Die Entwicklung der Rechtskraftlehre im französischen und spanischen Recht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung 9783161550881, 9783161550560

Als Rechtssicherheit und Rechtsfrieden stiftende Wirkung gerichtlicher Streitentscheidung stellt die Rechtskraft eines d

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Die Bedeutung der Rechtkraft und ihrer rechtsvergleichenden Untersuchung
B. Auswahl der untersuchten Rechtsordnungen und Zielsetzung der Arbeit
C. Gang der Untersuchung
D. Bemerkung zur verwendeten Terminologie
Erstes Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen
§ 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht
A. Der römische Zivilprozess
I. Der Legisaktionenprozess
II. Der klassische Formularprozess
III. Der klassische Kognitionsprozess
IV. Das nachklassische Verfahren
B. Der germanische Prozess
C. Zusammenfassung
§ 2 Die Vorstellung von der res iudicata im Hochmittelalter: Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten
A. Der Begriff der res iudicata
B. Reichweite der Rechtskraft und rechtskraftfähige Entscheidungsteile
C. Die Verortung der res iudicata im Beweisrecht
D. Zusammenfassung
Zweites Kapitel: Die Rechtskraft im französischen und spanischen Recht
§ 1 Die französische Lehre von der autorité de la chose jugée
A. Historische Entwicklung
I. Gesetzesrecht und Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts
1. Die Ordonnance de Saint Germain-en-Laye von 1667
2. Die Rechtskraft in der französischen Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts
a. Die Wahrheitsvermutung („présomption de la vérité“) bei Domat
b. Die „autorité de la chose jugée“ im Werk Robert Joseph Pothiers
II. Die napoleonische Gesetzgebung zu Beginn des 19. Jahrhunderts
III. Zusammenfassung
B. Dogmatische Grundlagen
I. Begriffsbestimmung und Abgrenzung von anderen Rechtsinstituten
1. Die Unterscheidung zwischen Urteilswirkungen und Urteilseigenschaften
2. Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Urteilswirkungen und -eigenschaften
a. „Autorité de la chose jugée“ und „dessaisissement“
b. „Autorité de la chose jugée“, „force de la chose jugée“ und „irrévocabilité“
c. „Autorité de la chose jugée“ und „efficacité substantielle“
II. Zweck der „autorité de la chose jugée“
III. Rechtsnatur und dogmatische Einordnung
1. Die Verknüpfung der „autorité de la chose jugée“ mit der Wahrheit („vérité“)
a. Das traditionelle Verständnis als „présomption de vérité légale“
b. Das neuere Konzept der „force de vérité légale“
2. Der funktionale Ansatz auf Grundlage der immutabilité: Aufgabe der Verknüpfung von „autorité de la chose jugée“ und „vérité“
3. Zusammenfassung
C. Die Wirkung der „autorité de la chose jugée“
I. Negative und positive Wirkung der „autorité de la chose jugée“
1. Die negative Wirkungsrichtung der „autorité de la chose jugée“
2. Die positive Wirkung der „autorité de la chose jugée“
a. Das traditionelle materielle Verständnis der „autorité de la chose jugée“
b. Infragestellung der positiven Wirkungsrichtung
aa. Keine eigenständige Bedeutung einer „autorité positive de la chose jugée“
bb. Anerkennung einer „autorité positive de la chose jugée“ nur in Ausnahmefällen
cc. Die positive Bindungswirkung als gleichwertige Funktion auch bei funktionellem Verständnis der „autorité de la chose jugée“
dd. Die Position der Rechtsprechung
c. Eigene Stellungnahme
d. Zusammenfassung
II. Die Berücksichtigung der „autorité de la chose jugée“ im Prozess
1. Die „autorité de la chose jugée“ als Regelung des „ordre public“ oder als den Schutz privater Interessen bezweckendes Institut?
a. Die Diskussion vor 2004
aa. Die Diskussion zur grundsätzlichen Einordnung der „autorité de la chose jugée“
(1) Die herrschende Ansicht: Die „autorité de la chose jugée“ als „règle d’intérêt privé“
(2) Die abweichende Einordnung der „autorité de la chose jugée“ als „Regel des ordre public“
(3) Zusammenfassung
bb. Ausnahmen von der grundsätzlichen Einordnung als privaten Interessen dienendes Institut
cc. Zusammenfassung
b. Auswirkungen der Gesetzesänderung von 2004
2. Berücksichtigung der „autorité de la chose jugée“ von Amts wegen
a. Amtsprüfung
b. Einführung der Tatsache der Existenz eines rechtskräftigen Urteils in den Prozess
c. Durchführung der Amtsprüfung: Notwendige Gewährung rechtlichen Gehörs?
d. Zusammenfassung
3. Der Zeitpunkt der Geltendmachung der „autorité de la chose jugée“
4. Verzicht der Parteien auf die „autorité de la chose jugée“
5. Zusammenfassung
III. Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen
1. Die Kassation nach Art. 617 C.p.c.
2. Die Kassation nach Art. 618 C.p.c. bei Unvereinbarkeit der Entscheidungen
3. Zusammenfassung
D. Rechtskraftfähige Entscheidungen
I. Streitige Verfahren und freiwillige Gerichtsbarkeit
II. Das Kriterium der endgültigen Entscheidung („jugement définitif“)
1. Prozessurteile
2. „Jugements avant dire droit“ und „jugements mixtes“
3. „Ordonnances de référé“ und „ordonnances de requête“
4. „Jugements en l’état“
5. Zusammenfassung
E. Rechtskraftfähige Entscheidungselemente
I. Der „dispositif“ als Gegenstand der „autorité de la chose jugée“
II. „Autorité de la chose jugée“ auch außerhalb des ausdrücklichen Entscheidungsausspruchs?
1. Die dogmatischen Grundpositionen
2. Die Rechtsentwicklung
a. Die Rechtslage vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile
aa. „Motifs décisoires“
bb. Einbeziehung logisch zwingender Vorfragen und Schlussfolgerungen
(1) „Motifs décisifs“
(2) „Décisions implicites“ und „décisions virtuelles“
cc. Zusammenfassung
b. Die Entwicklung seit 1975
aa. „Motifs décisoires“
bb. „Motifs décisifs“
cc. Art. 95 C.p.c. als Ausnahmeregelung?
dd. „Décisions implicites“
3. Zusammenfassung und Bewertung
F. Die Grenzen der Rechtskraft: Die „triple identité“
I. Subjektive Begrenzung durch die Parteien („parties“)
1. Der Begriff der Partei
2. Parteibegriff und „représentation“
3. Erstreckung der „autorité de la chose jugée“ auf die Rechtsnachfolger der Parteien
4. Die Stellung Dritter: Der außerordentliche Rechtsbehelf der „tierce opposition“
II. Objektive Grenzen: „Objet“ und „cause“
1. Art 1351 Code civil und seine Tauglichkeit zur gegenständlichen Begrenzung der Rechtskraft
2. Bezugspunkte des Vergleichs
3. Das traditionelle Verständnis von „objet“ und „cause“
a. „Objet“ oder „chose demandée“
aa. Der Begriff des „objet“ innerhalb der Systematik des Art. 1351 Code civil und im Verhältnis zur Terminologie des Code de procédure civile
bb. Die Bedeutung der rechtlichen Qualifikation des Begehrens
cc. Teilklagen
dd. Zusammenfassung
b. „Cause“
aa. Die Suche nach einer einheitlichen Begriffsbestimmung
bb. Die Bedeutung der „moyens“ für die Definition der „cause“
cc. Literatur und Rechtsprechung bis 2006: Differenzierung nach der Art des jeweiligen Vorbringens
(1) Neuer Beweisvortrag („nouveau moyen de preuve“)
(2) Tatsachenvorbringen
(3) Abweichende rechtliche Begründung („nouveau moyen de droit“)
(a) Die Prägung der „cause“ durch die rechtliche Begründung nach der herrschenden Meinung
(b) Abweichende Stimmen in Literatur und Rechtsprechung
(c) Die Begrenzung der cause durch das Rechtsvorbringen im Rahmen der „autorité de la chose jugée“ und die Befugnis des Gerichts zur rechtlichen Überprüfung des Sachverhalts
c. Zusammenfassung der Rechtslage vor 2006
4. Neubestimmung der Grenzen der „autorité de la chose jugée“ durch die Cesareo-Entscheidung 2006: Das Prinzip der Konzentration der „moyens“
a. Die Entscheidung Cesareo und ihr Hintergrund
aa. Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die Rechtskraftlehre
bb. Der rechtspolitische Hintergrund der Entscheidung Cesareo
(1) Die Reformkommissionen Coulon und Magendie
(2) Die Entscheidung Cesareo als Weiterführung dieser Entwicklung
b. Die Weiterentwicklung des Prinzips der Konzentration der moyens seit 2006
aa. Festigung und Konkretisierung der Obliegenheit des Klägers zur Konzentration der „moyens“ und Auswirkungen auf den „cause“-Begriff
bb. Ausweitung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten und ihre Bedeutung für den Begriff des „objet“
(1) Die der Debatte zugrundeliegenden Entscheidungen
(2) Erklärungsansätze für die Fortentwicklung des Konzentrationsprinzips seit 2006
(a) Bewertung auf Grundlage des Prinzips der Konzentration: Ausweitung des Prinzips der Konzentration der „moyens“ oder gar Prinzip der Konzentration der demandes?
(aa) Einführung eines Prinzips der Klagenkonzentration?
(bb) Die Konzentrationsobliegenheit des Beklagten als Anwendung der Cesareo-Entscheidung
(b) Beurteilung auf Grundlage der „triple identité“: Die Ausweitung des „objet“-Begriffs
(aa) Identität des „objet“ schon bei bloßer Ähnlichkeit der Zielsetzung?
(bb) Erstreckung des „objet“ auf das kontradiktorische Gegenteil?
cc. Zusammenfassende Beurteilung der Auswirkungen der Cesareo-Rechtsprechung und ihrer Fortentwicklung auf die objektiven Grenzen der „autorité de la chose jugée“
c. Kritik an der Cesareo-Entscheidung und ihrer Weiterentwicklung
aa. „Chose non-jugée“ und „contradiction“
(1) Bedenken hinsichtlich einer „autorité de la chose non-jugée“
(2) Verstoß gegen das Prinzip der „contradiction“?
bb. Veränderung der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien im Hinblick auf die Ermittlung und Anwendung des Rechts
(1) Die Rechtsprechung zur Rechtsanwendung von Amts wegen seit 2007
(2) Die Kritik an dem Zusammenwirken der Konzentrationsobliegenheit mit der bloßen Befugnis des Gerichts zur Anwendung nicht vorgetragener „moyens de droit“
(3) Zusammenfassung
cc. Zusammenfassende Beurteilung der Kritik
III. Schlussbemerkung zu den Grenzen der „autorité de la chose jugée“
G. Abschließende Zusammenfassung
§ 2 Die spanische Lehre von der cosa juzgada
A. Historische Entwicklung
I. Die Siete Partidas
II. Die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
1. Die Gesetzgebung
a. Entwicklung des Gesetzesrechts im Bereich des Zivilverfahrens
b. Entwicklung der Normierung der cosa juzgada
2. Die Prozessrechtswissenschaft
III. Die Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000
IV. Zusammenfassung
B. Begriffsbestimmung und Abgrenzung zwischen „cosa juzgada formal“ und „cosa juzgada material“
I. Die Unterscheidung zwischen „cosa juzgada formal“ und „cosa juzgada material“
II. „Cosa juzgada formal“
1. Die verschiedenen innerprozessualen Wirkungen der Entscheidung
2. Die Abgrenzung dieser Wirkungen im Verhältnis zur „cosa juzgada formal“
3. Zusammenfassung
III. „Cosa juzgada material“
IV. Zusammenfassung
C. Dogmatische Grundlagen
I. Zielsetzung der „cosa juzgada“ und verfassungsrechtliche Grundlage
II. Rechtsnatur und dogmatische Einordnung
1. Die Theorie der Wahrheitsvermutung („teoría de la presunción de verdad“)
2. Der Theorienstreit zwischen der materiellrechtlichen und der prozessualen Theorie
3. Weitere Ansätze
a. Die Theorie Ramos Méndez’
b. Der Ansatz Serra Domínguez’
c. Zusammenfassung
4. Die Entscheidung des Reformgesetzgebers von 2000
5. Zusammenfassung
D. Die Wirkung der „cosa juzgada material“ im späteren Prozess
I. Die Behandlung der „cosa juzgada material negativa“ und „positiva“ im späteren Verfahren
1. Die Rechtslage vor Einführung der LEC 2000
a. Die negative Ausschlussfunktion der „cosa juzgada“
b. Die positive Funktion der „cosa juzgada“
c. Zusammenfassung
2. Die Rechtslage unter Geltung der LEC 2001
a. Die negative Ausschlusswirkung
b. Die positive Bindung bei Präjudizialität
c. Zusammenfassung
II. Die Rolle der Parteien und des Gerichts bei der Berücksichtigung der „cosa juzgada“
1. Amtsprüfung
a. Die Rechtslage vor der LEC-Reform 2000
b. Berücksichtigung von Amts wegen nach heutigem Recht
2. Einführung der Tatsache des existierenden rechtskräftigen Urteils in den Prozess
3. Verzicht der Parteien auf die „cosa juzgada“
4. Zusammenfassung
III. Die Folge der unterbliebenen Berücksichtigung der „cosa juzgada“: Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen
1. Die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Entscheidungen
2. Das anzuwendende Verfahren
3. Zusammenfassung
E. Rechtskraftfähige Entscheidungen
I. Streitige Verfahren („jurisdicción contencioso“) und freiwillige Gerichtsbarkeit („jurisdicción voluntaria“)
II. Die Rechtskraftfähigkeit von Entscheidungen in streitigen Verfahren
1. Verfahrensbeendende Entscheidung oder Sachurteil: Die schwierige Formulierbarkeit einer Grundregel
2. Untersuchung der Rechtskraftfähigkeit verschiedener Urteils-und Verfahrensarten
a. Prozessurteile
aa. Der Meinungsstand vor Einführung des LEC 2000
bb. Heutiger Meinungsstand
cc. Zusammenfassung
b. Gestaltungsurteile („sentencias constitutivas“)
c. Urteile in summarischen Verfahren (procesos sumarios)
aa. Keine „cosa juzgada material“ im Sinne ihrer negativen Wirkungsrichtung im späteren ordentlichen Verfahren
bb. Bindungswirkung im späteren „proceso plenario“ bzw. Präklusion des im summarischen Verfahren zulässigen Vorbringens
cc. Die Rechtsmissbrauchslösung de la Oliva Santos’
dd. Zusammenfassung
d. Entscheidungen im Wechselprozess und im Mahnverfahren
aa. Der Wechselprozess („proceso cambiario“)
bb. Das Mahnverfahren („proceso monitorio“)
3. Zusammenfassung
F. Die rechtskraftfähigen Elemente der Entscheidung
I. Der Aufbau spanischer Urteile und der Inhalt des Tenors
II. Der Ausgangspunkt: Der Urteilsspruch über die (prozessualen) Ansprüche im „fallo“ als Gegenstand der „cosa juzgada material“
1. Verortung des Urteilsspruchs zu den Ansprüchen der Parteien im „fallo“
2. Der Urteilsspruch im „fallo“ und die „cosa juzgada material“
III. Die sog. impliziten Urteilssprüche („pronunciamientos implícitas“)
IV. Die der Entscheidung im „fallo“ vorgelagerten Fragen
1. Die Feststellungsklage hinsichtlich präjudizieller Rechtsverhältnisse: „Cosa juzgada material“ bei entsprechendem Parteiantrag
2. „Cosa juzgada material“ hinsichtlich vorgelagerter Fragen auch ohne Antrag?
a. Präjudizielle Vorfragen
aa. Die Positionen in der Literatur
(1) Die Entwicklung unter Geltung der LEC 1881
(2) Die heutige Literatur
(a) Die notwendige Verknüpfung der Vorfrage mit dem beantragten Rechtsfolgenausspruch
(b) Die formalen Anforderungen an die Entscheidung über die Vorfrage
(c) Die Erstreckung auf Vorfragen im Verhältnis zu den verschiedenen Funktionen der „cosa juzgada material“
(d) Zusammenfassung
bb. Die Behandlung der Frage in der Rechtsprechung
cc. Zusammenfassung
b. Entscheidungen über Gegenrechte und Einwendungen
aa. Die „excepciones reconvencionales“: Aufrechnung und Nichtigkeitseinwand
(1) Die Rechtslage vor 2000
(a) Die Form der Geltendmachung im Verfahren
(aa) Aufrechnung („compensación“)
(bb) Der Nichtigkeitseinwand
(b) Die Zuerkennung der „cosa juzgada material“
(aa) Die Aufrechnung
(bb) Der Nichtigkeitseinwand
(2) Die heutige Rechtslage
bb. Sonstige Einwendungen
(1) Die Diskussion in der Literatur
(a) Einfluss des Verteidigungsvorbringens auf den Streit- und Rechtskraftgegenstand
(b) Rechtliches Gehör und streitige Erörterung im Hinblick auf das Verteidigungsvorbringen
(c) Gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Erstreckung der „cosa juzgada“? – Die Diskussion über die Zulässigkeit eines Umkehrschlusses aus Art. 408 LEC
(d) Ergebnis der Entwicklung
(2) Die Position der Rechtsprechung
(3) Zusammenfassung
cc. Zusammenfassung
3. Tatsachenfeststellungen
V. Zusammenfassung und abschließende Beurteilung
G. Grenzen der „cosa juzgada“
I. Subjektive Grenzen
1. Die grundsätzliche Beschränkung auf die Parteien und der Begriff der Parteiidentität
a. Der Parteibegriff und das Erfordernis einer rechtlichen Identität der Verfahrenssubjekte
b. Subjektive Identität trotz zusätzlicher Parteien im späteren Verfahren?
c. Zusammenfassung
2. Die Erstreckung auf nicht am Verfahren beteiligte Dritte
a. Erstreckung auf bestimmte Dritte
aa. Rechtsnachfolger („causahabientes“, „herederos“)
bb. Nicht am Verfahren beteiligte Geschädigte in Gruppen-und Verbandsklagen im Sinne des Art. 11 LEC
cc. Erstreckung auf den Rechtsinhaber bei „sustitución procesal“ – Der ursprüngliche Verweis des Art. 222.3 LEC auf Art. 10 LEC
dd. Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen („acuerdos societarios/ sociales“)
ee. Gesamtschuld, Gesamtgläubigerschaft und unteilbare Leistungen
(1) Die Anerkennung in Literatur und Praxis unter Geltung des Art. 1252 C.C
(a) Gesamtschuld und Gesamtgläubigerschaft
(b) Unteilbarkeit der Leistung
(2) Die heutige Rechtslage
b. Wirkung erga omnes
c. Zusammenfassung: Erstreckung der „cosa juzgada“ über die Parteien hinaus
3. Zusammenfassung
II. Die objektive Reicheweite der „cosa juzgada“
1. Die Terminologie der spanischen Streitgegenstandslehre: „Acción“, prozessualer Anspruch, Streitgegenstand und das Erfordernis der dreifachen Identität
a. Die Entwicklung der Streitgegenstandslehre
b. Die heutige Terminologie
c. Terminologische Festlegung für die Bestimmung der objektiven Grenzen der „cosa juzgada“
d. Verfahrensgegenstand, Urteilsgegenstand und Gegenstand der „cosa juzgada“
2. Die objektive Begrenzung der „cosa juzgada“ durch das „petitum“
a. Die Definition des „petitum“
b. Bedeutung der rechtlichen Qualifizierung des Begehrens
c. Die „cosa juzgada implícita“
aa. Die Erstreckung der „cosa juzgada“ auf das unmittelbare Gegenteil des Ausspruchs im Tenor
bb. Unvereinbarkeit der Klage mit einer Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis
cc. Zusammenfassung
d. Die Erstreckung der „cosa juzgada“ auf ergänzende Anträge („peticiones complementarias“)
aa. Ergänzung und Erhöhung des bereits zuvor geltend gemachten Anspruchs – Die Reichweite der „cosa juzgada“ bei Teilklagen
(1) Die Rechtsprechung
(2) Die Position der Literatur
bb. Ergänzende Anträge bei einem auf Umkehrung oder Abänderung einer früheren Rechtsfolgenfeststellung gerichteten Hauptantrag
(1) Die Rechtsprechung
(2) Die Position der Literatur
cc. Fortführung der Rechtsprechung zu den eng verknüpften Anträgen unter Geltung des Art. 400 LEC?
(1) Die Beurteilung auf Grundlage des Art. 400 LEC nach dem Verständnis der Literatur
(2) Die Rechtsprechung zur heutigen Rechtslage
(a) Teilklagen
(b) Umkehrung und Abänderung des vorherigen Rechtsfolgenausspruchs
(c) Weitere Ausdehnung der „cosa juzgada material“ über das „petitum“ hinaus auf Grundlage des Art. 400 LEC?
(d) Keine Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher Anträge aus demselben Sachverhalt
(3) Zusammenfassung
e. Wandel der Definition des „petitum“ im Rahmen des Art. 400 LEC: Flexibilisierung durch ein Erfordernis der Übereinstimmung der „Zielsetzung“ („finalidad“)?
f. Zusammenfassung
3. Der Anspruchsgrund: Die Relevanz der rechtlich-tatsächlichen Anspruchsbegründung
a. Die frühere Rechtslage: Begrenzung der „cosa juzgada“ durch die „causa de pedir“
aa. Die Definition der „causa petendi“ als objektive Grenze der „cosa juzgada“
(1) Von der Auseinandersetzung zwischen Substantiierungs- und Individualisierungslehre zu vermittelnden Ansätzen
(2) Die Definition der „causa de pedir“ im Zusammenspiel von Tatsachen und rechtlicher Qualifizierung
(a) Die rechtliche Relevanz der Tatsachen
(b) Das rechtliche Element der „causa de pedir“
(c) Differenzierende Betrachtung des Einflusses der rechtlichen Würdigung je nach Anspruchs- und Klageart
(d) Die „causa de pedir“ bei Gesetzes- und Anspruchskonkurrenz
(e) Zusammenfassung
bb. Die Erstreckung der „cosa juzgada auf lo deducido y lo deducible“
cc. Präklusion über die Grenzen der „causa de pedir“ hinaus?
dd. Zusammenfassung der früheren Rechtslage
b. Die heutige Rechtslage: Die Präklusion nach Art. 400 LEC und ihre Bedeutung für die Grenzen der „cosa juzgada“
aa. Hintergründe und Zielsetzung der Einführung des Art. 400 LEC
bb. Anwendungsbereich des Art. 400 LEC
(1) Anwendung auch auf das Gegenvorbringen des Beklagten?
(2) Von der Regelung erfasste Verfahrensarten
(a) Anwendung im „juicio verbal“
(b) Anwendung auf summarische Verfahren
(c) Zusammenfassung
(3) Zusammenfassung
cc. Konzentration und Präklusion klägerischen Vorbringens
(1) Die Konzentrationsobliegenheit des Klägers und die objektiven Grenzen der „cosa juzgada“
(a) Die Reichweite der Obliegenheit im Verhältnis zur „causa de pedir“
(b) Das Verhältnis des Art. 400 LEC zur „cosa juzgada“
(c) Schlussfolgerungen aus Art. 400 LEC für die Begrenzung der „cosa juzgada“ durch den Anspruchsgrund
(d) Die Begrenzung des Gegenstandes der „cosa juzgada“ bzw. der Präklusion durch das „petitum“
(e) Zusammenfassung
(2) Die Anwendung des Art. 400 LEC in einzelnen Fallgruppen
(a) Die Reichweite der Präklusion bei verschiedenen Anspruchs- und Klagearten
(b) Der Anwendungsbereich der Regel der Erstreckung der „cosa juzgada“ auf das mögliche Vorbringen („lo deducible“)
(c) Zusammenfassung
(3) Die Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen in der prozessualen Umsetzung im Verfahren
(a) Konzentration in der Frühphase des Verfahrens
(b) Die Obliegenheit zu erschöpfendem Tatsachen- und Rechtsvorbringen im Lichte der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien
(aa) Die Behauptungslast in Bezug auf die Tatsachen und die Bedeutung der Kenntnis des Klägers
(bb) Die Obliegenheit zur Konzentration des Rechtsvorbringens und der Grundsatz „iura novit curia“
(cc) Zusammenfassung
(4) Die Bewertung der Präklusionsregel in der Literatur
(5) Zusammenfassung
dd. Präklusion des Gegenvorbringens des Beklagten
(1) Einwendungen im Vollstreckungsverfahren
(2) Die Präklusion des Gegenvorbringens im Verfahren über eine spätere Klage des Klägers bei Übereinstimmung in Vorfragen
(3) Im Verfahren über eine auf das kontradiktorische Gegenteil gerichtete Klage des vormaligen Beklagten
(4) Im Verfahren über eine nicht auf das kontradiktorische Gegenteil gerichtete, aber verknüpfte Klage des vormaligen Beklagten
(5) Zusammenfassung
ee. Zusammenfassung
c. Die „cosa juzgada“ und die nachträgliche Veränderung entscheidungsrelevanter Umstände – Die sogenannten zeitlichen Grenzen der „cosa juzgada“
aa. Dogmatische Grundlagen: Der Begriff der zeitlichen Grenzen der „cosa juzgada“
bb. Geltendmachung tatsächlicher Veränderung im Erstverfahren: Der für das Vorbringen nachträglich eingetretener Tatsachen maßgebliche Präklusionszeitpunkt
(1) Geltendmachung nachträglich entstandener oder bekannt gewordener Tatsachen im Laufe des Verfahrens
(2) Nachträglich entstandene oder bekannt gewordene Tatsachen, die eine neue „causa de pedir“ bilden: Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 286, 426.4, 433.1, II LEC und Art. 412 LEC
(3) Zusammenfassung
cc. Anforderungen an die nachträglichen Veränderungen: Die Einordnung als neue Tatsachen
(1) Veränderung des zugrunde liegenden Sachverhaltes
(2) Gesetzesänderungen und Änderungen der Rechtsprechung
(3) Neue Beweismittel
(4) Zusammenfassung
dd. Zusammenfassung zu den „zeitlichen Grenzen“ der „cosa juzgada“
d. Zusammenfassung und Bewertung: Relevanz der rechtlich-tatsächlichen Begründung für die Begrenzung der „cosa juzgada“
4. Zusammenfassung – Objektive Grenzen der „cosa juzgada“
III. Zusammenfassung – Grenzen der „cosa juzgada“
H. Abschließende Zusammenfassung
Drittes Kapitel: Die Entwicklungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre im europäischen Vergleich
§ 1 Grundlagen und Umrisse der nationalen Rechtskraftkonzeptionen
A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre
I. Die deutsche Rechtskraftlehre
II. Das englische Prinzip der „res judicata“
III. Die italienische Lehre von der „cosa giudicata“
B. Vergleichende Betrachtung
§ 2 Die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Verfahren: Prüfung von Amts wegen oder nur auf Einrede der Parteien?
A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre
I. Berücksichtigung von Amts wegen in der deutschen Rechtskraftlehre
II. Berücksichtigung nur auf Einwendung der Parteien im englischen Verfahrensrecht
III. Entwicklung hin zur Berücksichtigung von Amts wegen im italienischen Recht
B. Vergleich mit der Rechtskraftlehre Frankreichs und Spaniens
§ 3 Rechtskraftfähige Entscheidungen
A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre
I. Die deutsche Rechtskraftlehre
II. Die englische Rechtskraftlehre
III. Die italienische Rechtskraftlehre
B. Vergleich mit der französischen und spanischen Rechtskraftlehre
§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf präjudizielle Rechtsverhältnisse, Vorfragen und Einwendungen
A. Die Rechtslage in Deutschland, England und Italien
I. Die deutsche Rechtskraftlehre
II. Die englische Rechtskraftlehre
III. Die italienische Rechtskraftlehre
IV. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Gothaer Allgemeine Versicherung AG ./. Samskip GmbH“
B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Entwicklung
§ 5 Subjektive Grenzen der Rechtskraft
A. Die Rechtslage in Deutschland, England und Italien
I. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft in Deutschland
II. Die subjektive Reichweite des „res judicata estoppel“
III. Die subjektiven Grenzen der „cosa giudicata“ in Italien
B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtsentwicklung
§ 6 Die objektive Reichweite der Rechtskraft
A. Die objektive Reichweite der Rechtskraft in Deutschland, England und Italien sowie der autonome europäische Begriff der Anspruchsidentität
I. Die Reichweite der Rechtskraft nach deutschem Recht: Streitgegenstand, kontradiktorisches Gegenteil und Tatsachenpräklusion
II. „Cause of action estoppel“ und die Ausweitung durch die Henderson v. Henderson-Regel im englischen Recht
III. Die objektiven Grenzen der „cosa giudicata“ im italienischen Recht
IV. Die Bestimmung der Anspruchsidentität im Rahmen des Art. 27 EuGVVO/Art. 29 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtsentwicklung
I. Der traditionelle Ansatz der romanischen Rechtsordnungen
II. Abkehr vom romanischen Ansatz: Konvergenz der französischen und der spanischen Entwicklung
III. Verhältnis zur deutschen Rechtskraftlehre
IV. Verhältnis zum Begriff der Anspruchsidentität des EuGH im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 29 Brüssel Ia-VO
V. Verhältnis zum Ansatz des englischen Rechts
VI. Unterschiede zwischen der spanischen und der französischen Lösung
VII. Zusammenfassung
§ 7 Der Einfluss einer späteren Veränderung der entscheidungserheblichen Umstände: Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft
A. Die Rechtskraftlehre in Deutschland, England und Italien
I. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft im deutschen Recht
II. Die Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen beim „res judicata estoppel“ und „abuse of process estoppel“
III. Die zeitlichen Grenzen („limiti temporali“) der „cosa giudicata“ im italienischen Recht
B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtskraftlehre
§ 8 Zusammenfassung
Schlusskapitel: Abschließende Bewertung und Ausblick
A. Die Rechtskraftlehren Frankreichs und Spaniens im Spannungsfeld zwischen Verfahrenskonzentration und Parteidisposition, zwischen Flexibilität und dogmatischer Klarheit
B. Ausblick im Lichte einer europäischen Prozessrechtsharmonisierung
C. Fazit
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Die Entwicklung der Rechtskraftlehre im französischen und spanischen Recht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung
 9783161550881, 9783161550560

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Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 139 herausgegeben von Rolf Stürner

Beatrice Stapf

Die Entwicklung der Rechtskraftlehre im französischen und spanischen Recht Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Mohr Siebeck

Beatrice Stapf, geboren 1984; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg und der University of Aberdeen, Schottland; 2009 Erste juristische Prüfung; Juristischer Vorbereitungsdienst des Landes Baden-Württemberg; 2011 Zweite juristische Staatsprüfung; Wissen­schaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht der Universität Freiburg; 2015 Promotion; derzeit Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken.

e-ISBN PDF 978-3-16-155088-1 ISBN 978-3-16-155056-0 ISSN 0722-7574 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuläs­sig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und gebunden.

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau im Wintersemester 2015/2016 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Wesentlichen im November 2015 abgeschlossen. Besonderer Dank gilt meinem hochverehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner. Nicht nur hat er mich davon überzeugt, die vorliegende Arbeit zu erstellen und mich an die Prozessrechtsvergleichung herangeführt, auch hat er das Forschungsvorhaben intensiv begleitet und betreut und mich während des gesamten Entstehungsprozesses in vielerlei Hinsicht unterstützt. Von seiner umfassenden Kenntnis und Erfahrung im Bereich der Zivilprozessrechtsvergleichung konnte ich in zahlreichen Gesprächen profitieren. Die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl hat mich in fachlicher und persönlicher Hinsicht vorangebracht. Herrn Professor Dr. Alexander Bruns danke ich für die Übernahme und rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Christoph Althammer, der es mir ermöglicht hat, weiterhin am Lehrstuhl für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht wissenschaftlich tätig zu sein. Mein Dank gilt auch der Studienstiftung des deutschen Volkes, welche mich bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Für diese großzügige Unterstützung bin ich sehr dankbar. Meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht danke ich für die kollegiale und freundschaftliche Zusammenarbeit. Die mit ihnen geführten Diskussionen und Gespräche haben – sowohl in- als auch außerhalb des Doktorandenseminares – immer Denkanstöße geliefert, welche die vorliegende Arbeit gefördert haben. Mein herzlichster Dank gilt insbesondere Frau Victoria Marini, die mich nicht nur während meiner Zeit am Lehrstuhl in jeglicher Weise unterstützt hat, sondern auch bereit war, die vorliegende Arbeit Korrektur zu lesen. Ganz besonders danken möchte ich meinem Partner, Herrn Mario GanzMeyer, der mir während der gesamten Zeit der Promotion Rückhalt gegeben hat und schließlich auch bei der Formatierung der Arbeit eine unschätzbare Hilfe war.

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Vorwort

Schließlich gilt mein besonderer Dank meinen Eltern, die mich während meiner gesamten Ausbildung, insbesondere aber auch während der Abfassung der vorliegenden Arbeit, in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ihnen widme ich die vorliegende Arbeit. Saarbrücken, im Dezember 2016

Beatrice Stapf

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXVI

Einleitung ................................................................................................... 1 A. Die Bedeutung der Rechtkraft und ihrer rechtsvergleichenden Untersuchung ............................................................................................ 1 B. Auswahl der untersuchten Rechtsordnungen und Zielsetzung der Arbeit ........................................................................................................ 3 C. Gang der Untersuchung ............................................................................ 4 D. Bemerkung zur verwendeten Terminologie ............................................... 6

Erstes Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen ..................... 8 § 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht ..................................... 8 A. Der römische Zivilprozess ......................................................................... 8 I. Der Legisaktionenprozess ................................................................... 8 II. Der klassische Formularprozess ......................................................... 9 III. Der klassische Kognitionsprozess ................................................... 12 IV. Das nachklassische Verfahren ........................................................ 12 B. Der germanische Prozess ......................................................................... 14 C. Zusammenfassung ................................................................................... 16 § 2 Die Vorstellung von der res iudicata im Hochmittelalter: Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten......................................... 16 A. Der Begriff der res iudicata ...................................................................... 17 B. Reichweite der Rechtskraft und rechtskraftfähige Entscheidungsteile........ 18

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C. Die Verortung der res iudicata im Beweisrecht ......................................... 19 D. Zusammenfassung ................................................................................... 20

Zweites Kapitel: Die Rechtskraft im französischen und spanischen Recht .................................................................................... 22 § 1 Die französische Lehre von der autorité de la chose jugée .................... 22 A. Historische Entwicklung .......................................................................... 22 I. Gesetzesrecht und Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts .................................................................................... 22 1. Die Ordonnance de Saint Germain-en-Laye von 1667.................... 22 2. Die Rechtskraft in der französischen Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts ............................................................... 24 a. Die Wahrheitsvermutung („présomption de la vérité“) bei Domat ...................................................................................... 24 b. Die „autorité de la chose jugée“ im Werk Robert Joseph Pothiers .................................................................................... 26 II. Die napoleonische Gesetzgebung zu Beginn des 19. Jahrhunderts .... 31 III. Zusammenfassung.......................................................................... 33 B. Dogmatische Grundlagen ......................................................................... 34 I. Begriffsbestimmung und Abgrenzung von anderen Rechtsinstituten ............................................................................... 34 1. Die Unterscheidung zwischen Urteilswirkungen und Urteilseigenschaften ..................................................................... 35 2. Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Urteilswirkungen und -eigenschaften 36 a. „Autorité de la chose jugée“ und „dessaisissement“.................... 36 b. „Autorité de la chose jugée“, „force de la chose jugée“ und „irrévocabilité“ ......................................................................... 37 c. „Autorité de la chose jugée“ und „efficacité substantielle“.......... 39 II. Zweck der „autorité de la chose jugée“ ............................................ 42 III. Rechtsnatur und dogmatische Einordnung ...................................... 44 1. Die Verknüpfung der „autorité de la chose jugée“ mit der Wahrheit („vérité“) ....................................................................... 45 a. Das traditionelle Verständnis als „présomption de vérité légale“ ...................................................................................... 45 b. Das neuere Konzept der „force de vérité légale“ ........................ 47 2. Der funktionale Ansatz auf Grundlage der immutabilité: Aufgabe der Verknüpfung von „autorité de la chose jugée“ und „vérité“ ........................................................................................ 48 3. Zusammenfassung ........................................................................ 50

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C. Die Wirkung der „autorité de la chose jugée“ ........................................... 50 I. Negative und positive Wirkung der „autorité de la chose jugée“ ........ 50 1. Die negative Wirkungsrichtung der „autorité de la chose jugée“..... 51 2. Die positive Wirkung der „autorité de la chose jugée“ ................... 52 a. Das traditionelle materielle Verständnis der „autorité de la chose jugée“ ............................................................................. 53 b. Infragestellung der positiven Wirkungsrichtung ......................... 54 aa. Keine eigenständige Bedeutung einer „autorité positive de la chose jugée“ ...................................................................... 54 bb. Anerkennung einer „autorité positive de la chose jugée“ nur in Ausnahmefällen .......................................................... 55 cc. Die positive Bindungswirkung als gleichwertige Funktion auch bei funktionellem Verständnis der „autorité de la chose jugée“ ......................................................................... 56 dd. Die Position der Rechtsprechung ......................................... 58 c. Eigene Stellungnahme ............................................................... 59 d. Zusammenfassung..................................................................... 60 II. Die Berücksichtigung der „autorité de la chose jugée“ im Prozess .... 60 1. Die „autorité de la chose jugée“ als Regelung des „ordre public“ oder als den Schutz privater Interessen bezweckendes Institut? ........................................................................................ 60 a. Die Diskussion vor 2004............................................................ 61 aa. Die Diskussion zur grundsätzlichen Einordnung der „autorité de la chose jugée“ ................................................... 61 (1) Die herrschende Ansicht: Die „autorité de la chose jugée“ als „règle d’intérêt privé“ ....................................... 61 (2) Die abweichende Einordnung der „autorité de la chose jugée“ als „Regel des ordre public“ ................................... 63 (3) Zusammenfassung............................................................ 64 bb. Ausnahmen von der grundsätzlichen Einordnung als privaten Interessen dienendes Institut .................................... 64 cc. Zusammenfassung ............................................................... 66 b. Auswirkungen der Gesetzesänderung von 2004 ......................... 66 2. Berücksichtigung der „autorité de la chose jugée“ von Amts wegen .......................................................................................... 67 a. Amtsprüfung ............................................................................. 67 b. Einführung der Tatsache der Existenz eines rechtskräftigen Urteils in den Prozess ............................................................... 69 c. Durchführung der Amtsprüfung: Notwendige Gewährung rechtlichen Gehörs? .................................................................. 71 d. Zusammenfassung..................................................................... 73 3. Der Zeitpunkt der Geltendmachung der „autorité de la chose jugée“ .......................................................................................... 74

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4. Verzicht der Parteien auf die „autorité de la chose jugée“............... 74 5. Zusammenfassung ........................................................................ 75 III. Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen ............................. 75 1. Die Kassation nach Art. 617 C.p.c. ................................................ 75 2. Die Kassation nach Art. 618 C.p.c. bei Unvereinbarkeit der Entscheidungen ............................................................................ 76 3. Zusammenfassung ........................................................................ 78 D. Rechtskraftfähige Entscheidungen ........................................................... 78 I. Streitige Verfahren und freiwillige Gerichtsbarkeit ............................ 79 II. Das Kriterium der endgültigen Entscheidung („jugement définitif“) ........................................................................................ 80 1. Prozessurteile................................................................................ 81 2. „Jugements avant dire droit“ und „jugements mixtes“ .................... 81 3. „Ordonnances de référé“ und „ordonnances de requête“................. 82 4. „Jugements en l’état“ .................................................................... 84 5. Zusammenfassung ........................................................................ 87 E. Rechtskraftfähige Entscheidungselemente ................................................ 87 I. Der „dispositif“ als Gegenstand der „autorité de la chose jugée“ ........ 88 II. „Autorité de la chose jugée“ auch außerhalb des ausdrücklichen Entscheidungsausspruchs? ............................................................... 90 1. Die dogmatischen Grundpositionen ............................................... 91 2. Die Rechtsentwicklung ................................................................. 93 a. Die Rechtslage vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile ........................................................................ 93 aa. „Motifs décisoires“ .............................................................. 93 bb. Einbeziehung logisch zwingender Vorfragen und Schlussfolgerungen ............................................................... 95 (1) „Motifs décisifs“ .............................................................. 95 (2) „Décisions implicites“ und „décisions virtuelles“.............. 96 cc. Zusammenfassung .............................................................. 100 b. Die Entwicklung seit 1975........................................................ 101 aa. „Motifs décisoires“ ............................................................. 101 bb. „Motifs décisifs“ ................................................................ 105 cc. Art. 95 C.p.c. als Ausnahmeregelung? ................................. 111 dd. „Décisions implicites“ ........................................................ 115 3. Zusammenfassung und Bewertung ............................................... 121 F. Die Grenzen der Rechtskraft: Die „triple identité“ ................................... 122 I. Subjektive Begrenzung durch die Parteien („parties“)....................... 123 1. Der Begriff der Partei ................................................................... 123 2. Parteibegriff und „représentation“ ................................................ 125 3. Erstreckung der „autorité de la chose jugée“ auf die Rechtsnachfolger der Parteien ...................................................... 127

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4. Die Stellung Dritter: Der außerordentliche Rechtsbehelf der „tierce opposition“....................................................................... 128 II. Objektive Grenzen: „Objet“ und „cause“ ........................................ 129 1. Art 1351 Code civil und seine Tauglichkeit zur gegenständlichen Begrenzung der Rechtskraft.............................. 129 2. Bezugspunkte des Vergleichs ....................................................... 131 3. Das traditionelle Verständnis von „objet“ und „cause“ .................. 133 a. „Objet“ oder „chose demandée“ ................................................ 134 aa. Der Begriff des „objet“ innerhalb der Systematik des Art. 1351 Code civil und im Verhältnis zur Terminologie des Code de procédure civile ...................................................... 134 bb. Die Bedeutung der rechtlichen Qualifikation des Begehrens ............................................................................ 136 cc. Teilklagen........................................................................... 139 dd. Zusammenfassung .............................................................. 141 b. „Cause“.................................................................................... 142 aa. Die Suche nach einer einheitlichen Begriffsbestimmung ...... 142 bb. Die Bedeutung der „moyens“ für die Definition der „cause“ ................................................................................ 145 cc. Literatur und Rechtsprechung bis 2006: Differenzierung nach der Art des jeweiligen Vorbringens .............................. 147 (1) Neuer Beweisvortrag („nouveau moyen de preuve“) ........ 147 (2) Tatsachenvorbringen ....................................................... 148 (3) Abweichende rechtliche Begründung („nouveau moyen de droit“) ......................................................................... 152 (a) Die Prägung der „cause“ durch die rechtliche Begründung nach der herrschenden Meinung ................ 152 (b) Abweichende Stimmen in Literatur und Rechtsprechung ............................................................ 154 (c) Die Begrenzung der cause durch das Rechtsvorbringen im Rahmen der „autorité de la chose jugée“ und die Befugnis des Gerichts zur rechtlichen Überprüfung des Sachverhalts..................... 155 c. Zusammenfassung der Rechtslage vor 2006 .............................. 159 4. Neubestimmung der Grenzen der „autorité de la chose jugée“ durch die Cesareo-Entscheidung 2006: Das Prinzip der Konzentration der „moyens“ ........................................................ 160 a. Die Entscheidung Cesareo und ihr Hintergrund ......................... 160 aa. Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die Rechtskraftlehre ................................................................... 161 bb. Der rechtspolitische Hintergrund der Entscheidung Cesareo................................................................................ 164 (1) Die Reformkommissionen Coulon und Magendie ............ 164

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(2) Die Entscheidung Cesareo als Weiterführung dieser Entwicklung..................................................................... 166 b. Die Weiterentwicklung des Prinzips der Konzentration der moyens seit 2006 ..................................................................... 169 aa. Festigung und Konkretisierung der Obliegenheit des Klägers zur Konzentration der „moyens“ und Auswirkungen auf den „cause“-Begriff ................................ 169 bb. Ausweitung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten und ihre Bedeutung für den Begriff des „objet“ .... 171 (1) Die der Debatte zugrundeliegenden Entscheidungen ........ 172 (2) Erklärungsansätze für die Fortentwicklung des Konzentrationsprinzips seit 2006 ...................................... 175 (a) Bewertung auf Grundlage des Prinzips der Konzentration: Ausweitung des Prinzips der Konzentration der „moyens“ oder gar Prinzip der Konzentration der demandes? ....................................... 175 (aa) Einführung eines Prinzips der Klagenkonzentration? ............................................... 176 (bb) Die Konzentrationsobliegenheit des Beklagten als Anwendung der Cesareo-Entscheidung ................ 182 (b) Beurteilung auf Grundlage der „triple identité“: Die Ausweitung des „objet“-Begriffs .................................. 188 (aa) Identität des „objet“ schon bei bloßer Ähnlichkeit der Zielsetzung? ....................................................... 188 (bb) Erstreckung des „objet“ auf das kontradiktorische Gegenteil?..................................... 190 cc. Zusammenfassende Beurteilung der Auswirkungen der Cesareo-Rechtsprechung und ihrer Fortentwicklung auf die objektiven Grenzen der „autorité de la chose jugée“ ........ 194 c. Kritik an der Cesareo-Entscheidung und ihrer Weiterentwicklung................................................................... 198 aa. „Chose non-jugée“ und „contradiction“ ............................... 198 (1) Bedenken hinsichtlich einer „autorité de la chose nonjugée“ .............................................................................. 198 (2) Verstoß gegen das Prinzip der „contradiction“? ............... 201 bb. Veränderung der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien im Hinblick auf die Ermittlung und Anwendung des Rechts............................................................................ 205 (1) Die Rechtsprechung zur Rechtsanwendung von Amts wegen seit 2007 ............................................................... 205 (2) Die Kritik an dem Zusammenwirken der Konzentrationsobliegenheit mit der bloßen Befugnis des

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Gerichts zur Anwendung nicht vorgetragener „moyens de droit“........................................................................... 208 (3) Zusammenfassung........................................................... 215 cc. Zusammenfassende Beurteilung der Kritik .......................... 215 III. Schlussbemerkung zu den Grenzen der „autorité de la chose jugée“ ............................................................................................ 216 G. Abschließende Zusammenfassung........................................................... 217 § 2 Die spanische Lehre von der cosa juzgada .......................................... 220 A. Historische Entwicklung ......................................................................... 220 I. Die Siete Partidas ............................................................................ 220 II. Die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ................................................................................... 226 1. Die Gesetzgebung ........................................................................ 226 a. Entwicklung des Gesetzesrechts im Bereich des Zivilverfahrens ........................................................................ 227 b. Entwicklung der Normierung der cosa juzgada ......................... 229 2. Die Prozessrechtswissenschaft ..................................................... 232 III. Die Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000................................ 235 IV. Zusammenfassung ........................................................................ 236 B. Begriffsbestimmung und Abgrenzung zwischen „cosa juzgada formal“ und „cosa juzgada material“ .................................................................... 237 I. Die Unterscheidung zwischen „cosa juzgada formal“ und „cosa juzgada material“............................................................................ 237 II. „Cosa juzgada formal“.................................................................... 240 1. Die verschiedenen innerprozessualen Wirkungen der Entscheidung............................................................................... 240 2. Die Abgrenzung dieser Wirkungen im Verhältnis zur „cosa juzgada formal“ ........................................................................... 242 3. Zusammenfassung ....................................................................... 245 III. „Cosa juzgada material“ ................................................................ 245 IV. Zusammenfassung ........................................................................ 248 C. Dogmatische Grundlagen ........................................................................ 249 I. Zielsetzung der „cosa juzgada“ und verfassungsrechtliche Grundlage ...................................................................................... 249 II. Rechtsnatur und dogmatische Einordnung....................................... 251 1. Die Theorie der Wahrheitsvermutung („teoría de la presunción de verdad“).................................................................................. 252 2. Der Theorienstreit zwischen der materiellrechtlichen und der prozessualen Theorie ................................................................... 253 3. Weitere Ansätze........................................................................... 259 a. Die Theorie Ramos Méndez’ .................................................... 259

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b. Der Ansatz Serra Domínguez’ .................................................. 260 c. Zusammenfassung .................................................................... 261 4. Die Entscheidung des Reformgesetzgebers von 2000 .................... 261 5. Zusammenfassung ....................................................................... 262 D. Die Wirkung der „cosa juzgada material“ im späteren Prozess ................. 262 I. Die Behandlung der „cosa juzgada material negativa“ und „positiva“ im späteren Verfahren .................................................... 263 1. Die Rechtslage vor Einführung der LEC 2000 .............................. 263 a. Die negative Ausschlussfunktion der „cosa juzgada“................. 263 b. Die positive Funktion der „cosa juzgada“.................................. 265 c. Zusammenfassung .................................................................... 266 2. Die Rechtslage unter Geltung der LEC 2001................................. 266 a. Die negative Ausschlusswirkung .............................................. 267 b. Die positive Bindung bei Präjudizialität .................................... 270 c. Zusammenfassung .................................................................... 271 II. Die Rolle der Parteien und des Gerichts bei der Berücksichtigung der „cosa juzgada“ .......................................................................... 271 1. Amtsprüfung................................................................................ 271 a. Die Rechtslage vor der LEC-Reform 2000 ................................ 271 b. Berücksichtigung von Amts wegen nach heutigem Recht .......... 276 2. Einführung der Tatsache des existierenden rechtskräftigen Urteils in den Prozess .................................................................. 278 3. Verzicht der Parteien auf die „cosa juzgada“................................. 279 4. Zusammenfassung ....................................................................... 280 III. Die Folge der unterbliebenen Berücksichtigung der „cosa juzgada“: Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen .............. 280 1. Die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Entscheidungen ..... 281 2. Das anzuwendende Verfahren ...................................................... 282 3. Zusammenfassung ....................................................................... 284 E. Rechtskraftfähige Entscheidungen ........................................................... 284 I. Streitige Verfahren („jurisdicción contencioso“) und freiwillige Gerichtsbarkeit („jurisdicción voluntaria“) ...................................... 285 II. Die Rechtskraftfähigkeit von Entscheidungen in streitigen Verfahren ....................................................................................... 287 1. Verfahrensbeendende Entscheidung oder Sachurteil: Die schwierige Formulierbarkeit einer Grundregel.............................. 287 2. Untersuchung der Rechtskraftfähigkeit verschiedener Urteilsund Verfahrensarten .................................................................... 288 a. Prozessurteile ........................................................................... 288 aa. Der Meinungsstand vor Einführung des LEC 2000 .............. 289 bb. Heutiger Meinungsstand ..................................................... 292 cc. Zusammenfassung .............................................................. 296 b. Gestaltungsurteile („sentencias constitutivas“) .......................... 296

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c. Urteile in summarischen Verfahren (procesos sumarios) ........... 297 aa. Keine „cosa juzgada material“ im Sinne ihrer negativen Wirkungsrichtung im späteren ordentlichen Verfahren.......... 298 bb. Bindungswirkung im späteren „proceso plenario“ bzw. Präklusion des im summarischen Verfahren zulässigen Vorbringens ......................................................................... 303 cc. Die Rechtsmissbrauchslösung de la Oliva Santos’ ............... 306 dd. Zusammenfassung .............................................................. 307 d. Entscheidungen im Wechselprozess und im Mahnverfahren ...... 307 aa. Der Wechselprozess („proceso cambiario“) ......................... 307 bb. Das Mahnverfahren („proceso monitorio“) .......................... 309 e. Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes ..................... 310 3. Zusammenfassung ....................................................................... 314 F. Die rechtskraftfähigen Elemente der Entscheidung .................................. 314 I. Der Aufbau spanischer Urteile und der Inhalt des Tenors ................. 315 II. Der Ausgangspunkt: Der Urteilsspruch über die (prozessualen) Ansprüche im „fallo“ als Gegenstand der „cosa juzgada material“ ... 316 1. Verortung des Urteilsspruchs zu den Ansprüchen der Parteien im „fallo“ .................................................................................... 316 2. Der Urteilsspruch im „fallo“ und die „cosa juzgada material“ ....... 317 III. Die sog. impliziten Urteilssprüche („pronunciamientos implícitas“) .................................................................................... 319 IV. Die der Entscheidung im „fallo“ vorgelagerten Fragen................... 321 1. Die Feststellungsklage hinsichtlich präjudizieller Rechtsverhältnisse: „Cosa juzgada material“ bei entsprechendem Parteiantrag........................................................ 322 2. „Cosa juzgada material“ hinsichtlich vorgelagerter Fragen auch ohne Antrag? ............................................................................... 324 a. Präjudizielle Vorfragen ............................................................. 324 aa. Die Positionen in der Literatur............................................. 325 (1) Die Entwicklung unter Geltung der LEC 1881 ................. 325 (2) Die heutige Literatur ....................................................... 326 (a) Die notwendige Verknüpfung der Vorfrage mit dem beantragten Rechtsfolgenausspruch .............................. 327 (b) Die formalen Anforderungen an die Entscheidung über die Vorfrage ......................................................... 331 (c) Die Erstreckung auf Vorfragen im Verhältnis zu den verschiedenen Funktionen der „cosa juzgada material“ ...................................................................... 333 (d) Zusammenfassung....................................................... 336 bb. Die Behandlung der Frage in der Rechtsprechung ............... 336 cc. Zusammenfassung .............................................................. 342 b. Entscheidungen über Gegenrechte und Einwendungen .............. 342

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aa. Die „excepciones reconvencionales“: Aufrechnung und Nichtigkeitseinwand ............................................................ 343 (1) Die Rechtslage vor 2000 ................................................. 345 (a) Die Form der Geltendmachung im Verfahren ............... 345 (aa) Aufrechnung („compensación“) ............................. 345 (bb) Der Nichtigkeitseinwand........................................ 347 (b) Die Zuerkennung der „cosa juzgada material“.............. 348 (aa) Die Aufrechnung ................................................... 348 (bb) Der Nichtigkeitseinwand........................................ 349 (2) Die heutige Rechtslage .................................................... 350 bb. Sonstige Einwendungen ...................................................... 355 (1) Die Diskussion in der Literatur ........................................ 356 (a) Einfluss des Verteidigungsvorbringens auf den Streit- und Rechtskraftgegenstand................................. 357 (b) Rechtliches Gehör und streitige Erörterung im Hinblick auf das Verteidigungsvorbringen .................... 358 (c) Gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Erstreckung der „cosa juzgada“? – Die Diskussion über die Zulässigkeit eines Umkehrschlusses aus Art. 408 LEC ...................................................................... 361 (d) Ergebnis der Entwicklung............................................ 362 (2) Die Position der Rechtsprechung ..................................... 362 (3) Zusammenfassung........................................................... 364 cc. Zusammenfassung .............................................................. 364 3. Tatsachenfeststellungen ............................................................... 364 V. Zusammenfassung und abschließende Beurteilung .......................... 368 G. Grenzen der „cosa juzgada“ .................................................................... 369 I. Subjektive Grenzen.......................................................................... 370 1. Die grundsätzliche Beschränkung auf die Parteien und der Begriff der Parteiidentität ............................................................ 370 a. Der Parteibegriff und das Erfordernis einer rechtlichen Identität der Verfahrenssubjekte ............................................... 371 b. Subjektive Identität trotz zusätzlicher Parteien im späteren Verfahren?............................................................................... 375 c. Zusammenfassung .................................................................... 376 2. Die Erstreckung auf nicht am Verfahren beteiligte Dritte .............. 377 a. Erstreckung auf bestimmte Dritte .............................................. 377 aa. Rechtsnachfolger („causahabientes“, „herederos“) ............... 377 bb. Nicht am Verfahren beteiligte Geschädigte in Gruppenund Verbandsklagen im Sinne des Art. 11 LEC .................... 378 cc. Erstreckung auf den Rechtsinhaber bei „sustitución procesal“ – Der ursprüngliche Verweis des Art. 222.3 LEC auf Art. 10 LEC ........................................................... 381

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dd. Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen („acuerdos societarios/ sociales“) ........................................................... 382 ee. Gesamtschuld, Gesamtgläubigerschaft und unteilbare Leistungen ........................................................................... 383 (1) Die Anerkennung in Literatur und Praxis unter Geltung des Art. 1252 C.C............................................................. 384 (a) Gesamtschuld und Gesamtgläubigerschaft ................... 384 (b) Unteilbarkeit der Leistung ........................................... 386 (2) Die heutige Rechtslage .................................................... 387 b. Wirkung erga omnes ................................................................ 388 c. Zusammenfassung: Erstreckung der „cosa juzgada“ über die Parteien hinaus ........................................................................ 390 3. Zusammenfassung ....................................................................... 391 II. Die objektive Reicheweite der „cosa juzgada“................................. 391 1. Die Terminologie der spanischen Streitgegenstandslehre: „Acción“, prozessualer Anspruch, Streitgegenstand und das Erfordernis der dreifachen Identität .............................................. 392 a. Die Entwicklung der Streitgegenstandslehre.............................. 393 b. Die heutige Terminologie ......................................................... 397 c. Terminologische Festlegung für die Bestimmung der objektiven Grenzen der „cosa juzgada“ .................................... 400 d. Verfahrensgegenstand, Urteilsgegenstand und Gegenstand der „cosa juzgada“ ................................................................... 401 2. Die objektive Begrenzung der „cosa juzgada“ durch das „petitum“ .................................................................................... 402 a. Die Definition des „petitum“ .................................................... 403 b. Bedeutung der rechtlichen Qualifizierung des Begehrens .......... 404 c. Die „cosa juzgada implícita“..................................................... 406 aa. Die Erstreckung der „cosa juzgada“ auf das unmittelbare Gegenteil des Ausspruchs im Tenor...................................... 406 bb. Unvereinbarkeit der Klage mit einer Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis................................... 409 cc. Zusammenfassung .............................................................. 411 d. Die Erstreckung der „cosa juzgada“ auf ergänzende Anträge („peticiones complementarias“) ............................................... 411 aa. Ergänzung und Erhöhung des bereits zuvor geltend gemachten Anspruchs – Die Reichweite der „cosa juzgada“ bei Teilklagen ........................................................ 413 (1) Die Rechtsprechung ........................................................ 413 (2) Die Position der Literatur ................................................ 414 bb. Ergänzende Anträge bei einem auf Umkehrung oder Abänderung einer früheren Rechtsfolgenfeststellung gerichteten Hauptantrag ....................................................... 415

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(1) Die Rechtsprechung ........................................................ 415 (2) Die Position der Literatur ................................................ 417 cc. Fortführung der Rechtsprechung zu den eng verknüpften Anträgen unter Geltung des Art. 400 LEC?........................... 417 (1) Die Beurteilung auf Grundlage des Art. 400 LEC nach dem Verständnis der Literatur .......................................... 418 (2) Die Rechtsprechung zur heutigen Rechtslage ................... 419 (a) Teilklagen ................................................................... 420 (b) Umkehrung und Abänderung des vorherigen Rechtsfolgenausspruchs................................................ 422 (c) Weitere Ausdehnung der „cosa juzgada material“ über das „petitum“ hinaus auf Grundlage des Art. 400 LEC? ........................................................................... 424 (d) Keine Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher Anträge aus demselben Sachverhalt .............................. 425 (3) Zusammenfassung........................................................... 426 e. Wandel der Definition des „petitum“ im Rahmen des Art. 400 LEC: Flexibilisierung durch ein Erfordernis der Übereinstimmung der „Zielsetzung“ („finalidad“)? .................. 427 f. Zusammenfassung .................................................................... 430 3. Der Anspruchsgrund: Die Relevanz der rechtlich-tatsächlichen Anspruchsbegründung ................................................................. 430 a. Die frühere Rechtslage: Begrenzung der „cosa juzgada“ durch die „causa de pedir“ ....................................................... 431 aa. Die Definition der „causa petendi“ als objektive Grenze der „cosa juzgada“ ............................................................... 431 (1) Von der Auseinandersetzung zwischen Substantiierungs- und Individualisierungslehre zu vermittelnden Ansätzen .................................................... 431 (2) Die Definition der „causa de pedir“ im Zusammenspiel von Tatsachen und rechtlicher Qualifizierung ................... 433 (a) Die rechtliche Relevanz der Tatsachen ......................... 434 (b) Das rechtliche Element der „causa de pedir“ ................ 435 (c) Differenzierende Betrachtung des Einflusses der rechtlichen Würdigung je nach Anspruchs- und Klageart ....................................................................... 438 (d) Die „causa de pedir“ bei Gesetzes- und Anspruchskonkurrenz ................................................... 446 (e) Zusammenfassung ....................................................... 450 bb. Die Erstreckung der „cosa juzgada auf lo deducido y lo deducible“ ........................................................................... 450 cc. Präklusion über die Grenzen der „causa de pedir“ hinaus? ... 453 dd. Zusammenfassung der früheren Rechtslage ......................... 455

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b. Die heutige Rechtslage: Die Präklusion nach Art. 400 LEC und ihre Bedeutung für die Grenzen der „cosa juzgada“ ........... 456 aa. Hintergründe und Zielsetzung der Einführung des Art. 400 LEC .............................................................................. 457 bb. Anwendungsbereich des Art. 400 LEC................................ 459 (1) Anwendung auch auf das Gegenvorbringen des Beklagten? ....................................................................... 459 (2) Von der Regelung erfasste Verfahrensarten ..................... 461 (a) Anwendung im „juicio verbal“..................................... 461 (b) Anwendung auf summarische Verfahren...................... 463 (c) Zusammenfassung ....................................................... 464 (3) Zusammenfassung........................................................... 464 cc. Konzentration und Präklusion klägerischen Vorbringens ..... 464 (1) Die Konzentrationsobliegenheit des Klägers und die objektiven Grenzen der „cosa juzgada“............................. 465 (a) Die Reichweite der Obliegenheit im Verhältnis zur „causa de pedir“ ........................................................... 465 (b) Das Verhältnis des Art. 400 LEC zur „cosa juzgada“ ... 466 (c) Schlussfolgerungen aus Art. 400 LEC für die Begrenzung der „cosa juzgada“ durch den Anspruchsgrund ........................................................... 470 (d) Die Begrenzung des Gegenstandes der „cosa juzgada“ bzw. der Präklusion durch das „petitum“ ........ 472 (e) Zusammenfassung ....................................................... 474 (2) Die Anwendung des Art. 400 LEC in einzelnen Fallgruppen...................................................................... 475 (a) Die Reichweite der Präklusion bei verschiedenen Anspruchs- und Klagearten........................................... 475 (b) Der Anwendungsbereich der Regel der Erstreckung der „cosa juzgada“ auf das mögliche Vorbringen („lo deducible“)................................................................... 481 (c) Zusammenfassung ....................................................... 483 (3) Die Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen in der prozessualen Umsetzung im Verfahren ............................. 484 (a) Konzentration in der Frühphase des Verfahrens ........... 484 (b) Die Obliegenheit zu erschöpfendem Tatsachen- und Rechtsvorbringen im Lichte der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien ...................................... 489 (aa) Die Behauptungslast in Bezug auf die Tatsachen und die Bedeutung der Kenntnis des Klägers............. 489 (bb) Die Obliegenheit zur Konzentration des Rechtsvorbringens und der Grundsatz „iura novit curia“ ....................................................................... 492

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(cc) Zusammenfassung ................................................. 498 (4) Die Bewertung der Präklusionsregel in der Literatur ........ 499 (5) Zusammenfassung........................................................... 502 dd. Präklusion des Gegenvorbringens des Beklagten ................. 503 (1) Einwendungen im Vollstreckungsverfahren ..................... 503 (2) Die Präklusion des Gegenvorbringens im Verfahren über eine spätere Klage des Klägers bei Übereinstimmung in Vorfragen ........................................ 504 (3) Im Verfahren über eine auf das kontradiktorische Gegenteil gerichtete Klage des vormaligen Beklagten ....... 504 (4) Im Verfahren über eine nicht auf das kontradiktorische Gegenteil gerichtete, aber verknüpfte Klage des vormaligen Beklagten ...................................................... 505 (5) Zusammenfassung........................................................... 507 ee. Zusammenfassung .............................................................. 508 c. Die „cosa juzgada“ und die nachträgliche Veränderung entscheidungsrelevanter Umstände – Die sogenannten zeitlichen Grenzen der „cosa juzgada“...................................... 509 aa. Dogmatische Grundlagen: Der Begriff der zeitlichen Grenzen der „cosa juzgada“ ................................................. 510 bb. Geltendmachung tatsächlicher Veränderung im Erstverfahren: Der für das Vorbringen nachträglich eingetretener Tatsachen maßgebliche Präklusionszeitpunkt ... 512 (1) Geltendmachung nachträglich entstandener oder bekannt gewordener Tatsachen im Laufe des Verfahrens .. 512 (2) Nachträglich entstandene oder bekannt gewordene Tatsachen, die eine neue „causa de pedir“ bilden: Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 286, 426.4, 433.1, II LEC und Art. 412 LEC .................................................... 515 (3) Zusammenfassung........................................................... 519 cc. Anforderungen an die nachträglichen Veränderungen: Die Einordnung als neue Tatsachen ............................................ 520 (1) Veränderung des zugrunde liegenden Sachverhaltes ........ 520 (2) Gesetzesänderungen und Änderungen der Rechtsprechung................................................................ 522 (3) Neue Beweismittel .......................................................... 523 (4) Zusammenfassung........................................................... 524 dd. Zusammenfassung zu den „zeitlichen Grenzen“ der „cosa juzgada“ .............................................................................. 524 d. Zusammenfassung und Bewertung: Relevanz der rechtlichtatsächlichen Begründung für die Begrenzung der „cosa juzgada“ .................................................................................. 525 4. Zusammenfassung – Objektive Grenzen der „cosa juzgada“ ......... 526

Inhaltsverzeichnis

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III. Zusammenfassung – Grenzen der „cosa juzgada“ .......................... 527 H. Abschließende Zusammenfassung........................................................... 528

Drittes Kapitel: Die Entwicklungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre im europäischen Vergleich ........... 531 § 1 Grundlagen und Umrisse der nationalen Rechtskraftkonzeptionen ...... 531 A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre........................ 532 I. Die deutsche Rechtskraftlehre .......................................................... 532 II. Das englische Prinzip der „res judicata“ .......................................... 533 III. Die italienische Lehre von der „cosa giudicata“ ............................. 539 B. Vergleichende Betrachtung ..................................................................... 542 § 2 Die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Verfahren: Prüfung von Amts wegen oder nur auf Einrede der Parteien? ............... 545 A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre........................ 545 I. Berücksichtigung von Amts wegen in der deutschen Rechtskraftlehre ............................................................................. 545 II. Berücksichtigung nur auf Einwendung der Parteien im englischen Verfahrensrecht .............................................................................. 546 III. Entwicklung hin zur Berücksichtigung von Amts wegen im italienischen Recht ......................................................................... 547 B. Vergleich mit der Rechtskraftlehre Frankreichs und Spaniens .................. 548 § 3 Rechtskraftfähige Entscheidungen ....................................................... 549 A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre........................ 550 I. Die deutsche Rechtskraftlehre .......................................................... 550 II. Die englische Rechtskraftlehre........................................................ 552 III. Die italienische Rechtskraftlehre ................................................... 554 B. Vergleich mit der französischen und spanischen Rechtskraftlehre ............ 558 § 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf präjudizielle Rechtsverhältnisse, Vorfragen und Einwendungen ................................ 560 A. Die Rechtslage in Deutschland, England und Italien ................................ 560 I. Die deutsche Rechtskraftlehre .......................................................... 560 II. Die englische Rechtskraftlehre........................................................ 562 III. Die italienische Rechtskraftlehre ................................................... 567 IV. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Gothaer Allgemeine Versicherung AG ./. Samskip GmbH“ .......................... 571

XXIV

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B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Entwicklung ........................................................................................... 574 § 5 Subjektive Grenzen der Rechtskraft ..................................................... 576 A. Die Rechtslage in Deutschland, England und Italien ....................... 577 I. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft in Deutschland................ 577 II. Die subjektive Reichweite des „res judicata estoppel“ ..................... 581 III. Die subjektiven Grenzen der „cosa giudicata“ in Italien ................. 583 B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtsentwicklung .................................................................................. 587 § 6 Die objektive Reichweite der Rechtskraft ............................................. 589 A. Die objektive Reichweite der Rechtskraft in Deutschland, England und Italien sowie der autonome europäische Begriff der Anspruchsidentität ... 590 I. Die Reichweite der Rechtskraft nach deutschem Recht: Streitgegenstand, kontradiktorisches Gegenteil und Tatsachenpräklusion ....................................................................... 590 II. „Cause of action estoppel“ und die Ausweitung durch die Henderson v. Henderson-Regel im englischen Recht ....................... 598 III. Die objektiven Grenzen der „cosa giudicata“ im italienischen Recht.............................................................................................. 606 IV. Die Bestimmung der Anspruchsidentität im Rahmen des Art. 27 EuGVVO/Art. 29 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012......................... 614 B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtsentwicklung .................................................................................. 619 I. Der traditionelle Ansatz der romanischen Rechtsordnungen.............. 619 II. Abkehr vom romanischen Ansatz: Konvergenz der französischen und der spanischen Entwicklung ..................................................... 620 III. Verhältnis zur deutschen Rechtskraftlehre ..................................... 622 IV. Verhältnis zum Begriff der Anspruchsidentität des EuGH im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 29 Brüssel Ia-VO ... 623 V. Verhältnis zum Ansatz des englischen Rechts ................................. 626 VI. Unterschiede zwischen der spanischen und der französischen Lösung ........................................................................................... 628 VII. Zusammenfassung ....................................................................... 629 § 7 Der Einfluss einer späteren Veränderung der entscheidungserheblichen Umstände: Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft ............................................................................................ 631 A. Die Rechtskraftlehre in Deutschland, England und Italien ....................... 631 I. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft im deutschen Recht.............. 631

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II. Die Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen beim „res judicata estoppel“ und „abuse of process estoppel“ .......................... 634 III. Die zeitlichen Grenzen („limiti temporali“) der „cosa giudicata“ im italienischen Recht .................................................................... 639 B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtskraftlehre...................................................................................... 640 § 8 Zusammenfassung ................................................................................ 641

Schlusskapitel: Abschließende Bewertung und Ausblick .......... 644 A. Die Rechtskraftlehren Frankreichs und Spaniens im Spannungsfeld zwischen Verfahrenskonzentration und Parteidisposition, zwischen Flexibilität und dogmatischer Klarheit .................................................. 644 B. Ausblick im Lichte einer europäischen Prozessrechtsharmonisierung ... 648 C. Fazit ..................................................................................................... 650 Literaturverzeichnis ................................................................................... 651 Sachregister ............................................................................................... 675

Abkürzungsverzeichnis a.A. A.C. a.E. a.F. AAP Abs. AcP AG AktG al. AP App. Cas. Art. ATS BauR Bd. BeckRS BGH BICC BOE Bull. ass. plén. Bull. ch. mixte Bull. ch. réunies Bull. civ. Bull. com.

Bull. soc.

Bus.L.R. bzw. C. consom. C.c.

anderer Ansicht Law Reports – Appeal Cases (Third Series) am Ende alte Fassung Auto de la Audiencia Provincial Absatz Archiv für die civilistische Praxis Amtsgericht Aktiengesetz Alinéa Audiencia Provincial Law Reports – Appeal Cases (Second Series) Artikel; Article; Artículo; Articolo Auto del Tribunal Supremo Baurecht – Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Band Online-Rechtsprechungssammlung des Beck-Verlags Bundesgerichtshof Bulletin d’information de la Cour de Cassation Boletín Oficial del Estado Bulletin des arrêts des chambres civile (de la Cour de Cassation) – Assemblée plénière Bulletin des arrêts des chambres civiles (de la Cour de Cassation) – Chambre mixte Bulletin des arrêts des chambres civiles (de la Cour de Cassation) – Chambre réunies Bulletin des arrêts des chambres civiles (de la Cour de Cassation) Bulletin des arrêts des chambres civiles (de la Cour de Cassation) – Chambre commerciale (ältere Entscheidungen der Chambre commerciale) Bulletin des arrêts des chambres civiles (de la Cour de Cassation) – Chambre sociale (ältere Entscheidungen der Chambre sociale) Business Law Reports beziehungsweise Code de la consommation Code civil

Abkürzungsverzeichnis C.C. c.c. C.E. C.L.C. C.P. Rep. C.p.c. c.p.c. cap. Cass. 1re civ. Cass. 2e civ. Cass. 3e civ. Cass. ass. plén. Cass. ch. mixte Cass. com. Cass. soc. Ch. coord. CPR D. dass. ders. dies. dir. E.R. ed. éd. EGMR EMRK et seq. EU EuBagatellVO EuGH EuGVÜ

EuGVVO

EuMahnVO EWCA Civ. EWHC (Ch) f. FamFG Fasc.

XXVII

Código Civil Codice Civile Constitución Española Commercial Law Cases Civil Procedure Reports Code de procédure civile Codice di Procedura Civile Capítulo Cour de Cassation, première chambre civile Cour de Cassation, deuxième chambre civile Cour de Cassation, troisième chambre civile Cour de Cassation, assemblée plénière Cour de Cassation, chambre mixte Cour de Cassation, chambre commerciale Cour de Cassation, chambre sociale chapter; chapitre Law Reports, Chancery Division coordinatores Civil Procedure Rules Digesten dasselbe derselbe dieselbe dirécteur; director; direttore English Reports editor(s) edition; edición; edizione édition; éditeur(s) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention et sequens Europäische Union Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens England and Wales Court of Appeal Civil Division High Court of England and Wales (Chancery Division) folgende(r) (Singular) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fascicule

XXVIII FD ff. FJ Fn. Gaz. Pal. grds. GRUR GRUR-RR Hare Hk-ZPO Hrsg. i.S.d. Intl. Encycl. Comp. L. IPRax JCP JR K.B. L.Q.R. L.R. Q.B. LEC LEC 1881

LEC 2000 m.w.N. Mich. L. Rev. MüKo n. n.F. n° NJW NJW-RR Nr. núm. OLG p. P. para. PatG Q.B. Q.B.D. RabelsZ Revista de Derecho UNED RJ Rn.

Abkürzungsverzeichnis Fundamentos de derecho folgende (Plural) Fundamentos jurídicos Fußnote La Gazette du Palais grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Rechtsprechungs-Report Hare’s Reports Handkommentar zur ZPO Herausgeber im Sinne des/der International Encyclopedia of Comparative Law Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Juris-Classeur Périodique/ La semaine juridique Juristische Rundschau Law Reports, King’s Bench Division Law Quarterly Review Law Reports – Queen’s Bench Division (Third series) Ley de Enjuiciamiento Civil Real Decreto de 3 de febrero de 1881, de promulgación de la Ley de Enjuiciamiento Civil (Ley de Enjuiciamiento Civil von 1881) Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil (aktuelle Ley de Enjuiciamiento Civil) mit weiteren Nachweisen Michigan Law Review Münchner Kommentar numero neuer Fassung numéro; número Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Nummer Número Oberlandesgericht page; página; pagina Law Reports – Probate paragraph(s) PatentG Law Reports – Queen’s Bench (Third Series) Law Reports – Queen’s Bench Division Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revista de Derecho de la Universidad Nacional de Educación a Distancia Razonamientos jurídicos Randnummer

Abkürzungsverzeichnis ROJ Rs. RTD civ. S. s. SAP SJPI Slg. sog. ss. STC STS STSJ t. TSJ u.a. Urt. vgl. Vol. VVG W.L.R. z.B. ZPO ZRG Germanist. Abt. ZRG Rom. Abt. ZZP ZZPInt

XXIX

Repertorio Oficial de Jurisprudencia Rechtssac he Revue trimestrielle de droit civile Seite suivant; siguiente; seguente Sentencia de la Audiencia Provincial Sentencia del Juzgado de Primera Instancia Sammlung sogenannte(r/s) suivants; siguientes; seguenti Sentencia del Tribunal Constitucional Sentencia del Tribunal Supremo Sentencia del Tribunal Superior de Justicia tomo Tribunal Superior de Justicia und andere; unter anderem Urteil vergleiche volume; volumen Gesetz über den Versicherungsvertrag Weekly Law Reports zum Beispiel Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Romanistische Abteilung Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International

Einleitung A. Die Bedeutung der Rechtkraft und ihrer rechtsvergleichenden Untersuchung Der Gedanke, dass ein Rechtsstreit durch die abschließende Entscheidung möglichst endgültig beendet werden sollte, entspricht einer grundlegenden und allgemeinen Rechtsüberzeugung,1 die sich aus einem gesamtgesellschaftlichen und individuellen Interesse an Rechtssicherheit und effektiver Rechtsverwirklichung speist. Die Rechtskraft ist daher eine wesentliche Wirkung gerichtlicher Streitentscheidung, welche in zahlreichen Rechtsordnungen ausdrückliche gesetzliche Verankerung findet. 2 Die Bestimmung des Wesens, der Reichweite und der Wirkung der Rechtskraft berührt grundlegende Fragen des Ausgleichs schützenswerter Interessen im Zivilverfahren und damit auch des Zwecks des Zivilprozesses. 3 Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Recht behaupten, die Rechtskraft nehme „im Aufbau der Rechtsordnung eine zentrale Position ein“4. Wenn sich die verschiedenen Rechtsordnungen in der grundsätzlichen Anerkennung der Bedeutung der Rechtskraftwirkung auch einig sind, so zeigen sich bei ihrer Ausgestaltung in den einzelnen Rechtsordnungen im Detail doch deutliche Abweichungen. Dieser Unterschiede müssen sich die Rechtsprechung und die Prozessrechtwissenschaft auch auf nationaler Ebene bewusst 1 Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. VI, § 280 (S. 264): „die Fragen, die hier [bei der Lehre von der Rechtskraft] zur Erörterung kommen müssen, sind so allgemeiner Natur, dass sie überall ihre Beantwortung fordern“. 2 Vgl. z.B. die Normierungen in Deutschland (§ 322 ZPO); Österreich (§ 411 ZPO); Frankreich (Art. 1350 s. Code civil, Art. 480 Code de procédure civile); Italien (Art. 2909 Codice civile); Spanien (Art. 222 Ley de Enjuiciamiento Civil); Portugal (Art. 580, 581 Código de Processo Civil (Novo)); Belgien (Art. 23–28 Code Judiciaire); Brasilien (Art. 467–475 Código de Processo Civil). 3 So z.B. das Verhältnis zwischen der durch die Rechtskraft gewährleisteten Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit im Fall eines Fehlurteils (hierzu schon Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. VI, § 280 (S. 260)) oder die Frage, ob die Gewährung rechtlichen Gehörs Voraussetzung einer Rechtskrafterstreckung auf Dritte ist (ausführlich hierzu Jauernig, ZZP 101 (1988), S. 361 ff.). 4 Zeuner, Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band III, 2000, S. 337.

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Einleitung

sein, schon weil im Rahmen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen dem anzuerkennenden Urteil nach der herrschenden Lehre von der Wirkungserstreckung 5 dieselbe Wirkung wie in der Ursprungsrechtsordnung zuzubilligen ist. 6 Anlass zu einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Unterschieden der nationalen Rechtskraftlehren gibt zudem die fortschreitende europäische Harmonisierung im Bereich des Prozessrechts. Zwar wurde die Rechtskraft im Prozess der europäischen Verfahrensrechtsharmonisierung bislang ausgeklammert,7 jedoch wird die Entwicklung eines autonomen Rechtskraftbegriffs vielfach diskutiert 8 und nimmt mit dem Projekt zur Entwicklung europäischer Zivilverfahrensregeln unter Federführung des European Law Institute und von UNIDROIT nun auch ein aktuelles Harmonisierungsvorhaben die Rechtskraft konkret in den Blick, wie sich der Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Rechtskraft entnehmen lässt.9 Die Ausarbeitung einer europäischen Rechtskraftkonzeption kann aber ohne ein solides rechtsvergleichendes Fundament nicht auskommen.10 Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die rechtsvergleichende Auseinandersetzung mit den nationalen Rechtskraftlehren und

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Diese vertretend z.B. EuGH Hoffmann ./. Krieg, Urt. v. 04.02.1988, Rs. 145/86, Slg. 1988, 662, Rn. 11 = NJW 1989, 663, 664; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 33, A.1 Rn. 13; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 182; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 123. 6 Zur Bedeutung der Unterschiede der Rechtskraftlehren im Rahmen der Urteilsanerkennung: Fischer, Festschrift Henckel, 1995, S. 199 ff. 7 So enthielt beispielsweise der Abschlussbericht der Storme-Kommission zur Verfahrensrechtsangeleichung keinen Vorschlag zur Rechtskraft, sondern lediglich zur Rechtshängigkeit und zum Streitgegenstand, vgl. Storme (ed.), Rapprochement du droit judiciaire de l'Union Européenne – Rapport Final, Les Articles, p. 185, 193 f. Vgl. hierzu auch Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 158. 8 Für eine autonome Rechtskraftkonzeption z.B. Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Kap. 5 Rn. 35, S. 176; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, S. 1, 19; zumindest für Teilbereiche (nicht die subjektiven Grenzen) auch Freitag, Festschrift Kropholler, 2008, S. 759, 771 ff. Kritisch dagegen z.B. Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 33 EuGVVO, Rn. 11; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 33 EuGVVO, Rn. 11. 9 Vgl. die Beschreibung des Projekts „From Transnational Principles to European Rules of Civil Procedure“ auf der Webseite des European Law Institute unter http://www.europeanlawinstitute.eu/projects/current-projects-contd/aticle/from-transnational-principles-to-europeanrules-of-civil-procedure/?tx_ttnews[bac-Pid]=137874&cHash=30981e5bc9618fbff47b45f915 463642 (zuletzt abgerufen am 05.12.2015). Zum Projekt, seiner Zielsetzung und Ausgestaltung Stürner, Uniform Law Review, vol. 19 (2014), p. 322 ff. 10 Vgl. allgemein zur Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Prozessrechtsharmonisierung Koch, ZEuP 2007, S. 735: „[D]ie zunehmende Europäisierung des Zivilprozessrechts ist ohne rechtsvergleichende Grundlage nicht denkbar.“ Zur Notwendigkeit einer rechtsvergleichenden Grundlage gerade des ELI/UNIDROIT-Projektes auch Stürner, Uniform Law Review, vol. 19 (2014), p. 322, 326.

B. Auswahl der Rechtsordnungen und Zielsetzung

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insbesondere mit deren aktuellen Entwicklungstendenzen als wichtiges Thema der nationalen wie auch der europäischen Prozessrechtswissenschaft dar.

B. Auswahl der untersuchten Rechtsordnungen und Zielsetzung der Arbeit B. Auswahl der Rechtsordnungen und Zielsetzung

Anlass zur Untersuchung gerade der französischen und spanischen Rechtskraftlehre geben dabei die grundlegenden Veränderungsprozesse, welche die Rechtskraftdogmatik dieser beiden Rechtsordnungen in den letzten Jahren durchlaufen hat. Im französischen Recht ist dieser Wandel auf verschiedene Gesetzesänderungen, vor allem aber auf eine Änderung der Rechtsprechung in zentralen Fragen der Rechtskraftlehre zurückzuführen, wobei insbesondere die Entscheidung der Assemblée plénière der Cour de Cassation vom 7. Juli 200611 in der Rechtssache Cesareo eine klare Zäsur bewirkt hat. Auch die spanische Rechtskraftlehre hat sich seit den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts durch verschiedene bedeutsame Rechtsprechungsänderungen fortentwickelt. Erhebliche Auswirkungen hatte hier aber auch die umfassende Neuordnung des Zivilprozessrechts durch die Ley de Enjuiciamiento 1/2000 vom 7. Januar 2000, die nicht nur den Regelungsstandort der Rechtskraft vom materiellrechtlichen Código Civil in das Zivilprozessrecht verlegt, sondern die Normierung des Rechtskraftprinzips auch inhaltlich deutlich verändert hat. Durch diesen in jüngster Zeit vollzogenen grundlegenden Wandel, der im Folgenden ausführlich untersucht werden soll, hebt sich die französische und spanische Rechtskraftlehre insbesondere von der in ihren Grundzügen stärker gefestigten deutschen Rechtskraftdogmatik ab. An einer breiter angelegten zivilprozessualen Untersuchung, welche diese jüngsten Entwicklungen in der französischen und spanischen Rechtskraftdogmatik umfassend behandelt und bewertet, fehlt es bislang.12 Diese Lücke möchte die vorliegende Arbeit nun schließen. 11

Cass. ass. plén., 7. Juli 2006, n° 04-10.672, Bull. ass. plén. n° 8, p. 21. Aktuelle rechtsvergleichende Untersuchungen zur Rechtskraft finden sich vor allem in der Aufsatz- und Festschriftliteratur, vgl. di Noto, Liber Amicorum Seul, 2014, S. 84 ff.; Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143 ff.; (instruktiv, aber noch vor den jüngsten grundlegenden Veränderungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre verfasst Ritter, ZZP 87 (1974), S. 138 ff.; Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841; Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913 ff.; Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S. 603 ff.). Ausführlich, allerdings überwiegend ohne Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, die rechtsvergleichenden Untersuchungen von Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), International Encyclopedia of Comparative Law – Vol. XVI: Civil Procedure, Ch. 9 sowie Sepperer, Der Rechtskrafteinwand, S. 5–54. Eine eingehende Untersuchung des französischen Rechts, welche auch auf aktuellere Veränderungen und insbesondere die Cesareo-Rechtsprechung eingeht, findet sich – allerdings mit verwaltungsprozessualer Schwerpunktsetzung – bei 12

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Einleitung

Ziel der Arbeit ist die Analyse der Entwicklung der Rechtskraftlehre in Frankreich und Spanien sowie deren Verortung in einem gesamteuropäischen Rahmen. Die Arbeit soll dabei nicht nur einer Beschreibung des gegenwärtigen Standes der französischen und spanischen Rechtskraftlehre dienen, vielmehr soll gerade auch der Prozess der Entwicklung hin zum derzeitigen Rechtszustand nachvollzogen werden. Zu diesem Zweck werden nicht nur die historischen Grundlagen aufgearbeitet, sondern auch die rechtspolitischen Hintergründe des eingetretenen Wandels beleuchtet und etwaige Einflüsse anderer europäischer Rechtsordnungen untersucht. Auf diese Weise sollen Entwicklungstendenzen einer aktuellen Rechtskraftdogmatik identifiziert werden, die auch für eine künftige europäische Rechtsentwicklung richtungsweisend sein könnten, ohne dass aber die Arbeit auf die Formulierung eines konkreten Vorschlags zur Ausgestaltung einer europäischen Rechtskraftkonzeption oder einer Fortentwicklung nationaler Rechtskraftlehren abzielt. Die Arbeit beschränkt sich dabei auf die Rechtskraft zivilprozessualer Entscheidungen staatlicher Gerichte und klammert damit die Wirkung von Schiedssprüchen sowie von straf- und verwaltungsgerichtlichen Urteilen aus.

C. Gang der Untersuchung C. Gang der Untersuchung

In einem ersten Kapitel widmet sich die vorliegende Arbeit den gemeinsamen historischen Wurzeln der heutigen nationalen Rechtskraftlehren, welche den Ausgangspunkt nicht nur der beiden schwerpunktmäßig zu untersuchenden Rechtskraftkonzeptionen, sondern auch der übrigen europäischen Rechtskraftlehren bilden, also primär dem römischen Recht und seiner hochmittelalterlichen Rezeption. Dieser Skizzierung des gemeinsamen historischen Fundaments folgt dann im zweiten, zentralen Kapitel die Darstellung der Entwicklung der Rechtskraftlehre im französischen (§ 1) und spanischen Recht (§ 2). Diese wird jeweils eingeleitet durch einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der nationalen Rechtskraftlehren seit dem Hochmittelalter. Die eher aus wissenschaftlicher Sicht zu untersuchenden Themen der Abgrenzung der verschiedenen Urteilswirkungen, des Zwecks und der Rechtsnatur der Rechtskraft werden ebenso behandelt wie die aus der Sicht der Rechtsprechungspraxis relevanteren Fragen der Wirkungsweise der Rechtskraft im späteren Prozess, insbesondere der Berücksichtigungsfähigkeit der Rechtskraft von Amts wegen, sowie der Bestimmung der rechtskraftfähigen Entscheidungsarten. Der Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 106 ff. Ausführlich zum Teilaspekt der Rechtskraft bei Teilsachentscheidungen nach der aktuellen französischen Rechtskraftlehre Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 201 ff.

C. Gang der Untersuchung

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Schwerpunkt der Arbeit liegt dann auf der Untersuchung der Frage, ob sich die Rechtskraft auch auf Entscheidungen zu den dem Rechtsfolgenausspruch im Tenor vorgelagerten tatsächlichen und rechtlichen Vorfragen erstreckt, sowie auf der Betrachtung der subjektiven und objektiven Reichweite der Rechtskraft. Es sind gerade diese zentralen Fragen der Rechtskraftdogmatik, welche im französischen und spanischen Recht in jüngster Zeit Gegenstand erheblicher Veränderungen waren, weshalb ihrer Darstellung in der vorliegenden Arbeit auch am meisten Raum gegeben wird. Die Frage der Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen wird dabei von der streitgegenstandsbezogenen objektiven Reichweite der Rechtskraft gesondert behandelt, da sich einzelne Entwicklungen der spanischen und insbesondere der französischen Rechtskraftlehre auf diese Weise klarer erfassen lassen und hierdurch eine präzise rechtsvergleichende Einordnung erleichtert wird. Bei der Frage, wie stark im Rahmen der Darstellungen der Einzelrechtsordnungen zwischen der objektiven Reichweite der Rechtskraft und den sog. zeitlichen Grenzen der Rechtskraft zu differenzieren sei, folgt die Arbeit der in der jeweiligen Rechtsordnung herrschenden Systematik. Da sich die Entwicklungen im Hinblick auf die Frage der Erstreckung der Rechtskraft über den Rechtsfolgenausspruch im Tenor hinaus sowie im Hinblick auf die objektive Reichweite der Rechtskraft nur dann in ihrer Bedeutung bewerten lassen, wenn sie eine Einordnung in das übrige Prozessrecht erfahren, wird die Darstellung in diesen Themenbereichen auch auf nicht streng der Rechtskraftdogmatik zuzurechnende Fragen wie den Urteilsaufbau, die Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien sowie die Ausgestaltung der Berufungsinstanz eingehen. Der Zielsetzung einer Abbildung von Entwicklungslinien kann schließlich nur Rechnung getragen werden, wenn neben der Literatur zur Rechtskraft auch die Rechtsprechungspraxis Berücksichtigung findet, hat sich die Rechtsprechung doch, wie noch zu zeigen sein wird, in vielerlei Hinsicht als Vorreiter zahlreicher Veränderungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre erwiesen. Im gesamten zweiten Kapitel wird daher nicht nur die Literatur zur Rechtskraft aufgearbeitet, sondern auch die Rechtsprechung13 umfassend ausgewertet.

13 Die Rechtsprechung der französischen Gerichte wird durch Nennung des Entscheidungsdatums sowie der Rechtsmittelnummerierung (numéro de pourvoi) gekennzeichnet, auf deren Grundlage sich die Entscheidung unter http://www.legifrance.gouv.fr/initRechJuriJudi.do finden lässt. Sofern eine Veröffentlichung im „Bulletin des arrêts des chambres civiles“ erfolgt ist, wird die jeweilige Fundstelle genannt. Die Kennzeichnung als nicht veröffentlicht (inédit) bezieht sich auf die Veröffentlichung im Bulletin. Nur bei älteren Entscheidungen fehlt der Verweis auf die Rechtsmittelnummerierung. Hier wird dann allein die Fundstelle im Bulletin bzw. in einer sonstigen Veröffentlichung genannt. Die spanische Rechtsprechung wird unter Bezugnahme auf das Entscheidungsdatum, die fortlaufende Urteilsnummerierung bzw. die

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Einleitung

Die im zweiten Kapitel herausgearbeiteten Entwicklungen der französischen und spanischen Rechtskraftdogmatik sollen in Kapitel 3 im europäischen Vergleich verortet werden. Untersucht wird, ob eine Annäherung an die Rechtskraftprinzipien anderer Rechtsordnungen der Europäischen Union zu verzeichnen ist oder ob Frankreich und Spanien eher einen Sonderweg verfolgen. Den rechtsvergleichenden Rahmen bilden dabei die Rechtskraftlehren des deutschen, des englischen und des italienischen Rechts. Das deutsche und das englische Recht bieten sich als Orientierungsrahmen für eine Einordnung in den europäischen Kontext nicht nur deshalb an, weil es sich um zwei der wichtigen Rechtsordnungen der Europäischen Union handelt, die erheblichen Einfluss auf deren Rechtsentwicklung haben. Sie sind zudem Vertreter sehr unterschiedlicher Rechtsfamilien mit recht gegensätzlichen Ausgangspunkten, deren Rechtskraftkonzeptionen erheblich divergieren und in gewisser Weise die Bandbreite möglicher Lösungen im Bereich der Rechtskraft widerspiegeln. Das italienische Recht, das trotz starker Beeinflussung durch die deutsche Dogmatik eigene Wege gegangen ist, ergänzt schließlich als romanisches Beispiel einer gefestigten Rechtskraftlehre das Spektrum der Rechtskraftkonzepte. Schließlich findet in den Teilbereichen, in denen sich eine autonome europäische Konzeption der Rechtskraft bzw. des Streitgegenstandes zumindest andeutungsweise erkennen lässt, auch die Rechtsprechung des EuGH Berücksichtigung. Eine knappe Darstellung der zentralen Teilbereiche der Rechtskraftdogmatik in den rechtsvergleichend herangezogenen Rechtsordnungen auf Grundlage der vorherrschenden Positionen in Rechtsprechung und Literatur soll jeweils das Fundament einer vergleichenden Betrachtung schaffen, in der die Entwicklungslinien in Frankreich und Spanien nochmals nebeneinandergestellt und ins Verhältnis zu den Ansätzen der deutschen, der englischen und der italienischen Rechtkraftlehre gesetzt werden. In einem Schlusskapitel sollen die in den vorausgegangenen Kapiteln identifizierten aktuellen Entwicklungstendenzen schließlich bewertet werden, wobei in diese wertende Betrachtung auch eine Beurteilung ihrer Bedeutung für eine künftige europäische Rechtsentwicklung einfließen soll.

Nummerierung der eingelegten Rechtsmittel sowie die Nummer der offiziellen Rechtsprechungssammlung („Repertorio Oficial de Jurisprudencia“ (ROJ)) zitiert. Unter Angabe einer dieser Nummern kann die Entscheidung beispielsweise über die Rechtsprechungssuchfunktion auf der offiziellen Seite des Consejo General del Poder Judicial (http://www.poderjudicial.es/search/indexAN.jsp) abgerufen werden.

D. Bemerkung zur verwendeten Terminologie

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D. Bemerkung zur verwendeten Terminologie D. Bemerkung zur verwendeten Terminologie

Die folgende Untersuchung der einzelnen Rechtskraftlehren behält weitgehend die nationalen Begrifflichkeiten in ihrer jeweiligen Sprache bei. Auf diese Weise sollen Verfälschungen des Sinngehaltes durch eine zwangsläufig unpräzise Übertragung der deutschen Terminologie so weit wie möglich vermieden werden. Erst im Rechtsvergleich finden dann die deutschen Begrifflichkeiten Anwendung.

Erstes Kapitel

Gemeinsame historische Grundlagen Die Rechtskraftlehren des französischen und des spanischen Rechts sind wie auch die entsprechenden Regeln der übrigen europäischen Rechtsordnungen Ergebnisse einer Rezeption des römischen Rechts. Auch wenn sich die einzelnen Rechtskraftlehren im späteren Verlauf in unterschiedliche Richtungen bewegt haben, bildet doch das römische Recht den gemeinsamen Ausgangspunkt dieser Entwicklungen. Der Darstellung dieser gemeinsamen Grundlage einschließlich ihrer hochmittelalterlichen Rezeption dient der nachfolgende rechtshistorische Überblick, der aber auch kurz auf die germanischen Verfahrensrechte eingeht.

§ 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht § 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht

A. Der römische Zivilprozess Das römische Recht kannte zwar noch kein einheitliches Prinzip materieller Rechtskraft, wie wir es heute verstehen, setzte sich aber sehr wohl mit den damit verbundenen Grundfragen auseinander. Zu differenzieren ist hierbei zwischen den verschiedenen im Laufe der Jahrhunderte entstandenen Verfahrensordnungen, die häufig den Prozess für eine bestimmte Rechtsschicht regeln sollten, deren Anwendungsbereiche sich in ihrer Fortentwicklung aber häufig überschnitten.1 I. Der Legisaktionenprozess Bereits das Legisaktionenverfahren des 5. Jahrhunderts v. Chr., das in den ersten beiden Tafeln des Zwölftafelgesetzes niedergelegt war und die Verfahrensordnung des bürgerlichen ius civile darstellte, ging von dem Grundgedanken aus, dass ein Rechtsstreit mit Durchführung des eingeleiteten Verfahrens endgültig beendet und ein erneuter Streit mit identischem Gegenstand ausgeschlossen sein müsse. Zwar ist das vielzitierte Prinzip bis de eadem re ne sit actio als ausformulierte Norm oder einheitlicher Rechtssatz in juristischen

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Überblick bei Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 1 II, S. 4 ff.

§ 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht

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Quellen nicht nachweisbar, 2 jedoch galt die Regel, dass die litis contestatio, also der formelle Ausspruch der Spruchformeln, mit denen die Parteien den Streitgegenstand fixierten und vor Gericht anhängig machten,3 die Klagenkonsumption zur Folge hatte. 4 Die Konsumption war damit nicht an das Urteil geknüpft, stellte also anders als die heutige Rechtskraft keine Urteilswirkung dar.5 Der Begriff der „Klagenkonsumption“ bedarf dabei insoweit der Präzisierung, als dass nicht die Klage selbst verbraucht wurde, sondern das der Klage zugrundeliegende materielle Forderungsrecht.6 Da dieses aber den Grund des Klagrechts (actio) darstellte, wurde damit auch das erneute prozessuale Vorgehen hieraus ausgeschlossen. 7 Die Konsumption griff entsprechend nur bei der actio in personam, nicht aber bei den actiones in rem, die dauerhafte, über die einmalige Betätigung hinausgehende Rechtspositionen zum Gegenstand hatten, welche nicht durch einmalige klageweise Geltendmachung erlöschen sollten.8 Exzeptionen und Präskriptionen waren dem Legisaktionenverfahren noch fremd, 9 so dass die Klagenkonsumption das alleinige Instrument zur Verhinderung erneuter Klagen mit identischem Gegenstand darstellte. 10 II. Der klassische Formularprozess Im 3. Jahrhundert vor Christus entstand mit dem Formularprozess eine neue, selbstständige Verfahrensordnung im Rahmen der prätorischen Gerichtsbarkeit, die zunächst mit gesondertem Anwendungsbereich neben dem Legisaktionenverfahren existierte, dieses aber nach und nach ersetzte. 11 Auch der Formularprozess kannte die Klagenkonsumption als Folge der litis contestatio, entwickelte diese aber weiter. Die litis contestatio hatte die Aufzehrung des materiellen Klagegrundes und damit das Erlöschen der actio zur Folge, so dass eine erneute Klage in gleicher Sache vom Prätor regelmäßig denegiert wurde. 12 Als Instrument zum Ausschluss eines zweiten Prozesses kommt ihr im Formu-

2 Das Prinzip findet sich vielmehr lediglich in rhetorischen Quellen, vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 11 IV 2, S. 80 (mit Fn. 60); Liebs, ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 169, 170. 3 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 11 IV, S. 75 f. 4 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 11 IV 2, S. 81. 5 Liebs, ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 169, 170. 6 Liebs, ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 169, 180 („eigentlich Forderungskonsumption“). 7 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 11 IV 2, S. 81. 8 Keller/Wach, Der römische Civilprocess, § 72 I, S. 362; Liebs, ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 169, 181. 9 Liebs, ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 169. 10 Liebs, ZRG Rom. Abt. 86 (1969), S. 169, 179. 11 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 1 II 2, S. 5. 12 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 I 1, S. 301 (mit Fn. 2); Kaser, ZRG Rom. Abt. 101 (1984), S. 1, 63.

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1. Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen

larprozess aber nicht mehr die Bedeutung zu, die sie noch im Legisaktionenprozess hatte.13 Ihr Anwendungsbereich war auf die in einem iudicium legitimum geltend gemachten actiones in personam beschränkt. Bei allen anderen Aktionen führte die litis contestatio dagegen nicht ipso iure zur Konsumption.14 Hier wurde die Funktion, eine erneute Klage mit demselben Gegenstand zu verhindern, vielmehr durch das im Formularprozess neu geschaffene Instrument der exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae erfüllt, die auf der bereits aus dem Legisaktionenprozess bekannten Regel bis de eadem re agere non licet beruhte. 15 Kam dieses zur Anwendung, so konnte der Prätor die erneut geltend gemachte actio entweder gleich denegieren oder die actio mit der exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae erteilen.16 Auf Grundlage der exeptio sprach der Richter den Beklagten frei, wenn in derselben Sache bereits ein Urteil ergangen war.17 Der Ausschluss eines erneuten Rechtsstreites (ob durch Klagenkonsumption oder exceptio) war dabei nicht auf die Geltendmachung derselben actio beschränkt: Eine zweite Klage de eadem re war vielmehr in allen Fällen ausgeschlossen, in denen die geltend gemachten Aktionen denselben Klagegrund (causa) und dasselbe Klageziel hatten.18 Der Klagegrund war bei den actiones in personam im jeweiligen Vertrag oder Delikt zu sehen, bei den actiones in rem im dinglichen Recht.19 Klageziel war der Ausgleich des durch klagebegründenden Sachverhalt entstandenen Schadens bzw. die Geldstrafe. 20 Einem erneuten Verfahren konnte die Klagenkonsumption bzw. die exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae in gewissen Fällen auch dann entgegenstehen, wenn die actio gegen eine andere Person gerichtet war. 21 Die Geltung eines allgemeinen Grundsatzes, wonach der Richters eines zweiten Verfahrens durch die im Erstprozess ergangene Entscheidung positiv gebunden ist, lässt sich zwar nicht feststellen.22 Eine bindende Präjudizialwirkung bestand aber zum Beispiel, wenn der Prätor ein Verfahren für vorrangig

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Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 I 1, S. 301; Kaser, ZRG Rom. Abt. 101 (1984), S. 1, 63 f. 14 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 I 1, 2, S. 302. 15 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 I 2, S. 303. 16 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 I 2, S. 302. 17 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 I 2, S. 302. 18 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 II, S. 304; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 738/739. 19 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 II, S. 304. 20 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 II, S. 304. 21 Beispielsweise im Fall der Klage gegen einen weiteren Gesamtschuldner nach der im Verhältnis zu einem anderen Gesamtschuldner durchgeführten litis contestatio: Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 43 II 2, S. 306. 22 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 55 III 2, S. 379; Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht, S. 218; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto, p. 735 ss.

§ 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht

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hielt und deshalb entweder das vor ihn gebrachte Verfahren durch einstweilige denegatio suspendierte oder zwar die Einsetzung des Verfahrens vornahm, aber mit einer sog. exceptio praeiudicialis versah, wodurch die betreffende Vorfrage bis zur Entscheidung im vorrangigen Prozess vom zweiten Verfahren ausgenommen blieb: Der Richter war in diesem Fall an die Entscheidung über die Vorfrage gebunden.23 Besondere Erwähnung soll hier die Urteilswirkung bei der Präjudizialklage im Ingenuitätsprozess finden, da die Prozessrechtslehre insbesondere in Frankreich und Italien seit der neuzeitlichen Rezeption des römischen Rechts bei der Bestimmung der Urteilswirkung immer wieder auf die entsprechende klassische Textstelle bei Ulpian24 Bezug genommen hat. Nach dieser Textstelle sollte das Urteil, durch das eine Person zum Freigeborenen (ingenuus) erklärt wurde, auch dann „als der Wahrheit entsprechend oder an Stelle der Wahrheit angenommen“ werden, wenn die Person tatsächlich ein Freigelassener war. 25 In Bezug auf die Urteilswirkung wird die Stelle heute dahingehend verstanden, dass die Feststellung der Ingenuität durch Urteil als zusätzlicher, die Stellung als Freigeborener begründender Tatbestand neben der Geburt von einer freien Mutter galt.26 Dem Urteil kam damit feststellende Wirkung zu, sofern ein tatsächlich Freigeborener betroffen war, bei einem unfrei Geborenen hatte es dagegen rechtsgestaltende Wirkung.27 Eine beweisrechtliche Wirkung des Ingenuitätsurteils in dem Sinne, dass das Urteil als Beweismittel für eine auf die Geburt durch eine freie Mutter gestützte Ingenuität dienen konnte, soll dem Ulpian-Zitat dagegen nicht entnommen werden können.28 Im Übrigen wurde eine positive Bindung an den Urteilsinhalt teilweise aus Billigkeitsgründen bejaht, ohne dass sich jedoch eine einheitliche Regel herausbildete. 29

23 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 55 III 2, S. 380 f.; Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht, S. 219. 24 D. 1, 5, 25: „Ingenuum accipere debemus etiam eum, de quo sententia lata est, quamvis fuerit libertinus: quia res iudicata pro veritate accipitur.“ (volles Zitat nach Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 749). Die Zuordnung zum Formularprozess ist aber nicht unumstritten (für eine Zuordnung zum Formularprozess Hackl, Praeiudicium, S. 299; für eine Zuordnung zum Kognitionsprozess dagegen beispielsweise Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 749 s.). 25 Hackl, Praeiudicium, S. 299. 26 Hackl, Praeiudicium, S. 300 f.; Pugliese, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 503, 512. 27 Hackl, Praeiudicium, S. 301. 28 Hackl, Praeiudicium, S. 300 f.; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto, p. 749 s.; ders., Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 503, 511 ss. 29 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 55 III 2, S. 381 f.; für eine generelle Bindungswirkung der Feststellungsurteile aus praeiudicia: Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht, S. 219.

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1. Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen

III. Der klassische Kognitionsprozess In der Zeit des Prinzipats und der absoluten Monarchie tritt neben das Formularverfahren der Kognitionsprozess, der unter dem Prinzipat noch außerordentlichen Charakter besitzt, nach und nach aber den Formularprozess verdrängt.30 Der Formularprozess tritt bereits in den Wirrungen des 3. Jahrhunderts n. Chr. zurück und verschwindet spätestens durch die formelle Abschaffung Mitte des 4. Jahrhunderts.31 Im Kognitionsverfahren verliert die litis contestatio die Konsumptionswirkung, der Ausschluss eines erneuten Verfahrens mit identischem Gegenstand wird nunmehr allein durch die praescriptio rei iudicatae bewirkt, welche Folge des Urteils ist. 32 Daneben kennt der Kognitionsprozess auch eine gegenüber dem Formularprozess deutlicher hervortretende positive Bindungswirkung, durch welche die Parteien, teilweise aber auch Dritte an den Inhalt des Urteils gebunden werden. 33 Eine einheitliche Regel für die subjektive Reichweite dieser Bindung ist jedoch nicht erkennbar.34 Es wird angenommen, dass die Bindungswirkung dabei weniger auf dem Gedanken einer Neuschöpfung des Rechts durch den Richterspruch beruhte als vielmehr auf der autoritativen gerichtlichen Entscheidung, 35 die nunmehr von staatlichen Funktionsträgern auf Grundlage einer kaiserlichen Übertragung der Gerichtshoheit erlassen wurde. Das Urteil konnte im klassischen Verfahren der Kaiserzeit durch ein ordentliches Rechtsmittel, die appellatio, angegriffen werden. Die Ausschluss- und Bindungswirkung des Urteils trat erst mit Ablauf der Rechtsmittelfristen bzw. mit dem Abschluss des Rechtsmittelverfahrens endgültig ein.36 IV. Das nachklassische Verfahren Die durch innere und äußere Wirrungen hervorgerufene Krise des römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr. leitet das Ende des klassischen Verfahrens ein. In der Folgezeit vollzieht das römische Reich nicht nur eine umfassende Reform der Verwaltung und Staatsgliederung, die unter Diokletian initiiert wurde. Bereits unter Konstantin beginnt auch eine Neuordnung des Prozess-

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Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 66 I, S. 436. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 66 I, S. 436. 32 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 74 III 2, S. 499. 33 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 74 III 2, S. 499; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto, p. 748. 34 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 74 III 2, S. 500. 35 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 74 III 2, S. 499. 36 Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 2, S. 701; ähnlich Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto, p. 747/748; ders., Studi in onore di Biondi II, p. 143, 149: res iudicata sofort mit Urteilserlass, bei Einlegung von Rechtsmitteln aber Suspendierung der Urteilswirkungen. 31

§ 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht

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rechts. Die umfassende Neufassung und Ausgestaltung des Prozesses in gesetzlicher Form findet aber erst nach dem Zerfall des römischen Reiches in Ostrom unter Justinian statt. In der Gestalt, die dem spätrömischen Zivilprozess unter Justinian gegeben wurde, findet dieser Eingang in das europäische Prozessrecht des Mittelalters und der Neuzeit. 37 Wurden die klassischen Schriften in zahlreichen Bereichen des Prozessrechts nicht oder nur stark verändert in die justinianischen Rechtssammlungen übernommen,38 so fanden sie im Bereich der Urteilswirkung und der exceptio rei iudicatae in deutlich stärkerem Maße Eingang in das justinianische Verfahrensrecht.39 In den Digesten mit ihrer Zusammenstellung klassischer Materialien finden sich denn auch die Maximen res iudicata pro veritate accipitur40 und res inter alios iudicatae nullum aliis praeiudicium faciunt 41 wieder, die die Rechtskraftlehre im romanischen Raum maßgeblich beeinflusst haben. Schließlich enthielten die Digesten eine Umschreibung der Voraussetzungen der exceptio rei iudicatae, 42 welche den Ausgangspunkt sämtlicher späterer Ansätze zur Formulierung der Grenzen der Rechtskraft im romanischen Rechtskreis bilden sollte und insbesondere im französischen Recht fast wörtliche Übernahme fand.43 Außerhalb der Sammlungen klassischer Schriften trifft die justinianische Gesetzgebung dagegen kaum noch grundsätzliche Aussagen zur Natur und Reichweite der exceptio rei iudicatae. 44 Ein Verfahren über einen Streitgegenstand, über den bereits in einem vorherigen Prozess zwischen den Parteien entschieden worden war, war auch in nachklassischer Zeit ausgeschlossen. Diese negative Ausschlusswirkung war wie im klassischen Kognitionsverfahren nicht mehr an die litis contestatio geknüpft, sondern eine Wirkung des Urteils. 45 Geltend gemacht werden konnte 37

Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 1 II 4, S. 6, § 78 III 2, S. 524. Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 3, S. 5. 39 Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Band 3, S. 296. 40 Ulpianus D. 50, 17, 207 (= D. 1, 5, 25; zitiert nach Mommsen (Hrsg.), Digesta Iustiniani Augusti, Band II, S. 969). 41 Ulpianus D. 44, 2, 1 (zitiert nach Mommsen, (Hrsg.), Digesta Iustiniani Augusti, Band II, S. 622). 42 Paulus, Ulpianus D. 44, 2, 12, 13, 14: „Cum quaeritur, haec exceptio noceat nec ne, inspiciendum est, an idem corpus sit, quantitas eadem, idem ius, et an eadem causa petendi et eadem condicio personarum: quae nisi omnia concurrunt, alia res est” 1 (zitiert nach Mommsen, (Hrsg.), Digesta Iustiniani Augusti, Band II, S. 625). 43 Vgl. insbesondere zum Einfluss dieser Textstelle auf die Bestimmung des Gegenstandes der Rechtskraft bei dem prägenden französischen Rechtsgelehrten Pothier oben Kapitel 2, § 1 A. I. 2. b. Vgl. auch die Einschätzung Stürners, wonach die genannte Textstelle „bereits alle wichtigen Koordinaten der späteren Entwicklung und Diskussion nennt“ (Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 914. 44 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 752, 754 ss. 45 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 94 II 1, S. 615. 38

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1. Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen

die Präklusion mit Hilfe der Prozesseinrede der exceptio rei iudicatae. Es wird angenommen, dass die Ausschlusswirkung von Amts wegen zu berücksichtigen war und dass die Ausgestaltung als Einrede nicht mehr bedeutete, als dass der Beklagte den ihm günstigen Einwand der bereits ergangenen Entscheidung über den Streitgegenstand im Verfahren von sich aus geltend machen konnte.46 Ob das nachklassische Verfahren eine allgemeine präjudizielle Bindung kannte, wird nicht einheitlich beantwortet. Teilweise ist angenommen worden, Justinian habe die klassischen Vorgaben sowohl des Kognitionsprozess als auch zahlreicher Quellen zum Formularprozess fast unverändert übernommen, ohne im Hinblick auf die Urteilswirkung die Formulierung abweichender Grundsätze zu wagen.47 Eine Abkehr von der Konzeption des klassischen Verfahrens durch Festlegung einer allgemeinen Bindung des Richters an den Inhalt eines früheren Urteils sei daher für das justinianische Verfahren nicht herleitbar.48 Dagegen haben andere hervorgehoben, dass die Entscheidung, den Ulpiantext D. 1, 5, 25 aus dem Kontext des Ingenuitätsverfahrens herauszunehmen und in den Digesten isoliert in den Abschnitt De diversis regulis iuris antiqui einzufügen (D. 50, 17, 207), auf eine Absicht schließen lasse, die Regel res iudicata pro veritate accipitur zu verallgemeinern.49 Zumindest die nachklassische Konzeption des Urteils als Staatsakt und die hiermit verbundene erhöhte Autorität der richterlichen Entscheidung sprechen dafür, dass den nachklassischen Urteilen in gewissen Grenzen eine präjudizielle Bindungswirkung zukam.50 Auch im nachklassischen Verfahren wurde das Urteil erst dann endgültig, wenn es nicht mehr durch die Rechtsmittel der appellatio oder der supplicatio angefochten werden konnte. 51 B. Der germanische Prozess Im Rahmen der Völkerwanderung besiedelten ab Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. germanische Volksgruppen die Gebiete des heutigen Frankreichs, Italiens und Spaniens. Es sind dies die Ostgoten und Langobarden im Bereich des heutigen Italiens, die Burgunder (im heutigen Frankreich), die Westgoten (im äu-

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Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 94 II 1, S. 615. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 94 II 1, S. 616. 48 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 94 II 1, S. 616. 49 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 756; ders., Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 515; für eine präjudizielle Bindung im nachklassischen Verfahren auch: Marrone, L’efficacia pregiudiziale, p. 484 ss. 50 Dies gestehen auch Kaser/Hackl zu (Das römische Zivilprozessrecht, § 94 II 1, S. 616). 51 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 94 II 1, S. 614; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p.754 (Suspendierung der Urteilswirkung bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel). 47

§ 1 Das römische und germanische Verfahrensrecht

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ßersten Südwesten des heutigen Frankreichs sowie in Spanien) sowie die Franken, die von den ostrheinischen Gebieten kommend zunächst Frankreich besiedelten und im Laufe der folgenden Jahrhunderte ihr Reich auch nach Nordspanien und Italien ausdehnten. 52 Die germanischen Volksstämme brachten die ihnen eigenen Rechtsvorstellungen und Verfahren mit, die in den neu besiedelten Gebieten auf das römische Vulgarrecht der dortigen romanischen Bevölkerung stießen. Ob das germanische Recht dem Urteil eine der heutigen Rechtskraft entsprechende Wirkung zusprach, ist in der rechtshistorischen Literatur kontrovers diskutiert worden: Die Ansichten reichen von der Anerkennung der Rechtskraft jedes Urteils53, über eine Differenzierung zwischen den Rechten der verschiedenen germanischen Volksgruppen 54 bis hin zur gänzlichen Verneinung der Rechtskraft des Urteils nach germanischem Recht 55. Bekannt dürfte den germanischen Verfahrensrechten aber jedenfalls der Gedanke gewesen sein, dass die Durchführung eines Prozesses zur möglichst dauerhaften Beendigung des Streits führen sollte. Diese Folge war aber nicht zwingend mit dem Urteil selbst verknüpft. So schloss der fränkische Prozess die Führung eines erneuten Verfahrens durch einen gesonderten Prozessbeilegungsakt aus, der in einer Vereinbarung der Parteien oder einer gesonderten Anordnung des Gerichts liegen konnte. 56 Der Beilegungsakt bewirkte jedoch keine Bindung an den Urteilsinhalt, sondern diente vielmehr der Absicherung des Zustandes, der durch die Vollziehung der im Urteil festgesetzten Leistungspflicht hergestellt wurde.57 Dementsprechend wurde der Beilegungsakt auch erst nach erfolgter Vollziehung der auferlegten Leistungspflicht vorgenommen.58

52 Zur Völkerwanderung und zur Migrationsbewegung der einzelnen Volksgruppen Kaiser, Die Mittelmeerwelt und Europa in der Spätantike und im Frühmittelalter, S. 62 ff., 88 f. 53 Bethmann-Hollweg, Der germanisch-romanische Civilprozeß im Mittelalter Band 1, S. 391 (Langobarden), Band 2, S. 172 (Franken). 54 Gál, Prozessbeilegung, S. 12 (Rechtskraft des langobardischen Urteils bei Urteilsanerkenntnis), S. 15 (keine Rechtskraft des fränkischen Urteils, Bindung an den durch die Urteilsvollziehung entstandenen Rechtszustand erst durch Beilegungsvertrag oder gerichtliche Beilegungsverfügung). 55 Seelmann, Der Rechtszug im älteren deutschen Recht, S. 103, 198. 56 Ausführlich hierzu: Gál, Prozessbeilegung, S. 16 ff. 57 So konnte die Beilegungsvereinbarung bzw. das Beilegungsgebot beispielsweise nach einer Klage auf Herausgabe einer Sache vorsehen, dass der Beklagte den Besitz des Klägers nicht mehr vor Gericht angreifen konnte: Gál, ZRG Germanist. Abt. 33 (1912), S. 315, 327. 58 Gál, Prozessbeilegung, S. 15: „Es wird [...] zunächst auf Grund des Urteils das dem Prozeßausgange gemäße Verhältnis faktisch hergestellt. [...] Dann erst folgt der Beilegungsvertrag oder die gerichtliche Beilegungsverfügung, wodurch das hergestellte rechtgemäße Verhältnis – nicht der Urteilsspruch – gegen Anfechtungen im Rechtswege geschützt wird.“.

