Beantwortung der Frage, ob bei der Auslegung des Art. 101 AEUV der Abschreckungszweck dem nationalen Recht die Vorgabe machen könne, Strafschadensersatz zu gewähren, nicht einmal auf die aus dem Abschreckungszweck folgenden Vorgaben ein. Hieraus folgt, dass das Unionsrecht der Abschreckungswirkung keinen Vorrang gegenüber anderen Interessen oder Prinzipien einräumt. Der effet utile der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln kann nicht argumentativ dafür herangezogen werden, dass die Mitgliedstaaten den Schadensersatzanspruch inhaltlich abschreckend auszugestalten haben. Dieses Verständnis spiegelt sich auch in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kone wider. Kokott bezieht den Abschreckungseffekt auf die zweite Säule, die private Durchsetzung des Kartellrechts im Ganzen und lässt damit erkennen, dass die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln nach ihrer Auffassung bereits durch die Möglichkeit der privaten Rechtsdurchsetzung gestärkt wird.693 Ähnlich argumentierte 2011 auch der BGH in einer Entscheidung zu einem kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch ohne Konzernbezug. Der Bundesgerichtshof erkannte die von dem EuGH intendierte Abschreckungswirkung an, ordnete die Prävention aber als „nützliche Folge der Kompensation“ ein.694 Der Schadensersatzanspruch an sich wirke abschreckend, sein Zweck liege im Ausgleich des Schadens, der den durch ein Kartell Geschädigten entstanden sei. Auch ein Vergleich mit der europäischen Bußgeldpraxis legt nahe, dass der mit dem Schadensersatzanspruch verfolgte Abschreckungseffekt nicht die Inanspruchnahme sämtlicher Verstoßender gebietet. Die Festsetzung von Geldbußen und das Recht auf Schadensersatz dienen beide der Durchsetzung des in Art. 101 AEUV niedergelegten Verbotstatbestands.695 Die hoheitliche Durchsetzung des Wettbewerbsrechts verfolgt neben repressiven vor allem general- und spezialpräventive Zwecke.696 Hiermit in Einklang stehend billigt die Rechtsprechung der Kommission bei der Verhängung von Geldbußen gegen wirtschaftliche Einheiten ein weites Ermessen bei der Auswahl der Entscheidungsadressaten zu.697 Die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften gebietet mithin nicht, dass alle Gesellschaften, die Teil der wirtschaftlichen Einheit sind und entsprechend sämtlich den Wettbewerbsverstoß 693

GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-557/12 (Kone) v. 30. 01. 2004, ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 60. 694 BGH, Urt. v. 28. 06. 2011, Az. KZR 75/10, NJW 2012, 928, 933 Rn. 62. 695 Vgl. Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 23 VerfVO Rn. 1 sowie EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/ 99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 27. 696 Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 23 VerfVO Rn. 3 f. 697 EuG, Urt. v. 27. 09. 2012, Rs. T-344/06, ECLI:EU:T:2012:479 – Total, Rn. 87; EuG, Urt. v. 14. 12. 2006, Verb. Rs. T-259/02 bis T-264/02 u. T-271/02, ECLI:EU:T:2006:396 – Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a., Rn. 331; Kienapfel, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 23 VO (EG) 1/2003 Rn. 33.

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begangen haben, mit einer Geldbuße belegt werden. Vielmehr wird das Bußgeld in der Regel nur gegen die handelnde Gesellschaft und die oberste Konzerngesellschaft verhängt. Hieraus kann zumindest die Wertung gezogen werden, dass die praktische Wirksamkeit der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln unter dem Aspekt der Abschreckung auch im Zivilrecht nicht gebietet, dass grundsätzlich jede Gesellschaft haftet. Die Sanktion der wirtschaftlichen Einheit und nicht des einzelnen Rechtsträgers ist entscheidend. Demnach gebietet die praktische Wirksamkeit, der effet utile, des Art. 101 AEUV weder unter dem Aspekt der Kompensation noch der Prävention einen unmittelbaren Anspruch gegen alle Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit. Es muss zwischen der allgemeinen Effektivierung des Wettbewerbsschutzes und dem unionsrechtlich gebotenen Schutz des aus dem Primärrecht erwachsenden Rechts auf Schadensersatz im Rahmen der Effektivität und Äquivalenz differenziert werden. In Konzernkonstellationen bedeutet dies, dass es ausreichend ist, wenn der durch den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit verursachte Schaden von einem der Rechtsträger, die Teil der wirtschaftlichen Einheit sind, ersetzt erlangt werden kann.698 bb) Primäre Haftung der handelnden Gesellschaft Hieraus folgt, dass es grundsätzlich mit den Vorgaben des effet utile der Wettbewerbsregeln und damit mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist, dass auf Grundlage des § 31 BGB bzw. § 831 BGB allein die Tochtergesellschaft Schuldner des Schadensersatzanspruches aus § 33 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 GWB ist. Der nationale Gesetzgeber ist bei der Bestimmung des Anspruchsgegners frei, solange der Anspruch gegen einen verstoßenden Rechtsträger geltend gemacht werden kann. Der aus dem effet utile der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln gewonnene Schadensersatzanspruch verfolgt zugunsten des Geschädigten einen Kompensationszweck und zugunsten der Allgemeinheit einen Präventionszweck. Beiden ist genüge getan, wenn der Schaden von einem Schuldner ersetzt erlangt werden kann. Der Präventionszweck realisiert sich über die Entwertung der Anteile bzw. die freiwilligen Nachschüsse der Gesellschafter. Die unionsrechtlichen Vorgaben erlauben den Mitgliedstaaten damit dem Grunde nach Differenzierungen und Abstufungen zwischen den einzelnen Gesellschaften, welche die wirtschaftliche Einheit bilden. Dem effet utile des Art. 101 AEUV lässt sich keine Vorgabe entnehmen, dass alle Rechtsträger gleich(rangig) haften müssen. Entsprechend ist bei Anwendung und Auslegung des § 33 Abs. 3 GWB das konzernrechtliche Trennungsprinzip als grundlegendes Prinzip der Rechtsordnung und bewusste gesetzgeberische Entscheidung699 zu wahren. Die grundsätzliche Trennung der Vermögenssphären von 698 Entsprechend die Schlussfolgerung auch bei: Roth, ZHR 2015, 668, 686 f., im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Richtlinie 2014/104/EU mit den Vorgaben der Courage-Entscheidung. 699 Vgl. beispielhaft § 13 Abs. 2 GmbHG; BGH, Urt. v. 16. 10. 2003, Az. IX ZR 55/02, NJW 2004, 217, 218; Lutter, ZGR 1987, 324, 354.

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Eigentümer und Unternehmen ist notwendig, um im System der juristischen Personen die Delegation von Leitungsverantwortung zu ermöglichen und zugleich Investitionsanreize aufrechtzuerhalten.700 Dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip kommt ein hoher Stellenwert zu. Die Haftungstrennung stellt keine Vereitelung oder Umgehung kartellzivilrechtlicher Pflichten dar.701 Vielmehr liegt die Haftungsminimierung in der Natur des Kapitalgesellschaftsrechts und stellt einen legitimen Zweck dar.702 Eine pauschale Haftung aller Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit, die nicht auf zwingenden europäischen Vorgaben beruht, ist nicht geboten und passt sich nicht in die bestehende Rechtsordnung ein. Demnach kann der Schadensersatzanspruch primär nur gegen die Gesellschaft gerichtet werden, deren Mitarbeiter die wettbewerbswidrigen Handlungen begangen haben. cc) Sekundäre Haftung der Obergesellschaft Auch wenn der effet utile der europäischen Wettbewerbsregeln nicht die unmittelbare Haftung aller Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit gebietet, ist zu fragen, ob es mit den Vorgaben der praktischen Wirksamkeit des europäischen Wettbewerbsrechts vereinbar ist, dass aufgrund der nationalen Zurechnungsregeln und des Trennungsgrundsatzes ausschließlich die handelnde Gesellschaft haftet. Fraglich ist insbesondere, ob die Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes auch dann gewahrt sind, wenn die handelnde Tochtergesellschaft insolvent ist und ihre Haftungsmasse nicht ausreicht, um den entstandenen Schaden zu kompensieren. Wie vorstehend erläutert, besteht der Schadensersatzanspruch grundsätzlich gegenüber dem Unternehmen, der wirtschaftlichen Einheit und wird nur aufgrund der fehlenden Rechtspersönlichkeit des Unternehmens gegenüber den einzelnen Rechtsträgern geltend gemacht. Wenn nunmehr einer der Rechtsträger ausfällt, besteht dieses Unternehmen in Form der übrigen Rechtsträger fort. Gegenüber diesem Unternehmen wird grundsätzlich der Präventionszweck verfolgt, aus dem Vermögen dieses Unternehmens ist die Kompensation zu erlangen. Beide Ziele können aus unionsrechtlicher Perspektive weiterhin erreicht werden. Entsprechend ist zu untersuchen, ob die praktische Wirksamkeit des Art. 101 AEUV im Einzelfall einen Durchgriff auf die Obergesellschaft erforderlich macht. In diesem Zusammenhang sei auch auf die besondere Situation hingewiesen, die Wettbewerbsverstöße zur Folge haben. Neben den bereits sehr hohen Geldbußen, die den bebußten Rechtsträger regelmäßig empfindlich treffen, sind auch die potenziellen Schadensersatzforderungen in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Der von dem Kartellanten verursachte Schaden ist regelmäßig höher als sein wirtschaftlicher Vorteil. Vorteile werden durch überhöhte Preise gegenüber den eigenen Kunden erzielt. Schäden entstehen jedoch auf dem gesamten Markt. Nachdem zunächst nur die direkten Abnehmer Ersatzansprüche geltend machen konnten, wurde 700 701 702

Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, S. 716. LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 81 (Juris). Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 78 f.

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der Kreis der Ersatzberechtigten zunehmend erheblich erweitert. Nach der aktuellen Rechtslage haften alle (handelnden) Kartellanten nach den §§ 830, 840 BGB gesamtschuldnerisch, da sie mit ihrem Verhalten gemeinsam den Schaden herbeigeführt haben.703 Es ist jeder Kartellant auch solchen Kunden schadensersatzpflichtig, die bei ihm selbst überhaupt keine Waren gekauft haben. Folglich stehen zahlreiche potenzielle Schadensersatzforderungen von Abnehmern im Raum, die bei einem anderen Kartellanten ein kartellbetroffenes Produkt erworben haben. Hinzu kommen die Forderungen der indirekten Abnehmer eines direkten Kartellkunden. Auch die Kunden eines Kartellaußenseiters, d. h. eines Unternehmens, das nicht selbst an der Absprache beteiligt war, jedoch infolge der allgemeinen Erhöhung der Preise am Markt auch seine eigenen Preise nach oben hin angepasst hat („umbrella-pricing“), können Forderungen geltend machen.704 Bei dem in Anspruch genommenen Rechtsträger kumulieren sich die Insolvenzrisiken der Mitkartellanten sowie die Prozessrisiken für die Geltendmachung etwaiger Ausgleichsansprüche, sodass den Schadensersatzforderungen oftmals keine bilanziell entsprechend werthaltigen Ausgleichansprüche gegenüberstehen. (1) Erfordernis der Betrachtung des Einzelfalls Auch wenn der Ersatz des Schadens aufgrund der Insolvenz der Tochtergesellschaft nicht in voller Höhe erlangt werden kann, verneinen unterschiedliche Stimmen in der Literatur einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz. Sie verweisen darauf, dass grundsätzlich ein nationaler Schadensersatzanspruch mit weitreichenden Erleichterungen bestünde.705 Im Falle der Insolvenz griffen die Schutzmechanismen des deutschen Gesellschaftsrechts.706 Diesen Autoren ist zuzugeben, dass das deutsche Recht sowohl mit seinen allgemeinen Kapitalerhaltungsregeln als auch in den Fällen der Existenzvernichtungshaftung und des missbräuchlichen Verhaltens eine Vielzahl wirksamer Regelungen vorhält, um Gläubiger vor einem Forderungsausfall zu schützen. Die Gesamtheit dieses Regelungsgefüges ist bei der Beurteilung der praktischen Unmöglichkeit durchaus zu berücksichtigen. Maßgeblich ist jedoch nicht, ob das unionsrechtlich begründete Recht auf Schadensersatz grundsätzlich ohne Beschränkungen ausgeübt werden kann bzw. grundsätzlich ergänzende Schutzmechanismen existieren. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beachtung der nationalen Zurechnungsregeln und des Trennungsgrundsatzes im konkreten Einzelfall die Ausübung des unionsrechtlich gebotenen Rechts auf Schadensersatz übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich macht.707

703

Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 850. Siehe hierzu ausführlicher: Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 60 ff. 705 So aber Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 157. 706 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 106. 707 Vgl. Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 102. 704

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(2) Allgemeines Insolvenzrisiko Aber auch wenn diese Schutzmechanismen nicht greifen, scheint es zunächst überzeugend, einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz zu verneinen. Wiederholt wird argumentiert, dass die Rechtsordnung das Insolvenzrisiko sämtlichen Gläubigern grundsätzlich in gleicher Weise auferlegt.708 Könnten die Gläubiger einer Forderung nach § 33 GWB im Falle der Insolvenz auf einen weiteren Schuldner zugreifen, würden sie im Vergleich zu den Gläubigern in Nichtkartellfällen, die allein auf die Quote verwiesen werden, privilegiert.709 Klotz resümiert, dass das Risiko von jemandem deliktisch geschädigt zu werden, der nicht über ausreichendes Kapital verfügt, um diesen Schaden wieder auszugleichen, im Lichte des Effektivitätsgrundsatzes „schlichtweg vom Rechtsverkehr getragen“ werden müsse.710 Doch diese Schlussfolgerung überzeugt nur auf den ersten Blick. Die Frage, ob die Insolvenz der handelnden Gesellschaft einer Beschränkung des Effektivitätsgrundsatzes gleichkommt, wird von diesen Autoren allein aus deutscher Perspektive beurteilt.711 Bei der Beurteilung der praktischen Unmöglichkeit im Sinne des Effektivitätsgrundsatzes ist jedoch die europäische Perspektive maßgeblich.712 Der Effektivitätsgrundsatz schützt die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte.713 Er garantiert, dass die private Durchsetzung dieser Rechte prinzipiell auch möglich ist.714 Jedermann soll für einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV Schadensersatz erhalten. Inhalt und Umfang des Rechts auf Schadensersatz bestimmen sich nach Unionsrecht. Normadressat der Unionsregeln und Adressat des Schadensersatzanspruches ist das Unternehmen. In der Konsequenz richtet sich die Kompensationspflicht an das Unternehmen und die Präventionszwecke werden gegenüber diesem verfolgt.715 Nicht nur der handelnde Rechtsträger, sondern dieses Unternehmen soll künftig von weiteren Wettbewerbsverstößen abgehalten werden und dieses Unternehmen soll den Schaden, der durch den Wettbewerbsverstoß entstanden ist, ersetzen. Entsprechend gewährt das Unionsrecht dem Gläubiger dem 708

LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 81 (Juris); diesem folgend: Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 213. 709 Bürger, WuW 2011, 130, 139. 710 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 107. 711 Vgl. beispielhaft: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 105 ff.; Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 177; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 157; von Hülsen/ Kasten, NZKart 2015, 296, 297 unter Verweis auf: LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/ 11 Kart, Rn. 81 (Juris). Ebenso nunmehr: LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491 f. 712 Ebenso: Kersting/Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie, 2015, S. 43, die hieraus jedoch eine allgemeine Haftung aller Rechtsträger folgern. 713 EuGH, Urt. v. 5. 03. 1980, Rs. 265/78, ECLI:EU:C:1980:66 – H. Ferwerda, Rn. 10; EuGH, Urt. v. 21. 09. 1983, Verb. Rs. 205/82 bis 215/82, ECLI:EU:C:1983:233 – Deutsche Milchkontor, Rn. 19. 714 Wesselburg, Drittschutz, 2010, S. 33. 715 Allgemein für den Präventionsgedanken ebenso: Ackermann, ZWeR 2010, 329, 346.

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Grunde nach das Haftungsvermögen sämtlicher Rechtsträger, die das Unternehmen bilden, als Sicherheit. Erst wenn von keinem der Rechtsträger Ersatz erlangt werden kann, realisiert sich das nach der Unionsrechtsordnung auferlegte Insolvenzrisiko. Sowohl im Unionsrecht als auch im deutschen Zivilrecht wird dieser einheitliche Schuldner aufgespalten, da dem Unternehmen in der Form der wirtschaftlichen Einheit keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. Anders als nach der Unionspraxis, nach der auf alle Rechtsträger zugegriffen werden kann, wird die Haftung im deutschen Zivilrecht zulasten der Gläubiger auf einen Schuldner beschränkt. Die Argumentation, dass die Rechtsordnung das Insolvenzrisiko sämtlichen Gläubigern grundsätzlich in gleicher Weise auferlegen würde, vernachlässigt damit, dass der Schadensersatzanspruch allein aufgrund der deutschen Zurechnungsregeln und der Beachtung des Trennungsgrundsatzes nur gegen die Tochtergesellschaft geltend gemacht werden kann. Würde der schuldhafte Verstoß, wie in der Unionspraxis, auch bei der Obergesellschaft fingiert, trüge der kartelldeliktische Gläubiger ein erheblich geringeres Insolvenzrisiko, da er auf sämtliche Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit als Schuldner zugreifen könnte. Es realisiert sich mithin ein (Insolvenz-) Risiko, das dem Gläubiger erst aufgrund der Anwendung des § 31 BGB und der Achtung des Trennungsgrundsatzes zugewiesen wurde. Durch die Anwendung des allgemeinen deutschen Deliktsrechts werden die Schadensersatzansprüche auf die handelnde Gesellschaft konzentriert und damit das Insolvenzrisiko sogar verschärft. Die Beschränkung auf einen Schuldner kommt, wenn dieser Schuldner ausfällt, einem Ausschluss des unionsrechtlich gebotenen Rechts auf Schadensersatz gegen das Unternehmen gleich. (3) Haftungstrennung als allgemeiner Grundsatz Der Ausschluss des aus Art. 101 AEUV abgeleiteten Rechts auf Schadensersatz kann jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH im Einzelfall mit dem Effektivitätsgrundsatz in Einklang stehen. In der Sache Courage argumentierte der Gerichtshof, dass eine Einschränkung des Schadensersatzrechts aufgrund eines in den meisten Rechtssystemen der Mitgliedstaaten anerkannten und auch von dem Gerichtshof angewandten Grundsatzes möglich sei.716 Entsprechend könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass auch der Grundsatz der Haftungstrennung sowohl in den meisten europäischen Mitgliedstaaten717 als auch im europäischen Gesell-

716 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 31. 717 Ausdrücklich normiert in § 64 Abs. 2 des österreichischen GmbHG, Art. 61, 210 und 437 des belgischen Code de Sociétés/Wetboek van Vennootschappen, Art. 1 Abs. 2 des dänischen Lov om anpartsselskaber, Art. L-225-I des französischen Code de Commerce, Art. 2462 des italienischen Codice Civile oder Art. 154 Abs. 1 S. 3 des slowakischen Gesetzes No. 513/ 1991 zitiert nach Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, S. 1015 m.w.N. für das englische und das niederländische Recht.

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schaftsrecht718 anerkannt ist und daher eine Beschränkung aufgrund dieses Grundsatzes mit dem Effektivitätsgrundsatz in Einklang stünde. In der von dem EuGH entschiedenen Konstellation stand der Ausschluss jedoch mit dem Effektivitätsgrundsatz in Einklang, da der wettbewerbswidrig Handelnde andernfalls einen Vorteil erlangt hätte. Der Verstoßende sollte keinen Nutzen aus seiner rechtswidrigen Handlung ziehen719 bzw. nicht ungerechtfertigt bereichert werden720. Der Ausschluss aufgrund des Trennungsgrundsatzes hätte jedoch gerade den gegenteiligen Effekt: Hier würden die aus der Perspektive des Unionsrechts wettbewerbswidrig Handelnden – die übrigen Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit – einen Vorteil erlangen, da sie nicht haften. Demnach kann eine entsprechende Begründung keinen Ausschluss rechtfertigen. (4) Effet utile gebietet Durchgriff auf die Obergesellschaft Als ein Element eines effektiven Systems privater Rechtsdurchsetzung gebietet der effet utile des Art. 101 AEUV, dass der Schaden vollständig ersetzt verlangt werden kann, der durch eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV entstanden ist.721 Das Unionsrecht gibt grundsätzlich das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs vor.722 Diese Vorgaben sind gewahrt, solange die Möglichkeit zur Geltendmachung des Schadensersatzes zumindest gegen einen verstoßenden Rechtsträger besteht.723 Ist die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs aufgrund der Insolvenz der handelnden Gesellschaft unmöglich und bestehen neben dieser weitere Rechtsträger des Unternehmens, ist der Anspruch gegen die Obergesellschaft essenziell, um die mit dem unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch verfolgten Ziele und Zwecke zu erfüllen. Dem Schadensersatzanspruch kommt mithin wesentliche Bedeutung für die Durchsetzung des objektiven Unionsrechts zu. Ohne Durchgriff führt die Insolvenz der handelnden Gesellschaft dazu, dass das Ziel, die Kompensation des Schadens durch das Unternehmen, nicht mehr erreicht wird. Gleiches gilt für den mit dem Schadensersatzanspruch gegenüber dem Unternehmen verfolgten Abschreckungseffekt. Stattdessen würde ein zusätzlicher Anreiz zur Begehung von Wettbewerbsverstößen geschaffen, da die mit dem Kartellverstoß verbundenen zi718 Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europea). 719 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 31. 720 EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage und Crehan, Rn. 30. 721 Ebenso: Lettl, wrp 2015, 537, 538 mit Verweis auf die Erwägungsgründe der Richtlinie 2014/104/EU; Kahle, Leistungskondiktion als Alternative, 2013, S. 85. 722 Ebenso: Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457; Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 43, jedoch jeweils mit weitergehenden Konsequenzen. 723 So auch: Roth, ZHR 2015, 668, 686 f., im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Richtlinie 2014/104/EU mit den Vorgaben der Courage-Entscheidung.

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vilrechtlichen Risiken besser zu kalkulieren wären. Wie die Generalanwältin Kokott für die Einbeziehung von Schäden aus Preisschirmeffekten argumentierte, würde gleichsam der mit den privaten Durchsetzungsmechanismen verbundene und ausdrücklich erwünschte Abschreckungseffekt gegenüber dem Unternehmen ins Gegenteil verkehrt.724 Die Beschränkung des Schadensersatzanspruchs auf die Tochtergesellschaft verstößt demnach in diesem Fall gegen den Effektivitätsgrundsatz.725 Fällt die handelnde Gesellschaft als Schuldner aus, bleibt der eigentliche Schuldner aus der Perspektive des europäischen Wettbewerbsrechts, das Unternehmen, in Form der übrigen Rechtsträger bestehen. Wird damit im Falle der Insolvenz der Tochtergesellschaft die Haftung auf die Obergesellschaft erstreckt, handelt es sich mithin nicht um ein Mehr im Sinne einer Privilegierung, sondern um die Gewährleistung der Mindesthaftung des Unternehmens bzw. der nach unionsrechtlichen Vorgaben haftenden Rechtsträger. In diesen Fällen soll den Gläubigern nicht „ein weiterer Schuldner“ geschenkt werden. Vielmehr trägt der Rückgriff auf die weiteren Rechtsträger allein dem Erhalt des unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs Rechnung. 3. Zusammenfassung Das aus dem europäischen Wettbewerbsrecht abgeleitete Recht auf Schadensersatz beinhaltet eine Kompensationspflicht und verfolgt einen Präventionszweck. Beide richten sich gegen das Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV. Das Recht auf Schadensersatz wird mit ebendiesem Inhalt durch den Effektivitätsgrundsatz geschützt. Die primäre Verantwortlichkeit der handelnden Gesellschaft nach deutschem Recht steht mit dem Effektivitätsgrundsatz in Einklang, solange von dieser Gesellschaft Schadensersatz erlangt werden kann und damit die Kompensationspflicht und der Präventionszweck gegenüber dem Unternehmen erreicht werden. Kann von der handelnden Gesellschaft kein voller Ersatz des Schadens erlangt werden, gebietet der effet utile des Art. 101 AEUV einen Durchgriff auf die Obergesellschaft. Damit besteht aufgrund des effet utile der Unionsregeln im Fall der Insolvenz der handelnden Gesellschaft eine Haftung der Obergesellschaft, die bei Verstößen gegen nationales Wettbewerbsrecht nicht besteht. Dies ist kein Widerspruch, sondern Konsequenz des Wechselspiels zwischen europäischem und nationalem Recht infolge der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Das nationale Recht hat den gemeinschaftsrechtlich begründeten subjektiven Rechten mittels Rechtsbehelfen zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen. Hierfür muss dem Betroffenen ein tatsächlicher

724 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-557/12 (Kone) v. 30. 01. 2004, ECLI:EU:C:2014:45, Rn. 65. 725 Tendenziell ebenso: Wachs, WuW 2017, 2, 7.

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und wirksamer Rechtsschutz zur Verfügung stehen, auch wenn dies bei vergleichbaren Verstößen gegen das innerstaatliche Recht nicht der Fall ist.726 IX. Umsetzung der europäischen Vorgaben im Zivilprozess Folgt aus dem effet utile der europäischen Wettbewerbsregelungen, dass der Schaden auch von der Obergesellschaft zu erlangen sein muss, wenn die Haftungsmasse der handelnden Tochtergesellschaft nicht ausreicht, um den Schaden vollständig zu ersetzen, ist diese Vorgabe von den nationalen Gerichten im Rahmen des Verfassungsrechts umzusetzen. Art. 4 Abs. 3 AEUV verlangt, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen ergreifen. Hieraus folgt, dass auch Gerichte bei der Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts unionsrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen haben.727 Das nationale Gericht muss die fraglichen innerstaatlichen Vorschriften nach Möglichkeit so auslegen und anwenden, dass den unionsrechtlich garantierten Rechten wirksam zur Durchsetzung verholfen wird.728 Dementsprechend ist zu untersuchen, wie diese Vorgabe im Einzelfall umgesetzt werden kann. Hierbei ist grundsätzlich zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden: den Stand-alone- und den Follow-on-Klagen. Mit Follow-on-Klagen werden zivilrechtliche Schadensersatzklagen bezeichnet, die im Anschluss an einen Bußgeldbescheid oder eine Untersagungsverfügung einer Kartellbehörde wegen eines Kartellverstoßes erhoben werden.729 Da dem System der parallelen Zuständigkeiten die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen innewohnt, folgen in diesen Verfahren aus dem Unionsrecht Bindungswirkungen für die nationalen Gerichte, um die Rechtssicherheit und die einheitliche Rechtsanwendung zu wahren, Art. 16 VO Nr. 1/2003.730 Ergänzend hat der deutsche Gesetzgeber erkannt, dass zivile Klagen oftmals an der Hürde scheitern, den Nachweis eines Kartells zu erbringen. Um die Ergebnisse der Kartellbehörden mit ihren weitreichenden verwaltungsrechtlichen Ermittlungsbefugnissen für den Zivilkläger fruchtbar zu machen, ordnet § 33 Abs. 4 GWB an, dass nationale Gerichte an die Feststellung des Verstoßes in der Entscheidung der Kartellbehörde gebunden sind. Diese erheblichen Vorteile haben dazu geführt, dass in Deutschland, soweit ersichtlich, bislang ausschließlich und europaweit weit überwiegend Follow-on-Klagen erhoben worden 726

So allgemein auch: Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 101. Langenbucher, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, S. 17 Rn. 46; Seyr, Effet utile, 2008, S. 136 m.w.N.; Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Aufl. 2013, S. 14. 728 EuGH, Urt. v. 30. 05. 2013, Rs. C-397/11, ECLI:EU:C:2013:340 – Erika Jo˝ rös, Rn. 32; Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 145 f. 729 Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 853. 730 Erwägungsgrund 22 der Begründung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 Nr. L 1/1. Vgl. auch: EuGH, Urt. v. 14. 12. 2000, Rs. C-344/98, ECLI:EU:C:2000:689 – Masterfoods, Rn. 52; 56; 60. 727

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sind.731 Zunächst sollen daher die Besonderheiten dieser Verfahren dargestellt werden. 1. Follow-on-Klagen Bei identischem Sachverhalt haben deutsche Gerichte in Verfahren, in denen Schadensersatzansprüche wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV geltend gemacht werden, eine zuvor ergangene Entscheidung der Kommission zu beachten.732 Auf diese Weise wird die Stellung der Kommission als Hüterin der Verträge gewahrt. Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO Nr. 1/2003 sichert den in Art. 105 AEUVangelegten Vorrang der Kommission bei der Anwendung des Unionsrechts und bestimmt: „Wenn Gerichte der Mitgliedstaaten nach Artikel 81 oder 82 [jetzt: Art. 101 oder 102 AEUV] des Vertrags über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen erlassen, die der Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen“.

