Die deliktische Haftung für fremdes Verhalten im französischen und deutschen Recht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Blieck-Rechtsprechung der Cour de cassation 9783161526930, 9783161526695

Unter welchen Voraussetzungen muss eine Person für das schädigende Verhalten einer anderen Person gegenüber dem Geschädi

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
A. Ausgangslage
B. Inhalt und Ziel der Untersuchung
C. Gang der Untersuchung
Erster Teil: Das französische Recht
A. Rechtsquellen
I. Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c.
1. Strikte Haftung
2. Haftungsvoraussetzungen
a) Zusammenwohnen (la cohabitation)
b) Das schädigende Verhalten des Minderjährigen (le fait générateur)
3. Zusammenfassung
II. Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c.
1. Strikte Haftung
2. Haftungsvoraussetzungen
a) Lien de préposition
b) Das schädigende Verhalten des préposé
3. Zusammenfassung
III. Allgemeine Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c.
1. Strikte Haftung
2. Haftungsvoraussetzungen
3. Zusammenfassung
B. Die Haftung von Betreuungspersonen
I. Die Rechtslage vor dem arrêt Blieck
II. Das Grundsatzurteil Blieck vom 29. März 1991
1. Sachverhalt und Prozessgeschichte
2. Das Urteil
3. Analyse des Urteils
4. Hintergründe des Urteils
a) Systematische Erwägungen
b) Teleologische Erwägungen
c) Rechtsvergleichende Erwägungen
d) Harmonisierung mit der verwaltungsgerichtlichen Praxis
e) Zusammenfassung
III. Die Grundsatzurteile Foyer Notre-Dame des Flots vom 26. März 1997
1. Sachverhalt und Prozessgeschichte
2. Das Urteil
3. Analyse des Urteils
a) Grammatische Auslegung
b) Systematische Auslegung
c) Zweckorientierte Auslegung
IV. Die Konkretisierung der Haftung von Betreuungspersonen durch die Folgerechtsprechung
1. Das Betreuungsverhältnis (garde d’autrui)
a) Die betreute Person (la personne dont on doit répondre)
aa) Behinderte
bb) Minderjährige
cc) Zwischenergebnis
b) Die betreuende Person (la personne qui doit répondre d’autrui)
aa) Die garde d’autrui
bb) Beispiele aus der Rechtsprechung
c) Die Übernahme der garde d’autrui
aa) Übernahme durch hoheitliche Anordnung
bb) Übernahme durch Vertrag
2. Das schädigende Verhalten des Betreuten
3. Exkulpation
4. Anspruchskonkurrenzen
a) Das Verhältnis von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen
b) Das Verhältnis von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. zu den anderen Absätzen des Art. 1384 C.c.
V. Zwischenergebnis
C. Die Haftung von Organisationen
I. Die Rugby-Entscheidungen vom 22. Mai 1995
1. Sachverhalte und Prozessgeschichte
2. Die Urteile
3. Analyse der Urteile
II. Ausweitung der Haftungsfälle
1. Jagdverein
2. Pfadfinderverein
3. Fanclub
III. Die Majorettes-Entscheidung vom 12. Dezember 2002
1. Sachverhalt und Prozessgeschichte
2. Das Urteil
3. Analyse des Urteils
IV. Begrenzung der Haftungsfälle
V. Entscheidung zur Haftung einer Gewerkschaft vom 26. Oktober 2006
1. Sachverhalt und Prozessgeschichte
2. Das Urteil
3. Analyse des Urteils
VI. Das Grundsatzurteil der Assemblée plénière zur faute vom 29. Juni 2007
VII. Die Entscheidung zur Haftung eines Jagdvereins vom 11. September 2008
VIII. Zwischenergebnis
1. Haftpflichtige Organisationen
2. Das schädigende Verhalten des Mitglieds
D. Zusammenfassung
Zweiter Teil: Das deutsche Recht
A. Rechtsquellen
B. Die Haftung von Betreuungspersonen
I. Die Haftung wegen Verletzung einer Aufsichtspflicht nach § 832 BGB.
1. Zweck der Vorschrift
2. Rechtsnatur der Haftung
3. Anwendungsbereich
4. Haftungsvoraussetzungen
a) Aufsichtsbedürftige Personen
b) Aufsichtspflichtige Personen
aa) Durch Gesetz aufsichtspflichtige Personen
bb) Durch Vertrag aufsichtspflichtige Personen
(1) Die stillschweigende Übernahme der Aufsichtspflicht
(2) Abgrenzung des konkludenten Übernahmevertrages von der Gefälligkeit
cc) Folgen einer Übertragung der Aufsichtspflicht
c) Das schädigende Verhalten des Beaufsichtigten
d) Inhalt und Verletzung der Aufsichtspflicht
aa) Unmittelbare Aufsichtspflicht
(1) Minderjährige
(2) Volljährige
bb) Mittelbare Aufsichtspflicht
e) Beweislastverteilung
5. Mitverschulden des Geschädigten
6. Annäherung an eine objektive Einstandspflicht?
7. Einfluss des Versicherungsschutzes bei der Entscheidungsfindung
II. Die Haftung wegen Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB
III. Zwischenergebnis
C. Die Haftung von Organisationen
I. Die Haftung von Sportvereinen für ihre Spieler gemäß § 831 BGB
1. Der Spieler als Verrichtungsgehilfe
2. Das schädigende Verhalten des Spielers
3. Die Expulkationsmöglichkeit des Vereins
II. Die Haftung von Veranstaltern für ihre Teilnehmer
1. Sport- und Freizeitveranstaltungen
2. Demonstrationen und Streiks
III. Zwischenergebnis
Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen
A. Lösung der Ausgangsfälle nach französischem und deutschem Recht
I. Der erste Ausgangsfall: Die Brandlegung durch eine geistig behinderte Person
II. Der zweite Ausgangsfall: Der regelwidrig spielende Sportler
B. Vergleich
I. Die Haftung von Betreuungspersonen
1. Zurechnungsgrund für die Haftung von Betreuungspersonen
2. Haftpflichtige Personen
3. Die schädigende Handlung der betreuten Person
4. Haftungsnatur
II. Die Haftung von Organisationen
Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick
A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht
I. Das Avant-projet Catala
1. Der Grundtatbestand einer Haftung für Andere (le fait d’autrui)
2. Die Haftung von Betreuungspersonen
3. Die Haftung von Organisationen
II. Das Projet de la chancellerie
III. Der Gesetzesvorschlag Béteille
IV. Das Avant-projet Terré
B. Reformschläge für das deutsche Deliktsrecht
I. Reformvorschläge zur Elternhaftung
1. Abmilderung der Aufsichtshaftung
2. Verschärfung der Aufsichtshaftung
a) Objektive Einstandspflicht und Pflichtverletzung
b) Differenzierung der Haftung nach Alter
3. Beibehaltung der Aufsichtshaftung im Sinne von § 832 BGB
II. Reformvorschläge zur Geschäftsherrenhaftung
C. Ausblick: Die Haftung für Andere in einem europäischen Deliktsrecht
I. Principles of European Tort Law
II. Draft Common Frame of Reference
III. Bewertung der Entwürfe eines europäischen Deliktsrechts
Fünfter Teil: Bewertung
A. Bewertung der französischen und der deutschen Lösung
B. Versicherungslösung
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Die deliktische Haftung für fremdes Verhalten im französischen und deutschen Recht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Blieck-Rechtsprechung der Cour de cassation
 9783161526930, 9783161526695

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 292 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Annette Albrecht

Die deliktische Haftung für fremdes Verhalten im französischen und deutschen Recht Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Blieck-Rechtsprechung der Cour de cassation

Mohr Siebeck

Annette Albrecht, geboren 1980; Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg und Grenoble; 2006–09 Koordination des Auslandsbüros der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Freiburg: 2011 Zweite Juristische Staatsprüfung in Hamburg; 2012 Promotion; seit 2012 Richterin auf Probe am Landgericht Offenburg.

e-ISBN PDF 978-3-16-152693-0 ISBN 978-3-16-152669-5 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2013  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­ tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2012 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Bis Ende 2011 erschienene Rechtsprechung und Literatur konnten berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Günter Hager, der das Thema angeregt und die Arbeit betreut hat. Herr Professor Dr. Gerhard Hohloch erstellte freundlicherweise das Zweitgutachten. Mein herzlichster Dank gilt meinem Lebensgefährten Dr. Philipp Ungan, der mich auf vielfältige Weise unterstützt hat. Karlsruhe, im Juni 2013

Annette Albrecht

Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................ VII Inhaltsverzeichnis ................................................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... XVII

Einführung ............................................................................................. 1 A. Ausgangslage ....................................................................................... 1 B. Inhalt und Ziel der Untersuchung.......................................................... 3 C. Gang der Untersuchung ........................................................................ 5

Erster Teil: Das französische Recht .................................................. 7 A. Rechtsquellen ....................................................................................... 7 B. Die Haftung von Betreuungspersonen ................................................. 23 C. Die Haftung von Organisationen......................................................... 55 D. Zusammenfassung .............................................................................. 72

Zweiter Teil: Das deutsche Recht ................................................... 75 A. Rechtsquellen ..................................................................................... 75 B. Die Haftung von Betreuungspersonen ................................................. 76 C. Die Haftung von Organisationen....................................................... 117

Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen .............................. 129 A. Lösung der Ausgangsfälle nach französischem und deutschem Recht............................................................................... 129 B. Vergleich .......................................................................................... 130

X

Inhaltsübersicht

Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick ............................ 137 A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht ......................... 137 B. Reformschläge für das deutsche Deliktsrecht .................................... 145 C. Ausblick: Die Haftung für Andere in einem europäischen Deliktsrecht ................................................................. 154

Fünfter Teil: Bewertung .................................................................. 159 A. Bewertung der französischen und der deutschen Lösung................... 159 B. Versicherungslösung ........................................................................ 164 Literaturverzeichnis .............................................................................. 169 Sachregister .......................................................................................... 175

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................ VII Inhaltsübersicht ....................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... XVII

Einführung ............................................................................................. 1 A. Ausgangslage ....................................................................................... 1 B. Inhalt und Ziel der Untersuchung ......................................................... 3 C. Gang der Untersuchung ........................................................................ 5

Erster Teil: Das französische Recht .................................................. 7 A. Rechtsquellen ....................................................................................... 7 I.

II.

III.

Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. ..................................... 9 1. Strikte Haftung ........................................................................ 9 2. Haftungsvoraussetzungen ...................................................... 10 a) Zusammenwohnen (la cohabitation) ................................. 11 b) Das schädigende Verhalten des Minderjährigen (le fait générateur) ............................................................ 12 3. Zusammenfassung ................................................................. 14 Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. ................... 15 1. Strikte Haftung ...................................................................... 15 2. Haftungsvoraussetzungen ...................................................... 17 a) Lien de préposition ........................................................... 17 b) Das schädigende Verhalten des préposé ............................ 18 3. Zusammenfassung ................................................................. 19 Allgemeine Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. ....................................................... 20 1. Strikte Haftung ...................................................................... 21 2. Haftungsvoraussetzungen ...................................................... 21

XII

Inhaltsverzeichnis

3. Zusammenfassung ................................................................. 22 B. Die Haftung von Betreuungspersonen ................................................. 23 I. II.

III.

IV.

Die Rechtslage vor dem arrêt Blieck .......................................... 23 Das Grundsatzurteil Blieck vom 29. März 1991 ......................... 26 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte ........................................ 26 2. Das Urteil .............................................................................. 27 3. Analyse des Urteils ................................................................ 28 4. Hintergründe des Urteils ........................................................ 31 a) Systematische Erwägungen ............................................... 31 b) Teleologische Erwägungen ............................................... 32 c) Rechtsvergleichende Erwägungen ..................................... 33 d) Harmonisierung mit der verwaltungsgerichtlichen Praxis ................................................................................ 35 e) Zusammenfassung ............................................................. 36 Die Grundsatzurteile Foyer Notre-Dame des Flots vom 26. März 1997 .................................................................... 37 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte ........................................ 37 2. Das Urteil .............................................................................. 37 3. Analyse des Urteils ................................................................ 38 a) Grammatische Auslegung ................................................. 39 b) Systematische Auslegung .................................................. 39 c) Zweckorientierte Auslegung ............................................. 40 Die Konkretisierung der Haftung von Betreuungspersonen durch die Folgerechtsprechung .................................................. 40 1. Das Betreuungsverhältnis (garde d’autrui) ............................ 40 a) Die betreute Person (la personne dont on doit répondre) ... 41 aa) Behinderte .................................................................. 41 bb) Minderjährige ............................................................. 41 cc) Zwischenergebnis ....................................................... 42 b) Die betreuende Person (la personne qui doit répondre d’autrui) ........................................................................... 43 aa) Die garde d’autrui ...................................................... 43 bb) Beispiele aus der Rechtsprechung ............................... 44 c) Die Übernahme der garde d’autrui.................................... 47 aa) Übernahme durch hoheitliche Anordnung ................... 47 bb) Übernahme durch Vertrag........................................... 49 2. Das schädigende Verhalten des Betreuten .............................. 50 3. Exkulpation ........................................................................... 52 4. Anspruchskonkurrenzen ........................................................ 52 a) Das Verhältnis von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen ....................................................................... 52

Inhaltsverzeichnis

V.

XIII

b) Das Verhältnis von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. zu den anderen Absätzen des Art. 1384 C.c. ...................... 53 Zwischenergebnis ...................................................................... 54

C. Die Haftung von Organisationen ........................................................ 55 I.

Die Rugby-Entscheidungen vom 22. Mai 1995 ........................... 55 1. Sachverhalte und Prozessgeschichte ...................................... 55 2. Die Urteile............................................................................. 56 3. Analyse der Urteile................................................................ 56 II. Ausweitung der Haftungsfälle .................................................... 60 1. Jagdverein ............................................................................. 60 2. Pfadfinderverein .................................................................... 61 3. Fanclub ................................................................................. 62 III. Die Majorettes-Entscheidung vom 12. Dezember 2002 .............. 63 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte ........................................ 63 2. Das Urteil .............................................................................. 63 3. Analyse des Urteils ................................................................ 63 IV. Begrenzung der Haftungsfälle .................................................... 64 V. Entscheidung zur Haftung einer Gewerkschaft vom 26. Oktober 2006 ............................................................... 65 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte ........................................ 65 2. Das Urteil .............................................................................. 65 3. Analyse des Urteils ................................................................ 66 VI. Das Grundsatzurteil der Assemblée plénière zur faute vom 29. Juni 2007 ..................................................................... 67 VII. Die Entscheidung zur Haftung eines Jagdvereins vom 11. September 2008............................................................ 69 VIII. Zwischenergebnis ...................................................................... 69 1. Haftpflichtige Organisationen ................................................ 69 2. Das schädigende Verhalten des Mitglieds .............................. 70

D. Zusammenfassung ............................................................................... 72

Zweiter Teil: Das deutsche Recht ................................................... 75 A. Rechtsquellen ..................................................................................... 75 B. Die Haftung von Betreuungspersonen ................................................. 76 I.

Die Haftung wegen Verletzung einer Aufsichtspflicht nach § 832 BGB. ....................................................................... 76 1. Zweck der Vorschrift ............................................................. 77

XIV

II. III.

Inhaltsverzeichnis

2. Rechtsnatur der Haftung ........................................................ 77 3. Anwendungsbereich .............................................................. 78 4. Haftungsvoraussetzungen ...................................................... 81 a) Aufsichtsbedürftige Personen ............................................ 81 b) Aufsichtspflichtige Personen ............................................. 82 aa) Durch Gesetz aufsichtspflichtige Personen ................. 82 bb) Durch Vertrag aufsichtspflichtige Personen ................ 84 (1) Die stillschweigende Übernahme der Aufsichtspflicht.............................................. 85 (2) Abgrenzung des konkludenten Übernahmevertrages von der Gefälligkeit ............ 87 cc) Folgen einer Übertragung der Aufsichtspflicht ........... 91 c) Das schädigende Verhalten des Beaufsichtigten ................ 92 d) Inhalt und Verletzung der Aufsichtspflicht ........................ 95 aa) Unmittelbare Aufsichtspflicht ..................................... 96 (1) Minderjährige ...................................................... 96 (2) Volljährige ......................................................... 101 bb) Mittelbare Aufsichtspflicht ....................................... 104 e) Beweislastverteilung ....................................................... 105 5. Mitverschulden des Geschädigten ........................................ 107 6. Annäherung an eine objektive Einstandspflicht? .................. 107 7. Einfluss des Versicherungsschutzes bei der Entscheidungsfindung ......................................................... 111 Die Haftung wegen Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB ........................................................... 113 Zwischenergebnis .................................................................... 115

C. Die Haftung von Organisationen ...................................................... 117 I.

II. III.

Die Haftung von Sportvereinen für ihre Spieler gemäß § 831 BGB.................................................................... 118 1. Der Spieler als Verrichtungsgehilfe ..................................... 119 2. Das schädigende Verhalten des Spielers .............................. 121 3. Die Expulkationsmöglichkeit des Vereins............................ 122 Die Haftung von Veranstaltern für ihre Teilnehmer ................. 123 1. Sport- und Freizeitveranstaltungen ...................................... 123 2. Demonstrationen und Streiks ............................................... 126 Zwischenergebnis .................................................................... 127

Inhaltsverzeichnis

XV

Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen .............................. 129 A. Lösung der Ausgangsfälle nach französischem und deutschem Recht ............................................................................... 129 I. II.

Der erste Ausgangsfall: Die Brandlegung durch eine geistig behinderte Person .................................................................... 129 Der zweite Ausgangsfall: Der regelwidrig spielende Sportler... 130

B. Vergleich .......................................................................................... 130 I.

II.

Die Haftung von Betreuungspersonen ...................................... 131 1. Zurechnungsgrund für die Haftung von Betreuungspersonen ............................................................ 131 2. Haftpflichtige Personen ....................................................... 131 3. Die schädigende Handlung der betreuten Person.................. 133 4. Haftungsnatur ...................................................................... 133 Die Haftung von Organisationen .............................................. 135

Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick ............................ 137 A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht ......................... 137 I.

II. III. IV.

Das Avant-projet Catala .......................................................... 138 1. Der Grundtatbestand einer Haftung für Andere (le fait d’autrui)................................................................... 138 2. Die Haftung von Betreuungspersonen .................................. 140 3. Die Haftung von Organisationen ......................................... 141 Das Projet de la chancellerie ................................................... 142 Der Gesetzesvorschlag Béteille ................................................ 143 Das Avant-projet Terré ............................................................ 144

B. Reformschläge für das deutsche Deliktsrecht .................................... 145 I.

II.

Reformvorschläge zur Elternhaftung ........................................ 146 1. Abmilderung der Aufsichtshaftung ...................................... 147 2. Verschärfung der Aufsichtshaftung ..................................... 148 a) Objektive Einstandspflicht und Pflichtverletzung ............ 148 b) Differenzierung der Haftung nach Alter .......................... 150 3. Beibehaltung der Aufsichtshaftung im Sinne von § 832 BGB .................................................................... 152 Reformvorschläge zur Geschäftsherrenhaftung ........................ 153

XVI

Inhaltsverzeichnis

C. Ausblick: Die Haftung für Andere in einem europäischen Deliktsrecht ................................................................ 154 I. II. III.

Principles of European Tort Law ............................................. 154 Draft Common Frame of Reference ......................................... 156 Bewertung der Entwürfe eines europäischen Deliktsrechts ....... 157

Fünfter Teil: Bewertung .................................................................. 159 A. Bewertung der französischen und der deutschen Lösung ................... 159 B. Versicherungslösung ........................................................................ 164 Literaturverzeichnis .............................................................................. 169 Sachregister .......................................................................................... 175

Abkürzungsverzeichnis Die in der Arbeit verwendeten Abkürzungen werden an dieser Stelle nur insoweit erläutert, als sie nicht in Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Aufl., Berlin 2007 zu finden sind. A.C. al. Art. Artt. Ass. plén. Bull. A.P. Bull. civ. Bull. crim. Bull. soc. C.c. CA Cass. Cass.ass.plén. Cass.civ. Cass.ch.réun. Cass.crim. Cass.Req. Cass.soc. CE chr. comm. concl. Cons.const. D. DCFR déc. D.P. éd. et s. févr. Gaz.Pal. janv. JCP G

Law Reports, Appeal Cases (Third Series) alinéa Artikel, Article Articles Assemblée plénière Bulletin des Arrêts de la Cour de cassation, Assemblée plénière Bulletin des Arrêts de la Cour de cassation, Chambre civile Bulletin des Arrêts de la Cour de cassation, Chambre criminelle Bulletin des Arrêts de la Cour de cassation, Chambre sociale Code civil Cour d‘appel Cour de cassation Cour de cassation, Assemblée plénière Cour de cassation, Chambre civile Cour de cassation, Chambres réunies Cour de cassation, Chambre criminelle Cour de cassation, Chambre de requêtes Cour de cassation, Chambre social Conseil d’État chroniques commentaires conclusions Conseil Constitutionnel Receuil Dalloz Sirey Draft Common Frame of Reference Décembre Dalloz, Receuil périodique Édition et suivant février Gazette du Palais janvier La Semaine Juridique: Juris-Classeur Périodique, édition générale

XVIII jur. L. N.C.O.J. no/n° nov. obs. oct. p. PETL RCA RTDciv. sept. somm. t. T. TGI

Abkürzungsverzeichnis jurisprudence Loi Nouveau Code de l’organisation judiciaire numéro novembre observations octobre page Principles of European Tort Law Responsabilité civile et assurances Revue trimestrielle de droit civil septembre sommaires tome Tribunal Tribunal de Grande Instance

Einführung A. Ausgangslage Ausgangslage

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine natürliche oder juristische Person für das schädigende Verhalten einer anderen Person verantwortlich gemacht werden kann. Im Sinne traditioneller Rechtsvergleichung geht sie von einem konkreten Lebensproblem aus und fragt nach seiner sachlichen Lösung im französischen und deutschen Recht.1 Ausgangspunkt der Untersuchung sind folgende Sachverhalte: 1. Eine geistig behinderte Person wird von einer Behinderteneinrichtung betreut. Die Einrichtung arbeitet mit modernen liberalen Behandlungsmethoden. Daher gestattet sie dem Behinderten, in einem nahegelegenen Wald unbeaufsichtigt kleinere Arbeiten für eine Behindertenwerkstatt auszuführen. Während der Arbeiten legt er ein Feuer. Das abgebrannte Waldstück steht im Privateigentum eines Dritten. 2. Während eines Spiels zweier Amateursportmannschaften wird ein Spieler tödlich verletzt. Der schädigende Spieler kann nicht identifiziert werden. Es steht jedoch fest, dass er der gegnerischen Mannschaft angehört. In beiden Fällen wäre dem Geschädigten wenig geholfen, wenn er sich zum Zwecke der Entschädigung an den unmittelbaren Schädiger zu halten hätte. Im ersten Fall wird der geistig Behinderte entweder deliktsunfähig, und damit nicht haftbar, oder zahlungsunfähig sein. Im zweiten Fall fehlt es bereits an einem konkreten Anspruchsgegner. Der Geschädigte hat also ein Interesse, einen finanzstarken Dritten in Anspruch zu nehmen. Im ersten Fall ist dies die Behinderteneinrichtung, im zweiten Fall der Verein der gegnerischen Mannschaft. Da vor dem schädigenden Ereignis zwischen dem Geschädigten und dem Dritten keine Sonderbeziehung bestand, kann die Pflicht zum Schadensersatz allein aus dem Deliktsrecht2 herrühren. 1

Vgl. G. Hager, Rechtsmethoden in Europa, Tübingen 2009, Einführung Rn 5; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 1 II, S. 5. 2 Die vorliegende Arbeit geht von einem weiten Verständnis des Begriffs „Deliktsrecht“ aus. Er schließt sowohl die „Delikte“ im eigentlichen Sinn des Wortes, als auch die sog. „Quasi-Delikte“ ein. Der verwendete Begriff des „Deliktsrecht“ umfasst als

2

Einführung

Das Deliktsrecht geht nach dem Prinzip casum sentit dominus davon aus, dass jeder seinen erlittenen Schaden als Schicksal selbst zu tragen hat. Die Abwälzung des Schadens vom Geschädigten auf einen Anderen setzt einen besonderen Grund voraus.3 Nach dem Verschuldensprinzip bieten die Fälle Anlass zur Schadensabwälzung, in denen dem Schädiger ein vorwerfbar-sorgfaltswidriges Verhalten zur Last gelegt werden kann. Bei der Frage, ob neben dem Schädiger oder statt des Schädigers ein Anderer haften soll, sind die Person des Haftenden und der Grund der Einstandspflicht von maßgebender Bedeutung: Die zur Verantwortung gezogene Person und der unmittelbare Schädiger müssen in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen, die eine Einstandspflicht rechtfertigt. Die Zurechnung des fremden schädigenden Fehlverhaltens kann subjektiv, d.h. über das Verschuldensprinzip, bei einem eigenen sorgfaltswidrigen Verhalten erfolgen. Das entspricht dem Modell der Haftung des Aufsichtspflichtigen und des Geschäftsherrn im deutschen Recht. Sie kann aber auch objektiv, d.h. unabhängig von einem eigenen Fehlverhalten, erfolgen. Das entspricht dem Modell der strikten Haftung4, das zum Beispiel das englische und französische Recht für die Geschäftsherrenhaftung vorsehen.5 Je nachdem, ob die Zurechnung des schädigenden Verhaltens subjektiv oder objektiv erfolgt, wird der Handlungsfreiheit des Haftenden oder dem Güterschutz des Geschädigten größeres Gewicht beigemessen. Das Deliktsrecht hat vordergründig zur Aufgabe, in diesem Interessenkonflikt einen gerechten Ausgleich herzustellen.6 Dabei gewinnt in unserer Gesellschaft eine Einstellung zunehmend an Kraft, die davon ausgeht, dass derjenige, der einen Schaden erleidet, diesen ersetzt bekommt. Der Grundsatz des casum sentit dominus scheint von dieser Anspruchshaltung zurückgedrängt zu werden.

Oberbegriff die Einstandspflicht für rechtswidrig-schuldhaftes Verhalten (Tatbestände der Verschuldenshaftung) und die verschuldensunabhängige, d. h. strikte Haftung, vgl. Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, Vor § 823 Rn 1. 3 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 1. 4 Der Begriff der „strikten Haftung“ wird in der vorliegenden Arbeit allgemein für Haftungstatbestände verwendet, die ein pflichtwidriges Verhalten des Haftenden nicht voraussetzen. Er knüpft nicht an eine bestimmte inhaltliche Festlegung des Zurechnungsgrundes an. 5 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, München 1996, Rn 98; Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, 291. 6 In diesem Sinne Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 40 I, S. 598, § 40 V, S. 625.

B. Inhalt und Ziel der Untersuchung

3

B. Inhalt und Ziel der Untersuchung B. Inhalt und Ziel der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit stellt vergleichend die deliktische Haftung für fremdes Verhalten in Frankreich und Deutschland dar. Hintergrund der Untersuchung sind die Blieck-Rechtsprechung der Cour de cassation und die Haftungsgrundsätze, die sich aus dieser Rechtsprechung entwickelt haben. Eine Gegenüberstellung des französischen und deutschen Deliktsrechts bietet sich an, da beide Rechtsordnungen für dasselbe Problem zu dogmatisch divergierenden Lösungen gelangen. Der Code civil regelt die deliktische Haftung für fremdes Verhalten in seiner nahezu unveränderten Fassung von 1804 in Art. 1384 C.c. Ausdrücklich erwähnt werden in Absatz 4 die Elternhaftung, in Absatz 5 die Geschäftsherrenhaftung und in Absatz 6 die Lehrerhaftung. In Absatz 1 der Vorschrift heißt es: „On es responsable non seulement du dommage que l’on cause par son propre fait, mais encore de celui qui est causé par le fait des personnes dont on doit répondre, ou des choses que l’on a sous sa garde.“

Dieser Absatz wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts als Ankündigung der ihm folgenden Absätze ohne eigenen Regelungscharakter verstanden. Im Zuge der Industrialisierung und der Häufung von Arbeitsunfällen wurde aus seiner zweiten Alternative („ou des choses que l’on a sous sa garde“) eine Anspruchsgrundlage für eine allgemeine Sachhalterhaftung hergeleitet. Diese Entwicklung fand ihren vorläufigen Abschluss in dem arrêt Jand’heur vom 13. Februar 1930. Seit dem arrêt Blieck vom 29. März 1991 spricht die Cour de cassation im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auch der ersten Alternative des Art. 1384 Abs. 1 C.c. („le fait des personnes dont on doit répondre“) den Charakter einer eigenen Anspruchsgrundlage zu. Sie bejahte die Haftung einer Behinderteneinrichtung für das schädigende Verhalten einer ihr anvertrauten geistig behinderten Person. Zuvor war eine Inanspruchnahme von Behinderteneinrichtungen allein durch den Nachweis eines persönlichen Fehlverhaltens der Einrichtung möglich. Es folgten zahlreiche Entscheidungen zur Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf natürliche und juristische Personen für das schädigende Verhalten von Minderjährigen und behinderten Erwachsenen. Im Jahre 1995 gab die Cour de cassation dem Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. einen zweiten Anwendungsbereich. Sie bejahte die deliktische Haftung eines Sportvereins für das schädigende Spielverhalten seines Spielers während eines Rugbymatches. Ist Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. durch die Rechtsprechung der Cour de cassation zu einer Generalklausel für die Haftung für Andere geworden, die mit der seit dem arrêt Jand’heur aus dem Jahre 1930 anerkannten allgemeinen Sachhalterhaftung vergleichbar ist?

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Einführung

Der in der Blieck-Rechtsprechung geschaffene neue Haftungstatbestand ist Ausfluss und Motor der sog. objectivisation de la responsabilité, die das französische Deliktsrecht in den letzten Jahrzehnten prägt. So stellte Gotthardt in seinem Landesbericht zum Deliktsrecht in Frankreich im Jahre 1993 noch fest:7 „[Den Absätzen IV bis VIII des Art. 1384 C.c.] ist jeweils gemein, daß sie zunächst die Haftung der Abhängigen selbst voraussetzen, neben die nur dann, wenn deren Tatbestandsvoraussetzungen voll erfüllt sind, die zusätzliche Haftung der jeweils übergeordneten Personen tritt, welche ihrerseits, von der ursprünglichen Konzeption her, Fehlverhalten des Übergeordneten voraussetzt. […] Auf diese Weise paßt sich die Haftung für Abhängige ein in den Grundsatz der Haftung für persönliches Fehlverhalten (faute), dem ursprünglichen Ausgangspunkt des französischen Deliktsrechts, […].“ Spätestens aber im Jahre 1997 hatte sich eine Objektivierung der französischen Deliktshaftung etabliert. Die Cour de cassation gestaltet die Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. und den neu geschaffenen Haftungstatbestand für Andere nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. verschuldensunabhängig aus. Damit ist die Blieck-Rechtsprechung ein Beispiel dafür, wie sich das französische Deliktsrecht durch rechtsschöpferische Tätigkeit der Gerichte weiterentwickelt und sich so den stetig wandelnden technischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen und Wertvorstellungen der französischen Gesellschaft anpasst.8 Einer vergleichbaren richterlichen Rechtsfortbildung bedurfte es im deutschen Recht für die Haftung für fremdes Verhalten in Betreuungsverhältnissen nicht. Die Vorschrift des § 832 BGB sieht unverändert seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.1900 die Haftung von aufsichtspflichtigen Personen im Allgemeinen vor und beschränkt die Haftung nicht auf Eltern. Die Norm erfasst nicht nur Schäden, die durch Minderjährige verursacht wurden, sondern erstreckt sich auch auf Schäden, die durch das Verhalten von betreuungsbedürftigen Erwachsenen entstanden sind. In den Motiven zur Haftung von vertraglich Aufsichtspflichtigen (§ 832 Abs. 2 BGB) werden ausdrücklich die „Behüter von Geisteskranken“ genannt.9 Das BGB kennt – im Gegensatz zum Code civil – keinen allgemein formulierten Haftungstatbestand, auf dem eine Haftung von Sportvereinen für das schädigende Spielverhalten ihrer Mitglieder gründen könnte. Eine Haftung kommt nur auf der Grundlage der § 831 BGB und § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. 7 Gotthardt, Landesbericht Frankreich, in: von Bar (Hrsg.), Deliktsrecht in Europa, Köln u.a. 1993, S. 32, 33. 8 Nach Zweigert/Kötz ist das moderne französische Deliktsrecht im Grunde reines Richterrecht, dessen Regeln sich heute oft nur noch in einem höchst formalen Sinne an den Text des Code civil halten, in: Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 40 IV, S. 620. 9 Mot. II., § 710, S. 735, 736.

C. Gang der Untersuchung

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Bei der Frage der Zurechnung fremden Verhaltens beschreitet das deutsche Recht einen anderen Weg als das französische. Während in Frankreich das fremde Verhalten objektiv, das heißt ohne Fehlverhalten des Verantwortlichen selbst zugerechnet wird, basiert in Deutschland die Haftung nach §§ 831, 832 BGB auf dem Verschuldensprinzip. Eine Einstandspflicht besteht nur im Falle einer eigenen Pflichtverletzung der Betreuungsperson oder des Geschäftsherrn. Die in §§ 831, 832 BGB gesetzlich angeordnete Umkehr der Beweislast zu Gunsten des Geschädigten schwächt das Verschuldensprinzip allenfalls ab. Ziel der Arbeit ist, anhand praktischer Fälle die im französischen und im deutschen Recht geltenden Grundsätze zur deliktischen Haftung für fremdes Verhalten herauszuarbeiten und gegenüberzustellen. Sie soll das Verständnis darüber fördern, wie und warum das schädigende Verhalten einer Person einer anderen Person in beiden Rechtsordnungen zugerechnet wird. Konkret geht es unter anderem um folgende Fragen: Wer kommt in der deutschen und in der französischen Rechtsordnung für Schäden auf, die von den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft, Kindern und geistig behinderten und kranken Personen, verursacht worden sind? Muss eine Organisation für das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder einstehen? In welchem Umfang werden dabei die Interessen des Opfers und die Interessen der Betreuungsperson und der Organisation berücksichtigt? Welcher Lösungsweg zur Problematik der Haftung für fremdes Verhalten wird auf europäischer Ebene befürwortet? Kann der Problematik der gerechten Schadenszuweisung mit einer Versicherungslösung begegnet werden, nach der die Schadensrisiken auf die Gemeinschaft der Versicherten verteilt würden? Die Untersuchung dieser Fragen soll den Versuch einer Antwort darauf ermöglichen, ob das geltende französische oder das geltende deutsche Deliktsrecht der Herstellung von Gerechtigkeit und Billigkeit in der Gesellschaft eher gerecht wird. Nicht Gegenstand dieser Arbeit ist die Eigenhaftung des unmittelbaren Schädigers. Die Frage nach der persönlichen Haftung von Minderjährigen und behinderten Personen sowie von Sportlern wird aber dort aufgegriffen, wo sie für die Haftung des Verantwortlichen von Bedeutung ist.

C. Gang der Untersuchung C. Gang der Untersuchung

Der erste Teil der Untersuchung widmet sich den im französischen Recht geltenden Grundsätzen der deliktischen Haftung für fremdes Verhalten. Zu Beginn werden zum besseren Verständnis der Haftung für Andere die El-

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Einführung

tern-, Geschäftsherren- und allgemeine Sachhalterhaftung kurz skizziert.10 Das Fallmaterial zu dem hier untersuchten Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. legt eine Einteilung in zwei Gruppen nahe.11 Die erste Gruppe umfasst die Haftung von Betreuungspersonen für das schädigende Verhalten von geistig Behinderten und Minderjährigen. Die zweite Gruppe betrifft die Haftung von Organisationen und Veranstaltern für das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder und Teilnehmer. Innerhalb der ersten Gruppe bilden den Schwerpunkt der arrêt Blieck und seine umfangreiche Folgerechtsprechung. Innerhalb der zweiten Gruppe bilden den Schwerpunkt die RugbyEntscheidungen vom 22. Mai 1995 und ihre Folgerechtsprechung. Für die Analyse der Rechtsprechung wird insbesondere auf die zahlreich vorhandenen Urteilsanmerkungen zurückgegriffen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Cour de cassation in ihren kurzen Urteilen Sachverhalt und dogmatische Entscheidungsbegründung allenfalls kryptisch andeutet. Rechtstatsächliche, rechtshistorische, rechtsvergleichende oder rechtspolitische Erwägungen finden sich bei der Cour de cassation nie, bei den Vorinstanzen nur selten, obgleich diese viel ausführlicher sind.12 Der zweite Teil der Untersuchung stellt das deutsche Recht dar. Bei der Lösung der beiden Ausgangssachverhalte haben die Vorschriften des § 832 BGB und des § 831 BGB zentrale Bedeutung. Auch wenn die Haftung der Eltern nach deutschem Recht nicht Schwerpunkt der Untersuchung ist, wird auf die hierzu existierende umfangreiche Kasuistik zurückgegriffen. Im dritten Teil werden die herausgearbeiteten Grundsätze zur deliktischen Haftung für fremdes Verhalten in Frankreich und Deutschland verglichen. Der vierte Teil zeigt Reformvorschläge für die nationalen Rechtsordnungen sowie für ein einheitsrechtliches Haftungsrecht auf. Die Untersuchung schließt mit einer dogmatischen und rechtspolitischen Bewertung der möglichen Lösungsansätze.

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Umfangreiche rechtsvergleichende Untersuchungen finden sich etwa bei Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen: Eine vergleichende Untersuchung der Entwicklung im französischen Deliktsrecht, München 2006; Renner, Die deliktische Haftung für Hilfspersonen in Europa, Berlin 2002; oder Niboyet, Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik, Berlin 2001. 11 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 149; Starck/Roland/Boyer, Obligations, t. 1, 5e éd. 1996, n° 882. Allein eine Entscheidung der Cour de cassation zur Haftung einer Gemeinde für einen von Hausbesetzern verursachten Brand lässt sich nicht in eine der Haftungsgruppen einordnen, vgl. Cass.civ. 2 e, 22 mai 1995, Bull.civ. 1995 II, n° 149, Viney, Chronique – Responsabilité civile, JCP G 1995.I.3893, n° 6, n 7. 12 Vgl. G. Hager, Rechtsmethoden in Europa, Tübingen 2009, 4. Kapitel Rn 175 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 9 I, S. 121.

Erster Teil:

Das französische Recht A. Rechtsquellen A. Rechtsquellen

Das französische Deliktsrecht ist in den Artt. 1382 bis 1386 C.c. kodifiziert. Die Artt. 1382 C.c. und 1383 C.c. sind Generalklauseln. Sie regeln die Haftung für vorsätzliches (délits) und für fahrlässiges (quasi-délits) persönliches Fehlverhalten. Ergänzt werden die beiden Vorschriften durch Art. 489-2 C.c., der die persönliche Haftung von geistig behinderten Personen begründet. Art. 1384 C.c. regelt die Haftung für Andere mit Ausnahme der Absätze 2 und 3, welche die Haftung von Gebäude- und Sachhaltern im Falle eines Brandes behandeln. In den Artt. 1385 und 1386 C.c. ist die verschuldensunabhängige Tierhalter- und Gebäudeeigentümerhaftung festgelegt. Diese Spezialfälle der Haftung für Schäden, die durch Sachen verursacht wurden, ergänzte die Rechtsprechung um eine aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. abgeleitete allgemeine Haftung des Sachhalters. Sondervorschriften existieren für die Haftung bei Verkehrsunfällen und Schäden durch Luftfahrzeuge, bei Unfällen im Zusammenhang mit Seilbahnen und bei Schäden durch Kernenergie, die allesamt als Gefährdungshaftung ausgestaltet sind.1 Die ebenfalls verschuldensunabhängige Produkthaftung bestimmt sich nach den Artt. 1386-1 bis 1386-18 C.c. Die für die vorliegende Arbeit relevanten Absätze des Art. 1384 C.c. lauten: „ (1) On est responsable non seulement du dommage que l’on cause par son propre fait, mais encore de celui qui est causé par le fait des personnes dont on doit répondre, ou des choses que l’on a sous sa garde. (4) Le père et la mère, en tant qu’ils exercent l’autorité parentale, sont solidairement responsables du dommage causé par leurs enfants mineurs habitant avec eux. (5) Les maîtres et les commettants, du dommage causé par leurs domestiques et préposés dans les fonctions auxquelles ils les ont employés; (6) Les instituteurs et les artisans, du dommage causé par leurs élèves et apprentis pendant le temps qu’ils sont sous leur surveillance. (7) La responsabilité ci–dessus a lieu, à moins que les père et mère et les artisans ne prouvent qu’ils n’ont pu empêcher le fait qui donne lieu à cette responsabilité.

1 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 266, 267; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 42 III, S. 665.

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Erster Teil: Das französische Recht

(8) En ce qui concerne les instituteurs, les fautes, imprudences ou négligences invoquées contre eux comme ayant causé le fait dommageable, devront être prouvées, conformément au droit commun, par le demandeur, à l’instance.“

Die Vorschrift des Art. 1384 C.c. regelt in ihren Absätzen 4 bis 6 Einzelfälle der Haftung für Andere. Nach Absatz 4 haften Eltern gesamtschuldnerisch für durch ihre minderjährigen Kinder verursachte Schäden. Absatz 5 begründet die Haftung der Dienst- und Geschäftsherrn (commettant) für ihre Dienstboten und Verrichtungsgehilfen (préposé). Absatz 6 regelt die Haftung der Lehrer und Handwerksmeister für ihre Schüler und Lehrlinge. Absätze 7 und 8 ergänzen die Eltern- und Lehrerhaftung. In diesem System von Einzeltatbeständen hatte der Absatz 1 des Art. 1384 C.c. ursprünglich keinen Anspruchscharakter.2 Art. 1384 Abs. 1 C.c. sollte ein Einleitungssatz sein, der von der Haftung für eigenes Fehlverhalten zur Haftung für fremdes Fehlverhalten und Sachen überleitete.3 Die Motive des Code Napoléon belegen den ursprünglich rein erklärenden und ankündigenden Charakter des Art. 1384 Abs. 1. Dort heißt es lakonisch zu Absatz 1, dass nicht nur für eigenes Fehlverhalten gehaftet werden müsse, sondern auch für das Verhalten von abhängigen Personen.4 An anderer Stelle der Motive wird ergänzt, dass nur bestimmte Personen für beaufsichtigte Personen haften müssen, nämlich diejenigen, die Art. 1384 in seinen Absätzen 4 bis 6 aufzählt.5 So wurde die Haftung des Vormunds bewusst nicht in die Liste der verantwortlichen Personen aufgenommen, obwohl die Inspiratoren Domat und Pothier hierzu vorausschauend aufriefen.6 Im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte sich aus dem Einleitungssatz des Art. 1384 Abs. 1 C.c. Ende des 19. Jahrhunderts eine eigene Anspruchsgrundlage für die Haftung für Sachen 7 und, ein Jahrhundert später, für die Haftung von Betreuungseinrichtungen für geistig Behinderte.8 Zum Verständnis der Entwicklung der Haftung für Andere nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. ist ein kurzer Umriss der Elternhaftung, der

Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 187. Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 231. 4 de Greuille, rapport (VI.), 1803, in: Locré, n° 10: „Le projet ne s’arrête pas à la personne qui est l’auteur du dommage, il va plus loin; et pour en assurer de plus en plus la juste indemnité, il autorise le lésé à recourir à ceux de qui cette personne dépend, et contre lesquels il prononce la garantie civile.“ 5 Treilhard, exposé de motifs (V.), 1803, in: Locré, n° 11: „Motifs de rendre certaines personnes responsables du dommage cause par ceux qui sont sous leur surveillance, […].” 6 Nachweis bei Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673, p. 170. 7 Cass.civ., 16 juin 1896, Teffaine, D. 1897 I, 433, 440. 8 Cass.ass.plén., 29 mars 1991, Blieck, Bull. A.P. 1991, n° 1. 2

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A. Rechtsquellen

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Geschäftsherrenhaftung und der allgemeinen Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. erforderlich.

I. Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. 1. Strikte Haftung Die Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. begründete ursprünglich eine Haftung für widerlegliches vermutetes Verschulden (présomption simple de faute). Vermutet wurde, dass die schädigende Handlung des Kindes entweder in einer ungenügenden Beaufsichtigung oder in einer schlechten Erziehung wurzelte.9 Gemäß Art. 1384 Abs. 7 C.c. konnten sich die Eltern durch den Nachweis einer fehlerfreien Erziehung oder einer mangelnden Aufsichtspflichtverletzung exkulpieren. An den Entlastungsbeweis wurden unterschiedlich strenge Anforderungen gestellt. Er gelang für das schädigende Verhalten von älteren Jugendlichen leichter als für das schädigende Verhalten von Kleinkindern. Die Haftung für Kleinkinder glich einer Garantiehaftung.10 Im Jahre 1997 gab die Cour de cassation in der Entscheidung Bertrand das Prinzip der widerleglichen Verschuldensvermutung auf.11 Die Cour d‘appel hatte entschieden, dass es auf den Nachweis einer fehlenden Aufsichtspflichtverletzung durch das beklagte Elternteil nicht ankomme. Der Gesetzestext nennt das Erfordernis eines Aufsichts- oder Erziehungsverschuldens nicht explizit als Haftungsvoraussetzung.12 Dieser radikalen Neuinterpretation von Art. 1384 Abs. 4 und Abs. 7 C.c. schloss sich die Cour de cassation an. Sie stellte fest, dass allein der Nachweis höherer Gewalt oder Opferverschuldens die Haftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. ausschließe.13 Jüngst hat der Kassationshof den Begriff der force majeure durch denjenigen der cause étrangère ersetzt14, der mit „nicht zu verantwortendes Ereignis“ übersetzt werden kann.15 Danach können sich Eltern Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 193; Malaurie/Aynès/ Stoffel-Munck, Les obligations, 4e éd. 2009, n° 150. 10 Vgl. Nachweise bei Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4e éd. 2009, n° 150 und bei Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 882. 11 Cass.civ. 2 e, 19 févr. 1997, Bull. civ. 1997 II, n° 56: Ein 12jähriger Junge kollidierte auf seinem Fahrrad mit einem Motorradfahrer. Der verletzte Motorradfahrer verlangte von dem Vater des Jungen Ersatz für den erlittenen Schaden. 12 Vgl. Jourdain, note, D. 1997, jur., p. 265, 266. 13 „[...] que seule la force majeure ou la faute de la victime pouvait exonérer X... de la responsabilité de plein droit encourue du fait des dommages causés par son fils mineur habitant avec lui [...]“. 14 Cass.civ. 2 e, 17 févr. 2011, JCP G 2011, n° 18, p. 859, 860. 15 Vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Teil I: Französisch – Deutsch, 6. Aufl. 2009. 9

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Erster Teil: Das französische Recht

von ihrer Haftung gänzlich exkulpieren, wenn sie eine cause étrangère nachweisen, welche die Eigenschaften von höherer Gewalt, das heißt Unvorhersehbarkeit und Unvermeidbarkeit, aufweist. Können die Eltern im Falle des Opferverschuldens nicht nachweisen, dass dieses für sie unvorhersehbar und unvermeidbar war, kommt allein eine teilweise Entlastung in Betracht.16 Mit Aufgabe der Entlastungsmöglichkeit bei fehlender Aufsichtspflichtverletzung hat sich die Haftung für vermutetes eigenes Fehlverhalten der Eltern in eine verschuldensunabhängige Haftung (responsabilité objective oder responsabilité de plein droit) für ihre Kinder umgewandelt. Da bei höherer Gewalt oder Opferverschulden ein Haftungsausschluss nach Art. 1384 Abs. 7 C.c. weiterhin möglich ist, wird zum Teil von einer Haftungsvermutung (présomption de responsabilité) gesprochen.17 2. Haftungsvoraussetzungen Nach dem Wortlaut des Art. 1384 Abs. 4 C.c. kann eine Haftung nur für die Mutter und den Vater des Minderjährigen begründet werden. Eine Ausdehnung der Haftung auf Personen, welche die Rolle der Eltern funktionell übernommen haben – zu denken ist etwa an den Vormund oder an Verwandte, die dauerhaft für das Kind sorgen –, wurde aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 1384 Abs. 4 C.c. und des früheren Verständnisses von Art. 1384 C.c. als abschließende Norm bisher abgelehnt.18 Eine Haftung von Großeltern, Vormündern oder anderen Aufsichtspersonen ist nach der Blieck-Rechtsprechung nun auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. denkbar.19 Eltern müssen nur für ihre minderjährigen Kinder strikt haften. Mit Erreichen des 18. Lebensjahres endet die strikte Haftpflicht der Eltern, auch wenn das Kind geistig behindert oder aus anderen Gründen betreuungsbedürftig ist.20 Die Bestellung eines Elternteils zum Betreuer (administrateur légal)21 des volljährig gewordenen Kindes führt nicht zu dessen Haftpflicht 16

Cass.civ. 2e, 17 févr. 2011, D. 2011, n° 16, p. 1117 et s.: „[…] et sans constater que la faute retenue à l’encontre de ce dernier [le cycliste] avait été pour le responsable un événement imprévisible et irrésistible, la cour d’appel a violé le texte susvisé;“; Bakouche, notes, JCP G 2011, n° 18, p. 859, 861. 17 Cass.civ. 2 e, 20 avril 2000, Bull.civ. 2000 II, n° 66. 18 Cass.civ. 2 e, 15 févr.1956, D. 1956, 410; Cass.civ. 2e, 9 nov.1971, Bull.civ. II, n° 307; Cass.civ. 2 e, 25 janv. 1995, Bull.civ. 1995 II, n° 29; Cass.civ. 2e, 18 sept. 1996, Bull.civ. 1996 II, n° 217; Cass.crim., 28 mars 2000, Bull.crim. 2000, n° 140. 19 Hierzu 1. Teil C. I. 2. a) bb). 20 Terré/Simler/Lequette, Les obligations, 10 e éd. 2009, n° 818. 21 So die Übersetzung für „administrateur légal“ bei Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Teil I: Französisch - Deutsch, 6. Aufl. 2009.

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nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. Infolge der Blieck-Rechtsprechung ist eine Haftung des Betreuers nun gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. denkbar.22 a) Zusammenwohnen (la cohabitation) Nach dem Gesetzestext haften Eltern nur dann für das Verhalten ihres minderjährigen Kindes, wenn sie mit ihm im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zusammenleben („habitant avec eux“). Das Erfordernis der cohabitation ergab solange Sinn, solange die Elternhaftung eine Haftung für vermutetes Fehlverhalten darstellte. Bei fehlendem tatsächlichem Zusammenleben konnten die Eltern schließlich nicht ihre Aufsichtspflicht verletzen.23 Ihre Haftung war folglich ausgeschlossen, wenn das Kind im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses in einem Internat lebte24 oder die Schulferien bei seinen Großeltern25 oder seinem nicht sorgeberechtigten Vater verbrachte.26 Zeitgleich mit dem arrêt Bertrand27 entschied die Cour de cassation, dass ein Aufenthalt des Minderjährigen bei seinem nicht sorgeberechtigten Elternteil das Zusammenleben mit dem sorgeberechtigten Elternteil nicht unterbreche. Eine Haftpflicht nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. kam somit auch bei tatsächlichem Getrenntleben in Betracht.28 Die Richter entwickelten eine rein rechtliche und abstrakte Begriffsauffassung der cohabitation, die als „das Recht, das Kind gewöhnlich zu beherbergen29“ zu verstehen ist. Die abstrakte Definition der cohabitation ermöglichte der Cour de cassation, eine Haftung der Eltern für ihr 13jähriges Kind, das seit seinem ersten Lebensjahr bei den Großeltern lebte, zu bejahen.30 Auch unterbricht nach dem neuen Begriffsverständnis ein mehrwöchiger Aufenthalt in einem Ferienlager die cohabitation des Kindes mit den Eltern nicht.31 Teilweise wird gefordert, den Gesetzestext von dem Passus „habitant avec eux“ zu befreien, da dieser mit Wegfall einer haftungsbegründenden Aufsichts- oder Erziehungspflichtverletzung jeglichen Sinn verloren habe. Anknüpfungspunkt für die Elternhaftung sei inzwischen allein das elterli22

Hierzu 1. Teil B. IV. 1. b) bb). Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 196. 24 Cass.civ. 1 re, 2 juillet 1991, Bull.civ. 1991 I, n° 224. 25 Cass.civ. 2 e, 24 avril 1989, D. 1990, 519. 26 Cass.crim, 13 déc. 1982, Bull.crim. 1982, n° 282. 27 Cass.civ. 2 e, 19 févr. 1997, Bull.civ. 1997 II, n° 56. 28 Cass.civ. 2e, 19 févr. 1997, Bull.civ. 1997 II, n° 55; Cass.civ. 2 e, 9 mars 2000, Bull.civ. 2000 II, n° 44: Auch ein einmonatiger Aufenthalt eines minderjährigen Kindes in einem Erziehungsheim unterbricht demnach nicht die „cohabitation“. 29 „le droit d’héberger habituellement l’enfant“: Cass.civ. 2 e, 20 janv. 2000, Bull.civ. 2000 II, n° 14; Cass.civ. 2 e, 5 févr. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 50. 30 Cass.crim., 8 févr. 2005, JCP G 2005.II.10049. 31 Cass.crim., 29 oct. 2002, Bull.crim. 2002, n° 197. 23

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Erster Teil: Das französische Recht

che Sorgerecht (l’autorité parentale), das die abstrakt definierte cohabitation beinhalte.32 Üben Eltern das elterliche Sorgerecht aus, ist regelmäßig die Voraussetzung der cohabitation erfüllt.33 Ein Auseinanderfallen von autorité parentale und cohabitation ist ausnahmsweise durch eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung möglich, etwa dann, wenn in einem Scheidungsverfahren der gewöhnliche Aufenthaltsort des Kindes bei einem Elternteil festgelegt wird oder wenn der Minderjährige aufgrund einer Erziehungsmaßnahme oder Strafaussetzung zur Bewährung einer Einrichtung anvertraut wird.34 Nur in diesen Fällen und bei Entzug des Sorgerechts müssen Eltern nicht strikt nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. haften. b) Das schädigende Verhalten des Minderjährigen (le fait générateur) Dem Wortlaut des Art. 1384 Abs. 4 C.c. lässt sich nicht entnehmen, ob das Kind den Schaden nur kausal, objektiv fehlerhaft oder schuldhaft herbeigeführt haben muss. Lange wurde angenommen, dass nur ein Verhalten, das die persönliche Haftung des Minderjährigen nach den Artt. 1382, 1383 C.c. auslösen konnte, die Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. begründete. Die Elternhaftung trat neben die persönliche Haftung des Kindes. Eine faute des Kindes war damit zwingende Haftungsvoraussetzung für Art. 1384 Abs. 4 C.c.35 Bis zur Einführung des Art. 489-2 C.c. im Jahre 1968 war sich die Literatur einig, dass für die Annahme einer faute das Element der objektiven Pflichtverletzung und das Element der subjektiven Vorwerfbarkeit (imputabilité) vorliegen müsse.36 Art. 489-2 C.c. stellt ausdrücklich klar, dass auch geistig kranke Personen deliktsrechtlich haften. In einer Reihe von Grundsatzentscheidungen übertrug die Assemblée plénière im Jahr 1984 die Wertung des Art. 489-2 C.c. auf die persönliche Haftung von Minderjährigen.37 In der ersten Entscheidung, dem arrêt Gabillet, stellte die Cour de cassation zunächst fest, dass auch ein einsichtsunfähiges Kind Halter einer Sache sein könne und als gardien nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. haften müsse.38 In der zweiten Entscheidung, 32 Steinlé-Feuerbach, note, JCP G 2005.II.10049; Bizot, La responsabilité civile des père et mère du fait de leur enfant: de la faute au risque, Rapport Cour de cassation 2002, 2 e partie. 33 Jourdain, obs., RTD 2005, chr., 140, 141. 34 Bizot, La responsabilité civile des père et mère du fait de leur enfant: de la faute au risque, Rapport Cour de cassation 2002, 2 e partie, II.D. 35 Cass.civ. 1 er, 19 mai 1953, D. 1954, somm. 15; vgl. Terré/Simler/Lequette, Les obligations, 10 e éd. 2009, n° 821. 36 Eine Darstellung dieser Problematik findet sich etwa bei Niboyet, Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik, 2001, S. 40 ff. 37 Cass.ass.plén., 9 mai 1984, Bull. A.P. 1984, n° 1-4. 38 Cass.ass.plén., 9 mai 1984, Bull. A.P. 1984, n° 1.

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dem arrêt Lemaire, bejahte die Cour de cassation ein Mitverschulden des minderjährigen Geschädigten unabhängig von dessen Einsichtsfähigkeit (discernement).39 Nach einhelliger Auffassung folgt aus dieser Entscheidung, dass die subjektive Vorwerfbarkeit auch nicht mehr Voraussetzung für das Vorliegen einer faute ist.40 Die persönliche Haftung von Minderjährigen nach Artt. 1382, 1383 C.c. wird bei Vorliegen eines objektiven Pflichtverstoßes unabhängig von der Einsichtsfähigkeit und dem Alter des Kindes begründet. Diese Wertung wurde in der vierten Grundsatzentscheidung, dem arrêt Fullenwarth, auf die Elternhaftung übertragen.41 Danach kommt es für die Begründung der Elternhaftung auf die Einsichtsfähigkeit des Kindes nicht an. Ausreichend sei, dass das Verhalten des Kindes eine „direkte Ursache“ des Schadens darstelle.42 Im arrêt Levert vom 10. Mai 2001 präzisierte die Cour de cassation, dass ein objektiv fehlerhaftes Verhalten des Minderjährigen nicht mehr Voraussetzung für die Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. sei (théorie du fait causal).43 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Während eines in der Schulpause improvisierten Rugbyspiels wurde ein Schüler durch ein Tackling zu Boden gerissen und verletzt. Das Tackling war regelgerecht. Dennoch mussten die Eltern des Jungen, der das Tackling verursachte, gemäß Art. 1384 Abs. 4 C.c. haften. Mit den Entscheidungen Minc und Poullet bestätigte die Assemblée plénière ein Jahr später die Rechtsauffassung der zweiten Zivilkammer.44 Beide Entscheidungen betrafen einen Schulsportunfall. Im Fall Minc verlor ein Junge während des Sportunterrichts sein Gleichgewicht und fiel auf einen Mitschüler, der sich dabei verletzte. Die Eltern des Jungen wurden gemäß Art. 1384 Abs. 4 C.c. verurteilt, ohne dass ein fahrlässiges Verhalten des Jungen festgestellt werden musste. Die Cour de cas39 Cass.ass.plén., 9 mai 1984, Bull. A.P. 1984, n° 2: Ein 13jähriger Junge war beim Einschrauben einer Glühbirne in eine defekte Lampenfassung zu Tode gekommen. Die Eltern mussten sich ein Mitverschulden ihres verstorbenen Kindes auf ihren Schadensersatzanspruch gegen das für den Defekt verantwortliche Unternehmen anrechnen lassen. 40 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 593; Starck/Roland/Boyer, Obligations, t. 1, 5 e éd. 1996, n° 994. 41 Cass.ass.plén., 9 mai 1984, Bull. A.P. 1984, n° 4: Ein 7jähriger Junge verletzte seinen Freund mit einem Pfeil. Daraufhin wurden er und sein Vater deliktsrechtlich zum Schadensersatz verurteilt, ohne dass das Gericht über die Einsichtsfähigkeit des Kindes entschieden hatte. 42 „[…], il suffit que celui-ci ait commis un acte qui soit la cause directe du dommage invoqué par la victime“. 43 Cass.civ. 2e, 10 mai 2001, Bull.civ. 2001 II, n° 96: „[…] la responsabilité de plein droit encourue par les père et mère [...] n’est pas subordonnée à l’existence d’une faute de l’enfant; [...]“. 44 Cass.ass.plén., 13 déc. 2002 (2 Urteile), JCP G 2003.II.10010: „[...], il suffit que le dommage invoqué par la victime ait été directement causé par le fait, même non fautif, du mineur; [...]“.