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1. Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen

Als tatsächliche Urteilswirkung kann der Ausschluss eines erneuten Prozesses wohl am ehesten bei den Langobarden angesehen werden: Das langobardische Urteil enthielt, anders als das fränkische, keine Festsetzung einer Leistungspflicht, sondern sprach aus, was der rechtmäßige Zustand war, ohne dessen Herstellung anzuordnen.59 Gleichzeitig finden sich in den langobardischen Quellen trotz Anerkennung des Grundsatzes, dass das geführte Verfahren einen späteren Rechtsstreit über dieselbe Sache ausschließen sollte, 60 keine Hinweise auf die Notwendigkeit eines gesonderten Beilegungsaktes nach ergangenem Urteil. 61 Da die Quellen jedoch auch von Fällen zeugen, in denen der Richter sich bei der Überprüfung des Rechtsstreits nicht an ein bereits in derselben Sache ergangenes Urteil gebunden sah, 62 kann auch für das langobardischen Recht nicht von einem einheitlichen Konzept der Ausschlusswirkung des Urteils ausgegangen werden. Wenn den germanischen Rechten der Gedanke des Ausschlusses eines erneuten Prozesses über einen bereits entschiedenen Gegenstand damit auch nicht fremd war, so fehlt es doch an einer dem römischen Recht vergleichbaren systematischen Durchformung dieser Vorstellung und der Formulierung eines klaren Grundsatzes der endgültigen Bindung an die Entscheidung über den Streitgegenstand.63 C. Zusammenfassung Die Idee, dass der Inhalt eines ersten Verfahrens in einem späteren Prozess nicht mehr zum Gegenstand gemacht werden sollte, war sowohl dem römischen als auch den germanischen Rechten bekannt. Es ist aber die klarere Ausformung dieses Gedankens im römischen Recht, die in den späteren Jahrhunderten für die Ausgestaltung der Urteilswirkung in sämtlichen romanischen Rechtsordnungen prägend wurde.

§ 2 Die Vorstellung von der res iudicata im Hochmittelalter: Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten § 2 Res iudicata im Hochmittelalter

Wenn sich die Werke der Juristen des romanischen Rechtskreises zur Rechtskraft in späteren Jahrhunderten und insbesondere in der Zeit der Zivilrechtsko-

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Gál, Prozessbeilegung, S. 11. Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 758. 61 Gál, Prozessbeilegung, S. 13. 62 Vgl. die Fallschilderungen und Nachweise bei Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 759. 63 Vgl. Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 760. 60

§ 2 Res iudicata im Hochmittelalter

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difikationen des 19. Jahrhunderts auch bemühten, ihre Rechtskraftlehre unmittelbar aus den römischen Quellen herzuleiten, so übernahmen sie doch – wenn auch nicht immer ausdrücklich – viele Vorstellungen, die dem römischen Recht in dieser Form unbekannt gewesen waren und die vielmehr erst ab dem 12. Jahrhundert durch die Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten geprägt wurden. Das Studium an den ab dem 12. Jahrhundert zunächst in Italien und später auch in zahlreichen weiteren europäischen Ländern entstehenden Universitäten und juristischen Fakultäten ermöglichte diesen Rechtsgelehrten des Hochmittelalters nicht nur eine Auseinandersetzung mit den römischen Rechtsquellen in zuvor ungekannter Intensität, sondern auch eine stärkere dogmatische Durchformung zahlreicher Rechtsbereiche. Auf Grundlage insbesondere der justinianischen Gesetzessammlungen entwickelten die Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten auch das Konzept der res iudicata weiter. A. Der Begriff der res iudicata Die Fortentwicklung der römischen Lehren von der Urteilswirkung betrifft zunächst den Begriff der res iudicata selbst. Erstmals bei den Kanonisten wurde die res iudicata nicht mehr als unmittelbar mit dem Urteil verbunden oder gar gleichbedeutend mit der ergangenen Entscheidung verstanden, sondern als Wirkung des Urteils an weitergehende Voraussetzungen geknüpft. Bereits in kanonistischen Quellen des 12. Jahrhunderts kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass die res iudicata nicht mit dem Urteil (sententia) gleichzusetzen sei und das Urteil nur unter bestimmten Voraussetzungen in Rechtskraft erwachse. 64 Als Voraussetzung der res iudicata wurde der Ablauf der Appellationsfrist von zehn Tagen und damit die Unanfechtbarkeit bzw. die Unabänderlichkeit des Urteils angesehen. 65 Die Trennung von Urteil und res iudicata schlug sich zudem in der Formulierung zahlreicher Fälle nieder, in denen Entscheidungen der kirchlichen Gerichte nicht in Rechtskraft erwachsen sollten.66 Die Zivilisten hielten dagegen – geprägt durch die Ausführungen des Glossatoren Azo – lange an einer untrennbaren Verbindung von Urteil und res iudicata fest: Von res iudicata sei schon ab dem Zeitpunkt des Urteilsausspruchs

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Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 763, 766 (zur Wendung sententia transit in nomen rei iudicatae). 65 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 766; Nörr, Romanischkanonisches Prozessrecht, S. 206. 66 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 763, 769 (auch zu den zunehmend auch unter den Zivilisten gemachten Ausnahmen); zu den Durchbrechungen des Grundsatzes, dass das Urteil in Rechtskraft erwachse, vgl. auch Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 207.

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1. Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen

zu sprechen.67 Erst mit Bartolus hält die Verknüpfung der res iudicata mit der Unanfechtbarkeit auch in der zivilistischen Lehre Einzug. 68 Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung wurde der Begriff der res iudicata aber lange uneinheitlich verwendet. So bezeichnete die res iudicata teilweise weiterhin lediglich den entschiedenen Rechtsstreit, während der Ausdruck an anderer Stelle im weitergehenden Sinne einer gesonderten Urteilswirkung verwendet wurde. 69 Der Streit über die Anknüpfung der Rechtskraft an die Voraussetzung der Unanfechtbarkeit blieb für die Rechtskraftlehre im romanischen Rechtskreis von nicht unerheblicher Bedeutung: Wie noch zu zeigen sein wird, folgten die spanische und die italienische Lehre der Entscheidung des Bartolus, indem sie die Rechtskraft erst mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung eintreten lässt, wohingegen die zivilistische Vorstellung einer sofortigen Rechtskraft ab dem Moment des Urteilserlasses in der französischen Rechtskraftlehre fortlebt. 70 B. Reichweite der Rechtskraft und rechtskraftfähige Entscheidungsteile Die intensive Auseinandersetzung der Glossatoren und Kommentatoren mit der Rechtskraft umfasste auch die Frage der Reichweite der Rechtskraft. Genauer als noch die römischen Rechtsquellen versuchten die mittelalterlichen Rechtsgelehrten zu definieren, wann eine Klage de eadem res vorlag: Indem sie die Voraussetzung der Identität des Anspruchsgegenstandes, des Klagegrundes (causa petendi) sowie der Parteien formulierten,71 legten sie den Grundstein für das die romanischen Rechtskraftlehren prägende Erfordernis der dreifachen Identität (triple identité oder triple identidad). Ausführlich setzten sich die zivilistischen und kanonistischen Autoren auch mit der Frage auseinander, ob die im Rahmen eines Verfahrens inzident zu prüfenden Vorfragen ebenfalls an der Präjudizialwirkung der Entscheidung teilnahmen. Hierbei war aber eine einheitliche Linie nicht zu erkennen, vielmehr finden sich zahlreiche unterschiedliche Differenzierungen, z.B. nach dem Gegenstand der jeweiligen Vorfrage oder nach der Art des Verfahrens (summarischer Prozess oder vollständige Kognition). 72 Im Hinblick auf die spätere

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Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 766. Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 767. 69 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 206. 70 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 767. 71 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 208. 72 Vgl. die ausführliche Darstellung der verschiedenen Ansichten bei Buchka, Die Lehre vom Einfluss des Prozesses auf das materielle Rechtsverhältnis – Zweiter Theil, § 23, S. 168 ff. 68

§ 2 Res iudicata im Hochmittelalter

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Bestimmung rechtskraftfähiger Entscheidungen in den romanischen Rechtsordnungen ist von Bedeutung, dass die absolutio ab instantia einem erneuten Verfahren über denselben Anspruch nicht entgegenstand. 73 C. Die Verortung der res iudicata im Beweisrecht Als im Hinblick auf die spätere Entwicklung der Rechtskraftlehre in Frankreich und Spanien besonders bedeutsamen Beitrag der hochmittelalterlichen Rechtsgelehrten stellt sich die Einordnung der res iudicata als Figur des Beweisrechts dar.74 Eine eindeutige Verortung im Beweisrecht 75 erfolgt erstmals bei den Kommentatoren des 13. Jahrhunderts, welche die res iudicata als praesumptio iuris et de iure einordneten.76 Die Vermutung sollte durch Gegenbeweis in Form der confessio der nach dem Urteil obsiegenden Partei widerlegt werden können.77 Die obsiegende Partei konnte das Urteil daher als unrichtig anerkennen, wodurch die Vermutungswirkung entfiel. 78 Unklar blieb zunächst das Verhältnis der Maxime res iudicata pro veritate accipitur zu einer zweiten häufig herangezogenen Formel, wonach das Urteil Recht schaffe (sententia facit ius). Einige Kommentatoren gingen von einem Gleichlauf der beiden Maximen aus und nahmen daher an, dass sämtliche Urteile Recht erzeugten, wobei aber teilweise differenziert wurde zwischen Urteilen, die lediglich inter partes Recht schufen, und Entscheidungen, welche die Rechtslage gegenüber jedermann bestimmen sollten. 79 Verbreitet wurde aber angenommen, dass die beiden Maximen keinen übereinstimmenden Anwendungsbereich und Sinngehalt hatten: Während sententia facit ius nur bei bestimmten Urteilen gelte, deren Inhalt gegenüber jedermann wirken sollte, regelte der Grundsatz res iudicata pro veritate accipitur nach dieser Ansicht nur das Verhältnis zwischen den Parteien des Rechtsstreites, wobei die mit der res iudicata verbundene praesumptio keine neue Rechtslage oder Wahrheit

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Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 208. So Pugliese, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 515, 516. 75 Anzeichen für eine Verortung im Beweisrecht glaubt Pugliese allerdings schon in Texten des 12. Jahrhunderts erkennen zu können, in denen sich die Aussage findet, die auctoritas rei iudicatae schließe die bereits entschiedene Frage von der Diskussion vor Gericht aus: Da dies zur Folge habe, dass über die betreffende Frage auch keine Beweisführung erfolgen konnte, sei in diesen Textstellen der „Keim“ der beweisrechtlichen Verortung der res iudicata zu sehen (Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 763). 76 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 771. 77 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 772; Puza, Res iudicata, S. 101. 78 Puza, Res iudicata, S. 101. 79 So insbesondere Baldus de Ubaldis, vgl. Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 772. 74

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1. Kapitel: Gemeinsame historische Grundlagen

schaffen, sondern lediglich dem Beweis dienen sollte. 80 Entsprechend war gegen die praesumptio der Gegenbeweis durch confessio möglich, wohingegen ein Gegenbeweis bei den Urteilen mit rechtserzeugender Wirkung ausgeschlossen war.81 Es zeigt sich also eine Unterscheidung zwischen einer absoluten (erga omnes) und einer relativen Urteilswirkung (inter partes). Bei den Kanonisten erfuhr die Einordnung der res iudicata als beweisrechtliches Institut eine zusätzliche theoretische Stütze, da die Entscheidung dort als Quelle des notorium angesehen wurde, mit der Folge, dass der Entscheidungsinhalt nicht mehr bewiesen werden musste. 82 Die Theorie des notorium blieb aber auch in der Folgezeit auf den kirchlichen Prozess beschränkt und hatte auf die spätere Rechtskraftlehre keinen Einfluss. Dagegen war die Konzeption der res iudicata als Rechtsvermutung von ungleich größerer Bedeutung für die spätere Entwicklung der Rechtskraftlehre. Zwar griff die Rechtswissenschaft nur bis in das 16. Jahrhundert auf die praesumptio iuris et de iure zurück und gab diese in der unmittelbaren Folge zugunsten der Vorstellung des durch die rechtskräftige Entscheidung geschaffenen ius inter partes auf. 83 Jedoch wurde sie nach dem Aufgreifen der Idee durch Domat im 17. Jahrhundert in Frankreich zum Fundament der französischen Rechtskraftlehre und strahlte nach der Verankerung im Code Civil auf den gesamten romanischen Rechtskreis aus. 84 D. Zusammenfassung Die von den Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten des europäischen Hochmittelalters entwickelten Ansätze einer dogmatischen Ausformung der res iudicata führten damit zu einer deutlichen Weiterentwicklung dieser Rechtsfigur, die mit der res iudicata des klassischen und nachklassischen römischen Verfahrensrechts keine große Ähnlichkeit mehr hatte. 85 Wenn dabei auch noch nicht von einer einheitlichen Theorie der Rechtskraft gesprochen

80 Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 207; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 772; ausführlich zu der insbesondere von Bartolus de Saxoferrato, Jacobus de Ravanis und Paulus de Castro vertretenen Ansicht: Pugliese, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 515, 526 ss. 81 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 772. 82 Lévy, La hiérarchie des preuves dans le droit savant du Moyen-age, p. 61; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 773. 83 Puza, Res iudicata, S. 102; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 775. 84 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 773. 85 Vgl. die Einschätzung Chiovendas, die mittelalterliche Rechtskraftlehre habe mit der römischen nicht viel mehr als den Namen gemein: „Ma la dottrina della cosa giudicata, come si venne formando nel diritto italiano medievale non ha di romana se non il nome o poco più.“ (Chiovenda, Sulla cosa giudicata, in: Saggi di diritto processuale civile – Vol. 2, p. 399, 402).

§ 2 Res iudicata im Hochmittelalter

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werden kann,86 so bildeten sich in dieser Zeit doch einige der dogmatischen Grundlinien heraus, in deren Bahnen sich die romanische Rechtskraftlehre später bewegen sollte.

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Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 206.

Zweites Kapitel

Die Rechtskraft im französischen und spanischen Recht § 1 Die französische Lehre von der autorité de la chose jugée § 1 Frankreich

Der deutschen Rechtskraft entspricht im französischen Recht die autorité de la chose jugée. Sie gehört zu den umstrittensten Instituten des französischen Prozessrechts. Der Grund hierfür liegt nicht nur in der Bedeutung dieses Grundsatzes. Vielmehr wirkt sich hier aus, dass die autorité de la chose jugée im Code civil und im Code de procédure civile – insbesondere anfänglich – nur eine sehr rudimentäre, noch dazu uneinheitliche gesetzliche Ausformung erhalten hat. Gleichzeitig kann auch die Rechtsprechung nur sehr bedingt als Stütze einer einheitlichen Rechtskraftdogmatik herangezogen werden. Denn der besondere französische Stil der Urteilsredaktion, der geprägt ist durch eine geradezu extreme Kürze, erschwert es, den gerichtlichen Entscheidungen klare Aussagen zu den Grundfragen der autorité de la chose jugée zu entnehmen. Die Schaffung eines dogmatischen Grundgerüsts blieb damit weitgehend der französischen Rechtswissenschaft überlassen. A. Historische Entwicklung Dieses Grundgerüst ist Produkt einer historischen Entwicklung, deren Wurzeln im römischen Recht und seiner hochmittelalterlichen Rezeption liegen, die aber insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert eine eigenständige französische Prägung erhalten und in dieser Form auch in andere europäische Rechtsordnungen ausgestrahlt hat. Entsprechend der Zielsetzung der Arbeit wird sich die historische Darstellung auf jene Rechtsentwicklungen beschränken, die die heutige französische Rechtskraftlehre und insbesondere die Entstehung des Art. 1351 Code civil als Normierung der autorité de la chose jugée maßgeblich beeinflusst haben. I. Gesetzesrecht und Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts 1. Die Ordonnance de Saint Germain-en-Laye von 1667 Die mit dem erneuten Erstarken des französischen Königstums ab dem 14. Jahrhundert verbundene Ausweitung der königlichen Gesetzgebungsmacht ermöglichte eine gegenüber den zuvor lokal begrenzten Prozessregeln stärkere

§ 1 Frankreich

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Vereinheitlichung des Verfahrensrechts durch königliche ordonnances. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die 1667 unter Ludwig XIV. erlassene Ordonnance de Saint Germain-en-Laye, die im Rahmen einer umfassenden Justizreform das Zivilverfahrensrecht neu ordnete und sich dabei auch Fragen widmete, die der Rechtkraftlehre zugerechnet werden können. So beschrieb Article V des die Vollstreckung des Urteils behandelnden Titel XXVII der Ordonnance von 1667 mit dem Begriff der „Kraft der entschiedenen Sache“ (force de chose jugée) eine Qualität bestimmter Entscheidungen: Diese force de chose jugée sollte nur Entscheidungen zukommen, welche nicht oder nicht mehr durch Rechtsmittel angefochten werden konnten.1 Hierin lässt sich eine Anknüpfung an die kanonistische Tradition des Spätmittelalters erkennen, nach der die res iudicata von der Unanfechtbarkeit der Entscheidung abhängig war. In verschiedenen Regelungen der Ordonnance kommt zudem zum Ausdruck, dass ein Rechtsstreit durch die ergangene Entscheidung endgültig beenden sein und daher nicht nochmals zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden sollte. So ließ Titel XXXV, Art. XXXIV (am Ende) ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Wege der requête civile auf Grund eines erst nach dem Urteil entdeckten Beweisstücks nur dann zu, wenn dieses Beweisstück von der anderen Seite zurückgehalten worden war.2 Dass selbst das Auffinden eines neuen Beweisstücks nur in diesem klar begrenzten Fall zum Wiederaufgreifen des Verfahrens führen sollte, spricht dafür, dass die Ordonnance von 1667 grundsätzlich davon ausging, dass der Rechtsstreit durch die ergangene Entscheidung endgültig und abschließend geklärt sein sollte. Dieser Gedanke wird jedoch nicht ausdrücklich formuliert und zudem nicht mit der force de chose jugée in Verbindung gebracht. Zum Verhältnis des bereits durch Urteil abgeschlossenen Prozesses zu späteren Verfahren gleichen Inhalts äußerte sich die Ordonnance von 1667 damit nur andeutungsweise. 1 Neben letztinstanzlichen Entscheidungen betraf dies Fälle, in denen die Einlegung eines Rechtsmittels nicht (mehr) zulässig war, weil die Parteien das Urteil formell anerkannt hatten, die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels verstrichen war oder weil das Rechtsmittel wegen unterbliebener Weiterführung des Rechtsmittelverfahrens für verwirkt erklärt wurde, Titre XXVII, Art. V de l’Ordonnance de Louis XIV donnée à Saint Germain-en-Laye: „Les Sentences et Jugements qui doivent passer en force de chose jugée, sont ceux rendus en dernier ressort, et dont il n’y a appel, ou dont l’appel n’est pas recevable, soit que les parties y eussent formellement acquiescé, ou quelles n’en eussent interjeté appel dans le temps, ou que l’appel ait esté declaré péri.“ (Zitat nach der Ausgabe der Ordonnance de Louis XIV, Roi de France et de Navarre, donnée à Saint Germain-en-Laye au mois d'Avril 1667, Tome III, Paris 1785, p. 182). 2 Titre XXXV, Art. XXXIV de l’Ordonnance de Louis XIV donnée à Saint Germain -enLaye: „Il y aura pareillement ouverture de Requète civile, […] s’il ya des piéces décisives nouvellement recouvrées, et retenues par le fait de la Partie.“ (Ausgabe Paris 1785, p. 264/265).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

2. Die Rechtskraft in der französischen Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts Von Einfluss auf die spätere Rechtskraftlehre ist denn auch weniger das insoweit noch rudimentäre Gesetzesrecht als die in der Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit den Instituten des römischen Rechts entwickelte Lehre einer autorité de la chose jugée. Besondere Bedeutung kommt dabei den Rechtsgelehrten Domat und Pothier zu, welche in ihren Werken3 das Fundament der heutigen französischen Rechtskraftlehre legten und maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des Art. 1351 des Code civil hatten.4 a. Die Wahrheitsvermutung („présomption de la vérité“) bei Domat Nachdem das Verständnis als praesumptio seit dem 16. Jahrhundert in der wissenschaftlichen Betrachtung der res iudicata gegenüber der Vorstellung eines durch die gerichtliche Entscheidung geschaffenen Rechts in den Hintergrund getreten war,5 wurde die Einordnung der res iudicata als Rechtsvermutung Ende des 17. Jahrhunderts von dem französischen Rechtgelehrten Jean Domat in dessen Werk „Les loix civiles dans leur ordre naturel“ wieder aufgegriffen. Im dritten Buch des ersten Bandes behandelte Domat die chose jugée im Rahmen seiner Ausführungen zum Beweisrecht.6 In Übertragung des UlpianZitates res iudicata pro veritate accipitur formulierte er dort den zentralen Satz

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Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel, Paris 1745 (die Erstauflage der Bände wurde zwischen 1689 und 1695 veröffentlicht). Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier – Tome II, nouvelle éd. Paris 1821 (die Erstauflage des „Traité des obligations“ wurde 1761 in Orléans veröffentlicht). 4 Zum Einfluss der beiden Autoren auf die Entstehung des Art. 1351 Code civil: Fenet, Recueil complet des travaux préparatoires du Code civil, Tome XIII – Discussions, motifs, rapports et discours VIII, Livre III, Titre III, p. 217 (Bigot-Préameneu, Présentation au corps législatif et exposé des motifs), p. 313 (Rapport fait par le Tribun Favart sur les quatre premiers chapitres)); vgl. auch Couture, Revue internationale de droit comparé 1954, p. 681, 682; Mendelssohn Bartholdy, Grenzen der Rechtskraft, S. 52; Pugliese, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 503, 510. 5 Noch Anfang des 17. Jahrhunderts findet die Theorie der praesumptio iuris et de iure beispielsweise im Werk De rerum iudicatarum auctoritate des Rechtsgelehrten Didier Hérault (Heraldus) nicht einmal Erwähnung; vielmehr nimmt dieser mit der herrschenden Meinung seiner Zeit an, die gerichtliche Entscheidung schaffe neues Recht zwischen den Parteien (vgl. die Darstellung mit Zitaten bei Pugliese, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile XXI (1967), p. 503, 538 s.). 6 Domat, Les loix civile I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI („Des preuves & présomptions, & du serment“) (p. 241 ss.).

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seiner Rechtskraftkonzeption, wonach die chose jugée an die Stelle der Wahrheit trete („La chose jugée tient lieux de verité“). 7 Damit war nach Domats Verständnis allerdings nicht gemeint, dass die gerichtliche Entscheidung eine neue Wahrheit oder neue Rechtslage schuf. Vielmehr sollte die chose jugée beweisen, dass das Verhältnis zwischen den Parteien in der im Urteil niedergelegten Weise ausgestaltet sei: Werde im Rahmen eines Rechtsstreites zweier Brüder über den Nachlass ihres Vaters durch gerichtlichen Beschluss die – nach damaligem Recht die Erbfähigkeit ausschließende – Eigenschaft eines der Brüder als Ordensgeistlicher festgestellt, so sei diese „Tatsache“ als wahr und bewiesen anzusehen, mit der Folge, dass dem Betreffenden keine Erbenstellung zukommen könne. 8 Der chose jugée schrieb Domat die Wirkung einer Vermutung zu. Er unterschied dabei zwischen Vermutungen, deren Wirkung als Beweis gesetzlich angeordnet sei, und solchen, bei denen das Gesetz die Annahme der Beweiskraft der Einschätzung des Richters im konkreten Einzelfall überlasse. 9 Die chose jugée ordnete er den erstgenannten Vermutungen zu, deren Beweiskraft gesetzlich angeordnet werde. 10 Bei der Begründung der von ihm aufgestellten Grundsätze stützte er sich zwar unmittelbar auf die justinianischen Rechtsquellen, insbesondere auf die Ulpian zuzuordnende Digestenstelle res iudicata pro veritate accipitur. 11 Trotz dieses Versuchs der unmittelbaren Bezugnahme auf die römischen Quellen ist seine Lehre von der chose jugée geprägt von der Interpretation des römischen Rechts durch die Kommentatoren. Denn mit der Einordnung der chose jugée als présomption griff er jene dogmatische Denkrichtung auf, welche im 13. und 14. Jahrhundert vor allem Bartolus de Saxoferrato, Jacobus de Ravanis und Paulus de Castro vertreten hatten und nach der die res iudicata als praesumptio iuris et de iure anzusehen war.12 Anders als die Kommentatoren äußerte sich 7 Domat, Les loix civile I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section I: IX (n° 9): „La chose tient lieu de verité.“) (p. 243). 8 Domat, Les loix civile I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section I: IX (n° 9), (p. 243): „[…] si entre deux freres l’un qui prétendoit part en la succession de leur pere a été déclaré par un Arrêt, Religieux Profès, ce fait sera tenu pour vrai, & bien prouvé; & il sera incapable d’avoir part en la sucession.“ 9 Domat, Les loix civile I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section IV: V (n° 5): „Deux sortes de présomptions » (p. 251): „[…] l’une de celles qui sont authorisées par les Loix, & et qu’il est ordonné de prendre pour preuves: & l’autre de celles dont les Loix laissent l’effet à la prudence du Juge, qui doit discerner ce qui peut suffire ou ne pas suffire pour donner à une présomption la force de preuve.“ 10 Domat, Les loix civile I, 1re Partie, Livre III, Titre VI, Section IV: V (n° 5) (p. 251): „Ainsi les Loix veulent qu’une chose jugée passe pour verité.“ (unter Verweis auf res iudicata pro veritate accipitur in Fußnote f). 11 Domat, Les loix civile I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section I: IX (n° 9), Fußnote m (p. 243); Titre VI, Section IV, n° V (n° 5), Fußnote f (p. 251). 12 Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 782.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Domat allerdings nicht zu der Frage, ob die gesetzliche Vermutung, insbesondere durch confessio der obsiegenden Partei, widerleglich sein sollte. Mochte seine dogmatische Verortung der chose jugée damit auch von der Vorstellung seiner Zeitgenossen von einem durch die Entscheidung geschaffen Recht deutlich abweichen, so blieb aufgrund Domats Schweigen zur Möglichkeit des Gegenbeweises unklar, ob sich dieser Sonderweg auch in seiner praktischen Konsequenz von der Theorie eines durch das Urteil unwiderleglich geschaffenen Rechts unterschied. 13 Domat beschränkte sich aber nicht auf Ausführungen zur Wirkungsweise der chose jugée, sondern bestimmte daneben auch die Unanfechtbarkeit der Entscheidung zur Voraussetzung der chose jugée: Diese trat nach seinem Verständnis nur ein, wenn die Parteien kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt hatten oder wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben war. 14 Domat folgte damit der kanonistischen Tradition, in der sich – wie bereits dargestellt – schon seit dem 12. Jahrhundert die Unanfechtbarkeit der Entscheidung zur Voraussetzung der res iudicata herausgebildet hatte. Gleichzeitig hob Domat hervor, dass sich die Wirkung der chose jugée auf die Parteien des Verfahrens beschränkte: Nach seiner Ansicht griff die Vermutung nicht gegenüber Dritten, so dass Dritte die jeweiligen Tatsachen beweisen konnten und mussten. 15 Zur Begründung führte Domat an, dass ein Dritter möglicherweise „Gründe“ hätte vortragen können, die im Verfahren, in dem die Entscheidung erging, nicht vorgetragen wurden. 16 Die Bedeutung des Werks Domats für die weitere Entwicklung der französischen Rechtskraftlehre liegt in der Wiederbelebung der spätmittelalterlichen Theorie der res iudicata als praesumptio iuris et de iure und der Einordnung der chose jugée als gesetzliche Vermutung. Dagegen wird sich die von ihm getroffene Verknüpfung der chose jugée mit der Unanfechtbarkeit auf lange Sicht in der französischen Rechtskraftlehre nicht durchsetzen. b. Die „autorité de la chose jugée“ im Werk Robert Joseph Pothiers Domats Ansatz einer Verortung der chose jugée im Beweisrecht wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von dem Rechtsgelehrten und Präsidialgerichtsrat Robert Joseph Pothier aufgegriffen und fortentwickelt. Pothiers Ausführungen zur

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Dies bezweifelt Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 782. Domat, Les loix civiles I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section I: IX (n° 9) (p. 243): „[…] s’ils n’ont appellé, ou s’il ne peut point y avoir d’appel.“ 15 Domat, Les loix civiles I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section I: IX (n° 9) (p. 243). 16 Domat, Les loix civiles I, 1 re Partie, Livre III, Titre VI, Section I: IX (n° 9) (p. 243): „Les choses jugées tiennent lieu de la verité à l’égard de ceux avec qui elles sont jugées […]. Mais les faits jugéz avec d’autres que ceux qui les contestent, sont indécis à leur égard, & il faut les prouver; car ils pourroient avoir des raisons qui n’auroient pas été alleguées. “ 14

§ 1 Frankreich

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autorité de la chose jugée in seinem „Traité des Obligations“ waren von prägendem Einfluss auf die spätere französische Rechtskraftlehre und bildeten die Grundlage der Kodifikation der autorité de la chose jugée in Art. 1351 des Code civil. Pothier stützte seine Arbeit insbesondere auf das in den justinianischen Gesetzessammlungen wiedergegebene römische Recht. Auf eine Übernahme der Lösungen des römischen Rechts verzichtete er jedoch dort, wo diese seiner Ansicht nach der französischen Rechtsentwicklung widersprachen, die er insbesondere in der Ordonannce von 1667 verkörpert sah.17 Pothier behandelte die autorité de la chose jugée in seinem „Traité des Obligations“ als Frage des Schuldrechts, genauer des die schuldrechtlichen Forderungen und deren Erfüllung betreffenden Beweisrechts. Diese Einordnung lieferte später bei der Schaffung des Code civil das Vorbild für die systematische Verortung der autorité de la chose jugée in Art. 1351 Code civil. Ausführlich behandelte Pothier die Wirkung der autorité de la chose jugée. Der Einordnung Domats folgend, sah er die autorité de la chose jugée als présomption iuris et de iure an, auf Grund derer der Inhalt der Entscheidung als wahr und gerecht („vrai et équitable“) anzusehen sei. 18 Im Unterschied zu Domat äußerte sich Pothier auch ausdrücklich zur Frage der Widerlegbarkeit dieser Vermutung: Die gesetzliche Vermutung schloss danach jeden Gegenbeweis aus. 19 Grundsätzlich sollten weder das Vorliegen eines Fehlers noch das nachträgliche Auffinden entscheidender Beweisstücke (pièces décisives) eine Durchbrechung der autorité de la chose jugée rechtfertigen. Zwei Ausnahmen hiervon bejahte Pothier: Ein Rechenfehler des Richters, der sich aus dem Urteilsspruch selbst ergebe, könne berichtigt werden.20 Zudem könne das nachträgliche Auffinden eines entscheidenden Beweisstücks ausnahmsweise dann die Bindung durch die rechtskräftige Entscheidung beseitigen, wenn das Beweisstück von der Gegenseite zurückgehalten worden war. 21 Auch wie die autorité de la chose jugée im späteren Verfahren zu berücksichtigen sei, beantwortete Pothier: Die autorité de la chose jugée begründete nach seiner Konzeption im nachfolgenden Verfahren eine exception und hatte die Abweisung der Klage ohne Eintritt in die Sachprüfung zur Folge. 22 Anders als Domat äußerte sich Pothier zudem ausführlich zum Gegenstand der chose jugée, wobei er sich hier in besonders augenfälliger Weise vom Vor-

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Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 888, p. 285 (hinsichtlich der Frage, wann neu aufgefundene Beweismittel eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens rechtfertigen). 18 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 886, p. 292 s. 19 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 888, p. 284. 20 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 888, p. 284. 21 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 888, p. 285. 22 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 888, p. 284.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

bild der Digesten leiten ließ: Die autorité de la chose jugée schloss nach Pothier ein erneutes Verfahren nur aus, wenn dessen Gegenstand (objet) mit dem des ersten Prozesses übereinstimmte. Ob das objet der Verfahren identisch war, machte Pothier dabei von der Übereinstimmung der chose und der cause abhängig, zudem müssten dieselben Parteien in beiden Verfahren in derselben Eigenschaft auftreten.23 Deutlich tritt hier der Vorbildcharakter des römischen Rechts hervor, übertrug Pothier hiermit doch letztlich die Definition der Voraussetzungen der exceptio rei iudicatae in der Digestenstelle D. 44, 2, 12–14 in leicht reduzierter Form ins Französische. Mit dieser stark am römischrechtlichen Vorbild orientierten Bestimmung des Gegenstandes der chose jugée formulierte Pothier die Voraussetzung der dreifachen Identität (triple identité), wie sie heute in Art. 1351 Code Civil niedergelegt ist. Die einzelnen Elemente des Identitätserfordernisses bestimmte er dabei näher. In seinen Ausführungen zur Identität der chose hob er hervor, dass bei einer Teilklage ein späteres Verfahren hinsichtlich des restlichen Teils nicht mehr möglich sei.24 Auch sollte die rechtskräftige Entscheidung über eine Hauptsache oder Hauptforderung eine spätere Klage hinsichtlich der Früchte der Sache bzw. der Zinsen aus der Forderung ausschließen.25 Bei der Bestimmung der cause unterschied er nach dem Vorbild des römischen Rechts zwischen persönlichen Klagen (actions personelles) und Sachklagen (actions réelles): Während bei persönlichen Klagen der jeweilige Schuldgrund die cause begrenzen sollte, war der einzelne Grund des Rechtserwerbs bei Realklagen nach Pothier ohne Einfluss auf die Reichweite der autorité de la chose jugée.26 Die autorité de la chose jugée stand daher einer späteren Klage auf Grundlage einer action personelle nicht entgegen, mit der dieselbe chose auf Grundlage eines anderen Schuldgrundes geltend gemacht wurde. Bei den actions réelles sollte dagegen die nach Abweisung der ersten Klage auf Herausgabe einer bestimmten Sache erhobene, auf einen anderen Erwerbsgrund gestützte Herausgabeklage ausgeschlossen sein.27 Der Sperrung der erneuten Herausgabeklage stand nach Pothier nicht entgegen, dass der Kläger das seinen Rechtserwerb nun stützende Vorbringen (moyen) im ersten Verfahren nicht vorgetragen hatte, es genüge, dass er das jeweilige moyen im Vorverfahren hätte vorbringen können. 28 Dies relativierte 23

Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 889, p. 285 s. Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 891, p. 287. 25 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 892/893, p. 287 s. 26 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 895, p. 290 s. Dies begründete Pothier damit, dass es nur ein Eigentumsrecht an einer bestimmten Sache geben könne, wohingegen eine bestimmte geschuldete chose aufgrund verschiedenster Forderungen geschuldet sein könne (p. 291). 27 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 895, p. 289 ss. 28 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 895, p. 291 („Il n’importe que j’aie omis de proposer quelque moyen pour lequel je pouvois établir mon droit de proprieté; il suffit qi’il ait put être proposé.“). 24

§ 1 Frankreich

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Pothier allerdings wieder, indem er die zu den Realklagen getroffene Aussage auf den Fall beschränkte, in dem der Kläger die Herausgabeklage allgemein und unbegrenzt geltend gemacht hatte.29 Wenn die Partei ihre Klage dagegen im Erstverfahren ausdrücklich auf ein bestimmtes moyen beschränkt hatte, sollte die autorité de la chose jugée einer späteren Herausgabeklage auf Grundlage eines abweichenden moyen nicht entgegenstehen.30 In subjektiver Hinsicht verlangte Pothier die Identität der Parteien. Mit der Formulierung des Erfordernisses, die Parteien müssten sich in derselben Eigenschaft (même qualité) gegenüberstehen, war wohl nicht gemeint, dass eine Bindung durch das erste Urteil nur bestand, wenn der Kläger auch im zweiten Prozess als Kläger gegenüber dem Beklagten auftrat, nicht aber dann, wenn der Beklagte später klagte. Vielmehr scheint die qualité die Beziehung zur geltend gemachten Forderung oder eingeklagten Sache im Sinne einer Prozessführungsbefugnis oder Sachlegitimation zu bezeichnen: Hierfür spricht das von Pothier für den Wechsel der qualité gegebene Beispiel, wonach die als Vormund eines Minderjährigen geführte Klage über dieselbe Sache die spätere Klage im eigenen Namen nicht ausschließe. 31 Ausführlich widmete sich Pothier auch der Frage, welche gerichtlichen Entscheidungen der Rechtskraft fähig waren. Dabei formulierte er den Grundsatz, dass die autorité de la chose jugée nur Entscheidungen zukomme, die den Rechtsstreit durch Verurteilung oder Klageabweisung endgültig entschieden, sog. jugements définitifs. 32 Bei vorläufigen Verurteilungen (condamnations provisionelles) und bei bloßen Interlokuten (sentences ou arrêts interlocu-

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Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 896, p. 291 („Ce que nous venons de dire à l’égard de l’action réelle n’a lieu lorsqu’elle a été donnée d’une manière générale et sans restriction.“). 30 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 895, p. 291 s. („[M]ais quant à la demande que j’ai donné, si je l’avais restreinte à un certain moyen, par lequel je me prétendois propriétaire d’une chose, le jugement qui a jugé que je n’étois pas fondé dans ce moyen, ne m’excluroit pas de pouvoir revendiquer la même chose par les autres moyens sur lesquels je prétends pouvoir établir qu’elle m’appartient.“). Ob die Fundstelle des römischen Rechts, welche Pothier zur Veranschaulichung dieser Begrenzung der cause durch das jeweils gelten gemachte moyen heranzog, allerdings für alle Fälle reiner Herausgabeklagen verallgemeinerungsfähig ist, erscheint zweifelhaft, beschrieb die Fundstelle doch den Fall, dass der Kläger ein Testament aus verschiedenen Gründen anficht und auf dieser Grundlage vom testamentarischen Erben die Herausgabe des Nachlasses verlangt. Das abweichende Vorbringen betrifft hier die Begründung der durch Klage erfolgenden Testamentsanfechtung und nur indirekt die Begründung des Herausgabeantrags (der Eigentumserwerb, auf den sich der Kläger beruft, beruht ja letztlich unabhängig vom Anfechtungsgrund auf dem Erwerb im Wege der erbechtlichen Rechtsnachfolge). 31 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 898, p. 293. 32 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 851, p. 262.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

toires), die keine Verurteilung oder Klageabweisung enthielten, sollte daher keine présomption iuris et de iure begründet werden.33 Wann einem jugement définitif die autorité de la chose jugée zukommen sollte, bestimmte Pothier unter ausdrücklichem Rückgriff auf die Regelung des Art. V, Titre XXVII der Ordonnance de Saint Germain-en-Laye von 1667 zur force de la chose jugée. 34 Die force de la chose jugée sollte danach jenen Entscheidungen zukommen, die in letzter Instanz ergingen, gegen die ein Rechtsmittel nicht statthaft oder nicht mehr zulässig war oder bei denen das Rechtsmittel verwirkt war. Pothier äußerte sich in diesem Rahmen auch zum Verhältnis der autorité de la chose jugée zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Er nahm an, dass auch einer Entscheidung, gegen die noch Berufung eingelegt werden konnte, eine „Art materielle Rechtskraft“ zukomme und dass bereits mit Urteilserlass eine „Art Vermutung“ entstehe. 35 Diese Urteilswirkung bestehe aber nur vorübergehend und entfalle, sobald die Berufung eingelegt werde. 36 Sie sei deshalb von der dauerhaften autorité de la chose jugée zu unterscheiden, die nur bei nicht (mehr) eröffnetem Rechtsmittel eintrete. 37 Denn die Wirkung des noch durch Rechtsmittel anfechtbaren, wenn auch vorläufig vollstreckbaren Urteils sei letztlich mit der Wirkung einer vorläufigen Entscheidung gleichzustellen, bei der eine autorité de la chose jugée ja gerade ausgeschlossen sei. 38 Insgesamt scheint Pothier damit von einem Gleichlauf zwischen force und autorité de la chose jugée auszugehen und eine autorité de la chose jugée im eigentlichen Sinne nur bei Unanfechtbarkeit der Entscheidung anzunehmen. Hierfür spricht nicht nur seine bereits erwähnte Aussage, die Wirkung des noch durch Rechtsmittel anfechtbaren Urteils sei letztlich mit der Wirkung einer vorläufigen Entscheidung gleichzustellen, sondern auch die an anderer Stelle vorgenommene ausdrückliche Verknüpfung der présomption juris et de jure mit der force de la chose jugée. 39 Dem Beispiel Domats und damit auch von Teilen der Kommentatoren und Kanonisten des Spätmittelalters folgend, festigte Pothier die Einordnung der chose jugée als présomption juris et de jure und deren Einordnung im Beweisrecht bei den Schuldverhältnissen. Neben dieser systematischen Verortung ist es aber insbesondere seine Definition des Gegenstandes der Rechtskraft durch 33

Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 851, p. 262 s. Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 852, p. 263. 35 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 853, p. 263: „une espéce d’autorité de chose jugée“, „une espéce de présomption juris et de jure“. 36 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 853, p. 263: „[…] mais cette autorité, et la présomption qui en résulte, ne sont que momentanées, et sont détruites aussitôt qu’il y a un appel interjeté.“ 37 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 854, p. 264: „autorité de la chose jugée stable et perpétuelle“. 38 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 853, p. 264. 39 Pothier, Traité des obligations, in: Oeuvres de Pothier II, n° 861, p. 270. 34

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die triple identité, die sich fast wörtlich in der Regelung des Art. 1351 Code civil wiederfindet. Deutlich wird Pothiers Wille, die rechtskraftfähigen Entscheidungen zu bestimmen und das Verhältnis zur Anfechtbarkeit durch Rechtsmittel zu klären. Wenn Pothier aber zunächst auch dem noch anfechtbaren Urteil, dem nach der Kategorisierung der Ordonnance von 1667 keine force de la chose jugée zukam, eine „Art“ autorité de la chose jugée zugestand, diese dann aber von einer eigentlichen und dauerhaften autorité de la chose jugée unterschied, zeigt sich eine terminologische Unschärfe. II. Die napoleonische Gesetzgebung zu Beginn des 19. Jahrhunderts Das Projekt eines einheitlichen Zivilrechts und Zivilprozessrechts, welches bereits im unmittelbaren Anschluss an die Revolution von 1789 verfolgt worden war, fand erst unter Napoleon tatsächliche Umsetzung. Die im Jahre 1800 von der Konsulatsregierung mit der Schaffung eines einheitlichen Code civil beauftragten Juristen Tronchet, Portalis, Maleville und Bigot-Préameneu schufen einen Gesetzesentwurf, der 1804 in Kraft trat. Die Schöpfer dieses bedeutenden Gesetzeswerkes sahen dabei das römische Recht als Grundlage ihres Gesetzgebungsprojekts an, griffen aber ausdrücklich auf die Werke Domats und Pothiers und deren Rezeption des römischen Rechts zurück. 40 Die systematische Stellung im Code Civil und die Bestimmung des Gegenstandes der autorité de la chose jugée gehen auf die Werke dieser beiden Juristen zurück. Der systematischen Einordnung bei Pothier entsprechend fand die autorité de la chose jugée ihren Regelungsstandort im materiellen Zivilrecht, genauer im allgemeinen Schuldrecht des Titels über die vertraglichen Schuldverhältnisse41 im den Eigentumserwerb regelnden dritten Buch des Code civil von 1804. 42 Im Kapitel zum schuldrechtlichen Beweisrecht 43 wird die autorité de la chose jugée dem Vorbild Domats und Pothiers folgend als gesetzliche Vermutung (présomption établie par la loi) eingeordnet. 44 Die mit der Schaffung des Code civil betrauten Juristen waren dabei von einer Unterteilung der Vermutungen in drei Formen ausgegangen und übernahmen diese in den Code civil: Sie unterschieden zwischen den présomptions juris et de jure als gesetzlichen, unwiderleglichen Rechtsvermutungen, den présomptions de droit, bei denen im Gegensatz zu den Vermutungen juris et de jure ein Gegenbeweis 40 Présentation au corps législatif et exposé des motifs, par M. Bigot-Préamenau, in: Fenet, Recueil complet des travaux préparatoire du Code Civil XIII – Discussions, motifs, rapports et discours VIII, Livre III, Titre III, p. 217. 41 Titre III. Des contrats ou des obligations conventionelles en general. 42 Livre III. Des différentes manières dont on acquiert la proprieté. 43 Chapitre VI. De la preuve des obligations et de celle du paiement. 44 Art. 1350 Code civil: „La présomptions légale est celle qui est attacheée par une loi spécale à certains actes ou à certains faits; tels sont: […] 3° L’autorité que la loi attribue à la chose jugée; […].“

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zulässig sein sollte, und den nicht gesetzlich geregelten Vermutungen tatsächlicher Natur.45 Die beweisrechtliche Wirkung der gesetzlichen Vermutung wurde in Art. 1352 Code civil geregelt. Danach war zum einen derjenige, den die Vermutung begünstigte, von jeglichem Beweis hinsichtlich des Vermutungsgehalts, bei der autorité de la chose jugée also hinsichtlich der Richtigkeit des Entscheidungsinhaltes, befreit. Zum anderen war bei jenen présomptions de la loi, die die Nichtigkeit bestimmter Handlungen oder die Unzulässigkeit einer Klage zur Folge hatten, der Gegenbeweis ausgeschlossen.46 Indem die Väter des Code civil die autorité de la chose jugée diesen présomptions zuordneten,47 folgten sie wiederum der Ansicht Pothiers, der die mit der autorité de la chose jugée verbundene gesetzliche Vermutung als unwiderleglich verstanden hatte. Der Lehre Pothiers folgten die Väter des Code civil auch bei der Definition der Grenzen der autorité de la chose jugée in Art. 1351 Code civil durch Verankerung des Erfordernisses der dreifachen Identität der chose demandée, der cause und der in derselben Eigenschaft auftretenden Parteien. Art. 1351 Code civil entspricht dabei fast wörtlich den entsprechenden Ausführungen Pothiers in n° 889 seines „Traité des Obligations“. Welche Wirkung der autorité de la chose jugée in einem späteren Prozess zukommen sollte und in welchem Verhältnis sie zur force de la chose jugée stand, blieb in der napoleonischen Gesetzgebung dagegen ungeregelt. Im 1806 erlassenen Code de procédure civile findet die autorité de la chose jugée überhaupt keine Erwähnung. Auf die force de chose jugée nimmt der Code von 1806 dagegen an verschiedenen Stellen Bezug, ohne dass der Begriff jedoch

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Présentation au corps législatif et exposé des motifs, par M. Bigot-Préamenau, in: Fenet, Recueil complet des travaux préparatoire du Code Civil XIII – Discussions, motifs, rapports et discours VIII, Livre III, Titre III, p. 305. Die Unterscheidung ist im Gesetzestext in Art. 1352, al. 2 Code civil angedeutet; die Regelung wurde aber schon früh wegen der Unschärfe der Bestimmung der unwiderleglichen Vermutungen kritisiert (vgl. Demolombe, Traité des contrats ou des obligations conventionnelles en général – Tome 7 e, n° 263, p. 240: „La rédaction [de l’article 1352] est si obscure qu’elle a soulevé l’une des difficultés d’interprétation les plus grave de notre droit nouveau!“. 46 Art. 1352 Code civil: „La présomption légale dispense de toute preuve celui au profit duquel elle existe. Nulle preuve n’est admise contre la présomption de la loi, lorsque, sur le fondement de cette présomption, elle annule certains actes ou dénie l’action en justice, à moins qu’elle n’ait réservé la preuve contraire et sauf ce qui sera dit sur le serment et l’aveu judiciaires.“ 47 Dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von dieser Zuordnung der autorité de la chose jugée ausgegangen wurde, ergibt sich ausdrücklich zwar nicht aus den exposés des motifs, jedoch beispielsweise aus den Stellungnahmen der Berufungsgerichte zum Gesetzesprojekt: Obsérvations des commissaires de tribunal d’appel de Paris, in: Fenet, Recueil complet des travaux préparatoire du Code Civil V – Obsérvations des tribunaux d’appel III, n° 23, p. 237.

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definiert wurde oder in allgemeiner Form gesetzlich geklärt wurde, wann einem Urteil die force de chose jugée zukommen sollte. Dass die force de chose jugée aber entsprechend der Regelung in der Ordonnance von 1667, der auch Pothier gefolgt war, erst mit Unanfechtbarkeit eintreten sollte, deutet die Regelung des Art. 469 Code de procédure civile 1806 an: Danach sollte die Verwirkung der Berufung wie in der Ordonnance von 1667 den Eintritt der force de chose jugée zur Folge haben. Die force de chose jugée trat also nicht bereits mit Urteilserlass ein, sondern erst wenn die Entscheidung durch Verwirkung des Rechtsmittels unanfechtbar geworden war. Damit lässt sich festhalten, dass die autorité de la chose jugée im Code civil als gesetzliche und unwiderlegliche Vermutung ausgestaltet war und ihre Grenzen durch Art. 1351 Code civil zumindest grob bestimmt wurden. Eine klare gesetzliche Konzeption hinsichtlich der Wirkungsweise der autorité de la chose jugée sowie hinsichtlich der Frage, ob diese die Unanfechtbarkeit der Entscheidung voraussetzte und welches Verhältnis zur force de chose jugée bestand, ließ das Gesetz allerdings vermissen. An der Schnittstelle zwischen materiellrechtlich verstandenem Beweisrecht und Prozessrecht verzichtete die Gesetzgebung auf klare Regelungen. In der napoleonischen Gesetzgebung setzt sich damit jene Unschärfe der Behandlung der autorité de la chose jugée fort, die sich schon bei Pothier gezeigt hatte. So bedeutsam daher die Schaffung der napoleonischen Codes für die französische und gesamteuropäische Rechtsentwicklung insgesamt war, so rudimentär blieb die darin getroffene Regelung der Rechtskraft mit der Folge, dass die Entwicklung der französischen Rechtskraftlehre in der Folgezeit vor allem der Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen blieb. III. Zusammenfassung Die Einordnung der autorité de la chose jugée als gesetzliche Vermutung, wie sie bereits von Teilen der Kommentatoren des Spätmittelalters vertreten wurde, vermochte sich in den europäischen Rechtsordnungen zunächst zwar nicht durchzusetzen, entwickelte sich in Frankreich jedoch ab dem 17. Jahrhundert nach und nach zur herrschenden Begründung der autorité de la chose jugée. Anfang des 19. Jahrhunderts fand dieser Ansatz dann auch in den bis heute unveränderten Artikeln 1350 bis 1352 Code civil eine gesetzliche Verankerung. Da aber der Gesetzgeber auf eine detaillierte Ausformung einer Rechtskraftlehre verzichtete und sich zu vielen Teilaspekten nicht äußerte, bildeten die Regelungen des Code civil lediglich den Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung der Rechtskraftdogmatik, die sich von der gesetzlichen Konzeption des Code civil in Teilbereichen sogar gänzlich entfernte. Bleibende Bedeutung kommt aber dem Art. 1351 Code civil als gesetzliche Definition der Grenzen

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und des Gegenstandes der autorité de la chose jugée auf Grundlage der triple identité zu. B. Dogmatische Grundlagen Auch wenn die Normen der Artikel 1350 und 1351 Code civil seit 1804 unverändert geblieben sind und der französischen Rechtskraftlehre nach wie vor als Ausgangspunkt dienen, hat sich das Institut der autorité de la chose jugée seit Schaffung des Code civil deutlich gewandelt. Auch wenn der Gesetzgeber im 1973 eingeführten Nouveau Code de procédure civile zu einigen Gesichtspunkten der Rechtskraftlehre klarer Stellung bezog, als dies noch im Vorgängergesetz von 1806 der Fall war 48, ist dieser Wandel der Definition und der dogmatischen Begründung der autorité de la chose jugée das Produkt der bis heute kontrovers geführten rechtswissenschaftlichen Diskussion. I. Begriffsbestimmung und Abgrenzung von anderen Rechtsinstituten Die französische Dogmatik hat im Zusammenhang mit der Wirkung gerichtlicher Entscheidungen eine Vielzahl von Rechtsinstituten entwickelt, deren Abgrenzung von bzw. Zuordnung zur autorité de la chose jugée oft umstritten ist. Die Diskussion ist nicht nur geprägt durch die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten zur Bezeichnung der jeweiligen rechtlichen Phänomene, hinter diesen Begrifflichkeiten stehen vielmehr auch erheblich divergierende theoretische Begründungsansätze, 49 die eine einheitliche Darstellung der Rechtskraftdogmatik erschweren. Um den Gegenstand der folgenden Ausführungen klar zu bestimmen, bedarf es eines kurzen Blicks auf die terminologische und theoretische Diskussion. 1. Die Unterscheidung zwischen Urteilswirkungen und Urteilseigenschaften Nach dem Verständnis der traditionellen französischen Dogmatik hatte ein Urteil verschiedene Wirkungen, zu denen auch die autorité de la chose jugée gehörte. 50 Eine Kategorisierung der Urteilswirkungen wurde dagegen kaum vor-

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Insbesondere in den – allerdings erst 1975 eingeführten – Artikeln 480 ss. C.p.c. Vgl. die Einschätzung Thierry Le Bars’ im Rahmen seines Beitrags zum Kolloquium „Regards croisés sur l’autorité de la chose jugée“ der Université de Caen am 3./4. Mai 2007: „Mais le dialogue risque d’être difficile, parce que chacun ici a son propre langage qui n’est pas le langage du voisin. […] Et ce n’est pas qu’une question de terminologie. Derrière ces mots se cachent des visions théoriques parfois très éloignées les unes des autres. “ (Procédures 2007, Études n° 12, p. 9). 50 Vgl. Laborde-Lacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 814; Morel, Traité élémentaire, n° 569; Motulsky, Droit processuel, p. 261. 49

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genommen. Allenfalls wurde zwischen Urteilswirkungen mit materiellrechtlichem und Wirkungen mit prozessualem Charakter differenziert.51 Seit Mitte des 20. Jahrhunderts fand jedoch eine Ansicht zunehmende Ahängerschaft, nach der zwischen Urteilswirkungen (effets du jugement) und Urteilseigenschaften (attributs du jugement) zu unterscheiden sei. 52 Die Wirkungen eines Urteils seien dadurch gekennzeichnet, dass sie auf dem im Urteil niedergelegten Willen des Richters beruhten, wohingegen die Urteilseigenschaften kraft Gesetzes automatisch mit dem Urteil verbunden seien und sich aus der Natur des Urteils selbst bzw. aus dem außerhalb des Urteils manifestierten gesetzgeberischen Willen ergäben.53 Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, sei eine Unterteilung der Urteilswirkungen im weiteren Sinne in die Urteilseigenschaften und die Urteilswirkungen im engeren Sinne geboten. 54 Als Urteilswirkungen im engeren Sinne werden dabei lediglich die sog. efficacité substantielle und die efficacité procédurale angesehen.55 Die autorité de la chose jugée wird dagegen ebenso wie das dessaisissement du juge und die force exécutoire als Urteilseigenschaft eingeordnet. 56 Auch wenn einige Autoren an der Bezeichnung der autorité de la chose jugée als Urteilswirkung festhalten,57 kann die Differenzierung zwischen Urteilswirkungen und -eigenschaften heute wohl als herrschend bezeichnet werden.58

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Laborde-Lacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 814 (die Wirkung des Urteils als titre exécutoire sowie die hypothèque judiciaire seien nicht dem Prozessrecht zuzuordnen). 52 Tomasin, Essai sur l’autorité de la chose jugée en matière civile, n° 145; Bléry, L’efficacité substantielle des jugements civils, n° 169, 206 ss.; Heron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 337, p. 275; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1087; uneinheitlich Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 139, p. 590 (einerseits aufgeführt als „effet rattaché au jugement“ (p. 500), andererseits „caractère ‘attribué’ par la loi au contenu du jugement“ (n° 112, p. 590)). 53 Heron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 345, p. 280; Bléry, L’efficacité substantielle des jugements civils, n° 210. 54 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 345, p. 280 s. 55 Heron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 339 ss., p. 276 ss.; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1087 ss. 56 Heron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 345, p. 280; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 30. 57 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 719 ss.; Perrot, Institutions judiciaires, n° 596. 58 Vgl. Wiederkehr, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 507, 510.

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2. Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Urteilswirkungen und -eigenschaften Die französische Rechtskraftdogmatik hat sich schon früh mit der Abgrenzung der autorité de la chose jugée von anderen Instituten auseinandergesetzt. Während aber die autorité de la chose jugée lange Zeit sehr weit gefasst wurde, treten heute weite Teile der Literatur für eine stärkere Differenzierung zwischen verschiedenen Urteilswirkungen und -eigenschaften ein, die mit einem engeren Verständnis der autorité de la chose jugée einhergeht.59 a. „Autorité de la chose jugée“ und „dessaisissement“ Mit Erlass des Urteils verliert das Gericht nach französischem Recht jegliche Befugnis zur Abänderung oder Ergänzung der von ihm erlassenen Entscheidung. Das in Art. 481 C.p.c. 60 verankerte Verbot der erneuten Befassung des Gerichts mit dem Entscheidungsgegenstand wird in Frankreich als dessaisissement du juge bezeichnet. Das dessaisissement wird zwar von einigen Autoren als das Gericht betreffender Aspekt der autorité de la chose jugée,61 überwiegend aber als gesondertes Institut verstanden. 62 Als solches soll es verhindern, dass die Parteien die autorité de la chose jugée der ergangenen Entscheidung dadurch umgehen, dass sie eine Abänderung dieser Entscheidung im selben Verfahren durch den erlassenden Richter beantragen. 63 Rechtssicherheit durch endgültige Streitbeendigung könne nur hergestellt werden, wenn gewährleistet sei, dass das erlassende Gericht selbst die einmal entschiedene Sache nicht erneut zum Gegenstand einer Prüfung mache. 64 Während die autorité de la chose

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Auf diese Entwicklung hinweisend: Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 258. 60 Art. 481, al. 1 C.p.c.: „Le jugement, dès son prononcé, dessaisit le juge de la contestation qu’il tranche.“ 61 Japiot, Traité élémentaire, n° 137, 144; Laborde-Lacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 814: „[L]e dessaisissement n’est que l’autorité de la chose jugée à l’égard du juge.“ 62 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 219; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 16; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 376, p. 311; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 8; Tomasin, Essai, n° 150 ss. 63 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 376, p. 311. Die teilweise anzutreffende Argumentation, Art. 1350 und Art. 1351 Code civil sei aufgrund ihrer Bezugnahme allein auf die Parteien zu entnehmen, dass die autorité de la chose jugée gegenüber dem Richter keinerlei Wirkung entfalte (so Tomasin, Essai, n° 151.), mag zwar für die negative Ausschlussfunktion der autorité de la chose jugée zutreffen, nicht aber für deren positive Wirkung, die auch das Gericht bindet (so auch Bléry, L’efficacité substantielle, n° 219). 64 Japiot, Traité élémentaire, n° 144; Laborde-Lacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 814.

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jugée erst im späteren Verfahren ihre Wirkung entfaltet, bindet das dessaisissement das Gericht im selben Verfahren und ähnelt daher stärker der innerprozessualen Bindungswirkung des § 318 ZPO. Zwischen den beiden Urteilsattributen besteht nach der herrschenden Meinung eine enge Beziehung gegenseitiger Ergänzung,65 ohne dass aber das dessaisissement der autorité de la chose jugée unterzuordnen ist. b. „Autorité de la chose jugée“, „force de la chose jugée“ und „irrévocabilité“ Die Unterscheidung zwischen materieller und formeller Rechtskraft, wie sie das deutsche Zivilprozessrecht vornimmt, ist dem französischen Recht fremd. Die für die formelle Rechtskraft maßgebliche Anfechtbarkeit der Entscheidung durch Rechtsmittel spielt aber auch in der französischen Rechtskraftdogmatik eine Rolle und bildet den Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung zwischen autorité de la chose jugée, force de la chose jugée und irrévocabilité. Hatte Pothier den Eintritt der autorité de la chose jugée noch vom Ausschluss einer Anfechtung durch Rechtsmittel abhängig gemacht, setzte sich im 19. und 20. Jahrhundert die Ansicht durch, dass die autorité de la chose jugée nicht die Unanfechtbarkeit der Entscheidung voraussetzt.66 Entsprechend entschied man sich auch bei der Schaffung des Nouveau Code de procédure civile von 1975 dafür, die autorité de la chose jugée unmittelbar mit Erlass des Urteils eintreten zu lassen.67 Hierdurch soll bereits mit dem Urteilsausspruch sichergestellt werden, dass keine erneute Klage mit identischem Streitgegenstand eingereicht wird.68 Anders als im deutschen Zivilprozessrecht wird dies nicht durch eine bis Ablauf der Rechtsmittelfrist wirkende Rechtshängigkeit gewährleistet, da die litispendance nach französischem Recht die sog. saisine des Gerichts voraussetzt, 69 also die die Entscheidungskompetenz des Gerichts begründende Anhängigkeit des Rechtsstreits. Diese entfällt aber gemäß Art. 65 Vgl. Bléry, L’efficacité substantielle, n° 221 („indissociable“); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 376, p. 311 („etroite parenté avec l’autorité de la chose jugée“, „le complément procédural“). 66 Vgl. Lacoste/Bonnecarrère, De la chose jugée en matière civile, criminelle, disciplinaire et administrative, n° 16; Guillien, L’acte juridictionnel et l’autorité de la chose jugée, p. 410 ss.; Morel, Traité Élémentaire, n° 578; Laborde-Lacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 816, mit Fußnote 131–132 (die bereits mit Urteilserlass eintretende autorité de la chose jugée sei aber, solange noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung offen stünden, als bedingt, ungewiss und provisorisch („conditionelle, précaire, provisoire“) zu bezeichnen). 67 Art. 480 C.p.c.: „Le jugement […] a, dès son prononcé, l’autorité de la chose jugée relativement à la contestation qu’il tranche.“ 68 Morel, Traité Élémentaire, n° 578. 69 Cadiet/Jeuland, Droit judiciare privé, n° 287: „Il y a litispendance lorsque deux juridictions également compétentes sont saisies d’un même litige….“

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

481, al. 1 C.p.c. bereits mit dem Urteilsspruch, d.h. mit dem dessaisissement des Richters. Während in Deutschland bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist die Rechtshängigkeitssperre greift, um erst dann von der Rechtskraft abgelöst zu werden, wird der Ausschluss eines Zweitverfahrens mit identischem Gegenstand in Frankreich bereits ab Urteilserlass durch die autorité de la chose jugée bewirkt.70 Ist für den Eintritt der autorité de la chose jugée damit unerheblich, ob gegen das Urteil noch Rechtsmittel eröffnet sind, wird von der Unanfechtbarkeit (irrévocabilité) einer Entscheidung erst dann gesprochen, wenn sämtliche, also auch außerordentliche, Rechtsmittel ausgeschlossen sind.71 Welche Wirkungen der irrévocabilité zuzuschreiben sind und in welchem Verhältnis die irrévocabilité zur autorité de la chose jugée steht, ist allerdings umstritten. Ein Teil der französischen Literatur sieht in der irrévocabilité eine der Wirkungen der autorité de la chose jugée. 72 Nach einem neueren Verständnis ist die irrévocabilité dagegen als eigenständiges Rechtsinstitut anzusehen, das wie die autorité de la chose jugée der Verhinderung einer unendlichen Fortsetzung des Rechtsstreites und damit der Rechtssicherheit dient. Während aber die autorité de la chose jugée verhindere, dass die bereits entschiedene Sache zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werde und damit in ihrer Wirkung „nach außen“ gerichtet sei, schließe die irrévocabilité die endlose Fortführung desselben Prozesses im Instanzenzug, d.h. die Infragestellung der chose jugée vor den Rechtsmittelgerichten, aus und sei damit „nach innen“, d.h. auf dasselbe Verfahren, gerichtet. 73 Der irrécvocabilité sind nach dieser Ansicht zwei Wirkungen zuzuschreiben: Zum einen kennzeichne sie die endgültige Prozessbeendigung (fin de procès), zum anderen habe die irrévocabilité die Beseitigung von Urteilsmängeln zur Folge (purge de vices). 74 Gerade die letztgenannte Wirkung schreibt die überwiegende Zahl der Autoren dagegen der autorité de la chose jugée zu und verwendet den Begriff der irrévocabilité lediglich zur 70

Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 843. Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1101; Morel, Traité élémentaire, n° 578. So auch Cass. 2 e Civ., 8. Juli 2004, n° 02-15.893, Bull. civ. II, n° 352, p. 298. Gänzlich anders dagegen Tomasin, der die irrévocabilité als das an den Richter gerichtete Verbot des Widerrufs der von ihm erlassenen Entscheidung versteht und von der sog. inattaquabilité abgrenzt, die er im Sinne des hier dargestellten herrschenden Verständnisses der irrévocabilité definiert (Tomasin, Essai, n° 149). 72 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 202 ss. 73 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2012, n° 91: „… l’autorité de la chose jugée vise à assurer la stabilité de la chose jugée à l’extérieur du procès, par rapport à un autre procès qui pourrait remettre en cause le résultat du premier, alors que l’irrévocabilité tend à empêcher un renouvellement infini de la contestation à l’intérieur du même procès.“ 74 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2012, n° 215 ss. 71

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Kennzeichnung des Zeitpunkts der endgültigen Prozessbeendigung und Unangreifbarkeit der Entscheidung. 75 Hier zeigt sich die bereits angesprochene terminologische Uneinheitlichkeit, durch die die französische Dogmatik im Bereich der Urteilswirkungen gekennzeichnet ist. Betrachtet man das Verhältnis zwischen autorité de la chose jugée und irrévocabilité als eines der zunehmenden Beständigkeit des Urteils, so ist zwischen der autorité de la chose jugée und der irrévocabilité die sog. force de la chose jugée zu verorten. Die force de la chose jugée stellt gemäß Art. 501 C.p.c. eine der Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit einer Entscheidung dar und tritt gemäß Art. 500 C.p.c. mit Ausschluss all jener Rechtsmittel ein, denen eine die Vollstreckung suspendierende Wirkung zukommt.76 Dies sind gemäß Art. 539 C.p.c. die ordentlichen Rechtsmittel (voies de recours ordinaires). Unter dem Gesichtspunkt der Beständigkeit des Urteils besteht daher zwischen autorité de la chose jugée, force de la chose jugée und irrévocabilité ein Verhältnis gradueller Abstufung.77 Im Hinblick auf ihre Voraussetzungen dürfte die force de la chose jugée der formellen Rechtskraft des deutschen Rechts am nächsten kommen, da sie im Zeitpunkt des Ausschlusses der ordentlichen Rechtsmittel eintritt. In ihrem Verhältnis zur autorité de la chose jugée unterscheiden sich aber sowohl force de la chose jugée als auch die irrévocabilité deutlich von der formellen Rechtskraft, da sie keine Voraussetzung der materiellen Rechtskraft darstellen. Ein derartiges Verhältnis zwischen der autorité de la chose jugée und der force de la chose jugée bzw. der irrévocabilité kann nach der bestehenden Gesetzeslage auf Grund des Art. 480 C.p.c. nicht angenommen werden, auch wenn teilweise de lege ferenda eine Verknüpfung der autorité de la chose jugée mit der irrevocabilité befürwortet wird.78 c. „Autorité de la chose jugée“ und „efficacité substantielle“ Mit der Unterscheidung zwischen Urteilswirkungen und Urteilseigenschaften verbanden insbesondere die Rechtswissenschaftler der juristischen Fakultät 75

578.

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Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1101; Morel, Traité élémentaire, n°

Die force de la chose jugée wurde jedoch schon vor Einführung des Nouveau Code de procédure civil in dieser Weise definiert: Morel, Traité élémentaire, n° 578; vgl. auch die Klarstellung der Cour de Cassation, dass ein Urteil dann als definitif anzusehen sei, wenn die force de la chose jugée eintrete, nicht erst mit Eintritt der irrévocabilité (Cass. 2e Civ., 8. Juli 2004, n° 02-15.893, Bull. Civ. II, n° 352, p. 298). 77 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1101 (besonders deutlich bis zur 31e éd. („gradation“), in der aktuellen 32 e éd. sprechen die Autoren dagegen nur noch von der sich mit der Zeit und mit Ablauf der Anfechtungsmöglichkeiten verstärkenden Vermutung der Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Entscheidung); Morel, Traité Élémentaire, n° 578. 78 So Bouty, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2012, n° 464 ss.

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von Caen um Jacques Héron eine Verlagerung der die Rechtslage beeinflussenden Urteilswirkung von der autorité de la chose jugée zu der sog. efficacité (substantielle). Beeinflusst wurde diese Ansicht durch die italienische Dogmatik und insbesondere das Werk Liebmans, der diese Unterscheidung in seinem Werk „Efficacia ed autorità della sentenza“ vorgezeichnet hatte. 79 Die efficacité substantielle bezeichnet nach dieser Ansicht die durch den Ausspruch über die Begründetheit des zur Entscheidung gestellten Anspruchs bewirkte Veränderung der rechtlichen Situation der Parteien.80 Diese Veränderung der Rechtslage trete unabhängig von der Urteilsart ein, also – ausgehend von der klassischen Unterscheidung des französischen Prozessrechts zwischen den Urteilsarten – sowohl bei den Gestaltungsurteilen (jugements constitutifs) als auch bei den jugements déclaratifs, 81 d.h. den Leistungsurteilen.82 Die Wirkung unterscheide sich lediglich dahingehend, dass das jugement constitutif die Rechtslage zwischen den Parteien erst begründe, während das jugement déclaratif das Bestehen des zuvor schon existierenden Rechts ausspreche. Die rechtliche Situation zwischen den Parteien werde auch durch das jugement déclaratif verändert, da der Kläger, dem durch ein Urteil ein Recht zugestanden wurde, dieses nicht mehr der abstrakten Rechtsnorm entnehmen müsse, sondern unmittelbar auf das konkret wirkende Urteil zurückgreifen könne.83 Dieses ihm durch das Urteil zugestandene Recht sei ein neues, von der abstrakten Rechtsregel unabhängiges Recht, so dass die efficacité substantielle bei einem jugement déclaratif in der Konkretisierung und Individualisierung der abstraktgenerellen Rechtsregel durch das Urteil zu sehen sei.84 Die efficacité substantielle komme aber nicht nur Sachentscheidungen zu, durch die das geltend gemachte materielle Recht eine neue Grundlage erhält, vielmehr könne auch einem Prozessurteil efficacité zukommen, da dieses die konkrete prozessuale Rechtslage bindend festlege: Dies geschehe z.B. im Fall eines Urteils, das eine

79 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 171; Perrot, Festschrift Kerameus, 2009, S. 1013, 1021 f. 80 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 340, p. 276; Bléry, L’efficacité substantielle, n° 127; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire procédure civile 2012, n° 20 ss.; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1088. 81 Ein allgemeines Feststellungsurteil zur Feststellung von Rechtsverhältnissen entspricht nicht der französischen Tradition, vgl. Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 134 (auch zu den wenigen Ausnahmen), vgl. auch unten E. I. 82 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1088. 83 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1088; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 341, p. 276 s.; kritisch hierzu Kanayama, Mélanges Guinchard, 2010, p. 759, 765 s. 84 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 341, p. 277. Die Wirkung der efficacité substantielle generell in der Konkretisierung des abstrakten zum konkreten Recht sehend: Bléry, L’efficacité substantielle, n° 137 ss.

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Klage aufgrund der Bejahung eines fin de non-recevoir abweise. In diesem Fall wird auch von der efficacité procédurale gesprochen.85 Der efficacité substantielle werden zwei Wirkungsrichtungen zugeschrieben: Gegenüber den Parteien wirke sie als bindende Kraft (force obligatoire), im Verhältnis zu Dritten bestimme sie, wer auf Grund der mit der Rechtsänderung zwischen den Parteien verbundenen tatsächlichen Auswirkungen gegen die Entscheidung vorgehen könne (opposabilité). 86 Die efficacité substantielle wird dabei von der autorité de la chose jugée unterschieden: Aus der automatisch mit dem Urteil verknüpften autorité de la chose jugée ergebe sich, dass die erfolgte Feststellung der Tatsachen und deren Subsumtion unter den Tatbestand einer bestimmten Rechtsregel in der Folge nicht mehr zum Gegenstand eines neuerlichen Verfahrens gemacht werden dürften. Dagegen bezeichne die efficacité substantielle die durch die gerichtliche Entscheidung bewirkte Änderung der Rechtslage zwischen den Parteien.87 Beide Rechtsinstitute seien aber eng miteinander verknüpft, da die negative, d.h. ein erneutes Verfahren über denselben Gegenstand verhindernde Wirkung der autorité de la chose jugée der prozessualen Absicherung der efficacité subtantielle diene. 88 Hintergrund für die Entwicklung der efficacité substantielle ist der von den Anhängern dieser Ansicht empfundene Widerspruch zwischen der – gesetzlich verankerten – Relativität der autorité de la chose jugée, also der Beschränkung ihrer Wirkung auf die Parteien, und der tatsächlichen Auswirkung der gerichtlichen Entscheidung auf Dritte, die auch vom Gesetz durch Einräumung der Möglichkeit Dritter, in Form der tierce opposition gegen das Urteil vorzugehen, anerkannt wird. Um diesen Widerspruch aufzulösen, wurde die efficacité substantielle als von der autorité de la chose jugée getrenntes Institut entwickelt, für welches die Regel der relativité keine Geltung beanspruchen konnte und welches die Wirkung gerichtlicher Entscheidungen gegenüber Dritten und die opposabilité erklärlich machen sollte. 89

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Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1089; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 343, p. 278. 86 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 160, 530; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire procédure civile 2012, n° 22 ss. 87 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 346, p. 281 s. 88 Le Bars, Procédures 2007, Études n° 12, p. 9, 11. 89 Vgl. Lagarde, Réflexion Critique, n° 232; ausführlich bereits Boyer, RTD civ. 1951, 163, 187 ss.

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Die efficacité substantielle wird jedoch nicht einmütig als eigenständige Urteilswirkung anerkannt. Einige Autoren 90, aber insbesondere auch die Rechtsprechung91 verwenden den Begriff der efficacité substantielle nicht und betrachten die ihr zugeschriebenen Wirkungen vielmehr als der autorité de la chose jugée zugehörig. Neben diesen terminologischen Unterschieden macht insbesondere die Nähe der efficacité substantielle zur positiven Wirkung der autorité de la chose jugée eine klare Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute schwierig. 92 Aufgrund dieser fehlenden Trennschärfe wird die efficacité substantielle im Folgenden in die Darstellung der autorité de la chose jugée einbezogen und nur dort, wo die Unterscheidung zum Tragen kommt, auf die Position der Vertreter der Lehre von der efficacité substantielle hingewiesen. II. Zweck der „autorité de la chose jugée“ Die primäre Zielsetzung der autorité de la chose jugée liegt wie auch bei den entsprechenden Rechtsinstituten anderer Rechtsordnungen in der endgültigen Streitbeendigung, also in der Verhinderung der Führung immer neuer Verfahren über Fragen, die bereits Gegenstand eines abgeschlossenen Verfahrens waren.93 Die Herstellung von Rechtssicherheit (sécurité juridique) steht damit im Vordergrund der Zweckbestimmung der autorité de la chose jugée.94 Widersprüchliche Entscheidungen sollen vermieden und so die Einheit der Rechtsordnung gewährleistet werden.95 Gleichzeitig kommt der autorité de la chose jugée eine befriedende Funktion zu, wobei die französische Lehre anders als

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So verwenden Cadiet/Jeuland den Begriff der efficacité substantielle überhaupt nicht, sehen aber die force obligatoire als eine der Wirkungen der autorité de la chose jugée an (Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 727). Gegen die Anerkennung der efficacité substantielle spricht sich ausdrücklich aus: Lagarde, Réflexion critique, n° 237 ss. 91 Vgl. die Einschätzung Le Bars’, der Begriff des effet substantiel sei der Rechtsprechung unbekannt, diese spreche ausschließlich von der autorité de la chose jugée (Procédures 2007, Études n° 12, p. 9, 11: „[la Cour de Cassation] ignore la notion d’effet substantiel des jugements, pour ne parler que d’autorité de chose jugée.“). 92 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 191; Cornu/Foyer, Procédure civile, p. 596. 93 Guillien, Mélanges Vincent, 1981, p. 117, 119; Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 137; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 5. 94 Dintilhac, Rapport Annuel 2004, 49, 52; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 349, p. 286 („la stabilité nécessaire des situations juridiques“); Normand, RTD civ. 1995, 177; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 5; vgl. auch schon Demolombe, Traité des contrats, n° 279 („Il le faut pour la stabilité, pour la sécurité des propriétés et de tous les droit des citoyens, qui seraient, sans cette garantie, frappés indéfiniment de la plus déplorable incertitude. Tel est le premier et plus essentiel fondement de l’autorité de la chose jugée.“). 95 Héron, Mélanges Perrot, p. 131, 137; Tomasin, Essai, n° 239; kritisch dagegen: Lagarde, Réflexion critique, n° 247 (p. 386).

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beispielsweise die deutsche Dogmatik nicht von der Wahrung des Rechtsfriedens, sondern vielmehr des sozialen Friedens (paix sociale)96 spricht.97 Die französische Rechtskraftdogmatik betont dabei in besonderem Maße, dass die Befriedung und Stabilisierung der rechtlichen Verhältnisse gerade die jeweiligen Parteien als Individuen vor der erneuten Inanspruchnahme durch die Gegenseite bzw. die erneute Infragestellung der zuerkannten Rechtsposition schützen soll. 98 Im Rahmen der französischen Rechtskraftdogmatik steht daher nicht die Bedeutung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als Bedingungen gesellschaftlichen Zusammenlebens im Vordergrund, prägend ist vielmehr das Verständnis von Rechtsfrieden und -sicherheit als Elemente und Vorbedingungen der Verwirklichung privater Individualrechte. In besonderem Maße betont die französische Rechtskraftlehre allerdings auch die Bedeutung der autorité de la chose jugée für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger: Die mit der autorité de la chose jugée verbundene Bindung an das Urteil sichere den Respekt vor gerichtlichen Entscheidungen als Ausdruck staatlicher Autorität.99 Ohne diese Achtung würde die richterliche Entscheidungsfunktion jeglichen Sinns beraubt. 100 Gerade in jüngerer Zeit wird zudem die Bedeutung der autorité de la chose jugée als Instrument einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Justiz (effi-

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Dintilhac, Rapport Annuel 2004, 49, 52; Tomasin, Essai, n° 311. Ob hieraus abgelesen werden kann, dass die französische Rechtskraftdogmatik stärker als die auf den Rechtsfrieden abstellende deutsche Rechskraftlehre eine gemeinnützigen Zielsetzung der Rechtskraft betont, wie dies Germelmann annimmt (Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 109: „Jedoch ist die starke Betonung des sozialen Friedens anstelle des Rechtsfriedens […], also des gemeinnützigen, über die streng rechtliche Komponente hinausgehenden Zwecks der autorité de la chose jugée eine französische Nuance, die Beachtung verdient.“), erscheint angesichts der auch in Deutschland schwierigen Eingrenzung des Begriffs des Rechtsfriedens (kritisch zur unterschiedlichen Verwendung des Begriffs des „Rechtsfriedens“ in der deutschen Rechtswissenschaft beispielsweise Rottleuthner, Festschrift Blankenburg, 1998, S. 683) eher zweifelhaft. Festzustellen ist, dass sich der Begriff eines paix juridique in der französischen zivilprozessualen Literatur nicht findet (die von Germelmann zitierte Verwendung dieses Begriffs bei Habscheid (Liber Amicorum Schnitzer, 1979, p. 179) bezieht sich nicht speziell auf das französische Recht, sondern ist wohl der rechtsvergleichenden Thematik dieses Aufsatzes geschuldet). 98 Normand, RTD civ. 1995, p. 177; Tomasin, Essai, n° 311. 99 Guillien, L’acte juridictionnel, p. 258; Motulsky, Droit processuel, p. 262. Tomasin (Essai, n° 311) bezweifelt aber, dass das Ansehen der Gerichte das entscheidende Ziel der autorité de la chose jugée sein könne („S’il est bien entendu que la dignité de la justice doit être respectée, il n’est pas du tout certain que ce soit le but essentiel de l‘autorité de la chose jugée.“). 100 Guillien, L’acte juridictionnel, p. 265 („Si les actes qui font les agents de l’état dans le cadre de cette fonction [juridictionnelle] ne sont pas respectés, elle perd toute valeur pratique.“). 97

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cacité de la justice) hervorgehoben: Der Ausschluss der erneuten Prozessführung über denselben Gegenstand soll die Zahl der zu bearbeitenden Fälle verringern und dazu beitragen, die Überlastung der Gerichte zu verhindern.101 Insbesondere der positiven Bindungswirkung der autorité de la chose jugée wird eine verfahrensbeschleunigende Zielrichtung zugeschrieben.102 Die Bindung an bereits entschiedene Fragen verringere den vom später angerufenen Richter zu betreibenden Prüfungsaufwand und verkürze damit das Verfahren. Gerade seit der Entscheidung der Assemblée plénière der Cour de Cassation vom 7. Juli 2006103, die eine Obliegenheit der Parteien zur Konzentration ihres Vorbringens anerkannt hat, wird der autorité de la chose jugée zunehmend auch eine verhaltenssteuernde Komponente zugeschrieben,104 die letztlich ebenfalls auf eine Verfahrensstraffung abzielt: Durch den Ausschluss einer erneuten Prozessführung über denselben Gegenstand werde die Partei angehalten, ihr prozessuales Vorgehen klar zu durchdenken und ihr Vorbringen auf ein Verfahren zu konzentrieren.105 Auf diese Weise bewirke die autorité de la chose jugée eine stärkere Straffung und Strukturierung des Vorgehens der Parteien und verhindere gleichzeitig ein taktisches Verzögern der endgültigen Streitbeendigung durch eine Aufspaltung des Vorbringens.106 Welches Gewicht der auf die private Rechtsverwirklichung gerichteten Zielsetzung gegenüber den hier genannten öffentlichen Belangen zukommt, ist umstritten. Ihre eigentliche Bedeutung entfaltet diese Auseinandersetzung bei der Frage der Wirkung der autorité de la chose jugée im späteren Verfahren, weshalb die Diskussion auch erst dort ausführlich behandelt werden wird.107 III. Rechtsnatur und dogmatische Einordnung Wie zuvor bereits dargestellt, übernahm der Code civil in den Artikeln 1350 und 1351 die Einordnung der autorité de la chose jugée als gesetzliche Vermutung, wie sie zuvor Domat und Pothier vertreten hatten. Diese gesetzgeberische Entscheidung stellte aber keineswegs den Schlusspunkt der Diskussion um die Rechtsnatur der autorité de la chose jugée dar. Die französische Rechts-

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Dintilhac, Rapport Annuel 2004, p. 49, 52; Normand, RTD civ. 1995, p. 177. Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 137; Tomasin, Essai, n° 239. 103 Cass. ass. plén., 7. Juli 2006, n° 04-10.672, Bull. ass. plén., n° 8, p. 21. 104 Normand, RTD civ. 1995, p. 177 („moyen de contrôle et de sanction de la diligence des parties“). 105 Normand, RTD civ. 1995, p. 177; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 5. 106 Normand, RTD civ. 1995, p. 177 („instrument de rationalisation et de moralisation des stratégies judiciaires“); Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 5. 107 Siehe unten C. II. 1. 102

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kraftlehre hat sich vielmehr trotz des unverändert gebliebenen Gesetzeswortlauts in diesem Punkt weiterentwickelt, ohne dass aber die Frage der dogmatischen Verortung der autorité de la chose jugée heute abschließend geklärt wäre. 1. Die Verknüpfung der „autorité de la chose jugée“ mit der Wahrheit („vérité“) a. Das traditionelle Verständnis als „présomption de vérité légale“ Nach dem traditionellen französischen Rechtskraftverständnis ist die autorité de la chose jugée als eine gesetzliche Wahrheitvermutung (présomption de vérité légale) anzusehen. Bis Mitte des 20. Jahrhundert entsprach diese Einordnung der herrschenden Meinung108 und auch heute findet sie noch bei einigen Autoren Gefolgschaft. 109 Nach diesem Verständnis bewirkt die ergangene Entscheidung eine unwiderlegliche Vermutung für die Übereinstimmung der durch das Urteil ausgesprochenen Rechtslage mit der wahren, tatsächlichen Rechtslage. 110 Der durch die Entscheidung Begünstigte kann sich auf den Entscheidungsinhalt berufen, ohne deren Richtigkeit künftig nachweisen zu müssen, dem Unterliegenden wird demgegenüber jeder Gegenbeweis verwehrt.111 Aus der Vermutung, die Entscheidung des Richters spiegele die wahre Rechtslage wider, folgt dieser Ansicht nach auch das Verbot, die bereits endgültig entschiedene Sache erneut in Frage zu stellen und zum Gegenstand eines neuen Verfahrens zu machen. Dieses klassische Verständnis stützt sich vorrangig auf den Gesetzeswortlaut und die Gesetzesmaterialien zum Code civil, die – wie oben dargestellt – auf die entsprechende Einordnung bei Domat und Pothier Bezug nehmen. Trotz der Verankerung im Gesetz hat die heute herrschende Meinung eine Abkehr von der Einordnung als gesetzliche Wahrheitsvermutung vollzogen. Dies wird zum einen damit begründet, dass die autorité de la chose jugée dem klassischen Konzept der beweisrechtlichen Vermutung, wie es in Art. 1349

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Bonnier, Traité théorique et pratique des preuves, n° 860; Demolombe, Traité des contrats, n° 279 ss.; Dumora, Étude sur les présomptions en droit civil, p. 59; Lacoste/Bonnecarrère, De la chose jugée, n° 784; Hébraud, RTD civ. 1948, 501, 502; Roland, Chose jugée et tierce opposition, n° 126 (der aber begrifflich zwischen der autorité de la chose jugée als positiver Bindungswirkung und gesetzlicher Vermutung und der negativ wirken den exception de la chose jugée unterscheidet). 109 Guillien, Mélanges Vincent, 1981, p. 117, 133 ss.; Lagarde, Reflexion critique, n° 244 ss. 110 Lacoste/Bonnecarrère, De la chose jugée, n° 784. 111 Dumora, Étude sur les présomptions en droit civil, p. 59; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1092.

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Code civil verankert ist,112 an sich nicht entspreche, da sie keinen Schluss von bestimmten Tatsachen auf andere Tatsachen beinhalte, sondern eine rechtliche Beurteilung bindend festlege. 113 Die Anhänger der Einordnung als gesetzliche Wahrheitsvermutung gestehen dies zwar zu,114 jedoch sprechen sie der autorité de la chose jugée aus diesem Grund vielfach eine Sonderrolle zu, indem betont wird, dass diese Art der Vermutung eher eine Regelung des materiellen Rechts (règle de fond) darstelle als ein Institut des Beweisrechts. 115 Die Nähe zum Beweisrecht wird aber in der Wirkungsweise der autorité de la chose jugée gesehen, die sich auch bei den klassischen gesetzlichen Vermutungen finde: Ein bestimmtes Ergebnis wird bindend festgelegt mit der Folge, dass seine Richtigkeit nicht mehr nachgewiesen werden muss, wobei die Sperrung gegenläufigen Vorbringens das Ergebnis absichert.116 Dass die autorité de la chose jugée sich nicht gänzlich in die Definition einer beweisrechtlichen Vermutung einpassen lässt, ist aber nur einer der Gesichtspunkte, der die heute wohl herrschende Lehre zu einer Abkehr von diesem traditionellen Konzept bewegt hat. Das Verständnis der autorité de la chose jugée als gesetzliche Vermutung wird auch in seiner historischen und denklogischen Herleitung in Frage gestellt. In rechtshistorischer Hinsicht wird der traditionellen Ansicht die unreflektierte Übernahme der ungenauen Interpretation des römischen Rechts durch die spätmittelalterliche Rechtswissenschaft und in der Folge durch Domat und Pothier vorgeworfen: Da das Ulpian-Zitat, auf das sich das Verständnis als gesetzliche Vermutung stützt, vor der Rezeption durch die Glossatoren nie als beweisrechtliche Aussage verstanden wurde, sondern diesen Sinn erst infolge der Herauslösung aus dem Ingenuitätsprozess zugewiesen bekam, sei die historische Herleitung der Vorstellung als gesetzliche Vermutung schon aus historischer Sicht äußerst fragwürdig.117 Daneben wird aber auch darauf hingewiesen, dass sich das Verständnis als gesetzliche Wahrheitsvermutung insbesondere mit der negativen Wirkung der 112 Art. 1349 Code civil: „Les présomptions sont des conséquences que la loi ou le magistrat tire d'un fait connu à un fait inconnu.“ 113 So schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Aron, Théorie générale des présomptions légales, n° 98 ss.; Mélinesco, Études, p. 135; vgl. aber auch aus jüngerer Zeit: Couture, Revue internationale de droit comparé 1954, p. 681, 699. 114 Lagarde, Réflexion critique, n° 244. 115 Guillien, Mélanges Vincent, 1981, p. 117, 136; Lagarde, Réflexion critique, n° 244; ähnlich auch Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1093, die aber wohl ohnehin nur aufgrund des Gesetzeswortlauts an der Bezeichnung als présomption de vérité légale festhalten und im Übrigen der neueren Lehre von der force de vérité légale folgen. 116 Lagarde, Réflexion critique, n° 245 (p. 385). 117 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 177; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 4; Tomasin, Essai, n° 328 („[…] la thèse adoptée par l’article 1350 C. Civ. paraît être fondée sur une véritable erreur d’interprétation de l’institution romaine.“).

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autorité de la chose jugée als Unzulässigkeitseinrede (fin de non-recevoir) kaum vereinbaren lasse: Die Abweisung einer Klage als unzulässig könne nur schwerlich mit einer Beweisregel begründet werden, da das Beweisrecht letztlich erst in der Verhandlung zur Sache zum Gegenstand werde, welche bei Bejahung eines fin de non-recevoir aber gerade nicht zustande kommt. 118 Um diesem Vorwurf zu entgehen, nehmen aber gerade die Autoren, die auch heute an der Einordnung als Vermutung festhalten, an, dass die gesetzliche Wahrheitsvermutung durch eine Zulässigkeitsregel (règle de recevabilité) im Sinne der negativen Funktion der autorité de la chose jugée ergänzt werde. 119 Trotz des vereinzelten Festhaltens am Verständnis als gesetzliche Vermutung in der französischen Lehre wird die Zuordnung des Art. 1350, 3° Code civil heute überwiegend als Überbleibsel einer sinnentstellenden Auslegung des römischen Ursprungstextes angesehen, das für die dogmatische Begründung der autorité de la chose jugée keine tatsächliche Bedeutung mehr hat.120 b. Das neuere Konzept der „force de vérité légale“ Trotz der Kritik der Rechtswissenschaft besteht Art. 1350, 3° Code civil aber bis heute in unveränderter Form fort. Eine heute weitverbreitete Ansicht versucht dieser Fortgeltung Rechnung zu tragen, gleichzeitig aber auch die Kritik an der Verortung der autorité de la chose jugée im Beweisrecht zu berücksichtigen. Die autorité de la chose jugée wird nach dieser Ansicht daher nicht mehr als beweisrechtliche Vermutung der Wahrheit oder Richtigkeit des Richterspruchs verstanden, vielmehr wird der Entscheidung des Gerichts die bindende „Kraft gesetzlicher Wahrheit“ (force de vérité légale) zugesprochen.121 Die autorité de la chose jugée ist danach kein beweisrechtliches Institut, sondern beschreibt die autoritative Festlegung der materiellen Rechtslage durch den Richter. Dem richterlichen „Rechtsspruch“122 wird dieselbe bindende Autorität zugeschrieben wie einer gesetzlichen Norm mit der Folge, dass das Urteil als das

118

265.

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Tomasin, Essai, n° 331; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n°

Lagarde, Réflexion critique, n° 245. So z.B. Bléry, Procédures 2007, Études n° 11, p. 6, 8: „une relique nostalgique dépourvue de toute incidence pratique et même théorique“. 121 Couchez, Procédure civile, n° 213; Croze/Morel, Procédure civile, n° 66; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1093; Perrot, Festschrift Kerameus, 2009, S. 1013, 1021; auch die Rechtsprechung greift auf das Verständnis als force de vérité légale zurück, vgl. Cass. 2e civ., 8. Juli 2010, n° 09-10.955, inédit; Cass. 1 re civ., 24. Oktober 2006, n° 04-18.819, inédit. 122 „Droit dit par le juge“: Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1093; ebenso Wiederkehr, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 507, 514, der aber die Bezugnahme auf die force de vérité légale ablehnt. 120

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Recht des Einzelfalls wie Gesetzesrecht beachtet werden müsse. 123 Die gerichtlich festgestellte Rechtslage und die tatsächliche Rechtslage sollen auf diese Weise zumindest fiktiv124 zur Übereinstimmung gebracht werden, wodurch es ermöglicht wird, den Entscheidungsinhalt – selbst im Fall einer an sich unrichtigen Entscheidung – als der Wahrheit entsprechend anzusehen. Dieser Ansicht wird vorgeworfen, sie denke die Kritik an der Einordnung der autorité de la chose jugée als Wahrheitsvermutung nicht konsequent zu Ende und wage letztlich nicht die Abkehr von einer fehlerhaften gesetzlichen Konzeption.125 Die Bezugnahme auf die vérité diene eher der historischen Rückversicherung durch Rückbezug auf den Satz „res iudicata pro veritate accipitur“ als der systematisch stimmigen Erklärung der autorité de la chose jugée. Insbesondere mit der gesetzlichen Einräumung von Rechtsmitteln lasse sich die Vorstellung, dass der Entscheidungsinhalt immer als der Wahrheit entsprechend anzusehen sei, nur schwer in Einklang bringen, da das Rechtsmittelrecht ja gerade die mögliche Fehlerhaftigkeit der Entscheidung voraussetze.126 Die Wahrheitsfindung könne in einem zivilprozessualen System, das auf dem Beibringungsgrundsatz beruhe und das die Möglichkeit gerichtlicher Fehlentscheidungen einkalkuliere, nicht als ein vorrangiger Zweck des Zivilprozesses angesehen werden. Es erscheine daher auch nicht stimmig, die dogmatische Erklärung der autorité de la chose jugée an der Wahrheit auszurichten.127 2. Der funktionale Ansatz auf Grundlage der immutabilité: Aufgabe der Verknüpfung von „autorité de la chose jugée“ und „vérité“ Ausgehend von der Kritik an den Versuchen, die autorité de la chose jugée dogmatisch über die Wahrheitsvermutung oder die durch den Richterspruch bewirkte Festlegung der wahren Rechtslage zu begründen, entwickelte sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts in der französischen Rechtswissenschaft eine Lehrmeinung, welche die Begründung der Rechtsnatur der autorité de la chose jugée von der vérité löste. Das Wesen der autorité de la chose jugée bestimmt sich nach dieser Ansicht über ihre Funktion, ein erneutes Verfahren über denselben Gegenstand zu verhindern und so die Rechtsverhältnisse zu stabilisieren. Die dogmatische Grundlage der autorité de la chose jugée sei die Unabänderlichkeit (immutabilité), mit welcher der Gesetzgeber den Inhalt gerichtli-

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Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1093; Wiederkehr, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 507, 518. 124 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1093: „[L]’autorité de la chose jugée repose sur la fiction de sa vérité!“ 125 Bléry, Procédures 2007, Études n° 11, p. 6, 7. 126 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 349, p. 286; Bléry, L’efficacité substantielle, n° 178. 127 Tomasin, Essai, n° 329.

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cher Entscheidungen versehe. Die autorité de la chose jugée wird als funktionales Rechtsinstitut verstanden, das eine Abänderung des Inhalts der richterlichen Entscheidung in späteren Verfahren verhindert.128 Sowohl die eine Abweisung späterer Klagen mit demselben Gegenstand bewirkende negative Funktion der autorité de la chose jugée als auch die positive Bindung an den Entscheidungsinhalt in einem späteren Verfahren mit abweichendem Streitgegenstand seien Ausdruck der Unabänderlichkeit des Entscheidungsinhalts und könnten auf dieser Grundlage stimmig erklärt werden.129 Auf den ersten Blick scheint hier also ein rein prozessuales Rechtskraftverständnis zur Anwendung zu kommen. Eine solche Festlegung wird aber regelmäßig vermieden und vielmehr die autorité de la chose jugée als Rechtsinstitut beschrieben, das weder materieller, noch rein prozessualer Rechtsnatur ist. 130 Nicht übersehen werden darf zudem, dass der funktionale Begründungsansatz auf Grundlage der immutabilité gerade von den Autoren vertreten wird, die zwischen der autorité de la chose jugée und der efficacité substantielle unterscheiden.131 Die Vorstellung, dass die zwischen den Parteien bestehenden Rechtslage durch das Urteil verändert wird, gibt diese Ansicht keineswegs auf, sondern spaltet sie lediglich von der autorité de la chose jugée ab, um sie der efficacité substantielle zuzuordnen.132 Auch wenn die funktionale Theorie die autorité de la chose jugée daher keine materiellrechtliche Wirkung zuschreibt, kann aufgrund der Anerkennung einer die materielle Rechtslage verändernden

128

Tomasin, Essai, n° 343; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 349, p. 286; Bléry, L’efficacité substantielle, n° 180. Eine ähnliche Begründung der autorité de la chose jugée über den Zweck der Verhinderung erneuter Verfahren und der Stabilisierung der Rechtsverhältnisse findet sich bei Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 267; Julien/Fricéro, Droit judiciaire privé, n° 601. Die autorité de la chose jugée auf das Verbot, denselben Gegenstand erneut vor Gericht zu bringen, beschränkend Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, p. 102 ss. (n° 52, 53). 129 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 191. Dies ist innerhalb der Ansicht aber nicht unumstritten, vgl. Cornu/Foyer, n° 139, p. 590; Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, p. 103 (n° 53) (Verwechslung mit der efficacité substantielle) sowie die ausführlichere Darstellung der Diskussion zur positiven Wirkung der autorité de la chose jugée unten C. I. b. 130 Tomasin, Essai, n° 346. Dagegen aber Frison Roche, die die autorité de la chose jugée als prozessuales Rechtsinstitut ansieht, dessen Wirkung sich auf die Vernichtung des droit d’agir beschränkt (Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, n° 53, p. 103). 131 Es handelt sich insbesondere um Tomasin, Héron, Le Bars und Bléry. Zu deren Verständnis der efficacité substantielle bereits oben B. I. 2. c. 132 Vgl. nur Bléry, L’efficacité substantielle, n° 179: Die Ansicht, die autorité de la chose jugée habe die Schaffung einer neuen materiellen Rechtslage zur Folge, sei deshalb abzulehnen, weil sie die autorité de la chose jugée mit der efficacité substantielle verwechsele („car elle confond l’autorité de la chose jugée et l’efficacité substantielle “).

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Urteilswirkung in Form der efficacité substantielle auch innerhalb dieser Ansicht letzten Endes nicht von einer Aufgabe eines materiellrechtlich beeinflussten Rechtskraftverständnisses ausgegangen werden. 133 3. Zusammenfassung Die Diskussion um die Rechtsnatur der autorité de la chose jugée wird heute nicht mehr mit derselben Intensität wie noch vor 50 Jahren geführt. Einige zivilprozessuale Abhandlungen verzichten sogar gänzlich auf eine eindeutige Bestimmung der Rechtsnatur der autorité de la chose jugée und beschränken sich auf Aussagen zu ihrer Wirkung.134 Festzuhalten ist aber, dass die Einordnung der autorité de la chose jugée als gesetzliche Wahrheitsvermutung heute nicht mehr als herrschend angesehen werden kann. Die Einigkeit in der Ablehnung des klassischen Begründungsansatzes hat aber nicht zu einer übereinstimmend vertretenen alternativen Bestimmung der Rechtsnatur dieses Instituts geführt. Klarheit besteht lediglich dahingehend, dass sich eine prozessuale Theorie, die gänzlich auf die Annahme einer Beeinflussung der materiellen Rechtslage durch die gerichtliche Entscheidung verzichtet, in der französischen Lehre nicht durchgesetzt hat. Innerhalb des bestehenden Meinungsspektrums scheint zudem die Bezugnahme auf die vérité zur Begründung der autorité de la chose jugée an Bedeutung zu verlieren. In der praktischen Umsetzung bestehen zwischen den einzelnen vertretenen Ansätzen letztlich aber keine großen Unterschiede. C. Die Wirkung der „autorité de la chose jugée“ I. Negative und positive Wirkung der „autorité de la chose jugée“ Die französische Rechtskraftlehre unterscheidet zwei Wirkungsrichtungen der autorité de la chose jugée: Die negative Wirkung oder Funktion schließt ein erneutes Verfahren über denselben Gegenstand aus und hat in Art. 122 Code de procédure civile eine gesetzliche Ausgestaltung als Unzulässigekeitseinrede (fin de non-recevoir) erhalten. Die positive Wirkung beschreibt dagegen die Bindung an die Urteilsfeststellungen in einem späteren Verfahren, das nicht denselben Gegenstand wie der erste Prozess hat. Anders als die negative Funktion der autorité de la chose jugée ist die Anerkennung der positiven Wirkung in der französischen Rechtskraftdogmatik nicht unumstritten.

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Dies gilt selbst für den Ansatz Frison Roches, die die autorité de la chose jugée auf ihre Wirkung als fin de non-recevoir beschränken will (Généralités sur le principe du contradictoire, n° 52, p. 100 ss.), da auch sie von einer Veränderung der materiellen Rechtslage durch das Urteil ausgeht (ebenda, n° 54, p. 104). 134 Beispielsweise: Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 727 ss.

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1. Die negative Wirkungsrichtung der „autorité de la chose jugée“ In ihrer negativen Ausprägung schließt die autorité de la chose jugée 135 aus, dass ein Gegenstand, über den bereits entschieden wurde, in identischer Form nochmals vor ein Gericht (mit Ausnahme der Rechtsmittelgerichte) gebracht wird. 136 Einer erneuten Klage mit demselben Gegenstand wie ein bereits ergangenes Urteil steht gemäß Art. 122 C.p.c. die Einrede der Unzulässigkeit entgegen. Damit der Einwand entgegenstehender autorité de la chose jugée greift, müssen der Gegenstand der bereits ergangenen Entscheidung und der später eingereichten Klage identisch sein. Dieses in Art. 1351 Code civil verankerte Identitätserfordernis wird in Abschnitt F ausführlich behandelt. Mit der Bejahung der aus der autorité de la chose jugée erwachsenden Unzulässigkeitseinrede wird der jeweiligen Partei das Klagerecht (droit d’agir) abgesprochen.137 Die Klage wird daher gemäß Art. 122 C.p.c. als unzulässig abgewiesen, ohne dass das Gericht in eine inhaltliche Prüfung zur Sache eintritt.138 Durch den Ausschluss einer Verhandlung und Entscheidung zur Sache unterscheidet sich die aus der autorité de la chose jugée entspringende Unzulässigkeitseinrede – trotz der vorherrschenden materiellen Begründung der autorité de la chose jugée – von einem materiellrechtlichen Verteidigungsvorbringen (défense au fond). Da die Bejahung einer fin de non-recevoir zu einer endgültigen Klageabweisung führt, unterscheidet sie sich zudem von einer exception procédurale, die keine endgültige Abweisung der Klage, sondern lediglich die Hemmung des Verfahrens139 aufgrund prozessualer Unregelmäßigkeiten zur Folge hat.140 Wenn daher bisweilen von einer exception de chose jugée gesprochen wird, so ist dies nicht gänzlich korrekt. 135 Teilweise wird vorgeschlagen, den Ausdruck der autorité de la chose jugée der positiven Wirkung vorzubehalten und die negative Funktion als exception de chose jugée zu bezeichnen (Roland, Chose jugée et tierce opposition, n° 127 ss.). Die herrschende Ansicht sieht aber die beiden Wirkungen als negativen und positiven Aspekt des Rechtsinstituts der autorité de la chose jugée an. 136 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 189; Croze/Morel/Fradin, Procédure civile, n° 132; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1094; Motulsky, Droit processuel, p. 262. 137 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 332; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 144, p. 123 s. 138 Art. 122 C.p.c.: „Constitue une fin de non-recevoir tout moyen qui tend à faire déclarer l'adversaire irrecevable en sa demande, sans examen au fond, pour défaut de droit d'agir, tel […] la chose jugée.“ 139 Die Hemmung wird je nach exception procédurale beispielsweise durch die Verweisung an ein anderes Gericht, die Aussetzung des Verfahrens oder die Nichtigerklärung einer Prozesshandlung bewirkt (vgl. Art. 74 ss. C.p.c.). 140 Zur Unterscheidung zwischen den einzelnen défenses oder moyens de défense (défense au fond, fin de non-recevoir und exception procédurale) allgemein: Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 332 ss.; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 144, p. 123 s.; Motulsky, Droit processuel, p. 110 ss.

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Mit der negativen Ausschlusswirkung der autorité de la chose jugée wird häufig auch ein hierüber hinausgehender Ausschluss jeglicher Infragestellung des Entscheidungsinhalts verbunden.141 Dieser Ausschluss wirke sich auf sämtliche Mechanismen aus, die eine derartige Infragestellung bewirken könnten: Gegen die Entscheidung könnten zum einen keine neuen Beweismittel vorgebracht werden. 142 Gleichzeitig bewirke die negative Ausschlusswirkung, dass die Entscheidung nicht mehr unter Berufung auf deren Fehlerhaftigkeit angegriffen werden könne, sie habe also hinsichtlich aufgetretener Rechtsfehler eine „reinigende“ Wirkung (sog. purge des vices). 143 Gerade die Zuordnung der letzteren Wirkung zur autorité négative de chose jugée bereitet dieser Ansicht aber Schwierigkeiten: Warum die „Fehlerbereinigung“ bereits mit Eintritt der autorité de la chose jugée und damit bereits mit Urteilserlass eintreten soll, obwohl die Parteien zu diesem Zeitpunkt noch Rechtsmittel einlegen können, ist nicht leicht begründbar. Auch die Vertreter dieser Auffassung nehmen daher an, dass die autorité de la chose jugée insoweit erst dann ihre volle Wirkung entfalte, wenn gegen die Entscheidung keine Rechtsmittel mehr zulässig seien. 144 Wie bereits zuvor erwähnt,145 hat der Konflikt mit dem Grundsatz, dass die autorité de la chose jugée unmittelbar mit Urteilserlass eintrete, einen Teil der französischen Literatur dazu veranlasst, den Ausschluss einer Berufung auf die Fehlerhaftigkeit der Enzscheidung gänzlich von der autorité de la chose jugée zu lösen und diese Wirkung vielmehr der als gesonderte Urteilseigenschaft verstandenen Unanfechtbarkeit (irrevocabilité) zuweisen.146 2. Die positive Wirkung der „autorité de la chose jugée“ Während die negative Funktion der autorité de la chose jugée in Art. 1351 Code civil gesetzlich verankert ist, fehlt es an einer gesetzlichen Normierung der positiven Wirkungsrichtung. Die autorité positive de la chose jugée bezeichnet die Bindung der Parteien und des Gerichts an eine in einem vorausgegangenen Urteil entschiedene Frage, die im nun anhängigen Verfahren, dessen Gegenstand mit dem des ersten Prozesses nicht vollständig übereinstimmt, eine Vorfrage bildet. Die Streitgegenstandsidentität, auf die Art. 1351 Code civil Bezug nimmt, ist hier gerade nicht gegeben, so dass Art. 1351 Code civil nicht

141 Teilweise wird diese Wirkung auf eine allgemeine Präklusion (forclusion générale) (so Tomasin, Essai, n° 317 ss.), teilweise auf eine Wirksamkeits- bzw. Ordnungsmäßigkeitsvermutung (présomption de validité ou de regularité) (so Japiot, Traité élémentaire, n° 138) gestützt. 142 Tomasin, Essai, n° 318. 143 Tomasin, Essai, n° 320. 144 Tomasin, Essai, n° 320. 145 Siehe oben B. I. 2. b. 146 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 91, n° 230 ss.