Wann eine Entscheidung eines nationalen Gerichts einer solchen der Kommission zuwiderläuft, bestimmt sich nach deren Inhalt im Einzelfall. Jede Art der Subsumtion unter Art. 101 AEUV wird erfasst.733 Allgemein wird hieraus gefolgert, dass das nationale Gericht an die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Wertungen der Kommission gebunden ist.734 Teilweise wird die Bindungswirkung auf den 731 Kuijpers/Tuinenga/Wisking/Dietzel/Campbell/Fritzsche, (2015) 6 JECLaP 129, 129; 142; Kuijpers/Tuinenga/Whiteford/Paul, (2017) 8 JECLaP 47, 65; Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 70. 732 Auch Geldbußenentscheidungen der Kommission entfalten Bindungswirkung über Art. 16 VO Nr. 1/2003, da in ihnen immer auch die verbindliche Feststellung einer Zuwiderhandlung im Sinne des Art. 7 VO Nr. 1/2003 enthalten ist, vgl. EuGH, Urt. v. 6. 11. 2012, Rs. C199/11, ECLI:EU:C:2012:684 – Europese Gemeenschap, Rn. 51; Ritter, in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1/Teil 2, 5. Aufl. 2012, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 3; Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 5; Becker/Vollrath, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 20; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 106; Divivier, Anwendung des EU-Kartellrechts, 2014, S. 455; Dohrn, Bindungswirkung, 2010, S. 72. Irreführend sind insoweit die Überlegungen, dass Geldbußenentscheidungen nicht an der Bindungswirkung teilnehmen würden: Vgl. Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 5 und die Diskussion bei: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 211. Dies bezieht sich allein auf die Ausführungen zum Verschulden, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind, um eine Geldbuße zu verhängen, vgl. van der Hout/Lux, in: Berg/ Mäsch, Kartellrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 11; Schneider, in: Bornkamm/ Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 8. 733 Becker/Vollrath, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 8. 734 Weber, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 8; Grünberger, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, 2010, S. 135, 176 f.; Divivier, Anwendung des EU-Kartellrechts, 2014, S. 388.

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Entscheidungstenor und die ihn tragenden Gründe beschränkt, weit überwiegend wird jedoch keine nähere Beschränkung vorgenommen.735 § 33 Abs. 4 GWB nimmt die durch Art. 16 VO Nr. 1/2003 vorgeschriebene Vereinheitlichung der Kartellrechtsanwendung auf und bestimmt speziell für Schadensersatzklagen: „Wird wegen eines Verstoßes gegen […] Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union Schadensersatz gefordert, ist das Gericht an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde [oder] der Europäischen Kommission […] getroffen wurde“.

Ist das deutsche Gericht in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht an die Feststellung des Verstoßes durch die Kommission oder das Bundeskartellamt gebunden, entscheidet es nicht mehr gemäß § 286 Abs. 1 ZPO in freier Beweiswürdigung und Überzeugung. Es hat nach § 286 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 33 Abs. 4 S. 1 GWB davon auszugehen, dass eine Zuwiderhandlung vorliegt.736 Alle weiteren für den Prozess erheblichen Tatsachen oder Rechtsfragen, wie „insbesondere“ Schaden oder Kausalität, werden nach der Gesetzesbegründung von der Feststellungswirkung737 nicht erfasst und unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts.738 Da Kommissionsentscheidungen bereits von Art. 16 VO Nr. 1/2003 erfasst werden, kommt § 33 Abs. 4 insoweit nur deklaratorische Bedeutung zu.739 735 Einschränkend: Becker/Vollrath, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 29; Becker/Vollrath, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 29; Dohrn, Bindungswirkung, 2010, S. 46; 245. Ohne nähere Eingrenzung bspw.: Jaeger, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, FK-KartR, Loseblatt, Stand 5/09, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 18; Schneider, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 9. 736 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 112. 737 Auch wenn die Regierungsbegründung (BT-Drs. 15/3640, S. 54) missverständlich von einer Tatbestandswirkung spricht, handelt es sich nach ganz herrschender Meinung um eine Feststellungswirkung. Diese zeichnet sich im Unterschied zu einer Tatbestandswirkung im verwaltungsrechtlichen Sinne dadurch aus, dass sie die Gerichte auch inhaltlich an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen bindet, vgl. ausführlich: Grünberger, in: Möschel/ Bien, Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, 2010, S. 135, 171 ff.; Nothdurft, in: FS Tolksdorf, 2014, S. 533, 538 f. So auch: BGH, Urt. v. 12. 07. 2016, Az. KZR 25/14, NZKart 2016, 436, 437. Ebenso: Dohrn, Bindungswirkung, 2010, S. 159 ff.; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 73; Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 161; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 107; a.A. Meyer, GRUR 2006, 27, 29 f. 738 BT-Drs. 15/3640, S. 54; Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 169. 739 Vgl. BT-Drs. 15/3640, S. 54. Auch wenn die Vorschriften nicht gänzlich in ihren Tatbestandsvoraussetzungen deckungsgleich sind, geht Art. 16 VO Nr. 1/2003 im Hinblick auf Kommissionsentscheidungen in allen Punkten über § 33 Abs. 4 GWB hinaus und erfasst bspw. auch beabsichtigte Entscheidungen der Kommission. Diesen Unterschied übersieht: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 285 Fn. 988, der feststellt, dass Art. 16 VO Nr. 1/2003 für

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Bereits im Hinblick darauf, ob allein der Tenor oder auch die Entscheidungsgründe an der Bindungswirkung teilhaben, bleibt die Gesetzesbegründung unscharf. Entsprechend umstritten ist die Reichweite der Bindungswirkung in Rechtsprechung und Literatur, wobei zwischen der sachlichen und der persönlichen Reichweite zu unterscheiden ist. Die persönliche Reichweite bestimmt, zulasten welcher Rechtsträger die Bindungswirkung angeführt werden kann, die sachliche, welche rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen der Kommission von der Bindungswirkung umfasst sind. a) Persönliche Reichweite der Bindungswirkung Im Zivilprozess können die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen der Kartellbehörden nach Art. 16 VO Nr. 1/2003 und § 33 Abs. 4 GWB allein den Adressaten der Entscheidung entgegengehalten werden. Nach allgemeiner Meinung ergibt sich diese nicht im Wortlaut angelegte Beschränkung überzeugend aus rechtsstaatlichen Gründen, respektive der Möglichkeit, Rechtsschutz gegen die potenziell bindende Entscheidung zu erlangen.740 Im Hinblick auf Kommissionsentscheidungen hat das EuG die Klagebefugnis verneint, wenn im verfügenden Teil keine Feststellung zulasten des Klägers getroffen worden sind.741 Im Übrigen fehlt Nichtadressaten die Beschwer. In den Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit kann dies zu der für den Kläger misslichen Situation führen, dass die Bindungswirkung gegenüber dem von ihm verklagten Rechtsträger nicht eingreift. Auch wenn sich in den Entscheidungsgründen regelmäßig Ausführungen zu sämtlichen Rechtsträgern der wirtschaftlichen Einheit finden, ist die eigentliche Geldbuße in Einzelfällen nach dem Ermessen der Kommission nicht an alle diese Rechtsträger adressiert. In diesen Fällen kann die Entscheidung der Kartellbehörde als Urkundenbeweis in das Zivilverfahren eingeführt werden.742 Ohne Bindungswirkung stellt sich die Situation im Übrigen wie bei den sogleich erörterten Stand-alone-Klagen dar.743 deutsche Gerichte nicht unmittelbar relevant sei. Zu den übrigen Unterschieden der Normen, die für die vorstehende Untersuchung nicht weiter relevant sind, vgl. Ollerdißen, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 61 Rn. 25. 740 Zu Art.16 VO Nr. 1/2003: Becker/Vollrath, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 30; Becker/Vollrath, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 30; Divivier, Anwendung des EU-Kartellrechts, 2014, S. 419; Grünberger, in: Möschel/ Bien, Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, 2010, S. 135, 167; Rother/Rieger, NZKart 2016, 116, 117. Zu § 33 Abs. 4 GWB: Bechtold/Bosch, Kartellgesetz, 8. Aufl. 2015, § 33 Rn. 42; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/ Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 97; Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 51; Krohs, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2017, § 33 GWB Rn. 269; Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, § 33 GWB Rn. 92. 741 Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 10. 2007, Rs. C-474/04, ECLI:EU:T:2007:306 – Pergan, Rn. 74. 742 Vgl. hierzu ausführlicher: Scheffler, NZKart 2015, 223, 225 f.

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b) Sachliche Reichweite der Bindungswirkung In den weit überwiegenden Fällen ist die Obergesellschaft jedoch adressiert und im Hinblick auf ihre Haftung damit entscheidend, ob sich die Bindungswirkung allein auf die Bewertung des Sachverhalts als Verstoß im Sinne des Art. 101 AEUV beschränkt, die Zuordnung des Verstoßes an die einzelnen Rechtsträger umfasst oder gar die Erwägungen im Hinblick auf das Verschulden der einzelnen Rechtsträger mit einschließt. aa) Verstoß und Zuordnung zu den einzelnen Rechtsträgern In Rechtsprechung und Literatur wird meist – ohne näher auf die Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit einzugehen – festgestellt, dass das nationale Gericht an die Feststellung des Verstoßes durch die Kommission gebunden sei.744 Umstritten ist allerdings, ob diese Bindungswirkung auch dann greift, wenn die Haftung der Obergesellschaft allein auf der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit beruht. Insbesondere Leffrang spricht sich für eine restriktive Auslegung der Bindungswirkung aus. Nach Wortlaut und Systematik des § 33 GWB sowie aus rechtspolitischen Gründen soll allein die rechtliche Beurteilung des Verhaltens als Verstoß und nicht die Zurechnungserwägung der Kommission umfasst sein.745 Klotz verneint eine Bindungswirkung in Bezug auf die Obergesellschaft, da die Kommission lediglich einen Verstoß der wirtschaftlichen Einheit, nicht aber der einzelnen Rechtsträger feststellen würde.746 Beide Autoren übergehen jedoch, dass dieses Ergebnis in diametralen Widerspruch zu dem Tenor einer jeden Kommissionsentscheidung steht. In ebenjenem Tenor wird – ohne Differenzierung zwischen handelnden Rechtsträgern und weiteren Teilen der wirtschaftlichen Einheit – der Verstoß der einzeln benannten Adressaten und damit auch der Obergesellschaft festgestellt.747 Nach zutreffender, einhelliger Meinung sowohl im übrigen Schrifttum als 743

Siehe hierzu Teil 3 § 2 B. IX. 2. Im Hinblick auf Art. 16 VO Nr. 1/2003 siehe die Nachweise in Fn. 734 und Fn. 735. Für § 33 Abs. 4 GWB: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 96; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 75; Mäsch, in: Berg/ Mäsch, Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, § 33 GWB Rn. 85; Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 169; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 23 Rn. 39; Möllers/Pregler, ZHR 2012, 144, 155; Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 287; Dohrn, Bindungswirkung, 2010, S. 245; BGH, Urt. v. 12. 07. 2016, Az. KZR 25/14, NZKart 2016, 436, Ls. 1 (kein Konzernfall). 745 Auch wenn Leffrang allein mit Wortlaut und Systematik des deutschen GWB argumentiert, soll das Ergebnis gleichsam für die aus Art. 16 VO Nr. 1/2003 folgende Bindungswirkung gelten: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 124. Im Hinblick auf § 33 Abs. 4 GWB ebenso: Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 50. 746 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 123. 747 Anders: Klotz, der ohne nähere Begründung und in Widerspruch zu dem Wortlaut des verfügenden Teils der Kommissionsentscheidungen annimmt, dass allein ein Verstoß des 744

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auch in der Rechtsprechung entfalten aber gerade die Feststellungen im Tenor der Kommissionsentscheidung Bindungswirkung für die nationalen Gerichte.748 Diesen Widerspruch versucht Scheidtmann, der sich ebenfalls gegen eine Bindungswirkung in Bezug auf die Obergesellschaft ausspricht, dadurch aufzulösen, dass er den Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auslegt.749 Sofern sich aus diesen ergibt, dass die Handlungen nur von den Mitarbeitern eines Rechtsträgers begangen worden seien, gelte auch die Bindung nur in diesem Umfang. Hätten keine Mitarbeiter der Obergesellschaft gehandelt, sondern beruhe ihre Haftung nur auf den tatunabhängigen Grundlagen der wirtschaftlichen Einheit, wäre damit keine Feststellung eines Verstoßes der Obergesellschaft verbunden. Dieser Argumentation ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie sich nicht mit Art. 16 VO Nr. 1/2003 vereinbaren lässt. Art. 16 VO Nr. 1/2003 stellt sicher, dass die auf Grundlage des europäischen Wettbewerbsrechts ergangenen Entscheidungen der Kommission nicht durch widersprechende Entscheidungen nationaler Gerichte konterkariert werden. Widersprüche entstehen jedoch nicht nur im Rahmen der Verhaltensbeurteilung, sondern gerade auch bei der Zuordnung des Verhaltens.750 Diese Verhaltenszuordnung ist Bestandteil des Unternehmensbegriffs und damit der Anwendung des Art. 101 AEUV. Nach der ständigen Unionspraxis werden auch die allein nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Einheit haftenden Rechtsträger „so behandelt“, als ob sie den Rechtsverstoß begangen hätten. Sie sind gleichsam Verstoßende im Sinne des Unionsrechts. Ebendiese Zuordnung des wettbewerbswidrigen Verhaltens kommt im Tenor der Kommissionsentscheidung zum Ausdruck, wenn jeder Rechtsträger als Verstoßender adressiert wird. Diese Lesart hat auch das Unternehmens im Sinne der wirtschaftlichen Einheit und nicht der einzelnen Rechtsträger festgestellt werde. Auch in der von ihm angeführten Kommissionsentscheidung vom 9. 12. 2004, C(2004) 4717, AT.37533 – Cholinchlorid, Rn. 33 werden die einzelnen Rechtsträger ausdrücklich benannt. Noch deutlicher wird dies in Kommissionsentscheidungen, in denen zwischen unterschiedlichen Beteiligungszeiträumen der einzelnen Rechtsträger differenziert wird. Hier wird für jeden einzelnen Rechtsträger festgestellt, in welchem Zeitraum er (als Teil der wirtschaftlichen Einheit) gegen Art. 101 AEUV verstoßen hat, vgl. beispielhaft: KOME v. 9. 11. 2010, C(2010) 7694 final, AT.39258 – Airfreight, S. 217 ff. Auch sein argumentativer Ausgangspunkt, dass „absolute Identität“ zwischen den „Sach- und Rechtsfragen“ bestehen müsse, entbehrt einer Grundlage im Gesetz und findet sich so an keiner Stelle im Schrifttum wieder. Die von ihm zitierten Autoren formulieren „Sach- und Rechtsrahmen“ und beziehen sich auf denselben Sachverhalt und die darauf anzuwendenden europäischen Wettbewerbsregeln, vgl. Grünberger, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, 2010, S. 135, 166 und GA Cosmas, Schlussanträge zur Rs. C-344/98 (Masterfoods) v. 16. 05. 2000, ECLI:EU:C:2000:249 von beiden Autoren versehentlich zitiert als Rn. 6, gemeint ist wohl Rn. 16 ff. 748 Vgl. die Nachweise in Fn. 744. 749 Scheidtmann, wrp 2010, 499, 504. Dieser Ansatz scheint auch der Begründung des LG Düsseldorf zugrunde zu liegen: LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, 491. Das LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 78 ff. (Juris) setzt sich hingegen überhaupt nicht mit der (möglichen) Bindungswirkung auseinander. 750 Ebenso: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 216.

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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EuG jüngst bestätigt.751 In seinem Urteil Martinair Holland hob es eine Entscheidung der Kommission wegen eines Begründungsmangels auf und führte in diesem Zusammenhang aus, dass der verfügende Teil einer Kommissionsentscheidung unmissverständlich sein müsse, da die nationalen Gerichte über Art. 16 VO Nr. 1/2003 in einem zivilen Schadensersatzprozess an diesen gebunden seien: Insbesondere müssen die nationalen Gerichte in der Lage sein, dem klaren Wortlaut des verfügenden Teils einer Entscheidung […] die Tragweite dieser Zuwiderhandlung und die dafür verantwortlichen Personen zu entnehmen, um daraus die notwendigen Konsequenzen für die Klagen auf Ersatz der durch die Zuwiderhandlung verursachten Schäden ziehen zu können […].752

Vor diesem Hintergrund verstößt ein nationales Gericht, das einen im Tenor einer Kommissionsentscheidung festgestellten Verstoß einer Obergesellschaft seiner Entscheidung nicht zugrunde legt, gegen Art. 16 VO Nr. 1/2003.753 Diese Vorgabe ist auch bei der Auslegung des dem Art. 16 VO Nr. 1/2003 nachgebildeten § 33 Abs. 4 GWB zu berücksichtigen.754 Andernfalls würde der Tenor als zentraler Bestandteil der Kommissionsentscheidung faktisch von der Bindungswirkung ausgenommen. Zur Klarstellung ist diese Schlussfolgerung dahingehend zu präzisieren, dass bei der Auslegung des Tenors weiter auf die tragenden Entscheidungsgründe zurückgegriffen werden kann. Jedoch darf dies nicht zu einer Auslegung führen, die nicht in Einklang mit der Feststellung im Tenor steht. bb) Verschulden Besteht eine Bindung im Hinblick auf den Verstoß, bliebe in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit nichtsdestotrotz eine Klage ohne Erfolg, wenn der deutsche Zivilrichter selbstständig das Verschulden prüft. Die Mitarbeiter der Obergesellschaft waren an dem Verstoß nicht beteiligt. Da die Kommission zwar nicht im Tenor, aber in den Entscheidungsgründen ihrer Bußgeldentscheidungen auch ein Verschulden nach Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 feststellt, ist entsprechend umstritten, ob auch diese Ausführungen an der Feststellungswirkung teilhaben. 751 EuG, Urt. v. 16. 12. 2015, Rs. T-67/11, ECLI:EU:T:2015:984 – Martinair Holland, Rn. 35. 752 EuG, Urt. v. 16. 12. 2015, Rs. T-67/11, ECLI:EU:T:2015:984 – Martinair Holland, Rn. 37. 753 Im Ergebnis ebenso: de Bronett, Europäisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 16 Rn. 7; Wachs, WuW 2017, 2, 6; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 215; Zuber, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/MeyerLindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 20; Weitbrecht, WuW 2015, 959, 965. 754 Ebenso für einen Verstoß gegen § 33 Abs. 4 GWB: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 216; Wachs, WuW 2017, 2, 7; Bürger, WuW 2011, 130, 137; Weitbrecht, WuW 2015, 959, 965; Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457; i.E. ebenso, mit abweichender Begründung: Scheffler, NZKart 2015, 223, 224; 225.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Im Rahmen des § 33 Abs. 4 GWB lehnt der weit überwiegende Teil des Schrifttums zutreffend eine weitergehende Bindungswirkung aufgrund des klar auf den „Verstoß“ begrenzten Wortlauts der Norm und der restriktiven Gesetzesbegründung ab.755 In der Rechtsprechung ist teilweise allgemein ausgeführt worden, dass die Bindung das Verschulden erfassen würde – im Rahmen der tatsächlichen Anwendung auf die tatunbeteiligte Obergesellschaft ist jedoch von einer Bindungswirkung abgesehen worden.756 Das LG Köln wiederum hat die Bindungswirkung auf die tatbestandlichen Festlegungen der Entscheidung begrenzt, d. h., die rechtliche Wertung obliegt dem nationalen Gericht.757 Mangels Tatbeteiligung scheidet auch bei diesem Ansatz ein Verschulden der Obergesellschaft aus. Art. 16 VO Nr. 1/2003 hingegen ist erheblich offener formuliert. Da die Entscheidung der Kommission ein Bußgeld zu verhängen und die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht an denselben Verstoß anknüpfen, liegt es zunächst nahe, divergierende Entscheidungen als „zuwiderlaufend“ im Sinne der Norm zu erachten. Entsprechend argumentieren manche Autoren – vornehmlich rechtspolitisch –, dass nur eine doppelte, verbindliche Zurechnung dem Wesen der wirtschaftlichen Einheit gerecht werde.758 Verhalten und Verschulden seien untrennbar miteinander verknüpft.759 Würde allein der Verstoß bindend festgestellt, werde das Konzept nur unvollständig übernommen.760 Als tragender Grund der Geldbußenentscheidung müsse auch das Verschulden von der Bindungswirkung erfasst sein.761 755 Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 75; Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, § 33 GWB Rn. 90; Bornkamm, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 169; Krohs, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2017, § 33 GWB Rn. 198; Inderst/ Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 111; 135; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 158, Fn. 35; Bürger, WuW 2011, 130, 138; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 121 f.; implizit: Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 286; LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 54 (Juris); a.A. Grünberger, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, 2010, S. 135, 163; Ollerdißen, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 61 Rn. 20; Kersting/Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie, 2015, S. 41, wobei nicht deutlich wird, ob dies auf der VO oder § 33 IV GWB beruht. Mit einheitlicher Argumentation für VO und GWB: Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 218 f.; Wachs, WuW 2017, 2, 6; 7; Scheffler, NZKart 2015, 223, 225 (Effektivität); Weitbrecht, WuW 2015, 959, 965, Fn. 40 (Vermutung aufgrund der Compliance- Verantwortung der Obergesellschaft). Ohne Festlegung: Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 32; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 23 Rn. 39. 756 LG Düsseldorf, Urt. v. 8. 09. 2016, Az. 37 O 27/11 (Kart), NZKart 2016, 490, Rn. 176; 186 (für VO und GWB). 757 LG Köln, Urt. v. 17. 01. 2013, Az. 88 O 1/11, Rn. 186 ff. (für VO und GWB). 758 Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 219. 759 In diesem Sinne: Wachs, WuW 2017, 2, 6. 760 Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 218. 761 Grünberger, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, 2010, S. 135, 162; 179; i.E. ebenso ohne nähere Begründung: de Bronett, Euro-

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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Eine derart weite Auslegung steht jedoch weder mit dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Art. 16 VO Nr. 1/2003 in Einklang. Eine Kohärenzpflicht ordnet die Vorschrift nur bei der Anwendung des Art. 101 AEUV an.762 Dies ist konsequent, denn allein diese Norm wird aufgrund der dezentralen Anwendung sowohl von der Kommission als auch den nationalen Gerichten angewandt. Die Subsumtion eines identischen Sachverhaltes unter Art. 101 AEUV soll nicht zu divergierenden Ergebnissen führen, die Interpretationshoheit der Kommission gewahrt bleiben. Dem ist genüge getan, wenn dasselbe Verhalten einheitlich als Verstoß gewertet wird. Die Ausführungen zum Verschulden gehören zwar zu den tragenden Gründen der Bußgeldentscheidung.763 Das für die Verhängung einer Geldbuße erforderliche Verschulden ist jedoch nicht Teil des Art. 101 AEUV, sondern ein Tatbestandsmerkmal des Art. 23 VO Nr. 1/2003. Stellen die deutschen Zivilgerichte das Verschulden im Rahmen des § 33 GWB fest, subsumieren sie nicht unter Art. 23 VO Nr. 1/2003, sondern wenden § 276 BGB an. Im Hinblick auf diese Normen kann kein Kohärenzgebot bestehen. Ebendies ist gemeint, wenn zahlreiche Autoren zutreffend betonen, dass kein „Junktim“ zwischen kartellverfahrensrechtlichem und zivilrechtlichem Verschulden besteht.764 Die europäischen und die deutschen Verschuldensvorstellungen decken sich nicht.765 Gleiches gilt, wenn das Bundeskartellamt Art. 101 AEUV anwendet. Auch hier gelten die nationalen Verschuldensmaßstäbe. Folglich steht die abweichende Beurteilung des Verschuldens nicht in Widerspruch

päisches Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2012, Art. 16 Rn. 7; Ollerdißen, in: Wiedemann, HdB. KartellR, 3. Aufl. 2016, § 61 Rn. 25; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 96; Kersting/Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie, 2015, S. 41. 762 Auch die der Norm als Vorbild dienende Entscheidung EuGH, Urt. v. 14. 12. 2000, Rs. C344/98, ECLI:EU:C:2000:689 – Masterfoods, erging zu einem möglichen Zuwiderlaufen im Rahmen der Auslegung des Art. 101 bzw. Art. 102 AEUV. 763 Streng genommen, gehören die Ausführungen nur zu den tragenden Gründen der Bußgeldentscheidung nach Art. 23 VO Nr. 1/2003 und nicht zu den tragenden Gründen der Feststellungsentscheidung nach Art. 7 VO Nr. 1/2003, die Bestandteil einer jeden Bußgeldentscheidung ist. Sofern in der Literatur diese Differenzierung gemacht wird, wird die Feststellungswirkung allein auf die Feststellungsentscheidung bezogen, vgl. die Nachweise in Fn. 732. So auch ausdrücklich die Begründung der Ablehnung bei: Dohrn, Bindungswirkung, 2010, S. 46. 764 Bürger, WuW 2011, 130, 138; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 121 f., der jedoch fälschlicherweise davon ausgeht, dass die Kommission kein individuelles Verschulden der einzelnen Rechtsträger feststellen würde. Dass die Kommission ein Verschulden sämtlicher Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit annimmt, wurde bereits in Teil 2 unter § 5 E. dargelegt. Entscheidend ist jedoch, dass sich der Verschuldensmaßstab nach europäischem Kartellverfahrensrecht und deutschem Zivilrecht unterscheidet. 765 Ebenso: Divivier, Anwendung des EU-Kartellrechts, 2014, S. 415; Schneider, in: Bornkamm/Montag/Säcker, MüKo EuWettbR, Bd. 1, 2. Aufl. 2015, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 9. Zu den kartellverfahrensrechtlichen Verschuldensvoraussetzungen siehe bereits Teil 2 § 5 E.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

zu der Entscheidung der Unionsorgane und stellt damit auch kein „Zuwiderlaufen“ im Sinne des Art. 16 VO Nr. 1/2003 dar.766 Die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches im Falle eines „Verstoßes“ gegen Art. 101 AEUV ist dem nationalen Recht überlassen. Ein Gleichlauf, infolgedessen das nationale Gericht nur über Kausalität und Schadenshöhe zu befinden hätte, ist nicht – auch nicht in Art. 16 VO Nr. 1/2003 – vorgesehen. Nach überwiegend vertretener Ansicht können die Mitgliedstaaten ein eigenes Verschuldenserfordernis aufstellen.767 Dies bestätigt ausdrücklich Erwägungsgrund Nr. 11 der jüngst erlassenen Schadensersatzrichtlinie, nach welchem die Mitgliedstaaten grundsätzlich ein Verschuldenserfordernis vorsehen dürfen.768 Würde man die Bindungswirkung auch auf das Verschulden beziehen, wäre diese Bestätigung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten widersprüchlich.769 Inwiefern dieses nationale Verschuldenserfordernis mit europäischen Vorgaben kollidiert, bestimmt sich – wie nunmehr auch die Schadensersatzrichtlinie betont – allein nach dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz.770 c) Zusammenfassung und Auflösung des Widerspruchs zwischen dem Verschuldenserfordernis und den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes Im Rahmen einer Follow-on-Klage hat das Zivilgericht nach § 286 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 33 Abs. 4 S. 1 GWB davon auszugehen, dass eine adressierte Obergesellschaft einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV begangen hat. Das Verschulden wiederum nimmt weder an der Bindungswirkung des Art. 16 VO Nr. 1/2003 noch des § 33 Abs. 4 GWB teil. Das Verschulden wird nach den nationalen Maßstäben im Rahmen des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes bestimmt. Da in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit keine Mitarbeiter der Obergesellschaft an den wettbewerbswidrigen Handlungen beteiligt waren oder Kenntnis von ihnen hatten, scheidet ein Verschulden aus. 766

Ebenso: Sura, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 2, 12. Aufl. 2014, Art. 16 VO 1/2003 Rn. 6; i.E. ebenso, mit abweichender Begründung: Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 111; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 245. 767 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2/Teil 1, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 49; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 36; Bulst, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 117, 137; Staebe, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 26 ff.; Krohs, in: Busche/Röhling, KK-KartR, 2017, § 33 GWB Rn. 197 ff. 768 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1. 769 Sie käme allein bei Stand-alone-Klagen zum Tragen. 770 Richtlinie 2014/104/EU, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1, Art. 4 und Erwägungsgrund 11.