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sation bestätigte jüngst die théorie du fait causal in einem anderen Fall, in dem ein 10-jähriger Rollschuhfahrer mit einem Fahrradfahrer zusammenstieß. Sie bejahte die Voraussetzungen der Elternhaftung, ohne eine faute des 10-Jährigen festzustellen.45 Jedes für den Schaden kausale Verhalten des Minderjährigen, kann nach dem geltenden Recht die Haftung der Eltern nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. auslösen. Die schädigende Handlung des Kindes muss nicht objektiv pflichtwidrig gewesen sein. Damit ist die Eigenhaftung des Kindes nach den Artt. 1382, 1383 C.c. keine Voraussetzung mehr für die Haftung der Eltern. 3. Zusammenfassung Die Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. hat sich in zweifacher Hinsicht zu einer rein objektiven Haftung entwickelt: Erstens haften Eltern unabhängig von einer Aufsichts- oder Erziehungspflichtverletzung, zweitens kann jede für den Schaden kausale Handlung des Kindes die Haftung der Eltern auslösen. Die deliktische Haftung der Eltern wird unabhängig von dem eigenen Verschulden und unabhängig von einem Verschulden des Kindes begründet. Mit dem Verzicht auf eine faute des Kindes hat die Cour de cassation die Elternhaftung in eine reine Kausal-, bzw. Entschädigungshaftung (théorie du fait causal) verwandelt.46 Die verschuldensunabhängige Einstandspflicht für ein erlaubtes Verhalten erinnert an die Grundsätze der Gefährdungshaftung im deutschen Recht. Die Kausalhaftung der Eltern kann zu absurden und willkürlichen Ergebnissen führen.47 Wird bei einem improvisierten Fußballspiel trotz Einhaltung der Spielregeln ein Spieler durch einen minderjährigen Mitspieler verletzt, kann der Geschädigte von den Eltern des Minderjährigen Ersatz seines Schadens nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. verlangen. Verursacht ein Volljähriger die Verletzung, steht dem Verletzten mangels faute kein Anspruch nach Artt. 1382, 1383 C.c. zu. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb Eltern für ein Verhalten haften sollen, das nach den allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts keine Haftung auslöst. Ein ordnungsgemäßes Verhalten eines 17-jährigen stellt kein größeres Risiko für einen Dritten dar als ein ordnungsgemäßes Verhalten eines Volljährigen.48 Allem Anschein nach ist den Richtern der sichere Ersatz von Schäden wichtiger als die Rückführung der Haftung auf ein menschliches Versagen.49 Die Tragweite der théorie du fait causal dürfte jedoch gering sein. Außer bei 45

Cass.civ. 2 e, 17 févr. 2011, JCP G 2011,n° 18, p. 859 et s. Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 66. 47 So auch Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 51. 48 Tournafond, note, D. 2001, com., 2854, 2858. 49 Tournafond, note, D. 2001, com., 2854, 2859. 46

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sportlichen Aktivitäten sind kaum Sachverhalte denkbar, bei denen ein Minderjähriger einen Schaden verursacht, ohne objektiv fehlerhaft gehandelt zu haben.50 Denkbar ist etwa die Schadensverursachung im Straßenverkehr durch regelgerechtes Verhalten eines Minderjährigen, der aber häufig ein Mitverschulden des Geschädigten gegenüberstehen dürfte. Die Ratio der Elternhaftung liegt nicht mehr darin, eine schlechte Erziehung oder unzureichende Beaufsichtigung des Kindes zu sanktionieren. Sie beruht auf der Wertentscheidung, dem Opfer eine Entschädigung zu garantieren.51 Das Risiko eines Schadens durch Minderjährige, das durch die Liberalisierung der Erziehung und die Schwächung der elterlichen Autorität und der familiären Strukturen gewachsen ist, soll nicht zu Lasten der Opfer gehen. Es soll in Form einer garantie parentale von den Eltern getragen werden.52 Da Eltern die Verantwortung auf sich nehmen, Kinder zu haben, seien sie demzufolge auch verpflichtet, die Verantwortlichkeit für die Taten ihrer Kinder auf sich zu nehmen.53 Das elterliche Sorgerecht gebe den Eltern Rechte und Pflichten, zu denen auch die Wiedergutmachung des von ihrem Kind verursachten Schadens gehöre.54 Die Einführung der strikten Elternhaftung traf in Anbetracht immer häufiger abgeschlossener Familienhaftpflichtversicherungen auf wenig Kritik. Im Jahre 2005 hatten 90 % der französischen Haushalte eine Familienhaftpflichtversicherung abgeschlossen. Um eine unverhältnismäßige Belastung von Familien, die sich eine Versicherung nicht leisten können, zu vermeiden und um steigende Versicherungsprämien zu verhindern, wird die Einführung einer Familien-Pflichtversicherung gefordert.55

II. Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. 1. Strikte Haftung Im Unterschied zur Elternhaftung begründete die Geschäftsherrenhaftung nach der Konzeption des Code Napoléon eine Haftung ohne Entlastungsmöglichkeit für den Geschäftsherrn. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu Art. 1384 Abs. 7 C.c, der den commettant gerade nicht erwähnt.56 Ursprünglich wurde der Grund der Haftung in einem vermuteten 50

Mouly, JCP G 2005.I.134, p. 834; ders., note, JCP G 2004.II.10017, n° 22. Viney, note, JCP G 1997.II.22848, p. 252. 52 Jourdain, note, D. 2003, jur., p. 231, 234 ; ders., note, D. 1997, jur., p. 265, 266 ; so bereits 1988 Puill, D. 1988, chr., 185, 189. 53 Puill, D. 1988, chr., 185, 189. 54 Niboyet, Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik, 2001, S. 174. 55 Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 51. 56 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 157. 51

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Auswahlverschulden (culpa in eligendo) oder Überwachungsverschulden (culpa in vigilando) des Geschäftsherrn gesehen. In der Theorie basierte die Geschäftsherrenhaftung somit auf dem Verschuldensprinzip. Durch die Aufstellung einer unwiderlegbaren Verschuldensvermutung gestaltete sich die Geschäftsherrenhaftung aber im Ergebnis als verschuldensunabhängige Haftung. Inzwischen herrscht darüber Einigkeit, dass die Geschäftsherrenhaftung dogmatisch auf einer strikten Haftung basiert.57 Gerechtfertigt wird die strikte Geschäftsherrenhaftung insbesondere durch die Theorien der Risikohaftung (théorie du risque) und der Garantiehaftung (théorie de la garantie).58 Nach der théorie du risque haftet der Geschäftsherr für das durch die Einschaltung eines Verrichtungsgehilfen gesteigerte Risiko einer Schadenszufügung. Im Gegenzug profitiert der Geschäftsherr wirtschaftlich von der Tätigkeit des Verrichtungsgehilfen (théorie du risque-profit). Die Haftung des Geschäftsherrn wird auch als Gegenstück zur ausgeübten Autorität über den Verrichtungsgehilfen gesehen (théorie du risque-autorité).59 Im Ergebnis hat der Geschäftsherr nach der Risikotheorie nicht nur für die Vorteile, sondern auch für die Nachteile einer Arbeitsaufteilung einzustehen.60 Wenig vereinbaren ließ sich die Risikotheorie mit der traditionellen Sicht der Geschäftsherrenhaftung, nach welcher der Verrichtungsgehilfe neben dem Geschäftsherrn nach Artt. 1382, 1383 C.c. persönlich haftete.61 Nach der théorie de la garantie verfolgt Art. 1384 Abs. 5 C.c. allein den Zweck, dem Geschädigten einen Anspruch gegen einen zahlungsfähigen Schuldner zu sichern. Der Rückgriff auf einen Entlastungsnachweis ist daher nicht gestattet. Garantiert wird die Solvenz des Verrichtungsgehilfen.62 Zwingende HaftungsvorausFlour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 204. Als weitere Ansätze werden unter anderem die théorie de la représentation und die théorie d’équité genannt. Vgl. hierzu Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 206; Starck/Roland/Boyer, Obligations, t. 1, 5 e éd. 1996, n° 887 et s. 59 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 158. 60 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 205; Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 791-1. Viney/Jourdain bezeichnen die Risikohaftung als „théorie du risque d’entreprise“. Nicht die Person des Geschäftsherrn, sondern das hinter ihr stehende Unternehmen schaffe durch die Einschaltung eines Verrichtungsgehilfen das Risiko einer Schadenszufügung. Als Unternehmensträger sei der Geschäftsherr aber gegenüber Dritten verantwortlich, da er die Möglichkeit habe, diesem Schadensrisiko präventiv und durch den Abschluss von Versicherungen entgegen zu wirken. 61 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 158; Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 55. 62 Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 56; in diesem Sinne auch Cass.civ 2e, 6 févr.1974, D. 1974, jur., 409. Starck/Roland/Boyer, Obligations, t. 1, 5 e éd. 1996, n° 892 bezeichnen die Begründung, die Haftung des Geschäftsherrn sichere die Solvenz des Verrichtungsgehilfen, als „théorie d’équité“. 57

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setzung ist folglich die persönliche Haftung des Verrichtungsgehilfen, die mit einem Anspruch gegen den Geschäftsherrn gesichert werden soll. Seit dem arrêt Costedoat fordert die Cour de Cassation für die persönliche Haftung des Verrichtungsgehilfen eine faute personnelle.63 Die Geschäftsherrenhaftung kann seit der Entscheidung auch unabhängig von der persönlichen Verantwortung des Verrichtungsgehilfen begründet werden.64 Die autonome Haftung des Geschäftsherrn ist allein mit der Risikotheorie vereinbar, welche die Cour de cassation nun zu befürworten scheint.65 2. Haftungsvoraussetzungen a) Lien de préposition Der Schädiger muss Verrichtungsgehilfe des Geschäftsherrn sein. Die Qualifizierung als Verrichtungsgehilfe richtet sich im französischen wie im deutschen Recht nach dem Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses, also danach, ob der Gehilfe Instruktionen und Anweisungen zu folgen hat, die ihm im Bezug auf die Ausführung der ihm übertragenen Aufgabe gegeben werden. Aufgrund des Erfordernisses der Weisungsgebundenheit sind selbstständig Arbeitende wie Bauunternehmer und Spediteure im Allgemeinen keine Verrichtungsgehilfen.66 In der Regel wird die Weisungsbefugnis durch ein Vertragsverhältnis, insbesondere durch einen Arbeitsvertrag, begründet (sog. subordination juridique).67 Aufgrund eines immer weiteren Verständnisses des lien de préposition durch die Cour de cassation, kann auch eine rein faktisch begründete Befehlsgewalt die Haftung des Geschäftsherrn auslösen. Abgestellt wird auf ein Autoritätsverhältnis, welches sowohl rechtlich als auch tatsächlich (sog. préposé occasionnel) begründet werden kann.68 Dabei fragen die Gerichte in erster Linie nicht mehr danach, ob zwischen Verrichtungsgehilfe und Geschäftsherr ein wirtschaftliches oder soziales Abhängigkeitsverhältnis besteht, sondern sie prüfen, ob der Verrichtungsgehilfe im Interesse eines Anderen tätig wird.69 Im Jahre 1991 entschied die Cour de cassation, dass ein Jagdteilnehmer der préposé occasionnel der die Jagd organisierenden Jagdvereinigung sein kann. Diese müsse gemäß Art. 1384 Abs. 5 C.c. für den vom Jagdteilneh63

Cass.ass.plén., 25 févr. 2000, Costedoat, Bull. A.P. 2000, n° 2; Malaurie/Aynès/ Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 166: Eine faute personnelle definiert sich durch ein schwerwiegendes, von der übertragenen Aufgabe abweichendes Fehlverhalten. 64 Billiau, note, JCP G 2000.II.10296, p. 752. 65 Tournafond, D. 2001, Jur. 2858; Billiau, note, JCP G 2000.II.10295, p. 752. 66 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, § 41 III, S. 639. 67 Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 58. 68 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 210, 211. 69 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 792.

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mer verursachten Schaden haften.70 Im zu entscheidenden Fall verletzte der Jäger beim Zerteilen der Beute einen anderen Jagdteilnehmer. Nach Ansicht der Richter wurde der Jagdteilnehmer beim Zerteilen der Beute für die gesamte Jagdgemeinschaft tätig und nicht nur für sich selbst. Ob auch Profi- und Freizeitsportler, die für eine Mannschaft Spiele bestreiten, unter den weiten Begriff des Verrichtungsgehilfen fallen, wird noch zu erörtern sein.71 b) Das schädigende Verhalten des préposé Das schädigende Verhalten des Verrichtungsgehilfen muss im Zusammenhang mit der ihm übertragenen Tätigkeit stehen (connexité).72 Die französische Rechtsprechung bejaht die connexité sehr großzügig. Auch Handlungen, die nach deutschem Verständnis „bei Gelegenheit der Verrichtung“ erfolgt sind, lösen die Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. aus.73 Eine Haftungsbefreiung ist nur im Falle eines abus de fonctions möglich.74 Ein solcher Missbrauch wird angenommen, wenn der Verrichtungsgehilfe außerhalb des ihm übertragenen Aufgabenbereichs, ohne Zustimmung des Geschäftsherrn und zu einem dem Interesse des Geschäftsherrn nicht entsprechenden Zweck gehandelt hat („si son préposé a agi hors des fonctions auxquelles il était employé, sans autorisation et à des fins étrangères à ses attributions“).75 Die Haftung des Geschäftsherrn knüpft an die schädigende Handlung seines Verrichtungsgehilfen an („responsable […] du dommage causé par leur […] préposés […]“). Welche Anforderungen an das schädigende Verhalten des Verrichtungsgehilfen zu stellen sind, lässt sich dem Wortlaut des Art. 1384 Abs. 5 C.c. nicht entnehmen. Lange bestand Einigkeit darüber, dass der Schaden auf einem Verhalten beruhen musste, das die Voraussetzungen der persönlichen Haftung des Verrichtungsgehilfen nach Artt. 1382, 1383 C.c. erfüllte.76 Seit der Einführung des Art. 489-2 C.c. im 70

Cass.civ. 2 e, 27 nov. 1991, RCA 1992, comm. 41. Hierzu 1. Teil C. I. 3. 72 Zur umstrittenen Problematik des erforderlichen Zusammenhangs, welche im Rahmen dieser Arbeit keine Bedeutung erlangt, siehe Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 72 ff. 73 Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 96. 74 Cass.civ. 2 e, 8 avril 2004, Bull.civ. II 2004, 194. 75 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, § 41 III, S. 640. 76 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2e éd. 1998, n° 807; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, § 41 III, S. 642. Für die zivilrechtliche Geltendmachung des Schadensersatzes wurde die vorzeitige zivilrechtliche Verurteilung des préposé hingegen nicht gefordert, vgl. Nachweise bei Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 806. 71

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Jahre 1968 und dessen Auslegung durch die Rechtsprechung werden dem Geschäftsherrn auch Delikte eines einsichtsunfähigen Gehilfen zugerechnet.77 Die fortschreitende Objektivierung der Haftung führt im Schrifttum zu der Diskussion, ob ein objektiv fehlerhaftes Verhalten (fait fautif) zu fordern ist oder ob bereits jedes ursächliche Verhalten (fait causal) des Verrichtungsgehilfen für die Haftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. genügt.78 Der überwiegende Teil des Schrifttums hält an dem strengeren Erfordernis des objektiv fehlerhaften Verhaltens fest. Die théorie du fait causal führe zu einer unbilligen Ausdehnung der Geschäftsherrenhaftung. 79 Dem Geschäftsherrn könne nicht allein deshalb die Last der Entschädigungspflicht aufgebürdet werden, weil ein Dritter durch einen Verrichtungsgehilfen einen Schaden erlitten hat.80 Die Geschäftsherrenhaftung unterscheide sich von der Elternhaftung, bei der ein fait causal genügt, dadurch, dass Schäden des Verrichtungsgehilfen im Unterschied zum Minderjährigen nicht typischerweise auf die Rechtsgüter Körper und Eigentum beschränkt seien. Die Annahme der théorie du fait causal könne dazu führen, dass bereits ein rechtmäßiges wirtschaftliches Handeln des Verrichtungsgehilfen Schadensersatzansprüche des Mitkonkurrenten auslöse.81 Es sei daher wünschenswert, dass die Cour de Cassation die Geschäftsherrenhaftung nicht wie die Elternhaftung ausdehne. Für die Begründung der Haftung eines Profisportvereins nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. hat die Cour de cassation die positive Feststellung eines die Spielregeln verletzenden Verhaltens des Vereinsspielers gefordert.82 Damit erachteten die Richter ein für den Schaden rein kausales Verhalten als nicht ausreichend.83 Ein fait fautif des Verrichtungsgehilfen scheint Voraussetzung für die Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. zu bleiben.84 3. Zusammenfassung Die Geschäftsherrenhaftung wurde von den Verfassern des Code civil als eine Haftung ohne Exkulpationsmöglichkeit ausgestaltet. Basierte sie zu77

Cass.civ. 2 e, 3 mars 1977, D. 1977, jur., 501. Vertiefend Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 64, 65. 79 Vgl. Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 71. 80 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 213; Tournafond, note, D. 2001, Jur., 2854, 2858. 81 Tournafond, note, D. 2001, Jur., 2854, 2858. 82 Cass.civ. 2e, 8 avril 2004, Bull.civ.2004 II n° 194: „[…], sans rechercher si le tacle ayant provoqué les blessures avait constitué une faute caractérisée par une violation des règles du jeu, la cour d’appel n’a pas donner de base légale à sa décision[...]“; so auch CA Paris, 1 ère ch., 9 déc. 2002, RCA févr. 2002, chr., p. 5. 83 Jourdain, RTD 2004, chr., 517. 84 So auch Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 161. 78

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nächst noch auf dem Gedanken einer Haftung für vermutetes Auswahloder Überwachungsverschulden, so ist man sich heute darüber einig, dass die Haftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. verschuldensunabhängig erfolgt. Der Haftungsgrund liegt in der Schaffung eines gesteigerten Risikos der Schadenszufügung durch die Einschaltung von Verrichtungsgehilfen. Dafür profitiert der Geschäftsherr vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von der Arbeitsteilung. Im Gegensatz zur Elternhaftung wird für die Geschäftsherrenhaftung weiterhin eine objektiv fehlerhafte Schadensverursachung durch den Verrichtungsgehilfen gefordert.

III. Allgemeine Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde Art. 1384 Abs. 1 C.c. keine eigenständige Bedeutung zugemessen. Soweit die Vorschrift eine Haftung für Sachen vorsah, wurde diese nur als vorbereitender Hinweis zur Tierhalterhaftung nach Art. 1385 und zur Gebäudeeigentümerhaftung nach Art. 1386 C.c. verstanden.85 Schadensersatz für durch Sachen verursachte Schäden konnte allein auf der Grundlage der Artt. 1382, 1383 C.c. und somit verschuldensabhängig erlangt werden. Mit der Industrialisierung nahm die Anzahl an Arbeitsunfällen, die vor allem durch den Einsatz von Maschinen verursacht wurden, zu. Um Schadensersatz zu erhalten, hatte das Opfer insbesondere Material- und Konstruktionsfehler nachzuweisen, was nur schwerlich gelang.86 Diesen Beweisschwierigkeiten trat die Cour de cassation in einer ersten Entscheidung aus dem Jahre 1896 entgegen. Die Richter erkannten Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. als eigenständige Anspruchsgrundlage für die Haftung für durch Sachen verursachte Schäden an.87 In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 191488 und in ihrem berühmten arrêt Jand’heur89 aus dem Jahre 1930 entwickelte die Cour de cassation das Prinzip einer allgemeinen Sachhalterhaftung, das über das Gebiet der Arbeitsunfälle weit hinausgeht. Nach den bis heute geltenden Grundsätzen hat der Halter einer jeden Sache für den durch die Sache verursachten Schaden einzustehen, es sei denn, der Schaden ist auf Zufall, eine nicht zurechenbare Fremdursache oder höhere Gewalt zurückzuführen.

85 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 42 III, S. 664. 86 Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 17, 18. 87 Cass.civ., 16 juin 1896, Teffaine, D. 1897 I, 433, 440. 88 Cass.Req., 19 janv. 1914, D. 1914 I, 303. 89 Cass.ch.réun., 13 févr. 1930, Jand’heur, D.P. 1930 I, 57.

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1. Strikte Haftung Die Cour de cassation half der Witwe eines durch eine Dampfmaschine zu Tode gekommenen Mechanikers erstmals im arrêt Teffaine mit einer Beweislastumkehr. Wie bei der Tierhalter- und Gebäudeeigentümerhaftung sollte sich das Opfer auch bei dem Anspruch nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. auf eine Verschuldensvermutung (présomption de faute) berufen können. Durch den Nachweis einer fehlerfreien Ausübung der Sachherrschaft konnte sich der Beklagte von der Haftpflicht befreien.90 Das Verschuldensprinzip, welches durch das Instrument der Beweislastumkehr zunächst gewahrt blieb, wurde mit dem arrêt Jand’heur endgültig aufgegeben. Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c., aber auch die Spezialtatbestände der Artt. 1385, 1386 C.c. begründen von da an eine Haftungsvermutung (présomption de responsabilité), die nur durch den Nachweis von höherer Gewalt (force majeure)91 oder Mitverschulden des Opfers (faute de la victime) ausgeschlossen oder abgemildert werden kann.92 Heute wird die allgemeine Sachhalterhaftung nicht mehr als Haftungsvermutung, sondern als verschuldensunabhängige Haftung (responsabilité de plein droit) bezeichnet.93 2. Haftungsvoraussetzungen Der Schaden muss durch eine Sache (chose) verursacht worden sein. Eine Sache im Sinne des Art. 1384 Abs. 1 C.c. ist jeder körperliche Gegenstand, der nicht unter die Spezialvorschriften der Artt. 1385 (Tiere), 1386 (Gebäude) und unter die Spezialgesetze (Gesetz über verursachte Schäden durch Kernenergie, im Straßenverkehr u.a.) fällt.94 Der Aggregatzustand ist dabei unerheblich. Sowohl bewegliche als auch unbewegliche Gegenstände fallen unter den Sachbegriff.95 Auch ist eine besondere Gefährlichkeit oder eine Fehlerhaftigkeit der Sache keine Voraussetzung der Begriffserfüllung. Versuche, den Anwendungsbereich von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. durch

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Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 42 III, S. 664. 91 Höhere Gewalt umfasst auch die Schadensverursachung durch einen Dritten (fait d’un tiers). 92 Das 1985 eingeführte Gesetz für den Bereich der Straßenverkehrsunfälle (Loi n° 85-677 du 5 juillet 1985) schließt die Berufung auf höhere Gewalt ganz aus. Mitverschulden des Opfers kann zudem nur dann zur Haftungsminderung führen, wenn das Opfer über 16 Jahre alt gewesen ist und ihm eine „faute inexcusable“ vorzuwerfen ist. 93 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts (Hrsg. Zimmermann), 1. Aufl. 2003, S. 282, 283. 94 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 190. 95 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 242.

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Erster Teil: Das französische Recht

diese Kriterien einzuschränken, sind gescheitert.96 Unbeachtlich ist des Weiteren, ob die Sache bei Schadenszufügung von einer menschlichen Hand gelenkt wurde oder nicht. Ein Fahrrad, ein Ski, ein Basketball, aber auch ein Stuhl oder ein Teppich erfüllen daher den Sachbegriff des Art. 1384 Abs. 1 C.c.97 Die zweite Voraussetzung verlangt, dass der Schaden durch ein Verhalten der Sache (fait de la chose) herbeigeführt worden ist, die bei der Schadensentstehung nicht nur eine rein passive Rolle gespielt hat. Die Sache muss aktiv auf die Schadensentstehung eingewirkt haben (cause génératrice du dommage). Sachen, die sich bei der Schadensentstehung an ihrem ordnungsgemäßen Platz oder in ordnungsgemäßen Zustand befanden, wie beispielsweise eine Treppe, können demnach nicht die Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 C.c. auslösen.98 Der Beklagte muss Halter (gardien) der Sache gewesen sein. Sachhalter ist derjenige, der die „usage, direction et contrôle“, also die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Sache inne hat.99 Die tatsächliche Verfügungsgewalt übt dabei auch ein 3-Jähriger aus, der mit einem Stöckchen seinen Spielkameraden im Auge verletzt.100 Grundsätzlich ist der Eigentümer Halter der Sache. Er kann jedoch beweisen, dass er die tatsächliche Verfügungsgewalt an eine andere Person abgegeben hat. Der Geschäftsherr bleibt hingegen solange Halter der vom Verrichtungsgehilfen genutzten Sache, wie dieser die Sache bei Ausübung der ihm übertragenen Tätigkeit verwendet.101 3. Zusammenfassung Die Cour de cassation hat aus dem ursprünglich ankündigenden Absatz 1 des Art. 1384 C.c. eine Generalklausel für die Haftung für Sachen entwickelt und diese als strikte Haftung ausgestaltet. Der Begriff der responsabilité de plein droit sollte jedoch nicht mit Gefährdungshaftung übersetzt werden.102 Die allgemeine Sachhalterhaftung des französischen Deliktsrechts ist nicht mit der Gefährdungshaftung, wie sie nach deutschem Recht verstanden wird, identisch. Die Gefährdungshaftung wird durch die verschuldensunabhängige Haftung für Schäden aufgrund von Quellen erhöhter

Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 191. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 42 III, S. 665, 666. 98 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 193. 99 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 42 III, S. 667. 100 Cass.ass.plén., 9 mai 1984, Bull. A.P. 1984, n° 1. 101 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 255. 102 Diese Übersetzung findet sich etwa bei Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 4. Aufl. 2001, § 23 Nr. 5b), S. 202. 96

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B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Gefahr gekennzeichnet.103 Auf die Gefährlichkeit der Sache kommt es für die Begründung der Sachhalterhaftung nach dem Code civil jedoch – wie dargelegt – nicht an. Die strikte Haftung des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. knüpft allein an das Innehaben einer Sache an. Sie stellt eine strikte Haftung sui generis dar.104 Mit Hilfe dieser Generalklausel kann das französische Recht unmittelbar auf alle neu auftretenden Sachgefahren reagieren, ohne einen besonderen Haftungstatbestand gesetzlich einführen zu müssen, so wie es etwa im deutschen Recht der Fall ist.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen B. Die Haftung von Betreuungspersonen

Mit der Kenntnis des Haftungsregimes des Art. 1384 C.c. und seiner Ausprägungen richtet sich nun der Blick auf den ersten Komplex einer Haftung für Andere, der Haftung von Betreuungspersonen. Für diese Fallgruppe ist das Urteil der Cour de cassation vom 29. März 1991 in Sachen Blieck von zentraler Bedeutung. Doch vor Besprechung des Urteils soll kurz auf die vorherige Rechtslage eingegangen werden.

I. Die Rechtslage vor dem arrêt Blieck Bis zur Blieck-Entscheidung begnügte sich die Cour de cassation stets mit der Feststellung, dass die Haftungstatbestände in Art. 1384 Abs. 4 bis 6 C.c. abschließend und nicht analogiefähig seien.105 Die Herleitung einer Haftung für Andere aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. wurde von der Cour de cassation explizit verneint.106 Allein für die Sachhalterhaftung hatte die Cour de cassation im Jahre 1930 in der Sache Jand’heur in der zweiten Alternative des Art. 1384 Abs. 1 C.c. einen Haftungstatbestand erkannt.107 Schon damals gab es Überlegungen, den Art. 1384 Abs. 1 C.c. als einen allgemeinen Haftungstatbestand für die Haftung für Andere zu lesen. So befürwortete der Generalstaatsanwalt Matter in seinem Schlussantrag in der Sache Jand’heur diese Ausdehnung. Haften solle derjenige, der über den Schadensverursacher im Rahmen einer Aufsichtsbefugnis Autorität ausübt.108 Nach Ansicht 103 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts (Hrsg. Zimmermann), 1. Aufl. 2003, S. 282, 283. 104 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts (Hrsg. Zimmermann), 1. Aufl. 2003, S. 282, 284. 105 Cass.civ. 2 e, 15 févr. 1956, D. 1956, 410; Cass.civ. 2e, 24 nov. 1976, D. 1977, 595; in diesem Sinne auch Cass.civ 2 e, 9 nov. 1971, D. 1972, Jur., 75. 106 Cass.civ. 2 e, 24 nov. 1976, D. 1977, 595, 596. 107 Cass.ch.réun., 13 févr 1930, Jand’heur, D.P. 1930, p. 57; hierzu 1. Teil A. II. 4. 108 Matter, concl., D.P. 1930, p. 64.

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Erster Teil: Das französische Recht

von Matter zählte Art. 1384 C.c. in seinen einzelnen Absätzen nicht erschöpfend, sondern beispielhaft bestimmte Personen- und Sachgruppen auf, für die abweichende Voraussetzungen der allgemeinen Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 C.c. gelten sollten.109 Obwohl diese Auffassung in der Sache Jand’heur ohne Auswirkung war, eröffnete sie einen Diskurs über die Funktion des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c, der bis zur Entscheidung Blieck dauern sollte. Innerhalb von Rechtsprechung und Lehre herrschte Uneinigkeit darüber, ob auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. eine Haftung für Andere begründet werden konnte, die über die explizit geregelten Fälle hinausging.110 In den Jahren 1965 und 1966 unternahmen zwei Jugendgerichte den Versuch, die Cour de cassation und die Rechtslehre von der Notwendigkeit der Ausdehnung der Haftung für Andere zu überzeugen.111 In beiden Fällen waren Jugendliche aus einem Erziehungsheim ausgerissen und schädigten während ihrer Flucht fremde Rechtsgüter. Die Geschädigten verlangten von den Einrichtungen Schadensersatz auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 4 C.c. Beide Jugendgerichte gaben den Geschädigten Recht, gründeten den Anspruch jedoch nicht auf Art. 1384 Abs. 4 C.c., sondern auf Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Das Jugendgericht Dijon stellte in seinem Urteil fest, dass aus Art. 1384 Abs. 1 C.c. nicht nur eine allgemeine Sachhalterhaftung, sondern auch eine allgemeine Haftung für Andere abzuleiten sei. Haften müsse diejenige Person, die berechtigterweise eine Autorität über die andere, schadensverursachende Person ausübe.112 Während bestimmte Personengruppen aufgrund einer vermuteten, aber widerlegbaren Aufsichtspflichtverletzung haften sollten (simple présomption de faute), sollten Erziehungsheime einer strikten, verschuldensunabhängigen Haftung 109 Matter, concl., D.P. 1930, p.64, 66: „L’article 1384, après avoir posé, dans son premier alinéa, le principe que chacun doit répondre des personnes et des choses dont il a la garde, donne une longue énumération, simplement énonciative, comprenant certaines de ces personnes et choses, en fixant les modalités spéciales sous lesquelles cette responsabilité est encourue pour étendre la responsabilité, ou tout au contraire, la restreindre“. 110 Für Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. als eigene Anspruchsgrundlage sprach sich insbesondere Savatier in seinem 1933 veröffentlichen Beitrag „La responsabilité générale du fait des choses que l’on a sous sa garde a-t-elle pour pendant une responsabilité générale du fait des personnes dont on doit répondre?“ aus, in: Savatier, D.H. 1933, Chr., 81. Gegen die Ausdehnung der Rechtsprechung Jand’heur und für eine restriktive Auslegung von Art. 1384 C.c. traten insbesondere die Autoren MM. Mazeaud und Tunc ein, in: MM. Mazeaud/Tunc, Traité de la responsabilité civile délictuelle et contractuelle, t. 1, 6 e éd., 1965, n° 712 bis 718. 111 T. enfants Dijon, 27 févr. 1965, D. 1965, jur., 439; T. enfants Poitiers, 22 mars 1966, Rev. trim. dr. sanit. et soc. 1966. 262, Nachweis bei Vincent/Prévault, note, D. 1966, jur., p. 691, 692. 112 „[…] que dès lors l’expression personnes dont on doit répondre a pour sens personnes sur lesquelles on excerce une autorité légitime.“

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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unterworfen sein. Erziehungseinrichtungen würden das Risiko einer Schadenszufügung durch Minderjährige durch die Anwendung von liberalen Erziehungsmethoden steigern. Die Risikoerhöhung habe zur Folge, dass eine Exkulpation der Einrichtung nur bei Zufall, höherer Gewalt oder Drittverschulden möglich sei.113 Das Jugendgericht von Dijon begnügte sich nicht nur mit der Feststellung, dass Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. eine eigene Anspruchsgrundlage für die Haftung für Andere darstelle, sondern versuchte darüber hinaus, den Anwendungsbereich und die Haftungsnatur einer allgemeinen Haftung für Andere zu definieren. 1977 stützte ein weiteres Jugendgericht seine Entscheidung auf die „allgemeine Haftungsgrundlage“ des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c.114 Während die Entscheidungen der Jugendgerichte manche Autoren auf eine Neuorientierung der französischen Rechtsprechung hoffen ließen115, verneinte das Berufungsgericht in Dijon die Anerkennung eines allgemeinen Haftungsprinzips für Andere und hob das Urteil auf.116 Die überwiegende Mehrheit des Schrifttums begrüßte diese restriktive Haltung.117 Die Ablehnung einer Haftung für Andere nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. bedeutete freilich nicht, dass Erziehungseinrichtungen überhaupt nicht für das schädigende Verhalten ihrer betreuten Kinder einzustehen hatten. Größtenteils stellte die Rechtsprechung Erziehungseinrichtungen dem instituteur gleich, was die Anwendbarkeit der Lehrerhaftung nach Art. 1384 Abs. 6 und Abs. 8 C.c. zur Folge hatte.118 Die nach Art. 1384 Abs. 8 C.c. erforderliche faute der Einrichtung wurde etwa dann angenommen, wenn nachgewiesen werden konnte, dass liberale Behandlungsmethoden angewandt wurden, obwohl Persönlichkeit und Vorgeschichte des betreuten Minderjährigen Vorsicht geboten hätten.119

113

T. enfants Dijon, 27 févr. 1965, D. 1965, jur., 439, 440. T. enfants Chambéry, 1 er juin 1977, Gaz.Pal. 1977.2. Somm. 340, vgl. Nachweis bei Pigache, note, D. 1993, jur., 7, 8, Fn 10. 115 Legeais, D. 1965, chr., p. 131. 116 CA Dijon, 18 juin 1965, unveröffentlicht. Vgl. Nachweis bei Viney, D. 1991, chr., 157, 160, Fn 26. 117 MM. Mazeaud/Tunc, Traité de la responsabilité civile délictuelle et contractuelle, t. 1, 6 e éd., 1965, n° 712 bis 718; Vincent/Prévault, note, D. 1966, jur., 691, 692 ; 118 Cass.crim, 20 févr. 1964, JCP G 1965.II.14330; CA Montpellier, 28 janv. 1964, D. 1964, Somm., 97; Cass.civ 1 er, 20 juillet 1988, JCP G 1988.IV.351. 119 CA Montpellier, 28 janv. 1964, D. 1964, Somm. 97. 114

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Erster Teil: Das französische Recht

II. Das Grundsatzurteil Blieck vom 29. März 1991 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte Der geistig behinderte volljährige Joël Weevauters war einer mit liberalen Methoden arbeitenden privaten Behindertenwerkstatt anvertraut. Während einer unbeaufsichtigten Tätigkeit legte er in einem Wald Feuer. Die geschädigten Eigentümer des Waldes, die consorts Blieck, verklagten das die Behindertenwerkstatt tragende Pflegeheim und dessen Versicherung auf Schadensersatz. In erster Instanz verurteilte das Tribunal de Tulle das Pflegeheim zum Ersatz des entstandenen Schadens auf der Grundlage von Art. 1382 Abs. 1 C.c.120 Die Richter sahen ein persönliches Fehlverhalten der Behindertenwerkstatt als erwiesen an. Sie urteilten, dass das Pflegeheim seine Aufsichtspflicht verletzte, indem es eine unbeaufsichtigte Tätigkeit des Behinderten zuließ. Das vom Pflegeheim angerufene Berufungsgericht hielt die Verurteilung in ihrem Ergebnis aufrecht.121 Jedoch stützte die Cour d’appel de Limoges ihre Entscheidung nicht auf Art. 1382 Abs. 1 C.c, sondern auf Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Die Berufungsrichter bewerteten die liberalen Behandlungsmethoden nicht als Aufsichtspflichtverletzung der Einrichtung und verneinten eine Haftung auf der Grundlage von Art. 1382 Abs. 1 C.c. Sie entschieden jedoch, dass das Pflegeheim für das durch die liberalen Behandlungsmethoden geschaffene soziale Risiko (risque social) einzustehen habe. Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. enthalte den Grundsatz einer vermuteten Haftung für Schäden, die durch Personen verursacht worden sind, für die man verantwortlich ist („le principe d’une présomption de responsabilité du fait de personnes dont on doit répondre“). Das durch die Behindertenwerkstatt geschaffene Risiko rechtfertige die Inanspruchnahme des Pflegeheims auf der Grundlage des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Das erneut unterlegene Pflegeheim legte bei der Cour de cassation Beschwerde ein mit der Begründung, eine Haftung für das Fehlverhalten von Dritten könne nur in den vom Gesetz ausdrücklich geregelten Fällen erfolgen. Die Annahme einer allgemeinen Haftungsvermutung durch das Berufungsgericht verletze die Vorschrift des Art. 1384 Abs. 1 C.c. Die angerufene zweite Zivilkammer legte den Fall der Assemblée plénière durch Urteil122 vom 4. Juli 1990 wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung zur Entscheidung vor.123 Das aus dem Premier 120

Vgl. Ferrand, ZEuP 1993, 132, 134. CA Limoges, 23 mars 1989, RCA 1989, n° 381. 122 Vgl. Art. L. 431-7, al. 1 NCOJ [ancien art. L. 131-3, al. 1 er à 4]. 123 Art. L. 431-6 NCOJ [ancien art. 131-2, al. 2] lautet: „Le renvoi devant l’assemblée plénière peut être ordonné lorsque l’affaire pose une question de principe, notamment s’il existe des solutions divergentes soit entre les juges du fond, soit entre les juges du fond et la Cour de casstion; il doit l’être lorsque, après cassation d’un premier arrêt ou juge121

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Président der Cour de Cassation, den Vorsitzenden Richtern und den rangältesten Richtern (doyens) jeder der sechs Kammern sowie eines weiteren Richters jeder Kammer (conseiller) bestehende Plenum124, dessen Entscheidungen für Theorie und Praxis von großer Bedeutung sind125, fällte am 29. März 1991 sein Urteil.126 2. Das Urteil „Sur le moyen unique: Attendu, selon l’arrêt confirmatif attaqué (Limoges, 23 mars 1989), que Joël Weevauters handicapé mental, placé au Centre d’aide par le travail de Sornac, a mis le feu à une forêt appartenant aux consorts Blieck; que ceux-ci ont demandé à l’Association des centres éducatifs du Limousin, qui gère le centre de Sornac, et à son assureur, la réparation de leur préjudice; Attendu qu’il est fait grief à l’arrêt d’avoir condamné ces derniers à des dommagesintérêts par application de l’article 1384, alinéa 1 er, du Code civil, alors qu’il n’y aurait de responsabilité du fait d’autrui que dans les cas prévus par la loi et que la cour d’appel n’aurait pas constaté à quel titre l’association devrait répondre du fait des personnes qui lui sont confiées; Mais attendu que l’arrêt relève que le centre géré par l’association était destiné à recevoir des personnes handicapées mentales encadrées dans un milieu protégé, et que Joël Weevauters était soumis à un régime comportant une totale liberté de circulation dans la journée; Qu’en l’état de ces constatations, d’où il résulte que l’association avait accepté la charge d’organiser et de contrôler, à titre permanent, le mode de vie de ce handicapé, la cour d’appel a décidé, à bon droit, qu’elle devait répondre de celui-ci au sens de l’article 1384, alinéa 1er, du Code civil, et qu’elle était tenue de réparer les dommages qu’il avait causés ; d’où il suit que le moyen n’est pas fondé; Par ces motifs: Rejette le pourvoi“.

Die Assemblée plénière folgte mit ihrer Entscheidung dem Antrag des Generalstaatsanwaltes Dontenwille127 und wies die Kassationsbeschwerde zurück. Sie bestätigte die Haftung des Pflegeheims auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. und berief sich erstmals explizit auch auf die erste Alternative des ersten Absatzes als eigene Anspruchsgrundlage.128 ment, la décision rendue par la juridiction de renvoi est attaquée par les mêmes moyens.“ Anders Kötz/Zweigert, nach denen bei einer „question de principe“ die Chambre mixte zuständig sei. Die Assemblée plénière trete nur bei feierlichen Anlässen und wenn in der gleichen Sache zum zweiten Mal Kassationsbeschwerde eingelegt worden ist zusammen; vgl. Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 9 I, S. 120. 124 Vgl. Art. L. 421-5 NCOJ [ancien art. L. 121-6]. 125 Ferrand, ZEuP 1993, 132, 135. 126 Cass.ass.plén., 29 mars 1991, Blieck, Bull. A.P., n° 1. 127 Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673. 128 “[…] la cour d’appel a décidé, à bon droit, qu’elle devait répondre de celui-ci au sens de l’article 1384, alinéa 1 er, du Code civil […]“.

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Erster Teil: Das französische Recht

Damit erteilte sie ihrer früheren Auffassung eine klare Absage, nach der Art. 1384 C.c. abschließend die Fälle der Haftung für Andere regelt. Die Assemblée plénière bekannte sich jedoch weder ausdrücklich zu der Anerkennung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c als eine allgemeine Haftungsgrundlage für das Fehlverhalten von Anderen, noch legte sie konkrete Voraussetzungen für die Begründung einer Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. fest. Darüber hinaus lässt das Urteil die wichtige Frage offen, ob es sich bei der Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. um eine Haftung aufgrund vermuteten Verschuldens oder um eine verschuldensunabhängige Haftung handelt. 3. Analyse des Urteils In ihrer kurzen Urteilsbegründung berief sich die Cour de cassation auf die angewandten liberalen Behandlungsmethoden. Sie bejahte die Haftung des Pflegeheims, da dieses die Verpflichtung übernommen hatte, die Lebensweise des geistig Behinderten dauerhaft zu organisieren und zu kontrollieren („l’association avait accepté la charge d’organiser et de contrôler, à titre permanent, le mode de vie de ce handicapé“). Sie definierte keine allgemeinen Voraussetzungen für die Haftung für Andere, sondern stellte fallbezogen bestimmte haftungsbegründende Umstände fest.129 Die Cour de cassation stellte darauf ab, dass die Betreuung willentlich („l’association avait accepté la charge“) übernommen worden war. Die bewusste Übernahme der Betreuung weist auf die Übernahme einer rechtlichen Verpflichtung (obligation juridique) hin. Dagegen dürfte ein rein moralisches Engagement die Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. nicht auslösen. Die übernommene Aufgabe, die Lebensweise des geistig Behinderten zu organisieren („d’organiser le mode de vie“), schien in der Entscheidung von ausschlaggebender Bedeutung für die Inanspruchnahme des Pflegeheims gewesen zu sein. Bereits begrifflich umfasst die Organisation einer Lebensweise mehr als die bloße Beaufsichtigung eines Anderen.130 Inhaltlich wird darunter die zielorientierte Steuerung der Aktivitäten eines Anderen zu verstehen sein. In der Sache Blieck hatte sich das Pflegeheim des geistig behinderten Joël Weevauters mit dem Ziel der Rehabilitation und der Ermöglichung eines würdevollen Lebens angenommen. Zur Erfüllung dieses langfristigen Ziels ist die Ausübung einer Autorität über den Betreuten erforderlich, die dem elterlichen Sorgerecht ähnelt.131 129

Viney, D. 1991, chr., 157, 161. Hätten die Richter auf die bloße Beaufsichtigung des geistig Behinderten abstellen wollen, wäre die Verwendung des Verbes „surveiller“ naheliegend gewesen. 131 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 789-9. 130

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Neben der Organisation der Lebensweise stellte die Cour de cassation auf die Kontrolle der Lebensweise („de contrôler le mode de vie“) des geistig Behinderten durch das Pflegeheim ab. Die Kontrolle der Lebensweise ist dabei eng mit ihrer Organisation verbunden. Denn die zielgerichtete Steuerung der Aktivitäten des Betreuten ist nur durch eine entsprechende Kontrolle zu erreichen. Inhaltlich wird die Kontrolle insbesondere in der Unterbringung beim Betreuenden und in der Beaufsichtigung des Betreuten bei seinen wesentlichen Aktivitäten bestehen.132 Die Formulierung der Cour de cassation lässt nicht erkennen, ob die Kontrolle nur rein rechtlich oder auch tatsächlich ausgeübt werden muss. Das Erfordernis einer tatsächlichen Kontrolle (garde matérielle) würde die Annahme einer Haftung der Betreuungseinrichtung aufgrund einer widerlegbaren Verschuldensvermutung nahelegen. Das Erfordernis einer rechtlichen Kontrolle (garde juridique) würde für eine strikte Haftung der Betreuungseinrichtung sprechen.133 Schließlich hoben die Richter hervor, dass die Organisation und Kontrolle dauerhaft („à titre permanent“) übernommen worden war. Nur eine dauerhafte Betreuung des geistig Behinderten kann die Kontinuität der Organisation der Lebensweise sicherstellen und eine Rehabilitation fördern.134 Das Kriterium der Dauerhaftigkeit scheint sowohl begrifflich als auch systematisch diejenigen Personen von einer Haftung auszuschließen, die den Schädiger nur gelegentlich (occasionnellement) beaufsichtigen. Festzuhalten bleibt, dass die Cour de cassation von dem Haftpflichtigen die bewusste Übernahme der Organisation und Kontrolle der Lebensweise des Schadensverursachers verlangt, die in ihren inhaltlichen Anforderungen weit über eine einfache Aufsichtspflicht hinaus zu gehen scheint.135 Die Cour de cassation begnügte sich mit der Feststellung, dass das Pflegeheim für den geistig Behinderten haften müsse. Zu einer etwaigen Möglichkeit des Beklagten, sich durch den Nachweis fehlerfreien Verhaltens von der Haftung zu entlasten, äußerten sich die Richter nicht. Mit der Zurückweisung der Kassationsbeschwerde bestätigte die Cour de cassation das Urteil des Berufungsgerichts. Möglicherweise billigten die Richter damit stillschweigend die Schlussfolgerung der Vorinstanz zur Haftungsnatur, die jedoch keine eindeutige Wertung zulässt. Die Cour d’appel de Limoges stellte in ihrem Urteil zunächst fest, dass die Beweislast für ein Fehlverhalten des Beklagten nicht dem Geschädigten auferlegt werden

Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 789-9. Capitant/Terré/Lequette, Les grands arréts de la jurisprudence civile, t. 2, 11e éd. 2000, n° 218-219, 11. 134 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 789-9. 135 Larroumet, note, D. 1991, 324, 326. 132

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Erster Teil: Das französische Recht

könne.136 Die Entbindung des Geschädigten von der Beweislast legt die Annahme einer widerlegbaren Verschuldensvermutung nahe.137 Später im Urteil bezeichnete das Berufungsgericht Art. 1384 Abs. 1 C.c. als Prinzip einer Haftungsvermutung („le principe d’une présomption de responsabilité“).138 Begrifflich ist die Haftungsvermutung in Anlehnung an die allgemeine Sachhalterhaftung als Bejahung einer strikten Haftung (responsabilité de plein droit) zu werten.139 In den Besprechungen zur Blieck-Entscheidung bestand Uneinigkeit über die Aussagekraft zur Haftungsnatur. Nach Larroumet stützte sich die Cour de cassation eindeutig auf eine strikte Haftung, die auf dem vom Pflegeheim geschaffenen Risiko beruhte. Die Übernahme des Haftungsrisikos sei die Folge und das Gegenstück zur Übernahme der „Macht“ (pouvoir) über den geistig Behinderten.140 Auch nach Ansicht von Ghestin habe die Assemblée plénière die Entscheidung der Vorinstanz implizit zum Inhalt ihrer eigenen Entscheidung gemacht und eine auf dem geschaffenen Risiko basierende verschuldensunabhängige Haftung angenommen. Wäre die Cour de cassation anderer Auffassung gewesen, hätten die Richter ohne Weiteres ausdrücklich eine einfache Verschuldensvermutung mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises annehmen können.141 Ebenso spricht Jourdain in seiner Urteilsbesprechung von der neu geschaffenen objektiven Risikohaftung für Dritte („la nouvelle responsabilité objective pour risque“). Allerdings weist er kritisch auf die Gefahr einer unterschiedlichen Behandlung von Betreuungspersonen hin. So könnten Großeltern, welche die Betreuung ihres Enkelkindes übernommen haben, einer strengeren Haftung unterworfen sein als die Eltern des Kindes.142 Viney zufolge waren diese Bedenken Grund für die bewusst vorsichtig gewählten Formulierungen der Richter, die sich nicht auf eine bestimmte Haftungsnatur festlegen wollten.143 Zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse schlug Viney ein differenzierendes System vor. Nicht professionelle Betreuungspersonen, wie Großeltern oder Freunde, sollten wie die Eltern aufgrund eines widerlegbaren vermuteten Verschuldens haften. War der 136

Vgl. Nachweis bei Ghestin, obs., JCP G 1991, 21673, p. 180: „la preuve d’une faute ne peut être mise à la charge de la victime“. 137 Viney, D. 1991, chr., 157, 161. 138 CA Limoges, 23 mars 1989, RCA 1989, 361. 139 Viney, D. 1991, chr., 157, 161; Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 36 mit weiteren Nachweisen. 140 Larroumet, note, D. 1991, 324, 325. 141 Ghestin, obs., JCP G 1991, 21673, p. 180. 142 Jourdain, RTD 1991, 539, 544. Nach der zum Zeitpunkt der Blieck-Entscheidung geltenden Rechtsauffassung konnten sich die Eltern von der vermuteten Aufsichts- oder Erziehungspflichtverletzung exkulpieren. 143 Viney, D. 1991, chr., 157, 161.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Schädiger einer professionellen Betreuungseinrichtung anvertraut, sollte in Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung144 eine strikte Haftung eingreifen, die nur durch den Nachweis von höherer Gewalt abzuwenden sei.145 Dem Vorschlag wurde kritisch entgegnet, dass ein differenzierendes System regelmäßig Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringe.146 4. Hintergründe des Urteils In der Blieck-Entscheidung hat die Cour de cassation den als Einleitungssatz konzipierten Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. erstmals als Anspruchsgrundlage gewertet. Die Entscheidung läutete einen Wendepunkt in der Haftung für Andere ein. Im Folgenden sollen die Hintergründe dieser Wertentscheidung beleuchtet werden. Diese lassen sich der Urteilsbegründung, dem Schlussantrag Dontenwilles, der Vorinstanz und den Anmerkungen und Besprechungen zur Entscheidung entnehmen. Die Cour de cassation schien von systematischen, teleologischen und rechtsvergleichenden Erwägungen geleitet gewesen zu sein. Außerdem bewirkte die Rechtsprechungsänderung eine Harmonisierung mit der verwaltungsgerichtlichen Praxis. a) Systematische Erwägungen Eine erste, systematische Erwägung ergibt sich aus dem Umstand, dass die Cour de cassation aus der zweiten Alternative des Art. 1384 Abs. 1 C.c. das Prinzip einer allgemeinen Sachhalterhaftung abgeleitet hatte. Im Schrifttum wurde darauf hingewiesen, dass es keinen Sinn ergebe, dem einheitlichen Wortlaut des Art. 1384 Abs. 1 C.c. unterschiedliche Bedeutungen zuzumessen.147 Daher müsse auch die erste Alternative als eine eigene Anspruchsgrundlage für die Haftung für Andere gedeutet werden. Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. könne aus sich heraus verstanden werden. Mit „personnes dont on doit répondre“ seien diejenigen Personen gemeint, „dont on a la garde“, also Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer Persönlichkeit oder ihres Verhaltens eine spezielle Beaufsichtigung benötigen.148

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Hierzu 1. Teil B. II. 4. d). Viney, D. 1991, chr., 157, 161. 146 Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11e éd. 2000, n° 218-219, 10. 147 Jourdain, RTD 1991, 539, 542. 148 Viney, D. 1991, chr., 157, 158; Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11e éd. 2000, n° 218-219, 4. 145

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Erster Teil: Das französische Recht

Der Charakterisierung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. als Anspruchsgrundlage steht auch nicht entgegen, dass in der Vorschrift kein Haftungsregime erkennbar ist, und dass auch nicht auf die sonstigen Haftungstatbestände in Art. 1384 C.c. zurückgegriffen werden kann, weil diese unterschiedlichen Haftungsregimes unterliegen.149 Denn bei der Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. fand die Cour de cassation die gleiche Ausgangslage vor und sah sich nicht daran gehindert, die Sachhalterhaftung als strikte Haftung auszugestalten.150 b) Teleologische Erwägungen Eine zweite Erwägung folgt daraus, dass die bisher kodifizierten Haftungstatbestände für Andere den gesellschaftlichen und sozialen Strukturen des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht mehr gerecht wurden. Vor dem arrêt Blieck war die fehlende Regelungslücke das Hauptargument gegen die Anerkennung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. als eigene Anspruchsgrundlage. Während die Industrialisierung und der technische Fortschritt nach einer allgemeinen Sachhalterhaftung verlangten, fehlte für eine Ausdehnung der Haftung für Andere eine vergleichbare praktische Notwendigkeit.151 Der Code civil von 1804 wurde den Anforderungen der Gesellschaft an die Haftung für Andere lange gerecht. Minderjährige lebten bei ihren Eltern, die nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. für das Verhalten ihrer Kinder verschärft haften mussten. Straffällig gewordene Jugendliche und geistig Behinderte wurden weggesperrt oder streng überwacht. Die Gefahr einer Schädigung außenstehender Dritter war folglich gering. Im Laufe der Zeit haben sich die sozialen Strukturen der Gesellschaft jedoch gewandelt, wie Legeais bereits 1965 in einer Urteilsanmerkung betonte.152 Erstens wurden die familiären Strukturen geschwächt. Das Leben von Kindern beschränkt sich längst nicht mehr auf den überwachten Familienkreis und den Ausbildungsplatz. Kinder verbringen immer mehr Zeit bei Tagesmüttern oder Großeltern, mit Freunden oder bei Aktivitäten in Freizeit- und Sportvereinen.153 Schwer erziehbare Kinder und Jugendliche werden aufgrund neuer richterlicher Kompetenzen immer häufiger zur Betreuung in Kinder- und Erziehungsheime gegeben.154 Zweitens unterliegen 149 Die Umdeutung der Elternhaftung in eine strikte Haftung erfolgte erst sechs Jahre nach dem arrêt Blieck. Hierzu 1. Teil A. I. 1. 150 Viney, D. 1991, chr., 157, 158; Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11e éd. 2000, n° 218-219, 4. 151 MM. Mazeaud, Traité de la responsabilité civile, t. 1, 6 e éd. 1965, n° 714. 152 Legeais, D. 1965, chr., p. 131, 133. 153 Viney, D. 1991, chr., 157, 158; Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2 e éd. 1998, n° 789-1. 154 Viney, D. 1991, chr., 157, 158.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Minderjährige und körperlich und geistig Kranke nicht mehr einer engmaschigen Überwachung. Moderne Erziehungs- und Therapiemethoden sprechen Minderjährigen und geistig Behinderten immer mehr Freiheiten zu. Kennzeichen moderner Behandlungsmethoden sind unbeaufsichtigte Freigänge und Aktivitäten, die das Verantwortungsbewusstsein der betreuten Personen stärken und deren Würde wahren sollen. Unbewachte Aktivitäten außerhalb von Betreuungseinrichtungen bringen jedoch zwangsläufig die Gefahr mit sich, dass Rechtsgüter Dritter, insbesondere derjenigen, die in unmittelbarer Nähe zu einer Betreuungseinrichtung leben, geschädigt werden. Die neuen Formen der Betreuung von Minderjährigen, straffällig gewordenen Jugendlichen und geistig Behinderten haben dazu geführt, dass die seit dem Jahre 1804 existierenden Entschädigungsmechanismen die Interessen des Geschädigten nur noch unzureichend berücksichtigen. Um in der Sache Blieck zu einem aus Sicht der Geschädigten gerechten Ergebnis zu gelangen, schloss die Cour de cassation diese Regelungslücke durch die Anerkennung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. als eigene Anspruchsgrundlage. Aus der Urteilsbegründung geht explizit hervor, dass die Anwendung von liberalen Behandlungsmethoden durch das Pflegeheim den Richtern als Begründungsansatz der Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. diente („Mais attendu que [...] Joël Weevauters était soumis à un régime comportant une totale liberté de circulation dans la journée;“). c) Rechtsvergleichende Erwägungen Der Generalstaatsanwalt Dontenwille unterstützte seine Forderung nach einer Ausdehnung der Haftung für Andere mittels eines Vergleichs seiner Heimatrechtsordnung mit anderen Rechtsordnungen. Er kam zu dem Ergebnis, dass andere Staaten dem sozialen Wandel im Rahmen ihres Haftungsrechts besser gerecht werden als der Code civil. Als erstes Beispiel nannte Dontenwille das deutsche Deliktsrecht. Das deutsche BGB sehe in seinem § 832 BGB eine deliktische Haftung all derjenigen Personen vor, die durch Gesetz oder Vertrag die Aufsicht über einen Minderjährigen, einen geistig Behinderten oder einen körperlich Behinderten übernommen haben. Im Code civil fehle es insbesondere an einer entsprechenden Regelung für die Haftung für geistig Behinderte. Staaten wie Algerien, Ägypten, Griechenland und Japan hätten nicht ohne Grund das allgemeine Prinzip der Haftung von Aufsichtspflichtigen des deutschen BGB in ihren Rechtsordnungen imitiert.155 Einen weiteren Rechtsvergleich zog Dontenwille zum Zivilrecht der kanadischen Provinz Québec. Der zum Zeitpunkt des arrêt Blieck geltende 155

Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673.

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Erster Teil: Das französische Recht

Art. 1054 C.c. du Québec weise in seiner Systematik große Parallelen zu Art. 1384 C.c. auf. Allerdings gehe die Norm in ihrer Aufzählung der haftungspflichtigen Personen weiter als die aus Frankreich stammende Muttervorschrift. Neben Vater und Mutter würden unter anderem auch Vormünder, Pfleger (tuteurs, curateurs) und andere Personen, die zur Beaufsichtigung von geistig Behinderten ermächtigt wurden („autres ayant légalement la garde des insensés“), genannt.156 Darüberhinaus habe bereits 1920 der Privy Council in der Rechtssache Québec Railway, Light, Heat and Power Co. Vandry festgestellt, dass Art. 1054 C.c. du Québec157 in seinem ersten Absatz eine allgemeine Haftung für Sachen und für Andere enthalte.158 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Gesetzgeber von Québec die deliktische Haftung für Andere im Jahre 1991 – also zeitgleich mit dem arrêt Blieck – im Rahmen der Überarbeitung des Code civil du Québec neu regelte. Vier Artikel (Art. 1459 – Art. 1462 C.c. du Québec) legen in dem reformierten Code civil du Québec die Voraussetzungen für die Haftung für durch Minderjährige und durch geistig Kranke verursachte Schäden fest.159 Die allgemein formulierten Anspruchsgrundlagen erfassen alle Per-

156 Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673; vgl. Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilité, 2e éd. 1998, n° 789-2., Fn 15. 157 Art. 1054 C.c. du Québec lautete: „Elle [la personne] est responsable non seulement du dommage qu’elle cause par sa propre faute, mais encore de celui causé par la faute de ceux dont elle a le contrôle et par les choses qu’elle a sous sa garde.“ 158 17 févr. 1920, Québec Railway, Light, Heat and Power Co. Vandry, Privy Council [1920] A.C. 662, 674, 675; Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673; so auch bereits Legeais, D. 1965, chr., p. 131, 132 mit Hinweisen zur überwiegend ablehnenden Auffassung im Schrifttum. 159 Die seit 1994 in Québec geltenden Vorschriften zur Haftung für Andere lauten: „Art. 1459 C.c. du Québec: (1) Le titulaire de l’autorité parentale est tenu de réparer le préjudice causé à autrui par le fait ou la faute du mineur à l’égard de qui il excerce cette autorité, à moins de prouver qu’il n’a lui-même commis aucune faute dans la garde, la surveillance ou l’éducation du mineur. (2) Celui qui a été déchu de l’autorité parentale est tenu de la même façon, si le fait ou la faute du mineur est lié à l’éducation qu’il lui a donnée. Art. 1460 C.c. du Québec: (1) La personne qui, sans être titulaire de l’autorité parentale, se voit confier, par delegation ou autrement, la garde, la surveillance ou l’éducation d’un mineur est tenue, de la même manière que le titulaire de l’autorité parentale, de réparer le préjudice causé par le fait ou la faute du mineur. (2) Toutefois, elle n’y est tenue, lorsqu’elle agit gratuitement ou moyennant une recompense, que s’il est prouvé qu’elle a commis une faute. Art. 1461 C.c. du Québec: La personne qui, agissant comme tuteur, curateur ou autrement, assume la garde d’un majeur non doué de raison n’est pas tenue de réparer le préjudice causé par le fait de ce majeur, à moins qu’elle n’ait elle-même commis une faute intentionnelle ou lourde dans l’exercice de la garde.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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sonen, die Minderjährige oder geistig Behinderte in ihre Obhut nehmen. Zur Verhinderung einer Haftungsausuferung setzen die Anspruchsgrundlagen ein Verschulden der Betreuungs- und Aufsichtsperson voraus. Nach deutschem Recht und nach dem Recht Québecs hätte das geschädigte consorts Blieck Schadensersatz von dem Pflegeheim nach § 832 BGB und nach dem 1991 geltenden Art. 1054 C.c. du Québec verlangen können. d) Harmonisierung mit der verwaltungsgerichtlichen Praxis Eine weitere Erwägung stellt der Umstand dar, dass die Behindertenwerkstatt – wäre sie von einem öffentlich-rechtlichen Träger verwaltet worden – bereits in der ersten Instanz erfolgreich zum Schadensersatz hätte verurteilt werden können. Bereits 1956 stellte der Conseil d’Etat in dem arrêt Thouzellier fest, dass der Staat für Schäden, die von im Internat untergebrachten Minderjährigen verursacht worden waren, haften müsse, und zwar ohne Nachweis einer (Aufsichts-)Pflichtverletzung seitens der öffentlichen Verwaltung.160 In der Folgezeit wurde dieser Grundsatz in zwei Entscheidungen auf die Haftung für in öffentlichen Einrichtungen untergebrachte geistig Behinderte übertragen.161 Beiden Entscheidungen lag ein dem arrêt Blieck vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde. Ein geistig Behinderter legte während eines unbeaufsichtigten Ausgangs ein Feuer. Die Richter rechtfertigten eine verschuldensunabhängige Haftung der Verwaltung mit der Schaffung eines risque spécial. Dieses sei durch die Anwendung liberaler Erziehungs- und Therapiemethoden bei delinquenten Minderjährigen und geistig Behinderten für Dritte entstanden. Die verschuldensunabhängige Einstandspflicht der Verwaltung gegenüber dem geschädigten Dritten ergebe sich aus dem in Frankreich anerkannten verwaltungsrechtlichen Prinzip der Gleichheit vor den öffentlichen Lasten (égalité devant les charges publiques).162 Nach diesem Prinzip haftete der Staat für erbrachte Sonderopfer einer bestimmten Gruppe der Gesellschaft. Art. 1462 C.c. du Québec: On ne peut être responsable du préjudice causé à autrui par le fait d’une personne non douée de raison que dans le cas où le comportement de celle-ci aurait été autrement considéré comme fautif.“ 159 17 févr. 1920, Québec Railway, Light, Heat and Power Co. Vandry, Privy Council [1920] A.C. 662. 159 Die Vorschrift lautete: „Elle [la personne] est responsable non seulement du dommage qu’elle cause par sa propre faute, mais encore de celui causé par la faute de ceux dont elle a le contrôle et par les choses qu’elle a sous sa garde.“ 160 CE, 3 févr. 1956, Thouzellier, D. 1956, Jur., 596, 597. 161 CE, 13 juillet 1967, Recueil Lebon, n° 65735; so auch CE, 13 mai 1987, Recueil Lebon, n° 49199. 162 Concl. Commissaire du Gouvernement Stirn, Nachweis bei Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673; Ferrand, ZEuP 1993, 133, 137.