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als Grundlage der positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée angesehen werden kann.147 Ein gesetzlich geregelter Sonderfall dieser positiven Bindung findet sich allerdings in Art. 95 C.p.c.:148 Danach wird eine materiellrechtliche Vorfrage, die das Gericht im Rahmen der Entscheidung über seine Zuständigkeit beurteilen muss, von der autorité de la chose jugée erfasst. Da die Situation, dass die Feststellung zu der materiellrechtlichen Vorfrage den alleinigen Antragsgegenstand einer späteren Klage bildet und damit die für das Greifen der negativen Wirkungsrichtung erforderliche Identität gegeben ist, schon angesichts des Fehlens eines reinen Feststellungstenors französischer Urteile 149 kaum eintreten wird, kann diese Spezialregelung kaum als Aussage zur negativen Funktion der autorité de la chose jugée verstanden werden. Art. 95 C.p.c. wird daher als Anordnung einer positiven Bindung bei Präjudizialität und damit als ein Fall der postiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée angesehen. 150 Als Sonderregelung lässt diese Norm jedoch keinen zwingenden Schluss auf eine allgemeine gesetzliche Anerkennung oder den Umkehrschluss auf eine grundsätzliche Ablehnung der positiven Funktion der autorité de la chose jugée zu. Angesichts des Fehlens einer allgemeingültigen gesetzlichen Regelung wird die Frage, ob die autorité de la chose jugée eine positive Bindungswirkung bei abweichendem Streitgegenstand entfaltet, uneinheitlich beantwortet. a. Das traditionelle materielle Verständnis der „autorité de la chose jugée“ Sowohl nach der traditionellen Einordnung der autorité de la chose jugée als présomption de vérité légale, als auch nach dem neueren Ansatz einer gesetzesgleichen Bestimmung der materiellen Rechtslage durch das Urteil (force de vérité légale) gehört eine positive Bindung an den Entscheidungsinhalt zum maßgeblichen Inhalt der autorité de la chose jugée:151 Über die bereits beurteilte Frage kann aufgrund der unwiderleglichen Wahrheitsvermutung bzw. der force de vérité légale des Urteils nicht mehr abweichend entschieden werden, sie ist vielmehr für Parteien und Richter bindend. Die Abweichung von der

147 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 366, p. 299; teilweise wird aber der Art. 1350, 3° Code civil mit seiner Einordnung der autorité de la chose jugée als présomption légale als gesetzliche Verankerung der positiven Wirkungsrichtung verstanden (so Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1092; Lagarde, Réflexion critique, n° 241, p. 379 (Verankerung in Art. 1350, 3° Code civil i.V.m. Art. 1351, al. 1 Code civil)). 148 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 618; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 366, p. 299. 149 Hierzu unten E. I. 150 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 618; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 366, p. 299. 151 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1092; Lagarde, Réflexion critique, n° 241, p. 378 s.

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bereits erfolgten richterlichen Feststellung der Rechtslage ist daher ausgeschlossen. Die positive Wirkungsrichtung stellt insbesondere nach dem traditionellen Verständnis als présomption de vérité sogar die zentrale Wirkung der Entscheidung dar,152 während die negative Funktion als Unzulässigkeitseinrede für diese Ansicht – wie bereits dargestellt – schwieriger zu begründen ist. b. Infragestellung der positiven Wirkungsrichtung Mit der zunehmenden Kritik an der Konzeption der autorité de la chose jugée als beweisrechtliche Vermutung bzw. als gesetzesgleiche Bestimmung der materiellen Rechtslage wurde aber auch die eigenständige Bedeutung einer positiven Wirkung der autorité de la chose jugée zunehmend in Frage gestellt. aa. Keine eigenständige Bedeutung einer „autorité positive de la chose jugée“ Teile der französischen Rechtswissenschaft lehnen eine autorité positive de la chose jugée als eigenständige Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée gänzlich ab. 153 Diese Ablehnung wird häufig damit begründet, dass die Anerkennung einer gesonderten autorité positive de la chose jugée letztlich auf einer Verwechslung mit der efficacité substantielle bzw. der autorité négative beruhe. 154 Der autorité de la chose jugée könne eine positive Wirkungsrichtung allenfalls im Sinne eines indirekten Effekts (effet indirect) zuerkannt werden, der sich auf eine Absicherung der efficacité substantielle beschränke.155 Das Konzept einer positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée sei aber neben den Rechtsinstituten der efficacité substantielle und der negativen Wirkung der autorité de la chose jugée letztlich unnötig.156 Die efficacité substantielle bestimme und verändere in für die Zukunft bindender Weise die materielle Rechtslage in der im Urteilsausspruch niedergelegten Form. Die autorité négative de la chose jugée verhindere demgegenüber, dass der Entscheidungsinhalt in einem späteren Verfahren nochmals in Frage gestellt werde, indem sie das droit d’action der Parteien, welches sich angesichts des Bezugs 152 Teilweise wurde die autorité de la chose jugée sogar auf die positive Funktion beschränkt und die negative Funktion als von der autorité zu trennende exception de la chose jugée angesehen (Roland, Chose jugée et tierce opposition, n° 127 ss). 153 Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 139/140, p. 590, 596; Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, n° 53, p. 103; wohl auch Julien/Fricero, Droit judiciaire privé, n° 601 (keine autorité de la chose jugée (ohne Beschränkung auf eine Wirkungsrichtung), wenn die nach Art. 1351 Code civil erfoderliche Identität auch nur hinsichtlich eines Elements der triple identité verneint werde). 154 Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 139, p. 590; ähnlich auch Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, n° 53, p. 103. 155 Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 140, p. 596. 156 Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, n° 53, p. 103.

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auf beide Parteien am ehesten als Klage- und Vorbringensrecht verstehen lässt, zum Erlöschen bringe. Diese Vernichtung des Klage- und Vorbringensrechts bewirke nicht nur die Abweisung einer erneuten Klage mit identischem Gegenstand wegen Unzulässigkeit (irrecevabilité), sondern führe auch in einem späteren Verfahren mit abweichendem Gegenstand zur Unzulässigkeit eines von der Erstentscheidung abweichenden Vorbringens hinsichtlich dieser Frage.157 War eine Vorfrage des späteren Verfahrens bereits Gegenstand eines vorangegangenen Urteils, so können sich die Parteien nach dieser Ansicht die aus der autorité négative de la chose jugée ergebende Unzulässigkeit eines abweichenden Vorbringens zu der jeweiligen Frage entgegenhalten.158 bb. Anerkennung einer „autorité positive de la chose jugée“ nur in Ausnahmefällen Von einer grundsätzlichen Ablehnung einer positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée geht auch eine weitere Strömung in der französischen Literatur aus, die diese Wirkungsrichtung aber – anders als der zuvor dargestellte Ansatz – in seltenen Ausnahmefällen anerkennen will.159 Ihre grundsätzliche Ablehnung einer positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée begründet diese Ansicht mit der erheblichen Gefahr, die für die Parteien aus einer solchen Bindung erwachsen könne: Diese Gefahr entstehe dadurch, dass eine Partei den Urteilsspruch zwar durchaus als günstig empfinden könne (z.B. weil sie im Ergebnis obsiegt hat oder weil die Gegenseite in geringerem Umfang Erfolg hatte als befürchtet), gleichzeitig aber die zu diesem günstigen Ergebnis führenden Entscheidungen über Vorfragen nachteilig für sie sein können.160 Da es der Partei letztlich auf das Ergebnis im Tenor der Entscheidung ankommt, werde sie während des ersten Verfahrens nicht darauf achten, dass auch sämtliche Vorfragen in einem ihr günstigen Sinne entschieden wurden. Mache die Gegenseite die entschiedene Vorfrage aber nun zur Grundlage einer erneuten Klage mit anderem Gegenstand, könne sich die durch eine autorité positive de la chose jugée bewirkte Bindung an die Vorfrage für die Partei des Erstprozess geradezu als „Zeitbombe“ auswirken.161 Da die Ein-

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Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, n° 53, p. 103. Frison Roche, Généralités sur le principe du contradictoire, n° 53, p. 103: „Ainsi, lorsque l’effet est l’interdiction aux parties à un second procès de remettre en cause des points déjà tranchés par un premier jugement, la cause est l’extinction de leur droit d’action à ce sujet, fonction négative de l’autorité de la chose jugée.“ 159 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 367, p. 301; Le Bars, Procédures, août-sept. 2007, Études n° 12, p. 9, 12. 160 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 367, p. 301. 161 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 367, p. 301 („bombe à retardement“); Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 629. 158

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legung eines Rechtsmittels auch in Frankreich nicht auf eine nachteilige Entscheidung über eine bloße Vorfrage in den Entscheidungsgründen gestützt werden kann, sondern nur auf eine nachteilige Entscheidung im Tenor, stehe den Parteien auch kein Mittel zur Anfechtung der Beurteilung der Vorfrage zur Verfügung.162 Vor dem Hintergrund dieser erheblichen Gefahr müsse das Anliegen einer Vermeidung widersprüchlicher und wiederholender Urteile zurücktreten.163 Die Fälle, in denen eine autorité positive anzuerkennen sei, seien daher auf wenige Ausnahmen zu beschränken. Zu diesen zähle der bereits erwähnte gesetzlich vorgesehene Fall des Art. 95 C.p.c. Außerhalb dieser gesetzlichen Regelung sei eine positive Wirkung der autorité de la chose jugée aber nur in den Fällen anzuerkennen, in denen es jedem Rechtsgefühl widerspräche, eine solche Bindungswirkung nicht anzunehmen.164 Ein solcher dem Rechtsgefühl widersprechender Fall wird von den Vertretern dieser Ansicht insbesondere im Fall von Dauerschuldverhältnissen bejaht: Werde der Beklagte zur Erbringung der aus einem Dauerschuldverhältnis geschuldeten Leistungen für einen bestimmten Zeitraum verurteilt, so widerspräche es dem gesunden Menschenverstand, wenn ein später angerufenes Gericht im Rahmen einer Klage auf Erfüllung desselben Schuldverhältnisses hinsichtlich eines späteren Zeitabschnitts von den Feststellungen des ersten Gerichts abweichen könne, obwohl sich die beiden Verfahren nur hinsichtlich des Zeitmoments unterschieden. 165 cc. Die positive Bindungswirkung als gleichwertige Funktion auch bei funktionellem Verständnis der „autorité de la chose jugée“ Ein Teil der Lehre166 erkennt eine positive Wirkung der autorité de la chose jugée an, ohne der Einordnung der autorité de la chose jugée als gesetzliche 162 Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 139 (n° 14); Le Bars, Procédures 2007, Études n° 12, p. 9, 12. 163 Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 140 (n° 15). 164 Vgl. Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 367, p. 301 („n’appliquer cette théorie [de l’autorité positive] que dans les rares hypothèses où il apparaît choquant, pour l’esprit, de ne pas le faire“); Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 629. 165 Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 143 (n° 21); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 367, p. 301. 166 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 191 ss., p. 128 ss.; Morel, Traité élémentaire, n° 577; Tomasin, Essai, n° 238 ss. (der die autorité positive de la chose jugée mit dem in der übrigen französischen Literatur hier nicht verwendeten Begriff der Präjudizialität (préjudicialité) verbindet, die er – der italienische Dogmatik folgend (n° 241) – dann als gegeben ansieht, wenn eine bereits zuvor entschiedene Frage denklogisch mit der materiellen Sachentscheidung verknüpft ist und die Entscheidung über diese selbstständige Frage Voraussetzung einer abstrakten Rechtsnorm ist, die sich von der geltend gemachten Rechtsregel im ersten Verfahren unterscheidet („[L]a préjudicialité […] implique donc qu’une question tranchée préalablement soit, non seulement rattachée de façon logique à la résolution de la

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Vermutung oder gesetzesgleiche Bestimmung der materiellen Rechtslage zu folgen. Die autorité positive de la chose jugée sei vielmehr wie auch die negative Wirkungsrichtung Ausfluss der Unabänderlichkeit (immutabilité) gerichtlicher Entscheidungen. Die Unabänderlichkeit der Entscheidung müsse auch dann gewahrt bleiben, wenn ein später angerufenes Gericht über eine Klage zu entscheiden habe, in der die bereits im ersten Urteil abschließend geklärte Frage eine bloße rechtliche Vorfrage darstelle. 167 Nur durch eine positive Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée könne in dieser Situation eine Verpflichtung des später angerufenen Gerichts begründet werden, seinem Urteil die Entscheidung des ersten Gerichts über die Vorfrage zugrundezulegen, und so die Unabänderlichkeit der ersten Entscheidung sichergestellt werden.168 Die negative Wirkung der autorité de la chose jugée als Unzulässigkeitseinrede könne diese Aufgabe dagegen nicht erfüllen, gehe es doch im Falle eines zweiten Verfahrens mit anderem Gegenstand sowohl den Parteien als auch dem Gericht darum, aus der unabänderlichen gerichtlichen Entscheidung über die Vorfrage positiven Nutzen zu ziehen.169 Auch die Verhinderung widersprüchlicher Entscheidungen, der diese Ansicht als Zielsetzung der autorité de la chose jugée aus prozessökonomischen Erwägungen eine gleichwertige Rolle neben der Herstellung von Rechtssicherheit zuspricht, könne durch die autorité négative allein nicht bewirkt werden, sondern bedürfe einer Ergänzung durch eine positive Wirkungsrichtung.170 Die Absicherung der Unabänderlichkeit der Entscheidung begründet nach dieser Ansicht nicht nur die eigenständige Existenzberechtigung der autorité positive gegenüber der negativen Wirkungsrichtung, sondern auch gegenüber der efficacité substantielle. Zwar bewirke die efficacité substantielle nämlich die Festlegung und Abänderung der materiellen Rechtslage, sie verhindere aber nicht, dass diese Bestimmung der Rechtslage erneut in Frage gestellt werde. 171 Die efficacité substantielle der im Erstverfahren ergangenen Entscheidung lege die Rechtslage nur im Hinblick auf eine spezifische rechtliche Situation fest und bringe den Parteien in einem späteren Verfahren, das einen anderen Gegenstand habe und damit auf die Festlegung der Rechtslage in einer anderen rechtlichen Situation abziele, keinen Vorteil. Allein die der autorité de la chose jugé nach dieser Konzeption zugrundeliegende Unabänderlichkeit der Ent-

question de fond, mais qu’elle se présente aussi comme une question autonome dont la résolution présuppose l’application d’une norme abstraite différente de celle qui règle la question objet du litige principal.“ (n° 241)). 167 Tomasin, Essai, n° 239. 168 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 191, p. 130. 169 Bléry, L’efficacité substantielle, n° 191, p. 130. 170 Tomasin, Essai, n° 239. 171 Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 335 (n° 5).

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scheidung ermögliche es, in dieser Situation von der Erstentscheidung zu profitieren.172 Auf diese Weise wird der autorité positive de la chose jugée damit eine eigenständige Bedeutung innerhalb der Urteilswirkungen und -eigenschaften zugesprochen. dd. Die Position der Rechtsprechung Die Cour de Cassation hat ihren Entscheidungen des Öfteren eine positive Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée zugrundegelegt, ohne diese jedoch ausdrücklich als solche zu bezeichnen.173 Die Bindung an die in einem vorherigen Verfahren bereits geklärten Fragen wird in diesen Entscheidungen zumeist ohne weitere Ausführungen bejaht und der autorité de la chose jugée zugeschrieben. Die Zahl der Entscheidungen, die eine positive Funktion der autorité de la chose jugée anzuerkennen scheinen, ist jedoch gering. Mit einem Beschluss der Assemblée plénière der Cour de Cassation vom 13. März 2009, durch den die Entscheidungsgründe (motifs) von der autorité de la chose jugée ausgenommen wurden,174 ist die Zahl dieser Fälle noch seltener geworden. Aus Sicht einiger Autoren ist dem zu entnehmen, dass die Rechtsprechung einer positiven Wirkung der autorité de la chose jugée nunmehr ablehnend gegenübersteht.175 Da sich die Feststellungen von Tatsachen und die rechtliche Beurteilung zumeist in den Entscheidungsgründen finde, verbleibe angesichts dieser Rechtsprechungslinie für eine positiv wirkende autorité de la chose jugée kaum noch ein Anwendungbereich. 176 In der Tat führt die Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif zu einer Verringerung der Zahl der Fälle, in denen eine positive Bindung angenommen werden kann, da der Tenor selten eine Entscheidung zu einer Rechtsfrage ausspricht, die in dieser Form Voraussetzung eines weiteren Anspruchs oder Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien ist. Dennoch muss nicht angenommen werden, dass die Beschränkung auf den dispositif gerade auf der Ablehnung der autorité positive de la chose jugée durch die Cours de Cassation beruhe. Vielmehr kann darin die Formulierung einer weiteren Voraussetzung für das Greifen der autorité positive de la chose jugée gesehen werden. 177 172

Bléry, L’efficacité substantielle, n° 192, p. 130 s. Vgl. beispielsweise Cass. soc., 4. Februar 1993, n° 88-42.599, Bull. civ. V, n° 42, p. 30; Cass. 1re civ., 4. Januar 1995, n° 93-10.870, Bull. civ. I, n° 7, p. 5; Cass. 1 re civ., 18. Juli 1995, n° 93.16574, Bull. civ. I, n° 330, p. 231; Cass. 2 e civ., 22. März 2006, n° 04.-10.776, Bull. civ. II, n° 80, p. 77. 174 Cass. ass. plén., 13. März 2009, n° 08-16.033, Bull. ass. plén., n° 3. Ausführlich hierzu unten E. II. 2. b. 175 Héron/Le Bars, Droit judicaire privé, n° 366, p. 300; Le Bars, Procédures 2007, Études n° 12, p. 9. 176 Héron/Le Bars, Droit judicaire privé, n° 366, p. 300. 177 So auch Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 627. 173

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c. Eigene Stellungnahme Trotz der recht großen Anhängerschaft überzeugt die grundsätzliche Ablehnung einer positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée nicht gänzlich. Mag auch der traditionelle materielle Begründungsansatz der autorité de la chose jugée abzulehnen sein, so muss damit nicht gleichzeitig dem Konzept einer positiven Bindungswirkung eine Absage erteilt werden. Der Gefahr einer Bindung an Vorfragen, deren nachteilige Auswirkungen auf ihre Rechtsposition in einem späteren Verfahren für die Parteien zunächst nicht vorhersehbar sind, könnte durch eine – auch der aktuellen Entwicklung der Rechtsprechung entsprechenden 178 – Begrenzung der Wirkungen der autorité de la chose jugée auf den Entscheidungsausspruch im dispositif begegnet werden. Einer eigenständigen positiven Wirkungsrichtung unter Verweis auf die Wirkungen der efficacité substantielle und der autorité négative de la chose jugée die Anerkennung zu versagen, erscheint ebenfalls nicht überzeugend. Die efficacité substantielle mag nach neuerem französischen Verständnis zwar die Gestaltung der materiellen Rechtslage bewirken, sie verhindert jedoch noch nicht die erneute Infragestellung des Entscheidungsinhalts in einem späteren Verfahren durch das Vorbringen, die Gestaltung des Rechts sei zu Unrecht ergangen. Hierzu bedarf es der Wirkung der autorité de la chose jugée. 179 Diese Funktion auch im Fall eines späteren Verfahrens mit abweichendem Gegenstand der negativen Wirkung zuzuschreiben, führt zu der doch recht konstruiert erscheinenden Vorstellung, mit der Berufung des Klägers auf eine Vorentscheidung zu einer Vorfrage halte der Kläger einem etwaigen abweichenden Vorbringen der Gegenpartei präventiv die aus der autorité négative entspringende fin de non-recevoir entgegen.180 Die Anerkennung einer autorité positive

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Hierzu unten E. II. 2. B. So auch Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 335 (n° 5); Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 612. Ähnlich auch die heute herrschende Ansicht in der deutschen Dogmatik zum Verhältnis zwischen Gestaltungswirkung und materieller Rechtskraft bei Gestaltungsurteilen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 4; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 58). 180 Vgl. die kritische Darstellung dieses Ansatzes bei Lagarde, Réflexion critique, n° 241, p. 378 s.: „Dans cette situation, on considère généralement que le demandeur se prévaut de l’effet positif de la chose jugée. En fait, à suivre M.J. Foyer, le demandeur ne fait qu’opposer au défendeur qui prétendrait ne pas être son parent l’irrecevabilité de son moyen de défense“. Lagarde lehnt diese Ansicht, die auch die Funktin der autorité positive durch die negative Wirkungsrichtung erfüllt sieht, im Ergebnis ab, weil die irrecevabilité an sich jegliche Form des Einbringens der Frage und damit auch eine positive Berufung auf die entschiedene Frage in einem späteren Prozess ausschließen müsste. Bezieht man die durch die autorité négative de la chose jugée bewirkte irrecevabilité auch auf eine einzelne Frage im Folgeprozess, so müsste jegliches Vorbringen hinsichtlich der Frage im späteren Verfahren ausgeschlossen sein, also nicht nur das der ersten Entscheidung widersprechende, sondern 179

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erscheint hier der dogmatisch sauberere Weg, der auch dem tatsächlichen Bedürfnis der Parteien entspricht, sich zur Begründung einer Klage positiv auf eine Vorentscheidung berufen zu können. Der Ansatz, die autorité de la chose jugée insgesamt auf den Gedanken der immutabilité der Entscheidung zu stützen, ermöglicht es dabei auch, die negative und positive Wirkung als in gleicher Weise notwendige Ausprägungen eines einheitlichen Rechtsinstituts der autorité de la chose jugée anzusehen, die lediglich in unterschiedlichen Situationen zum Tragen kommen.181 d. Zusammenfassung Eine mit der gerichtlichen Entscheidung verknüpfte positive Bindungswirkung, die eine erneute Infragestellung des Entscheidungsinhalts auch in einem späteren Verfahren mit abweichendem Gegenstand verhindert, ist der französischen Dogmatik damit bekannt. Bei der Beurteilung der Frage, welchem Rechtsinstitut diese Wirkung zuzurechnen ist und wo ihr genauer Anwendungsbereich liegt, ist jedoch keine einheitliche Position erkennbar. Während die Rechtsprechung auf eine ausdrückliche Stellungnahme hierzu gänzlich verzichtet, beantwortet die französische Literatur die Frage in höchst unterschiedlicher Weise. In dem hierzu vertretenen Meinungsspektrum spiegeln sich dabei auch die zur dogmatischen Begründung der autorité de la chose jugée vertretenen Ansichten wider. II. Die Berücksichtigung der „autorité de la chose jugée“ im Prozess Mit der Bestimmung der Wirkungen der autorité de la chose jugée ist noch nicht geklärt, in welcher Form diese in einem späteren Prozess Berücksichtigung findet. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob die mit der autorité négative verbundene Unzulässigkeiteinrede sowie die positive Bindungswirkung der autorité de la chose jugée von Amts wegen zu beachten sind oder lediglich auf Einrede der Parteien hin überprüft werden. Daneben wird das Problem aufgeworfen, zu welchem prozessualen Zeitpunkt und in welcher Instanz die autorité de la chose jugée geltend gemacht werden kann. 1. Die „autorité de la chose jugée“ als Regelung des „ordre public“ oder als den Schutz privater Interessen bezweckendes Institut? Das französische Recht macht die Fragen der Überprüfbarkeit von Amts wegen und des Zeitpunkts der Geltendmachung prozessualer Einwendungen traditionell davon abhängig, ob der Einwendung der Charakter einer Regel des ordre auch das mit ihr übereinstimmende Vorbringen, auf das der Kläger seinen Anspruch stützen möchte (Réflexion critique, n° 241, p. 379). 181 So auch Bléry, L’efficacité substantielle, n° 195.

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public zuzuerkennen ist oder ob sie vorrangig den privaten Interessen der Parteien zu dienen bestimmt ist. Im Gesetz kommt diese Verknüpfung in Art. 125, al. 1 C.p.c. zum Ausdruck: Danach hat das Gericht die Unzulässigkeitseinreden, welche dem ordre public zuzurechnen sind, von Amts wegen zu beachten. Da das Gesetz hierdurch – zumindest für die Unzulässigkeitseinrede der negativen Wirkungsrichtung – den Beurteilungsmaßstab vorgibt, war die Diskussion um die prozessuale Behandlung der autorité de la chose jugée lange Zeit von der Auseinandersetzung um die Einordnung der autorité de la chose jugée als Regel des ordre public geprägt. Eine Zäsur hat insoweit allerdings eine Änderung des Art. 125 C.p.c. im Jahr 2004 bewirkt: Der geänderte zweite Absatz sieht für die aus der autorité de la chose jugée entspringende Unzulässigkeitseinrede ausdrücklich die Möglichkeit einer Überprüfung von Amts wegen vor. Diese Neuregelung hat die Diskussion über den Charakter der autorité de la chose jugée als Institut des öffentlichen oder privaten Interesses weitestgehend beendet. Um die Entwicklung nachvollziehen zu können, wird im Folgenden aber zunächst die Diskussion vor 2004 dargestellt werden, um im Anschluss die aktuelle Rechtslage zu beleuchten. a. Die Diskussion vor 2004 Während sich zu den dogmatischen Fragestellungen, die Gegenstand der vorangegangenen Abschnitte waren, in der Rechtsprechung kaum Äußerungen finden, wurde die Diskussion um den Charakter der autorité de la chose jugée als Institut des ordre public maßgeblich durch die Rechtsprechung geprägt. aa. Die Diskussion zur grundsätzlichen Einordnung der „autorité de la chose jugée“ (1) Die herrschende Ansicht: Die „autorité de la chose jugée“ als „règle d’intérêt privé“ Die Cour de Cassation nimmt seit Langem in gefestigter Rechtsprechung an, dass die autorité de la chose jugée kein Institut des ordre public ist, sondern grundsätzlich privaten Interessen zu dienen bestimmt ist. 182 Auch in weiten Teilen der Literatur fand diese Zuordnung Gefolgschaft. 183 Auf Grundlage des traditionellen Verständnisses der autorité de la chose jugée als Beweisregel 182

Cass. civ., 24. Oktober 1951, JCP 1952, II-6806 (note Perrot); Cass. 1re civ., 16. März 1960, Bull. civ. I, n° 159; Cass. 2e civ., 19. Juli 1966, Bull. civ. II, n° 807; Cass. 3 e civ., 19. Juni 1968, Bull. civ. III, n° 287; Cass. 2 e civ., 24. November 1976, n° 75-11.732, Bull. civ. II, n° 315, p. 248; Cass. com., 19. Juli 1983, n° 82-12.215, Bull. civ. IV, n° 225; Cass. 3 e civ., 20. Mai 1992, n° 90-13.598, Bull. civ. III, n° 159; Cass. 2 e civ., 10. April 1995, n° 9560.550, Bull. civ. II, n° 121, p. 69; Cass. 2 e civ., 4. Dezember 2003, n° 02-10.010, Bull. civ. II, n° 365, p. 301. 183 Tomasin, Essai, n° 311 ss.

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und angesichts der Skepsis der französischen Rechtsprechung und Prozessrechtswissenschaft gegenüber einer aktiven Rolle des Richters im Bereich der Beweisbeibringung lag eine Ablehnung einer Zuordnung der autorité de la chose jugée zum ordre public und einer amtswegigen Prüfung ohnehin nahe.184 Die Betonung des Schutzes privater Interessen gegenüber den durch die autorité de la chose jugée gesicherten öffentlichen Belangen wird heute aber insbesondere damit begründet, dass die autorité de la chose jugée zwar den Zielen der Rechtssicherheit und des sozialen Friedens diene, die Unabänderlichkeit der Entscheidung aber primär verhindern solle, dass sich die Gegenpartei den im Urteil niedergelegten Verpflichtungen entziehe. 185 Durch Schaffung eines Systems privater Rechtsverfolgung stelle der Staat die staatliche Hoheitsgewalt in den Dienst privater Interessen.186 Der Bürger wird als Nutznießer dieser von staatlicher Seite zur Verfügung gestellten Möglichkeit der Durchsetzung seiner Rechte verstanden.187 Die Durchsetzung seiner Rechte bleibt aber Sache des einzelnen Bürgers, während sich die auf die Schaffung von sozialem Frieden gerichtete Zielsetzung der autorité de la chose jugée nur im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechtsschutzsystems durch den in seinem eigenen Interesse handelnden Bürger verwirklicht.188 Entsprechend wird auch die der autorité de la chose jugée zugrundeliegende Unabänderlichkeit der Entscheidung lediglich als eine von staatlicher Seite vorgesehene Möglichkeit zur Sicherung der durch das erste Urteil erlangten Vorteile gesehen, deren Inanspruchnahme aber dem Bürger überlassen bleibt. Wolle dieser die im ersten Verfahren erzielten Ergebnisse erneut zur Debatte stellen und sich auf einen erneuten Rechtsstreit mit der Gegenpartei einlassen, so stehe ihm dies frei.189 Die durch die autorité de la chose jugée bewirkte Stabilisierung der Rechtsverhältnisse ist nicht mehr als ein Angebot, von dem die Parteien nach ihrem Gutdünken Gebrauch machen können.190 Da das Zivilverfahren dem Bürger die Verfolgung der ihm zur freien Disposition stehenden Rechte ermöglicht, muss nach diesem Verständnis auch

184

So auch Perrot, JCP 1952, II-6806, I. Tomasin, Essai, n° 311: „L’immutabilité de la vérification juridictionnelle est une garantie accordée au bénéficiare d’un jugement pour éviter que son adversaire ne tente de s’y soustraire.“ 186 Hébraud, RTD civ. 1952, Jurisprudence française en matière civile n° 6, p. 263, 264. 187 Hébraud, RTD civ. 1952, Jurisprudence française en matière civile n° 6, p. 263, 264. 188 Hébraud, RTD civ. 1952, Jurisprudence française en matière civile n° 6, p. 263, 264 („L’État poursuit bien un but de sécurité publique, mais il ne va pas jusqu’à imposer la justice publique […]; il consiste à mettre l’autorité étatique au service des droits privés. Les individus intéressés en restent donc maîtres.“). 189 Hébraud, RTD civ. 1952, Jurisprudence française en matière civile n° 6, p. 263, 264; Tomasin, Essai, n° 311. 190 Hébraud, RTD civ. 1952, Jurisprudence française en matière civile n° 6, p. 263, 264 („[M]ais, si le bénéficiaire ne veut pas en profiter, il n’y a aucune raison de le lui imposer. “). 185

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die mit der gerichtlichen Entscheidung verbundene Befriedung der Rechtsverhältnisse durch die autorité de la chose jugée primär diesen privaten Interessen und damit der Disposition der Parteien unterworfen sein. Neben der Dispositionsfreiheit des Bürgers wird zur Begründung des privaten Interessen dienenden Charakters der autorité de la chose jugée aber auch eine praktische Erwägung herangezogen: Da die Parteien deutlich besser als das Gericht überschauen könnten, welche Urteile in dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis bereits ergangen seien, sei es nur sinnvoll, es den Parteien zu überlassen, die autorité de la chose jugée geltend zu machen.191 Eine mit der Einordnung als règle d’intérêt privé verbundene Prüfung nur auf Initiative der Parteien hin sei also auch praktisch leichter umsetzbar als die mit einer Zuordnung zum ordre public verbundene Amtsprüfung. Bei diesem Argument geht es allerdings um die Einbringung der Tatsache der Existenz eines Urteils in das Verfahren, so dass nach deutschem Verständnis an sich die Thematik der Amtsermittlung, nicht aber der Prüfung von Amts wegen betroffen wäre.192 Wie im Folgenden noch ausführlicher zu zeigen ist, zieht die französische Dogmatik diese Grenze aber oft weniger scharf als die deutsche Prozessrechtslehre.193 (2) Die abweichende Einordnung der „autorité de la chose jugée“ als „Regel des ordre public“ Diese die Durchsetzung privater Interessen in den Vordergrund stellende Ansicht wird aber seit Langem von Teilen der Literatur heftig kritisiert.194 Die erneute Führung eines Rechtsstreits über eine bereits entschiedene Frage widerspricht nach dem Verständnis dieser Autoren dem ordre public: Die autorité de la chose jugée sei nicht lediglich ein den Parteien zur Verfügung gestelltes Instrument zur Beendigung des Rechtsstreits, auf das diese nach Belieben zurückgreifen könnten, sondern vielmehr ein Ausdruck hoheitlicher Gewalt in ihrer rechtsprechenden Funktion, weshalb sie unmittelbar den ordre public berühre.195 Auch wenn die gerichtliche Entscheidung die privaten Interessen der Parteien betreffe, so liege der Zweck der autorité de la chose jugée doch in der 191

So Tomasin, Essai, n° 313. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, vor § 128, Rn. 168; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 45; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 25 Rn. 64. 193 Hierzu ausführlicher unter C. II. 2. a., b. 194 Glasson/Morel/Tissier, Traité, n° 772, p. 96; Guillien, L’acte juridictionnel, p. 267 ss.; Perrot, JCP 1952 II-6806; auch Motulsky bezeichnet die Ansicht der Rechtsprechung als „paradoxale“ (Motulsky, Droit processuel, p. 262). 195 Perrot, JCP 1952 II-6806, II; Guillien, L’acte juridictionnel, p. 270. Ähnlich nehmen auch Glasson/Morel/Tissier an, dass die erneute Infragestellung einer bereits entschiedenen Frage dem ordre public widerspräche (Traité, n° 772, p. 96), sie stützen diese Annahme aber weniger auf die Qualität des Urteils als Hoheitsakt als auf die Annahme, dass die Entscheidung das Klagerecht vernichte (Glasson/Morel/Tissier, Traité, n° 772, p. 96). 192

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Stabilisierung der rechtlichen Verhältnisse. Diese Stabilität könne nicht einfach dem Belieben der Parteien unterliegen, sondern müsse zum Schutz des öffentlichen Interesses an der Wahrung des sozialen Friedens und des Respekts vor staatlichen Hoheitsakten zwingend beachtet werden.196 Die Rechtsprechung als staatliche Aufgabe würde ihres Sinns beraubt, wenn die Beendigung des Rechtsstreits durch den Richterspruch nicht eine zwingende Bindung an diesen zur Folge hätte. 197 (3) Zusammenfassung Letztlich stellt sich die Beurteilung, ob die autorité de la chose jugée dem ordre public zuzurechnen ist, als Frage der Gewichtung der mit der autorité de la chose jugée verfolgten Ziele dar. Anders als beispielsweise das deutsche Recht misst die französische Rechtskraftdogmatik dabei traditionell den privaten Interessen ein größeres Gewicht zu als den öffentlichen Belangen, weshalb die autorité de la chose jugée ganz überwiegend als privaten Interessen dienendes Institut verstanden wird. bb. Ausnahmen von der grundsätzlichen Einordnung als privaten Interessen dienendes Institut Auch wenn die autorité de la chose jugée nach herrschendem Verständnis als privaten Interessen dienendes Institut eingeordnet wird, stoßen die zur Begründung dieser Position herangezogenen Argumentationslinien in gewissen Fällen an ihre Grenzen. Die Rechtsprechung trägt dem Rechnung, indem sie die autorité de la chose jugée in bestimmten Ausnahmefällen dem ordre public zuordnet. Eine erste Ausnahme findet ihre Grundlage darin, dass das Argument, die autorité de la chose jugée eines zum Zweck der Durchsetzung dispositiver Rechte erwirkten Zivilurteils müsse auch zur Disposition der Parteien stehen, in den Fällen nicht greifen kann, in denen der Gegenstand des im früheren Verfahren ergangenen Urteils selbst dem ordre public zuzurechnen ist. Es geht hier insbesondere um Urteile, die familienrechtliche Rechtsverhältnisse wie den Personenstand, die Abstammung, das Bestehens einer Ehe oder die Geschäftsfähigkeit betreffen. Die hier gegenständlichen Rechtsverhältnisse berühren in besonderem Maße auch öffentliche Interessen und stehen daher auch nicht zur völlig freien Disposition der Parteien. Betrifft ein Urteil eine solche Angelegenheit, sieht die Rechtsprechung die autorité de la chose jugée ausnahmsweise als règle d’ordre public an.198

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Perrot, JCP 1952 II-6806, II. Guillien, L’acte juridictionnel, p. 270. 198 Cass. 1 e civ., 19. Mai 1976, n° 74-13.821, Bull. civ. I, n° 184, p. 148. 197

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Eine zweite Ausnahme fußt auf dem Gedanken, dass der Erlass widersprüchlicher Entscheidungen sich besonders nachteilig auswirkt, wenn die sich widersprechenden Entscheidungen im selben Verfahren und in derselben Instanz ergehen.199 Das öffentliche Interesse an der Gewährleistung der Widerspruchsfreiheit gerichtlicher Verfahren tritt in diesem Fall stärker in den Vordergrund. Daher macht die Rechtsprechung auch dann eine Ausnahme von der Einordnung als privaten Interessen dienendes Institut, wenn die Vorentscheidung, deren autorité im späteren Verfahren im Raum steht, im Laufe desselben Verfahrens ergangen ist und bereits unanfechtbar im Sinne der force de la chose jugée geworden ist. 200 Die hierzu ergangenen Entscheidungen der Cour de Cassation deuten teilweise daraufhin, dass diese Ausnahme nicht nur dann greift, wenn die ergangenen Entscheidungen tatsächlich im selben Verfahren ergangen sind, sondern auch bei Folgeprozesse zur Anwendung kommen kann, die denselben Lebenssachverhalt betreffen. 201 Damit wäre eine recht deutliche Relativierung des Grundsatzes verbunden. Das öffentliche Interesse an der Widerspruchsfreiheit der gerichtlichen Entscheidungen dürfte bei im selben Verfahren ergangenen Entscheidungen (beispielsweise bei Teilurteilen) allerdings am größten sein.202 Die Zurechnung zum ordre public wird nur dann vorgenommen, wenn gegen die vorausgegangene Entscheidung keine ordentlichen Rechtsmittel mehr eröffnet sind,203 es muss also eine gewisse Stabilität der Vorentscheidung gewährleistet sein. Zur Begründung dieser zweiten Ausnahme wird in der Literatur bisweilen auch die oben erwähnte Argumentationslinie herangezogen, wonach die Parteien eine im Vergleich zum Gericht bessere Kenntnis vom Vorliegens bereits 199

Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 274. Cass 2 e civ., 28. April 1986, n° 84-16.981, Bull. civ. II, n° 67, p. 45: „[…] quand, au cours de la même instance, il est statué sur les suites d'une précéd ente décision passée en force de chose jugée“. Ebenso Cass. 3 e civ., 16. Oktober 1970, n° 69-10.074, Bull. civ. III, n° 523, p. 384; Cass. 3 e civ., 11. Dezember 1973, n° 72-13.685, Bull. civ. III, n° 621, p. 452; Cass. soc., 20. Januar 1982, n° 80-40.103, Bull. soc., n° 27; Cass. com., 26. Juni 1984, n° 82-16.707, Bull. civ. IV, n° 205; Cass. 1 e civ., 29. Dezember 1990, n° 87-16.605, Bull. civ. I, n° 225, p. 160; Cass. 2 e civ., 24. Mai 2000, n° 97-20.412, inédit; Cass. soc., 3. Mai 2001, n° 99-40.945, inédit. 201 Beispielsweise wurde im der Entscheidung Cass. 3e civ., 16. Oktober 1970, n° 6910.074, Bull. civ. III, n° 523, p. 384 zugrundeliegenden Fall im ersten Verfahren über die Haftung des Architekten und des Werkunternehmers für gewisse Werkmängel an den Kaminen mehrerer Etagenheizungen entschieden, während im späteren Verfahren, in dem die Feststellung zum Verschulden der Beklagten als bindend angesehen wurde, die Verpflichtung zum Einbau einer Zentralheizung gegenständlich war, nachdem sich die Mängelbeseitigung an den Kaminen als unmöglich erwiesen hatte. 202 Auf die im selben Verfahren ergangenen Entscheidungen scheint Bouty die Ausnahme der Rechtsprechung beschränken zu wollen (Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 279). 203 Cass 2 e civ., 28. April 1986, n° 84-16.981, Bull. civ. II, n° 67, p. 45. 200

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ergangener Urteile haben.204 Eine solche bessere Erkenntismöglichkeit ist nämlich gerade nicht gegeben, wenn die rechtskräftige Vorentscheidung im Laufe desselben Verfahrens ergangen ist: Da das Gericht, die im selben Verfahren und in derselben Instanz erlassenen Urteile regelmäßig kennen wird, droht hier keine Überforderung der Gerichte. cc. Zusammenfassung Die Frage der Einordnung der autorité de la chose jugée als règle d‘intérêt privé oder als Institut des ordre public wurde in der Literatur vor 2004 kontrovers diskutiert. Die Rechtsprechung ging zwar vom klaren Grundsatz einer Einordnung der autorité de la chose jugée als den privaten Interessen der Parteien dienendes Institut aus. Durch die Anerkennung von teilweise recht weitgefassten Ausnahmefällen erfuhr dieser Grundsatz allerdings eine gewisse Relativierung. b. Auswirkungen der Gesetzesänderung von 2004 Hatte sich die Regelung des Art. 125 C.p.c. in seiner alten Fassung noch ganz allgemein auf sämtliche Unzulässigkeitseinreden bezogen, ohne zwischen einzelnen fins de non-recevoir zu differenzieren, wurde Art. 125 C.p.c. durch das Décret n° 2004–836 vom 20. August 2004 mit Wirkung zum 1. Januar 2005 um einen zweiten Absatz ergänzt, in dem neben den aus dem fehlenden Rechtsschutzinteresse und der fehlenden Parteieigenschaft der qualité erwachsenden Unzulässigkeitseinreden auch die aus der chose jugée folgende Unzulässigkeitseinrede eine gesonderte Regelung erfährt. Nach Art. 125, alinéa 2 C.p.c. kann der Richter diese Unzulässigkeitseinreden nun von Amts wegen prüfen. Während also Absatz 1 des Art. 125 C.p.c. eine Amtsprüfung grundsätzlich vom Charakter der jeweiligen Unzulässigkeitseinrede als règle d’ordre public abhängig macht, enthält Absatz 2 eine gesonderte Anordnung der Möglichkeit der Amtsprüfung für die dort genannten Unzulässigkeitseinreden. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber nunmehr nicht nur eine klare Entscheidung für die Möglichkeit einer Prüfung der autorité de la chose jugée von Amts wegen getroffen, der Norm lässt sich vielmehr auch eine Aussage zur Einordnung als privaten oder öffentlichen Belangen dienendes Institut entnehmen. Auf den ersten Blick könnte die Regelung in einem gesonderten Absatz zwar auch der Klarstellung dahingehend dienen, dass die autorité de la chose jugée ein dem ordre public zuzuschreibendes fin de non-recevoir im Sinne des ersten Absatzes ist und aus diesem Grund eine Amtsprüfung vorgesehen ist. Hiergegen spricht jedoch, dass die Rechtsfolgen der Absätze 1 und 2 nicht völlig übereinstimmen: Während gemäß Absatz 1 die dem ordre public zuzurech-

204

So Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 279.

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nenden Unzulässigkeitseinreden zwingend von Amts wegen zu berücksichtigen sind, sieht der zweite Absatz für die aus der autorité de la chose jugée entspringende Unzulässigkeitseinrede lediglich eine fakultative Amtsprüfung vor. 205 Da die beiden Absätze damit in ihrer Rechtsfolge voneinander abweichen, kann dem zweiten Absatz kein bloßer Klarstellungscharakter zukommen. Vielmehr stellt sich der Absatz 2 als Sonderregelung für die drei dort genannten Unzulässigkeitsgründe dar, die als privaten Interessen dienende Figuren gerade nicht dem Absatz 1 unterfallen. Das traditionelle Verständnis der Rechtsprechung als règle d’interêt privé wird damit durch den Gesetzgeber bestätigt.206 Die Rechtsprechung geht ebenfalls weiterhin von einem vorrangigen Schutz der privaten Interessen aus207 und hält gleichzeitig an der Anerkennung der oben beschriebenen Ausnahmefälle fest, in denen die autorité de la chose jugée als règle d’ordre public verstanden wird. 208 2. Berücksichtigung der „autorité de la chose jugée“ von Amts wegen a. Amtsprüfung Mit der Einordnung als règle d’interêt privé war bis 2004 auch die Entscheidung über die Zulässigkeit der Amtsprüfung vorgezeichnet: Das Gericht durfte die autorité de la chose jugée einer vorangegangenen Entscheidung nicht von Amts wegen berücksichtigen.209 Da diese vorrangig den Interessen der Parteien zu dienen bestimmt war, musste die bereits ergangene Entscheidung von den Parteien geltend gemacht werden. Jedoch griff in den beiden anerkannten Ausnahmefällen, in denen die autorité de la chose jugée dem ordre public zuge-

205

Art. 125, al. 1 C.p.c.: „Les fins de non-recevoir doivent être relevées d'office lorsqu'elles ont un caractère d'ordre public […]“; Art. 125, al. 2 C.p.c.: „Le juge peut relever d'office la fin de non-recevoir tirée du défaut d'intérêt, du défaut de qualité ou de la chose jugée.“ 206 Ganz überwiegende Ansicht: Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 277; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 364, p. 297; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 195; unklar dagegen Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile (einerseits: „depuis le décret du 20 août 2004, le juge peut relever d’office (C. pr. civ., art. 125, al. 2), sans que cela constitue pour lui une obligation, ce moyen n’étant pas d’ordre public“ (n° 1112), aber andererseits: „le tribunal peut relever d’office […], depuis le décret n° 2004-836 du 20 août 2004, [les fins de non-recevoir] tirées du défaut de qualité ou de la chose jugée, ce qui fait de l’autorité de celle-ci une règle d’ordre public.“ (n° 340). 207 Cass. com., 3. März 2009, n° 08-13.279, inédit. 208 Cass. 1re civ., 8. Oktober 2009, n° 07-21.990, Bull. civ. I, n° 201; Cass. soc., 16. März 2011, n° 09-68.192, inédit; Cass. 1 re civ., 16. Mai 2012, n° 11-16.330, inédit. 209 Cass, 2e civ., 24. November 1976, n° 75-11.732, Bull. civ. II, n° 315, p. 248; Cass. 3 e civ., 20. Mai 1992, n° 90-13.598, Bull. civ. III, n° 159, p. 97; Cass. 2 e civ., 4. Dezember 2003, n° 02-10.010, Bull. civ. II, n° 365, p. 301.

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rechnet wurde, Art. 125, al. 1 C.p.c. alter Fassung: Das Gericht musste die bestehende autorité de la chose jugée daher in diesen Fällen von Amts wegen überprüfen.210 Nach der heute geltenden Fassung des Art. 125, al. 2 C.p.c. ist eine Amtsprüfung dagegen immer möglich. Nach dem klaren Wortlaut des Absatzes 2 kann das Gericht die sich aus der autorité de la chose jugée ergebende Unzulässigkeitseinrede von Amts wegen überprüfen. Absatz 1 sieht dagegen für die dem ordre public dienenden fins de non-recevoir vor, dass das Gericht diese von Amts wegen zu überprüfen hat. Das Gesetz differenziert damit eindeutig zwischen einer fakultativen (Absatz 2) und einer obligatorischen Amtsprüfung (Absatz 1). Das Gericht kann die autorité de la chose jugée daher nach Absatz 2 von Amts wegen überprüfen, muss dies aber nicht. Es steht im freien Ermessen des Gerichts, trotz Kenntnis vom Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung deren autorité de la chose jugée unberücksichtigt zu lassen.211 Leitlinien, nach denen das Gericht dieses Ermessen auszuüben hat, werden nirgends formuliert. Diese Einräumung eines Ermessens ohne jegliche Grenzziehung ist durchaus fragwürdig, denn sie birgt die große Gefahr willkürlicher Entscheidungen und der Unvorhersehbarkeit gerichtlichen Vorgehens. 212 Veranlasst wurde die gesetzgeberische Entscheidung, den Gerichten zumindest die Möglichkeit der Amtsprüfung zu geben, durch den Zuwachs der Fälle, in denen die Parteien, statt die vorgesehenen Rechtsmittel einzulegen, erneut ein erstinstanzliches Verfahren einleiteten. 213 In der französischen Richterschaft war zunehmend Unmut darüber entstanden, selbst in diesen offensichtlichen Fällen ein vollständiges neues Verfahren über bereits abschließend Entschiedenes durchführen zu müssen.214 Eine Abkehr von der traditionellen Einordnung der autorité de la chose jugée als règle d’intérêt privé wollte der Gesetzgeber aber 210 Cass. 1re civ., 19. Mai 1976, n° 74-13.821, Bull. civ. I, n° 184, p. 148; Cass. soc., 20. Januar 1982, n° 80-40.103, Bull. soc., n° 27; Cass. com., 26. Juni 1984, n° 82-16.707, Bull. IV, n° 205; Cass 2 e civ., 28. April 1986, n° 84-16.981, Bull. civ. II, n° 67, p. 45; Cass. 1 re civ., 29. Dezember 1990, n° 87-16.605, Bull. civ. I, n° 225, p. 160; Cass. 2 e civ., 24. Mai 2000, n° 97-20.412, inédit; Cass. soc., 3. Mai 2001, n° 99-40.945, inédit. 211 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 277. Anders im französischen Verwaltungsprozess (zur dortig geltenden obligatorischen Amtsprüfung: Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 154 ff.). 212 Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Einführung solcher fakultativen Prüfungskompetenzen wegen der Gefahr der Ungleichbehandlung und Willkürlichkeit äußerte unmittelbar vor der Änderung des Art. 125, al. 2 C.p.c. im Jahr 2004 auch Buffet, Introduction aux Rencontres Université-Cour de cassation – La procédure civile, 23 janvier 2004, BICC, hors série n° 3: „...encore qu’il soit permis de s’interroger, d’une manière plus générale, au regard des risques d’inégalité et d’arbitraire, sur ces accroissements des pouvoirs facultatifs des juges“. 213 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 277. 214 Vgl. Buffet, Introduction aux Rencontres Université-Cour de cassation – La procédure civile, 23 janvier 2004, BICC, hors série n° 3.

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offensichtlich nicht vollziehen.215 Durch die fakultative Amtsprüfung ist es den Parteien verwehrt, das ergangene Urteil, in dem die rechtskräftige Vorentscheidung nicht berücksichtigt wurde, in der Rechtsmittelinstanz aufgrund dieser unterbliebenen Berücksichtigung anzugreifen. 216 Die Verantwortung für die Berücksichtigung eines bereits ergangenen Urteils verbleibt so bei den Parteien. Im Spannungsfeld zwischen dem praktischen Bedürfnis einer größeren Prozessökonomie einerseits und der Einordnung als privaten Interessen dienendes Institut andererseits wurde die fakultative Amtsprüfung der autorité de la chose jugée als Mittelweg gewählt. Die Grundsätze und Ausnahmen, welche die Rechtsprechung zur Einordnung der autorité de la chose jugée als privaten Interessen dienendes Institut entwickelt hat, bleiben für die Frage der Anwendbarkeit der beiden Absätze des Art. 125 C.p.c. von Relevanz: Die fakultative Amtsprüfung des Absatz 2 greift im Regelfall, wenn also die autorité de la chose jugée als privaten Interessen dienende Regel anzusehen ist, während in den Ausnahmefällen, in denen die autorité de la chose jugée dem ordre public zuzuschreiben ist, Art. 125, al. 1 C.p.c. mit der obligatorischen Berücksichtigung von Amts wegen Anwendung findet.217 Zwar regelt Art. 125 C.p.c., der den gesetzlichen Anknüpfungspunkt der soeben geschilderten Grundsätze bildet, allein die aus der autorité de la chose jugée entspringende Unzulässigkeitseinrede und damit die negative Wirkungsrichtung, die Rechtsprechung wendet die hierzu entwickelten Regeln aber auch auf die autorité positive de la chose jugée an.218 b. Einführung der Tatsache der Existenz eines rechtskräftigen Urteils in den Prozess Steht damit fest, dass den Richter – außer in den genannten Ausnahmefällen – auch bei Kenntnis von einer rechtskräftigen streitgegenstandidentischen oder vorgreiflichen Entscheidung keine Pflicht zur Amtsprüfung der Rechtsfrage der entgegenstehenden oder bindenden autorité de la chose jugée trifft, so ist 215

Siehe oben C. II. a. aa. So zum fin de non-recevoir des fehlenden Rechtsschutzinteresses (défaut d’intérêt): Cass. 2 e civ., 10. Juli 1991, n° 90-14.187, Bull. civ. II, n° 211, p. 112; anders aber, wenn das Gericht die Prüfung von Amts wegen in der irrtümlichen Annahme verweigert hat, ohne eine Rüge der Parteien das jeweilige moyen de droit nicht berücksichtigen zu können: Cass. 2 e civ., 18. Januar 1984, n° 82-15.832, Bull. civ. II, n° 9. Diese Grundsätze sind auch auf die autorité de la chose jugée übertragbar, so Normand/Bléry, Principes directeurs du procès – Office du juge, Fondement des prétentions litigieuse, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 152, n° 68. 217 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 195. 218 Z.B. Cass, 2 e civ., 24. November 1976, n° 75-11.732, Bull. civ. II, n° 315, p. 248; Cass. soc., 20. Januar 1982, n° 80-40.103, Bull. soc., n° 27. 216

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damit noch nicht geklärt, wem die Einführung der Tatsache der Existenz eines solchen Urteils obliegt. Nach deutschem Verständnis sind Amtsprüfung und Amtsermittlung klar zu trennen, das Gericht ist nicht verpflichtet, die Existenz eines rechtskräftigen Urteils zu ermitteln, auch wenn die Rechtskraft von Amts wegen zu überprüfen ist. 219 Den Gerichten wird jedoch überwiegend die Befugnis zuerkannt, die Tatsache, dass ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, in den Prozess einzuführen.220 In Frankreich verwischen dagegen teilweise die Grenzen zwischen Amtsprüfung und Amtsermittlung: Wie bereits oben erwähnt, begründen einige Autoren die Ablehnung einer obligatorischen Amtsprüfung nämlich nicht nur mit dem Verständnis der autorié de la chose jugée als règle d’intérêt privé, sondern heben hervor, dass die Verpflichtung zur Ermittlung der Existenz zuvor ergangener, möglicherweise bindender Entscheidungen die Gerichte überfordern würde, da sie nicht sämtliche ergangenen Entscheidungen kennen können.221 Dieses Argument richtet sich jedoch an sich nur gegen eine Ermittlung der Tatsache der Existenz eines rechtskräftigen gegenstandsidentischen oder präjudiziellen Urteils, nicht aber gegen eine Prüfung von Amts wegen, die lediglich die Frage der Berücksichtigung der autorité de la chose jugée ohne vorherige Rüge durch die Parteien betrifft. Eine solche Vermischung der Amtsprüfung und der Amtsermittlung ist auch aus Sicht der französischen Prozessrechtsdogmatik fragwürdig, denn die Befugnis und Pflicht des Gerichts zur Prüfung von Rechtsfragen wird an sich auch in Frankreich von der Frage der Einführung der zugrundeliegenden Tatsachen in das Verfahren getrennt: Die Tatsacheneinführung ist gemäß Art. 6 C.p.c. grundsätzlich Sache der Parteien. 222 Der Code de procédure civile gibt dem Richter zwar die Befugnis, die Parteien zum Vortrag der maßgeblichen Tatsachen anzuhalten (Art. 8 C.p.c.) oder Tatsachen zu berücksichtigen, die die Parteien zwar nicht ausdrücklich vorgetragen haben, die sich aber z.B. aus ihrem sonstigen Vortrag, beigebrachten Urkunden, Schriftstücken oder der Gerichtsakte ergeben.223 Eine Pflicht hierzu besteht jedoch nicht,224 und zwar auch dann nicht, wenn es sich um ein von Amts wegen

219 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, vor § 128, Rn. 168; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 45; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 25 Rn. 64. 220 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 211; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 25 Rn. 64; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 45. 221 So beispielsweise Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 277; Tomasin, Essai, n° 313. 222 Art. 6 C.p.c.: „À l’appui de leurs prétentions, les parties ont la charge d’alléguer les faits propres à les fonder.“ 223 Normand/Bléry, Principes directeurs du procès – Office du juge, Fondement des prétentions litigieuse, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 152, n° 17 ss. 224 Hinsichtlich Art. 7, al. 2 Cp.c.: Cass. 1 re civ., 16. Juni 1982, n° 81-11.752, Bull. civ. I, n° 231. Hinsichtlich Art. 8 C.p.c.: Cass. 1re civ., 4. Dezember 1973, n° 72-13.385, Bull.

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zu prüfendes Vorbringen (moyen) handelt: Nach der Rechtsprechung der Cour de Cassation ist mit der obligatorischen Prüfung eines moyen de droit von Amts wegen keine Verpflichtung des Gerichts verbunden, die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln.225 Die Tatsache einer existierenden Entscheidung mit gegenstandsidentischem oder präjudiziellem Inhalt ist daher von den Parteien in den Prozess einzuführen. Das Gericht trifft dagegen keine Amtsermittlungspflicht. Seine Aktivität in Bezug auf die Tatsacheneinführung bleibt auf die Befugnisse nach Art. 7, al. 2 C.p.c. und Art. 8 C.p.c. beschränkt. c. Durchführung der Amtsprüfung: Notwendige Gewährung rechtlichen Gehörs? Entscheidet sich das Gericht, die autorité de la chose jugée einer ergangenen Entscheidung von Amts wegen zu berücksichtigen, so stellt sich die Frage, ob es dies tun kann, ohne den Parteien zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Gemäß Art. 16, al. 1 C.p.c. muss das Gericht den Grundsatz der Kontradiktion (principe contradictoire), der in Frankreich das Recht auf Gehör beschreibt, in jeder Lage des Verfahrens beachten. 226 Dementsprechend hat das Gericht die Parteien gemäß Art. 16, al. 3 C.p.c. anzuhören, bevor es ein moyen von Amts wegen prüft – selbst wenn dieses dem ordre public zuzurechnen ist.227 Das Gericht, das die autorité de la chose jugée von Amts wegen berücksichtigen will, muss daher den Parteien Gelegenheit geben, sich zu der ergangenen Entscheidung und deren Auswirkung auf den vorliegenden Prozess zu äußern.228 Von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung wiederum eine Ausnahme, wenn die Vorentscheidung, deren autorité de la chose jugée von Amts

civ. I, n° 336 p. 296; Cass. soc., 11. März 1976, n° 75-40.273, Bull. soc., n° 156, p. 128; Cass. soc., 16. Mai 2001, n° 99-41.182, inédit. 225 Cass. 1re civ., 14. Mai 2009, n° 08-12.836, Bull. civ. I, n° 94; Cass. 1re civ., 18. September 2008, n° 07-15473, Bull. civ. I, n° 207; Cass. 1 re civ., 13. November 2008, n° 0719.282, Bull. civ. I, n° 261 („… si les juges du fond sont tenus de relever d'office la fin de non-recevoir tirée de la forclusion édictée par l'article L. 311-37 du code de la consommation lorsque celle-ci résulte des faits soumis à leur examen, c'est à la partie intéressée qu'il incombe d'invoquer et de prouver ces faits“). 226 Art. 16, al. 1 C.p.c.: „Le juge doit, en toutes circonstances, faire observer et observer lui-même le principe de la contradiction.“ 227 Art. 16, al. 3 C.p.c.: „[Le juge] ne peut fonder sa décision sur les moyens de droit qu'il a relevés d'office sans avoir au préalable invité les parties à présenter leurs observations.“ Vgl. auch Cass. 2 e civ., 2. Dezember 1992, n° 91-12.146, Bull. civ. II, n° 290, p. 144. 228 Cass. 2 e civ., 27. Februar 1985, n° 84-10.502, Bull. civ. II, n° 47, p. 33; Cass. com., 14. Februar 1995, n° 93-11.030, inédit; Cass. 3 e civ., 18. Mai 2010, n° 09-13.323 und 09.15.194, inédit; Cass. 1 re civ., 14. März 2012, n° 11-30.183, inédit.

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wegen berücksichtigt werden soll, in derselben Instanz ergangen ist. 229 Insoweit besteht ein Gleichlauf mit der Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Einordnung der autorité de la chose jugée als öffentlichen Interessen dienendes Institut. Die Tatsache, dass eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt, ist nach Aufassung der Rechtsprechung in diesem Fall bereits automatisch Gegenstand des Verfahrens und der Verhandlung, so dass das Gericht durch die Berücksichtigung der daraus erwachsenden autorité de la chose jugée keinen neuen Aspekt in den Prozess einführe.230 Es muss daher zu den sich hieraus notwendig ergebenden rechtlichen Folgen keine Stellungnahme der Parteien mehr einholen. Auch wenn den knappen französischen Entscheidungen hierzu nicht viel zu entnehmen ist, wird in der Literatur überwiegend angenommen, dass sich die Rechtsprechung zur Begründung dieser Ausnahme auf den umstrittenen231 Gedanken des notwendigerweise zum Gegenstand der Verhandlung gehörenden Vorbringens (moyen (nécessairement) dans la cause/dans le débat) stützt. 232 Auf Grundlage dieser Figur gilt das Vorbringen, das bereits auf indirektem Wege, beispielsweise durch den auf ein anderes Ergebnis abzielenden Vortrag einer der Parteien, Teil des Verfahrens geworden ist, nicht als von Amts wegen erhoben mit der Folge, dass Art. 16, al. 3 C.p.c. mit seiner Verpflichtung zur Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit nicht greift. 233 Die von der Rechtsprechung entwickelte Ausnahme wird jedoch in der Literatur kritisiert: Zwar sei die in derselben Instanz ergangene Entscheidung Teil des Verfahrensgangs, der den Parteien regelmäßig bekannt sei, jedoch könne die konkrete Auswirkung der autorité de la chose jugée auf den jeweiligen Prozess sowie deren Reichweite durchaus streitig sein, weshalb eine entsprechende Möglichkeit zur Erörterung in der Verhandlung gewährt werden

229 Cass. com., 26. Juni 1984, n° 82-16.707, Bull. civ. IV, n° 205; Cass. 1 re civ., 29. Oktober 1990, n° 87-16.605, Bull. civ. I, n° 225; Cass. 2 e civ., 10. März 1993, n° 91-18.678, Bull. civ. II, n° 93, p. 50; teilweise hat die Cour de Cassation die Ausnahme aber unangewendet gelassen, vgl. Cass. 2 e civ., 27. Februar 1985, n° 84-10.502, Bull. civ. II, n° 47, p. 33. 230 Cass. com., 26. Juni 1984, n° 82-16.707, Bull. civ. IV, n° 205. 231 Die Anwendung des Konzepts des moyen dans la cause zur Rechtsfertigung einer Ausnahme von der Gewährung rechtlichen Gehörs wurde auch schon durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK gerügt, EGMR, Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 65399/01, 65406/01, 65405/01 und 65407/01 (Affaire Clinique des acacias u.a./ France), Rn. 37 ff. (wenn auch nicht im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der autorité de la chose jugée von Amts wegen); siehe auch Héron/Le Bars, Droit judiciare civile, n° 307, p. 252. 232 Héron/Le Bars, Droit judiciare civile, n° 364, p. 297; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 196. 233 Ausführlich Héron/Le Bars, Procédure civile, n° 307, p. 251 ss.; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 823.

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müsse. 234 Tatsächlich scheint die von der Rechtsprechung formulierte Ausnahme wieder auf einer Vermischung der Frage der Einführung einer Tatsache (Existenz einer streitgegenstandsidentischen oder präjudiziellen Entscheidung) und der Berücksichtigung der aus dieser Tatsachen zu ziehenden rechtlichen Schlussfolgerungen (Unzulässigkeit wegen der aus der autorité de la chose jugée entspringenden Unzulässigkeitseinrede bzw. Bindung an die entschiedene Vorfrage) zu beruhen. Zwar mag die Berücksichtigung der aus der Vorentscheidung erwachsenden autorité de la chose jugée auf Grund der Kenntnis der Parteien von den in derselben Instanz ergangenen Vorentscheidungen keine Einführung einer neuen Tatsache darstellen, jedoch kann die hieraus gezogene rechtliche Schlussfolgerung dennoch unvorhersehbar sein. Das Gesetz hat in Art. 16, al. 3 C.p.c. die Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit gerade hinsichtlich der moyens de droit, d.h. hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der Tatsachengrundlage, vorgesehen. Die Gefahr einer gerichtlichen Überraschungsentscheidung ist bei einer in derselben Instanz ergangenen Entscheidung aber lediglich hinsichtlich der tatsächlichen Existenz des Urteils gemindert. Die Situation der Parteien in Bezug auf die rechtliche Bewertung der Existenz der Vorentscheidung ist dagegen keine andere als bei sonstigen moyens de droit. Es ist auf Grund der grundsätzlichen gesetzgeberischen Entscheidung, das Gericht zur Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Prüfung eines moyen de droit von Amts wegen zu verpflichten, kein Grund ersichtlich, warum das Gericht die Parteien nicht hören sollte, wenn es die autorité de la chose jugée einer in derselben Instanz ergangenen Entscheidung von Amts wegen berücksichtigen will. d. Zusammenfassung Festzuhalten ist damit, dass das Gericht die autorité de la chose jugée einer ihm zur Kenntnis gebrachten Entscheidung auch dann berücksichtigen kann, wenn keine der Parteien das Entgegenstehen der autorité de la chose jugée einwendet. Anders als beispielsweise nach deutschem Recht ist diese Berücksichtigung von Amts wegen aber nicht obligatorisch, vielmehr kann das Gericht auch davon absehen, die rechtskräftige Entscheidung zu berücksichtigen. Eine Ausnahme hiervon gilt nur in den beiden Fällen, in denen die autorité de la chose jugée dem ordre public zugerechnet wird, nämlich wenn das geltend gemachte materielle Recht selbst den ordre public betrifft und wenn die Vorentscheidung in derselben Instanz ergangen ist. Die Tatsache der Existenz einer rechtskräftigen Entscheidung muss das Gericht dabei aber auch dann nicht ermitteln, wenn in den von der Rechtsprechung formulierten Ausnahmefällen die obligatorische Prüfung von Amts wegen nach Art. 125, al. 1 C.p.c. Anwendung findet. Entscheidet sich das Gericht, die autorité de la chose jugée von Amts 234

Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 280.

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wegen zu berücksichtigen, so muss es den Parteien grundsätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme geben. 3. Der Zeitpunkt der Geltendmachung der „autorité de la chose jugée“ Trotz der Einordnung als privaten Interessen dienendes Institut muss das Entgegenstehen der autorité de la chose jugée nicht in limine litis geltend gemacht werden, sondern kann in jeder Phase des Verfahrens vorgetragen werden. Für die aus der autorité de la chose jugée entspringende Unzulässigkeitseinrede, also für die negative Wirkungsrichtung, ergibt sich dies aus Art. 123 C.p.c. Um Missbräuche zu verhindern, kann das Gericht jedoch eine Partei, die die Geltendmachung der autorité de la chose jugée absichtlich verzögert, zur Zahlung von Schadensersatz verurteilen (Art. 123 C.p.c.). Dass die autorité de la chose jugée in jeder Phase des Verfahrens geltend gemacht werden kann, gilt allerdings nur im erstinstanzlichen Verfahren und in der Berufung. Aufgrund des Charakters der autorité de la chose jugée als règle d’intérêt privée ist eine erstmalige Berufung auf die autorité de la chose jugée im Kassationsverfahren dagegen ausgeschlossen.235 Nur in den beiden Fällen, in denen die autorité de la chose jugée dem ordre public zugerechnet wird, kann sie auch erstmals vor der Cour de Cassation geltend gemacht werden.236 4. Verzicht der Parteien auf die „autorité de la chose jugée“ Angesichts der Natur der autorité de la chose jugée als règle d‘intérêt privée ist es den Parteien zwar möglich, auf die autorité de la chose jugée zu verzichten (renoncer). 237 Da das Gericht die autorité de la chose jugée aber nach heu-

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Cass. 3e civ., 19. Juni 1968, Bull. civ. III, n° 287; Cass. com., 19. Juli 1983, n° 8212.215, Bull. civ. IV, n° 225; Cass 1 re civ., 17. Januar 2006, n° 05-10.875, Bull. civ. I, n° 11, p. 10; Cass. 1re civ., 2. Oktober 2007, n° 06-13.861, inédit. 236 Cass. 3e civ., 6. Dezember 1977, n° 76-12.870, Bull. civ. III, n° 425, p. 323; Cass. 1 r e civ., 15. Juni 1994, n° 92-17588, inédit; Cass. com., 27. Mai 1997, n° 95-18.443, inédit; Cass soc., 19. März 1998, n° 95-45.205, Bull. civ. V, n° 158, p. 116; Cass. soc., 14. Januar 1999, n° 97-13.771, inédit. 237 Cass. 1e civ., 6. Juni 1978, n° 77-10.835, Bull. civ. I, n° 214, p. 171; Cass. soc., 10. Mai 1989, n° 86-43.532, inédit; Cass. 1 re civ., 19. Februar 2002, n° 00-11945, inédit; Cass. com., 3. März 2009, n° 08-13.279, 08–13.278, 07–20.871, inédit; Cass. 3e civ., 28. Mai 2010, n° 09-13.323, 09–15.194, inédit; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 197. Dieser Verzicht kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erklärt werden, vgl. Cass. soc., 19. Mai 1989, n° 86-43.532, inédit; Cass. 1 re civ., 19. Februar 2001, n° 00-11.945, inédit (konkludenter Verzicht, wenn eine Partei nach ergangener Entscheidung zu einem Teil des Anspruchs den gesamten Anspruch erneut vor Gericht bringt).

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tiger Rechtslage auch von Amts wegen berücksichtigen kann, bindet ein Verzicht der Parteien das Gericht nicht.238 Dieses kann nach freiem Ermessen darüber entscheiden, ob es die autorité de la chose jugée von Amts wegen berücksichtigen will. 5. Zusammenfassung Die Einordnung der autorité de la chose jugée als den privaten Interessen dienendes Institut, die sich in Frankreich durchgesetzt hat, bestimmt die gesamte Behandlung der autorité de la chose jugée im Prozess. Sie schließt eine obligatorische Amtsprüfung der autorité de la chose jugée aus, zur Berücksichtigung von Amts wegen ist das Gericht nur auf Grund der gesetzlichen Anordnung des Art. 125, al. 2 C.p.c. befugt. Die autorité de la chose jugée kann in der ersten Instanz und im Berufungsverfahren zu jedem Zeitpunkt geltend gemacht werden, dagegen ist eine erstmalige Geltendmachung im Kassationsverfahren auf Grund der privatnützigen Zielsetzung der autorité de la chose jugée ausgeschlossen. Ausnahmen gelten jeweils in dem Fall, dass das betroffene materielle Rechtsverhältnis selbst dem ordre public zuzurechnen ist und wenn die rechtskräftige Entscheidung im selben Verfahren und in derselben Instanz ergangen ist. III. Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen Aus den vorausgegangenen Ausführungen ergibt sich, dass das französische System die Existenz zweier rechtskräftiger Entscheidungen grundsätzlich akzeptiert, wenn die Parteien die entgegenstehende oder bindende autorité de la chose jugée nicht geltend gemacht haben. Sie können die Entscheidung in diesem Fall nicht im Nachhinein mit der Begründung anfechten, das Gericht habe die autorité de la chose jugée nicht beachtet. Der Code de procédure civile sieht jedoch Fälle vor, in denen die Parteien gegen die rechtskräftigen Entscheidungen vorgehen können. 1. Die Kassation nach Art. 617 C.p.c. Auch wenn keine Pflicht zur Berücksichtigung der autorité de la chose jugée von Amts wegen besteht, hat das Gericht die autorité de la chose jugée zu beachten, wenn eine der Parteien die entsprechende Unzulässigkeitseinrede erhoben hat. Unterbleibt eine Berücksichtigung, obwohl eine der Parteien die entgegenstehende autorité de la chose jugée geltend gemacht hat, so gewährt

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Vgl. Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 197: „[les parties] disposent de la faculté de renoncer à l’invoquer, sous réserve de l’inertie du juge.“

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Art. 617 C.p.c. der Partei das Rechtsmittel der Kassation. Es handelt sich hierbei letztlich um einen normalen Fall der Kassation, den der Gesetzgeber lediglich hervorgehoben hat, um klarzustellen, dass der Richter die autorité de la chose jugée zu berücksichtigen hat, wenn diese von den Parteien geltend gemacht wird. 239 Art. 617 C.p.c. dient damit dem Zweck, die Beachtung der geltend gemachten autorité de la chose jugée durchzusetzen und so die Herrschaft der Parteien über die Einbeziehung der bereits ergangenen abschließenden Entscheidung zu wahren. Das Rechtsmittel ist gemäß Art. 617, al. 2 C.p.c. gegen die später ergangene Entscheidung zu richten. Ist das Rechtmittel erfolgreich, so wird die spätere Entscheidung ohne Zurückverweisung aufgehoben. 240 2. Die Kassation nach Art. 618 C.p.c. bei Unvereinbarkeit der Entscheidungen Im Fall zweier rechtskräftiger Entscheidungen kann zudem das Rechtsmittel nach Art. 618 C.p.c. zur Anwendung kommen, das die Anfechtung von miteinander unvereinbaren Urteilen im Wege der Kassation ermöglicht. Er handelt sich um einen von der normalen Kassation abweichenden Rechtsbehelf, 241 der in Fällen der Unvereinbarkeit (inconciliabilité oder contrarieté) der Wirkungen zweier gerichtlicher Entscheidungen eingelegt werden kann. Die Kassation nach Art. 618 C.p.c. ist jedoch nur einschlägig, wenn die Urteile tatsächlich nicht miteinander vereinbare Wirkungen haben, eine bloße unterschiedliche rechtliche Bewertung genügt nicht, solange nicht die durch die eine Entscheidung ausgesprochene Rechtsfolge durch die andere ausgeschlossen wird, wofür die gleichzeitige Vollstreckbarkeit (exécution simultanée) maßgeblich ist.242 Eine solche Unvereinbarkeit ergibt sich insbesondere aus dem Tenor der Entscheidungen,243 nach einer weit verbreitenden Ansicht jedoch auch aus den Entscheidungsgründen, die die notwendige Begründung des Entscheidungausspruchs enthalten (soutien néceccaire). 244 Die jüngere Rechtsprechung

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Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 892, p. 742. Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1314. 241 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 892, p. 742: „le recours qu[e l’article 618] institue se distingue nettement du pourvoi en cassation ordinaire […] “. 242 Boré/Boré, La cassation en matière civile, n° 75.32; Contamine-Raynaud, in Mélanges Raynaud, 1985, p. 113, 117 (n° 8); Théry, Les conflits de choses jugées, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 75, 83. 243 Boré/Boré, La cassation en matière civile, n° 75.31. 244 Contamine-Raynaud, in: Mélanges Raynaud, 1985, p. 113, 119 (n° 10); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 893, p. 743. Für eine Berücksichtigungsfähigkeit sogar einer sich aus den motifs décisoires und der chose implicitement jugée ergebenden Unvereinbarkeit Contamine-Raynaud, in: Mélanges Raynaud, 1985, p. 113, 117 ss (n° 9 ss.) (zur Unterscheidung zwischen soutien nécessaire, motifs décisoires und chose implicitement jugée ausführlich unten E. II. 2. a.). 240

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scheint aber die Bewertung der Unvereinbarkeit auf den Tenor (dispositif) zu beschränken.245 Die Anwendungsbereiche des Art. 618 C.p.c. und der autorité de la chose jugée sind nicht deckungsgleich, weil Art. 618 Cp.c. beispielsweise auch in Fällen greift, in denen die Parteien der beiden widersprüchlichen Verfahren nicht identisch sind.246 Die Unvereinbarkeit im Sinne des Art. 618 C.p.c. ist damit nicht an die Voraussetzungen und Grenzen der autorité de la chose jugée geknüpft. Art. 618 C.p.c. dient daher anders als Art. 617 C.p.c. auch nicht primär der Durchsetzung der autorité de la chose jugée, sondern basiert auf einem eigenständigen, anhand anderer Kriterien zu bewertenden Begriff der contrarieté bzw. inconciliabilité.247 Zur Durchsetzung der autorité de la chose jugée kann Art. 618 C.p.c. aber dann dienen, wenn die beiden Entscheidungen in ihrer Wirkung nicht miteinander vereinbar und beide Urteile unanfechtbar geworden sind. Anders als im Normalfall der Kassation setzt der besondere Rechtsbehelf des Art. 618 C.p.c. keinen Rechtsfehler der Gerichte voraus, da eine Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen auch dann entstehen kann, wenn beide Gerichte rechtsfehlerfrei entschieden haben.248 Die Kassation nach Art. 618 C.p.c. setzt auch nicht voraus, dass die sich aus der autorité de la chose jugée ergebende Unzulässigkeitseinrede im späteren Verfahren von der Partei geltend gemacht wurde. 249 Da die Kassation nach Art. 617 C.p.c. auf die autorité negative de la chose jugée beschränkt ist und daher eine unterbliebene Berücksichtigung der positiven Bindungswirkung nicht nach Art. 617 C.p.c. gerügt werden kann, wird dem Rechtsbehelf nach Art. 618 C.p.c. zudem besondere Bedeutung im Hinblick auf die Durchsetzung der positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée zugeschrieben.250 245 Cass. 2 e civ., 28. Februar, n° 04-10.801, inédit; Cass. com., 7. September 2010, n° 0914.810, n° 09-14.811, n° 09-14.812, inédit; eine Unvereinbarkeit der Entscheidungsgründe halten auch Boré/Boré für unzureichend: Boré/Boré, La cassation en matière civile, n° 75.31. 246 Cass. soc., 7. Mai 1981, n° 80-60.207, 80–60.242, Bull. soc., n° 408; Cass. 3 e civ., 6. Januar 1982, n° 80-13.769, Bull. civ. III, n° 3; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 893, p. 742 s. 247 Contamine-Raynaud, in: Mélanges Raynaud, 1985, p. 113, 121 s. (n° 13). 248 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privée, n° 894, p. 744. 249 Boré/Boré, La cassation en matière civile, n° 75.34. 250 Kernaleguen, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 261, 272. Folgt man allerdings der neueren Rechtsprechung und beschränkt danach zum einen die Beurteilung der Unvereinbarkeit nach Art. 618 C.p.c. auf die Urteilssprüche im dispositif und knüpft zum anderen auch die Wirkungen der autorité de la chose jugée allein an den Ausspruch im dispositif (vgl. hierzu unten E. II. 2. b.), so verringert sich die Zahl der Fälle, in denen die Nichtbeachtung der autorité positive de la chose jugée gleichzeitig zu einer Unvereinbarkeit der beiden Entscheidungen führt, deutlich. Denn die autorité positive de la chose jugée kann dann nur in dem Fall greifen, in dem die im Tenor der ersten Entscheidung getroffene Feststellung im späteren Verfahren eine Vorfrage darstellt. Obwohl der dispositif französischer

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Die Kassation wegen Unvereinbarkeit ist gemäß Art. 618, al. 2 C.p.c. als einheitliches Rechtsmittel gegen beide Entscheidungen zu richten. Anders als bei der normalen Kassation besteht keine Bindung an die Frist des Art. 612 C.p.c. Zudem ist die Kassation nach Art. 618 C.p.c. auch nach einer erfolglos eingelegten normalen Kassation möglich. 251 Nimmt die Cour de Cassation an, dass die Unvereinbarkeit der Entscheidungen gegeben ist, kann sie eine, aber auch beide der Entscheidungen aufheben.252 Im zweiten Fall wird die Sache einheitlich zur erneuten Verhandlung an ein Tatsachengericht zurückverwiesen.253 In Fällen, in denen die spätere, mit dem ersten Urteil unvereinbare Entscheidung unter Nichtbeachtung der entgegenstehenden oder bindenden autorité de la chose jugée ergangenen ist, bewirkt die Kassation nach Art. 618 C.p.c. damit eine Durchbrechung der Rechtskraft. 254 3. Zusammenfassung Damit lässt sich festhalten, dass die Existenz zweier rechtskräftiger Entscheidungen die Wirksamkeit der beiden Entscheidungen nicht beeinträchtigt. Der Erfolg der normalen Kassation gegen die später ergangene Entscheidung setzt voraus, dass das Gericht die autorité de la chose jugée rechtsfehlerhaft nicht beachtet hat, was auf Grund der fakultativen Amtsprüfung letztlich nur dann der Fall ist, wenn die autorité de la chose jugée trotz entsprechender Rüge einer Partei nicht berücksichtigt wurde. Darüberhinausgehend ermöglicht der Sonderrechtsbehelf des Art. 618 C.p.c. auch in anderen Fällen die Anfechtung einer Entscheidung, in der die autorité de la chose jugée nicht beachtet wurde, er setzt jedoch die Unvereinbarkeit der beiden Entscheidungen voraus. In Art. 618 C.p.c. zeigt sich wiederum die Tendenz, zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen neue Rechtsfiguren mit eigenen Grenzen und Anwendungsvoraussetzungen – hier in Form der contrarieté bzw. inconciliabilité – zu schaffen, statt auf das Instrument der autorité de la chose jugée zurückzugreifen. D. Rechtskraftfähige Entscheidungen Wie auch nach deutschem Recht sind nicht sämtliche gerichtlichen Entscheidungen der Rechtskraft fähig. Die autorité de la chose jugée kommt vielmehr

Entscheidungen teilweise auch Feststellungen zu Vorfragen enthält (vgl. hierzu unten E. I.), dürften die Fälle, in denen sich das später angerufene Gericht im dispositif zu der im ersten Verfahren entschiedenen Frage äußert, eher selten sein. 251 Art. 618, al. 1 , 2. Halbsatz C.p.c. 252 Art. 618, al. 2 C.p.c. Vgl. auch Théry, Les conflits de choses jugées, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 75, 88. 253 Cass. 1 re civ., 11. Februar 1986, n° 84-11.251, 84–15.137, Bull. civ. I, n° 19, p. 16. 254 Contamine-Raynaud, Mélanges Raynaud, 1985, p. 113, 126 ss. (n° 24 ss.).

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nur Entscheidungen zu, die aufgrund ihres Prüfungsumfangs und ihres Zustandekommens eine Bindung der Gerichte in späteren Verfahren rechtfertigen können. I. Streitige Verfahren und freiwillige Gerichtsbarkeit Traditionell beschränkt die französische Rechtskraftdogmatik die autorité de la chose jugée auf die streitigen Verfahren (décisions contentieuses) und klammerte die Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (juridiction gracieuse) von der autorité de la chose jugée aus.255 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit kein Rechtsstreit zwischen Parteien mit gegenläufigen Interessen existiert, sondern lediglich eine private Willensäußerung der richterlichen Kontrolle oder Bestätigung unterworfen wird. 256 Nach der Rechtsprechung enthält das im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangene Urteil daher keine Entscheidung über eine Streitfrage (contestation), wie sie in Art. 480 C.p.c. als Anknüpfungspunkt für die autorité de la chose jugée bestimmt ist.257 Teilweise wird den Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch die Eigenschaft als acte juridictionnel, also als Ausübung der eigentlichen rechtsprechenden Funktion des Gerichts, abgesprochen mit der Folge, dass ihnen auch nicht die hiermit verbundene autorité de la chose jugée zukommen können soll. 258 Diese Ansicht stößt in der Literatur jedoch auf heftige Kritik. Die gesetzgeberische Entscheidung, den Parteien auch gegen die Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Rechtsmittel zu gewähren,259 sei nicht erklärlich, wenn den Entscheidungen keine bindende autorité zukäme, denn die Parteien könnten in diesem Fall einfach erneut Klage erheben. 260 Die kontrollierende

255 Cass. 1re civ., 17. Oktober 1992, n° 91-13.449, Bull. civ. I, n° 272, p. 177; Cass. com. 19. Oktober 1993, n° 91-20.634, Bull. civ. IV, n° 341, p. 246; Cass. 1 re civ., 6. April 1994, n° 92-15.170, Bull. civ. I, n° 141, p. 103; Cass. 2 e civ., 20. April 2002, n° 00-13.815, Bull. civ. II, n° 83, p. 67; Glasson/Morel/Tissier, Traité, n° 773, p. 96; Japiot, Traité élémentaire, n° 622, p. 438. 256 Vgl. nur die Legaldefinition des Art. 25 C.p.c.: „Le juge statue en matière gracieuse lorsqu’en l’absence de litige il est saisi d’un demande dont la loi exige […] qu’elle soit soumise à son contrôle.“ 257 Cass. 2e civ., 20. April 2002, n° 00-13.815, Bull. civ. II, n° 83, p. 67 („[L]a disposition par laquelle est prononcée une astreinte ne tranche aucune contestation et n'a pas dès lors l'autorité de la chose jugée…“); dieser Argumentation folgen auch: Croze/Morel/Fradin, Procédure civile, n° 139. 258 Japiot, Traité élémentaire, n° 622, p. 438. 259 Vgl. Art. 543 C.p.c.: „La voie de l’appel est ouverte en toutes matières, même gracieuse, contre les jugements de première instance ...“. 260 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 411; Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 728.

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und bestätigende Tätigkeit des Gerichts im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei ebenso als Akt der rechtsprechenden Funktion der Gerichte anzusehen wie die Entscheidung eines Rechtsstreits im streitigen Verfahren, weshalb auch den Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit die autorité de la chose jugée zuzuerkennen sei. 261 Die überwiegende Ansicht in der Literatur bejaht daher heute die autorité de la chose jugée einer décision gracieuse.262 Demgegenüber hält die Rechtsprechung an ihrer ablehenden Haltung fest. 263 II. Das Kriterium der endgültigen Entscheidung („jugement définitif“) Bei der Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit der in streitigen Verfahren ergehenden Entscheidungen bildet die Endgültigkeit, d.h. das Vorliegen eines jugement définitif, das maßgebliche Kriterium für die Zuerkennung der autorité de la chose jugée. 264 Die Endgültigkeit der Entscheidung beschreibt dabei nicht die Unanfechtbarkeit (irrevocabilité). Ob gegen die Entscheidung (noch) Rechtsmittel eingelegt werden können, ist für die Eigenschaft als jugement définitif vielmehr unmaßgeblich.265 Ausgehend von der gesetzlichen Vorgabe des Art. 480, al. 1 C.p.c.266 hängt die Endgültigkeit der Entscheidung vielmehr davon ab, ob sie einen abschließenden Ausspruch über die Klage bzw. einen Teil der Klage enthält.267 261 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2056 s.; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 372, p. 306. 262 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 409 ss.; Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 728; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2057, 2059; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 372, p. 305 s.; Julien/Fricero halten die Frage für zugunsten der Anerkennung der autorité de la chose jugée entschieden („… n’est plus discutée aujourd’hui…“ (Droit judiciaire privé, n° 605)). 263 Cass. 2 e civ., 20. April 2002, n° 00-13.815, Bull. civ. II, n° 83, p. 67; Cass. 2 e civ., 28. Juni 2012, n° 10-13.884, inédit. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass den Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Verbindlichkeit in späteren Verfahren zukommt, vgl. z.B. Cass. 2e civ., 25. November 1999, n° 97-16.488, Bull. civ. II, n° 177 p. 121 in der die Cour de Cassation annahm, dass die gerichtliche Bestätigung (homologation) einer einverständlichen Scheidung nur durch Einlegung der vorgesehenen Rechtsmittel angegriffen werden könne, nicht aber beispielsweise durch eine Klage des Gläubigers einer der Eheleute (im Wege der action paulienne). 264 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 729; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 369, p. 302 s.; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1125. 265 Strickler, La localisation de l’autroité de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 37, 43 (n° 12); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 369, p. 302 (v.a. Fußnote 174). 266 Art. 480, al. 1 C.p.c.: „Le jugement qui tranche dans son dispositif tout ou partie du principal, ou celui qui statue sur une exception de procédure, une fin de non-recevoir ou tout autre incident a, dès son prononcé l’autorité de la chose jugée relativement à la contestation qu’il tranche.“ 267 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 369, p. 302.

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1. Prozessurteile Prozessurteile sind nach französischem Verständnis der autorité de la chose jugée fähig, da sie über einen Teil der Klage, nämlich die jeweilige Zulässigkeitsfrage, abschließend entscheiden.268 Die autorité de la chose jugée der Prozessurteile beschränkt sich aber auf den jeweiligen Unzulässigkeitsgrund und entfaltet keine Wirkung hinsichtlich der Begründetheit der Sachentscheidung.269 Die autorité de la chose jugée steht der erneuten Erhebung der als unzulässig abgewiesenen Klage aber nicht entgegen, wenn sich die der Annahme des Unzulässigkeitsgrundes zugrunde liegenden Tatsachen geändert haben.270 2. „Jugements avant dire droit“ und „jugements mixtes“ Ausgeschlossen sind durch das Erfordernis der Endgültigkeit insbesondere die jugements avant dire droit, in denen das Gericht vor Erlass der eigentlichen Hauptsacheentscheidung vorläufige Sicherungsmaßnahmen (mesures provisoires) oder Prozessförderungsmaßnahmen (mesures d’instruction), wie beispielsweise die Anordnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens, trifft. Gemäß Art. 482 C.p.c. kommt ihnen im Hinblick auf die Hauptsache keine autorité de la chose jugée zu.271 Ob hinsichtlich einer erneuten Entscheidung avant dire droit eine Bindung eintritt, ist dagegen nicht geregelt. Teilweise wird angenommen, dass dem jugement avant dire droit eine beschränkte 268 Dass die autorité de la chose jugée auch Prozessurteilen zukommt, ergibt sich schon aus der expliziten Erwähnung der Entscheidungen über exceptions de procédure und fins de non recevoir in Art. 480 C.p.c. Dies war aber auch schon vor dieser gesetzlichen Regelung in der Rechtsprechung anerkannt, vgl. Cass. soc., 21. Juli 1965, Bull. soc., n° 603; Cass. 2 e civ., 16. April 1970, n° 68-11.705, Bull. civ. II, n° 125, p. 97; Cass. soc., 13. Februar 1975, n° 73-12.582, Bull. soc. n° 69, p. 66. Vgl. In jüngerer Zeit insbesondere die Rechtsprechung zu den auf prozessuale Fragen (insbesondere Zulässigkeit der Berufung) beschränkten ordonnances du juge de la mise en état: Cass. 1re civ., 10. April 2013, n° 12-14.939, Bull. civ. I, n° 71, p. 69 s.; Cass. 3e civ., 18. Dezember 2013, n° 13-11.441, Bull. civ. III, n° 171, p. 171; 269 Cass. com., 9. Juli 1985, n° 84-12.061, Bull. civ. IV, n° 206, p. 171; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 338; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 60. 270 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 340. 271 Art. 482 C.p.c.: „Le jugement qui se borne, dans son dispositif, à ordonner une mesure d’instruction ou une mesure provisoire n’a pas, au principal, l‘autorité de la chose jugée. “ So auch schon die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur zu den jugements interlocutoire, préparatoire und avant dire droit vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile: Cass. 1 re civ., 15. November 1961, Bull. civ. I, n° 535; Cass. com., 12. Juni 1968, Bul. civ. IV, n° 188; Cass 1re civ., 25. März 1969, Bull. civ. I, n° 124; Cass. 3 e civ., 3. Juni 1975, n° 74-10.337, Bull. civ. III, n° 185; Glasson/Morel/Tissier, Traité, n° 773, p. 98; Japiot, Traité élémentaire, n° 622, p. 438 („l’interlocutoire ne lie pas le juge“).

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autorité de la chose jugée avant dire droit oder provisoire zukomme, die verhindere, dass dieselbe Maßnahme erneut zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werde. 272 Andere gehen dagegen davon aus, dass der Richter die Entscheidung durch Erlass eines weiteren jugement avant dire droit abändern und auch gänzlich ersetzen könne.273 Da es auch an einer höchstrichterlichen Entscheidung hierzu – soweit ersichtlich 274 – fehlt, ist die Rechtslage insoweit unklar. Trifft das Gericht innerhalb derselben Entscheidung neben der Anordnung einer mesure d‘instruction oder mesure provisoire auch eine endgültige Entscheidung zu einem Teil des Klageanspruchs, so handelt es sich um eine sogenannte gemischte Entscheidung (décision mixte) im Sinne des Art. 544 C.p.c.275 Jeder Entscheidungsteil wird dann im Hinblick auf die autorité de la chose jugée gesondert entsprechend der jeweiligen Entscheidungsart behandelt. Dem jugement mixte kommt also insoweit autorité de la chose jugée zu, als über einen Teil der Hauptsache entschieden wurde.276 3. „Ordonnances de référé“ und „ordonnances de requête“ Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes (juridiction provisoire), d.h. insbesondere den vorläufigen Entscheidungen „kraft Natur“ in Form der ordonnance de référé und der ordonnance sur requête, 277 kommt im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren keine autorité de la chose jugée zu, weder als negativ wirkende Unzulässigkeitseinrede noch als positive Bindung. Im Hinblick auf 272 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 729 (zumindest bei Anordnung einer mesure provisoire); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1132. 273 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 399. 274 Ebenfalls vom Fehlen einer Entscheidung zu dieser Frage ausgehend Boré, L’autorité provisoire de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 61, 66 s. (n° 13 s.). 275 Ein gesicherter Fall eines solchen jugement mixte ist die Grundentscheidung zur Haftung des Beklagten verbunden mit der Anordnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schadenshöhe (vgl. Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 401). Die Einordnung als jugement mixte ist aber nicht in allen Fällen derart unumstritten (vgl. die Darstellung bei Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 402 ss.; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 81 ss.). Zur Frage, ob sich die Eigenschaft der Entscheidung als jugement mixte nur aus dem Tenor ergeben kann oder auch dann von einer gemischten Entscheidung gesprochen werden kann, wenn die Entscheidung zu einem Teil des Klageanspruchs allein in den Entscheidungsgründen enthalten ist, unten E. I. b. 276 Cass. 1re civ., 14. Februar 1968, Bull. civ. I, n° 67; Cass. 3 e civ., 6. Februar 1973, n° 71-13.651, Bull. civ. III, n° 34, p. 67; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 400; Guinchard/Ferrand/Chainais, Procédure civile, n° 1133. 277 Zur Unterscheidung zwischen den sog. décisions provisoires par nature und den décisions provisoires par objet: Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 353.

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die ordonnance de référé ergibt sich dies bereits aus Art. 488, al. 1 C.p.c. 278 Der ordonnance de référé werden aber die Wirkungen der autorité de la chose jugée in einem beschränkten Umfang zugebilligt, nämlich allein imHinblick auf ein späteres Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (autorité de la chose jugée au provisoire): Hinsichtlich desselben Gegenstandes kann daher keine zweite ordonnance provisoire ergehen, sofern sich nicht die maßgeblichen Tatsachen geändert haben.279 Auch der ordonnance de requête, einer zur Gewährleistung des Erfolgs der angeordneten Maßnahme ohne Anhörung der anderen Seite ergehenden Entscheidung des vorläufigen Rechtsschutzes, 280 kommt keine autorité de la chose jugée im Hinblick auf die Hauptsacheentscheidung zu. 281 Aus der vorläufigen Natur der getroffenen Feststellung und Anordnung und dem Hervorgehen der ordonnance sur requête aus einem beschleunigten Verfahren ohne Anhörung der Gegenseite ergibt sich das Bedürfnis, eine erneute gerichtliche Prüfung des Streitgegenstandes in einem Hauptsacheverfahren zu ermöglichen. 282 Anders als bei der ordonnance de référe ist hier auch ein Greifen der autorité de la chose jugée in späteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zweifelhaft, denn eine dem Art. 488, al. 2 C.p.c. vergleichbare Regelung existiert für die ordonnance de requête nicht. Teilweise wird eine Übertragung der für die ordonnances de référé geltenden Grundsätze auf die ordonannces sur requête befürwortet mit der Folge, dass auch diesen eine autorité de la chose jugée au provisoire zukomme.283 Die Cour de Cassation hat jedoch im Fall einer ordon-

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Art. 488, al. 1 C.p.c.: „L’ordonnance de référé n’a pas, au principal, l’autorité de la chose jugée.“ 279 Art. 488, al. 2 C.p.c.: „[L’ordonnance de référé] ne peut être modifiée ou rapportée en référé qu’en cas de circonstances nouvelles.“ Vgl. auch Cass. 3 e civ., 17. Juli 1974, n° 73-13.821, Bull. civ. III, n° 317, p. 241; Cass. 2 e civ., 25. Juni 1986, n° 85-10.637, Bull. civ. II, n° 100, p. 68 (erneute ordonnance de référé ohne Änderung der maßgeblichen Tatsachen als Verstoß gegen Art. 488, al. 2 C.p.c. und Art. 1351 C.c.); Boré, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 61, 62 ss, (n° 6 ss.); Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 363; Brenner, Procédures 2007, Études n° 13, p. 13, 16 (n° 22); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 370, p. 304; Solus/Perrot, Droit judiciare privé III, n° 1346. 280 Art. 493 C.p.c.: „L’ordonnance sur requête est une décision provisoire rendue non contradictoirement…“. 281 Cass. 2e civ., 10. Dezember 1998, n° 95-22.146, RTD civ. 1999, p. 464; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 364; Brenner, Procédures 2007, Études n° 13, p. 13, 16 (n° 21); Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 372, p. 305; Pierre-Maurice, Ordonnance sur requête, in: Répertoire Procédure Civile 2011, n° 95. 282 Pierre-Maurice, Ordonnance sur requête, in: Répertoire Procédure Civile 2011, n° 38. 283 Boré, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 61, 65 s. (n° 10); Pierre-Maurice, Ordonnance sur requête, in: Répertoire Procédure Civile 2011, n° 39 s.; für eine autorité der ordonnance sur requête auch Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n°

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nance de requête festgestellt, dass diese keine Bindung des Richters hinsichtlich einer späteren ordonnance de référé bewirke, weil ihr keine autorité de la chose jugée zukomme. 284 Diese ablehnende Haltung hinsichtlich einer autorité au provisoire der ordonannce sur requête vertreten auch Teile der Lehre.285 Die unterschiedliche Behandlung der ordonnance de requête gegenüber der ordonnance de référé rechtfertige sich insbesondere durch die im Verfahren sur requête unterbleibende Anhörung der Gegenseite. Obwohl auch die ordonannce d’injonction de payer (oder ordonnance monitoire), also die französische Entsprechung des Mahnbescheids, in der Entscheidungsform einer ordonnance sur requête erlassen wird,286 ist ihre Rechtskraftfähigkeit aufgrund der Sonderregel des Art. 1422 C.p.c. anders zu beurteilen. Legt die Gegenpartei gegen die ordonnance monitoire keinen Widerspruch (opposition) ein, kommen dieser gemäß Art. 1422, al. 2 C.p.c. sämtliche Wirkungen eines streitigen Urteils, insbesondere die autorité de la chose jugée, zu.287 Diese Wirkung tritt aber erst ein, wenn der Widerspruch ausbleibt,288 denn die ordonnance monitoire zielt zwar auf eine endgültige Streitentscheidung ab, diese ist aber durch das Ausbleiben des Widerspruchs bedingt.289 4. „Jugements en l’état“ Äußerst umstritten war lange Zeit die Zuerkennung der autorité de la chose jugée bei der Entscheidungsform des jugement en l’état, mit dem das Gericht die Klage „in der derzeitigen Lage“ abweist. Die Form der Abweisung ähnelt der deutschen Abweisung als „zur Zeit unbegründet“, geht aber über deren Anwendungsbereich hinaus: Jugements en l’état können zum einen dann erlassen werden, wenn eine Voraussetzung des klägerischen Anspruchs noch nicht erfüllt ist, deren Eintreten aber in der Zukunft zu erwarten ist (jugements en l’état d’une situation évolutive). Die Abweisung en l’état kommt aber auch dann zur 1387, der diese auf den vorläufigen Rechtsschutz beschränkte Wirkung jedoch von der autorité de la chose jugée i.S.d. Art. 1351 C.c. unterscheiden will und als autorité de la „chose décidée“ bezeichnet. 284 Cass. 2 e civ., 10. Dezember 1998, n° 95-22.146, inédit. 285 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2012, n° 371 (jedoch mit der fragwürdigen Begründung, dass die autorité de la chose jugée von Amts wegen berücksichtigt werden könne und die Kenntnisnahme von sämtlichen ergangenen ordonannces de requête das Gericht überfordern würde (zu dieser Vermischung von Amtsprüfung und Amtsermittlung bereits oben C. II. 2. a., b.)). 286 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2221. 287 Cass. 2e civ., 29. Mai 1979, n° 78-10.854, Bull. civ. II, n° 167; Cass. 1 re civ., 18. Januar 2000, n° 97-19.674, Bull. civ. I, n° 11, p. 7; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2221; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 645, p. 524. 288 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2221; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 645, p. 524. 289 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2222 („condition suspensive“).

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Anwendung, wenn der Richter die vom Kläger vorgebrachten Beweise zur Stützung seiner Behauptungen für noch nicht ausreichend hält (jugements en l’état des preuves produites). 290 Mit der Begründung, die autorité de la chose jugée komme nur der ohne Bedingung oder Vorbehalt erlassenen Entscheidung zu, 291 hat die Rechtsprechung den jugements en l’état lange Zeit die Wirkungen der autorité de la chose jugée aberkannt, so dass eine Klage mit übereinstimmendem Gegenstand zu einem späteren Zeitpunkt erneut erhoben werden konnte. 292 Der Richter, der der Klage im Entscheidungszeitpunkt nicht stattgeben konnte, aber annahm, dass die Klage zu einem späteren Zeitpunkt wegen der Änderung der zugrundeliegenden Tatsachen oder wegen des Auffindens zusätzlicher Beweismittel Erfolg haben könnte, konnte dem Kläger durch Erlass eines jugement en l’état folglich die Möglichkeit offen halten, die Klage später erneut vor Gericht zu bringen. Seit einer Rechtsprechungsänderung in den Neunzigerjahren steht die Cour de Cassation diesem Vorgehen jedoch ablehnend gegenüber. Sie vertritt seither in ständiger Rechtsprechung, dass auch der Klageabweisung en l’état die Wirkung der autorité de la chose jugée zuzubilligen sei, so dass eine später erhobene gegenstandsidentische Klage als unzulässig anzusehen ist.293 Dem Zusatz „en l’état“ soll danach für die Zuerkennung der autorité de la chose jugée keine Bedeutung mehrzukommen.294 Dieser Rechtsprechungsänderung wurde in der Literatur teilweise vorgeworfen, sie ignoriere den durch den Zusatz „en l’état“ zum Ausdruck gebrachten Willen des Richters, gerade noch keine abschließende Entscheidung im Sinne des Art. 480 C.p.c. zu treffen.295 Für die Annahme, der Richter könne frei darüber entscheiden, ob er im Fall der Entscheidungsreife eine abschließende Entscheidung erlässt oder nicht, findet sich jedoch keine gesetzliche Grundlage. Vielmehr sieht der Code de procédure civile für den Fall, dass das 290

Zur Unterscheidung der beiden Arten der jugements en l’état vgl. Vizioz, RTD civ. 1947 (XLV), p. 79, 81, n° 4; Bolard, JCP 1997, I-4003, p. 93, n° 3. 291 Cass. 1re civ., 7. Januar 1969, Bull. civ. I, n° 11: „[L]'autorité de la chose jugée ne s’attache qu’a ce qui a été décidé sans condition ni réserve.“ 292 Cass. 1re civ., 7. Januar 1969, Bull. civ. I, n° 11; Cass. com., 12. Juni 1972, n° 7110.757, Bull. civ. IV, n° 183, p. 178; Cass. com., 18. Mai 1981, n° 79-13.742, Bull. civ. IV, n° 235. 293 Cass. 3e civ., 23. Mai 1991, n° 89-19.318, Bull. civ. III, n° 150, p. 87; Cass. 2 e civ., 31. März 1993, n° 91-19.566, 91–19.567, Bull. civ. II, n° 137, p. 72; Cass. com., 8. März 1994, n° 92-10.139, Bull. civ. IV, n° 105; Cass. 2 e civ., 10. Dezember 1998, n° 96-21.288, Bull. civ. II, n° 295, p. 178; Cass. 1re civ., 20. Februar 2007, n° 05-12.913, Bull. civ. I, n° 66, p. 59; Cass. 2e civ., 20. Dezember 2007, n° 06-20.961, inédit; Cass. 2 e civ., 4. Juni 2009, n° 08-15.837, Bull. civ. II, n° 138. 294 Cass. 1 re civ., 20. Februar 2007, n° 05-12.913, Bull. civ. I, n° 66, p. 59; Cass. 2 e civ., 20. Dezember 2007, n° 06-20.961, inédit. 295 Bolard, JCP 1997, I-4003, p. 93, 94 s., n° 9 s.

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Gericht den Vortrag und die Beweisangebote des Klägers noch nicht für ausreichend hält, allein vor, dass das Gericht die Parteien zur Ergänzung oder Erläuterung ihres Tatsachenvorbringens anhalten (Art. 8 C.p.c.) und gegebenenfalls auch selbst Beweisermittlungsmaßnahmen (mesures d’instruction) anordnen kann (Art 10 C.p.c.). 296 Im Übrigen obliegt aber die Darlegung und der Beweis der Tatsachen gemäß Art. 6, 9 C.p.c. den Parteien. Dem Kläger, der es unterlassen hat, ausreichende Beweise zur Stützung seines Anspruchs beizubringen, durch den Erlass eines jugement en l‘état eine erneute Klage zu ermöglichen, widerspräche den in Art. 9 C.p.c. und Art. 1315 Code civil niedergelegten Grundsätzen der Beweislastverteilung.297 Die Anerkennung der autorité de la chose jugée auch der Klageabweisung en l’état fügt sich zudem in die Linie ein, welche die Rechtsprechung seit der Begründung einer Obliegenheit der Parteien zur Konzentration ihres rechtlich-tatsächlichen Vorbringens in der Cesareo-Entscheidung der Cour de Cassation vom 7. Juli 2006 298 eingeschlagen hat:299 Der Kläger erhält nur eine Möglichkeit, seinen prozessualen Anspruch geltend zu machen, und muss dafür Sorge tragen, dass er sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Argumente vorträgt und diese auch beweisen kann. Daher begrüßt auch die überwiegende Mehrheit der Autoren die Entscheidung der Rechtsprechung, der Klageabweisung en l‘état die autorité de la chose jugée zuzubilligen. 300 Teilweise wird jedoch vorgeschlagen, zwischen den beiden Formen dieser Entscheidungsart zu differenzieren, da die gegen die frühere Rechtsprechungslinie vorgebrachten Argumente nur die jugements en l’état des preuves produites beträfen, nicht aber die Abweisung „in der derzeitigen Lage“ bei sich in der Entwicklung befindlichen Sachverhalten.301 In der Tat erscheint es wünschenswert, dem Kläger eine erneute Klage nicht zu versperren, wenn seine Klage zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund geänderter Tatsachen Erfolg hätte. Zu diesem Ergebnis führen aber schon die normalen Grundsätze der autorité de la chose jugée, da bei nachträglicher Veränderung entscheidungserheblicher Tatsachen die zeitlichen Grenzen der autorité de la chose jugée greifen bzw. eine Änderung des Streitgegenstandes zu bejahen ist,

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Die Praxis der jugements en l’état unter Hinweis auf diese richterlichen Befugnisse kritisierend Martin, Dessaisissement, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 550, n° 31. 297 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 419. 298 Hierzu ausführlich unte F. II. 4. 299 So auch Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 419. 300 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 419; Croze/Morel/Fradin, Procédure civile, n° 141; Martin, Dessaisissement, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 550, n° 31; so auch schon die herrschende Ansicht in der Literatur vor der Rechtsprechungsänderung: Vizioz, RTD civ. 1947 (XLV), p. 79, 82; Glasson/Morel/Tissier, Traité, n° 772, p. 96; kritisch dagegen: Atias, Recueil Dalloz 1998, chronique, p. 243 s. 301 Bolard, JCP 1997, I-4003, p. 93 ss.

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so dass die autorité négative de la chose jugée nicht greifen kann.302 Das gewünschte Ergebnis, die spätere Klage bei nachträglichem Eintritt der jeweiligen Tatsache zuzulassen, wird dann auch ohne den Zusatz „en l’état“ erreicht. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur Obliegenheit der Parteien zur Konzentration ihres Vorbringens erscheint die Anerkennung der autorité de la chose jugée der jugements en l’état und der damit verbundene Ausschluss einer späteren identischen Klage (unter Vorbehalt einer nachträglichen Veränderung entscheidungserheblicher Tatsachen) als stimmiger Schritt. 5. Zusammenfassung Ausschlaggebendes Kriterium für die Bestimmung der Rechtskraftfähigkeit ist damit die Endgültigkeit der Entscheidung. Eine abschließende Entscheidung in der Sache wird dagegen nicht verlangt, so dass auch Prozessurteilen die Wirkungen der autorité de la chose jugée zukommen. Im Hinblick auf Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes und auf vorläufige Sicherungsmaßnahmen wird in der Literatur vielfach eine Sperrung eines erneuten Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz durch eine auf dieselbe Rechtsschutzart beschränkte autorité de la chose jugée bejaht. Die Anerkennung einer solchen ist aber mit Ausnahme der gesetzlich geregelten Fälle umstritten. An einer Stellungnahme der Rechtsprechung fehlt es insoweit noch. Der früheren Praxis, bei einer Klageabweisung „in der derzeitigen Lage“ die Wirkungen der autorité de la chose jugée zu verneinen, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Absage erteilt. E. Rechtskraftfähige Entscheidungselemente Ein erheblicher Wandel der französischen Rechtskraftdogmatik hat sich im Hinblick auf die Frage vollzogen, an welche Bestandteile der Entscheidung sich die Wirkungen der autorité de la chose jugée knüpfen, welche Feststellungen also künftig bindend sind und von den Parteien nicht erneut in Frage gestellt werden können. Die hierbei verfolgte Lösung ist auch für die bereits angesprochene Frage relevant, ob sich die Eigenschaft als jugement mixte nur aus dem Urteilsausspruch im Tenor oder auch aus den Entscheidungsgründen ergeben kann. Die Wirkungen der autorité de la chose jugée erfassen dabei zunächst den Entscheidungsausspruch im dispositif, wurden darüber hinaus aber lange Zeit auch auf gewisse Feststellungen in den Entscheidungsgründen und durch den Rechtsfolgenausspruch im Tenor implizierte Entscheidungen erstreckt. In jüngster Zeit hat sich die französische Rechtsprechung jedoch den Weg einer strengen Beschränkung auf den dispositif eingeschlagen. Sie sieht sich dabei

302

So auch Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil, n° 421.