§ 2 Die Haftung in Deutschland vor der 9. GWB-Novelle

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Kann der Schaden vollständig von der handelnden Tochtergesellschaft ersetzt erlangt werden, steht dies in Einklang mit den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes. Ist dies jedoch nicht der Fall, steht im Ergebnis das sich allein aus dem deutschen Recht ergebende Verschuldenserfordernis einer Haftung der Obergesellschaft entgegen und damit in Widerspruch zu den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes. Der Effektivitätsgrundsatz ist ein allgemeiner Unionsgrundsatz mit Rang von Primärrecht.771 Besteht (zu) restriktives nationales Recht, ist dieses grundsätzlich – soweit möglich – so auszulegen, dass es dem Effektivitätsgrundsatz genügt.772 Ist eine solche Auslegung nicht möglich, dürfen die entgegenstehenden nationalen Vorschriften auf die unionsrechtlich beurteilten Konstellationen nicht angewandt werden.773 In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit kommt eine restriktive Auslegung des Verschuldenserfordernisses nicht in Betracht, da keine Mitarbeiter der Obergesellschaft an dem wettbewerbswidrigen Verhalten mitgewirkt haben. Folglich ist das Verschuldenserfordernis in § 33 Abs. 3 S. 1 GWB im Hinblick auf die Haftung der Obergesellschaft nicht anzuwenden, wenn der Schaden von der handelnden Tochtergesellschaft nicht vollständig ersetzt erlangt werden kann.774 Hieraus folgt eine eng umgrenzte Ausfallhaftung der Obergesellschaft in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit. 2. Stand-alone-Klagen Erheblich schwieriger zu beurteilen sind Stand-alone-Klagen, bei denen der Verstoß der Obergesellschaft gegen das europäische Wettbewerbsrecht nicht bereits aufgrund der Bindungswirkung des Art. 16 VO Nr. 1/2003 bzw. § 33 Abs. 4 GWB für das deutsche Zivilgericht feststeht.775 771

Ohler, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 197 AEUV Rn. 7. Kulms, Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 171; Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, S. 123. 773 Amort, in: Effer-Uhe/Sagan/Deckenbrock, Richterliche Rechtsfortbildung und kodifiziertes Richterrecht, 2016, S. 323, 329; Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Aufl. 2013, S. 109; Kulms, Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 171; Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 1/15, Art. 197 AEUV Rn. 27; Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 460; Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, S. 123; Kamann, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, 2017, § 24 Rn. 3; Seyr, Effet utile, 2008, S. 155 f.; Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 101. 774 Die Entscheidungsbefugnis über die Nichtanwendung liegt bei dem Instanzgericht. Eine Pflicht zur Einbeziehung des EuGH trifft erst das letztinstanzliche Gericht, Art. 267 Abs. 3 AEUV, vgl. Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 151 f. 775 Faktisch sind in diese Kategorie auch Schadensersatzklagen gegen die Obergesellschaft einzuordnen, denen ein Bußgeldverfahren des Bundeskartellamtes vorangegangen ist. Aufgrund des in § 30 OWiG normierten Rechtsträgerprinzips wurde in diesen Verfahren eine Bußgeldverantwortlichkeit der Obergesellschaft verneint, sodass kein Verstoß der Obergesellschaft für das Zivilgericht bindend feststeht. Gleichsam stehen diese Feststellungen einer Schadensersatzklage jedoch auch nicht entgegen, da § 33 Abs. 4 GWB als reine Beweiserleichterung zugunsten des Geschädigten konzipiert ist und keine negative Wirkung entfaltet, 772

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Im zivilrechtlichen Schadensersatzprozess muss der Kläger bezüglich der wettbewerbswidrigen Handlungen den Vollbeweis im Sinne des § 286 ZPO führen.776 Entsprechende Zuwiderhandlungen können aufgrund ihres Geheimnischarakters jedoch in der Regel nur durch behördliche Ermittlungen auf Grundlage von Kronzeugenanträgen festgestellt werden. Wie Inderst und Thomas konstatieren, führt dies dazu, dass dem Stand-alone-Klageverfahren in den hier untersuchten Kartellen kaum praktische Bedeutung zukommt.777 Selbst wenn der Beweis gelingt, begründet dieser nach dem anwendbaren deutschen Recht allein den Verstoß der handelnden Tochtergesellschaft. Das tatsächliche Verhalten kann nur der Tochtergesellschaft zugerechnet werden, die anerkannten Durchgriffskonstellationen sind nicht erfüllt. Kann der Schaden von der handelnden Gesellschaft nicht vollständig ersetzt erlangt werden, stehen folglich die Zurechnungsregeln bzw. allgemein der Trennungsgrundsatz einer Haftung der Obergesellschaft und damit den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes entgegen. Entsprechend sind die nationalen Gerichte auch in diesem Fall verpflichtet, das (zu) restriktive deutsche Recht so auszulegen, dass das primäre Ziel der Effektivität des materiellen Unionsrechts gesichert wird.778 Äußerste Grenze bildet das Verbot einer Auslegung contra legem.779 a) Analoge Anwendung des § 31 BGB Um eine Haftung der Obergesellschaft zu begründen, scheint es zunächst naheliegend, der Obergesellschaft das Verhalten der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft zuzurechnen. So deutet etwa Jüchser an, dass sich unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise mittels analoger Anwendung des § 31 BGB eine Haftung der Obergesellschaft begründen lassen könnte.780 Nach dem von Frankreich geprägten Verständnis unterscheidet der EuGH – anders als die deutsche Methodenlehre – nicht zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung, sodass die unionskonforme Auslegung auch die Rechtsfortbildung, mithin vgl. Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 75; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, S. § 33 Rn. 42; Mäsch, in: Berg/Mäsch, Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, § 33 GWB Rn. 90; Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 253. 776 Siehe hiezu beispielhaft: Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 144 ff.; ausführlich: Stock, Schadensnachweis, 2016, S. 131 ff. 777 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 104. 778 Vgl. die Nachweise in Fn. 772. 779 Galetta, in: Schwarze, Der Rechtsschutz vor dem Gerichtshof der EU nach dem Vertrag von Lissabon, Beiheft Europarecht 1/2012, S. 37, 43; Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/ Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 4 EUV Rn. 118. 780 Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 180 – er vertieft diese Überlegung nicht weiter, da nach seiner Auffassung der deutsche Gesetzgeber in § 33 GWB bereits die Distanzierungsobliegenheit verletzt haben soll. Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 B. III. 1. d).

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auch die Bildung von Analogien, umfasst.781 Die Grenze der unionskonformen Auslegung wird durch das Verbot des Contra-legem-Judizierens gezogen. Hierbei ist vorrangig der Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, da die Rechtsfortbildung gerade den Wortlaut der Norm überschreitet.782 Die genaue Grenzziehung ist jedoch bereits im rein nationalen Kontext umstritten. Mögliche Bezugspunkte sind der erkannte historische Wille des Gesetzgebers sowie die historische bzw. die dynamisch aktualisierte Wertentscheidung des Gesetzgebers.783 Vorzugswürdig scheint ein objektives Verständnis der Wertentscheidung, die im Zweck des Gesetzes zum Ausdruck kommt.784 Die bestehende Lücke darf jedenfalls nicht in Widerspruch zu der im Gesetz zum Ausdruck gebrachten, aktuell-gegenwartsbezogen fortgeschriebenen Wertungsentscheidung geschlossen werden.785 Zur Ermittlung der historischen Wertentscheidung des Gesetzgebers sind die Gesetzgebungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien zu betrachten.786 In seiner tiefgreifenden Untersuchung der Historie des § 31 BGB hat Kleindiek zutreffend herausgearbeitet, dass die Vorschrift des § 31 BGB auf einem im 19. Jahrhundert entwickelten richterrechtlichen Rechtssatz beruht: Ein organschaftlich verwaltetes Sondervermögen darf nicht nur die Vorteile aus der Verwaltung ziehen, sondern muss zugleich für das drittschädigende Verhalten seiner Vertretungsorgane haften.787 Diese tragenden Gründe waren bestimmendes Motiv für die Aufnahme des § 31 BGB in das Gesetzbuch.788 Nach den Protokollen der zweiten Kommission sollte die Norm die „Haftung der Körperschaft […] regeln, welche auf dem besonderen Verhältnisse [sic!] derselben zu ihren Organen beruh[t]“.789 Nimmt man, um Rückschlüsse auf die fortgeschriebene Wertentscheidung zu ziehen, die anerkannten Analogien für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und die Personenhandelsgesellschaften in den Blick, zeigt sich, dass sie sämtlich dieses Grundprinzip übertragen. Insbesondere im Rahmen der anerkannt weiten Auslegung des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ sowie der Lehre vom Organisationsmangel kommt der Repräsentationsgedanke zum Ausdruck. Auch im Hinblick auf die Zurechnung des Verhaltens eines Doppelorgans, das parallel bei mehreren Gesellschaften bestellt ist, hat der BGH 781 Vgl. Möllers, EuR 1998, 20, 44; Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 81 f.; BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, Az. VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427, 428. 782 Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 94; vgl. auch: BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, Az. VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427, 428. 783 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 258. 784 Vgl. auch die Zusammenfassung der Rechtsprechung und der wesentlichen im Schrifttum vertretenen Ansichten bei: Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 289 ff. 785 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 258, 233 ff.; Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 92 ff. und Fn. 200. 786 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 231. 787 Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 207 ff.; 264; 265 f.; ebenso: Martinek, Repräsentantenhaftung, 1979, S. 44. 788 Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 264. 789 Mugdan I, S. 619, 1. Absatz – zu § 46 E I, nunmehr § 31 BGB.

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ausgeführt, dass die in § 31 BGB normierte haftungsrechtliche Zurechnung an die Fähigkeit des Organs anknüpft, für die juristische Person zu handeln.790 Die Einstandspflicht der juristischen Person setze voraus, dass das Organ in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis gehandelt habe.791 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Zurechnung der Handlungen der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft an die Obergesellschaft nicht auf eine analoge Anwendung des § 31 BGB gestützt werden kann. Allenfalls ließe sich argumentieren, dass die Pflichten, gegen welche die Mitarbeiter der Tochtergesellschaft verstoßen, nach Art. 101 AEUV das Unternehmen adressieren, mithin auch die Obergesellschaft umfassen. § 31 BGB knüpft jedoch nicht an den Pflichtenkreis, sondern an die Repräsentation und den Wirkungskreis des Handelnden an. Maßgeblich ist, dass die handelnde Person den Zurechnungsadressaten im Rechtsverkehr repräsentiert.792 Die Organe und Mitarbeiter leiten ihre Befugnisse jedoch aus der Organisationsstruktur der Tochter- und nicht der Obergesellschaft ab. Wollte man § 31 BGB wie vorbeschrieben ausdehnen, stünde dies in Widerspruch zu der in der Norm zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung und stellte sich folglich als Rechtsfortbildung contra legem dar. Noch verhältnismäßig wenig ist die Frage im Schrifttum diskutiert, ob diese allgemeinen Methoden und ihre Grenzen überhaupt unverändert auf die unionsrechtsgebotene Rechtsfortbildung übertragen werden können.793 Unveränderliche Grenze jeglicher Rechtsfortbildung bilden die verfassungsrechtliche Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) sowie die Funktionsabgrenzung zwischen Judikative und Legislative. Der Richter darf nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten. Im Kontext der unionskonformen Rechtsfortbildung ist jedoch zu beachten, dass Art. 23 Abs. 1 GG die nationale Rechtsordnung für das Unionsrecht bis zu den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG geöffnet hat.794 Entsprechend schlagen Stimmen in der Literatur vor, die Grenzen vor diesem Hintergrund neu zu bestimmen.795 Auch wenn an dieser Stelle nicht sämtliche Einzelheiten der Einwirkungen auf die nationale Methodenlehre gewürdigt werden können, bleibt Herresthal darin zuzustimmen, dass der nationale Richter im Rahmen 790 BGH, Urt. v. 14. 01. 2014, Az. VI ZR 469/12, Rn. 10 m.w.N.; BGH, Urt. v. 2. 12. 2014, Az. VI ZR 520/13, Rn. 17; BGH, Urt. v. 14. 10. 2014, Az. VI ZR 465/13, Rn. 13. 791 BGH, Urt. v. 14. 01. 2014, Az. VI ZR 469/12, Rn. 10 m.w.N.; BGH, Urt. v. 2. 12. 2014, Az. VI ZR 520/13, Rn. 17; BGH, Urt. v. 14. 10. 2014, Az. VI ZR 465/13, Rn. 13. 792 Vgl. BGH, Urt. v. 3. 05. 2007, Az. IX ZR 218/05, NJW 2007, 2490, 2491; BGH, Urt. v. 30. 10. 1967, Az. VII ZR 82/65, NJW 1968, 391, 392. 793 Vgl. den knappen Überblick bei: Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 300 f. Grundsätzlich erkennt der EuGH die nationale Contra legem-Grenze an: EuGH, Urt. v. 4. 07. 2006, Rs. C-212/04, ECLI:EU:C:2006:443 – Adeneler u. a., Rn. 110 – jedoch ist gerade deren Bestimmung umstritten. 794 Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 165. 795 Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 301 ff.; zustimmend: Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 165 f.

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der unionskonformen Rechtsfortbildung nicht seine Wertvorstellungen an die des nationalen Gesetzgebers setzt, sondern die Wertentscheidungen des Unionsgesetzgebers umsetzt, dem grundsätzlich auch die nationale Legislative verpflichtet ist.796 Werden Analogien gebildet, ist dies bei der Beurteilung der Wertungsähnlichkeit des geregelten und des ungeregelten Sachverhaltes zu berücksichtigen. Die Gleichbehandlung wird durch die aus dem Unionsrecht folgende Rechtsetzungspflicht vorgeschrieben.797 Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass eine Norm herangezogen wird, die allein eine „geeignete“ Rechtsfolge aufweist, in ihrem Regelungsgegenstand jedoch vollkommen divergiert.798 Die Rechtsfindung darf nicht zu einer Denaturierung von Normen des nationalen Rechts führen, indem diese Funktionen übernehmen, die ihnen nach der geltenden Rechtsordnung nicht beigemessen werden.799 Andernfalls würde die Grenze zwischen den Gewalten verschwimmen. Wenn wie im vorliegend diskutierten Fall die nationale Norm nicht konform mit ihrem bisherigen nationalen Telos übertragen werden kann, scheidet eine Analogie daher selbst dann aus, wenn die Rechtsfolge unionsrechtlich geboten ist.800 b) Gesamtanalogie Einen weiteren Ansatzpunkt, um die Haftung der Obergesellschaft zu begründen, könnte eine Gesamtanalogie zu § 14 Abs. 7 MarkenG, § 8 Abs. 2 UWG und § 99 UrhG bilden.801 Im Rahmen einer Gesamtanalogie wird den gesetzgeberischen Wertentscheidungen mehrerer Normen ein gemeinsamer Grundgedanke entnommen, der auch auf den zu regelnden Sachverhalt zutrifft und der es daher rechtfertigt, die übereinstimmende Rechtsfolgeanordnung auf diesen zu übertragen.802 Sämtliche vorbenannten Vorschriften begründen eine Erfolgshaftung des Unternehmensinhabers für Verstöße seiner Beauftragten, wobei von dem Begriff des Beauftragten auch Tochtergesellschaften in einem Konzernverbund erfasst werden können.803 Entsprechend könnte ihnen der Grundgedanke entnommen werden, dass sich der Un796 Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 312 ff.; ebenfalls zustimmend: Kruis, Anwendungsvorrang, 2013, S. 165 f. 797 Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 336. 798 Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 336 f. 799 Vgl. Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 97, im Hinblick auf die richtlinienkonforme Rechtsfindung. 800 Vgl. Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 336. 801 Vgl. hierzu auch: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 192 ff. (i.E. ablehnend). Ebenfalls ablehnend, mit abweichender Begründung: Leffrang, Passivlegitimation, 2014, S. 215 ff. 802 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 310. 803 Vgl. BGH, Urt. v. 5. 04. 1995, Az. I ZR 133/93, GRUR 1995, 605, 607; BGH, Urt. v. 7. 04. 2005, Az. I ZR 221/02, GRUR 2005, 864, 864 f.; Mansdörfer/Timmerbeil, WM 2004, 362, 369; Buxbaum, GRUR 2009, 240, 244.

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ternehmensinhaber, dem die Geschäftstätigkeit seiner Beauftragten zugute kommt, im Haftungsfall nicht hinter den von ihm abhängigen Dritten verstecken können soll.804 Einer Gesamtanalogie steht jedoch entgegen, dass die Normen keine übereinstimmende Rechtsfolgeanordnung treffen. Gemein ist allen Normen lediglich, dass der Unterlassungsanspruch gegen den Inhaber gerichtet werden kann. Allein das Markengesetz sieht darüber hinaus eine Haftung für Schadensersatzansprüche vor. Ein gemeinsamer Grundgedanke, nach dem der Inhaber auch für Schadensersatzansprüche einzustehen hat, kann daher den Normen gerade nicht entnommen werden. Eine Gesamtanalogie scheidet folglich aus. c) Vermutungslösung Einen anderen Ansatz wählt Wurmnest.805 Er überträgt die Rechtsprechung des EuGH durch die Annahme einer doppelten Vermutung auf die privatrechtliche Haftung der Obergesellschaft. Ist die Obergesellschaft zu 100 % an ihrer Tochtergesellschaft beteiligt, soll – orientiert an den Grundsätzen des EuGH in dem Urteil Akzo Nobel806 – aufgrund dessen ihre bestimmende Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft als eigene Tatbeteiligung vermutet werden.807 Gleichsam begründe diese Beteiligung die Vermutung, dass die Obergesellschaft diesbezüglich auch schuldhaft gehandelt habe.808 Im Schrifttum setzen sich nur wenige Stimmen mit diesem Vorschlag auseinander.809 Kersting ist diesem Ansatz mit dem Argument entgegengetreten, dass auf diese Weise keine Haftung der Tochtergesellschaft für die Verstöße der Obergesellschaft begründet werden könnte.810 Dieses Gegenargument kann jedoch schon deshalb nicht überzeugen, weil – wie die Untersuchung der Fallgruppen der wirtschaftlichen Einheit gezeigt hat – die unbeteiligte Tochtergesellschaft auch nach dem europäischen Konzept nicht für einen Verstoß der Obergesellschaft haftet.811 804 So ausdrücklich zu § 14 VII MarkenG unter Betonung der Parallele zu § 8 II UWG: BGH, Urt. v. 7. 10. 2009, Az. I ZR 109/06, GRUR 2009, 1167, 1170. Für alle drei Vorschriften ebenso: Renner/Schmidt, GRUR 2009, 908, 908; 912. 805 Ihm folgend: Kahle, Leistungskondiktion als Alternative, 2013, S. 85 f.; tendenziell auch: Ackermann, ZWeR 2010, 329, 343 – jedoch wird bei Ackermann nicht deutlich, ob er sich allgemein für eine Haftung der Obergesellschaft ausspricht oder explizit den Lösungsansatz von Wurmnest befürwortet. 806 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 60. 807 Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 49. 808 Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 49. 809 Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 224; tendenziell ablehnend auch das LG Berlin, Urt. v. 6. 08. 2013, Az. 16 O 193/11 Kart, Rn. 80 (Juris). 810 Kersting, Der Konzern 2011, 445, 457. 811 Vgl. hierzu Teil 2 § 6.

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Klotz und Jüchser wiederum kritisieren, dass es sich bei dem vorgeschlagenen Lösungsweg nicht um einen echten Rezeptionsansatz der wirtschaftlichen Einheit handle, da ein eigener Verstoß der Obergesellschaft begründet werde.812 Damit werde der Grundgedanke der in der Entscheidung Akzo Nobel konturierten Haftung verkannt.813 Dieser von Klotz und Jüchser artikulierte Vorwurf beruht jedoch auf einer Fehlvorstellung von den Wirkungen des Effektivitätsgrundsatzes. Besteht aufgrund eines Konflikts mit dem Effektivitätsgrundsatz eine Lücke im nationalen Recht, ist diese zu schließen. Hierbei ist der nationale Richter bis zu der Contra-legem-Grenze frei. Aus dem Effektivitätsgrundsatz folgt allein die Vorgabe eines bestimmten Ergebnisses, die Begründung dieses Ergebnisses obliegt dem Rechtsanwender. Trotz allem erweist sich als problematisch, dass der von Wurmnest vorgeschlagene Ansatz auf Grundlage der Einflussnahme von einem eigenen Verstoß der Obergesellschaft ausgeht. In sämtlichen Konstellationen unterhalb einer Beteiligung von 100 % könnte nicht auf die Vermutung zurückgegriffen werden.814 Der hierdurch wiederum erforderlich werdende Nachweis einer Einflussnahme auf das wettbewerbswidrige Verhalten könnte regelmäßig nicht geführt werden, da eine solche in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit in der Regel nicht gegeben ist. Wollte man in diesem Zusammenhang für den eigenen Verstoß der Obergesellschaft eine allgemeine Einflussnahme auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft genügen lassen, würden gleichsam die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 101 AEUV modifiziert.815 An dieser Stelle wirkt sich aus, dass der Ansatz von Wurmnest nicht mit dem Konzept der Unionsorgane übereinstimmt. Nach dem europäischen Konzept begründet die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft – unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung – die wirtschaftliche Einheit. Die allein aufgrund tatunabhängiger Kriterien mit der handelnden Gesellschaft verbundene Obergesellschaft begeht selbst keine tatbestandsmäßige Beteiligungshandlung.816 Sie haftet daher auch nicht aufgrund einer irgendwie gearteten

812 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 181; Jüchser, Die Beteiligung am Kartell, 2014, S. 175. 813 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 182. 814 Ebenso: Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 182, nach dessen Auffassung der Ansatz auch für nahezu 100-%-Beteiligungen gelten könnte. Dem ist nicht zuzustimmen. Eine Grenzziehung ist der europäischen Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Sollte man eine derart weitgehende Vermutung durch richterliche Rechtsfortbildung als zulässig erachten, müsste diese jedenfalls aus Gründen der Rechtssicherheit auf 100-%-Beteiligungen begrenzt werden. Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 49 bezieht sich selbst ebenfalls allein auf 100-%-ige Tochtergesellschaften. 815 Dies entspräche dem Spiegelbild des Ansatzes von Wurmnest, wonach die Vermutung dadurch widerlegt werden könnte, dass nachgewiesen wird, dass auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft kein Einfluss genommen worden ist, vgl. Wurmnest, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, 2012, S. 27, 49. 816 Vgl. hierzu bereits Teil 2 § 5 B. III.

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unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung, Anstiftung oder Beihilfe.817 Die Obergesellschaft haftet für den Verstoß des Unternehmens, der auf dem Verhalten der Tochtergesellschaft beruht. Verkürzt haftet die Obergesellschaft mithin für das Verhalten der Tochtergesellschaft. Greift die von Wurmnest vorgeschlagene Vermutung nicht, könnte nach deutschem Recht auf dieser Grundlage kein Verstoß der Obergesellschaft begründet werden. d) Art. 101 Abs. 1 AEUV Lässt sich der unionsrechtskonforme Zustand nicht auf Grundlage des nationalen Rechts durch die anerkannten Argumentationsfiguren der Analogie, der teleologischen Extension bzw. Reduktion herstellen, könnte die Lücke durch den Rückgriff auf die Unionsregelung selbst oder die der Regelung zugrunde liegende Wertung zu schließen sein.818 Die Unionsorgane begründen die Zuordnung der Verantwortlichkeit an die Obergesellschaft mit der weiten Auslegung des Unternehmensbegriffs und stellen damit im Kern auf Art. 101 Abs. 1 AEUV ab. Auf den ersten Blick naheliegend wäre daher, die Zuordnung des Verhaltens der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft an die Obergesellschaft auf Art. 101 Abs. 1 AEUV zu stützen, wie dies Blome und Meessen bereits allgemein befürworten, wenn eine wirtschaftliche Einheit besteht.819 Ergänzend ließe sich argumentieren, dass auch in den Follow-onKonstellationen der bindend feststehende Verstoß und damit die Zuordnung des Verhaltens faktisch auf Art. 101 Abs. 1 AEUV beruhen. Grundvoraussetzung für eine identische bzw. eine systemkonform modifizierte Übertragung der Norm in das nationale Recht wäre aber, dass der Unionsnorm die zur Lückenfüllung benötigte Regelung zu entnehmen ist.820 Art. 101 Abs. 1 AEUV normiert jedoch keine Voraussetzungen, unter denen ein Verhalten einem Rechts817

Ebenso: Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 147 f.; Braun/Kellerbauer, NZKart 2015, 175, 176; Kellerbauer, WuW 2014, 1173, 1175. 818 Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 90, im Hinblick auf die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Ablehnend: Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 246 f., der stattdessen die Kategorien der judikativen Rechtsfortbildung fortentwickelt, S. 233 ff. Die hier untersuchte Lücke lässt sich jedoch auch mit dieser modifizierten Methodik nicht schließen. 819 Vgl. hierzu bereits Teil 3 § 2 B. III. 1. b). Blome, Rechtsträgerprinzip, 2016, S. 347 f.; 356 f.; Meeßen, Anspruch auf Schadensersatz, 2011, S. 388 f., der sogar die Verschuldenszurechnung auf Art. 101 Abs. 1 AEUV stützen will, S. 394. Nicht ausdrücklich, jedoch wohl auch für eine Zurechnung des Verhaltens auf Grundlage des Art. 101 Abs. 1 AEUV: Bulst, Schadensersatzansprüche, 2006, S. 231 f. Thomas hat seine frühere Ansicht inzwischen aufgegeben, vgl. Fn. 419. 820 Vgl. Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 90; 99 im Hinblick auf die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Im Ergebnis auch: Armbrüster/Kämmerer, NJW 2009, 3601, 3603: In Frage stand die Länge der Verjährungsfrist des unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruchs wegen der Verletzung von Unionsrecht. Vorgeschlagen wurde hier eine Analogie zu Art. 46 der Satzung des Gerichtshofes, wonach die aus außervertraglicher Haftung der Union hergeleiteten Ansprüche ausdrücklich in fünf Jahren nach Eintritt des Ereignisses, das ihnen zugrunde liegt, verjähren.

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träger zugerechnet werden kann, sondern qualifiziert bestimmte Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen als wettbewerbswidrig. Allein durch die Anwendung des Art. 101 AEUV kann die Lücke im deutschen Recht daher nicht geschlossen werden. Wollte man eine Analogie in Betracht ziehen, scheitert diese demnach bereits daran, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV keine gesetzliche Regel entnommen werden kann, die auf einen ungeregelten, ähnlichen Tatbestand übertragen werden könnte. Genau betrachtet, kann die unmittelbare oder analoge Heranziehung des Art. 101 Abs. 1 AEUV im deutschen Zivilrecht keine Verhaltenszurechnung begründen, da es sich bei der wirtschaftlichen Auslegung des Unternehmensbegriffs durch den EuGH und der hieraus abgeleiteten Fiktion der Handlung bei der Obergesellschaft bereits selbst um eine Rechtsfortbildung821 des Gerichtshofes handelt. Dies vergegenwärtigt wird deutlich, dass es sich bei einem Rückgriff auf Art. 101 Abs. 1 AEUV, um im deutschen Recht eine zivilrechtliche Verhaltenszurechnung zu begründen, tatsächlich ebenfalls um eine Fortbildung des Unionsrechts durch den nationalen Rechtsanwender handeln würde. Dementsprechend fragt sich, ob eine entsprechende Fortbildung des Art. 101 Abs. 1 AEUV zulässig wäre. Grundsätzlich ist der nationale Rechtsanwender, wenn er Unionsrecht vollzieht, auch zur Rechtsfortbildung befugt.822 Hierbei gelten nicht die nationalen Grenzen, sondern die Grundsätze und Regeln, wie sie durch den EuGH für die Rechtsfortbildung des Unionsrechts entwickelt worden sind.823 Der entscheidende Unterschied in der untersuchten Konstellation ist jedoch, dass nicht Art. 101 Abs. 1 AEUV vollzogen, sondern das aus der Norm abgeleitete Recht auf Schadensersatz nach den nationalen Vorschriften gewährleistet wird. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist selbst nicht einschlägig. Allein da der nationale Rechtanwender durch die nationale Grenze des Contra-legem-Judizierens sich an der Umsetzung des durch den Effektivitätsgrundsatz gebotenen Ergebnisses gehindert sieht, wird der Blick auf Art. 101 Abs. 1 AEUV gerichtet. Damit wird eine Norm, die den eigentlichen Fall nicht regelt, erst aus eigenem Entschluss für anwendbar erklärt und das gewünschte Ergebnis sodann im Wege der Rechtsfortbildung gewonnen. Gerade der Unternehmensbegriff, der einzige Anknüpfungspunkt für die in der Praxis der Unionsorgane entwickelten Vorgaben, findet im deutschen Recht keine Entsprechung. Damit wird deutlich, dass der Rückgriff auf Art. 101 Abs. 1 AEUV lediglich als Hülle dient, um ein Ergebnis zu begründen, ohne dass eine eigentliche Rückkoppelung zu der Norm besteht. Für eine systemkonforme Integration würde vielmehr eine eigene Regelformulierung durch den deutschen Rechtsanwender erforderlich.