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Erster Teil: Das französische Recht

Die unterschiedliche Bewertung derselben Fallkonstellation im öffentlichen und privaten Recht führte zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Geschädigten. War der Schadensverursacher in einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung untergebracht, erhielt der Geschädigte ohne Verschuldensnachweis eine Entschädigung vom französischen Staat. War der Schadensverursacher hingegen einer privaten Einrichtung anvertraut, musste der Geschädigte der Einrichtung eine Pflichtverletzung nachweisen, um Schadensersatz zu erhalten. Um diese Ungleichbehandlung zu vermeiden und um das neu geschaffene soziale Risiko nicht willkürlich Einzelnen der Gesellschaft aufzubürden, wurde die Anpassung der Rechtsauffassung der Cour de cassation an diejenige des Conseil d’Etat gefordert.163 e) Zusammenfassung Die Harmonisierung der verwaltungs- und privatrechtlichen Rechtsprechung und die Angleichung des französischen Haftungsrechts an andere Rechtsordnungen beruhten auf dem Willen, das von delinquenten Minderjährigen und geistig Behinderten ausgehende soziale Risiko nicht Einzelnen der Gesellschaft aufzuerlegen.164 Vielmehr sollten diejenigen für den Schaden einstehen, die das Risiko durch ihre liberalen Behandlungsmethoden geschaffen haben. Die Verlagerung des Haftungsrisikos auf die Einrichtung erfolgte in der Sache Blieck dabei nicht ohne die Kenntnis der Instanzrichter von einem bestehenden Versicherungsschutz des Pflegeheims.165 Folgenschwerer würde sich die Verlagerung des Schadensrisikos auswirken, wenn die neue Rechtsprechung auch auf nicht versicherte natürliche Personen wie Verwandte, Nachbarn oder jugendliche Babysitter, die nur für kurze Zeit die Obhut ausüben, Anwendung fände. Die Haftungsgefahr könnte vor einer freiwilligen und unentgeltlichen Übernahme von Betreuungstätigkeiten abschrecken. Es stellt sich somit die Frage nach der Tragweite der Blieck-Entscheidung.

163 Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673; Carval, La responsabilité délictuelle du fait d’autrui en droit français, in: European Tort Law, 2000, S. 67, 71. 164 Ghestin, obs., JCP G 1991, jur., 21673, p. 177. 165 CA Limoges, 23 mars 1989, RCA 1989, 361: „[...]; qu’aussi bien l’association concernée avait souscrit une assurance couvrant des risques inhérents à son acitivité ainsi qu’il sera précisé ci-après.“

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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III. Die Grundsatzurteile Foyer Notre-Dame des Flots vom 26. März 1997 Der arrêt Blieck ließ offen, ob die Haftung des Pflegeheims in Anlehnung an das 1991 geltende Verständnis der Elternhaftung auf einem widerlegbaren vermuteten Verschulden basierte, oder ob die Haftung in Anlehnung an die Geschäftsherrenhaftung verschuldensunabhängig begründet wurde.166 Auch in den unmittelbar folgenden Urteilen zu Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. umging die Cour de cassation die Frage der Exkulpationsmöglichkeit. Erst sechs Jahre nach dem arrêt Blieck, aber nur einen Monat nach dem arrêt Bertrand zur Elternhaftung167, bekannte sich das Gericht ausdrücklich zu einer strikten Haftung von Betreuungspersonen. 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte Den drei Grundsatzurteilen Foyer Notre-Dame des Flots168 lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Drei Minderjährige waren aufgrund einer richterlichen Anordnung gemäß der Artikel 375 et s. C.c. in dem Heim NotreDame des Flots untergebracht. Während des Heimaufenthalts brachen die Minderjährigen aus und begingen gemeinschaftlich mehrere Autodiebstähle. Das Jugendgericht und das Berufungsgericht verurteilten die Jugendlichen zu diversen Strafen und, aufgrund der Schadensersatzklage eines Geschädigten, das Erziehungsheim zum Schadensersatz gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Das Erziehungsheim legte gegen das Berufungsurteil Revision mit der Begründung ein, die Berufungsrichter hätten einen möglichen Haftungsausschluss des Heims nicht berücksichtigt. Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. beinhalte eine Haftung für vermutetes Verschulden, das durch den Nachweis einer fehlerfreien Aufsichtsführung oder Erziehung widerlegt werden könne.169 2. Das Urteil Die Strafkammer170 der Cour de cassation folgte der Revision nicht. Das Gericht entschied, dass sich Personen, die für Andere im Sinne von Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, tome 2, 11 e éd. 2000, n° 218-219, 9. Zur Geschäftsherrenhaftung: 1. Teil A. II. 1. 167 Hierzu 1. Teil A. I. 1. 168 Cass.crim., 26 mars 1997 (3 Urteile), Bull.crim. 1997, n° 124. 169 Vgl. Desportes, rapport, JCP G 1997.II.22868, p. 305. 170 Zahlreiche Entscheidungen zu Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. ergingen durch die Strafrechtskammer der Cour de cassation, der Chambre criminelle. Gemäß Artt. 2, 3 Code de procédure pénale können zivilrechtliche und strafrechtliche Begehren im Wege des Adhäsionsverfahrens zur gleichen Zeit und vor demselben Gericht vorgebracht werden. Im Unterschied zu Deutschland wird in Frankreich von dem Adhäsionsverfahren 166

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Erster Teil: Das französische Recht

Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. verantwortlich sind, nicht durch den Nachweis eines fehlerfreien Verhaltens von ihrer strikten Haftung exkulpieren können.171 Das Gericht verneinte ausdrücklich die Exkulpationsmöglichkeit des Haftpflichtigen durch den Nachweis fehlenden Verschuldens. Mit dieser Formulierung schlossen die Richter jedoch nicht jegliche Möglichkeit der Exkulpation aus.172 Sie charakterisierten die Haftung des Erziehungsheims als responsabilité de plein droit. Auch die verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände der allgemeinen Sachhalterhaftung, der Tierhalterhaftung sowie der Elternhaftung bezeichnet die Cour de cassation als responsabilité de plein droit.173 Die Verwendung desselben Begriffs verdeutlicht, dass nach der Cour de cassation auch die Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. eine strikte Haftung ist.174 Die Cour de cassation hat seit der Entscheidung Foyer Notre-Dame des Flots die Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. regelmäßig als eine responsabilité de plein droit bezeichnet. 3. Analyse des Urteils Mit der Annahme einer strikten Haftung für Andere bestätigte die Cour de cassation ihre Tendenz, die Haftungstatbestände des französischen Deliktsrechts zu objektivieren. In Urteilsanmerkungen und -besprechungen wurde die strikte Haftung mit einer grammatischen, systematischen und zweckorientierten Auslegung des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. gerechtfertigt.175

häufig Gebrauch gemacht. Art. 69 Code pénal verpflichtet die Strafgerichte, sich in allen vorgelegten zivilrechtlichen Haftungsfragen den Artt. 1382 bis 1386 C.c. zu unterwerfen. Daraus folgt die Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auch durch die Strafgerichte. 171 „Les personnes tenues de répondre du fait d’autrui, au sens de l’article 1384, alinéa 1 du Code civil, ne peuvent s’exonérer de la responsabilité de plein droit résultant de ce texte en démontrant qu’elles n’ont commis aucune faute“. 172 Auch ohne ausdrückliche Nennung durch die Cour de cassation ist von einem Haftungsausschluss bei Vorliegen von höherer Gewalt (force majeure) oder Verschulden des Opfers (faute de la victime) auszugehen; vgl. Huyette, note, JCP G 1998.II.10015; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13e éd. 2009, n° 228. Zur Exkulpation siehe 1. Teil B. IV. 3. 173 Cass.civ. 2 e, 20 nov. 1968, Bull.civ. 1968, n° 275 (Allgemeine Sachhalterhaftung); Cass.civ. 2e, 19 févr. 1992, Bull civ. 1992 II, n° 53 (Tierhalterhaftung); Cass.civ. 2 e, 19 févr. 1997, Bull.civ. 1997 II, n° 56 (Elternhaftung). 174 Jourdain, note, D. 1997, Jur., 496, 497; Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11 e éd. 2000, n° 218-219, 9. Überdies bezeichnet der Code civil selbst die strikte Konstrukteurshaftung nach Art. 1792 C.c. als eine „responsabilité de plein droit“. 175 Desportes, rapport, JCP G 1997.II.22868; Jourdain, note, D. 1997, Jur., 496.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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a) Grammatische Auslegung Die Vorschrift des Art. 1384 Abs. 1 C.c. verzichtet dem Wortlaut nach auf eine vorwerfbare Pflichtverletzung, also auf faute, négligence oder imprudence als Haftungsvoraussetzung. Der Wortlaut eröffnet demnach die Konstruktion einer verschuldensunabhängigen Haftung. b) Systematische Auslegung Überdies ist für die ebenfalls in Art. 1384 Abs. 1 C.c. normierte Sachhalterhaftung die Verschuldensunabhängigkeit seit langem anerkannt. Aus systematischen Erwägungen spricht die Identität der Anspruchsgrundlage für eine Identität der Haftungsnatur.176 Dies bestätigt der Vergleich mit den anderen Absätzen des Art. 1384 C.c. Mit Ausnahme der Lehrerhaftung nach Art. 1384 Abs. 6 und 8 C.c. beruhen alle Haftungstatbestände für Andere des Art. 1384 C.c. auf einer verschuldensunabhängigen Haftung. Die allgemeine Objektivierung der Haftungstatbestände dürfte nicht vor Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c Halt machen.177 Die nach dem arrêt Blieck geäußerten Bedenken einiger Autoren, mit der Bejahung einer verschuldensunabhängigen Haftung würden Betreuungspersonen strenger für Minderjährige haften als Eltern178, wurden mit dem arrêt Bertrand vom 19. Februar 1997179 inhaltslos. Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich die Cour de cassation nur einen Monat nach der Annahme einer verschuldensunabhängigen Elternhaftung erstmals ausdrücklich zur Haftungsnatur des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. äußerte. Überdies steht das mit den Entscheidungen Foyer Notre-Dame des Flots aufgestellte Prinzip der responsabilité de plein droit systematisch im Einklang mit dem Verwaltungsrecht. Der Conseil d’Etat bejaht seit mehr als 30 Jahren eine verschuldensunabhängige Haftung der öffentlichen Gewalt für die schadensverursachenden Handlungen von delinquenten Minderjährigen und psychisch Kranken, die in öffentlichen Einrichtungen untergebracht sind.180 Mit der Bekenntnis zu einer verschuldensunabhängigen Haftung ist die Cour de cassation dem Ziel der Harmonisierung der ordentlichen und der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung ein weiteres Stück näher gekommen.181

176 Desportes, rapport, JCP G 1997.II.22868, p. 306; Jourdain, note, D. 1997, Jur., 496, 497; Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11e éd. 2000, n° 218-219, 10. 177 Jourdain, note, D. 1997, Jur., 496, 497; Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11 e éd. 2000, n° 218-219, 10. 178 Jourdain, RTD 1991, 539, 544; Viney, D. 1991, chr., 157, 161. 179 Cass.civ. 2 e, 19 févr. 1997, Bull.civ. 1997 II, n° 56. 180 Hierzu 1. Teil B. II 4. d). 181 Desportes, rapport, JCP G 1997.II.22868, p. 308.

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Erster Teil: Das französische Recht

c) Zweckorientierte Auslegung Für die Einführung einer strikten Haftung sprechen nicht zuletzt Opferschutzgesichtspunkte. Im Schrifttum ist ausgeführt worden, dass die Haftung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. in Anlehnung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung als auf dem Gedanken beruhend angesehen werden könnte, dass private Betreuungseinrichtungen durch die Anwendung von liberalen Behandlungsmethoden bei delinquenten Jugendlichen und geistig Behinderten ein „risque social“ für Dritte schaffen.182 Dieses besondere Risiko könne die Betreuungseinrichtung besser tragen als das Opfer. Die Risikoübernahme sei Ausgleich für die über den Schädiger ausgeübte Macht und Autorität.183 Schließlich könne sich die Einrichtung besser gegen das Risiko versichern.184

IV. Die Konkretisierung der Haftung von Betreuungspersonen durch die Folgerechtsprechung Mit den Entscheidungen in Sachen Blieck und in Sachen Foyer NotreDame des Flots hatte die Cour de cassation das Fundament geschaffen für eine Haftung von Betreuungspersonen. Anspruchsgrundlage war Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Ein Verschulden der Betreuungsperson war nicht erforderlich. Nicht beantwortet waren jedoch die Einzelheiten des neuen Haftungsinstituts, insbesondere die Fragen wer haftet und für wen (dazu 1.), ob eine rein kausale Schädigungshandlung des Betreuten genügt oder ob das schädigende Verhalten widerrechtlich erfolgen muss (dazu 2.), wann die Haftung ausgeschlossen ist (dazu 3.) und wie sich das Haftungsinstitut zu anderen Anspruchsgrundlagen verhält (dazu 4.). In der Folgezeit machte sich die Fachgerichtsbarkeit daran, diese offenen Fragen zu beantworten. Ihr ist dieser Abschnitt gewidmet. 1. Das Betreuungsverhältnis (garde d’autrui) Nach der Blieck-Entscheidung fürchteten viele um eine uferlose Ausweitung des Anwendungsbereiches von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Weder war klar, für welche Personen gehaftet würde, noch wer haften müsse.

182 Desportes, rapport, JCP G 1997.II.22868, p. 307; Jourdain, note, D. 1997, Jur., 496, 497. 183 So bereits Starck/Roland/Boyer, Obligations, t. 1, 5 e éd. 1996, n° 882. 184 Jourdain, note, D. 1997, Jur., 496, 497.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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a) Die betreute Person (la personne dont on doit répondre) Zunächst unternahm das Schrifttum Versuche, den Kreis der eine Haftung auslösenden Schadensverursacher durch Adjektive wie straffällig (délinquant), schwer erziehbar (inadapté) oder potentiell gefährlich (potentiellement dangereux) einzugrenzen.185 aa) Behinderte Die Rechtsprechung bestätigte die bereits im arrêt Blieck bejahte Haftung für das schädigende Verhalten geistig Behinderter. Dabei gelangt Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. sowohl für geistig behinderte Volljährige als auch Minderjährige zur Anwendung.186 bb) Minderjährige Bei nicht-behinderten Minderjährigen griff die Rechtsprechung zunächst die Gruppe der straffälligen und schwer erziehbaren Minderjährigen heraus. Diese Minderjährigen sind den Erziehungsheimen zumeist durch gerichtliche Anordnung aufgrund von Artt. 375 et s. C.c. anvertraut.187 Danach können Erziehungsmaßnahmen durch das Gericht angeordnet werden, wenn die Gesundheit, die Sicherheit oder die Moral eines Minderjährigen oder seine Erziehung gefährdet sind.188 Für straffällige und schwer erziehbare Minderjährige entschied die Rechtsprechung, dass die Einrichtung für das schädigende Verhalten dieser Minderjährigen einzustehen hat.189 Ein Grund für die Haftungsübernahme wurde in der gesteigerten Gefahr für Rechtsgüter Dritter aufgrund von Verhaltensstörungen der Minderjährigen gesehen.190 Bald darauf beschäftigte die Rechtsprechung die Gruppe von Minderjährigen, die zu ihrem eigenen Schutz aus einem gestörten familiären Umfeld herausgenommen wurden. Diese werden nicht zwingend aufgrund eines „anormalen“ Verhaltens einer Erziehungsstelle anvertraut, sondern 185 Ghestin, obs., JCP G 1991.II.21673, p. 178, 179; Groutel, RCA 1991, chr., n° 9; vgl. Pigache, note, D. 1993, jur., 7, 8. 186 Cass.civ. 2 e, 25 févr. 1998, Bull.civ. 1998 II, n° 62; Cass.civ. 2e, 24 janv. 1996, Bull.civ. 1996 II, n° 16; Cass.crim., 15 juin 2000, Bull.crim. 2000, n° 232. 187 Cass.crim., 10 oct. 1996, Bull.crim 1996, n° 357; Cass.crim., 26 mars 1997, Bull.crim. 1997, n° 124 (2 Urteile). 188 Art. 375 C.c. lautet: „Si la santé, la sécurité ou la moralité d’un mineur non émancipé sont en danger, ou si les conditions de son éducation sont gravement compromises, des mesures d’assistance educative peuvent être ordonnées par justice […]“. 189 Cass.crim., 26 mars 1997, Bull.crim. 1997, n° 124; Desportes, rapport, JCP G 1997.II.22868, p.306. Cass.civ 2 e, 9 déc. 1999, Bull. 1999 II, n° 189; Cass.civ. 2 e, 7 mai 2003, Bull.civ. 2003 II, n° 129 ; Cass.civ. 2 e, 22 mai 2003, Bull.civ. 2003 II, n° 157. 190 Pigache, note, D. 1993, jur., 7, 8.

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Erster Teil: Das französische Recht

aufgrund einer verfehlten elterlichen Erziehung. Ziel und Zweck der Anordnung von Erziehungsmaßnahmen ist in erster Linie, Kinder vor „anormalen“ Lebensbedingungen zu schützen.191 Auch für diese Minderjährigen bejahte die Rechtsprechung eine Haftung der Betreuungseinrichtung.192 Damit geriet die Erklärung, dass haftungsauslösend die Gefährlichkeit des Minderjährigen sei, freilich in die Defensive. Zwar sind Kinder, die aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen, oft psychisch unausgeglichen und neigen aufgrund ihrer Instabilität zu schädigenden Handlungen.193 Deswegen sind sie jedoch nicht a priori gefährlich. Schließlich bejahte die Cour de cassation eine Haftung des Vormunds nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. für ein minderjähriges Mündel.194 Damit steht fest, dass auch das schädigende Verhalten von „gewöhnlichen“ Kindern die strikte Haftung der neuen Anspruchsgrundlage auslösen kann. cc) Zwischenergebnis Der eine Haftung auslösende Personenkreis ist heute denkbar weit. Als einschränkendes Kriterium ist die Gefährlichkeit des geistig Behinderten oder Minderjährigen untauglich. Wie jede Sache, die durch die Verursachung eines Schadens zu einer „gefährlichen“ Sache wird und die Sachhalterhaftung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. auslöst, kann auch jede Person als „gefährlich“ angesehen werden, sobald sie zum Verursacher eines Schadens wird.195 Zwar mag ein geistig Behinderter ein „anormales“ Verhalten aufweisen, dieser ist jedoch nicht zwingend gefährlicher als ein „gewöhnliches“ Kind.196 Ebenso lösen nicht nur delinquente und schwer erziehbare Minderjährige, sondern auch Minderjährige und Behinderte, die sich aufgrund anormaler Lebensverhältnisse oder Verhaltensweisen „en danger“ befinden, die Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. aus. Allgemein formuliert muss für diejenigen Personen gehaftet werden, die aufgrund ihres Verhaltens oder aufgrund von äußeren Umständen besonders 191

Pigache, note, D. 1993, jur., 7, 9. CA Rouen, 25 sept. 1991, D. 1993, jur., 5, 6: „[…] que l’Association […] avait pour mission […] le mode de vie de cette mineure en danger, au sens des articles 375 s. c. civ.[…]“; Cass.crim., 10 oct. 1996, Bull.crim 1996 n° 357: „[…] que la decision du juge des enfants confiant à une personne physique ou morale la garde d’un mineur en danger, par application des articles 375 et suivants du Code civil, […]“; ebenso Cass.civ 2 e, 20 janv. 2000, Bull. 2000 II n° 15; Cass.civ. 2 e, 6 juin 2002, Bull.civ. 2002 II, n° 120 (3 Urteile). 193 Carval, La responsabilité délictuelle du fait d’autrui en droit français, in: European Tort Law, 2000, S. 73. 194 Cass.crim,, 28 mars 2000, Bull.crim. 2000, n° 140; Cass.civ. 2 e, 7 oct. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 453. 195 Larroumet, note, D. 1991, Jur., 324, 325. 196 Pigache, note, D. 1993, jur., 7, 9. 192

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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schutz- und hilfsbedürftig sind, und die einer Beaufsichtigung durch einen Anderen bedürfen. Bereits Dontenwille sprach in seinem Schlussantrag zum arrêt Blieck von Schutzbedürftigen, wobei er geistig Behinderte und leicht Schwachsinnige, Psychopathen und Verunglückte (accidenté) aufzählte.197 b) Die betreuende Person (la personne qui doit répondre d’autrui) Die Schutzbedürftigkeit des Schädigers allein führt jedoch nicht zur Haftung desjenigen, der sich seiner annimmt.198 Nach dem arrêt Blieck wurde diskutiert, ob auch Ferienorganisationen, Tagesmütter oder Babysitter, die Kinder vorübergehend beaufsichtigen, und Familienangehörige, die verwandte Kinder oder geistig Behinderte betreuen, von der neuen Anspruchsgrundlage erfasst werden.199 Dies wäre der Fall, wenn bereits die Beaufsichtigung eines Minderjährigen die strikte Haftung auslöst. aa) Die garde d‘autrui Die Cour de cassation erklärte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1996 ausdrücklich, dass die Haftung der verklagten Erziehungseinrichtung auf der garde beruhe.200 Sie stellte fest, dass der Einrichtung die Verantwortung über die Organisation, Leitung201 und Kontrolle der Lebensweise des Minderjährigen und somit die Verantwortung für dessen Taten übertragen worden war und dass die Haftung nicht auf dem elterlichen Sorgerecht, sondern auf der ihr übertragenen garde basierte.202 Damit weist sie der garde, die für die allgemeine Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. eine wesentliche Rolle spielt, auch für die Haftung für Andere nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. eine zentrale Bedeutung zu. Der Begriff der garde d’autrui kann mit „Personensorge“ übersetzt werden, ohne damit an eine bestimmte gesetzlich normierte Personensorge anzuknüpfen. Er beschreibt inhaltlich weit mehr als die von Doucet/Fleck

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Dontenwille, concl., JCP G 1991.II.21673, p. 175. Pigache, note, D. 1993, jur., 7, 9. 199 Jourdain, La responsabilité du fait d’autrui, RCA 2000, hors-série, p.5, 8. 200 Cass.crim., 10 oct. 1996, Bull.crim. 1996, n° 357. 201 Die Cour de cassation ergänzte die „Blieck-Formel“ um das Verb „diriger“ (s. Zitat in der folgenden Fußnote). 202 „[...] que la décision du juge des enfants confiant à une personne physique ou morale la garde d’un mineur en danger, par application des articles 375 et suivants du Code civil, transfère au gardien la responsabilité d’organiser, diriger et contrôler le mode de vie du mineur et donc la responsabilité de ses actes, celle-ci n’étant pas fondée sur l’autorité parentale mais sur la garde“. 198

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Erster Teil: Das französische Recht

vorgeschlagene Übersetzung mit „Aufsicht“, „Bewachung“ oder „Beaufsichtigung“.203 Der Begriff der garde ist mit dem Begriff der autorité parentale verknüpft. Bis zur redaktionellen Änderung des Art. 1384 Abs. 4 C.c. im Jahre 2002 war Voraussetzung der Elternhaftung die Ausübung des droit de garde; seit der Änderung spricht das Gesetz von autorité parentale. Droit de garde und autorité parentale lassen sich mit „Sorgerecht“ übersetzen. Inhaltlich entsprechend sich die beiden Begriffe. Sie sind durch ein Autoritätsverhältnis (rapport d’autorité) gekennzeichnet, das zwischen der betreuenden und der betreuten Person besteht. 204 Die Cour de cassation stellt seit dem arrêt Blieck auf „les pouvoirs d’organisation, de direction et de contrôle du mode de vie d’une personne“ ab. 205 Der Inhaber der garde d’autrui muss in vergleichbarer Weise wie die Eltern aufgrund einer ihm obliegenden Autorität auf die Lebensgestaltung und die Erziehung der betreuten Person Einfluss nehmen können. Dies setzt eine intensive Betreuung über einen längeren Zeitraum voraus. An einem solchen Autoritätsverhältnis fehlt es, wenn Tagesmütter, Babysitter oder Nachbarn die Aufsicht über ein Kind für ein paar Stunden übernehmen.206 Ebenso wenig können Ferienorganisationen oder Pflegefamilien, die einen Minderjährigen für drei Wochen in ihre Obhut nehmen, entscheidenden Einfluss auf dessen Lebensführung nehmen.207 Die Aufgabe und Möglichkeit, die Lebensweise des Kindes inhaltlich zu gestalten und einen Erziehungsbeitrag zu leisten, bleibt in diesen Fällen allein den Eltern vorbehalten. bb) Beispiele aus der Rechtsprechung In den Folgeentscheidungen wurden insbesondere Behinderten- und Erziehungseinrichtungen sowie Rehabilitationszentren auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. verurteilt. Juristische Personen des Privatrechts, die für eine längere Zeit die Betreuung von Behinderten oder Minderjährigen übernehmen, fallen folglich in den Anwendungsbereich des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Sie sind Inhaber der garde d’autrui, da sie das Alltagsleben der Betreuten bestimmen, die Schul- und Berufsausbildung 203 Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Teil I: Französisch – Deutsch, 6. Aufl. 2009. 204 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 225. 205 Jourdain, Existe-t-il un principe général de responsabilité du fait d’autrui?, RCA nov. 2000, hors-série, p. 5, 8; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 224. 206 In diesem Sinne Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13e éd. 2009, n° 225. 207 Cass.civ. 2 e, 19 juin 2008, D. 2008, 2205, note Boulanger, JCP 2008.II.1023, p. 34.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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kontrollieren und Ausgänge während der Freizeit autorisieren.208 Zudem bejahte die Cour de cassation die Haftung eines Departements für den von einem Minderjährigen verursachten Brand. Dem Departement war die Vormundschaft über den Minderjährigen nach Art. 433 C.c. durch das Vormundschaftsgericht übertragen worden.209 Ferienorganisationen unterliegen keiner strikten Haftung für das schädigende Verhalten ihrer minderjährigen Teilnehmer. Sie übernehmen nicht die Betreuung von Minderjährigen im Sinne des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c.210 Die Cour de cassation entschied, dass Ferienorganisationen nicht die Aufgabe übernehmen, die Lebensweise des Kindes dauerhaft zu organisieren und zu kontrollieren.211 Für das schädigende Verhalten des Kindes bleiben deren Eltern haftungsrechtlich verantwortlich. Ebenso wenig müssen Großeltern für das schädigende Verhalten ihres Enkelkindes strikt haften. Die Zivilkammer der Cour de cassation verneinte 1995 ohne Begründung die Haftung einer Großmutter für den von ihrem Enkelkind verursachten Brand nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Das Enkelkind lebte seit zwölf Jahren dauerhaft bei seiner Großmutter.212 Auch in einer weiteren Entscheidung wurde die Haftung einer Großmutter und einer Tante nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. verneint.213 In dem Fall verletzte ein 10-Jähriger während eines Ferienaufenthaltes bei den Verwandten mit seinem Fahrrad einen Passanten. Die Cour de cassation begnügte sich mit der Begründung, die Voraussetzungen des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. lägen nicht vor, ohne diese jedoch zu konkretisieren.214 Im Jahre 2004 bestätigte die Cour de cassation ihre Rechtsprechung zur Haftung von Großeltern für ihre Enkelkinder. Dem Urteil zufolge haftet ein Großvater nicht nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c., wenn er sein Enkelkind für einige Ferientage beherbergt und dieses während dieser Zeit einen Brand verursacht.215 Ein Jahr später verneinte auch die Strafkammer der Cour de cassation die Haftung einer Großmutter: Ein 13-Jähriger, der seit seinem ersten Lebensjahr im Einvernehmen mit den Eltern bei seiner Großmutter und deren Ehemann lebte, legte vorsätzlich ein Feuer. Das Jugendgericht und die Cour d’appel verurteilten die Großmutter gemäß Art. 1384 Abs. 1 208

Huyette, note, D. 1997, Jur., 309, 310. Cass.civ. 2 e, 7 oct. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 453. 210 Cass.crim., 29 oct. 2002, Bull.crim. 2002, n° 197. 211 “Qu’en effet, la cohabitation de l’enfant avec ses parents, […] ne cesse pas lorsque le mineur est confié par contrat à un organisme de vacances, qui n’est pas chargé d’organiser et de contrôler à titre permanent le mode de vie de l’enfant;“. 212 Cass.civ. 2 e, 25 janv. 1995, Bull.civ. 1995 II, n° 29. 213 Cass.civ. 2 e, 18 sept. 1996, Bull.civ. 1996 II, n° 217. 214 “[...], alors que les conditions d’application de l’article 1384, alinéa 1 er, du Code civil n’étaient pas réunies, [...]“. 215 Cass.civ. 2 e, 5 févr. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 50. 209

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Erster Teil: Das französische Recht

Alt. 1 C.c. zum Ersatz des Schadens, da diese die Verantwortung übernommen habe, die Lebensweise des Minderjährigen zu organisieren und zu kontrollieren.216 Die Cour de cassation hob das Urteil hinsichtlich der zivilrechtlichen Verurteilung der Großmutter auf. Sie stellte fest, dass die cohabitation zwischen den Eltern und ihrem 13-jährigen Sohn trotz des faktischen Zusammenlebens mit der Großmutter nicht unterbrochen worden sei, und die Eltern daher nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. haften müssten.217 Für eine Haftung der Großmutter blieb daneben kein Raum.218 Festzuhalten bleibt, dass nach der Rechtsprechung der Cour de cassation Familienangehörige, welche die Sorge für einen Minderjährigen faktisch übernommen haben, nicht der strikten Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. unterfallen. Ein Grund für die Nichtanwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. dürfte sein, dass die garde d’autrui in den entschiedenen Fällen nicht durch richterliche Anordnung übertragen worden war.219 Bei der Haftung anderer gesetzlicher Vertreter als der Eltern unterscheidet das französische Recht zwischen dem Vormund (tuteur) und dem Betreuer (administrateur légal). Ursprünglich wurden diese Personen bewusst nicht von den Verfassern des Code Napoléon in Art. 1384 C.c. aufgenommen.220 Für den Betreuer (administrateur légal) bestätigte die Cour de cassation 1998 die fehlende haftungsrechtliche Verantwortlichkeit. Ein geistig behinderter Volljähriger befand sich tagsüber in einer medizinischpädagogischen Einrichtung und kehrte jeden Abend zu seinem Vater zurück, der vom Vormundschaftsgericht gemäß Art. 497 C.c. als Betreuer bestellt worden war. Eines Abends setzte der geistig Behinderte auf seinem Nachhauseweg eine Scheune in Brand, nachdem er von der Einrichtung, wie vereinbart, vor dem Haus des Vaters abgesetzt worden war. Die Haftung der Einrichtung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. wurde verneint, da sich der Betreute im Zeitpunkt der Brandlegung nicht mehr unter ihrer Autorität befand.221 Die Haftung des Betreuers und Vaters wurde ebenfalls verneint. Eine Haftung aus Art. 1384 Abs. 4 C.c. scheiterte an der Volljährigkeit des Kindes. Für eine Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. wäre

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Vgl. Steinlé-Feuerbach, note, JCP G 2005.II.10049. Cass.crim., 8 févr. 2005, Bull.crim. 2005, n° 44. 218 Zum Verhältnis von Elternhaftung gemäß Art. 1384 Abs. 4 C.c. und Haftung der Betreuungsperson gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. siehe vertiefend 1. Teil B. IV. 1. c) bb). 219 Hierzu 1. Teil B. IV. 1. c). 220 Hierzu 1. Teil A. 221 Cass.civ. 2 e, 25 févr. 1998, Bull.civ. 1998 II, n° 62: „[…] qu’après être descendu du car X ne se trouvait plus sous l’autorité de l’assocoation, laquelle n’avait plus, à partir de ce moment, la surveillance et l’organisation des conditions de vie de l’handicapé ;“. 217

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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die Übertragung der garde und nicht bloß der Vermögensverwaltung nach Art. 490 C.c. auf den Betreuer erforderlich gewesen.222 Für den Vormund (tuteur) bejahte zwei Jahre später die Strafkammer der Cour de cassation die zivilistische Verantwortlichkeit für den Mündel.223 Ein 14-Jähriger wurde nach dem Tod seiner Mutter unter die Vormundschaft seines Stiefvaters gestellt. Während sich der Minderjährige bei seiner Großmutter aufhielt, verletzte er einen Spielkameraden tödlich. Die Großmutter wurde gemäß Art. 1382 C.c. zum Schadensersatz verurteilt. Zusätzlich verlangte der Kläger vom Vormund Schadensersatz gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Die Strafkammer bejahte die Haftung des Vormundes mit dem Argument, dieser habe die Obhut des Minderjährigen und die Pflicht, dessen Lebensweise dauerhaft zu organisieren und zu kontrollieren, übernommen.224 Dem Urteil schloss sich die Zivilkammer der Cour de cassation ausdrücklich an.225 Die Divergenzen bei der Haftung von Vormündern und Betreuern lassen sich mit den unterschiedlichen Inhalten des Instituts der Vormundschaft und der Betreuung erklären.226 Während die Vormundschaft über einen Minderjährigen stets das Sorgerecht und damit die Organisation und Kontrolle der Lebensweise des Mündels beinhaltet, umfasst die Betreuung eines Volljährigen nicht per se die gesamte Personensorge. Die Betreuung ist häufig auf den Bereich der Vermögenssorge beschränkt.227 c) Die Übernahme der garde d’autrui Die garde d’autrui kann durch hoheitliche Anordnung oder durch Vertrag übernommen werden. aa) Übernahme durch hoheitliche Anordnung In den überwiegenden Fällen, in denen die Cour de cassation eine Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. bejahte, wurde die garde d’autrui auf222 Cass.civ. 2 e, 25 févr. 1998, Bull.civ. 1998 II, n° 62: „Mais attendu que, s’il résulte de l’article 490 du Code civil que la mesure édictée […] concerne non seulement la gestion de ses biens mais aussi la protection de sa personne, il ne s’ensuit pas que son tuteur ou l’administrateur légal sous contrôle judiciaire du juge des tutelles est responsable des agissements de la personne protégée sur le fondement de l’article 1384, alinéa 1 er, du même Code;“. 223 Cass.crim., 28 mars 2000, Bull.crim. 2000, n° 140. 224 Cass.crim., 28 mars 2000, Bull.crim. 2000, n° 140: „[…] il avait accepté, en qualité de tuteur, la garde du mineur et la charge d’organiser et de contrôler à titre permanent son mode de vie;“. 225 Cass.civ. 2 e, 7 oct. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 453. 226 Viney, JCP G 2000.I.241, p. 1241. 227 Gouttenoire/Roget, note, JCP G 2003.II.10068, p. 779, 780.

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Erster Teil: Das französische Recht

grund einer richterlichen Anordnung gemäß Art. 375 et s. C.c. einer Betreuungseinrichtung übertragen. Ebenso erfolgt die Betreuung eines Minderjährigen oder geistig behinderten Volljährigen durch einen Vormund oder Betreuer aufgrund richterlicher Anordnung. 228 Demnach eröffnet die behördliche oder richterliche Übertragung der garde d’autrui die Anwendbarkeit von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Die strikte Haftung findet solange Anwendung, bis die garde d’autrui der Einrichtung oder dem Vormund wieder durch hoheitliche Entscheidung entzogen wird.229 Das hat zur Folge, dass der Inhaber der garde d’autrui unabhängig davon haftet, ob er den Minderjährigen oder Behinderten im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses tatsächlich betreute. Aus der reichhaltigen Rechtsprechung sei exemplarisch der Fall angeführt, dass eine Betreuungseinrichtung den ihr anvertrauten Minderjährigen dauerhaft in einer Pflegefamilie unterbringt. 230 Die Cour de cassation entschied, dass trotz Entledigung der faktischen Betreuung, die Einrichtung die Bedingungen der Unterbringung festlegt und damit verantwortlich im Sinne des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. bleibt.231 Auch in den häufig die Cour de cassation beschäftigenden Fällen, in denen die verantwortliche Betreuungseinrichtung den Betreuten über das Wochenende zu seinen Eltern „entlässt“ und in dieser Zeit der Betreute einen Schaden verursacht, ist die Einrichtung haftpflichtig.232 Eine Haftung der Eltern scheidet in diesen Fällen hingegen aus, weil Art. 1384 Abs. 4 C.c. eine cohabitation voraussetzt, die hier nicht vorliegt.233 Damit steht fest, dass im Falle einer behördlich oder richterlich übertragenen garde d’autrui diese nicht effektiv ausgeübt werden muss, um eine Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auszulösen. Die Cour de cassa-

228

Bei der Bestellung eines Betreuers scheitert freilich häufig die Anwendbarkeit von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c.; siehe hierzu bereits 1. Teil B. IV. 1. b) bb). 229 Cass.crim., 26 mars 1997, Bull.crim. 1997, n° 124 (1° arrêt): „Qu’en effet un établissement d’éducation est responsable, au sens de l’article 1384, alinéa 1 er, du Code civil, du dommage causé à autrui par les mineurs qui lui sont confiés par le juge des enfants dès lors qu’aucune décision judiciaire n’a suspendu ou interrompu cette mission;“. 230 Cass.civ. 2 e, 9 déc. 1999, Bull.civ. II 1999, n° 189 (Betreuungseinrichtung); Cass.civ. 2e, 7 oct. 2004, Bull.civ. II 2004, n° 453 (Departement als Amtsvormund). 231 „[…]qu’elle s’en était acquittée par un placement en famille d’aceuil dans des conditions qu’elle avait déterminées et qu’elle contrôlait[…]“. 232 Zu den schadensstiftenden Ereignissen zählen häufig Autodiebstähle (Cass.crim., 26 mars 1997, Bull.crim. 1997, n° 124 (1° arrêt)), sexuelle Übergriffe auf Geschwister (Cass.crim., 25 mars 1998, JCP G 1998.II.10162 ; Cass.crim., 8 janv. 2008, Bull.crim. 2008, n° 3) und Brandstiftungen (Cass.civ. 2 e, 6 juin 2002 (3 Urteile), Bull.civ. 2002 II, n° 120). 233 Gouttenoire/Roget, note, JCP G 2003.II.10068, p. 781; siehe zu den Voraussetzungen der Elternhaftung bereits 1. Teil A. I. 2. a).

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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tion stellt allein auf das rechtliche Innehaben der garde d’autui, auf eine garde juridique ab. bb) Übernahme durch Vertrag Die Cour de cassation befasste sich auch mit Schadensersatzklagen gegen Einrichtungen, welche die garde d’autrui vertraglich übernommen hatten. In dem bereits im Zusammenhang mit der Haftung des Betreuers (administrateur légal) erwähnten Fall, in dem ein Vater und Betreuer eines geistig behinderten Volljährigen diesen tagsüber einer Förderschule für geistig Behinderte anvertraut hatte, haftete auch die Förderschule nicht für den Brandschaden, den der Betreute auf dem abendlichen Nachhauseweg verursachte.234 In einem ähnlich gelagerten Fall verneinte die Cour de cassation die Haftung eines Internats für mehrere sexuelle Übergriffe eines seiner Förderschüler, die dieser auf dem Weg von seinem Elternhaus zum Internat verübte.235 Der Förderschüler verbrachte die Wochenenden bei seinen Eltern und befand sich im Zeitpunkt der Verletzungshandlungen auf dem Rückweg ins Internat. Zur Begründung führte die Cour de cassation in beiden Fällen an, dass sich der geistig Behinderte im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nicht unter der Autorität der Einrichtung befand und daher weder den Behinderten beaufsichtigte noch dessen Lebensweise organisierte.236 Der Urteilsbegründung ist zu entnehmen, dass die Einrichtung die garde d’autrui und damit die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. nur für die vertraglich vereinbarte Zeit übernommen hat. Erfolgt die schädigende Handlung während der vereinbarten Betreuungszeit dürfte die Einrichtung demnach haftbar sein.237 Damit steht fest, dass im Falle einer vertraglich übernommenen garde d’autrui diese tatsächlich ausgeübt werden muss, um eine Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auszulösen. Die Cour de cassation stellt auf eine garde effective ab. In einem gewissen Gegensatz zu der soeben skizzierten Rechtsprechung steht die Haltung der Cour de cassation bei der Haftung von Großeltern. 234

Cass.civ. 2 e, 25 févr. 1998, Bull.civ. 1998 II, n° 62; hierzu 1. Teil B. IV. 1. b) bb). Cass.crim., 15 juin 2000, Bull.crim. 2000, n° 232. 236 Cass.civ. 2e, 25 févr. 1998, Bull.civ. 1998 II, n° 62: „qu’après être descendu du car X… ne se trouvait plus sous l’autorité de l’association, laquelle n’avait plus, à partir de ce moment, la surveillance et l’organisation des conditions de vie de l’handicapé;“; Cass.crim., 15 juin 2000, Bull.crim. 2000, n° 232 : „[…] qu’au moment de ses agissements délictueux, Nicolas X… ne se trouvait pas sous l’autorité de l’institut médicoéducatif où il était scolarisé, lequel n’avait plus la surveillance et l’organisation des conditions de vie de l’enfant;“. 237 In diesem Sinne auch Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 224. 235

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Erster Teil: Das französische Recht

Obwohl auch Großeltern die Personensorge für ein minderjähriges Kind mit Zustimmung der Eltern vertraglich übernehmen können, lehnt die Cour de cassation in ständiger Rechtsprechung eine strikte Haftung der Großeltern auf Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. ab.238 Die Cour de cassation führt zur Begründung an, dass den Großeltern die Betreuung ihres Enkelkindes nicht durch die Justizbehörde übertragen worden ist. Diese Erklärung ist im Schrifttum dergestalt verstanden worden, dass nichtprofessionelle Betreuer nur durch hoheitliche Übertragung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. haftbar gemacht werden können.239 Auch für professionelle Betreuungseinrichtungen, die nicht hoheitlich die garde über den Schutzbefohlenen übernommen haben, macht die Cour de cassation240 in einem besonders praxisrelevanten Fall eine Haftungseinschränkung: Zwei behinderte Minderjährige waren von ihren Eltern einer Blinden- und Gehörloseneinrichtung anvertraut worden, welche die beiden in einem Internat für Förderschüler unterbrachte. Während einer Exkursion wurden die beiden Minderjährigen gegenüber einer anderen betreuten Person gewalttätig. Auf die Revision der Betreuungseinrichtung gegen ihre schadensersatzrechtliche Verurteilung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. hob die Cour de cassation das Urteil auf. Ohne auf die Haftung der Einrichtung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. einzugehen, bejahte sie die Haftung der Eltern gemäß Art. 1384 Abs. 4 C.c., da die Unterbringung eines minderjährigen Kindes in einem Internat nicht die cohabitation des Kindes mit seinen Eltern aufhebe. Aus dem Urteil folgt, dass eine begründete Elternhaftung eine Haftung der Betreuungseinrichtung ausschließt.241 Wenn eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit von Betreuungseinrichtung und Eltern für das schädigende Ereignis des Betreuten besteht, ist die Elternhaftung vorrangig. Der Geschädigte kann sich nicht an die Betreuungseinrichtung wenden. Aus Opferschutzgründen ist an dieser Rechtsprechung Kritik geübt worden.242 2. Das schädigende Verhalten des Betreuten Wie bereits bei der Eltern- und Geschäftsherrenhaftung tauchte auch bei der neuen Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. die Frage auf, ob bereits jede Handlung des Betreuten ausreicht, die den Schaden kausal verursacht (théorie du fait causal) oder ob ein rechtswidriges Verhalten zu for238

Hierzu 1. Teil B. IV. 1. b) bb). Viney, JCP G 2000.I.241, n° 11. 240 Cass.crim., 18 mai 2004, Bull.crim. 2004, n° 123. 241 Jourdain, obs., RTD 2005, 140, 141; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13e éd. 2009, n°229; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4e éd. 2009, n° 149. 242 Leduc, Les rapports entre les différentes responsabilités du fait d’autrui, RCA nov. 2000, hors-série, p. 18, n° 7. 239

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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dern ist (théorie du fait fautif). Die neutrale Formulierung des Art. 1384 Abs. 1 C.c. („le fait des personnes dont on doit répondre“) lässt offen, welche Anforderungen an das schädigende Verhalten der betreuten Person zu stellen sind. Die Rechtsprechung hat – soweit ersichtlich – zu dieser Frage keine Stellung bezogen. Das hat vornehmlich folgende Gründe. Weite Teile des hier untersuchten Fallmaterials zeichneten sich durch ein objektiv fehlerhaftes, oft sogar strafrechtlich relevantes schädigendes Verhalten des Betreuten aus. In diesen Fällen waren die Voraussetzungen der engeren théorie du fait fautif ohne Weiteres erfüllt. In anderen Fällen, insbesondere bei Verkehrsunfällen des Betreuten, traf das Gericht wegen der verschuldensunabhängigen Haftung keine Feststellungen zur faute.243 Einen ersten Anhaltspunkt für Anforderungen an das schädigende Verhalten des Betreuten geben die arrêt Minc und Poullet der Assemblée plénière der Cour der cassation. Darin ließen die Richter für die Elternhaftung eine kausale schädigende Handlung des Kindes im Sinne der théorie du fait causal genügen. In den Entscheidungen zitierten die Richter nicht nur Art. 1384 Abs. 4 C.c., sondern auch den ersten Absatz.244 Im Schrifttum wurde daraus der Schluss gezogen, die Haftung des gardien werde auch durch ein einfaches kausales Verhalten des Betreuten ausgelöst.245 Gewichtiger dürfte der sachliche Vergleich mit der Elternhaftung sein. Aus Sicht des Geschädigten macht es keinen Unterschied, ob der unmittelbare Schädiger bei seinen Eltern oder in einer Betreuungseinrichtung lebt. Auch aus Sicht der Eltern ist nichts ersichtlich, weshalb sie strenger als Betreuungseinrichtungen haften sollten.246 Die Vergleichbarkeit der autorité parentale und der garde d’autrui, auf denen die strikte Haftung der Art. 1384 Abs. 4 und Abs. 1 Alt. 1 C.c. beruhen, sprechen für eine Anwendung der théorie du fait causal auf die Haftung von sonstigen Betreuungspersonen gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Dann würde die Haftung von Betreuungspersonen für Andere gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. wie die Elternhaftung eine autonome und direkte Haftung begründen, die allein auf der Schaffung einer Gefahrenquelle beruht.

243 Cass.civ. 2e, 22 mai 2003, Bull.civ. 2003 II, n° 157; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13e éd. 2009, n° 226. 244 Cass.ass.plén., 13 déc. 2002, D. 2003, Jur., 231. 245 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4e éd. 2009, n° 149, Fn 11; Groutel, RCA 2003, chr., n° 4, p. 5. 246 Tournafond, note, D. 2001, comm., 2854, 2857; in diesem Sinne auch Groutel, RCA 2003, chr., n° 4, p. 5.

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Erster Teil: Das französische Recht

3. Exkulpation Die Betreuungsperson kann sich nicht durch den Nachweis einer fehlerfreien Aufsichtsführung und Erziehung befreien. Die in der Entscheidung Foyer Notre-Dame des Flots gewählte Formulierung247 grenzt aber nicht jegliche Möglichkeit der Exkulpation aus. Entlasten kann sich die haftpflichtige Betreuungsperson durch den Nachweis eines Verschuldens des Opfers (faute de la victime) oder den Nachweis von höherer Gewalt (force majeure).248 Das Schrifttum weist zu Recht darauf hin, dass das Verschulden des Opfers die Kausalität zwischen dem schädigenden Verhalten des Betreuten und dem eingetretenen Schaden berührt, somit keinen Exkulpationsgrund im eigentlichen Sinne für die Betreuungsperson darstellt.249 Höhere Gewalt, also ein von außen kommendes, unvorhersehbares und unvermeidbares Ereignis,250 wird bei Schäden von Kindern, verhaltensauffälligen Jugendlichen oder geistig Behinderten, in der Regel zu verneinen sein.251 4. Anspruchskonkurrenzen a) Das Verhältnis von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen Für den Fall, dass der Betreute einen außenstehenden Dritten schädigt, sind dessen Ansprüche gegen die Betreuungseinrichtung zumeist ausschließlich deliktischer Natur. Denn eine Sonderbeziehung zwischen dem Dritten und der Betreuungseinrichtung besteht in der Regel nicht. Bei Schäden, die ein Betreuter einem anderen Betreuten zufügt, ist wie folgt zu unterscheiden: Befindet sich der Geschädigte aufgrund richterlicher Anordnung in der Betreuungseinrichtung, bestehen gegen diese ausschließlich deliktische Ansprüche.252 Befindet sich der Geschädigte aufgrund vertraglicher Vereinbarung in der Betreuungseinrichtung, kommen sowohl deliktische als auch vertragliche Ansprüche in Betracht. Nach dem im französischen Recht geltenden Grundsatz „non-cumul des responsabilités délictuelle et contractuelle“ ist dem Geschädigten die Geltendmachung 247

Cass.crim., 26 mars 1997, Bull.crim. 1997, n° 124: „[…] les personnes […] ne peuvent s‘exonérer de la responsabilité de plein droit qui en résulte en démontrant qu’elles n’ont commis aucune faute;“. 248 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 149. 249 Leduc, RCA avril 1997, chr., n° 9; François, D. 2007, chr., 2408, 2409. 250 Carval, La responsabilité délictuelle du fait d’autrui en droit français, in: European Tort Law, 2000, n° 19. 251 Huyette, JCP G 1998.II.10162, p. 1811; zur Kritik an den restriktiven Entlastungsmöglichkeiten Capitant/Terré/Lequette, Les grands arrêts de la jurisprudence civile, t. 2, 11 e éd. 2000, n° 218-219, 9 und Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 228; François, D. 2007, chr., 2408, 2409. 252 Cass.civ. 2 e, 20 janv. 2000, Bull.civ. 2000 II, n° 15.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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deliktischer Ersatzansprüche verwehrt, sofern zwischen den Beteiligten Vertragsbeziehungen bestehen.253 Vertragliche Schadensersatzansprüche setzen – im Gegensatz zu deliktischen auf Grund von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. – den Nachweis einer Pflichtverletzung der Betreuungseinrichtung voraus. Die Anwendung des non-cumul-Grundsatzes führt zu einer Ungleichbehandlung der Geschädigten. Je nachdem, ob der Geschädigte der Einrichtung durch Vertrag oder durch richterliche Anordnung anvertraut wurde, muss er eine Pflichtverletzung nachweisen oder nicht.254 Trotz dieser Ungleichbehandlung findet der Grundsatz des non-cumul auch bei der Haftung von Betreuungseinrichtungen Anwendung. Dies hat die Cour de cassation 2005 entschieden:255 Ein geistig behinderter Minderjähriger wurde von seinen Eltern in einem Resozialisierungsheim untergebracht. Dort verübte er mehrere sexuelle Übergriffe auf andere, ebenso freiwillig im Heim untergebrachte Minderjährige. Die Cour de cassation verneinte eine Haftung des Heims gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. mit der Begründung, dass wegen des Grundsatzes des non-cumul allein eine vertragliche Haftung gemäß Art. 1147 C.c. in Betracht komme. Im konkreten Fall sah sie die für vertragliche Schadensersatzleistung erforderliche Verletzung der Aufsichts- und Sicherheitspflicht des Heims als erwiesen an. b) Das Verhältnis von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. zu den anderen Absätzen des Art. 1384 C.c. Die Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c ist ausgeschlossen, sobald gleichzeitig der Anwendungsbereich eines Spezialfalles der Haftungstatbestände des Art. 1384 C.c. eröffnet ist.256 Die Haftungstatbestände der Absätze 4 bis 6 sind lex specialis zum Haftungstatbestand des Absatzes 1 Alt. 1 C.c.257 Die Cour de cassation hat dies explizit für die Lehrerhaftung nach Art. 1384 Abs. 6 C.c. ausgesprochen.258 Für die Lehrerhaftung ist der Vorrang der speziellen Vorschrift des Absatzes 6 zwingend. Der Rückgriff auf den strikten Haftungstatbestand des ersten Absatzes würde die Umgehung der nach Absatz 8 geforderten faute des Lehrers erlauben.259

253

Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., § 40 IV. Viney, JCP G 2000.I.241, n° 14. 255 Cass.civ. 2 e, 12 mai 2005, Bull.civ. II, n° 121. 256 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 149; Leduc, Les rapports entre les différentes responsabilités du fait d’autrui, RCA hors-série, nov. 2000, p. 23; Viney, JCP G 1994.I.3773, n° 8. 257 MM. Mazeaud/Chabas, Obligations, t. 2, 9 e éd. 1998, n° 474-2. 258 Cass.civ. 2 e, 16 mars 1994, Bull.civ. 1994 II, n° 92. 259 Merger/Feddal, note, JCP G 1994.II.22336; in diesem Sinne auch Peano, note, RCA 1994, n° 240. 254

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Erster Teil: Das französische Recht

Wenn die Voraussetzungen der Elternhaftung nach Art. 1384 Abs. 4 C.c. erfüllt sind, sind gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Haftung der Eltern nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. gegeben. Eltern, die das elterliche Sorgerecht ausüben, organisieren, leiten und kontrollieren die Lebensweise ihres Kindes (garde d’autrui).260 Trotz fehlender ausdrücklicher Stellungnahme der Cour de cassation gilt auch für Art. 1384 Abs. 4 C.c. der Grundsatz des lex specialis. Die Tatsache, dass die Elternhaftung seit dem arrêt Blieck weiterhin auf Absatz 4 begründet wird, zeigt, dass diese nicht im allgemein formulierten Haftungstatbestand des ersten Absatzes aufgegangen ist. Für den Geschädigten wirkt sich das Konkurrenzverhältnis bei der Geltendmachung seines Anspruchs nicht aus. Alle Haftungstatbestände für Andere beruhen auf einer strikten Haftung. Die Haftungsvoraussetzungen des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. entsprechen denjenigen der Elternhaftung.

V. Zwischenergebnis Die Analyse der Rechtsprechung zeigt, dass Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. zu einer gefestigten Anspruchsgrundlage für die strikte Haftung von Betreuungspersonen geworden ist. Außerdem hat die Rechtsprechung der Haftungsgrundlage Konturen verliehen. Nicht jeder, der einen Minderjährigen oder geistig behinderten Volljährigen in seine Obhut nimmt, ist verantwortlich im Sinne des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Erforderlich ist die Übernahme der garde d’autrui. Diese geht über eine einfache Aufsichtspflicht hinaus. Der Haftpflichtige muss aufgrund einer kontinuierlichen Betreuung Einfluss auf die Lebensgestaltung der betreuten Person nehmen. Aus diesem Grund erfüllen Erziehungs- und Pflegeheime, nicht jedoch Freizeitorganisationen, Tagesmütter, Babysitter und Familienangehörige, die ein minderjähriges Kind nur zeitweise und für kurze Dauer beaufsichtigen, die Voraussetzungen des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Die Struktur der Haftung von Betreuungspersonen entspricht derjenigen der Elternhaftung. Die Haftung von Betreuungspersonen beruht auf der garde d’autrui, diejenige der Eltern auf der inhaltlich vergleichbaren autorité parentale und cohabitation. Die Cour de cassation lässt für die Bejahung beider Haftungstatbestände das rein rechtliche Innehaben der garde d’autrui und der autorité parentale und cohabitation genügen. Daraus folgt, dass Betreuungspersonen und Eltern für Schäden ihrer Schutzbefohlenen haften, die während einer Fremdbetreuung verursacht worden sind. Das schädigende Verhalten des Betreuten muss lediglich kausal gewesen sein für die Rechtsgutsverletzung beim Dritten. Daraus folgt, dass die Be260 Leduc, Les rapports entre les différentes responsabilités du fait d’autrui, RCA hors-série, nov. 2000, p. 23.

C. Die Haftung von Organisationen

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treuungseinrichtung unabhängig von der persönlichen Verantwortung des Betreuten haftet. Die Haftung ist also in doppelter Sicht verschuldensunabhängig, hinsichtlich des Betreuers und hinsichtlich des Betreuten. Im Ergebnis hat die Cour de cassation mit der Blieck- und Folgerechtsprechung den Anwendungsbereich von Art. 1384 C.c. um die Haftung von Betreuungspersonen ergänzt, die sich in einer vergleichbaren Betreuungssituation wie Eltern befinden. Der soziale Wandel der Gesellschaft und die Untätigkeit des französischen Gesetzgebers haben die richterliche Rechtsfortbildung durch Anerkennung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1. C.c. als eigene Anspruchsgrundlage erforderlich gemacht.

C. Die Haftung von Organisationen C. Die Haftung von Organisationen

Mit der Blieck-Rechtsprechung hatte die Cour de cassation eine Haftung von Betreuungseinrichtungen für besonders betreuungsbedürftige Personen auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. begründet. Im Jahr 1995 gab die Cour de Cassation dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung eine neue Dimension. Sie bejahte die Haftung eines Rugbyvereins für ein von ihrem Spieler begangenes Foul.261 Es folgten zahlreiche Entscheidungen u. a. zu der Haftung von Sportvereinen262 und Freizeitvereinen.263 Damit dehnte die Cour de cassation den Anwendungsbereich des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. aus auf eine Haftung von Organisationen für Personen, die sich im Vollbesitz ihrer körperlichen und geistigen Kräfte befinden.

I. Die Rugby-Entscheidungen vom 22. Mai 1995 1. Sachverhalte und Prozessgeschichte Bei zwei Rugbyspielen von Amateurmannschaften kam es zu folgenschweren Verletzungen. Eine Begegnung endete für einen Spieler tödlich, die andere für einen Spieler mit schweren Gesundheitsschäden. In beiden Fällen konnte der konkrete Verursacher nicht festgestellt werden. Es stand bloß fest, dass der Verursacher der jeweils gegnerischen Mannschaft des Verletzten angehörte. Die Vereine, denen der jeweilige Verursacher angehört haben musste, wurden vom Berufungsgericht zur Zahlung von Schadensersatz gemäß 261

Cass.civ. 2 e, 22 mai 1995, Bull.civ. 1995 II, n° 155 (2 Urteile). Cass.civ. 2 e, 3 févr. 2000, Bull.civ. 2000 II, n° 26. 263 CA Dijon, 5 sept. 2002, JCP G 2003.IV.1413 (Jagdverein); Cass.civ. 2 e, 12 déc. 2002, Majorettes, Bull.civ. 2002 II, n° 289 (Festumzugsverein). 262

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Erster Teil: Das französische Recht

Art. 1384 Abs. 5 C.c. verurteilt.264 Dagegen legten die Vereine Revision ein mit der Begründung, ihre Spieler seien keine Verrichtungsgehilfen im Sinne des Art. 1384 Abs. 5 C.c. Es fehle an der erforderlichen Weisungsbefugnis des Vereins. Denn bei den hier in Rede stehenden Amateursportvereinen erhielten die Spieler weder ein Honorar, noch seien sie zur Teilnahme am Training verpflichtet. Überdies verfügten die Spieler auf dem Platz über eine dem Spiel immanente gestalterische Freiheit und Spontaneität und seien alleine den Anweisungen des Schiedsrichters untergeordnet. Einen weiteren Revisionsgrund erkannten die Vereine darin, dass die Haftung nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. die Identifizierbarkeit des Schadensverursachers erfordere, damit der Geschäftsherr Regress von seinem Verrichtungsgehilfen nehmen könne.265 2. Die Urteile Die Cour de cassation wies die Revisionen der betroffenen Vereine zurück.266 Sie gründete die Haftung der Vereine jedoch nicht auf Art. 1384 Abs. 5 C.c., sondern auf Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. In Anlehnung an die Blieck-Formel stellte das Gericht fest: „Mais attendu que les associations sportives, ayant pour mission d’organiser, de diriger et de contrôler l’activité de leurs membres au cours des compétitions sportives auxquelles ils participent, sont responsables, au sens de l’article 1384, alinéa 1 er, du Code civil, des dommages qu’ils causent à cette occasion; Et attendu que l’arrêt retient que les joueurs de [l‘association…] participaient à une compétition sportive et que ce sont des joueurs de cette association qui ont exercé sur [M. Leydier] des violences; que, par ces seuls motifs, l’arrêt se trouve légalement justifié;[…]“

Damit erweiterte die Cour de cassation den Anwendungsbereich des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. um eine weitere Fallgruppe, mit der nach dem arrêt Blieck niemand gerechnet hatte.267 3. Analyse der Urteile Zunächst fällt auf, dass die Cour de cassation keine Erklärung anführt, warum die Voraussetzungen der Geschäftsherrenhaftung gemäß Art. 1384 Abs. 5 C.c. im hiesigen Fall nicht erfüllt sind. Außerdem nennt die Cour de cassation im Unterschied zum arrêt Blieck keinen Beweggrund für die Haftung der Vereine auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. 264

CA Limoges, 17 sept. 1992, D. 1993, 333; CA Aix-en-Provence, 22 oct. 1992, unveröffentlicht. 265 Vgl. Jourdain, RTD 1995, 899, 900; Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 6. 266 Cass.civ. 2 e, 22 mai 1995 (2 Urteile), Bull.civ. 1995 II, n° 155. 267 Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 13.

C. Die Haftung von Organisationen

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Die Cour de cassation gab dem Berufungsgericht im Ergebnis aus zwei Gründen Recht („par ces seuls motifs, l’arrêt se trouve légalement justifié“): Erstens müssten Sportvereine, deren Aufgabe die Organisation, Leitung und Kontrolle der Aktivität ihrer Mitglieder während der sportlichen Wettkämpfe sei, für Schäden, die ihre Mitglieder bei dieser Gelegenheit verursachten, im Sinne des Art. 1384 Abs. 1 C.c. haften. Zweitens hätten die Spieler des verklagten Vereins an dem Wettkampf teilgenommen und es seien die Spieler des verklagten Vereins gewesen, die den Gegenspieler verletzt hätten. Die Cour de cassation wies auf die durch den Verein übernommene Organisation, Leitung und Kontrolle der Aktivität ihrer Mitglieder hin („d’organiser, de diriger et de contrôler l’activité de leurs membres“). Damit könnte Anknüpfungspunkt der Haftung die Organisation von Wettkampfsport sein. Wettkampfsport zeichnet sich durch eine erhöhte Verletzungsgefahr aus. Beim Rugbysport wird die gesteigerte Gefährlichkeit besonders deutlich. Der Verein kann kraft seiner Autorität die Verhaltensweise seiner Mitglieder lenken.268 Gleichzeitig schränkt die Cour de cassation die Haftpflicht des Vereins in zeitlicher Hinsicht ein, indem sie die Verantwortlichkeit auf Schäden begrenzt, die während des Wettkampfs verursacht werden („au cours des compétitions sportives“). Darüber hinaus ließ die Cour de cassation für die Bejahung der Haftung ausreichen, dass die Mitgliedschaft des schädigenden Spielers zum verklagten Verein feststand. Damit kommt es auf die Identität des unmittelbaren Schädigers nicht an. Das Gericht äußerte sich nicht dazu, ob das schädigende Verhalten die Verletzung von Spielregeln voraussetzt. Damit bleibt offen, welche Anforderungen an die faute des Spielers zu stellen sind. Wie bereits angedeutet überrascht, dass die Cour de cassation die Haftung nicht auf Art. 1384 Abs. 5 C.c. gründete. Mehrere Anmerkungen zu der Entscheidung bejahten eine Geschäftsherrenhaftung der Rugbyvereine. Zwar lehnte der Kassationshof ursprünglich die Anwendbarkeit von Art. 1384 Abs. 5 C.c. auf Sportvereine ab.269 Als Begründung nannte das Gericht die der sportlichen Aktivität innewohnende Freiheit und Spontaneität, welche die Spieler behielten, auch wenn sie sich den Spielregeln und einem Mannschaftssport unterwerfen. Jedoch setzte sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Rechtsprechung die Haftung von Profisportvereinen für ihre Spieler auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 5 C.c.