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allerdings einem teilweise erheblichen Widerstand von Seiten der französischen Lehre gegenüber. I. Der „dispositif“ als Gegenstand der „autorité de la chose jugée“ Die autorité de la chose jugée ist schon begrifflich an die „entschiedene Sache“, die chose jugée, geknüpft. Was entschieden wird, ergibt sich zunächst aus dem dispositif, also aus der durch die Worte „par ces motifs“ eingeleiteten und hierdurch von den Entscheidungsgründen (motifs) abgegrenzten Urteilsformel, die die eigentliche Entscheidung über die von den Parteien geltend gemachten Ansprüche enthält. Ausgangspunkt der französischen Rechtskraftdogmatik war daher die Annahme, dass grundsätzlich der Entscheidungsausspruch im dispositif, nicht aber den Entscheidungsgründen autorité de la chose jugée zukomme. 303 Der Inhalt des dispositif ist gesetzlich nicht bindend festlegt.304 Ein allgemeines reines Feststellungsurteil, das ohne gestaltenden Charakter allein der Feststellung eines Rechtsverhältnisses dient, ist im französischen Zivilprozessrecht allerdings nicht vorgesehen, 305 auch wenn ein Feststellungurteil heute306 nicht mehr als ausgeschlossen angesehen wird und in einzelnen Ausnahmefällen zugelassen wird.307 Gewisse Urteilsarten, wie die Nichtigkeitsfeststellungsurteile, durch die ein Rechtsverhältnis gerichtlich für nichtig erklärt wird, ähneln jedoch dem Feststellungsurteil deutschen Rechts, 308 zudem erkennt auch das französische Zivilprozessrecht vereinzelt Antrags- und Entscheidungsformen an, durch die einzelne, für das Verfahren bedeutsame Fragen verbindlich geklärt werden können.309 303 Cass. com., 17. Juni 1963, Bull. civ. IV, n° 304; Cass. Soc., 23. Oktober 1963, Bull. soc., n° 708; Glasson/Morel/Tissier, Traité théorique, n° 773, p. 99; Japiot, Traité élémentaire, n° 622, p. 437; Laborde-Lacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 826. 304 Sowohl Art. 141 Code de procédure civil 1806 als auch Art. 454, 455 C.p.c. beschränken sich – ähnlich der deutschen Regelung des § 313 ZPO – auf eine Auflistung der notwendigen Bestandteile des Urteils, ohne den Inhalt des dispositif näher zu bestimmen. 305 Vgl. Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 134. 306 Anders wohl noch die frühere Literatur, vgl. die Darstellung bei Kranzbühler, Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage im französischen Zivilprozessrecht, 1974, S. 82 ff. 307 Für eine Zulässigkeit nur bei gesetzlicher Regelung Cadiet/Jeuland, Droit judiciare privé, n° 360. Zu den wenigen Ausnahmen Cadiet/Jeuland, Droit judiciare privé, n° 360; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 134. 308 Ausführlich hierzu Kranzbühler, Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage im französischen Zivilprozessrecht, S. 7 ff. 309 So beispielsweise die Feststellung der Echtheit einer Urkunde (sowohl im Rahmen eines laufenden Verfahrens in Form einer Zwischenfeststellung (Art. 285 s. C.p.c.) oder gesondert à titre principal (Art. 296 ss. C.p.c.)) sowie die sog. jugements de donné acte, mit deren Hilfe eine Handlung der Parteien oder Dritter, ein Vergleich der Parteien oder auch nur eine bestimmte Tatsache gerichtlich dokumentiert wird (ohne dass es sich aber hier um eine Feststellung aufgrund gerichtlicher Sachprüfung handelt, weshalb es sich auch nicht um

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Der Inhalt und Umfang des dispositif ist letztlich sehr variabel. Der dispositif ist nicht streng auf den Ausspruch der Rechtsfolge beschränkt, sondern nennt vielmehr häufig auch die rechtliche Grundlage, aus der sich diese Rechtsfolge ergibt,310 und kann Feststellungen zu entscheidenden Vorfragen enthalten.311 Der dispositif französischer Urteile enthält damit deutlich mehr Hinweise auf die vom Gericht vollzogenen Subsumtionsschritte als beispielsweise der Tenor eines deutschen Urteils. 312 Dass die Parteien die Feststellung bestimmter präjudizieller Vorfragen beantragen, erscheint möglich,313 auch wenn der C.p.c. eine gesonderte allgemeine Antragsart ähnlich der deutschen Zwischenfeststellungsklage nach Art. 256 Absatz 2 ZPO nicht vorsieht.

einen mit autorité de la chose jugée versehenen Rechtsprechungsakt handelt (Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 300; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 40)). Vgl. ausführlich zu diesen und weiteren Teilentscheidungen Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 242 ss. 310 Dies geschieht insbesondere durch den Zusatz „à titre de“ nach der Verurteilung zu einer Leistung, vgl. Schroeder, Le nouveau style judiciaire, p. 17, 41. Jedoch verzichten manche Entscheidungen auch auf einen solchen Zusatz und beschränken sich auf die bloße Verurteilung des Beklagten zu einer bestimmten Leistung, vgl. Perdriau, JCP 1988, I-3352, n° 19. 311 Vgl. die Empfehlung der Cour de Cassation zur Abfassung von Berufungsurteilen (BICC 2005, n° 613 du 15 février 2005, Communication – Fiche méthodologique: La rédaction des arrêts, II.2.1.), wonach der dispositif von Entscheidungen über Schadensersatzklagen aufgrund eines Verkehrsunfalles nicht nur die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer bestimmten Summe an den geschädigten Kläger, sondern in gesonderten Ziffern auch Feststellungen zur Haftung (responsabilité) der Beklagten für die Unfallschäden und zum Mitverschulden des Klägers enthalten soll. Perdriau (JCP 1988, I-3352, n° 39 ss.) fordert sogar, dass der Richter im dispositif eine ausdrückliche Entscheidung über jede umstrittene Rechtsfrage des Rechtsstreits treffen solle. 312 Vgl. auch Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 859. 313 Vgl. Schilling, Principes directeurs, S. 251. Ein Antrag der Parteien auf Feststellung der jeweiligen Vorfrage ist aber wohl nicht Voraussetzung der Aufnahme der Vorfragenentscheidung in den dispositif (anders Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 233, Fn. 154, der bei fehlendem Antrag auf Feststellung der Vorfrage wohl einen Verstoß gegen den Grundsatz ne ultra petita bejahen will). Eine Entscheidung ultra petita liegt nur vor, wenn der dispositif im Vergleich zu den prétentions in den conclusions der Parteien ein Mehr ausspricht (Fricero, Réparation de l’omission de statuer ou de prononcé de choses non demandées, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/13, ch. 523, n° 523.22). Vorfragen sind jedoch Teil des ökonomisch-rechtlichen Ziels, auf die sich die Klage, bzw. das Verteidigungsvorbringen richtet, und damit keine eigenständige prétention. Dass der Gesetzgeber in der Aufnahme der Vorfrage in den dispositif noch keine unzulässige Entscheidung ultra petita sieht, ergibt sich zudem aus Art. 77 C.p.c., der die verpflichtende Aufnahme der materiellen Vorfrage einer Zuständigkeitsentscheidung in den dispositif nicht von einem Parteiantrag abhängig macht.

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II. „Autorité de la chose jugée“ auch außerhalb des ausdrücklichen Entscheidungsausspruchs? Schon früh erkannten Rechtsprechung und Lehre an, dass im Fall eines unklaren Entscheidungsausspruchs im dispositif ein Rückgriff auf die motifs zulässig sein sollte. Ergibt sich aus dem dispositif also nicht eindeutig, ob ein bestimmter Punkt von der autorité de la chose jugée erfasst ist, so können die motifs zur Auslegung des Entscheidungsausspruchs herangezogen werden.314 Der Rückgriff auf die motifs zur bloßen Auslegung des dispositif wurde aber häufig als nicht ausreichend angesehen, um den tatsächlichen Gehalt der Entscheidung zu erfassen, insbesondere weil der dispositif trotz seines recht weit gefassten Inhalts regelmäßig nicht sämtliche entscheidungsbegründenden Feststellungen enthält.315 Vom Grundsatz der Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den Inhalt des dispositif ließen Rechtsprechung und Literatur daher lange Zeit sehr weit gefasste Ausnahmen zu. Auch wenn die französische Rechtsprechung in jüngster Zeit zu einer restriktiveren Position zurückgekehrt ist, ist die Einbeziehung der in den motifs niedergelegten rechtlichen Zwischenergebnisse in die von der autorité de la chose jugée erfassten Entscheidungsteile weiterhin hoch umstritten. Die französische Rechtskraftdogmatik differenziert dabei nicht zwischen Vorfragen, präjudiziellen Rechtsverhältnissen und Einwendungen, sondern diskutiert diese einheitlich unter dem Gesichtspunkt der Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die Entscheidungsgründe und die sog. impliziten Entscheidungen. Klarheit herrscht jedoch dahingehend, dass reine Tatsachenfeststellungen selbst nicht in Rechtskraft erwachsen.316

314 Cass. 2e civ., 26. März 1965, n° 60-11.987, Bull. civ. II, n° 318; Cass. 1 re civ., 24. Februar 1987, n° 85-10.641, Bull. civ. I, n° 65, p. 47; Cass. 3 e civ., 23. Mai 1991, n° 8921.049, inédit; Cass. com, 7. Juli 1992, n° 90-18.742 , inédit; Cass. 1 e civ., 7. Januar 1997, n° 94-18.119, inédit; Cass. com. 14. Januar 1997, n° 95-12.108, Bull. civ. IV, n° 15, p. 12; Cass. 3 e civ., 26. März 1997, n° 95-14.136, inédit; Cass. 3 e civ., 17. Mai 1997, n° 95-18.399, inédit; Cass. 1re civ., 3. Juni 1998, n° 95-22.290, inédit; Cass. 3 e civ., 6. Dezember 2000, n° 98-10.058, inédit; Cass. 2 e civ., 12. Oktober 2006, n° 05-16.044, inédit; Glasson/Morel/Tissier, Traité théorique, n° 773, p. 99; Japiot, Traité élémentaire, n° 622, p. 437 s.; LabordeLacoste, Exposé méthodique de procédure civile, n° 826; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, Chronique, p. 1, 7 (n° 25). 315 Schroeder, Le nouveau style judiciaire, p. 17: „[I]l faut se garder, dans le dispositif, d’y exprimer tout ce qui constitue un ‹ motif › de la décision […] “; vgl. auch Perdriau, JCP 1988, I-3352, n° 17 s. 316 Vgl. Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 861. Dennoch kommt den Tatsachen bei der Bestimmung des Gegenstandes der autorité de la chose jugée im Rahmen der triple identité eine erhebliche Bedeutung zu, vgl. Delicostopoulos/Delicostopoulos, Mélanges Guinchard, 2010, p. 681 ss. und unten G. II. 3.

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1. Die dogmatischen Grundpositionen Die Entwicklung des französischen Zivilprozessrechts bei der Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungsbestandteile ist – wie auch in anderen Rechtsordnungen – durch den Widerstreit zweier Grundpositionen geprägt: Dem formalen Ansatz (critère formaliste) einer strengen Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif steht eine sachorientierte Grundposition (critère substantiel) gegenüber, welche die autorité de la chose jugée unabhängig von der formalen Stellung im Urteil jedem Ausspruch zur Sache zuerkennt.317 Dem formalen Ansatz, der die Urteilsgründe gänzlich von der autorité de la chose jugée ausnimmt, kommt der Vorteil der Klarheit zu: Die Parteien können dem dispositif entnehmen, welche Feststellungen für sie von nun an bindend sind und von ihnen nicht erneut in Frage gestellt werden können, ohne hierfür in der gesamten Entscheidung nach den bindenden Inhalten suchen zu müssen.318 Der formalistische Ansatz sieht sich jedoch dem Vorwurf ausgesetzt, dass der Richter die Entscheidung als aufeinander aufbauende Einheit niedergeschrieben hat, in der sich dispositif und motifs untrennbar ergänzen.319 Die Begrenzung der autorité de la chose jugée auf den dispositif lasse einen wichtigen Teil der richterlichen Entscheidung außer Acht und mache es vom Zufall der Aufnahme in den dispositif abhängig, ob eine Feststellung an der autorité de la chose jugée teilhabe oder nicht.320 Der sachorientierte Lösungsansatz will daher die Entscheidung des Richters als einheitliches Ganzes verstehen und bei der Zuerkennung der autorité de la chose jugée alles berücksichtigen, was der Richter als Entscheidungsausspruch verstanden hatte. 321 Ausgehend von dem Gedanken, dass die Bindungswirkung des Urteils an die chose jugée geknüpft ist, wird nicht der Inhalt des dispositif als maßgeblicher Gegenstand der autorité de la chose jugée begriffen, sondern das tatsächlich Entschiedene, unabhängig davon, ob diese Entscheidung im dispositif oder in einem anderen Abschnitt des Urteils enthalten ist. Der Nachteil dieses weitgefassten Gegenstands der autorité de la chose jugée wird darin gesehen, dass er eine Feststellung des bindenden Inhalts der Entscheidung erschwert: Selbst bei sorgfältiger Lektüre der Entscheidungsgründe fehle den 317

Zu diesen beiden Grundpositionen: Gabet, Jurisprudence – Cour de Cassation, Rapport sur Cass. ass. plén., 13 mars 2009, BICC 1 er juin 2009, p. 8, 12. 318 Normand, RTD civ. 1988, p. 386, 391 s.; Ghestin, Liber amicorum Jean Waline, 2002, p. 575, 581 (n° 12) („gage de sécurité juridique“). 319 Perrot, RTD civ. 1975, p. 596, 597 (II n° 8); ders., RTD civ. 1995, p. 961 s. (n° 10) („oeuvre intellectuellement indivisible“); Tomasin, JCP 1982, II-19897, B 1°. 320 Perrot, RTD civ. 1975, p. 596, 597 (II n° 8); ders., RTD civ. 1995, 961 s. (n° 10); Tomasin, JCP 1982, II. 19897, B 1°. 321 Vgl. Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 373, p. 306: „Le jugement étant un acte juridique, donc un acte de volonté du juge, il semble normal de rechercher en priorité quelle a été cette volonté.“

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Parteien die Gewissheit darüber, welche Aussagen der Entscheidung nun tatsächlich zur bindenden chose jugée gehören. 322 Parteien und Gerichten würden dazu veranlasst, jeder einzelnen Vorfrage die größtmögliche Sorgfalt und Zeit zu widmen, zudem drohe auf dieser Grundlage auch die Einlegung von Rechtsmitteln wegen nachteiliger Feststellungen in den Entscheidungsgründen mit der Folge einer erheblichen Erhöhung der Zahl der eingelegten Rechtsmittel und einer entsprechenden Belastung der Gerichte. 323 Teilweise wird auch angenommen, die Entscheidung für einen engen oder weiten Ansatz bei der Bestimmung der rechtskraftfähigen Entscheidungselemente sei durch die Einordnung der der autorité de la chose jugée als öffentlichen Interessen dienendes bzw. privatnütziges Instrument vorbestimmt: So wird mit einem Verständnis der autorité de la chose jugée als Institut des ordre public teilweise eine starke Ausdehnung der autorité de la chose jugée auf weitere Entscheidungsteile verknüpft.324 Dem öffentlichen Interesse am Ausschluss widersprüchlicher Entscheidungen sei es dienlich, wenn auch Widersprüche in den logisch vorgelagerten oder in den motifs aufgeführten Feststellungen vermieden werden. Eine weite Fassung des Gegenstandes der autorité de la chose jugée führe zudem zur Befriedung der Streitigkeiten über Vorfragen. Bei einem Verständnis der autorité de la chose jugée als den privaten Interessen dienendes Instrument sei es dagegen naheliegend, die autorité de la chose jugée auf den Ausspruch über den prozessualen Anspruch zu beschränken, den die Parteien im konkreten Fall geklärt wissen wollten.325 Den Parteien komme es auf eine Entscheidung über ihr konkretes Begehren an, dagegen im Regelfall weniger auf die zu diesem Ausspruch führenden Entscheidungen über Vorfragen, die möglicherweise in einem späteren Verfahren wieder Bedeutung gewinnen können. Der hier hergestellte Zusammenhang mit der Zielsetzung der autorité de la chose jugée ist jedoch nicht zwingend, da es durchaus dem Willen der Parteien entsprechen kann, auch vorgelagerte Tatsachen und Rechtsfragen endgültig der gerichtlichen Auseinandersetzung zu entziehen. Deutlich wird, dass der zu verfolgende Ansatz bei der Frage des Gegenstandes der autorité de la chose jugée weder durch eine klare Vorteilhaftigkeit eines der beiden denkbaren Ansätze logisch vorgezeichnet noch dogmatisch durch die Rechtsnatur und die Zielsetzung der autorité de la chose jugée vorgegeben ist. Sie steht vielmehr der Entscheidung des Rechtsanwenders für die eine oder andere Lösung offen. 326 Die Diskussion um den Gegenstand der

322

Normand, RTD civ. 1988, p. 386, 391. Normand, RTD civ. 1988, p. 386, 391. 324 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 122. 325 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 122. 326 Normand, RTD civ. 1988, p. 386, 391; für die deutsche Rechtskraft auch: Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 66. 323

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Rechtskraft ist auch in anderen europäischen Rechtsordnungen durch die Abwägung dieser widerstreitenden Argumente und Interessen geprägt, jedoch zeichnet sich die Rechtsentwicklung in Frankreich durch die Besonderheit aus, dass die Rechtspraxis innerhalb der letzten Jahrzehnte einen Wechsel von dem einen zum anderen Standpunkt vollzogen hat. 2. Die Rechtsentwicklung a. Die Rechtslage vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile Angesichts des Fehlens einer positiv-rechtlichen Vorgabe im Code de procédure civile von 1806 blieb die Entscheidung für eine der Lösungen bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts der Rechtsprechung und Literatur überlassen. Diese betonten zwar die grundsätzliche Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den eigentlichen Entscheidungsausspruch im dispositif, brachen diesen Grundsatz aber unter Rückgriff auf verschiedene Rechtsfiguren auf, in denen sich eine sachorientierte Bestimmung des Gegenstandes der autorité de la chose jugée widerspiegelte. aa. „Motifs décisoires“ Eine auf die tatsächlich ergangene richterliche Entscheidung abstellende Betrachtungsweise zeigte sich zunächst in der Anerkennung der autorité de la chose jugée der sogenannten motifs décisoires. Der Begriff der motifs décisoires beschreibt Urteilselemente, die eine Entscheidung zu einem Teil der Hauptsache enthalten, die als solche an sich im dispositif aufgeführt werden müsste, aber – letztlich aufgrund eines Fehlers bei der Urteilsabfassung – lediglich in den Entscheidungsgründen niedergelegt wurde.327 Häufig handelt es

327

Cass. 2 e civ., 5. April 1965, n° 63-11.483, Bull. civ. II, n° 343 („[…] si, en principe, le dispositif constitue le jugement et que les motifs ne servent qu’à justifier la décision, il est [sic] cependant des cas où, certaines parties du dispositif ayant pris place dans les motifs, c’est au caractère décisoire de ce dispositif et non à la place qu’il occupe qu’il faut s’attacher.“); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1110; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 373, p. 306; Strickler, La localisation de l’autorité de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 37, 50 (n° 25); Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2004, n° 187.

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sich dabei um die Bejahung des gesamten oder eines Teils eines Haftungsgrundtatbestandes328 oder die Zurückweisung einer Einwendung des Beklagten.329 War ein solcher Entscheidungsausspruch in den motifs „versteckt“, so stellten Rechtsprechung und Literatur auf den tatsächlichen Charakter als abschließender Entscheidungsausspruch statt auf die formale Stellung in den Entscheidungsgründen ab und erkannten dem abschließenden Ausspruch in den motifs die bindende Wirkung der autorité de la chose jugée zu.330 Die Figur der motifs décisoires fand insbesondere bei den oben bereits behandelten jugements avant dire droit bzw. jugements mixtes Anwendung: Wenn das Gericht in den Entscheidungsgründen eine Feststellung zu einem Teilaspekt der Hauptsache traf (beispielsweise durch Bejahung des Haftungstatbestandes bei einer Schadensersatzklage), sich aber im dispositif auf einen Ausspruch avant dire droit (beispielsweise durch die Anordnung eines Sachverständigengutachtens zum Umfang des entstandenen Schadens) beschränkte, wurde die autorité de la chose jugée hinsichtlich der Feststellung in den Gründen bejaht. 331 Mit der Entscheidung für die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisoires war daher gleichzeitig vorgezeichnet, dass die Natur der Entscheidung als jugement mixte auch dann gegeben war, wenn eine Entscheidung über einen Teil der Hauptsache nur in den Entscheidungsgründen enthalten war.332

328 Z.B. Cass. 2e civ., 5. April 1965, n° 63-11.483, Bull. civ. II, n° 343 (Zuordnung einer aus einem Haus auf den Bürgersteig hinausragenden Eisenplatte zur Verantwortungssphäre des Hauseigentümers als motif décisoire einer Entscheidung, in der eine Beweisaufnahme zur Kausalität zwischen dem Herausragen der Platte und dem Sturz der geschädigten Klägerin angeordnet wurde); Cass. 3 e civ., 8. Januar 1969, Bull. civ. III, n° 24 (fehlendes Eigentum des Versicherten zum Zeitpunkt des schadensursächlichen Brandes als motif décisoire). 329 Z.B. Cass. 1re civ., 7. Juli 1971, n° 69-10.156, Bull. civ. I, n° 228, p. 192 (Zurückweisung des Vorbringens des die Vaterschaft eines Kindes anfechtenden Klägers, die Kindsmutter und er hätten während des gesamten Zeitraums der möglichen Empfängnis getrennt gelebt, in den motifs eines jugement avant dire droit, in dem ein Blutgruppenvergleich durch einen Sachverständigen angeordnet wurde, mit der Folge, dass ein entsprechendes Vorbringen im späteren Hauptsacheverfahren präkludiert war). 330 Cass. soc., 24. Mai 1966, Bull. soc., n° 509; Cass. 1 re, 7. Juli 1971, n° 69-10.156, Bull. civ. I, n° 228, p. 192; Cass. 2 e civ., 8. Mai 1974, n° 73-12.608, Bull. civ. II, n° 153, p. 128; Cass. 3 e civ., 21. Nov. 1974, n° 73-12.397, Bull. civ. III, n° 432, p. 332; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, Chronique, p. 1, 7 (n° 24): „[…] tout motif tranchant à lui seul un point du litige a un caractère décisoire et acquiert, pour cette raison, l’autorité de la chose jugée. “ 331 Z.B. Cass. soc., 9. November 1967, Bull. soc., n° 711; Cass. 3 e civ., 8. Januar 1969, Bull. civ. III, n° 24; Cass. 1re, 7. Juli 1971, n° 69-10.156, Bull. Civ. I, n° 228, p. 192; Cass. 3e civ., 21. Nov. 1974, n° 73-12.397, Bull. civ. III, n° 432, p. 332; vgl. auch Durry, RTD civ. 1960 (vol. LVIII), p. 1, 12; Viatte, Gaz. Pal. 1978 I, p. 84 („Les jugements avant-dire droit étaient le terrain d’élection des motifs décisoires…“). 332 Cass. 3 e civ., 21. Nov. 1974, n° 73-12.397, Bull. civ. III, n° 432, p. 332. Häufig nahm aber die Rechtsprechung eine Einschränkung dahingehend vor, dass sich die Eigenschaft der Entscheidung als jugement mixte nur dann aus einem motif décisoire ergeben konnte, wenn

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Das Vorliegen einer der autorité de la chose jugée fähigen Entscheidung sollte von der Form unabhängig sein und wurde allein an das tatsächliche Vorliegen einer abschließenden Entscheidung über einen Teil der Hauptsache geknüpft. bb. Einbeziehung logisch zwingender Vorfragen und Schlussfolgerungen Der Grundsatz der Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif erfuhr eine weitere Relativierung durch die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf Fragen, die dem im dispositif niedergelegten Entscheidungsausspruch denklogisch notwendig vor- (oder nach)gelagert waren. Die untrennbare Verknüpfung dieser Vorentscheidungen mit dem Ausspruch im dispositif rechtfertigte es nach der damals herrschenden Meinung, diese als Teil der ausdrücklich im dispositif verankerten Entscheidung anzusehen und dementsprechend auch an der autorité de la chose jugée teilhaben zu lassen. Diese Argumentation betraf sowohl die in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, die die unerlässliche Grundlage des Entscheidungsausspruchs im dispositif darstellen (sog. soutien nécessaire du dispositif oder auch motifs décisifs), als auch die notwendigen Gedankenschritte, die dem Urteilsausspruch stillschweigend zugrunde gelegt werden, ohne aber auch nur in den Entscheidungsgründen ausdrückliche Erwähnung zu finden (sog. décisions implicites). (1) „Motifs décisifs“ Der Begriff der motifs décisifs bezeichnet die Vorentscheidungen, die der Richter auf dem Weg zu seinem abschließenden, im dispositif niedergelegten Entscheidungsausspruch notwendigerweise getroffen hat und ohne die dieser nicht zu verstehen wäre. 333 Während die motifs décisoires selbstständige Entscheidungen enthalten, die im dispositif keinen Niederschlag gefunden haben und diesen auch nicht zwingend erklären, sind die motifs décisifs als notwendiges Fundament (soutien nécessaire) der Entscheidung im dispositif untrennbar mit diesem verknüpft. 334 Als notwendiges motif wurde beispielsweise die Annahme des Fehlens von Unwirksamkeitsgründen in Bezug auf das den jeweiligen prozessualen Anspruch stützende Rechtsverhältnis,335 die Qualifizierung

die jeweiligen Entscheidungsgründe gleichzeitig das logisch notwen dige Fundament (soutien nécessaire) der Anordnung avant dire droit darstellte (Cass. chambres réunies, 19. Mai 1965, n° 61-11.560, Bull. ch. réunies, n° 1). 333 Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2004, n° 172. 334 Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 7 („indissolublement liés“). 335 Cass. 3 e civ., 28. Oktober 1974, n ° 73–11.274, Bull. civ. III, n° 382, p. 290 (Fehlen von Willensmängeln bei einer vertraglichen Schuldumschaffung als soutien nécessaire eines Urteils, in dem die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Abtretung der sich aus dem novierten Schuldverhältnis ergebenden Rechte abgewiesen wurde); Cass. com., 6. Juli 1984,

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eines solchen Rechtsverhältnisses 336 oder die Klärung einer materiellrechtlichen Vorfrage im Rahmen einer Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts angesehen.337 Vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile gingen Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend davon aus, dass den motifs décisifs die bindende Wirkung der autorité de la chose jugée zukomme und eine abweichende Entscheidung über die in den Entscheidungsgründen niedergelegten Feststellungen, die das logische Fundament des Entscheidungsausspruchs im dispositif bildeten, in einem späteren Verfahren nicht möglich sei. 338 Dies wurde damit gerechtfertigt, dass diese Feststellungen logisch zwingend mit dem Ausspruch im dispositif verknüpft seien und deshalb wie der Ausspruch im dispositif selbst von der autorité de la chose jugée erfasst sein müssten.339 (2) „Décisions implicites“ und „décisions virtuelles“ Von den motifs décisifs unterscheiden sich die décisions implicites, die stillschweigend getroffenen Entscheidungen, dadurch, dass sie im Urteilstext keine Erwähnung finden. Wie die motifs décisifs betreffen die décisions implicites

n° 80-12.965, Bull. civ. IV, n° 6, p. 5 (Bejahung der Rechtsfähigkeit einer deutschen juristischen Person trotz Sitzwechsels von der sowjetischen in die französische Besatzungszone als soutien nécessaire einer Entscheidung, die die Eigenschaft des Unternehmens als ehemaliger Inhaber der Marke und damit als richtiger Adressat der Rückübertragung der nach Kriegsende durch die französische Besatzungsmacht beschlagnahmten Schutzrechte feststellte). 336 Cass. 3 e civ., 6. November 2001, n° 00-13.780, inédit (Qualifizierung eines Mietverhältnisses als Geschäftsraummiete als soutien nécessaire einer die Klage des Vermieters auf Vertragsauflösung abweisenden Entscheidung). 337 Cass. 2 e civ., 17. November 1971, n° 70-12.365, Bull. civ. II, n° 314, p. 228 (fehlender Wohnsitz des Klägers im Gerichtsbezirk als soutien nécessaire der Abweisung der Klage wegen Unzuständigkeit). 338 Cass. 2e civ., 17. November 1971, n° 70-12.365, Bull. civ. II, n° 314, p. 228; Cass. 3 e civ., 28. Oktober 1974, n° 73-11.274, Bull. civ. III, n° 382, p. 290; Cass. ch. mixte, 6. Juni 1984, n° 80-12.965, Bull. ch. mixte, n° 1 (die Entscheidung betraf einen Fall, der noch nicht dem Nouveau Code de procédure civile unterfiel); Glasson/Morel/Tissier, Traité théorique, n° 773, p. 99. 339 Cass. 2 e civ., 17. November 1971, n° 70-12.365, Bull. civ. II, n° 314, p. 228 (Erstreckung auf die motifs decisifs aufgrund eines Zusammenhangs der notwendigen Abhängigkeit („lien de dépendance nécessaire“)); Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 7 („[L]’idée directrice est […] que […] la réflexion retenue doit participer à l’autorité du dispositif dès lors que celui-ci y trouve son fondement.“).

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aber Vorfragen, deren Klärung auf dem Weg zum Erlass der eigentlichen Entscheidung über den Klageanspruch unumgänglich ist. 340 Die Abgrenzung zwischen motifs décisifs und décisions implicites beruht damit letztlich auf dem rein formalen Kriterium der Erwähnung im Urteil: Hat der notwendige Gedankenschritt in den Entscheidungsgründen ausdrücklichen Niederschlag gefunden, handelt es sich um ein motif décisif, fehlt es an einer solchen ausdrücklichen Erwähnung, so handelt es sich dagegen um eine décision implicite. 341 Die décisions implicites erfassen zudem nicht nur Vorfragen der jeweiligen Entscheidungen, sondern – in Fortführung des Gedankens, dass der Richter gewisse Fragen vor Niederschrift des dispositif zwingend gedanklich zu klären hat – auch die mit dem Entscheidungsausspruch logisch verbundenen Folgen, deren sich der Richter wegen ihrer logischen Verknüpfung mit der Entscheidung bewusst sein musste und die er daher ebenfalls in seinen Prozess der Entscheidungsfindung aufnehmen musste. 342 Teilweise werden diese zwingend mitzubedenkenden Folgefragen auch als sog. décisions virtuelles bezeichnet und von den décisions implicites unterschieden.343 Lange Zeit wurde auch diesen stillschweigend, aber zwingend notwendig getroffenen Entscheidungen die Wirkung der autorité de la chose jugée zuerkannt,344 wobei wie bei den motifs décisifs der Gedanke der notwendigen Verknüpfung mit dem Entscheidungsausspruch im dispositif das ausschlaggebende Argument für die Einbeziehung war. Die Cour de Cassation nahm beispielsweise an, dass Entscheidungen, die eine bestimmte Leistungsverpflichtung aussprachen, implizit auch die Wirksamkeit des der Verpflichtung zu-

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Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1106; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 118; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civile 2004, n° 199. 341 Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 8. 342 Gabet, Jurisprudence – Cour de Cassation, Rapport sur Cass. ass. plén., 13 mars 2009, BICC 1er juin 2009, p. 8, 15: „[D]ans d’autres cas, la chose non exprimée est implicitement jugée parce qu’elle est une suite inéluctable de ce qui a été jugé. “ 343 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1107; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 219 ss. 344 Cass. 1re civ., 4. März 1969, Bull. civ. I, n° 95; Cass. soc., 24. März 1971, n° 70-40– 142, Bull. soc., n° 236, p. 197; Cass. 3e civ., 20. November 1973, n° 72-13.074, Bull. civ. III, n° 587, p. 427; Cass. 2 e civ., 19. Dezember 1973, JCP 1974, IV (Tableaux de jurisprudence), p. 44; Cass. 3 e civ., 20. März 1978, n° 76-13.783, Bull. civ. III, n° 126, p. 99; Glasson/Morel/Tissier, Traité théorique, n° 773, p. 99; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 9 (nach seiner Ansicht aber nur bei der implication réelle im Gegensatz zur implication fictive).

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grunde liegenden Rechtsverhältnisses, insbesondere von Verträgen oder Vertragsklauseln, bejahten.345 In gleicher Weise wurde angenommen, dass die Zuerkennung eines Anspruchs in voller Höhe die implizite Verneinung der Abzugsfähigkeit etwaiger Abzugsposten beinhaltete.346 Erließ das Gericht eine Entscheidung zur Sache, so nahm die Rechtsprechung zudem häufig an, das Gericht habe stillschweigend seine Zuständigkeit, die Zulässigkeit der Klage oder die Statthaftigkeit des Rechtsmittels bejaht. 347 Die décisions implicites dienten zudem dazu, im Falle (versteckter) Teilklagen die Geltendmachung weiterer Teilbeträge oder Teile eines Gesamtrechts zu verhindern.348 So nahm die Rechtsprechung an, dass die Entscheidung, die einer Klage auf Schadensersatz stattgab, mit der die Gesamtheit der durch ein schädigendes Ereignis entstandenen Schäden geltend gemacht werden sollte, den stillschweigenden Schluss beinhaltete, dass weitere Schäden (insbesondere zusätzliche Behandlungskosten) aus demselben Schadensereignis später nicht einklagbar seien.349 Ohne dass die Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses, die Abzugsfähigkeit eines Rechnungspostens oder der Ausschluss der Geltendmachung weiterer Schäden im Text der ersten Entscheidung ausdrücklich angesprochen wurde, ging die Rechtsprechung also von einer mit bindender Wirkung versehenen Entscheidung über diese Fragen aus. Die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die décisions implicites wurde jedoch seit jeher kritischer gesehen als die Erfassung der motifs décisifs, obwohl das Argument der untrennbaren logischen Verknüpfung mit dem Entscheidungsausspruch in beiden Fällen herangezogen werden konnte. Dass der Richter die jeweilige Entscheidung tatsächlich getroffen hat, kann bei den décisions implicites nicht dem Urteilstext entnommen werden, vielmehr beruht

345 Cass. 3e civ., 20. März 1978, n° 76-13.783, Bull. civ. III, n° 126, p. 99: Eine Entscheidung, in der zwei im selben Einkaufszentrum ansässige Geschäftsleute unter Androhung eines Zwangsgeldes verpflichtet wurden, eine Wettbewerbsklausel zu beachten, beinhalte die stillschweigende Bejahung der Wirksamkeit dieser Klausel. Mit der Annahme des Bestehens einer vertraglichen Vereinbarung verbindet eine décision implicite über die Wirksamkeit der Vereinbarung auch: Cass. 1 re civ., 2. Juli 1963, Bull. civ. I, n° 360; gegen einen solchen Schluss dagegen: Cass. soc., 10. März 1966, Bull. soc., n° 259. 346 Cass. soc., 24. März 1971, n° 70-40.142, Bull. soc., n° 236, p. 197: Ein Gericht, das einer Arbeitnehmerin einen vertraglichen Abfindungsanspruch in vollem Umfang für einen bestimmten Zeitraum zuerkannte, habe stillschweigend entschieden, dass die Rente der Arbeitnehmerin auf diesen Abfindungsanspruch nicht anzurechnen sei, mit der Folge, dass die spätere Klage des Arbeitgebers auf Feststellung der zukünftigen Abzugsfähigkeit der Rente und auf Rückzahlung der entsprechenden, bereits geleisteten Beträge abzuweisen war. 347 Cass. 1re civ., 28. Januar 1953, Recueil Dalloz 1953, p. 222; Cass. 2 e civ., 30. April 1954, Recueil Dalloz 1954, p. 592; Cass. 1 re civ., 5. März 1963, Recueil Dalloz 1963, p. 313. 348 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 119 („application de la règle in toto pars continetur“). 349 Cass. 2 e civ., 19. Dezember 1973, JCP 1974, IV (Tableaux de jurisprudence), p. 44.

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die Annahme einer décision implicite allein auf der denklogischen Notwendigkeit der Beantwortung dieser Vorfrage im Rahmen der Entscheidungsfindung.350 Da oft aber nicht leicht zu beurteilen ist, ob eine bestimmte Vorfrage logisch zwingend zu beantworten ist, erweist sich die Grenze zur Fiktion bzw. zur bloßen Unterstellung, der Richter habe die logisch mit der Entscheidung im dispositif verknüpfte Entscheidung tatsächlich bewusst getroffen und abschließend entscheiden wollen, als fließend. 351 Kritisiert wurde zudem, dass allein die denklogische Notwendigkeit der Entscheidung selbst eine von Amts wegen zu entscheidende Frage noch nicht zwingend zum Gegenstand des kontradiktorischen Verfahrens zwischen den Parteien mache.352 Die Literatur versuchte aus diesem Grund, weitere Anforderungen an eine mit autorité de la chose jugée versehene stillschweigende Entscheidung zu formulieren: Zum einen müsse der Entscheidung mit Sicherheit entnommen werden können, dass der Richter über die jeweilige Vorfrage tatsächlich habe entscheiden wollen.353 Zum anderen dürfe die autorité de la chose jugée nur auf Fragen erstreckt werden, die Gegenstand des streitigen Vorbringens in den conclusions der Parteien und damit der streitigen Auseinandersetzung zwischen den Parteien war.354 Stellenweise zeigte sich auch in der Rechtsprechung das Bemühen, eine uferlose Ausdehnung der autorité de la chose jugée auf sämtliche logisch vorgelagerte Fragen und Schlussfolgerungen zu verhindern: So wurde die Anforderung, dass die jeweilige Vorfrage Gegenstand der conclusions der Parteien sein müsse, auch in der Rechtsprechung

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Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 218. Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 9: „[L]a décision n’a rien dit, même implicitement; mais on fait comme si le préjugé, c’est-à-dire le présupposé logique de la solution, avait la portée d’une décision tacite.“ 352 Hébraud, RTD civ. 1953, p. 373 (n° 13), 376; ders., RTD civ. 1955, p. 703 (n° 11), 704; ders., RTD civ. 1957, p. 568 (n° 2). 353 Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français XII, § 769, p. 335; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 11. Motulsky unterschied beispielsweise zwischen der von der autorité de la chose jugée erfassten implication réelle und der implication fictive, die keine Zuerkennung der Wirkungen der autorité de la chose jugée rechtfertigen sollte. Eine implication réelle bejahte er, wenn der Entscheidung entnommen werden konnte, dass das Gericht annahm, mit der Entscheidung über eine bestimmte Rechtsfolge, notwendigerweise auch über die andere, vorgelagerte Frage zu entscheiden. Dagegen sollte eine implication fictive gegeben sein, wenn der ausdrückliche Inhalt der Entscheidung keine Gewähr dafür gab, dass der Richter über diese Frage tatsächlich entscheiden wollte, sondern lediglich aufgrund der Tatsache, dass die jeweilige Frage eine logische Voraussetzung des dispositif darstellt, auf eine stillschweigend getroffene Entscheidung geschlossen wird (Recueil Dalloz 1968, p. 1, 9 s.). Eine trennscharfe Regel wird hiermit jedoch nicht aufgestellt. 354 Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français XII, § 769, p. 335; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 11. 351

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formuliert.355 Gleichzeitig wurde betont, dass eine mit autorité de la chose jugée ausgestattete décision implicite nur dann vorliege, wenn der Richter tatsächlich zwingend im Vorfeld der Entscheidung im dispositif über die Frage entscheiden musste. 356 Diese Einschränkungen wurden aber nicht von allen Teilen der Rechtsprechung in dieser Weise formuliert: So wurde die Annahme einer in der ergangenen Sachentscheidung enhaltenen, stillschweigenden Bejahung der Zuständigkeit des Gerichts, der Zulässigkeit der Klage oder der Statthaftigkeit des Rechtsmittels beispielsweise nicht davon abhängig gemacht, dass die Existenz oder das Fehlen dieser Prozessvoraussetzungen von einer Partei im Verfahren ausdrücklich vorgebracht wurde.357 Von einer einheitlichen Rechtsprechung zur Begrenzung der autorité de la chose jugée der décisions implicites kann daher nicht gesprochen werden.358 Die Anerkennung der autorité de la chose jugée der stillschweigenden Entscheidungen entsprach damit vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile der ganz herrschenden Auffassung, die zur Begründung auf die unerlässliche logische Verknüpfung mit dem dispositif abstellte. Einer uferlosen Ausdehnung der autorité de la chose jugée auf nicht im Urteilstext aufgeführte Entscheidungen zu logisch vorgelagerten Fragen versuchte man aber durch die Formulierung der Mindestvoraussetzungen einer tatsächlich erfolgten richterlichen Beurteilung und einer streitigen Erörterung Grenzen zu setzen. cc. Zusammenfassung Die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs und stillschweigenden Entscheidungen wurde in der Zeit vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile teilweise so stark ausgedehnt, dass dem Grundsatz der Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif im Ergebnis letztlich kaum noch Bedeutung zukam. Die Rechtspraxis war damit nicht nur von einem sachlich orientierten Ansatz geprägt, der die tatsächlich getroffene, abschließende Entscheidung des Richters unabhängig vom formellen Standort in der Entscheidung zum Gegenstand der autorité de la chose jugée bestimmte. 355

n° 46. 356

Cass. com., 24. Januar 1966, Bull. com., n° 46; Cass. soc., 10. März 1966, Bull. soc.,

Cass. 3 e civ., 17. Dezember 1970, n° 69-10.973, Bull. civ. III, n° 723, p. 524 (keine implizite Entscheidung über die tatsächliche Höhe des Mietzinses in einer Räumungsentscheidung, in der angenommen wurde, dass die Novation des ursprünglichen Mietverhältnisses nicht allein durch die Zahlung einer höheren Summe als des im Mietvertrag vorgesehen Betrages bewiesen werde); Cass. 3 e civ., 10. April 1975, n° 73-10.783, Bull. civ. III, n° 114, p. 87 (keine implizite Entscheidung über die Wirksamkeit einer Mietzinsvereinbarung in einem Mietvertrag, den die vorangegangene Entscheidung als Recht zum Besitz anerkannt hatte). 357 Cass. 1re civ., 28. Januar 1953, Recueil Dalloz 1953, p. 222; Cass. 2 e civ., 30. April 1954, Recueil Dalloz 1954, p. 592; Cass. 1 re civ., 5. März 1963, Recueil Dalloz 1963, p. 313. 358 Vgl. Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 11.

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Vielmehr zeigt sich gerade im Bereich der décisions implicites die Tendenz, sogar solchen Vorfragen oder Schlussfolgerungen die Wirkung der autorité de la chose jugée zuzuerkennen, bei denen nicht mit Sicherheit angenommen werden konnte, dass der Richter diese abschließend entschieden hatte. Versuche, der Ausdehnung auf Vorfragen und Folgeentscheidungen durch Formulierung der Voraussetzung einer tatsächlich getroffenen Entscheidung und einer Thematisierung der jeweiligen Frage in den conclusions der Partien gewisse Grenzen zu setzen, verhinderten nicht, dass die Frage, ob eine tatsächlich getroffene, logisch zwingende Vorentscheidung vorlag, in der Praxis häufig widersprüchlich beantwortet wurde. b. Die Entwicklung seit 1975 Nachdem die Frage nach dem Gegenstand der autorité de la chose jugée mangels gesetzlicher Vorgaben lange Zeit ausschließlich der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur überlassen geblieben war, zeigte der französische Gesetzgeber in den Reformen der Siebzigerjahre einen stärkeren Willen zur gesetzlichen Ausgestaltung. Das Décret n° 72-684 vom 20. Juli 1972 (ergänzt durch das Décret n° 72-788 vom 28. August 1972) und in der Folge der Nouveau Code de procédure civile von 1975 359 enthielten ausführlichere Regelungen zur autorité de la chose jugée als der Code de procédure civile von 1806. Die Reform des Zivilprozessrechts blieb denn auch für die Bestimmung der rechtskraftfähigen Urteilsbestandteile nicht ohne Auswirkungen. aa. „Motifs décisoires“ Einen deutlichen Wandel bewirkte die Einführung des Nouveau Code de procédure civile im Hinblick auf die motifs décisoires. Eine Zusammenschau verschiedener Normen des seit 1976 geltenden Code zeigt, dass die zuvor herrschende Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisoires nicht mehr der gesetzgeberischen Vorstellung entsprach. Einen ersten Anhaltspunkt hierfür liefern Art. 480 C.p.c. und Art. 482 C.p.c. Art. 480 C.p.c. bestimmt, dass einem Urteil, das in seinem dispositif (ganz oder teilweise) über die Hauptsache bzw. über eine exception de procédure oder eine fin de nonrecevoir entscheidet, autorité de la chose jugée im Hinblick auf die entschiedene Rechtsstreitigkeit (contestation) zukommt.360 Gleichzeitig definiert Art. 359

Der Nouveau Code de procédure civile wurde eingeführt durch das Décret n° 75-1123 du 5 décembre 1975 instituant un nouveau code de procédure civile und trat gemäß Art. 3 Décret n° 75-1123 am 1. Januar 1976 in Kraft. 360 Art. 480, al. 1 C.p.c.: „Le jugement qui tranche dans son dispositif tout ou partie du principal, ou celui qui statue sur une exception de procédure, une fin de non-recevoir ou tout autre incident a, dès son prononcé, l'autorité de la chose jugée relativement à la contestation qu'il tranche.“ (ähnlich schon Art. 107–1 des décret n° 72-684 vom 20. Juli 1972, der nachträglich durch Art. 189 des décret n° 72-788 vom 28. August 1972 in das décret n°

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482 C.p.c. das jugement avant dire droit als Entscheidung, die sich in ihrem dispositif auf die Anordnung einer verfahrensleitenden oder vorläufigen Maßnahme beschränkt, und spricht dieser Entscheidunsart die autorité de la chose jugée ab.361 Für die Frage, ob ein Ausspruch zur Hauptsache (bzw. zu einer Prozess- oder Unzulässigkeitseinrede) und damit eine der autorité de la chose jugée fähige Entscheidung vorliegt, ist danach allein der Inhalt des dispositif maßgeblich.362 Damit ist ein Hauptanwendungsfeld der motifs décisoires entfallen: Eine Entscheidung, die sich in ihrem dispositif auf eine Anordnung avant dire droit beschränkt, ist nicht mehr schon deshalb als mit der autorité de la chose jugée ausgestattetes jugement mixte anzusehen, weil in den Entscheidungsgründen eine abschließende Feststellung zur Hauptsache in Form eines motif décisoire getroffen wird. Bestätigung findet dieses Ergebnis durch die Regelungen in Art. 544 C.p.c. und Art. 606 C.p.c.: 363 Danach ist gegen Entscheidungen, die neben einer vorläufigen bzw. prozessleitenden Anordnung auch eine abschließende Entscheidung in der Hauptsache enthalten, eine sofortige, von der Endentscheidung unabhängige Berufung oder Kassation dann zulässig, wenn der abschließend über die Hauptsache entscheidende Urteilsteil im dispositif enthalten ist. Damit kann ein motif décisoire bei Fehlen einer abschließenden Entscheidung zur Sache im dispositif keine sofortige, selbstständige Anfechtung rechtfertigen. Da die Eröffnung von Rechtsmitteln nur dann sinnvoll erscheint, wenn die jeweils anzugreifende Entscheidung für die Parteien bindend ist und nicht einfach zum Gegenstand eines neuen erstinstanzlichen Verfahrens gemacht werden kann, 72-684 eingefügt wurde, der aber anders als Art. 480 C.p.c. keine Bezugnahme auf die Entscheidung gerade im dispositif enthält). 361 Art. 482 C.p.c.: „Le jugement qui se borne, dans son dispositif, à ordonner une mesure d'instruction ou une mesure provisoire n'a pas, au principal, l'autorité de la chose jugée. “ (ähnlich schon Art. 107–2 des décret n° 72-684 vom 20. Juli 1972 (nachträglich durch Art. 189 des décret n° 72-788 vom 28. August 1972 in das décret n° 72-684 eingefügt), der aber anders als Art. 482 C.p.c. keine Bezugnahme auf die Entscheidung gerade im dispositif enthielt). 362 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 735; Croze/Morel/Fradin, Procédure civile, n° 142; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.64; Gabet, Jurisprudence – Cour de Cassation, Rapport sur Cass. ass. plén., 13 mars 2009, BICC 1 er juin 2009, p. 8, 13 s.; Ghestin, Liber amicorum Waline, 2002, p. 575, 583. 363 Art. 544, al. 1 C.p.c.:„Les jugements qui tranchent dans leur dispositif une partie du principal et ordonnent une mesure d'instruction ou une mesure provisoire peuvent être immédiatement frappés d'appel comme les jugements qui tranchent tout le principal.“ (inhaltsgleich Art. 87, al. 1 des décret n° 72-788 vom 28. August 1972); Art. 606 C.p.c.: “Les jugements en dernier ressort qui tranchent dans leur dispositif une partie du principal et ordonnent une mesure d'instruction ou une mesure provisoire peuvent être frappés de pourvoi en cassation comme les jugements qui tranchent en dernier ressort tout le principal. “ (ohne Entsprechung in den décrets von 1972).

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lassen Art. 544 und Art. 606 C.p.c. darauf schließen, dass der Gesetzgeber auch nur dann von einer der autorité de la chose jugée fähigen Entscheidung ausgeht, wenn der dispositif zumindest auch eine abschließende Entscheidung in der Hauptsache enthält.364 Ob damit den motifs décisoires insgesamt die Grundlage entzogen ist, ist jedoch weniger eindeutig, denn Art. 480 C.p.c. kann auch dahingehend verstanden werden, dass er mit dem Erfordernis eines Urteils, das in seinem dispositif zumindest über einen Teil der Hauptsache entscheidet, lediglich die rechtskraftfähige Entscheidungsart bestimmt, ohne aber festzulegen, welchen Feststellungen in welchen Teilen eines solchen Urteils die Wirkungen der autorité de la chose jugée zuzubilligen sind. 365 Bei dieser Lesart stünde der Wortlaut des Art. 480 C.p.c. der Annahme eines bindenden motif décisoire für den Fall, dass der dispositif eine Entscheidung zur Hauptsache enthält, gleichzeitig aber in den Entscheidungsgründen eine selbstständige Feststellung zur Sache getroffen wird, nicht entgegen.366 Jedoch erschiene es widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber zwar für die Rechtskraftfähigkeit einer Entscheidung einen Entscheidungsausspruch zur Hauptsache im dispositif verlangen, dann aber die autorité de la chose jugée eines solchen Urteils auch auf abschließende Feststellungen in den Entscheidungsgründen erstrecken sollte. Ein und derselben abschließenden Feststellung in den Entscheidungsgründen könnte so in einem Fall autorité de la chose jugée zukommen, weil der dispositif der Entscheidung auch einen Ausspruch zur Hauptsache enthält, während im Fall des Fehlens eines solchen Ausspruchs im dispositif demselben motif décisoire keine bindende Wirkung zukäme. Eine solche Entscheidung würde weder einer formalen Lösung noch einem sachlich orientierten Ansatz entsprechen, da weder die formale Stellung innerhalb des Entscheidungskörpers noch das Vorliegen einer tatsächlich abschließenden Entscheidung als einheitliches Kriterium dienen würden. Es ist kaum anzunehmen, dass der Gesetzgeber der zuvor vorherrschenden starken Ausweitung der autorité de la chose jugée im Hinblick auf die Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungen ein Ende bereiten, im Hinblick auf die motifs décisoires aber auf eine solch klare Lösung und insbesondere ein einheitliches Kriterium für ihre Teilhabe an der autorité de la chose 364

Normand, RTD civ. 1988, p. 386, 387; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 113 („[L]a recevabilité immédiate de l’appel se justifie en ce qu’elle offre aux parties la possibilité de contester ce qui a déjà été jugé et qui, ayant autorité, ne pourra plus être remis en cause ultérieurement.“). 365 Hierauf hinweisend Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1109; Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 374, p. 307; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 435. 366 Ein Beispielsfall, in dem das motifs décisoire eine eigenständige Feststellung enthält und nicht lediglich das logische Fundament des Ausspruchs im dispositif bildet, stellt der Fall dar, in dem das Gericht über die Widerklage (demande reconventionnelle) des Beklagten oder einen weiteren Antrag des Klägers nur in den motifs entscheidet.

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jugée verzichten wollte. Dass der Ausschluss zumindest der motifs décisoires dem Willen des Gesetzgebers entsprach, legt auch der dem Urteilsinhalt gewidmete Art. 455 C.p.c. nahe, der in seinem zweiten Absatz367 bestimmt, dass Standort des Entscheidungsausspruchs der dispositif ist.368 Die Zusammenschau der genannten Regelungen des C.p.c. legt nahe, dass die Annahme eines gesonderten, insbesondere mit dem dispositif nicht zwingend logisch verknüpften Entscheidungsausspruchs in den Entscheidungsgründen in Form eines motif décisoire nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die französische Literatur geht heute denn auch ganz überwiegend davon aus, dass die motifs décisoires nach Einführung der Artikel 480, 455 C.p.c. nicht mehr an der autorité de la chose jugée teilhaben.369 Hierdurch werde gewährleistet, dass die Parteien auf einen Blick und ohne das gesamte Urteil durchsuchen zu müssen, erkennen könnten, ob das Urteil eine abschließende Entscheidung zur Hauptsache trifft und welchen Inhalt diese Entscheidung hat.370 Dies entspricht auch der heutigen Position der französischen Rechtsprechung: Nur in der unmittelbaren Folge der Reform des Jahres 1975 finden sich noch höchstrichterliche Entscheidungen, die die motifs décisoires als Teil der eigentlichen Entscheidung, der chose jugée, ansahen und ihnen die bindende Wirkung der autorité de la chose jugée zuschrieben.371 Seither hat sich jedoch das Verständnis durchgesetzt, dass den motifs décisoire angesichts der beschriebenen Gesetzeslage keine autorité de la chose jugée mehr zugebilligt

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Art. 455, al. 2 C.p.c.: „Il énonce la décision sous forme de dispositif.“ (inhaltsgleich Art. 102, al. 2 des décret n° 72-684 vom 20. Juli 1972). 368 Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.64; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 189. 369 Croze/Morel/Fradin, Procédure civile, n° 143; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.64; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1110; Normand, L’étendue de la chose jugée au regard des motifs et du dispositif, BICC hors série, n° 3, p. 13 ss, spec. 12 (Ausschluss der motifs décisoires als vorrangiges Ziel der Einführung des Art. 480 C.p.c.); Viatte, Gaz. Pal. 1978, p. 84, 85; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire proc. civ. 2004, n° 189. Héron/Le Bars sprechen sich ebenfalls gegen eine Teilhabe der motifs décisoire an der autorité de la chose jugée aus, betonen aber, dass sich dies aus den Artikeln 480, 455 C.p.c. nur bei strenger Lesart ergebe (Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 373, p. 307). 370 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 735; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.64; Héron/ Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 373, p. 307. 371 Cass. 1re civ., 25. November 1986, n° 85-10.524, Bull. Civ. I, n° 275, p. 263: bindende Bejahung der Eigenschaft des Beklagten als materiellrechtlicher Schuldner in den motifs einer Entscheidung, die sich in ihrem dispositif auf die Bejahung der Zulässigkeit beschränkt hatte.

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werden könne und eine Entscheidung, die sich in ihrem dispositif auf die Anordnung einer prozessleitenden oder vorläufigen Maßnahme beschränkt, unabhängig vom Inhalt der motifs, als jugement avant dire droit und nicht als jugement mixte einzuordnen sei. 372 Diese Rechtsprechungslinie hat mit der Entscheidung der Assemblée plénière vom 13. März 2009 373 nur noch eine endgültige Bestätigung gefunden.374 bb. „Motifs décisifs“ Lässt sich die gesetzgeberische Position im Hinblick auf die motifs décisoires aus den Vorschriften des Code de procédure civile herleiten, so fällt dies in Bezug auf die motifs décisifs deutlich schwerer. Als Ausgangspunkt der Beurteilung kann wiederum Art. 480 C.p.c. in Verbindung mit Art. 455, al. 2 C.p.c. und die darin enthaltene Hervorhebung des dispositif als Sitz des Entscheidungsausspruchs und der chose jugée dienen. Auf dieser Grundlage sind jedoch im Hinblick auf die motifs decisifs verschiedene Auslegungen denkbar. Aus der Zusammenschau der in Art. 480 C.p.c. enthaltenen Beschränkung der autorité de la chose jugée auf Entscheidungen, die in ihrem dispositif zur Hauptsache (oder einer prozessualen Einrede bzw. Prozessvoraussetzung) entscheiden, und der in Art. 455, al. 2 C.p.c. verankerten Regel, wonach die Entscheidung über den Rechtsstreit im dispositif zu treffen ist, könnte geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Bestimmung der rechtskraftfähigen Feststellungen am rein formalen Kriterium der Stellung im dispositif ausrichten wollte. Auf Grundlage dieser Auslegung nimmt ein Teil der französischen Lehre an, dass auch eine Bindung an die logisch mit dem dispositif verknüpften motifs décisifs nach heutiger Gesetzeslage zu verneinen ist, da die motifs décisifs nicht im dispositif enthalten sind.375 Während die motifs décisoires aber im Verhältnis zum Rechtsfolgenausspruch im dispositif selbstständige Subsumtionssschlüsse darstellen, sind die 372 Vgl. Cass. 2 e civ., 16. November 1983, n° 82-14.282, Bull. civ. II, n° 180; Cass. soc., 11. Juni 1987, n° 84-44.578, Bull. civ. V, n° 386, p. 245; Cass. com., 15. Juli 1987, n° 8517.829, Bull. civ. IV, n° 182, p. 135; Cass. 2 e civ., 17. Mai 1993, n° 91-19.381, Bull. civ. II, n° 173, p. 93; Cass. com., 14. Januar 1997, n° 95-12.108, Bull. civ. IV, n° 15, p. 12; Cass., 1re civ., 7. Oktober 1998, n° 97-10.548, Bull. civ. I, n° 284, p. 197; Cass. 2 e civ., 8. Juni 2000, n° 98-19.038, inédit; Cass. 2 e civ., 22. Januar 2004, n° 02-16.377, Bull. civ. II, n° 15, p. 11. 373 Cass. ass. plén., 13. März 2009, n° 08-16.033, Bull. ass. plén., n° 3; ausführlich zur Bedeutung dieser Entscheidung sogleich. Vgl. auch die seither ergangenen Entscheidungen Cass. 1re civ., 14. April 2010, n° 09-12.225, inédit; Cass. 3 e civ., 12. April 2012, n° 1114.768, inédit. 374 So Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1110. 375 So Ghestin, Liber amicorum Waline, 2002, p. 575, 583 (n° 15); Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire proc. civ. 2004, n° 181.

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motifs décisifs als logisch zwingend zu entscheidende Vorfragen und Subsumtionsschritte mit dem Ausspruch im dispositif untrennbar verflochten. Diese Verknüpfung lieferte vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile auch die Begründung für die Teilhabe der motifs décisifs an der autorité de la chose jugée. Die logisch vorgelagerten Feststellungen wurden letztlich als Teil der Entscheidung im dispositif angesehen und daher wie dieser behandelt. Hält man mit einem Teil der Literatur an dieser Argumentation fest, schließt auch die Bestimmung des dispositif als Sitz der chose jugée in den Artikeln 480, 455 C.p.c. eine Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisifs nicht zwingend aus. 376 Die Regelungen des Code de procédure civile zeichnen damit im Hinblick auf die motifs décisifs keine eindeutige Lösung vor. In der nach Einführung des Nouveau code de procédure ergangenen Rechtsprechung war lange keine einheitliche Linie erkennbar: Während teilweise schlichtweg die alte Rechtsprechungspraxis fortgeführt und den motifs décisifs uneingeschränkt autorité de la chose jugée zugesprochen wurde, wurde in anderen Entscheidungen die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf den soutien nécessaire abgelehnt. Diese Spaltung setzte sich bis in die Cour de Cassation fort: Die erste und dritte Zivilkammer erkannten die autorité de la chose jugée der motifs décisifs an,377 wohingegen die anderen Kammern eine Bejahung der autorité de la chose jugée der motifs décisifs als Verstoß gegen Art. 480 C.p.c. werteten.378 Beeinflusst durch die in der Literatur geäußerte Kritik an der Spaltung der Cour de Cassation 379 schwenkten Anfang der Neunzigerjahre allerdings auch die erste und dritte Zivilkammer auf die eine autorité de la chose jugée der motifs décisifs ablehnende Linie ein.380 Seither vertreten 376

So Giunchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1111; Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 374, p. 307; Viatte, Gazette du Palais 1978, p. 84, 86. 377 Cass. 3 e civ., 27. April 1982, n° 81-10.352, Bull. civ. III, n° 106; Cass. 1 re civ., 24. Januar 1984, n° 82-15.533, Bull. Civ. I, n° 32, p. 25; Cass. 3 e civ., 12. Juli 1988, n° 8712.867, Bull. civ. III, n° 128, p. 70. 378 Cass. 2 e civ., 13. Februar 1984, n° 83-12.456, Bull. civ. II, n° 140, p. 99; Cass. 2 e civ., 20. Juli 1987, Bull. civ. II, n° 169, p. 98 (hier aber aus dem zusätzlichen Grund der fehlenden Parteiidentität); Cass. com., 9. Juli 1985, n° 84-12.061, Bull. civ. IV, n° 206, p. 171. 379 Die Spaltung der Cour de Cassation wurde in der Literatur als Gefahr für die Rechtssicherheit und das Ansehen der Justiz kritisiert, so insbesondere Normand, RTD civ. 1988, p. 386, 390 („On ne saurait admettre longtemps une telle confusion. Elle discrédite l’institution judiciaire. Elle fonde chez le justiciable le sentiment d’être le jouet du hasard… “). Zum Einfluss der Kritik Normands auf die Rechtsprechungsänderung: Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire procédure civile 2004, n° 179. 380 Cass. 2 e civ., 5. April 1991, n° 89-20.546, Bull. civ. II, n° 109, p. 59; Cass. com., 14. Mai 1991, n° 89-16.696, Bull. civ. IV, n° 160, p. 115; Cass. 3 e civ., 28. Oktober 1992, n° 90-18.573, Bull. civ. III, n° 282, p. 173; Cass. Cass. 2 e civ., 17. Mai 1993, n° 91-19.381, Bull. civ. II, n° 173, p. 93; Cass. 1 re civ., 8. Juli 1994, n° 91-17.250, Bull. civ. I, n° 240, p. 175.

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die Zivilkammern der Cour de Cassation geschlossen, dass sich die autorité de la chose jugée auf den dispositif beschränke und die motifs selbst dann nicht erfasse, wenn diese die logisch unerlässliche Grundlage des Rechtsfolgenausspruchs im dispositif darstellen.381 Wohl um angesichts vereinzelter Entscheidungen, die nochmals der alten Linie zuneigten, 382 letzte Zweifel zu beseitigen, hat eine Entscheidung der Assemblée plénière der Cour de Cassation vom 13. März 2009 die eingeschlagene Entwicklung kammerübergreifend bestätigt,383 indem die Cour de Cassation im Kopfsatz der Entscheidungsveröffentlichung den Grundsatz formulierte, dass die autorité de la chose jugée nur die Fragen erfasse, die im dispositif entschieden wurden.384 Ob die damalige Entscheidung für eine endgültige Fixierung der Position der Rechtsprechung die geeignetste war, darf zwar bezweifelt werden, da hier hauptsächlich die Auslegung des dispositif der ersten Entscheidung problematisch war, 385 jedoch hat die Cour de Cassation in der mit der Entscheidung veröffentlichten Pressemitteilung eindeutig klargestellt, dass mit der Entscheidung eine klare Positionsbestimmung

381

Cass. 3 e civ., 8. Oktober 1996, n° 94-10.748, inédit; Cass. 2 e civ., 12. Februar 2004, n° 02-11.331, inédit; Cass. com., 3. März 2004, n° 02-10.168, inédit („tout ce qui ne figure pas formellement dans le dispositif est privé de l’autorité de la chose jugée “); Cass. 1re civ., 22. November 2005, n° 02-20.122, Bull. civ. I, n° 425, p. 355; Cass. soc., 10. Januar 2006, n° 03-47.627, inédit; Cass. 1 re civ., 28. Februar 2006, n° 04-19.440, inédit; Cass. 2 e civ., 6. April 2006, n° 04-17.503, inédit; Cass. 1 re civ., 20. Februar 2007, n° 05-12.913, Bull. civ. I, n° 66, p. 59; Cass. 2 e civ., 10. Januar 2008, n° 07-10.445, inédit; Cass. 3 e civ., 29. Oktober 2008, n° 07-18.202, inédit; Cass. com, 9. Dezember 2008, n° 07-22.021, inédit; Cass. 2 e civ., 18. Dezember 2008, n° 07-20.261, inédit; Cass. 3 e civ., 10. Februar 2009, n° 08-12.131, inédit. Vgl. auch die von der Cour de Cassation veröffentlichte Praxisempfehlung zur autorité de la chose jugée (BICC 2008, n° 676 du 15 février 2008, Communication – Fiche méthodologique: L’autorité de la chose jugée des jugements civils, I.2.A): „Désormais, les motifs, dits décisoires […] sont […] clairement dépourvues de l’autorité de la chose jugée (…) et il en est de même des motifs décisifs […].“ 382 Ausdrücklich den motifs décisifs (soutien nécessaire) die Wirkunen der autorité de la chose jugée zusprechend: Cass. 3 e civ., 6. November 2001, n° 00-13.780, inédit. In zwei weiteren Fällen wurde die autorité de la chose jugée der in den motifs enthaltenen Feststellungen mit der Begründung abgelehnt, dass die Feststellung weder im dispositif getroffen wurde, noch den soutien nécessaire des dispositif darstellte, so Cass. com., 26. März 1996, n° 94-11.775, inédit; Cass. 1 re civ., 26. Juni 2001, n° 99-16.168, inédit. 383 Cass. ass. plén., 13. März 2009, n° 08-16.033, Bull. ass. plén., n° 3. 384 Cour de Cassation, BICC n° 703 vom 1. Juni 2009 – Arrêt du 13 mars rendu par l‘assemblée plénière, p. 6: „L’autorité de la chose jugée n’a lieu qu’à l’égard de ce qui fait l’objet d’un jugement et a été tranché dans son dispositif.“ Die Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif entspricht der ständigen Rechtsprechung, vgl. z.B. erst kürzlich Cass. 1re civ., 16. April 2015, n° 14-13.280 (zur Veröffentlichung im Bull. Civ. vorgesehen; kritische Anmerkung hierzu: Bléry, Gaz. Pal. 2015 (n° 165–167), Jurisprudence, p. 20, 21). 385 Perrot, RTD civ. 2009, n° 5, p. 366, 367 s.; Serinet, JCP 2009, II-10077, p. 25, 27.

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zur Frage der Erfassung der motifs durch die autorité de la chose jugée bezweckt war: Den Entscheidungsgründen komme keine autorité de la chose jugée zu, unabhängig davon, ob es sich um motifs décisoires oder décisifs handelt. 386 Ist die Position der französischen Rechtsprechung damit einheitlich festgelegt, zeigt sich die französische Literatur dagegen noch heute gespalten: Während einige Autoren die klare Aberkennung der autorité de la chose jugée jeglicher motifs begrüßen und zum Teil auch aufgrund der Regelungen des Code de procédure civile für zwingend halten,387 zeigt sich auf Seiten der Kritiker der Rechtsprechungslinie ein uneinheitliches Bild. Neben jenen Autoren, die ohne weitere Differenzierung die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisifs befürworten,388 differenzieren andere Autoren zwischen autorité négative und autorité positive de la chose jugée. Dieser differenzierende Ansatz stützt sich dabei auf einen von Jacques Héron 1996 veröffentlichten Aufsatz, in dem dieser darlegte, dass die Ablehnung der autorité de la chose jugée der Entscheidungsgründe vor allem die positive Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée betreffe, also die Bindung des Gerichts und der Parteien in einem späteren nicht gegenstandsidentischen Verfahren. 389 Die Heranziehung der motifs zur Bestimmung der triple identité als Voraussetzung der autorité négative sollte nach Héron dagegen zu bejahen sein, weshalb die negative Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée auch die motifs décisifs erfassen sollte. 390

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Cour de Cassation, BICC n° 703 vom 1. Juni 2009 – Arrêt du 13 mars rendu par l‘assemblée plénière – Communiqué, p. 6: „La Cour de cassation marque ainsi son attachement à une solution privilégiant la sécurité juridique. Elle consacre une nouvelle fois le rejet de la théorie des motifs dits ‚décisifs’, définis classiquement comme constituant le soutien nécessaire du dispositif, comme celle des motifs ‚décisoires’, qualificatif désignant habituellement des éléments de la décision exprimés par les juges dans les motifs de leur jugement, alors qu’ils auraient dû l’être dans son dispositif.“ Vgl. aus der jüngsten Rechtsprechung z.B. Cass. 2e civ., 17. Oktober 2013, n° 12-26.178, Bull. Civ. II, n° 200. 387 Ghestin, Liber amicorum Waline, 2002, p. 575, 583 (n° 15); Julien/Fricéro, Procédure civile, n° 723; Strickler, La localisation de l’autorité de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 37, 50 ss., 54 (n° 30); Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire proc. civ. 2004, n° 181. 388 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 736; Croze/Morel/Fradin, Procédure civile, n° 143; Viatte, Gaz. Pal. 1978, p. 84, 85 s. Für das französische Recht aus deutscher Sicht ebenfalls zu diesem Ergebnis kommend, Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 174 ff. (allerdings mit Ausrichtung auf das Verwaltungsprozessrecht). 389 Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131 ss. 390 Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 133 (n° 4).

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Diese Unterscheidung wird seither – wenn auch nicht immer mit denselben Ergebnissen wie bei Héron – von zahlreichen weiteren Autoren vorgenommen.391 Weitgehende Einigkeit besteht dahingehend, dass zur Bestimmung der Streitgegenstandsidentität (insbesondere der cause) als Voraussetzung der autorité négative de la chose jugée auf die motifs décisifs zurückgegriffen werden kann.392 Der dispositif lasse ohne Rückgriff auf die motifs décisifs oft kaum erkennen, worüber nun eigentlich entschieden wurde. Die vorgelagerten Feststellungen in Form der motifs décisifs seien daher in vielen Fällen notwendig, um den Ausspruch im dispositif überhaupt verstehen und in seiner Reichweite einschätzen zu können. Der Rückgriff auf diese das Verständnis vom tatsächlichen Inhalt der Entscheidung erleichternden Feststellungen könne nicht davon abhängig gemacht werden, ob die jeweilige Feststellung in den dispositif aufgenommen wurde oder nicht.393 Ob dagegen eine Bindung an die in den Entscheidungsgründen getroffenen, logisch unerlässlichen Feststellungen im Sinne der autorité positive de la chose jugée besteht, wird unterschiedlich beantwortet. Serge Guinchard, Cécile Chainais und Frédérique Ferrand bejahen dies in ihrem Lehrbuch zum Zivilprozessrecht: Es sei absurd, die logische Begründung nicht an der Bindung teilhaben zu lassen, zudem könne so ein Gleichlauf mit den anderen Verfahrensordnungen hergestellt werden, da sowohl der Conseil constitutionnel für den Verfassungsprozess als auch der Conseil d’État für das Verwaltungsprozessrecht den motifs décisifs bindende Wirkung zugestehen.394 Das Lehrbuch von Jacques Héron und Thierry Le Bars lehnt die autorité positive de la chose jugée dagegen grundsätzlich ab, 395 bejaht aber die autorité négative de la chose jugée der motifs décisifs, 396 da sich die autorité de la chose jugée als Urteilseigenschaft aus ihrer Sicht gerade aus der Tatsachenfeststellung und Subsumtion in den Entscheidungsgründen ergebe. Mit dem Entscheidungsausspruch im dispositif sei allein die bindende Beeinflussung der Rechtslage durch die efficacité substantielle verknüpft, nicht aber die autorité de la chose jugée, so dass bei 391 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 442; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1111; Héron/Le Bars, Droit judiciaire civile, n° 374 s., p. 307 ss. Obwohl insgesamt gegen die autorité de la chose jugée der motifs ebenfalls diese Differenzierung vornehmend Normand, L’étendue de la chose jugée au regard des motifs et du dispositif, BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss., 18 ss. 392 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 442; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1111; Héron/Le Bars, Droit judiciaire civile, n° 374, p. 308; Normand, BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss, 18 ss. 393 Héron/Le Bars, Droit judiciaire civile, n° 374, p. 308. 394 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1111. 395 Zu dieser die autorité positive de la chose jugée ablehenden Position bereits oben C. I. b. 396 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 375, p. 309 s. Ebenso: Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 442.

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Ablehnung der autorité de la chose jugée der Entscheidungsgründe für dieses Rechtsinstitut gar kein Anwendungsbereich verbliebe. 397 Ob die Differenzierung zwischen autorité négative und positive bei der Beantwortung der Frage der autorité de la chose jugée der motifs décisifs zielführend ist, erscheint jedoch zweifelhaft. Bei genauer Lektüre wird deutlich, dass die meisten Autoren nicht zwischen autorité négative und autorité positive de la chose jugée differenzieren, sondern vielmehr zwischen der Heranziehung der motifs zur Bestimmung der Reichweite des Streitgegenstandes (insbesondere der cause als Teil der triple identité im Sinne des Art. 1351 C.c.) einerseits und der Anerkennung der autorité de la chose jugée der motifs andererseits.398 Die Fokussierung auf eine Differenzierung zwischen positiver und negativer Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée führt zu einer Vermischung dieser Fragestellungen: Die Héron und LeBars folgende Literatur beschreibt schon die Heranziehung der Entscheidungsgründe zur Bestimmung der Reichweite der chose jugée als Erstreckung der autorité négative de la chose jugée auf die motifs, wohingegen die Frage, ob die Unzulässigkeitseinrede der autorité de la chose jugée greift, wenn die in den Entscheidungsgründen beantwortete Vorfrage zum Gegenstand einer Klage gemacht wird, überhaupt nicht thematisiert wird. 399 Dabei wird eine Rolle spielen, dass eine allgemeine reine Feststellungklage in der Tradition des französischen Prozessrechts nicht verankert ist400 und sich daher die Situation, dass die Feststellung zu der Vorfrage

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Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 375, p. 310 („[R]efuser l’autorité négative de chose jugée aux motifs soutien nécessaire du dispositif reviendrait à la supprimer purement et simplement pour ne laisser subsister que l’opposabilité de l’effet substantiel du jugement …“). 398 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 442; Normand, BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss, spec. 18 ss. Guinchard/Chainais/Ferrand gestehen denn auch zu, dass die Heranziehung zur Bestimmung der Reichweite der chose jugée/cause höchstens eine indirekte Zuerkennung der autorité de la chose jugée sei (Procédure civile, n° 1111, p. 787): „Il s’agit en effet de délimiter la chose déjà jugée et les énonciations des motifs y contribuent. On ne leur donne ainsi autorité de la chose jugée qu’indirectement…„. Für eine klare Trennung zwischen der Heranziehung zur Auslegung und einer Zuerkennung der autorité de la chose jugée dagegen Strickler, La localisation de l’autorité de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 37, 52 ss. ( n° 29 s.). 399 So wird dieses Wiederholungsverbot bezüglich der Feststellungen in den motifs weder von Bouty (Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 431 ss.) noch von Guinchard/Chainais/Ferrand (Procédure civile, n° 1111) oder Normand (BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss., 18 s.) thematisiert, wenn sie die Bedeutung der motifs décisifs im Rahmen der autorité négative de la chose jugée behandeln. 400 Vgl. hierzu oben E. I.

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später Gegenstand eines Klagantrags wird, als praktisch wenig relevant erweist. 401 Wenn sich die „autorité négative de la chose jugée“ der Feststellungen in den Entscheidungsgründen nach dieser Ansicht aber darauf beschränkt, dass die motifs beim Vergleich der Streitgegenstände miteinbezogen werden können, und gleichzeitig die autorité positive abgelehnt wird, so wird den Feststellungen zu den logisch vorgelagerten Subsumtionsschritten damit letztlich gar keine tatsächliche Rechtskraftwirkung zugebilligt. 402 So kann eigentlich nur bei den Autoren, die eine positive Bindungswirkung an die motifs décisifs bejahen, von einer tatsächlichen Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisifs gesprochen werden. Während sich in der heutigen französischen Rechtsprechung damit die klare Linie durchgesetzt hat, dass den motifs décisifs keine autorité de la chose jugée zuzubilligen ist, will die Literatur in weiten Teilen noch an einer Rechtskraftfähigkeit der logischen Vorfragen festhalten. In der dabei häufig vorgenommenen Differenzierung zwischen der positiven und negativen Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée zeigt sich allerdings eine Vermischung verschiedener Themenkomplexe, betrifft doch die Heranziehung der motifs zur Bestimmung der Reichweite der chose jugée eigentlich nicht die Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungsbestandteile. Im Hinblick auf die Anerkennung einer Bindung an die in den motifs entschiedenen logischen Vorfragen hat sich die Literatur auf keine einheitliche Linie einigen können. Der an formalen Kriterien ausgerichtete Ansatz der Rechtsprechung schafft demgegenüber größere Klarheit und schließt auch die Heranziehung der motifs décisifs zur Bestimmung der cause nicht aus. cc. Art. 95 C.p.c. als Ausnahmeregelung? Unklarer noch als die autorité de la chose jugée der motifs allgemein blieb lange die Beurteilung, ob einer Feststellung zu einer materiellrechtlichen Vorfrage, die einer Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts vorgelagert ist, die Wirkung der autorité de la chose jugée zukommt. Hintergrund dieser Unsicherheit war die Sonderregelung des Art. 95 Code de procédure civile. Dieser sieht vor, dass eine Feststellung über eine materiellrechtliche Vorfrage 401 Angesichts der Existenz von Klage- und Urteilsarten wie des Nichtigkeits(feststellungs)urteils, durch welches Rechtsverhältnisse für nichtig erklärt werden (vgl. ausführlich zu französischen Urteilsarten mit Feststellungselement Kranzbühler, Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage im französischen Zivilprozessrecht, 1974), erscheint die Situation jedoch nicht völlig ausgeschlossen. 402 So auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 173 f. („Im Fall der motifs als Auslegungsmittel erscheint es zudem bereits nicht einmal terminologisch zutreffend, von einer autorité de la chose jugée der motifs zu sprechen ...“), der sich aber für eine Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisifs und décisions implicites ausspricht (S.174 ff.).

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(beispielsweise das Bestehen eines Vertragsverhältnisses oder die Qualifizierung dieses Vertrages), von der die Entscheidung über die Zuständigkeit abhängt, von der autorité de la chose jugée erfasst ist. 403 Lehnt also beispielsweise der Conseil de prud‘hommes die Existenz eines seine Zuständigkeit begründenden Arbeitsverhältnisses ab, so ist das in der Folge angerufene Tribunal d’instance (oder de grande instance) nicht nur an die Zuständigkeitsentscheidung gebunden, sondern darf auch in seiner Entscheidung zur Sache nicht mehr die Existenz eines Arbeitsvertrages bejahen. Betrachtet man Art. 95 C.p.c. isoliert, so scheint die Norm der Entscheidung über die vorgelagerte materiellrechtliche Rechtsfrage autorité de la chose jugée zuzusprechen, ohne danach zu differenzieren, ob diese Vorfrage in den dispositif aufgenommen wurde oder nicht. Die Vorschrift könnte daher als Ausnahme zum Grundsatz der Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif verstanden werden, da sie die autorité de la chose jugée auch dann auf die Entscheidung über die Vorfrage zu erstrecken scheint, wenn diese allein in den Entscheidungsgründen enthalten ist. Diese Einordnung des Art. 95 C.p.c. als gesetzlich vorgesehener Fall der Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die Entscheidungsgründe wird jedoch in Frage gestellt, wenn man Art. 95 C.p.c. im Zusammenhang mit einer weiteren Vorschrift liest, die ebenfalls im Abschnitt über die Unzuständigkeitseinrede (exception d’incompétence) zu finden ist: Art. 77 C.p.c. verpflichtet den Richter, die Entscheidung über eine der Klärung der Zuständigkeit vorgelagerte materiellrechtliche Frage im dispositif unter einem von der Zuständigkeitsfrage gesonderten Punkt aufzuführen. 404 Der Gesetzgeber hat damit den dispositif zum Standort der Entscheidung über die materielle Vorfrage bestimmt. Liest man Art. 95 C.p.c. im Zusammenhang mit dieser Norm, so liegt die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber der Entscheidung über die materiellrechtliche Vorfrage nur dann autorité de la chose jugée zusprechen wollte, wenn diese in der in Art. 77 C.p.c. vorgeschriebenen Form ergeht. 405 Jedoch lassen sich auch Argumente gegen diese Schlussfolgerung vorbringen. Art. 77 C.p.c. legt zwar die Verpflichtung fest, über die materiellrechtliche

403 Art. 95 C.p.c.: „Lorsque le juge, en se prononçant sur la compétence, tranche la question de fond dont dépend cette compétence, sa décision a autorité de chose jugée sur cette question de fond.“ 404 Art. 77 C.p.c.: „Lorsqu'il ne se prononce pas sur le fond du litige, mais que la détermination de la compétence dépend d'une question de fond, le juge doit, dans le dispositif du jugement, statuer sur cette question de fond et sur la compétence par des dispositions distinctes.“ 405 Ghestin, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 199, 204 ss.; ders., Liber amicorum Waline, 2002, p. 575, 583; Normand, BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss., 24; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 189.

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Vorfrage im dispositif zu entscheiden, benennt aber für den Fall, dass der Richter hiergegen verstößt, keine Sanktion.406 Die Rechtsprechung sieht im Verstoß gegen Art. 77 C.p.c. jedenfalls keinen Grund für die Nichtigkeit der Entscheidung.407 Die Norm könnte daher auch als reine Ordnungsvorschrift verstanden werden, deren Einhaltung weder auf den Bestand noch die Wirkung der Entscheidung einen Einfluss hat. Jedoch ist es keineswegs zwingend, von der fehlenden Anordnung der Nichtigkeitsfolge unmittelbar darauf zu schließen, dass einem gegen Art. 77 C.p.c. verstoßenden Urteil auch autorité de la chose jugée zukommen müsse: Die Nichtigkeit der Entscheidung stellt in einem gestuften Sanktionensystem für formale Urteilsmängel nur die härteste von mehreren möglichen Sanktionen dar. Eine weitere denkbare Folge ist es aber, der mangelhaften Entscheidung die autorité de la chose jugée abzuerkennen.408 Erkennbar ist jedenfalls, dass der Gesetzgeber durch die Anordnung in Art. 77 C.p.c., insbesondere durch das Gebot, die Entscheidung über die materielle Vorfrage im dispositif gesondert aufzuführen, die Erkennbarkeit der Entscheidung über die Vorfrage erleichtern wollte, weil ihr durch die Zuerkennung der autorité de la chose jugée in Art. 95 C.p.c. eine gesteigerte, über den anhängigen Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung für die Parteien zukommt. Dem Schutz der Parteien durch leichte Erkennbarkeit der in späteren Verfahren bindenden Feststellung würde eine Verknüpfung der autorité de la chose jugée nach Art. 95 C.p.c. mit der formalen Vorgabe des Art. 77 C.p.c. durchaus dienlich sein. Dass der französische Gesetzgeber diese Verknüpfung treffen wollte, wird aus dem Gesetzestext jedoch nicht eindeutig erkennbar. Die Auffassungen in der französischen Literatur zum Verständnis des Art. 95 C.p.c. divergieren dementsprechend und sind letztlich durch die vom jeweiligen Autor zur autorité de la chose jugée der motifs vertretenen Ansicht vorgezeichnet. 409 406 Viatte (Gazette du Palais 1978, p. 84, 85) schließt daraus, dass der Verstoß keine Auswirkung auf die in Art. 95 C.p.c. angeordnete autorité de la chose jugée der materiellrechtlichen Vorfrage hat. 407 Cass. 1re civ., 27. November 1985, n° 84-10.899, Bull. civ. I, n° 326, p. 289: Die Entscheidung zieht zur Begründung insbesondere Art. 458, al. 1 C.p.c. heran, der die Nichtigkeitsfolge wegen prozessualer Verstöße nur bei Verstößen gegen bestimmte ausdrücklich benannte Vorschriften vorsieht und den Verstoß gegen Art. 455, al. 2 C.p.c., der den Ausspruch der Entscheidung im dispositif vorschreibt und damit dem Gebot des Art. 77 C.p.c. ähnelt, ausdrücklich von der Nichtigkeitsfolge ausnimmt. 408 So auch Normand, RTD civ. 1983, p. 778, 780 (n° 1). 409 So sehen in Art. 95 C.p.c. in Verbindung mit Art. 77 C.p.c. eine Bestätigung der Grundregel, wonach allein dem Inhalt des dispositif autorité de la chose jugée zukomme: Ghestin, Liber amicorum Waline, 2002, p. 575, 583(„Bien loin de constituer une exception à la nouvelle jurisprudence, les articles 95 et 77 du nouveau Code de procédure civile devaient apparaître comme une application logique de la règle générale posée par l’article 480.“); Ghestin, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 199, 206 (n° 12, 13); Normand, , BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss., spec. 24; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 180. Demgegenüber beruft sich die Autorenschaft, die die autorité

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Dass die gesetzlichen Vorschriften zur Begründung sowohl einer die autorité de la chose jugée der materiellen Vorfrage anerkennenden Position als auch einer ablehnenden Haltung herangezogen werden kann, zeigt auch die Entwicklung der Rechtsprechung. Diese stützte sich lange Zeit ausdrücklich auf Art. 95 C.p.c., um die autorité de la chose jugée der die Zuständigkeit bestimmenden materiellrechtlichen Vorfrage zu begründen.410 Art. 77 C.p.c. fand in diesen Entscheidungen jedoch keine Erwähnung. Mit dem seit den Neunzigerjahren vollzogenen Wandel bei der Beurteilung der autorité de la chose jugée der Entscheidungsgründe änderte sich aber auch nach und nach die Bewertung des Art. 95 C.p.c.: 411 Die Norm wird von der heutigen Rechtsprechung im Lichte des Art. 77 C.p.c. dahingehend ausgelegt, dass die autorité de la chose jugée der materiellrechtlichen Vorfrage nur im Fall der Aufnahme in den dispositif zuzuerkennen sei. 412 Allein die erste Zivilkammer der Cour de Cassation hat sich noch nicht ausdrücklich in diese Rechtsprechungslinie eingereiht und folgte mit ihrer Entscheidung vom 12. Juli 2001 413 vielmehr noch einmal der alten Lesart des Art. 95 C.p.c., ohne dabei jedoch auf Art. 77 C.p.c. einzugehen.414 Auch wenn sich die erste Zivilkammer in der Folgezeit nicht mehr zu dieser Frage geäußert hat, so kann angesichts ihrer ablehnenden Position zur

de la chose jugée zumindest der motifs décisifs anerkennt, auf den nicht nach der formalen Stellung in der Entscheidung differenzierenden Art. 95 C.p.c.: Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1111, p. 788; Viatte, Gaz. Pal. 1978, p. 84, 85. Einen gesetzlich geregelten Ausnahmefall der autorité positive de la chose jugée (auch der motifs) sah in Art. 95 C.p.c.: Héron, Mélanges Perrot, 1996, p. 131, 141 ss. (n° 17 ss.). 410 Cass. 2 e civ., 8. Februar 1978, n° 76-14.049, Bull. civ. II, n° 32, p. 25 (noch zum inhaltsgleichen Art. 35 Décret du 20 juillet 1972); Cass. 3 e civ., 27. April 1982, n° 81-10.352, Bull. civ. III, n° 106. Mit demselben Ergebnis, jedoch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 95 C.p.c. auch: Cass. 3 e civ., 16. Februar 1977, n° 76-10.281, Bull. civ. III, n° 79, p. 62; Cass. soc., 30. Mai 1980, n° 79-10.051, Bull. soc., n° 467; Cass. 3e civ., 13. November 1986, n° 85-13.051, Bull. civ. III, n° 158, p. 123. 411 Diese Entwicklung wurde eingeleitet durch die Entscheidung der Chambre sociale Cass. soc., 16. Oktober 1991, n° 89-11.473, 89–11.533, Bull. civ. V, n° 407, p. 254; vgl. hierzu: Ghestin, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 199, 202; ders., Liber amicorum Waline, 2002, p. 575, 583 s. 412 Cass. soc., 21. Februar 2000, n° 98-40.326, inédit; Cass. soc., 28. Februar 2001, n° 98-46.308, inédit; Cass. soc., 27. Juni 2001, n° 99-43.097, inédit; Cass. com., 16. Juni 2004, n° 02-12.468, inédit; Cass. 3 e civ., 22. März 2006, n° 05-12.178, Bull. civ. III, n° 80, p. 66; Cass. 2e civ., 24. Mai 2007, n° 05-21.732, Bull. civ. II, n° 130; Cass. soc., 23. September 2008, n° 07-41.954, Bull. civ. V, n° 167; Cass. soc., 20. Mai 2009, n° 08-40.213, inédit; Cass. 3e civ., 10. Juni 2009, n° 08-15.405, Bull. civ. III, n° 139; Cass. soc., 16. März 2011, n° 09-72.565, inédit. 413 Cass. 1 re civ., 12. Juli 2001, n° 99-18.231, Bull. civ. I, n° 216, 136. 414 Und dies, obwohl der Rechtsmittelführer ausdrücklich auch einen Verstoß gegen Art. 77 C.p.c. gerügt hatte, hierauf hinweisend Ghestin, Études offertes à Jacques Normand, 2003, p. 199, 204 (n° 10).

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autorité de la chose jugée der motifs allgemein und spätestens seit der Entscheidung der Assemblée plénière vom 13. März 2009 wohl angenommen werden, dass sie heute ebenfalls die autorité de la chose jugée nach Art. 95 C.p.c. auf den dispositif beschränkt. In den übrigen Kammern hat die Entscheidung der ersten Zivilkammer jedenfalls keine Gefolgschaft gefunden 415 und damit keine dauerhafte Rückkehr zur Bewertung des Art. 95 C.p.c. als gesetzlich geregelten Fall der autorité de la chose jugée der motifs bewirkt.416 Wie schon zuvor festgestellt, wirkt der Gesetzestext in der Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalte nicht als begrenzende oder richtungsweisende Grundentscheidung, sondern wird vielmehr in einer Diskussion, die letztlich weiterhin die Argumente der Zeit vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile wiederholt, zur Stützung diametral voneinander abweichender Ansichten herangezogen. Die Rechtsprechung hat sich aber auch im Fall des Art. 95 C.p.c. für eine formale Lesart entschieden, die allein dem Inhalt des dispositif die Wirkung der autorité de la chose jugée zuerkennt. dd. „Décisions implicites“ Die Frage der Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die décisions implicites lässt sich nicht anhand einer Unterscheidung zwischen den motifs und dem dispositif beantworten, da die impliziten Entscheidungen weder in den Gründen noch im Tenor enthalten sind. Hier geht es vielmehr ausschließlich darum, zu bestimmen, welche geistigen Prüfungsschritte des Gerichts der Entscheidung im dispositif zuzurechnen sind. Wie bei den motifs décisifs kann auf Grund der logischen Verknüpfung mit dem Entscheidungsausspruch im dispositif argumentiert werden, dass die décisions implicites zum dispositif gehören,417 so dass die Vorschriften des Code de procédure civile mit ihrer Betonung des dispositif als Standort der Entscheidung auch hier kein zwingendes Argument gegen die Teilhabe an der autorité 415 Eine Ausnahme stellt wohl die Entscheidung der Chambre sociale, 26. Februar 2002, n° 99-44.765, inédit, dar, in der die Kammer von ihrer zuvor und auch danach wieder vertretenen Ablehnung der autorité de la chose jugée der in den motifs getroffenen Entscheidung über die materiellrechtliche Vorfrage abwich. Ob die Entscheidung über die materiellrechtliche Vorfrage in den motifs oder im dispositif getroffen wurde, bleibt dagegen unklar in den Entscheidungen Cass. soc., 12. Juli 1999, n° 97-21.780, inédit und Cass. 2 e civ., 30. Januar 2003, n° 00-18.049, inédit. 416 Deutlich insoweit die von der Cour de Cassation veröffentlichte Praxisempfehlung zur autorité de la chose jugée (BICC 2008, n° 676 du 15 février 2008, Communication – Fiche méthodologique: L’autorité de la chose jugée des jugements civils, I.2.A) mit dem Vorschlag zur Formulierung des dispositif bei einer auf eine materiellrechtliche Vorfrage gestützten Zuständigkeitsentscheidung. 417 Vgl. beispielsweise Strickler, La localisation de l’autorité de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 37, 54 („il s’agit en réalité plus de ‚dispositif implicite‘“).

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de la chose jugée liefern.418 Jedoch lässt der Gesetzestext es auch zu, Art. 480 C.p.c. in Verbindung mit Art. 455 C.p.c. dahingehend zu interpretieren, dass die autorité de la chose jugée zwecks leichter Erkennbarkeit der chose jugée für die Parteien gerade auf den ausdrücklich im dispositif festgehaltenen Entscheidungsausspruch begrenzt sei und sich daher nicht auf die damit logisch verbundenen, stillschweigend getroffenen Entscheidungen erstrecke. Angesichts des Fehlens einer völlig eindeutigen Vorgabe des Gesetzgebers blieben in der Literatur auch nach der Einführung des Nouveau Code de procédure civile die Argumente bestimmend, die bereits zuvor die Diskussion um die décisions implicites geprägt hatten: Weiterhin wird die Gefahr gesehen, dass über die Figur der décisions implicites rein fiktiven, tatsächlich gar nicht getroffenen Entscheidungen bindende Wirkung zuerkannt werden könne. 419 Zudem wird auf das Risiko hingewiesen, Fragen als abschließend geklärt anzusehen, zu denen die Parteien gar nicht Stellung genommen hatten, und damit gegen das principe contradictoire zu verstoßen.420 Am schwersten wiegt jedoch der Einwand der Rechtsunsicherheit, die mit der Zuerkennung der autorité de la chose jugée der décisions implicites verbunden ist: Die Parteien können erst durch ein Nachvollziehen der logischen Schritte, die zum Urteilsausspruch führten, bzw. der sich aus dem Urteil ergebenden logischen Schlussfolgerungen erfassen, welche Rechts- und Tatsachenfragen für sie in Zukunft bindend sind und nicht erneut zum Gegenstand erstinstanzlicher Überprüfung gemacht werden können. Dies setzt jedoch die Fähigkeit voraus, die rechtliche Prüfung nachvollziehen zu können, was dem juristischen Laien kaum möglich sein dürfte. Zudem wird auch für den ausgebildeten Juristen nicht immer eindeutig erkennbar sein, ob eine bestimmte Frage tatsächlich zwingend zu klären war bzw. ob der Urteilsausspruch zwingend eine bestimmte Folge nach sich zieht. Ist die bindende chose jugée dem Urteil nur schwer zu entnehmen, so liegt es aber nahe, dass die Parteien, die sich des tatsächlichen Urteilsgehalts vergewissern wollen, einen Antrag auf Klarstellung des Entscheidungsinhalts, die sog. demande oder action en interprétation nach Art. 461 C.p.c., stellen und so die erneute zeit- und kostenaufwändige Befassung des Gerichts mit der Sache erzwingen.421 Gleichzeitig erschwert die Anerkennung der décisions implicites die Beurteilung, ob das Gericht es schlichtweg unterlassen hat, auf ein rechtlich-tatsächliches Vorbringen (moyen) der Parteien einzugehen (défaut de

418 Eine klare gesetzgeberische Entscheidung gegen die décisions implicites annehmend aber Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 104 („Auch der Gesetzgeber hat bei der Änderung des nCpc versucht, das Problem der ‚décision implicite‘ dadurch zu lösen, daß er diese nicht mehr anerkennt.“). 419 Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 204. 420 Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 200, 204. 421 Julien, Recueil Dalloz 1989, Sommaire commenté, p. 271, 273 s.

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réponse à conclusions), 422 mit der Folge, dass das Urteil im Wege der Cassation angefochten werden kann,423 oder ob der Richter stillschweigend eine abschließende und bindende Entscheidung über eine Vorfrage getroffen hat. 424 Trotz dieser Risiken finden sich in der jüngeren französischen Literatur nur wenige Stimmen, die den décisions implicites ausdrücklich jegliche autorité de la chose jugée aberkennen.425 Um die Einheit der richterlichen Entscheidung zu wahren und so Widersprüche zwischen verschiedenen Entscheidungen zu vermeiden, ohne gleichzeitig den Richter dazu zu verpflichten, sämtliche notwendigen Begründungsschritte der Entscheidung in den dispositif aufzunehmen, halten weiterhin viele Autoren die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die décisions implicites für geboten. 426 Den angesprochenen Risiken dieser Erstreckung versuchen sie – ähnlich wie dies Henry Motulsky und andere Autoren schon vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile versucht hatten – durch die Formulierung strengerer Grenzen und Voraussetzungen für die Anerkennung der autorité de la chose jugée dieser Entscheidungen zu begegnen.427 Wie schon den früheren Versuchen fehlt es aber auch hier an 422

Leichter stellt sich dagegen die Abgrenzung einer mit autorité de la chose jugée versehenen décision implicite von einer Entscheidung infra petita, einer sogenannten omission de statuer, dar. (Eine omission de statuer rechtfertigt einen Antrag auf Interpretation bzw. Ergänzung der Entscheidung nach Art. 461 C.p.c. Nach Ablauf der hierfür geltenden Frist kann im Fall einer omission de statuer die jeweilige Frage später erneut zum Gegenstand eines erstinstanzlichen Verfahrens gemacht werden (hierzu Cass. 2 e civ., 23. März 1994, n° 92-15.802, Bull. civ. II, n° 105, p. 60; Cass. 2 e civ., 25. Juni 1997, n° 95-14.173, Bull. civ. II, n° 207, p. 121; unklar aber nach Cass. 2 e civ., 25. Februar 2010, n° 09-10.328, inédit (vgl. Haftel, Recueil Dalloz 2010, p. 1403, 1406))). Bei einer omission de statuer hat es das Gericht unterlassen, über einen der Anträge der Parteien insgesamt (und nicht nur über ein einen solchen Antrag stützendes moyen) zu entscheiden. Die Cour de Cassation hat schon recht früh klargestellt, dass eine omission de statuer keine implizite Abweisung des jeweiligen Antrags beinhalte, vgl. Cass. soc., 5. Januar 1973, n° 71-13.505, Bull. soc., n° 2, p. 2. 423 Es handelt sich dabei um einen Anwendungsfall des Kassationsgrundes des Begründungsfehlers (défaut de motifs), vgl. Fattaccini, Pourvoi en cassation, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 553, n° 553.475; Héron/Le Bars, Droit judicaire privé, n° 820, p. 676. 424 Vgl. Perdriau, JCP 1988, I-3352, n° 22 ss. 425 Gegen die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die stillschweigend mit dem Entscheidungsausspruch mit entschiedenen Vorfragen und Folgen: Julien, Recueil Dalloz 1989, Sommaire commenté, p. 271, 273 s. 426 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 120; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 199; trotz Bedenken auch Perdriau, JCP 1988, I-3352, n° 55 s. Für den französischen Prozess aus deutscher Sicht auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 174 f. (allerdings mit Ausrichtung auf den Verwaltungsprozess). 427 Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 207 ss. (Kompetenz des Gerichts, eine abschließende Entscheidung zu treffen; Wille des Gerichts, eine abschließende Entscheidung zu treffen; logische Notwendigkeit der Entscheidung über die Vorfrage

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fassbaren Kriterien. Zwar mag nachzuvollziehen sein, ob eine bestimmte Frage Gegenstand der streitigen Auseinandersetzung der Parteien in ihren conclusions waren. Für die Frage, ob der Richter die jeweilige Entscheidung tatsächlich getroffen hat, fehlt es aber weiterhin an einem greifbaren Maßstab und wird letztlich aus der logischen Notwendigkeit auf die tatsächlich getroffene Entscheidung des Richters geschlossen. 428 Während sich die Literatur damit noch nicht von der Anerkennung bindender stillschweigender Entscheidungen gelöst hat, hat sich in der Rechtsprechung eine andere Entwicklung vollzogen: Zwar war im unmittelbaren Anschluss an die Reformen der Siebzigerjahre eine Tendenz zur Fortführung der Ausdehnung der autorité de la chose jugée zu erkennen.429 Nach und nach schwenkte die Rechtsprechung aber auch im Hinblick auf die décisions implicites auf eine streng formale Haltung um, wobei gerade in den Neunzigerjahren noch ein ständiger Wechsel zwischen den verschiedenen Ansätzen zu verzeichnen war.430 Uneinheitlich beantwortet wurde insbesondere die Frage, ob das Gericht, das den Beklagten zur Leistung aus einem bestimmten Vertrag verurteilt oder einen bestimmten Vertrag aufhebt, stillschweigend die (bisherige) Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses bejaht mit der Folge, dass die Nichtigkeit des Vertrages in einem späteren Verfahren nicht mehr geltend gemacht

bzw. zwingende Folge der Entscheidung im dispositif; Wahrung der Grenzen des Streitgegenstandes); Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 121 ss., die aber auch darauf hinweisen, dass die Formulierung von Anforderungen, die über die für die autorité de la chose jugée insgesamt geltenden Voraussetzungen hinausgehen, schwierig sei und letztlich von der Entscheidung abhinge, welche Zielsetzungen der autorité de la chose jugée man in den Vordergrund stellen wolle (n°122). 428 Dass die logische Notwendigkeit letztlich die einzige Grundlage für die Annahme darstellt, der Richter habe tatsächlich eine Entscheidung zu der jeweiligen Frage getroffen, gesteht auch Wiederkehr zu: Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 218 („Le problème de la certitude de ce que le juge a effectivement tranché relève alors de la pure logique – l’implicite se caractérisant par sa nécessité logique […].“). 429 Cass. 3e civ., 13. November 1986, n° 85-13.051, Bull. civ. III, n° 158, p. 123; Cass. Com, 28. Juni 1988, n° 86-17.359, Bull. IV, n° 215, p. 148; Cass. 1 re civ., 16. Dezember 1991, n° 89-16.560, Bull. civ. I, n° 354, p. 232; Cass. 1 re civ., 28. März 1995, n° 93-16.520, Bull. civ. I, n° 139, p. 99; Cass. 2e civ., 22. Mai 1995, n° 93-19.016, Bull. civ. II, n° 150, p. 86. 430 Die autorité de la chose jugée der décisions implicites bejahend: Cass. 1re civ., 16. Dezember 1991, n° 89-16.560, Bull. civ. I, n° 354, p. 232; Cass. 1 re civ., 28. März 1995, n° 93-16.520, Bull. civ. I, n° 139, p. 99; Cass. 2 e civ., 22. Mai 1995, n° 93-19.016, Bull. civ. II, n° 150, p. 86. Ablehnend dagegen: Cass. 2 e civ., 24. Februar 1988, n° 87-10.156, inédit; Cass. 1re civ., 1. Juli 1997, n° 95-12.163, Bull. Civ. I, n° 219, p. 146; Cass. 1 re civ., 16. Juli 1997, n° 95-21.511, Bull. civ. I, n° 242, p. 162; Cass. 1 re civ., 18. Juni 2000, n° 97-19674, Bull. civ. I, n° 11, p. 7.

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werden kann.431 In jüngerer Zeit nimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung nun aber ganz überwiegend an, dass den logisch mit dem Ausspruch im dispositif verknüpften Entscheidungen, die sich nicht im Entscheidungstext finden, keine autorité de la chose jugée zukommt. 432 Die wenigen Urteile, die bis zur Entscheidung der Assemblée plénière im Jahr 2009 weiter von einer Bindung und einem Wiederholungsverbot hinsichtlich der décisions implicites ausgingen,433 bezeichnete die „fiche méthodologique“ der Cour de Cassation zur autorité de la chose jugée aus dem Jahre 2008 bereits als vereinzelte Ausnahmefälle („décisions isolées“): Es gelte der Grundsatz der Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif, der eine Teilhabe der décisions implicites an der autorité de la chose jugée ausschließe. 434 In der Entscheidung der Assemblée plénière vom 13. März 2009 hat diese Rechtsprechungslinie Bestätigung gefunden: Hatte die Vorinstanz noch angenommen, das zunächst berufene Gericht habe durch die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung ausstehender Miete und zur Räumung stillschweigend die widerklagend geltend gemachten Gegenrechte des Beklagten zurückgewiesen, die im späteren Verfahren streitgegenständlich waren, so lehnte die Cour de Cassation eine derartige

431 Für eine stillschweigende Bejahung der Wirksamkeit: Cass. 1 re civ., 17. Dezember 1991, n° 89-16560, Bull. civ. I, n° 354, p. 232; Cass. 1 re civ., 28. März 1995, n° 93-16.520, Bull. civ. I, n° 139, p. 99. Dagegen: Cass. 1 re civ., 11. April 1995, n° 93-16.147, Bull. Civ. I, n° 172, p. 123; mit demselben Ergebnis jedoch auf Grundlage der Annahme eines einheitlichen Streitgegenstandes: Cass. ass. plén., 3. Juni 1994, n° 92-12.157; Bull. ass. plén., n° 4, p. 7. 432 Cass. 1re civ., 7. Januar 2003, n° 01-10.188, inédit; Cass. 2e civ., 10. Juli 2003, n° 0114.736, Bull. civ. II, n° 237, p. 197; Cass. 2 e civ., 19. Februar 2004, n° 03-10.167, inédit; Cass. 2 e civ., 10. Januar 2008, n° 07-10.556, inédit; Cass. soc., 29. April 2009, n° 07-19.880, Bull. civ. V, n° 117; Cass. 3e civ., 6. Oktober 2009, n° 08-18.485, inédit; Cass. 2 e civ., 20. Mai 2010, n° 09-65.946, inédit. 433 Cass. 1re civ., 7. März 2002, n° 00-15.978, Bull. civ. II, n° 34, p. 29 (bei einer Entscheidung zur Sache (Anordnung eines Bluttests im Rahmen einer Vaterschaftsklage) werde die Zulässigkeit der (Vaterschafts-)Klage stillschweigend bejaht); Cass. soc., 4. März 2003, n° 01-40.535, inédit (Wiedereröffnung der Verhandlung zur Klage auf Leistung auf Grundlage einer tarifvertraglichen Verpflichtung beinhalte die implizite Bejahung der Anwendbarkeit des jeweiligen Tarifvertrages (convention collective)); Cass. 2 e civ., 15. September 2005, n° 03-20.213, inédit (die Verurteilung eines Mitglieds einer Gesamthandsgemeinschaft zur Zahlung der Hälfte des Erlöses aus der Veräußerung eines Grundstücks an das andere Mitglied beinhalte die Feststellung, dass das Grundstück zu gleichen Teilen aus den Mitteln des einen und des anderen Mitglieds gezahlt worden seien). 434 Cour de Cassation, BICC 2008, n° 676 du 15 février 2008, Communication – Fiche méthodologique: L’autorité de la chose jugée des jugements civils, I.2.B): „Mais abstraction faite de ces décisions isolées qui doivent être regardées comme des décisions d’espèce, une première conclusion s’impose donc, seul le dispositif exprès est doté de l’autorité de la chose jugée.“

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Annahme ab. 435 In der mit der Entscheidung veröffentlichten Pressemitteilung stellt die Cour de Cassation zudem klar, dass nur die ausdrücklich in den dispositif aufgenommenen Feststellungen an der autorité de la chose jugée teilhätten.436 Die Annahme, die autorité de la chose jugée erfasse auch die dem Rechtsfolgenausspruch im dispositif denklogisch vorgelagerten oder aus diesem folgenden Fragen, weist die Cour de Cassation seither als Rechtsverstoß zurück. 437 Mitursächlich für diese Rechtsprechungslinie könnte die parallel verlaufende Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der objektiven Reichweite der autorité de la chose jugée und der Definition der cause sein. Indem durch die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die décisions implicites eine erneute gerichtliche Beschäftigung mit den stillschweigend mitentschiedenen Vorfragen und nachgelagerten Schlussfolgerungen ausgeschlossen wurde, diente die Figur der décisions implicites lange Zeit als Instrument einer möglichst auf ein Verfahren konzentrierten, prozessökonomischen Erledigung des Rechtsstreits. 438 Diese Funktion wird seit der Entscheidung der Assemblée plénière vom 7. Juli 2006 teilweise durch die darin begründete Obliegenheit der Parteien zur Konzentration ihres rechtlich-tatsächlichen Vorbringens (moyens) übernommen,439 auch wenn die Ergebnisse nicht in allen Fällen deckungsgleich sind.440 Trägt die Rechtsprechung dem Bedürfnis nach Verhinderung immer neuer Prozesse daher nun über diesen Weg Rechnung, so konnte 435 Die entsprechende Annahme der Vorinstanz ergibt sich aus den Ausführungen der Assemblée plénière zum moyen annexe: „la cour [d’appel] observe que [...]le tribunal a implicitement mais nécessairement écarté lesdites demandes“ (Cass. ass. plén., 13. März 2009, n° 08-16.033, Bull. ass. plén. 2009, n° 3). Vgl. auch die Urteilsbesprechung von Serinet, JCP 2009, II-10077, p. 25, 27 („rejet de l’implication“) sowie Strickler, La localisation de l’autorité de la chose jugée, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 37, 55 (n° 32). 436 Cour de Cassation, BICC n° 703 vom 1. Juni 2009– Arrêt du 13 mars rendu par l‘assemblée plénière – Communiqué: „Dès lors que le premier jugement n’avait pas expressément statué, dans sans dispositif, sur les demandes formées par le plaideur, aucune autorité de chose jugée ne pouvait lui être attachée de ce chef.“ 437 Cass 2e civ., 20. Mai 2010, n° 09-65.946, inédit („Attendu que, pour confirmer le jugement en ce qu'il avait constaté l'autorité de la chose jugée attachée au jugement du 13 juillet 2004 […]l'arrêt retient que si l'autorité de la chose jugée n'a lieu qu'à l'égard de ce qui fait l'objet d'un jugement et a été tranché dans son dispositif, elle s'étend à ce qui a été implicitement jugé comme étant la conséquence nécessaire du dispositif […] Qu'en statuant ainsi, alors que le jugement du 13 juillet 2004 n'avait pas reconnu, dans son dispositif, le droit de M. et Mme X... d'être indemnisés par la SCI, la cour d'appel a violé le texte susvisé. »); Cass. 2 e civ., 21. Oktober 2010, n° 09-67.577, inédit; Cass. soc., 21. September 2011, n°10–15.339, inédit. 438 Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure civile 2004, n° 202. 439 So auch Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 452. 440 Ausführlich hierzu unten F. II. 4. c.

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sie sich im Hinblick auf die décisions implicites und die rechtkraftfähigen Entscheidungsinhalte allgemein für eine klare, die Rechtssicherheit fördernde Lösung entscheiden. Gegenüber den Versuchen der Literatur, der Teilhabe der décisions implicites der autorité de la chose jugée Grenzen zu setzen, ohne sie gänzlich aufzugeben, hat der streng formale Ansatz der Rechtsprechung den Vorteil der Klarheit und der sofortigen Erkennbarkeit der bindenden chose jugée. 3. Zusammenfassung und Bewertung Die Einführung des Nouveau Code de procédure civile Mitte der Siebzigerjahre hat letztlich trotz ausführlicherer Regelung der autorité de la chose jugée für die Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalte keine eindeutige Lösung geliefert. Die Hervorhebung des dispositif als Sitz der chose jugée in den Regelungen des Nouveau Code de procédure civile dürfte aber Einfluss auf den in der Rechtsprechung vollzogenen Wandel gehabt haben. Deren Entwicklung hin zu einer restriktiveren und formaleren Betrachtungsweise hat in der Entscheidung der Assemblée plénière des Jahres 2009 ihren vorläufigen Endpunkt gefunden. Seither gilt die klare Regel, dass die Wirkungen der autorité de la chose jugée allein dem Inhalt des dispositif zukommen. Die häufig schwer zu unterscheidenden Kategorien der motifs décisoires, motifs décisifs sowie der décisions implicites haben damit in der heutigen französischen Rechtspraxis ihre Bedeutung verloren. Die Rechtswissenschaft folgt der neuen Rechtsprechung nur teilweise und zögert insbesondere, die Erstreckung der autorité de la chose jugée auf die motifs décisifs und décisions implicites auszuschließen – häufig aufgrund einer fehlenden Differenzierung zwischen der Heranziehung der Entscheidungsgründe zur Auslegung des Streitgegenstandes und der Frage der Teilhabe der Feststellungen in den motifs an der Wirkung der autorité de la chose jugée. Die von der heutigen französischen Rechtsprechung vertretene formale Begrenzung der autorité de la chose jugée auf den dispositif wird zu einem gewissen Grad relativiert durch die Flexibilität des Inhalts des französischen Urteilstenors, die auch die Aufnahme einer Feststellung zu einer Vorfrage in den dispositif ermöglicht.441 Im Falle der von einer materiellrechtlichen Vorfrage abhängigen Zuständigkeitsentscheidung ist das Gericht hierzu schon nach dem Gesetz verpflichtet. Entsprechend der allgemeinen Grundsätze ist dem Richter bei der Aufnahme von Vorfragenentscheidungen aber insoweit eine Grenze gezogen, als er nur solche Vorfragen in den dispositif aufnehmen und damit der

441

Der formale Ansatz der Rechtsprechung verlangt dem Richter dann aber eine größere Sorgfalt bei der Abfassung des dispositif ab, so Normand, BICC 2004, hors série, n° 3, p. 13 ss, 7 („… imposait au juge une très grande discipline dans la formulation de sa décision “).