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So auch die Schlussfolgerung von Karsten, Rechtsstaatliches Defizit, 2017, S. 58. Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. 2015, S. 627. 823 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. 2015, S. 627; vgl. Frenz, Wirkungen und Rechtsschutz, 2010, S. 121 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 216 ff. 822

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Durch den Rückgriff auf Art. 101 AEUV und die Fortbildung des Unionsrechts würden im Ergebnis die im nationalen Recht für die Rechtsfortbildung bestehenden Grenzen umgangen. Dies würde zu einer Verschiebung der innerstaatlichen Kompetenzordnung führen. Für eine derartige Modifikation sehen die Verträge der Union keine Ermächtigung vor.824 Gleichsam würden durch die eigenständige Rechtsfortbildung die Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendbarkeit von Unionsnormen – eine eindeutige, klare und unbedingte Regelung – obsolet. Art. 101 Abs. 1 AEUV würde eine Funktion beigemessen, die ihm nach den Verträgen nicht zukommt. Der auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigende Grundsatz der Rechtssicherheit, der zu den traditionellen Prinzipien des Unionsrechts gehört, wäre verletzt, wenn auf Art. 101 Abs. 1 AEUV zurückgegriffen und durch Rechtsfortbildung eine zivilrechtliche Verhaltenszurechnung begründet würde. e) Durchgriffshaftung Kommt eine (Gesamt-)Analogie zu nationalen oder unionsrechtlichen Normen und damit eine unionskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht in Betracht, bleibt zuletzt die Möglichkeit, den Konflikt mit dem Effektivitätsgrundsatz durch die Nichtanwendung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatzes aufzulösen. Würde in den weit überwiegenden Konzernstrukturen, in denen die Tochtergesellschaft die Rechtsform einer GmbH hat, § 13 Abs. 2 GmbHG nicht angewandt, ließe sich ein Anspruch gegen die Obergesellschaft analog § 128 Abs. 1 HGB begründen. Einem solchen Lösungsansatz könnte entgegengehalten werden, dass allen von der Rechtsprechung anerkannten Durchbrechungskonstellationen ein subjektiv missbräuchliches Verhalten zugrunde liegt. Das Konzept der Unionsorgane lässt hingegen allein die Vorstellung anklingen, dass im Falle bestehender Einwirkungsbefugnisse auch Einfluss auf das wettbewerbswidrige Verhalten genommen worden, eine Dokumentation jedoch aufgrund der Rechtswidrigkeit der Handlung unterblieben ist. Die Einflussnahme auf das wettbewerbswidrige Verhalten kann und muss gerade nicht nachgewiesen werden, sodass es sich im Falle eines Durchgriffs in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit um eine Zustandshaftung handeln würde. Richtig ist insofern, dass sich ein derartiger Durchgriff nicht in die bestehenden Fallgruppen einfügt.825 Besteht jedoch ein Konflikt mit dem Effektivitätsgrundsatz, ist dies auch nicht erforderlich. Der nationale Rechtsanwender ist zur Gewährleistung des effektiven Vollzugs des Unionsrechts verpflichtet. Den sachlichen Grund, um den Durchgriff ausnahmsweise anzuerkennen, bildet allein die Effektivität der Normdurchsetzung im Interesse des Wettbewerbs.826 Die 824

Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. 2, 3. Aufl. 2012, S. 163. Vgl. hierzu bereits Teil 3 § 2 B. VI. 826 Vgl. auch: Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 161 f., im Hinblick auf die Ausweitung der Anspruchsberechtigung, die der effektiven Normdurchsetzung durch privatrechtliche Verhaltenssteuerung dient. 825

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materielle Rechtfertigung beruht auf der aus dem Unionsrecht folgenden Rechtsetzungspflicht.827 Demnach hat der Rechtsanwender, sofern der Schaden nicht vollständig von der Tochtergesellschaft erlangt werden kann, zu prüfen, ob zwischen der Tochter- und der Obergesellschaft die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH vorliegen. Für diese Prüfung gelten die Maßstäbe des deutschen Rechts. Die im Unionsrecht entwickelten Vermutungen sind nicht unmittelbar anwendbar. An dieser Stelle sei klargestellt, dass der Kläger keinen Verstoß der Obergesellschaft, sondern allein die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft nachzuweisen hat. Hierfür maßgeblich sind die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zwischen den Gesellschaften. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung können Indizien und Erfahrungssätze herangezogen werden.828 Die Ausübung des Einflusses muss sich lediglich auf die allgemeine Betriebsführung bzw. Unternehmenspolitik, nicht auf das eigentliche wettbewerbswidrige Verhalten beziehen. Steht mit der für § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit die fehlende Autonomie der handelnden Gesellschaft in diesem Sinne fest, ist § 13 Abs. 2 GmbHG nicht anzuwenden.829 Aus der Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG folgt jedoch noch nicht die Haftung der Obergesellschaft. Der Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz kann allein durch die Nichtanwendung der entgegenstehenden nationalen Norm nicht behoben werden. Mithin folgt aus dem Effektivitätsgrundsatz eine Rechtsetzungspflicht, welche die Schließung der durch die Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG entstandenen systemwidrigen Regelungslücke anordnet.830 Für derartige Konstellationen sind die Folgen eines Verstoßes noch nicht abschließend geklärt. Auch der EuGH hat noch keine verallgemeinerungsfähige Aussage dafür getroffen, welches Recht in dem Zeitraum bis zu einer gesetzgeberischen Entscheidung anwendbar ist.831 Die wenigen Stellungnahmen in der Literatur sprechen sich allgemein 827

Vgl. Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 187. Vgl. hierzu auch im Bußgeldverfahren nunmehr BT-Drs. 18/10207, S. 90. 829 Aufgrund der punktuellen Vorgabe des Effektivitätsgrundsatzes ist die Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG auf die Schadensersatzanspruche der kartelldeliktischen Gläubiger gegenüber der Obergesellschaft beschränkt. Gegenüber sonstigen Gläubigern der Tochtergesellschaft kann sich die Obergesellschaft weiterhin auf § 13 Abs. 2 GmbHG berufen. Sollten weitere Minderheitsgesellschafter an der Tochtergesellschaft beteiligt sein, die nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit sind, findet zu ihren Gunsten ebenfalls weiterhin § 13 Abs. 2 GmbHG Anwendung. Alternativ könnte erwogen werden, den Durchgriff auf Grundlage des § 242 BGB zu beschränken, vgl. Emmerich, in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 13 Rn. 122. Zu der Beschränkung der Durchgriffshaftung auf Gesellschafter mit beherrschendem Einfluss, vgl. BGH, Urt. v. 13. 04. 1994, Az. II ZR 16/93, NJW 1994, 1801, 1802. 830 Vgl. zur Rechtsetzungspflicht im Hinblick auf systemwidrige Regelungslücken: Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 239. 831 Kulms, Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 175. In Einzelfällen hat der EuGH die bestehende Lücke selbst geschlossen, indem er eine unionskonforme Regelung bestimmt bzw. dem vorlegenden Gericht konkrete Vorgaben zur Anwendung des nationalen Rechts gemacht hat, 828

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

dafür aus, dass die nationalen Gerichte eine angemessene Regelung zu bestimmen haben, welche die Durchsetzung der unionsrechtlich begründeten Rechte nicht unmöglich macht oder übermäßig erschwert.832 Zu diesem Zweck sind unter Rückgriff auf die unionsrechtlichen Wertungen geeignete Analogien zu bilden oder allgemeine Rechtsgrundsätze heranzuziehen.833 Wird die Lücke durch den Rechtsanwender geschlossen, muss er hierbei die aus dem Unionsrecht folgenden Vorgaben umsetzen. In den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit gebietet das Unionsrecht eine punktuelle Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes allein zugunsten der kartelldeliktischen Schadensersatzgläubiger und damit eine Außenhaftung der Obergesellschaft. Mit § 128 HGB ist eine Norm in der deutschen Rechtsordnung verankert, die im Ergebnis zu einer unmittelbaren Außenhaftung der Obergesellschaft führt und damit den aus dem Unionsrecht folgenden Vorgaben entspricht. Bereits nach rein nationalem Verständnis besteht eine Wertungsähnlichkeit zwischen der Obergesellschaft, die sich nicht auf den Schutz des § 13 Abs. 2 GmbHG berufen kann und der Stellung und Haftung des OHG-Gesellschafters. Die Außenhaftung des Gesellschafters stellt das Grundprinzip deutscher Handelsgesellschaften dar.834 So formuliert der Bundesgerichtshof, dass, wenn dem GmbH-Gesellschafter – mithin der Obergesellschaft – der Schutz des Trennungsprinzips zu versagen ist, er so zu behandeln ist, als wäre das von der GmbH betriebene Handelsgeschäft ohne Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen geführt worden.835 Eine solche Außenhaftung wird namentlich in den Konstellationen der Vermögensmischung und sonstigen besonders gelagerten Ausnahmefällen trotz des höchstrichterlichen Rechtsprechungswandels im Hinblick auf die (Innen-)Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs weiterhin für möglich erachtet.836 Wird die Wertungsähnlichkeit des geregelten und des vgl. EuGH, Urt. v. 7. 09. 2006, Rs. C-526/04, ECLI:EU:C:2006:528 – Laboratoires Boiron, Rn. 55; EuGH, Urt. v. 24. 09. 2002, Rs. C-255/00, ECLI:EU:C:2002:525 – Grundig Italiana, Rn. 40 f. 832 Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, S. 123; Kulms, Effektivitätsgrundsatz, 2013, S. 176; Nettesheim, in: GS Grabitz, 1995, S. 447, 461. Ausführlich zu den Kompetenzen, die den nationalen Gerichten aufgrund der europäischen Vorgaben zuwachsen und der Abgrenzung der übrigen Gewalten: Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 171 ff., 183 ff. 833 Amort, in: Effer-Uhe/Sagan/Deckenbrock, Richterliche Rechtsfortbildung und kodifiziertes Richterrecht, 2016, S. 323, 329; Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 1/15, Art. 197 AEUV Rn. 27. Vgl. auch: Armbrüster/ Kämmerer, NJW 2009, 3601, 3603. 834 Bitter, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 13 Rn. 126. 835 Vgl. BGH, Urt. v. 14. 11. 2005, Az. II ZR 178/03, NJW 2006, 1344, 1345 f. unter Verweis auf: BGH, Urt. v. 16. 09. 1985, Az. II ZR 275/84, NJW 1986, 188, 188. 836 BGH, Urt. v. 16. 07. 2007, Az. II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, Rn. 27; 33. Eine Innenhaftung auf Grundlage von § 826 BGB kommt nicht in Betracht, da die Durchbrechung nicht zum Schutz des im Gläubigerinteresse gebundenen Vermögens geboten ist. Es geht um die Durchsetzung des unionsrechtlich vorgegebenen Rechts auf Schadensersatz, um den Erhalt der

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ungeregelten Sachverhaltes beurteilt, ist daneben zu berücksichtigen, dass der nationale Normanwender nicht seine Wertvorstellungen an die des nationalen Gesetzgebers setzt, sondern die Wertentscheidungen des Unionsgesetzgebers umsetzt. Vorliegend wird die Gleichbehandlung der Konstellationen durch die Rechtsetzungspflicht vorgeschrieben und beruht auf der durch den EuGH konkretisierten rechtspolitischen Entscheidung des Unionsgesetzgebers.837 Um das unionsrechtlich vorgegebene Ergebnis zu erreichen, ist der Schadensersatzanspruch demnach analog § 128 HGB gegen die Obergesellschaft zu richten. Anders als bei der zuvor diskutierten analogen Anwendung des § 31 BGB wird § 128 HGB systemkonform herangezogen. Die Norm wird nicht zu einem aliud, ihr wird keine abweichende Funktion zugewiesen. Der Gesellschafter, dem der Schutz des Trennungsgrundsatzes nicht zugutekommt, haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Einen weiteren Prüfstein für den vorbenannten Lösungsweg bildet das Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG), respektive der Vertrauensschutz. Durfte die Obergesellschaft mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse in einer Abwägung mit den Belangen des Gläubigers und den Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, läge im Falle einer Haftung ein Eingriff in rechtlich geschützte Positionen vor.838 Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, denn die Begründung einer Durchgriffshaftung hält sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung. Die Auswirkungen des unionsrechtlich begründeten Rechts auf Schadensersatz auf die Passivlegitimation der unbeteiligten Obergesellschaft im Zivilprozess sind seit der grundlegenden EuGH-Entscheidung Courage im Jahr 2001 im deutschen Schrifttum umstritten.839 Gerade im Hinblick auf eine mögliche Insolvenz der Tochtergesellschaft ist eine allgemeine Haftungsbeschränkung auf diese verneint worden. Insbesondere in den Konstellationen, in denen die Durchsetzung des Rechts auf Schadensersatz wegen des Trennungsgrundsatzes unmöglich gemacht und damit die durch den Effektivitätsgrundsatz gezogene Grenze überschritten wird, ist eine Unvereinbarkeit der Haftungsbeschränkung mit dem Unionsrecht umso deutlicher. Eine aufgrund eines Durchgriffs haftende Obergesellschaft konnte mithin nicht auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtslage vertrauen, sodass ihre Belange nicht überwiegen. Im Ergebnis gebietet der Effektivitätsgrundsatz die Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG und die Haftung der Obergesellschaft analog § 128 HGB, um das Forderungen der kartelldeliktischen Gläubiger. Nicht die Schädigung der Tochtergesellschaft durch die Obergesellschaft, sondern die Schädigung dieser Gläubiger steht im Vordergrund. 837 Vgl. Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 336. 838 Vgl. BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, Az. VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427, 430; BGH, Urt. v. 9. 04. 2002, Az. XI ZR 91/99, NJW 2002, 1881, 1883; BGH, Urt. v. 29. 02. 1996, Az. IX ZR 153/ 95, NJW 1996, 1467, 1470; BVerfG, Beschl. v. 26. 06. 1991, Az. 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549, 2550. 839 Vgl. hierzu bereits Teil 3 § 2 B. VIII. 2. a).

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unionsrechtlich begründete Recht auf Schadensersatz zu gewähren. Wie in den sonstigen Fällen einer analogen Anwendung des § 128 HGB ist auch in dieser Konstellation eine analoge Anwendung des § 93 InsO im Insolvenzverfahren zu befürworten, um einen Wettlauf der Gläubiger zu vermeiden.840 3. Ergebnis Im Rahmen der in der Praxis – soweit ersichtlich – bislang ausschließlich erhobenen Follow-on-Klagen kann den Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes in sämtlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit durch die Nichtanwendung des Verschuldenserfordernisses in § 33 Abs. 3 S. 1 GWB Rechnung getragen werden. Im Falle von Stand-alone-Klagen kann im GmbH-Konzern eine Haftung gesellschaftsrechtlicher Obergesellschaften durch die Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG sowie eine analoge Anwendung des § 128 HGB begründet werden. Damit verbleiben im Rahmen von Stand-alone-Klagen die äußerst seltenen Einzelfälle, in denen eine gesellschaftsrechtliche Schwestergesellschaft faktisch die Kontrolle über die handelnde Schwestergesellschaft ausgeübt hat und aus diesem Grund von den Unionsorganen als wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft qualifiziert würde, der Ausnahmefall, dass aus einer Kette von Konzerngesellschaften nur Ober- und Enkelgesellschaft, ohne Zwischenglied, als wirtschaftliche Einheit zusammengefasst werden sowie die eher theoretischen Fälle, dass im faktischen Aktienkonzern eine Aktiengesellschaft als wettbewerbswidrig handelnde Tochtergesellschaft fungiert. In diesen Konstellationen kann unter Heranziehung der anerkannten Methodik kein unionskonformes Ergebnis begründet werden. Dieses Ergebnis mag unbefriedigend sein, steht dem gefundenen Lösungsansatz jedoch nicht entgegen. Das nationale Gericht ist nur punktuell zur Schließung der aufgrund der Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes im nationalen Recht bestehenden Lücke berufen.841 Verbleiben Lücken, da das zu erzielende Ergebnis vom nationalen System zu weit entfernt ist, sind diese zu akzeptieren.842 Es kann kein Ergebnis contra legem begründet werden. Käme es in einem solchen Einzelfall letztinstanzlich zu einer unionsrechtswidrigen Entscheidung, wäre grundsätzlich an einen Staatshaftungsanspruch für judikatives Unrecht zu denken.843 An einen solchen sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Nach den Feststellungen des EuGH handelt es sich um einen Ausnahmefall. Die Gerichtsentscheidung müsste offen-

840 Vgl. Schmidt, in: Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 93 Rn. 9. Aufgrund der Beschränkung des Durchgriffs zugunsten der kartelldeliktischen Gläubiger wird insofern ein Sondervermögen gebildet. 841 Vgl. Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 220. 842 Herresthal, Rechtsfortbildung, 2006, S. 247; ebenso: Canaris, in: FS Bydlinski, 2002, S. 47, 102 f., im Hinblick auf die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung. 843 EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Köbler, Rn. 51 f.

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kundig gegen das geltende Recht verstoßen.844 Die verbleibende Lücke kann nur durch den Gesetzgeber geschlossen werden. X. Zusammenfassung Die zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft und die Verhaltenszurechnung richten sich nach nationalem Recht. Das Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit nach der Unionspraxis ist nicht passivlegitimiert. Grundsätzlich haftet in den tatsächlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit nur die handelnde Gesellschaft, da allein ihr das wettbewerbswidrige Verhalten der für sie handelnden Mitarbeiter zugerechnet werden kann. Eine Außenhaftung der Obergesellschaft kommt nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen über § 831 BGB oder in dem praktisch nicht relevanten Eingliederungskonzern in Betracht. Diese Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung auf die handelnde Gesellschaft steht dem Grunde nach in Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts und verletzt nicht den Effektivitätsgrundsatz. Anders verhält es sich, wenn der geltend gemachte Schaden nicht vollständig von der handelnden Tochtergesellschaft erlangt werden kann, diese insolvent ist. In diesem Fall wird der unionsrechtlich begründete und von den Mitgliedstaaten zu gewährleistende Schadensersatzanspruch durch die aus dem nationalen Zivilrecht folgende Haftungsbegrenzung unmöglich gemacht. In der Folge gebietet der Effektivitätsgrundsatz die Haftung der Obergesellschaft. Dieser Vorgabe ist im Rahmen von Follow-on-Klagen zu entsprechen, indem das Verschuldenserfordernis in § 33 Abs. 3 S. 1 GWB auf diese Obergesellschaft nicht angewendet wird. In Stand-alone-Verfahren kann die zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft im GmbH-Konzern durch die Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG und eine analoge Anwendung des § 128 HGB begründet werden. In den verbleibenden äußerst seltenen Konstellationen lässt sich im Rahmen eines Standalone-Verfahrens keine zivilrechtliche Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft begründen, ohne die Grenze des Contra-legem-Judizierens zu überschreiten. XI. Stand der Rechtsprechung in den weiteren Mitgliedstaaten Die Frage, ob Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV nicht nur von der handelnden Gesellschaft, sondern auch von der Obergesellschaft oder weiteren Rechtsträgern der wirtschaftlichen Einheit verlangt werden kann, stellt sich nicht nur in Deutschland. Um die vorstehenden Ausführungen wissenschaftlich abzurunden, soll daher im Folgenden ein kurzer Überblick über den Stand der 844 EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Köbler, Rn. 53. Vgl. hierzu ausführlich: König, Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, 2011, S. 184 f.

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Rechtsprechung in den aktuell bedeutsamsten Jurisdiktionen der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegeben werden. Allgemein lässt sich feststellen, dass sich die Durchsetzung des unionsrechtlich begründeten Schadensersatzrechts noch in einem Anfangsstadium befindet.845 Sofern Klagen erhoben werden, handelt es sich weit überwiegend um Follow-onVerfahren.846 Doch auch diese sind selten. Im Anschluss an sämtliche von der Kommission im Zeitraum von 2008 bis 2012 erlassenen Entscheidungen, in denen ein Wettbewerbsverstoß festgestellt worden ist, wurden in lediglich 25 % der Fälle Schadensersatzklagen erhoben.847 Tatsächlich konzentrieren sich diese Schadensersatzklagen auf drei Mitgliedstaaten: das Vereinigte Königreich848, die Niederlande und Deutschland.849 1. Vereinigtes Königreich Die englischen Gerichte stimmen allein darin überein, dass Schadensersatzklagen nicht gegen eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Unionsrechts, sondern nur gegen einen nach englischem Recht anerkannten Rechtsträger gerichtet werden können.850 Im Übrigen divergieren die Urteile jedoch erheblich und machen deutlich, dass auch im Vereinigten Königreich große Unsicherheit über das Konzept der wirtschaftlichen Einheit besteht. In den Verfahren stand jeweils in Frage, welche Rechtsträger Teil einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne des Unionsrechts sein können und welche dieser Rechtsträger ggf. wechselseitig auch zivilrechtlich füreinander einzustehen haben. Ausgangspunkt der Diskussion bildet das Urteil Provimi des High Court.851 Diesem Verfahren war eine Entscheidung der Kommission vorausgegangen, in welcher diese einen Wettbewerbsverstoß zweier Konzernobergesellschaften fest845 Kuijpers/Tuinenga/Whiteford/Paul, (2017) 8 JECLaP 47, 47. Siehe auch: Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 69 f. Auf die steigende Bedeutung weisen Bueren/Hüschelrath/Veith, (2016) 81 ALJ 271, 271 hin. 846 Fabbio, (2013) 9 ECJ 567, 568; Kuijpers/Tuinenga/Wisking/Dietzel/Campbell/Fritzsche, (2015) 6 JECLaP 129, 129; 142; Kuijpers/Tuinenga/Whiteford/Paul, (2017) 8 JECLaP 47, 65; Hughes, (2014) 35 ECLR 68, 70; Danov/Becker, (2014) 10 JPIL 359, 360. 847 Joaquín Almunia, Rede v. 7. 11. 2013, seinerzeit Vizepräsident der Europäischen Kommission, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-13 – 887_en.htm. 848 Zu den möglichen Folgen des Austritts des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union: Andreangeli, (2017) 38 ECLR 228, 228 ff. 849 Zusammenfassung des Folgenabschätzungsberichts der Kommission als Begleitpapier zu dem Vorschlag für eine Kartellschadensersatzrichtlinie, SWD(2013) 204 final, Rn. 7, https:// ec.europa.eu/commission/index_de. 850 Provimi Ltd. and others v. Roche Products Ltd. and others [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 25. 851 Provimi Ltd. and others v. Roche Products Ltd. and others [2003] EWHC 961 (Comm) – Sachverhalt aus Darstellungsgründen vereinfacht. Siehe zu diesem Urteil auch: Bulst, (2003) 4 EBOR 623, 623 ff.

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gestellt hatte.852 Die Schadensersatzklage vor dem High Court wiederum wurde gegen die englische Tochtergesellschaft erhoben, welche zwar die kartellbetroffenen Produkte vertrieben, hierbei jedoch keine Kenntnis von der wettbewerbswidrigen Absprache ihrer Obergesellschaft gehabt hatte. Die Kläger argumentierten, dass auch die Tochtergesellschaft als Teil der Konzerns und mithin der wirtschaftlichen Einheit der Verstoß bzw. die Kenntnis von diesem zuzurechnen sei bzw. die Umsetzung der Absprache für sich einen Verstoß darstellen würde, sodass von der Tochtergesellschaft Schadensersatz verlangt werden könnte.853 Die Ausführungen des High Court ergingen in einem Zwischenurteil über seine Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 VO Nr. 44/2001854. Entsprechend entschied das Gericht lediglich über die grundsätzlichen Erfolgsaussichten der Klage. Der High Court erachtete die Klage als zulässig,855 woraus sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen lassen. Zum einen deuten die Ausführungen des High Court an, dass dieser grundsätzlich davon ausgeht, dass allgemein sämtliche konzernverbundenen Gesellschaften Teil der wirtschaftlichen Einheit sind. Zum anderen zieht der High Court grundsätzlich die zivilrechtliche Haftung eines an der wettbewerbswidrigen Absprache unbeteiligten Rechtsträgers in Erwägung, wenn dieser Teil einer wirtschaftlichen Einheit ist. Denn rein tatsächlich war die Tochtergesellschaft in dem entschiedenen Fall an der wettbewerbswidrigen Absprache der Obergesellschaft nicht beteiligt. Im Übrigen lässt sich ableiten, dass der High Court eine Haftung der Tochtergesellschaft für die wettbewerbswidrigen Handlungen ihrer Obergesellschaft – mithin „von unten nach oben“ – nicht ausschließt. Aufgrund der potenziell weitreichenden Folgen trat der Court of Appeal diesen Schlussfolgerungen in den Verfahren Cooper Tire und KME Yorkshire jeweils in einem obiter dictum entgegengetreten.856 Hierbei scheint auch der Court of Appeal sämtliche Konzerngesellschaften als Teil der wirtschaftlichen Einheit zu erachten, warnt jedoch vor einer ausufernden Haftung.857 Das Gericht weist darauf hin, dass weder aus Art. 101 AEUV noch aus der Praxis der Kommission klar hervorgehe, dass eine Tochter- für ihre Obergesellschaft oder Schwestergesellschaften wechselseitig

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KOME v. 22. 11. 2001, C(2001) 3695, L:2003:006:TOC – Vitamine. Provimi Ltd. and others v. Roche Products Ltd. and others [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 23. 854 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. L 12/1. 855 Provimi Ltd. and others v. Roche Products Ltd. and others [2003] EWHC 961 (Comm), Rn. 31. Es erging nach diesem Zwischenurteil kein weiteres Urteil. 856 Cooper Tire & Rubber Company Europe Ltd. and others v. Dow Deutschland Inc. and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45; KME Yorkshire Ltd. and others v. Toshiba Carrier UK Ltd. and others [2012] EWCA Civ 1190, Rn. 39. 857 Cooper Tire & Rubber Company Europe Ltd. and others v. Dow Deutschland Inc. and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45. 853

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füreinander haften würden.858 Insbesondere in dem Urteil KME Yorkshire wird der gesellschaftsrechtliche Trennungsgrundsatz betont.859 Gleichsam deuten jedoch beide Entscheidungen an, dass eine zivilrechtliche Haftung nicht gänzlich ausgeschlossen werden dürfe. Den Grund für eine entsprechende Haftung könnte die bestimmende Einflussnahme im Sinne der Unionsrechtsprechung auf die handelnde Gesellschaft bilden.860 Wegweisend ist schließlich das 2016 ergangene Urteil des Competition Appeal Tribunal (CAT) in Sachen Mastercard.861 Das CAT, ein mit dem Enterprise Act 2002 geschaffenes kartellrechtliches Spezialgericht,862 setzt sich – ebenfalls in einem obiter dictum – ausführlich mit der zivilrechtlichen Haftung der wirtschaftlichen Einheit auseinander. Auch das CAT spricht sich für die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung weiterer Rechtsträger aus.863 Nach seiner Auffassung bilden jedoch nicht sämtliche Konzerngesellschaften eine wirtschaftliche Einheit. Teil eines einheitlichen Unternehmens und damit potenziell haftende Rechtsträger seien nur die wettbewerbswidrig handelnden Gesellschaften und solche, die auf diese einen bestimmenden Einfluss ausüben würden.864 Der Unsicherheit über den Begriff und den Umfang eines Unternehmens begegnet das CAT mit hilfsweisen Ausführungen für den Fall, dass sämtliche Konzernunternehmen Teil des Unternehmens im Sinne des Unionsrechts sein sollten.865 In diesem Fall prüft es separat die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit, mithin eine unmittelbare Beteiligung oder bestimmende Einflussnahme. Unabhängig von dem Verständnis des Unternehmensbegriffs wird so im Ergebnis die potenzielle Haftung auf die handelnde und die wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft beschränkt. Doch das Gericht geht sogar über diese Präzisierung hinaus. Bemerkenswert sind die – knappen – Ausführungen des Gerichts zu der dogmatischen Grundlage einer solchen zivilrechtlichen Haftung. Die Zuordnung des wettbewerbswidrigen Verhaltens soll nicht anhand des englischen Rechts begründet werden. Vielmehr soll unmittelbar auf die Grundsätze des Unionsrechts abgestellt werden.866 Nähere Ausführungen dazu, wie dies im Detail umgesetzt werden soll, sind dem obiter dictum jedoch nicht zu entnehmen. 858 Cooper Tire & Rubber Company Europe Ltd. and others v. Dow Deutschland Inc. and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45. 859 KME Yorkshire Ltd. and others v. Toshiba Carrier UK Ltd. and others [2012] EWCA Civ 1190, Rn. 37. 860 Cooper Tire & Rubber Company Europe Ltd. and others v. Dow Deutschland Inc. and others [2010] EWCA Civ 864, Rn. 45; KME Yorkshire Ltd. and others v. Toshiba Carrier UK Ltd. and others [2012] EWCA Civ 1190, Rn. 37. 861 Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11. 862 Section 12 Enterprise Act 2002. 863 Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11, Rn. 344 ff. 864 Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11, Rn. 363 (23). 865 Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11, Rn. 398 ff. 866 Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11, Rn. 364.