268 269

Jourdain, RTD 1995, 899, 901. Cass.civ., 30 avril 1947, D. 1947, p. 305.

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Erster Teil: Das französische Recht

durch.270 Die mit bestimmten Tätigkeiten verbundene Freiheit stand der Annahme eines Subordinationsverhältnisses somit nicht mehr zwingend entgegen.271 Unter diesen Umständen lag die Übertragung dieser Rechtsprechung auf Amateursportvereine nahe.272 Im Schrifttum ist darauf hingewiesen worden, dass die Organisation des Rugbysports als Amateursport hauptsächlich der Tradition geschuldet und die Situation von Rugbyspielern denen von Profifußballern vergleichbar sei.273 Denn auch bei fehlender Bezahlung und vertraglicher Anstellung unterwerfen sich die Spieler einer kollektiven Disziplin und folgen den Anweisungen ihres Trainers.274 Ein solch faktisch begründetes Autoritätsverhältnis genüge für die Annahme der Geschäftsherrenhaftung.275 Die Haftung des Amateursportvereins nach Art. 1384 Abs. 5 C.c. sei zudem mit der théorie du risque-profit zu rechtfertigen, die besagt, dass der Geschäftsherr für das durch die Einschaltung von Hilfspersonen gesteigerte Risiko einer Schadenszufügung hafte, weil er wirtschaftlich von der Arbeitsteilung profitiert.276 Gerade Rugbyvereine verfolgten mit ihrer Tätigkeit und den ausgerichteten Spielen nicht unerhebliche wirtschaftliche Interessen.277 Auch die fehlende Identifizierbarkeit des unmittelbaren Schädigers habe einer Haftung gemäß Art. 1384 Abs. 5 C.c. nicht entgegengestanden. Die Cour de cassation hatte in früheren Urteilen entschieden, dass die Geschäftsherrenhaftung allein erfordere, dass der Schädiger aus den Reihen der Verrichtungsgehilfen des in die Verantwortung genommenen Geschäftsherrn stammt.278 Vor diesem Hintergrund sind die Gründe zu untersuchen, warum die Cour de cassation die Geschäftsherrenhaftung nur in der Zusammenfassung der Revisionsgründe erwähnte und die Haftung auf Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. stützte. Die Rugby-Entscheidung könnte wie die Blieck270 TGI Marseille, 6 oct. 1983, D. 1985, info.rap., 143; CA Paris, 1 er ch., 9 déc. 2002, RCA 2003, Groutel, chr. n° 4, S. 5; CA Rennes, 7 e ch., 4 déc. 2002, RCA 2003, Groutel, chr. n° 4, S. 6; Cass.civ. 2 e, 8 avril 2004, Bull.civ.2004 II n° 194. 271 Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 4; Viney JCP G 1995.I.3893, n° 8. 272 Jourdain, RTD 1995, 899, 900; Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 6; Viney, JCP G 1995.I.3893, n° 8; für eine Gleichbehandlung von Profi- und Amateurspieler bereits Karaquillo, D. 1985, info.rap., 143. 273 Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 6; ders. D. 1993, sommaires commentés, 333, 334. 274 Jourdain, RTD 1995, 899, 900. 275 Hierzu 1. Teil A. II. 2. a). 276 Hierzu bereits 1. Teil A. II. 1. 277 Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 7. 278 Viney, JCP G 1995.I.3893, n° 8; Cass.civ. 2e, 21 avril 1966, Bull. civ. 1966 II, n° 454.

C. Die Haftung von Organisationen

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Entscheidung der Schließung einer durch den sozialen Wandel der Gesellschaft entstandenen Regelungslücke gedient haben. In der Blieck-Entscheidung war die Cour de cassation von einem (teilweise offengelegten) Bündel von Motiven geleitet: das erhöhte Schadenspotential Behinderter und Minderjähriger, die zunehmende Zahl und Nutzung von Betreuungseinrichtungen, die Liberalisierung von Behandlungsmethoden. Betreuungseinrichtungen haften, wenn sie für das gesamte Wohl ihrer Schutzbefohlenen Verantwortung übernehmen. Vergleichbare Motive sind bei der Haftung von Sportvereinen nur bruchstückhaft erkennbar. Spieler handeln im Unterschied zu Betreuten eigenverantwortlich. Sportvereine übernehmen während der Wettkämpfe leitende Aufgaben und treten wie Manager auf.279 Gemein ist beiden Konstellationen lediglich ein gewisses Autoritätsverhältnis zwischen Haftpflichtigem und Schadensverursacher sowie ein gesteigertes Risiko der vom Schadensverursacher ausgeübten Tätigkeit. Die Fälle, in denen ein verletzter Sportler seinen Schaden nicht nur gegenüber dem verletzenden Sportler, sondern auch gegenüber dem Sportverein geltend macht, häufen sich in Frankreich.280 Das Vorgehen gegen den Verein kann dabei in zwei Konstellationen von Vorteil sein. Zum einen hat der Geschädigte ein Interesse an einer Entschädigung durch den Verein, wenn der unmittelbare Schädiger nicht identifizierbar ist, so wie der Fall in den Rugby-Entscheidungen lag. Zum anderen vermeidet der Geschädigte die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Schadensverursachers, wenn er direkt gegen den Verein vorgeht.281 Zwar wird der schädigende Spieler gegen Ansprüche des verletzten Spielers in der Regel durch eine Versicherungspolice abgesichert, die der Sportverein gemäß Art. 37 des „Loi du 16 juillet 1984 relative à l'organisation et à la promotion des activités physiques et sportives“ abschließen muss. Vorsätzliche Körperverletzungen sind jedoch gemäß L. 113-1 al. 2 Code des assurances vom Versicherungsschutz des Sportlers ausgenommen. Zudem kann die Höhe des zu ersetzenden Schadens durch Vertrag begrenzt werden. Die Versicherung des Vereins tritt gemäß L. 121-2 Code des assurances auch für vorsätzlich begangene Fouls der Spieler ein.282 Dieser Versicherungsschutz

279 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 227; Viney, JCP G 1995.I.3893, p. 507. 280 Mouly, note, JCP G 1995, jur., 22550, n° 2, 3. 281 Mouly, D. 1993, sommaires commentés, 333. 282 L.113-1 al. 2 Code des assurances: “Toutefois, l'assureur ne répond pas des pertes et dommages provenant d'une faute intentionnelle ou dolosive de l'assuré.” L.121-2 Code des assurances: „L'assureur est garant des pertes et dommages causés par des personnes dont l'assuré est civilement responsable en vertu de l'article 1384 du code civil, quelles que soient la nature et la gravité des fautes de ces personnes.“

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Erster Teil: Das französische Recht

des Rugbyvereins könnte eine nicht unbedeutende Rolle bei der Verurteilung zum Schadensersatz gespielt haben.283 Ob die Cour de Cassation in den Rugby-Entscheidungen dieser Entwicklung Rechnung tragen wollte, bleibt letztlich ungewiss. Diese Ungewissheit setzte sich bei der Bewertung der Tragweite des Urteils durch das Schrifttum fort. Mouly und Viney sahen nunmehr den Weg bereitet für die Anerkennung einer allgemeinen Haftung für Andere.284 Der neu geschaffene Haftungstatbestand sei geeignet, wirtschaftliche Abhängigkeiten durch eine Haftungsduplizierung auszugleichen.285 Jourdain hingegen sprach den Rugby-Entscheidungen keine mit der Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. vergleichbare allgemeine Bedeutung zu. Auch wenn die Cour de cassation in den RugbyEntscheidungen weniger fallbezogen argumentierte als in der BlieckEntscheidung, so bevorzugte sie dennoch, bei der Urteilsbegründung Bezug auf die konkreten Fallumstände zu nehmen und die Verwendung einer allgemeinen Formel bewusst zu vermeiden.286 Auch Groutel wertete die Rugby-Entscheidungen als Einzelfallentscheidung, die aufgrund des bestehenden Versicherungsschutzes der Sportvereine allein aus Opportunitätsgründen zu Lasten der Vereine ergangen seien.287

II. Ausweitung der Haftungsfälle Die den Rugby-Entscheidungen folgenden Urteile lassen sich in zwei Phasen unterteilen. In einer ersten Phase erfolgte eine Ausweitung der Haftung auf andere Organisationen als Sportvereine. Die Phase gipfelte in der Majorettes-Entscheidung. In der zweiten Phase grenzte die Rechtsprechung die Haftung von Organisationen wieder ein. 1. Jagdverein Das Tribunal de Grande Instance Cusset übernahm als erstes Gericht die neue Rugby-Rechtsprechung der Cour de cassation. Es erklärte einen Jagdverein für den durch ein Mitglied verursachten Jagdunfall verantwortlich gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c.288 Im zu entscheidenden Fall wurde ein Jäger während einer Treibjagd durch einen abgelenkten Schuss schwer 283

Mouly, note, JCP G 1997.II.22849. Mouly, JCP G 1995.II.22550, p. 509 ; Viney, JCP G 1995.I.3893, n° 9; Carval, La responsabilité délictuelle du fait d’autrui en droit français, in: European Tort Law, 2000, n° 29, 32. 285 Viney, JCP G 1995.I.3893, n° 10. 286 Jourdain, RTD 1995, 899, 902. 287 Groutel, RCA 1995, chr. n° 36. 288 TGI Cusset, 29 févr. 1996, JCP G 1997.II.22849. 284

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verletzt. Das Opfer erhielt aufgrund der Sachhalterhaftung des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. Schadensersatz von dem Jäger, der den Schuss abgegeben hatte. Darüber hinaus gab das Gericht dem Antrag auf Verurteilung des Präsidenten des Jagdvereins auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. statt. Es berief sich auf die Grundsätze der Cour de cassation zur Haftung von Sportvereinen.289,290 Mouly kritisierte die Entscheidung des TGI Cusset wegen der fehlenden Vergleichbarkeit mit den Rugby-Entscheidungen von 1995.291 Zunächst sei die Inanspruchnahme des Jagdvereins aus rechtspraktischen Gründen nicht erforderlich gewesen. Der Schädiger war bekannt, so dass das Opfer, wie geschehen, Schadensersatz von diesem verlangen konnte.292 Aufgrund der Existenz einer Pflichtversicherung für Jäger bestünde auch nicht die Gefahr, an einen zahlungsunfähigen Schuldner zu geraten, zumal eine Pflichtversicherung für den Jagdverein im Gegensatz zu Sportvereinen gerade nicht existiere. Der Jagdverein übe auch nicht eine dem Sportverein vergleichbare Autorität über die Jagdteilnehmer aus, so dass von einer Leitung und Kontrolle der Jagd nicht gesprochen werden könne.293 Gemein sei den beiden Gruppierungen lediglich die Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit.294 2. Pfadfinderverein Die großzügige Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. durch die Instanzgerichte bestätigte eine Entscheidung der Cour d’appel de Paris zur Haftung des Pfadfindervereins Guides et scouts d’Europe.295 Während ei289 “Attendu qu’une association de chasse, ayant pour mission d’organiser, de diriger et de contrôler l’activité de ses members au cours d’une chasse à laquelle ils participent, est responsible, au sens de l’article 1384, alinéa 1er, du Code civil, des dommages qu’ils causent à cette occasion;”. 290 In einem ähnlich gelagerten Fall verurteilte ein Berufungsgericht den Präsidenten einer Jagdgesellschaft zum Schadensersatz gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. in solidum mit dem unmittelbaren Schädiger, CA Dijon ch.civ., 5 sept. 2002, JCP G 2003.IV.1413. Der die Treibjagd organisierende Präsident müsse für den fehlschießenden Jäger haften, da er diesen zur Jagd zugelassen und ihm Sicherheitshinweise gegeben habe („Le président de la société de chasse, organisatrice de la battue litigieuse, qui avait placé l’auteur du coup de feu lors de l’action de chasse et lui avait donné des consignes de sécurité, est en cette qualité responsable sur le fondement de l’art. 1384 al. 1 er du Code civil, des chasseurs dont il doit répondre.“). 291 Mouly, note, JCP G 1997.II.22849. 292 Für den Fall, dass der Schädiger nicht identifiziert werden kann, kommt für Schäden aus einem Jagdunfall ein spezieller Fond auf; Mouly, note, JCP G 1997.II.22849, I a). 293 Mouly, note, JCP G 1997.II.22849, I c). 294 Mouly, note, JCP G 1997.II.22849, I c). 295 CA Paris, 14 e ch.B, 9 juin 2000, RCA 2001, comm. n° 74.

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nes Pfadfinderlagers wurde ein 16-Jähriger bei einem improvisierten Rugbyspiel verletzt. Der Schädiger konnte nicht identifiziert werden. Daraufhin verklagten die Eltern des verletzten Minderjährigen den Pfadfinderverein auf Schadensersatz gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Die Richter bejahten die Haftung des Vereins. Der Verein organisiere, leite und kontrolliere während des Lagers die Tätigkeiten und insbesondere die sportlichen Aktivitäten der Teilnehmer und sei daher verantwortlich im Sinne des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c.296 Der Verein haftete nicht als Betreuungsperson. Ihm oblag nicht die garde d’autrui, weil das eine kontinuierliche Übernahme der Betreuung vorausgesetzt hätte.297 Der Verein haftete vielmehr als Organisation, was durch die zitierte Formulierung der Rugby-Entscheidungen durch die Cour d’appel de Paris deutlich wird. Unklar blieb, warum das Gericht das improvisierte Rugby-Spiel während eines Pfadfinderlagers einem Wettkampf gleichsetzte.298 3. Fanclub Eine weitere, besonders großzügige Ausweitung der Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. erfolgte durch die Cour d’appel d‘Aix-en-Provence. Das Berufungsgericht verurteilte einen Fußballfanclub zum Ersatz des Schadens, der während einer von dem Club organisierten Fahrt zu einem Fußballspiel an den angemieteten Fahrzeugen verübt wurde.299 Das Urteil überraschte gleich aus zwei Gründen. Es unterblieb die Prüfung von Schadensersatzansprüchen aus dem Mietvertrag, die wegen des Prinzips des non-cumul einer deliktischen Haftung hätten entgegenstehen können.300 Überdies bereitet die Einordnung des Fanclubs in die Fallgruppe der Haftung von Organisationen große Schwierigkeiten. Der Fanclub verfügt über keine Autorität gegenüber seinen Mitgliedern und kann deren Verhalten nur sehr eingeschränkt leiten und kontrollieren. Im Schrifttum wurde versucht die Haftung damit zu begründen, dass der Fanclub konkludent die Verpflichtung übernommen hatte, für die von seinen Mitgliedern verursachten Schäden einzustehen.301 296 “[…] que l’association […] ayant pour mission durant ce camp de vacances d’organiser, de diriger et de contrôler les activités des ses members et notamment les activités sportives, est tenue au sens de l’article 1384, alinéa 1er du Code civil de répondre des dommages qu’ils causent à cette occasion sans qu’il y ait lieu de rechercher si elle a commis une faute;”. 297 A.A. Viney, JCP G 2001.I.340, n° 17. Zur Haftung von Ferienorganisationen aufgrund eines Betreuungsverhältnisses: 1. Teil B. IV. 1. b) bb). 298 Grynbaum, RCA 2001, comm. n° 74. 299 CA Aix-en-Provence, 9 oct. 2003, RCA 2004, n° 89. 300 Radé, note, RCA 2004, n° 89. 301 Radé, note, RCA 2004, n° 89.

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III. Die Majorettes-Entscheidung vom 12. Dezember 2002 Die Tendenz der Instanzgerichte, auch Freizeitvereine, die keinen Wettkampfsport organisieren, der strikten Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. zu unterwerfen, bekräftigte die Cour de cassation in ihrer MajorettesEntscheidung.302 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Während eines Festumzugs wurde eine Majorette-Tänzerin durch den Stab einer anderen Tänzerin verletzt. Die verletzte Tänzerin verlangte Schadensersatz von der Schädigerin, die als gardienne des Stabes gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. haftete. Zusätzlich verklagte sie den Verein, der den Festumzug organisiert hatte, auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Die Instanzgerichte gaben beiden Klagen statt. Der Verein stützte seine Kassationsbeschwerde auf zwei Einwände. Erstens stelle die ausgeübte Tätigkeit der Majorettes-Tänzerinnen weder für das Publikum noch für die Teilnehmer eine objektive Gefahr dar. Zweitens kontrolliere der Verein in keinerlei Weise die Ausführung der einstudierten Übungen, sondern gebe lediglich dem gesamten Umzug Marschanweisungen.303 2. Das Urteil Die Cour de cassation wies die Kassationsbeschwerde zurück. Zur Begründung griff sie auf die Formulierung der Rugby-Entscheidungen zurück. Der Verein habe zur Aufgabe gehabt, die Aktivität seiner Mitglieder während des Umzugs zu organisieren, zu leiten und zu kontrollieren. „Mais attendu que l’arrêt [...] relève, par motifs propres et adoptés, que le dommage a été causé par un membre de l’association, à l’occasion du défilé de majorettes organisée par celle-ci, laquelle avait pour mission d’organiser, de diriger et de contrôler l’activité de ses membres au cours du défilé; […] la cour d’appel a pu, sans avoir à tenir compte de la dangerosité potentielle de l’activité exercée […], décider que celle-ci était tenue de plein droit de réparer […] le préjudice résultant du fait dommageable […]“.

3. Analyse des Urteils Die Majorettes-Entscheidung weicht in mehreren Punkten von den Sportvereinsfällen ab.

302 303

Cass.civ. 2 e, 12 déc. 2002, Majorettes, Bull.civ. 2002 II, n° 289. Vgl. Jourdain, RTD 2003, chr., p. 305.

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Erstens ist die Kontroll- und Einflussmöglichkeit des Festumzugsvereins auf die Umzugsteilnehmer geringer als die des Rugbyvereins. Ein Rugbyverein kann durch Spielstrategien und konkrete Spielanweisungen während des Spiels den Spielablauf und seine Spieler (mit-)beeinflussen. Dies ist bei einem Festumzug nicht möglich. Zweitens waren die bisherigen Anwendungsfälle von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf Vereine beschränkt, die eine risikoreiche und für die Teilnehmer gefährliche Tätigkeit organisieren (z.B. Rugby oder Jagen). Das Schwingen von Stäben während eines Majorettenumzugs kann hingegen nicht als besonders gefährlich eingestuft werden. Die Cour de cassation stellte ausdrücklich klar, dass es für die Begründung der strikten Haftung auf die Gefährlichkeit der organisierten Aktivität nicht ankommt. Drittens beruhte der Schaden im Majorettes-Fall auf einer bloßen Ungeschicktheit der Majorette-Tänzerin, während in den Sportfällen regelmäßig ein Foul verübt wurde.304 Der Cour de cassation genügt für die Haftung des Freizeitvereins ein fait dommageable des Mitglieds. Hintergrund der geringen Anforderungen an das schädigende Verhalten könnte die Eigenhaftung der Tänzerin aufgrund der verschuldensunabhängigen Sachhalterhaftung gewesen sein. Viertens folgt aus der Entscheidung, dass die Haftpflicht des Vereins auch gegenüber den eigenen Vereinsmitgliedern besteht.305 Insgesamt befürchtete die Literatur, die Cour de cassation habe mit der Majorettes-Entscheidung Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. einen undefinierbaren Anwendungsbereich gegeben.306

IV. Begrenzung der Haftungsfälle Die Cour de cassation traf im Jahre 2005 eine wichtige Entscheidung zum Kreis der Ersatzpflichtigen, als sie über die Haftung des Veranstalters eines Judoturniers zu entscheiden hatte.307 Danach haftet ein Judoverein, der ein Turnier ausrichtet, nicht gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c für den Schaden, den ein Teilnehmer einem anderen im Kampf zufügt, wenn nicht bewiesen ist, dass der schädigende Judokämpfer Mitglied des organisierenden Vereins ist.308 Damit stellte die Cour de cassation klar, dass die Haftung von Sportvereinen nur für das schädigende Verhalten der eigenen Mitglieder greift. Bereits zuvor hatte die Cour d’appel de Paris entschieden, dass der Organisator eines Motocross-Rennens nicht strikt hafte, 304

Viney, JCP G 2003.I.154, n°49. Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 227, p. 287, Fn 2. 306 Jourdain, RTD 2003, chr., p. 305, 307; Lagarde, obs., D. 2003, jur., 2541. 307 Cass.civ. 2 e, 22 sept. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 233. 308 Cass.civ. 2 e, 22 sept. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 233. 305

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wenn es zwischen zwei konkurrierenden Teilnehmern zu einer Kollision kommt.309 Die Cour d’appel urteilte, dass die teilnehmenden Rennfahrer, die nicht dem das Rennen austragenden Club angehörten, auch nicht dessen Anweisungen unterlägen.310 Stützt man die strikte Haftung von Sportvereinen auf ein tatsächlich bestehendes Autoritätsverhältnis zwischen Verein und Sportler, so erscheint der Haftungsausschluss für Organisatoren konsequent. Organisatoren haben noch weniger als Sportvereine die Möglichkeit, auf die Tätigkeit der Teilnehmer Einfluss zu nehmen.311

V. Entscheidung zur Haftung einer Gewerkschaft vom 26. Oktober 2006 Im Jahr 2006 musste die Cour de cassation über die Anwendbarkeit von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf Gewerkschaften entscheiden.312 1. Sachverhalt und Prozessgeschichte Die Cour de cassation hatte über folgenden Fall zu befinden: Im Rahmen einer Protestaktion blockierten Bauern das Gelände eines Supermarktes und beschädigten dabei dessen Einrichtungsgegenstände. Der Supermarkt verlangte daraufhin auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Schadensersatz von der Gewerkschaft, der die protestierenden Bauern angehörten. Die Gewerkschaft hatte zu der Protestaktion aufgerufen. Die Instanzgerichte wiesen die Klage zurück. Der Supermarkt legte Revision ein. Die Instanzgerichte könnten die Anwendung des allgemeinen Haftungsprinzips für Andere auf eine Gewerkschaft nicht generell verneinen, ohne festzustellen, dass diese nicht über die für Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. erforderliche Macht (pouvoir) gegenüber ihren Mitgliedern verfügte. 2. Das Urteil Die Cour de cassation wies die Revision zurück. Sie stellte fest, dass eine Gewerkschaft weder zum Ziel, noch zur Aufgabe habe, die Tätigkeiten ihrer Mitglieder während Demonstrationen zu organisieren, zu leiten und

Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, t. 2, 13 e éd. 2009, n° 227. CA Paris, 2 mai 2000, RCA 2001, comm., n° 52. 311 Bakouche, JCP G 2006.II.10000, p. 36. 312 Cass.civ. 2 e, 26 oct. 2006, Bull.civ. 2006 II, n° 299.

309

310

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zu kontrollieren. Das persönliche Fehlverhalten der Mitglieder könne daher nicht die strikte Haftung der Gewerkschaft auslösen.313 3. Analyse des Urteils Mit der Entscheidung erklärte die Cour de cassation Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf Gewerkschaften für unanwendbar. Zwar überraschte die Ablehnung der strikten Haftung von Gewerkschaften nicht allzu sehr. Bereits zuvor hatten die Kammer für Sozialrecht314 und der Conseil Constitutionnel315 eine Haftung von Gewerkschaften für von ihren Mitgliedern verursachte Schäden abgelehnt. Zum einen seien Gewerkschaften keine Geschäftsherren ihrer Mitglieder. Zum anderen könnten sie nicht schon allein wegen ihrer (Mit-)Organisation eines zulässigen Streiks verschuldensunabhängig für alle Schäden, die bei Übergriffen während des Streiks verursacht wurden, verantwortlich gemacht werden. Ohne persönliches Fehlverhalten der Gewerkschaft müsse diese zivilrechtlich nicht für Andere haften. Dies entspreche auch der Rechtsnatur des Streikrechts, das ein Individualrecht der Mitglieder und kein Recht der Gewerkschaften darstelle.316 Jedoch scheint die restriktive Haltung der Cour de cassation nach der großzügigen Ausweitung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf Rugby- und Festumzugsvereine nicht zwingend gewesen zu sein. Denn die Supermarktkette hat ein sozial gerechtfertigtes Interesse an einer sicheren Entschädigung, da während Demonstrationen eine gesteigerte Gefahr der Schadenszufügung an Rechtsgütern Dritter besteht und der unmittelbare Schädiger regelmäßig nicht identifiziert werden kann.317 Für die Ablehnung der strikten Haftung von Gewerkschaften dürften folgende Gründe maßgeblich gewesen sein: Zunächst fehlt bereits eine ausreichende pouvoir der Gewerkschaft.318 Gewerkschaften fehlt im Gegensatz zu Sport- und Freizeitvereinen jegliche Einflussmöglichkeit auf ihre Mitglieder während einer Demonstration. Zwar können Gewerkschaften im Vorfeld einer Demonstration Sicherheitshinweise geben, zum friedlichen Protest aufrufen, die Wegstrecke der Demonstration festlegen und diese durch Ordner absichern lassen. Diese 313

“Mais attend qu’un syndicat n’ayant ni pour objet ni pour mission d’organiser, de diriger et de contrôler l’activité de ses adhérents au cours de mouvements ou manifestations auxquels ces derniers participant, les fautes commises personnellement par ceux-ci n’engagent pas la responsabilité de plein droit du syndicat auquel ils appartiennent;[…]”. 314 Cass.soc., 9 nov. 1982, Bull.soc. 1982, n° 615; Cass.soc., 21 janv. 1987, Bull.soc. 1987 V, n° 27. 315 Cons.const., 22 oct. 1982, D. 1983, jur., S. 189. 316 Cass.soc., 9 nov. 1982, Bull.soc. 1982, n° 615. 317 Mouly, note, JCP G 2007.II.10004, p. 41. 318 Mouly, note, JCP G 2007.II.10004, p. 41.

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allgemeine Organisationsgewalt ist aber nicht mit der Autorität eines Sportvereins vergleichbar, der durch das Festlegen einer genauen Spieltaktik das Handeln der Sportler stärker leiten und kontrollieren kann.319 Zudem fällt die Mitgliederbetreuung bei Demonstrationen nicht in den Aufgabenkreis der Gewerkschaften.320 Das Gesetz schreibt den Gewerkschaften ausschließlich vor, die Rechte ihrer Mitglieder zu verteidigen.321 Indem die Cour de cassation die strikte Haftung von Gewerkschaften ablehnt, unterstreicht sie die Exklusivität dieser von Gesetzes wegen vorgegebenen Aufgabe.322 Eine strikte Haftung der Gewerkschaften für das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder hätte – rechtspolitisch fragwürdig – womöglich einen Anreiz für Arbeitgeber geschaffen, Gewerkschaften durch Schadensersatzklagen zu schwächen. Dadurch könnte die Gründungs- und Betätigungsfreiheit von Gewerkschaftsverbänden (liberté syndicale) und das Streikrecht unzulässig beschränkt werden.323 Schließlich lasse die Anwendbarkeit von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf Gewerkschaften eine Ausdehnung des Haftungsprinzips auf andere Organisationen der öffentlichen Meinungsbildung befürchten, wie etwa auf Umwelt-, Verbraucherschutz- oder Arbeitslosenverbände oder auf Parteien.324

VI. Das Grundsatzurteil der Assemblée plénière zur faute vom 29. Juni 2007 Mit einem Grundsatzurteil vom 29. Juni 2007 wirkte die Assemblée plénière einer weiteren Ausuferung und Objektivierung der Haftung von Sportvereinen auf der Ebene der Tatbestandsvoraussetzungen entgegen.325 Sie stellte klar, dass nur eine „faute caractérisée par une violation des règles du jeu“ die strikte Haftung des Sportvereins auslösen könne. Zu der Entscheidung war es wie folgt gekommen:

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Anders könnte zu entscheiden sein, wenn ein Interessenverband eine Aktion tatsächlich, wie etwa bei der Verteilung von Flugblättern oder Werbeplakaten, beeinflusst; Mouly, note, JCP G 2007.II.10004, p. 42. 320 Stoffel-Munck, JCP G 2007.I.115, n° 5. 321 Art. L. 411-1 c-trav.: „Les syndicats professionnels ont exclusivement pour objet l’étude et la défense des droits ainsi que des intérêts matériels et moraux, tant collectifs qu’individuels, des personnes visées par leur status“, Nachweis bei Laydu, note, D. 2007, p. 204, n°12. 322 Laydu, note, D. 2007, p. 204, n° 13. 323 Mouly, note, JCP G 2007.II.10004, p. 41; Stoffel-Munck, JCP G 2007.I.115, n° 5. 324 Mouly, note, JCP G 2007.II.10004, p. 42. 325 Cass.ass.plén., 29 juin 2007, D. 2007, 2455.

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Ein Rugbyspieler wurde während eines Spiels bei einem Gerangel verletzt. Die Cour d’appel von Agen verurteilte den gegnerischen Rugbyverein gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c., ohne die genauen Umstände der Verletzungshandlung darzulegen. Die Cour de cassation kassierte das Urteil, da das Berufungsgericht keine „faute consistant en une violation des règles du jeu […], faute seule de nature à engager la responsabilité d’une association sportive […]“ festgestellt habe.326 Der Fall wurde zur Entscheidung an die Cour d’appel von Bordeaux zurückverwiesen, die der Auffassung der Cour de cassation nicht folgte. Für die Bejahung der Haftung des Sportvereins sei allein der Nachweis ausreichend, dass die Verletzung bei einem Gerangel während des Spiels erfolgt sei.327 Nach erneuter Kassationsbeschwerde des Sportvereins bestätigte die Assemblée plénière die Auffassung der Zweiten Zivilkammer. Diese hatte in der Zwischenzeit ihre Forderung nach einem schädigenden Verhalten des Spielers, das gegen die Spielregeln verstößt (sog. qualifizierte faute), in zahlreichen Entscheidungen wiederholt328 und strenge Anforderungen an deren Nachweis gestellt.329 Für die Haftung von Amateursportvereinen gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. steht mit der Entscheidung der Assemblée plénière das Erfordernis einer qualifizierten faute des schädigenden Spielers fest. Parallel verlangt die Cour de cassation für die Haftung von Profisportvereinen gemäß Art. 1384 Ab. 5 C.c. eine qualifizierte faute.330 Ein Grund für die Entscheidung wird in der für den Bereich des Sports geltenden „théorie de l’acceptation de risque“ gesehen.331 Zudem dient sie der Angleichung des

326

Cass.civ. 2 e, 13 mai 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 232. Vgl. François, D. 2007, chr., 2408, 2412. 328 Cass.civ. 2 e, 20 nov. 2003, Bull.civ. 2003 II, n° 356; Cass.civ. 2e, 21 oct. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 477 (Rugby); Cass.civ. 2 e, 13 janv. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 44 (Fußball); Cass.civ. 1 er, 16 mai 2006, Bull.civ. 2006 I, n° 249 (Eishockey). So bereits CA Aix-en-Provence, 27 févr. 2002, JCP G 2003.II.10097, note Bloch. Das Gericht wertete die Abwehr eines Torwarts mit gestrecktem Fuß als normale Spielhandlung ohne besondere Aggression und verneinte die persönliche Haftung des Tortwarts sowie die Haftung seines Vereins. 329 Cass.civ. 2e, 22 sept. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 234: „Qu’en statuant par de tels motifs insuffisants à établir que l’effondrement de la mêlée avait été délibéré, la cour d’appel n’a pas donné de base légale à sa décision au regard du texte susvisé;“. 330 Cass.civ. 2 e, 8 avril 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 194. 331 Vgl. Mouly, note, JCP G 2004.II.10017. Die Theorie schließt die persönliche Haftung des Schädigers ohne qualifizierte faute aus. Einfache Ungeschicktheiten und unvorsätzliche Regelverstöße, die allein das sportimmanente Risiko verwirklichen, stellen demnach keine faute dar. Auch die allgemeine Sachhalterhaftung kann im Geltungsbereich dieser Theorie nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c. allein bei einem ungewöhnlichen Risiko ausgelöst werden. 327

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Haftungstatbestands an denjenigen der Geschäftsherrenhaftung gemäß Art. 1384 Abs. 5 C.c.332

VII. Entscheidung zur Haftung eines Jagdvereins vom 11. September 2008 Einen vorläufigen Endpunkt der Haftungsbegrenzung bildet das Urteil der Cour de cassation vom 11. September 2008 zur Haftung eines Jagdvereins.333 In dem Fall wurde während einer Jagd ein Jagdteilnehmer durch eine fehlgeleitete Kugel verletzt. Der Schütze konnte nicht identifiziert werden. Es stand jedoch fest, dass es sich nur um ein Mitglied des die Jagd organisierenden kommunalen Jagdvereins handeln konnte. Der Geschädigte nahm daraufhin den Jagdverein in Anspruch. Das Berufungsgericht lehnte eine Haftung des Jagdvereins ab, da die persönliche Verantwortlichkeit des Schützen nicht nachgewiesen worden sei.334 Die Cour de cassation wies die von dem Geschädigten eingelegte Revision zurück. Sie stellte fest, dass Jagdvereine nicht die Aufgabe haben, die Tätigkeit ihrer Mitglieder zu organisieren, zu leiten und zu kontrollieren.335 Damit verneinte die Cour de cassation bereits die Anwendbarkeit von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf Jagdvereinigungen. Die zuvor erfolgten Verurteilungen von Jagdvereinen durch Instanzgerichte336 dürften damit bedeutungslos geworden sein.

VIII. Zwischenergebnis 1. Haftpflichtige Organisation Allein Gruppierungen, deren Existenz die Organisation, Leitung und Kontrolle von Aktivitäten bezweckt, also insbesondere Sportvereine337, haften nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Interessenverbände fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des Haftungsprinzips. Bedenklich erscheint eine Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahr 2010, in der sie ohne Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Les obligations, 4 e éd. 2009, n° 149. Cass.civ. 2 e, 11 sept. 2008, Bull.civ. 2008 II, n° 192. 334 Vgl. Mouly, note, JCP 2009 II 10184, S. 29. 335 „qu’il résulte [de l’article L. 222-2 du Code rural] que les associations de chasse n’ont pas pour mission d’organiser, de diriger et de contrôler l’activité de leurs membres et n’ont donc pas á répondre de ceux-ci;“. 336 Hierzu 1. Teil C. II. 1. 337 Cass.civ. 2 e, 20 nov. 2003, Bull.civ. 2003 II, n° 356; Cass.civ. 2e, 13 mai 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 232; Cass.civ. 2 e, 22 sept. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 234 (Rugbyvereine); Cass.civ. 2e, 13 janv. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 10 (Fußballverein); Cass.civ. 1 er, 16 mai 2006, Bull.civ. 2006 I, n° 249 (Eishockeyverein). 332

333

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nähere Begründung die Inanspruchnahme einer regionalen Fußballliga für das schädigende Verhalten eines ihrer Mitglieder bestätigte.338 Denn der Fußballliga wächst nicht die Aufgabe zu, die Aktivitäten der Spieler der einzelnen Vereine zu organisieren und zu kontrollieren. Ihr fehlt jeglicher Einfluss auf die Spieler. Für die Haftung kommt es auf die Gefährlichkeit der organisierten Tätigkeit nicht an.339 Die strikte Haftpflicht besteht grundsätzlich nicht nur gegenüber Mitgliedern einer anderen Organisation, sondern auch gegenüber den eigenen Mitgliedern340 und gegenüber Zuschauern einer (Sport-) Veranstaltung.341 Die Haftung dürfte auf dem Autoritätsverhältnis beruhen, das zwischen der Vereinigung und dem Schädiger bestehen muss. Grundsätzlich muss die Vereinigung in der Lage sein, auf den Schädiger einzuwirken. Eine Einwirkungsmöglichkeit besitzen insbesondere Sportvereine. Nicht hinreichend Einfluss besitzen Gewerkschaften und Jagdvereinigungen. Zur Begründung eines Autoritätsverhältnisses ist die Mitgliedschaft des Schädigers in der haftenden Vereinigung erforderlich, da nur aufgrund der Mitgliedschaft Einfluss und Kontrolle ausgeübt werden kann.342 Der Veranstalter eines Sportereignisses muss folglich nicht nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. haften, falls der schädigende Teilnehmer nicht zugleich Mitglied des organisierenden Vereins ist.343 2. Das schädigende Verhalten des Mitglieds Nur eine qualifizierte faute des Schädigers kann die strikte Haftung der Vereinigung auslösen. Bei Sportwettkämpfen wird eine grobe Verletzung der Spielregeln gefordert. Eine bloß kausale Beziehung zwischen der Verletzungshandlung und dem Schaden erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die Identität des unmittelbaren Schädigers muss nicht bekannt sein.344 Es genügt, dass die Mitgliedschaft des Schädigers beim in Anspruch genomme338

Cass.civ. 2 e, 8 juillet 2010, n° de pourvoi: 09-68212, unveröffentlicht; D. 2011, n° 1, p.41. 339 Cass.civ. 2 e, 12 déc. 2002, Majorettes, Bull.civ. 2002 II, n° 289. 340 Cass.civ. 2e, 12 déc. 2002, Majorettes, Bull.civ. 2002 II, n° 289; Cass.civ. 2e, 20 nov. 2003, Bull 2003 II n° 356. 341 Cass.civ. 2 e, 16 sept. 2010, n° de pourvoi: 09-16843, unveröffentlicht; D. 2011, n 1, p. 41: Bei einem Eishockeypiel wurde ein Zuschauer durch den Puck verletzt. Eine Haftung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. wurde aber mangels festgestellter qualifizierter faute des Spielers verneint. 342 Bakouche, JCP G 2006.II.10000, p. 36. 343 Cass.civ. 2 e, 22 sept. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 233 (Judoturnier); CA Paris, 2 mai 2000, RCA 2001, comm. n° 52 (Motocross-Rennen). 344 Cass.civ. 2 e, 22 mai 1995, Bull.civ. 1995 II, n° 155; Cass.ass.plén., 29 juin 2007, Bull. A.P. 2007, n° 7.

C. Die Haftung von Organisationen

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nen Verein feststeht. In zeitlicher Hinsicht setzt die Haftung voraus, dass der Schaden bei Ausübung der organisierten Tätigkeit verursacht wurde. Die Vereinigung übt nur in diesem Zeitraum eine tatsächliche Kontrolle und Autorität über ihre Mitglieder aus.345 Die Haftpflicht des Vereins ist jedoch nicht unbegrenzt. Ein schädigendes Spielerverhalten außerhalb der sportlichen Aktivität kann dem Verein nicht zugerechnet werden.346 Ein Fußballverein muss nicht für den Schaden haften, den ein nicht eingewechselter Spieler von der Bank aus einem gegnerischen Spieler vorsätzlich zufügt.347 In der Haftungsbegrenzung zeigt sich die Anlehnung der Haftung von Amateursportvereinen an die Geschäftsherrenhaftung. Denn für einen Verrichtungsgehilfen, der außerhalb der ihm übertragenen Aufgabe einen Schaden verursacht (abus des fonctions), muss der Geschäftsherr nicht haften.348 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 zeigte sich die Cour de cassation allerdings großzügig bei der Zurechnung eines Spielerverhaltens349: Während eines Fußballspiels zog ein Spieler seinen Schuh aus und schlug und verletzte damit einen gegnerischen Spieler. Dieser verklagte die Fußballregionalliga, deren Mitglied der Schuhtäter war. Die Cour d’appel von Rouen verneinte die Haftung der verklagten Fußballregionalliga, da der Täter in dem Moment aufhörte Spieler zu sein, in dem er den Schuh auszog. Das Verhalten lag also außerhalb des eigentlichen Wettkampfes. Von einer Verletzung der Spielregeln könne nicht mehr die Rede sein.350 Die Cour de cassation hob die Entscheidung auf. Es genüge zur Bejahung der Haftung, dass sich das schädigende Verhalten auf dem Fußballplatz gelegentlich einer Auseinandersetzung während des Matches ereignet und der Spieler sich seines Schuhs als Waffe bedient habe, um einen Gegner zu verletzen. Mit dieser Entscheidung scheint die Cour de cassation der violation caractérisée des règles du jeu ein weites Verständnis zu geben und einen minimalen Zusammenhang zwischen dem Spiel und dem schädigenden Verhalten bereits ausreichen zu lassen.351 345 Der haftungsrechtlich relevante Zeitraum besteht bei sportlichen Aktivitäten nicht nur während eines Wettkampfes, sondern auch beim Training. Auch beim Traininig übt der Verein eine zur Situation beim Wettkampf vergleichbare Autorität über seine Spieler aus; vgl. Cass.civ. 2 e, 21 oct. 2004, Bull.civ. 2004 II, n° 477: Die Haftpflicht des Vereins wurde jedoch mangels nachgewiesener faute des Spielers während des Trainings verneint. Bakouche, JCP G 2006.II.10000, p. 35; Jourdain, RTD 2005, chr., p. 412, 413. 346 Bakouche, JCP G 2006.II.10000, p. 36. 347 CA Aix-en-Provence, 16 mars 2004, RCA 2004, comm. 248, obs. Radé. 348 Radé, note, RCA 2004, comm. 248, p. 16. 349 Cass.civ. 2 e, 8 juillet 2010, n° de pourvoi: 09-68212, unveröffentlicht; D. 2011, n° 1, p. 41. 350 Vgl. D. 2011, n° 1, p. 41. 351 Vgl. P.B., D. 2011, n° 1, p. 41, 42.

72

Erster Teil: Das französische Recht

Die Vereinigung kann sich von ihrer Haftung nicht durch den Nachweis einer fehlerfreien Aufsichtsführung, Organisation oder Anweisung der Mitglieder befreien. Auch die Haftung von Organisationen auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. ist eine responsabilité de plein droit.352 Im Ergebnis entspricht die Haftung von Organisationen nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. ihrer Struktur nach der Geschäftsherrenhaftung. Von der Rechtsprechung betroffen sind insbesondere Amateursportvereine. Profisportvereine haften nach Art. 1384 Abs. 5 C.c.

D. Zusammenfassung D. Zusammenfassung

Der Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. fehlen bis heute greifbare Tatbestandsmerkmale, die zweifelsfrei die Zuweisung eines Sachverhalts zum Anwendungsbereich der Norm ermöglichen. Vielmehr nähert sich die Cour de cassation dem Anwendungsbereich des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. kasuistisch.353 Dabei spielt der Versicherungsschutz des In-AnspruchGenommenen eine nicht unwesentliche Rolle.354 In der Unschärfe unterscheidet sich die Haftung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. von der allgemeinen Sachhalterhaftung gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 2 C.c., die durch die Tatbestandsmerkmale chose, fait de la chose und gardien einen klar umrissenen Anwendungsbereich erhalten hat. Derzeit kennt Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. zwei Hauptanwendungsfälle: Die Haftung von Betreuungspersonen, die aufgrund richterlicher Entscheidung die garde d’autrui über einen Minderjährigen oder geistig Behinderten ausüben, und die Haftung von Amateursportvereinen. Beide Anwendungsfälle haben sich nahtlos in das Haftungssystem des Art. 1384 C.c. eingefügt. Die Haftung aufgrund der garde d’autrui entspricht strukturell der Elternhaftung, die Haftung von Sportvereinen der Geschäftsherrenhaftung. Eine Ausdehnung der strikten Haftung auf weitere Anwendungsfälle ist derzeit nicht zu erwarten. Für den Bereich der Haftung von Organisationen ist in jüngerer Zeit die Tendenz der Cour de cassation zu erkennen, den Anwendungsbereich von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. wieder einzuschränken. Einer nach der Majorettes-Entscheidung befürchteten Ausuferung der Haftungsfälle scheint mit 352 Cass.civ 2 e, 12 déc. 2002, Bull.civ. 2002 II, n° 289; Cass.civ. 2e, 13 janv. 2005, Bull.civ. 2005 II, n° 10. 353 Laydu, note, D. 2007, p. 204, n° 5. 354 So zutreffend Mazeaud: „Dis-moi si tu es assuré, je te dirai si tu es responsable du fait d’autrui“, Defrénois 1996, Art. 36272, p. 360, Fundstelle bei Bloch, JCP G 2003.II.10097.

D. Zusammenfassung

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der Entscheidung zur Haftung von Gewerkschaften und von Jagdvereinen zunächst begegnet worden zu sein. Die Cour de cassation grenzt mittlerweile einzelne Organisationen explizit aus dem Anwendungsbereich des Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. aus.355 Vor diesem Hintergrund hat die Frage, ob Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. den Grundsatz einer allgemeinen Haftung für Andere begründet, nur untergeordnete Bedeutung. Einige Autoren sprechen explizit von einem „principe général de responsabilité du fait d’autrui“356 oder von einer „clause générale de responsabilité du fait des personnes dont on a la garde“.357 Festzuhalten ist, dass eine mit der allgemeinen Sachhalterhaftung vergleichbare Generalklausel für die Haftung für Andere, eine allgemeine Personenhaftung, im französischen Deliktsrecht nicht existiert. Zwar sind seit der Blieck-Entscheidung zahlreiche Fälle auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. entschieden worden. Die Cour de cassation zeigt sich jedoch zurückhaltend bei der Frage, ob Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. eine allgemeine Haftung für Andere enthält. Konsequent vermeidet sie allgemein gehaltene Formulierungen im Sinne von „on est responsable“.358 Auch greift sie nicht den Begriff „responsabilité générale“ auf, der teilweise ausdrücklich in Revisionsbegründungen verwendet worden ist.359 Es scheint als würde die responsabilité du fait d’autrui und im Speziellen Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. in jüngerer Zeit kaum noch Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben, die vor die Cour de cassation gelangen.360

355

So Gout, panorama, D. 2010, 51, 52. Vgl. Jourdain, chr., RTD 2003, p. 305, 306. 357 Remy, in: Pour une réforme du droit de la responsabilité civile (Hrsg. Terré), Paris 2011, p. 26. 358 Carval, La responsabilité délictuelle du fait d’autrui en droit français, in: European Tort Law, 2000, n° 23. 359 Laydu, note, D. 2007, p. 204, n° 5. 360 Vgl. Brun, D. 2011, n° 1, p. 41. 356

Zweiter Teil:

Das deutsche Recht A. Rechtsquellen Rechtsquellen

Das deutsche Deliktsrecht ist im BGB unter der Überschrift „Unerlaubte Handlungen“ in den §§ 823 bis 853 geregelt. § 823 Abs. 1, Abs. 2 und § 826 BGB normieren die Grundtatbestände, die durch die §§ 824 f., 831 ff. BGB ergänzt werden. Während die drei Grundtatbestände von allgemeiner Gültigkeit sind, präzisieren die Einzeltatbestände für bestimmte Sachverhalte die Voraussetzungen der Haftung des Schädigers.1 Für die vorliegende Arbeit von Interesse sind insbesondere die Einzeltatbestände der §§ 831 und 832 BGB, welche die Haftung für den Verrichtungsgehilfen sowie die Haftung des Aufsichtspflichtigen regeln. Eine Einstandspflicht für das schädigende Verhalten einer anderen Person kann des Weiteren wegen der Verletzung einer Verkehrspflicht auf § 823 Abs. 1 BGB gestützt werden. Das deutsche Deliktsrecht unterscheidet die Verschuldenshaftung und die Gefährdungshaftung. Gefährdungshaftungstatbestände hat der Gesetzgeber nur für bestimmte Einzelfälle vorgesehen.2 Im BGB ist allein die Haftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB als Gefährdungstatbestand ausgestaltet. Für die Haftung für Andere hat der Gesetzgeber auf einen solchen Einzeltatbestand verzichtet. Er lässt sich nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung begründen. Dem deutschen Recht fehlt eine mit Art. 1384 Abs. 1 C.c. vergleichbare Generalnorm, die eine strikte Haftung anordnet und Anknüpfungspunkt einer Erweiterung sein könnte. Außerdem hat die Rechtsprechung es bisher abgelehnt, neue Gefährdungstatbestände im Wege der Analogie zu schaffen.3 Die Gefährdungshaftung unterscheidet sich von den restlichen Haftungstatbeständen des Deliktsrechts dadurch, dass sie keine Pflichtwidrigkeit des schädigenden Verhaltens voraussetzt. Dennoch sind die Übergän1

Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 94. Eine Übersicht findet sich etwa bei Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 516 ff. 3 BGHZ 55, 229, 234; BGHZ 63, 234, 237; vgl. Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, Vor § 823 Rn 24; Fuchs, Deliktsrecht, 7. Aufl. 2009, S. 235; kritisch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 515. 2

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

ge zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung fließend.4 Die Haftung wegen einer Sorgfaltspflichtverletzung nähert sich einer verschuldensunabhängigen Einstandspflicht an, wenn an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt so hohe Anforderungen gestellt werden, dass sie der Betroffene faktisch gar nicht erfüllen kann.5 Scharfe Anforderungen an die einzuhaltende Sorgfalt können insbesondere bei gefährlichen Aktivitäten geboten sein und sind durchaus mit dem Verschuldensprinzip vereinbar. Zu denken sind etwa an Verhaltenspflichten, die den Umgang mit Zündmitteln regeln. Ob die Einstandspflicht für das schädigende Verhalten anderer Personen im deutschen Recht faktisch als strikte Haftung ausgestaltet ist, hängt also von den Anforderungen ab, welche die Rechtsprechung an die Aufsichtsund Überwachungspflichten des Haftpflichtigen stellt.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen B. Die Haftung von Betreuungspersonen

I. Die Haftung wegen Verletzung einer Aufsichtspflicht nach § 832 BGB Die Vorschrift des § 832 BGB lautet wie folgt: „Absatz 1: Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, dem diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. Absatz 2: Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.“

Bereits die Gesetzeslektüre verdeutlicht Unterschiede zum französischen Recht. Anders als Art. 1384 Abs. 4 C.c. regelt § 832 BGB nicht nur die Haftung für das schädigende Verhalten von Minderjährigen, sondern darüber hinaus die Haftung für das schädigende Verhalten von geistig oder körperlich Behinderten. Die seit Inkrafttreten des BGB vom Anwendungsbereich des § 832 BGB erfasste Gruppe schädigender Personen musste daher nicht wie im französischen Recht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung erweitert werden. Und anders als Art. 1384 Abs. 4 C.c., der erst durch die französische Rechtsprechung als verschuldensunabhängige 4 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, S. 189, 271, 272; Larenz/Canaris, SBT II, § 75 I 2 d. 5 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, S. 189, 287; Larenz/Canaris, SBT II, § 76 III 7 b.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Haftung ausgestaltet wurde, bestimmt § 832 BGB ausdrücklich eine Haftung für widerlegbares Verschulden. Und anders als bei Art. 1384 Abs. 4 C.c. fällt unter die Haftungsregel des § 832 BGB nicht nur die Elternhaftung, sondern auch die Haftung aufgrund anderer gesetzlich bestehender oder vertraglich übernommener Aufsichtspflichten. In Anlehnung an die Untersuchung zum französischen Recht befasst sich die folgende Darstellung in erster Linie nicht mit der Elternhaftung, sondern mit der Haftung von sonstigen Betreuungspersonen. Allerdings betrifft die Mehrheit der zu § 832 BGB ergangenen Entscheidungen die Haftung der Eltern, so dass ihre Einbeziehung unumgänglich ist. 1. Zweck der Vorschrift Minderjährige und geistig oder körperlich Behinderte können aufgrund ihres Entwicklungsstandes nicht die für Erwachsene übliche und erforderliche Sorgfalt im Verkehr anwenden. Sie stellen daher eine erhöhte Gefahr für Rechtsgüter Anderer dar. Die Schadensverursachung durch Kinder und aufsichtsbedürftige Erwachsene gehört jedoch nicht primär zu dem von der Allgemeinheit zu tragenden Lebensrisiko.6 Nach dem Grundgedanken des § 832 BGB soll der Aufsichtspflichtige dieses Risiko tragen, denn er kann aufgrund seiner Einwirkungsmöglichkeit auf den Aufsichtsbedürftigen die Gefahr am ehesten beherrschen.7 Er kann entscheiden, zu welcher Gefahrenquelle sein Schutzbefohlener Zugang erhält.8 Grund für die Haftung nach § 832 BGB ist der Verkehrspflichtgedanke.9 Dem Aufsichtspflichtigen obliegt die Sicherung des erhöhten Risikos, das Kinder und aufsichtsbedürftige Erwachsene für Dritte darstellen können. Die Vorschrift dient daher allein dem Schutz der Allgemeinheit und begründet eine Einstandspflicht nur für Schäden, die der Aufsichtsbedürftige Dritten zugefügt hat.10 2. Rechtsnatur der Haftung Die Vorschrift des § 832 Abs. 1 BGB vermutet eine Aufsichtspflichtverletzung des Aufsichtspflichtigen, wenn der Aufsichtsbedürftige einen Schaden widerrechtlich verursacht hat. Anknüpfungspunkt der Haftung aus § 832 BGB ist nicht ein positives Tun, sondern ein Unterlassen des Auf6

BGH NJW 1990, 2553, 2554; BGH NJW 1995, 3385, 3386. BGH NJW 1995, 3385, 3386; BGH NJW 2009, 1952, 1953; Larenz/Canaris, SBT II, § 79 IV 1a. 8 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 2. 9 Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 1. 10 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 4. Keine Dritte im Sinne des § 832 BGB sind Aufsichtspflichtige selbst. Ersatz nach § 832 BGB soll nur verlangen können, wer sich nicht selbst um den Aufsichtsbedürftigen zu kümmern hat; vgl. OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 409. 7

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

sichtspflichtigen.11 Dessen eigenes pflichtwidriges Verhalten löst die Haftung aus.12 Dogmatisch basiert die Haftung des Aufsichtspflichtigen also auf dem Verschuldensprinzip. Die Formeln „Eltern haften für ihre Kinder“ und „Haftung für Andere“ sind also irreführend. Eltern und sonstige Betreuungspersonen haften weder für die Tat noch für das Verschulden des Aufsichtsbedürftigen.13 Rechtspraktisch bewirkt die Beweislastumkehr jedoch eine Schwächung des Verschuldensprinzips. Sie findet nach überwiegender Ansicht des Schrifttums ihre Begründung in der Tatsache, dass die Schadenszufügung aus der Sphäre des Aufsichtspflichtigen stammt und dieser daher besser als der Geschädigte im Stande ist, die Gründe seines Verhaltens darzutun.14 Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien folgte dieser Betrachtungsweise bereits der historische Gesetzgeber. Zwar sah die Erste Kommission eine Haftung des Aufsichtspflichtigen nur bei nachgewiesenem Verschulden vor, doch kehrte die Zweite Kommission die Beweislast unter Berufung auf die erleichterte Beweiserbringung durch den Aufsichtspflichtigen um.15 Nach einem Teil des Schrifttums kann diese Erklärung die Beweislastumkehr jedoch nicht tragen. Eine Rechtfertigung erfahre die Beweislastumkehr allein aus dem Umstand, dass die Aufsichtspflicht eine gesetzliche Pflicht sei. Der Pflichtige habe Rechenschaft darüber abzulegen, was er zur Erfüllung der gesetzlichen Pflicht getan habe.16 Auch dieses Argument findet sich in den Gesetzesmaterialien.17 Andere rechtfertigen die Beweislastumkehr aus Veranlassungs- und Präventionserwägungen.18 Die verschärfte Haftung soll zu einer Schärfung des Gewissens bei der Aufsichtsführung und somit zu einer Unfallverhütung beitragen. 3. Anwendungsbereich Die Haftung nach § 832 BGB ist von dem öffentlich-rechtlichen Haftungsanspruch des § 839 BGB iVm Art. 34 GG abzugrenzen. Das öffentliche Recht ist nicht bereits berührt, wenn sich der Schadensverursacher unter der Aufsicht einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, wie etwa einer Landesklinik, befand. Vielmehr muss die öffentlich-rechtliche Einrichtung in Bezug auf den Beaufsichtigten hoheitlich tätig geworden sein. Zwischen 11

Larenz/Canaris, SBT II, § 79 IV 1 b. Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 5. 13 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 466. 14 Larenz/Canaris, SBT II, § 79 IV 1b; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 3; Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 1. 15 Mugdan II, S. 1090. 16 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 3. 17 Mugdan II, S. 1090. 18 Weimar, MDR 1962, 356, 357; Deutsch, JZ 1969, 233, 234. 12

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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dem Aufsichtspflichtigen und dem Beaufsichtigten muss eine öffentlichrechtliche und keine privatrechtliche Beziehung bestanden haben. Eine öffentlich-rechtliche Beziehung ist bei verbeamteten und angestellten Lehrern an öffentlichen Schulen anzunehmen.19 Die kraft Gesetz auferlegte Pflicht zur Beaufsichtigung der minderjährigen Schüler ist eine Amtspflicht, die Lehrern auch gegenüber gefahrbedrohten Dritten obliegt.20 Ebenso handelt der Amtsvormund in Ausübung eines öffentlichen Amtes und ist anders als der private Vormund nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG einstandspflichtig.21 Auch die Haftung des Trägers und der Mitarbeiter einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt ist nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG zu beurteilen. Bei der Einweisung eines Patienten nach den Unterbringungsgesetzen der Länder handelt es sich um eine Zwangsbehandlung, bei der der Staat zur Gefahrenabwehr tätig wird.22 Die Verwahrung und Behandlung des Insassen erfolgt daher grundsätzlich öffentlichrechtlich.23 Außer in den Fällen einer Zwangsunterbringung ist bei freiwilligem Eintritt in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus die Haftung nur dann nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG zu beurteilen, wenn das Benutzungsverhältnis hoheitsrechtlich ausgestaltet ist, die Rechtssätze des Krankenhauses also ein Über- und Unterordnungsverhältnis statuieren.24 In offenen Anstalten und sonstigen Behandlungseinrichtungen und Krankenhäusern ist die Beziehung zwischen dem Patienten und der Einrichtung und deren Mitarbeitern jedoch in der Regel privatrechtlich organisiert, und zwar unabhängig davon, ob der Patient aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder aufgrund einer Einweisung nach Bestimmungen des öffentlichen Rechts aufgenommen wurde.25 Maßgeblich ist allein, dass im Vordergrund des Aufenthaltes die Heilbehandlung des Patienten steht, welche regelmäßig keine Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG darstellt.26 Bei staatlichen Kinder- und Jugendheimen27 und städtischen Kindergärten28 ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Mitarbeiter einer hoheit19

Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 22. BGH NJW 1954, 874. 21 BGH NJW 1987, 2664. 22 Vgl. § 1 Abs. 4 UBG (BW). 23 BGH NJW 1963, 40; BGH NJW 1985, 677, 678. 24 BGH NJW 1963, 40, 41, 42; Marburger, VersR 1971, 777, 780: Ein Über- und Unterordnungsverhältnis ist anzunehmen, wenn die Hausordnung und Dienstanweisung weitgehende Freiheitsbeschränkungen der Patienten vorsehen und diese auch gegenüber freiwillig Untergebrachten mit obrigkeitlichen Mitteln durchgesetzt werden können. 25 BGH NJW 1973, 554, 555; BGH NJW 1985, 677, 678. 26 LG Bremen NJW-RR 1999, 969; BGH NJW 1985, 677, 678. 27 Bejahend OLG Dresden NJW-RR 1997, 857, 858; offen gelassen OLG Hamburg, NJW-RR 1988, 799. 28 Bejahend OLG Düsseldorf NVwZ 1997, 207; OLG Karlsruhe OLGR 2006, 426, 427; offen gelassen OLG Köln NVwZ-RR 2000, 75. Nach Albilt, Haften Eltern für ihre 20

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

lichen Tätigkeit nachgehen und ihnen die Beaufsichtigung der Kinder als Amtspflicht obliegt. Zu bedenken ist, dass für Kindergärten im Gegensatz zu öffentlichen Schulen kein Besuchszwang besteht, und dass weder Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Kindergartenkinder durchgesetzt noch „Disziplinargewalt“ gegenüber den Kindern ausgeübt werden können. Gerade der Vergleich zu den öffentlichen Schulen spricht für eine privatrechtliche Ausgestaltung der Beziehung zwischen Kindergartenträger und Benutzern.29 Sind die Voraussetzungen der Amtshaftung nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG gegeben, so findet § 832 BGB daneben keine Anwendung.30 Für die Bestimmung des Inhalts der Aufsichtspflicht macht es keinen Unterschied, ob nach den Grundsätzen der Amtshaftung oder nach der Vorschrift des § 832 BGB gehaftet wird. Die an den Umfang der Aufsichtspflicht zu stellenden Anforderungen sind im Rahmen von § 832 BGB und § 839 BGB gleich zu beurteilen.31 Die Frage nach dem anwendbaren Rechtsgebiet ist aber für die Regelung der Darlegungs- und Beweislast von großer Bedeutung. Die Vermutung der Aufsichtspflichtverletzung des § 832 BGB ist dem Anspruch aus § 839 BGB iVm Art. 34 GG fremd. Ist das öffentliche Recht einschlägig, hat der Geschädigte den Nachweis einer Aufsichtspflichtverletzung zu erbringen. Sieht man von der Tatsache ab, dass der Geschädigte bei Vorgehen gegen den Staat stets einen leistungsfähigen Schuldner hat, ist die Anwendbarkeit von § 832 BGB für den Geschädigten günstiger.32 Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung ist die Beweislastumkehr des § 832 BGB nicht auf § 839 BGB iVm Art. 34 GG übertragbar.33 In einem neueren Urteil des OLG Köln und von Teilen der Literatur wird eine analoge Anwendung der Beweislastumkehr jedoch vermehrt gefordert.34 Ihre Befürworter verweisen darauf, dass eine analoge Anwendung der Beweislastumkehr auf die Amtshaftung im Rahmen der Haftung für Tiere (§ 833 S. 2 BGB), für den Zustand eines Gebäudes (§ 836 Abs. 1 S. 2 BGB) und im Straßenverkehr (§ 18 Abs. 1 S. 2 StVG)