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autorité de la chose jugée zuführen darf, hinsichtlich derer eine streitige Erörterung möglich war und so das principe de contradiction gewahrt wurde. 442 Die Flexibilität des Inhalts des dispositif vermag aber nur den Ausschluss der logischen Vorfragen von den Wirkungen der autorité de la chose jugée zu relativieren, nicht aber den der décisions virtuelles, d.h. der zwingend mit der Entscheidung verbundenen Schlussfolgerungen. Teilweise könnte die zuvor durch die Erstreckung auf die impliziten Entscheidungen erzielte Wirkung aber durch die Präklusion nach dem 2006 richterrechtlich begründenden Prinzip der Konzentration der moyens bewirkt werden. F. Die Grenzen der Rechtskraft: Die „triple identité“ Die Grenzen der Rechtskraft werden nach traditionellem Verständnis bestimmt durch die dreifache Identität (triple identité) von objet, cause und parties. Dieses dreifache Identitätserfordernis, das in Art. 1351 Code civil verankert ist, gilt für die autorité négative de la chose jugée, also die Wirkung der autorité de la chose jugée als Unzulässigkeitseinrede. Für die positive Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée müssen dagegen nicht alle drei Übereinstimmungen gegeben sein. Maßgebliche Bedeutung erlangt diese ja erst, wenn die zuvor entschiedene Frage später im Rahmen einer auf ein anderes Ziel gerichteten Klage als Vorfrage beantwortet werden muss. Dass die positive Bindungswirkung aber zumindest eine Übereinstimmung der Parteien in den beiden Verfahren voraussetzt, ergibt sich nach Ansicht der französischen Rechtswissenschaft aber schon aus dem Prinzip der contradiction. 443

442 Ein Antrag der Parteien auf Feststellung der jeweiligen Vorfrage ist dagegen wohl nicht Voraussetzung der Aufnahme der Vorfragenentscheidung in den dispositif. Anders aber Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 233, Fn. 154, der bei fehlendem Antrag auf Feststellung der Vorfrage wohl einen Verstoß gegen den Grundsatz ne ultra petita bejahen will. Eine Entscheidung ultra petita liegt aber nur vor, wenn der dispositif gegenüber den prétentions in den conclusions der Parteien ein Mehr ausspricht (Fricero, Réparation de l’omission de statuer ou de prononcé de choses non demandées, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/13, ch. 523, n° 523.22). Vorfragen sind jedoch Teil des ökonomisch-rechtlichen Ziels, auf die sich die Klage bzw. das Verteidigungsvorbringen richtet, und damit keine eigenständige prétention. Dass der Gesetzgeber in der Aufnahme der Vorfrage in den dispositif noch keine unzulässige Entscheidung ultra petita sieht, ergibt sich zudem aus Art. 77 C.p.c., der die verpflichtende Aufnahme der materiellen Vorfrage einer Zuständigkeitsentscheidung in den dispositif nicht von einem Parteiantrag abhängig macht. Jedoch ist es den Parteien möglich, die Feststellung bestimmter präjudizieller Vorfragen zu beantragen (vgl. Schilling, Principes directeurs, S. 251), auch wenn der C.p.c. eine gesonderte allgemeine Antragsart ähnlich der deutschen Zwischenfeststellungsklage nach Art. 256 Absatz 2 ZPO nicht vorsieht. 443 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 620; Tomasin, Essai, n° 275, p. 204; kritisch zur Herleitung aus dem Grundsatz der contradiction: Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 235.

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Entscheidet ein Gericht über das Vorliegen oder Nichtvorliehen der aus der autorité de la chose jugée erwachsenden Unzulässigkeitseinrede, so muss es in den Urteilsgründen das Vorliegen aller drei Elemente der triple identité darlegen. Anderenfalls ist das Urteil auf Grund fehlender gesetzmäßiger Grundlage (manque de base legale) im Wege der cassation anfechtbar.444 Die drei Elemente der triple identité lassen sich unterteilen in subjektive (parties) und objektive Grenzen (objet (bzw. chose demandée) und cause). Dabei stehen seit jeher die objektiven Grenzen, die den Streitgegenstandsbegriff für das Prozesshindernis der autorité de la chose jugée bestimmen, im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die autorité de la chose jugée. In jüngster Zeit sind sie zudem Gegenstand einer radikalen Rechtsprechungsänderung geworden, weshalb ihnen in der folgenden Darstellung das Hauptaugenmerk gilt. I. Subjektive Begrenzung durch die Parteien („parties“) Nach Art. 1351 Code civil steht einer Klage nur dann die fin de non-recevoir der autorité de la chose jugée entgegen, wenn die Parteien des Folgeprozesses bereits im ersten Verfahren beteiligt waren und dabei auch in derselben Eigenschaft (même qualité) aufgetreten sind. Die autorité de la chose jugée wirkt also nur relativ zwischen den Parteien des jeweiligen Verfahrens (sog. Relativität der autorité de la chose jugée). 1. Der Begriff der Partei Ausgangspunkt des französischen Verständnisses der Partei ist ein formeller Parteibegriff, wonach als Partei anzusehen ist, wer ein gerichtliches Verfahren durch Klageerhebung eingeleitet hat und wer sich gegen diese Klage verteidigt.445 Die autorité de la chose jugée wirkt danach für und gegen denjenigen, der als Kläger oder Beklagter sein Vorbringen und Gegenvorbringen vorgetra-

444

Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.91. 445 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 359, p. 292.

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gen hat, sowie denjenigen, der im Wege der Intervention (intervention volontaire oder forcée) am Verfahren beteiligt 446 war.447 Dieser formelle Parteibegriff wird aber teilweise für ungenügend gehalten, weshalb die Rechtsprechung und Teile der Lehre zur Bestimmung der Parteienstellung auf das zusätzliche Erfordernis des „persönlichen Interesses am Verfahren“ zurückgreifen.448 Dieses Kriterium ist materiellrechtlich geprägt, da es eine gewisse Nähe zu dem streitgegenständlichen Anspruch oder Rechtsverhältnis voraussetzt. 449 Es kann den formellen Parteibegriff sowohl erweitern als auch begrenzen. Einer tatsächlich im Prozess als Kläger oder Beklagter auftretenden Person wird danach die Parteieneigenschaft versagt, wenn das persönliche Interesse am Verfahrensausgang fehlt. So hat die Cour de Cassation im Falle einer subjektiven Klagehäufung ein persönliches und unmittelbares Interesse am Verfahrensausgang und damit die Parteistellung verneint, wenn die Einbeziehung in den Prozess als Beklagter nicht der Verurteilung, sondern 446 Eine Erstreckung der autorité de la chose jugée auf am Verfahren nicht beteiligte Verbraucher sieht auch die im März 2014 durch Loi n° 2014–344 relative à la consommation eingeführte und in Art. L423–1 ss. Code de la consommation (C. consom.) verankerte verbraucherschutzrechtliche Gruppenklage (action de groupe) nicht vor: Nach Art. 423–1 C. consom. kann eine zugelassene Verbraucherschutzvereinigung individuelle Vermögensschäden von Verbauchern (consommateurs) einklagen, die im Rahmen eines übereinstimmenden oder ähnlichen Lebenssachverhaltes durch die Pflichtverletzung eines Unternehmers (professionel) im Zusammenhang mit Kaufverträgen, Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen oder kartellrechtlich relevanten Verhaltensweisen verursacht wurden. Die individuell geschädigten Verbaucher können der Klage beitreten (opt in). Die autorité de la chose jugée einer in einem solchen Verfahren ergangenen Entscheidung steht nur Individualklagen der tatsächlich beitretenen Verbraucher entgegen (Art. R423–16 C. consom.; Amrani Mekki, Procédures 2014 (n° 12, décembre), Études n° 16, p. 6, 8) (und auch nur, sofern sie infolge der Gruppenklage eine Entschädigung erhalten haben, Art. L423–21 C. consom. („membres du groupe dont le préjudice a été réparé“)). Gesperrt sind allerdings auch spätere Gruppenklagen anderer Verbrauchervereinigungen hinsichtlich desselben Sachverhalts, derselben Pflichtverletzung und derselben Schäden (Art. L423–23 C. consom.). Ausführlich zur Reichweite der autorité de la chose jugée der action de groupe: Amrani-Mekki, Procédures 2014 (n° 12, décembre), Études n° 16, p. 6, 8; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 2254–4. 447 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 597; Bussy, Recueil Dalloz 2003, Chroniques, p. 1376 ss.; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.101. Der im Wege der intervention accessoire Beteiligte ist dagegen nicht Partei, bzw. allenfalls „Partei zweiten Ranges“, da ihm gewisse Rechte einer Partei wie die selbstständige Einlegung von Rechtsmitteln vorenthalten sind (Bussy, Recueil Dalloz 2003, Chroniques, p. 1376, 1377 s. (n° 10, 21) („partie de seconde rang“, „partie par accessoire“)). 448 Cass. 2e civ., 14. März 1968, Bull. civ. II, n° 84; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 146; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 14, p. 15. 449 Bussy, Recueil Dalloz 2003, Chroniques, p. 1378 s. (n° 19 ss.).

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lediglich der Zuständigkeitsbegründung gegenüber einem weiteren Beklagten dienen soll. 450 Umgekehrt kann auch einer Person, die im Verfahren nicht als Kläger, Beklagter oder Intervenient aufgetreten ist, die Eigenschaft als Partei zuerkannt werden, wenn sie aufgrund ihres persönlichen Interesses gleichsam als „notwendige“ Partei anzusehen ist. Die Rechtsprechung hat eine solche „notwendige“ Parteienstellung für die Gesellschafter insolventer Gesellschaften bejaht, die in den jeweiligen Kollektivverfahren über die liquidation de biens bzw. règlement (heute: redressement) judiciaire nicht beteiligt gewesen waren.451 2. Parteibegriff und „représentation“ Wird eine Person im Prozess vertreten, sei es durch einen gesetzlichen, organschaftlichen oder rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter, so ist der Vertretene als Partei anzusehen, der die autorité de la chose jugée entgegengehalten werden kann.452 Der Stellvertreter, der in einem späteren Verfahren in eigenem Namen auftritt, wird dagegen nicht von der autorité de la chose jugée des Ersturteils erfasst.453 Dies wird durch das in Art. 1351 Code civil am Ende formulierte Erfordernis eines Auftretens in derselben Eigenschaft im Erst- und Folgeverfahren (en la même qualité) klargestellt. 454 Die Rechtsprechung verwendet die Rechtsfigur der représentation in einem weitergehenden Sinne aber auch dazu, die autorité de la chose jugée auf am Verfahren nicht Beteiligte zu erstrecken. Sie nimmt in verschiedenen Konstellationen an, eine im Verfahren im eigenen Namen auftretende Partei „vertrete“ gleichzeitig auch einen Dritten, der nicht persönlich im Prozess in Erscheinung tritt, mit der Folge, dass die autorité de la chose jugée auch für und gegen diesen wirkt. Auf dieser Grundlage wird die Erstreckung der autorité de la chose jugée des gegenüber einem Gesamtschuldner erlassenen Urteils auf den 450

Cass. 2 e civ., 14. März 1968, Bull. civ. II, n° 84 (im zugrundliegenden Fall wurde dann aber angenommen, dass eine tatsächliche Verurteilung gewollt war, weshalb die Parteienstellung bejaht wurde). 451 Cass. com., 17. Juni 1975, n° 73-14.660, Bull. civ. IV, n° 168, p. 140; Cass. com., 17. Juni 1975, n° 73-14.661, Bull. civ. IV, n° 169, p. 141. 452 Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 359, p. 292 s.; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 137; Cass. 2 e civ., 16. Juni 1966, Bull. civ. II, n° 700. 453 Cass. com., 5. Januar 1962, Bull. civ. com., n° 8; Cass. com., 7. Januar 1997, n° 9419057, inédit (keine entgegenstehende autorité de la chose jugée bei Auftreten im Erstverfahren als Vertreter der beklagten Gesellschaft und späterer Klage im eigenen Namen); Cass. 3e civ., 30. April 1969, Bull. civ. III, n° 344 (keine autorité de la chose jugée bei Klage als Vertreter der Gesellschaft nach ergangenem Urteil in einem im eigenen Namen geführten Verfahren). 454 Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 359, p. 292; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 148.

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nicht am Prozess beteiligten Gesamtschuldner 455 sowie der gegenüber dem Hauptschuldner ergangenen Entscheidung auf den selbstschuldnerisch haftenden Bürgen (caution solidaire)456 begründet. Die Cour de Cassation nimmt zudem an, dass im Rahmen einer ehelichen Gütergemeinschaft der Ehepartner, der in Verwaltung des Gesamtgutes einen Prozess über ein dem Gesamtgut zuzurechnendes Recht führt, den anderen Ehepartner „vertrete“ mit der Folge, dass sich die Rechtskraft der ergangenen Entscheidung auch auf den unbeteiligten Ehepartner erstreckt. 457 Der Begriff der représentation, den die Rechtsprechung hierbei anwendet, unterscheidet sich von der zivilrechtlichen Stellvertretung in verschiedener Hinsicht. Zum einen treten die Rechtswirkungen hier sowohl in der Person des Vertreters als auch des Vertretenen ein. Zum anderen wird die „Vertretung“ angenommen, ohne dass ein Auftreten für den anderen vom Willen des „Vertreters“ gedeckt sein muss. Es handelt sich daher nicht um eine Stellvertretung,458 die Rechtsprechung nimmt vielmehr eine Erstreckung der autorité de la chose jugée in Fällen materiellrechtlicher Abhängigkeit vor459 und entzieht dem „Vertretenen“ insoweit den Rechtsbehelf der tierce opposition. Eine Grenze zieht die Rechtsprechung insoweit, als sie eine Bindung des „Vertretenen“ ablehnt und dessen tierce opposition für zulässig hält, wenn der „Vertreter“ im Prozess betrügerisch vorgegangen ist oder der „Vertreter“ und der Kläger des Erstprozess kollusiv zu Lasten des „Vertretenen“ zusammengewirkt haben.460 Zudem kann der „Vertretene“ im Wege der tierce opposition eigene Einwendungen, die ihm gegenüber dem Kläger des

455

Cass.com., 30. Oktober 2007, n° 04-16.655, Bull. civ. IV, n° 229; Cass. com., 25. November 2008, n° 07-14.583, Bull. civ. IV, n° 199. 456 Cass. com., 18. Oktober 1982, n° 81-14.228, Bull. civ. IV, n° 316; Cass. 1 re civ., 14. Februar 1990, n° 88-17.815, Bull. civ. I, n° 42, p. 31. Abweichend (keine Bindung des Bürgen): Cass. com., 20. Mai 1997, n° 95-12.853, Bull. civ. IV, n° 146, p. 131; diese Entscheidung hat jedoch – anders als von Héron/Le Bars (Droit judiciare privé, n° 360, p. 294 (Fn. 132)) prognostiziert – keine Rechtsprechungsänderung eingeleitet, vgl. Cass. com., 27. September 2011, n° 10-21.686, inédit; Cass. com., 16. Oktober 2012, n° 11-22.062, inédit. 457 Cass. 2 e civ., 21. Januar 2010, n° 08-17.707, Bull. civ. II, n° 14. 458 Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 360, p. 294: „une ‚représentation‘ pour le procès et même une fausse représentation“. 459 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 141; dagegen sieht Wiederkehr in dieser Rechtsprechung keine Erstreckung der Rechtskraft, vielmehr diene sie allein der Einschränkung der Statthaftigkeit der tierce opposition (Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 241). Zwar sind zahlreiche Entscheidungen zur représentation zur Statthaftgkeit der tierce opposition ergangen und nicht zur Erstreckung der autorité de la chose jugée, wie sich aus den zuvor zitierten Entscheidungen ergibt, nimmt die Cour de Cassation aber durchaus eine ausdrückliche Erstreckung der Rechtskraft vor. 460 Cass. 1re civ., 14. Februar 1990, n° 88-17.815, Bull. civ. I, n° 42, p. 31; Cass. 1 re civ., 10. Dezember 1991, n° 90-12.834, Bull. civ. I, n° 348, p. 227 (arrêt 1).

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Erstverfahrens zustehen (moyens qui lui sont propres), geltend machen.461 Insoweit gilt er also nicht als im Erstverfahren Vertretener, sondern als Dritter, dem die Einlegung der tierce opposition möglich ist. 3. Erstreckung der „autorité de la chose jugée“ auf die Rechtsnachfolger der Parteien Den Parteien gleichgestellt sind nach Auffassung der Rechtsprechung und Literatur die Rechtsnachfolger (ayants cause) der Parteien, auch wenn dies gesetzlich nicht vorgesehen ist. Begründet wird dies mit der materiellrechtlichen Wirkung der Gesamtrechtnachfolge (ayants cause universels ou à titre universel), wonach der Erbe in die Rechtsstellung des Erblassers, wie sie zum Zeitpunkt des Erbfalls bestand, eintritt, weshalb ihn auch ein zugunsten oder zulasten des Erblassers ergangenes Urteil binde. 462 Gegenüber Einzelrechtsnachfolgern (ayants cause à titre particulier) wirkt die autorité de la chose jugée dann, wenn die jeweilige Entscheidung vor Abschluss der Rechtsübergangs ergangen ist.463 Die Begründung hierfür ist jedoch umstritten. Während einige Autoren hier wie bei der Gesamtrechtsnachfolge den materiellrechtlichen Eintritt in die Rechtsstellung hinsichtlich des übergangenen Rechts heranziehen wollen,464 nimmt ein weiterer Teil der Autorenschaft 465 und teilweise auch die Cour de Cassation 466 an, der Einzelrechtsnachfolger werde in dem vor Rechtsübergang abgeschlossenen Verfahren durch den früheren Rechtsinhaber vertreten. Ein nach dem Rechtsübergang gegenüber dem früheren Rechtsinhaber erlassenes Urteil bewirkt dagegen keine autorité de la chose jugée gegenüber

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Cass. com., 4. Oktober 1983, n° 82-12.415, Bull. civ. IV, n° 245; Cass. 3 e civ., 6. Juni 2012, n° 11-11.657, inédit. 462 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 359, p. 293; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 146. 463 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 359, p. 293; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 145. Andere Autoren nehmen nur eine Rechtskrafterstreckung auf die Gesamtrechtsnachfolger an, ohne sich zu den Einzelrechtsnachfolgern zu äußern, so z.B. Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 740; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.102; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1097. 464 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 359, p. 293. 465 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 145. 466 Cass. 1re civ., 12. März 1974, n° 72-14.466, Bull. civ. I, n° 83, p. 70 (Vertretung des Zessionärs durch den Forderungszedenten); eine Vertretung des Einzelrechtsnachfolgers durch den bisherigen Rechtsinhaber bis zum Zeitpunkt des Rechtsübergangs nimmt auch an: Cass. 2 e civ., 20. Juni 1979, n° 77-15.380, Bull. civ. II, n° 191 (zur Statthaftigkeit der tierce opposition).

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dem Rechtserwerber.467 Im Hinblick auf das Urteil nimmt er die Stellung eines Dritten ein. 4. Die Stellung Dritter: Der außerordentliche Rechtsbehelf der „tierce opposition“ Wie bereits angedeutet, bedeutet die Relativität der autorité de la chose jugée nicht, dass das Urteil Dritten gegenüber gänzlich ohne Wirkung ist. Auch Dritte können durch die Existenz eines Urteils und die hierdurch geschaffene Rechtssituation berührt sein. Beispielsweise können die Gläubiger eines Ehegatten durch ein Scheidungsurteil betroffen sein, das dessen Vermögenslage ändert.468 Um Dritten, die durch diese Wirkung geschädigt werden oder denen hierdurch ein Schaden droht, eine Möglichkeit zu geben, gegen das Urteil vorzugehen, sieht der Code de procédure civile in den Artikeln 582–592 C.p.c. den Sonderrechtsbehelf der tierce opposition vor. Es handelt sich hierbei nicht um eine Erstreckung der autorité de la chose jugée auf den Dritten, sondern allein um die Einräumung einer Anfechtungsmöglichkeit. 469 Abgelehnt wird heute470 dagegen der früher teilweise verwendete Begriff einer autorité absolue, der als Ausnahme von der grundsätzlichen Relativität eine erga omnes wirkende autorité de la chose jugée insbesondere der Entscheidungen über den Personenstand beschreiben sollte. 471 Die darin angesprochenen Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen gegenüber Dritten werden

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Cass. com., 28. April 1987, n° 85-12.727, inédit; Cass. 2 e civ., 20. Juni 1979, n° 7715.380, Bull. civ. II, n° 191 (zur Statthaftigkeit der tierce opposition); Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 145. 468 So im der Entscheidung Cass. 1 re civ., 5. November 2008, n° 06-21.256, Bull. civ. I, n° 252 zugrundeliegenden Fall: In dem Scheidungsurteil gegen den Ehegatten war dieser zur Leistung einer Ausgleichszahlung für gemeinsam angeschaffte Gegenstände an seine Ehegattin verurteilt worden, mit der er im Güterstand der Gütertrennung gelebt hatte. Aufgrund seiner Vermögensverhältnisse wäre dem Ehegatten nach Leistung dieser Ausgleichszahlung eine Erfüllung der Forderungen seines Gläubigers nicht mehr möglich gewesen, weshalb der Gläubiger nun tierce opposition einlegte. 469 Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 361, p. 295. In der Rechtsprechung wird diese Unterscheidung aber nicht immer in dieser Klarheit vorgenommen, vgl. die Entscheidung Cass. 2e civ., 25. September 2014, n° 13-19.970, Bull. Civ. II, n° 200. 470 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1100; Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 361, p. 295; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 151; anders wohl nur Couchez, Procédure civile, n° 213, p. 209. 471 Glasson/Morel/Tissier, Traité théorique, n° 776, p. 106 s.

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heute dagegen durch den Begriff der opposabilité beschrieben.472 Die opposabilité, das heißt die Möglichkeit gegen eine Entscheidung vorzugehen, besteht zugunsten jeder Person, die eine ausreichende Betroffenheit bzw. ein Interesse (interêt) darlegen kann (zugunsten der Parteien in Form des appel, für Dritte in Form der tierce opposition), so dass insoweit von einer opposabilité absolue gesprochen werden kann.473 Die autorité de la chose jugée ist dagegen heute anerkanntermaßen durch den Grundsatz der Relativität begrenzt. II. Objektive Grenzen: „Objet“ und „cause“ Auch für die Bestimmung der objektiv-gegenständlichen Grenzen der autorité de la chose jugée bildet die Regelung des Art. 1351 Code civil den Anknüpfungspunkt. Trotz der Kontinuität der gesetzlichen Grundlage hat die französische Rechtskraftdogmatik im Hinblick auf die objektiven Grenzen einen deutlichen Wandel vollzogen. 1. Art 1351 Code civil und seine Tauglichkeit zur gegenständlichen Begrenzung der Rechtskraft Zur Beschreibung der objektiv-gegenständlichen Grenzen der autorité de la chose jugée bedient sich Art. 1351 Code civil verschiedener Begriffe. So beschränkt Art. 1351 Code civil in seinem ersten Satz die autorité de la chose jugée auf das objet der Entscheidung. Nach Satz 2 der Regelung setzt die autorité de la chose jugée voraus, dass die chose demandée übereinstimmt und die Klage auf dieselbe cause gestützt wird. Die fast wörtlich von Pothiers Übertragung der Digesten-Textstelle D. 44, 2, 12–14 ins Französiche übernommene und seit Schaffung des Code civil im Jahre 1804 unveränderte Formulierung erweist sich im Hinblick auf die objektiven Grenzen der autorité de la chose jugée in verschiedener Hinsicht als problematisch. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Sätze der Regelung. Unklar ist, ob auch der erste Satz die objektiven Grenzen der Rechtskraft bestimmt oder ob dieser nur bekräftigen soll, dass allein der Inhalt der richterlichen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen kann. Nimmt man an, dass auch Satz 1 die Grenzen der autorité de la chose jugée bestimmt, stellt sich die Frage, ob das in Satz 1 genannte objet als Oberbegriff zu verstehen ist, der sich zusammensetzt aus den in Satz genannten Elementen der chose demandée und der cause (sowie in subjektiver Hinsicht der Parteien). Das objet 472

Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1100; Héron/Le Bars, Droit judiciare privé, n° 361, p. 295; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 151. 473 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 151.

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könnte allerdings auch als zusätzliche objektive Grenze neben chose demandée und cause verstanden werden oder in einem dieser beiden Begriffe aufgehen. Die Frage nach dem Verhältnis der einzelnen Termini und der beiden Sätze des Art. 1351 C.c. hängt damit ab von der Definition der verwendeten Begriffe. Diese wirft aber ebenfalls erhebliche Schwierigkeiten auf. Denn sowohl der Begriff der chose demandée als auch der cause sind dem französischen Zivilprozessrecht, dem die autorité de la chose jugée heute anerkanntermaßen zuzurechnen ist, fremd. Der Code de procédure civile verwendet sie an keiner Stelle. Der Terminus des objet findet sich dagegen in den Artikeln 4 bis 7 C.p.c., wobei jedoch nicht klar ersichtlich ist, ob dieser begriffsidentisch ist mit dem in Art. 1351 C.c. verwendeten Begriff des objet. Gerade aufgrund dieser Unklarheiten wurde seit Mitte des 20. Jahrhunderts wiederholt die Tauglichkeit der Regelung des Art. 1351 Code civil zur Bestimmung der Grenzen der autorité de la chose jugée in Frage gestellt. Insbesondere Vizioz und Motulsky propagierten im Hinblick auf die objektiven Grenzen der Rechtskraft eine Abkehr von den Kriterien des Art. 1351 Code civil und die Anwendung einer Einheitslösung: Statt an objet bzw. chose demandée und cause anzuknüpfen, sei vielmehr zu untersuchen, ob die ergangene Entscheidung und die spätere Klage eine übereinstimmende question litigieuse beträfen.474 Motulsky kritisierte insbesondere die Interpretation, die der Begriff der cause in der Rechtsprechung erfuhr,475 wonach verschiedene Rechtsgrundlagen (oder Kategorien von Rechtsgrundlagen) verschiedene causes darstellten.476 Er schlug deshalb neben der Aufgabe der triple identité die gesetzliche Verankerung einer Präklusion (forclusion substantielle) auf Grundlage einer die Parteien treffenden Konzentrationslast hinsichtlich des Streitgegenstandes (charge de concentrer la matière litigieuse) vor: Danach sollte die Partei in einem späteren Verfahren aufgrund der autorité de la chose jugée mit dem Vorbringen präkludiert sein, das bereits in einem ersten Verfahren zur Stützung desselben Klagebegehrens hätte herangezogen werden können.477 Die Erstreckung der chose jugée auf die nicht vorgetragenen Gesichtspunkte verstand

474 Vizioz, Études de procédure, n° 56, p. 253 s.; Motulsky, Droit processuel, 266; ähnlich auch Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, 3 e éd. 2006, n° 335 s., p. 267 s. („matière litigieuse“), jedoch nicht mehr in den Folgeauflagen. 475 Und auch bis 2006 erfahren hat; ausführlich hierzu sogleich unter F. II. b. cc. (3). 476 Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 12 (n° 41). 477 Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 12 ss. (n° 40 ss.); ders., Droit processuel, 266 s. Für denkbar hielt er dabei drei Ausgestaltungsmöglichkeiten: die gesetzliche Auflistung der Rechtsgrundlagen oder Kategorien von Rechtsgrundlagen, die die Parteien konzentriert im ersten Verfahren geltend zu machen hätten, eine allgemeine Befugnis des Gerichts, bei bewusstem oder grob fahrlässigem Aussparen von Rechtsgrundlagen im ersten Verfahren die Zulässigkeit der späteren Klage zu verneinen, oder eine Kombination beider Ansätze (ebenda).

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Motulsky dabei als Sanktion für die (bewusste oder fahrlässige) Nichteinhaltung der Konzentrationslast. 478 Der Vorschlag, bei der Bestimmung der Reichweite der autorité de la chose jugée zugunsten einer Einheitslösung auf den Rückgriff auf die triple identité zu verzichten, wurde jedoch vielfach wegen seiner konturlosen Weite kritisiert479 und hat nichts daran geändert, dass sich die Diskussion um die Grenzen der Rechtskraft in Frankreich auch heute noch an den in Art. 1351 Code civil verwendeten Begrifflichkeiten orientiert. Das Festhalten an der triple identité darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Begrifflichkeiten nur als Ausgangspunkt einer letztlich dem Rechtsanwender überlassenen Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft dienen. Das französische Recht definiert daher die objektive Reichweite der Rechtskraft zwar weiterhin anhand der chose demandée, d.h. dem Ziel, auf das das Begehren der Parteien gerichtet ist, und der die (rechtlich-)tatsächliche Grundlage des Rechtsstreits bezeichnenden cause und damit anhand eines zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs. Die beiden Elemente dieses Streitgegenstandsbegriffs haben jedoch gerade in jüngster Zeit eine geradezu radikal anmutende Umdeutung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfahren, die sich dem Vorschlag Motulskys möglicherweise in Teilen annähert. 2. Bezugspunkte des Vergleichs Mit dem Identitätserfordernis ist notwendigerweise ein Vergleich verbunden. Da die autorité négative die Zulässigkeit der späteren Klage ausschließt, herrscht insoweit Einigkeit, dass auf der einen Seite das objet und die cause der neuen Klage zu betrachten sind. Für den Vergleich mit dem Gegenstand dieser Klage kommen dann aber sowohl objet und cause der Klage des ersten Verfahrens als auch der Gegenstand des im Vorverfahren ergangenen Urteils in Betracht. Versteht man die autorité négative de la chose jugée als gerade an die Partei gerichtetes Verbot des ne bis in idem, erscheint ein Vergleich der beiden Klagen oder Anträge naheliegend. 480 Die frühere und spätere demande 478

Motulsky, Recueil Dalloz 1968, 1, 12 ss. (n° 44) („l’extension de la chose jugée comme une sanction de la charge de concentration“). Wenn eine Partei es in bewusster Absicht, die endgültige Streitbeilegung zu verzögern, oder aus grober Fahrlässigkeit unterlasse, sämtliche rechtlichen Gesichtspunkte, auf die sie ihr Begehren stützen könne, vorzutragen, so werde auf Grundlage der Präklusion fingiert, dass dieses Rechtsvorbringen zur matière litigieuse gehöre, Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 12 (n° 43). 479 Kritisch z.B. Tomasin, Essai, n° 305 („On peut douter […] que le concept de ‹ question litigieuse › permettra aux juges saisis d’une exception de chose jugée d’individualiser de façon stricte ‚ce qui a fait l’objet du jugement‘ précédent.“; „concept trop large“). Auf die Unbestimmtheit der Einheitslösung Vizioz‘ und Motulskys hinweisend auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 141; Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 87 f. 480 Ähnlich Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 340 (n° 11).

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scheint auch Art. 1351, al. 2 Code civil als Bezugspunkt des Vergleiches anzusehen. Art. 1351, al. 1 Code civil spricht dagegen vom objet der Entscheidung, nicht der Klage. Die überwiegende Literatur verglich und vergleicht die spätere Klage mit dem bereits ergangenen Urteil. 481 Es sei die ergangene Entscheidung und ihre autorité, nicht die zuvor eingereichte Klage, die der späteren Klage entgegenstehe. 482 Einige Autoren beschränken jedoch den Vergleich auf die Klageanträge des ersten und zweiten Verfahrens. Diese Ansicht fußt auf dem Verständnis der autorité de la chose jugée als an die Partei gerichtetes Verbot, einen Gegenstand erneut vor Gericht zu bringen, den sie bereits zuvor eingeklagt habe. Ihre Klage soll daher dann unzulässig sein, wenn sie zuvor bereits eine Klage mit übereinstimmendem objet und identischer cause eingereicht hat.483 Dem traditionellen Verständnis der autorité de la chose jugée als Eigenschaft der gerichtlichen Entscheidung entspricht eher die erstgenannte Ansicht: Die Unzulässigkeit der erneuten Klage mit identischem Gegenstand liegt darin begründet, dass ein Gericht hierüber bereits abschließend entschieden hat. Fehlt es an einer solchen Entscheidung, so liegt auch keine autorité de la chose jugée vor, die der erneuten Klage entgegenstünde. Im Fall der Abweisung einer Klage als unzulässig wird dies besonders augenfällig: Gegenstand der Entscheidung und der autorité de la chose jugée ist hier allein die Zulässigkeit auf Grundlage der damaligen Tatsachenlage. 484 Der abgewiesene Kläger ist daher nicht gehindert, seinen Anspruch erneut einzuklagen, sofern die Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind.485 Würden die Grenzen der Rechtskraft über einen Vergleich des Gegenstandes der Klagen bestimmt, müsste eine solche Klage dagegen streng genommen als unzulässig abgewiesen werden, da der Gegenstand der Klagen identisch ist. Angeführt werden kann zudem der Fall einer Entscheidung infra petita, in der das Gericht nicht über sämtliche Anträge der Parteien entschieden hat. Das Gesetz gewährt den Parteien für diesen Fall in Art. 461 C.p.c. die Möglichkeit, die Ergänzung des Urteilsausspruchs zu

481

Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 507; Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 739, p. 543; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 352, p. 287; n° 356, p. 290; Martin, Principes directeurs du procès, in: Répertoire de procédure civile 2000, n° 49; Tomasin, Essai, n° 304, p. 222; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 281. 482 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 739, p. 543. 483 Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.113; Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 338 (n° 9); für einen Vergleich der demandes auch: Martin, JCP 1979, I-2938, n° 2. 484 So auch: Germelmann, Die Rechtkraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 126. 485 Vgl. hierzu ausführlich oben D. II. 1.

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beantragen.486 Geschieht dies jedoch nicht, bleibt es den Parteien unbenommen, den Antrag, über den das Gericht nicht entschieden hat, erneut zu stellen.487 Folgte man hier der Ansicht, die allein den Gegenstand der beiden Klagen vergleichen möchte, so müsste der Antrag dagegen als unzulässig abgewiesen werden, da die beiden Klagen auch hier identisch sind. Für die Fälle der Abweisung einer Klage als unzulässig und der Entscheidung infra petita scheint es daher stimmiger, das ergangene Urteil als Bezugspunkt zu wählen.488 Außer in diesen Fällen ist die Frage des Bezugspunktes des Vergleichs aber insgesamt von eher geringer Bedeutung. Gerade beim Vergleich des objet, das – wie noch darzulegen ist – das im jeweiligen Verfahren verfolgte Klageziel beschreibt, kann zwischen einem mit der Klage verfolgten Begehren und einem der Entscheidung zugrundeliegenden Begehren letztlich kaum unterschieden werden. 3. Das traditionelle Verständnis von „objet“ und „cause“ Um die Entwicklung der letzten Jahre in ihrer Bedeutung nachvollziehen zu können, ist es erforderlich das traditionelle Begriffsverständnis von objet und cause zu beleuchten.

486

Vgl. hierzu oben E. II. 2. B. dd. Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2004, n° 280, der hieraus ebenfalls schließt, dass das objet des Urteils und nicht der Anträge der Parteien maßgeblich für die Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft sind. 488 Die Rechtsprechungsentwicklung seit 2006 scheint ein Abstellen auf die Erstentscheidung als Bezugspunkt zwar durch ihre Formulierung der Obliegenheit der Parteien, sämtliche moyens zur Stützung ihrer Klage bzw. zur Begründung der Abweisung des gegnerischen Antrags in einem Verfahren geltend zu machen, wieder in Frage zu stellen, stellt sie doch maßgeblich auf Begehren und Vorbringen der Partei im ersten Verfahren und weniger auf den Gegenstand der Erstentscheidung ab (aus diesem Grund annahmend, dass heute ein Vergleich der Klagen vorzunehmen ist: di Noto, Liber amicorum Otmar Seul, 2014, S. 84, 91 f.; Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 338 (n° 9)). Doch wird später noch zu zeigen sein, dass eine Erklärung dieser Obliegenheit sich durchaus in eine auf den Vergleich von objet und cause der Erstentscheidung mit der späteren Klage abstellende Betrachtungsweise einfügen lässt (vgl. unten F. II. 4. b. bb. (2) (b)). Auch nach 2006 bleibt es bei der Zuerkennung einer auf die Zulässigkeit beschränkten autorité de la chose jugée bei Prozessurteilen, die der erneuten Geltendmachung des Anspruchs bei Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht entgegensteht (Cass. 2 e civ., 9. Juli 2009, n° 08-17.600, Bull. civ. II, n° 191), sowie bei der Möglichkeit der erneuten Stellung des nicht abgeurteilten Klageantrags im Fall einer Entscheidung infra petita (ausdrücklich: Cass. 3 e civ., 14. März 2012, n° 10-25.492, inédit; unklar: Cass. 2e civ., 25. Februar 2010, n° 09-10.328, inédit au Bulletin, Recueil Dalloz 2010, p. 1404, mit Besprechung Haftel, Recueil Dalloz 2010, p. 1403 ss. (gegen eine erneute Möglichkeit der Klageerhebung nach der Cesareo-Rechtsprechung)). Jedenfalls in dieser Hinsicht kommt dem Gegenstand der Erstentscheidung weiterhin Bedeutung zu. 487

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a. „Objet“ oder „chose demandée“ Das objet bzw. die chose demandée als erste objektive Grenze der Rechtskraft lässt sich grob definieren als das Klagebegehren, das Ziel oder die Folge, auf die das Verfahren gerichtet ist. Ihr kommt damit im Rahmen eines zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs eine ähnliche Rolle zu wie dem Begriff des Antrags im deutschen Zivilprozessrecht. aa. Der Begriff des „objet“ innerhalb der Systematik des Art. 1351 Code civil und im Verhältnis zur Terminologie des Code de procédure civile Die erste objektive Grenze der autorité de la chose jugée begrifflich klar zu bestimmen, fällt schon nach dem Gesetzestext des Art. 1351 Code civil nicht leicht. In seinem ersten Satz beschränkt Art. 1351 Code civil die autorité de la chose jugée auf das objet und verlangt im zweiten Satz die Identität von chose demandée, cause und parties. Die Regelungssystematik der Norm legt daher das Verständnis nahe, dass das objet von den drei im zweiten Satz genannten Begriffen zu unterscheiden sei oder zumindest einen Oberbegriff darstelle, der sich aus chose demandée, cause und parties zusammensetzt. Dennoch wird der Begriff des objet im Rahmen der Bestimmung der Grenzen der Rechtskraft überwiegend gleichbedeutend mit der chose demandée verwendet. 489 Anders als der Streitgegenstand in Deutschland wird das objet daher nicht als Oberbegriff verstanden, der sich aus Klagebegehren und Tatsachengrundlage zusammensetzt, vielmehr beschränkt sich das objet auf das Element des Begehrens, welches die Parteien im Verfahren als Ziel oder erwünschtes Ergebnis zum Ausdruck bringen.490 Teilweise wird dabei versucht, der Systematik des Art. 1351 Code civil dadurch Rechnung zu tragen, dass zwischen einem objet im weiten Sinne als Oberbegriff und einem engen Verständnis im Sinne der chose demandée unterschieden wird.491 Fest steht jedoch, dass das objet bzw. die chose demandée neben der cause als einheitliche objektive Grenze der autorité de la chose jugée verstanden wird. Werden objet und chose demandée innerhalb des Art. 1351 Code civil damit gleichbedeutend verwendet, so stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Begrifflichkeiten des Code civil zur Terminologie des Zivilprozessrechts. Denn anders als der Begriff der chose demandée findet der Terminus des objet auch im Code de procédure civile Anwendung, insbesondere in Art. 4 C.p.c., 489 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 510, p. 373; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.113; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1095. 490 Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 64, p. 60; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2004, n° 281. Vgl. auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 126. 491 So Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2004, n° 281.

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der vor allem der Begrenzung der richterliche Entscheidungsbefugnis nach dem Grundsatz ne ultra petita dient.492 Gemäß Art. 4 C.p.c. wird das objet du litige durch die prétentions der Parteien bestimmt (alinéa 1), welche wiederum durch den verfahrenseinleitenden Antrag des Klägers und das Verteidigungsvorbringen des Beklagten in dessen conclusion festgelegt werden (alinéa 2). Ob der dort verwendete Begriff des objet du litige in gleicher Weise zu verstehen ist wie im Rahmen der triple identité, ist jedoch in der französischen Rechtswissenschaft umstritten. Die Diskussion ist dabei geprägt durch eine stark uneinheitliche Terminologie. Einige Autoren unterscheiden zwischen dem objet du litige im Sinne des Art. 4 C.p.c. und dem objet de la demande, wobei das objet de la demande gleichbedeutend mit der chose demandée im Sinne des Art. 1351 Code civil und der prétention des Klägers verwendet wird. 493 Andere nehmen dagegen an, das das objet du litige im Sinne des Art. 4 C.p.c. mit dem objet-Begriff übereinstimme, der im Rahmen der autorité de la chose jugée zur Anwendung komme.494 Cadiet und Jeuland verzichten in ihrem Lehrbuch bei der Darstellung zum Streitgegenstand und zur autorité de la chose jugée auf eine Unterscheidung zwischen objet du litige und objet de la demande, halten eine solche Differenzierung aber für möglich.495 Trotz dieser terminologischen Unterschiede werden in der Literatur aber gewisse Grundlinien einer einheitlichen Bestimmung des objet erkennbar: Das objet wird bestimmt durch die prétention, also das jeweilige Klagebegehren,496 wobei der Begriff des objet de la demande gleichbedeutend mit dem Ausdruck der prétention verwendet werden kann.497 Für die Bejahung der Unzulässigkeitseinrede der autorité de la chose jugée genügt es nicht, dass zwei Verfahren

492 Bolard, La matière du procès, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 221, n° 221.31. 493 Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.113; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1095; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 64, p. 59. 494 Mit verschiedenen Abstufungen: Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 507 s. (die Anwendung des objet-Begriffs des Art. 4 C.p.c. auf das objet im Sinne der autorité de la chose jugée sei in Art. 480, al. 2 C.p.c. sogar gesetzlich vorgesehen, da danach die von der autorité de la chose jugée erfasste Entscheidung zur Hauptsache (principal) im Sinne des objet du litige nach Art. 4 C.p.c. zu verstehen sei); Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2004, n° 281 (benachbarter, wenn nicht gar identischer Begriff („[notion] voisin, sinon identique“)); Bolard, La matière du procès, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 221, n° 221.32 (das objet du litige sei auch in Art. 4 C.p.c. eher als objet de la demande zu verstehen). 495 Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 509 s. und Fußnote 139. 496 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 507 s.; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire de procédure civile 2004, n° 281. 497 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 470.

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aus demselben Lebenssachverhalt entspringen und das Gericht dieselben Vorfragen zu klären hat.498 Vielmehr muss das in beiden Verfahren verfolgte Begehren übereinstimmen. Das objet du litige wird zwar nach Art. 4 C.p.c. durch die prétentions beider Parteien festgelegt, jedoch ist letztlich auch für die Begrenzung der richterlichen Entscheidungsbefugnis auf den Streitgegenstand das Klagebegehren des Klägers maßgeblich, während das Verteidigungsvorbringen des Beklagten, sofern es nicht wie bei der Widerklage einen eigenständigen Anspruch beinhaltet, nicht streitgegenstandsbestimmend ist. 499 Der Gedanke, dass das objet auch das kontradiktorische Gegenteil erfasse, findet sich in der französischen Literatur nicht. Dies gilt zumindest bis 2006 auch für die französische Rechtsprechung. bb. Die Bedeutung der rechtlichen Qualifikation des Begehrens Traditionell wird das objet als das erstrebte wirtschaftlich-soziale Ergebnis verstanden, für dessen Bestimmung die rechtliche Qualifikation des Ergebnisses unerheblich sein sollte. 500 In einem Verfahren, in dem der Kläger ausdrücklich Schadensersatz in einer bestimmten Höhe begehrt hatte, wurde daher beispielsweise die Zahlung einer bestimmten Geldsumme und nicht etwa die Leistung von Schadensersatz als objet angesehen.501 Diese Begrenzung des objet auf das rein wirtschaftlich-soziale Ziel sollte vor allem im Hinblick auf die Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des Richters auf den Streitgegenstand gelten: Der Richter sollte in seiner Entscheidungsbefugnis nicht durch

498 Z.B. Cass. 2e civ., 1. Februar 2006, n° 04-12.697, Bull. Civ. II, n° 31, p. 26; Cass. 2 e civ., 14. September 2006, n° 05-14.346, Bull. civ. II, n° 221, p. 210 (keine entgegenstehende autorité de la chose jugée wegen Abweichens des objet bei einer Klage auf Schadensersatz wegen Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Pflichten nach vorausgegangener Klage auf Aufhebung desselben Vertrages, obwohl beide Ansprüche auf derselben Verhaltensweise beruhten); Cass. com., 18. Oktober 1994, n° 92-19.390, Bull. civ. IV, n° 293, p. 235 (keine Unzulässigkeit einer deliktischen Schadensersatzklage wegen arglistiger Täuschung nach der vorangegangenen, auf dieselbe Täuschung gestützten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Vertragsverhältnisses). 499 Bolard, La matière du procès, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 221, n° 221.32; Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 510, p. 374; ähnlich auch Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 470. 500 Motulsky, Le rôle respectif du juge et des parties, in: Écrits – Études et notes de procédure civile, p. 38, 44 (n° 12); Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 510 (p. 373), n° 739 (p. 544, Fußnote 183: „le résultat économique et social poursuivie par les parties“). 501 Dieses Beispiel nennt Motulsky, Le rôle respectif du juge et des parties, in: Écrits – Études et notes de procédure civile, p. 38, 45 (n° 12).

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eine von den Parteien getroffene rechtliche Bewertung beschränkt werden, sondern das von den Parteien formulierte wirtschaftlich-soziale Ziel unabhängig vom Rechtsverständnis der Parteien qualifizieren können.502 Bei der Frage, ob über einen bestimmten Gegenstand bereits rechtskräftig entschieden wurde, halten dagegen viele Autoren eine gänzliche Ausklammerung der rechtlichen Qualifikation des Begehrens für wenig praktikabel: Zahlreiche Begehren würden eindeutig in Bezug auf eine bestimmte rechtliche Beurteilung formuliert oder seien nur durch ihren rechtlichen Bezug zu verstehen.503 Dies zeige sich z.B. beim Antrag auf Scheidung oder Vaterschaftsfeststellung und bei den zu unterscheidenden Anträgen auf Feststellung der Nichtigkeit (nullité) eines Vertrages einerseits bzw. auf Vertragsaufhebung (résolution) andererseits. 504 Überwiegend wird daher als Kriterium zur Eingrenzung des objet zumindest auch auf die Frage zurückgegriffen, ob die Anerkennung desselben Rechts hinsichtlich derselben Sache verlangt werde („même droit sur la même chose“). 505 Die Rechtsprechung erweist sich im Hinblick auf die Frage, ob die rechtliche Qualifikation des Begehrens das objet begrenze, als uneinheitlich. Zahlreiche Entscheidungen deuten darauf hin, dass nicht allein das wirtschaftliche Ziel, sondern auch die rechtliche Qualifikation des Begehrens maßgeblich ist für die Bestimmung des objet. So schließt ein Scheidungsurteil eine spätere Klage auf Aufhebung (annulation) der Ehe nicht aus, obwohl in beiden Fällen die Auflösung der Ehe als soziales Ziel definiert werden kann.506 Verschiedene objets wurden auch im Verhältnis zwischen einer Klage auf Feststellung der

502 Motulsky, Le rôle respectif du juge et des parties, in: Écrits – Études et notes de procédure civile, p. 38, 45 (n° 12) (der dieses Verständnis aber im Hinblick auf die autorité de la chose jugée für nicht anwendbar hielt (vgl. Motulsky, Recueil Dalloz 1968 – Chronique, p. 1, 3, n° 8; ders., Droit processuel, p. 266 s.)). 503 Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 66, p. 61; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 509; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 160; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 286; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1095 (allerdings nur im Hinblick auf die autorité de la chose jugée, dagegen für eine Begrenzung auf das wirtschaftlich-soziale Ziel im Rahmen des Art. 4 C.p.c. zur Begrenzung der richterlichen Entscheidungsbefugnis). 504 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 509; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 66, p. 61. 505 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 160; vgl. auch Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1095 („le même droit, sur une demande matériellement identique“). 506 Cass. 1re civ., 10. März 1998, n° 95-21491, inédit. Jedoch wäre im umgekehrten Fall einer auf die Eheaufhebung folgenden Scheidungsklage wohl das Rechtsschutzinteresse (interêt d’agir) zu verneinen und die Kage aus diesem Grund unzulässig (so Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 529).

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Nichtigkeit eines Vertrages (demande de nullité) und der Klage auf gerichtliche Vertragsauflösung (résiliation) angenommen, obwohl in beiden Fällen in wirtschaftlicher Hinsicht die Lösung vom selben Vertrag bezweckt wurde. 507 Auch steht einer petitorischen Klage aufgrund des an einem Grundstück bestehenden materiellen Rechts die zuvor ergangene Entscheidung über eine possessorische Klage wegen Besitzentziehung oder -störung nicht entgegen, obwohl in beiden Fällen dieselbe Beeinträchtigung der Immobilie unterbunden werden soll. 508 Dennoch finden sich auch immer wieder Entscheidungen, in denen trotz abweichender rechtlicher Qualifikation der jeweiligen Begehren wegen des einheitlich verfolgten wirtschaftlichen Zieles ein übereinstimmendes objet angenommen wurde. Gerade im Verhältnis verschiedener Institute zur Beseitigung der Bindung an einen Vertrag zueinander wurde die Frage der Identität des objet in der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet. Beispielsweise nahm die Cour de Cassation an, dass eine Klage auf Feststellung der (relativen) inopposabilité, also der Feststellung, dass die Tatsache eines zwischen den Vertragsparteien geschlossenen Rechtsgeschäfts dem klagenden Dritten nicht entgegengehalten werden kann, dasselbe objet habe wie die zuvor von dem Dritten erhobene Klage auf Feststellung der (absoluten) Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts.509 Die Entscheidung ist damit geprägt von einem sehr weiten, nicht rechtlich geprägten objet-Begriff, der für die Identität des objet die Übereinstimmung der Zielsetzung der beiden Klagen, nämlich das Rechtsgeschäft gegenüber dem klagenden Dritten für wirkungslos erklären zu lassen, genügen lässt. 510 Weshalb aber die Klagen auf Feststellung der inopposabilité und der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dasselbe objet betreffen sollen, nicht aber die gerichtliche Vertragsbeendigung (résiliation) und die Nichtigkeitfeststellung,511 ist nicht ersichtlich: Auch wenn sich die Feststellung der nullité von der gerichtlichen résiliation durch ihre ex tunc-Wirkung unterscheidet, lassen sich vergleichbare Unterschiede auch zwischen der absolut wirkenden nullité und der relativen inopposabilité finden. Eine wirkliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung ist nicht erkennbar, vielmehr scheint der jeweils verwendete objet-Begriff je nach Einzelfall variiert worden zu sein. Zu dieser 507

Cass. 1 re civ., 11. April 1995, n° 93-16.147, Bull. civ. I, n° 172, p. 123. Cass. 3 e civ., 3. Mai 1990, n° 88-13.500, Bull. civ. III, n° 103, p. 57 (beide Klagen gerichtet auf die Begrenzung der Nutzung eines über das klägerische Grundstück führenden Weges durch den Beklagten); Cass. 3 e civ., 25. März 1992, n° 90-15.995, Bull. civ. III, n° 99, p. 58. Hintergrund ist hier das Kumulationsverbot des Art. 1265 C.p.c., das eine kumulierende Geltendmachung der Besitzschutzansprüche und der petitorischen Ansprüche verhindert. 509 Cass. 1 re civ., 8. März 2005, n° 02-16.697, Bull. civ. I , n° 113, p. 97. 510 So auch Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 527. 511 So die schon genannte Entscheidung Cass. 1 re civ., 11. April 1995, n° 93-16.147, Bull. civ. I, n° 172, p. 123. 508

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Uneinheitlichkeit trug auch die bereits zuvor dargestellte umstrittene Rechtsprechungslinie bei, wonach ein Urteil, das den Beklagten zur Erbringung einer Leistung aufgrund eines bestimmten Rechtsverhältnisses verurteilte, zugleich auch implizit die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses bejahte, während andere Entscheidungen in derartigen Fällen eine Unzulässigkeit wegen entgegenstehender autorité de la chose jugée aufgrund abweichender objets ablehnten. cc. Teilklagen Als problematisch erweist sich die Bestimmung der Reichweite des objet auch bei Teilklagen, mit denen der Kläger zunächst einen Teil seiner Forderung oder einen Teil seines Rechts zur Entscheidung stellt. 512 In diesem Fall stellt sich die Frage, ob das objet sich auf den tatsächlich zur Entscheidung gestellten Teil des Gesamtrechts beschränkt oder ob es den Anspruch oder das Recht insgesamt unabhängig vom konkret eingeforderten Umfang umfasst. Nur im ersten Fall wäre eine Nachforderung des Restes noch möglich. Bei nicht individualisierten Teilklagen 513 im Sinne von Teilbetragsklagen, bei denen nicht einzelne Zeitabschnitte oder Rechnungsposten, sondern ein lediglich quantitativ vom Gesamtrecht abweichender Teil eines einheitlichen Anspruchs geltend gemacht wird, wurde eine Nachforderung des Restes regelmäßig abgelehnt. Dies wurde jedoch weniger mit der Identität des objet als mit der Annahme einer ergangenen décision implicite hinsichtlich des Restes begründet.514 Letztlich bedeutet aber auch die Annahme einer stillschweigenden 512 Da auch im französischen Zivilprozessrecht die Vergütung von Anwälten und huissiers de justice vom Streitwert bzw. wirtschaftlichen Interesse (intérêt du litige) abhängig ist (vgl. für die droits proportionnels (z.B. für die avocats: Art. 4 Décret n° 60-323 vom 2. April 1960 (Geltung für die Vergütung von avocats nach Décret n° 72-784 vom 25. August 1972, n° 75-785 vom 21. August 1975); für die huissier de justice: Art. 8 Décret n° 96-1080 vom 12. Dezember 1996); in geringerem Maße auch für die droit fixe (z.B. für die avocats: Art. 2 n° 1 Décret n° 60-323 vom 2. April 1960 (Reduzierung der Fixgebühr bei niedrigem Streitwert); für die huissier de justice: Art. 6 Décret n° 96-1080 vom 12. Dezember 1996 (Erhöhung der Grundgebühr (taux de base) nach der Höhe der geltend gemachten Forderung bei vermögensrechtlichen Forderungen))) und dem in der Klage eingeforderten Betrag dabei maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. beispielsweise die Art. 5, 9 – 14 Décret n° 60-323 vom 2. April 1960) kann auch in Frankreich für eine solche Vorgehensweise die Minderung des Kostenrisikos bei ungewissem Verfahrensausgang sprechen, da der Kläger im Falle des Unterliegens (zur Geltung des Unterliegensprinzips: Art. 695 C.p.c.) in den meisten Fällen nur die dem eingeklagten Teil entsprechenden Kosten zu tragen hat. Zudem mag der Kläger ein Interesse daran haben, nur einen bestimmten Schadens- oder Rechnungsposten einzuklagen. 513 Zur Unterscheidung zwischen individualisierten und nicht individualisierten Teilklagen vgl. Lindacher, ZZP 76 (1963), 451, 452 f. 514 Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 119; Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 247. Von der Zulässigkeit der Teilklage auszugehen scheint dagegen Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 91.

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Entscheidung über den Rest, dass das objet des Verfahrens bei Begrenzung der Klage (und der Entscheidung im dispositif) auf einen Teilbetrag auch den (nicht qualitativ abgrenzbaren) Rest des Anspruchs bzw. des Rechts umfasst. 515 Bei individualisierten Teilklagen, d.h. bei Klagen, bei denen der geltend gemachte Teil sich vom Rest qualitativ unterscheidet, beispielsweise weil es sich um einen anderen Schadensposten oder einen anderen Zeitraum handelt, zeigte die Rechtsprechung vor 2006 ein sehr uneinheitliches Bild. Eine Entscheidung über einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen hinsichtlich eines bestimmten Zeitraums stand einer nachfolgenden Klage, mit der der Anspruch hinsichtlich eines anderen Zeitabschnitts eingefordert werden sollte, nicht entgegen.516 Das objet wurde auf den jeweils genannten Zeitabschnitt begrenzt mit der Folge, dass verschiedene Zeitabschnitte unterschiedliche objets darstellten.517 Dabei machte es keinen Unterschied, ob die erste Entscheidung der Klage stattgegeben oder diese abgewiesen hat. Eine positive Bindungswirkung im Hinblick auf die Bejahung oder Verneinung der Wirksamkeit des dem Anspruch zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses war dagegen denkbar: Eine solche autorité positive de la chose jugée wurde häufig auf die Annahme einer diesbezüglichen décision implicite gestützt.518 Lange Zeit nicht eindeutig geklärt war, ob ein geschädigter Kläger verschiedene auf demselben schädigenden Ereignis beruhende Schadensposten in gesonderten Verfahren geltend machen konnte. Teilweise nahm die Cour de Cassation an, dass eine Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch sämtliche zum Zeitpunkt dieses Verfahrens bestehenden und absehbaren Schäden abdeckte, so dass eine erneute Klage aufgrund desselben schädigenden Ereignisses nur dann möglich sein sollte, wenn eine Verschlimmerung des Zustandes des Geschädigten und damit eine Veränderung der tatsächlichen Grundlage eingetreten war.519 Andere Schäden, die zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens bereits vorlagen, konnten nach dieser Rechtsprechungslinie nachträglich nicht mehr eingeklagt werden. Häufig wurde diese Folge aber beschränkt auf sämtliche zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens erkennbare Schäden, so dass für 515

Ähnlich auch Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 284 (das objet werde auch durch die décisions implicites bestimmt). 516 Cass. soc., 30. Oktober 1997, n° 95-13.808, inédit; Cass. 2 e civ., 16. Oktober 2003, n° 01-16.392, inédit; Cass. 2 e civ., 28. Februar 2006, n° 04-14.571, inédit; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 511; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 288. Ebenso Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 91. 517 So ausdrücklich Cass. soc., 30. Oktober 1997, n° 95-13.808, inédit. Als Frage der Identität des objet werden verschiedene Zeitabschnitte auch behandelt bei Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 511; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 288. Vgl. auch Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 91. Anders dagegen Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 247 f. (Frage der cause). 518 Vgl. hierzu oben E. II. 2. a. bb. 519 Cass. 2 e civ., 20. Dezember 1973, n ° 72–13.808, Bull. civ. II, n° 343, p. 279.

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Schäden, die zwar bereits eingetreten, aber nicht erkennbar waren, in einem späteren Verfahren noch Ersatz verlangt werden konnte. 520 Nach diesem Verständnis war das objet eines Schadensersatzprozesses stets in dem Ersatzbegehren für sämtliche (erkennbare) Schäden aus einem bestimmten schädigenden Ereignis zu sehen, auch wenn die Klage nur einzelne Schadensposten nannte und das Gericht auch nur über diese entschieden hatte. Eine überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung521 und Literatur 522, die sich letztlich auch durchgesetzt hat,523 beschränkt dagegen das objet auf den jeweils geltend gemachten Schadensposten. Späteren Klagen auf Ersatz weiterer Schäden stand die autorité de la chose jugée daher auch dann nicht entgegen, wenn der später geltend gemachte Schaden bereits im ersten Verfahren eindeutig erkennbar war und ohne Weiteres hätte geltend gemacht werden können. Dabei wurden die verschiedenen Schadensposten auch nicht nach Kategorien (z.B. materielle Schäden gegenüber immateriellen Schäden) zu einem objet zusammengefasst, vielmehr stellte jeder Schadensposten ein eigenständiges objet dar.524 dd. Zusammenfassung Obwohl er nicht mit dem formalen Klageantrag gleichzusetzen war, wurde der Begriff des objet damit an sich recht eng gefasst, so dass im Ergebnis oft eine gewisse Übereinstimmung mit dem im deutschen Recht zur Bestimmung des

520

Cass. 2 e civ., 9. Dezember 1999, n° 98-10.416, Bull. civ. II, n° 188, p. 129; ähnlich auch Cass. 2 e civ., 30. Oktober 1989, n° 88-17.282, Bull. civ. II, n° 198, p. 100 (keine entgegenstehende autorité de la chose jugée nur wegen fehlender Erkennbarkeit des jeweiligen Schadens zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens). 521 Cass. ass. plén., 9. Juni 1978, n° 76-10.591, Bull. ass. plén., n° 3, p. 3; Cass. 2 e civ., 1. Dezember 1982, n° 81-13.705, Bull. civ. II, n° 153; Cass. 2 e civ., 6. Januar 1993, n° 9115.391, Bull. civ. II, n° 6, p. 3; Cass. 2 e civ., 5. Januar 1994, n° 92-12.185, Bull. civ. II, n° 15, p. 8; Cass. 2 e civ., 30. Juni 2005, n° 03-19.817, inédit. 522 Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 293; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 154. 523 Vgl. aus der jüngsten Zeit: Cass. 1 re civ., 14. November 2012, n° 11-22.853, inédit. 524 Vgl. Cass. 2 e civ., 6. Januar 1993, n° 91-15.391, Bull. civ. II, n° 6, p. 3 (entgangenes Freizeitvergnügen bzw. Einschränkungen bei der Freizeitgestaltung (préjudice d’agrément) und Einschränkungen im Sexualleben (préjudice sexuel) als verschiedene objets); Cass. 2e civ., 5. Januar 1994, n° 92-12.185, Bull. civ. II, n° 15, p. 8 (körperliche Schäden (préjudice corporel) im ersten Verfahren und Einschränkungen im Sexualleben sowie Nachteile beim Auffinden einer angemessenen Unterkunft im zweiten Verfahren); Cass. 2 e civ., 30. Juni 2005, n° 03-19.817, inédit (Nachteile bei der Familiengründung und -planung (préjudice d’établissement) im ersten Verfahren und Einschränkungen bei der Freizeitgestaltung im zweiten Verfahren). Vgl. auch die Beispiele bei Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 91.

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Streitgegenstandes herangezogenen Klageantrag bestand. 525 Eine gewisse Ausdehnung erfuhr das objet aber häufig indirekt über die Annahme von décisions implicites. Die Bedeutung des objet für die Begrenzung des Gegenstandes der autorité de la chose jugée wurde vor 2006 relativiert durch das damalige enge und rechtlich geprägte Verständnis der cause, auf das im Anschluss eingegangen wird. b. „Cause“ Neben dem objet bildet die cause die zweite objektive Grenze der autorité de la chose jugée. Diese lässt sich grob definieren als die Grundlage, auf die das Begehren gestützt wird (fondement de la prétention). 526 Im Einzelnen ist die Definition der cause jedoch hoch umstritten aa. Die Suche nach einer einheitlichen Begriffsbestimmung In der französischen Zivilprozesslehre finden sich zahlreiche Versuche, dem Begriff der cause eine tragfähige Definition zukommen zu lassen. Unterschiedlich bewerten die einzelnen Definitionsansätze insbsondere die Frage, in welchem Umfang der Begriff rechtlich geprägt ist. Zahlreiche Autoren stellten die cause mit der geltend gemachten Rechtsregel bzw. dem angewendeten allgemeinen Rechtsgrundsatz gleich. 527 Die Änderung der rechtlichen Qualifikation begründete nach dieser Ansicht auch dann einen neuen Streitgegenstand, wenn die Parteien keine neuen Tatsachen vorbrachten.528 Überwiegend wurde aber nicht die einzelne Norm oder Anspruchsgrundlage als maßgeblich angesehen, sondern auf die Übereinstimmung des zugrunde liegenden Rechtsgedankens abgestellt. 529 Nur Rechtsgrundlagen, die sich grundlegend unterschieden, begründeten danach eine neue cause.530 Diesen stark rechtlich geprägten Ansät-

525

So auch di Noto, Liber amicorum Otmar Seul, 2014, S. 84, 96; Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 220. 526 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 530; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 254. 527 Esmein, JCP 1961, II-11.980 („la règle de droit sur laquelle [la prétention] est fondée“); Savatier, JCP 1953, II-7601, C („principe d’équité“). 528 Savatier, JCP 1953, II-7601, B b). 529 Gilli, La cause juridique de la demande en justice, p. 76 ss., 80 („Si les règles de droit invoquées ressortissent à des principes différents, les causes sont différentes. “); Savatier, JCP 1953, II-7601, C („Il faut plutôt rechercher le fondement, en logique et en équité, des textes considérés.“). 530 Malaurie, Recueil Dalloz 1956, p. 517, 522 (B 2 b) („Il faut qu’il y’ait entre les textes un régime fondamentalement différent […] par leur conditions d’application. “).

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zen stand eine Ansicht gegenüber, die der tatsächlichen Grundlage des Begehrens eine größere Bedeutung zuschrieb und die cause als rechtliche Tatsache531 bzw. als Gesamtheit der tatsächlichen Umstände, die zur Stützung des Begehrens vorgebracht werden, definierte.532 Eine vermittelnde Ansicht verstand die cause schließlich als Gesamtheit der rechtlich qualifizierten Tatsachen oder Handlungen.533 Auch wenn diese Definitionen voneinander abweichen, so lassen sich doch zwei Feststellungen treffen. Zum einen wird bei genauer Lektüre erkennbar, dass keine der genannten Ansichten die Bedeutung des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden tatsächlichen Sachverhalts für den Streitgegenstand gänzlich leugnet. Zahlreiche Autoren, die die cause über die geltend gemachte Rechtsregel definierten, nahmen an, dass die cause daneben auch durch die faits bestimmt werde. 534 Andere Autoren schienen die Tatsachengrundlage dagegen eher in den Begriff des objet zu integrieren.535 Dass nach dem Urteil eingetretene Tatsachen einen neuen Streitgegenstand darstellen können, wurde zudem einheitlich bejaht.536 Gänzlich ausgeklammert wurde der tatsächliche Sachverhalt daher von keiner Ansicht in der Literatur. Zum anderen lässt sich feststellen, dass die traditionelle Zivilprozesslehre den angewandten Rechtsregeln bei der Bestimmung des Streitgegenstandes eine maßgebliche, wenn nicht gar die entscheidende Bedeutung zuschrieb. Dies gilt – mit Ausnahme Motulskys – selbst für jene Autoren, die in ihrer Definition vor allem auf die zugrundeliegenden Tatsachen abstellten, nahmen doch auch diese Autoren an, dass verschiedene Arten von Nichtigkeitsgründen, auf die ein Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit (demande en nullité) gestützt werden konnte, verschiedene causes darstellten. Die Annahme abweichender causes wurde dabei nicht davon abhängig gemacht, ob zur Stützung des neuen Nichtigkeitsgrundes ein neuer tatsächlicher Sachverhalt vorgetragen wurde, vielmehr knüpften die Autoren die Annahme einer neuen cause allein an den 531 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français XII, § 769, p. 440 („le fait juridique qui forme le fondement direct et immédiat du droit ou du bénéfice légal que l’une des parties fait valoir par voie d’action ou d’exception“); Glasson/Tissier/Morel, Traité théorique, p. 101. 532 Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 236 („les circonstances des faits invoquées en vue d’établir le droit subjectif par lequel se traduit juridiquement la prétention soumise au juge“); Normand, Le juge et le litige, n° 174, p. 166 („La cause n’est que l’ensemble des actes ou des faits sur lesquels le plaideur s’appuie pour fonder sa prétention“). 533 Hébraud, RTD civ. 1966, II – Juridiction (n° 3), p. 125, 126 („La cause du litige réside dans un fait juridiquement qualifié …“). 534 Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français XII, § 769, p. 360; Malaurie, Recueil Dalloz 1956, p. 517, 521 (B 2). 535 Kritisch hierzu Normand, Le juge et le litige, n° 150, p. 136; zur Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen objet und cause Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 72, p. 70 s. 536 Savatier, JCP 1953, II-7601, B b).

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neuen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund.537 Allein Motulsky und Normand lehnten es ausdrücklich ab, die rechtliche Qualifikation in den Begriff der cause einzubeziehen.538 Doch muss bei der Beurteilung der Position Motulskys berücksichtigt werden, dass er die Begrenzung der cause auf den tatsächlichen Sachverhalt ausdrücklich auf die Frage der Reichweite der richterlichen Befugnis zur rechtlichen Überprüfung des Rechtsstreits beschränkte.539 Zur Bestimmung der Grenzen der autorité de la chose jugée wollte sich Motulsky dagegen – wie oben bereits dargestellt – von den Begriffen des objet und der cause lösen und stattdessen auf die Identität der question litigieuse abstellen. Bei der Untersuchung, ob eine neue Klage einen Gegenstand betraf, über den bereits entschieden wurde, bezog er dann aber sowohl die rechtliche als auch die tatsächliche Grundlage der Klage und der vorangegangenen Entscheidung mit ein. 540 Ein derartiges relatives Verständnis der cause, das danach variierte, ob die Reichweite der richterlichen Entscheidungsbefugnis oder die Grenzen der autorité de la chose jugée bestimmt werden sollten, wurde in der Folge häufig vertreten:541 Da der Richter über die von den Parteien beigebrachten Tatsachen entscheiden sollte, ohne in der rechtlichen Überprüfung durch den Rechtsvortrag der Parteien eingeschränkt zu sein, wurde die cause, die der Richter aufgrund des Grundsatzes der immutabilité du litige nach Art. 12 C.p.c. nicht ändern darf, insoweit allein anhand der vorgetragenen Tatsachen definiert. Dagegen wurde bei der Bestimmung des Urteilsgegenstandes zur Begrenzung der autorité de la chose jugée einer bereits ergangenen Entscheidung auch die

537

Vgl. Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français XII, § 769, p. 443 s. Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 236 (n°4) („Ce système […] refuse d’inclure, dans la notion [de la cause] la qualification juridique de ces faits. “); Normand, Le juge et le litige, n° 174, p. 167 („… la qualification donné à ces actes ou à ces faits ne semble pas entrer dans la notion de cause“). 539 Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 236 (n°3); ders., Recueil Dalloz 1968, p. 1 (n° 1) („Il nous est apparu, en particulier, que [la notion de cause] ne pouvait pas avoit la même signification quand il s’agit de délimiter l’office du juge et lorsqu’eil faut circonscrire l’autorité de la chose jugée.“); auch Normand vertrat diesen Definitionsansatz in einem Werk zum Umfang der richterlichen Prüfungsbefugnis (office du juge), Normand, Le juge et le litige, p. 137 ss. 540 Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1 (n° 1) („…lorsqu’on s’interroge sur ‚ce qui a été jugé ‘, on ne peut qu’entendre par là ‚ce qui a été jugé en fait et en droit’.“). 541 Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 123, p. 532; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 71, p. 70; aus der aktuellen Literatur beispielsweise Bolard, La matière du procès et le principe dispositif, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique, ch. 221, n° 221.54; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 535; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fascicule 554, n° 168; a.A. Malaurie, Recueil Dalloz 1956, 517, 521 (B 2 b) (einheitliche Definition notwendig). 538

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rechtliche Qualifikation in die Definition der cause einbezogen.542 Habe der Richter auf den Sachverhalt lediglich eine bestimmte Rechtsregel angewendet, so könne eine derart beschränkte Entscheidung einer auf eine andere Rechtsregel gestützten, späteren Klage nicht entgegenstehen. 543 Letztlich zeigt sich damit zumindest im Rahmen der Grenzen der autorité de al chose jugée insgesamt eine stark rechtliche Prägung des Begriffs der cause. Anders als die französische Literatur hat die französische Rechtsprechung nie den Versuch unternommen, den Begriff der cause einheitlich zu definieren. Statt bei der Beurteilung der Einzelfälle von einer klaren Definition der cause auszugehen, scheint sie sich stärker an Fallgruppen zu orientieren. 544 Die Literatur ist ihr darin mittlerweile gefolgt: Die meisten Lehrbücher stellen die traditionellen Theorien allenfalls knapp dar, um dann unmittelbar zu einer fallgruppenorientierten Darstellung überzugehen. 545 Ausgehend von der Frage, welches im Vergleich zum ersten Verfahren neue oder abweichende Vorbringen geeignet ist, eine neue cause zu begründen, unterteilten Rechtsprechung und Literatur das Vorbringen zunehmend in Kategorien, wobei für diese Kategorisierung häufig auf die sog. moyens zurückgegriffen wurde und wird. Bevor die fallgruppenorientierte Rechtsprechung und Literatur dargestellt wird, soll daher kurz der Begriff des moyen betrachtet werden. bb. Die Bedeutung der „moyens“ für die Definition der „cause“ Der Begriff der cause ist eng verbunden mit dem des moyen, gleichzeitig aber auch von diesem zu unterscheiden: Während die cause die einen prozessualen Anspruch stützende Begründung insgesamt beschreibt, ist unter dem Begriff des moyen das einzelne Vorbringen oder Argument rechtlicher oder tatsächlicher Art, die einzelne Begründungslinie oder Argumentation zu verstehen. 546 Das Verhältnis zwischen der cause und den moyens lässt sich im Einzelnen 542

So Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 123, p. 532; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 71, p. 70. 543 Cornu/Foyer, Procédure civile, n° 123, p. 532; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 71, p. 70 (Fußnote 1). 544 Vgl. die Beurteilung Delaportes (L’étendue de la chose jugée au regard de l’objet et de la cause de la demande, BICC 2004, hors série 2004, Rencontre Université – Cour de Cassation „La procédure civile“): „… je ne pense pas que l’on puisse en proposer une définition abstraite qui rende compte de la jurisprudence. Et il est symptomatique que les arrêts n’en donnent pas de définition.“ 545 Besonders deutlich beispielsweise bei Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 531 ss.; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: JurisClasseur Procédure civile, Fasc. 554, n° 167 ss. 546 Zu den verschiedenen Definitionsansätzen der französischen Literatur sogleich im Folgenden. Vgl. zum Begriff des moyen aus der deutschsprachigen Literatur auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 136 f.; Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 78 f.

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nicht leicht bestimmen, da auch der Begriff des moyen verschwommen ist. Teilweise wird das moyen zur Bezeichnung von Argumenten herangezogen, die zwar der Begründung des Begehrens dienen, sich aber nicht unmittelbar auf den Erfolg des Begehrens auswirken.547 Ein neues moyen bewirkt nach diesem Verständnis keine Veränderung der cause. 548 Stützt sich der Kläger in seiner späteren Klage auf ein neues Vorbringen, so ist hiernach immer zu untersuchen, ob lediglich ein neues moyen vorliegt, das den Streitgegenstand unberührt lässt, oder bereits eine neue cause und damit ein neuer Streitgegenstand. Der Begriff des moyen kann jedoch auch in einem weitergehenden Sinne verstanden werden, nämlich als Argument549 bedeutenderer Art bzw. als ganzer Begründungsansatz.550 Derart verstanden, kann ein neues moyen auch von einer solchen Bedeutung für die Begründung des Begehrens sein, dass es eine Änderung der cause bewirkt. Ein solcher Begriff des moyen findet sich häufig im Hinblick auf moyens de droit, also im Hinblick auf die zur Begründung des Rechtsbegehrens herangezogenen Anspruchsgrundlagen und Rechtsregeln: So wurde beispielsweise von einigen Autoren die Haftung für eigenes Verschulden (résponsabilité pour faute) als ein die cause eines Schadensersatzprozesses definierendes moyen angesehen, während die einzelnen Anspruchsgrundlagen der Verschuldenshaftung lediglich Teilaspekte dieses moyen darstellen sollten.551 Die Eignung eines neuen moyens zur Begründung eines neuen Streitgegenstandes wäre hiernach differenzierend nach der jeweiligen Bedeutung des moyen zu beurteilen.552

547

Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 73, p. 72: „… tandis que la cause serait le fondement direct et immédiat de la prétention, le moyen ne serait que l’instrument de la cause.“ 548 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français XII, § 769, p. 441; Glasson/Morel/Tissier, Traité théorique, n° 774, p. 101; Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 170; Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 73, p. 72. 549 Die Verwendung des Begriffs des „Arguments“ soll nicht auf die in der französischen Zivilprozessrechtslehre häufige Unterscheidung zwischen moyen und simple argument Bezug nehmen. Diese Differenzierung hat hauptsächlich im Rahmen der Kassation Bedeutung, da es einen Kassationsgrund darstellt, wenn das Gericht in seiner Urteilsbegründung nicht auf die von den Parteien geltend gemachten moyens eingegangen ist, während die unterbliebene Auseinandersetzung mit einfachen Argumenten keinen derartigen Fehler darstellt (vgl. ausführlich zu dieser Unterscheidung Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 835, p. 690 s.). Für Fragen der Bestimmung der cause ist der Rückgriff auf diese Differenzierung daher nicht zielführend (so auch Gilli, La cause juridique de la demande en justice, 26 ss.). 550 Martin, JCP 1976, I-2768, n°12. 551 Gilli, La cause juridique de la demande en justice, p. 26, 79 ss. 552 Dass es letztlich um eine Unterscheidung zwischen moyens simple und moyens qui constituent la cause gehe, betont auch Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 279.

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Es wird deutlich, dass der Begriff des moyen letztlich ebenfalls eine bloße Worthülse darstellt, die für die tatsächliche Definition des Streitgegenstandes als Grenze der autorité de la chose jugée keinen wirklichen Mehrwert bietet.553 Wie der Begriff der cause selbst, kann das moyen in weitem und engem Sinne verstanden werden und zudem vom Verständnis der cause abhängig gemacht werden.554 Sofern der Begriff zur Differenzierung zwischen Tatsachen-, Rechts- und Beweisvorbringen herangezogen wird (moyens de fait, moyens de droit, moyens de preuve), kommt ihm insbesondere für die Untersuchung, ob ein bestimmtes – gegenüber dem Erstverfahren abweichendes oder neues – Vorbringen eine Änderung des Streitgegenstandes bewirkt, eine gewisse Relevanz zu. cc. Literatur und Rechtsprechung bis 2006: Differenzierung nach der Art des jeweiligen Vorbringens Traditionell betrachten sowohl die französische Rechtsprechung als auch die Literatur das Problem der cause aus Sicht der späteren Klage und untersuchen dabei, ob das zur Begründung der neuen Klage vorgetragene Vorbringen im Vergleich zum Erstverfahren eine Änderung der cause bewirkt. (1) Neuer Beweisvortrag („nouveau moyen de preuve“) Dabei ist unumstritten, dass ein neues Beweisvorbringen allein bei im Übrigen identischem Tatsachen- und Rechtsvortrag nicht genügt, um eine Änderung der cause und damit die Zulässigkeit der erneuten Klage zu bewirken.555 Der in der Rechtsprechung lange Zeit üblichen Praxis, dem Kläger, dessen Beweisvortrag im ersten Verfahren als unzureichend angesehen wurde, durch eine Klageab-

553 Wiederkehr spricht von einer unmöglichen Unterscheidung (distinction impossible) zwischen cause und moyens (Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 279). 554 Gilli, La cause juridique de la demande en justice, p. 26; vgl. auch Normand, Le juge et le litige, n° 88, p. 82, der diese Unklarheit aber für vorteilhaft hält, weil sie der Rechtsprechung eine flexible Entscheidung im Einzelfall ermögliche. 555 Cass. 2 e civ., 7. Februar 1979, n° 77-15.043, Bull. civ. II, n° 37, p. 28; Cass. com., 20. Februar 1980, n° 78-14.278, Bull. com. n° 87 („la production d’une pièce nouvelle ne modifie pas la cause de la demande“); Cass. com. 29. Januar 1985, n° 83-15.334, Bull. civ. III, n° 309, p. 190 („ne différant de la précédente que par les moyens de preuve invoqués “); Cass. 1re civ., 13. Mai 1997, n° 94-21.674, inédit; Cass. 3e civ., 29. Mai 2002, n° 99-21.649, inédit; Cass. 2 e civ., 28. Juni 2006, n° 04-20140, inédit; Cass. 1 re civ., 23. Juni 2011, n° 1020.110, Bull. civ. I, n° 119 (neues medizinisches Gutachten); Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 539; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 355, p. 290; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 267. Die nachträgliche Entdeckung eines entscheidenden Beweismittels (pièce décisive), das von einer Partei vorsätzlich zurückgehalten wurde, eröffnet jedoch die Möglichkeit der Revision (Art. 595, 2° C.p.c.).

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weisung „en l’état“ die Möglichkeit einer erneuten Klage bei verbesserter Beweissituation offenzuhalten, ist – wie bereits erwähnt –556 mittlerweile von höchstrichterlicher Seite ein Ende gesetzt worden. (2) Tatsachenvorbringen Die Betrachtung der tatsächlichen Grundlagen der cause erfolgte in Frankreich lange Zeit überwiegend unter dem Stichwort des fait nouveau. Als fait nouveau wird eine Tatsache definiert, die nach Erlass der ersten Entscheidung eingetreten ist. 557 Wenn nachträglich eingetretene Ereignisse den zuvor zur Entscheidung gestellten Sachverhalt veränderten, konnte der Kläger hierauf eine erneute Klage mit identischem objet stützen, ohne dass ihm die autorité de la chose jugée der Erstentscheidung entgegengehalten werden konnte. 558 Angesprochen sind hiermit die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft: Die autorité de la chose jugée ist – auch nach der Cesareo-Entscheidung – beschränkt auf den Zeitpunkt der ersten Entscheidung. 559 Diese zeitliche Zäsur zeigt sich zunächst daran, dass der Kläger nach einem klageabweisenden Urteil erneut Klage erheben kann, wenn eine rechtserhebliche Tatsache, deren Fehlen zuvor zur Klageabweisung geführt hatte, nach Erlass der abweisenden Entscheidung eingetreten ist. 560 Die Abweisung bezieht sich daher nur auf die zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Tatsachenlage. Der fait nouveau verändert die cause und bewirkt daher die Zulässigkeit einer später erhobenen Klage. Besondere Bedeutung hat die zeitliche Begrenzung der cause zudem bei Sachverhalten, die in einer Entwicklung begriffen sind. Dort kann die nach der ersten Entscheidung eingetretene Fortentwicklung eine neue cause begründen. 556 Cass. 2 e civ., 4. Juni 2009, n° 08-15.837, Bull. civ. II, n° 138. Ausführlich hierzu siehe oben unter D. II. 4. 557 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 539; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 267. 558 Cass. com., 4. Dezember 2001, n° 99-15.112, inédit („l’autorité de la chose jugée ne peut être opposée lorsque des événements postérieurs sont venus modifier la situation antérieurement reconnue en justice“); Cass. 1re civ., 22. Oktober 2002, n° 00-14.035, Bull. civ. I, n° 234, p. 181. 559 Cour d’appel de Douai, 5 e chambre sociale, 21. April 1983, JCP 1984, IV, p. 320 („L’autorité de la chose jugée ne s’attache qu’à la situation juridique à la date de la décision.“); Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 183; Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 273. 560 Cass. 1re civ., 22. Oktober 2002, n° 00-14.035, Bull. civ. I, n° 234, p. 181 (nachträglich erfolgte wirksame Zustellung der ausländischen Entscheidung als Voraussetzung der Exequatur); Cass. 2 e civ., 21. April 2005, n° 03-10.237, inédit (nachträglich durchgeführter Vergleichsversuch, der vertraglich zwingend als Voraussetzung einer Klage vorgesehen war); Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 550.

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Hatte der Kläger in einem ersten Verfahren einen Schadensersatzanspruch zugesprochen bekommen, so ist eine erneute Schadensersatzklage, die auf demselben schädigenden Ereignis beruht, zulässig, wenn sich der ursprüngliche Schaden, der bereits im ersten Verfahren gegenständlich gewesen war, verschlimmert hat.561 Der Geschädigte kann den der Verschlimmerung entsprechenden Betrag einklagen, da diese als fait nouveau angesehen wird. 562 Die Rechtsprechung trifft hierbei keine Unterscheidung danach, ob die Verschlimmerung im Zeitpunkt des ersten Verfahrens bereits vorhersehbar war. 563 Das Gericht des zweiten Verfahrens ist an die vom Erstgericht getroffene Beurteilung und Bemessung des ursprünglichen Schadens gebunden, darf also lediglich über die Verschlimmerung entscheiden, ohne die Entscheidung über den damals bereits eingetretenen Schaden in Frage zu stellen. 564 Ein sich naturgemäß in Fortentwicklung befindlicher Sachverhalt liegt beispielsweise auch in familienrechtlichen Streitigkeiten um das Sorgerecht oder Umgangs- und Besuchsrechte vor, in denen das Kindeswohl den entscheidenden Faktor darstellt. In diesen Fällen kann die Veränderung der Lebenssituation des älter gewordenen Kindes eine Änderung der cause bewirken.565 Die Theorie des fait nouveau ist aber nicht auf Fälle beschränkt, in denen die nach der Erstentscheidung eingetretene Tatsache sich als spätere Fortentwicklung oder Verwirklichung des ursprünglich geltend gemachten Sachverhalts darstellt. Auch wenn die ursprüngliche Tatsachengrundlage durch einen neuen Tatsachenvortrag ersetzt wird, liegt ein fait nouveau und eine neue cause vor. So steht die Abweisung einer Klage auf Rückgabe der Mietsache mit der 561

Cass. 2 e civ., 9. Dezember 1999, n° 98-10.416, Bull. cv. II, n° 188, p. 129; Cass. 2 e civ., 18. Januar 2006, n° 04-17.810, inédit. 562 Vgl. Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 520 (der aber auch gleichzeitig ein Änderung des objet bejaht). 563 Anders aber wohl noch Glasson/Tissier/Morel, Traité théorique, n° 774, p. 103 (es sei bei jeder Entscheidung zu untersuchen, ob das Gericht eine Prognose auch hinsichtlich zukünftiger Schäden getroffen habe). 564 Cass. 2 e civ., 12 Oktober 2000, n° 98-20.160, Bull. civ. II, n° 141, p. 100 (die angefochtene Entscheidung hatte eine Verschlimmerung des Schadens abgelehnt mit der Begründung, dass der ursprünglich angenommene Grad der Arbeitsunfähigkeit (taux d’incapacité) zu hoch angesetzt worden war, und dass die eingetretene Verschlimmerung nicht bewirke, dass von einem über den im ersten Verfahren festgesetzten Grad hinausgehenden Grad auszugehen sei); Cass. 2 e civ., 11. Juli 1979, n° 78-11.843, Bull. civ. II, n° 214; Cass. 2 e civ., 24. Oktober 1984, n° 83-12.921, Bull. civ. II, n° 158 (das Gericht hatte in der angefochtenen Entscheidung den im Erstverfahren angesetzten Arbeitsunfähigkeitsgrad für zu niedrig befunden und daher dem Kläger nicht nur für die mittlerweile eingetretene Verschlimmerung einen entsprechenden Ersatz zugesprochen, sondern die Entschädigung für den ursprünglich bereits bestehenden Schaden erhöht). 565 Cass. 1 re civ., 18. Dezember 1979, n° 78-15.619, Bull. civ. I, n° 324 (Namensänderung des Kindes); Cass. 2 e civ., 6. Mai 2004, n° 02-13.689, n° 04-17.810, p. 177 (Besuchsrecht der Großmutter hinsichtlich ihrer Enkel).

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Begründung, die erfolgte Kündigung habe das Mietverhältnis nicht wirksam beendet, einer erneuten Klage auf Rückgabe der Mietsache nicht entgegen, die auf eine nach der ersten Entscheidung ausgesprochene, neue Kündigung gestützt wurde. 566 In diesem Fall erscheint es naheliegend, den Grund für die Änderung der cause in der Abweichung des tatsächlichen Sachverhaltes zu sehen, unabhängig davon, wann diese eingetreten ist. Für die Rechtsprechung war aber weniger der Aspekt der deutlichen Abweichung der Tatsachengrundlage als der Zeitpunkt des Eintritts dieser neuen Tatsachen nach Erlass des ersten Urteils ausschlaggebend für die Ablehnung der entgegenstehenden autorité de la chose jugée. Dennoch ist nicht jede noch so unbedeutende Tatsache, die nach der Erstentscheidung eintritt, geeignet, einen die cause ändernden fait nouveau darzustellen. Wenn die Rechtsprechung verlangt, die nachträglich eingetretenen Umstände müssten den zuvor abgeurteilten Sachverhalt verändern,567 oder gar eine bedeutsame Veränderung der Situation voraussetzt, 568 so scheint sie die Annahme eines fait nouveau an eine gewisse rechtliche Bedeutung der jeweiligen Tatsache zu knüpfen. Welcher Maßstab für diese Eignung zur Veränderung des zuvor zur Entscheidung gestellten Sachverhaltes gelten sollte, wird jedoch nicht klar ersichtlich. Entscheidend blieb wohl die Bewertung der nachträglichen Veränderung im konkreten Einzelfall. Dass die Rechtsprechung also gewisse Anforderungen an die Bedeutung der geänderten Tatsachen stellt, darf aber nicht zu der Annahme verleiten, sie verneine die Identität der cause auch dann, wenn sich die Partei auf deutlich abweichende Tatsachen beruft, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens gegeben waren. Bereits vor der Cesareo-Entscheidung begründeten Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung eingetreten waren, für sich genommen noch keine neue cause, selbst wenn sie von den Parteien im ersten Verfahren nicht vorgetragen worden waren und das Gericht daher nicht über sie entschieden hatte.569 Der Vortrag zuvor nicht geltend gemachter, jedoch schon bestehender Tatsachen genügte also nicht, um dem Einwand der entgegenstehenden

566

Cass. soc., 20. Oktober 1965, Bull. soc., n° 663. Cass. 2 e civ., 17. März 1986, n° Bull. civ. II, n° 41, p. 27 („L’autorité de la chose jugée ne peut être opposée lorsque des évènements postérieurs sont venus modifier la situation antérieurement reconnue en justice.“); Cass. 2e civ., 3. Juni 2004, n° 03-14.204, Bull. civ., n° 264, p. 223. 568 Cass. 1re civ., 26. März 1996, n° 94-04.129, inédit („… que la situation des débiteurs soit modifiée de façon significative“); ähnlich auch Cass. 2e civ., 22. Mai 2008, n° 07-12.408, Bull. civ. II, n° 126 („élément significatif“). 569 Cass. 2 e civ., 28. März 2002, n° 00-17.053, inédit (die Berufung der Ehefrau auf angebliche Gewalt und Beschimpfungen des Ehemanns könne gegenüber der Behauptung, der Ehemann habe sie verlassen und autoritäre Verhaltensweisen gezeigt, nur dann als neue cause einer Scheidungsklage wegen Verschuldens gewertet werden, wenn das Gericht fest567

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autorité de la chose jugée zu entgehen. Unklar ist jedoch, ob eine Ausnahme hiervon dann anzunehmen war, wenn die Partei von der jeweiligen, bereits im ersten Verfahren bestehenden Tatsache unverschuldet keine Kenntnis hatte. Vereinzelt finden sich in der Rechtsprechung entsprechende Andeutungen.570 Die Autoren, die eine solche Ausnahme ausdrücklich anerkennen, wollen diese aber auf die Fälle beschränken, in denen am Prozess unbeteiligte Dritte die Kenntnisnahme von der Tatsache verhindert haben. 571 Grundsätzlich kann die Berufung auf bereits im Zeitpunkt des ersten Verfahrens bestehende Tatsachen für sich genommen also nicht die Zulässigkeit einer erneuten Klage begründen. Dennoch konnte vor 2006 nicht angenommen werden, dass hinsichtlich dieser schon im Zeitpunkt der früheren Entscheidung bestehenden Tatsachen eine Tatsachenpräklusion eintrete. Denn die „Alttatsachen“ konnten im Rahmen einer späteren Klage mit identischem objet dann vorgetragen werden, wenn sich die Klage gleichzeitig auf eine andere Rechtsgrundlage stützte und die bereits im ersten Verfahren bestehende Tatsache lediglich der Begründung des Tatbestandes dieser Rechtsgrundlage diente. Als Beispiel kann der im Folgenden noch näher zu beleuchtende Fall einer Nichtigkeitsklage dienen: War der Kläger mit einer ersten Klage, in der er die Nichtigkeit eines Vertrages wegen eines Willensmangels geltend gemacht hatte, abgewiesen worden, konnte er nach der vor 2006 herrschenden Meinung eine spätere Nichtigkeitsklage hinsichtlich desselben Vertrages auf die Nichtigkeit wegen eines Formmangels stützen.572 Die dem Vorbringen der Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Form zugrundeliegenden Tatsachen konnten unabhängig davon geltend gemacht werden, ob sie bereits im Zeitpunkt des ersten Urteils eingetreten waren.573

stelle, dass diese Tatsachen erst nach der Entscheidung im ersten Verfahren eingetreten waren); Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 267 („Il ne suffirait certainement pas de fonder une nouvelle demande sur des faits qui n’auraient pas été dans le précédent débat pour ne pas se heurter á l‘autorité de la chose jugée.“); grds. auch Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 543 ss., der aber für den Fall eine Ausnahme annehmen will, dass die Partei unverschuldet keine Kenntnis von der Tatsache hatte (n° 544). 570 So z.B. die oben zitierte Entscheidung der Cour de Cassation (Cass. 2 e civ., 28. März 2002, n° 00-17.053, inédit), wenn sie es für nötig befindet, zu erwähnen, dass die im zweiten Verfahren vorgetragenen Verhaltensweisen der Klägerin bereits im ersten Verfahren bekannt gewesen sein mussten und sie daher nur dann eine neue Klage rechtfertigen konnten, wenn ihr Eintritt nach Ende des ersten Verfahrens festgestellt werde („… sans constater que les faits, qui ne pouvaient être ignorés de Mme Y … lors de la première instance en divorce, étaient postérieurs à celle-ci, la cour d’appel n’a pas donné de base légale à sa décision.“). 571 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 544. 572 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français XII, § 769, p. 443. 573 Vgl. auch Kössinger, Rechtskraftprobleme, 153.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Eine Änderung des Tatsachenvortrags begründet also nur dann eine neue cause, wenn sie Tatsachen betrifft, die erst nach der Erstentscheidung eingetreten sind. Im Übrigen wurde vor 2006 eine Veränderung der cause durch die Geltendmachung einer neuen Rechtsgrundlage bewirkt, wobei sich die Parteien in diesem Fall auch auf die entsprechenden „Alttatsachen“ berufen konnten. (3) Abweichende rechtliche Begründung („nouveau moyen de droit“) (a) Die Prägung der „cause“ durch die rechtliche Begründung nach der herrschenden Meinung Lange Zeit wurde der rechtlichen Begründung, d.h. der Rechtsgrundlage, auf die die Entscheidung oder Klage gestützt wurde, eine maßgebliche Bedeutung bei der Begrenzung der cause zugebilligt. Die Veränderung der Anspruchsgrundlage oder herangezogenen Rechtsregel, d.h. die Stützung auf ein neues moyen de droit, ermöglichte nach der herrschenden Auffassung die Erhebung einer erneuten Klage, ohne dass dieser die autorité de la chose jugée der ersten Entscheidung entgegenstand.574 Einen bedeutsamen Anwendungsbereich hatte diese Rechtsprechung im Schadensersatzrecht: Jede Anspruchsgrundlage wurde – unabhängig von einer möglicherweise ebenfalls vorliegenden Änderung der zugrundeliegenden Tatsachen – als gesonderte cause angesehen. Der Kläger konnte daher beispielsweise Ersatz für den ihm aus einem bestimmten schädigenden Ereignis entstandenen Schaden zunächst auf Grundlage der vertraglichen Haftung nach Art. 1147 C.c. verlangen, ohne daran gehindert zu sein, die Schadensersatzklage in einem nachfolgenden Verfahren auf eine deliktische Anspruchsgrundlage zu stützen, und umgekehrt.575 Gleiches galt für verschiedene deliktische Anspruchsgrundlagen: So bildeten die Haftung für eigenes Verhalten nach Art. 1382 C.c. und die Haftung für zum Herrschaftsbereich gehörende Personen und Sachen nach Art. 1384, al. 1 C.c. unterschiedliche causes. 576 Der einheitliche Sachverhalt des schädigenden Ereignisses und des eingetretenen Schadens

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Cass. 3e civ., 9. Dezember 1981, n° 80-13.337, Bull. civ. III; n° 210; Cass. 3 e civ., 26. Februar 1974, n° 72-14.823, Bull. civ. III, n° 88, p. 67 (verschiedene Anspruchsgrundlagen einer auf Eigentum gestützten Herausgabeklage), sowie insbesondere die im Folgenden zitierten Entscheidungen. 575 Cass. 1 re civ., 21. Januar 2003, n° 00-15.781, Bull. civ. I, n° 18, p. 13. 576 Cass. 2 e civ., 30. Oktober 1963, Bull. civ. II, n° 686; Cass. 2 e civ., 26. März 1965, n° 58-12.462, Bull. civ. II, n° 321. Ebenso für das Verhältnis zwischen Art. 1382 C.c. bzw. Art. 1384 C.c. und der Haftung des Tiereigentümers Art. 1385 C.c. bzw. des Gebäudeeigentümers nach Art. 1386 C.c.: Cass. civ., 08. Januar 1924, Recueil periodique et critique Dalloz 1924, 1, p. 48; Cass. req., 23. November 1927, Recueil periodique et critique Dalloz 1928, 1, p. 121.

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konnte daher anhand der verschiedenen Anspruchsgrundlagen aufgespalten werden.577 Auch bei Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit eines Rechtsverhältnisses wurde die Veränderung der cause mit dem Wechsel der Rechtsgrundlage deutlich: Verschiedene Nichtigkeitsgründe stellten verschiedene causes dar, mit der Folge, dass sie in verschiedenen Verfahren geltend gemacht werden konnten, ohne sich der Gefahr einer Abweisung wegen entgegenstehender autorité de la chose jugée ausgesetzt zu sehen.578 Umstritten war allerdings, ob jeder einzelne Nichtigkeitsgrund eine neue cause darstellte. 579 In der Literatur wurde teilweise angenommen, es genüge, sich auf einen abweichenden Nichtigkeitsgrund zu berufen, um eine Änderung der cause herbeizuführen, unabhängig davon, welcher Art und Natur der neue Nichtigkeitsgrund sei. 580 Wurde im ersten Verfahren nur über den einen Nichtigkeitsgrund entschieden, so stellte danach ein anderer Nichtigkeitsgrund, der noch nicht zur Entscheidung gestellt worden war und damit nicht zur chose jugée zählte, eine neue cause dar.581 Die Rechtsprechung und überwiegende Literatur unterteilten dagegen die verschiedenen Nichtigkeitsgründe nach der Natur des jeweiligen Mangels in verschiedene Kategorien und sahen jede Kategorie von Mängeln identischer Natur als eigenständige cause an.582 Formfehler, Willensmängel, fehlende Geschäftsfähigkeit, usw. stellten jeweils verschiedene Kategorien dar.583 Die cause wurde

577

In der Literatur (Wiederkehr, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2004, n° 277; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 564 (in seiner Darstellung zur Rechtslage vor 2006)) finden sich jedoch Stimmen, die vor dem Hintergrund des Zwecks der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen annahmen, dass die autorité de la chose jugée auch der auf eine andere Anspruchsgrundlage gestützten Schadensersatzklage entgegenstünde, wenn die Abweisung im ersten Verfahren auf einer auch im zweiten Verfahren maßgeblichen Vorfrage beruhte, insbesondere wenn in der Erstentscheidung der Eintritt eines Schadens verneint wurde. Die Argumentation erscheint stimmig, verstünden die Autoren hierunter eine positive Bindung, die eine Abweisung der zweiten Klage als unbegründet zur Folge hätte. Jedoch nahmen diese Autoren an, dass die Klage vielmehr bereits unzulässig sei, obwohl an sich eine andere cause vorlag. Letztlich betrifft diese Frage aber eher die bereits behandelten Probleme der autorité de la chose jugée der motifs und der unsauberen Trennung zwischen autorité négative und positive (siehe oben und C. I. 2. B. bb. und E. II. b.), so dass hierauf verwiesen wird. 578 Cass. com., 14. März 1972, n° 70-13.510, Bull. civ. IV, n° 88, p. 85. 579 Vgl. auch die Darstellung des früheren Streitstandes bei Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 79 ff. 580 Glasson/Tissier/Morel, Traité théorique, n° 774, p. 102. 581 Glasson/Tissier/Morel, Traité théorique, n° 774, p. 102. 582 Cass. 1re civ., 20. Juli 1964, Bull. civ. I, n° 399; Cass. com., 8. März 1967, Bull. civ. IV, n° 106; Cass. 1re civ., 31. Januar 1978, n° 75-14.714, Bull. civ. I, n° 37, p. 31; Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français, XII, § 769, p. 442 ss.; Planiol/Ripert, Droit civil français VII, n° 1560, p. 1032. 583 Planiol/Ripert, Droit civil français VII, n° 1560, p. 1032.

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allein durch die rechtliche Kategorie bestimmt, während beispielsweise Irrtümer, arglistige Täuschung oder Gewalt lediglich moyens darstellten, die derselben cause, dem Vorliegen eines Willensmangels, zuzurechnen waren.584 Eine auf einen Formfehler gestützte Nichtigkeitsklage war daher beispielsweise als unzulässig abzuweisen, wenn der Kläger im ersten Verfahren bereits einen anderen Formfehler geltend gemacht hatte. 585 Dagegen war die Klage zulässig, wenn im ersten Verfahren über die Nichtigkeit wegen eines Einigungsmangels entschieden worden war. 586 Dieser durch die jeweils angewendete Rechtsgrundlage geprägte Begriff der cause wurde 1994 durch die Assemblée plénière kammerübergreifend bestätigt: Im zugrundeliegenden Fall hatte die Klägerin in einem ersten Verfahren zunächst erfolglos den fehlenden Vertragsschluss und hilfsweise die Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen Irrtums geltend gemacht. Die autorité de la chose jugée der hierzu ergangenen Entscheidung stand jedoch nach Ansicht der Assemblée plénière ihrer späteren Klage auf Feststellung der Nichtigkeit desselben Kaufvertrages wegen simulierten oder nicht ernstlich vereinbarten Preises (défaut de prix réel et sérieux) nicht entgegen.587 Ein Willensmangel stellte daher eine andere cause dar als ein Nichtigkeitsgrund, der die Anforderungen an die gegenseitigen Leistungspflichten betraf. Bis 2006 entsprach es damit der ganz überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, dass die Stützung auf eine neue Rechtsgrundlage, mit der sich das Gericht im ersten Urteil nicht auseinandergesetzt hatte, die Erhebung einer erneuten Klage ermöglichte, ohne dass sich das objet oder der Tatsachenvortrag geändert haben musste. (b) Abweichende Stimmen in Literatur und Rechtsprechung Teilweise wurde diese Ansicht jedoch auch kritisiert. Einige Autoren sahen in der Begrenzung der cause auf die jeweilige Anspruchsgrundlage oder Rechtsregel nicht nur eine fehlerhafte Abgrenzung zwischen cause und bloßem moyen, 588 bemängelt wurde vielmehr auch, dass durch die Eingrenzung der 584

Solus/Perrot, Droit judiciaire privé III, n° 73, p. 73; ebenso am Beispiel der Formfehler Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français, XII, § 769, p. 442, Fußnote 89 (die cause sei die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Form („défaut de forme légale“), während die einzelnen Formmängel dieser zuzurechnen seien). 585 Cass. 1re civ., 31. Januar 1978, n° 75-14.714, Bull. civ. I, n° 37, p. 31; Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français, XII, § 769, p. 442. 586 Aubry/Rau/Bartin, Droit civil français XII, § 769, p. 443. 587 Cass. ass. plén., 3. Juni 1994, n° 92-12.157, Bull. ass. plén., n° 4, p. 7. 588 Mazeaud/Mazeaud/Chabas, Résponsabilité civile, Tome III, n° 2096 ss. (p. 302 ss.), n° 2099 (p. 304) (für den Fall der Schadensersatzansprüche: Cause sei die Rechtsverletzung, nicht die jeweilige Anspruchsgrundlage); Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 6 (n° 19) (erhebliche Unklarheiten bei der Zuordnung der verschiedenen Nichtigkeitsgründe zu Nichtigkeitskategorien und causes).

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cause anhand der jeweils angewendeten Anspruchsgrundlagen die abschließende rechtliche Beurteilung eines Rechtsbegehrens über mehrere Verfahren erstreckt wurde, wenn sich die Parteien jeweils nur auf einzelne Rechtsregeln stützten.589 Habe ein Richter es in einem ersten Verfahren unterlassen, eine bestimmte Rechtsregel anzuwenden, so liege möglicherweise ein fehlerhaftes Urteil vor, an der autorité de la chose jugée könne dies jedoch nichts ändern, da anerkanntermaßen auch fehlerhafte Urteile der autorité de la chose jugée fähig seien. 590 Zudem könne auch von den Parteien erwartet werden, dass sie ihr Rechtsvorbringen auf ein Verfahren konzentrierten. 591 Innerhalb der Rechtsprechung der Cour de Cassation finden sich dagegen nur wenige Entscheidungen, die von der herrschenden Rechtsprechungslinie abwichen.592 Dabei ist zudem nicht immer eindeutig ersichtlich, ob die Entscheidungen tatsächlich von einem anderen Verständnis der cause geprägt waren.593 (c) Die Begrenzung der cause durch das Rechtsvorbringen im Rahmen der „autorité de la chose jugée“ und die Befugnis des Gerichts zur rechtlichen Überprüfung des Sachverhalts Wie soeben dargestellt, wurde die Begrenzung der cause durch die jeweilige Anspruchsgrundlage unter anderem deshalb kritisiert, weil sie bewirkte, dass die abschließende rechtliche Beurteilung eines Rechtsbegehrens auf verschiedene Verfahren verteilt wurde: Die Parteien konnten sich auf jeweils nur einzelne Rechtsgrundlagen stützen, ohne dabei die Möglichkeit zu verlieren, das Rechtsbegehren später auf Grundlage einer anderen Rechtsgrundlage erneut geltend zu machen. Eine gewisse Grenze war einer solchen Aufspaltung in verschiedene Verfahren aber dadurch gesetzt, dass der Richter auch nach französischem Recht nicht an das Rechtsvorbringen der Parteien gebunden ist. Zwar 589

Delaporte, L’étendue de la chose jugée au regard de l’objet et de la cause de la demande, BICC 2004, hors série, Rencontre Université – Cour de Cassation „La procédure civile”, a.E.; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 3 (n° 10) („procès en cascade“). 590 Delaporte, L’étendue de la chose jugée au regard de l’objet et de la cause de la demande, BICC 2004, hors série, Rencontre Université – Cour de Cassation „La procédure civile”, a.E. 591 Delaporte, L’étendue de la chose jugée au regard de l’objet et de la cause de la demande, BICC – Hors série 2004, Rencontre Université – Cour de Cassation „La procédure civile”, p. a.E. 592 Cass. 1re civ., 28. März 1995, n° 93-16.520, Bull. civ. I, n° 139, p. 99; Cass. 2 e civ., 4. März 2004, n° 02-12.141, Bull. civ. II, n° 84, p. 74. 593 Die Entscheidungen beruhen möglicherweise auf der Annahme einer im Rahmen der ersten Entscheidung ergangenen décision implicite über die Frage der Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses. Sie werden dennoch als vom damaligen herrschenden Verständnis der cause abweichend zitiert (vgl. Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 556; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1096 (p. 770, Fußnote 3)).

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wurde vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile teilweise auch im Hinblick auf die Befugnis des Richters zur rechtlichen Prüfung des Sachverhalts ein rechtlich geprägter Begriff der cause verwendet, bei dem die von den Parteien herangezogene Rechtsregel den Gegenstand der richterlichen Entscheidungsbefugnis beschränken sollte. 594 Eingang in den Nouveau Code de procédure civile fand dagegen die bedeutsame Gegenauffassung, wonach zur Eingrenzung der Entscheidungsbefugnis des Richters ein Begriff der cause anzuwenden war, der sich allein auf die Tatsachengrundlage bezog. 595 Art. 12 al. 1, 2 C.p.c. sieht entsprechend vor, dass das Gericht den Rechtsstreit nach den anwendbaren Regeln entscheidet und die Tatsachen rechtlich qualifiziert, ohne an die rechtliche Beurteilung der Parteien gebunden zu sein.596 Stützt sich die Partei also auf eine bestimmte Rechtsgrundlage, ergibt sich die begehrte Rechtsfolge aber nach Ansicht des Gerichts nicht aus dieser, so ist der Richter – mit Ausnahme des Falls einer abweichenden ausdrücklichen Parteivereinbarung597 – befugt, auch andere Rechtsgrundlagen heranzuziehen.598 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass trotz dieser Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis im französischen Recht lange Zeit hoch umstritten war, ob der Richter für den Fall, dass die Partei sich auf eine bestimmte Rechtsgrundlage gestützt hatte, zur Prüfung anderer Rechtsregeln als der von der Partei herangezogenen auch von Amts wegen verpflichtet war. Dabei herrscht grundsätzliche Einigkeit, dass eine Pflicht nur bestehen kann, wenn das Gericht bei der Prüfung der vom Rechtsvorbringen der Parteien abweichenden Rechtsregel nicht auf andere als die auf Grundlage der Artikel 7 594

So beispielsweise Esmein, JCP 1961, II-11.980. Zur ausführlichen Darstellung der Diskussion um den Begriff der cause, siehe oben F. II. 3. b. cc. (3). 595 Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 236 (n°4); Normand, Le juge et le litige, n° 174, p. 167. 596 Art. 12, al. 1, 2 C.p.c.: „Le juge tranche le litige conformément aux règles de droit qui lui sont applicables. Il doit donner ou restituer leur exacte qualification aux faits et actes litigieux sans s’arrêter à la dénomination que les parties en auraient proposée. “ 597 Die gerichtliche Befugnis zur umfassenden rechtlichen Überprüfung entfällt nur in dem Ausnahmefall, dass die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass der Prozess auf bestimmte Rechtsregeln beschränkt werden solle, und nur soweit die Parteien über disponible Rechtsgüter streiten (Art. 12, al. 3 C.p.c.). Die Anforderungen an eine derartige Vereinbarung sind jedoch hoch, eine bloße Übereinstimmung in den Schriftsätzen der beiden Parteien genügt nicht (Cass. 3 e civ., 10. Oktober 1979, n° 77-15.373, Bull. civ. III, n° 175; Cass. 1re civ., 27. Oktober 1992, n° 91-10.054, Bull. civ. I, n° 261, p. 171; Cass. 2 e civ., 14. September 2006, n° 05-10.086, Bull. civ. II, n° 217, p. 207). 598 So hat die Rechtsprechung beispielsweise angenommen, das Gericht könne statt der geltend gemachten deliktischen Haftung die vertragliche Haftung zur Anwendung bringen (Cass. 1re civ., 19. März 1985, n° 83-14.949, Bull. civ. I, n° 96, p. 89) und statt der geltend gemachten Haftung für das Verhalten Dritter nach Art. 1384, al. 1 C.p.c., den Anspruch auf Grundlage der Haftung des Gebäudeeigentümers nach Art. 1386 C.p.c. bejahen (Cass. 2 e civ., 26. April 1984, n° 82-16.936, Bull. civ. II, n° 71).