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2. Niederlande Ähnlich wie in dem Vereinigten Königreich ist auch in den Niederlanden die Frage der zivilrechtlichen Haftung weiterer Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit weit von einer abschließenden gerichtlichen Klärung entfernt. Lange Zeit schien es, als ob die niederländischen Gerichte zumindest einer Haftung der gesellschaftsrechtlichen Obergesellschaft offen gegenüberstünden. In diversen Zwischenurteilen über ihre Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 VO Nr. 44/2001 erklärten mehrere Gerichte Klagen für zulässig, die gegen Obergesellschaften gerichtet waren, ohne dass diese an dem wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligt waren.867 Auch die Rechtbank Midden-Nederland ließ eine solche Follow-on-Klage gegen eine der Obergesellschaften des Aufzugskartells868 zu.869 Im dem nunmehr jüngst ergangenen und soweit ersichtlich ersten Hauptsacheurteil wies die Rechtbank Midden-Nederland die entsprechende Klage jedoch ab.870 Die Begründung ähnelt den klageabweisenden Urteilen der deutschen Gerichte in den deutschen Follow-on-Verfahren gegen das Aufzugskartell.871 Das Gericht macht deutlich, dass das Unionskonzept der wirtschaftlichen Einheit im niederländischen Zivilprozess keine Anwendung findet. Die Haftung weiterer Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit habe sich nach nationalem Recht zu richten.872 Weiter wird die Geltung des Trennungsgrundsatzes im niederländischen Recht betont und festgestellt, dass vorliegend keine nach niederländischem Recht anerkannte Durchbrechungskonstellation erfüllt sei.873 Dennoch bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Das niederländische Gericht hat seiner Entscheidung scheinbar die Auffassung zugrunde gelegt, dass der EuGH für die zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft eine direkte und unmittelbare Beteiligung an dem Verstoß fordern würde.874 Eine solche ist in den meisten und den hier untersuchten Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit je867 Rechtbank Rotterdam, Urt. v. 17. 07. 2013, C/10/390424 / HA ZA 11 – 2071, ECLI:NL:RBROT:2013:5504; Rechtbank Den Haag, Urt. v. 17. 12. 2014, C/09/414499 / HA ZA 12 – 293, ECLI:NL:RBDHA:2014:15722; Rechtbank Amsterdam, Urt. v. 4. 06. 2014, C/13/ 500953 / HA ZA 11 – 2560, ECLI:NL:RBAMS:2014:3190. Letzteres bestätigt durch Gerechtshof Amsterdam, Urt. v. 21. 07. 2015, 200.156.295/01, ECLI:NL:GHAMS:2015:3006. 868 Siehe hierzu und zu den zivilrechtlichen Follow-on-Verfahren wegen desselben Kartells in Deutschland bereits Teil 3 § 2 B. VIII. 2. b). 869 Rechtbank Midden-Nederland, Urt. v. 27. 11. 2013, C/16/338073 / HA ZA 13 – 117, ECLI:NL:RBMNE:2013:5978. 870 Rechtbank Midden-Nederland, Urt. v. 20. 07. 2016, C/16/338073 / HA ZA 13 – 117, ECLI:NL:RBMNE:2016:4284. Siehe hierzu auch: Kuijpers/Tuinenga/Whiteford/Paul, (2017) 8 JECLaP 47, 54. 871 Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 B. VIII. 2. b). 872 Rechtbank Midden-Nederland, Urt. v. 20. 07. 2016, C/16/338073 / HA ZA 13 – 117, ECLI:NL:RBMNE:2016:4284, Rn. 4.7. 873 Rechtbank Midden-Nederland, Urt. v. 20. 07. 2016, C/16/338073 / HA ZA 13 – 117, ECLI:NL:RBMNE:2016:4284, Rn. 4.7. 874 Rechtbank Midden-Nederland, Urt. v. 20. 07. 2016, C/16/338073 / HA ZA 13 – 117, ECLI:NL:RBMNE:2016:4284, Rn. 4.9.

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doch gerade nicht gegeben. Dementsprechend hat diese Auffassung nahezu in sämtlichen Fällen zur Folge, dass kein Schadensersatzanspruch gegenüber der Obergesellschaft besteht. 3. Bewertung und Einordnung Anders als in Deutschland dreht sich die Diskussion in dem Vereinigten Königreich (noch) um grundsätzliche Fragen des Unternehmensbegriffs. Insbesondere die Gleichsetzung des Konzerns mit dem Unternehmen führt zu der viel diskutierten Frage, welche dieser Rechtsträger wechselseitig füreinander haften. In diesem Zusammenhang sind die Klarstellungen des CAT zu begrüßen; sie stimmen mit den in Teil 2 dieser Arbeit herausgearbeiteten Erkenntnissen überein. Hiernach wird ein Unternehmen durch die wettbewerbswidrig handelnden Gesellschaften sowie die Rechtsträger gebildet, die auf diese einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben. Nur diese kommen als Schuldner eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches in Betracht. Im Übrigen überrascht es, dass der zentrale Streitgegenstand der in Deutschland geführten Diskussion im Vereinigten Königreich bislang nicht thematisiert wird. Die Frage, ob neben der handelnden Gesellschaft eine Haftung weiterer Rechtsträger überhaupt geboten ist – mithin nach der Vereinbarkeit der geltenden Rechtslage nach englischem Recht mit den Vorgaben des Unionsrechts – wird nicht gestellt. Dies könnte der Tatsache geschuldet sein, dass die entsprechenden Ausführungen lediglich im Rahmen von Zwischenurteilen bzw. von obiter dicta getroffen wurden. Ohne dies zu problematisieren, scheint das jüngste Urteil des CAT vielmehr davon auszugehen, dass der unionsrechtlich begründete Schadensersatzanspruch gegenüber dem Unternehmen im Sinne des Unionsrechts besteht und hieraus in jedem Fall eine zivilrechtliche Haftung sämtlicher Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit folge.875 Auch bleibt zu beobachten, als wie flexibel sich das englische Recht bei der dogmatischen Umsetzung einer solchen Haftung erweisen wird. Sollte, wie von dem CAT favorisiert, auf die europäischen Grundsätze der Haftungszuordnung abgestellt werden, liefe dies im Ergebnis auf eine nationale Rechtsfortbildung des Art. 101 AEUV hinaus.876 Nach deutschem Verständnis würde dies einen Verstoß gegen den Grundsatz des Contra-legem-Judizierens darstellen. Demgegenüber ist den Ausführungen der niederländischen Rechtbank MiddenNederland insofern zuzustimmen, dass die dogmatische Lösung einer potenziellen Haftung weiterer Rechtsträger auf Grundlage des nationalen Rechts zu suchen ist. Dies steht in Einklang mit den Vorgaben des EuGH in den Urteilen Courage und Manfredi und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, wenn diese das aus dem Unionsrecht folgende Recht auf Schadensersatz umsetzen. Eine, wie in dieser Arbeit untersuchte, Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes aus Gründen der Effektivität stand in dem niederländischen Verfahren nicht infrage. Es gab keinen Anhaltspunkt, 875 876

Sainsbury’s Supermarkets Ltd. v. Mastercard Inc. and others [2016] CAT 11, Rn. 350 ff. Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 B. IX 2. d).

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle

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um daran zu zweifeln, dass der Ersatz des Schadens von der handelnden Tochtergesellschaft erlangt werden könnte. Kritisch zu beurteilen ist jedoch die Annahme, dass die zivilrechtliche Haftung einer wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft eine eigene Mitwirkung an dem Verstoß voraussetzen würde. Dies steht nicht in Einklang mit den im Teil 2 der Untersuchung gefundenen Ergebnissen und hebt – auch wenn dieser Einwand im Rahmen der deutschen Diskussion noch nicht erhoben worden ist – die allgemeine Bedeutung der Untersuchung dieser Grundlagen erneut hervor.

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle Mit der 9. GWB-Novelle877 hat der deutsche Gesetzgeber nicht nur die Vorgaben der europäischen Kartellschadensersatzrichtlinie878 umgesetzt, sondern auch im Kartellordnungswidrigkeitenrecht erhebliche Änderungen vorgenommen. Die nachfolgenden Abschnitte untersuchen – wie zuvor – zunächst die Haftung wegen eines Bußgeldbescheides auf Grundlage des deutschen Kartellordnungswidrigkeitenrechts (nachfolgend A.) sowie die zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des nationalen Kartelldeliktsrechts (B.).

A. Bußgeldrechtliche Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle I. Einleitung Mit der 9. GWB-Novelle wurde eine unternehmensgerichtete Sanktion in das deutsche Kartellverfahrensrecht eingeführt und das deutsche Kartellordnungswidrigkeitenrecht in weiten Teilen an das europäische Recht angepasst.879 Der Gesetzgeber hat die Anregung des BGH aufgegriffen, der sich aufgrund des begrenzenden Wortlauts des § 30 OWiG an der Verhängung einer Geldbuße gegen weitere Konzerngesellschaften gehindert sah.880 Wie festgestellt, ist in ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte das Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen 877 Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1. 06. 2017, BGBl. I, S. 1416. 878 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1. 879 § 81 Abs. 3a GWB ermöglicht die Verhängung einer Geldbuße gegen lenkende Obergesellschaften, entsprechend beschränken sich die nachstehenden Ausführungen auf dieser Vorschrift. Hierneben erfassen § 81 Abs. 3b GWB die Gesamtrechtsnachfolge und § 81 Abs. 3c GWB die wirtschaftliche Nachfolge. 880 BGH, Beschl. v. 10. 08. 2011, Az. KRB 55/10, WuW 2012, 81 – Versicherungsfusion, Rn. 25.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Einheit Normadressat des Art. 101 AEUV. Im deutschen Recht findet dies nunmehr seine Entsprechung darin, dass neben der handelnden Gesellschaft auch gegen die juristischen Personen Geldbußen festgesetzt werden können, die zum Zeitpunkt der Begehung der Ordnungswidrigkeit mit der handelnden Gesellschaft das Unternehmen gebildet haben, an welches sich die Ge- und Verbote des Art. 101 AEUV richten. § 81 Abs. 3a GWB überträgt den europäischen Haftungsansatz in das deutsche Kartellordnungswidrigkeitenrecht und bestimmt: „Hat jemand als Leitungsperson im Sinne des § 30 Absatz 1 Nummer 1 bis 5 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eine Ordnungswidrigkeit nach den Absätzen 1 bis 3 begangen, durch die Pflichten, welche das Unternehmen treffen, verletzt worden sind oder das Unternehmen bereichert worden ist oder werden sollte, so kann auch gegen weitere juristische Personen oder Personenvereinigungen, die das Unternehmen zum Zeitpunkt der Begehung der Ordnungswidrigkeit gebildet haben und die auf die juristische Person oder Personenvereinigung, deren Leitungsperson die Ordnungswidrigkeit begangen hat, unmittelbar oder mittelbar einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben, eine Geldbuße festgesetzt werden“.

Diese neuen Regelungen knüpfen nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich an den Unternehmensbegriff des Art. 101 AEUV und das Konzept der unternehmensgerichteten Sanktion in Art. 23 VO Nr. 1/2003 an.881 Das Grundkonzept und die Begrifflichkeiten des Unionsrechts werden in den Sanktionstatbestand des § 81 Abs. 3a GWB übernommen. Der Kreis möglicher Bußgeldadressaten wird auf Grundlage des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs bestimmt. Für die Auslegung des Sanktionstatbestandes sollen Art. 101 AEUV und die zu diesem ergangene Rechtsprechung des EuGH herangezogen werden.882 Unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH löst der von einer Leitungsperson der Tochtergesellschaft begangene Verstoß gegen die unternehmensbezogenen Pflichten des Wettbewerbsrechts die Verantwortlichkeit des Unternehmens im Sinne des Art. 101 AEUVaus.883 Diese Ordnungswidrigkeit wird dem Unternehmen zugerechnet, woraus wiederum die gemeinschaftliche persönliche Verantwortlichkeit der einzelnen Rechtsträger für die Bußgeldzahlung folgt.884 Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass es sich bei diesem europäischen Konzept um eine bewusste Lösung von dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip und den Besonderheiten der nationalen Regelungen über die Verantwortlichkeit juristischer Personen handelt.885 Die lenkende Obergesellschaft steht als Bestandteil des Unternehmens für den Pflichtverstoß ein.886 Ihre Verantwortlichkeit folgt nicht aus einer Anstiftung oder Beteiligung,

881 882 883 884 885 886

BT-Drs. 18/10207, S. 86. BT-Drs. 18/10207, S. 89. BT-Drs. 18/10207, S. 88. BT-Drs. 18/10207, S. 88. BT-Drs. 18/10207, S. 88. BT-Drs. 18/10207, S. 90.

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle

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sondern aus der Bildung des einheitlichen Unternehmens. Sie haftet nicht für Dritte, sondern als Teil der verantwortlichen Gemeinschaft.887 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Merkmale, die nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte herangezogen werden, um das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit bzw. eines Unternehmens zu bestimmen, gleichsam im deutschen Recht angewandt werden.888 Entsprechend ist für die Verhängung einer Geldbuße gegen die Obergesellschaft nunmehr auch im deutschen Recht maßgeblich, ob diese auf die Tochtergesellschaft bestimmenden Einfluss ausüben konnte und ausgeübt hat. Für die tatsächliche Ausübung der einheitlichen Leitung ausreichend ist, wenn die Gesamtbetrachtung aller wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen ergibt, dass die Obergesellschaft bestimmenden Einfluss auf die generelle Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft ausübt, die Tochtergesellschaft also ihr Marktverhalten trotz eigener Rechtspersönlichkeit nicht autonom bestimmt.889 Bereits die aktive Funktion als Leitungs- und Koordinierungsinstanz führt zur Annahme des bestimmenden Einflusses.890 Aufgrund der ausdrücklichen Übernahme des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs und seiner Merkmale, kann für die näheren Einzelheiten auf die Ausführungen im zweiten Teil dieser Arbeit verwiesen werden.891 II. Zurechnung über § 81 Abs. 3a GWB Mit den Neuerungen in § 81 GWB hat der deutsche Gesetzgeber einen eleganten Weg gewählt, die unternehmensgerichtete Sanktion in das deutsche Recht zu integrieren. § 81 Abs. 3a GWB bestätigt die Normadressatenstellung des Unternehmens nach Art. 101 AEUV. Die einzelnen Leitungspersonen verstoßen gegen Pflichten, die dieses Unternehmen im Sinne des Unionsrechts treffen. Im Übrigen diente das europäische Grundkonzept der Unternehmensverantwortlichkeit dem deutschen Gesetzgeber jedoch nur als Orientierung.892 Die dogmatische Begründung der Unionsorgane für die Verhängung der Sanktionen gegen die einzelnen Rechtsträger wurde nicht übernommen. Anders als nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte wird der Verstoß des Unternehmens nicht bei den einzelnen Rechtsträgern fingiert. Stattdessen wurde die Sanktion der einzelnen Rechtsträger, die das Unternehmen bilden, in die bestehende Systematik893 des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts eingepasst. Um eine zusätzliche Sanktion 887

BT-Drs. 18/10207, S. 87 f.; 90. BT-Drs. 18/10207, S. 86; 89. 889 BT-Drs. 18/10207, S. 89. 890 BT-Drs. 18/10207, S. 89 f. 891 Siehe hierzu Teil 2 § 4. 892 Vgl. BT-Drs. 18/10207, S. 84; 86. 893 Siehe zu den Grundlagen des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts bereits Teil 3 § 2 A. I. 2. 888

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

gegen die Obergesellschaft verhängen zu können, wurde in § 81 Abs. 3a GWB ein dem § 30 Abs. 1 OWiG nachgebildeter Zurechnungstatbestand geschaffen. § 81 Abs. 3a GWB setzt die Kartellordnungswidrigkeit einer Leitungsperson im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG voraus. Das deutsche Gesetz rechnet das wettbewerbswidrige Verhalten der Leitungsperson der Tochtergesellschaft nunmehr sowohl dieser über § 30 Abs. 1 OWiG als auch der leitenden Obergesellschaft über § 81 Abs. 3a GWB zu, sofern zwischen diesen die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit erfüllt sind. Damit werden die erheblichen dogmatischen Unsicherheiten des europäischen Konzepts der wirtschaftlichen Einheit aufgelöst.894 Insbesondere wurde dem Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit keine Teilrechtsfähigkeit zuerkannt.895 III. Vergleich mit der Praxis der Unionsorgane und Bewertung Aufgrund der klaren Normierung eines Zurechnungstatbestandes und der Anknüpfung an die Leitungspersonen der handelnden Gesellschaft besteht kein vollständiger Gleichlauf mit der Praxis der Unionsorgane. Während nach ständiger Unionspraxis auf den Nachweis verzichtet wird, welche natürliche Person in welcher Funktion die kartellrechtswidrige Absprache getroffen hat,896 können nach deutschem Kartellordnungswidrigkeitenrecht die sanktionsauslösenden Ordnungswidrigkeiten nur von eindeutig identifizierten Leitungspersonen im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG begangen werden. Maßgeblich sind die Ordnungswidrigkeiten der Leitungspersonen der handelnden Tochtergesellschaft. Damit werden unmittelbar von diesen Personen getroffene kartellrechtswidrige Absprachen erfasst. Auch eine Teilnahme durch Unterlassen ist möglich, sofern den Leitungspersonen Vorsatz nachgewiesen werden kann. Wurden die Verstöße von untergeordneten Mitarbeitern begangen, könnte eine Haftung unter Umständen auf eine fahrlässige Nebentäterschaft durch Unterlassen oder eine Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG gestützt werden. Auch wenn nach hier vertretener Ansicht der Garantenstellung des Betriebsinhabers auch im Einzelunternehmen und speziell im Hinblick auf Wettbewerbsverstöße als reine Personalgefahren erhebliche Bedenken entgegenstehen, ist die weitere Entwicklung in diesem Bereich zu be894

Siehe hierzu Teil 2 § 5 F. Andere Ansicht: Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 396; 400, die entsprechend argumentieren, dass dies mit dem von ihnen vorgeschlagenen Modell der kartellrechtlichen Außengesellschaft harmonieren würde. Sie können jedoch nicht erklären, warum in diesem Fall die Geldbuße nicht unmittelbar an das Unternehmen, diese Außengesellschaft, adressiert wird. Vielmehr ist die wirtschaftliche Einheit auch nach der deutschen Konzeption nicht rechtsfähig. Die Handlungen werden gerade den Rechtsträgern zugerechnet. Diese sind die Adressaten der Geldbußen. Die mangelnde Rechtsfähigkeit stimmt mit der europäischen Konzeption überein. Vgl. hierzu bereits Teil 2 § 5 A. 896 Vgl. beispielhaft: KOME v. 28. 01. 1998, 98/273/EG, L:1998:124:TOC – VW, Rn. 98. Ausführlich zu dieser Praxis: Brömmelmeyer, WuW 2017, 174, 175 ff. 895

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obachten.897 Für die Heranziehung des § 130 OWiG spricht dementgegen, dass auf diese Weise auch Compliance-Programme Berücksichtigung finden können. Wird § 130 OWiG aufgrund der durch § 81 Abs. 3a GWB ermöglichten Zurechnung damit allein in der Tochtergesellschaft und nicht im Konzern herangezogen, stehen der Anwendung keine Bedenken entgegen.898 Aufgrund der Beschränkung des § 130 OWiG auf eine erforderliche und zumutbare Aufsicht können so,899 – anders als auf europäischer Ebene – auch Compliance-Programme berücksichtigt und positive Anreize zur Einführung entsprechender Programme gesetzt werden. Wurde ein Kartellverstoß eines untergeordneten Mitarbeiters nicht verhindert, da keine oder nur unzureichende Aufsicht ausgeübt worden ist, stimmen die deutsche und die europäische Rechtslage überein. Unterschiede ergeben sich nur, wenn der Verstoß durch erforderliche und zumutbare Aufsicht nicht zu verhindern war. Die Unionsorgane lassen dies unberücksichtigt, da sie die Haftung nicht an eine Aufsichtspflichtverletzung anknüpfen. Die systemkonforme Umsetzung des deutschen Gesetzgebers vermeidet dieses widersprüchliche Ergebnis. Diese Abweichung ist rechtspolitisch zu befürworten, da in der Unionspraxis die positiven Effekte eines ComplianceSystems unberücksichtigt bleiben und dies gar dazu verleiten kann, kein solches kostenintensives System einzurichten. Entsprechend ist zu erwarten, dass sich die wissenschaftliche Diskussion sowie die Praxis des Bundeskartellamtes weiterhin überwiegend auf § 130 OWiG konzentrieren werden, um Verstöße von untergeordneten Mitarbeitern über eine Aufsichtspflichtverletzung der Leitungspersonen zu ahnden.900 Zu befürworten ist darüber hinaus, dass nach der Gesetzesbegründung für den Nachweis des Bestehens einer wirtschaftlichen Einheit die Maßstäbe des deutschen Rechts herangezogen werden sollen.901 Insbesondere die im Unionsrecht vielfach kritisierte902 Vermutung des Bestehens einer wirtschaftlichen Einheit, sofern die Obergesellschaft das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital an der handelnden Gesellschaft hält, ist im deutschen Recht nicht unmittelbar anwendbar.903 Entsprechend wird die Entwicklung in der Praxis zu beobachten sein. Eine Orientierung kann 897

Siehe hierzu bereits Teil 3 § 2 A. II. 2. Siehe zur Anwendung des § 130 OWiG auf den Konzern Teil 3 § 2 A. II. 3. 899 Vgl. nur: Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 38. 900 Trotz allem ist § 130 OWiG nach herrschender Meinung grundsätzlich ein Auffangtatbestand und wird von fahrlässiger (Neben-)Täterschaft verdrängt, vgl. Rogall, in: Mitsch, KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rn. 124. Regelmäßig wird jedoch aufgrund der erheblichen praktischen Schwierigkeiten unmittelbar auf § 130 OWiG zugegriffen, Rönnau, ZGR 2016, 277, 282. Insbesondere bedarf es für die Einstandspflicht stets des Nachweises, dass eine ordnungsgemäße Aufsicht den Erfolgseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte. Im Rahmen des § 130 OWiG genügt es hingegen, wenn die Tat durch eine „gehörige Aufsicht“ wesentlich erschwert worden wäre. 901 BT-Drs. 18/10207, S. 90. 902 Siehe hierzu die Nachweise in Teil 2 Fn. 130. 903 BT-Drs. 18/10207, S. 90. 898

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

die Entscheidung Grauzement des BGH zu den Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit im Rahmen des § 81 Abs. 4 S. 2 GWB a.F. liefern.904 IV. Einheitliche Sanktionsadressaten Aufgrund des Zusammenspiels von § 30 OWiG und § 81 GWB können sämtliche Rechtsträger, die nach der Praxis der Unionsorgane eine wirtschaftliche Einheit bilden und mithin gegen Art. 101 AEUV verstoßen, nunmehr auch auf Grundlage des deutschen Kartellordnungswidrigkeitenrechts mit einer Sanktion belegt werden.905 Die teilweise geäußerte Kritik an der Beschränkung der Bußgeldverantwortlichkeit auf die leitende Obergesellschaft und die Forderungen nach der Haftung der übrigen Konzerngesellschaften sind unberechtigt.906 Dem Unionsrecht entsprechend ist nach § 81 Abs. 3a GWB nicht das gesellschaftsrechtliche, sondern das wettbewerbsrechtliche Über-/Unterordnungsverhältnis maßgeblich – die bestimmende Einflussnahme. Auch nach der Praxis der Unionsorgane haften Tochtergesellschaften nicht grundsätzlich für ihre Obergesellschaften und Schwestergesellschaften nicht grundsätzlich wechselseitig.907 Wie im zweiten Teil näher ausgeführt, sind Schwestergesellschaften, sofern sie nicht an dem Verstoß beteiligt waren oder aufgrund besonderer Ausgestaltung im Einzelfall bestimmenden Einfluss auf die handelnde Gesellschaft ausgeübt haben, nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit. Schwestergesellschaften werden lediglich als De-facto-Obergesellschaften erfasst, mithin wenn sie nach den Grundsätzen der Unionsgerichte tatsächlich mit der handelnden Gesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bilden.908 Unbeteiligte Tochtergesellschaften hingegen sind bereits grundsätzlich nicht Teil einer wirtschaftlichen Einheit. Waren sowohl Tochter- als auch Obergesellschaft an dem Verstoß beteiligt, konnten beide bereits vor der 9. GWB-Novelle sanktioniert werden. Die Konzernverbundenheit wird hierbei in der Höhe der Sanktion berücksichtigt, § 81

904 BGH, Beschl. v. 26. 02. 2013, Az. KRB 20/12, NZKart 2013, 195, 200; kritisch: Thomas, AG 2017, 637, 641. 905 Einzige Ausnahme bilden die seltenen Fälle natürlicher Personen, die nach der Rechtsprechung der Unionsorgane, sofern sie die Voraussetzungen eines „Unternehmens“ in eigener Person erfüllen, als Obergesellschaft mit einer Geldbuße belegt werden können. Dies ist nach § 81 Abs. 3a GWB nicht möglich, vgl. auch BT-Drs. 18/10207, S. 87. Hintergrund sind wohl die Bedenken, ob eine entsprechende Anordnung mit dem Schuldgrundsatz vereinbar wäre. 906 So aber: Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 400; Weck, WuW 2016, 404, 406, der jedoch – entgegen der ständigen Unionsrechtsprechung – kritisiert, dass für das Bestehen der wirtschaftlichen Einheit überhaupt auf eine Einflussnahme abgestellt wird. Kritisch auch: Brettel/ Thomas, WuW 2016, 336, 338, die das Konzept jedoch grundsätzlich ablehnen und dementsprechend pointiert formulieren. Die fehlende Haftung der Schwestergesellschaft monieren: Rummel/Weck, ZWeR 2017, 166, 172. 907 Siehe hierzu bereits ausführlich Teil 2 § 6. 908 So ausdrücklich BT-Drs. 18/10207, S. 90.

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle

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Abs. 4 GWB. Insofern ist die Klarstellung909 in der Gesetzesbegründung, wonach sich die Bußgeldverantwortlichkeit auf lenkende Konzerngesellschaften beschränkt, nach hier vertretener Auffassung nicht erforderlich, jedoch zu begrüßen, da sie mit den im zweiten Teil entwickelten Ergebnissen übereinstimmt. V. Ergebnis Mit der 9. GWB-Novelle wird die bußgeldrechtliche Haftung für Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV systemkonform an die europäische Rechtslage angepasst und die zuvor aufgrund des Verbots einer sanktionsbegründenden Analogie bestehende Lücke geschlossen. Die weiterhin bestehenden Abweichungen – keine Geltung der Vermutungen aus dem Unionsrecht und die Anknüpfung an Leitungspersonen im Rahmen der Begehung wettbewerbswidriger Handlungen – sind aus Gründen der Rechtssicherheit zu befürworten und stehen der Wirksamkeit der Regelungen nicht entgegen.