Kinder?, 1987, S. 287, 288 gibt es im gesamten Kindergartenbereich keine Amtshaftung für Aufsichtspflichtverletzungen, unabhängig davon, ob der Kindergarten als private, kommunale oder kirchliche Einrichtung geführt wird. 29 Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 287, 288. 30 BGH NJW 1954, 874, 875. 31 BGH NJW 1985, 677, 678; OLG Köln NVwZ-RR 2000, 75. 32 BGH NJW 1954, 874, 875; OLG Dresden NJW-RR 1997, 857, 85833 BGH NJW 1954, 874, 875; OLG Dresden NJW-RR 1997, 857, 858; OLG Düsseldorf NVwZ 1997, 207, OLG Karlsruhe OLGR 2006, 426, 427. 34 OLG Köln NVwZ-RR 2000, 75, 76; Mertens, MDR 1999, 998, 999; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 167; für eine einheitliche Anwendung der Beweislastumkehr bereits Marburger, VersR 1971, 777, 788.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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von der Rechtsprechung anerkannt ist.35 Die Ratio der Beweislastumkehr des § 832 Abs. 1 S. 2 BGB greife unabhängig davon, ob die Beziehung zwischen dem Beaufsichtigten und dem Aufsichtspflichtigen privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sei. In beiden Fällen könne der Aufsichtspflichtige besser als der Geschädigte Auskunft geben, welche Maßnahmen er zur Vermeidung der Rechtsgutsverletzung durch den Beaufsichtigten getroffen hat.36 Dem ist zuzustimmen. Für den Geschädigten macht es keinen Unterschied, ob der geistig Behinderte, der sein Ferienhaus anzündet, einer geschlossenen oder einer offenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses unbefugt entwichen ist. In beiden Fällen fehlt dem Geschädigten der für den Beweis erforderliche Einblick in die internen Überwachungsvorgänge des Krankenhauses. Die Beweislastumkehr des § 832 Abs. 1 S. 2 BGB kommt dem Geschädigten jedoch nur im zweiten Fall zugute, da nur psychisch Kranke einer offenen Abteilung in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis stehen. Dem Vorteil des Staatshaftungsanspruchs steht der schwerwiegende Nachteil gegenüber, die Aufsichtspflichtverletzung der Amtsperson nachweisen zu müssen. 4. Haftungsvoraussetzungen Die Vorschrift des § 832 BGB knüpft an die Aufsichtsbedürftigkeit des Schädigers, die Aufsichtspflicht des Haftenden und die widerrechtliche Schadenszufügung des Aufsichtsbedürftigen an. a) Aufsichtsbedürftige Personen Minderjährige sind aufsichtsbedürftig im Sinne des § 832 BGB, und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang im Einzelfall eine Betreuung erforderlich ist.37 Die generelle Aufsichtsbedürftigkeit von Minderjährigen ergibt sich aus § 1631 BGB.38 Wie in Frankreich endet sie mit Eintritt der Volljährigkeit (vgl. § 2 BGB), auch wenn das volljährig gewordene Kind weiterhin im Haushalt seiner Eltern lebt.39 Volljährige sind aufsichtsbedürftig, wenn ihr geistiger oder körperlicher Zustand im Einzelfall eine Beaufsichtigung erfordert. Dieses Erfordernis kann bei psychisch Kranken und geistig oder körperlich Behinderten, bei Epileptikern, Taub-

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Vgl. Nachweise bei Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 167. Mertens, MDR 1999, 998, 999; Marburger, VersR 1971, 777, 788 37 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 9; OLG München VersR 1954, 544, 545. 38 BGH VersR 1965, 137, 138. 39 BGH NJW 1958, 1775. 36

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

stummen oder Blinden erfüllt sein. Allein die Anordnung einer Betreuung genügt nicht.40 b) Aufsichtspflichtige Personen Eine Aufsichtspflicht kann durch Gesetz (Abs. 1) oder durch Vertrag (Abs. 2) begründet werden. aa) Durch Gesetz aufsichtspflichtige Personen Wer durch Gesetz zur Aufsicht eines Minderjährigen oder aufsichtsbedürftigen Volljährigen verpflichtet ist, bestimmt sich in erster Linie nach den familienrechtlichen Vorschriften des BGB. Bei Minderjährigen regelt § 1631 Abs. 1 BGB die Aufsichtspflicht desjenigen, der die Personensorge innehat. Die Personensorge üben in der Regel die Eltern oder, bei nicht ehelichen Kindern, in der Regel die Mutter als Teil des elterlichen Sorgerechts gemäß §§ 1626 Abs. 1, 1626a Abs. 1, 1626a Abs. 2 BGB aus. Nach Scheidung der Ehe und bei dauerndem Getrenntleben während fortbestehender Ehe bleibt das gemeinsame Sorgerecht bestehen. Auf Antrag entscheidet das Familiengericht, welchem Elternteil die elterliche Sorge zusteht (§§ 1671, 1672 BGB). Für Adoptiveltern bestimmt sich die Personensorge nach § 1754 Abs. 3 iVm § 1626 Abs. 1 BGB. Steht der Minderjährige unter Vormundschaft, so ist der Vormund gemäß §§ 1793 Abs. 1, 1800 BGB Inhaber der Personensorge des Mündels. Die Aufsichtspflicht des kraft Gesetzes Erziehungsberechtigten wird unterbrochen, wenn der Minderjährige als ultima ratio in einer Pflegefamilie oder in einem Heim untergebracht wird und daher das Sorgerecht durch den ursprünglich Erziehungsberechtigten faktisch nicht ausgeübt werden kann.41 Die Unterbringung in einer Betreuungseinrichtung oder in einer anderen Familie kann im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 33, 34 SGB VIII, im Rahmen der Erziehungsmaßregeln gemäß §§ 9 Nr. 2, 12 Nr. 2 JGG oder im Rahmen der Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls gemäß § 1666a BGB angeordnet werden. Kehrt der Minderjährige infolge Beurlaubung oder Entweichens zu dem kraft Gesetz Erziehungsberechtigten zurück, so lebt dessen Aufsichtspflicht wieder auf.42 Wurde das Sorgerecht den Eltern hingegen entzogen und einem Dritten übertragen, so kommt es auch dann nicht zu einem Wiederaufleben der gesetzlichen Aufsichtspflicht, wenn sich der Minderjährige tatsächlich wieder bei seinen 40 Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 4; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 10. 41 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 19. 42 RGZ 98, 246, 247.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Eltern aufhält. Eine vom Sorgerecht losgelöste gesetzliche Aufsichtspflicht der Eltern existiert nicht.43 Während der Zeit der Unterbringung obliegt die Aufsichtspflicht der Pflegefamilie bzw. der Betreuungseinrichtung. Bei Volljährigen ist eine gesetzliche Aufsichtspflicht allein durch das Institut der Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) denkbar.44 Nach der Rechtsprechung ist der Betreuer aufsichtspflichtig, wenn das Betreuungsgericht ihm entweder die gesamte Personensorge für den Volljährigen zugewiesen oder ausdrücklich die Beaufsichtigung des Betreuten angeordnet hat.45 Weder die Übertragung der Vermögenssorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts46 noch die Übertragung des Aufgabenkreises Wohnungsangelegenheiten47 begründen eine gesetzliche Aufsichtspflicht. Bernau/Rau/ Zschieschack weisen darauf hin, dass in der Praxis die gesamte Personensorge selten übertragen wird, und äußern Bedenken über die Zulässigkeit der Übertragung des Aufgabenbereichs „Aufsichtspflicht“. Erstens könnten nur Aufgaben übertragen werden, die der Betreute selbst nicht mehr wahrnehmen kann. Bei der Aufsichtspflicht handele es sich um eine Pflicht, die begriffsnotwendig für einen Dritten besteht und daher erst originär beim Betreuer begründet werden könne.48 Zweitens sei primäre Aufgabe des Betreuers, Schaden vom Betreuten abzuwenden und nicht von Dritten. Die „Beaufsichtigung“ sei nicht in den Pflichtenkatalog des Betreuers gemäß §§ 1896 ff. BGB aufgenommen, was den Betreuer bereits formal von Eltern und Vormund unterscheide. Inhaltlich habe der Betreuer eine unterstützende und keine erzieherische Aufgabe. Rein praktisch könne der Betreuer eine Aufsichtspflicht nur durch freiheitsentziehende Maßnahmen wie die Heimunterbringung erfüllen.49 Eine Aufsichtspflicht lässt sich auch nicht in analoger Anwendung des § 832 Abs. 1 BGB aufgrund eines tatsächlichen Näheverhältnisses zwischen Betreuer und Betreutem begründen.50 Nach der Rechtsprechung sind bei Unzurechnungsfähigkeit eines Erwachsenen weder dessen Ehepartner51 noch dessen Eltern52 oder dessen 43

OLG Düsseldorf NJW 1959, 2120, 2121. Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 3; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 15. Mit der Ersetzung der Vormundschaft für Volljährige durch die Betreuung ist die Pflegschaft nach § 1909 BGB für Volljährige weggefallen. Die Begründung einer gesetzlichen Aufsichtspflicht durch die Bestellung eines Pflegers ist daher nicht mehr möglich, so aber Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 24. 45 OLG Düsseldorf, Urteil v. 26.8.2009, Az: 15 U 26/09; LG Bielefeld NJW 1998, 2682, 2683. 46 LG Bielefeld NJW 1998, 2682, 2683. 47 OLG Düsseldorf, Urteil v. 26.8.2009, Az: 15 U 26/09. 48 Bernau/Rau/Zschieschack, NJW 2008, 3756, 3758. 49 Bernau/Rau/Zschieschack, NJW 2008, 3756 ff. 50 Bernau/Rau/Zschieschack, NJW 2008, 3756, 3759. 51 RGZ 70, 48, 50 f; bezüglich einer möglichen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB: 2. Teil B. II. 44

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Kinder kraft Gesetzes aufsichtspflichtig. Dies gebietet das Autonomieprinzip, nach dem erwachsene Menschen für sich selbst verantwortlich sind und auch dann keiner „gesetzlichen Aufsicht“ unterliegen, wenn sie tatsächlich einer Beaufsichtigung bedürfen.53 In der Praxis sind Fälle der gesetzlichen Aufsichtspflicht über Erwachsene daher selten und beschäftigen die Gerichte kaum.54 bb) Durch Vertrag aufsichtspflichtige Personen Die Aufsicht über eine aufsichtsbedürftige Person kann gemäß § 832 Abs. 2 BGB auch vertraglich übertragen werden. Die vertragliche Übernahme der Aufsicht setzt keine gesetzliche Aufsichtspflicht über die aufsichtsbedürftige Person voraus. Eine Betreuungseinrichtung, die einen aufsichtsbedürftigen Volljährigen aufnimmt, der nicht unter einer Betreuung im Sinne der §§ 1896 ff. BGB steht, haftet somit verschärft gemäß § 832 Abs. 1, Abs. 2 BGB.55 Der Aufsichtsvertrag muss weder mit dem kraft Gesetzes Aufsichtspflichtigen noch mit dem Aufsichtsbedürftigen selbst geschlossen werden.56 Auch ein Jugendamt kann die Aufsicht über ein schwer erziehbares Kind auf ein privates Heim wirksam übertragen. 57 Der Aufsichtsvertrag kann ausdrücklich oder stillschweigend geschlossen werden.58 In den seltensten Fällen ist die Übernahme der Aufsichtspflicht expliziter Inhalt des Vertrages.59 An die stillschweigende Übernahme der Aufsichtspflicht nach § 832 Abs. 2 BGB sind nach der Rechtsprechung des BGH keine allzu großen Anforderungen zu stellen, wobei es stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Eine konkludente vertragliche Aufsichtsübernahme ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die aufsichtsbedürftige Person für längere Zeit und mit weitreichender Einwirkungsmöglichkeit in fremde Obhut gegeben wird, so dass eine Beaufsichtigung durch den gesetzlich

52 RGZ 92, 125, 126; BGH NJW 1958, 1775; bezüglich einer möglichen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB: 2. Teil B. II. 53 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 14. 54 Vgl. Bernau/Rau/Zschieschack, NJW 2008, 3756. 55 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 16. Dies geht bereits aus den Gesetzesmaterialien hervor, Mugdan II, S. 1301. Die Zweite Kommission strich bewusst die Worte „für den kraft Gesetzes Verpflichteten“ aus § 832 Abs. 2 BGB. 56 Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 6; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 17; Bernau, Die Aufsichtshaftung der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 47. 57 Hiervon wird in BGH VersR 1965, 48 ausgegangen. 58 BGH NJW 1985, 677, 678. 59 OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 409.

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Verpflichteten faktisch unmöglich ist.60 Kernproblem im Rahmen des § 832 Abs. 2 BGB ist die Abgrenzung der stillschweigenden Aufsichtsübernahme aus Vertrag von der rein tatsächlichen Obhutsübernahme aus Gefälligkeit, die nach h.M. für die Einstandspflicht nach § 832 BGB nicht ausreicht.61 (1) Die stillschweigende Übernahme der Aufsichtspflicht Von einer rechtsgeschäftlichen Übernahme der Aufsicht ist auszugehen, wenn der sonstige Inhalt des Vertrages die Übernahme auch der Aufsichtsführung als selbstverständlich erscheinen lässt.62 Sind Unterkunft, Pflege oder Betreuung gegen Entgelt Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung, geht die Aufsichtspflicht stillschweigend als Nebenpflicht über.63 Ein stillschweigender Übergang der Aufsichtspflicht ist typischerweise bei der Aufnahme von Kindern und aufsichtsbedürftigen Volljährigen in Krankenhäuser64, offenen psychiatrischen Kliniken65, therapeutischen Wohngruppen66, Heilerziehungs- und Pflegeheimen67, Behindertenwerkstätten68, privaten Kinderheimen69, Pflegefamilien, privaten Schulen und Kindergärten70 und bei der Betreuung durch Tagesmütter und Kindermädchen71 anzunehmen. Gleiches gilt für den Veranstalter eines Pfadfinderlagers, Jugendlagers oder Feriencamps, der mit den Eltern des minderjährigen Kindes einen Betreuungsvertrag abschließt72, sowie für den Betreiber einer Kinderhüpfburg.73 60 BGH NJW 1968, 1874; BGH NJW 1976, 1145, 1146; LG Bremen NJW-RR 1999, 969. 61 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 30; Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 196; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 463; Berning/Vortmann, JA 1986, 12, 15. 62 BGH NJW 1985, 677, 678. 63 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 17. 64 BGH NJW 1976, 1145, 1146 65 BGH NJW 1985, 677, 678; LG Bremen NJW-RR 1999, 969; OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 409. 66 AG Königswinter NJW-RR 2002, 748. 67 OLG Koblenz NJW-RR 1997, 345. 68 OLG Hamm NJW-RR 1994, 863, 864. 69 BGH VersR 1965, 48. 70 Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 5. 71 OLG Oldenburg NJW-RR 1995, 983; Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 6; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 38. 72 OLG München VersR 1979, 747; LG Landau NJW 2000, 2904; OLG Frankfurt NJW-RR 2008, 975; hingegen begründete der BGH in NJW 1984, 789, 790 die Aufsichtspflichtverletzung eines ehrenamtlich tätigen Pfadfinder-Stammesführers gemäß § 823 Abs. 1 BGB, ohne § 832 Abs. 2 BGB zu erwähnen. 73 OLG Köln, Urteil v. 23.2.2010, Az: 3 U 89/08.

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Ein stillschweigender Übergang der Aufsichtspflicht ist hingegen bei der Aufnahme in ein offenes Pflege- oder Altenheim nicht ohne Weiteres anzunehmen.74 Aus den allgemeinen vertraglichen Beziehungen bei einer Heimaufnahme und der tatsächlichen Unterwerfung unter die Heimordnung des Heimbewohners kann auf eine konkludent übernommene Aufsichtsführung nicht geschlossen werden. Hierzu bedarf es vielmehr eines besonderen Aufnahmevertrages, der die Beaufsichtigung des Heimbewohners beinhaltet.75 Bei minderjährigen Babysittern, die ein fremdes Kind für kürzere Zeit gegen Entgelt in ihre Obhut nehmen, ist wegen der haftungsrechtlichen Konsequenzen sorgsam zu prüfen, ob tatsächlich ein Vertrag oder bloß eine reine Gefälligkeit vorliegt.76 Wird ein Übernahmevertrag angenommen, ist dessen Wirksamkeit anhand der §§ 106 ff. BGB zu untersuchen. Nur die Einwilligung nach § 107 BGB, die Genehmigung nach § 108 BGB und die Ermächtigung nach § 113 BGB können zur Wirksamkeit des Übernahmevertrages und somit zu einer Einstandspflicht des minderjährigen Babysitters gegenüber Dritten nach § 832 Abs. 1 BGB führen. Eine analoge Anwendung des § 110 BGB bei fehlender konkreter Einwilligung der Eltern ist abzulehnen. Die Arbeitskraft des Minderjährigen ist nicht unter das Merkmal der zur freien Verfügung gestellten Mittel zu subsumieren.77 Ob der Stiefelternteil für die durch sein Stiefkind verursachten Schäden haftet, war in der Rechtsprechung lange Zeit umstritten. Die ältere Rechtsprechung verneinte zwar eine stillschweigende vertragliche Aufsichtsübernahme, bejahte aber eine Aufsichtspflicht aus der nach § 823 BGB bestehenden allgemeinen Rechtspflicht des Hausherrn, Schädigungen Dritter zu vermeiden.78 Die neuere Rechtsprechung bejaht konsequent eine Aufsichtspflicht des Stiefelternteils gemäß § 832 Abs. 2 BGB: 79 Von einer stillschweigenden vertraglichen Übernahme der Aufsichtspflicht durch den Stiefelternteil muss ausgegangen werden, wenn der das Sorgerecht ausübende Ehepartner sich darauf verlassen kann, dass sein Kind auch während seiner Abwesenheit durch den sorgerechtslosen, aber im selben Haushalt lebenden Ehepartner beaufsichtigt wird.80 Die neuere Rechtsprechung stößt in der Literatur auf allgemeine Zustimmung. 81 74

OLG München NJW 1966, 404; OLG Celle NJW 1961, 223. OLG München NJW 1966, 404; OLG Celle NJW 1961, 223. 76 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 40. 77 Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 39. 78 OLG Schleswig JZ 1954, 259; OLG Düsseldorf VersR 1976, 1133. 79 OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 857. 80 OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 857. 81 Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 5; Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 6; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 37. 75

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Auch Mitglieder einer sogenannten Patchwork-Familie82 sollten für Schäden der im selben Haushalt lebenden Kinder des Lebensgefährten haften. Denn der Patchwork-Elternteil hat ebenso wie der Stiefelternteil über das im selben Haushalt lebende Kind des Lebensgefährten eine weitreichende Obhut von längerer Dauer und weitgehende Einwirkungsmöglichkeiten, da er in der Regel elterliche Aufgaben und Rollen auch gegenüber seinem nicht leiblichen Kind übernimmt. Das Argument des mangels Heirat fehlenden Rechtsbindungswillens kann im Hinblick auf die gewandelten Familienverhältnisse und Gesellschaftsanschauungen nicht überzeugen.83 Ebenso übernimmt der sorgerechtslose Elternteil stillschweigend die Aufsichtspflicht gemäß § 832 Abs. 2 BGB, wenn sich sein Kind im Rahmen des Umgangsrechts aus § 1684 BGB für kürzere oder längere Zeit bei diesem aufhält. Während des Aufenthaltes tritt der sorgerechtslose Elternteil hinsichtlich der Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind an die Stelle des sorgeberechtigten Elternteils.84 Nach Ansicht der Literatur ist der sorgerechtslose Elternteil während der Ausübung seines gesetzlichen Umgangsrechts auch verpflichtet, sein Kind zu beaufsichtigen, so dass hieraus eine gesetzliche Aufsichtspflicht analog § 832 Abs. 1 BGB folgt.85 Für die Annahme einer gesetzlichen Aufsichtspflicht spricht, dass der sorgeberechtigte Elternteil bzw. der Pfleger oder (Amts-)Vormund von Gesetzes wegen seine Aufsichtspflicht nicht wahrnehmen kann, da das Kind während des Umgangs seiner Eingriffssphäre entzogen ist. (2) Abgrenzung des konkludenten Übernahmevertrages von der Gefälligkeit Die wohl größte und bedeutendste Problematik im Rahmen des § 832 Abs. 2 BGB besteht in der Abgrenzung einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung von einer Gefälligkeit des täglichen Lebens bei unentgeltlich übernommener Betreuung fremder Kinder durch Verwandte, Nachbarn oder jugendliche Babysitter. Nach h.M. entsteht bei einer rein tatsächlichen Übernahme der Aufsicht aus Gefälligkeit keine Aufsichtspflicht im Sinne des § 832 Abs. 2 BGB. Vielmehr muss sich der Übernehmende den mit der Aufsichtsübernahme verbundenen Rechtsfolgen bewusst unterwer-

82 Nach Bernau wird eine Patchwork-Familie als eine in einem gemeinsamen Haushalt lebende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit mindestens einem Kind definiert, welches nur vom dafür sorgeberechtigten Partner abstammt, FamRZ 2006, 82, 87. 83 Bernau, FamRZ 2006, 82, 86. 84 Nachweis bei Bernau, FamRZ 2006, 82, 84. 85 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 14 (für eine vertragliche Aufsichtsübernahme hingegen Rn 37); Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 10.

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fen.86 Der Rechtsbindungswille ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Starre Kriterien sind dabei untauglich.87 Für die Feststellung des Rechtsbindungswillens wird abgestellt auf Kriterien wie Zweck, Dauer und Regelmäßigkeit der Beaufsichtigung sowie das Interesse der Beteiligten und die Größe des übernommenen Risikos.88 So kommt es auf die Entgeltlichkeit der Übernahme zwar nicht an89, diese entfaltet jedoch Indizwirkung. Entscheidend ist, ob die Aufsicht gerade im Hinblick auf den Schutz Dritter und in dem Bewusstsein übernommen wurde, dass dem originär Aufsichtspflichtigen die Aufsichtsführung räumlich und zeitlich während der Betreuungszeit nicht möglich ist.90 Der Wille, die Aufsicht zu übernehmen, muss für einen Dritten erkennbar sein.91 Übernimmt ein nicht voll geschäftsfähiger Babysitter die Beaufsichtigung eines Kindes, so wird grundsätzlich weder der Übertragende noch der Rechtsverkehr darauf vertrauen dürfen, dass der Übernehmende die Aufsichtspflicht trägt. Auszugehen ist vielmehr von einer rein tatsächlichen Aufsichtsübernahme.92 Verneint hat der BGH den Willen zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung, wenn Eltern einem Freund ihres Kindes gestatten, zwei- bis dreimal pro Woche auf ihrem Hof zu spielen.93 Gleiches gilt, wenn zwei Elternpaare die gegenseitigen Besuche ihrer 4- und 6-jährigen Kinder in ihren Wohnungen oder Gärten dulden.94 In diesen Fällen fehlt es an einer Obhut von längerer Dauer und an weitgehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf die fremden Kinder. Die Annahme einer vertraglichen Aufsichtspflicht im Sinne von § 832 Abs. 2 BGB würde die Gegebenheiten des Alltags verkennen und häufig zu wenig lebensnahen Ergebnissen führen.95 Um eine reine Gefälligkeit handelt es sich auch bei der Beaufsichtigung des Kindes einer Mitbewohnerin, selbst wenn die Aufsicht öfter während der berufs-

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BGH NJW 1968, 1874; Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 6; Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 5; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 30, 32. 87 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 32. 88 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 18. 89 Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 6; aA Deutsch, JZ 1969, 232, 234: Der Autor unterscheidet nicht zwischen Gefälligkeit und Vertrag, sondern zwischen Gefälligkeit und Entgeltlichkeit. Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 33, 38. Ob es sich bei der Bezahlung um ein Entgelt oder um eine bloße Aufwandsentschädigung handelt, muss im Einzelfall geprüft werden. 90 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 32; OLG Düsseldorf, NJW 1959, 2120, 2121; Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 198. 91 BGH NJW 1968, 1874, 1875. 92 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 40. 93 BGH VersR 1964, 1085, 1086. 94 BGH NJW 1968, 1874, 1875; OLG Schleswig VersR 1980, 242. 95 BGH NJW 1968, 1874, 1875.

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bedingten Abwesenheit der Eltern übernommen wird.96 Auch Nachbarn, Verwandte oder Freunde übernehmen keine vertragliche Aufsicht, wenn ihnen ein Kleinkind für wenige Stunden anvertraut wird.97 Befördert eine Mutter außer den eigenen gelegentlich auch fremde Kinder vom Kindergarten nach Hause, so fehlt es ebenfalls regelmäßig an einem Rechtsbindungswillen.98 Bejaht wurde eine vertragliche Aufsicht bei länger andauernden Aufenthalten eines Kindes bei Verwandten. Besucht ein Kind für eine längere Zeit seine Verwandten oder fährt mit diesen in Urlaub, so können die Eltern aufgrund der räumlichen Trennung ihre Aufsichtspflicht nicht erfüllen. Daher ist eine konkludente vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht durch die Verwandten besonders naheliegend.99 Eine vertragliche Aufsichtsübernahme wurde ebenfalls bejaht, wenn Eltern einen Kindergeburtstag organisieren und für diese Zeit fremde Kinder zu Gast haben. In der Einladung zum Geburtstag sei ein Angebot zur vertraglichen Übernahme der Aufsicht zu sehen.100 Dem bunten Fallmaterial sind allgemeine Voraussetzungen für eine vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht nur recht eingeschränkt zu entnehmen. Es ist daher schwer abzuschätzen, ob ein Gericht im Einzelfall eine vertraglich übernommene Aufsichtspflicht oder nur eine Gefälligkeit annehmen wird. Zur Erlangung eines allgemeingültigen Maßstabs fordern einzelne Stimmen eine extensive Auslegung des § 832 Abs. 2 BGB.101 Wagner schlägt vor, § 832 Abs. 2 BGB immer dann als erfüllt zu betrachten, wenn die Übernahme der Aufsichtspflicht aufgrund einer faktischen Absprache mit dem gesetzlich Aufsichtspflichtigen oder dem Aufsichtsbedürftigen selbst erfolgte.102 Dann könne der originär Verantwortliche darauf vertrauen, dass der Übernehmende an seine Stelle trete. Allein die Fälle, in denen ein Helfer spontan einen Hilfsbedürftigen in seine Obhut nimmt, würden dann aus dem Anwendungsbereich herausfallen, so wie Wagner zufolge vom historischen Gesetzgeber beabsichtigt.103 Auf einen 96

OLG Nürnberg VersR 1961, 571. LG Oldenburg vom 10.01.2007, Az: 5 O 1003/06. 98 LG Karlsruhe, VersR 1981, 143, 144. 99 OLG Celle OLGR 1994, 221; offenlassend OLG Celle FamRZ 1998, 233 für eine Mutter, die ein Kind von Freunden während deren Wochenendreise bei sich aufnimmt; aA Deutsch, JZ 1969, 232, 234, der § 832 Abs. 2 BGB mangels Entgeltlichkeit auch bei längeren Aufenthalt des Aufsichtsbedürftigen bei Verwandten als nicht erfüllt betrachtet. 100 OLG Celle NJW-RR 1987, 1384; mangels Entscheidungsrelevanz offenlassend OLG Düsseldorf, VersR 2000, 1254, 1255. 101 Weimar, MDR 1962, 356, 366; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 20. 102 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 20. 103 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 20; a.A. Weimar, MDR 1962, 356, 357: Nach Ansicht von Weimar erfüllt die Nachbarin, die sich bei aufziehendem Gewitter 97

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Rechtsbindungswillen soll es nicht ankommen, weil auch derjenige, der ohne Rechtsbindungswillen einen Aufsichtsbedürftigen in seine Obhut nimmt, einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Übernahme einer fremden deliktischen Sorgfaltspflicht unterliege. Da § 832 BGB diese deliktischen Sorgfaltspflichten schließlich nur konkretisiere, müsse daher auch der Anwendungsbereich des § 832 BGB die rein faktische Aufgabenübernahme erfassen. Der einzige Unterschied liege in der Beweislastumkehr, die im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB nicht stattfindet. Nach Wagner trifft die Ratio der Beweislastumkehr des § 832 BGB auf alle Aufsichtsführenden gleichermaßen zu, unabhängig von dem Bestehen eines Vertrages. Sie sollte daher bei allen Rechtsgutsverletzungen Dritter durch beaufsichtigte Personen greifen.104 Der Vorschlag Wagners hätte zur Folge, dass jeder, der mit Wissen der Eltern oder des Betreuers, ein Kind oder einen aufsichtsbedürftigen Erwachsenen auch nur für kurze Zeit beaufsichtigt, der verschärften Haftung des § 832 BGB ausgesetzt wäre. Das Argument der Rechtsklarheit und die parallele Wertung bei der allgemeinen Sorgfaltspflicht können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine extensive Auslegung des § 832 Abs. 2 BGB dem klaren Gesetzeswortlaut widerspräche und somit contra legem wäre. Die Zweite Kommission ergänzte § 832 Abs. 2 BGB bewusst um den Zusatz „durch Vertrag“ und machte in den Protokollen deutlich, dass die freiwillige und meist nur einmalige und vorübergehende Übernahme der Obhut über eine aufsichtsbedürftige Person eine Verpflichtung gegenüber Dritten nicht begründe.105 § 832 Abs. 2 BGB solle nur diejenigen verpflichten, welche die Beaufsichtigung vertragsmäßig übernommen haben, nicht dagegen solche Personen, welche nur tatsächlich beaufsichtigten.106 Dass der Gesetzgeber allein die spontanen Helferfälle – wie von Wagner behauptet – von einer Verpflichtung ausnehmen wollte, ist keine zwingende Interpretation der Gesetzesmaterialien. Gegen eine extensive Auslegung des § 832 Abs. 2 BGB spricht vor allem die Beweislastumkehr des § 832 Abs. 1 S. 2 BGB, die aufsichtspflichtigen Personen einem erhöhten Haftungsrisiko aussetzt. Der Schutz vor diesem erhöhten Haftungsrisikos gebietet es, dass sich der Übernehmende über die rechtlichen Folgen seines Handelns im Klaren ist. Daher verbietet sich eine analoge Anwendung auf rein tatsächliche Obhutsübernahmen.107

der Kinder abwesender Eltern annimmt und dabei als Geschäftsführerin ohne Auftrag handelt, auch die Voraussetzungen des § 832 Abs. 2 BGB. 104 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 20 105 Mugdan II, S. 1090. 106 Mugdan II, S. 1300 f. 107 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 30; Berning/Vortmann, JA 1986, 12, 15.

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cc) Folgen einer Übertragung der Aufsichtspflicht Der Aufsichtspflichtige muss die Aufsicht grundsätzlich nicht in eigener Person führen. Denn der primäre Schutzzweck des § 832 BGB, die Allgemeinheit effektiv vor Schädigungen durch den Aufsichtsbedürftigen zu bewahren, kann sowohl durch eine persönliche Beaufsichtigung als auch durch die Beauftragung eines Dritten mit der Beaufsichtigung erreicht werden.108 Die Übertragung der Aufsicht auf das Personal ist die Regel bei Trägern von Heimen, Kindergärten und Krankenhäusern. Auch Eltern übertragen die Aufsicht häufig auf Großeltern oder Tagesmütter. Der Amtsvormund vertraut sein Mündel einem Heim oder einer Pflegefamilie an. Mit der Übertragung der Aufsicht entledigt sich der originär Aufsichtspflichtige nicht seiner Aufsichtspflicht. Er kann sich auf diese Weise nicht von der Haftung befreien.109 Sowohl die gesetzliche, als auch die vertraglich übernommenen Aufsichtspflicht sind durch eine Weiterübertragung nicht entäußerbar.110 Überträgt der Aufsichtspflichtige die Aufsicht, stellt sich die Frage, wie er der bei ihm verbliebenen Aufsichtspflicht genügt. Nach h.M. verringert sich das Pflichtenprogramm. Der Übertragende wird „mittelbar“ aufsichtspflichtig111. Er hat für eine ordnungsgemäße Auswahl, Instruktion und Kontrolle der Aufsichtsperson zu sorgen und sich über das Verhalten des Aufsichtsbedürftigen während der übertragenen Betreuungszeit zu informieren.112 Diese „mittelbare“ Aufsichtspflicht lässt sich als Organisationspflicht charakterisieren.113 Genügt der Aufsichtspflichtige seiner Organisationspflicht, trifft ihn keine Einstandspflicht nach § 832 BGB.114 Eine etwaige Pflichtverletzung des unmittelbar Aufsichtspflichtigen wird ihm nicht zugerechnet.115 Die Delegation der Aufsicht führt auch nicht zu einer Geschäftsherrenhaftung des Übertragenden nach § 831 BGB. Die Haftung des Übertragenden nach § 832 BGB verdrängt als lex specialis die Haftung aus § 831 BGB. So hat der BGH entschieden, dass ein Krankenhaus, welches die Aufsicht über einen minderjährigen Patienten auf eine Kranken108

BGH NJW 1968, 1672, 1673; Hartmann, VersR 1998, 22, 23. BGH NJW 1968, 1672, 1673; BGH NJW 1976, 1145, 1146; Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 259. 110 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 42, 43. 111 So die Bezeichnung bei Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 257. 112 BGH NJW 1986, 1672, 1673; Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 69, 70. Zu den Anforderungen, die an die reduzierte Aufsichtpflicht zu stellen sind: 2. Teil B. I. 4. d) bb). 113 BGH NJW 1976, 1145, 1146. 114 OLG Hamm NJW-RR 1997, 344. 115 Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 205, 206. 109

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schwester überträgt, nicht aus § 831 BGB, sondern aus § 832 BGB haftet.116 Eine reduzierte Aufsichtspflicht genießt der Delegierende nach h.M. nicht nur, wenn der Übernehmende die Aufsicht vertraglich, sondern auch aus Gefälligkeit übernommen hat.117 Der aus Gefälligkeit die Aufsicht Übernehmende haftet nicht aus § 832 BGB, sondern deliktisch nur aus § 823 BGB. Dieser Nachteil für den Geschädigten wird vermieden, wenn man mit Wagner eine Aufsichtspflicht auch bei rein tatsächlicher Aufsichtsübernahme annimmt.118 Dann haftet auch der Übernehmende gemäß § 832 BGB. Andere wollen diese Haftungslücke dadurch schließen, dass eine reduzierende Wirkung der Aufsichtspflicht nur bei vertraglicher Übertragung der Aufsichtspflicht eintritt.119 Kann sich der Geschädigte gegenüber dem unmittelbar Aufsichtsführenden nicht auf § 832 BGB berufen, gebietet seine beweisrechtliche Schlechterstellung jedenfalls eine sorgfältige Prüfung der Aufsichtsübertragung durch den originär Aufsichtspflichtigen. Insbesondere im Falle einer Aufsichtsübertragung auf einen noch sehr jungen Babysitter ist die Auswahl und Instruktion des Babysitters durch die Eltern gründlich zu beleuchten. Die Erfüllung der reduzierten Aufsichtspflicht der Eltern und die hieraus folgende Exkulpation von § 832 BGB sollten nicht voreilig bejaht werden. c) Das schädigende Verhalten des Beaufsichtigten Im Unterschied zu Art. 1384 C.c. trifft § 832 Abs. 1 BGB eine Aussage über die Anforderungen an das schädigende Verhalten des Beaufsichtigten. Der Schaden muss durch ein widerrechtliches Verhalten des Beaufsichtigten herbeigeführt werden. Unter einem widerrechtlichen Verhalten ist eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung im Sinne der

116 BGH NJW 1976, 1145, 1146. Auch nach BGH VersR 1965, 48 kommt es für die Haftung des Trägers eines Kinderheims, der Heimleiter und Hilfsdiakone mit der Aufsicht der Heimkinder betraut, auf die Haftung nach § 831 BGB und nach §§ 31, 823 BGB gar nicht an, wenn die Haftung bereits nach § 832 BGB begründet ist. Im Übrigen dürfte es für den Entlastungsbeweis keinen Unterschied machen, ob der Übertragende diesen nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB oder nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zu erbringen hat. Bei beiden Vorschriften müsste er nachweisen, dass er die betraute Aufsichtsperson sorgfältig ausgewählt und überwacht hat. 117 OLG Celle VersR 1969, 333, 334; OLG Hamm NJW-RR 1997, 344; OLG Hamm MDR 2000, 454, 455; Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 70. 118 Hierzu 2. Teil B. I. 4. b) bb) (2). 119 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 126.

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§§ 823 ff. BGB zu verstehen.120 Der Schaden muss nicht durch die zeitlich letzte unmittelbare Handlung verursacht worden sein. Eine ursächliche, aber nur mittelbare Verletzungshandlung des Aufsichtsbedürftigen, wie etwa psychischer Beistand oder die Weitergabe des zur Verletzung führenden Wurfpfeils, reicht aus, wenn diese adäquat zurechenbar ist.121 Bei der Feststellung der Widerrechtlichkeit sind nach Ansicht des BGH auch das Alter und die Eigenart des Aufsichtsbedürftigen zu berücksichtigen.122 Ein Beispiel für die unterschiedliche Bewertung des äußerlich gleichen Verhaltens eines Erwachsenen und eines Kleinkindes findet sich im Straßenverkehr. Schreitet ein 4-jähriges Kind ohne Begleitung auf die Fahrstraße zu und fühlt sich der Autofahrer deswegen veranlasst, zu bremsen oder auszuweichen, ist das Verhalten des Kindes als widerrechtlich zu bewerten. Schreitet ein älteres Kind oder ein Erwachsener auf die Fahrstraße zu, ist das Verhalten noch nicht widerrechtlich, denn der Autofahrer darf von einem verkehrsgerechten Verhalten des Kindes bzw. des Erwachsenen ausgehen.123 Aufsichtspflichtige Personen sind aufgrund ihres Alters oder ihres geistigen Zustandes zumeist nicht oder nur beschränkt deliktsfähig. Eine schuldhafte Herbeiführung des Schadens ist für die Begründung eines Anspruchs aus § 832 BGB seinem Wortlaut nach jedoch keine Voraussetzung. Auf die Deliktsfähigkeit gemäß der §§ 827, 828 BGB kommt es daher nicht an.124 § 832 BGB gewährleistet somit auch und gerade die Verantwortlichkeit für solche Schadensfälle, in denen der unmittelbare Schadensverursacher deliktsunfähig ist.125 Die Haftung des Aufsichtspflichtigen wird unabhängig von der persönlichen Verantwortlichkeit des Aufsichtsbedürftigen begründet und kompensiert auf diese Weise die Privilegierung von Kindern und Behinderten im Deliktsrecht.126 Freilich gibt es auch Fälle, in denen das schädigende Kind und seine aufsichtspflichtigen Eltern gesamtschuldnerisch haften.127 120

Larenz/Canaris, SBT II, 13. Aufl. 1994, § 79 IV 2 b; Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 7. 121 BGH VersR 1966, 368; BGH NJW 1990, 2553, 2554; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 48. 122 BGH NJW 1968, 249; kritisch Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 44, Fn 113. 123 BGH NJW 1968, 249. 124 BGH NJW 1990, 2553, 2554. 125 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 51. 126 BGH VersR 1954, 558, 559; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 22. 127 Vgl. OLG München ZfS 2002, 170: In der zitierten Entscheidung wurden für dieselbe schädigende Handlung ein 7-jähriger Junge nach §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und dessen Eltern nach § 832 BGB zum Ersatz des Schadens verurteilt; Schmid, VersR 1982, 822.

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Zwar verlangt die Vorschrift des § 832 BGB keine schuldhafte Verletzungshandlung durch den Aufsichtsbedürftigen. Dennoch ist ein Verhalten zu fordern, das als schuldhaft zu qualifizieren wäre, wenn man sich an die Stelle des Aufsichtsbedürftigen eine nicht-aufsichtsbedürftige Person denkt. Der Aufsichtspflichtige soll nur bei einem Verhalten des Schädigers haftbar sein, welches als schuldhaft einzustufen wäre, wenn man von den persönlichen Entlastungsgründen des Schädigers absieht.128 Zur Verdeutlichung soll folgendes Beispiel von von Bar dienen129: Eine Gruppe von Kindern spielt in einem Swimming-Pool Wasserball. Eine Mutter, die ihren Sohn fotografieren will, tritt an den Beckenrand. Die Kamera wird von einem abgelenkten Ball getroffen und fällt ins Wasser. Eine Haftung der Eltern des Kindes, das den Ball abgelenkt hat, muss verneint werden. Denn auch ein Erwachsener, dem dieses Missgeschick unterlaufen wäre, hätte nicht fahrlässig gehandelt, da das Ballspielen im Pool erlaubt war. Das Gleiche muss gelten, wenn zum Beispiel an einem unaufgeklärten Verkehrsunfall ein Kind und ein Erwachsener beteiligt sind. Es wäre untragbar, wenn der Vater des Kindes, der die Erfüllung seiner Aufsichtspflicht nicht beweisen kann, im vollen Umfang haften müsste, obwohl es wahrscheinlich ist, dass der erwachsene Beteiligte alleine an dem Unfall schuld war.130 Im Falle der Schädigung durch den aufsichtspflichtigen Vater selbst würde der Geschädigte bei nicht bewiesenem Verschulden keinen Schadensersatz verlangen können. Diese teleologische Reduktion des § 832 BGB ist bereits bei § 829 BGB höchstrichterlich anerkannt131 und wird auch für § 831 BGB befürwortet.132 Ein zureichender Grund für die Besserstellung des Geschädigten im Falle der Schädigung durch eine aufsichtsbedürftige Person bei ungeklärter Sachlage ist nicht ersichtlich. Die Haftung für ein von persönlichen Entlastungsgründen absehendes schuldloses Verhalten ließe sich alleine vor dem Hintergrund einer Gefährdungshaftung rechtfertigen. Der Gedanke einer Gefährdungshaftung für Schäden aufsichtspflichtiger Personen ist jedoch unannehmbar.133 Hält daher der Beaufsichtigte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ein, muss die Haftung des Aufsichtspflichtigen nach § 832 BGB trotz tatbestandsmäßiger und widerrechtlicher Schadenszufügung ausgeschlossen sein. 128

Larenz/Canaris, SBT II, 13. Aufl. 1994, § 79 IV 2b; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 340; Haberstroh, VersR 2000, 806, 814. 129 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, München 1996, Rn 147. 130 von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 1960, S. 49, 126. 131 von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 1960, S. 49, 125. 132 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 22. 133 von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 1960, S. 49, 126; Speziell für die Elternhaftung begründet Haberstroh, VersR 2000, 806, 814, die gebotene teleologische Reduktion mit dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 GG, der eine spezifische Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbietet.

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d) Inhalt und Verletzung der Aufsichtspflicht Der Aufsichtspflichtige kann sich von seiner Ersatzpflicht nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten, wenn er nachweist, dass er seiner Aufsichtspflicht genügt hat oder der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung eingetreten wäre. In einem ersten Schritt ist der Inhalt der Aufsichtspflicht zu bestimmen. In einem zweiten Schritt folgen die Darlegung und gegebenenfalls der Beweis des Aufsichtspflichtigen, diesem Inhalt gerecht geworden zu sein. Die Vorschrift des § 832 BGB trifft keine Aussage über die Anforderungen, die an die Aufsichtsführung zu stellen sind. Die Bestimmung des Inhalts der Aufsichtspflicht und die Einhaltung der gebotenen Aufsichtsmaßnahmen durch den Aufsichtspflichtigen stellen das Kernproblem des § 832 BGB dar. Das umfangreiche Fallmaterial zum Inhalt der Aufsichtspflicht belegt dessen zentrale Bedeutung. Es macht darüber hinaus deutlich, dass die Festlegung der gebotenen Aufsichtsmaßnahmen allein anhand von Einzelfallentscheidungen möglich ist.134 Das französische Recht entzieht sich dieser Problematik, indem es für die Haftung nach Art. 1384 C.c. das Vorliegen einer Aufsichtspflichtverletzung nicht verlangt, sondern abstrakt an das Innehaben der garde d’autrui anknüpft.135 Die Anforderungen, die an den Inhalt der Aufsichtspflicht gestellt werden, bestimmen, ob im Ergebnis dem Bestandsschutz des Geschädigten oder der Handlungsfreiheit des Aufsichtspflichtigen Vorrang eingeräumt wird. Strenge Anforderungen würden die Entschädigungsinteressen des Verletzten stärken. Sie ließen sich damit begründen, dass der Gesetzgeber den Aufsichtspflichtigen bewusst durch die Vorschrift des § 832 BGB belasten wollte. Milde Anforderungen würden hingegen einen vorrangigen Schutz des Aufsichtspflichtigen bewirken. Sie könnten ihren Grund darin haben, dass das gesteigerte Haftungsrisiko des Aufsichtspflichtigen nur dann tragbar ist, wenn man den Entlastungsbeweis so weit wie möglich zulässt.136 Bei der Bestimmung der erforderlichen Aufsichtsmaßnahme wird in der Praxis weder pauschal auf die Interessen des Geschädigten, noch auf die des Aufsichtspflichtigen abgestellt. Beide Interessen werden berücksichtigt. Außerdem ist die Eigenart des Aufsichtsbedürftigen von Bedeutung.137 134

Schiemann, in: Erman, 12. Aufl. 2008, § 832 Rn 6. Aufgrund der sich immer wiederholenden Schadenssituationen ist ein Fallrecht für Schäden, die im Straßenverkehr und beim Hantieren mit gefährlichen Gegenständen wie Zündmitteln oder Schusswaffen verursacht wurden, entstanden. Eine ausführliche Übersicht findet sich u.a. bei Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 97 ff. und bei Bernau, FamRZ 2007, 92. 135 Hierzu 1. Teil B. IV. 1. b). 136 Schmid, VersR 1982, 822. 137 Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 85.

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Schließlich ist danach zu unterscheiden, ob die Aufsichtspflicht unmittelbar ausgeübt oder auf eine andere Person übertragen, mithin mittelbar ausgeübt wurde. aa) Unmittelbare Aufsichtspflicht Die Aufsichtsmaßnahmen können von einer einfachen Belehrung, Aufklärung und Ermahnung über ein Verbot mit Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen bis hin zu einem Unmöglichmachen der drittschädigenden Handlung reichen. Ein Unmöglichmachen der drittschädigenden Handlung kann durch die Unterbringung eines geistig Behinderten in einer geschlossenen Anstalt, durch sonstige persönliche Freiheitsentziehung oder durch das Wegschließen von gefährlichen Gegenständen erreicht werden. Die Aufsichtsmaßnahmen müssen verhältnismäßig sein. Sie stehen in einem Stufenverhältnis.138 Es ist die Aufsichtsmaßnahme anzuwenden, die für den Aufsichtspflichtigen am einfachsten zu erfüllen und für den Aufsichtsbedürftigen am wenigsten einschneidend ist. Welche Aufsichtsmaßnahme im konkreten Fall geboten ist, hängt einerseits von den Kenntnissen und Fähigkeiten des Aufsichtsbedürftigen und andererseits von den betroffenen Rechtsgütern Dritter ab.139 An die Aufsichtspflicht sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je größer die drohenden Gefahren und das Schutzbedürfnis des Betroffenen sind.140 Besonders strenge Anforderungen werden daher bei der Belehrung über die Gefahren des Feuers sowie bei der Überwachung des Umgangs mit Zündmitteln gefordert.141 Die im konkreten Fall ermittelte Aufsichtsmaßnahme kann ihre Grenze in der Zumutbarkeit für den Aufsichtspflichtigen finden. Zudem sind pädagogische Erwägungen zu berücksichtigen. (1) Minderjährige Für die Aufsichtspflicht von Eltern bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richten, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern.142 138

Schmid, VersR 1982, 822, 823; Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 64 ff. 139 Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 9. 140 BGH NJW 1976, 1145, 1146. 141 BGH NJW 1995, 3385; BGH NJW 1996, 1404; OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.12.2009, Az: 5 U 58/09. 142 BGH NJW 1984, 2574, 2575; BGH NJW 1993, 1003. Die „alte Formel“ lautete: Das Maß der gebotenen Aufsicht richtet sich nach Alter, Eigenart und Charakter des

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Eine permanente Beaufsichtigung des Kindes würde mit der größtmöglichen Sicherheit Schädigungen Dritter verhindern. Abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit einer ständigen Beaufsichtigung gebietet der in §§ 1626 Abs. 2, 1631 BGB normierte Erziehungsauftrag, Minderjährigen einen gewissen Handlungsfreiraum zu belassen. Der Erziehungsauftrag fordert von den Eltern, ihre Kinder zu selbstständigem und verantwortungsbewusstem Handeln zu erziehen. Den Umgang mit Gefahrenquellen und die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt können Kinder nur durch wiederholte Belehrungen und Aufklärungen sowie durch eine schrittweise Heranführung an Gefahrenquellen erlernen.143 Für die Erfüllung seines Erziehungsauftrags ist dem Erziehungsberechtigten ein gewisser pädagogischer Ermessensspielraum einzuräumen.144 Die Auswahl der Aufsichtsmaßnahme muss er jedoch unter Berücksichtigung der individuellen Veranlagungen seines Kindes und des bisherigen Erziehungserfolges treffen.145 Obwohl § 832 BGB keine Haftung für Erziehungsverschulden begründet, stehen das Maß der anzuwendenden Aufsicht und der bisherige Erziehungserfolg damit in einer Wechselbeziehung.146 Je älter das Kind und je weiter es in seiner Entwicklung fortschreitet, desto weniger kann selbst bei voller Berücksichtigung des Schutzinteresses Dritter den Eltern eine aufsichtführende Begleitung auf Schritt und Tritt zugemutet werden.147 Während ein normal entwickeltes 5-jähriges Kind auf einem Spielplatz in regelmäßigen Abständen von höchstens 30 Minuten kontrolliert werden muss148, kann einem 7-jährigen Kind das Spielen im Freien im Allgemeinen ohne Aufsicht und engmaschige Kontrolle gestattet werden, wenn sich der Aufsichtspflichtige über das Tun und Treiben in groben Zügen einen Überblick verschafft.149 Allerdings sind starre Altersgrenzen wegen des Erfordernisses, die individuellen Eigenschaften und den Entwicklungsstand des Kindes zu berücksichtigen, ungeeignet.150 Bei schädigendem Verhalten von Kindern im Straßenverkehr ist zu berücksichtigen, dass nach § 828 Abs. 2 BGB Kinder bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres nicht deliktsfähig sind. Die Haftungsprivilegierung darf nicht Kindes sowie danach, was ihnen in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern, BGH NJW 1968, 1672, 1673. 143 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 26. 144 BGH NJW 1990, 2553, 2554. 145 BGH NJW 1993, 1003 146 BGH NJW 1984, 2574, 2575. 147 BGH NJW 1993, 1003. 148 BGH NJW 2009, 1952, 1953. 149 BGH NJW 2009, 1954, 1955. 150 OLG Hamm NZV 2001, 42, 43.

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dazu führen, dass die Anforderungen an die Aufsichtspflichtigen verschärft werden, um ein Haftungssubjekt zu haben. Schulpflichtigen Kindern ab dem sechsten Lebensjahr kann es gestattet werden, sich alleine mit dem Fahrrad im Straßenverkehr fortzubewegen, wenn sie über Regeln und Gefahren belehrt und mit der Wegstrecke vertraut gemacht wurden.151 Ist dem Aufsichtspflichtigen eines Kindes unter elf Jahren im konkreten Fall eine Aufsichtspflichtverletzung nicht vorzuwerfen, hat der geschädigte Verkehrsteilnehmer seinen Schaden entschädigungslos als allgemeines Lebensrisiko hinzunehmen.152 Bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen kann eine strenge Aufsichtsmaßnahme geboten sein. Schwer erziehbare und verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche, die über eine ausgeprägte Aggressionsbereitschaft verfügen, neigen häufig zu gefährlichen „Streichen“ wie Zündeln oder schweren Sachbeschädigungen.153 Allgemeine erzieherische Hinweise und Belehrungen, die bei gewöhnlichen Kindern und Jugendlichen desselben Alters ausreichend wären, genügen meist nicht, um Dritte vor schädigenden Handlungen zu schützen. Allerdings müssen keine Aufsichtsmaßnahmen ergriffen werden, deren Erfolglosigkeit von vornherein feststeht.154 Es ist lebensfremd von einem Vater zu verlangen, seinem fast 18jährigen Sohn den Besuch von Gaststätten und Partys generell zu verbieten. Eine solche Aufsichtsmaßnahme geht über das Ziel zumutbarer, nämlich möglicher und auch durchführbarer Anordnungen hinaus.155 Eltern von schwer erziehbaren und psychisch auffälligen Kindern, Kinder- und Jugendheime sowie Jugendpsychiatrien haben wie Eltern von gewöhnlichen Kindern die Aufgabe, die von ihnen betreuten Minderjährigen zu Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu erziehen.156 Auch verhaltensauffälligen Minderjährigen muss ein Freiraum zur Entwicklung der Persönlichkeit gewährt werden. Die Abwägung zwischen dem Schutz Dritter und den erforderlichen pädagogischen Freiräumen ist wegen der Neigung verhaltensauffälliger Minderjähriger zu schädigenden Handlungen besonders sorgsam vorzunehmen. 151

OLG Koblenz, Beschluss v. 21.1.2009, Az: 12 U 1299/08. So bereits OLG Hamm NZV 2001, 42; Bernau, NZV 2005, 234 ff. mit einer umfassenden Darstellung der Meinungen zu den Auswirkungen des § 828 Abs. 2 BGB auf die Aufsichtspflicht nach § 832 BGB. In diesem Sinne auch LG Landau, Beschluss v. 23.9.2010, Az: 1 S 120/10. 153 BGH NJW 1995, 3385, 3386; OLG Hamm NJW-RR 1988, 798; OLG Hamburg NJW-RR 1988, 799; AG Königswinter NJW-RR 2002, 748; OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 409. 154 Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 252. 155 BGH NJW 1980, 1044, 1045. 156 OLG Hamm NJW-RR 1988, 798; OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 409. 152

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Die folgenden Entscheidungen wägten zugunsten pädagogischen Freiraums ab: Die Mutter eines geistig und körperlich behinderten Kindes verletzt nicht ihre Aufsichtspflicht, wenn sie ihrem Sohn, wie von Fachärzten empfohlen, aus therapeutischer Sicht unbeaufsichtigte Spaziergänge gestattet und es während eines dieser Spaziergänge zu einer Brandstiftung kommt.157 Einem an Autismus leidenden Kind darf im öffentlichen Straßenverkehr bei elterlicher Begleitung ein Fahrrad überlassen werden.158 Das OLG Hamburg hatte über die Haftung eines Jugendheims zu entscheiden, aus dem zwei schwer erziehbare Jugendliche entwichen, um zwei „romantische“ Tage auf einem entwendeten Boot eines Bootsverleihs zu verbringen. Die Richter verneinten eine Aufsichtspflichtverletzung der Heimleitung, da nur ein gefängnisartiger Einschluss der Jugendlichen und eine ständige Überwachung des Schulwegs die schädigende Handlung hätten verhindern können. Eine solche freiheitsentziehende Maßnahme sei pädagogisch unvertretbar und könne nur durch eine besondere Schwere der drohenden Schädigung gerechtfertigt werden.159 Das OLG Hamm hat selbst im Falle einer Brandstiftung durch zwei in der Nacht entwichene 16jährige Heimkinder eine Aufsichtspflichtverletzung der Heimleitung abgelehnt. Solange bei den Schädigern kein konkreter Verdacht der Neigung zur Brandstiftung bestanden habe, musste das Heim Türen und Fenster nicht auf eine Weise verschließen, die ein unbefugtes Entweichen unmöglich gemacht hätte. Belehrungen, Ermahnungen und nächtliche Kontrollgänge durch die Gruppenleiter stellten ausreichende Aufsichtsmaßnahmen auch bei schwer erziehbaren Jugendlichen dar.160 Auch das OLG Koblenz hat im Falle einer Brandlegung durch einen geistig zurückgebliebenen 16Jährigen das Vorliegen besonderer Vorkommnisse in der Vergangenheit gefordert, um den Umgang mit anderen Jugendlichen und den gelegentlichen Alkoholkonsum zu untersagen. Kommt es bei einem abendlichen Zusammensein mit anderen Jugendlichen unerwartet zu einem emotionalen Ausbruch, der zu der Brandlegung führte, ist den Eltern eine Aufsichtspflichtverletzung nicht vorzuwerfen.161 Die folgende Entscheidung wägte zugunsten des Schutzes des Dritten ab: Eine 13-jährige Patientin einer jugendpsychiatrischen Klinik verließ diese unbeobachtet und beging eine Brandstiftung. Die Jugendliche war schon mehrfach wegen Straftaten und unerlaubten Fernbleibens vom 157

AG Armsberg FamRZ 1995, 602. LG Landau, Beschluss v. 23.9.2010, Az: 1 S 120/10. 159 OLG Hamburg NJW-RR 1988, 799; so auch LG Bad Kreuznach VersR 2003, 908, das nur bei Gemeingefährlichkeit der schwer erziehbaren Heimkinder ein gefängnisartiges Einschließen als geboten erachtet. 160 OLG Hamm NJW-RR 1988, 798. 161 OLG Koblenz VersR 1980, 752, 753. 158

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Schulunterricht sowie wegen gewalttätiger Handlungen gegen sich selbst und gegen andere Kinder aufgefallen. Wegen dieser Vorkenntnisse genügten bloße Anweisungen an das Personal, das Entweichen von Jugendlichen zu verhindern, nicht. Die Klinik hätte wirksamere Maßnahmen zur Verhinderung des Entweichens ergreifen müssen.162 Die konkret erforderliche Aufsichtsmaßnahme bemisst sich nicht bloß nach den Eigenarten des zu beaufsichtigenden Minderjährigen und pädagogischen Erwägungen. Auch die Verhältnisse der Eltern sind nach der „Aufsichtsformel“ der Rechtsprechung zu berücksichtigen. Sind beide Eltern berufstätig, ist eine faktische Beaufsichtigung des Kindes durch die Eltern während der Zeit der Berufsausübung unmöglich. Haben Kinder aufsichtsbedürftige Geschwister, können sie weniger intensiv beaufsichtigt werden als Einzelkinder. Ist ein Elternteil alleinerziehend, muss es das Kind ohne die unterstützende Hilfe des anderen Elternteils beaufsichtigen. Diese persönlichen Lebensumstände des Aufsichtspflichtigen können aber nicht zu einer generellen Abmilderung der gebotenen Aufsichtsmaßnahme führen. Vielmehr hat der Aufsichtspflichtige für eine zuverlässige Beaufsichtigung seines Kindes während der berufsbedingten Abwesenheit zu sorgen oder nach Unterstützung für die Beaufsichtigung von mehreren Kindern bei dem anderen Elternteil oder bei einer dritten Person zu suchen.163 Diese Organisationspflicht ist ihm durchaus zuzumuten.164 Die Übertragung der Aufsicht durch einen entgeltlichen Vertrag ist nicht erforderlich, wenn die Aufsicht genauso zuverlässig durch Verwandte oder Freunde übernommen werden kann.165 Im Ausnahmefall kann die Berufstätigkeit des aufsichtspflichtigen Elternteils zur Unzumutbarkeit einer normalerweise gebotenen Aufsichtsmaßnahme führen. Ist die Delegation der Aufsichtsführung an eine andere Person aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht möglich, die Berufsausübung für den Aufsichtspflichtigen aber existentiell wichtig, kann unter Umständen der Aufsichtspflichtige durch eine nur stundenweise Betreuung des Kindes seiner Aufsichtspflicht genügen.166 Doch selbst von einem berufstätigen und alleinerziehenden Elternteil forderte der BGH eine praktisch nur schwer realisierbare engmaschige Überwachung des zum Zündeln neigenden 10-jährigen Sohnes; diese strenge Aufsichtsmaßnahme sei nicht

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OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 410. Zu den Anforderungen, die an die Delegation der Aufsichtsführung zu stellen sind: 2. Teil B. I. 4. d) bb). 164 BGH VersR 1964, 1085, 1086; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 74, 75. 165 Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 265. 166 Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 158. 163

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unzumutbar, da eine außergewöhnliche Gefahr auch ein außergewöhnliches Maß an Aufsicht fordere.167 (2) Volljährige Bei aufsichtsbedürftigen Erwachsenen richten sich die Anforderungen, die an die Aufsichtspflicht zu stellen sind, nach den körperlichen, geistigen und seelischen Eigenarten der zu beaufsichtigenden Person. Besondere Berücksichtigung finden müssen die in der Persönlichkeitsstruktur des Aufsichtsbedürftigen angelegte Schadensneigung und Aggressionen und die sich hieraus ergebende Wahrscheinlichkeit einer Drittgefährdung. 168 Die Art und Weise der Betreuung von aufsichtsbedürftigen Erwachsenen muss die Menschenwürde der geistig und körperlich Behinderten wahren. Sie hat darüber hinaus mit dem Ziel zu erfolgen, eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung des Betreuten sowie dessen Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit bis hin zur Rehabilitation, so weit dies die Eigenart der Behinderung zulässt, zu fördern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss dem Aufsichtsbedürftigen ein gewisser Bewegungsfreiraum belassen werden.169 Dem Aufsichtspflichtigen ist bei der Wahl der gebotenen und dem Behinderten zumutbaren Maßnahmen ein gewisser Entscheidungsspielraum zuzusprechen.170 Der Aufsichtspflichtige bewegt sich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite verlangt das Schutzbedürfnis Dritter eine Vermeidung von Schadenszufügungen durch behinderte Menschen, auf der anderen Seite begründen die Erkenntnisse der psychiatrischen Wissenschaft ein Streben nach liberalen Therapiemethoden.171 Ein genereller Vorrang des Schutzes der Allgemeinheit kann nicht mit dem Argument, dieser sei ein öffentliches Interesse, während hingegen die Heilung von Kranken allein deren Belange angehe, begründet werden. Eine Pflicht zur bestmöglichen Heilung von Kranken mit dem Ziel der Wiedereingliederung ergibt sich bereits aus den Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1 GG sowie aus den Unterbringungs- und Verwahrungsgesetzen der Länder. 172 Die Europäische

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BGH NJW 1996, 1404, 1405; in diesem Sinne auch BGH NJW 1995, 3385, 3386. BGH NJW 1985, 677, 678; OLG Hamm NJW-RR 1994, 863, 864; OLG Koblenz NJW-RR 1997, 345; LG Bremen NJW-RR 1999, 969. 169 Marburger, VersR 1971, 777. 170 OLG Hamm NJW-RR 1994, 863, 864. 171 Marburger, VersR 1971, 777, 784. 172 Marburger, VersR 1971, 777, 784. So schreibt § 8 Abs. 1 S. 2 UBG BadenWürttemberg vor, dass die Heilbehandlung des Untergebrachten mit Maßnahmen zu erfolgen hat, die ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft nach der Entlassung ermöglichen. 168