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und 8 C.p.c. in den Prozess eingebrachten Tatsachen zurückgreifen muss. 599 Die überwiegende Literatur 600 differenziert dabei weitergehend danach, ob die jeweilige Tatsache von den Parteien in den conclusions vorgetragen worden war, um damit das Vorliegen einer unmittelbaren Voraussetzung der ausdrücklich geltend gemachten Rechtsregel zu begründen (faits spécialement invoqués par les parties). In diesem Fall wurde eine Pflicht des Gerichts zur Subsumtion der vorgetragenen Tatsachen auch unter andere Rechtsregeln bejaht. War zur Anwendung einer anderen Rechtsregel dagegen der Rückgriff auf Tatsachen notwendig, die die Parteien lediglich als erläuternde Zusatztatsachen ohne unmittelbare rechtliche Auswirkung auf die herangezogene Rechtsregel vorgetragen hatten (faits adventices601 im Sinne des Art. 7, al. 2 C.p.c.), oder auf Tatsachen, die das Gericht der Akte entnommen hatte, 602 so sollte eine Anwendung dieser Rechtsregel nicht zwingend sein. 603 Auch in der Rechtsprechung finden sich Andeutungen einer solchen Differenzierung.604 599

Pflicht nur bei einem moyen du pur droit im Gegensatz zu einem moyen mélangé de fait et de droit: Cass. 2 e civ., 14. Februar 1985, n° 83-12.062, Bull. civ. II, n° 38, p. 27; Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 547, p. 409 ss., 412; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 531 (p. 431); ebenso bereits vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 238 s. (n° 12 b). 600 Bolard, JCP 1997, II-22945 (p. 494, 496); Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 547, p. 409; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 283, p. 230 s.; Normand, Festschrift Kerameus, 2009, S. 941, 951 (n° 17); schon vor Einführung des Nouveau Code de procédure civile ebenso Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 242 (n° 23). Eine Ausnahme gelte bei moyens de droit d’ordre public oder bei spezialgesetzlicher Anordnung der verpflichtenden Überprüfung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten (d.h. dann Pflicht zur Prüfung auch bei Rückgriff auf faits adventices) (Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 547, p. 410 s.; Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 245 (n° 34 b)). Differenzierend für die faits adventices: Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 531 (p. 431) (Pflicht, wenn das Gericht die faits adventices spontan auf Grundlage der Art. 7, al. 2, Art. 8 C.p.c. festgestellt habe), anderenfalls keine Pflicht). Für eine Pflicht unabhängig von der Frage, ob es sich um ein fait spécialement invoqué oder adventice handelt: Martin, Recueil Dalloz 1994 – Chronique, p. 308, 309 (n° 8), 310 (n° 12). 601 Der Begriff der „faits adventices“ wurde geprägt von Motulsky, vgl. Motulsky, Recueil Dalloz 1964 – Chronique, p. 235, 238 (n° 12). 602 Zur Unterscheidung der verschiedenen Tatsachen, vgl. Bolard, La matière du procès, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 221, n° 221.61 ss. 603 Hiermit stimmt letztlich der Ansatz überein, der eine Pflicht zur Prüfung von moyen de pur droit bejaht, bei denen keine Erhebung von anderen Tatsachen als den sich aus dem ausdrücklichen Vortrag der Parteien ergebenden erfordlich ist, dagegen bei moyens mélangés de fait et de droit, bei denen das Gericht auch sonstige Tatsachen berücksichtigen müsste, lediglich eine Befugnis annimmt (so beispielsweise Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 531; für diese Lösung auch Bléry/Raschel, Procédures 2012, n° 3, Dossier, p. 12, 14 (n° 9)). 604 Cass. 1re civ., 16. Februar 1988, n° 86-14.858, Bull. civ. I, n° 38, p. 26 („le devoir de requalifier les faits, imposé au juge par l’article 12, alinéa 2, du nouveau Code de procédure

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

In der Regel begründet die Rechtsprechung ihre Haltung aber, ohne ausdrücklich darauf abzustellen, ob die Anwendung einer anderen Rechtsgrundlage den Rückgriff auf faits adventices erfordert hätte. Vielmehr beschränken sich die Kammern der Cour de Cassation darauf, ihre jeweilige Entscheidung unmittelbar aus Art. 12 C.p.c. herzuleiten. Hierbei kamen sie jedoch lange Zeit zu uneinheitlichen Ergebnissen. So bejahte die Cour de Cassation, insbesondere deren erste Zivilkammer, in zahlreichen Entscheidungen eine Pflicht des Gerichts, sämtliche anwendbaren Rechtsregeln, zu deren Prüfung der Tatsachenvortrag der Parteien Anlass gab, von Amts wegen zu prüfen und anzuwenden – auch dann, wenn die Parteien im Verfahren ausdrücklich nur bestimmte Rechtsgrundlagen geltend gemacht hatten.605 In der wohl überwiegenden Zahl der Entscheidungen nahm die Cour de Cassation jedoch an, dass Art. 12 C.p.c. für den Fall, dass die Parteien sich ausdrücklich auf eine bestimmte Rechtsnorm oder -regel gestützt hatten, keine Verpflichtung des Gerichts beinhalte, die Klage auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen und die Rechtsgrundlage zu ändern.606 Die Entscheidung des Gerichts, das angesichts eines auf bestimmte Rechtsregeln beschränkten Rechtsvorbringens der Parteien auf eine Prüfung weiterer Rechtsregeln verzichtet, ist nach dieser Ansicht rechtsfehlerfrei und kann nicht im Wege der Kassation auf Grund eines défaut de base légale angefochten werden. Zwar lassen sich einige dieser Entscheidungen möglicherweise darauf zurückführen, dass die Anwendung der jeweiligen Rechtsregel die Heranziehung von faits adventices vorausgesetzt

civile, ne concerne que les faits qui ont été invoqués par une partie au soutien de ses prétentions“); Cass. soc., 25. Oktober 1990, n° 87-40.703, Bull. civ. V, n° 502, p. 304. 605 Cass. 1re civ., 13. Dezember 1989, n° 87-14.360, Bull. civ. I, n° 393, p. 264; Cass. 1 r e civ., 16. April 1991, n° 88-18.530, Bull. civ. I, n° 144, p. 95; Cass. 1 re civ., 16. Juni 1993, n° 91-18.924, Bull. civ. I, n° 224, p. 155; Cass. 1 re civ., 12. Juli 2001, n° 99-16.687, Bull. civ. I, n° 225, p. 141; Cass. 1 re civ., 20. Januar 2004, n° 01-13.824, inédit; Cass. 1 re civ., 16. März 2004, n° 01-00.186, inédit; Cass. 1 re civ., 25. Januar 2005, n° 02-12.072, Bull. civ. I, n° 52, p. 42; Cass. 2e civ., 24. Januar 2006, n° 04-11.903, Bull. civ. II, n° 36, p. 36; Cass. 1 r e civ., 28. März 2006, n° 04-13.967, Bull. civ. I, n° 182, p. 158. 606 Cass. 2 e civ., 30. Januar 1985, n° 83-16.229, Bull. civ. II, n° 23, p. 15; Cass. 2 e civ., 8. Juni 1995, n° 92-21.549, Bull. civ. II, n° 168, p. 97; Cass. com., 14. November 1995, n° 93-19.140, inédit; Cass. 3 e civ., 3. April 1997, n° 95-15.637, Bull. civ. III, n° 75, p. 51; Cass. 2e civ., 11. Juni 1998, n° 95-17.710, Bull. civ. II, n° 181, p. 107; Cass. 1 re civ., 19. Januar 1999, n° 97-10.883, inédit; Cass. 2 e civ., 9. November 2000, n° 99-10.138, inédit; Cass. 3 e civ., 29. Oktober 2003, n° 01-12.482, Bull. civ. III, n° 183, p. 162; Cass. 2 e civ., 29. April 2004, n° 01-17.321, inédit; Cass. 3 e civ., 1. Juni 2005, n° 04-12.824, Bull. civ. III, n° 118, p.109; Cass. 1re civ., 21. Februar 2006, n° 03-12.004, Bull. civ. I, n° 86, p. 81; Cass. 3 e civ., 8. November 2006, n° 05-17.379, Bull. civ. III, n° 217, p. 181.

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hätte und eine Verpflichtung aus diesem Grund verneint wurde. 607 Dem Text dieser Entscheidungen kann eine solche Begründung jedoch nicht entnommen werden.608 Zudem finden sich Entscheidungen, in denen eine Pflicht ausdrücklich auch dann verneint wurde, wenn hierzu gerade die von den Parteien zur Stützung ihrer Anträge geltend gemachten Tatsachen heranzuziehen waren. 609 Auch die jüngste, im Folgenden noch darzustellende Rechtsprechung der Cour de Cassation610 bestätigt diese Linie, nimmt aber eine weitergehende Differenzierung vor.611 Zwar ist das Gericht damit nicht an das Rechtsvorbringen der Parteien gebunden, jedoch ermöglicht die Rechtsprechung es den Gerichten, auf eine über die von den Parteien geltend gemachten Rechtsnormen und -regeln hinausgehende rechtliche Prüfung zu verzichten. Im Zusammenspiel mit dem rechtlich geprägten Verständnis der cause im Rahmen der autorité de la chose jugée beförderte dies nach alter Rechtslage, dass eine umfassende und abschließende rechtliche Beurteilung eines einheitlichen Begehrens und Sachverhalts in vielen Fällen nicht in einem Verfahren erfolgte, sondern sich über mehrere Prozesse erstreckte. 612 c. Zusammenfassung der Rechtslage vor 2006 Bis zur Entscheidung der Assemblée plénière 2006 war der Begriff der cause rechtlich geprägt, die Heranziehung einer anderen Anspruchsgrundlage führte gleichzeitig zu einer Änderung der cause und ermöglichte die erneute Geltendmachung des Begehrens. Da dieses Verständnis der cause die objektiven Grenzen der autorité de la chose jugée bereits sehr eng zog, kam dem objet als 607

Die Entscheidungen, die eine Pflicht zur Prüfung anderer als der geltend gemachten Rechtsregeln verneinen, glauben Guinchard/Chainais/Ferrand darauf zurückführen zu können, dass in diesen Fällen die Prüfung der jeweiligen Rechtregel die Heranziehung von faits adventices vorausgesetzt hätte (Procédure civile, n° 531, p. 431). 608 Hierauf weist auch Normand hin: Normand, Festschrift Kerameus, 2009, S. 941, 953 (n° 20). 609 Cass. com., 14. November 1995, n° 93-19.140, inédit („… qu’il ne peut être reproché à la cour d’appel, saisie d’une prétention fondée sur la garantie des voces cachés, prévue par les articles 1641 et 1648 Code civil, seules règles auxquelles se soient référées les conclusions du demandeur, de n’avoir pas examiné d’office les faits invoqués pour déterminer s’ils constituaient un manquement du vendeur à son obligation de délivrance d’une chose conforme à la commande“) (Hervorhebung eingefügt). 610 Vgl. nur die Enscheidung der Assemblée plénière Cass. ass. plén., 21. Dezember 2007, n° 06-11.343, Bull. ass. plén., n° 10; ausführlich zum Verhältnis dieser Entscheidung zur Cesareo-Rechtsprechung, siehe unten F. II. 4. c. bb. 611 Hierzu ausführlich unten F. II. 4. c. bb. (1). 612 Der Vorschlag Schillings, eine solche Aufspaltung in verschiedene Verfahren durch Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses zu verhindern (Schilling, Die „principes directeurs“, S. 254), entspricht nicht der Linie der französischen Rechtsprechung.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

begrenzendes Element eine geringe Bedeutung zu. Verbunden mit dem Verständnis der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien im Hinblick auf die rechtliche Überprüfung des Sachverhaltes, welches es dem Richter ermöglichte, bei auf konkrete Rechtsgrundlagen gestützten Parteivortrag auf eine Überprüfung unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu verzichten, ermöglichte dies eine Aufspaltung einheitlicher Lebenssachverhalte. 4. Neubestimmung der Grenzen der „autorité de la chose jugée“ durch die Cesareo-Entscheidung 2006: Das Prinzip der Konzentration der „moyens“ Hatte die Assemblée plénière noch im Jahre 1994 das herrschende Verständnis der cause gestützt, so vollzog sie mit der Entscheidung Cesareo 613 nur zwölf Jahre später eine radikale Abkehr von dieser Position. a. Die Entscheidung Cesareo und ihr Hintergrund Die Assemblée plénière war angerufen worden, weil der zugrunde liegende Fall eine Entscheidung über die Frage der Begrenzung der cause durch die angewendete Rechtsregel verlangte, deren bisherige Lösung zuvor durch eine Entscheidung der zweiten Zivilkammer vom 4. März 2004 614 in Frage gestellt worden war. In der Entscheidung von 2004 hatte die Cour de Cassation angenommen, dass die Abweisung der Klage eines Darlehensgläubigers auf Rückzahlung einer Darlehenssumme seiner späteren Klage auf Rückzahlung derselben Summe entgegenstand, auch wenn diese nun auf verschiedene andere Rechtsgrundlagen 615 gestützt wurde. Die einzelnen Anspruchsgrundlagen stellten nach Ansicht der zweiten Zivilkammer lediglich neue moyens dar. Der Entscheidung in der Rechtssache Cesareo lag nun folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger Gilbert Cesareo hatte eine Entschädigung für die unentgeltliche Mitarbeit im elterlichen Betrieb in einem ersten Verfahren auf Grundlage eines vertraglichen Anspruchs verlangt. Nach Abweisung der Klage stütze er seinen Anspruch in einer erneuten Klage auf eine bereicherungsrechtliche Rechtsgrundlage. Nach der bis dahin herrschenden Rechtsprechung wäre die zweite Klage eindeutig zulässig gewesen. Die Assemblée plénière sah dies nun anders: Den Kläger treffe die Obliegenheit, sämtliche moyens, auf die er seinen Anspruch stützen konnte, in einem Verfahren zu konzentrieren. Seine spätere, auf einen bereicherungsrechtlichen Anspruch gestützte Klage war nach Ansicht der Assemblée plénière als unzulässig abzuweisen.

613

Cass. ass. plén., 7. Juli 2006, n° 04-10.672, Bull. ass. plén. n° 8, p. 21. Cass. 2 e civ., 4. März 2004, n° 02-12.141, Bull. civ. II, n° 84, p. 74. 615 U.a. aus dem Auftragsrecht, dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag, der Bürgenhaftung sowie der ungerechtfertigten Bereicherung. 614

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aa. Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die Rechtskraftlehre Dem stark verkürzten Stil der Urteilsredaktion in Frankreich entsprechend beschränkt sich die Urteilsbegründung auch in der Cesareo-Entscheidung auf wenige Sätze. Eine klare Aussage dazu, wie die Assemblée plénière die Abweichung von der bisherigen Lösung dogmatisch begründet, findet sich in der Entscheidung nicht. Schlüsse auf den dogmatischen Gehalt der Entscheidung lassen sich aber aus zwei Sätzen der Urteilsgründe ziehen: Die Assemblée plénière legt zum einen den Grundsatz fest, dass es dem Kläger obliege, bereits im Verfahren über die erste Klage die Gesamtheit der moyens geltend zu machen, die er zur Begründung seiner Klage für geeignet hält.616 Im Anschluss folgert sie hieraus, dass es dem Kläger nicht gestattet werden könne, die Identität der cause der beiden Klagen unter Berufung auf eine rechtliche Begründung zu bestreiten, deren Geltendmachung zu gegebener Zeit er unterlassen habe, weshalb der neuerlichen Klage die zuvor entschiedene Sache entgegenstehe. 617 Das Ergebnis des letztgenannten Satzes, wonach die autorité de la chose jugée der späteren Klage auch dann entgegensteht, wenn die Klage auf eine andere Anspruchsgrundlage oder Rechtsregel gestützt wird, hat einige Autoren dazu veranlasst zu erwägen, ob darin eine gänzliche Aufgabe der cause als Grenze der autorité de la chose jugée zu sehen sei 618 bzw. ob die cause nunmehr in der Grenze des objet aufgehe. 619 Anlass hierfür gab allerdings weniger der Text der Entscheidung selbst als der im Bulletin d’information de la Cour de Cassation mit der Entscheidung veröffentlichte Bericht des berichterstattenden Richters (conseiller rapporteur) Charruault. 620 Darin hatte dieser von einer Angleichung von cause und objet gesprochen, die sich aus der Annahme ergebe, dass ein neues moyen de droit nicht mehr geeignet sei, eine Änderung der cause zu bewirken.621 Das objet habe daher Vorrang vor der cause („préeminence de l’objet sur la cause“). 622 Jedoch kann hieraus nicht auf ein 616

Cass. ass. plén., 7. Juli 2006, n° 04-10.672, Bull. ass. plén. n° 8, p. 21: „… il incombe au demandeur de présenter dès l’instance relative à la première demande l’ensemble des moyens qu’il estime de nature à fonder celle-ci“. 617 Cass. ass. plén., 7. Juli 2006, n° 04-10.672, Bull. ass. plén. n° 8, p. 21: “… la cour d’appel a exactement déduit que Gilbert Y… ne pouvait être admis à contester l’identité de cause des deux demandes en invoquant un fondement juridique qu’il s’était abstenu de soulever en temps utile, de sorte que la demande se heurtait à la chose précédemment jugée relativement à la même contestation“. 618 Dies als Erklärungsansatz in Erwägung ziehend, im Ergebnis aber ablehnend Wiederkehr, JCP 2007, II-10070, p. 33, 34. 619 So Weiller, Recueil Dalloz 2006, Jurisprudence, p. 2135, 2137 („absorption de la cause par l’objet“). 620 Charruault, Rapport, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, Jurisprudence – Cour de cassation – Arrêt publié intégralement. 621 Charruault, Rapport, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, I B 1). 622 Charruault, Rapport, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, I B 2).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Aufgehen der cause im objet oder einen gänzlichen Verzicht auf die Grenze der cause geschlossen werden,623 da die Cour de Cassation ausdrücklich auf das Erfordernis der identité de la cause Bezug nimmt. Die Aussage, die cause gehe im objet auf oder sei dem objet untergeordnet, bezieht sich dabei wohl auf das alte, rechtlich geprägte Verständnis des Begriffs der cause, welches durch die moyens de droit begrenzt wurde. Die Cour de Cassation verlangt in der Cesareo-Entscheidung, dass sämtliche denkbaren Anspruchsgrundlagen, auf die das jeweilige Begehren und damit das objet gestützt werden können, in einem Verfahren geltend zu machen sind. Werden damit von der autorité de la chose jugée sämtliche moyens de droit erfasst, die zur Stützung dieses Begehrens herangezogen werden können, lässt sich die Aussage nachvollziehen, die cause, wie sie bislang verstanden wurde, sei dem objet untergeordnet oder gehe in diesem auf. 624 Die Cour de Cassation nimmt ausdrücklich weiter Bezug auf die Grenze der cause, weshalb auch die Erklärungsansätze abzulehnen sind, die die Entscheidung Cesareo dahingehend verstehen wollen, die Cour de Cassation habe sich von der Bestimmung der Reichweite der autorité de la chose jugée anhand der triple identité gänzlich lösen und sich dem Streitgegenstandsbegriff Motulskys im Sinne der question litigieuse annähern wollen.625 Die Cour de Cassation hält also an der cause als objektiver Grenze der Rechtskraft fest und verneint nunmehr lediglich deren Prägung durch das Rechtsvorbringen der Parteien. Wie der berichterstattende Richter Charruault erklärt, spiegelt sich in der Entscheidung Cesareo und ihrer Vorgängerentscheidung von 2004 ein neues weites Verständnis der cause wider, das nicht mehr durch das Rechtsvorbringen begrenzt werde. 626 Die cause beschreibt nun vielmehr die Gesamtheit der Tatsachen, auf die der begehrte Rechtsfolgenausspruch gestützt wird.627

623 So auch Moussa, La délimitation de la chose jugée au regard de la matière litigieuse, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 23, 27 s. 624 Die Aussage, die cause gehe im objet auf, lehnt auch Posez ab, da ein solches Verständnis über den eigentlichen Aussagegehalt einer Ausweitung des Begriffs der cause hinausgehe, Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 290 s. (n° 31) („manifestement excessif“). 625 So aber Weiller, Recueil Dalloz 2006, Jurisprudence, p. 2135, 2138. 626 Charruault, Rapport, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, I B 2), II („la conception dite large de la cause“). 627 Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 574; Cadiet, JCP 2007, I-200, n° 22 (p. 26); Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.113; Fricéro, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 203 (n° 9 s.); Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 386; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1096 (p. 769); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 353, p. 289; Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 345 (n° 17); Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 291 (n° 29 ss.).

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Mit der Cesareo-Entscheidung verbunden ist neben der Einführung eines neuen cause-Verständnisses aber gleichzeitig die Aufgabe des in der französischen Rechtskraftdogmatik lange Zeit hochgehaltenen Grundsatzes, dass die autorité de la chose jugée nur die „entschiedene Sache“ im engen Wortsinn erfasse, also dasjenige, worüber im Verfahren tatsächlich diskutiert worden war und worüber das Gericht in seinem Urteil tatsächlich entschieden hatte. 628 Zwar war dieser Grundsatz schon stark relativiert worden durch die weit verbreitete Anerkennung der décisions implicites und die Annahme, dass die Geltendmachung neuer, aber bereits im Zeitpunkt des ersten Verfahren eingetretener Tatsachen für sich genommen nicht zur Begründung einer neuen cause genüge. Im Hinblick auf die Geltendmachung neuer Anspruchsgrundlagen und Rechtsregeln konnte der Grundsatz aber immer noch weitestgehende Geltung beanspruchen. Da es dem Kläger nun aber obliegt, schon im Verfahren über seine erste Klage sämtliche moyens geltend zu machen, die zur Begründung der Klage in Betracht kommen, ist ihm die Berufung auf eine Anspruchsgrundlage, die er im ersten Verfahren hätte heranziehen können, nach der CesareoEntscheidung auch dann durch die autorité de la chose jugée verwehrt, wenn sich das Gericht im ersten Verfahren zu dieser Anspruchsgrundlage tatsächlich nie geäußert hat.629 Nach der bisherigen konnte auch im Hinblick auf Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt des ersten Verfahrens existierten und bekannt waren, nicht von einer Präklusion gesprochen werden, da die Berufung auf diese in einer erneuten Klage mit identischem objet dann möglich war, wenn sie zur Begründung der Voraussetzungen einer neuen Anspruchsgrundlage herangezogen wurden. Nach der Cesareo-Rechtsprechung ist der Kläger dagegen nunmehr tatsächlich mit dem entsprechenden Tatsachen- und Rechtsvorbringen präkludiert. Durch die Anerkennung einer solchen Präklusion, aber auch durch die Formulierung, es obliege dem Kläger, sämtliche moyens im ersten Verfahren geltend zu machen, ähnelt die Cesareo-Entscheidung dem Ansatz Motulskys mit seiner „charge de concentrer la matière litigieuse“. Auch die der Entscheidung zugrunde liegende Zielsetzung, die Verzögerung der endgültigen Streitbeendigung durch Aufspaltung des Verfahrens anhand verschiedener moyens de droit zu verhindern, entspricht dem Anliegen, das bei Motulsky Konzept einer forclusion substantielle leitend war. Dennoch kann von einer Übernahme seines Ansatzes durch die Cour de Cassation nicht gesprochen werden. 630 Motulsky sah die aus der Konzentrationslast entspringende forclusion als Sank-

628

Vgl. hierzu bereits oben E. II. Kritisch zu dieser „autorité de la chose non jugée“: Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 354, p. 290; Wiederkehr, JCP 2007, II-10070, p. 33, 35. 630 So auch Deshayes, Procédures 2012, n° 3, Dossier, p. 33, 35 (n° 10); Ferrand, Procédures 2012, n° 3, Dossier, p. 36, 47 (n° 34). 629

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

tion für eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Nichtbeachtung der Konzentrationslast an. Die Anwendung dieser Sanktion sollte nach seiner Konzeption im Ermessen des Gerichtes stehen und von einer Feststellung der Verzögerungsabsicht oder groben Fahrlässigkeit im Einzelfall abhängen.631 Nach der Cesareo-Entscheidung tritt die Präklusion dagegen unabhängig von einem Verschulden oder einer missbräuchlichen Intention der Partei ein.632 Obwohl mit Motulskys forclusion eine gewisse Übereinstimmung besteht, hat sich in der Auseinandersetzung mit der Cesareo-Entscheidung die Verwendung des Begriffs der Präklusion oder forclusion nicht durchgesetzt. Zwar erwähnen einige Autoren den Begriff einer forclusion im Zusammenhang mit der Entscheidung vom 7. Juli 2006, 633 überwiegend wird jedoch vom Prinzip der Konzentration der moyens gesprochen.634 bb. Der rechtspolitische Hintergrund der Entscheidung Cesareo Die Umdeutung der cause als Grenze der autorité de la chose jugée und die Einführung des Prinzips der Konzentration der moyens mag auf den ersten Blick radikal erscheinen, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die vorherige Rechtsprechungslinie noch 1994 von der Assemblée plénière bestätigt worden war. Die Rechtsprechungsänderung kam jedoch nicht von ungefähr, sondern kann als Ausdruck einer in den Neunzigerjahren beginnenden Entwicklung verstanden werden. (1) Die Reformkommissionen Coulon und Magendie Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Belastung der Gerichte und einer Erhöhung der Verfahrensdauer waren die Beschleunigung des Zivilverfahrens 631

Motulsky, Recueil Dalloz 1968, p. 1, 12 s. (n° 43 s.). Hierin ein zentrales Argument gegen die Annahme, die Cesraeo-Rechtsprechung greife den Ansatz Motulskys auf, sehend auch Deshayes, Procédures 2012, n° 3, Dossier, p. 33, 35 (n° 10). 633 Dass in der neuen Rechtsprechung die Anerkennung eines Systems der forclusion gesehen werden könnte, erwägen Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 571; Mayer, Mélanges Héron 2009, 331, 342 (n° 13); Weiller, Recueil Dalloz 2006, Jurisprudence, p. 2135, 2137. Von forclusion im ZUsammenhang mit der Cesareo-Rechtsprechung spricht auch Jeuland, Rapport introductif, in: Cadiet/Loriferne (dir.), L’autorité de la chose jugée, p. 15, 17. 634 „Le principe de concentration des moyens”: Amrani-Mekki, JCP 2006 I-183, n° 15, p. 2000; Bléry, Mélanges Héron 2009, p. 111 (n° 1); Cadiet, JCP 2007, I-200, n° 22 (p. 26); Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 739, p. 543; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.112 ss.; Fricéro, Mélanges Burgelin 2008, p. 199, 203 (n° 9 s.); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1096 (p. 771); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 357, p. 291; Lacabarats, Justice & Cassation 2008, p. 116, 117; Perrot, RTD civ. 2006, p. 825, 826 (n° 7); Weiller, Recueil Dalloz 2006, Jurisprudence, p. 2135, 2137. 632

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und die Steigerung der Effektivität der Justiz seit Mitte der Neunzigerjahre zu zentralen Reformanliegen der französischen Rechtspolitik geworden. Das französische Justizministerium beauftragte daher verschiedene Expertenkommissionen mit der Erarbeitung von Reformvorschlägen. Von Relevanz sind hierbei insbesondere die 1997 bzw. 2004 veröffentlichten Expertenberichte der von Jean-Marie Coulon geleiteten Kommission 635 und der Expertengruppe unter Leitung von Jean-Claude Magendie 636. Einer der grundlegenden Vorschläge des Coulon-Berichts zur Beschleunigung und Effektivierung des Verfahrensablaufs beinhaltete, den Parteien eine größere Verantwortung für die konzentrierte Formulierung ihres Tatsachenund Rechtsvorbringens zuzuschreiben. Empfohlen wurde eine Regelung, die vorschrieb, dass die verfahrenseinleitende Zustellung der Klage und der Ladung des Beklagten (assignation) das Klagebegehren und eine Darstellung des zur Begründung dieses Begehrens herangezogenen Tatsachen- und Rechtsvorbringens enthalten müsse. 637 Zum anderen sollten die Parteien im schriftlichen Verfahren vor dem Tribunal de Grande Instance ihr Vorbringen und Gegenvorbringen in einem abschließenden Schriftsatz, der letzten conclusion, noch einmal zusammenfassen. Jedes Begehren und jedes moyen, das in dieser abschließenden conclusion nicht aufgeführt wurde, sollte als aufgegeben gewertetet werden.638 Die Vorschläge der Coulon-Kommission fanden 1998 Eingang in Art. 56 C.p.c. und Art. 753 C.p.c.639 2004 präsentierte die Expertengruppe unter Leitung des Richters JeanClaude Magendie weitere Reformvorschläge zur Schaffung eines effektiveren Verfahrensrechts. Als zentrales Instrument für eine zügige Streitbeendigung im Bereich des Zivilverfahrens empfahl die Arbeitsgruppe die Verankerung eines Prinzips der prozessualen Lauterkeit (loyauté processuelle). 640 Die Anerkennung eines Verfahrensprinzips der Lauterkeit war bereits zuvor in der Literatur gefordert worden.641 Ein solches Prinzip sollte u.a. die Einhaltung von 635

Coulon/Teiller/Serrand, Réflexions et propositions sur la procédure civile: rapport au ministre de la justice, Paris 1997. 636 Magendie, Célérité et qualité de la justice – la gestion du temps dans le procès, Paris 2004. 637 Coulon/Teiller/Serrand, Réflexions et propositions sur la procédure civile: rapport au ministre de la justice, Ch. IV, I A (p. 70 ss.). 638 Coulon/Teiller/Serrand, Réflexions et propositions sur la procédure civile: rapport au ministre de la justice, Ch. IV, II A (p. 75 ss.). 639 Décret n° 98-1231 du 28 décembre 1998 modifiant le code de l’organisation judiciaire et le nouveau code de procédure civile (Journal officiel de la République française n° 302 du 30 décembre 1998, p. 19904), Art. 3, Art. 13. 640 Magendie, Célérité et qualité de la justice, Première partie – Le procès civil, Chapitre 1 – Temps des parties et loyauté procédurale, p. 41 ss. 641 Motulsky, Mélanges P. Roubier, 1961, 176, 184 ss. (n° 13 ss.), insbes. p. 187 ss., (n° 16 ss.); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 763 ss., p. 547 ss. (so auch schon in älteren Auflagen: Gunichard/Ferrand, Procédure civile, 28 e éd. 2006, n° 710, p. 615;

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Fristen, die Wahrung der Rechte der Gegenseite bei der Beschaffung von Beweismitteln, das Absehen von einem Zurückhalten von Beweismitteln sowie die rechtzeitige Inkenntnissetzung der Gegenseite von neuem Vorbringen umfassen.642 Allgemein verlange das Prinzip der loyauté von den Parteien, das zügige und effiziente Voranschreiten des Verfahrens zu fördern.643 Zwar fanden sich einige dieser Grundsätze bereits in gewissem Umfang in den Regelungen des Code de procédure civile verwirklicht, 644 der Bericht der MagendieKommission empfahl jedoch eine weitergehende Verankerung des Lauterkeitsprinzips im Gesetz. Als Ausfluss des Grundsatzes der loyauté empfahl die Magendie-Kommission insbesondere die Anerkennung eines Prinzips der Konzentration, wonach das gesamte Tatsachen-, Beweis- und Rechtsvorbringen in einem Verfahren und zudem in den ersten conclusions, also ganz zu Beginn des Verfahrens, zu konzentrieren sein sollte. 645 Auch hier zeigt sich damit die Tendenz, die Parteien zunehmend in die Verantwortung zu nehmen, um die zügige Herbeiführung einer endgültigen Streitbeendigung sicherzustellen. (2) Die Entscheidung Cesareo als Weiterführung dieser Entwicklung Auch wenn der Vorschlag der Einführung eines Prinzips der Konzentration keine gesetzgeberische Umsetzung gefunden hat, so scheint die Reformkommission unter Jean-Claude Magendie zumindest in der Rechtsprechung teilweise Gehör gefunden zu haben. Die Assemblée plénière stimmt in der Aner-

Vincent/Guinchard, Procédure civile, 26 e éd. 2001, n° 609, p. 499); Guinchard/u.a., Droit processuel, 2 e éd. 2003, n° 542 ss., p. 858 ss.; Boursier, Le principe de loyauté en droit processuel, 2003; insbesondere im Bereich des Beweisrechts, vgl. Leborgne, RTD civil 1996, 535 ss.; Raison Rebufat, Gaz. Pal. 2002, 1195 ss. 642 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 763, p. 544; Motulsky, Mélanges P. Roubier, 1961, 176, 184 ss. (n° 13 ss.); Strickler, Mélanges Burgelin, 2008, 355, 365 ss.; vgl. auch die Zusammenfassung im Magendie-Bericht: Magendie, Célérité et qualité de la justice, 1re partie, ch. 1, p. 41. 643 Magendie, Célérité et qualité de la justice, 1 re partie, ch. 1, section 1, p. 44: „Mais [les parties diligentant l’instance,] c’est aussi apporter tous ses soins, tout son zèle, se hâter de faire ce que l’on doit effectuer.“, vgl. auch die Bezugnahme auf die ALI/UNIDROIT, Priciples of Transnational Civil Procedure: „Il est en fait indiqué que ‘Les parties partagent avec le tribunal la charge de favoriser une solution du litige équitable, efficace et raisonnablement rapide.’“ 644 Bsp.weise in Art. 15 C.p.c. (rechtzeitige Inkenntnissetzung der Gegenseite von Anträgen sowie vom Tatsachen-, Rechts- und Beweisvorbringen); Art. 32–1 C.p.c. (Möglichkeit der Auferlegung eines Bußgeldes (amende civile) bei missbräuchlichem und verzögerndem Prozesshandeln); Art. 103 C.p.c. (Möglichkeit der Zurückweisung der Prozesseinrede der connexité bei verspäteter Erhebung der Einrede mit Verschleppungsabsicht (intention dilatoire); usw. Vgl. auch die umfassendere Aufzählung bei Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 382. 645 Magendie, Célérité et qualité de la justice, 1 re partie, ch. 1, section 2, p. 51 ss.

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kennung einer Obliegenheit zur Konzentration des Vorbringens im ersten Verfahren mit dem Bericht der Magendie-Kommission überein, wenn auch ohne die Konzentration in den ersten Schriftsätzen zu Beginn des Verfahrens zu verlangen. Die Richter scheinen aber auch einige der Begründungslinien übernommen zu haben, welche die Vorschläge der Magendie-Kommission zur Einführung eines Prinzips der Lauterkeit und der Konzentration prägten. Anhaltspunkte hierfür finden sich insbesondere in dem entscheidungsvorbereitenden Bericht des berichterstattenden Richters Charruault. Die Parteien anzuhalten die rechtliche und tatsächliche Begründung ihres Begehrens auf ein Verfahren zu beschränken, und ihnen gleichzeitig ein Nachholen des dabei vergessenen Vorbringens in einem späteren Verfahren zu verwehren, entspricht nach Charruaults Ansicht sowohl der Zielsetzung der autorité de la chose jugée, Rechtssicherheit und Frieden durch endgültige Streitbeendigung zu bewirken, als auch den Grundsätzen des guten Glaubens und der prozessualen Lauterkeit. 646 Daher sei das im ersten Verfahren nicht geltend gemachte Vorbringen nicht mehr geeignet, eine neue cause zu begründen und die Möglichkeit eines neuen Rechtsstreits über dasselbe objet zu eröffnen. Zentraler Kritikpunkt an der bisherigen Rechtsprechung war aus Sicht des berichterstattenden Richters denn auch die Gefahr des „procès morcelé“, des zerstückelten Prozesses. 647 Eine Verzögerung der endgültigen Streitbeendigung durch Aufspaltung des Rechtsstreits nach verschiedenen Anspruchsgrundlagen stelle eine Gefahr für die Rechtssicherheit dar, die nunmehr durch die Neufassung des cause-Begriffs und die Einführung einer Obliegenheit zur Konzentration der moyens im ersten Verfahren verhindert werden solle. 648 Dieser Ansatz sei – so der Berichterstatter wörtlich – das „ideale Instrument einer prozessualen Vorbeugung“. 649 Auch in den Vorarbeiten zur Entscheidung Cesareo zeigt sich also das Anliegen, die Parteien zum Zwecke der Prozessökonomie stärker in die Verantwortung zu nehmen und ihr prozessverzögerndes Verhalten zu sanktionieren.

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Charruault, Rapport, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, I B 2): „C’est que, comme l’a écrit Jean Buffet, ‚il faut que les procès aient une fin’. Et d’ajouter qu’‚à une époque où on revendique le droit à la sécurité juridique, ne peut-on pas envisager un droit à la sécurité judiciaire, à la bonne foi et à la loyauté dans les procédures, qui empêcheraient ou limiteraient la faculté de morceler, en plusieurs procès successifs, ses demandes ou ses défenses?’ La prééminence de l’objet s’inscrit naturellement dans une telle démarche. “ 647 Charruault, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, Rapport, II A. 648 Charruault, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, Rapport, II A: „admettre en pareille hypothèse une nouvelle saisine du juge, c’est affaiblir la décision originaire, et menacer le ‘droit à la securité judiciaire’. Menace qu’exclut la conception large de la cause.“ 649 Charruault, Rapport, I B 2): „l’instrument ideal de prophylaxie processuelle“.

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In diese Argumentation fügt es sich ein, dass sich der berichterstattende Richter, der auf ein von der Cour de Cassation in Auftrag gegebenes rechtsvergleichendes Gutachten zurückgreifen konnte,650 bei der Formulierung des Grundsatzes der Konzentration des Vorbringens im Einklang mit dem englischen Recht651 sah,652 wie es in der Entscheidung Barrow v. Bankside Agency Ltd. von Master of the Rolls Sir Thomas Bingham in seiner Auslegung der Leitentscheidung Henderson v. Henderson dargelegt wurde. 653 Darin wird es als abuse of process, also als missbräuchliches Verhalten, angesehen, Argumente, Einwendungen, aber auch Anträge, die bereits in einem ersten Verfahren hätten geltend gemacht werden können, erst in einem späteren Verfahren vorzutragen. Zahlreiche Autoren nehmen insbesondere aufgrund der Argumentation des berichterstattenden Richters an, dass die Entscheidung Cesareo als höchstrichterliche Anerkennung eines Prinzips der Lauterkeit, der loyauté, im französischen Zivilprozessrecht zu verstehen sei. 654 Unabhängig davon, ob ein solches Verfahrensprinzip der Lauterkeit tatsächlich anzuerkennen ist, 655 ist jedenfalls 650 Ferrand/Poillot/Rey/Tinoco Pastrana, Étude complémentaire – L‘étendue de l’autorité de chose jugée en droit comparé (mit der Entscheidung veröffentlicht im Bulletin d’infomation de la Cour de Cassation (BICC 2006, n° 648 du 15/10/2006 – Jurisprudence – Cour de Cassation – Arrêts publiés intégralement). 651 Aber auch mit Art. 400 des spanischen Ley de Enjuiciamiento Civil. 652 Charruault, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, Rapport, I B 2), Fußnote 35. 653 Barrow v. Bankside Members Agency Ltd [1996] 1 WLR 257, 260: „The rule in Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100 is very well known. It requires the parties, when a matter becomes the subject of litigation between them in a court of competent jurisdiction, to bring their whole case before the court so that all aspects of it may be finally decided (subject, of course, of any appeal) once and for all. In the absence of special circumstances, the parties cannot return to the court to advance arguments, claims or defences which they could have put forward for decision on the first occasion but failed to raise. […] It is a rule of public policy […] that litigation should not drag on for ever and that a defendant should not be oppressed by successive suits when one would do. That is the abuse at which the rule is directed.” 654 Alt, Justice & Cassation 2014, Dossier: La loyauté, p. 13, 14; Bouty, Chose Jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 574; Fricero, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 202 (n° 6); Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, 379, 383; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 1096 (p. 771); Weiller, Recueil Dalloz, p. 2135, 2138 s. (II A). 655 Für die Anerkennung Alt, Justice & Cassation 2014, Dossier: La loyauté, p. 13, 17 ss. Ablehnend dagegen Miniato, Recueil Dalloz 2007, Études et commentaire – Chronique – Procédure civile, p. 1035 ss. Die Verankerung einer Verpflichtung der Parteien zur loyauté als eine der Verfahrensmaximen des Zivilprozesses in Art. 15, al. 2 C.p.c. wird aber auch im Rahmen der Vorbereitung zum jüngsten Reformprojekt des französischen Justizministeriums zur „Justice du 21ième siècle“ (vgl. die Präsentation des Projekts vor dem Conseil des ministres am 10. September 2014 (Ministère de la Justice, Une justice plus proche, plus efficace et plus protectrice,) wieder vorgeschlagen (Institut des Hautes Études sur la Justice, „Le Juge du 21ième siècle“ – Un citoyen actuer, une équipe de justice, Rapport à Mme la garde des sceaux, ministre de la justice, presidé par Pierre Delmas-Goyon, Dezember 2013).

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unbestreitbar, dass aus dem Magendie-Bericht nicht nur der Gedanke einer Konzentration der moyens übernommen wurde. Vielmehr spiegelt sich in der Entscheidung der Assemblée plénière auch das dem Bericht und der gesamten rechtspolitischen Entwicklung der jüngeren Zeit zugrundeliegende Anliegen wider, den Parteien eine größere Verantortung für die zügige Herbeiführung einer endgültigen Streitbeendigung zuzuweisen.656 b. Die Weiterentwicklung des Prinzips der Konzentration der moyens seit 2006 aa. Festigung und Konkretisierung der Obliegenheit des Klägers zur Konzentration der „moyens“ und Auswirkungen auf den „cause“-Begriff Seit 2006 hat sich die Obliegenheit des Klägers, das gesamte Rechts- und Tatsachenvorbringen, das zur Stützung des Klagebegehrens herangezogen werden kann, im ersten Verfahren zu konzentrieren, zur ständigen Rechtsprechung der Cour de Cassation verfestigt. 657 Anders als nach der früheren Rechtsprechung kann der Kläger, der eine erste Schadensersatzklage nur auf bestimmte Anspruchsgrundlagen oder eine Klage auf Vertragsaufhebung nur auf bestimmte Aufhebungsgründe gestützt hatte, heute eine spätere Klage nicht mehr auf die im Erstverfahren nicht geltend gemachten Anspruchsgrundlagen oder Aufhebungsgründe stützen. Dies gilt unabhängig davon, ob er diese lediglich übersehen oder bewusst auf ihre Geltendmachung verzichtet hatte. 658 Die Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher denkbarer moyens in einem Verfahren erfordert dabei wohl auch, in der Klagebegründung hilfsweise auch jene Anspruchsgrundlagen heranzuziehen,659 deren Anwendung an sich durch die primär herangezogene Rechtsregel ausgeschlossen wäre. Obwohl das französische Recht einen Vorrang vertraglicher Schadensregulierung vorsieht und ein Nebenei-

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Als Fortführung der sich in den Gesetzesänderungen und Reformprojekten der jüngeren Zeit abzeichnenden rechtspolitischen Tendenz verstehen die Entscheidung vom 7. Juli 2006 auch: Amrani-Mekki, JCP 2006, I-183, n° 15 (p. 2000); di Noto, Liber amicorum Otmar Seul, 2014, S. 84, 91; Fricero, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 202 (n° 6); Lacabarats, Justice & Cassation 2008, p. 116, 121; Wiederkehr, JCP 2007, II-10070, p. 33, 36. 657 Cass. 1re civ., 16. Januar 2007, n° 05-21.571, Bull. civ. I, n° 18, p. 16; Cass. 1re civ., 4. Juli 2007, n° 04-10.494, inédit; Cass. 2 e civ., 12. März 2009, n° 08-11.925, Bull. civ. II, n° 69; Cass. 1re civ., 24. September 2009, n° 08-10.517, Bull. civ. I, n° 177; Cass. 3 e civ., 16. Juni 2011, n° 10-18.925, Bull. civ. III, n° 105; Cass. 1re civ., 30. Mai 2012, n° 11-13.329, inédit; Cass. 1re civ., 14. November 2012, n° 11-24.359, inédit. 658 Vgl. für diese beiden Beispielsfälle in Abgrenzung zu der bisherigen Rechtsprechung: Cass. 1 re civ., 14. November 2012, n° 11-24.359, inédit (verschiedene vertragliche Anspruchsgrundlagen eines Schadensersatzanspruchs); Cass. 1re civ., 24. September 2009, n° 08-10.517, Bull. civ. I, n° 177 (verschiedene Vertragsaufhebungsgründe). 659 Zur Auswirkung der Cesareo-Rechtsprechung auf das Prozessvorgehen der Parteien insgesamt, siehe ausführlich unten F. II. 4.

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nander von vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen ausschließt, 660 ist daher anzunehmen, dass der Kläger, gleich im ersten Verfahren nicht nur die vertraglichen, sondern (subsidiär) auch die deliktischen Ersatznormen geltend machen muss, weil eine spätere Klage auf Grundlage des deliktischen Anspruchs als unzulässig abgewiesen werden würde. 661 Zur Begründung der Annahme entgegenstehender autorité de la chose jugée zieht die Rechtsprechung zunehmend unmittelbar das Prinzip der Konzentration heran, ohne eine klare Feststellung der Identität der cause im Einzelfall vorzunehmen. Die Cour de Cassation beschränkt sich daher in zahlreichen Entscheidungen darauf, nach der Feststellung der Identität der Parteien und des objet auf die Obliegenheit zur Konzentration der moyens zu verweisen.662 Nur in einigen wenigen Entscheidungen bemüht sich das höchste Gericht, dem mit der Einführung des Prinzips der Konzentration verbundenen, auf die Tatsachengrundlage beschränkten Begriff der cause eine klarere Definition zu geben und zu bestimmen, welche Tatsachen zu einer einheitlichen cause zusammenzufassen sind. So hat die Cour de Cassation mittlerweile klargestellt, dass bei klar voneinander unterscheidbaren tatsächlichen Sachverhalten eine Abwei-

660 Sog. principe de non-cumul des responsabilités contractuelles et délictuelles, erstmals angewendet in einer Entscheidung der Chambre de requête der Cour de Cassation vom 21. Januar 1890, Recueil périodique et critique mensuel Dalloz 1891, I, p. 380. 661 Dass die Konzentrationsobliegenheit den Kläger daran hindert, nach Geltendmachung einer deliktischen Anspruchsgrundlage im Adhäsionsverfahren vor dem Strafgericht, den Schadensersatzanspruch später auf vertraglicher Grundlage nochmals vor den Zivilgerichten geltend zu machen, hat die Cour de Cassation mittlerweile festgestellt: Der Kläger hätte, so das Gericht, die vertragliche Anspruchsgrundlage bereits im Adhäsionsverfahren geltend machen müssen (Cass. 2 e civ., 25. Oktober 2007, n° 06-19.524, Bull. civ. II, n° 241). Eine Entscheidung der Cour de Cassation für den Fall, dass es sich auch bei dem Erstverfahren um einen Zivilprozess handelt, steht – soweit ersichtlich – noch aus. Dass eine Klage nicht wegen eines Verstoßes gegen die Regel des non-cumul als unzulässig abgewiesen werden kann, weil der Kläger sich neben der primär geltend gemachten vertraglichen Anspruchsgrundlage hilfsweise auch auf eine deliktische Norm gestützt hatte, hat die Cour de Cassation aber bereits festgestellt (Cass. 3 e civ., 28. April 2011, n° 10-13.646, inédit). Der Kassationskläger hatte in diesem Verfahren argumentiert, dass eine Abweisung wegen des Verstoßes gegen das Kumulationsverbot angesichts der seit 2006 bestehenden Obliegenheit zur Konzentration der moyens nicht mehr möglich sein könne (vgl. die Darstellung der moyens annexes (premier moyen de cassation) in der genannten Entscheidung). Tatsächlich gibt es keinen Grund, warum im Adhäsionsverfahren vor den Strafgerichten, das an sich als Erleichterung für das Opfer der Straftat konzipiert ist, eine Obliegenheit zur Konzentration der vertraglichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen bestehen sollte, nicht aber vor den Zivilgerichten (ausführlich hierzu Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, 366, 378 ss.). 662 Cass. 1re civ., 16. Januar 2007, n° 05-21.571, Bull. civ. I, n° 18, p. 16; Cass. 1 re civ., 4. Juli 2007, n° 04-10.494, inédit. Zu diesem Vorgehen der Cour de Cassation auch: BendelVasseur, Justice & Cassation 2010, 366, 369.

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chung der cause anzunehmen ist, auch wenn die Sachverhalte dieselben Parteien betreffen und ähnlich gelagert sind.663 Dies gilt unabhängig vom Einhergehen mit einer Änderung der Anspruchsgrundlage. Gleichzeitig wird die Rechtsprechung zur Relevanz der nachträglichen Tatsachenänderung (fait nouveau) beibehalten: Die nachträgliche Änderung der Situation durch Eintritt einer rechtlich relevanten Tatsache oder durch Vornahme einer Handlung bewirkt weiterhin eine Veränderung der cause.664 Dies gilt auch im Fall einer nachträglichen Änderung der Gesetzeslage. 665 Nicht ganz eindeutig lässt sich der Rechtsprechung dagegen entnehmen, ob auch eine nachträgliche Rechtsprechungsänderung einen fait nouveau darstellt. 666 bb. Ausweitung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten und ihre Bedeutung für den Begriff des „objet“ Die Assemblée plénière hatte das Prinzip der Konzentration 2006 zunächst auf das Tatsachen- und Rechtsvorbringen des Klägers bezogen, jedoch hat die Cour de Cassation die Obliegenheit zur Konzentration der moyens seit 2007 in mehreren Entscheidungen auch auf den Beklagten erstreckt: Dieser muss daher sämtliche moyens, die er für geeignet hält, die vollständige oder teilweise Abweisung der Klage zu rechtfertigen, in einem Verfahren bündeln und kann dieses Vorbringen später nicht mehr zur Stützung einer Klage nutzen.667 Seine

663 Cass. 3 e civ., 26. September 2007, n° 06-16.420, Bull. civ. III, n° 148 (Schadensersatzansprüche gegen denselben Werkunternehmer im Hinblick auf jeweils verschiedene Bauprojekte). 664 Cass. 3e civ., 14. November 2012, n° 11-21.901, inédit; Cass. 3 e civ., 9. Mai 2012, n° 11-17.322, inédit (jeweils nachträgliche Genehmigung durch die Miteigentümerversammlung); Cass. soc., 25. Oktober 2011, n° 10-17.208, inédit; Cass. soc., 1. Februar 2011, n° 0971.630, inédit (jeweils nachträgliche Aufhebung einer Entscheidung des Arbeitsinspekteurs durch die Verwaltungsgerichte); Cass. 2 e civ., 6. Mai 2010, n° 09-14.737, Bull. civ. II, n° 88 (nachträgliche Genehmigung bzw. Bevollmächtigung); Cass. 3 e civ., 25. April 2007, n° 0610.662, Bull. civ. III, n° 59 (nachträglicher Erlass einer Verwaltungsentscheidung (Bestätigung eines Bebauungsplans)). 665 Cass. 2 e civ., 13. Januar 2011, n° 09-16.546, inédit. 666 Vgl. Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, p. 366, 371 s. Wird eine Norm, auf die eine abweisende Entscheidung gestützt wurde, nachträglich für unvereinbar mit der EMRK erklärt, bewirkt dies nach der zweiten Kammer der Cour de Cassation jedenfalls nicht die Zulässigkeit einer erneuten Klage (Cass. 2 e civ., 5. Februar 2009, n° 08-10.679, Bull. civ. II, n° 33; Cass. 2 e civ., 5. Februar 2009, n° 08-10.680, inédit). 667 „Il lui incombait/appartenait de présenter, dès l’instance initiale, l’ensemble des moyens, qu’elle estimait de nature à faire échec à la demande/justifier le rejet total ou partiel de la demande“: Cass. com, 20. Februar 2007, n° 05-18.322, Bull. civ. IV, n° 49; Cass. 3 e civ., 13. Februar 2008, n° 06-22.093, Bull. civ. III, n° 28; Cass. com., 6. Juli 2010, n° 09 15.671, Bull. civ. IV, n° 180; Cass. com., 5. Juni 2012, n° 11-18.521, inédit; Cass. 2 e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit; Cass. com., 2. Oktober 2012, n° 11-19.323, inédit.

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spätere Klage würde wegen entgegenstehender autorité de la chose jugée als unzulässig abgewiesen. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Prinzips der Konzentration der moyens, eine Aufspaltung einheitlicher Sachverhalte zu verhindern, erscheint die Erstreckung auf den Beklagten zunächst durchaus naheliegend. Dass diese Ausdehnung der Konzentrationsobliegenheit jedoch weitergehende Folgen für die Rechtskraftlehre insgesamt nach sich ziehen würde, zeigt sich schon daran, dass in sämtlichen Fällen, in denen die Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten erstreckt wurde, zumindest nach früherem Verständnis keine Identität des objet vorlag: Der zuvor Beklagte begehrte mit seiner späteren Klage – selbst wenn er die bloße Umkehrung der gegen ihn ergangenen Entscheidung verlangte – jeweils eine andere Rechtsfolge als der Kläger im ersten Verfahren.668 Gleichzeitig warfen aber auch zahlreiche, seit der erstmaligen Ausweitung des Konzentrationsprinzips auf den Beklagten ergangene Entscheidungen die Frage auf, ob das Prinzip nicht nur eine Konzentration der moyens, sondern auch der Klagen (demandes) verlangt. Die Reichweite der Konzentrationsobliegenheit ist daher zum Gegenstand heftigster Diskussionen in der zivilprozessualen Literatur geworden. (1) Die der Debatte zugrundeliegenden Entscheidungen Um den tatsächlichen Bedeutungsgehalt dieser Weiterentwicklung der Konzentrationsobliegenheit zu beurteilen, bedarf es einer genaueren Betrachtung der hierzu ergangenen Rechtsprechung der Cour de Cassation. Die Entscheidungen, in denen die Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten erstreckt wurde, lassen sich dabei in zwei Gruppen unterteilen. In den Entscheidungen der ersten Kategorie 669 erhebt der ehemalige Beklagte eine Klage, in der er die Rückgewähr dessen verlangt, wozu er im ersten Verfahren verurteilt wurde, bzw. in der er sich gegen die zwangsweise Durchsetzung des im ersten Verfahren Zugesprochenen wehrt. Dabei beschränkt er sich in der Begründung seiner Klage auf materiellrechtliche Einwendungen gegen die Berechtigung der Forderung der Gegenseite, die er bereits im ersten Verfahren hätte vortragen können, ohne aber in der neuen Klage einen Vorteil 668

Das Begehren des Beklagten ist nicht streitgegenstandsbestimmend, vgl. oben F. II. Cass. com., 20. Februar 2007, n° 05-18.322, Bull. civ. IV, n° 49; Cass. com., 6. Juli 2010, n° 09-15.671, Bull. Civ. IV, n° 120; Cass. com., 5. Juni 2012, n° 11-18.521, inédit; Cass. 2 e civ., 20. März 2014, n° 13-14.738, Bull. civ. II, n° 73. Vgl. für ein vorausgegangenes Mahnverfahren mit rechtskräftigem Zahlungsbefehl die Entscheidung Cass. 1 re civ., 1. Oktober 2014, n° 13-22.388, Bull. civ. I, n° 156 (Nachdem der Schuldner im Rahmen eines Mahnverfahrens zu spät Widerspruch gegen die injonction de payer hinsichtlich einer Darlehensrückzahlung eingelegt hatte, beantragte er nachfolgend die Feststellung, dass er zu der Zahlung nicht verpflichtet sei, weil er das Angebot auf Abschluss des Darlehensvertrags nicht angenommen habe.) 669

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oder Rechtsfolgenausspruch zu verlangen, der über die Verneinung des gegnerischen Begehrens hinausginge. Das seine jetzige Klage stützende Vorbringen hätte er im ersten Verfahren daher nur in der Form einer materiellrechtlichen Einwendung ((moyen de) défense au fond) gegen den Grund oder die Höhe der klägerischen Forderung, nicht aber in Form einer Widerklage geltend machen können.670 Wenn die Cour de Cassation also annimmt, dieses Vorbringen sei im ersten Verfahren geltend zu machen gewesen, weshalb ihm jetzt die autorité de la chose jugée der Erstentscheidung entgegenstehe, so verlangt sie hier nur die Konzentration aller moyens de défense im ersten Verfahren. In einer zweiten Kategorie von Entscheidungen geht die Rechtsprechung dagegen weiter. In den zugrunde liegenden Fällen verlangt der in einem früheren Verfahren zur Leistung Verurteilte statt einer schlichten Verneinung des klägerischen Begehrens aus dem ersten Verfahren einen zusätzlichen Vorteil (beispielsweise die Aufhebung des seiner Verurteilung zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses). 671 Das Tatsachen- und Rechtsvorbringen, auf das diese Klage gestützt wurde (beispielsweise das Bestehen eines groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (lésion)), hätte dabei zwar bereits im ersten Verfahren vorgetragen werden können, um die Abweisung der gegnerischen Klage zu bewirken. Der nun begehrte zusätzliche Rechtsfolgenausspruch wäre im ersten Verfahren aber als eigenständige Widerklage qualifiziert worden, da Widerklagen (demandes reconventionnelles) und Verteidigungsvorbringen (moyens de défense) danach abgegrenzt werden, ob der Beklagte lediglich die Abweisung der gegnerischen Klage begehrt (moyen de défense) oder ob er einen hierüber hinausgehenden Vorteil bzw. Rechtsfolgenausspruch

670 Eine Klage, in der eine Teilrückzahlung der dem Gegner im Ersturteil zugesprochenen Summe verlangt wird und die mit der Nichterfüllung der Voraussetzungen des in der ersten Entscheidung einbezogenen Zinseszinsanspruchs begründet wird, enthält beispielsweise kein Begehren, das über die (teilweise) Verneinung der Höhe des gegnerischen Anspruchs hinausgeht (Cass. com., 20. Februar 2007, n° 05-18.322, Bull. civ. IV, n° 49). Im der Entscheidung Cass. 2 e civ., 20. März 2014, n° 13-14.738, Bull. civ. II, n° 73 zugrunde liegenden Fall verlangten zwei Immobilieneigentümer, die in einem ersten Verfahren zur Zahlung von Werklohn für Renovierungsarbeiten einschließlich Mehrwertsteuer an den Werkunternehmer verurteilt worden waren, später die Rückzahlung des auf die Mehrwertsteuer entfallenden Betrages, weil sie nachträglich erfahren hatten, dass die jeweilige Leistung nicht mehrwertsteuerpflichtig war und dem Werkunternehmer der Mehrwertsteuerbetrag daher zurückerstattet worden war. Dass auf die jeweilige Leistung keine Mehrwertsteuer anfalle, hätten die Werkbesteller nach Ansicht der zweiten Zivilkammer bereits im ersten Verfahren vorbringen müssen. Dabei hätte es sich um eine schlichte Einwendung gegen die Höhe der Forderung des Werkunternehmers gehandelt. 671 Das Beispiel beruht auf der Entscheidung Cass. 3 e civ., 13. Februar 2008, n° 0622.093, Bull. civ. III, n° 28.

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verlangt (demande reconventionnelle). 672 Dennoch wandte die Cour de Cassation teilweise auch in diesen Fällen das Prinzip der Konzentration an und verneinte die Zulässigkeit der Klage des vormaligen Beklagten. 673 Die Rechtsprechung scheint insoweit jedoch keine ganz einheitliche Linie zu verfolgen, denn im Bereich des Bürgschafts- und Darlehensrechts kamen die verschiedenen Kammern in mehreren sehr ähnlich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen. In den zugrunde liegenden Fällen hatte zunächst eine darlehensgebende Bank einen Bürgen auf Auszahlung der Bürgschaftssumme, bzw. den Darlehensnehmer auf Rückzahlung der Darlehensvaluta in Anspruch genommen. Nach Verurteilung des Beklagten zur Leistung erhob dieser Klage gegen die Bank auf Schadensersatz wegen schuldhafter Begründung der Notwendigkeit der Inanspruchnahme des Bürgen bzw. wegen schuldhaften Verhaltens im Zusammenhang mit dem Abschluss des Darlehensvertrages. Die erste und dritte Zivilkammer der Cour de Cassation hielten die Schadensersatzklagen des Bürgen für unzulässig. 674 Obwohl es dem Beklagten obliege, sämtliche moyens, die geeignet seien, die Klage zum Scheitern zu bringen, im ersten Verfahren vorzutragen, habe der Beklagte es unterlassen, die Haftung der Bank im ersten Verfahren geltend zu machen. Die Schadensersatzklage ziele lediglich darauf ab, die ergangene Entscheidung auf Grundlage eines neuen moyen in Frage zu stellen.675 Die zweite Zivilkammer der Cour de Cassation nahm in dem ihrer Entscheidung zugrunde liegenden darlehensrechtlichen Fall dagegen an, die Schadensersatzklage des Darlehensnehmers sei zulässig, da sie nicht dasselbe objet habe wie die vorangegangene Zahlungsklage der Bank. 676 Sie hob dabei eine Entscheidung der Cour d’appel de Rennes auf, in der die Unzulässigkeit der Klage mit der Obliegenheit des Beklagten zur Konzentration der moyens begründet

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So die Legaldefinition des Art. 64 C.p.c. („Constitue une demande reconventionnelle la demande par laquelle le défendeur originaire prétend obtenir un avantage autre que le simple rejet de la prétention de son adversaire.“). Die Maßgeblichkeit des Kriteriums des zusätzlichen Vorteils bestätigend: Cass. ass. plén., 22. April 2011, n° 09-16.008, Bull. ass. plén., n° 4 (ausführlich (auch zur Frage der Bedeutung der Form des Vorbrin gens) der Rapport des Bericherstatters Frouin, BICC 15 juin 2011 (Arrêt publié intégralement), p. 8, 11 ss.). 673 Cass. 3e civ., 13. Februar 2008, n° 06-22.093, Bull. civ. III, n° 28; Cass. 2 e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit. 674 Cass. 1re civ., 1. Juli 2010, n° 09-10.364, Bull. civ. I, n° 150; Cass. com., 25. Oktober 2011, n° 10-21.383, Bull. civ. IV, n° 169. 675 „[L]a cour d’appel en a exactement déduit qu’était irrecevable la demande dont elle était saisie, qui ne tendait qu’à remettre en cause, par un nouveau moyen, qui n’avait pas été formé en temps utile, la condamnation irrévocable prononcée à leur encontre. “ (Cass. 1re civ., 1. Juli 2010, n° 09-10.364, Bull. civ. I, n° 150). 676 Cass. 2 e civ., 23. September 2010, n° 09-69.730, Bull. civ. II, n° 157.

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worden war und damit mit einer Argumentation, die derjenigen der ersten Kammer und der Handelskammer entsprach. Während sich die Annahme der Unzulässigkeit in den Entscheidungen der ersten Kategorie recht problemlos in das durch die Cesareo-Entscheidung geschaffene Prinzip der Konzentration der moyens einfügt, scheint die Anwendung der Konzentrationsobliegenheit in der zweiten Kategorie der Entscheidungen über den Aussagegehalt der Cesareo-Rechtsprechung hinauszugehen, indem sie es dem Beklagten verwehrt, einen über die bloße Verneinung des gegnerischen Anspruchs hinausgehenden Vorteil einzuklagen. (2) Erklärungsansätze für die Fortentwicklung des Konzentrationsprinzips seit 2006 Die Frage, wie die Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten und insbesondere die Entscheidungen der zweiten genannten Kategorie einzuordnen sind und welche dogmatische Bedeutung insbesondere dem Meinungsstreit zwischen den Kammern der Cour de Cassation zuzuweisen ist, ist in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Aufsätze gewesen. Dabei wird ganz überwiegend versucht, die Entwicklung aus Sicht des Prinzips der Konzentration der moyens zu deuten, während eine Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der triple identité eher selten stattfindet. 677 (a) Bewertung auf Grundlage des Prinzips der Konzentration: Ausweitung des Prinzips der Konzentration der „moyens“ oder gar Prinzip der Konzentration der demandes? Die französische Literatur hat die Entscheidungen überwiegend aus Sicht eines Prinzips der Konzentration interpretiert, wobei sich hier eine sehr weitreichende Ansicht, die in den ergangenen Entscheidungen bereits die Entwicklung eines neuen, umfassenderen Prinzips der Konzentration zu erkennen glaubt, und ein Ansatz gegenüberstehen, der die Entscheidungen als schlichte Anwendung der Cesareo-Rechtsprechung interpretiert.

677 Nicht mehr eingegangen werden soll im Fließtext auf den vereinzelt gebliebenen Erklärungsansatz Laura Weillers (JCP-G 2008, II-10.052, n° 12, p. 31, 32 s.), die in der Ausdehnung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten zunächst eine Anwendung der autorité positive de la chose jugée sehen wollte: Eine solche Erklärung wäre nur auf Grundlage des Fortlebens der décisions implicites denkbar (so auch Weiller, p. 33), deren Anerkennung die Cour de Cassation aber seit der Entscheidung n° 08-16.033 der Assemblée plénière vom 13. März 2009 ablehnt. Zudem passt die Begründung über die autorité positive nicht zur Anwendung des nur die autorité négative erfassenden Art. 1351 Code Civil und der Rechtsfolge der Unzulässigkeit der Klagen.

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(aa) Einführung eines Prinzips der Klagenkonzentration? Ein Teil der Autorenschaft versteht die ergangenen Entscheidungen der zweiten Kategorie als Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit über die moyens hinaus auch auf Klagen (demandes). 678 Könne der Beklagte, wie dies die genannten Entscheidungen annehmen, einen bislang nicht begehrten zusätzlichen Rechtsfolgenausspruch nicht mehr klageweise geltend machen, wenn er sich auf ein Tatsachen- oder Rechtsvorbringen stützt, das er im ersten Verfahren bereits hätte vortragen können, so müsse er die Klage zwangsläufig im ersten Verfahren erheben, um die Möglichkeit, sein zusätzliches Begehren durchzusetzen, nicht zu verlieren.679 Er müsse also bereits im ersten Verfahren sämtliche (Wider-)Klageanträge stellen, die sich aus dem Rechts- und Tatsachenvortrag ergeben könnten, auf den er im ersten Verfahren sein Gegenvorbringen gestützt hat oder hätte stützen können. Dieser faktische Zwang zur Konzentration denkbarer Widerklagen wurde nach Ansicht einiger Autoren in den Entscheidungen der ersten und dritten Zivilkammer zum Schadensersatzbegehren des ehemals beklagten Bürgen zu einer Obliegenheit zur Konzentration der Widerklagen ausgeweitet. 680 Hintergrund dieser Annahme ist, dass die Schadensersatzhaftung des Gläubigers diesem im ersten Verfahren nach allgemeinen Regeln nur im Wege der Aufrechnung, der compensation, entgegengehalten werden könnte. Allerdings kennt das französische Recht verschiedene Formen der compensation, die sich nicht nur im Hinblick auf ihre Voraussetzungen, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Geltendmachung im Prozess unterscheiden.681 So handelt es sich bei der compensation légale, bei der im Zeitpunkt des Zusammentreffens zweier bestimmter und durchsetzbarer Geldforderungen eine automatische Saldierung kraft Gesetzes eintritt, um ein moyen de défense, auf welches die Obliegenheit zur Konzentration anwendbar wäre.682 Jedoch setzt eine compensation légale gemäß Art. 1291 Code civil voraus, dass nicht nur das Bestehen der Gegenforderung dem Grunde nach feststeht und die Gegenforderung auch der Höhe nach bestimmt (liquidité)683 und 678 Bléry, Mélanges Héron 2009, 111, 119 (n° 9 ss.); Bolard, JCP-G 2008, II-10.170, n° 42, p. 35; Grandjean, Gaz. Pal. 2013, n° 67/68, p. 21, 22; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 357, p. 291; zumindest Obliegenheit des Beklagten zur Klagekonzentration : Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 590. 679 Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 357, p. 291. 680 Blondel, JCP-G 2012 (n° 15), L’étude 464, p. 746, 751; Ghestin/ Serinet, JCP-G 2012, Note 442, p. 724, 725; Rolland, JCP-G 2011 (n° 51-52), note 1922, p. 39, 40; Serinet, JCPG 2011 (La chronique-1397, p. 2490 ss.), 2493 (n° 14), 2494. 681 Ausführlich hierzu Ndoko, RTD civ. 1991, p. 661 ss.; Toledo-Wolfsohn, Compensation, in: Répertoire civil 2008, n° 5 ss. 682 Hoonakker, Demande additionnelle et reconventionnelle, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 311, n° 311.05 ; Ndoko, RTD civ. 1991, p. 661, 663 (n° 7). 683 Toledo-Wolfsohn, Compensation, in: Répertoire civil 2008, n°11.

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durchsetzbar ist (exigibilité). 684 Sind diese Voraussetzungen (noch) nicht gegeben, sondern sollen sie erst durch gerichtliche Feststellung geschaffen werden, so handelt es sich um eine sog. compensation judiciaire,685 die nicht als moyen de défense, sondern als Widerklageantrag einzuordnen ist. 686 Ein solche Situation der compensation judiciaire war in den Fällen gegeben, die zu den Divergenzen zwischen den Kammern der Cour de Cassation geführt haben, da insbesondere die Höhe der Schadensersatzforderung des Bürgen im ersten Verfahren erst noch festzustellen gewesen wäre. 687 Die Schadensersatzforderung und deren Verrechnung mit dem klägerischen Anspruch durch compensation hätte daher nach diesen Grundsätzen im ersten Verfahren nur im Wege der Widerklage, nicht aber als bloßes moyen de défense geltend gemacht werden können, so dass das Prinzip der Konzentration der moyens an sich nicht zur Anwendung gebracht werden konnte. Nur bei Erstreckung des Konzentrationsprinzips auf demandes reconventionnelles schien sich eine Obliegenheit zur Konzentration auch des Vorbringens der Schadensersatzhaftung des Gläubigers bejahen zu lassen.688 Bestärkt durch eine Entscheidung der ersten Zivilkammer der Cour de Cassation vom 28. Mai 2008 zur autorité de la chose jugée eines Schiedsurteils, in der diese ausdrücklich von einer Obliegenheit des Klägers sprach, sämtliche Klagen, die auf dieselbe cause gestützt werden könnten, im ersten Verfahren

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Toledo-Wolfsohn, Compensation, in: Répertoire civil 2008, n°12 ss. Ndoko, RTD civ. 1991, p. 661, 663 (n° 6); Toledo-Wolfsohn, Compensation, in: Répertoire civil 2008, n° 24 ss., 26. 686 Hoonakker, Demande additionnelle et reconventionnelle, in: Guinchard (dir.) , Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 311, n° 311.05; Ndoko, RTD civ. 1991, p. 661, 663 (n° 7); Toledo-Wolfsohn, Compensation, in: Répertoire civil 2008, n° 29. 687 Für eine Einordnung als compensation judiciaire, nicht als compensation légale, in Fällen, in denen der Bürge oder Darlehensschuldner der Klage des Gläubigers einen Schadensersatzanspruch entgegensetzen will: Cass. 2 e civ., 8. März 2007, n° 05-21.685, Bull. civ. II, n° 60; Assié, Rapport, VI B (zur Entscheidung der Chambre mixte, 21. Februar 2003, n° 99-18.759, BICC 2003, n° 578 du 01/06/2003 – Jurisprudence – Cour de Cassation – Arrêts publiés intégralement); Hoonakker, Demande additionnelle et reconventionnelle, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 311, n° 311.05. 688 Rolland, JCP 2011 (n° 51-52), note 1922, p. 39, 40. 685

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zu konzentrieren,689 folgerten zahlreiche Autoren,690 aber auch unterinstanzliche Gerichte691, dass die Cour de Cassation (bzw. zumindest deren erste Zivilkammer) ein umfassendes Prinzip der Klagenkonzentration geschaffen habe. Dieses erlege sowohl dem Beklagten als auch dem Kläger die Obliegenheit auf, sämtliche Klagen und Widerklagen, die auf den Rechts- und Tatsachenvortrag des ersten Verfahrens gestützt werden können, in diesem zu bündeln. Die angebliche Anerkennung eines solchen Prinzips stieß in der Literatur auf heftige Gegenwehr und die Obliegenheit zur Konzentration der demandes entwickelte sich in der Folge geradezu zu einem Schreckgespenst der Zivilprozessrechtswissenschaft. 692 Neben dem regelmäßig vorgebrachten Vorwurf, die Identität des objet als eine der Voraussetzungen des Art. 1351 Code civil für die Anwendung der autorité négative de la chose jugée contra legem aufzugeben, zu dem später noch ausführlicher Stellung genommen werden soll, stehen systematische Bedenken im Vordergrund der Kritik an der angeblichen Schaffung eines Prinzips der Klagenkonzentration. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die Erhebung einer Klage, die entgegen der Konzentrationsobliegenheit nicht im ersten Verfahren erfolgt ist, nicht in zweiter Instanz nachgeholt werden könne, weil die erstmalige Erhebung einer neuen Klage vor der Cour d‘appel nach Art. 564 C.p.c. 693 ausgeschlossen ist. Dagegen können moyens auch erstmals in

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Cass. 1re civ., 28. Mai 2008, n° 07-13.266, Bull. civ. I, n° 153: „[I]l incombe au demandeur de présenter dans la même instance toutes les demandes fondées sur la même cause et qu’il ne peut invoquer dans une instance postérieure un fondement juridique qu’il s’était abstenu de soulever en temps utile.“ 690 Blondel, JCP 2012 (n° 15), L’étude 464, p. 746, 751; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, 4 e éd. 2010, n° 337–2, p. 285 s. (auch in der aktuellen Auflage zeigt sich diese Einordnung, auch wenn im Hinblick auf die seither ergangenen Entscheidungen der zweiten Zivilkammer der Cour de Cassation (siehe unten) von einer nun „akzeptablen Lösung“ und einer Rückkehr zur bloßen Konzentration der moyens gesprochen wird, Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 357, p. 292); Meuris, JCP 2012 (n° 43), note 1134, p. 1932, 1934; Rolland, JCP 2011 (n° 51-52), note 1922, p. 39, 40. 691 Vgl. nur die Entscheidungen der Cour d’appel in den Verfahren, die den Entscheidungen Cass. 2e civ., 26. Mai 2011, n° 10-16.735, Bull. civ. II, n° 117; Cass. 3 e civ., 11. Januar 2012, n° 10-23.141, Bull. civ. III, n° 4 zugrundeliegen („Attendu que pour déclarer cette demande irrecevable, l’arrêt [de la cour d’appel de Paris] retient qu’il incombe au demandeur de présenter dans la même instance toutes les demandes fondées sur la même cause “ (so die Ausführungen der Cour de Cassation). 692 Vgl. nur: Bléry, Mélanges Héron, 2009, p. 111, 119 (n° 9 ss.); Blondel, JCP 2012 (n° 15), L’étude 464, p. 746, 751; Bolard, JCP 2008 (n° 42), II-10.170, p. 35, 36 s.; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, 4 e éd. 2010, n° 337–2, p. 285 s.; Jeuland, JCP 2010 (n° 43), note 1052, p. 1993 ss.; Meuris, JCP 2012 (n° 43), note 1134, p. 1932, 1934; Serinet, JCP 2011, note 861, p. 1424, 1427. 693 Art. 564 C.p.c.: „À peine d’irrecevabilité prononcée d’office, les parties ne peuvent soumettre à la cour de nouvelles prétentions si ce n’est pour opposer compensation, faire

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zweiter Instanz geltend gemacht werden (Art. 563 C.p.c.). 694 Auch im Fall des im Arbeitsgerichtsverfahren spezialgesetzlich normierten sog. Prinzip der Einmaligkeit des Verfahrens (principe de l’unicité de l’instance)695 nach Art. R.1452- 6, al. 1 Code du travail, wonach sämtliche Klagen (des Klägers und des Beklagten), die sich aus demselben Arbeitsverhältnis ergeben, in einem einzigen Verfahren geltend zu machen sind,696 sieht das Gesetz vor, dass neue Klagen aus demselben Arbeitsverhältnis auch noch in zweiter Instanz erhoben werden können (Art. R. 1452–7 Code du travail (Art. R. 516–2 Code du travail a.F.). Diese Abmilderung der strengen Grundregel wird in der Literatur als unabkömmliche Ergänzung des Prinzips der unicité de l’instance verstanden.697 Einem allgemeinen Prinzip der Klagenkonzentration käme damit eine Schärfe zu, die der Gesetzgeber der normierten Klagenkonzentration im Arbeitsgerichtsverfahren durch die Einräumung der Möglichkeit der Erhebung in zweiter Instanz bewusst genommen hat und die auch der Konzentration der moyens wegen der Regelung des Art. 563 C.p.c. nicht zukommt. 698 Daneben bereitet bei einer Anerkennung einer allgemeinen Obliegenheit zur Klagenkonzentration die Begründung der Zuständigkeit des Gerichts Probleme,699 müsste doch gewährleistet sein, dass das angerufene Gericht für sämtliche aus dem jeweiligen Sachverhalt erwachsenden Klagen zwischen den Parteien zuständig ist. 700 Insgesamt fällt es den Autoren schwer, ein allgemeines Prinzip der Klagenkonzentration ohne Wertungswidersprüche in das geltende Verfahrensrecht einzufügen.701 écarter les prétentions adverses ou faire juger les questions nées de l’intervention d’un tiers, ou de la survenance ou de la révélation d’un fait.“ 694 Art. 563 C.p.c.: „Pour justifier en appel les prétentions qu’elles avaient soumises au premier juge, les parties peuvent invoquer des moyens nouveaux, produire de nouvelles pièces ou proposer de nouvelles preuves.“ 695 Ausführlich zu diesem Prinzip: Orif, La règle de l’unicité de l’instance, Paris 2012. 696 Art. R. 1452–6, al. 1 Code du travail (ehemals Art. 516–1 Code du travail): „Toutes les demandes liées au contrat de travail entre les même parties font, qu’elles émanent du demandeur ou du défendeur, l’objet d’une seule instance.“ 697 Orif, L’unicité de l’instance, n° 24 („La règle et ce tempérament sont indissociable. Si l’un disparaît, l’autre ne saurait perdurer.“). 698 Aus diesem Grund gegen eine Übernahme einer Klagekonzentration im allgemeinen Zivilverfahren: Serinet, JCP 2011, Note 861, p. 1424, 1427. 699 Die Regelung des Art. 51 C.p.c. kann hierzu nur eingeschränkt dienen. Zum einen gilt sie nur für demandes incidentes, sie könnte also nur für die Widerklagen des Beklagten eine ergänzende Zuständigkeit begründen. Zudem kann hierüber nur die Zuständigkeit eines Tribunal de Grande Instance, nicht aber eines Tribunal d’Instance begründet werden und auch dies nur im Falle einer nicht ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts. 700 Bolard, JCP 2008, n° 42, II-10.170, p. 35, 36. 701 Jedoch ist zu bemerken, dass die genannten Argumente im Falle einer auf den Beklagten beschränkten Obliegenheit zur (Wider)Klagenkonzentration nicht in gleichem Maße greifen würden: Zum einen sieht das Gesetz im Hinblick auf die Erhebung neuer Klagen in

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Diese Argumente gegen die Einführung eines allgemeinen Prinzips der Klagenkonzentration mögen berechtigt sein, jedoch erscheint schon die vorgenommene Interpretation der Rechtsprechungsentwicklung auch bei Zugrundelegung eines Prinzips der Konzentration etwas übereilt. Die Annahme, dass die Rechtsprechung eine allgemeine Obliegenheit zur Konzentration aller aus einer einheitlichen cause entspringenden Klagen in einem Verfahren schaffen wolle, ist angesichts der ergangenen Entscheidungen nämlich weder zwingend noch besonders naheliegend.702 Zunächst ist festzuhalten, dass die Cour de Cassation außer in der genannten schiedverfahrensrechtlichen Entscheidung vom 28. Mai 2008 kein einziges Mal ausdrücklich eine Obliegenheit zur Konzentration der demandes bejaht hat. Explizite Erwähnung findet der Begriff lediglich in den Entscheidungen (insbesondere der zweiten Zivilkammer), in denen eine solche Obliegenheit abgelehnt wird.703 In den Entscheidungen, die Teile der Literatur als Anerkennung eines Prinzips der Konzentration der demandes verstehen möchten, bekräftigt das Gericht dagegen zunächst die bestehende Obliegenheit des Beklagten zur Konzentration sämtlicher zur Verteidigung in Betracht kommenden moyens. Die erhobene Klage wird dann als Versuch gewertet, die im ersten Verfahren ergangene rechtskräftige Verurteilung mit Hilfe eines neuen moyen erneut in Frage zu stellen. 704 Die Cour de Cassation argumentiert damit auch

Art. 567 C.p.c. eine Ausnahme für Widerklagen vor, die also auch noch in zweiter Instanz erstmals erhoben werden können. Zum anderen bestünde zumindest bei Entscheidungen des Tribunal de Grande Instance das angesprochene Problem nicht, da Art. 51 C.p.c. ein e ergänzende Zuständigkeit für demande incidentes, zu denen auch die Widerklagen rechnen, vorsieht. Eine Obliegenheit zur Klagenkonzentration allein des Beklagten nimmt daher beispielsweise Bouty an (Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 590). 702 Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2011, 997, 998; Fricero, Recueil Dalloz 2011 (Panorama Procédure civile, p. 265 ss.), 267 (n° II). 703 Cass. 2 e civ., 26. Mai 2011, n° 10-16.735, Bull. civ. II, n° 117 („s’il incombe au demandeur de présenter dès l’instance relative à la première demande l’ensemble des moyens qu’il estime de nature à fonder celle-ci, il n’est pas tenu de présenter dans la même instance toutes les demandes fondées sur les même faits“); wortgleich: Cass. 2 e civ., 22. November 2012, n° 11-24.493, inédit; Cass. 2 e civ., 16. Mai 2012, n° 11-16.973, inédit; ähnlich: Cass. 2e civ., 8. Dezember 2011, n ° 10–27.344, inédit („ justement retenu que la banque n’était aucunement tenue, dans le cadre de cette instance, de présenter une demande re conventionnelle [… ] d’un objet totalement distinct“). 704 Cass. 1re civ., 1. Juli 2010, n° 09-10.364, Bull. civ. I, n° 150; Cass. com., 25. Oktober 2011, n° 10-21.383, Bull. civ. IV, n° 169 („il appartenait à la caution de présenter, dès l’instance initiale, l’ensemble des moyens qu’elle estimait de nature à justifier le rejet total ou partiel de la demande. […] l’action de la caution ne tendait qu’à remettre en cause, par un moyen nouveau, la condamnation irrévocablement prononcée.“).

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in den Entscheidungen der zweiten Kategorie allein auf Grundlage einer Obliegenheit zur Konzentration der moyens, nicht aber der demandes. 705 Dass die Cour de Cassation die Einführung eines Prinzips der Konzentration aller auf einer einheitlichen cause beruhenden Klagen im allgemeinen Zivilprozess bezweckt, erscheint zudem deshalb fernliegend, weil das Gericht das Prinzip der Einmaligkeit des Verfahrens nach Art. R.1452–6, al. 1 Code du travail als normierten Fall einer Obliegenheit zur Klagenkonzentration, gerade in den letzten Jahren in seinem Anwendungsbereich beschränkt hat.706 Es wäre kaum erklärlich, warum das höchste Gericht ein umfassendes Prinzip der Klagenkonzentration im allgemeinen Zivilverfahren schaffen sollte, während es gleichzeitig bemüht ist, dem Anwendungsbereich des gesetzlich vorgesehenen Falls einer Obliegenheit zur Klagenkonzentration deutliche Grenzen zu setzen.707 Schließlich lassen gerade die Entscheidungen der ersten und dritten Zivilkammer, die dem Bürgen auferlegen, die Schadensersatzhaftung des Gläubigers bereits im ersten Verfahren geltend zu machen, eine Interpretation zu, die ohne einen Rückgriff auf ein Prinzip der Klagenkonzentration auskommt. Denn zwar ist der Antrag auf Verurteilung des Gegners zur Leistung von Schadensersatz und gleichzeitiger compensation judiciaire als Widerklage einzuordnen. Das Bürgschaftsrecht weist insoweit jedoch die Besonderheit auf, dass in diesem Bereich bereits seit Langem diskutiert wurde, ob der Bürge die responsabilité des Gläubigers nicht auch als schlichtes moyen de défense geltend machen könne. Während die Cour de Cassation lange Zeit vertreten hatte, der Bürge könne nur im Wege der Widerklage vorgehen, 708 hatte die Kammer für Handelssachen der Cour de Cassation erstmals 1999 angenommen, der Bürge könne entweder widerklagend Schadensersatz und compensation verlangen oder die responsabilité als direkte Einwendung gegen den gegnerischen Anspruch geltend machen.709 Die Chambre mixte der Cour de Cassation hat 705 So auch Fricero, Recueil Dalloz 2011 (Panorama Procédure civile), p. 265 ss., 267 (n° II). 706 Vgl. nur Cass. soc. 16. November 2010, n° 09-70.404, Bull. civ. V, n° 260; Cass. soc., 9. März 2011, n° 09-65.213, Bull. civ. V, n° 72; Cass. soc., 23. Mai 2012, n° 10-24.033, Bull. civ. V, n° 157; Cass. soc., 11. Juli 2012, n° 11-17.930, inédit; Cass. soc., 29. Mai 2013, n° 12-14.064, inédit (Anwendung nur bei Abschluss des ersten Verfahrens mit einem Sachurteil); Cass. soc., 4. Oktober 2011 n° 10-15.249, Bull civ. V, n° 223 (keine Anwendung bei Beendigung des Verfahrens durch Anerkenntnis (acquiescement). 707 Fricero, Recueil Dalloz 2012 (Panorama Procédure civile, p. 244 ss.), 250 (n° V), 251 („paradoxal“). 708 Cass. com., 16. März 1993, n° 90-20.614, Bull. civ. IV, n° 102, p. 70; Cass. com., 22. April 1997, n° 95-11.532, Bull. civ. IV, 96, p. 84; Cass. 1 re civ., 24. Juni 1997, n° 95-15.055, Bull. civ. I, n° 211, p. 141. 709 Cass. com., 26. Oktober 1999, n° 96-16.837, Bull. civ. IV, n° 182, p. 156; in der Folge auch: Cass. 1re civ., 4. Oktober 2000, n° 98-10.075. Vgl. in der Literatur: Grimaldi, Recueil

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diese Position, die dem Beklagten die Wahlmöglichkeit zwischen demande reconventionnelle und moyen de défense zugesteht, 2003 bestätigt. 710 Kann der Bürge damit die responsabilité des Gläubigers im ersten Verfahren auch als moyen de défense geltend machen, so kann insoweit auch die Obliegenheit zur Konzentration der moyens zur Anwendung gebracht werden, wie dies die erste und dritte Zivilkammer getan haben.711 Außerhalb des Bürgschaftsrechts fehlt es dagegen an einer höchstrichterlichen Entscheidung, die dem Schuldner, der die Haftung des Gläubigers geltend machen möchte, eine Wahlmöglichkeit zwischen Widerklage und moyen de défense gewährt. Die könnte erklären, weshalb die zweite Zivilkammer in ihrem darlehensrechtlichen Fall die entgegenstehende autorité de la chose jugée verneint hat.712 Zumindest erweisen sich die Fälle, in denen der Beklagte die Schadensersatzhaftung des Gläubigers vorbringen möchte, als Grenzbereich, in dem die Abgrenzung zwischen moyen de défense und demande reconventionnelle durch die verschiedenen Formen und Wirkungsweisen der compensation noch weiter erschwert wird. Aus den hierzu ergangenen Entscheidungen sollte daher nicht auf eine allgemeine Anerkennung eines Prinzips der Klagenkonzentration geschlossen werden. 713 Die Cour de Cassation hat in verschiedenen Entscheidungen die Gelegenheit genutzt, zu betonen, dass nur eine Obliegenheit zur Konzentration der moyens, nicht aber der Klagen besteht.714 (bb) Die Konzentrationsobliegenheit des Beklagten als Anwendung der Cesareo-Entscheidung Stellt sich die Interpretation der Rechtsprechung der Cour de Cassation als Anerkennung eines Prinzips der Klagenkonzentration damit als zu weitgehend Dalloz 2000, 665, 667; Piette, Cautionnement, in: Répertoire civil 2009, n° 218; Simler/Delebecque, JCP 2003, I-176, p. 1980, 1982 (n° 6). 710 Cass. ch. mixte, 21. Februar 2003, n° 99-18.759, Bull. ch. mixte, n° 3, p. 7. 711 Die Entscheidungen ebenfalls vor dem Hintergrund der Entscheidung der Chambre mixte vom 21. Februar 2003 verstehend: Fricero, Recueil Dalloz 2011(Panorama Procédure civile, p. 265 ss.), 267 (n° II). 712 Allerdings hat die Kammer für Handelssachen 2012 eine Klage in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem ein Darlehensnehmer vom Gläubiger in einem späteren Verfahren Schadensersatz in Höhe des aufgrund des ersten Urteils zurückgezahlten Darlehens verlangte, unter Berufung auf die Obliegenheit zur Konzentration der moyens für unzulässig erklärt (Cass. com., 2. Oktober 2012, n° 11-19.323, inédit). 713 So auch Fricero, Recueil Dalloz 2011 (Panorama Procédure civile, p. 265 ss.), 267 (n° II). 714 Cass. 2e civ., 26. Mai 2011, n° 10-16.735, Bull. civ. II, n° 117; Cass. 2 e civ., 8. Dezember 2011, n ° 10–27.344, inédit; Cass. 2 e civ., 22. November 2012, n° 11-24.493, inédit; Cass. 2 e civ., 16. Mai 2012, n° 11-16.973, inédit; Cass 2 e civ., 22. Mai 2014, n° 13-18208, inédit; Cass. com., 10. März 2015, n° 13-21057, inédit; Cass. 3e civ., 17. Juni 2015, n° 1414372 (zur Veröffentlichung im Bull. civ. III vorgesehen).

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dar, so sehen einige Autoren in den Entscheidungen der zweiten Kategorie eine Anwendung der Obliegenheit zur Konzentration der moyens,715 welche jedoch mit einer gewissen Ausdehnung oder Abwandlung des Prinzips verbunden ist. Eine erste Ansicht716 sieht die Erklärung für die Anwendung der Konzentrationsobliegenheit in den Entscheidungen der zweiten Kategorie darin, dass die jeweilige Klage des ehemaligen Beklagten im ersten Verfahren zwar wegen des Abzielens auf einen über die Klageabweisung hinausgehenden Rechtsfolgenausspruch als Widerklage zu qualifizieren gewesen wäre, es sich jedoch um eine besondere Art der Widerklage handele. Denn das der Widerklage zugrundeliegende Vorbringen hätte gleichzeitig die vollständige oder teilweise Verneinung des gegnerischen Anspruchs bewirkt, weshalb die Widerklage im ersten Verfahren nicht nur als eigenständige Klage, sondern auch als défense au fond gewirkt hätte. Im französischen Zivilprozessrecht werden Widerklagen mit einem derartigen Doppelcharakter als hybride Widerklagen bezeichnet (demandes reconventionnelles hybrides) und von den sog. reinen Widerklagen (demandes reconventionnelles pures et simples) abgegrenzt, bei der das zugrunde liegende Vorbringen keine Auswirkung auf die materiellrechtliche Beurteilung des gegnerischen Anspruchs hat.717 Da die Konzentrationsobliegenheit vom Beklagten verlange, sämtliche moyens de défense im ersten Verfahren zu konzentrieren, wende die Rechtsprechung diese auch auf Verteidigungsmittel mit Doppelcharakter an, unterlasse es dabei aber, genau zwischen demande reconventionnelle hybride und moyen de défense zu differenzieren.718 Dieser Ansatz erweist sich jedoch kaum als tauglich zur Erklärung der ergangenen Entscheidungen. Gerade die abweichenden Haltungen der Kammern der Cour de Cassation zur Anwendung der Konzentrationsobliegenheit in den Fällen, in denen der vormals Beklagte die responsabilité des ehemaligen Klägers geltend macht,719 lässt sich nicht dadurch erklären, dass die zweite Zivil-

715 Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2011, 997, 998; Fricero, Recueil Dalloz 2011 (Panorama Procédure civile, p. 265 ss.), 267 (n° II). 716 Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2011, 997, 998. 717 Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 304; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 116, p. 108; Hoonakker, Demande additionnelle et reconventionnelle, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 311, n° 311.05. 718 Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2011, 997, 998. Ähnlich sieht Jeuland in den Entscheidungen eine Anwendung des Prinzips der Konzentration der moyens bei gleichzeitiger Verwischung der Grenzen zwischen moyen und demande, sowie zwischen défense au fond und demande reconventionnelle (Jeuland, JCP 2010, 1052, p. 1993, 1995 s.). 719 Begehrt der Beklagte Schadensersatz und den Ausspruch der compensation judiciaire, so handelt es sich gerade um einen klassischen Anwendungsfall der hybriden Widerklage: Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 123, p. 111; Hoonakker, Demande additionnelle et reconventionnelle, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 311, n° 311.05.

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kammer anders als die erste Kammer und die Handelskammer die Konzentrationsobliegenheit nicht auf Fälle hybrider Widerklagen anwendet: Die zweite Kammer verneint hier zwar die Anwendung der Konzentrationsobliegenheit, in anderen Fällen hybrider Widerklagen lässt sie das Konzentrationsprinzip aber sehr wohl greifen.720 Teilweise wird erwogen, das maßgebliche Kriterium der Cour de Cassation für die Anwendung der Konzentrationsobliegenheit des Beklagten darin zu sehen, dass der Beklagte im ersten Verfahren die Möglichkeit hatte, das Vorbringen, auf welches er nun seine Klage stützt, zumindest auch als bloßes moyen de défense au fond geltend zu machen, ohne eine (wenn auch hybride) Widerklage erheben zu müssen.721 Klagt beispielsweise der vormals Beklagte, der im ersten Verfahren zur Erbringung einer vertraglichen Leistung verurteilt wurde, auf Aufhebung des Vertrages wegen groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (lésion), so hatte er im ersten Verfahren die Möglichkeit, die lésion als bloßes moyen de défense geltend zu machen, ohne einen eigenständigen Rechtsfolgenausspruch hierüber zu verlangen. Auch in den Fallgestaltungen, die den Entscheidungen zur Geltendmachung der Haftung des Gläubigers durch den Bürgen zugrunde lagen, bestand nach der Rechtsprechung der Chambre mixte von 2003 die Möglichkeit, die responsabilité als moyen de défense geltend zu machen, ohne eine Widerklage auf Schadensersatz und compensation judiciaire erheben zu müssen. Die in der Cesareo-Entscheidung geschaffene Obliegenheit zur Konzentration der moyens fände damit in der Erstreckung auf den Beklagten insoweit eine gewisse Abwandlung, als sie auch dann zur Anwendung gebracht wird und zur Abweisung einer Klage führt, wenn das klagebegründende Vorbringen im ersten Verfahren zumindest auch als moyen de défense hätte geltend gemacht werden können. Dieser Ansatz vermag daher zwar die ergangenen Entscheidungen in sich geschlossen zu erklären, jedoch weist auch er gewisse Mängel auf. Zum einen tritt bei dieser Betrachtungsweise die Beurteilung in den Vordergrund, ob der Beklagte ein bestimmtes Vorbringen zumindest auch als moyen de défense au fond oder nur als Widerklage hätte geltend machen können. Auch wenn das Gesetz in Art. 64 C.p.c. und Art. 71 C.p.c. ein auf den ersten Blick sehr einfaches Kriterium für die Abgrenzung zwischen demande reconventionnelle und moyen de défense au fond vorzugeben scheint, bestehen doch in

720

Für eine Anwendung im Fall einer hybriden Widerklage siehe beispielsweise Cass. 2 e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit (Unzulässigkeit einer Klage auf Aufhebung des Vertragsverhältnisses wegen groben Missverhältnisses (lésion) und auf Feststellung der Nichtigkeit wegen Betruges nach vorherigem Verfahren, in dem das Bestehen eines formwirksamen Kaufvertrages festgestellt worden war). 721 Für eine solche Interpretation Fricero, Recueil Dalloz 2011 (Panorama Procédure civile, p. 265 ss.), 267 (n° II); dies., Recueil Dalloz 2012 (Panorama Procédure civile V), p. 244, 251; Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 298 (n° 55.

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der Praxis hierbei erhebliche Unklarheiten.722 Deutlich erkennbar werden diese Schwierigkeiten schon daran, dass die Frage, ob die Haftung des Gläubigers als moyen de défense geltend gemacht werden kann, im Bürgschaftsrecht eine andere Bewertung erfährt als im übrigen Recht. Wie tiefgreifend die bei der Abgrenzung zwischen Widerklage und moyens de défense auftretenden Probleme sind, zeigt sich aber insbesondere daran, dass sich sowohl die Assemblée plénière als auch die Chambre mixte der Cour de Cassation in den letzten Jahren mit dieser Problematik zu beschäftigen hatten.723 Hierin liegt ein deutlicher Nachteil der Betrachtung der ergangenen Entscheidungen allein unter dem Gesichtspunkt eines Prinzips der Konzentration: Statt eine kohärente Streitgegenstandsbestimmung vorzunehmen, schafft die Betrachtung allein aus dem Blickwinkel einer Obliegenheit zur Konzentration der moyens mit dieser Abgrenzungsproblematik neue Unsicherheit.724 In dieser Problemverlagerung auf die Abgrenzung zwischen demande reconventionnelle und moyen de défense liegt aber nicht das einzige Problem des Versuchs, die aktuelle Rechtsprechung allein anhand des Prinzips der Konzentration der moyens zu erklären. Fragwürdig erscheint vielmehr schon die diesem Verständnis der Rechtsprechung zugrundeliegende Anerkennung des Prinzips der Konzentration als verselbstständigter Maßstab für die Zulässigkeit einer Klage. Indem allein darauf abgestellt wird, ob die Partei das jeweilige moyen bereits in einem früheren Verfahren hätte geltend machen können, wird die Überprüfung der triple identité als Voraussetzung der autorité de la chose jugée gänzlich ausgeblendet. Zwar erscheint es denkbar, die Präklusion auf Grundlage des Prinzips der Konzentration zu verselbstständigen und von der autorité de la chose jugée und ihren Grenzen zu lösen.725 Auch im englischen Recht wird die Präklusion nach der Henderson v. Henderson-Doktrin, die der Cesareo-Rechtsprechung als Vorbild diente, vielfach als von der res judicata zu unterscheidende Regel

722 Vgl. Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 134, p. 117 s.; Frouin, Rapport, VI B (zur Entscheidung der Assemblée plénière, 22. April 2011, n° 09-16.008, BICC 2011, n° 744 du 15/07/2011 – Jurisprudence – Cour de Cassation – Arrêts publiés intégralement). 723 Cass. ch. mixte, 21. Februar 2003, n° 99-18.759, Bull. ch. mixte, n° 3, p. 7; Cass. ass. plén., 22. April 2011, n° 09-16.008, Bull. ass. plén., n° 4. 724 Ähnlich auch Barbieri, JCP 2010, note-1270, p. 2380, 2381 („L’imprécision du contenu du pseudo-principe de concentration des moyens conduit toutefois à mélanger entre elles les catégories procédurales ou à en reconsidérer la portée. “). 725 Für die Verankerung eines neuen fin de non-recevoir als Sanktion der Nichteinhaltung der Konzentrationsobliegenheit, durch das Konzentrationsprinzip vollständig vom Institut der autorité de la chose jugée gelöst würde: Fricero, Mélanges Burgelin, 2008, p.199, 205 (n° 12).

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verstanden.726 Einer solchen Lösung der Präklusion nicht vorgetragener moyens von der autorité de la chose jugée und ihren Grenzen scheint es auf den ersten Blick auch zu entsprechen, dass in den Entscheidungen, die die Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten erstrecken, nach traditionellem Verständnis keine Identität des objet gegeben ist: Der Beklagte begehrt sowohl in den Entscheidungen der ersten und – noch deutlicher – der zweiten Kategorie ein anderes und oft gegenteiliges wirtschaftliches und rechtliches Ergebnis als der Kläger im ersten Verfahren. Gleichzeitig bestimmt das Vorbringen des Beklagten traditionell nicht das objet, so dass eine Identität des objet nicht gegeben ist. Die Konzentrationsobliegenheit scheint daher tatsächlich nicht an die Grenzen der triple identité gebunden zu sein. Dennoch kann den Entscheidungen der Cour de Cassation eine derartige Trennung der Konzentrationsobliegenheit vom Institut der autorité de la chose jugée nicht entnommen werden: Denn auch wenn die Rechtsprechung in ihren Urteilsbegründungen regelmäßig auf die Formel zurückgreift, dem Kläger bzw. Beklagten obliege es, sämtliche moyens im ersten Verfahren geltend zu machen, so wendet sie doch die gesetzlichen Grundlagen und Rechtsfolgen der entgegenstehenden autorité de la chose jugée an. Hält die Cour de Cassation damit aber an der Verankerung der Konzentrationsobliegenheit in der autorité de la chose jugée fest, so erscheint es notwendig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sich dies mit der in den Fällen der Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten fehlenden Identität des objet vereinbaren lässt. Obwohl die Cour de Cassation damit ein Entgegenstehen der autorité de la chose jugée in diesen Fällen trotz fehlender Übereinstimmung des objet zu bejahen scheint, lässt sich ihrer Rechtsprechung gleichzeitig auch kein durchgehender Verzicht auf das Erfordernis der Identität des objet entnehmen. Vielmehr hebt sie in zahlreichen aktuellen Entscheidungen die Bedeutung des objet für die Begrenzung der autorité de la chose jugée hervor. 727 Dieser scheinbare Widerspruch findet jedoch bei den französischen Autoren kaum Beachtung. 726

Vgl. Andrews, On Civil Processes I, para. 16.60: „In short, the Henderson principle can be regarded as an adjunct to res judicata; but this principle should not be confused as an aspect of res judicata.” Hierzu unten Kap. 3 § 1, A. III. 727 Dies gilt kammerübergreifend: Cass. 1 re civ., 30. September 2010, n° 09-11.552, Bull. civ. I, n° 177; Cass. 2 e civ., 20. Mai 2010, n° 09-67.662, Bull. civ. II, n° 97; Cass. 2 e civ., 10. November 2010, n° 09-14.948, Bull. civ. II, n° 181; Cass. 2 e civ., 22. März 2012, n° 1025.184, inédit; Cass. 2 e civ., 16. Mai 2012, n° 11-16.973, inédit; Cass. 3 e civ., 10. November 2009, n° 08-19.756, Bull. civ. III, n° 249; Cass. 3 e civ., 22. November 2011, n° 10-24.306, inédit; Cass. 3 e civ., 11. Januar 2012, n° 10-23.141, Bull. civ. III, n° 4; Cass. 3 e civ., 17. Juni 2015, n° 14-14.372 (vorgesehen für die Publikation im Bull. civ. III); Cass. com., 11. Juni 2013, n° 12-18.526, Bull. civ. IV, n° 97, p. 114. Zudem verbindet sie die Argumentation anhand der Konzentrationsobliegenheit bisweilen auch mit einer Betrachtung auf Grundlage der triple identité, so in Cass. 1re civ., 12. April 2012, n° 11-14.123, Bull. civ. I, n° 89.

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Sofern auf das an sich abweichende objet überhaupt eingegangen wird,728 begnügen sich die Autoren überwiegend damit, der Rechtsprechung zur Konzentrationsobliegenheit des Beklagten und insbesondere den Entscheidungen zu den Schadensersatzklagen des Bürgen vorzuwerfen, die Grenze des objet entgegen der gesetzlichen Vorgabe des Art. 1351 Code civil aufzugeben und so die Obliegenheit zur Konzentration der moyens von den Voraussetzungen und Grenzen der autorité de la chose jugée zu lösen.729 Einige Autoren nehmen an, die Cour de Cassation dehne den Begriff des moyen in ihrer jüngsten Rechtsprechung so weit aus, dass er auch das objet umfasse, 730 mit der Folge, dass auch die einzelnen Rechtsbegehren letztlich nur als moyens angesehen würden, deren unterbliebene Geltendmachung im ersten Verfahren zur Unzulässigkeit der neuen Klage führe. Auch hierin spiegelt sich die Wahrnehmung wider, dass die Rechtsprechung mit dem Prinzip der Konzentration der moyens ein von den traditionellen Grenzen der autorité de la chose jugée gelöstes Institut geschaffen habe, welches allein auf dem Begriff des moyen aufbaue. Die Stimmen, die die aktuelle Rechtsprechung allein unter dem Gesichtspunkt der Konzentrationsobliegenheit interpretieren, blenden damit entweder völlig aus, dass die Rechtsprechung an der Verwurzelung der Konzentrationsobliegenheit in der autorité de la chose jugée und deren Begrenzung durch die triple identité nach wie vor festhält, oder verweigern sich zumindest einer intensiven Auseinandersetzung mit einem möglichen Wandel des objet-Verständnisses der Cour de Cassation. 731 Der Aussagegehalt der aktuellen Rechtsprechung wird jedenfalls durch die Reduzierung auf eine Obliegenheit zur Konzentration der moyens nicht vollständig erfasst.

728 Teilweise wird auf die triple identité überhaupt nicht mehr eingegangen und nur anhand der Konzentrationsobliegenheit argumentiert, vgl. nur die Entscheidungsbesprechungen bei Albigès, Gaz. Pal. 2010, 2898 f.; Avena-Robardet, Recueil Dalloz 2011, 1566; Rolland, JCP 2011 (n° 51-52), Note-1922, p. 39 ff. 729 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 590 („L’obligation de concentration a donc plus de poids que la différence d’objet“); Creton, Recueil Dalloz 2010 (Cour de cassation – Première chambre civile, p. 2092 ss.), p. 2100 (n° 8), 2101; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 357, p. 291 („sacrifiant ainsi l’exigence d’une identité d’objet à son principe de concentration des moyens“). Ähnlich auch Laval, Gaz. Pal. 2014 (n° 355– 357), p. 3735, 3737 (n° 9) („on peut se demander ce qu’il reste de l’objet“). 730 Jeuland, JCP 2010, note-1052, p. 1993, 1995; Fricero, Autorité du jugement, in: Guinchard (dir.), Droit et pratique de la procédure civile 2012/2013, ch. 421, n° 421.115. 731 Ausführlicher mit den Grenzen der autorité de la chose jugée im Verhältnis zur Konzentrationsobliegenheit setzt sich Posez auseinander, Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 295 ss. (n° 44 ss.), der allerdings im Hinblick auf das objet auch zu keiner stimmigen Definition kommt (vgl. p. 200, n° 59) und insbesondere zur Begründung des Ausschlusses der späteren Klage des Beklagten nur die Konzentrationsobliegenheit heranzieht.

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(b) Beurteilung auf Grundlage der „triple identité“: Die Ausweitung des „objet“-Begriffs Es ist daher zu untersuchen, ob und wie sich die Rechtsprechung der Cour de Cassation auch unter Rückgriff auf die Kategorien der triple identité erklären lässt und welche Bedeutung einer Obliegenheit zur Konzentration der moyens im ersten Verfahren darin zukommt. Betrachtet man die zur Konzentrationsobliegenheit des Beklagten ergangenen Entscheidungen bei Zugrundelegung eines Festhaltens an der Grenze des objet, so ist der Schluss zwingend, dass mit der aktuellen Rechtsprechung der Cour de Cassation eine Ausweitung dieses Begriffs einhergeht. Nur wenige Autoren setzen sich jedoch ausführlicher mit dieser Änderung des objet-Verständnisses auseinander. (aa) Identität des „objet“ schon bei bloßer Ähnlichkeit der Zielsetzung? Teilweise wird angenommen, die Rechtsprechung bewege sich auf einen objetBegriff zu, der letztlich nur noch recht allgemein die im Prozess verfolgte Zielrichtung (objectif) beschreibt.732 In eine ähnliche Richtung zielt die Annahme, die Rechtsprechung lasse für eine Identität des objet – wie auch schon teilweise vor 2006 – die bloße wirtschaftliche Ähnlichkeit der von der Partei verfolgten Ziele genügen.733 Sieht man die Zielsetzung des Beklagten, der im Prozess auf Erbringung einer vertraglichen Leistung in Anspruch genommen wird, rein wirtschaftlich darin, nicht leisten zu müssen, so kann seine nachfolgende Klage auf Rückzahlung des Geleisteten, aber auch eine spätere Klage auf Aufhebung des Vertrages oder Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages als derselben Zielrichtung dienend angesehen werden.734 Gleiches ließe sich letzten Endes auch für den Fall einer auf die Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Summe aus einem Vertragsverhältnis folgenden Klage auf Schadensersatz und Verrechnung mit der Forderung des vormaligen Klägers vertreten, wie sie in den Fällen der Haftung des Bürgschaftsgläubigers erhoben wurden. Ein solches Verständnis vermag jedoch keine in sich schlüssige Erklärung für die aktuelle Rechtsprechung der Cour de Cassation zu liefern, denn zu zahlreich sind die Fälle, in denen das Gericht trotz einer in der oben dargestellten Weise definierten Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Zielsetzung der Klagen die Identität des objet abgelehnt hat. Dies gilt insbesondere für Fallgestaltungen, in denen der Kläger aufeinanderfolgende Klagen erhebt: So ließe sich zwar 732

So Bendel-Vasseur, Justice et Cassation 2010, p. 366, 373 („transformation de l’objet en objectif“). 733 So Sommer/Leroy-Gissinger, Recueil Dalloz 2011, p. 632 (n°1), 633 („résultat économique similaire“); ähnlich: Serinet, JCP 2011, note 861, p. 1424, 1426 s. 734 So Bendel-Vasseur, Justice et Cassation 2010, p. 366, 373.

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eine Direktklage des Subunternehmers gegen den Bauherrn auf Vergütung der erbrachten Bauleistungen und seine nachfolgende, erneut gegen den Bauherrn gerichtete Klage auf Schadensersatz wegen der unzureichenden Abklärung der vom Hauptunternehmer gestellten Sicherheiten auf das einheitliche Ziel zurückführen, vom Bauherrn eine Entschädigung für die erbrachten Bauleistungen zu erlangen, jedoch verneint die Cour de Cassation die Identität des objet.735 Gleiches gilt für den Fall, dass ein Versicherungsnehmer zunächst versucht, die Übernahme des Schadens durch das Versicherungsunternehmen auf Grundlage des Versicherungsvertrages einzuklagen und anschließend den Schaden aufgrund eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung von Informationspflichten ersetzt verlangen möchte, 736 obwohl er letztlich nur in beiden Fällen die Übernahme des Schadens durch das Versicherungsunternehmen erreichen möchte. 737 Auch wenn der in einem Verkehrsunfall geschädigte Kläger gegen die Versicherung des anderen Unfallbeteiligten zunächst auf Ersatz der körperlichen Schäden klagt und später Zahlung gesetzlich erhöhter Zinsen wegen unterbliebenen frühzeitigen Entschädigungsangebots von Seiten der Versicherung verlangt, ließe sich zwar das Klageziel in beiden Verfahren als Erlangung eines Ersatzes für den aus einem bestimmten schädigenden Ereignis entstandenen Schaden definieren, dennoch geht die Cour de Cassation hier von abweichenden objets aus. 738 Die Abweichung des Anknüpfungspunktes der Haftung scheint damit in die Abgrenzung der objets einzufließen.739 Schließlich liegen auch weiterhin unterschiedliche objets vor, wenn der Kläger verschiedene gesetzlich umschriebene Rechtsfolgen einer einheitlichen Pflichtverletzung geltend macht, auch wenn diese sich auf dieselbe wirtschaftliche Zielsetzung zurückführen lassen. So sieht die Cour de Cassation bei einer Klage auf Kaufpreisminderung wegen vorsätzlicher Täuschung ein anderes objet gegeben als bei der vorangegangenen, auf dieselbe Täuschung gestützten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages, 740 obwohl der Kläger in beiden Fällen das wirtschaftliche Ziel verfolgt, nicht (in vollem Umfang) bezahlen zu müssen.

735

Cass. 2 e civ., 16. Mai 2012, n° 11-16.973, inédit. Cass. 2 e civ., 10. November 2010, n° 09-14.948, Bull. civ. II, n° 181. 737 Dass die Entscheidung der Vorinstanz darauf beruhte, dass mit beiden Klagen die Inanspruchnahme des Versicherungsunternehmens auf Übernahme des Schadens bezweckt war, nimmt Barbieri in seiner Entscheidungsbesprechung an: Barbieri, JCP 2010, p. 2380. 738 Vgl. Cass. 2 e civ., 22. März 2012, n° 10-25.184, inédit. 739 Eine Abweichung der cause wird dagegen nicht angenommen, obwohl sich mit dem Wechsel des Anknüpfungspunktes der Haftung auch der Tatsachenvortrag verändert. 740 Cass. 3 e civ., 11. Januar 2012, n° 10-23.141, Bull. civ. III, n° 4. 736

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(bb) Erstreckung des „objet“ auf das kontradiktorische Gegenteil? Lässt sich damit nicht erkennen, dass die aktuelle Rechtsprechung ihren Entscheidungen ein neues, allgemein anwendbares Verständnis des objet als ähnliche wirtschaftliche Zielsetzung zugrunde legt, so liegt es nahe, bei der Neubestimmung des objet die besonderen Konstellationen stärker in den Blick zu nehmen, die in den genannten Entscheidungen betroffen waren. Kennzeichnend für die Entscheidungen zur Konzentrationsobliegenheit des Beklagten ist, dass das der später eingereichten Klage zugrunde liegende Begehren dem Rechtsfolgenausspruch des zuvor ergangenen Urteils zuwiderläuft. Dieser Aspekt fließt bisweilen auch in die Begründung der entgegenstehenden autorité de la chose jugée mit ein: So stellt die Cour de Cassation verschiedentlich darauf ab, dass die erhobene Klage des vormals Beklagten „letztlich nur das Ziel verfolge, die ergangene unanfechtbare Entscheidung in Frage zu stellen (remettre en cause) bzw. zu hintertreiben (faire échec)“. 741 Erwägen lässt sich daher, hinter der jüngeren Rechtsprechung eine Erstreckung des objet auf auf das kontradiktorische Gegenteil oder allgemeiner auf gegenläufige Interessen742 zu sehen, wobei die Konzentrationsobliegenheit dann als Rechtskraftpräklusion in den Grenzen dieses objet-Begriffs wirken würde. Ein unmittelbares, logisch exaktes Gegenteil im Sinne des echten kontradiktorischen Gegenteils der deutschen Rechtskraftdogmatik zu bestimmen, fällt im französischen Recht zunächst jedoch schwer. Denn bereitet die Bestimmung schon im deutschen Recht Probleme und gelingt sie auch dort letztlich nur im Verhältnis zwischen positiver und negativer Feststellungsklage und zwischen Feststellungs- und Leistungsklage trennscharf, so tritt im französischen Recht hinzu, dass der Inhalt des dispositif – wie bereits dargestellt – weniger standardisiert ist als der Tenor deutscher Entscheidungen und ein tatsächliches Feststellungsurteil nicht existiert.743 Die Bestimmung des Gegenteils bedarf daher einer stärker wertenden, auf den jeweiligen Inhalt des dispositif im 741 „[L’] action ne tendait qu’à remettre en cause, par un moyen qui n’avait pas été développé, en temps utile, la condamnation irrévocable“: Cass. com., 20. Februar 2007, n° 0518.322, Bull. civ. IV, n° 49; Cass. 1 re civ., 1. Juli 2010, n° 09-10.364, Bull. Civ. I, n° 150; Cass. com., 25. Oktober 2011, n° 10-21.383, Bull. civ. IV, n° 169. „[L]a demande presentée […] ne tendait qu’à faire échec au jugement irrévocable“: Cass. com., 2.Oktober 2012, n° 11-19.323, inédit. 742 Eine Erstreckung des objet auf Klagen, die die materiellrechtliche Wirkung der Erstentscheidung zerstören, sieht in den Entscheidungen der Cour de Cassation auch Serinet (JCP 2011, note 861, p. 1424, 1426 s.), der allerdings gleichzeitig zu erkennen glaubt, dass die Cour de Cassation die objet-Identität schon bei bloßer wirtschaftlicher Ähnlichkeit des begehrten Ergebnisses bejahe: „La notion de ‹chose demandée› est alors plus large que celle de prétention retenue par le code. Il suffit que, concrètement, la nouvelle demande parvienne à un résultat économique similaire à celui qui avait été auparavant sollicité […] ou vienne détruire l’effet substantiel du jugement ….“ 743 Siehe oben E. I.