B. Zivilrechtliche Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle Die 9. GWB-Novelle setzt die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (Schadensersatzrichtlinie) in das deutsche Recht um.910 Die Richtlinie wurde am 5. Dezember 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat gemäß ihres Art. 23 zwanzig Tage später in Kraft. Nach Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie war sie bis spätestens 27. Dezember 2016 von den Mitgliedstaaten umzusetzen und bildet mithin die Grundlage und den Anlass für die rückwirkend zu diesem Datum vorgenommenen Änderungen durch die 9. GWBNovelle.911

909 BT-Drs. 18/10207, S. 88. Es liegt der Schluss nahe, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Differenzen, wie weit eine wirtschaftlichen Einheit gefasst werden kann, sicherstellen wollte, dass nur die leitenden Obergesellschaften mit einer Geldbuße belegt werden können und dies nicht auch für weitere Tochtergesellschaften bzw. den Konzern als solches gilt. Siehe hierzu bereits Teil 2 § 6. 910 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1. 911 Vgl. § 186 GWB n.F. sowie BT-Drs. 18/11446, S. 32. Die Rückwirkung gilt nicht für alle, jedoch für sämtliche hier relevanten Vorschriften.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

I. Änderungen durch die 9. GWB-Novelle Anders als im Bußgeldrecht hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der 9. GWB-Novelle keine dem § 81 Abs. 3a GWB vergleichbare zivilrechtliche Zurechnungsvorschrift normiert. Die bisherige Anspruchsgrundlage in § 33 Abs. 3 S. 1 GWB a.F. findet sich identisch in § 33a Abs. 1 GWB wieder und bestimmt, dass, „wer einen Verstoß nach § 33 Abs. 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, […] zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet [ist]“. Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich lediglich um eine redaktionelle Neufassung; der Regelungsgehalt des § 33a Abs. 1 GWB soll dem bisherigen § 33 Abs. 3 S. 1 GWB a.F. entsprechen.912 Dies lässt darauf schließen, dass Anspruchsgegner damit auch nach Umsetzung der 9. GWB-Novelle der Rechtsträger bleibt, dem das wettbewerbswidrige Verhalten der natürlichen Personen zugerechnet werden kann. 1. Bezugnahme auf den Rechtsverletzer in § 33 Abs. 1 GWB Etwas anderes könnte sich jedoch aus dem Verweis in § 33a Abs. 1 GWB auf den ebenfalls neu gefassten § 33 Abs. 1 GWB ergeben. Zwar wird auch hier weiterhin offen formuliert, jedoch enthält die Vorschrift nunmehr eine Legaldefinition: „Wer gegen […] Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstößt (Rechtsverletzer) […]“. Ebendieser Begriff des Rechtsverletzers findet sich auch in der Richtlinie 2014/104/EU und wird dort in Art. 2 Nr. 2 als „das Unternehmen oder die Unternehmensvereinigung, das bzw. die die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat“ definiert.913 Entsprechend argumentieren einzelne Autoren, dass auf diese Weise indirekt der europäische Unternehmensbegriff in Bezug genommen worden sei und damit das Unternehmen im Sinne des Unionsrechts als passivlegitimiert gelten müsse.914 Diese allein auf der Identität der Begriffe aufbauende Argumentation kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen. Insbesondere die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber den in der Richtlinie definierten Begriff des Rechtsverletzers nicht zu eigen machen wollte. Dort wird klargestellt, dass § 33 Abs. 1 GWB dem bisherigen § 33 Abs. 1 GWB a.F. entspricht.915 Auch diese Regelungen seien allein zur besseren Verständlichkeit und Übersichtlichkeit redaktionell überarbeitet worden. Wird ein Begriff legaldefiniert, der auch in der Richtlinie auftaucht, kann nicht ohne Weiteres auf die inhaltliche Übereinstimmung ge912

BT-Drs. 18/10207, S. 55. Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1, S. 10. 914 Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 395, Kersting, in: Kersting/Podszun, 9. GWB-Novelle, 2017, Kap. 7 Rn. 11. 915 BT-Drs. 18/10207, S. 55. 913

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle

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schlossen werden. Der Gesetzgeber hat gerade nicht die Definition aus der Richtlinie übernommen, sondern eine eigene, inhaltlich abweichende Definition vorgesehen, die nicht auf den Begriff des Unternehmens abstellt. Entscheidend gegen die Schlussfolgerung von Kersting und Preuß spricht schließlich, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung, wie etwa bei dem „Kartell“ in § 33a Abs. 2 GWB oder dem „Kronzeugen“ in § 33e Abs. 1 S. 1 GWB, ausdrücklich klarstellt, dass Begriffe aus der Richtlinie übernommen worden sind und die entsprechenden Definitionen mit denen der Richtlinie übereinstimmen sollen.916 In Zusammenhang mit der Definition in § 33 Abs. 1 GWB fehlt eine solche Klarstellung. Im Umkehrschluss handelt es sich bei der Definition des Rechtsverletzers in § 33 Abs. 1 GWB um eine eigenständige Definition. Rechtsverletzer bezeichnet schlicht denjenigen, der den Verstoß begangen hat. Das Unternehmen im Sinne des Unionsrechts ist nicht passivlegitimiert.917 2. Anwendung des § 81 Abs. 3a GWB im Zivilrecht Dennoch bleibt zu fragen, ob die Zurechnungsvorschrift des § 81 Abs. 3a GWB auch für eine Zurechnung im Zivilrecht herangezogen werden könnte. Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung der Norm wäre eine planwidrige Regelungslücke. Wie im Bußgeldrecht müsste der Gesetzgeber auch im Zivilrecht eine allgemeine Zurechnung der Handlungen der Organe der Tochtergesellschaft an die Obergesellschaft vor Augen gehabt haben, wenn diese gegen Pflichten verstoßen, die das Unternehmen im Sinne des Unionsrechts treffen. Gegen die Übertragung einer solch allgemeinen und grundsätzlichen Zurechnung spricht jedoch die Gesetzgebungsgeschichte der Norm. So wurde bei der Erstellung des Referentenentwurfs eine Haftung der Obergesellschaft wie in § 81 Abs. 3a GWB auch für das Zivilrecht diskutiert, jedoch – anders als im Bußgeldrecht – verworfen.918 Stattdessen beschränkt sich die Gesetzesbegründung auf die Feststellung, dass sich der Regelungsgehalt des § 33a Abs. 1 GWB n.F. durch die GWB-Novelle nicht ändern soll.919 Im Kontrast dazu erstreckt sich die Gesetzesbegründung des systematisch nachgestellten § 81 Abs. 3a GWB n.F. über zweieinhalb Seiten. Auch vor diesem Hintergrund sprechen die ausdrücklich allein redaktionellen Änderungen dafür, dass es im Zivilrecht gerade anders als im Bußgeldrecht bei dem bisherigen Verständnis bleiben soll. Auch an anderer Stelle bestätigt die Gesetzesbegründung diesen Befund. So formuliert der Gesetzgeber, dass über die Umsetzung der Vorgaben der Kartellschadensersatzrichtlinie hinaus eine Unternehmensverantwortlichkeit für Bußgel-

916

Vgl. BT-Drs. 18/10207, S. 55; 59. Im Ergebnis ebenso: Klotz, WuW 2017, 226, 229; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 220 f. 918 Weck, WuW 2016, 404, 405; Suchsland/Rossmann, NZKart 2016, 342, 343. 919 Vgl. BT-Drs. 18/10207, S. 55. 917

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der eingeführt wird.920 Folglich ging der Gesetzgeber zum einen nicht davon aus, dass die Schadensersatzrichtlinie eine Unternehmensverantwortlichkeit verlangt. Zum anderen beabsichtigte er die Unternehmensverantwortlichkeit allein für Bußgelder einzuführen. Diesem Ziel entspricht gesetzestechnisch die in den ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften normierte Zurechnungsvorschrift. Gleichsam folgt damit aus der systematischen Stellung des § 81 Abs. 3a GWB, dass die allgemeine und grundsätzliche Zurechnung auf die bußgeldrechtliche Ahnung von Wettbewerbsverstößen beschränkt bleiben soll. Eine planwidrige Regelungslücke scheidet aus. 3. Zwischenergebnis und aktueller Stand Auch nach der 9. GWB-Novelle richtet sich die Passivlegitimation im Kartelldeliktsrecht weiterhin nach den allgemeinen deliktischen Regeln. Anspruchsgegner ist grundsätzlich der Rechtsträger, dem nach § 31 BGB (analog) das Verhalten der wettbewerbswidrig handelnden Personen zugerechnet werden kann. Wie bereits vor der 9. GWB-Novelle festgestellt, kommt daher eine Haftung der Obergesellschaft nur in wenigen Konstellationen in Betracht. In Follow-on-Prozessen ergeben sich ebenfalls keine Veränderungen zu der bereits vor der 9. GWB-Novelle geltenden Rechtslage. Der bisherige § 33 Abs. 4 GWB a.F. wurde wie § 33 Abs. 3 GWB a.F. lediglich redaktionell angepasst und findet sich nun in § 33b GWB wieder.921 Die Bindungswirkung erfasst weiterhin allein den Verstoß und nicht das Verschulden.922 Werden daher Geldbußen wegen einer Verletzung des Art. 101 AEUV durch das Bundeskartellamt gegen die Obergesellschaft auf Grundlage des § 81 Abs. 3a GWB verhängt, entspricht die Rechtslage der bereits vor der Novelle geltenden Rechtslage im Rahmen von Follow-on-Klagen, die im Anschluss an Entscheidungen der Kommission erhoben werden.923 Es fehlt an dem Verschulden der Obergesellschaft. Damit steht auch das nach der 9. GWB-Novelle geltende Recht – wie zuvor in Teil 3 § 3 B. ausführlich dargestellt – weiterhin in Konflikt mit dem Effektivitäts920 BT-Drs. 18/10207, S. 41 unter V. Auch auf S. 42, zweiter Absatz, wird erneut betont, dass im Rahmen der Bußgeldhaftung eine Konzernhaftung eingeführt wird. 921 Vgl. BT-Drs. 18/10207, S. 56. Er erfasst lediglich Feststellungen zu den Tatbestandsmerkmalen, deren Verwirklichung den Verstoß begründen. Wachs, WuW 2017, 2, 7 möchte hieraus ohne nähere Begründung ableiten, dass auch das Verschulden umfasst wäre. Ein Verstoß wird jedoch allein durch wettbewerbswidriges Verhalten verwirklicht. Verschulden ist gerade kein Bestandteil. So ergehen beispielsweise Untersagungsverfügungen allein wegen eines Verstoßes, unabhängig von einem Verschulden. 922 Zu § 33 Abs. 4 GWB a.F. siehe ausführlich Teil 3 § 2 B. IX. 1. b). Dies steht auch in Einklang mit Erwägungsgrund 34 der Kartellschadensersatzrichtlinie, wonach „die Wirkung der Feststellung […] nur die Art der Zuwiderhandlung sowie ihre sachliche, persönliche, zeitliche und räumliche Dimension erfassen [soll].“ 923 So auch: Rummel/Weck, ZWeR 2017, 166, 184.

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grundsatz, sofern der Schaden nicht von der handelnden Gesellschaft vollständig ersetzt erlangt werden kann. Um die nach der 9. GWB-Novelle geltende deutsche Rechtslage umfassend beurteilen zu können, ist jedoch darüber hinaus zu untersuchen, ob die Richtlinie 2014/104/EU zusätzliche Vorgaben im Hinblick auf die Passivlegitimation enthält, die gegebenenfalls eine noch weitergehende richtlinienkonforme Auslegung gebieten. II. Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU Der im Rahmen der 9. GWB-Novelle umgesetzten Richtlinie 2014/104/EU sind umfangreiche Vorarbeiten der Kommission vorangegangen.924 Im Kern beruht sie auf der Feststellung, dass mehr als 15 Jahre nach den Entscheidungen des EuGH in Courage und Manfredi die meisten Geschädigten der Wettbewerbsverstöße noch immer nicht in allen Mitgliedstaaten in der Lage sind, wirksam ihr Recht auf Schadensersatz auszuüben.925 Die Kommission will gewährleisten, dass europaweit wirksame Mechanismen bestehen, um in voller Höhe Ersatz für die Schäden zu erlangen, die durch Zuwiderhandlungen gegen das europäische Wettbewerbsrecht entstehen.926 Die nunmehr erlassene Richtlinie umfasst detaillierte Regelungen zur Offenlegung von Beweismitteln (Art. 5 – 8), Bestimmungen für die Wirkung nationaler Entscheidungen, die Verjährung und die gesamtschuldnerische Haftung (Art. 9 – 11), ausführliche Vorgaben für die Abwälzung des Preisaufschlags und die Ermittlung des Schadensumfangs (Art. 12 – 17) sowie für die einvernehmliche Streitbeilegung (Art. 18 – 19). Gegen wen der eigentliche Schadensersatzanspruch zu richten ist, wird jedoch nicht ausdrücklich benannt. Allein die Zielbestimmung in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie, die Gegenstand und Anwendungsbereich der Vorschriften regelt, sieht vor, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass „jeder, der einen durch eine Zuwiderhandlung eines Unternehmens […] gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, das Recht, den vollständigen Ersatz dieses Schadens von diesem Unternehmen […] zu verlangen, wirksam geltend machen kann“.

Art. 3 der Richtlinie, der das eigentliche Recht auf vollständigen Schadensersatz ausformuliert, bestimmt schließlich in Abs. 1, dass 924 Grünbuch Schadensersatzklagen, KOM (2005) 672 endg. sowie begleitendes Staff Working Paper, SEC (2005) 1732 sowie Weißbuch Schadensersatzklagen KOM (2008) 165 endg., mit begleitendem Staff Working Paper, SEC (2008) 404. Siehe hierzu ausführlich: Logemann, Der kartellrechtliche Schadensersatz, 2009, S. 159 ff.; Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 71 ff. 925 Europäische Kommission, Zusammenfassung der Folgenabschätzung, Begleitpapier zum Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, SWD (2013) 204 final, S. 2. 926 Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 437.

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„die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass jede natürliche oder juristische Person, die einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, den vollständigen Ersatz dieses Schadens verlangen und erwirken kann“.

Aufgrund dieser Formulierungen ist nach Erlass der Richtlinie in Deutschland927 eine Diskussion darüber entbrannt, welche Vorgaben der Richtlinie im Hinblick auf den Anspruchsgegner im nationalen Recht entnommen werden können und insbesondere, ob die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber die Umsetzung des unionsrechtlich definierten Unternehmensbegriffs vorschreibt. Wie zuvor ausgeführt, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Handlungsbedarf erkannt und sich in der 9. GWB-Novelle gegen eine Einfügung des Unternehmensbegriffs in das deutsche Kartelldeliktsrecht entschieden. Ausdrücklich gegen die Geltung des Unternehmensbegriffs hat er sich jedoch nicht ausgesprochen. Aufgrund der grundsätzlich auslegungsfreundlichen Formulierung des § 33a Abs. 1 GWB wird hieraus in der Literatur teilweise gefolgert, dass die Klärung der Fragen den Gerichten überlassen werden sollte, ob und in welchen Gestaltungen eine richtlinien- bzw. primärrechtskonforme Auslegung eine Abweichung von der alleinigen Haftung der handelnden Gesellschaft gebietet.928 1. Meinungsstand in der Literatur Zahlreiche Autoren entnehmen dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie, dass nach dem Willen der Richtliniengeber das Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit verpflichtet und passivlegitimiert sei.929 Schlicht aus der Bezugnahme auf den europäischen Unternehmensbegriff wird gefolgert, dass das Haftungskonzept der wirtschaftlichen Einheit in das nationale Zivilrecht zu über-

927 Soweit ersichtlich, wird diese Thematik in anderen Ländern nicht diskutiert: Veronese, (2014) 5 JECLaP 563, 563 ff.; Kuijpers/Tuinenga/Whiteford/Paul, (2017) 8 JECLaP 47, 47 ff.; de Sousa e Alvim, (2015) 36 ECLR 245, 245 ff. Keine Thematisierung auch bei der kritischen Auseinandersetzung mit der Richtlinie bei: Truli, (2016) 7 JECLaP 299, 299 ff.; ebenso: Peyer, (2016) 12 ECJ 87, 87 ff.; Kwan, (2015) 36 ECLR 455, 455 ff.; Dunne, (2015) 40 EL Rev 581, 581 ff.; Ford, (2015) 36 ECLR 327, 327 ff. Wenige Ausführungen finden sich bei Danov, (2014) 35 ECLR 487, 491, der sich zu der englischen Praxis äußert. Er scheint davon auszugehen, dass Schadensersatzklagen allein gegen die einzelnen Rechtsträger erhoben werden können. Nach seiner Zusammenfassung besteht auch in England große Unsicherheit darüber, ob verschiedene Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit auch zivilrechtlich wechselseitig haften und welche dies im Zweifel wären. Er stellt fest, dass die Richtlinie hierauf keine Antwort gibt. 928 Seeliger/Gürer, BB 2017, 195, 197; Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 395; Kersting, WuW 2016, 329, 329; Petrasincu, WuW 2016, 330, 331; Klotz, WuW 2017, 226, 226. So bereits die Empfehlung vor Erlass der 9. GWB-Novelle bei: Müller-Graff, ZHR 2015, 691, 697. 929 Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 395; Petrasincu, WuW 2016, 330, 330; Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 89; Kersting, GesRZ 2015, 377, 383; Kersting, WuW 2014, 564, 565; Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 7; 8; Roth, GWR 2015, 73, 74; Keßler, VuR 2015, 83, 85; Haus/Serafimova, BB 2014, 2883, 2884; Haus, Der Konzern 2014, 204, 205.

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nehmen sei.930 Entsprechend müssten die unionsrechtlichen Begriffe des Unternehmens und der Unternehmensvereinigung in das nationale Recht übertragen werden.931 Gegen diese Auslegung des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie wird die Unbestimmtheit des Unternehmensbegriffs sowie die Entstehungsgeschichte der Bestimmung eingewandt.932 Weder in dem ursprünglichen Kommissionsentwurf, dem Berichtsentwurf des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europäischen Parlament (ECON), der Stellungnahme des beteiligten Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz noch in der Ausrichtung des Rates waren Definitionen oder Angaben zur Passivlegitimation enthalten.933 Erst die jeweils nicht näher begründeten Änderungsanträge des Rechtsausschusses sowie der damaligen Vorsitzenden des ECON sahen vor, dass jedem, der durch eine Zuwiderhandlung eines Unternehmens Schaden erlitten hat, das Recht zukommt, den Schaden „von den zuwiderhandelnden Parteien“ zu verlangen.934 Der finale Bericht des von dem Parlament federführend beauftragten ECON wiederum sah schließlich in dem Entwurf der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vor, dass der Schaden „von dem Unternehmen“ verlangt werden sollte.935 Diese von dem ECON letztlich verabschiedete Fassung weicht damit von den zugrunde liegenden Änderungsanträgen in einem für die hier streitgegenständliche Frage entscheidenden Detail ab. Auch wenn sich in den Änderungsanträgen der Bezug zu dem Unternehmen aus dem 930

Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 395; Kersting, WuW 2014, 1156, 1171; Kersting/ Preuß, Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie, 2015, S. 42; Kersting, GesRZ 2015, 377, 383; Kersting, WuW 2014, 564, 565; Lettl, wrp 2015, 537, 538; Kühne/Woitz, DB 2015, 1028, 1028; Heinrich, Rechtsfragen der wirtschaftlichen Haftungseinheit, 2016, S. 221 ff.; 224; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GWB Rn. 42. 931 Kersting, WuW 2014, 564, 565; Lettl, wrp 2015, 537, 538; Kühne/Woitz, DB 2015, 1028, 1028. 932 Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 937 und Fn. 941 – 945. 933 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, COM (2013) 404 final; Europäisches Parlament, Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie vom 3. 10. 2013, Dokument PE516.968v01 – 00; Rat der Europäischen Union, allgemeine Ausrichtung durch den Rat am 2. 12. 2013 festgelegt, vgl. Protokoll der Tagung am 2./3. 12. 2013 vom 29. 01. 2014, Dokument 17312/13 ADD 1 REV 1, S. 16; inhaltlich angenommen wurde das Dokument 15983/13 RC 43 JUSTCIV 261 CODEC 2515 vom 27. 11. 2013; Europäisches Parlament, Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie vom 9. 01. 2014, Dokument PE 519.553v04 – 00. 934 Stellungnahme des Rechtsausschusses für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung zu dem Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie vom 27. 01. 2014, Dokument PE 524.711v03 – 00; Änderungsantrag Nr. 99 der Vorsitzenden Sharon Bowles, Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Änderungsanträge 66 – 299 vom 8. 11. 2013 zu dem Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, Dokument PE521.623v01 – 00. 935 Vgl. Europäisches Parlament, Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Bericht über den Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie vom 4. 02. 2014, Dokument PE516.968v01 – 00 A7 – 0089/2014.

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Zusammenhang ergab, wäre bei der Auslegung der „zuwiderhandelnden Partei“ Interpretationsspielraum verblieben.936 Über diesen Unterschied zwischen den Änderungsanträgen und der verabschiedeten Fassung wurde im ECON nicht debattiert.937 In den sich anschließenden nichtöffentlichen Trilog-Verhandlungen938 zwischen dem Rat und dem Parlament sowie der Kommission in beobachtender Funktion blieb diese Formulierung des Art. 1 Abs. 1 bestehen. In der Zusammenfassung der Trilog-Ergebnisse führte das Generalsekretariat des Rates aus, dass die Passage klarstellen soll, dass es sich bei dem Verletzer um ein Unternehmen und nicht um einen einzelnen Angestellten handelt.939 In der folgenden ersten Lesung im Parlament wurde die Passage angenommen und nicht weiter thematisiert.940 Dieser Ablauf ohne erkennbare Debatte nährt bei einigen Autoren Zweifel, ob sich die Richtliniengeber der Konsequenzen ihrer Formulierung bewusst waren. Entsprechend wird argumentiert, dass die Ergänzung „von dem Unternehmen“ nicht aufgenommen worden sei, um auf diese Weise den Unternehmensbegriff in die Richtlinie einzuführen.941 Überdies könne nicht von einem einheitlichen Unternehmensbegriff gesprochen werden, da im europäischen Wettbewerbsrecht unterschiedliche Begriffe verwandt würden.942 Ohne eine Definition in der Richtlinie sei dieser damit nicht die Vorgabe zu entnehmen, dass das Unternehmen unionsweit als wirtschaftliche Einheit im Sinne des europäischen Bußgeldrechts zu verstehen sei.943 Hieraus wiederum wird gefolgert, dass der europäische Unternehmensbegriff nicht in das deutsche Zivilrecht übertragen werden sollte.944 Die Einführung einer kartellzivilrechtlichen Konzernhaftung werde von der Richtlinie 2014/104/EU nicht vorgegeben.945

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Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 87. Fehlende Debatte im ECON durch den Berichterstatter Schwab gegenüber Wieser persönlich bestätigt, vgl. Wieser, Wirtschaftliche Einheiten, 2017, S. 87, Fn. 290. 938 Trilog-Verhandlungen am 10. 02. 2014, 27. 02. 2014 und 18. 03. 2014 gem. Art. 294 AEUV, vgl. Dokument des Rates der Europäischen Union vom 24. 03. 2014, Nr. 8088/14 RC 6 JUSTCIV 76 CODEC 885, S. 2. 939 Dokument des Rates der Europäischen Union vom 24. 03. 2014, Nr. 8088/14 RC 6 JUSTCIV 76 CODEC 885, S. 4. 940 Vgl. Protokolle der Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments am 16./17. 04. 2014, Dokumente PE 533.923 und CRE 16/04/2014 – 19. 941 Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 978. 942 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 112. Kritisch, aber unentschieden im Hinblick auf die Bestimmtheit des Unternehmensbegriffs: Krohs, in: Busche/Röhling, KKKartR, 2017, § 33 GWB Rn. 69. 943 von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 300. 944 Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 977 ff.; Bischke/Brack, NZG 2016, 99, 101; Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 113. 945 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 79; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 301; i.E. auch: Rust, NZKart 2015, 502, 508. 937

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2. Stellungnahme Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV sind Richtlinien „hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“. Der Begriff des Ziels bezeichnet dabei das von der Richtlinie vorgegebene Ergebnis.946 Die Mitgliedstaaten haben den von der Richtlinie gewünschten Rechtszustand herbeizuführen.947 Wie aus den vorbereitenden Dokumenten der Kommission sowie den Begründungserwägungen der Richtlinie hervorgeht, verfolgt die Richtlinie 2014/104/EU zwei primäre Ziele.948 Geschädigte sollen in allen Mitgliedstaaten ihr Recht auf Schadensersatz wirksam geltend machen können und eine realistische Möglichkeit der vollständigen Schadenskompensation haben. Zum anderen soll die Sicherstellung wirksamer privater zivilrechtlicher Durchsetzungsmaßnahmen neben der öffentlichen Durchsetzung des Kartellrechts zu einer Effektivierung der Wettbewerbsvorschriften führen. Beide Formen der Durchsetzung sollen koordiniert werden. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie legt als Zielbestimmung den Gegenstand und Anwendungsbereich der Richtlinie fest. Die Richtlinie macht den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Vorgabe, dass vollständiger Ersatz des durch einen Wettbewerbsverstoß entstandenen Schadens von dem Unternehmen erlangt werden können muss. In diesem Zusammenhang kann nicht überzeugend darauf verwiesen werden, dass der Begriff des Unternehmens nicht eindeutig umschrieben wäre.949 Auch wenn in der wissenschaftlichen Diskussion zahlreiche Differenzen darüber bestehen, wie das für das Bußgeldrecht entwickelte Haftungsmodell der wirtschaftlichen Einheit im Detail ausgestaltet ist und welche einzelnen Rechtsträger Teil derselben sind, so besteht aus Sicht des Unionsrechts zumindest seit der Entscheidung Akzo Nobel eine konsistente Rechtsprechungspraxis. Der Begriff des Unternehmens ist im europäischen Wettbewerbsrecht klar definiert und erfasst auch wirtschaftliche Einheiten. Zuzugeben ist, dass aufgrund der Entstehungsgeschichte Zweifel angebracht sind, inwiefern die weitreichenden Konsequenzen der Änderung des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie von sämtlichen Beteiligten bedacht wurden. Andererseits scheint es ebenso unwahrscheinlich, dass die beteiligten Fachleute die Konsequenzen nicht erkannt haben. So sah bereits der Entwurf der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments, mithin der für die erste Lesung im Parlament vorgesehene Richtlinientext, vor, dass der Schaden „von dem Unternehmen“ verlangt werden 946

Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 288 AEUV Rn. 76. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 288 AEUV Rn. 76; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 8/12, Art. 288 AEUV Rn. 112. 948 Richtlinie 2014/104/EU, Begründungserwägungen Nr. 4 bis Nr. 6, ABl. EU 2014 Nr. L 349/1, S. 1; Europäische Kommission, Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, COM (2013) 404 final, S. 3; Europäische Kommission, Zusammenfassung der Folgenabschätzung, Begleitpapier zum Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, SWD (2013) 204 final, S. 3. 949 Ebenso: Petrasincu, WuW 2016, 330, 330. 947

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sollte.950 Auch den Trilog-Verhandlungen lag damit der Text der nunmehr verabschiedeten Richtlinie zugrunde. Der Begriff des Unternehmens wurde damit zwar nicht seit den ersten Entwürfen verwandt, doch bildete die schließlich verabschiedete Passage bereits die Grundlage der wichtigsten Gremienentscheidungen, ohne beanstandet zu werden. Selbst zwei nach diesen Verhandlungen eingereichte Änderungsanträge bezogen sich nur auf andere Passagen der Richtlinie.951 Aufgrund des im europäischen Wettbewerbsrecht feststehenden Begriffsverständnisses kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Richtliniengeber den Begriff in einem abweichenden Verständnis verwendet haben. Hieraus folgt, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie den unionsrechtlichen Begriff des Unternehmens in Bezug nimmt. Die Richtliniengeber knüpfen an die (materielle) Verantwortlichkeit des Unternehmens im Sinne der wirtschaftlichen Einheit an. Allein aus der Verwendung des Begriffs „Unternehmen“ folgt jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten ein bestimmtes Haftungskonzept oder die Passivlegitimation des Unternehmens im Sinne der europäischen Rechtsprechung vorsehen müssten. Wie eingangs erläutert, haben die Mitgliedstaaten allein den von den Richtliniengebern vorgesehenen Rechtszustand herzustellen. Innerhalb der von der Richtlinie gezogenen Grenzen verbleiben ihnen Spielräume. Sofern die Richtlinie keine Festlegungen hinsichtlich der zu ergreifenden Mittel trifft, sind die Mitgliedstaaten in der Wahl der Mittel frei, um das Ergebnis zu erreichen.952 a) Richtlinie schreibt kein bestimmtes Haftungsmodell vor Entscheidend ist, dass die Richtlinie 2014/104/EU den Mitgliedstaaten gerade kein bestimmtes Haftungsmodell vorschreibt.953 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie, der das Recht auf Schadensersatz näher umschreibt, legt allein fest, dass die Mitgliedstaaten das Recht auf vollständigen Schadensersatz gewährleisten müssen. Es wird nicht festgelegt, von wem der Schadensersatz eingefordert werden kann. Auch die Erwägungsgründe der Richtlinie geben keinen Hinweis darauf, wer passivlegitimiert sein soll.