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Union schreibt in Art. 26 ihrer Charta der Grundrechte173 Menschen mit Behinderung einen Anspruch auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft zu. Die Sicherstellung des Rechts von behinderten Menschen auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist auch Ziel und Zweck des im Jahre 2001 in Kraft getretenen SGB IX (vgl. § 1 SGB IX). 174 Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Behandlung und Rehabilitation von geistig und körperlich Behinderten eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die im Rahmen der Bestimmung der erforderlichen Aufsichtsmaßnahme gegen das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit abgewogen werden muss. Die permanente Überwachung oder der Freiheitsentzug der betreuten Person sind mit dem Ziel der Rehabilitation und mit der Wahrung der Menschenwürde unvereinbar. Als Grundsatz muss daher gelten, dass äußerst strenge Maßnahmen nur im Ausnahmefall und bei bestehenden Anhaltspunkten für eine wesentliche Gefährdung von Schutzgütern Dritter angeordnet werden dürfen.175 Die folgenden Entscheidungen wägten zugunsten der Schutzgüter Dritter ab und statuierten strenge Überwachungsmaßnahmen: Dem OLG Koblenz lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem ein junger Erwachsener, der an einem Klinefelter Syndrom litt, in einem Pflegeheim untergebracht war.176 Auf dem Weg zur Behindertenwerkstatt legte er einen Brand. Obwohl der Heimleitung das nicht unerhebliche Aggressionspotential des Betreuten erkennbar war, erlaubte sie diesem, den täglichen Fußweg zwischen Heim und Arbeitswerksatt unbeaufsichtigt zurückzulegen. Das OLG Koblenz urteilte, dass die unterlassene Überwachung eine Aufsichtspflichtverletzung darstellte.177 Wegen der erkennbar erhöhten Gefahr für Rechtsgüter Dritter müssen therapeutische Interessen hinter den Belangen der Allgemeinheit zurücktreten. Auch das LG Bremen verlangte von einer psychiatrischen Klinik, konsequente Maßnahmen zu ergreifen, um das unbefugte Entweichen einer Patientin wegen des von ihr ausgehenden Fremdgefährdungspotentials zu verhindern.178 Da die Patientin in der Vergangenheit bereits wiederholt Brände gelegt hatte, alle psychiatrischen Therapieversuche bisher erfolglos geblieben waren und das Betreuungsge173 Die Grundrechte-Charta hat inzwischen rechtsverbindlichen Charakter (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV). 174 Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, Vorwort zum SGB IX, 12.Aufl. 2010. 175 BGH NJW 1985, 677, 679; Schmid, VersR 1982, 822, 824: Als Beispiel nennt der Autor „gemeingefährliche Geisteskranke“, bei denen eine ständige Überwachung zu fordern sei. 176 OLG Koblenz NJW-RR 1997, 345. 177 OLG Koblenz NJW-RR 1997, 345, 346. 178 LG Bremen NJW-RR 1999, 969.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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richt deswegen sogar die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung angeordnet hatte, musste die psychiatrische Klinik für die erneute Brandstiftung der Patientin wegen deren unzureichender Überwachung nach § 832 BGB haften.179 Der BGH stellte in einem Fall klar, dass einer ununterbrochenen Überwachung der Patienten einer offenen psychiatrischen Klinik naturgemäß Grenzen gesetzt seien. Die unbeaufsichtigte Freizeitgestaltung von psychisch gestörten Jugendlichen müsse jedoch stichprobenartig überwacht werden, wenn bei den Jugendlichen bereits Aggressionen sichtbar geworden sind und sie in ihrer Freizeit Umgang mit anderen psychisch auffälligen Jugendlichen haben.180 In keinem Fall können sich Krankenhäuser und Betreuungseinrichtungen auf individuelle Gegebenheiten wie Personalmangel, finanzielle Engpässe oder das Fehlen von besonderen Schutzvorkehrungen, wie etwa einer geschlossenen Abteilung, berufen.181 Die gebotene Aufsichtsmaßnahme ist rein objektiv zu bestimmen.182 Schließlich bezweckt gerade die Übertragung der Obhut eine Betreuung und Erziehung des Aufsichtsbedürftigen durch professionelle und erfahrene Personen. Die folgenden Entscheidungen wägten zugunsten des Freiraums des Behinderten ab: Dem OLG Hamm lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem eine geistig Behinderte in der Küche einer Behindertenwerkstatt mit einem Schälmesser ohne besondere Beaufsichtigung arbeiten durfte.183 Mit dem Messer verletzte sie eine andere behinderte Person. Das OLG Hamm erachtete eine strengere Überwachung als nicht geboten, da der Schädigerin eine generelle Gefährlichkeit nicht attestiert wurde und sie in der Vergangenheit keine Aggressionen gegenüber den Mitbetreuten gezeigt hatte. Fehle es an der Vorhersehbarkeit der schädigenden Handlung, müsse das Schutzbedürfnis Dritter hinter die therapeutischen Ziele zurücktreten. Um geistig Behinderten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken und um ihr Leben möglichst weitgehend an das eines Gesunden anzunähern, sei es geboten, die erforderliche Beaufsichtigung auf das unbedingt Notwendige zu beschränken, auch wenn damit gewisse Risiken verbunden seien.184 Aus denselben Gründen verletzt auch eine Behinderteneinrichtung ihre Aufsichtspflicht nicht, wenn sie den betreuten Personen die unbeaufsichtigte Teilnahme am Straßenverkehr als Fußgänger erlaubt. Kommt es zu einem Unfall, müsse die Einrichtung nicht nach § 832 BGB haften, wenn sie das sichere Verkehrsverhalten des 179

LG Bremen NJW-RR 1999, 969, 970. BGH NJW 1985, 677, 679. 181 OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 410; AG Königswinter NJW-RR 2002, 748. 182 Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 170. 183 OLG Hamm NJW-RR 1994, 863. 184 OLG Hamm NJW-RR 1994, 863, 864. 180

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Behinderten durch ein spezielles Verkehrstraining überprüft hat und keine besonderen Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Betroffenen vorliegen. Geistig Behinderten sei so weit wie möglich eine „normale“ Teilnahme am öffentlichen Leben zu gewähren.185 bb) Mittelbare Aufsichtspflicht Im Falle einer Übertragung der Beaufsichtigung genügt der originär Aufsichtspflichtige nach h.M. seiner Aufsichtspflicht, wenn er die betraute Person ordnungsgemäß auswählt, instruiert und kontrolliert und sich über das Verhalten des Aufsichtsbedürftigen während der übertragenen Betreuungszeit informiert.186 Von einer ordnungsgemäßen Auswahl ist dann auszugehen, wenn der Übertragende eine zuverlässige und gewissenhafte, nicht aber zwingend pädagogisch ausgebildete Person mit der Beaufsichtigung betraut.187 Daher geht eine gemeinnützige Organisation sorgfältig vor, wenn sie einen zwar pädagogisch ungeschulten, aber verantwortungsbewussten und im Umgang mit Kindern erfahrenen Erwachsenen zur Betreuung von Kindern während eines Ferienlagers einsetzt. Die Forderung nach einem ausgebildeten Erzieher oder Lehrer würde die finanziellen Mittel solcher Organisationen überspannen.188 Die Betrauung eines 17-jährigen Hilfsdiakons mit der Beaufsichtigung einer 20- bis 25-köpfigen Gruppe schwer erziehbarer Heimkinder wurde vom BGH hingegen als ungeeignete Aufsichtsmaßnahme bewertet. Im vorliegenden Fall hätte der Leiter des Kinderheims die Beaufsichtigung an einen erfahrenen und gewissenhaften Erzieher übertragen müssen.189 Die Übertragung der Aufsicht auf Großeltern ist dann hinreichend, wenn diese geistig und körperlich noch so rüstig sind, dass sie sich tatsächlich ordnungsgemäß um ihr Enkelkind kümmern können.190 Zeigte sich aber bereits in der Vergangenheit, dass die betraute Aufsichtsperson der übertragenen Aufgabe nicht gewachsen ist, begründet die erneute Betrauung ein Auswahlverschulden.191 Bei der Übertragung der Aufsicht auf jugendliche Babysitter sollte sorgfältig geprüft werden, ob der Babysitter über genügend geistige Reife und Verantwortungsbewusstsein zur Beaufsichtigung des Kindes verfügt. 185

AG Bad Dürkheim, Urteil v. 11.04.1991, Az: 4a C 292/90; AG Bielefeld, Urteil v. 14.04.1994, Az: 4 (13) C 513/93. 186 Hierzu 2. Teil B. I. 4. b) cc). 187 BGH NJW 1968, 1672, 1673. 188 OLG Hamm VersR 1973, 828, 829. 189 BGH VersR 1965, 48, 49. 190 OLG Celle VersR 1969, 333, 334. 191 OLG Hamm MDR 2000, 454, 455.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Weist der Aufsichtsbedürftige in seiner Person Eigenarten oder Verhaltensauffälligkeiten auf, die zu schädigenden Handlungen führen können, muss der Übertragende die betraute Aufsichtsperson entsprechend instruieren.192 Ist den Eltern eines Neunjährigen bekannt, dass ihr Sohn trotz wiederholter Verbote Pfeil und Bogen besitzt, müssen sie die mit der Beaufsichtigung ihres Enkels betraute Großmutter anweisen, besonders auf den verbotenen Besitz dieses Spielzeugs zu achten.193 Geben konkrete Anhaltspunkte Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit der betrauten Aufsichtsperson, hat der originäre Aufsichtspflichtige die betraute Person gelegentlich zu kontrollieren.194 Und schließlich muss sich der Übertragende nach seiner Rückkehr über das Verhalten des Aufsichtsbedürftigen während seiner Abwesenheit informieren, um gegebenenfalls gebotene Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen. Nur so kann er seiner außerhalb der übertragenen Betreuungszeit unverändert bestehenden Aufsichtspflicht, aber auch seinem gemäß § 1631 Abs. 1 BGB bestehenden Erziehungsauftrag gerecht werden.195 e) Beweislastverteilung Weist der Geschädigte die Aufsichtspflicht und die Umstände der Schadenszufügung nach, wird von Gesetzes wegen zweierlei vermutet: erstens eine Verletzung der Aufsichtspflicht und damit das persönlich vorwerfbare Verschulden des Aufsichtspflichtigen196 und zweitens die Vermeidbarkeit des Schadens bei gehöriger Pflichterfüllung und damit die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schadenseintritt. Aufgrund der doppelten Vermutung kann sich der Aufsichtspflichtige auch auf zweierlei Weise exkulpieren. Die Verschuldensvermutung ist widerlegt, wenn der Aufsichtspflichtige nachweisen kann, dass er im konkreten Fall seiner Aufsichtspflicht genügt hat. Dem Aufsichtspflichtigen obliegt es darzulegen und zu beweisen, was er zur Erfüllung seiner Auf192

BGH NJW 1968, 1672, 1673. BGH VersR 1964, 1085, 1086. 194 OLG Hamm NJW-RR 1997, 344. 195 BGH NJW 1968, 1672, 1673. 196 Nach Wagner begründet die Aufsichtspflichtverletzung als Ausprägung der allgemeinen deliktischen Sorgfaltspflicht zugleich den Fahrlässigkeitsvorwurf, so dass das Verschulden des Aufsichtspflichtigen keiner besonderen Erörterung bedarf, Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 37. A.A. Belling, der zwischen Aufsichtspflichtverletzung und Schuldvorwurf differenziert und bei der Verschuldensfrage auf die Kenntnis des Aufsichtspflichtigen von den tatsächlichen Umständen, die den konkreten Aufsichtsanlass bestimmen, abstellt, Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 136; Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 1, Rn 15. Die Rechtsprechung prüft nach Bejahung der Aufsichtspflichtverletzung das Verschulden des Aufsichtspflichtgien jedoch nicht gesondert. 193

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sichtspflicht im Einzelnen unternommen hat. Davon zu unterscheiden ist die reine Rechtsfrage, welche Aufsichtsmaßnahme im konkreten Fall geboten war.197 Die vermutete Kausalität ist widerlegt, wenn der Aufsichtspflichtige beweist, dass der Schaden auch bei gehöriger Aufsicht mit Sicherheit eingetreten wäre. So gelang es einer aufsichtspflichtigen Mutter in einem Fall des OLG Frankfurt a.M., sich mit Erfolg auf den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens zu berufen.198 Ein 8-jähriger Junge ließ einen Eisenstampfer fallen und verursachte dadurch einen Tinnitus bei der Klägerin. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Junge auch bei einem Verbot und einer weiteren Belehrung durch die Mutter das Gerät in die Hand genommen hätte und dass das schadensstiftende Verhalten somit durch eine gehörige Aufsichtsführung nicht hätte vermieden werden können. Der Entlastungbeweis für die vermutete Kausalität wird jedoch in den meisten Fällen nur schwer zu führen sein, so dass seine Bedeutung in der Praxis als gering einzuschätzen ist.199 Gelingt dem Aufsichtspflichtigen der Entlastungsbeweis nicht, so haftet er auch dann, wenn tatsächlich kein Aufsichtsverschulden vorgelegen hat (non-liquet).200 Insbesondere Eltern können in Beweisnot geraten, weil Aufsichtsmaßnahmen wie z.B. Belehrungen und Verbote regelmäßig innerfamiliär erfolgen und der Kreis der in Betracht kommenden Zeugen dadurch naturgemäß begrenzt ist. Die Rechtsprechung ist sich dieser Beweisnot bewusst. Der BGH hat insbesondere bei der Elternhaftung die Instanzgerichte angemahnt, die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast nicht zu überspannen. Es müsse dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich innerfamiliär vollziehende und breitflächig angelegte Erziehungsmaßnahmen in der Regel nur schwer beweisen lassen.201 Daher soll insbesondere die Parteivernehmung der Eltern bereits dann zugelassen werden, wenn ein gewisser Beweis dafür erbracht ist, dass diese im Allgemeinen ihre Aufsichtspflicht ernst genommen haben.202

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Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 40; hierzu bereits 2. Teil B. I. 4. d). OLG Frankfurt NJW-RR 2002, 236. 199 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 145. 200 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, Rn 99; Canaris, VersR 2005, 577, 579 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei Fehlen der Beweislastumkehr die Rechtslage nicht weniger misslich sei, da dann der Schädiger unter Umständen trotz Verschuldens von der an sich gegebenen Haftungspflicht de facto frei werde. 201 BGH NJW 1984, 2574, 2576; BGH NJW 1990, 2553, 2554. 202 BGH NJW 1984, 2574, 2576. 198

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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5. Mitverschulden des Geschädigten Die Schadensersatzhöhe ist unter Beachtung eines etwaigen Mitverschuldens des Geschädigten bei der Schadensentstehung gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu bemessen. Ohne konkreten Anlass trifft den Geschädigten keine besondere Sorgfaltspflicht gegenüber Minderjährigen oder aufsichtsbedürftigen Erwachsenen. Der Eigentümer einer Scheune muss diese nicht bereits deswegen gesondert beaufsichtigen, weil generell die Möglichkeit besteht, dass auf dem Hof spielende Kinder einen Brand legen.203 Eine gesteigerte Sorgfaltspflicht besteht allerdings dann, wenn der Geschädigte weiß, dass von seinen Sachen ein besonderer Anreiz für aufsichtsbedürftige Personen ausgeht. Der Eigentümer eines Bauernhofs, der für Familien mit Kindern Ferien auf dem Land anbietet, hat daher sein Silo im besonderen Maße gegen das unbefugte Betreten durch Kinder zu sichern. 204 § 832 BGB begründet eine Haftung für das vorwerfbare Verhalten des Aufsichtspflichtigen. Dogmatisch ist bei der Abwägung nach § 254 Abs. 1 BGB daher der Ursachenbeitrag des Aufsichtspflichtigen, also die unterlassene gebotene Aufsichtsmaßnahme, und nicht das Verschulden des Aufsichtsbedürftigen der Pflichtwidrigkeit des Geschädigten gegenüberzustellen.205 Die unterlassene Aufsichtsmaßnahme und die Pflichtwidrigkeit des Geschädigten stellen nur schwer vergleichbare Ursachenbeiträge dar. Der Ursachenbeitrag des Aufsichtspflichtigen ist daher nach Ansicht des BGH in seinem Gewicht nach der Größe der Gefahr zu bemessen, die von dem Aufsichtsbedürftigen ausgegangen ist und die der Aufsichtspflichtige nicht hat neutralisieren können.206 6. Annäherung an eine objektive Einstandspflicht? Im Schrifttum ist wiederholt behauptet worden, die Haftung des Aufsichtspflichtigen habe sich de facto an eine verschuldensunabhängige Haftung angenähert207, tendiere zur Risikohaftung208 oder begründe eine Gefährdungshaftung.209 Die Gerichte würden so hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht stellen, dass deren Erfüllung praktisch unmöglich und die Ex203

BGH NJW 1983, 2821, 2822. OLG München FamRZ 1997, 740, 742. 205 BGH NJW 1987, 1430, 1432; OLG München FamRZ 1997, 740, 742. 206 BGH NJW 1987, 1430, 1432. 207 Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 115; Haberstroh, VersR 2000, 806, 814. 208 Stürner, VersR 1984, 297, 298: Stürner bezeichnet die Aufsichtshaftung von Eltern als Haftung für optimale Sorgfalt, die von der Rechtsprechung als eine neue Haftungskategorie zwischen Risiko- und Verschuldenshaftung entwickelt wurde. 209 Großfeld/Mund, FamRZ 1994, 1504, 1508. 204

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

kulpation für den Aufsichtspflichtigen faktisch nicht durchführbar sei. Als Motiv für die restriktive Rechtsprechung wird der häufig bestehende Versicherungsschutz des Aufsichtspflichtigen vermutet.210 Die Rechtsprechung stellt tatsächlich hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht. Allerdings differenziert sie im jeweiligen Einzelfall sehr genau nach Situation, Charakter und Alter des Kindes. Sie fordert strenge Aufsichtsmaßnahmen insbesondere beim Umgang mit gefährlichen Gegenständen wie Zündmitteln211 und bei der Betreuung von schwer erziehbaren Minderjährigen212 oder psychisch kranken Erwachsenen mit nicht unerheblichem Aggressionspotential.213 Diese Strenge findet ihre Rechtfertigung in der erhöhten Gefahr für Rechtsgüter Dritter. Hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht führen freilich nicht zwingend dazu, dass der Entlastungsbeweis misslingt. 214 So urteilte das OLG Hamm, dass bei Minderjährigen, die zu Straftaten neigen, zwar erhöhte Anforderungen an die Aufsichtspflicht zu stellen sind.215 Dennoch konnte sich im konkreten Fall das Heim für schwer erziehbare Jugendliche entlasten, weil nur eine gefängnisartige Einschließung ein Entweichen der Jugendlichen hätte vermeiden können. Diese Maßnahme sei aber auch bei der eigentlich erforderlichen hohen Aufsichtspflicht nicht geboten gewesen.216 In der Rechtsprechung ist eine Tendenz festzumachen, dass die Anforderungen an die Aufsichtsmaßnahme und die Anforderungen an den Entlastungsbeweis nicht immer trennscharf unterschieden werden. Der BGH überprüft zudem sehr genau, ob die Instanzgerichte die Anforderungen an die Aufsichtspflicht überspannt haben.217 So hatte in einem Fall eine Bedienung ihren 8-jährigen Sohn auf dem Gelände ihrer Arbeitsstätte spielen lassen und sein Treiben wiederkehrend kontrolliert. Dennoch stieg der Junge mit zwei Gleichaltrigen in einen Kellerraum der Gaststätte ein und legte ein Feuer. Das Instanzgericht verurteilte die Mutter zum Schadenersatz nach § 832 Abs. 1 BGB. Der BGH hob das Urteil auf und 210

Zum Einfluss des Versicherungsschutzes: 2. Teil B. I. 7. BGH NJW 1990, 2553; BGH NJW 1995, 3385; BGH NJW 1996, 1404; OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.12.2009, Az: 5 U 58/09. 212 BGH VersR 1965, 48; AG Königswinter NJW-RR 2002, 748. 213 OLG Koblenz NJW-RR 1997, 345, 346; so auch Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 235. 214 Eine Auflistung der Entscheidungen zu § 832 BGB insgesamt, bei denen die Exkulpation zumindest im Rahmen der Elternhaftung gelang, findet sich bei Bernau, Die Aufsichtshaftung der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 208, Fn 736 oder bei Albilt, Haften Eltern für ihre Kinder?, 1987, S. 330 ff. 215 OLG Hamm NJW-RR 1988, 798. 216 OLG Hamm NJW-RR 1988, 798. 217 Bejahend: BGH NJW 1993, 1003; BGH NJW 1980, 1044, 1045; verneinend: BGH NJW 1983, 2821. 211

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entschied, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Aufsichtspflicht überspannt habe, indem es von der Mutter eine ständige und lückenlose Kontrolle des Spiels ihres 8-jährigen, normal entwickelten Kindes im Freien verlangte.218 Allerdings existieren auch Entscheidungen, in denen die gestellten Anforderungen sehr hoch und beinahe lebensfremd erscheinen. So sind etwa die vom OLG Düsseldorf in einem Urteil aus dem Jahre 1997 gestellten Anforderungen an die Aufsichtspflicht der Eltern kaum nachvollziehbar219: Ein 6-jähriger Junge verletzte beim Spiel mit einer Spielzeugpistole das Auge seines 3-jährigen Nachbarn, indem er als Munition nicht den vorgesehenen Pfeil, sondern einen Stock verwendete. Die Spielzeugpistole war dem geschädigten Kind zum Spielen überlassen worden. Das Gericht bejahte eine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern des schädigenden Jungen mit der Begründung, sie hätten ihren Sohn nicht ausreichend über die spezifische Gefährlichkeit von Spielzeugwaffen aufgeklärt. Eine solche Aufklärung wäre aber aufgrund der großen Beliebtheit dieser Spielzeuge bei Kindern erforderlich gewesen. Die Eltern konnten sich nicht dadurch entlasten, dass sie ihren Sohn über die Gefährlichkeit echter Schusswaffen aufgeklärt hatten. Auch die Tatsache, dass dem 6-Jährigen noch nie eine Spielzeugpistole in die Hand gegeben worden war, führte nicht zur Exkulpation der Eltern. Das Urteil stieß im Schrifttum auf deutliche Kritik, insbesondere da die vom Gericht verlangten Belehrungspflichten uferlos und im praktischen Leben überhaupt nicht zu erfüllen seien.220 Auch das OLG Frankfurt a.M. stellte in einem Urteil aus dem Jahr 2007 sehr hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht der Betreuer eines Fußballcamps für 7- bis 12-Jährige.221 Bei einem Minigolfspiel verletzte ein Kind ein anderes beim Ausholen mit dem Minigolfschläger. Die Richter waren der Ansicht, dass 7- bis 12-jährige Kinder die typische Gefährdungssituation durch die Schlägerbewegung noch nicht einschätzen können und sich deswegen ein Betreuer in unmittelbarer Nähe jeder Gruppe aufhalten müsse, um eine schädigende Ausholbewegung bereits im Ansatz zu verhindern. Die Beaufsichtigung der Kinder in Ruf- und Hörweite von ca. 100 Metern und die vorangegangenen Hinweise über die Gefahren beim Minigolfspiel stellten indes nur ungenügende Aufsichtsmaßnahmen dar. Den vorangestellten Entscheidungen zum Trotz setzt sich die Rechtsprechung in den meisten Fällen intensiv mit der Situation von Aufsichts218

BGH NJW 1984, 2574, 2575. OLG Düsseldorf VersR 1998, 721. 220 Haberstroh, VersR 2000, 806, 813; Bernau, Die Aufsichtshaftung der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 108. 221 OLG Frankfurt NJW-RR 2008, 975. 219

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

pflichtigen und -bedürftigen auseinander, bevor sie eine Aufsichtspflichtverletzung bejaht. In vielen Entscheidungen gehen die Gerichte ausdrücklich auf Erziehungs- und Therapieziele des Aufsichtspflichtigen sowie auf medizinisch und pädagogisch gebotene Freiräume des Aufsichtsbedürftigen ein.222 Im Ergebnis stellen die Gerichte oft vernünftige Anforderungen an die Aufsichtspflicht. In einem Urteil aus dem Jahre 1980 erklärt der BGH, dass der Richter bei der Haftung aus § 832 BGB den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten einen gewissen Freiraum vertretbarer pädagogischer Maßnahmen lassen müsse. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das Gesetz dem Erziehungsberechtigten den Entlastungsbeweis auferlegt hat.223 Der im Schrifttum anzutreffenden Auffassung, die Haftung aus § 832 BGB sei eine Gefährdungshaftung, trat das OLG Hamm im Jahre 2000 deutlich entgegen.224 In dem zu entscheidenden Fall lehnten es die Richter ab, den Inhalt der elterlichen Aufsichtspflicht im Straßenverkehr anhand starrer Altersgrenzen festzulegen. Die gebotene Aufsichtsmaßnahme könne nur individuell und unter Berücksichtigung des elterlichen Erziehungsauftrags bestimmt werden. Für starre Altersgrenzen hatte sich die Vorinstanz ausgesprochen, um drohende Haftungslücken – insbesondere im Hinblick auf § 828 Abs. 2 BGB – zu schließen. Diese Schutzlücke sei nach dem OLG Hamm hinzunehmen. Die Haftung der aufsichtspflichtigen Eltern habe nicht die Funktion, im Falle einer Schädigung durch ein Kind stets einen Haftpflichtigen an der Hand zu haben. In einer weiteren Entscheidung erklärte das OLG Hamm, dass Schäden, die im Rahmen vertretbarer pädagogischer Freiräume durch Minderjährige verursacht werden, vom Geschädigten als allgemeines Lebensrisiko entschädigungslos hingenommen werden müssen.225 Auch das OLG Koblenz erinnert in einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 daran, dass § 832 BGB keine Gefährdungshaftung aufstelle und dass das Deliktsrecht im Bereich der Verschuldenshaftung eben keine lückenlose Haftpflicht bereithalte.226 Die aufgezeigte Rechtsprechung widerspricht größtenteils der These, die Haftung aus § 832 BGB habe sich faktisch einer objektiven Einstandspflicht angenähert. Die wenigen Entscheidungen, welche die Anforderun222

Schwer erziehbare Minderjährige: OLG Saarbrücken VersR 2008, 408, 409; OLG Dresden NJW-RR 1997, 857, 858; OLG Hamm NJW-RR 1988, 798; aufsichtsbedürftige Erwachsene: OLG Hamm NJW-RR 1994, 863, 864. 223 BGH NJW 1980, 1044, 1045. 224 OLG Hamm NZV 2001, 42. 225 OLG Hamm MDR 2000, 454, 455; in diesem Sinne auch LG Landau, Beschluss v. 23.9.2010, Az: 1 S 120/10, wonach der Geschädigte im Ergebnis die Härte zu tragen hat, die sich aus der Privilegierung von Kindern unter 11 Jahren nach § 828 Abs. 2 BGB ergibt. 226 OLG Koblenz, Beschluss v. 21.1.2009, Az: 12 U 1299/08.

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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gen an die Aufsichtspflicht überspannen, sind letztlich als „Ausreißer“ zu qualifizieren.227 Sie können keine generelle Annäherung der Aufsichtshaftung an eine objektive Einstandspflicht belegen.228 7. Einfluss des Versicherungsschutzes bei der Entscheidungsfindung Viele Aufsichtspflichtige sind haftpflichtversichert. Krankenhäuser, psychiatrische Anstalten, Behinderteneinrichtungen und Heime für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche schließen standardmäßig eine Haftpflichtversicherung ab, die für die von den aufsichtsbedürftigen Personen verursachten Schäden aufkommt. Auch der überwiegende Teil der Sorgeberechtigten sichert sich durch den Abschluss einer privaten Familienhaftpflichtversicherung gegen durch ihre Kinder verursachte Schäden ab.229 Im Jahre 2009/2010 besaßen gut 70 % der deutschen Haushalte eine solche Privathaftpflichtversicherung.230 Die Vorschrift des § 100 VVG verpflichtet den Haftpflichtversicherer, „den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten auf Grund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers […] geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren.“ Die Vorschrift des § 100 VVG räumt dem Versicherungsnehmer also ausdrücklich einen Anspruch ein auf Befreiung von berechtigten Schadensersatzansprüchen eines Dritten sowie einen Anspruch auf Gewährung von Rechtsschutz gegenüber den begründeten oder unbegründeten Ansprüchen des Dritten.231 Zwar steht dem Geschädigten bei einer Privathaftpflichtversicherung kein Direktanspruch gegenüber dem Versicherer zu.232 Er muss seinen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Aufsichtspflichtigen geltend machen. Die Zahlung des Schadensersatzes erfolgt jedoch direkt durch den Versicherer, so dass eine finanzielle Belastung des Aufsichtspflichtigen im Falle einer Verurteilung nach § 832 BGB nicht entsteht. Gleichzeitig erhält der Geschädigte mit der Versicherung einen solventen Schuldner. Ein vorhandener Versicherungsschutz dient damit dem Interesse des Aufsichtspflichtigen und dem Interesse des Geschädigten. 227

So die Bezeichnung bei Canaris, VersR 2005, 577, 579. Insbesondere im Bereich der Haftung für das schädigende Verhalten von aufsichtsbedürftigen Erwachsenen fehlt eine aussagekräftige Zahl von veröffentlichten Entscheidungen, welche die Annäherung an eine objektive Einstandspflicht belegen könnten. 229 Nach Ziffer I.1. der Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen zur Haftpflicht-Versicherung für Privatpersonen sind ausdrücklich Gefahren versichert, die dem Versicherungsnehmer als Familien- und Haushaltungsvorstand (z.B. aus der Aufsichtspflicht über Minderjährige) entstehen. 230 Jahrbuch des GDV 2010, S. 61, Quelle: Allensbacher Werbeträger-Analyse 2010. 231 Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 100, Rn 2, 9. 232 Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, Vorb. § 100, Rn 2. 228

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

Die Vorschrift des § 100 VVG macht außerdem deutlich, dass der Versicherungsschutz erst eingreift, wenn eine Einstandspflicht des Versicherungsnehmers festgestellt worden ist. Die Rechtsprechung erinnert regelmäßig an den allgemeinen Grundsatz, dass sich die Versicherung nach der Haftung und nicht umgekehrt die Haftung nach der Versicherung zu richten habe.233 Zwischen der Haftungsfrage und der Versicherungsfrage ist demnach streng zu trennen. Nach dem sogenannten Trennungsprinzip sind die Haftungsfrage abschließend im Haftungsprozess und die Versicherungsfrage im Deckungsprozess zu klären.234 Gleichwohl führen die Gerichte im Rahmen der Haftungsfrage nach § 832 BGB das Argument der Versicherbarkeit des vom Aufsichtsbedürftigen ausgehenden Risikos regelmäßig in ihren Urteilsgründen an: Das Risiko, das von Kindern ausgehe, sei den Eltern eher als dem Geschädigten zuzurechnen, da sich diese in zumutbarer Weise dagegen versichern könnten. 235 Zwar stützten die Gerichte die Haftung weiterhin auf eine konkrete Aufsichtspflichtverletzung, jedoch scheint diese in den Fällen, in denen tatsächlich ein Versicherungsschutz bestand, eher bejaht zu werden.236 Freilich existieren auch Entscheidungen, in denen eine Aufsichtspflichtverletzung trotz bestehenden Versicherungsschutzes auf Seiten der Beklagten, von dem die Richter Kenntnis hatten, verneint wurde.237 Die Versicherbarkeit des vom Aufsichtsbedürftigen ausgehenden Schadensrisikos bildet keinen Haftungsgrund des § 832 BGB und muss bei der Begründung des Anspruchs außer Betracht bleiben. Insbesondere stellt das Unterlassen der Aufsichtsperson, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, keine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 832 BGB dar. 238 Eine Haftpflichtversicherung hat nicht die Funktion, Haftungsgründe zu schaffen, sondern das Vermögen des Versicherten gegen die Inanspruchnahme aufgrund einer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit zu schützen.239 Zwar hat der BGH erklärt, dass das Vorhandensein einer Pflichtversicherung unter besonderen Umständen sogar Grund und Umfang eines Haftungsanspruchs bestimmen kann. Diese Aussage bezog sich jedoch auf den 233

BGH VersR 1992, 437, 439; BGH NJW 1993, 68. BGH NJW 1993, 68; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, Vor § 823 Rn 33. 235 BGH NJW 1983, 2821; BGH NJW 1995, 3385, 3386; BGH NJW 1996, 1404, 1405; LG Lüneburg NJW-RR 1998, 97, 98. 236 So etwa in BGH NJW 1995, 3385, 3386; BGH NJW 1996, 1404, 1405; Bernau, VersR 2005, 1346, 1347 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 237 BGH NJW 1993, 1003; LG Berlin VersR 1967, 237. 238 Larenz/Canaris, SBT II, 13. Aufl. 1994, § 76 III 4 g. 239 Lücke, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 100 Rn 71; Haberstroh, VersR 2000, 806, 812. Die Haftpflichtversicherung nimmt dem Versicherten das wirtschaftliche Risiko einer Belastung mit Haftpflichtansprüchen ab; Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn 1016. 234

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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Haftungsanspruch nach § 829 BGB.240 Im Gegensatz zur Billigkeitshaftung nach § 829 BGB, bei deren Begründung das Bestehen eines Versicherungsschutzes nach h.M. Berücksichtigung finden darf und muss241, basiert § 832 BGB auf dem Verschuldensprinzip. Dogmatisch kann daher allein die Verletzung der Aufsichtspflicht durch den Beklagten einen Anspruch nach § 832 BGB begründen. Der Gedanke der Risikobeherrschung durch Versicherung kann allenfalls im Rahmen einer Gefährdungshaftung Berücksichtigung finden. Billigkeitsgesichtspunkte und etwaige rechtspolitisch erwünschte Ziele wie die sichere Entschädigung des Geschädigten müssen bei der auf dem Verschuldensprinzip beruhenden Haftung außen vor bleiben.242 Nach einer Untersuchung von Bernau haben die Gerichte das Argument der Versicherbarkeit des Risikos in den letzten zehn Jahren nicht mehr angeführt.243 Die erwünschte Aufgabe dieses Begründungsansatzes bleibt abzuwarten.

II. Die Haftung wegen Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB Die Vorschrift des § 832 BGB wurde vom Gesetzgeber als Einzeltatbestand für die Haftung bestimmter aufsichtspflichtiger Personen geschaffen. Um Lücken im deutschen Deliktssystem zu schließen, entwickelte die Rechtsprechung aus § 823 Abs. 1 BGB ein allgemeines deliktisches Sorgfaltsgebot, nach dem jeder die vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt anzuwenden hat, um Schäden Anderer zu vermeiden.244 Unter diese „Generalklausel“ fallen auch die Anwendungsfälle des § 832 BGB, der somit zu einem Regelbeispiel für ein hinter ihm liegendes allgemeines Prinzip geworden ist.245 § 832 BGB ist nicht mehr Einzeltatbestand, sondern Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB. Der Geschädigte kann seinen Schadensersatzanspruch gegenüber der Betreuungs240

BGH JZ 2008, 999, 1000. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 358. Nach Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 61 und der Rechtsprechung kann allein ein Pflichtversicherungsschutz wie die Kfz-Haftpflichtversicherung bei der Haftungsbegründung aus Billigkeit Berücksichtigung finden, während freiwillig abgeschlossene Haftpflichtversicherungen allein beim Umfang des Schadens herangezogen werden können, BGH NJW 1979, 2096. 242 Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 133; zustimmend Bernau, Die Aufsichtshaftung der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 430. 243 Bernau, FamRZ 2007, 92, 99. 244 von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrecht, 1960, S. 49, 71, 80. 245 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band II, Rn 104. 241

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

person demnach auch auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB geltend machen. Nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen muss er bei § 823 Abs. 1 BGB die Verletzung einer Verkehrspflicht durch die Betreuungsperson beweisen. Inhaltlich ist das deliktische Sorgfaltsgebot aus § 823 Abs. 1 BGB mit der Aufsichtspflicht nach § 832 BGB identisch.246 Sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 832 BGB erfüllt, wird der Geschädigte seinen Anspruch wegen der beweisrechtlichen Besserstellung regelmäßig auf § 832 BGB und nicht auf § 823 Abs. 1 BGB stützen.247 In zwei denkbaren Aufsichtskonstellationen ist der Geschädigte auf einen Schadensersatzanspruch gegen die Aufsichtsperson aus § 823 Abs. 1 BGB angewiesen. Zum einen ist der Rückgriff auf § 823 Abs. 1 BGB erforderlich, wenn mangels vertraglicher Übernahme der Aufsichtspflicht ein Anspruch aus § 832 Abs. 2 BGB ausscheidet. Wird die Aufsicht über ein Kind durch Verwandte, Nachbarn oder einen Babysitter aus Gefälligkeit übernommen, kommt allein eine Haftung wegen der Verletzung einer allgemeinen Verkehrspflicht in Betracht.248 Zum anderen ist der Rückgriff auf § 823 Abs. 1 BGB erforderlich, wenn der Anspruchsgegner mit einem nicht voll zurechnungsfähigen Erwachsenen in einem Haushalt lebt, für den keine Betreuung angeordnet wurde.249 Verkehrspflichten sind Gefahrvermeidungs- und Gefahrabwendungspflichten.250 Eine allgemeine Rechtspflicht, Dritte vor Schäden zu bewahren, gibt es nicht. Vielmehr trifft eine Verkehrspflicht nur denjenigen, der eine Gefahr für geschützte Belange verursacht und in seinem Einflussbereich andauern lässt.251 Schädigt eine minderjährige oder kranke volljährige Person Rechtsgüter Dritter, muss die Aufsichtsperson nur dann nach 246

Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 1, Rn 23. Nach Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 163, verdrängt § 832 BGB als lex specialis § 823 Abs. 1 BGB; hingegen stütze das OLG Düsseldorf in VersR 1978, 352, 355 die Verletzung der Aufsichtspflicht eines Vaters auf § 823 Abs.1 BGB, ohne § 832 BGB überhaupt zu nennen; nach Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 175, kommt es auf § 832 BGB nicht an, solange der Geschädigte den Beweis einer Pflichtverletzung nach § 823 BGB erbringen kann; auch nach Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 832 Rn 3, ist § 823 BGB grundsätzlich neben § 832 BGB anwendbar. 248 Wenn man nicht mit Wagner eine Gleichstellung der faktischen mit der vertraglichen Aufsichtsübernahme fordert und in beiden Fällen den Anwendungsbereich des § 832 Abs. 2 BGB als eröffnet sieht, Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 832 Rn 20; hierzu 2. Teil B. I. 4. b) bb) (2). 249 Zur Haftung eines Vaters für einen im selben Haushalt lebenden erwachsenen Sohn, vgl. RGZ 92, 125, 126; BGH NJW 1958, 1775; zur Haftung einer Ehefrau für ihren nicht mehr zurechnungsfhähigen Ehegatten, vgl. OLG Hamm VersR 1975, 616; siehe außerdem bereits 2. Teil B. I. 4. b) aa). 250 Larenz/Canaris, SBT II, 13. Aufl. 1994, § 76 III 1 d. 251 Edenfeld, VersR 2002, 272. 247

B. Die Haftung von Betreuungspersonen

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§ 823 Abs. 1 BGB haften, wenn sie eine ihr obliegende Pflicht zum Handeln unterlassen hat. Eine Pflicht zum Handeln erwächst in drei Fällen: im Falle der Eröffnung oder Duldung eines Verkehrs, der Übernahme einer Aufgabe und des vorangegangenen, besonders gefährlichen Tuns.252 Wer ein Krankenhaus eröffnet und dem Publikum zugänglich macht, ist nach § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, die notwendigen Vorkehrungen zu dessen Schutz zu treffen.253 Gelangt ein 7-jähriger Patient unbeobachtet in das Nachbarzimmer und lässt zwei Säuglinge fallen, muss die Krankenhausleitung wegen Verletzung ihrer Verkehrspflicht haften. Im zu entscheidenden Fall war auch § 832 BGB erfüllt. Wer für kurze Zeit und aus Gefälligkeit das Kind einer Nachbarin hütet oder Besuche von Spielkameraden des eigenen Kindes duldet, verpflichtet sich zu einer sorgfältigen Aufsicht über das fremde Kind. In erster Linie dient die Aufsicht dem Schutz des Kindes vor Schädigungen.254 Sie umfasst aber auch die Vermeidung von schadensstiftenden Handlungen durch das fremde Kind.255 Die Begründung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB knüpft nicht wie § 832 Abs. 2 BGB an eine vertragliche Aufsichtsübernahme an. Die tatsächliche Aufsichtsübernahme reicht aus.256 Ein wesentlicher Grund der Haftung des Gefälligen liegt in dem Vertrauen des Rechtsverkehrs auf eine sorgfältige Erledigung der übernommenen Aufgabe.257 Wer fremde Kinder zum Überqueren einer Straße veranlasst258 oder in die gefahrenträchtige Umgebung eines Friedhofs führt259, schafft durch dieses vorangegangene Tun eine besondere Gefahrenlage, die eine Rechtspflicht zur Verhinderung von Schäden begründet.

III. Zwischenergebnis Im deutschen Recht wird nicht für das Fehlverhalten eines Kindes und körperlich oder psychisch kranken Erwachsenen, sondern für das eigene Fehlverhalten gehaftet. Die Einstandspflicht setzt neben der eigenen Sorg252

Fuchs, Deliktsrecht, 7. Aufl. 2009, S. 93; Larenz/Canaris, SBT II, 13. Aufl. 1994, § 76 III 3. 253 BGH NJW 1976, 1145. 254 OLG Celle VersR 1978, 1172 (Mitnahme der Nichte in ein Kaufhaus, wo sich das Kind auf der Rolltreppe schwer verletzte). 255 BGH NJW 1968, 1874, 1875. 256 OLG Nürnberg VersR 1961, 571; OLG Celle VersR 1978, 1172. 257 Edenfeld, VersR 2002, 272, 273. 258 OLG Schleswig VersR 1980, 242; in diesem Sinne auch LG Karlsruhe VersR 1981, 143, allerdings war hier das mitgenommene fremde Kind auch gleichzeitig der Geschädigte. 259 BGH VersR 1968, 378, 379.

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

faltspflichtverletzung eine Garantenstellung über den unmittelbaren Schadensverursacher voraus. Eine Zurechnung des Fehlverhaltens des Aufsichtsbedürftigen findet nicht statt. Die Haftung des Aufsichtspflichtigen ist keine Haftung „für“ Andere. Eine Garantenstellung übernimmt bereits, wer sich eines Kindes oder eines geistig geschwächten Erwachsenen für gewisse Zeit annimmt, weil er dadurch einen Vertrauenstatbestand schafft. Er ist dann haftbar gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Bestimmte Personen unterliegen überdies der verschärften Haftung nach § 832 BGB. Das erhöhte Haftungsrisiko trifft die durch Gesetz Aufsichtspflichtigen, insbesondere sorgeberechtigte Eltern, und diejenigen, die vertraglich die Beaufsichtigung übernommen haben. Diese Personen haften gemäß § 832 BGB. Für sie gelten die Vermutungen einer Sorgfaltspflichtverletzung und der Vermeidbarkeit des Schadens bei gehöriger Pflichterfüllung. Verwandte, Freunde, Nachbarn und jugendliche Babysitter nehmen fremde Kinder in der Regel aus Gefälligkeit und nur für kurze Dauer in Obhut. Sie haften mangels Rechtsbindungswillens nicht verschärft gemäß § 832 Abs. 2 BGB. Der durch Gesetz Aufsichtspflichtige kann die Aufsicht auf eine gewissenhafte und vertrauensvolle Person übertragen. Dann verwandelt sich seine Sorgfaltspflicht in eine Organisationspflicht. Bei ungenügender Übertragung der Aufsichtspflicht haften der originär Aufsichtspflichtige und der unmittelbar Aufsichtsführende samtverbindlich nach § 840 Abs. 1 BGB. Die verschärfte Haftung nach § 832 BGB nähert sich faktisch nicht einer strikten Haftung an. Die Rechtsprechung stellt an die Aufsichtspflicht zumeist vernünftige Anforderungen, die sowohl dem Aufsichtspflichtigen als auch dem Aufsichtsbedürftigen pädagogische und therapeutische Freiräume lassen. Großen Einfluss auf den Inhalt der Aufsichtsmaßnahme hat der Umstand, ob der eingetretene Schaden für den Aufsichtspflichtigen vorhersehbar war. Dabei spielt das Vorverhalten des Aufsichtsbedürftigen eine zentrale Rolle. Die maßvolle Ermittlung der gebotenen Aufsichtsmaßnahmen durch die Rechtsprechung hat zur Folge, dass dem Aufsichtspflichtigen der Entlastungsbeweis nicht selten gelingt. Für Schäden Minderjähriger und geistig oder körperlich Behinderter ergibt sich somit folgendes Bild: Die Vorschrift des § 832 BGB dient dem Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit. Schäden des Aufsichtsbedürftigen sind vom Aufsichtspflichtigen durch präventive Maßnahmen zu verhindern. Nur er kann effektiv auf das Verhalten des Aufsichtsbedürftigen einwirken. Hat der Aufsichtspflichtige eine schädigende Handlung nicht verhindert, ist der entstandene Schaden primär ihm zuzurechnen. Die Zu-

C. Die Haftung von Organisationen

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weisung des Schadens zum Aufsichtspflichtigen ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn der Aufsichtspflichtige den Schaden schuldhaft nicht verhindert hat. Entsteht der Schaden während sozialnormativ gebilligter Aktivitäten, muss er von dem Geschädigten und der Allgemeinheit über die Sozialversicherungsträger als allgemeines Lebensrisiko entschädigungslos hingenommen werden.260 Der Zweck des § 832 BGB besteht nicht darin, dieses allgemeine Lebensrisiko auf den Aufsichtspflichtigen abzuwälzen. Problematisch ist eine Tendenz in der Rechtsprechung, eine Aufsichtspflichtverletzung im Falle eines bestehenden Versicherungsschutzes auf Seiten des Aufsichtspflichtigen eher anzunehmen. Eine solche ergebnisorientierte Vorgehensweise ist mit der Dogmatik des § 832 BGB und dem allgemeinen Verkehrspflichtgedanken des § 823 Abs. 1 BGB unvereinbar. Zahlreiche Stimmen in der Literatur üben Kritik an der geltenden Rechtslage. Die Änderungsvorschläge reichen von einer ersatzlosen Streichung des § 832 BGB bis hin zu der Einführung einer objektiven Einstandspflicht für das schädigende Verhalten von aufsichtsbedürftigen Personen. Auf die einzelnen Reformüberlegungen wird im vierten Teil dieser Arbeit eingegangen.

C. Die Haftung von Organisationen C. Die Haftung von Organisationen

Eine mit Art. 1384 Abs. 1 C.c. vergleichbare allgemein formulierte Anspruchsgrundlage kennt das deutsche BGB nicht. Mitglieder von Organisationen sind keine aufsichtsbedürftigen Personen im Sinne von § 832 BGB. Eine Erweiterung des aufsichtsbedürftigen Personenkreises im Wege der Analogie wird nicht in Betracht gezogen. Im Unterschied zu aufsichtsbedürftigen Personen sind erwachsene Mitglieder einer Organisation in der Lage, ihr Handeln und Verhalten freiverantwortlich zu steuern. Eine Ausnahme gilt für minderjährige Vereinsmitglieder. Durch Abschluss des Mitgliedschaftsvertrages und Einladung zur Teilnahme am Vereinsleben übernehmen der Verein und seine Übungsleiter bei sachlich, räumlich sowie zeitlich vereinsspezifischen Aktivitäten, wie etwa bei einem Fußballspiel des Sportvereins, die Aufsicht über das minderjährige Vereinsmitglied.261 Spielt der Minderjährige während eines Wettkampfs 260 So ausdrücklich OLG Hamm MDR 2000, 454, 455; für den Bereich der Schadenszufügungen durch Kinder im Straßenverkehr Steffen, VersR 1998, 1449, 1451. 261 Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003, Rn 200; vgl. AG Halle, Urteil v. 1.10.2009, Az: 93 C 1076/09, das von einer vertraglich übernommenen Aufsichtspflicht des Sportvereins über seine jugendlichen Sportler ausgeht, jedoch eine Pflicht, 15- und 16jährige Jugendliche beim Duschen zu überwachen, zu Recht verneint.

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

oder Trainings grob regelwidrig und verletzt einen anderen Spieler, kommt ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Verein gemäß § 832 Abs. 2 BGB in Betracht. Die Aufsichtspflicht des Vereins beinhaltet nicht nur die Beaufsichtigung der minderjährigen Vereinsmitglieder, sondern darüber hinaus die Belehrung über die Gefahren grob regelwidrigen Spieles und die Durchsetzung fairen Spielverhaltens. Ebenso haben Veranstalter von Pfadfinderlagern und Ferienfreizeiten für das schädigende Verhalten der minderjährigen Teilnehmer nach den Grundsätzen des § 832 BGB einzustehen.262 Bei Drittschädigungen durch volljährige Mitglieder ist eine erleichterte deliktsrechtliche Haftung allein im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung gemäß § 831 BGB denkbar. Darüber hinaus kommt eine Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer allgemeinen Verkehrspflicht in Betracht. Dem Verein ist das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder nicht gemäß § 31 BGB zurechenbar, weil die Mitglieder keine Organe des Vereins sind. Um rechtlich handlungsfähig zu sein, ist ein Verein nicht auf seine Mitglieder angewiesen. Diese verwalten weder das Vereinsvermögen, noch nehmen sie für den Verein am Rechtsverkehr teil.263

I. Haftung von Sportvereinen für ihre Spieler gemäß § 831 BGB Mannschaftssportarten, wie Fußball, Handball oder American Football, sind gegeneinander auszuführende Wettkampfsportarten. Verletzungen der Spieler sind unvermeidbare Folge des gegenseitigen Aufeinandertreffens. Klagt der verletzte Spieler auf Schadensersatz, richtet er seine Klage regelmäßig gegen den Gegenspieler, der die Verletzung unmittelbar verursacht hat. Der Schadensersatzprozess kreist regelmäßig um die Frage, ob dem schädigenden Spieler ein mehr als nur geringfügiger Regelverstoß zur Last fällt.264 Eine Haftung des Vereins für das schädigende Verhalten seines Spielers wird von der Rechtsprechung soweit ersichtlich gar nicht und vom Schrifttum265 nur selten diskutiert. Die Haftung des Vereins für das 262 OLG München VersR 1979, 747; LG Landau NJW 2000, 2904; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2008, 975; hierzu 2. Teil B. I. 4. b) bb) (1). 263 Küpperfahrenberg, Haftungsbeschränkungen für Verein und Vorstand, Berlin 2005, S. 37 f. 264 KG Berlin SpuRt 2008, 76 (American Football); BGH NJW 1976, 957 (Fußball); BGH NJW 1976, 2161 (Basketball); OLG München NJW-RR 1989, 727, 728 (Eishockey); Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn 549. 265 Schmidt, VersR 1965, 97, Anm. zu LG Trier VersR 1965, 879; Grunsky, Haftungsrechtliche Probleme der Sportregeln, 1979, S. 32 ff.; Krähe, Die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche von Amateur- und Berufssportlern für Verletzungen beim Fußballspiel, 1981, S. 299 ff., 353.

C. Die Haftung von Organisationen

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schädigende Verhalten seines Spielers kommt allein auf deliktischer Grundlage in Betracht. Zwischen Spielern unterschiedlicher Vereine bestehen ebenso wenig vertragliche Beziehungen wie zwischen Spielern und dem gegnerischen Verein. Eine vertragliche Beziehung besteht bei einer Teilnahme am Ligabetrieb oder sonstigen Verbandswettkämpfen lediglich zwischen dem ausrichtenden Verein und dem Verband.266 1. Der Spieler als Verrichtungsgehilfe Eine grundsätzlich in Betracht kommende Geschäftsherrenhaftung gemäß § 831 BGB setzt voraus, dass der schädigende Spieler als Verrichtungsgehilfe des Vereins zu qualifizieren ist. Verrichtungsgehilfe ist, wem eine Tätigkeit von einem anderen übertragen worden ist, unter dessen Einfluss er allgemein oder im konkreten Fall handelt und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht.267 Diese Voraussetzungen sind bereits dann erfüllt, wenn der Geschäftsherr die konkrete Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann.268 Aus dem Schrifttum befürwortet Schmidt, dass sowohl die Spieler der Heimmannschaft als auch die Spieler der Gastmannschaft bei einem Fußballspiel als Verrichtungsgehilfen des das Spiel ausrichtenden Vereins anzusehen seien. Der Veranstalter müsse folglich für das schädigende Verhalten der Spieler gegenüber den Zuschauern nach § 831 BGB haften.269 Eine Begründung für diese rechtliche Einordnung bleibt Schmidt schuldig. Reichert verneint hingegen die Gehilfeneigenschaft von Spielern der Gastmannschaft mangels Weisungsgebundenheit. Doch bejaht auch er die Gehilfeneigenschaft von Spielern der Heimmannschaft, allerdings ohne die Weisungsgebundenheit zu konkretisieren.270 Grunsky zufolge handeln Spieler, die Arbeitnehmer des in Anspruch genommenen Vereins sind, als Verrichtungsgehilfen. Auch bei Spielern, die zwar nicht Arbeitnehmer, aber Vereinsmitglieder sind, sei § 831 BGB aufgrund der sozialen Abhängigkeit des Mitglieds vom Verein zu bejahen.271 Ebenfalls qualifiziert Krä266

Heermann/Götze, Zivilrechtliche Haftung im Sport, 2002, S. 106. BGH WM 1998, 257, 259. 268 Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 831 Rn 5; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 831 Rn 14. 269 Schmidt, VersR 1965, 97, Anm. zu LG Trier VersR 1965, 879. In der Entscheidung selbst ging es jedoch um die Frage, inwieweit der Veranstalter nach § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, besondere Vorkehrungen zum Schutz von Zuschauern vor einem abirrenden Ball zu treffen. 270 Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Aufl. 2010, Rn 3668. Nach Reichert sind hingegen sowohl die Spieler der Gast- als auch der Heimmannschaft Erfüllungsgehilfen, da sich der Verein bei Erfüllung des Zuschauervertrages beider Mannschaften bedient, Rn 3661. 271 Grunsky, Haftungsrechtliche Probleme der Sportregeln, 1979, S. 34. 267

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he Amateur- und Profifußballspieler als Verrichtungsgehilfen.272 Der Verein erfülle gegenüber seinem zuständigen Regionalverband seine mitgliedschaftliche Verpflichtung, wenn er an festgesetzten Zeiten und Orten seine Teams zwecks Ausrichtung der Wettkampf- und Turnierspiele antreten lässt. Er erteile seinen Mitgliedern Anweisungen über Regeln und Spieltaktik und bestimme, welche Funktion der einzelne Spieler wahrzunehmen hat. Während des Spiels seien die Spieler den Anordnungen des Trainers oder Betreuers unterworfen, der die Spieler jederzeit auswechseln und zu bestimmten Spielzügen animieren könne. An der erforderlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit könne daher kein Zweifel bestehen.273 Für die Frage der Weisungsgebundenheit von Fußballspielern hilft ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Das BSG geht bei Berufsspielern von einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV, also von nichtselbstständiger Arbeit, aus. Diese ist gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV gekennzeichnet durch eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Das BSG sieht in der Verpflichtung des Fußballspielers gegenüber dem Sportverein, fußballsportliche Tätigkeiten nach Anleitung des Vereins zu erbringen, typischerweise gegen Zahlung eines Arbeitsentgelts (§ 14 SGB IV), eine weisungsgebundene Eingliederung. 274 Hingegen reiche eine rein mitgliedschaftliche Bindung zwischen Sportler und Verein nicht für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses aus. Aus dem Erfordernis, am werktäglichen Training und am Sonntagsspiel teilzunehmen sowie den Anweisungen des Trainers zu folgen und etwaigen Sanktionen zu unterliegen, folge allein noch keine über die mitgliedschaftliche Einbindung hinausgehende Eingliederung in die Organisation des Vereins und keine Direktionsgewalt der Vereinsführung, der sich der Sportler unabhängig von seiner Vereinsmitgliedschaft rechtlich unterordnen muss. Diese Umstände seien typisch für Mitglieder einer Fußballmannschaft, unabhängig davon, ob sie in einem Beschäftigungs- oder lediglich einem Mitgliedschaftsverhältnis zum Verein stehen.275 Zu bedenken ist jedoch, dass auch „Amateur“-sportler in immer stärkerem Maße nicht mehr bereit sind, sportliche Leistungen für den Verein zu erbringen, ohne von Vereinen oder hinter den Vereinen stehenden Mäze272 Krähe, Die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche von Amateur- und Berufssportlern für Verletzungen beim Fußballspiel, 1981, S. 299 ff., 353. 273 Krähe, Die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche von Amateur- und Berufssportlern für Verletzungen beim Fußballspiel, 1981, S. 300. 274 BSG, Urteil v. 27.10.2009, Az: B 2 U 26/08 R. Das BSG hatte zu entscheiden, ob das Fußballspielen eines A-Jugend-Spielers in einem Amateurfußballverein gegen eine so genannte monatliche Aufwandsentschädigung eine versicherte Beschäftigung darstellt und eine zugezogene Verletzung folglich als Arbeitsunfall gilt. 275 BSG, Urteil v. 27.10.2009, Az: B 2 U 26/08 R.