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Einzelfall abstellenden Betrachtung. Geht man in dieser Weise vor, so lassen sich vereinzelt Entscheidungen der Cour de Cassation finden, die als Erstreckung des objet auf das kontradiktorische Gegenteil verstanden werden könnten: So nahm die zweite Zivilkammer unter ausdrücklichem Hinweis auf die Grenze der Identität des objet an, dass einer auf Vertragsauflösung und Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages gerichteten Klage die autorité de la chose jugée einer zuvor ergangenen Entscheidung über die réitération forcée desselben Vertrages entgegenstehe. 744 In dem Urteil zur réitération forcée hatte das Gericht festgestellt, dass das geschlossene privatschriftliche Verkaufsversprechen als wirksamer Kaufvertrag anzusehen sei und ihm durch das Urteil die Eigenschaft als acte authentique gegeben.745 Einer positiven Feststellung der Wirksamkeit stand damit das unmittelbar gegenteilige Begehren der Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages gegenüber. In einem fast identisch gelagerten Fall, der einer Entscheidung der dritten Zivilkammer zugrunde lag,746 beantragte der ehemals Beklagte, der zuvor in einem Verfahren der réitération forcée verurteilt worden war, in dem das Gericht die Wirksamkeit des Vertrages festgestellt hatte, allein die Auflösung des Vertrages wegen lésion, ohne seine Klage auch auf die Feststellung der Nichtigkeit zu richten. Die Auflösung des Vertrages wegen lésion, also wegen eines anfänglichen groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, hat nun zwar ex tunc-Wirkung, sie beinhaltet aber letztlich keine Feststellung einer bereits bestehende Nichtigkeit, sondern bewirkt die anfängliche Unwirksamkeit erst. 747 Dennoch kann bei einer wertenden Betrachtung aufgrund der ex tunc-Wirkung des Auflösungsausspruchs angenommen werden, dass der Auflösungsantrag der im ersten Verfahren getroffenen Rechtsfolgenfeststellung zur Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses unmittelbar widerspricht. Da die der Annahme der lésion zugrundeliegenden Tatsachen hier bereits im ersten Verfahren vorlagen, kann der vormals Beklagte sein dem Rechtsfolgenausspruch der Erstentscheidung zuwiderlaufendes Begehren nicht mehr auf diese Tatsachen stützen, sondern ist mit seinem Vorbringen präkludiert. Die Konzentrationsobliegenheit des Beklagten wird jedoch nicht nur bei einem Aufeinandertreffen konträrer Feststellungen zur Wirksamkeit eines Vertragsverhältnisses angewendet, sondern auch dann, wenn auf eine Verurteilung zur Leistung eine weitere Leistungsklage folgt. Sowohl die Kammer für Handelssachen als auch die zweite Zivilkammer der Cour de Cassation wenden die 744

Cass. 2 e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit. Cass. 2 e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit: „… que son action nouvelle en rescision […] et en nullité de la vente […] se heurte à l’autorité de la chose jugée qui s’attache à l’arrêt du […] qui a constaté l’efficacité de la vente;…“. Ausführlich zur promesse réciproque de vente valant vente und zur réitération forcée: Barret, Promesse de vente, in: Répertoire de droit civil 2011, n° 170 ss., n° 195 s. 746 Cass. 3 e civ., 13. Februar 2008, n° 06-22093, Bull. civ. III, n° 28. 747 Mazeaud, Lésion, in: Répertoire de droit civil 2012, n° 84. 745

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Konzentrationsobliegenheit des Beklagten in Fällen an, in denen der zur Leistung verurteilte Beklagte das aufgrund der vorangegangenen Verurteilung Geleistete mit der Begründung zurückverlangt, der gegnerische Anspruch habe nicht oder nicht in der zugesprochenen Höhe bestanden. 748 Der Beklagte begehrt damit nicht das logisch exakte Gegenteil, denn er begehrt nicht die Feststellung des Nichtbestehens des gegnerischen Anspruchs. Dennoch zielt seine Klage auf eine Umkehrung des zuvor gegen ihn ergangenen Rechtsfolgenausspruchs ab. Die Konstellationen ähneln dem Fall der bereicherungsrechtlichen Rückforderung des aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung Geleisteten, dessen Einordnung als kontradiktorisches Gegenteil unter dem Stichwort der „unechten Präjudizialität“ auch die deutsche Rechtskraftlehre beschäftigt. 749 Die Anwendung der Konzentrationsobliegenheit und die Annahme entgegenstehender autorité de la chose jugée ließe sich in diesen Fällen der Umkehrung der Erstentscheidung als Erstreckung des objet über das streng logische Gegenteil hinaus auf ein „kontradiktorisches Interesse“ verstehen.750 Eine Umkehrung der ersten Entscheidung in dem Sinne, dass letztlich nur die aufgrund dieser ersten Entscheidung erbrachte Leistung zurückgefordert werden soll, lässt sich auch in den Entscheidungen der ersten Zivilkammer und der Kammer für Handelssachen zur Schadensersatzhaftung des Bürgschaftsgläubigers erkennen,751 entspricht doch der Schaden, den der Bürge geltend macht, der Leistungsverpflichtung, die die Erstentscheidung ausgesprochen hat.752 Auch hier könnte daher das in der späteren Klage geltend gemachte kontradiktorische Interesse die Identität des objet begründen. Jedoch muss in diesem Fall angenommen werden, dass die Kammern der Cour de Cassation insoweit tatsächlich unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Reichweite des objet-Begriffs und der Einbeziehung kontradiktorischer Begehren vertreten. Denn die zweite Zivilkammer verneint im Fall, in dem der zuvor beklagte Darlehensnehmer das Geleistete im Wege der Schadensersatzklage 748

Cass. com., 20. Februar 2007, n° 05-18.322, Bull. civ. IV, n° 49; Cass. com., 6. Juli 2010, n° 09-15.671, Bull. civ. IV, n° 120; Cass. 2 e civ., 20. März 2014, n° 13-14.738, Bull. civ. II, n° 73. Gleiches gilt für den Fall, dass der Beklagte nachträglich eine Verrechnung mit seinem Rückforderungsanspruch geltend macht: Cass. com., 5. Juni 2012, n° 11-18.521, inédit. 749 Für die Unzulässigkeit der bereicherungsrechtlichen Rückforderung als kontradiktorisches Gegenteil im deutschen Recht: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 576; Koussoulis, Beiträge, S. 231 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 154 Rn. 7 (S. 881). Dagegen (bloße Präjudizialität): MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 45; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 22; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 25. Vgl. auch unten Kapitel 3 § 6 A. I. 750 Diesen Begriff wendet im deutschen Recht Althammer an (Streitgegenstand und Interesse, S. 576). 751 Cass. 1re civ., 1. Juli 2010, n° 09-10.364, Bull. civ. I, n° 150; Cass. com., 25. Oktober 2011, n° 10-21.383, Bull. civ. IV, n° 169; Cass. 1 re civ., 30. Mai 2012, n° 10-25.492, inédit. 752 Dies stellt auch Jeuland (JCP 2010, note-1052, p. 1993, 1995) fest.

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zurückfordert, ausdrücklich die Identität des objet.753 Zwar erschiene es denkbar, eine Erklärung für diese abweichende Beurteilung darin zu sehen, dass die Haftung des Gläubigers außerhalb des Bürgschaftsrechts nicht als bloße Einwendung geltend gemacht werden kann, sondern nur im Wege einer selbstständigen Klage auf Schadensersatzzahlung und compensation judiciaire und damit – ähnlich der Ausübung eines Gestaltungsrechts im deutschen Recht – durch gesonderte Geltendmachung (in Form der Klagehandlung). Weil erst die beantragte und gerichtlich ausgesprochene compensation judiciaire sich auf die materiellrechtliche Beurteilung des gegnerischen Anspruchs auswirkt, könnte die Position der zweiten Zivilkammer dadurch erklärt werden, dass sie es für eine Präklusion des Vorbringens der responsabilité des Gläubigers nicht genügen lässt, dass die maßgeblichen Tatsachen bereits im ersten Verfahren vorlagen, sondern dass allein die tatsächliche Stellung des Antrags auf compensation judiciaire maßgeblich ist. Auf eine derartige Präzisierung der Präklusionswirkung bei der compensation judiciaire stellt die zweite Zivilkammer in ihrer Verneinung der entgegenstehenden autorité de la chose jugée jedoch nicht ab, vielmehr begründet sie diese allein mit dem Abweichen des objet. In einem anderen Fall, in dem aber nicht Schadensersatz verlangt wurde, sondern eine unmittelbare Rückforderung des aufgrund der Erstentscheidung Geleisteten gegeben war, hat aber – wie schon gesagt – auch die zweite Zivilkammer eine Umkehrung durch Rückforderung des aufgrund der ersten Entscheidung Geleisteten als durch die autorité de la chose jugée ausgeschlossen angesehen.754 Will man die ergangenen Entscheidungen der Cour de Cassation dahingehend verstehen, dass das objet nunmehr auch das Gegenteil erfasst, so müsste folglich angenommen werden, dass die zweite Zivilkammer dieses Gegenteil stärker beschränkt, während die erste Zivilkammer und die Kammer für Handelssachen darüber hinaus auch bei Umkehrung der Erstentscheidung durch Schadensersatzbegehren eine objet-Identität annehmen. Trotz dieser Divergenzen könnte daher die These einer Erweiterung des objet-Begriffs auf kontradiktorische Interessen eine Erklärung für die aktuellen Entscheidungen der Cour de Cassation liefern, die nicht auf einer von den objektiven Grenzen der autorité de la chose jugée gelösten Anwendung der Obliegenheit zur Konzentration der moyens beruht, sondern die Verankerung der Konzentrationsobliegenheit in der autorité de la chose jugée und deren Begrenzung durch die triple identité wahrt.

753 Cass. 2e civ., 23. September 2010, n° 09-69.730, Bull. civ. II, n° 157: „… l’action en responsabilité intentée contre la banque n’avait pas le même objet que l’action en paiement exercée par celle-ci“. 754 Cass. 2 e civ., 20. März 2014, n° 13-14.738, Bull. civ. II, n° 73.

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cc. Zusammenfassende Beurteilung der Auswirkungen der CesareoRechtsprechung und ihrer Fortentwicklung auf die objektiven Grenzen der „autorité de la chose jugée“ Die Cesareo-Rechtsprechung hat erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der objektiven Grenzen der autorité de la chose jugée gehabt. Die cause, der vor 2006 durch die streitgegenstandsbegrenzende Wirkung neuen Rechtsvorbringens die zentrale Bedeutung bei der Begrenzung der autorité de la chose jugée zukam, beschreibt nunmehr allein die dem Rechtsbegehren zugrundeliegenden Tatsachen, während das jeweilige Rechtsvorbringen für die Reichweite der cause ohne Bedeutung ist. Eine genauere Bestimmung der zur selben cause zu rechnenden Tatsachen finden sich nicht, ihre Identifizierung muss daher wohl durch den Bezug auf das objet erfolgen. Deutlich wird aber, dass die als Tatsachengrundlage definierte cause weit gefasst wird und bei geringfügigeren Abweichungen im notwendigen Tatsachenvortrag, beispielsweise bei der Berufung auf eine andere Pflichtverletzung im Rahmen desselben Lebenssachverhalts, nicht etwa von einer abweichenden cause, sondern allenfalls von einem neuen objet ausgegangen wird.755 Weiterhin kann aber ein fait nouveau, also eine nach dem Ende des ersten Verfahrens eingetretene Tatsache, die geeignet ist, eine abweichende Beurteilung der festgestellten Rechtsfolge zu rechtfertigen, die Zulässigkeit einer neuern Klage begründen.756 Neu aufgefundene Beweismittel genügen jedoch nicht,757 gleiches gilt für eine nachträgliche Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderung.758 Infolge der Aufgabe der rechtlichen Prägung der cause wird häufig dem objet eine gesteigerte Relevanz als objektiven Grenze der autorité de la chose jugée zugeschrieben.759 Die Wahrnehmung einer durch die Cesareo-Rechtspre-

755 So in den bereits erwähnten Entscheidungen Cass. 2 e civ., 10. November 2010, n° 0914.948, Bull. civ. II, n° 181; Cass. 2 e civ., 22. März 2012, n° 10-25.184, inédit. 756 Cass. 3e civ., 25. April 2007, n° 06-10662, Bull. civ. III, n° 59; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 590; Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, p. 366, 369 s.; Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 144, 156 f. 757 Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 590, 544 s.; Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 144, 156 f. 758 Cass. 2e civ., 18. Oktober 2007, n° 06-13068, inédit; Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 587 ss.; Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 144, 156 f.; zweifelnd dagegen Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, p. 366, 370 ss. 759 Cadiet/Jeuland, Droit judiciare privé, n° 739, p. 544 („l’identité de l’objet devient l’élément central de délimitation de l’autorité de la chose jugée“); Delicostopoulos/Delicostopoulos, Mélanges Guinchard, 2010, p. 681, 685; Serinet, JCP 2011, note 861, p. 1424, 1425; Serinet/Ghestin, JCP 2012, p. 724, 725.

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chung angewachsenen Bedeutung des objet hat sich jedoch nicht in Bemühungen niedergeschlagen, dem schon früher recht schwammigen Begriff des objet klarere Konturen zu geben.760 Der Rechtsprechung der Cour de Cassation ist allerdings zu entnehmen, dass die rechtliche Qualifizierung der begehrten Rechtsfolge für die Bestimmung des objet weiterhin von Bedeutung ist. So wird eine Identität des objet verneint zwischen dem Begehren der Freistellung von der gerichtlichen Inanspruchnahme durch Dritte und dem auf derselben fehlerhaften Angabe des beklagten Verkäufers zur Größe des verkauften Grundstücks beruhenden Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens. 761 Auch zwischen einem auf Unterlassung eines schädigenden Verhaltens gerichteten Begehren und dem Ersatzbegehren für den aus demselben Verhalten entspringenden Schaden wird unterschieden.762 In einem Fall, in dem in aufeinanderfolgenden Klagen verschiedene aus einem einheitlichen schädigenden Ereignis entspringende Schadensposten geltend gemacht wurden, hat die zweite Zivilkammer allerdings ein Greifen der autorité négative de la chose jugée im Hinblick auf die spätere Nachforderung weiterer Schadensposten bejaht.763 Bei individualisierten Teilklagen scheint

760 Zwar sprechen sich beispielsweise Cadiet/Jeuland, Droit judiciare privé, n° 739, p. 544 (Fußnote 183) wegen der durch die Cesareo-Rechtsprechung gewachsenen Bedeutung des objet dafür aus, ein „klare und präzise Definition des objet“ einzuführen, belassen es aber dann doch bei einer Definition im Sinne des verfolgten wirtschaftlich-sozialen Ziels („Il est donc déterminant d’adopter une définition claire et précise de l’objet conçu comme le résultat économique et sociale poursuivi par les parties.“), ohne sich um eine genaue Einordnung des objet-Verständnisses der jüngeren Rechtsprechung zur Konzentrationsobliegenheit des Beklagten zu bemühen. Ausführlicher allein Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 295 ss. (n° 44 ss.). 761 Cass. 2 e civ., 6. Juni 2013, n° 12-19.660, inédit. 762 Cass. com., 11. Juni 2013, n° 12-18.526, Bull. civ. IV, n° 97, p. 114. 763 Cass. 2 e civ., 13. Februar 2014, n° 13-10548, Bull. civ. II, n° 44 (im ersten Verfahren: Zuspruch einer Rente sowie von Schadensersatz für verschiedene körperliche Schäden und für immaterielle Schäden wegen Einschränkung der Freizeitgestaltung aufgrund eines vom Arbeitgeber verschuldeten Arbeitsunfalls, im zweiten Verfahren: Klage auf Ersatz der augrund der körperlichen Schäden nowendigen Umgestaltung der Wohnung und des verwendeten KfZ). Abweichende objets hat die zweite Zivilkammer dagegen im Verhältnis zwischen der Klage des Verkehrsunfallopfers gegen die Versicherung des anderen Unfallbeteiligten auf Ersatz der körperlichen Schäden und der Klage auf Zahlung gesetzlich erhöhter Zinsen wegen unterbliebenen frühzeitigen Entschädigungsangebots von Seiten der Versicherung angenommen, Cass. 2 e civ., 22. März 2012, n° 10-25.184, inédit; Cass. 2 e civ., 5. März 2015, n° 14-10.842 (zur Erscheinung im Bull. civ. II vorgesehen). Hier knüpft aber schon die Ersatzpflicht für den jeweiligen Schaden an einem anderen Grund an (von der Versicherung gedeckter Unfall einerseits und unterbliebenes Entschädigungsangebot andererseits).

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daher die vor 2006 vorherrschende Linie aufgegeben zu werden, nach der verschiedene, aus einem einheitlichen schädigenden Ereignis entspringende Schadensposten als unterschiedliche objets zu betrachten waren.764 Für nicht individualisierte Teilklagen fehlt es dagegen – soweit ersichtlich – an einer Entscheidung der Cour de Cassation. Die frühere Begründung für die Annahme der Unzulässigkeit einer späteren Nachforderungsklage, das Gericht habe in der Erstentscheidung eine décision implicite auch über den Restbetrag getroffen, wird wohl aufgrund der seit 2009 von der Cour de Cassation verfolgten Linie, die autorité de la chose jugée auf den ausdrücklichen Ausspruch im dispositif zu beschränken, nicht mehr herangezogen werden können.765 Jedoch spricht einiges dafür, dass die Nachforderung auch heute als unzulässig angesehen würde. Vor dem Hintergrund, dass das objet im französischen Recht nicht durch den von der Partei formulierten Antrag, sondern durch das darin zum Ausdruck kommende Begehren im Sinne eines wirtschaftlichen und rechtlichen Ziels bestimmt wird, lässt sich nur schwer vertreten, dem im Antrag genannten Betrag streitgegenstandsbeschränkende Bedeutung zuzuschreiben und so allein wegen des Bezugs auf verschiedene, nicht individualisierte Teilbeträge innerhalb eines einheitlichen Anspruchs zwischen verschiedenen objets zu differenzieren. Es liegt vielmehr nahe, das objet bei einer Klage auf Zahlung im Begehren einer einheitlichen vertraglichen Gegenleistung oder des Ersatzes für einen bestimmten einheitlichen Schaden zu sehen, 766 während die Höhe des Schadens als bloßes tatsächliches Vorbringen angesehen werden könnte, das nach der Konzentrationsobliegenheit im ersten Verfahren zu konzentrieren ist. Der von der Cesareo-Rechtsprechung verfolgten Zielsetzung, eine prozesstaktische Aufspaltung von Verfahren zu verhindern, entspräche dies in jedem Fall. Unsicherheit besteht im Hinblick auf die Frage, welche Auswirkung die Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten für den Begriff des objet hat. Hier fehlt es an einer klaren Aussage der Rechtsprechung und auch in der Literatur findet sich bislang noch kein tragfähiger Versuch, die mit der Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit möglicherweise verbundene 764 So in der Literatur Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 297 (n° 51). Für eine Obliegenheit zur Konzentration verschiedener Schadensposten in einem Verfahren auch Mayer, Mélanges Héron. 2009, 331, 346 (n° 19), der aber annimmt, dass damit eine Infragestellung des Erfordernisses der Identität des objet einherginge. 765 Eine eindeutige Beurteilung daher derzeit für nicht möglich haltend: Landbrecht, TeilSachentscheidungen, S. 247. 766 So wohl Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 296 („… si l’obligation relève du fond du droit, et donc de la cause de la demande, l’objet de cette dernière consiste purement et simplement dans l’exécution de cette obligation. De sorte que l’objet du litige peut être identique, quand bien même les sommes demandées ne le seraient pas, si le temps écoulé depuis la première demande a modifié le montant de la créance invoquée, ou encore si, pour toute autre raison, le demandeur va à avancer un nouveau calcul.“) (Hervorhebung eingefügt).

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Änderung des objet-Begriffs genauer zu bestimmen. Durch die zuvor aufgestellte These, die aktuellen Entscheidungen der Cour de Cassation ließen sich als Ausweitung des objet auf kontradiktorische Interessen verstehen, soll der aktuellen Rechtsprechung dabei nicht schlicht die Vorstellung des kontradiktorischen Gegenteils der deutschen Rechtskraftlehre künstlich aufgezwängt werden. Zwar lassen sich die von der französischen Rechtsprechung gefundenen Ergebnisse in eine solche Konzeption des objet einfügen, jedoch kann nicht geleugnet werden, dass Anhaltspunkte in den Entscheidungstexten, die auf ein Abstellen auf den Widerspruch des neuen Begehrens mit der bereits ergangenen Entscheidung hindeuten, zwar vorhanden, aber nicht zahlreich sind. Mit dem Versuch, die jüngere Rechtsprechung auf Grundlage einer Erweiterung des objet-Begriffs auf kontradiktorische Interessen zu verstehen, soll auch lediglich aufgezeigt werden, dass sich die Fortentwicklung der Cesareo-Rechtsprechung durch Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten mit dem Erfordernis der Identität des objet durchaus vereinen lassen können. Die Konzentrationsobliegenheit muss nicht als eigenständiges Institut neben die autorité de la chose jugée treten, sondern kann als Präklusionswirkung der autorité de la chose jugée beschrieben werden, die in den Grenzen der triple identité greift. Die Rechtsprechung hat die in der jüngeren Diskussion um die Grenzen der autorité de la chose jugée eingetretene Verschiebung des Fokus auf das Prinzip der Konzentration sicher befördert, indem sie in ihren Urteilsbegründungen häufig auf eine klare Prüfung der Voraussetzungen der triple identité verzichtet und stattdessen auf die Formel der Obliegenheit zur Konzentration der moyens im ersten Verfahren zurückgreift. Während aber für die cause mittlerweile anerkannt ist, dass die Cesareo-Rechtsprechung zu einer Begriffsveränderung geführt hat und die cause auf die Tatsachengrundlage des Begehrens beschränkt, ist die Auswirkung der jüngsten Rechtsprechung auf den Begriff des objet bislang nicht klar bestimmt worden. Vielmehr hat die Prägung der Cesareo-Entscheidung durch das Prinzip der loyauté und die ausdrückliche Bezugnahme des vorbereitenden Rapports des berichterstattenden Richters auf die englische Regel aus der Entscheidung Henderson v. Henderson dazu beigetragen, dass sich die Literatur zunehmend von einer Untersuchung der Identität des objet entfernt und ihren Blickwinkel noch stärker auf das Prinzip der Konzentration verengt hat, so dass einige Autoren dieses Prinzip gar mittlerweile verselbstständigen wollen. Dies scheint jedoch den Blick auf andere Verständnismöglichkeiten auf Grundlage der durch die triple identité begrenzten autorité de la chose jugée, beispielsweise durch eine Erstreckung des objet auf die aus dem deutschen Recht bekannte Figur des kontradiktorischen Gegenteils, verstellt zu haben.767 767 Dies mag auch dadurch befördert worden sein, dass die Darstellung der deutschen Rechtskraftlehre in dem bereits erwähnten rechtsvergleichenden Sachverständigengutachten

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c. Kritik an der Cesareo-Entscheidung und ihrer Weiterentwicklung Die mit der Cesareo-Entscheidung 2006 eingeleitete Rechtsprechungsentwicklung, wie sie soeben dargestellt wurde, wird nur von wenigen Autoren als uneingeschränkt positiv bewertet. 768 Überwiegend fällt die Beurteilung des 2006 von der Cour de Cassation eingeschlagenen Weges negativ aus. Zwar sehen viele Autoren die Vorteile einer durch die Konzentrationsobliegenheit bewirkten zügigen Herbeiführung einer endgültigen Verfahrensbeendigung und einer Verhinderung missbräuchlicher Verfahrensaufspaltung. 769 Kritisiert wird jedoch die Verankerung dieser Wirkung in der autorité de la chose jugée, weil die autorité de la chose jugée auf diese Weise ihres Sinngehalts entleert und gegen das Prinzip der contradiction verstoßen werde. Daneben wird aber vor allem die Veränderung der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien bei der Erforschung des Rechts beklagt, welche durch das Zusammenspiel zwischen der Konzentrationsobliegenheit und der Rechtsprechung zur lediglich fakultativen Prüfung des Rechtsstreits unter anderen als den vorgetragenen rechtlichen Gesichtspunkten bewirkt werde. aa. „Chose non-jugée“ und „contradiction“ (1) Bedenken hinsichtlich einer „autorité de la chose non-jugée“ Die Kritik an der Cesareo-Rechtsprechung entzündet sich vor allem daran, dass die Konzentrationsobliegenheit die Geltendmachung von Tatsachen oder Rechtsgrundlagen ausschließt, die im ersten Verfahren nicht Gegenstand der Diskussion zwischen den Parteien waren und zu denen das Gericht keine Feststellungen getroffen hat. Dass die autorité de la chose jugée damit auf tatsäch-

zur Vorbereitung der Césareo-Entscheidung (Ferrand/Poillot/Rey/Tinoco Pastrana, Étude complémentaire – L‘étendue de l’autorité de chose jugée en droit comparé, BICC 2006, n° 648 du 15/10/2006 – Jurisprudence – Cour de Cassation – Arrêts publiés intégralement) die Tatsachenpräklusion durch Rechtskraft nur unter dem Schlagwort „fait nouveau“ erörtert (p. 12 s.) und das kontradiktorische Gegenteil nur mit einem knappen Satz erwähnt (p. 12); die Tatsachenpräklusion als Bestandteil der deutschen Rechtskraftlehre scheint jedenfalls bei vielen die Cesareo-Rechtsprechung kommentierenden Autoren nicht bekannt zu sein (vgl. Delicostopoulos/Delicostopoulos, Mélanges Guinchard, 2010, p. 681, 685, die davon ausgehen, dass Deutschland kein der Konzentration der moyens vergleichbares Institut kenne). Dass auch das deutsche Recht durch den am weiten Lebenssachverhalt ausgerichteten Streitgegenstandsbegriff die Rechtskraft auch auf nicht Vorgetragenes und Entschiedenes erstreckt, beschreibt dagegen richtig di Noto, Liber amicorum Otmar Seul, 2014, S. 86, 97 ff. 768 Positiv äußern sich: Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331 ss. (insbesondere p. 345 s. (n° 17)); Perrot/Fricéro/Douchy-Oudot, Autorité de la chose jugée, in: Juris-Classeur Procédure civile, Fasc. 554, n° 180; Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 285 ss. 769 So beispielsweise: Serinet, JCP-G 2011, Note 861, p. 1424, 1427.

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lich nicht Entschiedenes erstreckt werde, also auf eine chose non-jugée, entstelle das Institut der autorité de la chose jugée schon begrifflich und widerspreche seiner Grundkonzeption.770 Die Vorstellung, dass die autorité de la chose jugée auf Fragen erstreckt werden könnte, zu denen das Gericht im ersten Verfahren keine ausdrückliche Feststellung getroffen hat, war der französischen Rechtskraftlehre jedoch auch zuvor nicht gänzlich fremd, hatte sie doch jahrelang den décisions implicites die Wirkung der autorité de la chose jugée zuerkannt.771 Die Annahme, die décisions implicites fügten sich deshalb in das Institut der autorité de la chose jugée ein, weil das Gericht die jeweilige Feststellung auf dem Weg zu ihrer Entscheidung zwingend habe treffen müssen, beruhte – wie oben in Abschnitt E., II., b. dargestellt – oft genug auf einer bloßen Fiktion. Zudem überschneiden sich die Ergebnisse, die auf Grundlage der Anerkennung mit autorité de la chose jugée ausgestatteter décisions implicites erzielt wurden, teilweise mit den heute auf Grundlage der Konzentrationsobliegenheit gefundenen Lösungen.772 Auch wenn die Erstreckung der Wirkungen der autorité de la chose jugée über die ausdrücklich getroffenen Feststellungen hinaus damit zwar kein Novum darstellt, weisen die Kritiker der Cesareo-Rechtsprechung darauf hin, dass die Cour de Cassation die autorité de la chose jugée mittlerweile auf den ausdrücklichen Ausspruch im dispositif beschränkt und hierdurch auch der Anerkennung der autorité de la chose jugée der décisions implicites faktisch ein Ende bereitet hat.773 Es sei daher widersinnig, wenn nun eine autorité de la chose non-jugée in Form der Konzentrationsobliegenheit in anderer Form zugelassen werde. 774 Dieser Einwand übersieht jedoch, dass die zunehmende Abkehr von den décisions implicites zwar auch, aber nicht allein durch die drohende Anerkennung einer autorité de la chose non-jugée veranlasst war. Vielmehr bestand eines 770 So Bolard, JCP-G 2008, I-156, n° 26, p. 19, 21 s. (n° 10 11.); Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 354, p. 290; Serinet, JCP-G 2011, Note 861, p. 1424, 1427; Weiller, JCPG 2008, p. 31, 34; Wiederkehr, JCP-G 2007, II-10.0070, p. 33, 36. 771 Hierauf hinweisend auch di Noto, Liber amicorum Otmar Seul, 2014, S. 84, 86 f. 772 Dies gilt insbesondere in den Fällen der Erstreckung der Obliegenheit auf den Beklagten: Ist es dem vormaligen Beklagten, der in einem ersten Verfahren zur Erbringung einer vertraglichen Leistung verurteilt wurde, heute beispielsweise aufgrund der Konzentrationsobliegenheit verwehrt, sich in einem späteren Prozess auf bereits im ersten Verfahren vorhandene Einwendungen gegen die Höhe des im ersten Verfahren zugesprochenen Zahlungsanspruchs zu berufen (Cass. com., 5. Juni 2012, n° 11-18.521, inédit), so wurde dieses Ergebnis vor 2006 auf die Annahme einer in der Verurteilung zur Leistung im Erstverfahren enthaltenen décision implicite gestützt (vgl. Cass. soc., 24. März 1971, n° 70-40.142, Bull. soc., n° 236, p. 197). 773 Vgl. hierzu oben E. II. 2. b. 774 Serinet, JCP 2011, note 861, p. 1424, 1427.

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der zentralen Probleme der décisions implicites gerade in der Annahme einer tatsächlich ergangenen Feststellung des Gerichts zu der jeweiligen Vorfrage, der bei Anerkennung einer positiven Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée an sich auch eine – nicht durch cause und objet begrenzte – positive Bindungswirkung zukommen musste. Gerade gegen die Anerkennung einer autorité positive de la chose jugée bei bloß stillschweigenden und damit aus Sicht der Parteien nicht mit völliger Sicherheit getroffenen Entscheidungen bestanden jedoch immer erhebliche Bedenken und es dürfte diese dogmatischen Unsicherheit in Bezug auf die positive Bindungswirkung gewesen sein, die die Rechtsprechung nach und nach zu einer Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif veranlasst hat. Derartige Unsicherheiten in Bezug auf eine positive Bindung in späteren Verfahren stellen sich jedoch bei einer als Rechtskraftpräklusion in den Grenzen der triple identité verstandenen Konzentrationsobliegenheit nicht in gleichem Maße. Sie beschränkt sich auf eine Ausschlusswirkung in den Grenzen der triple identité, ohne dass eine positive Bindung auch in Verfahren mit abweichendem objet entstünde. 775 Die Konzentrationsobliegenheit bewirkt lediglich die Präklusion des bereits im ersten Verfahren existierenden Tatsachenund Rechtsvorbringens zur Stützung einer erneuten Klage mit identischem oder im Widerspruch zur Erstentscheidung stehendem Begehren und vermeidet das mit den früheren décisions implicites verbundene Problem der positiven Bindungswirkung ohne (ausdrückliche) gerichtliche Feststellung. Der Schluss, dass die Konzentrationsobliegenheit mit ihrer Präklusionswirkung im Widerspruch zur Aufgabe der décisions implicites steht, ist daher keineswegs zwingend. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass hinsichtlich der durch die Konzentrationsobliegenheit präkludierten moyens keine gerichtliche Feststellung erfolgt ist. Die französische Rechtskraftlehre kann daher letzten Endes zwei alternative Wege beschreiten: Sie löst ihr Verständnis der autorité de la chose jugée entweder von der bloßen Begrifflichkeit der chose jugée und öffnet sich der Vorstellung, dass zu den Wirkungen der autorité del la chose jugée auch eine Präklusion von Rechts- und Tatsachenvorbringen, zu dem das Gericht keine Feststellung getroffen hat, zählt. Alternativ könnte der Begriff der autorité de la chose jugée dem tatsächlich Entschiedenen vorbehalten bleiben und die Präklusion nicht vorgetragenen Vorbringens als eigenständiges, von der autorité de 775 Dass der Rechtsprechung tatsächlich nicht entnommen werden kann, dass diese von einer ergangenen gerichtlichen Feststellung zu dem präkludierten moyen ausginge, scheint Bolard zu übersehen (JCP 2008, I-156, n° 26, p. 19, 23 (n° 8)), der annimmt, durch die Konzentrationsobliegenheit, werde auch eine gerichtliche Entscheidung über das ausgeschlossene moyen fingiert („En conséquence ces moyens sont non seulement censés être au débat, mais en outre censés tranchés par le jugement.“).

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la chose jugée getrenntes Institut etabliert werden, was jedoch ohne ein gesetzgeberisches Handeln nur schwer denkbar wäre. 776 Die Rechtsprechung scheint eine Aufspaltung in zwei Institute – wie bereits dargestellt – bislang jedenfalls nicht vorzunehmen, sondern an der Verknüpfung der Konzentrationsobliegenheit mit der autorité de la chose jugée festzuhalten. (2) Verstoß gegen das Prinzip der „contradiction“? Eng verknüpft mit den Bedenken gegenüber der Anknüpfung der Konzentrationsobliegenheit an eine chose non-jugée ist der Vorwurf, die Cesareo-Rechtsprechung verstoße gegen das Prinzip der contradiction, da die präkludierten moyens nicht Gegenstand einer streitigen Diskussion zwischen den Parteien im ersten Verfahren waren.777 Nach traditionellem Verständnis wurde die streitige Erörterung regelmäßig als Voraussetzung der Zuerkennung der autorité de la chose jugée angesehen. 778 Doch auch schon vor 2006 ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Berufung auf Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt des ersten Verfahrens vorgelegen hatten, aber von den Parteien im ersten Verfahren nicht vorgetragen worden waren, nicht die Annahme einer neuen cause begründete und daher den Einwand entgegenstehender autorité de la chose jugée nicht entkräften konnte.779 Obwohl das jeweilige Tatsachenvorbringen damit nicht Gegenstand der Diskussion zwischen den Parteien gewesen war, stand die autorité de la chose jugée der neuerlichen Klage entgegen. Zwar geht die Cesareo-Rechtsprechung weiter, indem sie die Konzentrationsobliegenheit und die damit verbundene Präklusion nicht vorgetragener moyens nun sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsvorbringen anwendet, sie war aber in Bezug auf die Wahrung des Prinzips der contradiction nicht ohne Vorläufer. Die autorité de la chose jugée war auch vor 2006 keineswegs ausnahmslos streng an ein Erfordernis der tatsächlichen Diskussion zwischen den Parteien geknüpft. Doch auch der damaligen Rechtsprechung zum Ausschluss nicht vorgetragener Tatsachen und zur autorité de la chose jugée der décisions implicites 776 Für die Einführung eines neuen fin de non-recevoir durch den Gesetzgeber als Sanktion für die Nichteinhaltung der Konzentrationsobliegenheit: Fricero, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 205 (n° 12). Auch Perrot hielte eine mögliche Einführung einer Obliegenheit zur Konzentration der moyens durch den Gesetzgeber für denkbar, lehnt aber die richterrechtliche Schaffung einer solchen Obliegenheit ab (Perrot, RTD civ. 2006, p. 825 (n° 7), 826). 777 Diesen Vorwurf machen der Cesareo-Rechtsprechung: Fricero, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 206 (n° 14); Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 389; Laval, Gaz. Pal. 2014 (n° 355–357), p. 3735, 3737 (n° 10); Wiederkehr, JCP 2007 (n° 17), II-10.077, p. 33, 36. Einen Verstoß gegen das Prinzip der droits de la défense mit denselben Argumenten bejahend: Bolard, TEKA Komisji Prawniczej III/2010 (Mélanges Sawczuk), p. 62, 66. 778 Cass. 3e civ., 29. Oktober 1973, n° 72-13.562, Bull. civ. III, n° 550; Motulsky, Recueil Dalloz 1968, Chronique, p. 1, 11 (n° 37). 779 Hierauf hinweisend auch: Mayer, Mélanges Héron, 2009, p. 331, 344 (n° 16).

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wurde der Vorwurf eines Verstoßes gegen das Prinzip der contradiction gemacht, so dass eine kurze Auseinandersetzung mit diesem Prinzip notwendig erscheint. Das Prinzip der contradiction erfordert, dass jede Partei in die Lage versetzt wird, ihr Vorbringen im Prozess zu äußern und zu den Anträgen, dem Vorbringen und den angebotenen Beweisen der Gegenseite sowie den vom Gericht von Amts wegen ermittelten moyens Stellung zu nehmen.780 Dabei steht die Gewährleistung der Möglichkeit im Vordergrund, die eigenen moyens zu präsentieren und zum gegnerischen Vorbringen Stellung zu nehmen. Solange die Gelegenheit hierzu gegeben ist, kommt es auf die tatsächliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien zum Streitstoff an sich nicht an.781 Im Hinblick auf die autorité de la chose jugée durfte nach traditionellem Verständnis nur das zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden und an der autorité de la chose jugée teilhaben, was Gegenstand der Diskussion und ausdrücklichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien war. 782 Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Prinzips der contradiction erscheint die Annahme eines Verstoßes jedoch nicht zwingend. Dient das Prinzip primär dem Schutz der Parteien und genügt es, dass jede Seite die Möglichkeit hatte, ihr Vorbringen bzw. Gegenvorbringen in das Verfahren einzubringen und zu dem jeweiligen Vorbringen der anderen Seite Stellung zu nehmen, so ließe sich vertreten, dass mit der Präklusion der nicht vorgetragenen moyens im Rahmen der triple identité keine Verletzung des Prinzips der contradiction verbunden ist. Der Kläger bzw. Beklagte, der mit einem bestimmten Vorbringen aufgrund der Konzentrationsobliegenheit präkludiert ist, hatte die Möglichkeit, die jeweilige Tatsache oder Rechtsbehauptung geltend zu machen. Sein Gegner bedarf der Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem präkludierten moyen zum Schutz seiner Interessen dagegen nicht, weil der Ausschluss der Geltendmachung des moyen auf spätere Klagen mit demselben objet (möglicherweise unter Einschluss kontradiktorischer Interessen) begrenzt ist783 und ihm die Präklusion des gegnerischen Vorbringens in diesem Rahmen ja zugutekommt. Auch wenn man annimmt, dass jedes moyen, auf welches das Gericht seine Entscheidung stützt, Gegenstand einer Diskussion zwischen den Verfahren sein muss, 784 bleibt festzuhalten, dass sich das Gericht bei der Abfassung seiner

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Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 768. So ausdrücklich: Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 516, p. 379: „ce qui compte est moins la réalité de la contradiction que la possibilité même de contredire. “ 782 Motulsky, Recueil Dalloz 1968, Chronique, p. 1, 11 (n° 37). 783 Hierin liegt auch der Unterschied zu einer décision implicite, der auch eine positive Bindungswirkung in Verfahren mit anderem objet zukäme. 784 So Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 522, p. 385; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 815. Dies war jedoch für die amtswegig erhobenen moyens de 781

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Entscheidung auf die aufgrund der Konzentrationsobliegenheit präkludierten moyens gerade nicht gestützt hat. Weder wird das präkludierte moyen Grundlage der Entscheidung, noch wird angenommen, das Gericht habe zu dem moyen eine Feststellung getroffen, vielmehr besagt die Konzentrationsobliegenheit lediglich, dass die Partei sich nicht mehr auf das jeweilige moyen berufen kann, um die Erstentscheidung durch eine Klage mit identischem oder gegenläufigen objet in Frage zu stellen.785 Die Annahme eines Verstoßes gegen das Prinzip der contradiction könnte auf Grundlage dieses Verständnisses verneint werden. Nach Ansicht der Autoren, die in der Konzentrationsobliegenheit einen Verstoß gegen den Grundsatz der contradiction sehen, verlangt das Prinzip jedoch, dass nicht nur jedes moyen, auf das sich die Entscheidung des Gerichts stützt, Gegenstand einer streitigen Diskussion zwischen den Parteien gewesen sein muss, sondern auch jedes moyens, das durch die autorité de la chose jugée präkludiert wird.786 Dieses Verständnis des Grundsatzes der contradiction räumt der Wahrheitsfindung als Prozessziel einen höheren Stellenwert ein und versteht die kontradiktorische Auseinandersetzung als Vorbedingung einer sich der materiellen Wahrheit möglichst annähernden Entscheidung. Der contradiction wird also ein über den Schutz der Parteiinteressen hinausgehender Eigenwert als im öffentlichen Interesse stehender Verfahrensgrundsatz zugewiesen.787 Dass die mit ihrem Vorbringen präkludierte Partei Gelegenheit zur Geltendmachung hatte und die Gegenseite der Möglichkeit zur Stellungnahme nicht bedarf, weil der Ausschluss des moyen sich zu ihren Gunsten auswirkt, ist nach diesem Verständnis unmaßgeblich. Jedoch ist festzustellen, dass die Konturen des Prinzips der contradiction in Bezug auf den Ausschluss der Geltendmachung bislang nicht vorgetragener moyens unscharf sind. Unklar ist schon, ob die Gewährleistung der Möglichkeit, innerhalb desselben Prozesses neue moyens zu jedem Zeitpunkt des Ver-

droit lange Zeit umstritten, vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 815; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 303 ss., p. 247 ss. 785 Allerdings nahm auch Motulsky an, dass die von ihm vorgeschlagene Präklusion auf Grundlage der Konzentrationslast, die sich auch auf nicht diskutierte und nicht entschiedene Rechtsgrundlagen erstrecken sollte, als gesetzliche Ausnahme vom principe du contradictoire ausgestaltet werden müsse (Motulsky, Recueil Dalloz 1968, 1, 12 (n° 40)), da der Grundsatz gelte, dass die autorité de la chose jugée nur dem tatsächlich Entschiedenen und streitig Diskutierten zukommen könne (Motulsky, Recueil Dalloz 1968, 1, 11 (n° 37)). Hierauf weist auch Ferrand hin (FS Stürner, Teilbd. II, S. 1485, 1505 s.). 786 So ausdrücklich: Fricero, Mélanges Burgelin 2008, p. 199, 206 (n° 14). 787 Als der Wahrheitsfindung dienendes Instrument eines geordneten Verfahrens und nicht zugunsten der Parteien wirkende Gewährleistung versteht das Prinzip der contradiction: Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 516, p. 379.

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fahrens geltend machen zu können, dem Schutzbereich des Prinzips der contradiction zuzurechnen ist.788 Umso zweifelhafter ist, ob auch der Ausschluss der Geltendmachung eines in einem ersten Verfahren nicht vorgetragenen moyen in einem späteren Prozess das Prinzip der contradiction berührt.789 Teilweise vermischen sich in der Diskussion um die Vereinbarkeit der CesareoRechtsprechung mit den Prozessgrundsätzen auch die Schutzbereiche des Prinzips der contradiction, der Verteidigungsrechte (droits de défense) und des Rechts auf Zugang zu den Gerichten (droit de l’accès au juge). 790 Diese Unschärfe zeigt sich auch in den Äußerungen der Literatur, in denen das Problem häufig nur angerissen wird und auf eine abschließende Aussage zum Verstoß gegen das Prinzip der contradiction verzichtet wird.791 Letztlich sind auch die Bedenken im Hinblick auf das Prinzip der contradiction davon geprägt, dass sich die französische Literatur nur zögerlich auf das Konzept einer Präklusion nicht geltend gemachten Vorbringens einlassen will, obwohl das Erfordernis einer kontradiktorischen Diskussion zwischen den Parteien, das Mitte des letzten Jahrhunderts als Vorbedingung der Zuerkennung der autorité de la chose jugée formuliert worden war, schon vor 2006 durch Anerkennung des Ausschlusses nicht vorgetragener Tatsachen und (teilweise) der décisions implicites ausgehöhlt worden war.

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Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 291, p. 240. Der Kern des Schutzbereichs des Prinzips liegt letztlich in anderen Bereichen, namentlich im Erfordernis der ordnungsgemäßen Ladung des Beklagten (Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 518; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 776 ss.; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 294, p. 241 s.), des gegenseitigen frühzeitigen Informationsaustausches zwischen den Parteien (Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 519; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 803 ss.; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 295, p. 242 s.) und der Anhörung der Partein bei amtswegiger Rechtsermittlung unter Abweichung vom Rechtsvorbringen der Parteien (Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 522; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 817 ss.; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 300 ss., p. 247 ss.). 790 Beispielsweise sieht Bolard (TEKA Komisji Prawniczej III/2010 (Mélanges Sawczuk), p. 62, 66) in dem Ausschluss nicht vorgetragener moyens trotz fehlender Äußerungsmöglichkeit der Parteien hierzu einen Verstoß gegen das Prinzip der droits de la défense. 791 Guinchard beendet seine Beurteilung der Cesareo-Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Prinzips der contradiction mit der Feststellung, dass die Lösung der CesareoRechtsprechung auch im Hinblick auf den Grundsatz der contradiction „akzeptabler“ wäre, wenn der Richter in jedem Fall zur Überprüfung des Rechtsstreits von Amts wegen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten verpflichtet wäre (Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 390: „En fait cette solution de l’arrêt du 7 juillet 2006 serait plus acceptable si le juge avait l’obligation de requalifier et de relever d’office les moyens de droit, en toute hypothèse“). 789

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bb. Veränderung der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien im Hinblick auf die Ermittlung und Anwendung des Rechts Die Ablehnung, die die Cesareo-Entscheidung und ihre Folgerechtsprechung in der französischen Literatur erfahren hat, hat ihren Grund zwar auch in der Abweichung vom traditionellen Konzept der autorité de la chose jugée und in den Bedenken gegenüber der Vereinbarkeit mit dem Prinzip der contradiction. Als Hauptkritikpunkt wird jedoch in fast allen Beurteilungen der CesareoRechtsprechung deren Auswirkung auf die Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht im Hinblick auf die Ermittlung und Beibringung des anwendbaren Rechts angeführt. Bewirkt die Stützung auf ein neues Rechtsvorbringen keine Änderung der cause mehr und müssen die Parteien ihr gesamtes Rechtsvorbringen im ersten Verfahren konzentrieren, so empfiehlt es sich für die Parteien und ihre Anwälte zur Vermeidung der Präklusion, die rechtlichen Grundlagen und die dem Begehren zugrunde liegende Subsumtion deutlich sorgfältiger zu prüfen und darzulegen als vor 2006 und gleichzeitig auch hilfsweise rechtliche Argumente für den Fall vorzutragen, dass das Gericht ihrer primären rechtlichen Argumentation nicht folgt. 792 Damit wird ihnen eine deutlich größere Verantwortung bei der Ermittlung des Rechts und der Subsumtion zugeschrieben als nach der alten Rechtspraxis, die ihnen ermöglichte, ein übersehenes moyen de droit auch noch in einer späteren Klage mit identischem objet geltend zu machen. Die entscheidende Veränderung der Rollenverteilung zwischen Parteien und Richter ergibt sich jedoch erst im Zusammenspiel mit der Rechtsprechungsentwicklung zur Pflicht des Gerichts zur umfassenden rechtlichen Überprüfung von Amts wegen. (1) Die Rechtsprechung zur Rechtsanwendung von Amts wegen seit 2007 Bereits vor 2006 hatte die Rechtsprechung – wie oben dargestellt – dazu tendiert, eine Verpflichtung des Gerichts, das Rechtsbegehren auch unter anderen als den geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen, abzulehnen, wenn die Parteien ihr Begehren auf eine bestimmte rechtliche Subsumtion oder Rechtsgrundlage gestützt hatten. 793 Den dennoch verbliebenen 792 Bolard, JCP 2008 (n° 42), II-10.170, p. 35, 37; Wiederkehr, JCP 2007, II-10.070, p. 33, 36; so auch Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, p. 366, 385 (mit dem Hinweis, dass einerseits das Prinzip der Konzentration die Parteien zu hilfsweisem Vorbringen zwingt, das auch teilweise im Widerspruch mit ihrem Hauptvorbringen steht, dass aber andererseits die sich in der Rechtsprechung andeutende Anerkennung einer Regel des estoppel ein solches widersprüchliches Vorbringen ausschließen könnte). 793 Unstrittig besteht dagegen auch weiterhin eine Pflicht zur Subsumtion und zur Anwendung aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen für den Fall, dass die Parteien die ihrem Begehren zugrunde liegende rechtliche Begründung nicht bestimmt haben (Cass. soc., 23. November 2011, n° 10-24.279, inédit; Cass. 3 e civ, 13. Dezember 2011, n° 10-18.037

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Unklarkeiten in dieser Frage wollte die Assemblée plénière der Cour de Cassation in einer Entscheidung von 2007 ein Ende bereiten, indem sie die entstandene Rechtsprechungstendenz aufgriff, sie aber durch eine Differenzierung zu präzisieren versuchte: Zwar sei der Richter nach Art. 12 C.p.c. verpflichtet, auf Grundlage der durch die Parteien vogetragenen Tatsachen eine korrekte Subsumtion vorzunehmen (qualification) und eine fehlerhafte Subsumtion der Partei durch die korrekte zu ersetzen (requalification), er sei aber grundsätzlich nicht verpflichtet, sondern lediglich befugt, eine von den Parteien vorgetragene Rechtsgrundlage zu ändern (changer le fondement juridique) und ein moyen de droit von Amts wegen zu erheben (relevé d’office d’un moyen de droit). 794 Unterschieden wird damit zwischen der requalification der vorgetragenen Tatsachen, also der vom Rechtsvortrag der Partei abweichenden Subsumtion unter die einzelnen Voraussetzungen einer Rechtsregel, einerseits und der Erhebung eines moyen de droit von Amts wegen, also der Anwendung einer anderen als

(„en l'absence de toute précision dans les écritures sur le fondement de la demande, les juges du fond doivent examiner les faits, sous tous leurs aspects juridiques, conformément aux règles de droit qui leur sont applicables“); Bléry, Procédures 2012 (n° 11), Étude n° 6, p. 4, 5 (n° 3); Bléry/Raschel, Procédures 2012, n° 3, Dossier, p. 12, 13 (n° 6); Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 546; Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, n° 284, p. 232; Normand, Festschrift Kerameus, 2009, S. 941, 946 (n° 10)). Der C.p.c. sieht jedoch seit 1998 vor, dass die Parteien frühzeitig ihr Rechtsvorbringen darlegen: Die durch das décret n° 981231 vom 28. Dezember 1998 eingeführten Art. 56, 2° C.p.c., Art. 753 C.p.c. sowie Art. 954 C.p.c. schreiben vor, dass die Parteien in der Ladung und Zustellung der Klageschrift (assignation), sowie in den conclusion vor dem Tribunal de grande instance und der Cour d‘appel das Tatsachen- und Rechtsvorbringen formulieren („exposé des moyens en fait et en droit“), auf das sie ihr Begehren stützen (Es handelt sich hierbei überwiegend um Ordnungsvorschriften ohne Sanktion. Dagegen erklärt Art 56, 2° C.p.c. die assignation für nichtig, wenn diese keine Darstellung auch des rechtlichen und tatsächlichen Vorbringens enthält, auf das sich der Kläger stützt (vgl. aber Cass. 3 e civ., 26. November 2003, n° 01-16.126, Bull. civ. III, n° 205, p. 182 (die aus dem Verstoß gegen Art. 56 C.p.c. entspringende Nichtigkeit werd nur auf Einrede des Beklagten berücksichtigt und könne nach Erhebung einer materiellrechtlicher Einwendung nicht mehr geltend gemacht werden); vgl. auch Bléry, Procédures 2012 (n° 11), Étude n° 6, p. 4, 5 (n° 3)). Dennoch verbleiben aber Fälle, in denen die Parteien tatsächlich auf eine rechtliche Begründung verzichten können (hierauf weisen hin: Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1104 s. (n° 15); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 510). 794 Cass. ass. plén., 21. Dezember 2007, n° 06-11.343, Bull. ass. plén., n° 10 (BICC 15 avril 2008, p. 18 ss. (Arrêt publié intégralement)): „[L]'article 12 du nouveau code de procédure civile oblige le juge à donner ou restituer leur exacte qualification aux faits et actes litigieux invoqués par les parties au soutien de leurs prétentions, il ne lui fait pas obligation, sauf règles particulières, de changer la dénomination ou le fondement juridique de leurs demandes.“

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der von der Partei vorgetragenen Rechtsregel, andererseits.795 Die Entscheidung hat eine Kontroverse über die Sinnhaftigkeit und praktische Umsetzbarkeit dieser Unterscheidung hervorgerufen: Einige Autoren loben die Entscheidung als genaue Differenzierung und notwendige Präzisierung der verschiedenen Stufen richterlicher Rechtsanwendung. 796 Dagegen sehen andere darin eine künstliche Trennung: Die requalification habe automatisch auch die Anwendung eines anderen moyen de droit zur Folge.797 Beide Vorgänge seien daher so eng verbunden, dass sich eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Pflicht des Gerichts zur Rechtsprüfung und -anwendung von Amts wegen verbiete. 798 Man mag die Sinnhaftigkeit der von der Assemblée plénière eingeführten Differenzierung und deren Begründung für die Ablehnung einer umfassenden

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Die Assemblée plénière hat damit darauf verzichtet, entsprechend der von der überwiegenden Literatur favorisierten Unterscheidung zwischen moyens de (pur) droit und moyens mélangés de fait et de droit eine Pflicht zur Amtsprüfung nur dann zu bejahen, wenn die Anwendung der jeweiligen Rechtsregel lediglich den Rückgriff auf die faits spécialement invoqués erfordert, also auf die Tatsachen, die von der Partei zur Begründung der Voraussetzungen der von ihr herangezogenen Rechtsregel unmittelbar notwendig sind, ( moyen de (pur) droit) und bei notwendiger Einbeziehung auch der faits adventices (moyen mélangé de fait et de droit) nur von einer Befugnis auszugehen. Diese Differenzierung hätte wohl auch im der Entscheidung der Assemblée plénière zugrundeliegenden Fall herangezogen werden können, da wohl ein moyen mélangé de fait et de droit vorlag (Amrani-Mekki, JCP 2008 (n° 17), I-138, p. 20, 22 (n° 9); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 535). Auch der Generalanwalt de Gouttes hatte dies in seiner vorbereitenden Stellungnahme zur Entscheidung der Assemblée plénière erwogen (Avis, BICC 15 avril 2008 (Arrêt publié intégralement), p. 30, 38 s.), dabei aber die faits adventices bzw. die moyens mélangés de fait et de droit so definiert, dass letztlich wieder deren rechtliche Qualifikation maßgeblich sein sollte (auf diese „raison assez curieuse“ weist auch Deshayes, Recueil Dalloz 2008, 1102, 1106 (Fn. 49) hin). Der Berichterstatter Loriferne lehnte in seinem vorbereitenden Bericht zur Entscheidung der Assemblée plénière die Lösung auf Grundlage einer Differenzierung zwischen moyens de droit und moyens mélangés de fait et de droit ausdrücklich ab (Rapport, BICC 15 avril 2008 (Arrêt publié intégralement), p. 20, 25 s.). 796 So Weiller, JCP 2008 (n° 2), II-10.006, p. 25, 28. Die Entscheidung grundsätzlich begrüßend auch Gautier, RTD civ. 2008, p. 317 (n° 1), 318 (jedoch kritisch zur zu kompliziert formulierten Differenzierung). 797 So Blondel, JCP 2012 (n° 15), L’Étude n° 464, p. 746, 852 (n° 14); Bolard, JCP 2008 (n° 26), I-156, p. 19, 23 (n° 18); Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1108 (n° 33); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 534. Trotz Befürwortung auch einer Pflicht zur amtswegigen Anwendung neuer moyens de droit für eine Unterscheidung zwischen requalification und relève d’office d’un moyen de droit: Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire privé, n° 547. 798 So Bléry, Procédures 2012 (n° 11), Étude n° 6, p. 4, 9 (n° 11); Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1107 s. (n° 33); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 534.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Pflicht zur Rechtsprüfung in Frage stellen können,799 dennoch hat die Assemblée plénière mit dieser Entscheidung die Position der französischen Rechtsprechung vorerst festgelegt. 800 Nach dieser Rechtsprechung ist das Gericht nicht verpflichtet, eine andere als die von der Partei geltend gemachte Rechtsgrundlage heranzuziehen; insoweit besteht eine bloße Prüfungsbefugnis des Gerichts. Verzichtet aber das Gericht – nach der Rechtsprechung der Assemblée plénière rechtsfehlerfrei – auf die Prüfung eines nicht geltend gemachten moyen de droit, 801 so kann der Kläger sein Begehren später nicht nochmals auf Grundlage des bislang nicht herangezogenen moyen de droit geltend machen, da er aufgrund der Cesareo-Rechtsprechung mit diesem moyen de droit präkludiert ist. (2) Die Kritik an dem Zusammenwirken der Konzentrationsobliegenheit mit der bloßen Befugnis des Gerichts zur Anwendung nicht vorgetragener „moyens de droit“ Während die Entscheidungen der Assemblées plénières von 2006 und 2007 isoliert betrachtet für hinnehmbar gehalten werden, wird das Zusammenspiel der Cesareo-Rechtsprechung mit der Entscheidung der Assemblée plénière

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Insbesondere die Argumente des Generalanwalts de Goutte (drohende Rechtsmittelflut, Gefahr zunehmender Inanspruchnahme der Richter und des Staates im Wege der Amtshaftung, drohende Verzögerung des Verfahrens entgegen des in Art. 6 Abs. 1, Satz 1 EMRK verankerten Rechts auf ein Verfahren innerhalb angemessener Frist) (Avis, BICC 15 avril 2008, p. 30, 39) sind keineswegs zwingend (vgl. die Auseinandersetzung mit dessen Argumenten bei Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1108 s. (n° 37 ss.) und Jeuland, Festschrift Stürner, 2013, S. 1545 ff.) 800 Vgl. die zahlreichen seither ergangenen Entscheidungen, z.B. Cass. com., 28. April 2009, n° 08-11.616, Bull. civ. IV, n° 56; Cass. com., 16. März 2010, n° 08-20.360 (keine Pflicht zur Anwendung der Haftung wegen nicht vereinbarungsgemäßer Leistung bei einer auf die Haftung für versteckte Mängel gestützten Klage); Cass. soc., 4. April 2012, n° 1026.588, inédit; Cass. 3e civ., 14. Februar 2012, n° 10-25.464, inédit (keine Pflicht zur Prüfung des Verstoßes gegen eine andere als die geltend gemachte nachbarschützende Vorschrift). Das Gericht darf ein anderes moyen de droit aber nur dann zur Anwendung bringen, wenn die Parteien hierzu gehört wurden, vgl. Cass. 1 re civ., 11. Dezember 2013, n° 1221.818, inédit, und die Anmerkung hierzu von Bléry, Gaz. Pal. 2014 (n° 68-70), p. 1008 s. (auch zur etwas unklaren Formulierung der Entscheidung). 801 In dem der Entscheidung der Assemblée plénière vom 21. Dezember 2007 zugrunde liegenden Fall hatte das Gericht daher beispielsweise nicht zu prüfen, ob der geltend gemachte Schadensersatzanspruch statt auf den vorgetragenen versteckten Mangel, der die Kaufsache in ihrer Eignung für den bestimmungsmäßigen Gebrauch mindert (vice caché, Art. 1641 C.c.), auf den Verstoß gegen die Pflicht zur Zurverfügungstellung der Kaufsache im vertragsgemäßen Zustand (manquement à l’obligation de délivrance conforme, Art. 1604 C.c.) gestützt werden konnte.

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vom 21. Dezember 2007 als Verstoß gegen grundsätzliche prozessuale Gewährleistungen und als nicht hinnehmbarer Bruch mit den traditionellen Grundstrukturen des französischen Zivilprozesses verstanden. Häufig werden Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der kombinierten Wirkung der beiden Rechtsprechungslinien mit dem droit d’accès au juge und Art. 6 Abs. 1 EMRK geäußert: Weil ein von der Partei vergessenes oder übersehenes moyen de droit weder im ersten Verfahren zwingend von Amts wegen gerichtlich geprüft werde, noch in einem späteren erstinstanzlichen Verfahren zur Stützung desselben Begehrens geltend gemacht werden könne, sei nicht gewährleistet, dass die Partei mit ihrem Vorbringen gehört werde und ihr Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz (accès au juge) gewährt werde. 802 Zudem werde durch das Zusammenwirken der Konzentrationsobliegenheit mit der Verneinung einer Pflicht zur amtswegigen Prüfung nicht vorgetragener moyens die zuvor durch den Gesetzgeber des Nouveau Code de procédure civile sorgfältig austarierte Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien zerstört, nach der die Parteien für die Beibringung der Tatsachen, das Gericht dagegen für die Rechtsanwendung zuständig seien.803 Seit den Reformen des Jahres 1998 sei den Parteien immer größere Verantwortung auch bei der Ermittlung und Anwendung des Rechts übertragen worden. Man verlange von den Parteien, den Sachverhalt rechtlich genauer und lückenloser zu prüfen als das Gericht, welches sich auf die Überprüfung der von den Parteien vorgetragenen rechtlichen Würdigung beschränken dürfe. 804 Teilweise wird sogar angenommen, den Parteien obliege nun nicht nur die Beibringung der Tatsachen, sondern auch des Rechts. 805 Gerade in Verfahren ohne Anwaltszwang wirke sich dies besonders nachteilig aus, da eine juristisch ungeschulte Partei ohne anwaltliche Vertretung zu einer umfassenden rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes überhaupt nicht in der Lage sei. 806 Diese Bedenken sind jedoch nicht gänzlich berechtigt. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen das droit d’accès au juge lässt sich nur auf Grundlage eines Verständnisses begründen, welches in die Gewährleistung des Zugangs zu den 802

Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, p. 366, 388; Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 388 („déni de justice“); Théry, RTD civ. 2010, p. 147, 149. 803 Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, p. 366, 384; Bléry, Mélanges Héron 2009, p. 111, 117 (n° 8), 123 s. (n° 14 s.); Croze, Procédures 2006, p. 1 (n° 9); Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 393; Weiller, JCP 2008 (n° 12), II-10.052, p. 31, 33. Kritisch hierzu auch Cayrol, Gaz. Pal. 2014 (n° 211/212), p. 2599, 2600 (n° 8). 804 Grandjean, Gaz. Pal. 2013 (n° 67/68), p. 21, 23 („infaillibilité“); Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 386. 805 Croze, Procédures 2006, p. 1 (n° 9) („daha mihi factum iusque“); Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1107 (n° 29); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 538; Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 393. 806 Bléry, Mélanges Héron, 2009, p. 111, 119 (n° 11); Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 387.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Gerichten eine Garantie hineinliest, jedes einzelne rechtliche Argument vor dem Richter vortragen zu dürfen. Der Zugang zu den Gerichten mit demselben Begehren müsste danach so lange gewährt werden, bis die Parteien sämtliche moyens ausgeschöpft hätten. Eine solche Garantie entspricht jedoch auch nicht dem französischen Verständnis des droit d’accès au juge. Den Erfordernissen des droit d’accès au juge wird vielmehr bereits dann genügt, wenn die Partei ihr Begehren in einem ersten Verfahren geltend machen konnte und die Parteien dort die Gelegenheit hatte, ihr Vorbringen dem Richter vorzutragen.807 In verschiedenen europäischen Rechtsordnungen, beispielsweise im als Vorbild für die Cesareo-Entscheidung herangezogenen englischen Recht, erstreckt sich die Beibringungslast der Parteien auch auf das Recht, ohne dass hierin ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK gesehen würde. Die französische Rechtsprechung sieht dagegen auch heute noch keine Beibringungslast der Parteien hinsichtlich des Rechts vor, 808 da die Möglichkeit der amtswegigen Prüfung durch das Gericht auch unter anderen als den geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkten besteht. Die Annahme eines Verstoßes gegen die Gewährleistung des Art. 6 EMRK ist zumindest nach einer Entscheidung des EGMR nicht mehr zu halten, in der die Konzentrationsobligenheit für vereinbar mit Art. 6 EMRK erklärt wurde.809 Der Vorwurf einer Überlastung der Parteien durch die erhöhten Anforderungen an die rechtliche Vorbereitung von Klage und Gegenvorbringen lässt wiederum außer Acht, dass die Parteien und ihre anwaltlichen Vertreter auch 807 Forest, Recueil Dalloz 2008, p. 621; Fricéro, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 207; Lacabarats, Justice & Cassation 2008, p. 116, 120; Posez, RTD civ. 2015, p. 283, 286 (n° 11); Weiller, Recueil Dalloz 2006, p. 2135, 2139. Die Vereinbarkeit der Cesareo-Entscheidung mit dem droit d’accès au juge wird ebenfalls in dem die Entscheidung vom 7. Juli 2006 vorbereitenden Gutachten der Richterin Koering-Joulin bejaht (Koering-Joulin, Note relative au droit d’accès à un tribunal, insbes. II 2, BICC 15 octobre 2006 – Arrêt publié intégralement). 808 So auch Jeuland, Festschrift Stürner, 2013, S. 1545, 1546; Weiller, JCP 2008 (n° 12), II-10.052, p. 31, 34 (die jedoch das damit verbundene Risiko für die Parteien und die entstehende Rechtsunsicherheit hervorhebt). 809 EGMR, Barras ./. France, Entscheidung vom 17. März 2015, Beschwerde Nr. 12686/10, Rn. 23 ff. Der EGMR hatte bereits zuvor schon die rückwirkende Anwendung der Cesareo-Rechtsprechung auf Fälle, bei denen das Erstverfahren vor der Cesareo-Entscheidung stattgefunden hatte, für mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar erklärt (EGMR, Legrand ./. France, Entscheidung vom 26. Mai 2011, Beschwerde Nr. 23228/08, Rn. 41). Zweifel aus europarechtlicher Perspektive formuliert dagegen Guinchard (Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 394) unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH im Fall Ministero dell'Industria, del Commercio e dell'Artigianato ./. Lucchini SpA, 18.07.2007, Rs. C-119/05, Slg. 2007 I06199 (zum der Konzentrationsobliegenheit ähnelnden Art. 2909 Codice civile). Im Fall Lucchini wurde allerdings der Vorrang des Gemeinschaftsrechts zur Geltung gebracht, nicht etwa ein Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze (dies gesteht auch Guinchard selbst zu (ebenda)).

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vor 2006 ein Interesse daran hatten, die Rechtsauffassung des Gerichts durch eigenes Rechtsvorbringen zu beeinflussen, weshalb sie ihre Klage oder Verteidigung in der Regel umfassend rechtlich begründeten. 810 Auch wenn der Druck, dies zu tun, aufgrund der jüngeren Rechtsprechungsentwicklung erhöht ist, erscheint die Annahme einer Überlastung der Parteien angesichts der Üblichkeit einer umfassenden rechtlichen Begründung der Klage und des Gegenvorbringens – zumindest bei anwaltlicher Vertretung – eher fernliegend. Zudem bleibt der Partei, die ein moyen de droit übersehen hat, in einem Großteil der Fälle811 auch auf Grundlage der heutigen Rechtsprechung noch der „Rettungsanker“ der zweiten Instanz.812 Nach Art. 563 C.p.c können im appel-Verfahren neue moyens sowohl tatsächlicher als auch rechtlicher Art vorgetragen werden. Der Cour d’appel ist eine Sachentscheidungsinstanz (voie d’achèvement). 813 Den Parteien bleibt damit die Gelegenheit, ihr Rechtsvorbringen zu ergänzen und neue moyens de droit vorzutragen. Der Vorwurf, die Parteien dürften sich keine Fehler oder Versehen bei der Rechtsanwendung mehr leisten, vermag in dieser Schärfe nach geltender Rechtslage daher nicht zu überzeugen. Ob das zweitinstanzliche Verfahren nach Umsetzung des umfassenden Reformprojekts „La justice du 21ième siècle“ des französischen Justizministeriums814 in der soben dargestellten Form allerdings fortdauern wird,

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Dies gestehen auch einige Kritiker der Rechtsprechungsentwicklung zu, beispielsweise Grandjean, Gaz. Pal. 2013 (n° 67/68), p. 21, 23, der jedoch die die deutlich angewachsene Bedeutung des Rechtsvortrags für problematisch hält. 811 Ausgenommen bleiben die Fälle, in denen der Streitwert die Berufungsgrenze, taux de ressort, von 4.000 € (für die verschiedenen erstinstanzlichen Gerichte getrennt gesetzlich geregelt in Art. R. 211–3, R. 221–4, R. 231–4 Code de l’organisation judiciaire, Art. R. 491– 1 Code rural et de la pêche maritime, Art. R. 721–6 Code du commerce) nicht überschreitet (auf Grund dieser recht hohen Grenze kritisch zu dem Argument, die Möglichkeit zur Geltendmachung vergessener moyens bestehe ja in zweiter Instanz: Fricero, Mélanges Burgelin, 2008, p. 199, 207 (n° 15)). 812 Irreführend ist insoweit die Formulierung des Prinzips der Konzentration im Cesareo Urteil und seinen Folgeentscheidungen, die von einer Obliegenheit der Geltendmachung in der ersten „Instanz“ spricht („dès l’instance (initiale)“). Diese Formulierung wird – insbesondere aufgrund der Regelung des Art. 563 C.p.c – in Rechtsprechung und Literatur einhellig dahingehend verstanden, dass sie sich auf das erste Verfahren unter Einschluss der zweiten Instanz bezieht (Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2011, p. 997 (Fn.2); Bouty, Chose jugée, in: Répertoire Procédure Civil 2012, n° 590). 813 In der Vorbereitung der Reform des appel durch die Reformkommission Magendie II von 2008 war eine abweichende Ausgestaltung zwar diskutiert, jedoch in der abschließenden Empfehlung wieder verworfen worden (vgl. Magendie/Amrani-Mekki/Fricero/Trapet, Célérité et qualité de la justice devant la Cour d’appel, Rapport au garde de sceaux, ministre de la justice, 28. Mai 2008, p. 39 ss.). 814 Präsentiert im September 2014, vgl. die Meldungen zur Präsentation des Projekts vor dem Conseil des ministres am 10. September 2014 (Ministère de la Justice, Une justice plus

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

ist noch offen, stehen die Berichte der vorbereitenden Arbeitsgruppen 815 der bisherigen Ausgestaltung des appel als vollumfängliche zweite Sachentscheidungsinstanz doch kritisch gegenüber. 816

proche, plus efficace et plus protectrice,) und vor den Vertretern der Richterschaft und Anwaltschaft am 11. September 2014 (Ministère de la Justice, Justice du 21ème siècle – Un plan d'actions pour améliorer la Justice du quotidien). 815 Institut des Hautes Études sur la Justice, „Le Juge du 21ième siècle“ – Un citoyen acteur, une équipe de justice, Rapport à Mme la garde des sceaux, ministre de la justice, presidé par Pierre Delmas-Goyon, Dezember 2013; Institut des Hautes Études sur la Justice, La prudence et l’autorité – L’office du juge du XXIième siècle, Rapport de la mission de réflexion confiée par Madame Christiane Taubira, garde des sceaux, à l’Institut des hautes études sur la justice, sur l’évolution de l’office du juge et son périmètre d’intervention, presidé par Antoine Garapon, Mai 2013. 816 Die Berichte der vorbereitenden Arbeitsgruppen sprechen sich gegen ein Festhalten an der bisherigen Ausgestaltung des appel als zweite Sachentscheidungsinstanz aus, Institut des Hautes Études sur la Justice, Le Juge du 21ième siècle, proposition n° 31, p. 85 s.; Institut des Hautes Études sur la Justice, La prudence et l’autorité, p. 139; vgl. hierzu auch Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2014 (n° 211/212), p. 2614, 2618; Fricero, Procédures 2015 (n° 1, janvier 2015), Dossier n° 2, p. 5, 7 (n° 16). Stattdessen wird eine Beschränkung des appel auf die Kontrolle und Beseitigung von Fehlern der erstinstanzlichen Entscheidung befürwortet, bei der die Möglichkeit zu neuem Rechtsvortrag stärker begrenzt werden soll (weitgehend die Beschränkung nach dem Vorschlag des Berichts „Le Juge du 21ième siècle“, wonach ein neuer Vortrag neuer moyens nur nach vorheriger Autorisierung durch das zuständige gerichtliche Organ nach Überprüfung der Rechtsfertigung des Vortrags zulässig sein soll (Institut des Hautes Études sur la Justice, Le Juge du 21ième siècle, p. 87, proposition, n° 32; p. 89 s., proposition n° 36; kritisch hierzu Amrani-Mekki, Gaz. Pal. 2014 (n° 211/212), p. 2614, 2618); weniger weitreichend der Vorschlag des Berichts „La prudence et l’autorité – L’office du juge du XXIième siècle“, wonach neue moyens durch den Berufungsbeklagten vorgetragen werden dürfen, sofern er von dem jeweiligen moyen zuvor keine Kenntnis hatte, während der Berufungskläger darlegen muss, dass ein hypothetischer, ordnungsgemäß handelnder Richter in derselben Situation diese Entscheidung nicht getroffen hätte (Institut des Hautes Études sur la Justice, La prudence et l’autorité, p. 141 ss.)). Dass der Verzicht auf eine Ausgestaltung des appel als vollumfängliche zweite Sachentscheidungsinstanz im Zusammenspiel mit der Cesareo-Rechtsprechung und der fehlenden Pflicht des erstinstanzlichen Richters zur amtswegigen Prüfung nicht geltend gemachter Rechtsgrundlagen die den Parteien auferlegte Konzentrationslast noch erhöht, wird in den Berichten unterschiedlich bewertet: Während der Bericht „La prudence et l’autorité“ in diesem Zusammenwirken ein erhebliches Risiko sieht, dem aber im Rahmen der vorgeschlagenen Änderung des Prüfungsmaßstabs des Berufungsgerichts Rechnung getragen werden soll (Institut des Hautes Études sur la Justice, La prudence et l’autorité, p. 143), versteht der Bericht „Le Juge du 21ième siècle“ die Verschärfung der Konzentrationslast als Ausfluss einer notwendigen Entwicklung, in der die Parteien im Hinblick auf eine zügige und konzentrierte Streitbeilegung stärker in die Verantwortung genommen werden sollen (Institut des Hautes Études sur la Justice, Le Juge du 21ième siècle, p. 88 ss., proposition 36; zum Vorschlag, die Partien stärker in die Verantwortung zu nehmen und das Prinzip der „loyauté“ als Verfahrensmaxime zu verankern: Institut des Hautes Études sur la Justice, Le Juge du 21ième siècle, B. Des parties

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Gleichzeitig kann auch im Hinblick auf die derzeitige Ausgestaltung des appel-Verfahrens nicht geleugnet werden, dass anwaltlich nicht vertretenen Parteien eine Bestimmung der anwendbaren Rechtsgrundlagen oft nur schwer möglich sein wird. Insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten mit geringem Streitwert, die die Berufungsgrenze nicht erreichen, und bei denen daher eine Nachbesserung hinsichtlich der rechtlichen Begründung in zweiter Instanz ausgeschlossen ist, ist nicht sichergestellt, dass der Rechtsstreit einer umfassenden rechtlichen Überprüfung zugeführt werden kann. Wie bei vielen rechtspolitischen Grundentscheidungen kann aber auch im Hinblick auf die Ausgestaltung der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien keine Seite für sich in Anspruch nehmen, die „richtigere“ Lösung zu verfolgen.817 Gegenüber stehen sich die traditionelle Position der Literatur, die die Rolle des Richters bei der Rechtsanwendung durch den Grundsatz da mihi factum, dabo tibi ius bestimmt sieht,818 und die Cour de Cassation, die ihre Rechtsprechung in einen in den Neunzigerjahren begonnenen Prozess der Neuordnung der Verhältnisse der Prozessbeteiligten einordnet. Dass es der Assemblée plénière 2007 gerade darauf ankam, eine solche rechtpolitische Grundentscheidung zu treffen, 819 ergibt sich insbesondere aus der mit der Entscheidung veröffentlichten Pressemitteilung. 820 Hatte der Berichterstatter in der Entscheidung Cesareo von 2006 noch Bedenken geäußert, die Konzentrationsobliegenheit bei gleichzeitiger Ablehnung einer Pflicht zur à responsabiliser, insbes. p. 83, proposition n° 28). Einer aufgrund der Obliegenheit zur umfassenden rechtlichen Prüfung und zum konzentrierten Rechtsvortrag drohenden Überforderung rechtlich ungeschulter Parteien ohne anwaltliche Vertretung kann nach der Vorstellung dieser Expertengruppe durch Ausweitung des Anwaltszwangs in erstinstanzlichen Verfahren in ausreichendem Maße begegnet werden (Institut des Hautes Études sur la Justice, Le Juge du 21ième siècle, p. 90, proposition n° 38). Auch wenn bei der Umsetzung des Reformprojektes bislang andere Fragen im Vordergrund standen (vgl. den Zeitplan des Reformvorhabens: Ministère de la Justice, Les grandes étapes de la Justice du 21ème siècle – Une justice du proximité au service aux citoyens, L’ActuJustice n° 33, 11 septembre 2014), deuten die Vorschläge der Arbeitsgruppen darauf hin, dass sich der Wind seit dem Bericht der Reformkommission Magendie II von 2008 und der Reform des Berufungsrechts gedreht hat und keineswegs mehr gesichert ist, dass die zweite Instanz auch in Zukunft die Nachbesserung des Rechtsvortrags ermöglichen und so die den Parteien auferlegte Konzentrationslast abmildern wird. 817 Hierauf weist auch Deshayes (Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1107 (n° 30)) hin. 818 So beispielsweise Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1107 (n° 29); Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 538; Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 393. 819 Auf die rechtspolitische Motivation der Entscheidung weisen auch hin: Deshayes, Recueil Dalloz 2008, p. 1102, 1107 (n° 30); Grandjean, Gaz. Pal. 2013 (n° 67/68), p. 21, 23; Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 379, 392; Guinchard/Chainais/Ferrand, Procédure civile, n° 538. 820 Communiqué, BICC 15 avril 2008 (Arrêt publié intégralement), p. 18.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

amtswegigen Prüfung sämtlicher Rechtsgrundlagen stehe möglicherweise im Widerspruch zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens (procès équitable),821 strebte die Assemblée plénière 2007 ein Zusammenwirken ihrer Entscheidung vom 21. Dezember 2007 mit der Cesareo-Rechtsprechung bewusst an: Nach der Pressemitteilung der Cour de Cassation ist die Entscheidung als Teil der durch das Décret vom 28. Dezember 1998 eingeleiteten und durch die CesareoEntscheidung fortgeführten Rechtsentwicklung hin zu einem Neuentwurf der Rollen von Partei und Gericht im Prozess zu verstehen.822 Eine aktive Rolle des Richters werde nach diesem neuen Rollenverständnis zwar bejaht, den Parteien werde aber eine stärkere Eigenverantwortung im Hinblick auf die Rechtsanwendung zugeschrieben.823 Die Cour de Cassation versteht ihre Entscheidungen zur Konzentrationsobliegenheit und zum office du juge damit als Teil einer Entwicklung hin zu einer aktiveren Rolle der Parteien bei der Rechtsermittlung und -anwendung, die zwar von der im Nouveau Code de procédure civile ursprünglich geschaffenen Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien abweicht, aber bereits in den Vorschlägen der Reformkommissionen der Neunzigerjahre angelegt war. Die Literatur hält dagegen eine tatsächliche Pflicht des Richters sowohl zur requalification als auch zur Erhebung anderer als der vorgetragenen moyens de droit für unerlässlich, wenn die Rechtsprechung an der Obliegenheit zur Konzentration der moyens festhalten wolle. 824 Die in der Literatur geäußerte Kritik wendet sich insoweit weniger gegen die Schaffung der Konzentrationsobliegenheit und die Neubestimmung der objektiven Grenzen der autorité de la chose jugée als solche als gegen die grundlegende Umgestaltung des Verhältnisses der Prozessbeteiligten, als deren Teil die Cour de Cassation ihre Cesareo-Entscheidung mittlerweile versteht.

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Charruault, Rapport, BICC 2006, n° 648 du 15 octobre 2006, II B am Ende. Communiqué, BICC 15 avril 2008 (Arrêt publié intégralement), p. 18: „Cette décision se situe dans le sillage d’une évolution marquée par le décret du 28 décembre 1998 et un précédent arrêt rendu par l’assemblée plénière le 7 juillet 2006 qui, redessinant les rôles respectifs des parties et du juge dans le procès civil, repose sur l’idée que si le juge doit jouer un rôle actif dans le déroulement du procès, il n’a pas à remplir tous les rôles et qu’il revient aux parties elles-mêmes, représentées par des conseils professionnels, d’invoquer tous les moyens susceptibles de fonder leurs prétentions.“ 823 Communiqué, BICC 15 avril 2008 (Arrêt publié intégralement), p. 18 kritisch zu der Annahme der Assemblée plénière, schon die Cesareo-Entscheidung sei von einer solchen Intention geleitet gewesen: Bendel-Vasseur, Justice & Cassation 2010, 366, 384. 824 Bléry, Mélanges Héron 2009, p. 111, 120 (n° 12), 124 (n° 15); Ferrand, Festschrift Stürner, 2013, S. 1485, 1506; Guinchard, Mélanges Wiederkehr, 2009, p. 279, 387, 394. 822

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(3) Zusammenfassung Das französische Zivilprozessrecht wählt mit der lediglich fakultativen Überprüfung der nicht von den Parteien vorgetragenen moyens de droit einen Sonderweg, der weder dem Grundsatz iura novit curia folgt, noch eine Beibringung des Rechts durch die Parteien vorschreibt. 825 In Verbindung mit der 2006 geschaffenen Konzentrationsobliegenheit erhalten die Parteien so eine deutlich aktivere, das Gericht dagegen eine passivere bzw. flexiblere Rolle bei der Rechtsermittlung und -anwendung. Diese Veränderung der traditionellen Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien beruht auf einer bewussten, rechtspolitisch motivierten Entscheidung der Assemblée plénière zur Gestaltung des Prozessrechts. Ob diese von Dauer sein wird, bleibt der weiteren Entwicklung und insbesondere der gesetzgeberischen Reaktion vorbehalten. Ein gesetzgeberisches Eingreifen scheint in der Tat auch empfehlenswert, da die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgenommene Veränderung der prozessualen Rollen von Partei und Gericht insbesondere beim Schutz der anwaltlich nicht vertretenen Parteien in Verfahren mit geringem Streitwert826 noch Schwachpunkte aufweist, die durch eine umfassendere gesetzgeberische Lösung beseitigt werden könnten.827 cc. Zusammenfassende Beurteilung der Kritik In der gegenüber der Rechtsprechung zur Konzentrationsobliegenheit geäußerten Kritik zeigt sich deutlich, dass die Rechtsfortbildung durch die Cour de Cassation im Bereich der autorité de la chose jugée, aber auch im übrigen Prozessrecht, in der französischen Literatur noch mit großer Skepsis gesehen wird. Die Auseinandersetzung ist dabei durch den Widerstreit verschiedener rechtspolitischer Vorstellungen von der grundsätzlichen Ausgestaltung des Zivilprozesses geprägt. Die Literatur hält dabei noch sehr stark an traditionellen Konzepten fest. Dies zeigt sich in dem Beharren auf dem Grundsatz, dass die autorité de la chose jugée nur dem tatsächlich Entschiedenen und streitig Diskutierten zukommen soll, stärker aber noch in der Kritik an der Abkehr der Rechtsprechung von einer uneingeschränkten Pflicht des Richters zur amtswegigen Rechtsanwendung. Die Rechtsprechung geht dagegen – geprägt von den seit

825 Jeuland, Festschrift Stürner, 2013, S. 1545, 1553: „peculiar role of the French jud ge in a European perspective”. 826 Eine auf Verfahren ohne Anwaltszwang beschränkte Pflicht des Gerichts zur amtswegigen Prüfung aller moyens de droit erwägt beispielsweise Bléry, Mélanges Héron, 2009, p. 111, 121 (n° 12). 827 Die Rechtsprechung der Assemblée plénière aufgrund der weitgehenden Auswirkung auf Grundfragen des Prozessrechts im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz insgesamt für bedenklich haltend: Bolard, JCP 2008 (n° 26), I-156, p. 19, 24; Perrot, RTD civ. 2006, p. 825 (n° 7), 827.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

den Neunzigerjahren die Diskussionen zur Reform des Zivilprozesses bestimmenden Grundsätzen der Lauterkeit und der Beschleunigung – neue Wege, denen es jedoch an einer gesicherten dogmatischen Grundlage fehlt, die die richterliche Rechtsfortbildung im Hinblick auf die Grenzen der autorité de la chose jugée und die Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien absichern könnten. III. Schlussbemerkung zu den Grenzen der „autorité de la chose jugée“ Seit Jahrhunderten definiert die französische Rechtskraftlehre die Grenzen der autorité de la chose jugée unter Rückgriff auf die triple identité von objet, cause und parties. Diese lange Tradition und die unveränderte Fassung des Art. 1351 Code civil suggerieren zwar Kontinuität, tatsächlich hat sich im Verständnis der Grenzen der Rechtskraft aber insbesondere in jüngster Zeit ein erheblicher Wandel vollzogen. Dabei ist zwar auch die – praktisch sehr bedeutsame – subjektive Begrenzung der autorité de la chose jugée auf die Parteien betroffen, viel stärker und mit ungleich größerer Strahlkraft im Hinblick auf das übrige Verfahrensrecht gilt dies jedoch für die objektiven Grenzen, die cause und das objet. Eine klare Zäsur im Hinblick auf die Definition der objektiven Grenzen bildet dabei die Cesareo-Entscheidung von 2006. Beeinflusst durch das seit den Neunzigerjahren entstandene rechtspolitische Klima, das auf eine Beschleunigung der endgültigen Streitbeendigung durch eine Stärkung der Verantwortung der Parteien für die Konzentrierung des Verfahrensstoffs abzielte, hat die Cour de Cassation 2006 den Parteien die Obliegenheit zur Konzentration ihres Rechts- und Tatsachenvorbringens im ersten Verfahren auferlegt. Mit dieser Obliegenheit ist zunächst eine Beschränkung des cause-Begriffs auf die Tatsachengrundlage verbunden. Zumindest die Erstreckung der Obliegenheit auf den Beklagten beeinflusst aber auch den Begriff des objet. Durch die Einführung einer Präklusion nicht geltend gemachten Vorbringens trägt diese Rechtsprechung dem Bedürfnis Rechnung, die ständige Wiederholung von Prozessen aufgrund neuen Vorbringens zu vermeiden, ohne dabei auf die Fiktion einer chose jugée in Form von décisions implicites und motifs décisifs zurückgreifen zu müssen. Gleichzeitig bricht sie aber mit den traditionellen Grundsätzen der französischen Rechtskraftlehre, wonach sich die Wirkungen der autorité de la chose jugée nur auf Gesichtspunkte erstrecken, zu denen eine gerichtliche Feststellung ergangen ist und die Gegenstand einer streitigen Diskussion zwischen den Parteien waren. Die Bereitschaft der Cour de Cassation zum rechtspolitisch motivierten Bruch mit der traditionellen Rechtskraftdogmatik wird jedoch nicht flankiert von einer rechtskraftdogmatischen Neukonzeption. Unklar sind insbesondere die Auswirkungen der Konzentrationsobliegenheit des Beklagten auf den Begriff des objet und das Verhältnis des Prinzips der Konzentration zum Institut

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der autorité de la chose jugée. Verschiedene Interpretationen der seit 2006 ergangenen Entscheidungen erscheinen denkbar. Eine Verselbstständigung der Konzentrationsobliegenheit als von der autorité de la chose jugée gelöstes Institut ähnlich des englischen abuse of process estoppel nach der Entscheidung Henderson v. Henderson scheint derzeit von der Cour de Cassation nicht beabsichtigt zu sein, auch wenn die vorbereitenden Dokumente zur Entscheidung Cesareo eine Nähe zur Henderson v. Henderson-Doktrin betonen. Der Ausschluss nicht vorgetragenen Vorbringens ähnelt aber gleichzeitig auch der Tatsachenpräklusion des deutschen Rechts, die in den Grenzen des Streitgegenstandes wirkt. Insoweit erscheint es – in weiterer Annäherung an die deutsche Rechtskraftlehre – zudem denkbar, die Entscheidungen zur Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten als Ausdehnung des objet auf das Gegenteil zu verstehen, wenn auch nicht unbedingt im Sinne der von der deutschen Zivilprozessrechtslehre überwiegend verlangten streng unmittelbaren Gegenteiligkeit. Eine klare Einordnung lässt sich aber aufgrund der spärlichen Aussagen der Cour de Cassation nicht treffen. Angesichts der unklaren Auswirkungen der Konzentrationsobliegenheit des Beklagten auf den Begriff des objet und angesichts des strittigen Verhältnisses des Prinzips der Konzentration zum Institut der autorité de la chose jugée bedürfte es einer grundlegenden Richtungsvorgabe des höchsten Gerichts, die entweder durch eine erneute Entscheidung der Assemblée plénière oder – ähnlich dem im Bulletin d’information de la Cour de Cassation n° 676 vom 15. Februar 2008 veröffentlichten fiche méthodologique – durch eine ausführliche Darlegung der aktuellen Position der Cour de Cassation zur den Grundfragen der autorité de la chose jugée erfolgen könnte. Die Literatur liefert insoweit derzeit kaum Impulse: Sie verharrt in der Ablehnung der aktuellen Rechtsprechung, ohne ihr eine tiefergehende Würdigung zukommen zu lassen oder auch nur eigene Ansätze für eine in sich geschlossene Bestimmung der objektiven Grenzen der Rechtskraft zu entwickeln. G. Abschließende Zusammenfassung Die Lehre von der autorité de la chose jugée hat in den letzten Jahren einen grundlegenden Wandel vollzogen. Von der beweisrechtlichen Wahrheitsvermutung des Code civil nach dem Vorbild Pothiers hat sich die autorité de la chose jugée zu einem funktionalen Instrument entwickelt, bei dessen Ausgestaltung zunehmend Erwägungen der Prozessökonomie als Leitbild dienen. Von der traditionellen Konzeption der autorité de la chose jugée geblieben ist der französischen Rechtskraftlehre insbesondere das Verständnis als privaten Interessen dienendes Instrument. Die Kompetenz des Gerichts zur Prüfung der entgegenstehenden autorité de la chose jugée von Amts wegen ergibt sich

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denn auch nur aus der ausdrücklichen gesetzlichen Normierung dieser Kompetenz im Code de procédure civile, ohne dass aber hiermit eine Pflicht des Gerichts zur Amtsprüfung verbunden wäre. Eine gewisse Kontinuität weist auch die Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit verschiedener Entscheidungsarten auf. Hier hat sich lediglich die Behandlung des jugement en l’état grundlegend geändert. Eine interessante Entwicklung vollzog die französische Rechtskraftlehre dagegen bei der Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungselemente. War der traditionelle Grundsatz der Beschränkung der autorité de la chose jugée auf den dispositif gegen Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend aufgeweicht worden, so hat sich die Rechtsprechung in jüngster Zeit wieder auf den Grundsatz der Beschränkung auf den Urteilsausspruch im Tenor rückbesonnen, ohne dass die Literatur ihr hierin aber immer folgt. Die wohl deutlichsten Änderungen haben sich aber bei den Grenzen der autorité de la chose jugée, insbesondere bei ihren objektiven Grenzen vollzogen. Sowohl hinsichtlich der cause als auch hinsichtlich des objet hat seit 2006 ein erheblicher Verständniswandel stattgefunden, dem die Neuschöpfung der auf dem Grundsatz der prozessualen Lauterkeit beruhenden Konzentrationsobliegenheit in der Cesareo-Entscheidung zugrunde liegt. Mit dem „Prinzip“ der Konzentration der moyens hat die Rechtsprechung nicht nur dem rechtlichen Vorbringen jede Bedeutung für die Bestimmung der cause genommen. Vielmehr hat sie in der Fortentwicklung der Cesareo-Rechtsprechung die Konzentrationsobliegenheit zu einer umfassenden Präklusionsregel ausgeweitet, deren Reichweite sich bislang nicht genau bestimmen lässt. Bei der Betrachtung der zahlreichen Änderungen in der französischen Rechtskraftlehre ist zudem festzustellen, dass die Entwicklung der Lehre von der autorité de la chose jugée durch einen zunehmenden Verzicht auf eine klare dogmatische Durchformung der Rechtskraftlehre geprägt ist. Wie sich bei der Darstellung der Wirkungsrichtungen gezeigt hat, bleiben zentrale Fragen wie die Bestimmung der Voraussetzungen der autorité positive de la chose jugée, also der Bindung an die Feststellungen der ersten Entscheidung, die eine abweichende Feststellung in späteren Verfahren verhindert, in Praxis und Literatur ungeklärt. Rechtsprechung und Literatur schaffen immer neue begriffliche Figuren zur Beschreibung gerichtlicher Wirkungen und führen neue Prinzipien und Formeln ein, um so einer im Ungefähren bleibenden Dogmatik den Anschein klarer Begrifflichkeit und Regelhaftigkeit zu geben. Letztlich wird auf diese Weise aber nur die intensive Auseinandersetzung mit einer in sich geschlossenen Rechtskraftkonzeption verhindert. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beisipiel der Obliegenheit zur Konzentration der moyens, deren weit gefasster Maßstab die Prüfung der Grenzen der autorité de la chose jugée anhand der traditionellen triple identité zunehmend in den Hintergrund drängt,

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deren Reichweite aber bislang keine klare Umgrenzung erhalten hat.828 Statt eine auch in den Feinheiten durchdachte dogmatische Grundkonzeption auf Grundlage des Rechtsintituts der autorité de la chose jugée zu schaffen, werden weit gefasste flexible Formeln gewählt, die einerseits den Gerichten einen weiten Spielraum bei der Anwendung gewähren und so dem konkreten Einzelfall angepasste, flexible Lösungen erleichtern, andererseits aber unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit auch Gefahren bergen.

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Vgl. auch das Urteil Stürners, am gegenwärtigen französischen Ansatz zur Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft zeige sich die „sich elegant gebärdende[] romanische[] Flexibilität“, Stürner, ZZP 127 (2014), S. 271, 300.

§ 2 Die spanische Lehre von der cosa juzgada § 2 Spanien

Der deutschen Rechtskraft und der französischen autorité de la chose jugée entspricht im spanischen Recht die sogenannte cosa juzgada. Wie auch ihr französisches Pendant hat sie im Laufe der Zeit einen erheblichen Wandel vollzogen, wobei aber die einschneidendsten Veränderungen der spanischen Rechtskraftdogmatik weniger auf die Rechtsprechung zurückzuführen sind, als auf das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Zivilprozessgesetz (Ley de Enjuiciamiento Civil (LEC)), durch welches das spanischen Zivilverfahrensrecht von Grund auf umgestaltet wurde. A. Historische Entwicklung Auch der Betrachtung der spanischen Lehre von der cosa juzgada soll eine Darstellung ihrer historischen Grundlagen vorangestellt werden. Dabei zeigt sich ein deutlicher Wandel der Grundausrichtung der spanischen Prozessrechtsgesetzgebung und -wissenschaft: Das anfängliche Festhalten an nationaler Rechtstradition und die Skepsis gegenüber dem Einfluss anderer Rechtsordnungen wandelt sich im 20. Jahrhundert zu einer Bereitschaft zur intensiven Auseinandersetzung mit ausländischen Rechtsvorstellungen. Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildet dabei das bedeutende hochmittelalterliche Regelwerk der Siete Partidas. I. Die Siete Partidas Wie bereits in der Darstellung der gemeinsamen historischen Grundlagen beschrieben, erweist sich das Hochmittelalter durch die Auseinandersetzung der Glossatoren und Kommentatoren mit den Quellen des römischen Rechts als besonders fruchtbar für die Entwicklung der Rechtskraftdogmatik. In Spanien 1 begrenzte sich die hochmittelalterliche Rezeption römischen Rechts jedoch nicht auf die Kommentierung und Fortentwicklung durch die Rechtsgelehrten

1 Wenn hier für das Hochmittelalter von Spanien gesprochen wird, so sind damit die christlichen Königreiche gemeint, wobei in rechtlicher Hinsicht Kastilien (und León) der stärkste Einfluss zukommt (Miras, Die Entwicklung des spanischen Zivilprozessrechts, S. 20). Dabei soll jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass seit der muslimischen Eroberung im 8. Jahrhundert in einem Großteil der iberischen Halbinsel islamisches Recht galt. Aufgrund der starken religiösen Prägung des islamischen Rechts beeinflu sste dieses die Rechtsentwicklung in den christlichen Gebieten jedoch nicht und blieb nach dem Ende der maurischen Herrschaft im 15. Jahrhundert auch für die weitere Entwicklung des spanischen Rechts ohne Bedeutung (Sainz Guerra, Historia del derecho español, p. 105 s., Miras, Entwicklung, S. 17 f.), weshalb im Folgenden auf diese Rechtsordnung nicht eingegangen wird.

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(insbesondere durch Jacopo (de) Junta, genannt Jacopo de las Leyes2), 3 vielmehr fand sie auch Umsetzung in einem umfassenden Gesetzeswerk, dem überwiegend Siete Partidas genannten Libro de Leys von 1265. Die Siete Partidas gehen zurück auf Alfons X., König der 1230 vereinigten Königreiche Kastilien und León. Angesichts der erheblichen Rechtszersplitterung, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Kastilien vorherrschte, 4 wird die Schaffung der Siete Partidas als Ausdruck einer Absicht Alfons X. verstanden, eine stärkere Vereinheitlichung des Rechts zu bewirken 5 und gleichzeitig durch Abfassung eines umfassenden, römisch-rechtlich geprägten Regelwerkes seinen Anspruch auf die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs zu festigen.6 Nicht abschließend geklärt ist, ob die Partidas ursprünglich tatsächlich als Gesetzbuch oder vielmehr nur als lehrbuchartige Darstellung des gemeinen Rechts dienen sollten. 7 Eine offizielle Festsetzung als formell geltendes Recht erfolgte jedenfalls erst im Ordenamiento de Leyes von 1348,

2 Guasp, Derecho procesal civil I, 1968, p. 78; Montes Salguero, La consolidación del derecho castellano, in: Alvarado Planas/u.a. (coord.), Textos comentados de historia del derecho español, Lección 23, p. 387, 395; ausführlich zu Jacobo de la Leyes: Pérez Martín, La obra jurídica de Jacobo de las Leyes, Cahiers de linguistique hispanique médiévale 1998, 247 ss. 3 Zu Entwicklung der Universitäten und der Rechtswissenschaft im hochmittelalterlichen Spanien: Sainz Guerra, Historia del derecho español, p. 188 ss. 4 Dem westgotischen Fuero juzgo, der trotz römisch-rechtlicher Prägung die Vorstellung einer Rechtskraftwirkung nur andeutete (vgl. Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 60), kam zwar noch subsidiäre Geltung zu, jedoch waren zunehmend voneinander abweichende Lokalrechte (fueros municipales) entstanden, da die spanischen Könige die Notwendigkeit sahen, sich die Unterstützung des Adels und der Städte im Kampf gegen die Mauren durch die Gewährung von Gesetzgebungsrechten zu sichern ( Prieto-Castro Ferrandiz, Derecho procesal civil I, 1968, n° 132 s. (p. 269 s.); Miras, Entwicklung, S. 21). 5 Prieto-Castro Ferrandiz, Derecho procesal civil I, 1968, n° 134 (p. 271). 6 Miras, Entwicklung, S. 39 f. Diese Annahme ist jedoch nicht unumstritten, vgl. die Darstellung der Diskussion um die Zielsetzung der Siete Partidas bei Montes Salguero, La consolidación del derecho castellano, in: Alvarado Planas/u.a. (coord.), Textos comentados de historia del derecho español, Lección 23, p. 387, 394. 7 Miras, Entwicklung, S. 39; vgl. auch Sainz Guerra, Historia del derecho español, p. 210, nach dem es sich bei den Siete Partidas eher um „ein wissenschaftliches Werk handelt, dessen wissenschaftliche Argumentationen den Gebotscharakter des Gesetzes oft verschleierte“ („Se trata en suma, de una obra doctrinal – en la que muchas veces las argumentaciones ocultan el aspecto imperativo de la ley...“). Deutlich ist jedenfalls die sehr theoretische Ausrichtung der Partidas, die viele praktische Probleme aussparte, aber der universitären Ausbildung ihrer Verfasser (insbesondere des bereits genannten Jacopo des las Leyes) entsprach (Prieto-Castro Ferrandiz, Derecho procesal civil I, 1968, n° 134 (p. 272); Guasp, Derecho procesal civil I, p. 78.). An den spanischen Universitäten bestimmten die Siete Partidas seit dem 13. Jahrhundert den Gegenstand des Rechtsstudiums und der gelehrten Auseinandersetzung (Miras, Entwicklung, S. 40).

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besser bekannt als Ordenamiento de Alcalá. In Título XXVIII, Ley I des Ordenamientos wurde eine klare Normenhierarchie niedergelegt, die das Verhältnis der verschiedenen existierenden Rechte klären sollte. 8 Den Siete Partidas wurde darin zwar eine gegenüber dem Ordenamiento und den fueros municipales nur subsidiäre Geltung zugesprochen, jedoch erwiesen sich die Regelungen der Partidas auf lange Sicht als prägend für das spanische Prozessrecht. Dies hatte seinen Grund zum einen in der Lückenhaftigkeit der im Ordenamiento de Alcalá getroffenen verfahrensrechtlichen Regelungen, zum anderen im geringen Grad der Ausarbeitung und der schlichten Struktur der lokalen Verfahrensrechte. 9 Die wichtigsten Regelungen zur Rechtskraft finden sich in der dritten Partida im 22. Titel „Von den Urteilen, die den Rechtsstreit beenden“ (De los juyzios que dan fin alos pleytos). In Partida III, Título XXII, Ley III war ein Abänderungs- und Aufhebungsverbot formuliert, wonach der Richter (mit

8 Danach sollten die Rechtsstreitigkeiten primär auf Grundlage des Ordenamiento de Alcalá gelöst werden. Wenn jedoch auf dieser Grundlage nicht sämtliche in dem Rechtsstreit zu entscheidenden Rechtsfragen geklärt werden konnten, sollten die fueros municipales, die Lokalrechte, Anwendung finden, und falls auch diese keine Lösung enthielten, die Siete Partidas herangezogen werden: Ordenamiento de Alcalá de Henares, Título XXVIII, Ley I: „... por las quales Leys en este nuestro libro mandamos que se libren primeramente todos los pleytos ceviles, è criminales; è los pleytos, è contiendas que non se pudieren librar por las Leys deste nuestro libro, è por dichos fueros, mandamos que se libren por las Leys contenidas en los Libros de las siete Partidas....“ (Die zitierten Textversionen entstammen folgender Textausgabe: El Ordenamiento de leyes que D. Alfonso XI hizo en las Cortes de Alcalá de Henares el año de mil trescientos y quarenta y ocho (publicanlo con notas, y un discurso sobre el estado y condicion de los judios en España los doctores D. Ignacio Jordan de Asso y del Rio y D. Miguel de Manuel y Rodriguez), Madrid 1774, abrufbar in der Biblioteca virtual del Patrimonio Bibliográfico des spanischen Bildungs - und Kulturministeriums unter http://bvpb.mcu.es/es/consulta/registro.cmd?id=403701 (zuletzt abgerufen am 05.12.2015)). 9 Miras, Entwicklung, S. 65 f.

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Ausnahme des Königs in seiner Funktion als höchster Richter) seine Entscheidung nach Urteilserlass im Hinblick auf den Hauptsacheausspruch 10 grundsätzlich11 nicht mehr ändern durfte. 12 Der 22. Titel der dritten Partida regelte aber auch den Fall, dass zwei Urteile zur selben Sache erlassen wurden: War bereits eine Entscheidung ergangen und nicht angefochten worden und leiteten dieselben Parteien („aquellas mismas partes“) im Hinblick auf dieselbe Sache („aquella cosa misma“) und in derselben Weise („en aquella manera“) wie im ersten Verfahren einen erneuten Prozess ein, so war ein in diesem zweiten Verfahren erlassenes Urteil gemäß Ley XIII unwirksam („non vale el segundo“). 13 Für den Fall einer Kollision zweier Entscheidungen galt also der klare Vorrang der früheren Entscheidung. Gleichzeitig bestimmte die Ley XIII das Verhältnis zwischen den beiden Entscheidungen näher, indem sie die Unwirksamkeit des späteren Urteils an die Identität der Parteien und der Streitsache knüpfte. Ausnahmsweise war das spätere Urteil wirksam, wenn eine Partei geltend machte und nachwies, dass das

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Partida III, Título XXII, Ley III: „Pero si el judgador ouiesse dado juyzio acabado sobre la cosa principal, e non ouiesse fablado en aquel juyzio delos frutos, e de la renta della o non ouiesse condenado a la parte contra quien fuesse dado el juyzio enlas costas. O si por auentura ouiesse judgado en razon destas cosas mas, o menos que non deuiesse, bien puede todo judgador emendar, e endereçar su juyzio en razon dellas en la manera que entendiere que lo deue fazer segun derecho.“ (Die zitierten Textversionen entstammen folgender Textausgabe: Las Siete Partidas del Sabio Rey Don Alonso nono, Tercera (-cuarta) Partida, nuevamente glosadas por Gregorio López; con su reportorio muy copioso, assi del testo como de la glossa, Valladolid 1587, abrufbar in der Biblioteca virtual del Patrimonio Bibliográfico des spanischen Bildungs- und Kulturministeriums unter http://bvpb.mcu.es/es/ consulta/registro.cmd?id=416515 (zuletzt abgerufen am 05.12.2015)). 11 Ley IV sah schließlich eine ausnahmsweise nachträgliche Aufhebung aus Gerechtigkeitsgründen vor (insbesondere aufgrund der Armut des wegen eines kleiner en Fehlverhaltens verurteilten Beklagten und im Fall des nachträglichen Erscheinens eines durch Säumnisurteil Verurteilten), Partida III, Título XXII, Ley IV: „... quando el judgador condenasse alguno que pechasse a la corte del rey alguna cuantia cierta por yerro que fiziera, e fuesse tan pobre quel contra quien fuesse dado el juyzio que non pudiessen sacar de sus bienes aquella pena que auia de pechar [...] si aquella parte que fue emplazada non viniere luego. E el judgador oydas las razones de la parte que era presente condeno a la otra parte por su juyzio, e ante que el judgador se leuantasse de aquel lugar do dio el juyzio viniesse luego aquella parte que fue condenada e pidiesse al judgador que reuocasse aquel juyzio, e que oyesse sus razones que el queria mostrar.“ 12 Partida III, Título XXII, Ley III: „… tal juicio como este pues que una vez lo ouiere bien, o mal judgado non lo puede toller, nin mudar aquel Iuez que lo judgo si non fuere el Rey o el adelantado mayor de su corte.“ 13 Partida III, Tit. XXII, Ley XIII: „Si juycio fuesse dado contra alguno de que ninguna de las partes non se alçassen, e despues mouiessen aquellas mismas partes otra vez el pleyto sobre aquella cosa misma, e en aquella manera, e diessen otro juyzio contra el primero, dezimos que non vale el segundo.“

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erste Urteil auf gefälschten Beweismitteln oder auf einer Bestechung des Richters beruhte, 14 oder wenn es aufgrund eines der in Ley XII genannten Nichtigkeitsgründe hinsichtlich der Person des Richters, der Form des Urteils, des Verfahrensablaufs oder des Entscheidungsinhalts unwirksam war.15 Eine ausführlichere Beschreibung insbesondere der Grenzen der materiellen Rechtskraft findet sich in Ley XIX, die mit der Überschrift „Que fuerça ha el juyzio“ überschrieben ist. Dem ergangenen Urteil, das innerhalb der vorgesehenen Rechtsmittelfristen nicht angefochten wurde, kam danach eine „große Kraft“ („gran fuerça“) zu, die die Parteien des Rechtsstreits sowie deren Erben band.16 Diese „fuerça de juyzio“ trat erst ein, wenn die vorgesehenen Rechtsmittelfristen abgelaufen waren oder das Rechtsmittelgericht das Urteil bestätigt hatte.17 In subjektiver Hinsicht erstreckte sich diese Urteilswirkung auf die Parteien und ihre Rechtsnachfolger, d.h. auf die Erben, aber auch auf die Einzelrechtsnachfolger bei der Rechtsnachfolge unter Lebenden, wobei die Erstreckung sowohl zugunsten als auch zulasten des Rechtsnachfolgers wirkte. 18 Grundsätzlich sollte ein Urteil nicht zulasten Dritter wirken. 19 Ley XX sah verschiedene Ausnahmen vor, in denen sich die Urteilswirkung nicht auf die Par-

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Dieses Vorbringen war jedoch ausgeschlossen, wenn seit Erlass des ersten Urteils 20 Jahre oder mehr vergangen waren, Partida III, Título XXII, Ley XIII: „E otro si todo juyzio que fuesse dado pos falsos testigos, o por falsas cartas, o por otra falsedad qualquier, o por dineros o por don con que ouiesse corrompido el Iuez, maguer contra quien fuesse dado non se alçasse del: puede lo desatar quando quier, fasta veinte años prouando que el juyzio primero fuera dado por quellas prueuas, o razones falsas.“ 15 Partida III, Título XXII, Ley XII („Quales juyzios non son valederos“): „Otrosi los judgadores en sus juyzios lo fazen a las vegadas dando juyzios menguados, o torticeros, o judgando de otra manera que non pertenece al pleyto. E porque ellos se puedan desto guardar queremos decir en quantas maneras el juyzio non es valedero por razon de .... “ (es folgt eine Aufzählung der Nichtigkeitsgründe). 16 Partida III, Título XXII, Ley XIX: „Afinado juyzio que da el judgador entre las partes derechamente, de que non se alce ninguna dellas fasta el tiempo que dize en el titulo de las alçadas, ha marauillosamente gran fuerça, que dende adelante son tenudos los contendores, e sus herederos de estar por el.“ 17 Partida III, Título XXII, Ley XIX: „...de que non se alce ninguna dellas fasta el tiempo que dize en el titulo de las alçada, ha marauillosamente gran fuerça.... Esso mismo dezimos si se alçasse alguna de las partes, e fuere despues el juyzio confirmado por sentencia por sentencia de aquel mayoral que lo puede fazer.“ 18 Partida III, Título XXII, Ley XIX: „E sobre todo dezimos que ha tan grand fuerça el juyzio, que también se puede aprouechar del el heredero de aquel por quien fue dado, como el mismo:e aun todos los otros a quien passare el señorio de aquella cosa derechamente, sobre que fue dado, e en essa misma manera tiene daño a los herederos de aquel contra quien fuesse dado, bien como a el.“ 19 Partida III, Título XXII, Ley XX („Como el juyzio que es dado entre algunos non puede empecer a otri, fueras en cosas señaladas“): „Guisada cosa es, e derecha, que el juyzio que fuere dado contra alguno non empezca a otro.“

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teien begrenzen sollte, z.B. die Wirkung eines gegen einen von mehreren Gesamtschuldnern ergangenen Urteils auch zulasten der anderen Gesamtschuldner.20 Ley XXI nennt zudem verschiedene Fälle, in denen ein Urteil zwar zugunsten eines Dritten, nicht aber zu seinen Lasten Rechtskraft entfaltete. 21 Eine absolute Wirkung gegenüber jedermann kannten die Siete Partidas nicht, jedoch wurde die Wirkung des Urteils z.B. in Verfahren über die Feststellung der Abstammung oder die Nichtigkeit von Testamenten auf eine größere Gruppe nicht am Verfahren beteiligter Dritter (Verwandte des Kindesvaters bzw. sonstige im Testament Bedachte) ausgedehnt. 22 Trotz ihrer Ausführlichkeit beschränkte sich die Regelung der subjektiven Reichweite der „fuerça“ des Urteils darauf, einzelne aus dem römischen Recht bekannte Fallgruppen, in denen Urteile ausnahmsweise auch gegenüber Dritten wirken sollten, zu nennen, ohne aber eine einheitliche Regel zu formulieren, die erklärt hätte, warum gerade in den genannten rechtlichen Beziehungen eine solche Erstreckung erfolgte. 23 Der Begriff der cosa juzgada, der sich später zur Beschreibungen der „fuerça de juyzio“ durchsetzen sollte, findet sich in den Siete Partidas noch nicht. Erst im Ordenamiento de Alcalá de Henares von 1348, in dem den Siete Partidas die Qualität eines formellen, subsidiär geltenden Gesetzes zuerkannt wurde, wird von einer „cosa judgada“ gesprochen, um eine Qualität des Urteils zu beschreiben, die diesem mit dem Ausschluss der Anfechtbarkeit durch 20 Partida III; Título XXII, Ley XX: „quando dos omes sefiziessen debdores de otro sobre una cosa misma cada uno por todo .... Ca el juyzio que fuesse dado contra alguno destos sobre dichos en razon de aquellas cosas empeceria a los otros, maguer y no fuessen acertados a la fazon que lo dieron.“ 21 Z.B. das Urteil in einem Rechtsstreit zwischen einem Teilpächter oder Miteigentümer an einem Grundstück mit einem Nachbarn über eine Grunddienstbarkeit im Verhältnis zu den anderen Teilpächtern oder Miteigentümern, Partida III, Título XXII, Ley XXI: „... diziendo que el campo o la caso, o la heredad de aquel su vezino deuia alguna seruidumbre a la heredad del demandador, e de sus compañeros, si el juyzio fuere dado por el contra el demandado, non tan solamente tiene pro a el, mas aun a todos sus compañeros. E si por auentura el juyzio fuesse dado contra el non empezeria a los otros sus aparceros, pues que non fueron ellos por si, nin otro por su mandado en aquel pleyto. “ 22 Partida III, Título XXII, Ley XX: „Otrosi dezimos, que si alguno se razona por fijo de otro, e el padre non lo quiere conoscer por fijo si juyzio fuere dado contra el padre en esta razon diziendo el judgador en su sentencia que es fijo de aquel que non lo quiere conocer por fijo, tal juyzio como este empecera al padre, e a todos sus parientes en razon de los bienes que podria heredar por el parentesco maguer non se acertassen y quando fue dado el juyzio si non el padre tan solamente.“; „Otrosi dezimos, que quando alguno desheredasse sin derecho, es sin razon a sus fijos, o a sus nietos en su testamento, e dexasse sus bienes a ortros herederos, si juyzio fuere dado sobre esta razon contra aquellos que amparauan el testamento non tan solamente empece a los que son establecidos por herederos: mas aun a todos los otros q quien era algo mandado en aquel testamento.“ 23 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 62.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Rechtsmittel zukommt. 24 Das Ordenamiento, in dem ergänzende Vorschriften zu den Siete Partidas erlassen wurden, enthielt darüber hinaus jedoch keine Regelungen zur Rechtskraft, glich aber den Zivilprozess insgesamt durch Einteilung des Verfahrens in Abschnitte und Beschränkung des Einwendungsvorbringens auf einen frühen Verfahrensabschnitt noch stärker dem römisch-kanonischen Verfahren an.25 Im Hinblick auf die Rechtskraft blieb die in den Siete Partidas beschriebene Rechtslage in der Folgezeit weitgehend unverändert bestehen: In den Recopilaciones der folgenden Jahrhunderte, d.h. in den Gesetzessammlungen, durch die das jeweils geltende Recht zusammengefasst und überarbeitet wurde, wurden zwar ergänzende Regelungen zum Prozessrecht getroffen, die „fuerça de juyzio“ oder „cosa judgada“ wurde aber nicht grundlegend umgestaltet oder ergänzt. 26 Da die im Ordenamiento de Alcalá aufgestellte Normenhierarchie sowohl in der Nueva Recopilación von 1567 27 als auch in der Novísima Recopilación von 1803 28 beibehalten wurde mit der Folge, dass die Siete Partidas bei Fehlen einer anderen Regelung für den jeweiligen Teilbereich weiterhin zur Anwendung kamen, wurde die spanische Rechtskraftlehre daher bis ins 19. Jahrhundert durch die soeben dargestellten Regeln bestimmt. II. Die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts 1. Die Gesetzgebung Im Hinblick auf die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts erscheint es sinnvoll, die Entwicklung der Zivilprozessrechtskodifizierungen und die Normierung der cosa juzgada getrennt zu betrachten, da sich die Entwicklung hier auseinanderbewegt und sich auch der Einfluss ausländischer Rechtsordnungen in unterschiedlichem Maße niederschlägt.