950 Vgl. Europäisches Parlament, Ausschuss für Wirtschaft und Währung, Bericht über den Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie vom 4. 02. 2014, Dokument PE516.968v01 – 00 A7 – 0089/2014. 951 Änderungsanträge vom 9. 04. 2014, Dokumente A7 – 0089/001 – 001, PE533.777/1 bzw. A7 – 0089/2, PE533.777v01 – 00. 952 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt, Stand 8/12, Art. 288 AEUV Rn. 112; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 288 AEUV Rn. 41; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 AEUV Rn. 26. 953 von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 301; Kasten/Traugott, CCZ 2015, 157, 163; Könen, NZKart 2017, 15, 16; in diesem Sinne wohl auch: Stauber/Schaper, NZKart 2014, 346, 347; Vollrath, NZKart 2013, 434, 438; Monopolkommission, Hauptgutachten XXI, S. 28 f.

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b) Keine Passivlegitimation des Unternehmens im Sinne der wirtschaftlichen Einheit Den Mitgliedstaaten wird nicht verbindlich vorgeschrieben, das Unternehmen im Sinne der europäischen Rechtsprechung als Anspruchsgegnerin im nationalen Recht auszugestalten.954 Weder der Begriff des Unternehmens noch der wirtschaftlichen Einheit wurde in die Begriffsbestimmungen in Art. 2 der Richtlinie aufgenommen, obwohl dieser 24 andere Begriffe der Richtlinie definiert. Auch an keiner anderen Stelle in der Richtlinie wird die Passivlegitimation des Unternehmens angeordnet. Dies ist konsequent, denn auch auf europäischer Ebene kommt dem aus mehreren Rechtsträgern gebildeten Unternehmen keine Rechtspersönlichkeit zu. Klotz verweist zu Recht auch auf die von dem Gesetzgeber gewählten Ermächtigungsgrundlagen.955 Die Kartellschadensersatzrichtlinie wird (insbesondere) auf Art. 103 und Art. 114 AEUV gestützt. Wäre die Einführung des Unternehmensbegriffs und somit eine Änderung des Gesellschaftsrechts beabsichtigt gewesen, wäre es naheliegend und zu erwarten gewesen, dass die Richtlinie auch auf Art. 50 Abs. 1 und Abs. 2 lit. g AEUV gestützt worden wäre. Diese bilden zwar nicht die Grundlage, um supranationale Gesellschaftsformen zu schaffen, ermächtigen jedoch zu einer Harmonisierung des Gesellschaftsrechts.956 Dieses Verständnis scheint auch der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie zugrunde zu legen. Anders als im Kartellordnungswidrigkeitenrecht hat er im Kartelldeliktsrecht keine Regelung zur Haftung konzernverbundener Unternehmen getroffen. Überdies wurde auch im Kartellordnungswidrigkeitenrecht dem Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit mit der 9. GWB-Novelle keine Teilrechtsfähigkeit zuerkannt.957 Etwas anderes kann auch nicht der Zielbestimmung in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie entnommen werden.958 Der Begriff des Unternehmens bildet den zentralen Anknüpfungspunkt für unterschiedlichste Kartellrechtstatbestände. Allein die Verwendung der Begrifflichkeit „Unternehmen“ impliziert noch kein bestimmtes 954

Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 977; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 301; Könen, NZKart 2017, 15, 16; Kruis, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2018, S. 255; i.E. auch: Monopolkommission, Hauptgutachten XXI, S. 28 f.; Moser, Konzernhaftung, 2017, S. 220 f. 955 Klotz, Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S. 110 f. 956 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 50 AEUV Rn. 21 ff. 957 Andere Ansicht: Kersting/Preuß, WuW 2016, 394, 396; 400, die entsprechend argumentieren, dass dies mit dem von ihnen vorgeschlagenen Modell der kartellrechtlichen Außengesellschaft harmonieren würde. Sie können jedoch nicht erklären, warum in diesem Fall die Geldbuße nicht unmittelbar an das Unternehmen, diese Außengesellschaft, adressiert wird. Die wirtschaftliche Einheit ist auch nach der deutschen Konzeption nicht rechtsfähig. Die Handlungen werden gerade den Rechtsträgern zugerechnet. Diese sind die Adressaten der Geldbußen. Die mangelnde Rechtsfähigkeit stimmt mit der europäischen Konzeption überein. Vgl. hierzu bereits Teil 2 § 5 A. 958 Ebenfalls ablehnend: Bischke/Brack, NZG 2016, 99, 101.

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Haftungsmodell.959 Dies zeigt sich sogar im Bereich des Bußgeldrechts, in welchem grundsätzlich ein Haftungsmodell der Kommission existiert. Auch wenn im Rahmen des Art. 101 AEUV derselbe Unternehmensbegriff gilt, wenden die Kommission und die Kartellämter bei seinem Vollzug unterschiedlichste Sanktionskonzepte an.960 Dies gilt umso mehr im Zivilrecht, da auf europäischer Ebene kein zivilrechtliches Haftungsmodell existiert.961 Entsprechend kann allein aus dem Begriff des „Unternehmens“ kein spezielles Haftungsmodell für das Zivilrecht abgeleitet werden. Der Begriff des Unternehmens bezeichnet allgemein „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“.962 Er erfasst Einzelgesellschaften, natürliche Personen und öffentlich-rechtliche Einrichtungen. Liegen zwischen mehreren Rechtsträgern die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vor, ist unter dem Begriff des Unternehmens eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird.963 Darüber hinausgehende Vorgaben folgen hieraus nicht. c) Mindestvorgaben für ein nationales Haftungsmodell der Mitgliedstaaten Auch wenn die Richtlinie demnach kein präzises Haftungsmodell vorgibt, könnten ihr doch gewisse Mindestvorgaben zu entnehmen sein, welche die Mit959 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 79; Könen, NZKart 2017, 15, 16; 17. 960 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156. Nach deutschem Kartellordnungswidrigkeitenrecht kann aufgrund einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV eine Sanktion allein gegen die handelnde Gesellschaft bzw. unter der Geltung des durch die 9. GWB-Novelle eingeführten Zurechnungstatbestandes in § 81 Abs. 3a GWB zusätzlich gegen die lenkende Obergesellschaft verhängt werden. Beide Modelle unterscheiden sich von dem Haftungsmodell der Kommission. Siehe hierzu ausführlicher die Darstellungen in Teil 2 und Teil 3 § 2 A. 961 Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 79; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 301; Kasten/Traugott, CCZ 2015, 157, 163; Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156. 962 EuG, Urt. v. 22. 10. 1997, Rs. T-213/95 u. a., ECLI:EU:T:1997:157 – SCK/FNK, Rn. 120; EuG, Urt. v. 12. 12. 2006, Rs. T-155/04, ECLI:EU:T:2006:387 – SELEX Sistemi Integrati, Rn. 50; EuGH, Urt. v. 1. 07. 2010, Rs. C-407/08 P, ECLI:EU:C:2010:389 – Knauf Gips, mit der inzidenten Bestätigung des EuG in Rn. 84. 963 EuGH, Urt. v. 10. 09. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536 – Akzo Nobel, Rn. 55; EuG, Urt. v. 17. 05. 2011, Rs. T-299/08, ECLI:EU:T:2011:217 – Elf Aquitaine, Rn. 46; EuG, Urt. v. 7. 06. 2011, Rs. T-217/06, ECLI:EU:T:2011:251 – Arkema France u. a., Rn. 40; EuG, Urt. v. 16. 06. 2011, Rs. T-208/08 u. a., ECLI:EU:T:2011:287 – Gosselin Group u. a., Rn. 40; EuG, Urt. v. 14. 07. 2011, Rs. T-190/06, ECLI:EU:T:2011:378 – Total u. a., Rn. 162; EuG, Urt. v. 27. 06. 2012, Rs. T-372/10, ECLI:EU:T:2012:325 – Bolloré, Rn. 48; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 1959 final, AT.39462 – Freight forwarding, Rn. 659; KOME v. 28. 03. 2012, C(2012) 2069 Entwurf, AT.39452 – Beschläge für Fenster und Fenstertüren, Rn. 412; KOME v. 27. 11. 2013, C(2013) 8286 final, AT.39633 – Garnelen, Rn. 452; KOME v. 29. 01. 2014, C(2014) 238 final, AT.39801 – Polyurethane Foam, Rn. 53; KOME v. 2. 12. 2014, C(2014) 2074 final, AT.39792 – Steel abrasives, Rn. 68; KOME v. 25. 06. 2014, C(2014) 4227 final, AT.39965 – Mushrooms, Rn. 35.

§ 3 Die Haftung in Deutschland nach der 9. GWB-Novelle

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gliedstaaten bei der Ausgestaltung ihres Haftungsmodells im nationalen Recht zu berücksichtigen haben. Sowohl die Zielbestimmung in Art. 1 Abs. 1 als auch Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie sehen vor, dass der Geschädigte vollständigen Schadensersatz erlangen muss. Auch die vorbereitenden Dokumente der Kommission betonen sämtlich als zentrales Ziel der Richtlinie, dass der Schaden in voller Höhe ersetzt werden muss.964 Die amtliche Überschrift des Art. 3 der Richtlinie hebt dies gar explizit hervor. Bei der Auslegung dieser Richtlinienvorgabe ist die Perspektive der Richtliniengeber zu beachten. Nach europäischer Lesart werden die einzelnen Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit als Gesamtheit erachtet. Wenn diese Einheit nicht als Rechtspersönlichkeit haftet, ist hieraus abzuleiten, dass zumindest das aus dieser Perspektive einheitliche Vermögen für den entstandenen Schaden haftet. Dieses Vermögen wird von den einzelnen Rechtsträgern der wirtschaftlichen Einheit gebildet. Entsprechend macht die Richtlinie die Vorgabe, dass der nationale Gesetzgeber dafür Sorge tragen muss, dass der Geschädigte vollständigen Ersatz des Schadens von dem Unternehmen – mithin aus dem Vermögen der dieses bildenden Rechtsträger – erlangen kann.965 Es fragt sich jedoch, ob der Richtlinie über dieses Gebot der Vollkompensation aus dem Vermögen des Unternehmens hinaus Vorgaben für das Rangverhältnis der Haftung der einzelnen Rechtsträger zu entnehmen sind. Können die Mitgliedstaaten eine Primärverantwortlichkeit der handelnden Gesellschaft vorsehen oder müssen sie eine erst- und gleichrangige Haftung sämtlicher Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit für den entstandenen Schaden anordnen? Weder dem Text der Richtlinie noch seinen Begleitunterlagen lassen sich Ausführungen zu dem Rangverhältnis der Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit entnehmen. Erwägungsgrund 11 der Richtlinie sieht vielmehr explizit vor, dass die Mitgliedstaaten in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, den Bestimmungen der Richtlinie und dem Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz eigene Zurechenbarkeitsvoraussetzungen beibehalten können. Die Frage der Haftung mehrerer Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit wird an keiner Stelle auch nur erwähnt. Aus diesem „beredten Schweigen“966 kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die Richtlinie keine über die Vollkompensation hinausgehenden Vorgaben für die Ausgestaltung der Haftung durch die Mitgliedstaaten macht.967 964

Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, COM (2013) 404 final, S. 3; Europäische Kommission, Zusammenfassung der Folgenabschätzung, Begleitpapier zum Vorschlag für eine Schadensersatzrichtlinie, SWD (2013) 204 final, S. 2 f. 965 In diesem Sinne auch: Könen, NZKart 2017, 15, 17. 966 Thomas/Legner, NZKart 2016, 155, 156. 967 Anderer Ansicht wohl Monopolkommission, Hauptgutachten XXI, S. 28 f., wonach aus der materiellen Verantwortlichkeit des Unternehmens auf eine Haftung aller Rechtsträger geschlossen wird. Ebenso: Vollrath, NZKart 2013, 434, 438; Körner, Gesamtschuld, 2016, S. 277. Die Autoren diskutieren jedoch nicht die Frage, ob neben der materiellen Verantwortlichkeit aus der Richtlinie auch die Vorgabe folgt, dass die Rechtsträger gleichrangig haften.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

Nimmt man die inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinie im Gesamten in den Blick, bestätigt dies, dass mit ihr keine Vorgaben für das Rangverhältnis der potenziell Haftenden gemacht werden sollten. Die Richtliniengeber haben aus einer Vielzahl möglicher Regelungsgegenstände einzelne materiellrechtliche und prozessrechtliche Aspekte ausgewählt, um in diesen Bereichen eine Harmonisierung in den Mitgliedstaaten herbeizuführen. Insbesondere Art. 5 und Art. 6 der Richtlinie enthalten ausführliche Vorgaben für die Offenlegung von Beweismitteln, die Art. 12 ff. regeln sehr detailliert einzelne Fragen im Hinblick auf die Abwälzung des Preisaufschlags. Sämtliche Vorgaben korrespondieren mit umfangreichen Vorbemerkungen in den Begründungserwägungen der Richtlinie. Für alle durch die Richtlinie nicht ausdrücklich geregelten Fragen verweist Art. 4 der Richtlinie hingegen auf den Effektivitäts- und den Äquivalenzgrundsatz. Die Systematik von Richtlinien im Allgemeinen untermauert dieses Ergebnis. Eine Richtlinie überlässt den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl der Mittel, mit denen sich die Vorgaben der Richtlinie am besten im nationalen Recht umsetzen lassen, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Dadurch können die Mitgliedstaaten die Vorschriften in ihren vorhandenen materiell- und verfahrensrechtlichen Rahmen einpassen. Richtlinien können nach den allgemeinen Grundsätzen zur Rechtsangleichung unterschiedliche Stufen der Harmonisierung nationaler Regelungen vorsehen.968 Insbesondere in der Wahl der Richtlinie als Instrument der Rechtsangleichung und im Besonderen in der inhaltlichen Ausgestaltung der verabschiedeten Richtlinie 2014/ 104/EU zeigt sich damit, dass über die Vorgabe der Vollkompensation hinaus kein bestimmtes Haftungsmodell oder eine bestimmte Rangfolge der Haftung vorgegeben ist. Dieses Ergebnis wird zuletzt auch durch die Kontrollüberlegung gestützt, dass eine gleichrangige Haftung mehrerer konzernverbundener Gesellschaften für das Verhalten einer für eine der Gesellschaften handelnden natürlichen Person einem Paradigmenwechsel in den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten gleichkommen würde. Eine gleichrangige Haftung aller Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit würde zu einer regelmäßigen Durchbrechung des im mitgliedstaatlichen969 und europäischen970 Recht elementaren Grundsatzes der Haftungstrennung führen. Aufgrund dieser tiefgreifenden Auswirkung wären eine ausdrückliche Vorgabe in der

968

Vgl. nur: Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 114 AEUV Rn. 29 ff. 969 Ausdrücklich normiert in § 64 Abs. 2 des österreichischen GmbHG, Art. 61, 210 und 437 des belgischen Code de Sociétés/Wetboek van Vennootschappen, Art. 1 Abs. 2 des dänischen Lov om anpartsselskaber, Art. L-225-I des französischen Code de Commerce, Art. 2462 des italienischen Codice Civile oder Art. 154 Abs. 1 S. 3 des slowakischen Gesetzes No. 513/ 1991 zitiert nach Voet van Vormizeele, WuW 2010, 1008, 1015 m.w.N. für das englische und das niederländische Recht. 970 Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europea).

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Richtlinie sowie nähere Ausführungen in den Begründungserwägungen geboten und zu erwarten gewesen.971 Mangels einer Regelung in der Richtlinie fehlt es auf europäischer Ebene bereits an einem Modell für die zivilrechtliche Haftung in den Mitgliedstaaten. Auch das Haftungsmodell aus dem europäischen Bußgeldrecht kann nicht als Argumentationsgrundlage für eine erst- und gleichrangige Haftung der einzelnen Rechtsträger im Zivilrecht herangezogen werden. Zwar besteht aufgrund der Bildung der wirtschaftlichen Einheit grundsätzlich eine gleichrangige Verantwortlichkeit. Jedoch haften nicht alle Rechtsträger erst- und gleichrangig – auch im Bußgeldrecht kommt der Kommission ein weitreichendes Ermessen zu, an welchen Rechtsträger sie die Geldbuße adressiert und wer mithin für den Verstoß haftet. Hierbei lässt sich die Kommission von dem Zweck der Abschreckung und der effektiven Vollstreckung der Geldbuße leiten.972 Doch auch wenn der unionsrechtlich begründete Schadensersatzanspruch, wie bereits ausgeführt, nicht nur der Kompensation, sondern auch der Prävention dient, gebietet im Zivilrecht die Prävention für sich nicht die Inanspruchnahme aller Rechtsträger.973 Nach Wortlaut, Zielsetzung und Regelungssystematik ist der Richtlinie 2014/104/ EU keine Vorgabe zu entnehmen, nach der die Mitgliedstaaten die Passivlegitimation der wirtschaftlichen Einheit oder die Möglichkeit der unmittelbaren Inanspruchnahme der Obergesellschaft, die Teil einer wirtschaftlichen Einheit nach ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte ist, vorzusehen haben.974 Maßgeblich ist allein die Vollkompensation des Geschädigten.975 Mangels expliziter Vorgaben können die Mitgliedstaaten entsprechend im Rahmen des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes eigene Zurechnungskriterien beibehalten und damit auch das Rangverhältnis der Haftung der einzelnen Rechtsträger regeln. 971 Ebenso: Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973, 979; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, 2015, S. 79; von Hülsen/Kasten, NZKart 2015, 296, 300. 972 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 59; Kellerbauer/Weber, EuZW 2014, 688, 691; a.A. Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 126, der die Kommissionspraxis dahingehend auslegt, dass der Grad der Verantwortlichkeit ausschlaggebend sei. Dem steht jedoch zum einen entgegen, dass, wie vorstehend begründet, die Verantwortlichkeit für den gemeinsamen Verstoß einheitlich ist. Zum anderen hat der EuGH in EuGH, Urt. v. 10. 04. 2014, Rs. C-231/11 P bis C-233/11 P, ECLI:EU:C:2014:256 – Siemens Österreich u. a. (gasisolierte Schaltanlagen), Rn. 58 zum Ausdruck gebracht, dass sich die Sanktionsbefugnis der Kommission allein auf die Bestimmung des Außenverhältnisses der Gesamtschuld bezieht. Die Berücksichtigung der individuellen Verantwortlichkeit der Rechtsträger bei der Inanspruchnahme käme dementgegen jedoch der Bestimmung der Anteile der Gesamtschuldner im Rahmen ihres Innenverhältnisses gleich. 973 Siehe hierzu bereits ausführlicher Teil 3 § 2 B. VIII. 2. d) aa). 974 Grundsätzlich zu der Bestimmung des gewünschten Harmonisierungsgrades anhand des Wortlauts, der Zielsetzung und der Regelungssystematik: Leible/Schröder, in: Streinz, EUV/ AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 114 AEUV Rn. 26. 975 So auch: Könen, NZKart 2017, 15, 17.

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Teil 3: Bußgeld-/zivilrechtliche Haftung auf Grundlage des deutschen Rechts

3. Zwischenergebnis Die Richtlinie 2014/104/EU gebietet weder die Passivlegitimation der wirtschaftlichen Einheit noch die Möglichkeit der unmittelbaren Inanspruchnahme der Obergesellschaft, die Teil einer wirtschaftlichen Einheit nach ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte ist. Die bestehenden deutschen Regelungen sind im Hinblick auf die untersuchten Aspekte grundsätzlich richtlinienkonform. III. Zusammenfassung und Schlussfolgerung Auch nach den Änderungen durch die 9. GWB-Novelle ist Anspruchsgegner des deliktischen Schadensersatzanspruches grundsätzlich der Rechtsträger, dem nach § 31 BGB (analog) das Verhalten der wettbewerbswidrig handelnden Personen zugerechnet werden kann. Gleichsam sind die Mitgliedstaaten weiterhin an die von dem EuGH entwickelten primärrechtlichen Vorgaben gebunden, die aus dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV abgeleitet worden sind. Soweit die Richtlinie keine ausdrücklichen Vorgaben enthält, gelten – wie auch Art. 4 der Richtlinie 2014/104/EU deklaratorisch vorschreibt – der Effektivitäts- und der Äquivalenzgrundsatz.976 Wie bereits im Hinblick auf die vor Inkrafttreten der neuen Vorschriften der 9. GWB-Novelle entstandenen Schadensersatzansprüche ausgeführt, ist der Effektivitätsgrundsatz damit verletzt, wenn der Schadensersatz nicht vollständig von der handelnden Gesellschaft erlangt werden kann. Das in der Richtlinie 2014/104/EU zum Ausdruck kommende Gebot der Vollkompensation bekräftigt diesen Befund erneut. In derartigen Fällen hat der Rechtsanwender die Haftung auf die leitende Obergesellschaft zu erstrecken. Nach hiesiger Auffassung kann dies im Rahmen von Follow-on-Klagen durch die Nichtanwendung des Verschuldenserfordernisses in nunmehr § 33a Abs. 1 GWB erreicht werden. Wird eine Stand-alone-Klage angestrengt und kann die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft nachgewiesen werden, ist in den weit überwiegend betroffenen GmbH-Konzernen § 13 Abs. 2 GmbHG nicht anzuwenden und eine Haftung der Obergesellschaft analog § 128 HGB zu begründen. Im Hinblick auf die seltenen Konstellationen, in denen eine Schwestergesellschaft als wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft fungiert, nicht die vollständige Kette vertikal verbundener Konzerngesellschaften als wirtschaftliche Einheit agiert oder eine Aktiengesellschaft als handelnde Tochtergesellschaft den Wettbewerbsverstoß begeht, kann auch nach Umsetzung der 9. GWB-Novelle kein unionskonformes Ergebnis im deutschen Recht erreicht werden.977

976

Ebers, Unionsprivatrecht, 2016, S. 568. Siehe hierzu bereits ausführlich Teil 3 § 2 B. IX. 2. Zu den möglichen staatshaftungsrechtlichen Folgen siehe Teil 3 § 2 B. IX. 3. 977

Teil 4

Untersuchungsergebnisse Nachfolgend werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und mit einem kurzen Ausblick abgerundet.

§ 1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse A. Das europäische Konzept der wirtschaftlichen Einheit EuGH, EuG und Kommission vertreten einheitlich einen funktionalen Unternehmensbegriff. Der Begriff des Unternehmens wird synonym zu dem der wirtschaftlichen Einheit verwendet und bezeichnet kein separates Zurechnungsmodell zwischen rechtlich selbstständigen Rechtsträgern. Die Formulierung „Zurechnung“ umschreibt lediglich die weite Auslegung des Unternehmensbegriffs, d. h. die allgemeine Zuordnung von Verantwortlichkeit als Folge der Zusammenfassung von Ober- und Tochtergesellschaft zu einem Unternehmen. Die Begriffe des Unternehmens auf Tatbestandsebene in Art. 101 AEUV und auf Rechtsfolgenebene in Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 werden identisch ausgelegt. Eine wirtschaftliche Einheit wird aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet. Sie besteht aus den an dem Wettbewerbsverstoß unmittelbar beteiligten Rechtsträgern sowie den Rechtsträgern, welche neben der Möglichkeit der Einflussnahme ihren Einfluss auf diese Rechtsträger im Zeitraum der Zuwiderhandlung tatsächlich ausgeübt haben. Die wirtschaftliche Einheit kann nicht mit dem Gesamtkonzern gleichgesetzt werden. Maßgeblich sind die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zwischen den Rechtssubjekten im Einzelfall. Eine Kapitalbeteiligung ist keine zwingende Voraussetzung. Die leitende Gesellschaft muss weder an dem Verstoß mitgewirkt, von ihm Kenntnis gehabt noch zu ihm angestiftet haben. Die tatsächliche Einflussnahme muss sich nicht auf den spezifischen Bereich beziehen, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde. Der allgemeine Einfluss auf die Geschäftspolitik der handelnden Gesellschaft genügt und kann sich aus der Gesamtheit der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen ergeben. Hält die beherrschende Gesellschaft nahezu 100 % des Kapitals an der handelnden Gesellschaft, begründet dies die Möglichkeit der Einflussnahme und die tatsächliche Einflussnahme wird widerleglich vermutet. Eine feste Grenze für die Anwendung der Vermutung auf Beteiligungen knapp unterhalb von 100 % lässt sich

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Teil 4: Untersuchungsergebnisse

der Unionsrechtsprechung nicht entnehmen. Die Vermutungsregel sollte in solchen Fällen restriktiv angewandt werden und nur dann in Betracht kommen, wenn die Beteiligung einem Alleingesellschafter vergleichbare Einwirkungsbefugnisse vermittelt. Andernfalls würde die gesetzliche Beweislastverteilung in ihr Gegenteil verkehrt. Unter diesen Voraussetzungen kann eine wirtschaftliche Einheit auch zwischen gesellschaftsrechtlichen Schwestergesellschaften oder zwischen mehreren Rechtsträgern entstehen, die durch eine Kette der bestimmenden Einflussnahme verbunden sind. Unabhängig von den gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten ist immer das wettbewerbsrechtliche Über- bzw. Unterordnungsverhältnis maßgeblich. Eine unbeteiligte Tochtergesellschaft ist nicht Teil der wirtschaftlichen Einheit und haftet nicht für die wettbewerbswidrigen Handlungen der Mitarbeiter ihrer Obergesellschaft. Gleiches gilt für die Haftung zwischen gesellschaftsrechtlichen Schwestergesellschaften, sofern die unbeteiligte Gesellschaft sich nicht aufgrund ihres bestimmenden Einflusses als wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft der handelnden gesellschaftsrechtlichen Schwestergesellschaft darstellt. Anders verhält es sich nur, wenn sowohl die Ober- als auch die Tochtergesellschaft bzw. die Schwestergesellschaften gemeinsam an dem Wettbewerbsverstoß beteiligt waren und damit bereits eine einheitliche Zuwiderhandlung vorliegt. Die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit geht weit über eine reine Haftungsanordnung hinaus. Nach dem Konzept der Unionsorgane verstößt das aus mehreren Rechtsträgern gebildete Unternehmen schuldhaft gegen das Wettbewerbsrecht und wird für diesen Verstoß mit einer Geldbuße belegt. Die wirtschaftliche Einheit ist jedoch weder rechts- noch handlungsfähig im herkömmlichen Sinne. Der Verstoß des Unternehmens beruht auf den von den Mitarbeitern der handelnden Gesellschaft begangenen Zuwiderhandlungen. Diese Handlungen werden der Anstellungskörperschaft zugerechnet und aufgrund des funktionalen Unternehmensbegriffs als Handlungen des Unternehmens fingiert. Die Tochtergesellschaft ist aufgrund der wettbewerbswidrigen Handlungen ihrer Mitarbeiter, die Obergesellschaft aufgrund ihrer Kontrolle über die wettbewerbswidrig handelnde Tochtergesellschaft Teil des Unternehmens. Die allein aufgrund tatunabhängiger Kriterien mit der handelnden Gesellschaft verbundene Obergesellschaft begeht selbst keine Beteiligungshandlung. Sie haftet nicht aufgrund einer irgendwie gearteten unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung, Anstiftung oder Beihilfe. Die (vermutete) Einflussnahme wird nicht als tatbestandsmäßige Handlung qualifiziert. Auch eine Aufsichtspflichtverletzung liegt der aktuellen Unionspraxis nicht zugrunde. Mit der Übernahme des funktionalen Unternehmensbegriffs hat der EuGH auch sein Haftungsmodell geändert. Die ökonomische Betrachtungsweise führt zu einer Gleichstellung der Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit im Hinblick auf die Täterschaft. Sie werden als ein einheitlicher Teilnehmer an der Zuwiderhandlung behandelt. Liegen die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit vor, folgt aus der

§ 1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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extensiven Auslegung des Unternehmensbegriffs die Zuordnung der Verantwortlichkeit an die Obergesellschaft. Die Obergesellschaft wird „so behandelt bzw. so angesehen“, als ob sie selbst schuldhaft gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hätte. Bei der Obergesellschaft werden daher die Handlungen und der darauf beruhende Verstoß fingiert. Kern der Argumentation der Unionsorgane ist die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs. Die Rechtsträger sind die juristische Verkörperung des aus ökonomischer Perspektive einheitlich agierenden Unternehmens. Die in diese Gesamtheit eingegliederten Einzelunternehmen tragen als Teile der wirtschaftlichen Einheit gemeinsam die Verantwortung für den Kartellverstoß des Unternehmens. Ihnen wird derselbe Verstoß zur Last gelegt, für den sie als eigenen Verstoß haften. Entsprechend haften die Rechtsträger gesamtschuldnerisch für den Verstoß des gemeinsam gebildeten Unternehmens.