C. Die Haftung von Organisationen

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nen finanzielle Zuwendungen zu erhalten. Fallen diese Zuwendungen deutlich höher aus als ein bloßer Aufwendungsersatz, spricht viel dafür, dass der Sportler nicht allein zur Erfüllung seiner mitgliedschaftlichen Pflichten für den Verein antritt. Meist verpflichten sich auch „Amateur“-sportler vertraglich, für eine bestimmte Saison für den Verein anzutreten.276 Nicht zuletzt, weil auch „Amateur“-sportler häufig von den Vereinen für ihre Tätigkeit als Fußballspieler bei der Berufsgenossenschaft unfallversichert werden, sollten sie im Einzelfall wie Berufsspieler behandelt werden.277 Im Ergebnis sollten daher Berufs- und profinahe Amateurspieler als Verrichtungsgehilfen angesehen werden. Diese Spieler werden von ihren Vereinen zumeist zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen eingesetzt. Die Vereine erfüllen durch den Einsatz ihrer Spieler nicht nur ihre Verpflichtung gegenüber dem zuständigen Fußballverband. Sie sind häufig auch zur Durchführung eines Spiels gegenüber Zuschauern, Fernseh- und Rundfunkanstalten sowie gegenüber Sponsoren und Werbeträgern verpflichtet. Berufs- und profinahe Amateurspieler haben nicht nur während der Spiele den Anweisungen des Trainers zu folgen. Sie müssen zur Vorbereitung der Spiele auch bestimmte Trainingszeiten und Trainingsmethoden einhalten. Zuwiderhandlungen kann der Trainer etwa durch Spiel- oder sogar Mannschaftsausschluss ahnden. Für beide Spielertypen ergeben sich die diesbezüglichen Verpflichtungen regelmäßig auch aus einem Arbeitsvertrag. Abschließend sei noch auf folgende Konstellation hingewiesen: Fordert ein Trainer seine Spieler bewusst zum groben Foulspiel auf („Hau ihn um!“), wird die Haftung des Trainers für das schädigende Spielerverhalten nach § 830 Abs. 2 BGB278 und die Haftung des Vereins für die Anstiftungshandlung des Trainers nach § 831 BGB279 zu bewerten sein. 2. Das schädigende Verhalten des Spielers Die Haftung gemäß § 831 BGB setzt voraus, dass der Verrichtungsgehilfe den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt und rechtswidrig gehandelt hat.280 Die Haftung scheidet aus, wenn der schädigende Spieler die Regeln des ausgeübten Spiels eingehalten hat.281 Eine Inanspruchnahme des regelgerechten Spielers bzw. dessen Vereins würde ge276

Vgl. FG Bremen, SpuRt 2000, 34, 36. Vgl. LAG Mainz, SpuRt 2006, 258, 259. 278 Krähe, Die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche von Amateur- und Berufssportlern für Verletzungen beim Fußballspiel, 1981, S. 298. 279 Nach Küpperfahrenberg ist der Sporttrainer Verrichtungsgehilfe des Vereins, in: Haftungsbeschränkungen für Verein und Vorstand, 2005, S. 66. 280 Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 831 Rn 8. 281 BGH NJW 2010, 537, 538 mit weiteren Nachweisen. 277

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

gen das Verbot des treuwidrigen Selbstwiderspruchs (venire contra factum proprium) aus § 242 BGB verstoßen. Denn Verletzungen, die auch bei regelgerechtem Spielverhalten auftreten können, werden von jedem Spieler in Kauf genommen.282 Bei Risikosportarten ist jedem Teilnehmer bewusst, dass auch bei Einhaltung der Wettbewerbsregeln oder geringfügiger Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung besteht.283 Aus diesem Grund ist bei leichten Regelverstößen von einem konkludenten Haftungsausschluss auszugehen. Die Haftung löst nur ein grob regelwidriges Spiel aus (z.B. eine sog. „Blutgrätsche“). Die grobe Regelwidrigkeit ist vom Gericht unabhängig von der Schiedsrichterentscheidung auf dem Spielfeld zu prüfen.284 Nur von indizieller Bedeutung ist, ob der schädigende Spieler durch ein Sportgericht verurteilt worden ist.285 3. Die Exkulpationsmöglichkeit des Vereins Eine Haftung des Vereins dürfte aber regelmäßig daran scheitern, dass dem Verein der Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB gelingt.286 Dieser ist erbracht, wenn der Verein nachweisen kann, dass er seine Spieler über die DFB-Regeln in Kenntnis gesetzt, die Einhaltung durch die Spieler überwacht und sie stets zu fairem Spiel angehalten hat.287 Kann der Verein hingegen nicht nachweisen, dass er versucht hat, den schädigenden Spieler von seiner unsportlichen Spielweise abzubringen, muss er nach § 831 BGB für die Mitspielerverletzung haften.288 Ebenso wenig wird der Entlastungsbeweis gelingen, wenn ein Verein einen Spieler, der ein grobes Foul begeht, regelwidrig eingesetzt hat.289 Kann der direkte Schädiger nicht identifiziert werden, muss der Verein den Entlastungsnachweis für alle Spieler führen, die für das grobe Foulspiel in Betracht kommen.290 282

BGHZ 63, 140, 142 ff. = NJW 1975, 109. BGH NJW 2003, 2018, 2020; BGH NJW 2008, 1591, 1592. 284 OLG Hamm, SpuRt 1998, 156. 285 Hilpert, Das Fußball-Strafrecht des Deutschen-Fuball-Bundes, S. 291. 286 Schmidt, VersR 1965, 97, Anm. zu LG Trier VersR 1965, 879; Grunsky, Haftungsrechtliche Probleme der Sportregeln, 1979, S. 34. 287 Krähe, Die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche von Amateur- und Berufssportlern für Verletzungen beim Fußballspiel, 1981, S. 301. 288 So auch Grunsky, Haftungsrechtliche Probleme der Sportregeln, 1979, S. 34, 35. 289 So wurde in den Niederlanden entschieden, dass ein Fußballverein für das Foul eines seiner Spieler haftet, wenn dieser regelwidrig eingesetzt wurde, weil er schon im vorangegangenen Spiel wegen eines weiteren groben Fouls mit der „roten Karte“ vom Platz geschickt und folglich für das aktuelle Spiel automatisch gesperrt war. Bejaht wurde eine echte eigene Pflichtverletzung des Vereins, Fundstelle bei von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band II, München 1999, Rn 258, Fn 524: Rb. Amsterdam 9.7.1992, NedJur 1994 Nr. 183, S. 790. 290 Vgl. Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 831 Rn 7. 283

C. Die Haftung von Organisationen

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So weit ersichtlich ist es in Deutschland bisher nicht zu Schadensersatzklagen gegen den Verein eines grob regelwidrig spielenden Spielers gekommen. Wenn es überhaupt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kam, klagten Spieler gegen Spieler.291 Ein Grund dafür könnte in der Schwäche der Haftung aus § 831 BGB wegen des möglichen Entlastungsbeweises liegen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass viele Streitigkeiten im Sportbereich außergerichtlich beigelegt werden.292 Üblicherweise schließen die Vereine im Profifußball so genannte Marktwertversicherungen für den Fall der Sportinvalidität ihrer Spieler ab, um das wirtschaftliche Risiko bei schwerwiegenden Verletzungen in Grenzen zu halten.293 Die Marktwertversicherung ist eine Summenversicherung, nach der im Versicherungsfall eine im Vertrag festgelegte Summe zu leisten ist. Auf die konkrete Schadenshöhe kommt es nicht an.294 Auch decken Vereine im Profisport das Sportunfallrisiko ihrer Mitglieder durch den Abschluss einer GruppenUnfallversicherung bei der Berufsgenossenschaft ab.295

II. Haftung von Veranstaltern für ihre Teilnehmer Wegen der häufig großen Zahl an teilnehmenden Menschen weisen Veranstaltungen gesteigertes Gefahrenpotential auf. Nicht selten kommt es zu Schäden an Rechten und Rechtsgütern von Teilnehmern und Zuschauern. Für den Geschädigten besteht ein besonderes Interesse den Veranstalter des schadensstiftenden Ereignisses in Anspruch zu nehmen, denn der unmittelbare Schädiger ist häufig zahlungsunfähig oder nicht auffindbar. Sinnvollerweise lässt sich die Haftung des Veranstalters nach Freizeitveranstaltungen und Demonstrationen bzw. Streiks unterscheiden. 1. Sport- und Freizeitveranstaltungen Für Schäden, die randalierende Fans Spielern, Schiedsrichtern, Besuchern oder Dritten innerhalb oder außerhalb des Stadions zufügen, kommt eine zivilrechtliche Haftung des Veranstalters des Sportereignisses allein wegen Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.296 291

von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band II, München 1999, Rn 258. Grunsky weist auf den mangelnden Willen einer Inanspruchnahme des Vereins unter Hinweis auf die zu erwartenden Reaktionen der Anhängerschaft des verurteilten Vereins hin, in: Grunsky, Haftungsrechtliche Probleme der Sportregeln, 1979, S. 35. Zudem ist anzunehmen, dass zumindest im Profibereich ein verletzter Spieler keinen Profiverein verklagen wird, zu dem er später gegebenenfalls noch wechseln möchte. 293 Nesemann, NJW 2010, 1703. 294 BGH NJW-RR 2010, 99, 100; Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn 34. 295 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 53. 296 BGH VersR 1980, 87. 292

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

Eine Zurechnung des fremden Fan-Verhaltens nach dem BGB scheidet aus, da Fans weder Erfüllungs- noch Verrichtungsgehilfen eines Sportvereins sind.297 Der Veranstalter eines Flugtages haftet nach § 823 Abs. 1 BGB, wenn Besucher der Flugschau auf das Gelände eines Nachbarn eindringen und hierbei den Zaun und die Beregnungsanlage beschädigen.298 Der Veranstalter eines größeren Sportereignisses hat wegen der eröffneten Gefahrenquelle Sicherheitsvorkehrungen zum Schutze der Rechtsgüter Dritter zu treffen. Dazu zählen typischerweise Kontrollen der Fans auf Waffen und andere gefährliche Gegenstände, Absicherungen einzelner Fan-Gruppen, die Bereitstellung der notwendigen Anzahl an Ordnungskräften und Absperrungen zum Schutz der Nachbargrundstücke. 299 Mit der Frage, ob der Veranstalter einer Treibjagd für die Verletzungen von Leib und Leben einzustehen hat, die einer seiner Jagdgäste einem anderen zugefügt hatte, beschäftigte sich das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1930.300 Der Beklagte hatte zu einer Treibjagd auf seinem Jagdgebiet eingeladen. Dabei wurde der Kläger durch den Fehlschuss eines Jagdgastes schwer verletzt. Das Reichsgericht entschied, dass der Beklagte weder nach § 278 BGB noch nach § 831 BGB haften müsse.301 Eine Treibjagd sei in aller Regel eine gesellschaftliche Veranstaltung, bei der es sich beiderseits um Gefälligkeiten ohne rechtlichen Charakter handele.302 Die Haftung des Jagdveranstalters bejahte das Reichsgericht aber auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB. Nach § 823 Abs. 1 BGB hat der Jagdveranstalter für einen gefahrenlosen Ablauf der Jagd zu sorgen.303 Daher muss der Veranstalter insbesondere bei der Auswahl seiner Jagdgäste sorgfältig vorgehen und auf deren Kompetenz und Zuverlässigkeit achten.304 Das OLG Oldenburg erweiterte den Pflichtenkreis des Jagdveranstalters.305 Dieser muss die Gültigkeit der Jagdscheine überprüfen und gewährleisten, dass für jeden Teilnehmer die nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 BJagdG obligatorische Jagdhaftpflichtversicherung besteht. Unter297

Weller, NJW 2007, 960, 961. BGH VersR 1980, 87. 299 Fritzweiler, DAR 1998, 260, 262, 263; Weller, NJW 2007, 960,961; BGH VersR 1980, 87. 300 RGZ 128, 39. 301 Die Ablehnung von Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfenhaftung entspricht heute ganz herrschender Meinung; vgl. Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn 558; Sprau, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 831 Rn 6; nach Belling, in: Staudinger (2008), § 835 Rn 30, müsse aber etwas anderes für den zahlenden Jagdgast gelten. 302 RGZ 128, 39, 42. 303 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn 558. 304 RGZ 128, 39, 43. 305 OLG Oldenburg VersR 1979, 91, 92. 298

C. Die Haftung von Organisationen

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lässt der Veranstalter diese Prüfung, muss er für die Schäden aufkommen, die ein unversicherter Jagdgast einem anderen Teilnehmer zufügt.306 Der Jagdausübungsberechtigte haftet zudem nach § 33 Abs. 2 BJagdG für Jagdschäden, die einem Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigten durch die missbräuchliche Jagdausübung eines vom Jagdausübungsberechtigten bestellten Jagdaufsehers oder eingeladenen Jagdgastes zugefügt werden. § 33 BJagdG statuiert eine Gefährdungshaftung für den Jagdausübungsberechtigen, die ihren Grund in der Ausübung einer risikoreichen Tätigkeit findet.307 Für die vom Jagdaufseher verursachten Personenschäden haftet der Jagdausübungsberechtige nach § 831 BGB.308 Abgelehnt wurde die Haftung des Veranstalters einer privaten Geburtstagsfeier gemäß § 831 BGB für das drittschädigende Verhalten eines Gastes.309 In dem Fall hatte der Gastgeber einen Gast mit der Bedienung des Grills betraut. Der Gast goss Brennspiritus auf glühende Grillkohle und rief dadurch Brandverletzungen bei einem anderen Gast hervor. Das OLG Düsseldorf verneinte die Verrichtungsgehilfenhaftung des Veranstalters, weil sich das Schadensereignis im Rahmen einer rein gesellschaftlichen Veranstaltung innerhalb des Familien- und Bekanntenkreises und damit im rechtsfreien Raum zugetragen habe. Von einer Bestellung eines anderen zu einer Verrichtung im Sinne des § 831 BGB könne bei einer derartigen Sachlage nicht die Rede sein. Bei der Durchführung von Festumzügen, insbesondere bei Fastnachtsumzügen und sogenannte Rave-Partys, kommt es immer wieder zu Sachbeschädigungen und Verletzungen von Zuschauern durch die Teilnehmer. Mitunter werfen sich Narren in die Zuschauermenge310 und Teilnehmer von Umzügen und Rave-Partys beschädigen Autos und Baustellencontainer, welche die vorgegebene Strecke säumen.311 Die Identifizierung des Schädigers ist nicht zuletzt wegen der getragenen Masken und Kostüme oft erschwert. Der Veranstalter eines solchen Umzugs muss jedoch nicht für das schädigende Verhalten der Teilnehmer gemäß § 831 BGB haften. Weder Narren noch Narrenzünfte sind Verrichtungsgehilfen der gastgebenden Narrenzunft.312 Eine Haftung des Veranstalters kommt wiederum allein wegen der Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Die Veranstaltung eines Umzugs ist eine Massenveranstaltung 306 OLG Oldenburg VersR 1979, 91, 92; Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn 558. 307 Fuchs, Deliktsrecht, 7. Aufl. 2009, S. 235; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 542. 308 Belling, in: Staudinger (2008), § 835 Rn 36. 309 OLG Düsseldorf VersR 1992, 113. 310 LG Ravensburg NJW 1997, 402 311 AG Köln NJW 1999, 1972; LG Hamburg NJW 1998, 1411. 312 AG Waldkirch NJW 1999, 1971, 1972.

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Zweiter Teil: Das deutsche Recht

und stellt daher eine Gefahrenquelle für die Rechte und Rechtsgüter Außenstehender dar. Der Veranstalter ist verpflichtet, Verhaltensregeln für die Umzugsteilnehmer aufzustellen und deren Beachtung und Durchsetzung zu überwachen.313 Für eigenverantwortliche mutwillige Schadenshandlungen haftet der Veranstalter nicht. Der Veranstalter muss mit solchen Exzessen der Teilnehmer nicht rechnen und diese nicht durch Sicherheitspersonal verhindern.314 2. Demonstrationen und Streiks Eine Haftung des Demonstrationsveranstalters oder der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft nach § 831 BGB für Schäden, die von Demonstranten oder Streikenden verursacht wurden, scheidet aus. Demonstranten und streikende Arbeitnehmer sind mangels Weisungsgebundenheit keine Verrichtungshilfen von Demonstrationsveranstaltern und Gewerkschaften. Haftbar nach § 831 BGB sind Gewerkschaften bloß für ihre Streikposten, falls diese sich an der „Blockade“ des bestreikten Unternehmens beteiligen.315 Eine Haftung der Gewerkschaft kommt auf der Grundlage von § 830 BGB in Betracht, wenn die Gewerkschaft einen unrechtmäßigen Streik durch Zahlung einer Gemaßregelten-Unterstützung an die Streikenden aufrechterhält.316 Der Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration, bei der es zu Ausschreitungen kommt, reicht aber zumeist nicht für die Haftung nach § 830 BGB aus. Der erforderliche Anstifter- oder Gehilfenvorsatz scheitert regelmäßig an einem hinreichend konkreten Vorstellungsbild der Gewerkschaft vom Geschehensablauf.317 Schließlich kommt auch eine Haftung des Demonstrationsveranstalters oder der Gewerkschaft wegen der Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Der Aufruf zu einer Demonstration oder einem Streik kann die Veranstalter verpflichten, die Begehung von Sachbeschädigungen zu verhindern. Die Pflicht knüpft an die Voraussehbarkeit von Ausschreitungen für den Veranstalter an. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe trifft einen AStA, der zu einem „aktiven Proteststreik“ aufruft, eine Schadensvermeidungspflicht.318 Durch den Aufruf werden bereits vorhandene Emotionen und Hassgefühle der Teilnehmer weiter aufgeheizt. Wird hingegen, wie in der Mehrheit der Fälle, zu einem friedlichen Protest oder zu einem rechtmäßigen Streik aufgerufen, trifft den Veranstalter keine 313

LG Ravensburg NJW 1997, 402. AG Köln NJW 1999, 1972, 1973. 315 BAG NJW 1989, 1881, 1884. 316 BAG NJW 1964, 887. 317 Dimski, VersR 1999, 804, 806. 318 OLG Karlsruhe NJW 1974, 1824, 1825. 314

C. Die Haftung von Organisationen

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Schadensvermeidungspflicht.319 Kommt es bei friedlichen Demonstrationen oder rechtmäßigen Streiks unerwartet zu Ausschreitungen einer Minderheit oder zu Streikexzessen, wird eine Haftung des Veranstalters oder der Gewerkschaft für den entstandenen Schaden abzulehnen sein.320

III. Zwischenergebnis Profisportvereine und profinahe Amateurvereine haften für grob regelwidrige Verletzungen ihrer Spieler nach § 831 BGB. In der Praxis spielt die Haftung jedoch keine Rolle, da die erlittenen Schäden durch Versicherungen gedeckt sind und es regelmäßig nicht zu der Inanspruchnahme des Sportvereins des schädigenden Spielers kommt. Veranstalter von Sportereignissen, Treibjagden, Festumzügen und privaten Feiern haften grundsätzlich nicht für schädigende Handlungen ihrer Teilnehmer und Gäste gemäß § 831 BGB. Die Teilnehmer sind üblicherweise nicht weisungsgebunden oder sozial abhängig vom Veranstalter. Eröffnen die Veranstalter mit ihrer Veranstaltung eine Gefahrenquelle, treffen sie – wie jeden Überwachungsgaranten – Verkehrspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Gewerkschaften und Demonstrationsveranstalter sind haftungsrechtlich nicht gemäß § 831 BGB verantwortlich für ihre Mitglieder. Sie sind regelmäßig nur dann haftbar gemäß § 830 BGB, wenn sie einen unrechtmäßigen Streik unterstützen.

319 320

Dimski, VersR 1999, 804, 806. In diesem Sinne BAG NJW 1989, 1881, 1884.

Dritter Teil:

Vergleich der Rechtsordnungen A. Lösung der Ausgangsfälle nach französischem und deutschem Recht A. Lösung der Ausgangsfälle

Bevor die im französischen und deutschen Recht geltenden Grundsätze der Haftung für fremdes Verhalten verglichen werden, sollen die der Arbeit zugrunde liegenden Ausgangsfälle zur Verdeutlichung nochmals kurz nach beiden Rechtsordnungen gelöst werden.

I. Der erste Ausgangsfall: Die Brandlegung durch eine geistig behinderte Person Im französischen Recht richtet sich die Haftung der Behinderteneinrichtung für die Brandlegung durch eine geistig behinderte Person nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Voraussetzung der Haftung ist eine garde über den unmittelbaren Schädiger. Die Behinderteneinrichtung übt im Zeitpunkt des Schadensereignisses die garde über den Behinderten aus. Denn dieser ist ihr dauerhaft anvertraut. Die Einrichtung hat die Organisation und Kontrolle seiner Lebensweise übernommen. Auf den Nachweis eines sorgfaltswidrigen Verhaltens der Einrichtung sowie eines objektiv fehlerhaften Verhaltens des Betreuten kommt es im Rahmen von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 nicht an. Der Entlastungsgrund der höheren Gewalt liegt nicht vor. Mithin haftet die Behinderteneinrichtung für den entstandenen Schaden. Im deutschen Recht beurteilt sich die Haftung der Behinderteneinrichtung auf der Grundlage von § 832 BGB. Die Behinderteneinrichtung hat die Aufsicht über die geistig behinderte und damit aufsichtsbedürftige Person vertraglich nach § 832 Abs. 2 BGB übernommen. Voraussetzung der Haftung ist eine widerrechtliche Schadenszufügung, die bei der Brandlegung durch den Behinderten zu bejahen ist. Ein schuldhaftes Verhalten ist nicht erforderlich. Außerdem setzt die Haftung voraus, dass die Behinderteneinrichtung sich nicht von der vermuteten Aufsichtspflichtverletzung entlasten kann. Entscheidend ist also, ob die Behinderteneinrichtung den Betreuten unbeaufsichtigt im Wald Arbeiten verrichten lassen durfte. Das ist dann der Fall, wenn Charakter und Eigenart des Behinderten eine solche liberale Behandlungsmethode zuließen und die Behinderteneinrichtung den

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Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen

Behinderten über die Gefahren des Feuers belehrt und stichprobenartig überwacht hat. Im deutschen Recht besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Entlastungsbeweis gelingt und die Haftung entfällt.

II. Der zweite Ausgangsfall: Der regelwidrig spielende Sportler Im französischen Recht richtet sich die Haftung des Amateursportvereins für den regelwidrig spielenden Sportler nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Voraussetzung ist, dass der Verein die Aufgabe übernommen hat, die Aktivität seiner Mitglieder während sportlicher Wettkämpfe zu organisieren, zu leiten und zu kontrollieren. Eine fehlende Identifizierbarkeit des unmittelbaren Schädigers steht der Inanspruchnahme des Vereins nicht entgegen, wenn feststeht, dass der Schädiger aus dessen Reihen stammt. Die Verletzungshandlung muss grob regelwidrig (eine faute qualifiée) sein und im Zusammenhang mit dem Wettkampf stehen. Auf ein Fehlverhalten des Sportvereins kommt es nicht an. Im französischen Recht haftet der Amateursportverein mithin für den entstandenen Schaden. Im deutschen Recht kommt eine Haftung des Amateursportvereins gemäß § 831 BGB in Betracht. Nach hier vertretener Auffassung ist der Spieler einer profinahen Amateurmannschaft Verrichtungsgehilfe seines Vereins. Die Haftung setzt ein grob regelwidriges Spielverhalten voraus. Eine fehlende Identifizierbarkeit des unmittelbaren Schädigers steht der Inanspruchnahme des Vereins nicht entgegen, wenn feststeht, dass der Schädiger aus dessen Reihen stammt. Der Verein kann sich gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB von der Haftung exkulpieren, indem er nachweist, dass er seine Spieler nachhaltig zu fairem Spiel angehalten hat. Im deutschen Recht besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Entlastungsbeweis gelingt und die Haftung entfällt.

B. Vergleich B. Vergleich

Sowohl das französische als auch das deutsche Deliktsrecht kennen spezielle Tatbestände der Haftung für fremdes Verhalten. Das französische Recht regelt in den Art. 1384 Abs. 4 und Abs. 5 C.c. eine strikte, d.h. verschuldensunabhängige Haftung von Eltern und Geschäftsherren. Die Cour de cassation schuf überdies eine strikte Haftung von Betreuungspersonen und Organisationen, insbesondere Sportvereinen, auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. War die Anspruchsgrundlage wegen ihrer allgemeinen Formulierung zunächst geeignet, zu einer allgemeinen Haftungsnorm für das Verhalten Anderer zu werden, grenzte die Rechtspre-

B. Vergleich

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chung den Anwendungsbereich – von wenigen „Ausreißern“ abgesehen – auf die genannten beiden Fallgruppen ein. Das deutsche Recht regelt in den § 831 BGB und § 832 BGB eine verschärfte Haftung von Geschäftsherren und Aufsichtspflichtigen.

I. Die Haftung von Betreuungspersonen Die Haftung von Betreuungspersonen erfolgt im französischen Recht auf der Grundlage von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c., im deutschen Recht auf der Grundlage von § 832 BGB. Beide Anspruchsgrundlagen weisen sowohl in dem Zurechnungsgrund, in dem Kreis der haftpflichtigen Personen, in den Anforderungen an das schädigende Verhalten der betreuten Person und in der Haftungsnatur Unterschiede auf. 1. Zurechnungsgrund für die Haftung von Betreuungspersonen Der Anspruch aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. beruht auf der garde d’autrui. Der Anspruch aus § 832 BGB beruht auf einer Aufsichtspflicht. Die garde d’autrui beinhaltet mehr als nur die Aufsicht über eine andere Person. Sie ist eine Art von Personensorge. Dem Inhaber der garde d’autrui obliegen nicht nur Aufsichtspflichten, sondern auch auf Dauer angelegte erzieherische Aufgaben. Die Aufsichtspflicht im Sinne des § 832 BGB verfolgt maßgeblich den Zweck, schädigende Handlungen des Aufsichtsbedürftigen zu verhindern. Die Anknüpfung an die garde d’autrui führt daher zu einem kleineren Kreis an Haftpflichtigen als die Anknüpfung an die Aufsichtspflicht. 2. Haftpflichtige Personen Im französischen Recht ist haftpflichtig, wer die garde d’autrui hat. Inhaber der garde sind bei Minderjährigen primär die Eltern (autorité parentale), im Falle des Verlusts des Sorgerechts der Vormund (tuteur). Die garde kann übertragen werden auf Betreuungseinrichtungen. Im Falle der richterlichen Übertragung haftet die Betreuungseinrichtung, ohne dass es darauf ankommt, ob sie den Minderjährigen oder geistig behinderten Volljährigen im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses tatsächlich betreute (garde juridique). Im Falle der vertraglichen Übertragung haftet die Betreuungseinrichtung nur, wenn sie die Betreuung im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses tatsächlich ausübte (garde effective). Sonstige Personen, die nur kurzzeitig auf den Minderjährigen aufpassen, wie Tagesmütter oder Ferienorganisationen, übernehmen nicht die garde und sind damit nicht haftpflichtig. Auch Großeltern sind nicht haftpflichtig, selbst wenn sie

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Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen

dauerhaft mit der Aufziehung des Minderjährigen betraut sind, was ein wenig inkonsequent anmutet. Bei Betreuungseinrichtungen hat die Art der Übertragung der garde d’autrui gewichtige Auswirkungen auf die Haftung: Einrichtungen, denen Minderjährige und geistig Behinderte aufgrund richterlicher Anordnung anvertraut wurden (z.B. Kinder- und Erziehungsheime), sind alleine für das schädigende Verhalten der Betreuten haftpflichtig. Daneben findet die Elternhaftung keine Anwendung. Einrichtungen, denen Minderjährige und geistig Behinderte aufgrund eines Vertrages anvertraut werden (z.B. Tagesinternate), sind für das schädigende Verhalten der Betreuten nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. nachrangig haftpflichtig. Die Elternhaftung findet vorrangig Anwendung. Das hat zur Folge, dass im französischen Recht vertraglich mit der Betreuung betraute Einrichtungen praktisch kaum haftbar gemacht werden. Im deutschen Recht ist haftpflichtig, wem die Aufsichtspflicht obliegt. Inhaber der Aufsichtspflicht sind bei Minderjährigen primär die Eltern, welche die Aufsichtspflicht gesetzlich als Teil der elterlichen Sorge ausüben (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB) oder bei Verlust des Sorgerechts der Vormund (§§ 1793 Abs. 1 S. 1, 1800, 1631 Abs. 1 BGB). Die Aufsicht kann frei auf jedermann durch Vertrag übertragen werden (§ 832 Abs. 2 BGB) mit der Folge, dass nicht bloß Betreuungseinrichtungen, sondern auch Tagesmütter oder Ferienorganisationen haften. Bei vertraglicher Aufsichtsübernahme tritt die Haftpflicht des übernehmenden Betreuers neben die originäre Haftpflicht der Eltern. Vertraglich mit der Betreuung betraute Person und Eltern haften gesamtschuldnerisch. Den Kreis haftpflichtiger Personen schränken die französische und die deutsche Rechtsordnung auf unterschiedliche Weise ein: Im französischen Recht ist Filter die garde d’autrui, wobei eine tatsächliche Haftungsgefahr nur bei einer garde juridique, also einer gesetzlichen oder richterlichen Personensorge für den Betreuten, besteht. Dem Haftpflichtigen ist es im Regelfall unmöglich durch Vertrag eine andere Person haftpflichtig zu machen. Die Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. entzieht sich privatautonomer Gestaltung. Im deutschen Recht kann grundsätzlich jedermann die Aufsicht und damit die Haftung für einen Aufsichtsbedürftigen übernehmen. Ein Filter liegt im Erfordernis des Rechtsbindungswillens. Die tatsächliche Übernahme der Aufsicht führt nicht zu einer verschärften Haftung nach § 832 BGB. Beide Rechtsordnungen kommen so zu dem rechtspolitisch erwünschten Ergebnis, dass Verwandte, Nachbarn, Freunde oder jugendliche Babysitter, die für kurze Dauer und im fremden Interesse die Aufsicht über ein Kind übernehmen, nicht für das schädigende Verhalten des beaufsichtigten Kin-

B. Vergleich

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des verschärft haften. Im französischen Recht fehlt diesen Personen die garde d’autrui, im deutschen Recht der Rechtsbindungswille für eine vertragliche Aufsichtsübernahme. Eine Haftung aus der Grundnorm für persönliches Fehlverhalten (Artt. 1382, 1383 C.c. bzw. § 823 Abs. 1 BGB) bleibt in beiden Rechtsordnungen unberührt. 3. Die schädigende Handlung der betreuten Person Das geltende französische Recht lässt für die Elternhaftung aus Art. 1384 Abs. 4 C.c. jedes Verhalten des Kindes ausreichen, das für die Schadensverursachung kausal geworden ist. Ein objektiv fehlerhaftes Verhalten, das heißt eine faute, ist nicht erforderlich. Für die Haftung von Betreuungspersonen nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. musste die Frage, welche Anforderungen an das schädigende Verhalten des Betreuten zu stellen sind, bisher nicht geklärt werden. Die Parallelität zur Elternhaftung legt eine Übertragung der théorie du fait causal auf die Haftung sonstiger Betreuungspersonen nahe. Das deutsche Recht verlangt für die Haftung der Eltern und sonstiger Betreuungspersonen eine tatbestandsmäßige und widerrechtlich begangene unerlaubte Handlung des Betreuten. Ein Verschulden des Betreuten, das heißt eine subjektive Vorwerfbarkeit, ist irrelevant. Allerdings muss das schädigende Verhalten des Betreuten als vorsätzlich oder fahrlässig einzustufen sein, wenn man sich an die Stelle der aufsichtsbedürftigen Person einen nichtaufsichtsbedürftigen Erwachsenen denkt. Mit dieser Einschränkung soll verhindert werden, dass der Geschädigte aufgrund der verschärften Aufsichtshaftung einen Schaden ersetzt bekommt, den er bei Schädigung durch einen (nicht aufsichtsbedürftigen) Erwachsenen nicht hätte ersetzt verlangen können. Das deutsche Recht verlangt im Unterschied zum französischen Recht ein fehlerhaftes Verhalten des Betreuten. Dieser Befund macht die unterschiedliche Natur beider Haftungsinstitute deutlich. 4. Haftungsnatur Das französische Recht hat die Haftung von Eltern und sonstigen Betreuungspersonen zu einer strikten Haftung ausgestaltet. Eine Entlastung ist nur durch den Nachweis höherer Gewalt möglich. Im Unterschied zum französischen Recht beruht im deutschen Recht die Haftung des Aufsichtspflichtigen auf dem Verschuldensprinzip. Die Vorschrift des § 832 BGB verschärft die Verschuldenshaftung, indem sie die Beweislast für das Aufsichtsverschulden umkehrt. Die Beweislastumkehr nähert die Haftung nach § 832 BGB allerdings nicht einer strikten Haftung an. Denn die Anforderungen an die Aufsichtspflicht werden in Deutschland nicht derart über-

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Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen

spannt, dass eine Widerlegung der vermuteten Pflichtverletzung unmöglich ist. Die unterschiedliche Haftungsnatur führt zu unterschiedlichen Akzentuierungen bei der Ermittlung eines Haftpflichtfalls. Im französischen Recht ist für eine Haftung aus Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. die Frage zentral, ob der In-Anspruch-Genommene die garde d’autrui über den unmittelbaren Schadensverursacher inne hatte. Bejahendenfalls kommt es auf die im konkreten Fall gebotene Aufsichts- und Erziehungsmaßnahme und deren Erfüllung durch den In-Anspruch-Genommenen nicht an. Im deutschen Recht ist für eine Haftung aus § 832 BGB die Frage zentral, ob der In-Anspruch-Genommene seine Aufsichtspflicht im konkreten Fall erfüllt hat. Die strikte Haftung im französischen Recht führt zu einem lückenlosen Schutz des Geschädigten. Minderjährige stehen stets unter der garde d’autrui einer anderen Person. Haftpflichtig sind in erster Linie die Eltern gemäß Art. 1384 Abs. 4 C.c. und Betreuungseinrichtungen, denen die garde richterlich übertragen worden ist, gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. Diese Betreuungspersonen können sich ihrer Haftpflicht nicht durch vertragliche Übertragung der garde d’autrui auf einen Dritten entledigen. Die Haftung aufgrund vermuteter Aufsichtspflichtverletzung im deutschen Recht führt dazu, dass der Schutz des Geschädigten nicht absolut ist. Der Aufsichtspflichtige kann sich von der Haftung gemäß § 832 BGB exkulpieren. Bei Übertragung der Aufsicht sind die Anforderungen an den Entlastungsbeweis für den originär Aufsichtspflichtigen geringer. Der Geschädigte kann sich dann nur noch gegebenenfalls an den unmittelbaren Schädiger und an denjenigen halten, der die Aufsicht vertraglich übernommen hat. Freilich steht auch dem derivativ Aufsichtspflichtigen der Entlastungsbeweis offen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Haftung von Betreuungspersonen nach französischem Recht eine Haftung für fremdes schädigendes Verhalten, nach deutschem Recht eine Haftung für eigenes Fehlverhalten begründet. Im französischen Recht wird ein fehlerhaftes Verhalten weder für den Schädiger noch für die haftpflichtige Betreuungsperson verlangt. Die Haftung knüpft damit nicht nur an das „Risiko Kind“ und das „Risiko geistig Behinderter“ an, sondern wird bereits durch den Umstand „Kinder haben“ und „geistig Behinderte betreuen“ ausgelöst. Im deutschen Recht beruht die Haftung von Betreuungspersonen uneingeschränkt auf dem Prinzip der individuellen Verantwortung. Eine Haftung wird nur im Falle einer Aufsichtspflichtverletzung und nur für ein fehlerhaftes Verhalten des Schädigers begründet.

B. Vergleich

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II. Die Haftung von Organisationen Die Haftung von Organisationen für Mitglieder erfolgt, soweit diese als Verrichtungsgehilfen anzusehen sind, sowohl im französischen wie auch im deutschen Recht nach den Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung. Im französischen Recht ist die Geschäftsherrenhaftung in Art. 1384 Abs. 5 C.c. als strikte Haftung ausgestaltet. Im deutschen Recht beruht die Geschäftsherrenhaftung gemäß § 831 BGB auf einem widerlegbaren vermuteten Auswahl- und Überwachungsverschulden. Bei der Haftung von Sportvereinen für Verletzungshandlungen ihrer Spieler unterscheidet das französische Recht zwischen Profi- und Amateursportvereinen. Spieler von Profisportvereinen werden als Verrichtungsgehilfen qualifiziert. Der Profisportverein haftet gemäß Art. 1384 Abs. 5 C.c. Spieler von Amateursportvereinen gelten nicht als Verrichtungsgehilfen. Der Amateursportverein haftet gemäß Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c., wenn er die Organisation, Leitung und Kontrolle über den schädigenden Spieler ausübt. Beide Vorschriften begründen eine strikte Haftung des Vereins. Beide Vorschriften fordern eine qualifizierte faute im Sinne einer groben Spielregelverletzung durch den schädigenden Spieler. Im Ergebnis erhalten daher verletzte Profi- und Amateurspieler denselben Rechtsschutz. Deutsche Zivilgerichte befassen sich soweit ersichtlich nicht mit der Frage der Haftung von Sportvereinen für das schädigende Verhalten ihrer Spieler. Spieler, die für einen Profi- oder profinahen Amateursportverein dessen Verpflichtungen gegenüber der Wettkampfliga erfüllen, sind als Verrichtungsgehilfen des Vereins anzusehen. Wie das französische Recht fordert auch das deutsche Recht für die Haftungsbegründung des Vereins ein schädigendes Spielerverhalten, das als grober Regelverstoß zu qualifizieren ist. Im Unterschied zu der Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 und Art. 1384 Abs. 5 C.c. kann sich im deutschen Recht der verklagte Verein nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB durch den Nachweis nachhaltiger Anweisungen zum fairen Spiel entlasten. Im Unterschied zum deutschen Recht haftet im französischen Recht nicht bloß der profinahe Sportverein für das schädigende Verhalten seiner Spieler. Auch kleine Freizeitsportvereine haften, sofern sie die Organisation der Aktivitäten ihrer Mitglieder übernommen haben. Ob Freizeitvereinigungen wie Festumzugs- oder Pfadfindervereine im französischen Recht tatsächlich der strikten Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. unterfallen, ist bis heute unklar. Die hierzu ergangenen haftungsbejahenden Entscheidungen sind Einzelfälle geblieben. Die Cour de cassation zeigt sich in jüngerer Zeit restriktiv bei der Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf andere Organisationen als Sportvereine. Das deutsche Recht verneint eine verschärfte Haftung von Freizeitvereini-

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Dritter Teil: Vergleich der Rechtsordnungen

gungen gemäß § 831 BGB. Schädigt ein Teilnehmer während einer Freizeitveranstaltung einen Dritten, so kann dieser allein wegen Verletzung einer allgemeinen Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB gegen den Veranstalter vorgehen. Zumindest bei der Frage der Haftung eines Jagdveranstalters für abirrende Kugeln der teilnehmenden Jäger haben sich beide Rechtsordnungen angeglichen. Eine verschärfte Haftung wird sowohl im deutschen Recht als auch im französischen Recht verneint. Schließlich stimmen beide Rechtsordnungen darin überein, dass Interessenverbände wie etwa Gewerkschaften für das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder während organisierter Veranstaltungen nicht verschärft haften müssen. Für eine verschärfte Haftung nach Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. und nach § 831 BGB fehlt es an dem erforderlichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verband und seinen Mitgliedern während der Veranstaltung. Eine Haftung des Interessenverbandes kommt im deutschen Recht allein wegen der Verletzung einer allgemeinen Verkehrspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB oder nach den Bestimmungen zur Anstifter- oder Gehilfenhaftung nach § 830 BGB in Betracht.

Vierter Teil:

Reformvorschläge und Ausblick A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht

Das französische Deliktsrecht wird heute vermehrt für reformbedürftig erachtet. Der Reformbedarf wird auf nationale und internationale Umstände zurückgeführt. Die französische Rechtsprechung hat im letzten Jahrhundert zunehmend Aufgaben des Gesetzgebers übernommen. Gesetzliche Mängel, die durch veränderte gesellschaftliche Verhältnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse und rechtsethische Wertungen entstanden sind, werden infolge Untätigkeit des Gesetzgebers durch richterliche Rechtsfortbildung ausgeglichen.1 Die Blieck-Entscheidung ist nur ein Beispiel für diese Praxis. Diese Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes widerspricht überliefertem französischem Verständnis. Die Umgestaltung und Neuschaffung des Rechts kann nicht dauerhaft durch die Rechtsprechung erfolgen.2 Das Bedürfnis nach Modernisierung des französischen Schuldrechts erwächst auch aus der Erkenntnis, dass nationale Rechtsordnungen großen Einfluss auf die Diskussion über ein europäisches Privatrecht ausüben. So übernehmen das reformierte deutsche und das reformierte niederländische Schuldrecht Beispielsfunktionen für die künftige Gestaltung eines europäischen Privatrechts. Dagegen spielt das geltende französische Schuldrecht eine eher geringe Rolle. Laut Catala und Sonnenberger ist eine Reform des französischen Schuldrechts daher notwendig, um die Diskussion über das europäische Privatrecht auch aus französischer Sicht nachhaltig beeinflussen zu können.3 Für das französische Deliktsrecht wird seit dem arrêt Blieck eine Reform der responsabilité du fait d‘autrui gefordert. Eine gesetzliche Regelung solle den Anwendungsbereich der Haftung für Andere präzisieren und mehr Rechtssicherheit bringen. Während der arrêt Blieck und seine Folgerechtsprechung zur Haftung von Betreuungspersonen im Schrifttum breite Zustimmung fanden, stieß die Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. 1

Sonnenberger, ZEuP 2007, 421, 422. Catala, JCP 2005 I 170, p. 1740 ; Sonnenberger, ZEuP 2007, 421, 422. 3 Catala, JCP 2005 I 170, p. 1740; Sonnenberger, ZEuP 2007, 421, 423.

2

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

auf die Haftung von Organisationen auf allgemeines Unverständnis.4 Vermehrt Kritik findet zudem die im Rahmen der Elternhaftung entwickelte théorie du fait causal.5 Die Kritik mündete in einer Reihe von Avant-projets. Besondere Bedeutung hat der erste große Reformvorschlag, das Avant-projet Catala von 2005. Auch wenn es zwischenzeitlich nicht umgesetzt wurde, ist es zur zentralen Inspiration für weitere Avant-projets geworden.

I. Das Avant-projet Catala Unter dem Vorsitz von Professor Catala formierte sich im Jahre 2003, fast 200 Jahre nach Inkrafttreten des Code civil, eine Gruppe von 33 Zivilrechtslehrern und drei pensionierten Richtern der Cour de cassation, um einen Vorschlag für die Modernisierung des französischen Schuldrechts zu erarbeiten. Für die responsabilité civile wurde eine eigene Arbeitsgruppe um die Professoren Viney und Durry gebildet. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden am 22. September 2005 dem französischen Justizministerium vorgelegt.6 Darunter befindet sich ein umfassender Reformvorschlag zur Haftung für Andere. Während im geltenden Code civil die Haftung für Andere in einem einzigen Artikel, nämlich Art. 1384 C.c., geregelt ist, verteilte die Arbeitsgruppe um Viney die Haftungstatbestände des fait d’autrui auf sieben Artikel. Für die Haftung für Sachen (le fait des choses), die hier nicht weiter vertieft wird, sind fünf Artikel vorgesehen. Die Lektüre der vorgeschlagenen Haftungstatbestände macht deutlich, wie intensiv sich die Autoren mit dem arrêt Blieck und den Folgeentscheidungen sowie mit den neuesten Entwicklungen zur Eltern- und Gehilfenhaftung auseinandergesetzt haben. Während einige richterliche Entscheidungen zur Haftung für Andere durch ausdrückliche Normierung bestätigt werden, wird anderen richterlichen Tendenzen entschieden entgegengetreten. 1. Der Grundtatbestand einer Haftung für Andere (Le fait d’autrui) Die Haftung für Andere erhält in Art. 1355 des Entwurfs einen Grundtatbestand. Nach dessen Absatz 1 wird die Haftung für andere Personen in 4

François, D. 2007, chr., 2408, 2409. Mouly, note, JCP G 2004.II.10017, n° 14 ff.; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations – Le fait juridique, 13e éd. 2009, n° 226; Bakouche, notes, JCP G 2011, n° 18, p. 859, 860 m.w.N. 6 Avant-projet de réforme du droit des obligations (Articles 1101 à 1386 du Code civil) et du droit de la prescription (Articles 2234 à 2281 du Code civil), Rapport à Monsieur Pascal Clément Garde des Sceaux, Ministre de la Justice, 22 Septembre 2005, Quelle: . 5

A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht

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zwei Konstellationen befürwortet. Erstens soll die Organisation und Leitung der Lebensweise einer anderen Person haftungsbegründend sein („le fait de régler le mode de vie“), die aufgrund ihres geistigen oder körperlichen Zustandes einer besonderen Beaufsichtigung bedarf. Zweitens soll die Gestaltung und Organisation der Tätigkeit eines Anderen die Haftung der kontrollierenden Person auslösen, wenn diese im Eigeninteresse handelt („le fait d’encadrer et d’organiser l’activité d’autrui dans l’intérêt personnel“).7 Beide Konstellationen werden als verschuldensunabhängige Haftung (responsabilité de plein droit) ausgestaltet. Allein der Nachweis eines nicht zu verantwortenden Ereignisses, das die Voraussetzungen von höherer Gewalt erfüllt, soll von der Haftungspflicht befreien können.8 Eine gänzliche Objektivierung der Haftung für Andere hat die Arbeitsgruppe hingegen abgelehnt. Beide Konstellationen sollen durch weitere Vorschriften konkretisiert werden.9 Aus Art. 1355 Abs. 2 des Entwurfs geht hervor, dass die Anwendungsfälle abschließend in den Artt. 1356 bis 1360 geregelt sind. Art. 1355 normiert somit keine Generalklausel einer Haftung für Andere. Einer Rechts-

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Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 146. Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 147. 9 „Art. 1355: (1) On est responsable de plein droit des dommages causés par ceux dont on règle le mode de vie ou dont on organise, encadre ou contrôle l’activité dans son propre intérêt. (2) Cette responsabilité a lieu dans les cas et aux conditions prévues aux articles 1356 à 1360. (3) Elle suppose la preuve d’un fait de nature à engager la responsabilité de l’auteur direct du dommage. Art. 1356: Sont responsables des dommages causés par un enfant mineur: (1) Ses père et mère en tant qu’ils exercent l’autorité parentale; (2) Le tuteur en cas de décès de ceux-ci; (3) La personne physique ou morale chargée par décision judiciaire ou administrative ou par convention, de régler le mode de vie du mineur. Cette responsabilité peut se cumuler avec celle des parents ou du tuteur. Art. 1357: Est responsable des dommages causés par un majeur dont l’état ou la situation nécessite une surveillance particulière la personne physique ou morale chargée, par décision judiciaire ou administrative ou par convention, de régler son mode de vie. Art. 1358: Les autres personnes qui assument, à titre professionnel, une mission de surveillance d’autrui, répondent du fait de l’auteur direct du dommage, à moins qu’elles ne démontrent qu’elles n’ont pas commis de faute. Art. 1359: [Le commettant] Art. 1359-1: [responsabilité personnelle du préposé] Art. 1360: (1) En l’absence de lien de préposition, celui qui encadre ou organise l’activité professionnelle d’une autre personne et en tire un avantage économique est responsable des dommages causés par celle-ci dans l’exercice de cette activité. [Etablissements de soins] (2) De même, est responsable celui qui contrôle l’activité économique ou patrimoniale d’un professional en situation de dépendance, bien qu’agissant pour son propre compte, lorsque la victime établit que le fait dommageable est en relation avec l’exercice du contrôle. [Sociétés mères] ou [concédants].“ 8

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

fortbildung aus Art. 1355 Abs. 1 des Entwurfs wird durch den ausdrücklichen numerus clausus ein Riegel vorgeschoben. Nach Art. 1355 Abs. 3 des Entwurfs soll die Einstandspflicht nur bei einem schädigenden Verhalten, das die Voraussetzungen der persönlichen Haftung des unmittelbaren Schädigers erfüllt, ausgelöst werden. Der théorie du fait causal wird nach dem Gesetzesvorschlag ausdrücklich, und zwar auch bei der Elternhaftung, eine Absage erteilt. 2. Die Haftung von Betreuungspersonen Die Artikel 1356 bis 1358 des Entwurfs widmen sich der Haftung von Betreuungspersonen. Die Haftung für Minderjährige ist in Art. 1356 geregelt. Haftpflichtig sollen neben den Eltern10 nun auch ausdrücklich der Vormund11 und diejenigen natürlichen oder juristischen Personen sein, welche die Lebensweise des Minderjährigen aufgrund einer richterlichen oder verwaltungsrechtlichen Entscheidung oder aufgrund eines Vertrages organisieren und leiten. Namentlich fallen unter die zuletzt genannte Personengruppe insbesondere Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen, die gefährdete Kinder und delinquente Jugendliche in ihre Obhut nehmen. Auch Internate, die vertraglich die Betreuung von Minderjährigen übernommen haben, haften für deren schädigendes Verhalten.12 In Abkehr von der Rechtsprechung der Cour de cassation13 soll der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch kumulativ gegenüber der gerichtlich oder vertraglich betrauten Betreuungsperson und gegenüber den Eltern bzw. dem Vormund geltend machen können. Die Haftung für Volljährige, die aufgrund ihres Zustandes oder ihrer Situation14 einer besonderen Beaufsichtigung bedürfen, ist in Art. 1357 geregelt. Haftpflichtig sollen diejenigen natürlichen oder juristischen Personen sein, welche die Lebensweise des Volljährigen aufgrund einer richterlichen oder verwaltungsrechtlichen Entscheidung oder aufgrund eines Vertrages organisieren und leiten. Die Haftung von Betreuungspersonen wird um Art. 1358 ergänzt, der eine Haftung aller anderen Personen vorsieht, die berufsmäßig die Beaufsichtigung Anderer übernommen haben. 10

Bei der Elternhaftung wird auf die Voraussetzung der cohabitation verzichtet. Die verschuldensunabhängige Haftung des Vormunds rechtfertigt die Arbeitsgruppe mit dem Umstand, dass der Vormund für das Opfer als Anspruchsgegner einfach zu bestimmen ist und dass er sich gegen das von seinem Mündel ausgehende Risiko angemessen versichern kann, Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 146. 12 Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 146, 147. 13 Vgl. Cass.crim., 18 mai 2004, Bull.crim. 2004, n° 123. 14 Als Beispiel führt Viney in ihrem „Exposé des motifs“ die Inhaftierung durch eine Justizbehörde an. In diesem Fall müsste sich die Haftung für Schädigungen Dritter jedoch nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts richten. 11

A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht

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Als Beispiele werden im Bericht der Arbeitsgruppe Tagesmütter, Freizeitzentren oder Schulen15 genannt, denen Minderjährige nur zeitweise von ihren Eltern anvertraut werden.16 Als Ausnahme vom Prinzip der responsabilité de plein droit (vgl. Art. 1355 Abs. 1) sieht Art. 1358 eine Exkulpationsmöglichkeit der Aufsichtsperson bei fehlender faute vor. Dieser Vorschlag nähert die französische der deutschen Rechtslage an. Die Zulassung der Exkulpation ist konsequent, wenn die Übernahme der Aufsicht und nicht die Organisation und Leitung der Lebensweise Anknüpfungspunkt der Haftung sein soll. Verwandte, Nachbarn und Freunde sowie jugendliche Babysitter, die vorübergehend ein Kind in ihre Obhut genommen haben, lassen sich nicht unter die Artikel 1356 bis 1358 des Entwurfes subsumieren. Diese Personen organisieren und leiten weder die Lebensweise des Kindes – hierfür ist eine weitreichende Einflussnahme auf dessen Lebensführung zu fordern –, noch üben sie die vorübergehende Beaufsichtigung berufsmäßig aus. Der Reformvorschlag spricht sich damit ausdrücklich dagegen aus, freiwillige und allein im Interesse Anderer handelnde Personen einer verschärften Haftung zu unterwerfen. Hingegen dürfte die strikte Haftung in Abkehr der bisherigen Rechtsprechung17 nun auch auf Großeltern Anwendung finden, die zwar ohne richterliche Entscheidung, aber par convention ihr Enkelkind dauerhaft bei sich aufgenommen haben. 3. Die Haftung von Organisationen Wie bisher soll die Geschäftsherrenhaftung weiterhin der Hauptanwendungsfall der Haftung für Andere im Rahmen von organisierten Tätigkeiten sein. Für die Haftungsvoraussetzungen sind keine Änderungen vorgesehen. Eine Änderung ist lediglich vorgesehen für das Verhältnis von Geschäftsherren- und Verrichtungsgehilfenhaftung. In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, nach welcher der Verrichtungsgehilfe grundsätzlich nicht persönlich haftete, soll der Verrichtungsgehilfe nunmehr subsidiär zum Geschäftsherrn haften.18 Die Arbeitsgruppe ergänzte die Haftung von Organisationen um einen weiteren Tatbestand. Gemäß Art. 1360 des Entwurfs soll eine Haftung auch für Personen, die aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit keine Verrichtungsgehilfen sind, begründet werden, wenn die ausgeübte Tätigkeit dem Haftpflichtigen einen wirtschaftlichen Vorteil bringt oder der Scha15 Gemeint sein können allein private Schulen, da sich die Haftung von öffentlichen Schulen nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts richten dürfte. 16 Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 158, Fn 34. 17 Cass.civ. 2e, 25 janv. 1995, Bull.civ. 1995 II, n° 29; Cass.crim., 8 févr. 2005, Bull.crim. 2005, n° 44. 18 Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 147.

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

densverursacher in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Haftpflichtigen steht. Als Beispiel nennt die Vorschrift Pflege- und Krankeneinrichtungen, die für ihre angestellten Ärzte haften müssen. Auch Mutterunternehmen sollen wegen des wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses ihrer Filialen und Konzessionsnehmer für diese haften. Dadurch soll den Änderungen des Wirtschaftsverkehrs, insbesondere der gestiegenen Anzahl an Vertriebswegen, Rechnung getragen werden. Haften müsse der „wahre“ Entscheidungsträger, damit abhängige Berufsgruppen entlastet würden und gleichzeitig das Interesse des Geschädigten geschützt bleibe. 19 Amateursport- und Freizeitvereine werden mangels einer activité professionnelle nicht von Art. 1360 erfasst. Profisportvereine haften unter den Voraussetzungen der Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1359 des Entwurfs. Übrige Sportvereine haften nicht für schädigende Verhaltensweisen ihrer Mitglieder. Dieser Befund folgt aus dem abschließenden Charakter des neuen Haftungssystems (vgl. § 1355 Abs. 2).

II. Das Projet de la chancellerie Das Avant-projet Catala ist auf viel Kritik gestoßen und gab Anlass zu Gegenvorschlägen, wie etwa dem Avant-projet Terré.20 Das französische Justizministerium nahm das Avant-projet Catala schließlich nicht als Grundlage einer allgemeinen Schuldrechtsreform des Code civil an. Vielmehr hat das Ministerium im Jahr 2008 mit dem Projet de la chancellerie einen eigenen Reformvorschlag formuliert, der jedoch in weiten Teilen durch das Avant-projet Catala inspiriert wurde. Während sich das Avantprojet Catala jedoch Gesetzesänderungen auf dem gesamten Gebiet des Obligationenrechts widmete, beschränkt sich der Vorschlag des Ministeriums auf die Reform des Vertrags- und des Verjährungsrechts, wobei letztere durch das Gesetz vom 17. Juni 2008 bereits umgesetzt worden ist.21 Das Deliktsrecht und somit auch die responsabilité du fait d‘autrui sollten nach Ansicht des Ministeriums erst in einem späteren Schritt reformiert werden.22

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Viney, Exposé des motifs, Rapport Avant-projet Catala, p. 147. Hierzu 4. Teil A. II. 21 Picod, Les projets français sur la réforme du droit des obligations, octobre 2009, Quelle: . 22 Vgl. Simler in seinem Diskussionsbeitrag „L’Avant-Projet de Réforme du Droit des Obligations“, in: Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 1. Aufl. 2010, S. 101, 103; vgl. zudem Picod, Les projets francais sur la réforme du droit des obligations, octobre 2009, Quelle: . 20

A. Reformvorschläge für das französische Deliktsrecht

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III. Der Gesetzesvorschlag Béteille Im November 2008 gründete der Gesetzesausschuss des französischen Senats23 eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der responsabilité civile. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe präsentierte Senator Béteille am 9. Juli 2010 dem französischen Senat. Der Vorschlag für die Haftung von Betreuungspersonen entspricht mit wenigen redaktionellen Abweichungen demjenigen des Avant-projet Catala, auf den sich die Arbeitsgruppe ausdrücklich beruft.24 So sieht auch der Gesetzesvorschlag Béteille eine strikte Haftung von Eltern, Vormündern und sonstigen dauerhaften Betreuungspersonen für das schädigende Verhalten von Minderjährigen und Behinderten sowie eine Haftung wegen vermuteten Verschuldens sonstiger professioneller Aufsichtspersonen vor.25 Hinsichtlich der Verletzungshandlung des unmittelbaren Schädigers wurde wie im Avant-projet Catala der théorie du fait causal eine deutliche Absage erteilt.26 Der Gesetzesvorschlag Béteille weicht bei der Haftung von Organisationen in zwei Punkten von dem Avant-projet Catala ab. Erstens soll bei der Geschäftsherrenhaftung die bisherige Rechtslage, nach welcher der Verrichtungsgehilfe grundsätzlich 23

Der Senat ist die zweite gesetzgeberische Kammer des französischen Parlaments. Béteille, Proposition de loi portant réforme de la responsabilité civile, texte n° 657 (2009-2010), p. 3. 25 Die einschlägigen Vorschriften werden mit dem Titel „De la responsabilité du fait d’autrui“ überschrieben und lauten: „Art. 1386-7. – Sont responsable de plein droit des dommages causés par un enfant mineur: 1° Ses père et mère en tant qu’ils exercent l’autorité parentale; 2° Son tuteur, en cas de décès de ceux-ci; 3° Les personnes physiques ou morales chargées, par décision judiciaire ou administrative ou par convention, de régler son mode de vie. La responsabilité mentionnée à l‘alinéa précédemt peut se cumuler avec celle des parents ou du tuteur. Art. 1386-8. – Est responsable de plein droit des dommages causés par une personne majeure dont l’état ou la situation nécessite une surveillance particulière la personne physique ou morale chargée, par décision judiciaire ou administrative ou par convention, de régler son mode de vie. Art. 1386-9. – Les personnes non mentionnées aux articles 1386-7 et 1386-8 qui assument, à titre professionnel, une mission de surveillance d’autrui, répondent du fait de l’auteur direct du dommage, à moins qu’elles ne démontrent qu’elles n’ont pas commis de faute. Art. 1386-10 [le commettant] Art. 1386-11. – Les personnes mentionnées aux articles 1386-7 à 1386-10 ne peuvent voir leur responsabilité engagée du fait des personnes dont elle doivent répondre qu’à condition que soit rapportée la preuve d’un fait qui serait de nature à engager la responsabilité de l’auteur direct du dommage.“ 26 Anziani/Béteille, Rapport d’information, texte n° 558 (2009-2019), p. 58. 24

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

haftbar gemacht werden kann, bestehen bleiben.27 Zweitens soll eine strikte Einstandspflicht aufgrund eines wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht in Betracht kommen.28 Die Zukunft des Gesetzesvorschlags Béteille ist noch offen.

IV. Das Avant-projet Terré Einen zweiten akademischen Reformvorschlag legte Professor Terré am 30. Mai 2011 dem Justizministerium vor, der unter der Schirmherrschaft der Académie des sciences morales et politiques erarbeitet wurde. Unter dem Abschnitt „Du délit civil en général“ werden vier Paragraphen zusammengefasst. Der erste Paragraph behandelt die faute, der zweite den dommage, der dritte die causalité und der vierte die imputation du dommage causé par autrui.29 In dieser Gliederung zeigt sich ein struktureller Unterschied zum geltenden Recht und zum Avant-projet Catala. Die Haftung für Andere wird nicht als besonderer Haftungstatbestand ausgestaltet, sondern als eine Zurechnungsregel.30 Innerhalb des Paragraphen der imputation du dommage causé par autrui wird unterteilt in einen Einleitungssatz, eine Zurechnungsnorm für Fehlverhalten Minderjähriger, eine Zurechnungsnorm für Fehlverhalten geistig behinderter Volljähriger und eine Zu27

Die bisherige Ausnahme, nach welcher der Verrichtungsgehilfe nur im Falle des abus des fonctions und bei Verwirklichung bestimmter Straftaten neben dem Geschäftsherrn persönlich haften soll, wird ebenfalls beibehalten, vgl. Anziani/Béteille, Rapport d’information, texte n° 558 (2009-2019), p. 61. 28 Anziani/Béteille, Rapport d’information, texte n° 558 (2009-2019), p. 66. 29 Die einzelnen Vorschriften werden mit dem Titel „§ 4. De l’imputation du dommage causé par autrui“ überschrieben und lauten: „Article 13: On ne répond du dommage causé par autrui que dans les cas et aux conditions déterminés par la loi. Dans tous les cas, cette responsabilité n’a lieu que lorsqu’est carcatérisé un délit civil au sens du présent chapitre. Article 14: Sont responsables de plein droit du fait du mineur: - ses père et mère, en tant qu’ils exercent l’autorité parentale; - son tuteur, en tant qu’il est chargé de prendre soin de la personne de l’enfant; - la personne physique ou morale chargée par décision judiciaire ou administrative, ou par convention, d’organiser et contrôler à titre permanent le mode de vie du mineur. Ces responsabilités sont alternatives. Article 15: Est responsable de plein droit du fait du majeur placé sous sa surveillance la personne physique ou morale chargée, par décision judiciaire ou administrative, ou par convention, d’organiser et contrôler à titre permanent son mode de vie. Article 16: Les autres personnes assumant, à titre professionnel, la surveillance d’autrui, répondent du fait de la personne surveillée, sauf à prouver qu’elles n’ont pas commis de faute dans la surveillance.“ 30 Mazeaud/Borghetti, in: Terré, Pour une réforme du droit de la responsabilité civile, Paris 2011, p. 154.

B. Reformvorschläge für das deutsche Deliktsrecht

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rechnungsnorm für sonstige Personen, die professionell beaufsichtigt werden. Die vorgeschlagenen Grundsätze zur Haftung von Betreuungspersonen entsprechen in weiten Teilen denjenigen des Avant-projet Catala und des darauf basierenden Gesetzesvorschlages Béteille: Eltern, Vormünder und sonstige dauerhafte Betreuungspersonen haften für Minderjährige und betreuungsbedürftige Erwachsene strikt, sonstige professionelle Aufsichtspersonen haften für widerlegbar vermutetes Aufsichtsverschulden. Hinsichtlich des unmittelbar schädigenden Verhaltens wird ein délit gefordert; die théorie du fait causal wird abgelehnt. Im Unterschied zum Avantprojet Catala soll die strikte Haftung von sonstigen Betreuungspersonen nur alternativ und nicht kumulativ zur Haftung von Eltern und Vormündern geltend gemacht werden können. Eine Kodifizierung der Haftung von Sport- und Freizeitvereinen lehnt die Arbeitsgruppe ab.31 Im Unterschied zum Avant-projet Catala und in Übereinstimmung mit dem Gesetzesvorschlag Béteille spricht sich das Avant-projet Terré gegen eine strikte Haftung allein aufgrund eines wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses aus. Die Zurechnungsnormen werden ausdrücklich als abschließend bezeichnet, um eine richterliche Rechtsfortbildung zu verhindern.32 Trotz der aufgezeigten ambitionierten Vorschläge für eine Reform der responsabilité civile blieb eine gesetzgeberische Umsetzung in Frankreich bisher aus. Bezeichnenderweise heißt es: „En France, au XXIe siècle, le droit français des obligations, c’est toujours plus de projets et toujours moins de réformes“.33

B. Reformvorschläge für das deutsche Deliktsrecht B. Reformvorschläge für das deutsche Deliktsrecht

Bereits 1981 hatte von Bar in seinem Gutachten zur Überarbeitung des Schuldrechts vorgeschlagen, § 832 BGB zu streichen und die Haftung von aufsichtspflichtigen Personen als Regelbeispiel in eine Grundnorm von Verkehrspflichten zu integrieren.34 Das Prinzip der Verschuldenshaftung 31

Mazeaud/Borghetti, in: Terré, Pour une réforme du droit de la responsabilité civile, Paris 2011, p. 152. 32 Mazeaud/Borghetti, in: Terré, Pour une réforme du droit de la responsabilité civile, Paris 2011, p. 155. 33 Vgl. Rome, Réforme du droit de la responsabilité: demandez le projet!, D. 2011, n° 23, édito. 34 von Bar, Deliktsrecht, in: BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, 1981, S. 1681, 1761, 1767. § 824 Abs. 1 sollte lauten: „1Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, der einer durch ihn geschaffenen oder in seinem Herrschaftsbereich befindlichen Gefahr für Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit,

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

mit Beweislastumkehr sollte beibehalten werden. Die Haftung von aufsichtspflichtigen Personen sollte ergänzt werden um die Haftung aufgrund tatsächlicher Aufsichtsübernahme. Im Hinblick auf die Geschäftsherrenhaftung sprach sich von Bar für den Gesetzesentwurf von 1967 aus, der die Abschaffung der Entlastungsmöglichkeit des Geschäftsherrn vorsah.35 Ergänzend schlug von Bar vor, die Beweislast für das Gehilfenverschulden umzukehren.36 Solche und ähnliche Vorschläge haben sich im deutschen Recht nie durchgesetzt. Die Schuldrechtsreform des Jahres 2001 hat das Deliktsrecht ausgeklammert. Die Grundstrukturen des deutschen Deliktsrechts sind seit 1900 unverändert. Dies bedeutet freilich nicht, dass das deutsche Schrifttum der geltenden Rechtslage nicht zum Teil kritisch gegenübersteht. Die Kritik wendet sich in erster Linie gegen die gegenwärtige Elternhaftung. Auch die Geschäftsherrenhaftung wird zum Teil für reformbedürftig erachtet.

I. Reformvorschläge zur Elternhaftung Die Reformvorschläge zur Elternhaftung reichen von der Abschaffung der Aufsichtshaftung bis hin zu der Einführung einer objektiven Einstandspflicht nach dem französischen Modell. Reformgedanken werden fast ausschließlich zur Elternhaftung und weniger zu § 832 BGB im Allgemeinen geäußert.37

Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen nicht sachgemäß und zumutbar entgegenwirkt. 2Die Ersatzpflicht ist bei fehlendem Verschulden ausgeschlossen. 3Der Umstand, daß der Verantwortliche einen Dritten damit betraut, der Gefahr entgegenzuwirken, darf dem Verletzten nicht zum Nachteil gereichen.“ § 824 Abs. 2 sollte lauten: „Einer Gefahr nach Abs. 1 muß insbesondere entgegenwirken, wer 1. einen anderen zu einer Verrichtung bestellt; 2. kraft Gesetzes, Vertrages oder tatsächlicher Übernahme zur Aufsicht über eine Person oder Sache verpflichtet ist;“. 35 BMJ, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 1967, Band I, S. 4; danach sollte § 831 BGB wie folgt lauten: „Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist, wenn der andere in Ausführung der Verrichtung durch eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene Handlung einem Dritten einen Schaden zufügt, neben dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.“ 36 § 831 sollte lauten: „1Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, hat für den Schaden einzustehen, den der andere einem Dritten in Ausführung der Verrichtung widerrechtlich zufügt. 2Die Ersatzpflicht des Geschäftsherrn nach Satz 1 ist ausgeschlossen, wenn den Gehilfen kein Verschulden trifft.“ 37 Die Haftung für aufsichtsbedürftige Erwachsene spielte bislang keine dominante Rolle; so auch Quambusch, Das Haftungsrecht in der Arbeit mit geistig Behinderten, Freiburg i. Br. 1987, S. 11.