B. Die Haftung der Obergesellschaft für Geldbußen auf Grundlage des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts für Verstöße gegen Art. 101 AEUV Nach der bis zum Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle geltenden Rechtslage kann auf Grundlage des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts eine Geldbuße nur gegen die handelnde Gesellschaft und nicht gegen das Unternehmen im Sinne des Unionsrechts oder gegen weitere Gesellschaften im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit verhängt werden. Auch im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bemisst sich die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit nach nationalem Recht. Das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht sieht allein eine Zurechnung an die Personenverbände vor, deren Repräsentanten gehandelt haben. Eine „Fiktion“ der schuldhaften Handlungen bei der wirtschaftlichen Einheit oder der Obergesellschaft, wie sie aus dem europäischen Konzept der wirtschaftlichen Einheit folgt, findet keine Grundlage im OWiG. Gegen Personenverbände können Geldbußen nur auf der Grundlage des § 30 OWiG verhängt werden und haben das in § 30 OWiG zum Ausdruck kommende Rechtsträgerprinzip zu achten. Die fehlende Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit kann nicht ausgeglichen werden, indem die wirtschaftliche Einheit im Sinne der Unionspraxis als wettbewerbsrechtliche (Außen-) Gesellschaft bürgerlichen Recht qualifiziert wird. Es fehlt hier bereits an dem begriffsnotwendigen Auftritt nach außen. Eine kontextbezogene Außengesellschaft kann weder sachlich noch dogmatisch begründet werden. Die nationalen Kartellbehörden können auch nicht auf Art. 5 bzw. Art. 23 VO Nr. 1/2003 als Befugnisnormen zurückgreifen, um ohne Bindung an das Rechtsträgerprinzip Geldbußen gegen Unternehmen im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit zu verhängen. Die Kapitalbeteiligung an der Tochtergesellschaft und die damit verbundene Möglichkeit der Einflussnahme bzw. die allgemeine, nicht auf das wettbewerbs-

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Teil 4: Untersuchungsergebnisse

widrige Verhalten bezogene Einflussnahme kann keine rechtliche Verantwortlichkeit der Obergesellschaft begründen. Eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung auf Grundlage des § 130 OWiG scheidet aus, da die Obergesellschaft weder Inhaberin eines „Konzerns“ noch der Tochtergesellschaft ist. Inhaberin und Aufsichtspflichtige i.S.d. § 130 OWiG ist allein die Tochtergesellschaft als Rechtsträger des wettbewerbswidrig handelnden Unternehmens. Auch die Ahndung einer fahrlässigen Nebentäterschaft durch Unterlassen scheidet in den weit überwiegenden Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit aus. Das Modell der Geschäftsherrenhaftung kann nicht auf den Konzern übertragen werden. Der Obergesellschaft kommt keine allgemeine Garantenstellung im Hinblick auf Wettbewerbsverstöße zu, die aus der Tochtergesellschaft heraus begangen werden. Im Konzernverbund kann eine Garantenstellung weder mit einem betriebsähnlichen Autoritätsverhältnis noch materiell mit der Gefahrenquelle „Unternehmen“ begründet werden. Eine Garantenstellung kommt allenfalls in Betracht, wenn durch das Einwirken auf die Tochtergesellschaft eine Gefahr begründet wird, die der Unternehmung der Tochtergesellschaft nicht immanent ist oder wenn Aufsichtspflichten der Tochtergesellschaft vertraglich oder faktisch übernommen worden sind. Eine Ahndung der Obergesellschaft als faktisches Organ ihrer wettbewerbswidrig handelnden Tochtergesellschaft scheidet wegen eines Verstoßes gegen das Analogie- und das Bestimmtheitsgebot aus. Dieses im Vergleich zu der europäischen Rechtspraxis bestehende Sanktionsdefizit kann nicht durch einen Rückgriff auf Normen des GWB geschlossen werden. Weder über § 81 Abs. 4 GWB noch auf Grundlage der Verbundklausel des § 36 Abs. 2 GWB kann eine Sanktion gegen die Obergesellschaft einer wirtschaftlichen Einheit begründet werden. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB ordnet nicht die Geltung des europäischen Unternehmensbegriffs im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht an, sondern hat allein die Bußgeldbemessung zum Gegenstand. Ein Rückgriff als Eingriffs- oder Zurechnungsnorm scheidet aus. § 36 Abs. 2 GWB wiederum kann für sich allein nicht die Grundlage für eine täterschaftsbegründende, konzernweite Verhaltens- und Verschuldenszurechnung im Kartellordnungswidrigkeitenrecht bilden. Die Verbundklausel ist keine isoliert anwendbare Zurechnungsnorm. Sie kann lediglich bei der Subsumtion unter ein konkretes Tatbestandsmerkmal einer Norm aus dem GWB herangezogen werden, um auf diese Weise die wirtschaftlichen Zusammenhänge im Rahmen dieses Tatbestandes zu berücksichtigen. Eine Zurechnung, die eine bußgeldrechtliche Haftung begründet, bedarf einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung. Eine Anwendung der Verbundklausel im Rahmen des § 30 OWiG würde überdies gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete Analogieverbot verstoßen. Trotz dieser rechtspolitisch als unbefriedigend empfundenen Lücke steht das bis zum Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle geltende deutsche Sanktionssystem in Einklang mit dem europäischen Effektivitätsgebot. Der Verweis auf das Effektivitätsgebot kann weder die Annahme einer konzernweiten Aufsichtspflicht noch einer

§ 1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Garantenstellung rechtfertigen. Insbesondere aus der jüngsten Entscheidung des EuGH in Sachen Schenker folgt kein Kongruenzgebot. Im Zuge der 9. GWB-Novelle wurde diese Lücke durch den deutschen Gesetzgeber geschlossen und mit § 81 Abs. 3a GWB eine unternehmensgerichtete Sanktion systemkonform in das deutsche Recht integriert. Dem Unternehmen im Sinne der wirtschaftlichen Einheit wurde keine Teilrechtsfähigkeit zuerkannt. Aufgrund des Zusammenspiels von § 30 OWiG und § 81 GWB werden sämtliche Rechtsträger, die nach der Praxis der Unionsorgane eine wirtschaftliche Einheit bilden, nunmehr auch im deutschen Sanktionssystem erfasst. Dem Unionsrecht entsprechend ist nach § 81 Abs. 3a GWB nicht das gesellschaftsrechtliche, sondern das wettbewerbsrechtliche Über-/Unterordnungsverhältnis maßgeblich – die bestimmende Einflussnahme. Das deutsche Gesetz rechnet das wettbewerbswidrige Verhalten der Leitungsperson der Tochtergesellschaft fortan sowohl dieser über § 30 Abs. 1 OWiG als auch der leitenden Obergesellschaft über § 81 Abs. 3a GWB zu, sofern zwischen den Gesellschaften die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit erfüllt sind. Anders als nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte wird der Verstoß des Unternehmens jedoch nicht bei den einzelnen Rechtsträgern fingiert. Diese Normierung einer klaren Zurechnungsvorschrift und der Verzicht auf die Übernahme der Vermutungsregel bei einer nahezu 100-%-Kapitalbeteiligung ist gegenüber der Lösung der Unionsorgane vorzugswürdig; sie vermeidet die rechtsstaatlichen Kritikpunkte an der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit. Überdies ermöglicht die gefundene Lösung weiterhin die Heranziehung des § 130 OWiG innerhalb der Tochtergesellschaft und erhält damit den Anreiz zur Implementierung von Compliance-Systemen aufrecht.

C. Zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft im Hinblick auf Verstöße gegen Art. 101 AEUV Das aus dem Unionsrecht folgende Recht auf Schadensersatz wird im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten nach deutschem Zivilrecht durchgesetzt. Die wirtschaftliche Einheit im Sinne des Unionsrechts ist mangels Rechtsfähigkeit im deutschen Zivilprozess nicht passivlegitimiert. Der deutsche Gesetzgeber hat die wirtschaftliche Einheit weder als eigenständigen Rechtsträger noch als eine der Gesellschaft bürgerlichen Rechts vergleichbare Gesamthandsgemeinschaft anerkannt. Nach den allgemeinen deutschen Zurechnungsregeln haftet für einen von ihren Mitarbeitern begangenen Wettbewerbsverstoß allein die Tochtergesellschaft. Das wettbewerbswidrige Handeln der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft wird der Obergesellschaft nicht einheitlich – und damit auch nicht im Zivilrecht – auf Grundlage der Unionsregeln, bzw. Art. 101 AEUV, zugerechnet. Auch § 36 Abs. 2 GWB ermöglicht keine Zurechnung an die Obergesellschaft. Die Verbundklausel setzt einen tatbestandlichen Anknüpfungspunkt des Rechtsträgers voraus, dem zugerechnet werden soll.

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Teil 4: Untersuchungsergebnisse

Auf Ebene der Obergesellschaft bestehen keine Anknüpfungspunkte für eine Haftung wegen eines eigenen Verschuldens ihrer Leitungsorgane für die von den Mitarbeitern der Tochtergesellschaft begangenen wettbewerbswidrigen Handlungen. Eine Haftung wegen einer Organisations- oder einer Legalitätspflichtverletzung scheidet im Hinblick auf einen Wettbewerbsverstoß aus. Aufgrund der dogmatischen Verortung des Verkehrspflichtkonzepts in § 823 Abs. 1 BGB sind allgemeine Vermögensschäden nicht geschützt. Reine Personalgefahren werden von den Organisationspflichten nicht erfasst; eine allgemeine Legalitätspflicht stünde im Widerspruch zu der Entscheidung des Gesetzgebers, in § 823 BGB kein allgemeines Schädigungsverbot zu schaffen. Mangels einer Aufsichtspflicht der Obergesellschaft über ihre Tochtergesellschaft scheidet auch eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 130 OWiG, § 31 BGB aus. Nur in wenigen Ausnahmefällen kann trotz der Anwendung des § 831 Abs. 1 S. 1 BGB auf den Unternehmensverbund aufgrund der hohen Anforderungen an die Verrichtungsgehilfeneigenschaft der Tochtergesellschaft und der allgemeinen Exkulpationsmöglichkeit ein Anspruch gegen die Obergesellschaft begründet werden. Ohne eigene Veranlassung, Mitwirkung oder Kenntnis haftet die Obergesellschaft nicht für den Verstoß der Tochtergesellschaft. Die Konzernverbundenheit führt lediglich in einem Eingliederungskonzern zu einem direkten Anspruch gegen die Obergesellschaft, § 322 AktG. Im Vertragskonzern besteht über § 302 AktG eine indirekte Haftung für Schadensersatzansprüche, die gegenüber der Tochtergesellschaft geltend gemacht werden. In den in der Praxis am weitesten verbreiteten faktischen oder qualifiziert faktischen Konzernen scheitern potenzielle Ansprüche aus §§ 311, 317 AktG, § 826 BGB oder Treuepflichtverletzung hingegen an der regelmäßig fehlenden nachteiligen Einflussnahme oder dem Fehlen eines schädigenden Eingriffs. Die Voraussetzungen der anerkannten Konstellationen, die eine Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes rechtfertigen, sind in den Fällen der wirtschaftlichen Einheit meist nicht erfüllt. Auch im Konzernverbund haftet jede juristische Person nur mit ihrem eigenen Vermögen und nicht mit dem Vermögen ihrer Gesellschafter – es gilt das Trennungsprinzip. Das aus dem europäischen Wettbewerbsrecht abgeleitete Recht auf Schadensersatz besteht dem Grunde nach gegenüber dem Unternehmen im Sinne des Unionsrechts. Gegenüber diesem Unternehmen wird der Präventionszweck verfolgt und für dieses statuiert das Unionsrecht eine Kompensationspflicht. Die praktische Wirksamkeit, der effet utile, des Art. 101 AEUV gebietet weder unter dem Aspekt der Kompensation noch unter dem der Prävention einen unmittelbaren Anspruch gegen alle Rechtsträger einer wirtschaftlichen Einheit. Es reicht aus, wenn der durch den Verstoß der wirtschaftlichen Einheit verursachte Schaden von einem der Rechtsträger, die Teil der wirtschaftlichen Einheit sind, ersetzt erlangt werden kann. Das Recht auf Schadensersatz wird mit ebendiesem Inhalt durch den Effektivitätsgrundsatz geschützt. Folglich stehen die primäre Verantwortlichkeit der handelnden Gesellschaft im deutschen Recht und die damit einhergehende Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung auf die handelnde Gesellschaft mit diesen Vorgaben dem

§ 1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Grunde nach in Einklang. Der Effektivitätsgrundsatz kann nicht allgemein als Argument für ein effektives Kartellschadensersatzrecht herangezogen werden. Maßgeblich ist allein der unionsrechtlich gebotene Schutz. Entsprechend ist bei Anwendung und Auslegung des § 33 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 GWB das konzernrechtliche Trennungsprinzip als grundlegendes Prinzip der Rechtsordnung und bewusste gesetzgeberische Entscheidung zu wahren. Anders verhält es sich, wenn der geltend gemachte Schaden nicht vollständig von der handelnden Tochtergesellschaft erlangt werden kann, diese insolvent ist. Der effet utile des Art. 101 AEUV gibt grundsätzlich das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs vor. Diese Vorgabe ist gewahrt, solange die Möglichkeit zur Durchsetzung des Schadensersatzes zumindest gegen einen verstoßenden Rechtsträger besteht. Fällt die handelnde Gesellschaft als Schuldner aus, bleibt der eigentliche Schuldner aus der Perspektive des europäischen Wettbewerbsrechts, das Unternehmen, in Form der übrigen Rechtsträger bestehen. In diesem Zusammenhang kann nicht auf das allgemeine Insolvenzrisiko der Tochtergesellschaft verwiesen werden. Denn erst aufgrund des deutschen Rechts wird der Schadensersatzanspruch auf diese Gesellschaft beschränkt. Entscheidend ist jedoch nicht, welches Risiko die nationale Rechtsordnung, sondern welches Risiko die europäische Rechtsordnung dem Gläubiger auferlegt. Erst wenn von keinem der Rechtsträger Ersatz erlangt werden kann, realisiert sich das nach der Unionsrechtsordnung auferlegte Insolvenzrisiko. Existiert ein weiterer Rechtsträger, macht die aus dem nationalen Zivilrecht folgende Haftungsbegrenzung die Ausübung des unionsrechtlich begründeten und von den Mitgliedstaaten zu gewährleistenden Schadensersatzanspruchs unmöglich. In der Folge gebietet der effet utile des Art. 101 AEUV einen Durchgriff auf die Obergesellschaft. Im Rahmen einer Follow-on-Klage ist das Zivilgericht nach § 286 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 33 Abs. 4 S. 1 GWB jedoch nur an den von den Unionsorganen festgestellten Verstoß der adressierten Obergesellschaft gebunden. Das Verschulden nimmt weder an der Bindungswirkung des Art. 16 VO Nr. 1/2003 noch an derjenigen des § 33 Abs. 4 GWB teil. Entsprechend ist die Vorgabe des Unionsrechts im Rahmen einer Follow-on-Klage umzusetzen, indem das Verschuldenserfordernis in § 33 Abs. 3 S. 1 GWB auf diese Obergesellschaft nicht angewendet wird. Hieraus folgt eine eng umgrenzte Ausfallhaftung der Obergesellschaft in sämtlichen Konstellationen der wirtschaftlichen Einheit. In Stand-alone-Verfahren kann im GmbHKonzern eine Haftung gesellschaftsrechtlicher Obergesellschaften durch die Nichtanwendung des § 13 Abs. 2 GmbHG sowie eine analoge Anwendung des § 128 HGB begründet werden. Den sachlichen Grund, der den Durchgriff ausnahmsweise rechtfertigt, bildet die Effektivität der Normdurchsetzung im Interesse des Wettbewerbs. Eine (Gesamt-)Analogie zu nationalen oder unionsrechtlichen Normen im Übrigen kommt nicht in Betracht, ohne die Grenze des Contra-legem-Judizierens zu überschreiten. Demzufolge lässt sich im Rahmen eines Stand-alone-Verfahrens in einem faktischen Aktienkonzern oder wenn sich eine Schwestergesellschaft als wettbewerbsrechtliche Obergesellschaft darstellt bzw. nicht die vollständige Kette vertikal verbundener Konzerngesellschaften als wirtschaftliche Einheit agiert, keine

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Teil 4: Untersuchungsergebnisse

zivilrechtliche Haftung der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft begründen. Die verbleibende Lücke kann nur durch den Gesetzgeber geschlossen werden. Diese Lücke hat der deutsche Gesetzgeber auch im Rahmen der 9. GWB-Novelle nicht geschlossen. Anspruchsgegner ist weiterhin der Rechtsträger, dem das wettbewerbswidrige Verhalten der natürlichen Personen (analog) § 31 BGB zugerechnet werden kann. Das Unternehmen, die wirtschaftliche Einheit im Sinne der Unionsrechtsprechung, ist nicht passivlegitimiert. Durch die Legaldefinition des Rechtsverletzers in § 33 Abs. 1 GWB n.F. wurde nicht indirekt auf den europäischen Unternehmensbegriff Bezug genommen. Es handelt sich um eine eigenständige Definition. Rechtsverletzer bezeichnet schlicht denjenigen, der den Verstoß begangen hat. Eine analoge Anwendung des § 81 Abs. 3a GWB im Zivilrecht scheidet bereits aufgrund der fehlenden Planwidrigkeit der Regelungslücke aus. Die nach Umsetzung der 9. GWB-Novelle geltende Rechtslage steht mit den Vorgaben der Richtlinie 2014/104/EU in Einklang. Die Richtlinie schreibt nicht die Umsetzung des unionsrechtlich definierten Unternehmensbegriffs für den nationalen Gesetzgeber vor. Die Zielbestimmung in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie nimmt zwar den unionsrechtlichen Begriff des Unternehmens in Bezug. Damit knüpfen die Richtliniengeber jedoch nur an die (materielle) Verantwortlichkeit des Unternehmens im Sinne der wirtschaftlichen Einheit an. Allein aus dem Begriff „Unternehmen“ kann kein spezielles Haftungsmodell für das Zivilrecht abgeleitet werden. Nach Wortlaut, Zielsetzung und Regelungssystematik ist der Kartellschadensersatzrichtlinie keine Vorgabe zu entnehmen, nach der die Mitgliedstaaten die Passivlegitimation der wirtschaftlichen Einheit oder die Möglichkeit der unmittelbaren Inanspruchnahme der Obergesellschaft, die Teil einer wirtschaftlichen Einheit ist, vorzusehen haben. Als Mindestvorgabe hingegen sehen sowohl die Zielbestimmung in Art. 1 Abs. 1 als auch Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass der Geschädigte vollständigen Schadensersatz erlangen können muss. Entsprechend gibt die Richtlinie vor, dass der nationale Gesetzgeber dafür Sorge tragen muss, dass der Geschädigte vollständigen Ersatz des Schadens von dem Unternehmen – mithin aus dem Vermögen der dieses bildenden Rechtsträger – erlangen kann. Sie legt jedoch nicht fest, von wem der Schadensersatz eingefordert werden kann. Mangels expliziter Vorgaben können die Mitgliedstaaten folglich im Rahmen des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes eigene Zurechnungskriterien beibehalten und damit auch das Rangverhältnis der Haftung der einzelnen Rechtsträger regeln. Hieraus folgt jedoch zugleich, dass das nach der 9. GWB-Novelle geltende Recht weiterhin in Konflikt mit dem Effektivitätsgrundsatz steht, sofern der Schaden nicht vollständig von der handelnden Gesellschaft ersetzt erlangt werden kann. In derartigen Fällen ist die Haftung auf die leitende Obergesellschaft zu erstrecken.

§ 2 Ausblick

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§ 2 Ausblick Die gegenwärtige Unionspraxis der Verhängung von Geldbußen gegen Unternehmen bzw. wirtschaftliche Einheiten im Sinne des Unionsrechts ist dogmatisch inkonsistent und intransparent. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise führt unbestritten zu einer effektiven Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregeln. Dies kann jedoch keine juristische Methodik ersetzen. Ohne Bekenntnis zur Rechtsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheit bildet die wirtschaftliche Einheit als Täter eine reine Fiktion. Die Haftung der Obergesellschaft beruht allein auf einer nicht näher begründeten und damit rechtlich nicht überprüfbaren Rechtsfortbildung der Unionsorgane durch die Auslegung des Unternehmensbegriffs. Tatsächlich kaschiert die extensive Auslegung des Unternehmensbegriffs damit lediglich eine im Gesetz nicht begründete Haftungsanordnung. Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der 9. GWB-Novelle mit der ausdrücklichen Normierung einer Zurechnungsvorschrift einen vorzugswürdigen Weg gewählt, um diese Probleme aufzulösen, ohne den Unternehmensbegriff des Unionsrechts mitsamt seinen Kritikpunkten unmittelbar in das deutsche Recht zu integrieren. Doch bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 9. GWB-Novelle am 9. Juni 2017 scheint sich erneuter Diskussionsbedarf abzuzeichnen. Bereits am 22. März 2017 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie vorgelegt, mit welcher die nationalen Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften weiter gestärkt und die unterschiedlichen Sanktionsniveaus sowohl zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten als auch zwischen der Kommission und den nationalen Behörden angeglichen werden sollen.1 Anders als noch die Schadensersatzrichtlinie definiert Art. 2 Nr. 8 des Vorschlags nunmehr ausdrücklich das „Unternehmen“ als solches im Sinne der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Auch im nationalen Recht sollen künftig Geldbußen gegen Unternehmen in diesem Sinne verhängt werden und die einzelnen Rechtsträger gesamtschuldnerisch für diese Geldbuße haften.2 Im deutschen Kartelldeliktsrecht findet der unionsrechtliche Begriff des Unternehmens sowohl vor als auch nach der 9. GWB-Novelle keine Berücksichtigung. Nach dem Ergebnis der vorstehenden Untersuchung kann auch der Effektivitätsgrundsatz keine gleichrangige Primärverantwortlichkeit der wettbewerbsrechtlichen Obergesellschaft für wettbewerbswidrige Handlungen der Mitarbeiter ihrer Tochtergesellschaft begründen. Insbesondere nach Umsetzung der 9. GWB-Novelle besteht damit ein offensichtlicher Widerspruch zwischen bußgeldrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung. Der unionsrechtliche Schadensersatzanspruch besteht ge1

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts v. 22. 03. 2017, COM (2017) 142 final. 2 Art. 12 des Vorschlages COM (2017) 142 final sowie Begründung S. 21 und Begründungserwägungen Nr. 29 und Nr. 31, S. 32.

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Teil 4: Untersuchungsergebnisse

genüber dem aus mehreren Rechtsträgern gebildeten Unternehmen. Auch im Bußgeldrecht formuliert der deutsche Gesetzgeber nunmehr, dass die Ordnungswidrigkeit die Verantwortlichkeit des Unternehmens im Sinne des Art. 101 AEUV auslöst und die entsprechend persönlich verantwortliche Obergesellschaft über § 81 Abs. 3a GWB für einen Verstoß gegen die Verpflichtung dieses Unternehmens herangezogen wird.3 Damit zeichnet sich auch die künftige Entwicklung im Kartelldeliktsrecht ab – eine gesamtschuldnerische zivilrechtliche Haftung der Rechtsträger der wirtschaftlichen Einheit für den Verstoß des Unternehmens. Der Vorgehensweise im Bußgeldrecht entsprechend wäre es hier grundsätzlich vorzugswürdig, von der Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs abzusehen. Das europäische Konzept ist kein Vorbild, das nachgeahmt werden sollte. Vorzuziehen wäre vielmehr – ähnlich dem § 81 Abs. 3a GWB – eine § 31 BGB nachgebildete, in das GWB integrierte Sondervorschrift. Es bleibt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der neuerlichen Vorschläge der Kommission für das public enforcement, abzuwarten, welchen Weg der deutsche Gesetzgeber beschreiten wird.

3

BT-Drs. 18/10207, S. 88.

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Stichwortverzeichnis Abschreckungseffekt 207 ff., 214 f. Allgemeiner Vorranggrundsatz 146 f. Analogieverbot 106, 135, 144 Anwendungsvorrang 147 f., 161 f. Äquivalenzgrundsatz 200 ff., Aufsichtspflichtverletzung 71, 122 ff., 190 Außengesellschaft bürgerlichen Rechts 91 f., 136 ff., 164 Auswahlverschulden 180 ff. Betriebliches Autoritätsverhältnis Bindungswirkung 224 ff. Compliance

118

72, 257

Distanzierungsobliegenheit

172 f.

Effektivitätsgrundsatz 148 ff., 170 ff., 202 ff., 217 ff., 232 f., 245 Effet utile 158 f., 203, 212 ff., 223 Eingliederungskonzern 191 ff. Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung 65, 96 Einheitliche Zurechnung 166 ff., 240 f. Fahrlässige Nebentäterschaft 114 ff. Faktische Organschaft 135 f. Faktischer Konzern 191 ff. Follow-on-Klage 224 ff. Funktionaler Unternehmensbegriff 34 Garantenstellung 114 ff. Gefahrenquellenhaftung 119 Gemeinschaftsunternehmen 48 Gesamtanalogie 237 f. Geschäftsherrenhaftung 115 Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit 120 Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit 54, 86, 89 Grundsatz der Verfahrensautonomie 107 ff., 162 ff., 170 ff., 279

Handlungsfähigkeit

55 f., 58

Insolvenzrisiko 205, 219 f. Institutioneller Unternehmensbegriff Joint Venture

30

48

Kappungsgrenze 34 Kartellschadensersatzrichtlinie 259 f., 263 ff. Kohärenzpflicht 231 Kompensationsgebot 213, 219, 267, 271 ff. Kongruenzgebot 149, 153 Legalitätspflicht 115, 189 Lehre vom Organisationsmangel Mittelbare Täterschaft Nachhemmung

174

113

102

Organisationsbezogener Unternehmensbegriff 33 Organisationsverschulden 187 ff. Personale Bindungswirkung

226 f.

Rechtsfähigkeit 55 f., 57 Rechtsträgerprinzip 62, 106, 146 Rechtsverletzer 260 f. Sachliche Bindungswirkung Sonderdelikt 105 Stand-alone-Klage 233 ff.

227 f.

Trennungsgrundsatz 170, 194, 196 f., 217 f., 220 f., 242 ff. Trennungsprinzip 170, 194, 196 f., 217 f., 220 f., 242 ff.

Stichwortverzeichnis Überwachungsverschulden 180 ff. Unschuldsvermutung 49, 144 Unternehmensbegriff 30 ff. Verbundklausel 144 ff., 166 f., 176 ff. Verjährung 102 Verkehrspflichtverletzung 187 ff. Vermutungslösung 238 f. Vermutungsregel 49 ff.

307

Verschulden 86 ff. Vertragskonzern 191 ff. Wechselseitige Haftung 94 ff. Wirtschaftlicher Unternehmensbegriff

34

Zurechnungsmodell 31, 35, 62, 75 ff. Zweigliedriger Unternehmensbegriff 37 Zwischengesellschaft 52 f.