B. Reformvorschläge für das deutsche Deliktsrecht

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1. Abmilderung der Aufsichtshaftung Die radikalste Meinung fordert die Abschaffung der Elternhaftung gemäß § 832 BGB.38 Die rechtspolitische Bedeutung der Vorschrift sei zweifelhaft. Es sei nicht tragbar, diejenigen Personen mit einer verschärften Haftung zu belasten, denen bereits durch Gesetz die Führung einer Aufsicht auferlegt wird.39 Nach Ansicht von Deutsch bestand die frühere Funktion des § 832 BGB in dem Zugriff auf das Familienvermögen. Diese Funktion sei durch das System der Haftpflichtversicherungen jedoch inzwischen weggefallen. Großfeld und Mund fordern die Abschaffung der Beweislastumkehr und die Beschränkung der Elternhaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.40 Der Grund, der für die Umkehr der Beweislast angeführt werde, sei heute nicht mehr haltbar. Da beide Elternteile inzwischen außerhäuslich tätig seien und ihre Kinder frei und ohne ständige Überwachung erziehen würden, könnten Eltern ihre Kinder nicht mehr beeinflussen und Schäden verhindern.41 Die Beschränkung der Elternhaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sei erforderlich, weil anderenfalls bereits bei jeder leicht fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung eine finanzielle Existenzvernichtung für die Eltern zu befürchten sei.42 Da Kinder vor allem für die Allgemeinheit von Nutzen seien, müssten die von Kindern verursachten Schäden auch von der Allgemeinheit, etwa über die Sozialversicherung, und nicht von den Eltern getragen werden.43 Auch Haberstroh hält die Beweislastumkehr im Rahmen der Elternhaftung für verfassungsrechtlich fragwürdig.44 Eltern und Ehe stünden unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung (Art. 6 Abs. 1 GG) und dürften daher nicht gegenüber Kinderlosen benachteiligt werden. Diese Schlechterstellung könne nicht durch den sachlichen Grund der „typischen Beweisnot“ des Geschädigten gerechtfertigt werden, da die Eltern spiegelbildlich derselben „Beweisnot“ unterlägen. Erziehungs- und Aufsichtsmaßnahmen bleiben Dritten zumeist verborgen, so dass für den Entlastungsbeweis Zeugen nur schwer zu finden seien. Ebenso wenig könne die Möglichkeit der Eltern, eine Familienhaftpflichtversicherung abzuschließen, einen sachlichen Grund für die 38 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 465. Bereits 1969 bezeichnete Deutsch die Beweislastumkehr gegenüber den Eltern und dem Vormund als wenig begründet und lehnte sie für Personen, welche die Aufsicht unentgeltlich übernommen hatten, gänzlich ab, Anm. zu BGH JZ 1969, 232 in JZ 1969, 233, 235. 39 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 465; so auch Großfeld/Mund, FamRZ 1994, 1504, 1509. 40 Großfeld/Mund, FamRZ 1994, 1504, 1509. 41 Großfeld/Mund, FamRZ 1994, 1504, 1508. 42 Großfeld/Mund, FamRZ 1994, 1504, 1508. 43 Großfeld/Mund, FamRZ 1994, 1504, 1509. 44 Haberstroh, VersR 2000, 806, 815.

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

Schlechterstellung darstellen. Die Funktion der Haftpflichtversicherungen bestehe nicht darin, Haftungsgründe zu schaffen. 45 Eine Abmilderung der Elternhaftung fordert auch Bernau.46 Zwar möchte er an der Beweislastumkehr festhalten, eine Haftpflicht der Eltern solle aber nicht bei leicht fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung bestehen, wenn der aufsichtspflichtige Elternteil mit dem Minderjährigen in einer häuslichen Gemeinschaft lebt. Die Entlastung der Eltern stützt Bernau auf den Gedanken, dass Kinder von ihren Eltern auch im Interesse der Allgemeinheit großgezogen werden. Die Allgemeinheit müsse sich daher zu einem gewissen Grad den Schaden zurechnen lassen, der sich aus dem „Schadensrisiko Kind“ ergebe.47 Die Privilegierung von Eltern, die mit ihrem Kind in häuslicher Gemeinschaft leben, sei auch verfassungsrechtlich gemäß Art. 6 Abs. 1 GG geboten.48 Gegen die Abmilderung der Aufsichtshaftung für Minderjährige hat sich explizit das OLG Celle ausgesprochen. Angesichts der im Vergleich zu einzelnen anderen europäischen Rechtsordnungen bereits bestehenden geringen Haftungsanforderungen des § 832 BGB bestünde für deren Absenkung kein Anlass.49 2. Verschärfung der Aufsichtshaftung Eine Reihe von Autoren fordert eine Verschärfung der Aufsichtshaftung. Dabei zeichnen sich zwei Strömungen ab. Die eine Strömung spricht sich für eine objektive Einstandspflicht der Eltern bei Einführung einer Pflichtversicherung aus. Die andere Strömung spricht sich in Anlehnung an das niederländische Recht für eine nach Altersgruppen differenzierte Haftung aus. a) Objektive Einstandspflicht und Pflichtversicherung Befürworter der objektiven Einstandspflicht ist von Hippel. Bereits 1968 regte er an, zur Vermeidung ruinöser Folgen die Haftung Aufsichtspflichtiger durch ein System des Haftpflichtversicherungsschutzes zu ersetzen.50 Mit der Einführung eines Versicherungszwangs würde das von Kindern ausgehende Risiko auf ein Kollektiv übertragen. Dann brauche aber nicht 45

Haberstroh, VersR 2000, 806, 811, 812. Bernau, Die Aufsichtspflicht der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 394, 438. 47 Bernau, Die Aufsichtspflicht der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 396. 48 Bernau, Die Aufsichtspflicht der Eltern nach § 832 BGB – im Wandel!, 2005, S. 402. 49 OLG Celle FamRZ 1998, 233. 50 von Hippel, VersR 1998, 26; ders., FamRZ 2001, 748. 46

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mehr an der überkommenen Haftpflichtnorm des § 832 BGB festgehalten werden. Vielmehr könne zu einer objektiven Einstandspflicht übergegangen werden.51 Der Richter stünde dann nicht mehr vor dem Gewissenskonflikt, entweder das Opfer leer ausgehen zu lassen, oder die Eltern bzw. die Aufsichtspflichtigen durch eine Haftpflicht finanziell unerträglich zu belasten. Der Versicherungszwang diente somit dem Schutz des Aufsichtspflichtigen und dem Interesse des Geschädigten an einer sichergestellten Entschädigung.52 20 Jahre später ergänzt von Hippel seinen Vorschlag durch die Überlegung, zur Durchsetzung der Zwangsversicherung die jährlich anfallende Versicherungsprämie am Jahresbeginn vom Kindergeld einzubehalten und an einen Pool der Privatversicherer abzuführen. Zur Unterstützung seiner Forderung nach einer objektiven Einstandspflicht von Aufsichtspflichtigen weist der Autor zudem auf die niederländische Rechtslage hin, nach der eine objektive Haftung der Eltern für schädigende Handlungen ihrer Kinder unter 14 Jahren vorgesehen ist. Als Begründung führe der niederländische Gesetzgeber dabei unter anderem die leichte Versicherbarkeit des „Schadensrisikos Kind“ an.53 Noch besser wäre es, allen Bürgern den Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung aufzuerlegen.54 Berning und Vortmann schließen sich der Ansicht von Hippels an. Die Einführung einer Zwangsversicherung des Aufsichtspflichtigen diene dem Schutz des Aufsichtspflichtigen selbst und zugleich der Sicherung des Schadensersatzanspruches des Geschädigten. Als erfreulichen Nebenaspekt beinhalte die Einführung einer Zwangsversicherung die Aussicht, zu einer objektiven Einstandspflicht zurückzukehren.55 Die objektive Einstandspflicht würde das Recht der unerlaubten Handlungen erheblich vereinfachen.56 Darüberhinaus würden die Eltern von Zwängen und Einengungen in der Kindererziehung befreit. Aufgrund des bestehenden Versicherungsschutzes würden sie nicht zur übermäßigen Vorsicht gezwungen.57 Als Ergebnis ihrer rechtsvergleichenden Untersuchung zum französischen Recht fordert auch Niboyet die Einführung einer elterlichen Gefährdungshaftung in Deutschland. Sie stellt primär darauf ab, dass die Einführung einer Gefährdungshaftung einen besseren Schutz des Geschädigten bewirken würde. Um schuldlose Eltern vor ihrem finanziellen Ruin zu be51 von Hippel, FamRZ 1968, 574, 575. Für Verkehrsunfallschäden, die Kinder anrichten, sollen Aufsichtspflichtige nach Ansicht des Verfassers jedoch nur dann haften, wenn sei ein extremes Verschulden trifft. 52 von Hippel, FamRZ 1968, 574, 575. 53 von Hippel, VersR 1998, 26. 54 von Hippel, VersR 1998, 26, 27; ders., FamRZ 2001, 748. 55 Damit dürften sie die Rückkehr zur römischen Noxalhaftung meinen. 56 Berning/Vortmann, JA 1986, 12, 20. 57 Berning/Vortmann, JA 1986, 12, 20.

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wahren, könne eine elterliche Gefährdungshaftung im Hinblick auf Art. 6 GG jedoch nur mit der Einführung einer Pflichthaftpflichtversicherung einhergehen.58 Zwar gibt die Verfasserin zu bedenken, dass eine Gefährdungshaftung, die an eine Pflichtversicherung gekoppelt ist, den Blick auf die individuelle Verantwortung verstelle. Jedoch misst sie der Geisteshaltung der modernen technisierten Gesellschaft, jeden erlittenen Schaden ersetzt zu bekommen, unter Hinweis, dass ein Versicherungszwang auch dem Schutz des minderjährigen Schädigers und seiner Eltern diene, größere Bedeutung zu.59 Die Einführung einer Pflichtversicherung und einer objektiven Einstandspflicht für das schädigende Verhalten von Aufsichtsbedürftigen wird nicht nur im Zusammenhang mit der Elternhaftung diskutiert. Im Jahr 1999 hatte das LG Bremen über die Haftung des Trägers einer psychiatrischen Einrichtung für das drittschädigende Verhalten einer Patientin zu entscheiden. In dem Urteil spricht sich das Gericht für ein kollektives Schadenstragungs- oder Versicherungssystem von psychiatrischen Behandlungseinrichtungen aus.60 Es liege in der Natur der Sache, dass bei gemeindenahen Versorgungskonzepten für psychisch Kranke trotz aller ärztlichen und betreuerischen Bemühungen Misserfolge und – glücklicherweise nur selten – Schädigungen Dritter durch Patienten eintreten. Die Angst vor Schadensersatzansprüchen dürfe aber nicht zu einer Abkehr von bewährten psychiatrischen Behandlungsmethoden und zu einer Verwahrung psychisch Kranker führen. Jedoch dürfe die verfassungsrechtlich gebotene Behandlung und Rehabilitation psychisch Kranker nicht zur Folge haben, dass der geschädigte Dritte ersatzlos das gesamtgesellschaftliche Risiko alleine tragen müsse. Ein kollektives Versicherungssystem würde dieses gesamtgesellschaftliche Risiko abnehmen und für psychiatrische Behandlungseinrichtungen Vorsorge gegen Schadensersatzansprüche Geschädigter treffen. b) Differenzierung der Haftung nach Alter Ein differenzierendes System der Elternhaftung in Anlehnung an das niederländische Recht befürworten Wagner61 und Stürner62. Das niederländi58

Niboyet, Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik, 2001, S. 192. 59 Niboyet, Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik, 2001, S. 195, 196. 60 LG Bremen NJW-RR 1999, 969, 970; zustimmend Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 86. 61 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 828 Rn 19. In der Vorauflage stellt Wagner fest, dass der internationale Trend in Richtung eines Ausbaus der Elternhaftung, keineswegs aber in Richtung ihrer Abschaffung gehe, Wagner, in: MüKo, 4. Aufl. 2004, § 832 Rn 4.

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sche Deliktsrecht schließt die persönliche Haftung von Kindern unter 14 Jahren zugunsten einer strikten Elternhaftung aus. Für das schädigende Verhalten von Kindern zwischen 14 und 16 Jahren haften die Eltern aus vermuteter Aufsichtspflichtverletzung. Für Kinder zwischen 16 und 18 Jahren gelten für die Elternhaftung die Grundsätze der allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung.63 Nach Ansicht von Wagner entspricht die Differenzierung je nach Altersgruppe der Steuerungsfunktion der Haftung, indem sie die Ersatzpflichten an diejenige Partei adressiere, die am besten zur Schadensvermeidung in der Lage sei. Die Inanspruchnahme der Eltern würde diese dazu bringen, das haftungsrechtliche Risiko durch eine Versicherung zu decken, die nicht nur das Familienvermögen, sondern auch das Kind vor übermäßigen Schadensersatzpflichten schützen würde.64 Dem rechtspolitischen Einwand, eine strikte Haftung würde Familien zusätzlich finanziell belasten, entgegnet Wagner, dass das private Haftungsrecht das falsche Mittel sei, um die finanzielle Ausstattung von Familien zu verbessern.65 Gegen das rechtsdogmatische Argument, Kinder könnten nicht wie Gefahrenquellen behandelt werden, wendet Wagner ein, dass eine strikte Elternhaftung Kinder keineswegs auf dieselbe Stufe wie Kraftfahrzeuge stelle. Zum einen verstehe den Vorschlag, die Haftung für Verrichtungsgehilfen als strikte Unternehmerhaftung auszugestalten, auch niemand als Diskriminierung der Arbeitnehmer. Zum anderen könne nicht von einer Gefährdungshaftung im normativen Sinne die Rede sein, solange die Haftung der Eltern ein Verhalten des Kindes voraussetze, das als vorsätzlich oder fahrlässig zu bezeichnen wäre, wenn statt des Kindes ein Erwachsener gehandelt hätte.66 Der Grundsatz des niederländischen Modells überzeuge, da es Minderjährigen- und Elternhaftung in einen Zusammenhang stelle und beide Bereiche einer wechselseitig stimmigen Lösung zuführe.67 62 Stürner, GS Lüderitz, 2000, S. 789, 807. In VersR 1984, 297, 300 fordert Stürner die höchstrichterliche Rechtsprechung hingegen auf, sich bei der Elternhaftung klar für die klassische Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast zu entscheiden. Er weist zudem darauf hin, dass die Versicherbarkeit auf Seiten des Geschädigten ein Argument für die Einordnung von § 832 BGB als klassische Verschuldenshaftung sein könne. 63 Vgl. Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 828 Rn 19; Stürner, GS Lüderitz, S. 789, 803; Bernau, VersR 2005, 1346, 1348. 64 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2005, § 828 Rn 19; auch von Bar sieht die Vorteile des niederländischen Modells insbesondere in dem besonders effektiven Minderjährigenschutz, in: Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, München 1996, Rn 133. 65 Wagner, in: Der Akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 161, 186. 66 Wagner, in: Der Akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 161, 187. 67 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 361.

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

Auch nach Ansicht von Stürner steuert das niederländische Konzept adäquat die versicherungsmäßige Risikobewältigung und zugleich das elterliche Erziehungsverhalten, das wiederum auf das Verhalten des Kindes maßgeblich Einfluss nimmt.68 Kinder unter 14 Jahren bräuchten einen größeren Freiraum vor der persönlichen Haftung. Die beschränkte Elternhaftung garantiere diesen Freiraum auf Kosten Dritter, die das Risiko der Schädigung durch ein Kind nur selbst im Rahmen einer allgemeinen und unspezifischen Versicherung abdecken könnten. Stürner möchte Risiken lieber bei ihrem Verursacher versichert sehen. Nur so könnten die finanziellen Kosten transparent gehalten und Anreize für ihre Beherrschbarkeit – gegebenenfalls durch Eigenbeteiligung und ein Bonus-Malus-System – geschaffen werden.69 Das niederländische Modell berücksichtige zudem die Verringerung des kindspezifischen Risikos mit steigendem Alter, indem zunehmend die Eigenhaftung des Minderjährigen greife und die Haftung der Eltern stufenweise abnehme.70 Auch wenn Kinder nicht bloß Aufgabe und Verpflichtung ihrer Eltern, sondern auch der Allgemeinheit seien, dürfe der Staat Eltern nicht entlasten, indem er blind, zufällig oder versteckt Risiken, die kindliches Verhalten bedingen können, auf Dritte und allgemeine Versicherungen Dritter umverteilt. Vielmehr habe der Sozialstaat Freibeträge und Kindergeld zu leisten, um so den Eltern den Abschluss von Haftpflicht- und Unfallversicherungen zu Gunsten ihrer Kinder zu ermöglichen.71 Wagner und Stürner sprechen sich mit Blick auf die Autonomie der Rechtssubjekte gegen einen gesetzlichen Zwang zum Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung aus.72 3. Beibehaltung der Aufsichtshaftung im Sinne von § 832 BGB Eine mittlere Position nehmen die Stimmen in der Literatur ein, die gegen die Einführung einer strikten Elternhaftung und für die Beibehaltung des geltenden § 832 BGB plädieren.73 Um die Eltern vor erheblichen finanziellen Verlusten zu bewahren, die nicht zuletzt aufgrund der Beweislastumkehr drohen, müsse verstärkt an sie appelliert werden, eine freiwillige Privathaftpflichtversicherung abzuschließen.74 Die Einführung einer Pflicht68

Stürner, GS Lüderitz, 2000, S. 789, 807. Stürner, GS Lüderitz, 2000, S. 789, 806, 807. 70 Stürner, GS Lüderitz, 2000, S. 789, 807. 71 Stürner, GS Lüderitz, 2000, S. 789, 808. 72 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 828 Rn 18; Stürner, GS Lüderitz, 2000, S. 789, 808. 73 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 177; Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 118, 141; Steffen, VersR 1998, 1449, 1451. 74 Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 139, 143; Schmid, VersR 1982, 822, 825. 69

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Haftpflichtversicherung für Kinder löse nicht das Problem des Entlastungsbeweises und degradiere Kinder zu einem Gefahrenobjekt, da eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung nur für gefährliche Tätigkeiten bestehe.75 Nach Ansicht von Belling dürfe der Gesetzgeber die Erziehung von Kindern nicht mit unzumutbaren Haftungsrisiken belasten.76 Kinder zu einem selbstverantwortlichen und eigenständigen Leben zu erziehen sei eine Aufgabe von hohem Wert für die Gesellschaft. Diese müsse im Gegenzug Schäden in Kauf nehmen, die sich in Folge von liberalen Erziehungsmethoden realisieren können.77 Eine haftungsrechtliche Entlastung von Eltern könne im Rahmen des geltenden § 832 BGB erreicht werden. Wertungen, die sich aus Art. 6 GG und aus dem Familienrecht ergeben, könnten bei den an die Aufsichtspflicht zu stellenden Anforderungen Berücksichtigung finden. So sei es naheliegend, eine Aufsichtspflichtverletzung nur noch bei groben Verstößen des Aufsichtspflichtigen anzunehmen. Die Vorschrift des § 832 BGB sei zwar alt, aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit jedoch nicht reformbedürftig. Auch Schoof überzeugt die Systematik des § 832 BGB, nach der sämtliche Fallumstände in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, und die somit der Einzelfallgerechtigkeit dient.78 Allerdings habe die Rechtsprechung die familienrechtlichen Vorschriften und die sich hieraus ergebenden kindlichen und elterlichen Freiräume stärker zu berücksichtigen. Der Belastung der Eltern durch die Beweislastumkehr sei zudem entgegenzuwirken. Eine Haftung nach § 832 Abs. 1 BGB solle nur für kindestypisches unbesonnenes Verhalten begründet werden.79

II. Reformvorschläge zur Geschäftsherrenhaftung Umfassende Reformdiskussionen werden bereits seit der Entstehung des BGB für die „klassische“ Geschäftsherrenhaftung nach § 831 BGB geführt. Auf diese soll hier nicht näher eingegangen werden. Eine durchgrei-

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Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 137; Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 176. Belling zufolge sollte eher an eine staatliche Haftpflichtversicherung gedacht werden, da die Erziehung von Kindern eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe darstelle. 76 Belling, in: Staudinger (2008), § 832 Rn 177. 77 In diesem Sinne auch Steffen, VersR 1998, 1449, 1451. 78 Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 141. 79 Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 141, 142.

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

fende Reform ist für das deutsche Recht derzeit nicht zu erwarten.80 Nichtsdestotrotz findet eine unbedingte Haftung des Geschäftsherrn für das Verschulden seines Verrichtungsgehilfen – wie es im französischen Recht der Fall ist – breite Zustimmung im Schrifttum.81 Eine solche strikte Haftung wäre freilich keine Gefährdungshaftung, weil in der Verwendung von Gehilfen keine besondere Gefährdung liegt.82 Zurechnungsgrund wäre nicht die Unterhaltung einer Quelle erhöhter Gefahr, sondern das deliktische Verhalten einer Person, die der Prinzipal zum eigenen Nutzen eingesetzt hat und kontrollieren kann.83 Für die hier untersuchte Haftung von Organisationen, insbesondere von Sportvereinen, existierten – soweit ersichtlich – keine Reformvorschläge. Dieser Befund erscheint konsequent, weil weder Rechtsprechung noch Schrifttum von wenigen Ausnahmen abgesehen zu der Haftung von Vereinen für das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder Stellung beziehen.

C. Ausblick: Die Haftung für Andere in einem europäischen Deliktsrecht Eine Harmonisierung der Privatrechte der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird nicht nur für den Bereich des Vertragsrechts, sondern auch für den Bereich des Deliktsrechts angestrebt. Für einen Katalog gemeineuropäischer Rechtsgrundsätze im Deliktsrecht liegen derzeit zwei Entwürfe vor. Der eine Entwurf sind die Principles of European Tort Law (PETL), der andere Entwurf ist der Draft Common Frame of Reference (DCFR).

I. Principles of European Tort Law Im April 2004 endeten die von Koziol geleiteten Arbeiten der European Group on Tort Law mit der Redaktion der Principles of European Tort Law. Die herausgearbeiteten Prinzipien sollten eine Diskussionsgrundlage für künftige Arbeiten an einem einheitlichen europäischen Schadensersatzrecht bieten und zugleich Gesetzgebung, Lehre und Judikatur der einzelnen nationalen Rechtsordnungen vorab beeinflussen, um so eine gewisse Angleichung des Schadensersatzrechts zu erreichen.84 Ziel der Arbeitsgruppe 80 Eine kurze Zusammenfassung findet sich etwa bei Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 831 Rn 1-5. 81 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 462. 82 von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 1960, S. 49, 116. 83 Wagner, in: MüKo, 5. Aufl. 2009, § 831 Rn 4. 84 Koziol, ZEuP 2004, 234.

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war es, Regelungen aufzustellen, die einerseits durch die Berücksichtigung der gemeinsamen Grundlagen auf eine größtmögliche Akzeptanz stoßen würden, und die andererseits auf den Erfahrungen der geltenden europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen aufbauten.85 Verschuldens-, Gefährdungs- und Gehilfenhaftung werden von der Arbeitsgruppe als gleichrangige Haftungsgründe des Schadensersatzrechts angesehen, wobei Verschuldens- und Gefährdungshaftung keine Gegensätze bilden, sondern fließend ineinander übergehen. Der Bereich zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung soll durch die Umkehrung der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens ausgefüllt werden. In diesen Zwischenbereich fallen Haftungstatbestände, bei denen der schadensverursachende Umstand nur einen geringen und keinen außergewöhnlich hohen Grad an Gefährlichkeit aufweist.86 Die Haftung für Kinder und geistig Behinderte ist nach Ansicht der European Group on Tort Law diesem Zwischenbereich zuzuordnen und folglich einer verschärften Verschuldenshaftung zu unterwerfen (vgl. Art. 6:101 PETL). 87 Die Einführung einer strikten Haftung könne nicht durch eine außergewöhnlich hohe Gefährlichkeit von Kindern und geistig Behinderten gerechtfertigt werden. Auch sei aufgrund des Interesses der Allgemeinheit an Kindern eine strikte Haftung der aufsichtspflichtigen Person nicht haltbar.88 Allerdings verhalten sich aufsichtsbedürftige Personen nicht immer vernunftgeleitet. Der Umstand sei ausreichend, um die Verschuldenshaftung der Aufsichtsperson zu verschärfen.89 Die Haftung des Geschäftsherrn für das Fehlverhalten seiner Hilfspersonen will die European Group on Tort Law hingegen als strikte Haftung ausgestaltet sehen.90 Ein allgemeiner Tatbestand einer Haftung für Andere, unter den die Haftung von Organisationen fallen könnte, ist nicht vorgesehen.

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Koziol, ZEuP 2004, 234, 235. Koziol, ZEuP 2004, 234, 238. 87 „Art. 6:101 PETL. Liability for minors or mentally disabled persons: A person in charge of another who is a minor or subject to mental disability is liable for damage caused by the other unless the person in charge shows that he has conformed to the required standard of conduct in supervision.“ 88 Ein weiterer Grund gegen die strikte Haftung für Kinder und geistig Behinderte wurde in einem Wertungswiderspruch gesehen, der drohen würde, falls für Kinder schärfer gehaftet würde als für Tiere. 89 Koziol, ZEuP 2004, 234, 253. 90 „Art. 6:102 PETL. Liability for auxiliaries: (1) A person is liable for damage caused by his auxiliaries acting within the scope of their functions provided that they violated the required standard of conduct. (2) An independent contractor is not regarded as an auxiliary for the purposes of this Article.“ 86

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

II. Draft Common Frame of Reference Auch die im Jahre 1999 unter der Leitung von von Bar konstituierte Study Group on a European Civil Code befasst sich mit den wichtigsten außervertraglichen Schuldverhältnissen. Ihre Ergebnisse wurden mit den Ergebnissen der European Research Group on Existing EC Private Law (Acquis Group) in dem Draft Common Frame of Reference (DCFR) zusammengefasst. Die Study Group geht von drei Elementen der deliktischen Haftung aus: Schaden, Zurechenbarkeit und Kausalität.91 Im Unterschied zur European Group on Tort Law verzichtet sie zumindest begrifflich auf die Unterscheidung zwischen Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängiger Haftung. Auf der Ebene der Zurechnung wird zwischen der Haftung für eigenes Fehlverhalten und der Haftung ohne Fehlverhalten unterschieden.92 Für die Zurechnung von Schäden, die durch Kinder und beaufsichtigte Erwachsene verursacht werden, sieht der DCFR in seiner Ausgabe von 2009 eine Haftung aufgrund vermuteter Aufsichtspflichtverletzung vor.93 Im Unterschied zu Art. 6:101 PETL sollen Eltern und sonstige gesetzlich Sorgeberechtigte nur für das schädigende Verhalten von Kindern unter 14 Jahren einstehen müssen. Für das schädigende Verhalten von Kindern über 14 Jahren ist eine verschärfte Haftung des Sorgeberechtigten nicht vorgesehen. Einrichtungen und andere Behörden („other body“), die sich der Beaufsichtigung von Personen verpflichtet haben, müssen nur dann für das schädigende Verhalten des Beaufsichtigten haften, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass der Beaufsichtigte einen Schaden dieser Art verursachen würde („is a person likely to cause damage of that type“). Eine Haftung der Eltern oder Betreuungseinrichtungen soll nur für sorg91

von Bar, ZEuP 2001, 515, 520. von Bar, ZEuP 2001, 515, 526, 527. 93 „Book VI. – 3:104: Accountability for damage caused by children or supervised persons (1) Parents or other persons obliged by law to provide parental care for a person under fourteen years of age are accountable for the causation of legally relevant damage where that person under age caused the damage by conduct that would constitute intentional or negligent conduct if it were the conduct of an adult. (2) An institution or other body obliged to supervise a person is accountable for the causation of legally relevant damage suffered by a third party when: (a) the damage is personal injury, loss within VI. – 2:202 (Loss suffered by third persons as a result of another’s personal injury or death) or property damage; (b) the person whom the institution or other body is obliged to supervise caused that damage intentionally or negligently or, in the case of a person under eighteen, by conduct that would constitute intention or negligence if it were the conduct of an adult; and (c) the person whom the institution or other body is obliged to supervise is a person likely to cause damage of that type. (3) However, a person is not accountable under this Article for the causation of damage if that person shows that there was no defective supervision of the person causing the damage.“ 92

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faltswidriges Verhalten des unmittelbaren Schädigers begründet werden. Natürliche Personen, die vertraglich oder tatsächlich die Aufsicht über ein Kind übernehmen, unterliegen nach dem DCFR keiner verschärften Haftung. Für Personen, die Andere beschäftigen, sieht der DCFR wie die PETL eine strikte Haftung („Accountability without intention or negligence“) vor.94

III. Bewertung der Entwürfe für ein europäisches Deliktsrecht Die PETL und der DCFR kommen für die Haftung von Betreuungspersonen und für die Geschäftsherrenhaftung zu gleichen Ergebnissen. Beide Entwürfe stimmen überein, dass in einem europäischen Deliktsrecht die Haftung für Schäden von Kindern und aufsichtsbedürftigen Erwachsenen als eine Haftung für vermutetes Aufsichtsverschulden ausgesaltet werden soll. Der Geschäftsherr soll hingegen für das schädigende Verhalten seiner Hilfspersonen strikt haften. Ein allgemeiner Haftungstatbestand für das Fehlverhalten Anderer wird nicht diskutiert. Organisationen haften für ihre Mitglieder nur dann verschärft, wenn diese als Verrichtungsgehilfen zu qualifizieren sind. Der Vergleich der Entwürfe mit dem geltenden französischen und deutschen Recht zeigt, dass für die Haftung von Betreuungspersonen das Haftungsmodell des § 832 BGB stärker dem Acquis communautaire entspricht als dasjenige des Art. 1384 Abs. 1 und Abs. 4 C.c. Dieser Befund wird durch eine Rundschau in den Rechtsordnungen der europäischen Kernstaaten bestätigt. Zwar sieht neben dem französischen Recht auch das niederländische Recht eine eingeschränkte strikte Elternhaftung vor.95 Überdies nimmt in Italien die Rechtsprechung zunehmend eine strikte Elternhaftung an.96 Hingegen wird im skandinavischen Deliktsrecht und im Common Law eine Haftung für Aufsichtsbedürftige nur bei eigener Fahrlässigkeit des Aufsichtspflichtigen bejaht. Weder existiert eine strikte Haftung, noch wird die Beweislast zum Nachteil des Aufsichtspflichtigen umgekehrt.97 Auch das belgische Recht lehnt das französische Haftungsmodell des 94 „Book VI. – 3:201: Accountability for damage caused by employees and representatives (1) A person who employs or similarly engages another is accountable for the causation of legally relevant damage suffered by a third person when the person employed or engaged: (a) caused the damage in the course of the employment or engagement; and (b) caused the damage intentionally or negligently, or is otherwise accountable for the causation of the damage. (2) [Representative].“ 95 Nach Buch 6 Art. 169 Abs. 1 Nieuwe Burgerlijk Wetboek haften Eltern uneingeschränkt verschuldensunabhängig für Handlungen ihrer Kinder unter 14 Jahren. 96 Iudica/Scarso, Tort Liability and Insurance: Italy, Rn 92. 97 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, München 1996, Rn 330, 331.

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Vierter Teil: Reformvorschläge und Ausblick

Art. 1384 Abs. 1 und Abs. 4 C.c. ausdrücklich ab. Zwar entspricht die Vorschrift des Art. 1384 Code civil belge98 in weiten Teilen wörtlich dem Art. 1384 C.c. Allerdings lehnte es die belgische Cour de cassation im Jahre 1997 ab, die Blieck-Rechtsprechung auf das belgische Recht zu übertragen. Die Richter stellten klar, dass der erste Absatz des Art. 1384 Code civil belge, der den identischen Wortlaut wie seine französische Muttervorschrift aufweist, kein allgemeines Prinzip der Haftung für Andere enthalte, und dass eine Haftung für Andere allein in den speziell geregelten Fällen der nachfolgenden Absätze in Betracht komme.99 Auf europäischer Ebene hat sich der von Wagner noch im Jahr 2004 für die Elternhaftung beschriebene internationale Trend zur „Rückkehr zur römisch-rechtlichen Noxalhaftung als verschuldensunabhängige Einstandspflicht des pater familias für Delikte der Haussöhne“100 somit nicht bestätigt. Bemerkenswert ist, dass Tagesmütter und ähnliche Personen für die in ihre Obhut gegebenen Kinder nur in Deutschland, Griechenland und Portugal aus vermutetem Aufsichtsversagen haften. In den übrigen Rechtsordnungen greift die deliktische Grundnorm, die uneingeschränkt dem Verschuldensprinzip folgt.101 Die Haftung des Geschäftsherrn soll hingegen nach beiden Entwürfen dem Modell des Art. 1384 Abs. 5 C.c. folgen und dementsprechend als strikte Haftung ausgestaltet werden. Die Entscheidung für eine strikte Geschäftsherrenhaftung ist nicht überraschend, herrscht dieses Prinzip doch im Common Law, im skandinavischen Deliktsrecht sowie überwiegend im romanischen Rechtskreis vor.102

98

„Art. 1384: (1) On est responsable non seulement du dommage que l'on cause par son propre fait, mais encore de celui qui est causé par le fait des personnes dont on doit répondre, ou des choses que l'on a sous sa garde. (2) (Le père et la mère sont responsables du dommage causé par leurs enfants mineurs.) (3) Les maîtres et les commettants, du dommage causé par leurs domestiques et préposés dans les fonctions auxquelles ils les ont employés. (4) Les instituteurs et les artisans, du dommage cause par leurs élèves et apprentis pendant le temps qu'ils sont sous leur surveillance. (5) La responsabilité ci-dessus a lieu, à moins que les père et mère, instituteurs et artisans, ne prouvent qu'ils n’ont pu empêcher le fait qui donne lieu à cette responsabilité.“ 99 Cass. belge, 19 juin 1997, J.T. 1997, 582: „l’article 1384 du Code civil n’établit pas, dans son alinéa 1, un principe général de responsabilité du fait d’autrui (…) ; que cette responsabilité n’existe que dans les limites des régimes particuliers, différents les uns des autres, qu’il instaure de manière exhaustive dans les alinéas suivants“. Fundstelle bei von Bar, Das deutsche Deliktsrecht in gemeineuropäischer Perspektive, S. 24; weitere Quelle: . 100 Wagner, in: MüKo, 4. Aufl. 2004, § 832 Rn 4. 101 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, München 1996, Rn 157. 102 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 41 V; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, München 1996, Rn 338, Rn 180.

Fünfter Teil:

Bewertung A. Bewertung der französischen und deutschen Lösung A. Bewertung der französischen und deutschen Lösung

Die Lösung des französischen Rechts zur Haftung von Betreuungspersonen besticht auf den ersten Blick durch Einfachheit und Schlankheit. Sie bietet Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Inhaber der garde d’autrui ist stets bestimmbar. Auf die schwierige Frage, welche Aufsichtsmaßnahme im konkreten Fall geboten gewesen wäre, kommt es nicht an. Es muss auch nicht zwischen vertraglicher und tatsächlicher Aufsichtsübernahme abgegrenzt werden. Richterliche Entscheidungen hängen somit nicht vom Einzelfall ab, sondern sind vorhersehbar und berechenbar. Opfer von Schädigungen durch Minderjährige und durch geistig Behinderte genießen einen hohen Schutz. Der Inhaber der garde d’autrui haftet auch für Schäden, die nicht auf sein persönliches Fehlverhalten zurückzuführen sind. Die strikte Haftung führt mittelbar dazu, dass sich Eltern, Vormünder und Betreuungseinrichtungen gegen das Haftungsrisiko versichern, was wiederum dem Opfer einen zahlungskräftigen Schuldner beschert.1 Die strikte Haftung von Betreuungspersonen hat in vielen Fällen das rechtspolitisch gewünschte Ergebnis, dass der unmittelbar schädigende Minderjährige und betreuungsbedürftige Erwachsene nicht in Anspruch genommen wird.2 Der Gedanke des Schutzes von Minderjährigen und geistig Behinderten vor Überschuldung ist insbesondere in Frankreich nicht zu unterschätzen.3 Grundsätzlich haften Minderjährige und geistig Behinderte wegen der objectivisation de la faute ungeachtet ihrer Einsichtsfähigkeit.4 Daher können auch Kleinkinder und geistig Behinderte in Frankreich 1

Zu bedenken ist freilich, dass auch eine Versicherung nicht absoluten Schutz vor Inanspruchnahme bietet. Die Schadensübernahme ist regelmäßig in der Höhe begrenzt und für vorsätzliches Verhalten ausgeschlossen. 2 Peters, FamRZ 1997, 595, 597, 600. 3 Vgl. Puill, D. 1988, chr., 185, 191, der bereits vor dem arrêt Bertrand die Einführung einer strikten Elternhaftung verbunden mit einer Pflichtversicherung nicht zuletzt zum Schutze der Minderjährigen forderte. 4 Vgl. für Minderjährige Cass.ass.plén., 9 mai 1984, Bull. A.P. 1984, n° 1-4; vgl. für geistig Behinderte Art. 489-2: „Celui qui a causé un dommage à autrui alors qu’il était sous l’empire d’un trouble mental, n’en est pas moins obligé à réparation.“

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Fünfter Teil: Bewertung

schadensersatzpflichtig sein.5 Wegen des geringen Prozessrisikos und des hohen Vollstreckungserfolgs wird der Geschädigte regelmäßig nur die Betreuungsperson verklagen. Die Betreuungsperson wird wiederum im Innenverhältnis auf einen Regress bei dem Betreuungsbedürftigen verzichten. Im deutschen Recht stellt sich das Problem, den Minderjährigen vor einer Inanspruchnahme durch den Geschädigten schützen zu müssen, nicht mit der gleichen Schärfe. Nach § 828 Abs. 1 und Abs. 2 BGB können Kinder unter sieben Jahren generell und Kinder unter zehn Jahren für Schäden im Straßenverkehr nicht verantwortlich gemacht werden. Im Übrigen richtet sich die Haftung von Minderjährigen gemäß § 828 Abs. 3 BGB nach deren Einsichtsfähigkeit. Die persönliche Haftung von betreuungsbedürftigen Erwachsenen ist gemäß § 827 S. 1 BGB bei absoluter Zurechnungsunfähigkeit ausgeschlossen. Dies ist bei hochgradiger Störung der Denktätigkeit oder der Willensbildung, wie etwa bei Schizophrenen oder ManischDepressiven, anzunehmen.6 Die Gefahr für den Geschädigten, dass der unmittelbare Schädiger haftungsrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden kann, wird sowohl in der französischen als auch in der deutschen Rechtsordnung durch eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Betreuungsperson kompensiert. Je eher ein Haftungsausschluss des unmittelbaren Schädigers in Betracht kommt, desto stärker muss die Haftung der Betreuungsperson sein, um ein angemessenes Kompensationsmittel zu sein. Hierfür scheint sich eine strikte Haftung besonders anzubieten. Vor diesem Hintergrund verwundert, dass im französischen Recht sowohl die Eigenhaftung von Minderjährigen und geistig Behinderten als auch die Haftung von Betreuungspersonen strenger ist als im deutschen Recht. Die französische Lösung scheint daher nicht primär auf dem Kompensationsgedanken zu beruhen. Die Abkehr vom Verschuldensprinzip und die Irrelevanz der individuellen Verantwortlichkeit des Haftpflichtigen im französischen Recht lässt sich auch nicht mit dem Gedanken einer Risikohaftung für die Gefahrenquelle „Kind“ bzw. „Behinderter“ rechtfertigen. Zurechnungsgrund der Gefährdungshaftungstatbestände ist die Schaffung und Unterhaltung einer Quelle besonderer Gefahr zum eigenen Nutzen. Die Gefahrenquelle liegt regelmäßig in dem Betrieb einer Anlage oder der Obhut über eine Sache.7 5 Die Haftpflicht trifft das Kind insbesondere auch für im Straßenverkehr verursachte Fremdschäden (vgl. Art. 3 L. 5. Juill. 1985). 6 Eine Minderung der Geistes- oder Willenskraft lässt die Deliktsfähigkeit bestehen; vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn 469, 473. 7 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 274; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 492; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, 5. Aufl. 2009, Rn 7, 519.

A. Bewertung der französischen und deutschen Lösung

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Es bereitet bereits Unbehagen, Kinder und behinderte Menschen als eine Quelle besonderer Gefahr zu bezeichnen. Mit der Menschenwürde ist es unvereinbar, Kinder und behinderte Menschen auf die gleiche Stufe wie Kraftfahrzeuge oder Atomenergieanlagen zu stellen und sie zu einem Gefahrenobjekt zu degradieren.8 Sicherlich besteht eine gesteigerte Gefahr der Schadenszufügung durch betreuungs- und aufsichtsbedürftige Menschen. Dies ist der kindlichen Unbedarftheit und Ungeschicktheit, dem kindlichen Leichtsinn sowie dem fehlenden Unrechtsbewusstsein und der fehlenden Einsichtsfähigkeit von Minderjährigen und geistig Behinderten geschuldet. Auf Kinder und Behinderte kann jedoch eingewirkt werden, so dass die von ihnen ausgehende Gefahr nicht ungewöhnlich, schwer beherrschbar oder unausweichlich ist wie bei Gegenständen mit hoher Geschwindigkeit (Eisenbahn, Kraft- und Luftverkehr), Energieanlagen (Gasund Elektrizitätswerke, Atomenergieanlagen) oder Tieren. Es fehlt an einem den genannten Objekten vergleichbaren Gefährdungspotential, denn das Maß an Gefährdung, das der Mensch mit seinen bloßen Händen zu verursachen vermag, ist definitionsgemäß kein erhöhtes.9 Insofern ist die Aussage Brüggemeiers bedenklich, dass „das französische Recht mit größerer Berechtigung das nicht-einsichtsfähige Kind eher als Risikofaktor, vergleichbar eher einem unberechenbaren Tier behandelt“.10 Die Gefahr, die von Kindern und Behinderten ausgeht, ist nicht derart besonders, dass sie nicht vom Geschädigten getragen werden kann, sondern von der Betreuungsperson abgenommen werden muss. Für eine Risikohaftung wäre überdies kennzeichnend, dass der In-Anspruch-Genommene die Gefahrenquelle zum eigenen Nutzen unterhält. Eltern, Behinderteneinrichtungen und sonstige Betreuungspersonen ziehen aber keinen finanziellen Nutzen aus der Betreuung ihrer Schutzbefohlenen. Kinder werden zum einen zur persönlichen Freude der Eltern, zum anderen aber auch im Interesse der Allgemeinheit geboren und erzogen. Außerdem bringen sie hohe Erziehungs- und Ausbildungskosten mit sich. Die Wiedereingliederung von delinquenten und gefährdeten Minderjährigen und die Integration von geistig Behinderten kommen der Gesellschaft zu Gute. Die strikte Haftung des französischen Rechts lässt sich schließlich auch nicht mit der Autorität rechtfertigen, welche die Personensorge (garde d’autrui) Eltern und Betreuungseinrichtungen verleiht. Das Argument, der Inhaber der garde d’autrui habe es am ehesten in der Hand, Schäden durch Minderjährige zu verhindern, rechtfertigt nicht die strikte Einstandspflicht. Das wird in den Fällen deutlich, in denen der Inhaber der garde d’autrui 8 OLG Koblenz, Beschluss v. 21.1.2009, Az: 12 U 1299/08; vgl. Schoof, Die Aufsichtspflicht der Eltern über ihre Kinder i.S.d. § 832 Abs. 1 BGB, 1999, S. 137, 138. 9 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 290. 10 Brüggemeier, Haftungsrecht, Berlin u.a. 2006, S. 534.

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Fünfter Teil: Bewertung

haftet, obwohl er über keinerlei tatsächliche Einflussmöglichkeit auf das Kind oder die geistig behinderte Person verfügt. Man denke sich die Situation, in der ein Kind faktisch von den Großeltern großgezogen wird, ohne dass diese das Sorgerecht übertragen bekommen haben. Die Mutter des Kindes haftet, obwohl sie nie eine Möglichkeit zur Schadensverhinderung durch angemessene Erziehung hatte. Die dogmatischen Konturen des Haftungsinstituts verlieren sich, wenn – wie derzeit in Frankreich – Betreuungspersonen auch für bloß kausales, aber nicht pflichtwidriges Verhalten der betreuten Person haften müssen. Dadurch gerät die bloße Tatsache, dass man Kinder in die Welt gesetzt bzw. die Kinder- oder Behindertensorge übernommen hat, in unerträglicher Weise zum maßgeblichen Haftungsgrund. Zu Recht erklärt von Bar, dass eine Rechtsordnung, die im Kinderkriegen ein Delikt sieht, sich selber aufgibt.11 Es besteht die Hoffnung, dass die von der Rechtsprechung entwickelte théorie du fait causal in einem reformierten französischen Deliktsrecht keine gesetzgeberische Bestätigung finden wird. Alle Reformvorschläge fordern für die Haftung der Betreuungsperson ein fehlerhaftes Verhalten des unmittelbaren Schädigers.12 Eine stringente Begründung der strikten Eltern- und Betreuerhaftung des französischen Rechts ist nicht erkennbar. Im Vordergrund scheint eine einseitige Bevorteilung des Opfers zu stehen. Mittelbar soll die strikte Haftung auch den unmittelbar schädigenden Minderjährigen schützen. Dagegen werden die Interessen der Betreuungsperson für gering erachtet, insbesondere weil diese sich gegen das Haftungsrisiko versichern kann. Die einseitige Risiko- und Schadensabwälzung auf die Betreuungsperson findet in der Tat eine gewisse Relativierung, wenn – wie in Frankreich – Betreuungspersonen fast ausnahmslos durch eine (Familien-)Haftpflichtversicherung geschützt sind. Faktisch wird dadurch aus der Haftung aufgrund individueller Verantwortung eine socialisation de la réparation.13 Letztlich bleiben die Wertungen hinter der strikten Haftung im französischen Recht im Nebulösen. Die Rechtsprechung der Cour de cassation zur Haftung von Betreuungspersonen erscheint als eine Billigkeitsrechtsprechung. Mazeaud fasst das Prinzip der Haftung für Andere bezeichnenderweise wie folgt zusammen: „Dis-moi si tu es assuré, je te dirai si tu es responsable du fait d’autrui“.14

11

von Bar: Gemeineuropäisches Deliktsrecht Band I, 1996, Rn 147. Hierzu 4. Teil A. 13 Vgl. Viney, Introduction à la responsabilité, 2 e éd. 1995, n° 19 et. s. 14 Fundstelle bei Bloch, JCP 2003 II 10097: Mazeaud, Defrénois 1996, art. 36272, p. 360. 12

A. Bewertung der französischen und deutschen Lösung

163

Dagegen scheint das deutsche Recht zu einer sachgerechteren Lösung zu kommen und auch auf der Linie der europäischen Vereinheitlichungstendenzen zu liegen. Die Haftung von Betreuungspersonen für vermutete Aufsichtspflichtverletzung ermöglicht einen gerechten Schadensausgleich. Die Exkulpationsmöglichkeit ist ein Risiko für den Geschädigten, das dieser billigerweise hinnehmen muss. Eine generelle Schadenstragung durch die Betreuungsperson oder ein Kollektiv von Versicherungsnehmern ist hingegen nicht zu rechtfertigen. Diese kann eine finanzielle Belastung von Familien und sonstigen Aufsichtspflichtigen mit sich bringen. Familien stehen unter dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 GG, der Familien fördern und unbillige Härten vermeiden soll. Sonstige Aufsichtspflichtige könnten vor einer Aufsichtsübernahme zurückschrecken, obwohl diese oftmals im Interesse der Gesellschaft ist. Der vom Geschädigten ersatzlos hinzunehmende Schaden bei Deliktsunfähigkeit des unmittelbaren Schädigers und Exkulpation der Betreuungsperson beschränkt sich in der Regel auf Schmerzensgeld und nicht versicherte Sachschäden. Personenschäden werden durch die Sozialversicherungsträger und privaten Kranken- und Unfallversicherungen gedeckt, auch wenn keine Regressansprüche gegen einen verantwortlichen Dritten bestehen. Sachschäden werden zunehmend von Eigenversicherungen getragen. Für die „übrig gebliebenen“ Schäden (Schmerzensgeld, nicht versicherte Sachschäden) kann der Geschädigte schließlich Ersatz aus Billigkeitsgründen nach § 829 BGB vom deliktsunfähigen Schädiger verlangen. Hat die Betreuungsperson zu Gunsten des Schädigers eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, ist dieser Versicherungsschutz im Rahmen des § 829 BGB zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des Versicherungsschutzes bei der Haftung gemäß § 829 BGB widerspricht nicht dem Trennungsprinzip15, da die Norm nicht Sorgfaltsanreize schaffen, sondern die Kosten dem besseren Risikoträger zurechnen will. Die Abwälzung des Schadens auf den deliktsunfähigen Schädiger erfolgt nur, und ist auch nur dann gerecht, wenn dieser ihn wirtschaftlich besser tragen kann als der Geschädigte. Dies kann bei bestehender Haftpflichtversicherung der Fall sein. Greift auch die Billigkeitshaftung nicht, erscheint es nicht untragbar, dass der Geschädigte den Schaden als allgemeines Lebensrisiko entschädigungslos hinnehmen muss. Es bleibt bei dem Grundsatz casum sentit dominus. Bei der Haftung von Organisationen kann die französische Lösung zu einer unbilligen Härte für gemeinnützige Sport- und Freizeitvereine führen. Solche Vereine sollten gefördert und nicht aufgrund einer strikten Einstandspflicht für das schädigende Verhalten ihrer Mitglieder finanziell be15

Hierzu 2. Teil B. I. 7.

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Fünfter Teil: Bewertung

lastet werden. Für Profi- und profinahe Sportvereine stellt die Schadensabnahme hingegen keine unbillige Härte dar. Diese profitieren in finanzieller Hinsicht von dem Einsatz ihrer Mitglieder. Im Vordergrund steht also der Gedanke der Vorteilsziehung. Für die Haftung von profinahen Sportvereinen bedurfte es allerdings nicht der Rechtsfortbildung der Cour de cassation. Sie können nach den Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung haftbar gemacht werden. Die Anwendung von Art. 1384 Abs. 1 Alt. 1 C.c. auf profinahe Amateurrugbyvereine öffnete indes – mangels Erfordernis einer Gehilfenstellung – die Tür zu einer konturlosen Ausdehnung der strikten Einstandspflicht gemeinnützig tätiger Organisationen. Für die Verschärfung der Haftung von Sportvereinen für das schädigende Verhalten ihrer Spieler besteht im deutschen Recht keine Notwendigkeit. Wird ein Spieler durch einen grob regelwidrig spielenden Gegenspieler verletzt, ist er ausreichend abgesichert. Einerseits wird sein Personenschaden durch die Krankenversicherung und Betriebsunfallversicherung seines Sportvereins abgedeckt. Andererseits kann er Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld, von dem unmittelbaren Schädiger verlangen. Dieser ist weder deliktsunfähig noch, wie in der Regel Kinder und geistig Behinderte, per se zahlungsunfähig. Im Profi- und profinahen Mannschaftssport wird der Rechtsschutz wie im französischen Recht durch die Geschäftsherrenhaftung ergänzt. Bei sonstigen organisierten Tätigkeiten ist das Risiko, an einen zahlungsunfähigen Schädiger zu geraten oder seinen Schädiger nicht identifizieren zu können, ein allgemeines Lebensrisiko, das jeder Geschädigte, auch außerhalb von organisierten Tätigkeiten, tragen muss. Seinen Schädiger kann man sich schließlich nicht aussuchen. Ein Grund, warum bei organisierten Tätigkeiten über die Grundsätze der Geschäftsherrenhaftung und der Haftung aufgrund Verkehrssicherungspflichten hinaus die Organisation dem Geschädigten seinen Schaden abnehmen soll, ist nicht ersichtlich.

B. Versicherungslösung B. Versicherungslösung

Für eine Haftung von Betreuungspersonen wird häufig das Argument ins Feld geführt, diese könnten das Schadensrisiko am einfachsten und günstigsten versichern, das unvermeidbare Schadensrisiko somit besser tragen als der Geschädigte. Die Tragfähigkeit dieser Behauptung bedarf einer näheren Betrachtung. Nahezu jedes Schadensrisiko kann inzwischen bei einem professionellen Risikoträger abgedeckt werden. Der Geschädigte selbst wird durch so genannte Sach- und Personenversicherungen (first party insurance) ge-

B. Versicherungslösung

165

schützt. Der potentiell haftpflichtige Dritte kann sich durch Haftpflichtversicherungen (third party insurance) absichern.16 Der Ausgleich von Personenschäden erfolgt in Deutschland und Frankreich primär über das System der Sozialversicherungen, insbesondere über die gesetzliche Unfall-, Kranken- und Rentenversicherungen. Sie gewährleisten eine Grundversorgung.17 Ergänzt wird das Versicherungssystem durch private Kranken- und Unfallversicherungen. Erleidet jemand durch einen Minderjährigen oder geistig Behinderten einen Personenschaden, etwa im Straßenverkehr oder beim Spielen mit gefährlichen Gegenständen, kommt zunächst die Versicherung für die entstandenen Kosten (Heilungskosten, Krankengeld, Erwerbsunfähigkeitsrente) auf, und zwar unabhängig davon, ob der Schaden auf einem haftungsrechtlich zurechenbaren Verhalten der Betreuungsperson beruht oder nicht. Sachschäden werden durch zahlreich existierende freiwillige Schadensversicherungen wie etwa Gebäude-, Feuer- oder Kaskoversicherungen ausgeglichen.18 So steht der Geschädigte, dessen Ferienhaus von einem geistig Behinderten in Brand gesetzt wird, in der Regel nicht schutzlos dar. Übernimmt eine Versicherung den Schaden, wird die Betreuungsperson jedoch nicht von ihrer Haftpflicht freigestellt. Beide Rechtsordnungen sehen Regressmöglichkeiten des gesetzlichen und des privaten Versicherers beim Haftpflichtigen vor.19 Der Eigenversicherung des Geschädigten steht häufig eine Haftpflichtversicherung des Schädigers bzw. der Betreuungsperson gegenüber. Weit verbreitet ist die Familienhaftpflichtversicherung, die sowohl Schadensersatzansprüche gegen den minderjährigen Schädiger selbst als auch gegen die Eltern wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht abdeckt.20 In Frankreich sind gut 90 %21, in Deutschland etwa 70 %22 der Haushalte privat haftpflichtversichert. Auch professionelle Betreuungseinrichtungen und -personen verfügen regelmäßig über einen umfassenden Versicherungsschutz. Die versicherte Betreuungsperson kann von dem Versicherer Freistellung von allen Ansprüchen verlangen, die der geschädigte Dritte gegen sie geltend macht.23 Im Ergebnis kommt für Schäden, die durch Minderjäh16

Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 91. Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, S. 329. 18 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 54. 19 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 1. Aufl. 2003, S. 306 ff. In Deutschland ist der Regress des gesetzlichen Versicherers in §§ 116 ff. SGB X und der des privaten Haftpflichtversicherers in § 86 VVG geregelt. 20 Niboyet, Die Haftung Minderjähriger und ihrer Eltern nach deutschem und französischem Deliktsrecht zwischen Dogmatik und Rechtspolitik, 2001, S. 185, 190; Kötz/ Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 34. 21 Vgl. Biller, Die Eigenhaftung des Verrichtungsgehilfen, 2006, S. 51. 22 Jahrbuch des GDV 2010, S. 61, Quelle: Allensbacher Werbeträger-Analyse 2010. 23 Vgl. dazu im deutschen Recht § 100 VVG. 17

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Fünfter Teil: Bewertung

rige und betreuungsbedürftige Erwachsene verursacht werden, in Frankreich fast immer, in Deutschland überwiegend die freiwillige Haftpflichtversicherung auf. Regelmäßig wird die Eigenversicherung des Geschädigten Regress bei der aufsichts- und betreuungspflichtigen Person und deren Haftpflichtversicherung nehmen. Das Haftungsrecht hat sich insoweit in ein „Recht der Regressvoraussetzungen“ gewandelt.24 Klagen des Geschädigten selbst kommen nur noch im Zusammenhang mit Schmerzensgeldforderungen und nicht versicherten Sachschäden in Betracht. Der Schutz des Geschädigten bei Schadensposten, die durch keine Eigenversicherung abgesichert sind, würde durch eine obligatorische Haftpflichtversicherung von Betreuungspersonen gestärkt. Deren Einführung wird sowohl für das französische25 wie das deutsche26 Recht diskutiert. Mit dem Versicherer des Haftpflichtigen erhielte der Geschädigte stets eine liquide Zahlungsquelle. Die Schadensausgleichsfunktion des Haftungsrechts würde gestärkt. Zugleich würde eine Existenzgefährdung von Betreuungspersonen aufgrund hoher Schadensersatzforderungen verhindert. Zum Teil wird behauptet, eine obligatorische Haftpflichtversicherung würde im Zusammenspiel mit einer strikten Einstandspflicht von Betreuungspersonen zu einer Kostensenkung gegenüber dem Ausgleich durch das private Deliktsrecht führen.27 In welcher Höhe tatsächlich Kosten für die Schadensregulierung durch Gerichte und Anwälte anfallen, ist kaum bezifferbar. Insgesamt dürften sich die Kosten der Schadensregulierung in Grenzen halten, weisen Aufsichtspflichtverletzungen doch nicht annähernd den Massencharakter von Verkehrsunfällen auf. Es fehlt zudem der Einblick darin, ob die Sozialversicherungsträger nach geltendem Recht tatsächlich immer Regress beim Schädiger nehmen. In bestimmten Bereichen, insbesondere für die Straßenverkehrs-Haftpflicht, erfolgt die Schadensregulierung bereits kostengünstig über Teilungsabkommen.28 Schließlich ist davon auszugehen, dass die Versicherungen das Schadensrisiko und die zu erwartenden Verwaltungskosten29 durch erhöhte Prämien auf die Versicherten umlegen werden. Gegen die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Aufsichtspflichtige spricht jedoch, dass sie Schadenskosten sozialisiert und 24

Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn 958. Puill, D. 1988, chr., 185, 191. 26 Hierzu 4. Teil B. I. 2; vgl. Bernau, VersR 2005, 1346. 27 In diesem Sinne von Hippel, FamRZ 1968, 574, 575. 28 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 781. 29 Bernau weist zudem auf die Schwierigkeit der praktischen Umsetzbarkeit einer Pflichtversicherung von Eltern hin, VersR 2005, 1346, 1351. 25

B. Versicherungslösung

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dadurch den Blick auf die individuelle Verantwortung von Betreuungspersonen verstellt.30 Minderjährige und betreuungsbedürftige Erwachsene sind nicht derart gefährlich, dass ein Kollektiv von (versicherungspflichtigen) Familien finanziell für das Verschulden Einzelner heranzuziehen wäre. Außerdem würde in nicht zu rechtfertigender Weise in die Privatautonomie der Betreuungspersonen eingegriffen. Die Haftung von Aufsichtspflichtigen ist nicht vergleichbar mit der Haftung von Jägern, Kraftfahrzeughaltern oder Kernkraftwerksbetreibern. Gegen die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung spricht auch die Schwächung der Präventionsfunktion des Deliktsrechts. Das Deliktsrecht dient nicht nur dem Schadensausgleich, sondern auch der Schadensvermeidung durch Verhaltenssteuerung. Zwar ist davon auszugehen, dass eine sorgfältige Beaufsichtigung in erster Linie zum Schutz der Kinder und der geistig Behinderten selbst erfolgt. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Belehrung und Beaufsichtigung im Hinblick auf den Schutz von Rechtsgütern Dritter im Einzelfall vernachlässigt würden, wenn eine obligatorische Haftpflichtversicherung einträte.31 Ein Anreiz zu sorgfältigem Verhalten kann im System der Haftpflichtversicherungen allein durch Selbstbehalte, Deckungsausschlüsse für Vorsatzdelikte und Bonus-MalusSysteme vermittelt werden.32 Überdies bestünde unter Beibehaltung des geltenden § 832 BGB die Gefahr, dass Gerichte, im Wissen um einen obligatorischen Versicherungsschutz, voreilig eine Aufsichtspflichtverletzung annähmen. Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe gegen die Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung. Stattdessen sollte verstärkt an den Abschluss einer freiwilligen Haftpflichtversicherung appelliert werden, die sowohl die Haftung des Betreuungsbedürftigen als auch die Haftung der Aufsichtsperson abdeckt. Die Vorteile einer (freiwilligen) Haftpflichtversicherung liegen angesichts der Schadensgeneigtheit insbesondere von Kindern auf der Hand. Eine Haftpflichtversicherung ist in Deutschland kostengünstig und somit auch für Familien mit engen finanziellen Verhältnissen erschwinglich. In Frankreich scheint man sich angesichts der höheren Verbreitung dieser Versicherung der Vorteile stärker bewusst zu sein als in Deutschland.

30

Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 47. Die Bedenken Bernaus (VersR 2005, 1346, 1351), eine Zwangsversicherung könnte als Freibrief zur schrankenlosen Drittschädigung aufgefasst werden und zu einer mangelnden Motivation zur Aufsichtsführung führen, erscheinen dagegen etwas lebensfremd. 32 Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn 1017; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, Rn 360. 31

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Sachregister administrateur légal 46 allgemeines Lebensrisiko 98, 117, 163 allgemeine Sachhalterhaftung 20, 73 Aufsichtsmaßnahme 95, 108 Aufsichtspflichtverletzung 9, 95 Aufsichtsübernahme 84 Autoritätsverhältnis 44, 59, 70 autorité parentale 12

– strikte 9, 15, 21, 38 – verschuldensunabhängige 55, 139 individuelle Verantwortung 167 Jagdverein 60, 69, 124 Jand’heur-Entscheidung 20 Kasuistik 72

Babysitter 44, 104, 116 Bertrand-Entscheidung 9, 37 Betreuer 46, 83 Beweislastumkehr 77, 133 Billigkeitsrechtsprechung 162 Blieck-Entscheidung 62 casum sentit dominus 2, 163 Costedoat-Entscheidung 17 faute 51, 67 – qualifizierte 68 – objectivisation de la 18, 173 Foyer Notre-Dame des FlotsEntscheidung 37 Fullenwarth-Entscheidung 13 garde 44 – d’autrui 43 – effective 49, 131 – juridique 49, 131 Generalklausel 73, 87 Gefährdungshaftung 22, 76, 94, 160 Gefälligkeit 87 Gewerkschaft 65, 126 grob regelwidriges Spiel 122 Großeltern 45, 91, 104 Haftpflichtversicherung 15, 111, 165 Haftung – autonome 51

Levert-Entscheidung 13 Majorettes-Entscheidung 63 Minc und Poullet-Entscheidungen 13 Personensorge 43 préposé 17 Rechtsbindungswille 88 responsabilité de plein droit 21, 38, 72 richterliche Rechtsfortbildung 3, 137 Rugby-Entscheidungen 55 Sportverein 118 – Amateur 58 – Profi 57 Tagesmutter 44, 85 théorie – du fait causal 13, 51 – du fait fautif 51 – du non-cumul 52 Verrichtungsgehilfe 17, 119 Verschuldensprinzip 2, 78, 160 Versicherungsschutz 72 Vormund 47, 82 wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis 141, 145