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Ordenamiento de Alcalá de Henares, Título XIII, Ley IV: „...que la sentencia non pase à cosa judgada, è pueda seguir el alçada.“ Vgl. auch Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 62. 25 Miras, Entwicklung, S. 66 f. 26 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 62. 27 Recopilación de las Leyes destos Reynos, hecha por mandado de la Magestad Catholica del Rey don Philippe Segundo nuestro Señor, Libro II, Título I, Ley III – „Que pone la orden de las leyes y fueros que se han de guardar en la determinación delos pleytos y causas “. 28 Novísima Recopilación de las leyes de España: dividida en XII libros: en que se reforma la Recopilación publicada por el Señor Don Felipe II ... mandada formar por el Señor Don Carlos IV., Libro III, Título II, Ley III – Orden de las leyes y fueros que se han de observar para la decison de los pleytos.

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a. Entwicklung des Gesetzesrechts im Bereich des Zivilverfahrens Der spanische Prozess, wie er sich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Grundlage der Siete Partidas und der Recopilaciones nach dem Vorbild des römisch-kanonischen Prozesses entwickelt hatte, war gekennzeichnet durch einen strengen Formalismus, die Existenz anfechtbarer Zwischenurteile, eine strikte Einteilung des Verfahrens in verschiedene Abschnitte bei gleichzeitigem Parteibetrieb sowie eine schwache Rolle des Richters. 29 All dies machte das Verfahren schwerfällig und langwierig. Gleichzeitig erschwerte das Nebeneinander der Rechtsquellen in Form der Novísima Recopilación von 1803, der Lokalrechte und der Siete Partidas die Bestimmung des anwendbaren Rechts. 30 Wie auch in anderen europäischen Ländern bewirkte die Auseinandersetzung mit dem napoleonischen Frankreich und dessen Gesetzgebung sowie die Erstarkung des liberalen Bürgertums im 19. Jahrhundert eine zunehmende Gesetzgebungsaktivität. Durch die Schaffung der einheitlich geltenden Ley de Enjuiciamiento Civil von 1855 wurde zwar die wirre Vielfalt von Rechtsregeln aufgehoben, bei der gesetzlichen Ausgestaltung setzten sich allerdings statt den Befürwortern einer liberalen Neuordnung des Prozessrechts 31 die Anhänger eines restaurativen Festhaltens an spanischen Rechtstraditionen durch. 32 Das neue Regelwerk der LEC von 1855 sollte daher auf den römisch-kanonischen und nationalen Traditionen aufbauen. Auf eine vergleichende Heranziehung ausländischer Kodifikationen und eine Vornahme rechtlicher Neuschöpfungen wurde ausdrücklich verzichtet. 33 Das äußerst komplizierte, langsame Verfahren mit seiner Formelhaftigkeit und dem eher passiven Richter wurde gerade 29 Vgl. die zusammenfassende Darstellung der groben Linien des Prozessrechts bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei Miras, Entwicklung. S. 66–78. 30 Prieto-Castro Ferrandiz, Derecho procesal civil I, 1968, p. 275; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 40. 31 Eine solche Neuordnung hatte das 1853 vom damaligen Justizminister José de Castro y Orozco, Marqués de Gerona entworfene und von der liberal gesinnten Königin Isabella II. per königlichem Dekret erlassene Gesetz, die sogenannte Instrucción del Procedimento Civil del Marqués de Gerona, vorgesehen. Darin war eine Abkehr vom traditionellen juicio ordinario zugunsten eines zügigeren Verfahrens und einer stärkeren Rolle des Richters bei der Verfahrensleitung geregelt (vgl. die Zusammenfassung der durch die Introducción eingeführten Änderungen bei Prieto-Castro Ferrandiz, Derecho procesal civil I, 1968, p. 274; Miras, Entwicklung, S. 99 f.). Die Instrucción blieb jedoch nur wenige Monate in Kraft (vgl. zur Geschichte der Instrucción Lasso Gaite, Crónica de la codificación española: 2. Procedimiento civil, Capítulo IV, p. 43 ss.; 52 ss.). 32 Prieto-Castro Ferrandiz, Derecho procesal civil I, 1968, p. 275. 33 Gómez de la Serna, Motivos de las variaciones, Madrid 1857, Introducción, p. VIII: „Su mision [la misión de la comisión] era mas científica, mas práctica, mas nacional: en los códigos españoles, en los libros de nuestros pragmáticos, en las costumbres del foro debia escoger lo que la experiencia de los siglos recomendaba como bueno [...] . No deben, pues, buscar en este proyecto los aficionados al estudio comparado de los códigos, grandes

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als Schutzmechanismus gegen richterliche Willkür und als Garantie der umfassenden Gewährung rechtlichen Gehörs verstanden und daher bewusst aufrechterhalten.34 Ausgangspunkt der LEC von 1855 war daher weiterhin das in den Siete Partidas und Recopilaciones niedergelegte Normalverfahren (juicio ordinario), welches nach dem Verständnis der Kommission lediglich von den Mängeln befreit werden musste, die sich in der Praxis eingeschlichen hatten.35 Dieses Verfahren bestand in der Folgezeit in seinen Grundzügen fort. Auch die schon 1881 erlassene neue Ley de Enjuiciamiento Civil 36 sollte keine Neuordnung des Verfahrensrechts bewirken, sondern lediglich die Regelungen der LEC von 1855 an einige ergangene kleinere Reformen und an die Integrierung der zuvor gesonderten Handelsgerichtsbarkeit in die allgemeine Zivilgerichtsbarkeit anpassen.37 Somit blieb das aus der Tradition der Siete Partidas entwickelte schwerfällige Normalverfahren, ergänzt durch Verfahren für geringe und geringste Streitwerte, bestehen. Bis zur Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 bildete die LEC 1881 die Grundlage des spanischen Verfahrensrechts. 38

afinidades con los estranjeros; la comisión tuvo por punto de partida lo tradicional, lo español, lo consignado en nuestro foro ...“. 34 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 45. 35 Gómez de la Serna, Motivos de las variaciones, Madrid 1857, Motivos de la Ley de Enjuiciamiento Civil – Primera parte – Jurisdicción contenciosa, Título setimo – Del jucio ordinario, p. 63: „Poco tuvo la comisión que discutir para ordenar el juicio ordinario. Bien formulado por nuestro derecho, y respetadas en el foro las bases capitales sobre que descansa, solo era necesario purificarlo de las prácticas viciosas que habían afectado la mejor obra sin duda de nuestros instituciones procesales ...“. 36 Real Decreto de 3 de febrero de 1881, de promulgación de la Ley de Enjuiciamiento Civil. 37 Dies ergibt sich aus dem der Reform zugrundeliegenen Grundlagengesetz (Ley de bases), mit dem das spanische Parlament die Regierung zum Erlass eines Gesetzes ermächtigte und ihr gleichzeitig Zielrichtung und Rahmen des von der Regierung auszuarbeitenden Gesetzes vorgab: Ley de 21 de junio de 1880, aprobando las bases para la reforma del Enjuiciamiento civil, base 19: „... introducir en la ley actual, dentro del espíritu que ha presidido á la redacción de las anteriores bases, las demás reformas y modificaciones que la ciencia y la experienca aconsejen como convenientes. “ (Ley de Enjuiciamiento Civil de 3 de febrero de 1881 concordada y anotada con gran extensión segun la doctrina de los autores y la Jurisprudencia del Tribunal Supremo de Justicia, por la redacción de la Revista general de legislación y jurisprudencia bajo la dirección de D. Emilio Reus y precedida de una Introducción crítica por el Excmo. Sr. D. Eugenio Montero Rios – Tomo I, Madrid 1881 – Disposiciones preliminares à la nueava Ley de Enjuiciamiento Civil, p. XII). Vgl. auch Guasp, derecho procesal civil I, 1968, p. 80; Miras, Entwicklung, S. 121. 38 Die hier skizzierte rückwärtsgewandte Gesetzgebungsentwicklung wird verständlicher vor dem Hintergrund des einschneidenden Bedeutungsverlusts des spanischen Königreichs im 19. Jahrhundert: Hatte Spanien seine im 16. Jahrhundert dominierende Stellung in Kontinentaleuropa bereits im 18. Jahrhundert verloren, wurde sein Niedergang im Laufe des 19.

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b. Entwicklung der Normierung der cosa juzgada Aus der rückwärtsgewandten, stark auf die nationale Tradition fokussierten Zivilprozesskodifikation kann jedoch nicht geschlossen werden, dass das spanische Recht durch die Rechtsentwicklung in den anderen Ländern Europas gänzlich unbeeinflusst blieb. Gerade in den spanischen Regelungen zur cosa juzgada finden sich Spuren des französischen und portugiesischen Rechts. Insbesondere die Lehre Pothiers mit der Verortung der Rechtskraft im materiellen Recht und der Einordnung der Rechtskraft als Wahrheitsvermutung hatte Einfluss auf die Kodifizierung der Rechtskraft in Spanien im 19. Jahrhundert. 39 Trotz der in den Parlamentsdebatten geäußerten Kritik an der Übernahme französischer Vorbilder 40 war der Código Civil von 1889 41 und insbesondere die Regelung der cosa juzgada stark durch den französischen Code civil geprägt:42 In der endgültigen Fassung des Código Civil von 1889 wurde der Regelungsstandort im Kapitel über die Schuldverhältnisse sowie die Einordnung als Rechtsvermutungen übernommen. Art. 1251.1 C.C. 1889 legte die Unwiderleglichkeit der mit der cosa juzgada verbundenen Vermutung fest, 43 während die Voraussetzungen der Vermutung der cosa juzgada in Art. 1252 C.C. Jahrhunderts durch den Verlust der karibischen, süd- und nordamerikanischen Kolonien endgültig besiegelt. Der außenpolitische Bedeutungsverlust kann als Erklärung für die Ablehnung ausländischer Einflüsse und für das verstärkte Festhalten an nationaler Tradition, insbesondere an den Siete Partidas als Inbegriff einer frühen nationalen Errungenschaft und als Zeugnis spanischer Bedeutung in Europa, gesehen werden (Almagro Nosete, La reforma del proceso español cara al año 2000, in: Ministerio de Justicia (ed.), Crisis de la justicia y reformas procesales I, p. 167, 171; Miras, Entwicklung, 116 f.). 39 Die Nähe zur Lehre Pothiers und zur französischen Regelung zeigte sich bereits im Proyecto de Código Civil de García Goyena von 1851. In Art. 1226, 4° des Gesetzesentwurfs wird die autoridad de la cosa juzgada als gesetzliche Vermutung eingeordnet, die an die Voraussetzung der Übereinstimmung der Personen, des caso und der acción geknüpft wurde (Artículo 1226 Proyecto de Código Civil: „La presuncion legal es la inherente á actos ó hechos determinados, por una disposicion especial de la ley. Tales son: ... 4.° La autoridad de la cosa juzgada, cuando en esta concurra la unidad de personas, caso y accion.“ (Text des Proyecto de Código Civil de 1851 abgedruckt in: El derecho moderno: Revista de jurisprudencia y administracion, dirigida por Don Francisco de Cárdenas, Tomo X, 1851, p. 3–352)). 40 Baró Pazos, La codificación del derecho civil en España, p. 287, Fußnote 337. 41 Zum Einfluss des Code civil auf den spanischen Código civil von 1889 insgesamt: Baró Pazos, La codificación del derecho civil en España, p. 286 s. 42 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 64 ss. 43 Dies geschieht durch die – seltsam anmutende – Formulierung, dass „der Vermutung, dass die cosa juzgada die Wahrheit sei, nur eine aufhebende Revisionsentscheidung entgegengehalten werden könne“: Art. 1251 C.C. 1889: „Las presunciones establecidas por la ley pueden destruirse por la prueba en contrario, excepto en los casos en que aquélla expresamente lo prohíba. Contra la presunción de que la cosa juzgada es verdad, sólo será eficaz la sentencia ganada en juicio de revisión.“

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formuliert waren. Der Wortlaut des ersten Absatzes des Art. 1252 C.C. entspricht dabei fast vollständig dem des Art. 1351 des französischen Code civil: Die Vermutung der cosa juzgada entfaltet danach nur dann Wirkung in einem anderen Verfahren, wenn zwischen dem bereits durch Urteil entschiedenen Fall und dem späteren Fall die „vollkommenste Übereinstimmung“ (identidad más perfecta)44 im Hinblick auf cosas, causas und personas de los litigantes sowie deren Eigenschaft (calidad), in der sie am Verfahren teilnahmen, besteht. 45 Die subjektive Begrenzung der cosa juzgada auf die Parteien (litigantes) wurde wie in Art. 1351 Code civil durch das – an sich unnötige – zusätzliche Erfordernis der Übereinstimmung der Eigenschaft der Parteien im Verfahren ergänzt. Die französische Regelung bildete damit das Vorbild des ersten Absatzes des Art.1252 C.C., in den weiteren Absätzen ergänzte die spanische Regelung diese aber noch um verschiedene Präzisierungen zu den subjektiven Grenzen der cosa juzgada: Art. 1252.3 C.C. erstreckte die Rechtskraft auf die Rechtsnachfolger der Parteien sowie auf Personen, die mit einer der Parteien in einem Verhältnis der Gesamtschuldnerschaft oder -gläubigerschaft standen. Eine Rechtskrafterstreckung erfolgte zudem in Fällen der Unteilbarkeit der streitgegenständlichen Leistung.46 Gemäß Art. 1252.2 C.C. sollte die Rechtskraft in Personenstandssachen und in Verfahren über die Nichtigkeit von testamentarischen Verfügungen auch gegenüber Dritten, die nicht am Verfahren beteiligt 44 Das über die Voraussetzungen der triple identité des französischen Rechts noch hinausgehende Erfordernis der „vollkommensten“ Identität wird heute dagegen als „wohlmeinender“, die Anwendung in der Praxis aber erheblich erschwerender Versuch der Gesetzesväter des Código Civil, größtmögliche Rechtssicherheit zu schaffen, gewertet (So Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 66 („... exceso verbal del redactor del art. 1252, con el ánimo evidente, y bienintencionado, de ortogar aún más seguridad jurídica“; „imposible cumplimiento práctico“)). 45 Artículo 1252.1 C.C. 1889: „Para que la presunción de cosa juzgada surta efecto en otro juicio, es necesario que, entre el caso resuelto por la sentencia y aquél en que ésta sea invocada, concurra la más perfecta identidad entre las cosas, las causas, las personas de los litigantes y la calidad con que lo fueron.“ Anders noch als in dem Entwurf eines Código Civil von 1851, Proyecto de Código Civil de García Goyena wurden damit zur Bestimmung der objektiven Grenzen der cosa juzgada nicht mehr die Begriffe caso und acción, sondern in stärkerer Annäherung an den französischen Code civil (cause, chose jugée) die der causa und cosa verwendet (Artículo 1226 Proyecto de Código Civil: „La presuncion legal es la inherente á actos ó hechos determinados, por una disposicion especial de la ley. Tales son: ... 4.° La autoridad de la cosa juzgada, cuando en esta concurra la unidad de personas, caso y accion.“ (Text des Proyecto de Código Civil de 1851 abgedruckt in: El derecho moderno: Revista de jurisprudencia y administracion, dirigida por Don Francisco de Cárdenas, Tomo X, 1851, p. 3–352)). 46 Art. 1252.3 C.C. 1889: „Se entiende que hay identidad de personas siempre que los litigantes del segundo pleito sean causahabientes de los que contendieron en el pleito anterior o estén unidos a ellos por vínculos de solidaridad o por los que establece la indivisibilidad de las prestaciones entre los que tienen derecho a exigirlas u obligación de prestarlas.“

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waren, wirken.47 Aus den Materialien zum Código Civil ist zu entnehmen, dass sich die Verfasser des Código Civil insoweit an die portugiesische Regelung des Código civil de 1867 anlehnen wollten. 48 Von Einfluss auf die Regelung der subjektiven Grenzen der cosa juzgada wird jedoch wohl auch das historische Vorbild der Siete Partidas gewesen sein, 49 war doch insbesondere die Wirkungserstreckung im Falle der Gesamtschuld auf andere Gesamtschuldner dort bereits vorgezeichnet. Auch wenn die Rechtkraft damit spätestens seit dem Código Civil von 1889 im materiellen Recht verortet wurde, enthielt auch die LEC 1881 einige Regelungen zur Rechtkraft. Das bereits in den Siete Partidas enthaltene Verbot der nachträglichen Abänderung durch den Richter fand sich in Art. 363.1 LEC 1881 wieder.50 Die LEC 1881 sah zudem in Art. 408 LEC 1881 vor, dass die autoridad de la cosa juzgada erst mit Ablauf der Rechtsmittelfristen eintreten solle. 51 Art. 544 LEC 1881 enthielt schließlich eine Regelung zum Zeitpunkt der Erhebung des Einwands entgegenstehender Rechtskraft. 52 Die Rechtskraftregelung des Código Civil erhielt so eine gewisse prozessuale Einbettung. Insgesamt zeigt sich, dass die Kodifizierung des materiellen Zivilrechts und – entsprechend der übernommenen materiellrechtlichen Einordnung der 47

Art. 1252.2 C.C. 1889: „En las cuestiones relativas al estado civil de las personas y en las de validez o nulidad de las disposiciones testamentarias, la presunción de cosa juzgada es eficaz contra terceros, aunque no hubiesen litigado.“ 48 Dies darlegend Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 65 s. Vgl. Art. 2503 des portugiesischen Código civil de 1867, wonach sich die Wirkung des caso julgado bei Entscheidungen über die Geschäftsfähigkeit sowie bei Urteilen in Abstammungs- und Ehesachen auch auf Dritte erstrecken sollte: Artigo 2503 Código civil de 1867 (lei de 1 julho de 1867): „O caso julgado só póde ser invocado como prova, verificando-se as seguintes condições: 1.ª A identidade do objecto, sobre que versa o julgamento; 2.ª do direito ou cause depedir; 3.ª A identidade dos litigantes e da sua qualidade juridica. § unico. Porém o caso julgado sobre questões de capacidade, filiação ou casamiento, tendo sido legitimo o contradidor, fará prova contra qualquer outra pessoa.“ (Textversion abrufbar auf der Seite der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (Faculdade de direito) der Universidade Nova de Lisboa unter http://www.fd.unl.pt/Anexos/Investigacao/1664.pdf (zuletzt abgerufen am 05.12.2015)). 49 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 66. 50 Art. 363.1 LEC 1881: „Tampoco podrán los Jueces y Tribunales variar ni modificar sus sentencias después de firmadas, pero sí aclarar algún concepto oscuro o suplir cualquiera omisión que contenga sobre punto discutido en el litigio.“ 51 Art. 408 LEC 1881: „Transcurridos los términos señalados para preparar, interponer o mejorar cualquier recurso sin haberlo utilizado, quedará de derecho consentida y pasada en autoridad de cosa juzgada la resolución judicial a que se refiera, sin necesidad d e declaración expresa sobre ello.“ 52 Art. 544 LEC 1881: „Las excepciones y la reconvención se discutirán al propio tiempo y en la misma forma que la cuestión principal del pleito, y serán resueltas con ésta en la sentencia definitiva. Se exceptúa la excepción perentoria de cosa juzgada cuando sea la única que se objete a la demanda. En este caso, si así lo pide el demandado, se podrá sustanciar y decidir dicha excepción por los trámites establecidos para los incidents.”

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Rechtskraft – auch die Normierung der cosa juzgada stärker als die Leyes de Enjuiciamiento Civil vom Einfluss anderer europäischer Rechtsordnungen geprägt waren. Die in Art. 1252 C.C. und den wenigen Vorschriften der LEC 1881 vorgezeichnete Gesetzeslage blieb in Bezug auf die Rechtskraft bis ins Jahr 2000 fortbestehen. 2. Die Prozessrechtswissenschaft Wenn sich auch die Gesetzeslage seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf die cosa juzgada bis 2000 kaum verändert hat, so trifft dies für die spanische Rechtswissenschaft nicht zu. Ausgangspunkt war jedoch auch hier zunächst, dass sich die spanischen Prozessualisten des 19. Jahrhunderts einem Einfluss anderer Rechtsordnungen versperrten und in einer Bezugnahme allein auf das aus dem römisch-kanonischen Prozess und den Siete Partidas entwickelte spanische Recht verharrten.53 In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts tritt jedoch unter dem Einfluss der Entwicklung der Rechtswissenschaft in Italien eine Wende ein. Die italienische Prozessrechtswissenschaft war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der reinen Gesetzesexegese in Kommentaren zu einem vom bestehenden Gesetzesrecht gelösten Nachdenken über das Verfahren übergegangen. 54 Den bedeutendsten Entwicklungsschritt bewirkte dabei Giuseppe Chiovenda: Mit seinen grundlegenden Werken zum Klagerecht 55, zum Prozessrechtsverhältnis56 und auch zur Rechtskraft und Präklusion 57 wird er als Begründer der modernen italienischen Prozessrechtswissenschaft gesehen. 58 Seine Lehre war da-

53 Miras, Entwicklung, S. 139. Zur Auswirkung der Existenz bzw. des Fehlens einer frühen nationalstaatlichen Kodifikation auf die Ausbildung der Prozessrechtsdogmatik im Vergleich zwischen Spanien, Frankreich und Deutschland: Stürner, ZZP 127 (2014), S. 271, 281. 54 Vgl. hierzu: Trocker, Der Einfluss der deutschen Rechtswissenschaft auf die italienische Prozessualistik, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, Bielefeld 1991, S. 122, 123 f. 55 Z.B. Chiovenda, L’azione nel sistema dei diritti (1903), in: Saggi di diritto processuale civile (1900–1930) – Vol. I, Rom 1930, p. 1–99. 56 Z.B. Chiovenda, Rapporto giuridico processuale e litispendenza (1930), in: Saggi di diritto processuale civile (1900–1930) – Vol. II, Rom 1931, p. 375–398. 57 Z.B. Chiovenda, Sulla cosa giudicata (1905), in: Saggi di diritto processuale civile (1900–1930) – Vol. II, Rom 1931, p. 399–409; Cosa giudicata e competenza (1905), in: Saggi di diritto processuale civile (1900–1930) – Vol. II, Rom 1931, p. 411–423. 58 Trocker, Der Einfluss der deutschen Rechtswissenschaft auf die italienische Prozessualistik, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 122, 125.

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bei in erheblichem Maße beeinflusst von den Werken deutscher Prozessualisten wie Windscheid, Muther, Wach, Bülow und Kohler. 59 Aufgrund der sprachlichen Nähe wurden die Werke Chiovendas auch bald in Spanien gelesen und vielfach übersetzt. 60 Zunächst vermittelt durch die Lehre Chiovendas fanden so auch die Lehren der deutschen Prozessualisten des 19. Jahrhunderts nach und nach Beachtung in der spanischen Prozessrechtswissenschaft. 61 In den Dreißigerjahren begann schließlich insbesondere Leonardo Prieto-Castro y Ferrándiz, auch deutsche Prozessrechtslehrbücher ins Spanische zu übersetzen und zu veröffentlichen,62 womit eine Phase der unmittelbaren Rezeption auch der deutschen Prozessrechtsdogmatik eingeleitet wurde. 63 Die Auseinandersetzung mit der italienischen und deutschen Prozessrechtslehre führte nun auch in Spanien zu einer vom bestehenden Gesetzesrecht gelösten Untersuchung einzelner Prozessrechtsinstitute und einer zunehmenden Systematisierung der Prozessrechtswissenschaft. Statt einer Rezeption des Gesetzesrechts anderer Rechtsordnungen fand in Spanien damit eine Wissenschaftsrezeption statt. 64

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Trocker, Der Einfluss der deutschen Rechtswissenschaft auf die italienische Prozessualistik, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 122, 125 ff. 60 Z.B.: Principios de derecho procesal civil por José Chiovenda: Traducción española de la tercera edición italiana – Prólogo y notas del Profesor José Casáis y Santaló, Madrid 1922; La condena en costas: Traducción de Juan A. de la Puente y Quijano – Notas y concordancias con el derecho español por J.R. Xirau, Madrid 1928; Instituciones de derecho procesal civil: Traducción de la segunda edición italiano y notas de derecho español, por E. Gómez Orbaneja, Madrid 1936. 61 Vgl. zu dieser sekundären bzw. mittelbaren Rezeption der deutschen Prozessrechtsdogmatik: de Miguel y Alonso, El derecho procesal civil alemán y su irradiación: España e Hispanoamerica, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 338, 384; Stürner, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 3, 32. 62 Z.B. die Übersetzung von James Goldschmidt, Zivilprozessrecht (Derecho procesal civil. Traducción de la segunda edición alemana y del Cód igo procesal civil alemán, incluido como apéndice por Leonardo Prieto-Castro... Con adiciones sobre la doctrina y la legislación españ ola por Niceto Alcalá Zamora Castillo, Madrid 1936); Wilhelm Kisch, Elementos de Derecho procesal civil. Traducción de la cuarta ed. alemana y adiciones de derecho español por L. Prieto Castro, Madrid 1932/1940; Adolf Schönke, Zivilprozessrecht, (Derecho procesal civil por Adolfo Schönke. Traducción española de la 5a ed. alemana, Barcelona 1950). 63 De Miguel y Alonso, El derecho procesal civil alemán y su irradiación: España e Hispanoamerica, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 338, 381 s. 64 De Miguel y Alonso, El derecho procesal civil alemán y su irradiación: España e Hispanoamerica, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 338, 380; Stürner, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere

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Mit einer gewissen Verzögerung gegenüber Deutschland und Italien wurden die grundlegenden Diskussionen zur Rechtsnatur und Wirkungsweise der Rechtskraft nun auch in Spanien geführt.65 Dabei lösten sich die spanischen Autoren teilweise stark von den Vorgaben des Gesetzes: Insbesondere die Einordnung der cosa juzgada als gesetzliche Vermutung, wie sie in Art. 1252 C.C. verankert war, wurde schon bald aufgegeben. 66 Diese Öffnung gegenüber den Einflüssen der Prozessrechtswissenschaft anderer europäischer Länder war dabei kein vorübergehendes Phänomen. Bis heute setzen sich die spanischen Zivilprozessualisten umfassend mit den Prozessrechtslehren insbesondere Italiens und Deutschlands auseinander. 67 Dies betrifft dabei gerade auch die Rechtskraftlehre: In spanischen Darstellungen der dogmatischen Grundlagen der cosa juzgada findet sich häufig eine fast ebenso ausführliche Auseinandersetzung mit den Theorien der deutschen und italienischen Prozessualisten des 19. und 20. Jahrhunderts wie in deutschen oder italienischen Lehrbüchern und Monographien.68 Insbesondere die Lehren Savignys und Chiovendas werden in der spanischen Zivilprozessrechtswissenschaft als Ausgangspunkt der heutigen Rechtskraftdogmatik angesehen. 69 Doch auch aktuellere monographische Werke deutscher (und italienischer) Autoren werden zitiert.70 Herrschte noch Anfang des 20. Jahrhunderts ein Klima der geistigen Abschottung nach außen, ist die spanische Prozessrechtswissenschaft heute gekennzeichnet durch eine große Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Prozessrechtslehren anderer Rechtsordnungen.71 Die Einzelheiten der von den spanischen Prozessualisten entwickelten Rechtskraftlehre werden im Folgenden bei den jeweils betroffenen Teilbereichen der Lehre von der cosa juzgada beschrieben.

Rechtsordnungen, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 3, 32. 65 Vgl. beispielsweise: Gómez Orbaneja, Las teorías de la cosa juzgada: su valor sistemático, Valladolid 1932; Guasp, Los límites temporales de la cosa juzgada, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435 ss. 66 Hierzu ausführlich unten C. II. 1. 67 Hierzu auch Stürner, Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, in: Habscheid (Hrsg.), Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung, S. 3, 32; ders., ZZP 127 (2014), S. 271, 296 f. 68 Vgl. beispielsweise Nieva Fenoll, Cosa juzgada (im gesamten Werk); de la Oliva Santos, Objeto del proceso y cosa juzgada en el proceso civil, n° 100–108 (v.a. n° 105 s.), p. 110 ss. 69 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 41 ss. 70 So beispielsweise in der gesamten Monographie von Nieva Fenoll, Cosa juzgada. 71 So auch Miras, Entwicklung, S. 142.

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III. Die Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 Das Verfahrensrecht der LEC 1881, das seine Wurzeln in den Rechtsvorstellungen der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft früherer Jahrhunderte hatte und in der Überzeugung geschaffen wurde, dass ein langsamer und komplizierter Prozess dem Schutz der Parteien diene, geriet im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend in Konflikt mit der Realität: 72 Angesichts der Erfordernisse eines industrialisierten und technisierten Wirtschaftslebens und der erheblich angestiegenen Fallzahlen vor den Gerichten wirkte der formalistische und komplizierte Zivilprozess nicht mehr als Garant der Parteiinteressen, sondern vielmehr als Gefahr für die effektive Rechtsdurchsetzung. In den Achtziger- und Neunzigerjahren versuchte der Gesetzgeber daher durch verschiedene kleinere Reformen, in Teilbereichen Ausbesserungen vorzunehmen.73 Das Normalverfahren, das juicio ordinario, wurde durch wiederholte Anhebung der Streitwertgrenzen 74 zurückgedrängt und zum Ausnahmeverfahren für höchste Streitwerte entwickelt, während das ursprünglich als Eilverfahren entwickelte Verfahren für geringe Streitwerte, juicio de menor cauntía, zum eigentlichen Regelfallverfahren umgestaltet wurde. 75 Gleichzeitig wurden für einzelne Rechtsgebiete neue Sonderverfahren außerhalb des LEC 1881 geschaffen,76 die eine Vermeidung der durch die LEC 1881 ursprünglich zur Verfügung gestellten Verfahrensordnung ermöglichten. 77 Die cosa juzgada wurde von den kleineren Reformen der LEC 1881 jedoch nicht berührt. Im Laufe der Neunzigerjahre wurde deutlich, dass die Aufgabe, das Verfahrensrecht den Erfordernissen einer modernen Industriegesellschaft und der Realität der angestiegenen Verfahrenszahlen anzupassen, nur durch eine umfassende Reform des gesamten Verfahrensrechts zu bewältigen sein würde. 78 1997 arbeitete das Justizministerium daher den Entwurf einer neuen Ley de Enjuiciamiento Civil aus, welcher nach Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahren schließlich zur Verabschiedung der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil vom 72

Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 51. Insbesondere durch die beiden folgenden Reformgesetze: Ley 34/1984, de 6 de agosto, de reforma urgente de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín oficial del Estado, núm. 188; Ley 10/1992, de 30 de abril, de Medidas Urgentes de Reforma Procesal, Boletín oficial del Estado, núm. 108. 74 Artículo noveno, Ley 34/1984, de 6 de agosto; Capítulo I, Sección I, Artículo primero, n° 45–48, Ley 10/1992, de 30 de abril (jeweils zu Art. 483 ss. LEC 1881). 75 Miras, Entwicklung, S. 144 f., 156 f. 76 Montero Aroca/ u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 50 s. 77 Montero Aroca spricht insoweit von zwei Fluchtphänomenen („dos fenómeneos de huida“): der Fluchtbewegung weg vom juricio ordniario einerseits und andererseits der zunehmenden Flucht aus der Verfahrensordnung der LEC insgesamt: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 49 s. 78 Montero Aroca/u.a.– Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 52. 73

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7. Januar 200079 führte. Diese trat am 8. Januar 2001 in Kraft. Durch die LEC 2000 sollte das Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden und gleichzeitig den Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie den technologischen Fortschritten, insbesondere im Bereich der elektronischen Medien, Rechnung getragen werden.80 Von der umfassenden Umgestaltung des Verfahrensrechts wurde auch die cosa juzgada erfasst: Die in der Literatur längst erfolgte Abkehr von der materiellrechtlichen Einordnung der cosa juzgada wurde durch Aufhebung der Artikel 1251, 1252 C.C. nachvollzogen und die Normierung der cosa juzgada gänzlich in die LEC verschoben. Die dortige Regelung ist im Vergleich zu den nur rudimentären Regelungen der Zeit vor 2000 ausführlicher und klarer. Dennoch haben sich mit der umfassenden Neuregelung auch neue Problemfelder aufgetan, deren Darstellung aber den folgenden Ausführungen zu den Teilbereichen der Rechtskraftlehre vorbehalten bleiben soll. IV. Zusammenfassung Die Entwicklung des Prozessrechts und der Rechtskraftdogmatik ist in Spanien anders als in Frankreich gekennzeichnet durch eine frühe Kontinuität der gesetzlichen Grundlagen in Form der Siete Partidas von 1265. Während aber das Zivilverfahren auch nach den Prozessrechtskodifikationen des 19. Jahrhunderts von den Vorstellungen des hochmittelalterlichen Regelwerks geprägt bleibt, zeigt sich im Bereich der Rechtskraftdogmatik ein zunehmender Einfluss der Rechtsvorstellungen anderer Rechtsordnungen, der zunächst in der Prägung der Regelung in Art. 1252 Código Civil durch das französische und portugiesische Recht, ab Mitte des 20. Jahrhunderts in der zunehmenden Auseinandersetzung mit der italienischen und deutschen Rechtskraftlehre erkennbar wird. Prägend für die heutige Rechtskraftlehre Spaniens ist das Verständnis der cosa juzgada, welches sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Rechtswissenschaft herausgebildet hat und das mit der Reform des Jahres 2000 auch gesetzliche Ausgestaltung erfahren hat.

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Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial del Estado núm. 7 de 8 de enero de 2000. 80 Exposición de Motivos, Boletín Oficial del Estado núm. 7, 8 de enero de 2000, p. 575, 576: „... se necesita un Código procesal civil nuevo, que supere la situación originada por la prolija complejidad de la Ley antigua y sus innumerables retoques y disposi ciones extravagantes. [...] Las transformaciones sociales postulan y, a la vez, permiten una completa renovación procesal que desborda el contenido propio de una o varias reformas parciales. [...] la sociedad y los profesionales del Derecho reclaman un cambio y una simplificación de carácter general ...“; p. 580: „La Ley, atenta al presente y provisora del futuro, abre la puerta a la presentación de escritos y documentos y a los actos de notificación por medios electrónicos, telemáticos y otros semejantes ...“.

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B. Begriffsbestimmung und Abgrenzung zwischen „cosa juzgada formal“ und „cosa juzgada material“ Nach der reinen Wortbedeutung scheint der Begriff der cosa juzgada dem französischen Begriff der chose jugée zu entsprechen. Während die chose jugée aber in Frankreich als Synonym für das objet verwendet wird, jedoch nicht die Wirkung oder Eigenschaft des Urteils bezeichnet, wird der Begriff in Spanien seit langem zur Bezeichnung der dem deutschen Institut der Rechtskraft entsprechenden Wirkung einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung verwendet, 81 ohne dass hierfür wie in Frankreich der begriffliche Zusatz autorité oder autoridad hinzugefügt werden muss. Zwar findet sich der Begriff einer autoridad de la cosa juzgada auch in Spanien, jedoch wird er nur zur Beschreibung einzelner Ausprägungen der cosa juzgada herangezogen, wobei ihm aber kein einheitlicher Bedeutungsgehalt zugemessen wird. 82 I. Die Unterscheidung zwischen „cosa juzgada formal“ und „cosa juzgada material“ Die spanische Rechtskraftlehre83 differenziert zwischen der cosa juzgada formal und der cosa juzgada material: Die cosa juzgada formal entfaltet ihre Wir-

81 López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 491. Daneben wird der Begriff der cosa juzgada zuweilen auch zur Beschreibung des Zustandes verwendet, in dem sich ein Rechtssache oder eine Teilrechtsfrage befindet, die Gegenstand eines abgeschlossenen Zivilverfahrens war: Die Sache ist entschieden, die jeweiligen Rechtsverhältnisse sind durch ein Verfahren bestimmt worden (vgl. hierzu de la Oliva Santos, Objeto del proceso, p. 94 s., n° 84; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 491). Dabei handelt es sich jedoch um eine untechnische Verwendung des Begriffs, welche die prozessuale, engere Begriffsbedeutung als Urteilswirkung nicht in Frage stellt. 82 In Art. 408 LEC 1881 diente er zur Beschreibung des mit Ablauf der Rechtsmittelfristen eintretenden Zustandes gerichtlicher Entscheidungen, auch der heutige, der cosa juzgada formal gewidmete Art. 207.3 LEC beschreibt, dass die unanfechtbaren Entscheidungen in autoridad de la cosa juzgada erwachsen. In älteren Lehrbüchern dient der Begriff dagegen teilweise zur Beschreibung der cosa juzgada material, so bei Guasp, Derecho procesal civil I, p. 548. 83 Die Unterscheidung wird allein von Nieva Fenoll abgelehnt, der die cosa juzgada als einheitliches Institut versteht, das dem Schutz ergangener Entscheidungen vor einer Entwertung (desvirtuación) sowohl im laufenden Verfahren als auch in späteren Prozessen diene (Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 87 ss.). Nach herrschendem Verständnis sind die innerprozessuale Wirkung und die Ausschluss- und Bindungswirkung in späteren Verfahren schon deshalb zu unterscheiden, weil einige Entscheidungsarten zwar anerkanntermaßen im selben Prozess verbindlich wirken, ihnen aber keine cosa juzgada material in späteren Verfahren zukommt (so z.B. Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 38).

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kung im laufenden ersten Verfahren, also in dem Prozess, in dem die Entscheidung erlassen wurde, und verhindert in dessen Fortgang, dass die ergangene Entscheidung aufgehoben oder abgeändert wird und dass sich Gericht und Parteien in Widerspruch zum Entscheidungsinhalt setzen. Die cosa juzgada material bezeichnet dagegen die Verbindlichkeit der Entscheidung in anderen, nachfolgenden Verfahren sowie den Ausschluss späterer Verfahren mit identischem Gegenstand.84 Auch die LEC hat diese Differenzierung in Art. 207 LEC und Art. 222 LEC aufgegriffen: Nach Art. 203.3 und 4 LEC ist das Gericht des Verfahrens, in dem bereits eine unanfechtbare Entscheidung ergangen ist, (el tribunal del proceso en que hayan recaído/recaiga) an das bereits Entschiedene gebunden.85 Art. 222 LEC beschreibt dagegen die Wirkung in späteren, nachfolgenden Verfahren (en un ulterior proceso/proceso posterior). 86 Dass die Wirkungen der Entscheidung im selben Verfahren dem Institut der cosa juzgada zuzurechnen sind, wird aber teilweise in Frage gestellt. Einige Autoren sehen derart grundlegende Unterschiede zwischen der Wirkung im selben Prozess und der Wirkung in späteren Verfahren, dass eine Erfassung unter dem einheitlichen Begriff der cosa juzgada unangebracht sei 87 und nur 84 De la Oliva Santos/Díez-Picazo Giménez, Derecho procesal civil – Proceso de declaración, p. 591 s. ,§ 48 n° 3, n° 7; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 439 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 491; Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, 1989, p. 204, n° 180. Die Unterscheidung zwischen der formellen Rechtskraft als innerhalb desselben Verfahrens greifende Wirkung und der materiellen Rechtskraft als Wirkung, die außerhalb des Verfahrens, in dem die rechtskräftige Entscheidung erging, zur Entfaltung kommt, ähnelt der in der älteren deutschen Prozessrechtslehre z.B. von Schönke vertretenen Ansicht, vgl. Schönke, Zivilprozeßrecht, Berlin 1938, S. 254 ff., § 72 und § 73. Bei der Beschreibung der Wirkung im selben Verfahren unterscheidet Schönke aber (anders als die spanische Lehre) klar zwischen innerprozessualer Bindung nach § 318 ZPO und formeller Rechtskraft (vgl. Schönke, Zivilprozeßrecht, S. 254 ff., § 72 I, II). 85 Art. 207 LEC: „[...] 3. Las resoluciones firmes pasan en autoridad de cosa juzgada y el tribunal del proceso en que hayan recaído deberá estar en todo caso a lo dispuesto en ellas. 4. Transcurridos los plazos previstos para recurrir una resolución sin haberla impugnado, quedará firme y pasada en autoridad de cosa juzgada, debiendo el tribunal del proceso en que recaiga estar en todo caso a lo dispuesto en ella.“ 86 Art. 222 LEC: „1. La cosa juzgada de las sentencias firmes, sean estimatorias o desestimatorias, excluirá, conforme a la ley, un ulterior proceso cuyo objeto sea idéntico al del proceso en que aquélla se produjo. [...] 4. Lo resuelto con fuerza de cosa juzgada en la sentencia firme que haya puesto fin a un proceso vinculará al tribunal de un proceso posterior cuando en éste aparezca como antecedente lógico de lo que sea su objeto, siempre que los litigantes de ambos procesos sean los mismos o la cosa juzgada se extienda a ellos por disposición legal.“ 87 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios al C.C. – T. XVI, p. 627, 634 s.; Tapia Fernández, La cosa juzgada, p. 23 s.

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das Verständnis der Urteilswirkungen erschwere. 88 Der Begriff der cosa juzgada soll daher nach dieser Ansicht der Wirkung in späteren Verfahren vorbehalten bleiben, während die Wirkung im selben Prozess durch den Begriff der „Beständigkeit“ (firmeza) beschrieben werden solle.89 Überwiegend90 werden cosa juzgada formal und cosa juzgada material aber als zwei Ausprägungen desselben Instituts der cosa juzgada verstanden, die demselben Zweck dienen und in ihrer Wirkung einer ähnlichen Grundstruktur folgen.91 Die cosa juzgada formal schütze die Entscheidung vor direkten Angriffen durch Anfechtung oder Infragestellung im selben Verfahren, die cosa juzgada material diene dem Schutz vor indirekten Angriffen durch eine Infragestellung des Entscheidungsergebnisses in späteren Verfahren.92 Während die Regelungen des früheren Rechts die Unanfechtbarkeit teilweise als firmeza, teils als autoridad de la cosa juzgada bezeichneten und der Begriff der cosa juzgada in Código Civil und LEC 1881 der cosa juzgada material vorbehalten blieb, 93 kommt die Differenzierung zwischen einer formalen und materiellen cosa juzgada heute auch in der LEC klarer zum Ausdruck, hat doch der Gesetzgeber in der Normüberschrift des Art. 207 LEC ausdrücklich den Begriff

88 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 634 s.; Tapia Fernández, La cosa juzgada, p. 23 s. 89 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios al C.C. – T. XVI, p. 627, 634 s. (preclusión oder firmeza); Tapia Fernández, La cosa juzgada, p. 23 s. Sich auch für die Verwendung des Begriffs der cosa juzgada allein für die cosa juzgada material aussprechend: Gómez Calero, La cosa juzgada, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 422; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559. 90 Calaza López, Cosa juzgada, p. 36; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 548; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 203 s., n° 179 s.; so nun auch Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 489 („misma idea base“) (im Gegensatz zu seiner Position vor der Zivilprozessrechtsreform von 2000, vgl. Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, Cuadernos de Derecho Judicial 1995, p. 67, 79 ss.) 91 Zur Wirkungsweise der cosa juzgada formal und material sogleich ausführlich. 92 Guasp, Derecho procesal civil I, p. 548. 93 Art. 408 LEC 1881 (autoridad de la cosa juzgada zur Beschreibung des Zustandes der Unanfechtbarkeit der Entscheidung mit Ablauf der Rechtsmittelfristen); Art. 69.5, 840.2, 848 LEC 1881 (Beschreibung der Unanfechtbarkeit unter Bezugnahme auf „sentencias/ resoluciones firmes“). Verwendung des Begriffs der cosa juzgada zur Bezeichnung der cosa juzgada material in Art. 1251.2, 1252 Código Civil (a.F.); Art. 161, 1ª, 544.2 LEC 1881.

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der cosa juzgada formal verwendet. 94 Überwiegend wird hierin eine gesetzgeberische Bestätigung der Untergliederung der cosa juzgada in eine formelle und eine materielle Ausprägung gesehen. 95 II. „Cosa juzgada formal“ Zwar ist anerkannt, dass die cosa juzgada formal eine Wirkung des Urteils im selben Verfahren beschreibt, welche innerprozessualen Wirkungen im Einzelnen von der cosa juzgada umfasst ist, ist allerdings umstritten. Insgesamt lassen sich drei bzw. sogar vier innerprozessuale Phänomene identifizieren, die von den verschiedenen Strömungen in der Literatur unterschiedlich verortet werden und deren Zuordnung zur cosa juzgada formal unklar ist. 1. Die verschiedenen innerprozessualen Wirkungen der Entscheidung Schon mit Unterzeichnung der Entscheidung durch den Richter tritt ein Abänderungsverbot ein, welches verhindert, dass das erlassende Gericht den Entscheidungsinhalt zu einem späteren Zeitpunkt nochmals verändert.96 Dieses an den Richter gerichtete Verbot wird in Art. 214.1 LEC als Unabänderlichkeit (invariabilidad) bezeichnet.97 Ausgeschlossen sind jedoch nur Änderungen,

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Da sich der Art. 207 LEC in der den Entscheidungsformen gewidmeten Sección 1 des 8. Kapitels des 5. Titels der LEC findet, die Regelung des Art. 222 LEC zur materiellen cosa juzgada dagegen in der den Urteilswirkungen gewidmeten Sección 2, wird vereinzelt aber angenommen, der Gesetzgeber habe die cosa juzgada formal nicht als gleichwertigen Bestandteil der Urteilswirkung der cosa juzgada verstanden und den Begriff cosa juzgada in Art. 207 LEC lediglich aufgrund einer überkommenen Terminologie verwendet (so Tapia Fernández, La cosa juzgada, p. 24). Der Regelungsstandort der cosa juzgada formal bei den Entscheidungsformen in einer den unanfechtbaren Entscheidungen gewidmeten Vorschrift ergibt sich aber aus dem Zusammenhang der cosa juzgada formal mit der Unanfechtbarkeit. Eine deutliche Trennung der Regelungsstandorte nimmt beispielsweise auch die deutsche ZPO bei der Regelung der formellen und materiellen Rechtskraft vor. 95 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, p. 95 n° 86; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 288. 96 Nach der Unterzeichnung darf der Richter nur noch Klarstellungen vornehmen und gewisse Fehler berichtigen (Art. 214.2 und 3 LEC). 97 Art. 214 LEC – Invariabilidad de las resoluciones. Aclaración y corrección: „1. Los tribunales no podrán variar las resoluciones que pronuncien después de firmadas, pero sí aclarar algún concepto oscuro y rectificar cualquier error material de que adolezcan. [...]“. Ebenso Art. 267.1 Ley Orgánica del Poder Judicial (Ley Orgánica 6/1985, de 1 de julio, del Poder Judicial in der durch die Ley Orgánica 10/2003, de 23 de diciembre geänderten Version): „1. Los tribunales no podrán variar las resoluciones que pronuncien después de firmadas, pero sí aclarar algún concepto oscuro y rectificar cualquier error material de que adolezcan. [...].“ In der Literatur wird teilweise auch der Begriff der inmutabilidad verwendet: vgl. Calaza López, Cosa juzgada, p. 42.

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die tatsächlich den Aussagegehalt der Entscheidung verändern, nicht aber Erläuterungen und Korrekturen offensichtlicher Fehler. 98 Das Änderungsverbot findet seine Begründung in der Abschlusswirkung der Unterschrift, mit der der Richter das Urteil vervollständigt. 99 Dem Gericht ist es zudem verboten, die eigene Entscheidung im Fortgang des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuheben und durch eine andere zu ersetzen. Diese Wirkung scheint auf den ersten Blick denselben Hintergrund wie die invariabilidad im Sinne des Art. 214 LEC zu haben und wird daher teilweise mit dieser gleichgesetzt.100 Jedoch nehmen einige Autoren an, dass das Aufhebungs- und Ersetzungsverbot anders als das bereits vor Eintritt der Unanfechtbarkeit wirkende Abänderungsverbot nach Art. 214 LEC nicht auf der Abschlussfunktion der richterlichen Unterschrift, sondern auf der Verbindlichkeit des Urteils für das Gericht im Fortlauf des Prozesses beruhe. 101 Die beiden Verbote seien daher wesensverschieden und nicht zu vermischen. 102 Für diese Wirkung wird teilweise der Begriff der Beständigkeit (firmeza) verwendet,103 dem jedoch – wie sogleich noch zu zeigen ist – überwiegend ein anderer Wortsinn zugewiesen wird. Mit dem Zeitpunkt, ab dem eine Einlegung ordentlicher Rechtsmittel ausgeschlossen ist, wird die Entscheidung unanfechtbar. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gesetz gar keine Rechtsmittel zur Verfügung stellt, ob die Fristen für die Einlegung eines vorgesehenen Rechtsbehelfs abgelaufen sind oder ob die vorgesehenen Rechtsmittel ohne Erfolg ausgeschöpft wurden bzw. eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen wurden. 104 Zur Bezeichnung der Unanfechtbarkeit wird – dem Wortlaut des Art. 207.2, 3 LEC entsprechend – der

98 Sánchez Pos, Comentario al Art. 214 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC, p. 1057, 1059 (A) („la aclaración no debe implicar un cambio del sentido y espíritu del fallo“); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 489 („no se trata de [...] modificar el contenido de la resolución“). 99 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 93, p. 102 s. 100 So beispielsweise Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302. 101 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 93, p. 103. 102 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 93, p. 103. 103 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 90, p. 99. 104 Die beiden letzten Varianten ergeben sich nicht aus Art. 207 LEC, sind aber allgemein anerkannt, vgl. Calaza López, Cosa juzgada, p. 54; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 557 s.; Hualde López, Comentarios al Art. 207 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC I, p. 1030, 1032 (II, 1.); Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 561.

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Begriff der Beständigkeit (firmeza), 105 teilweise auch der Unangreifbarkeit (inimpugnabilidad) verwendet.106 Die Unanfechtbarkeit wird weniger als Wirkung denn als Zustand oder Eigenschaft der Entscheidung und als Wirkung des Verfahrens verstanden. Mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung entsteht schließlich eine positive Bindung an den Inhalt der ergangenen Entscheidung in der Weise, dass der Entscheidungsinhalt im weiteren Fortgang des Verfahrens zugrunde zu legen ist und nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Das Gericht darf in den folgenden Entscheidungen desselben Verfahrens (und derselben Instanz)107 nicht mehr von dem Entscheidungsinhalt abweichen oder im Widerspruch zu diesem entscheiden.108 Häufig wird angenommen, die positive innerprozessuale Bindung treffe auch die Parteien mit der Folge, dass diese den Entscheidungsinhalt im weiteren Verlauf des Verfahrens der Stellung ihrer Anträge und ihrem Vorbringen zugrunde zu legen hätten und keine Entscheidung beantragen könnten, die im Widerspruch zu der bereits ergangenen stünde. 109 Ob darin ein bloßer Reflex der Innenbindung des Gerichts oder ein tatsächliches prozessual durchsetzbares Verbot zu sehen ist, bleibt dabei aber offen. 2. Die Abgrenzung dieser Wirkungen im Verhältnis zur „cosa juzgada formal“ Wie diese innerprozessualen Wirkungen voneinander abzugrenzen sind 110 und ob sie jeweils dem Institut der cosa juzgada formal zuzuordnen sind, wird in der spanischen Prozessrechtswissenschaft ausführlich diskutiert. Überwiegend wird das Abänderungsverbot nach Art. 214 LEC als von der cosa juzgada formal gesonderte Wirkung verstanden,111 was nicht nur der un-

105 Calaza López, Cosa juzgada, p. 41; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 488. 106 So de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 90, p. 99. 107 Calaza López, Cosa juzgada, p. 66; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 91, p. 100 s. 108 Calaza López, Cosa juzgada, p. 64 ss.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 90, p. 99; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 490. 109 Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 289; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 440; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 490. 110 Gänzlich auf Differenzierungen zwischen den einzelnen innerprozessualen Wirkungen verzichten will nur Nieva Fenoll, der aber auch die Unterscheidung zwischen cosa juzgada formal und material ablehnt und von einem einheitlichen, der Rechtssicherheit dienenden Institut der cosa juzgada ausgeht: Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 91 s. 111 Calaza López, Cosa juzgada, p. 55; Cienfuegos Mateo, La doctrina de la cosa juzgada en la jurisprudencia del Tribunal Internacional de Justicia, Justicia 2003, p. 235, 240; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 93, p. 102 s.; de la Oliva Santos/Díez-Picazo Giménez,

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terschiedliche Zeitpunkt des Eintritts der Wirkung, sondern auch der gesonderte Regelungsstandort des Abänderungsverbots nahelegt. 112 Erheblich divergieren die Ansichten dagegen hinsichtlich der Frage, ob die cosa juzgada formal als Oberbegriff sowohl die Unanfechtbarkeit beschreibt als auch die positive Bindungswirkung im selben Verfahren umfasst. 113 Aus Art. 207 LEC ergibt sich insoweit keine klare Lösung.114

Derecho procesal civil – Proceso de declaración, p. 492 (§ 48 n° 6); Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 288 s.; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 440; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 489; a.A. (auch das mit Urteilsunterzeichnung eintretende Abänderungsverbot als Element der cosa juzgada formal) PrietoCastro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 203, n° 179. 112 Hualde López, Comentarios al Art. 207 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC I, p. 1030, 1032 (II, 2.); Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 560. Dass mit der Unangreifbarkeit ein Änderungsverbot durch die cosa juzgada formal bewirkt werden könnte, wie dies Calaza López annimmt (Cosa juzgada, p. 55 s., 64), ist damit jedoch nicht ausgeschlossen. 113 Für eine Einordnung als Oberbegriff, der sowohl die Unanfechtbarkeit als auch die Innenbindung beschreibt: Calaza López, Cosa juzgada, p. 63 ss.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 90, p. 99 s.; de la Oliva Santos/Díez-Picazo Giménez, Derecho procesal civil – Proceso de declaración, p. 491 (§ 48 n° 3); ähnlich auch Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1096. Die cosa juzgada formal unter Ausklammerung der positiven Bindungswirkung auf die Unanfechtbarkeit beschränkend: Cienfuegos Mateo, Justicia 2003, p. 235, 240; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 549 ss.; Hualde López, Comentarios al Art. 207 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1030, 1032. Für ein Verständnis der cosa juzgada formal nur als positive Bindungswirkung, die nicht mit der Unanfechtbarkeit gleichzusetzen, sondern nur mit ihr verknüpft ist: Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 289; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 440; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 488 ss., 490. 114 Allenfalls, dass die positive Innenbindung an den Entscheidungsinhalt der cosa juzgada formal zuzurechnen ist, wird durch Art. 207.3 LEC in Verbindung mit der Normüberschrift angedeutet: Die Innenbindung des Gerichts ist in Art. 207.3, 2. Halbsatz LEC im Anschluss an die im 1. Halbsatz getroffenen Aussage, unangreifbare Entscheidungen erwüchsen in autoridad de la cosa juzgada, beschrieben. Die Normüberschrift des Art. 207 LEC nennt jedoch nur die unanfechtbaren Entscheidungen (decisiones firmes) und die cosa juzgada formal als Regelungsinhalt des Art. 207 LEC, prägt aber gerade keinen gesonderten Begriff für die positive Innenbindung. Ob Unanfechtbarkeit und cosa juzgada formal als Ausprägungen eines einheitlichen Instituts anzusehen sind, bleibt offen: Art. 207.3, 1. Halbsatz LEC beschränkt sich auf die Aussage, dass nicht mehr durch Rechtsmittel angreifbare Entscheidungen im Sinne des Art. 207.2 LEC in autoridad de la cosa juzgada erwachsen. Die gesonderte Aufführung der sentencias firmes und der cosa juzgada formal in der Normüberschrift spricht jedenfalls nicht zwingend für eine Trennung der Unanfechtbarkeit von der cosa juzgada formal.

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Letztlich ist jedoch die praktische Bedeutung der Diskussion um die Abgrenzung der einzelnen innerprozessualen Wirkungen nur sehr gering. Im Hinblick auf den Wirkungsgehalt und die Voraussetzungen der Wirkungen herrscht weitestgehende Einigkeit. 115 Das erstinstanzliche Gericht ist ab Unterzeichnung nicht mehr berechtigt, die Entscheidung abzuändern, aufzuheben oder zu ersetzen. Sobald eine Anfechtung der Entscheidung durch die Einlegung (ordentlicher) Rechtsmittel ausgeschlossen ist, wird die Entscheidung auch für die Parteien unangreifbar. Mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung tritt zudem eine positive Bindung an den Entscheidungsinhalt im selben Verfahren ein, die eine Abweichung des Gerichts vom Entscheidungsinhalt im weiteren Verlauf ausschließt. Diese Bindung ist vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen, die Parteien können auf eine Abweichung hinweisen, die excepción procesal de la cosa juzgada steht ihnen jedoch nicht zur Verfügung, da sich diese allein auf die cosa juzgada material bezieht.116 Ein Verstoß gegen die Innenbindung kann im Rechtsmittelverfahren gerügt werden. 117 Einigkeit herrscht auch im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Bedeutung der cosa juzgada formal bzw. der innerprozessualen Wirkungen: Die Unanfechtbarkeit bildet eine Voraussetzung der cosa juzgada material. 118 Sofern der

115 Gewisse praktische Bedeutung kommt den unterschiedlichen Abgrenzungsansätzen allenfalls in Bezug auf die Frage zu, ob die cosa juzgada formal und die innerprozessualen Wirkungen insgesamt sämtlichen unanfechtbaren Entscheidungen zuzubilligen ist. Teilweise wird aus Begrenzung ihrer Wirkung auf den weiteren Verlauf desselben Verfahrens geschlossen, dass die cosa juzgada formal nur Entscheidungen zukomme, die als Zwischenentscheidungen das Verfahren noch nicht abschließen. Abschließende Entscheidungen (decisiones definitivas) beendeten das jeweilige Verfahren dagegen endgültig, für eine Innenbindung in diesem Verfahren sei daher kein Raum mehr (so Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 289; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 490). Hier spiegelt sich jedoch die Ansicht wider, die cosa juzgada beschränke sich auf die positive Innenbindung. Rechnet man dagegen die Unanfechtbarkeit durch Rechtsmittel ebenfalls der cosa juzgada formal zu, so kommt man zu dem von der ganz überwiegenden Mehrheit in der Literatur vertretenen Ergebnis, dass die cosa juzgada formal sämtlichen Entscheidungen zukommen muss, unabhängig davon, ob diese das Verfahren abschließen oder nicht (so Calaza López, Cosa juzgada, p. 61; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, I.1; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 440). 116 Calaza López, Cosa juzgada, p. 69. 117 Calaza López, Cosa juzgada, p. 69. 118 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 488; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559.

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Eintritt cosa juzgada formal als Vorbedingung der cosa juzgada material bezeichnet wird, 119 beruht dies auf der Einordnung der Unanfechtbarkeit als Bestandteil der cosa juzgada formal. 120 Auch die (endgültige) Vollstreckbarkeit (ejecutabilidad oder ejecutoriedad) setzt die Unanfechtbarkeit im Sinne der firmeza des Art. 207.3 LEC voraus. 121 3. Zusammenfassung Auch wenn die cosa juzgada formal als von der cosa juzgada material abzugrenzende Figur anzuerkennen ist, bleibt sie in ihrem Wirkungsgehalt und ihrem Verhältnis zu den einzelnen innerprozessualen Wirkungen und Eigenschaften des Urteils angesichts der Vielzahl der vertretenen Ansätze recht konturlos. Für die übrige Rechtskraftlehre von Relevanz ist vor allem, dass die Unanfechtbarkeit durch Rechtsmittel eine Voraussetzung der cosa juzgada material darstellt. III. „Cosa juzgada material“ Während die cosa juzgada formal ihre Wirkung allein innerhalb des Verfahrens entfaltet, in dem die Entscheidung ergangen ist, beschreibt die cosa juzgada material die Verbindlichkeit des Ergebnisses des ersten Verfahrens für Gerichte und Parteien in einem späteren Verfahren.122 Die durch die cosa juzgada material bewirkte Bindung im späteren Verfahren kennt zwei Funktionen oder Wirkungsrichtungen: Wird nach Erlass einer 119

So beispielsweise: Calaza López, Cosa juzgada, p. 67; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, I.2; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 89, p. 98; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 558; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559. 120 So ausdrücklich: Calaza López, Cosa juzgada, p. 67; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, I.2. 121 Art. 517.2, 1° LEC (sentencia de condena firme). Auch wenn die Unangreifbarkeit oder firmeza als Teil der cosa juzgada formal angesehen werden kann und Voraussetzung der Vollstreckbarkeit ist, ist die Vollstreckbarkeit von der cosa juzgada formal zu unterscheiden, weil zum einen nicht alle Urteile einen vollstreckbaren Inhalt haben (Calaza López, Cosa juzgada, p. 55; Cienfuegos Mateo, Justicia 2003, p. 235, 239; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 92, p. 102; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 553; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 560) und zum anderen Leistungsurteile gemäß Art. 525 LEC regelmäßig auch vorläufig vollstreckbar sind (Cienfuegos Mateo, Justicia 2003, p. 235, 239; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 553; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 488). 122 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 491; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 94, p. 103; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302; Tomé Tamame, La Ley 1/2004, D-32, p. 1775, 1777.

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abschließenden Entscheidung ein Verfahren mit identischem Gegenstand eingeleitet, verhindert die negative oder ausschließende Wirkung (función/efecto negativo o excluyente) den Erlass eines erneuten Urteils zur Sache. 123 Sobald das Vorliegen einer solchen früheren Entscheidung feststeht, muss das Verfahren beendet werden.124 Stimmt der Gegenstand des späteren Verfahrens nicht überein, stellt der Entscheidungsinhalt des ersten Verfahrens aber eine logische Vorfrage der Entscheidung im späteren Prozess dar, so greift die positive Präjudizialwirkung: Das Gericht ist an die vom Gericht im ersten Verfahren getroffene Entscheidung über die präjudizielle Vorfrage gebunden und kann diesbezüglich nicht mehr abweichend entscheiden. 125 Auch wenn sich die Unterteilung in diese beiden Wirkungsrichtungen vor der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 weder aus Art. 1252 C.C. noch aus den Regelungen der LEC ergab, 126 entsprach sie auch vor 2000 bereits der ganz herrschenden Ansicht in Rechtsprechung 127 und Literatur.128 Anders als in Frankreich war die Anerkennung der positiven Wirkungsrichtung in der spanischen Rechtskraftdogmatik nicht Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzung. Eine heute nicht mehr vertretene Ansicht nahm sogar an, dass die positive Funktion die eigentliche Ausprägung der cosa juzgada sei und auch die negative Wirkungsrichtung ersetze: 129 Entscheidender Zweck der cosa juzgada sei die Verhinderung miteinander unvereinbarer Entscheidungen. In einem späteren Verfahren mit identischem Gegenstand sei daher auch nicht der Erlass

123 Calaza López, Cosa juzgada, p. 217 s.; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, 439, 440; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 495; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 562; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1097. 124 López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, 439, 440. 125 Calaza López, Cosa juzgada, p. 219 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 496; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 562; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1097. 126 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 221. 127 STS 692/1992, 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), Fundamentos de derecho (FD) 3°; STS 723/1996, 20. September 1996, (n° ROJ: STS 4932/1996), FD 2°; STS 1069/1997, 1. Dezember 1997 (n° ROJ: STS 7280/1997), FD 4°; STS 916/2000, 13. Oktober 2000 (n° ROJ: STS 7340/2000), FD 1°. 128 Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, III; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 303; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 668 s. 129 Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 429 ss.; Guasp, Derecho precesal civil I, p. 554.

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einer Entscheidung zur Sache generell, sondern nur die Entscheidung im Widerspruch mit dem vorangegangenen Urteil ausgeschlossen.130 Überwiegend wurden aber die positive und negative Wirkungsrichtung als gleichwertige Ausprägungen der materiellen cosa juzgada anerkannt.131 Seit 2000 sind beide Funktionen der materiellen Rechtskraft gesetzlich verankert und definiert: Art. 222.1 LEC regelt die negative Wirkungsrichtung, Art. 222.4 LEC die positive Ausprägung der materiellen cosa juzgada. 132 Insbesondere die Definition der positiven Funktion, die klarstellt, dass die positive Bindungswirkung nur dann eintritt, wenn der rechtskräftige Entscheidungsinhalt eine logische Vorfrage (antecedente lógico) des späteren Streitgegenstandes ist, zeichnet sich durch eine deutlich größere Präzision aus als die vor 2000 insbesondere in der Rechtsprechung verwendeten, häufig sehr schwammigen Beschreibungen der Wirkungsvoraussetzungen. 133 Voraussetzung der cosa juzgada material ist – wie bereits erläutert – die Unangreifbarkeit der Erstentscheidung durch ordentliche Rechtsmittel bzw. – je nach Verständnis – die cosa juzgada formal. Verfahren mit identischem Gegenstand sind jedoch auch schon ausgeschlossen, wenn die Entscheidung noch angefochten werden kann. In dieser Phase wird der Ausschluss jedoch durch 130

Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 429 ss.; Guasp, Derecho precesal civil I, p. 554. 131 STS 692/1992, 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), FD 3°; STS 723/1996, 20. September 1996, (n° ROJ: STS 4932/1996), FD 2°; STS 1069/1997, 1. Dezember 1997 (n° ROJ: STS 7280/1997), FD 4°; STS 916/2000, 13. Oktober 2000 (n° ROJ STS 7340/2000), FD 1°; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, III; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 303; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 668 s. 132 Art. 222 LEC: „1. La cosa juzgada de las sentencias firmes, sean estimatorias o desestimatorias, excluirá, conforme a la ley, un ulterior proceso cuyo objeto sea idéntico al del proceso en que aquélla se produjo. [...] 4. Lo resuelto con fuerza de cosa juzgada en la sentencia firme que haya puesto fin a un proceso vinculará al tribunal de un proceso posterior cuando en éste aparezca como antecedente lógico de lo que sea su objeto, siempre que los litigantes de ambos procesos sean los mismos o la cosa juzgada se extienda a ellos por disposición legal.“ 133 Vgl beispielsweise: STS 692/1992, 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), FD 3° (zuvor entschiedene Sache als Basis oder Ausgangspunkt für das zweite Urteil: „cuando en un segundo proceso se invoca la cosa juzgada anterior para que sirva de base o punto de partida a la segunda sentencia“); STS 723/1996, 20. September 1996, (n° ROJ: STS 4932/1996), FD 2° („wenn sich beide um dieselbe rechtliche Auseinandersetzung drehen“: „cuando versen ambos sobre la misma controversia judicial“)); STS 1069/1997, 1. Dezember 1997 (n° ROJ: STS 7280/1997), FD 4° („lo resuelto por la sentencia firme recaída en el proceso anterior, con respecto a dicho tema o punto litigioso, tiene efecto vinculante o prejudicial en el segundo proceso“). Vgl. aber auch die recht unpräzisen Definitionsversuche in der Literatur, z.B. bei Guasp, Derecho procesal civil I, p. 554 („... la llamada función positiva de la cosa juzgada, que lo que impide es que en ningún nuevo proceso se decida de modo contrario a como antes fue fallado.“).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

das Institut der Rechtshängigkeit (litispendencia) bewirkt. 134 Die cosa juzgada material in ihrer negativen Ausprägung und die litispendencia bilden sich zeitlich ergänzende Institute. 135 Die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada ist wiederum abzugrenzen von der Gestaltungswirkung (efecto constitutivo oder jurídico-material) der Gestaltungsurteile (decisiones constitutivos). 136 Auch die Gestaltungswirkung bewirkt eine Bindung dergestalt, dass eine Abweichung von der in der Entscheidung ausgesprochenen Rechtsfolge ausgeschlossen ist. Während die Gestaltungswirkung aber darauf beruht, dass Gestaltungsurteile die materiellen Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien umgestalten, und daher auch gegenüber jedermann wirkt, stellt die cosa juzgada material nach heutigem Verständnis lediglich eine prozessuale, auf die Prozessbeteiligten beschränkte Bindung der Gerichte und der Parteien dar, ohne sich aber auf die materiellen Rechtsverhältnisse auszuwirken.137 Auf die genaue Wirkungsweise der beiden Ausprägungen der materiellen cosa juzgada, auf ihre Anwendungsvoraussetzungen und Grenzen soll in den folgenden Abschnitten näher eingegangen werden. IV. Zusammenfassung Durch die LEC 2000 hat die bereits zuvor in der Rechtskraftdogmatik verankerte Unterscheidung zwischen einer formellen und einer materiellen Ausprägung der cosa juzgada im Gesetz Verankerung gefunden. Während der Gesetzgeber aber der cosa juzgada material mit ihren beiden Wirkungsrichtungen eine klare gesetzliche Form gegeben hat, bleibt das bereits zuvor umstrittene Verhältnis der cosa juzgada formal zur Unanfechtbarkeit sowie zur innerprozessualen Bindungswirkung weiterhin unbestimmt. Abgesehen von der Zuordnung zur cosa juzgada formal beschreibt die LEC 2000 aber auch die innerprozessualen Wirkungen und Eigenschaften gerichtlicher Entscheidung recht präzise. Im Vergleich der beiden Ausprägungen der cosa juzgada kommt der cosa 134 Guasp, Derecho procesal civil I, p. 558; Salas Carceller, La litispendencia y sus relaciones con la cosa juzgada, Revista General de Derecho 1997, p. 81, 86. 135 STS 916/2000, 13. Oktober 2000 (n° ROJ: STS 7340/2000), FD 1°: „Efectivamente, las situaciones de la litispendencia y de la cosa juzgada, se pueden estimar desde un punto de vista técnico como iguales, y únicamente varían en cuanto al alcance cronológico de sus efectos, pues mientras la cosa juzgada excluye la decisión sobre un proceso ulterior al que ya ha sido resuelto por sentencia firme, la litispendencia produce igual efecto mientras el proceso no está finalizado por sentencia o la misma no ha ganado firmeza. “ Vgl. auch Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 174 („antecedente o anticipo de la cose juzgada“); Guasp, Derecho procesal civil I, p. 558 („precedente temporal“). 136 Calaza López, Cosa juzgada, p. 73 s.; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 545 s. 137 Calaza López, Cosa juzgada, p. 73 s.; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 302. Ausführlich zur Rechtsnatur der materiellen Rechtskraft unten C. II.

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juzgada material für die Praxis und Dogmatik eine ungleich größere Bedeutung zu als der formellen cosa juzgada, weshalb sich die folgenden Ausführungen überwiegend auf die cosa juzgada material beziehen. C. Dogmatische Grundlagen I. Zielsetzung der „cosa juzgada“ und verfassungsrechtliche Grundlage Grundanliegen der cosa juzgada ist wie in den meisten europäischen Rechtsordnungen die Herstellung von Rechtssicherheit (seguridad jurídica) 138 und Rechtsfrieden (paz jurídica139). 140 Die endlose Fortsetzung und Wiederholung von Rechtsstreitigkeiten sowie die Widersprüchlichkeit von Entscheidungen werden als Gefährdung dieser Rechtsgüter verstanden. 141 Durch die Urteilsbzw. Verfahrenswirkung der cosa juzgada wird die endgültige und verbindliche Klärung der Rechtsverhältnisse bewirkt, selbst wenn das hierdurch befestigte Ergebnis fehlerhaft sein sollte. Belange der materiellen Gerechtigkeit und der Wahrheitsfindung treten somit hinter der Zielsetzung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens zurück. 142 Prozessökonomischen Erwägungen wird zwar auch in der spanischen Rechtskraftlehre eine gewisse Bedeutung beigemessen, jedoch wird die Prozessökonomie weniger als Eigenwert und eigenständige Zielsetzung der cosa juzgada gesehen, sondern wiederum als Ausdruck der Rechtssicherheit verstanden.143 Auch die Wahrung staatlicher Autorität und des Ansehens der Rechtsprechung wird teilweise als Zielsetzung der cosa juzgada genannt: Das Urteil wird 138

Die Rechtssicherheit ist in Art. 9.3 Constitución Española als verfassungsr echtliches Schutzgut verankert. 139 Zum Begriff des Rechtsfriedens (paz jurídica) vgl. Sentencia del Tribunal Constitucional (STC) 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 4761, p. 84, 87 (Fundamentos Jurídicos (FJ) 3); STC 231/2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 14877, p. 30, 34 (FJ 2); de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 95, p. 104. Den Begriff des sozialen Friedens (paz social) verwendet dagegen Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1095. 140 STC 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006), p. 84, 87 (FJ 3); STC 231/2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006), p. 30, 34 (FJ 2); Calaza López, Cosa juzgada, p. 46 s.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 95, p. 103 ss.; de Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 24; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 550; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 120; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 561. 141 Calaza López, Cosa juzgada, p. 46 s.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 95, p. 103 ss.; de Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 24; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 120. 142 Calaza López, Cosa juzgada, p. 49. 143 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 121.

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als Ausdruck richterlicher und damit staatlicher Willensbildung und Autorität verstanden, dessen Integrität durch die cosa juzgada vor einer nachträglichen Entwertung geschützt werde. 144 Diesem Aspekt kommt jedoch in der spanischen Rechtskraftlehre eine geringere Bedeutung zu als beispielsweise in Frankreich. All diese Erwägungen sind von einem öffentlichen Interesse geprägt. Auch bei der primären Zielsetzung der Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden steht – anders als im französischen Recht – weniger das persönliche Interesse des Einzelnen an der Klärung und Stabilisierung seiner Rechtsverhältnisse als das öffentliche Interesse an einer Befriedung und Stabilisierung der Gesellschaft im Vordergrund.145 Ergänzt werden diese am öffentlichen Interesse ausgerichteten Zielsetzungen aber durch eine individualschützende Komponente, die sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes ergibt.146 Das spanische Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) versteht die Unabänderlichkeit und Unangreifbarkeit des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen als Ausdruck der in Art. 24.1 Constitución Española (C.E.) verankerten Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. 147 Effektiver Rechtsschutz erfordert nach dem Verständnis des Tribunal Constitucional auch die Wirksamkeit und Beständigkeit der gerichtlichen Entscheidung. 148 Diese Erwägung liegt dabei sowohl der Unangreifbarkeit und Verbindlichkeit der Entscheidung im selben Verfahren, also der cosa juzgada formal, als auch der materiellen cosa

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Calaza López, Cosa juzgada, p. 52; Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil I, p. 204. Ähnlich auch Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 561 (Grundlage sei die „Ausübung der Rechtsprechungsmacht in einem Prozess mit Verfahrensgarantien“ („el ejercicio de la potestad jurisdiccional en un proceso con garantías“)). 145 Gonzalez-Alegre Bernardo, Revista General de Derecho 1955, p. 770, 775 („en beneficio de la sociedad, que necesita de una estabilidad en las relaciones jurídicas”); Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 120 („para dar seguridad jurídica al sistema jurídico-social“). 146 STC 231/2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006), p. 30, 34 (FJ 2); Calaza López, Cosa juzgada, p. 48; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 558 (der das Recht auf effektiven Rechtsschutz aber sogar für die gegenüber der Rechtssicherheit bedeutendere Grundlage des Instituts der cosa juzgada hält). 147 STC 15/2002, 28. Januar 2002, BOE 2002, n° 52 (1. März 2002), Suplemento del Tribunal Constitucional – 4086, p. 21, 24 (FJ 3); STC 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006), p. 84, 87 (FJ 3); STC 231/2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006), p. 30, 34 (FJ 2). 148 STC 15/2002, 28. Januar 2002, BOE 2002, n° 52 (1. März 2002), p. 21, 24 (FJ 3); STC 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006), p. 84, 87 (FJ 3); STC 231/2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006), p. 30, 34 (FJ 2); STC 17/2008, 31.01.2008, BOE 2008 n° 52 (29. Februar 2008) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 3857, p. 38, 41 (FJ 3).

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juzgada zugrunde: 149 Beachtet ein Gericht in einem späteren Verfahren eine zuvor ergangene unangreifbare Entscheidung nicht oder entscheidet es im Widerspruch zu dieser, so wird der rechtskräftigen Entscheidung die Wirksamkeit entzogen und damit das Recht auf effektiven Rechtsschutz berührt.150 Die Einbeziehung des Instituts der cosa juzgada in die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes hat zur Folge, dass sich auch das Tribunal Constitucional immer wieder zur cosa juzgada geäußert hat.151 Die Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen und der Reichweite der cosa juzgada im konkreten Einzelfall ist jedoch allein Aufgabe der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, während sich die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichts auf die Verletzung des Art. 24.1 C.E. beschränkt.152 Eine solche nimmt das Verfassungsgericht nur an, wenn sich die Entscheidung durch die fehlerhafte Berücksichtigung der cosa juzgada als widersprüchlich, willkürlich oder unvernünftig (incongruente, arbitraria o irrazonable) darstellt. 153 In der Zielsetzung des Instituts der cosa juzgada ergänzen sich somit Belange des privaten und des öffentlichen Interesses. Den verfassungsrechtlichen Rahmen ziehen dabei die Verankerung der Rechtssicherheit und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz in Art. 9.3 C.E. bzw. in Art. 24.1 C.E. II. Rechtsnatur und dogmatische Einordnung Auch wenn die Diskussionen über die Rechtsnatur der cosa juzgada material heute nicht mehr mit der früheren Intensität geführt werden, kann eine Darstellung der Entwicklung der Rechtskraftlehre nicht ohne einige Worte zur dogmatischen Einordnung der cosa juzgada material 154 auskommen. Dies gilt 149

STC 15/2002, 28. Januar 2002, BOE 2002, n° 52 (1. März 2002), p. 21, 24 (FJ 3); STC 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006), p. 84, 87 (FJ 3); STC 231/2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006), p. 30, 34 (FJ 2); STC 17/2008, 31.01.2008, BOE 2008 n° 52 (29. Februar 2008), p. 38, 41 (FJ 3) („el derecho a la tutela judicial efectiva protege y garantiza la eficacia de la cosa juzgada material, tanto en su aspecto negativo o excluyente [...], como en su aspecto positivo o prejudicial...“). 150 STC 17/2008, 31.01.2008, BOE 2008 n° 52, p. 38, 42 (FJ 3). 151 Vgl. nur die oben zitierten Entscheidungen des Tribunal Constitucional. 152 STC 15/2002, 28. Januar 2002, BOE 2002, n° 52 (1. März 2002), p. 21, 24 (FJ 3); STC 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006), p. 84, 87 (FJ 3). 153 STC 15/2002, 28. Januar 2002, BOE 2002, n° 52 (1. März 2002), p. 21, 24 (FJ 3); STC 47/2006, 13. Februar 2006, BOE 2006, n° 64 (16. März 2006), p. 84, 87 (FJ 3). 154 Die Diskussion betrifft dabei die materielle cosa juzgada. Die cosa juzgada formal wird dagegen als prozessuales Institut betrachtet (Guasp, Derecho procesal civil I, p. 549 s.). Bei einem Verständnis, das die cosa juzgada formal mit der Unanfechtbarkeit gleichsetzt, ergibt sich dies schon daraus, dass der Ausschluss einer Anfechtung durch Rechtsmittel als Ausschluss einer verfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsmittels verstanden wird (Guasp, Derecho procesal civil I, p. 550). Die Einordnung einer innerprozessualen Bindungswirkung als prozessuales Institut ist dagegen weniger zwingend, auf

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umso mehr, als in dem in Spanien geführten Theorienstreit zur Rechtsnatur der cosa juzgada die intensive Auseinandersetzung der spanischen Prozessrechtslehre mit den Rechtskraftlehren anderer Rechtsordnungen besonders anschaulich wird. 1. Die Theorie der Wahrheitsvermutung („teoría de la presunción de verdad“) Wie bereits in der historischen Einführung dargestellt, hatte das spanische Recht im 19. Jahrhundert das der Lehre Pothiers und dem französischen Code civil entnommene Verständnis als gesetzliche Vermutung übernommen und dieses auch in Art. 1251, 1252 C.C. verankert. Angesichts der klaren positivrechtlichen Regelung in Art. 1251, 1252 C.C. hielten einige Autoren bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts an der Qualifizierung der cosa juzgada material als Vermutung fest, 155 auch wenn anerkannt war, dass dieses Verständnis auf einer fehlerhaften Interpretation des römischen Rechts beruhte. 156 Die ursprüngliche Theorie der presunción de verdad, wie sie in Art. 1251, 1252 C.C. Eingang gefunden hatte, wurde von den späteren Verfechtern der Vermutungslehre aber teilweise modifiziert: Bei der cosa juzgada sollte es sich nicht um eine Vermutung im Sinne einer Beweisregel handeln, bei der von einer feststehenden Tatsache auf eine weitere Tatsache geschlossen wird, sondern vielmehr um eine Rechtsvermutung, die prozessualen Charakters sei und mit deren Hilfe sich die Verbindlichkeit des gefundenen, unanfechtbaren Entscheidungsinhalts auch für den Fall der Fehlerhaftigkeit der Entscheidung adäquat beschreiben lasse. 157 Auch diese Versuche, die Theorie von der Wahrheitsvermutung zu modernisieren, änderten jedoch nichts daran, dass sich die herrschende Meinung von der Vorstellung gelöst hatte, die Wirkung der cosa juzgada beruhe auf der Vermutung einer Übereinstimmung des Entscheidungsinhalts mit der wahren Rechtslage. Das klassische Konzept einer beweisrechtlichen Vermutung der „Wahrheit“ wurde schon deshalb als dogmatische Grundlage der cosa juzgada material abgelehnt, weil sich die Kategorie der Wahrheit nur auf Tatsachen eine Umgestaltung der materiellen Rechtsverhältnisse wird die Bindungswirkung aber keinesfalls gestützt. Im Übrigen greifen die Argumente, welche die herrschende Meinung bei der Beschreibung der cosa juzgada material gegen eine materielle Theorie heranzieht (ausführlich hierzu sogleich), auch hier. 155 So Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 47 s.; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 427 s. 156 Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 47; González-Alegre Bernardo, Revista General de Derecho 1955, p.770, 774. 157 Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 48.

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anwenden lasse, nicht aber auf rechtliche Wertungen. 158 Auch der Beschreibung der cosa juzgada material als Rechtsvermutung in dem Sinne, dass vermutet werde, die Rechtslage entspreche der im Urteil festgestellten Rechtslage, liegt nach herrschender Ansicht ein falsches Urteilsverständnis zugrunde: Urteile enthielten keine Feststellung der wahren Rechtslage, sondern seien Ergebnis des richterlichen Entscheidungsfindungsprozesses, an dessen Ende eine mit staatlicher Autorität versehene Festsetzung einer Rechtsfolge oder Feststellung eines Rechtsverhältnisses steht. 159 Die durch eine gerichtliche Entscheidung bewirkte Bindung beruhe nicht auf der Begründung dieser Entscheidung und deren Richtigkeit, sondern auf der staatlichen Autorität des richterlichen Rechtsfolgenausspruchs. 160 Trotz des bis ins Jahr 2000 unveränderten Wortlauts der Artikel 1251, 1252 C.C. kam der Theorie der Wahrheitsvermutung für die dogmatische Begründung der cosa juzgada material daher keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. 2. Der Theorienstreit zwischen der materiellrechtlichen und der prozessualen Theorie Die Diskussion um die Rechtsnatur der cosa juzgada material war vielmehr auch in Spanien geprägt durch den Theorienstreit zwischen der prozessualen Theorie, welche die cosa juzgada als rein prozessuale Bindungs- und Ausschlusswirkung versteht, und der materiellrechtlichen Theorie, 161 die von einer tatsächlichen Veränderung der materiellen Rechtslage durch das Urteil ausgeht. Man orientierte sich dabei an der in der deutschen Prozessrechtslehre des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geführten Debatte. Die materiellrechtliche Theorie, die in Deutschland von Pagenstecher und Kohler vertreten wurde, begründet die Bindungs- und Sperrwirkung der Rechtskraft damit, dass das Urteil das in Frage stehende Rechtsverhältnis in 158

Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 303; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 554. 159 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 492. 160 Guasp, Derecho procesal civil I, p. 554; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 492. Prieto-Castro Ferrándiz betont zudem, dass die weitreichende Fiktion einer Übereinstimmung der Rechtslage mit dem Entscheidungsinhalt gar nicht notwendig sei, um eine Bindung des Gerichts in einem späteren Verfahren zu erklären (Derecho procesal civil, p. 205). 161 Die überwiegende spanische Literatur grenzt die Theorie der presunción de verdad, die die Wirkung der cosa juzgada material als bloße Vermutung bzw. Fiktion der Übereinstimmung des Urteils mit der tatsächlichen Rechtslage versteht, von der materiell-rechtlichen Theorie ab, die eine tatsächliche Beeinflussung der Rechtslage und einer Neubegründung des Rechts durch das Urteil annimmt (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 100, p. 110; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 303). Teilweise wird die Theorie der Wahrheitsvermutung aber auch der materiellen Theorie zugeordnet (vgl. Calaza López, Cosa juzgada, p. 76).

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der Weise beeinflusse, dass durch ein richtiges Urteil eine neue Entstehungsgrundlage für das festgestellte Recht geschaffen werde, während bei einem unrichtigen Urteil das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien dem Entscheidungsinhalt entsprechend umgestaltet werde. 162 In der spanischen Literatur hat die materiellrechtliche Theorie kaum Anhängerschaft gefunden, 163 vielmehr dienten die materiellrechtlichen Theorien der deutschen Prozessualisten den spanischen Autoren lediglich als Ausgangspunkt einer intensiven Auseinandersetzung mit einem materiellrechtlichen Verständnis der cosa juzgada material, welches aber im Ergebnis abgelehnt wurde. 164 Einen gewissen Widerhall hat die materiellrechtliche Theorie allenfalls in gewissen Formulierungen des spanischen Verfassungsgerichts gefunden, 165 ohne dass sich das Verfassungsgericht dabei aber ausdrücklich auf eine materiellrechtliche Theorie bezogen hätte.166 Der Tribunal Supremo versteht die cosa juzgada jedenfalls als rein 162 Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, S. 305 ff.; Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältnis, § 29, S. 111 f.; ders., Das materielle Recht im Urteil, in: FS Klein, 1914, S. 1 ff.; ähnlich: Wach, Widerlegung des Rechtsgutachtens, in: Wach/Laband, Zur Lehre von der Rechtskraft, S. 31, 67 („[Das rechtskräftig festgestellte Recht] hat im rechtskräftigen Urteil zwar nicht seinen Entstehungsgrund im eigentlichen Sinne, aber doch einen unerschütterlichen Bestärkungsgrund, der denn auch einer selbstständigen causa gleicherachtet werden darf.“). 163 Die materiell-rechtliche Theorie als der prozessualen Theorie überlegen ansehend zwar Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 643, der der materiellrechtlichen Theorie aber letzten Endes auch nicht folgt, sondern nach italienischem Vorbild eine eigene Theorie zur Rechtsnatur der cosa juzgada material entwickelt (p. 646 ss.) (ausführlicher hierzu unten C. II. 3. b.). 164 So Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, II.2; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 107, p. 116; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 424; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 555; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 492. 165 So hat der Tribunal Constiutucional wiederholt die Formulierung verwendet, die unangreifbare Entscheidung habe „die Anpassung der rechtlichen Realität in einer Art und Weise bewirkt, die von den Rechtsprechungsorganen nicht geleugnet werden könne“, vgl. beispielsweise die Entscheidungen STC 182/1994, 20. Juni 1994, BOE 1994, n° 177 (26. Juli 1994), Suplemento TC – 17488, p. 9, 14 (FJ 3) („... una resolución judicial que, habiendo adquirido firmeza, ha conformado la realidad jurídica de una forma cualificada que no puede desconocerse por otros órganos juzgadores ...“) (diese Entscheidung zitierend: STC 190/1999, 25. Oktober 1999, BOE 1999, n° 286 (30. November 1999), Suplemento TC – 22885, p. 24, 31 (FJ 4)); STC 58/2000, 28. Februar 2000, BOE 2000, n° 76 (29. März 2000), Suplemento TC – 5985, p. 40, 44 (FJ 5). Dass sich hierin ein materiellrechtliches Verständnis der cosa juzgada andeutet, zieht de la Oliva Santos in Erwägung (Objeto del proceso, n° 101, p. 111, Fußnote 67). 166 Hierauf weist auch de la Oliva Santos (Objeto del proceso, n° 101, p. 111, Fußnote 67) hin. Auch nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine prozessuale Natur der cosa juzgada im Jahr 2000 (siehe hierzu unten C. II. 4.) hat der Tribunal Constitucional an der

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prozessuales Institut. 167 Ausschlaggebend für die ganz überwiegend ablehnende Haltung gegenüber der materiell-rechtlichen Theorie war und ist die Wahrnehmung, dass sich die Vorstellung einer Umgestaltung der Rechtsverhältnisse mit der übrigen Ausgestaltung des Verfahrensrechts, insbesondere dem Rechtsmittelrecht und der Unterscheidung verschiedener Urteilsarten, schwer vereinbaren lässt. 168 Der materiellen Theorie wird insbesondere vorgeworfen, sie negiere die Existenz von Fehlurteilen, wenn sie im Fall einer unrichtigen Entscheidung eine Umgestaltung des Rechts im Sinne des Urteils bejahe. 169 Das gesamte Rechtsmittelrecht gehe davon aus, dass auch nach der Entscheidung nicht das Urteil, sondern das objektive Gesetzesrecht Maßstab der rechtlichen Bewertung der Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien sei. Die Einräumung von Rechtsmitteln, aber insbesondere von Rechtsbehelfen, die eine Durchbrechung der Formulierung festgehalten (vgl. STC 231/ 2006, 17. Juli 2006, BOE 2006, n° 197 (18. August 2006), Suplemento TC – 14877, p. 30, 35; STC 208/2009, 26. November 2009, BOE 2009, n° 313 (29. Dezember 2009), Suplemento TC – 21117, p. 28, 39; STC 114/2012, 24. Mai 2012, BOE 2012, n° 147 (20. Juni 2012), Suplemento TC – 8322, p. 149, 155 (FJ 5)). Jedoch handelt es sich hierbei oft um wörtliche Zitate älterer Entscheidungen aus der Zeit vor Einführung des LEC 2000, die zum Beleg dafür herangezogen werden, dass die Gewährleistung der Unabänderlichkeit und Unangreifbarkeit rechtskräftiger Entscheidungen als Ausfluss des Rechts auf effektiven Rechtsschutz auch die Wirksamkeit und Beständigkeit des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen erfasst und deren Respektierung durch später angerufene Gerichte sichert (so in STC 208/2009, 26. November 2009, BOE 2009, n° 313 (29. Dezember 2009), Suplemento TC – 21117, p. 28, 39; STC 68/2012, 29. März 2012, BOE 2012, n° 101 (27. April 2012), Suplemento TC – 5665, p. 451, 458 (FJ 4); STC 114/2012, 24. Mai 2012, BOE 2012, n° 147 (20. Juni 2012), Suplemento TC – 8322, p. 149, 155 (FJ 5). Mittlerweile wird die Formel auch häufig durch einen Zusatz ergänzt und davon gesprochen, dass die Rechtsrealität „in gewissem Sinne“ („en un cierto sentido“) angepasst würde, was eine gewisse Relativierung der Aussage beinhaltet (so z.B. in STC 68/2012, 29. März 2012, BOE 2012, n° 101 (27. April 2012), Suplemento TC – 5665, p. 451, 458 (FJ 4); STC 114/2012, 24. Mai 2012, BOE 2012, n° 147 (20. Juni 2012), Suplemento TC – 8322, p. 149, 155 (FJ 5)). Ob in der vom Tribunal Constitucional verwendeten Formel daher ein materiellrechtliches Verständnis der cosa juzgada erkennbar wird, ist damit mittlerweile noch zweifelhafter als zuvor. Zudem hätte ein entsprechendes materielles Verständnis zumindest nach der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers für eine prozessuale Natur der cosa juzgada eine Stellungnahme zu einer etwaigen abweichenden Position des Tribunal Constitucional nahegelegt. 167 STS 480/2004, 26. Mai 2004, (n° ROJ: STS 3637/2004), FD 2°: „La cosa juzgada constituye un estatuto de naturaleza esencialmente procesal...“ (wörtlich zitiert beispielsweise in folgenden Entscheidungen: STS 237/2007, 1. März 2007, (n° ROJ: 1030/2007), FD 2°; STS 724/2007, 18. Juni 2007, (n° ROJ: STS 4285/2007), FD 2°). 168 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 102, p. 112 s.; de la Oliva Santos/DíezPicazo Giménez, Derecho procesal civil – Proceso de declaración, p. 494 ss., § 48 n° 13 ss.; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441. 169 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 102, p. 112 s.; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Rechtskraft ermöglichten, wäre unnötig und sinnlos, wenn die Rechtslage im Sinne des Inhaltes der erstinstanzlichen Entscheidung verändert würde. 170 Auch die klare Unterscheidung zwischen Gestaltungsurteilen und Feststellungs- bzw. Leistungsurteilen, die das spanische Zivilprozessrecht trifft, würde in Frage gestellt, wollte man sämtlichen Entscheidungen zur Sache einen gestaltenden Einfluss auf die materiellen Rechtsverhältnisse zugestehen. 171 Schließlich sei die Annahme einer tatsächlichen Rechtsveränderung insbesondere bei der Zuerkennung absoluter Rechtspositionen schwer mit der anerkanntermaßen auf die Parteien beschränkten Wirkung der cosa juzgada vereinbar.172 Diese Argumente sind – wie bereits zur ähnlichen französischen Diskussion dargelegt 173 – keineswegs zwingend, verkennen sie doch, dass die cosa juzgada nach der materiell-rechtlichen Theorie als Institut besonderer Art anzusehen ist, dessen Einfluss auf die Rechtslage nicht wie das Gesetzesrecht absolut wirken muss, sondern in seiner Reichweite durchaus auf die Parteien beschränkt werden kann, und dessen Wirkung auch vom Ausschluss der Anfechtung durch Rechtsmittel abhängig gemacht werden kann.174 Dennoch hat sich die beschriebene Kritik an der materiell-rechtlichen Theorie in der spanischen Literatur durchgesetzt. Sie dient als Begründung für die Übernahme der prozessualen Rechtskrafttheorie. Die cosa juzgada material wird danach als rein prozessuale und damit öffentlich-rechtliche175 Wirkung verstanden, die die Gerichte an den Entscheidungsinhalt des rechtskräftigen Urteils bindet, die aber keine unmittelbare Auswirkungen auf die materiellen Rechtsbeziehungen hat.176 Diese rein prozessuale Wirkung wird dabei überwiegend als Bindung der Gerichte (vinculación de los tribunales), teilweise

170

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Calaza López, Cosa juzgada, p. 78; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 102, p.

171 Calaza López, Cosa juzgada, p. 77; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 103, p. 113; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 205, n° 180. 172 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 105, p. 114; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, II.2. 173 Oben Kapitel 2 § 1, B. III. 174 Vgl. die ausführliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der prozessualen Theorie bei Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 641 ss.; aus deutscher Sicht insbesondere: Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 24 ff. 175 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 492: „un vínculo de naturaleza jurídico pública“. 176 Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, II.2; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 107, p. 116; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 424; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 555; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441; Montero Aroca/u.a.

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auch der Parteien,177 im späteren Verfahren beschrieben. 178 Wenn die spanischen Autoren von einer prozessualen Bindung sprechen, verstehen sie hierunter jedoch nicht nur die Bindung an den Rechtsfolgenausspruch, sondern auch das Verbot der nochmaligen Entscheidung über denselben Streitgegenstand. 179 Auf eine genauere dogmatische Erklärung der Funktionsweise der rein prozessualen Wirkung und eine Erläuterung, wie die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada durch eine Bindung des Gerichts zu erklären ist, wird jedoch überwiegend verzichtet. 180 Als Vorbilder werden einheitlich die deutschen Vertreter der prozessualen Theorie herangezogen, ohne dass auf die Unterschiede innerhalb dieser Theorie eingegangen würde. 181 So werden Hellwig, Goldschmidt und Schönke zitiert,182 ohne zu erwähnen, dass diese das Wesen der Rechtskraft allein in einer Bindung des Gerichts sahen und die Rechtskraft

– Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 492; Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 41 ss., 53. 177 So beispielsweise: Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 205, n° 180. 178 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 106, p. 115 („la vinculación [...] de los tribunales“); Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 424 („eficacia vinculante“); López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441; Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, 5ª ed. 1989, p. 205, n° 180 („una vinculación para todos los órganos jurisdiccionales civiles“). Als an den Richter gerichteter öffentlich-rechtlicher Befehl, in derselben Weise wie im vorangegangenen rechtskräftigen Urteil zu entscheiden oder von einem weiteren Sachurteil abzusehen, versteht die cosa juzgada material Cordón Moreno (Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, II.2). 179 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 106, p. 115 („la vinculación – la negativa o excluyente y la positiva o prejudicial, según los casos – de los tribunales“); López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441; Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 206, n° 180. 180 So beschränken sich letztlich auf einen Satz: De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 107, p. 116; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 555; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441. Ausführlicher, wenn auch inhaltlich kaum weitergehend und insbesondere ohne Erläuterung, wie die negative Wirkung durch eine Bindung des Gerichts zu erklären ist: Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 206, n° 180. 181 Teilweise findet sich eine Differenzierung zwischen einzelnen Theorien: So führt Silva Melero (Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 43 s., 46) die prozessualen Theorien Hellwigs und Goldschmidts gesondert auf. Jedoch geschieht dies, ohne dabei Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Ansätze herauszuarbeiten. 182 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 106, p. 115 (Stein, Hellwig, Goldschmidt); Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 423 (Goldschmidt). Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 638 (Rosenberg, Goldschmidt, Schönke).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

nicht als Prozesshindernis,183 sondern lediglich als Gebot, den Rechtsfolgenausspruch der Vorentscheidung der späteren Entscheidung ohne weitere Prüfung zugrunde zu legen, verstanden.184 Dass erst die heute in Deutschland herrschende und in den Zwanziger- und Dreißigerjahren beispielsweise von Rosenberg und Bötticher vertretene ne bin in idem-Lehre auch den Ausschluss des späteren Verfahrens mit identischem Streitgegenstand auf die Rechtskraft stützte,185 wird trotz der intensiven Bezugnahme auf die deutschen Prozessrechtslehren nicht berücksichtigt. Ein Aufgreifen der ne bis in idem-Lehre deutet sich nur in teilweise verwendeten Formulierungen an, in denen die Wirkung der cosa juzgada mit dem Ausschluss einer erneuten Verhandlung und Entscheidung über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge erklärt wird. 186 Letztlich wird eine genauere dogmatische Begründung der Funktionsweise der rein prozessualen Wirkung angesichts der geringen praktischen Bedeutung aber für entbehrlich gehalten.187 Als maßgeblich wird allein die Entscheidung für eine prozessuale Einordnung der cosa juzgada material und die Ablehnung der materiellrechtlichen Theorie angesehen. Die Vorteile der prozessualen Theorie sieht die spanische Lehre dabei gerade dort, wo Defizite der materiellrechtlichen Theorie wahrgenommen werden: Die Annahme einer rein prozessualen Bindung lässt sich zwanglos in das

183 Die Unzulässigkeit einer erneuten Klage mit identischem Streitgegenstand ergab sich daher nicht aus der Rechtskraft, sondern wurde – sofern das Urteil als Grundlage der Vollstreckung dienen konnte – mit dem Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses begründet (Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, Berlin 1929, S. 153, § 63 Rn. 2; Schönke, Zivilprozeßrecht, Berlin 1938, S. 260, § 73 V 1). 184 Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, S. 153, § 63 Rn. 2; Schönke, Zivilprozeßrecht, S. 260, § 73 V; Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, Leipzig 1901, S. 7 ff., 10, 13. 185 Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, Berlin 1927, S. 466 f. (§ 154 II 3 (insbes. 3b)); Bötticher, Kritische Beiträge, Berlin 1930 (Neudruck 1970), 2. Kap. § 10, S. 139 ff. (144 f.). 186 So z.B. bei Calaza López, Cosa juzgada, p. 79, die das Verbot der doppelten richterlichen Beurteilung nach dee Grundsatz ne bis in idem zumindest als Grundlage der negativen Wirkungsrichtung ansieht; vgl. auch Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 492 („un vínculo de naturaleza jurídico pública que obliga a los tribunales a no juzgar de nuevo lo ya decidido“). Deutlicher dagegen Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 119 ss., der die dogmatische Begründung in dem Verbot der Wiederholung des Rechtsstreits („prohibición de reiteración de juicios“) sieht (p. 119 ss.) und die Thematik der cosa juzgada grundsätzlich dem Prozessrecht zuschreiben will (p. 129), seinen Ansatz aber nicht innerhalb des Theorienstreits verorten will (p. 129 ss.). 187 Ausdrücklich als nebensächlich („de orden secundario“) bezeichnet Guasp eine solche weitergehende Bestimmung des Wesens der prozessualen Wirkung (Guasp, Derecho procesal civil I, p. 555).

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Rechtsmittelsystem einfügen und ermöglicht eine klare Unterscheidung zwischen Gestaltungswirkung und cosa juzgada material. 188 Schließlich lässt sich die subjektive Begrenzung der cosa juzgada auf Grundlage einer lediglich prozessualen Bindung leichter erklären als bei Annahme einer Umgestaltung der Rechtslage – insbesondere dann, wenn absolute Rechte betroffen sind. 189 Dass sich das Verständnis der cosa juzgada als rein prozessuales Institut durchgesetzt hat, beruht letztlich darauf, dass die prozessuale Theorie die Wirkungen der cosa juzgada und ihre Begrenzungen zwanglos zu erklären vermag, ohne den Begründungsaufwand materieller Ansätze betreiben zu müssen. 3. Weitere Ansätze Trotz der Beherrschung der spanischen Diskussion durch die in der deutschen Prozessrechtslehre vorgezeichnete Auseinandersetzung zwischen der prozessualen und der materiellen Theorie, haben einige Autoren versucht, sich von dem Theorienstreit zu lösen und ihr Verständnis der cosa juzgada ohne Rückgriff auf einen der beiden Ansätze zu begründen. Vorbild war dabei insbesondere die italienische Prozessrechtslehre. Die Ansätze stimmen dabei in ihrer Ablehnung einer Unterscheidung zwischen materiellem und prozessualem Recht, wie sie sowohl die materiellrechtliche als auch die prozessuale Theorie vornehmen, überein.190 Ausgangspunkt dieser Ansichten ist die Vorstellung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, die auf eine Zuordnung des Phänomens der cosa juzgada in das materielle oder prozessuale Recht verzichten kann.191 a. Die Theorie Ramos Méndez’ Ramos Méndez’ Ansatz beruht auf der Annahme, dass erst die Konkretisierung der Rechtslage im Verfahren und im gerichtlichen Urteil die Verwirklichung des Rechts bewirkt. 192 Die vor- oder außerprozessuale Rechtslage sei spätestens mit dem Erlass der richterlichen Entscheidung für das in Rede stehende 188 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 107, p. 116; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 441. 189 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 107, p. 116; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, II.2. 190 Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 220, 234; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 643 ss. 191 Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 155 ff., 236; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 644 (und insgesamt durch die Bezugnahme auf die Lehre Liebmans, der von der Einheitlichkeit und Untrennbarkeit der Rechtsordnung ausgeht (vgl. Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n° 139, p. 270). 192 Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 220.

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Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ohne Bedeutung. 193 Dieses Rechtsverhältnis werde allein durch die im Urteil getroffene Rechtsfeststellung bestimmt.194 Die cosa juzgada bezeichne dabei die unabänderliche Fixierung der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisse. 195 Anders als die materielle Theorie geht Ramos Méndez nicht von einer Veränderung oder Neuschaffung einer vorprozessual bereits existierenden Rechtslage aus. 196 Die Wirkung der cosa juzgada beruht seiner Ansicht nach allein auf der Verbindlichkeit der durch das richterliche Urteil erfolgten Konkretisierung des Rechts. 197 Das Urteil enthalte die in Zukunft maßgebliche Regelung des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses. 198 Diese Regelung wird als „Recht der Parteien“ (derecho de las partes) 199 verstanden, das diesen als Rechtsregel und individuelle Lösung ihrer rechtlichen Probleme diene 200 und das in seiner Verbindlichkeit völlig unabhängig sei von einer außerprozessualen Rechtslage. 201 b. Der Ansatz Serra Domínguez’ Serra Domínguez dagegen vertrat ein Verständnis, welches von den Lehren der italienischen Prozessualisten Liebman und Vocino geprägt ist.202 Von Liebman übernahm Serra Domínguez die Unterscheidung zwischen efficacia und cosa guidicata und differenzierte entsprechend zwischen eficacia de la sentencia und cosa juzgada. 203 Die eficacia bezeichnet danach die tatsächliche Wirkung, die der in der gerichtlichen Entscheidung enthaltenen, mit staatlicher Autorität versehenen Feststellung gegenüber jedermann zukommt.204 Die cosa juzgada wird dagegen als Eigenschaft der Wirkungen des abschließenden Urteils zur Hauptsache verstanden und auf die Parteien beschränkt.205 Sie beschreibt die 193

Ebenda, p. 225, 236. Ebenda, p. 225, 236. 195 Ebenda, p. 227. 196 Eine solche Annahme ist auf Grundlage der Theorie Ramos Méndez‘ unnötig, hierauf weist Ramos Méndez ausdrücklich hin, Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 225. 197 Ebenda, p. 220 ss. 198 Ebenda, p. 225, 236. 199 Ebenda, p. 220, 238. 200 Ebenda, p. 238. 201 Ebenda, p. 238. 202 Vgl. die zustimmende Auseinandersetzung mit diesen beiden Autoren: Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 647 s. (Liebman) und 650 s. (Vocino). 203 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 648 s. 204 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 647 s. 205 Ebenda, p. 626, 648. 194

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Unabänderlichkeit (irrevocabilidad, inmutabilidad), 206 bzw. Unbestreitbarkeit (indiscutibilidad) der Urteilswirkungen.207 Die Bedeutung der cosa juzgada liegt für Serra Domínguez also darin, die eficacia im Verhältnis zwischen den Parteien unabänderlich zu machen und so zu verstärken. 208 Die Parteien bezweckten mit der Anrufung eines Gerichts weniger die Zuerkennung eines Rechts, von dessen Existenz oder Inhaberschaft sie ohnehin schon überzeugt seien, vielmehr komme es ihnen maßgeblich darauf an, eine Infragestellung dieses Rechts oder Rechtsverhältnisses in Zukunft durch die richterliche Feststellung auszuschließen.209 Die durch die cosa juzgada bewirkte Unabänderlichkeit verleihe der gerichtlichen Entscheidung damit erst ihren besonderen Wert.210 c. Zusammenfassung Die Theorien von Ramos Méndez und Serra Domínguez stellen jeweils Sonderwege dar, die stark von der italienischen Prozessrechtslehre geprägt sind.211 In der spanischen Prozessrechtswissenschaft werden ihre Ansätze zwar diskutiert,212 keine der Theorien hat jedoch größere Anhängerschaft gefunden. 4. Die Entscheidung des Reformgesetzgebers von 2000 In der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 hat der spanische Gesetzgeber zur Natur der cosa juzgada Stellung bezogen: Die Regelung der cosa juzgada in Art. 1251, 1252 C.C. wurde aufgehoben und das gesamte Recht der cosa juzgada in die LEC verschoben. In den Gesetzesmotiven wurde zudem ausdrücklich klar gestellt, dass die Regelung der cosa juzgada in der LEC 2000 auf einem Verständnis der cosa juzgada als „Institut im Wesentlichen prozessualer Natur“ beruhe. 213 Indem der Reformgesetzgeber in den Motiven hervorhob, dass man sich mit diesem Verständnis der cosa juzgada „von der Vorstellung einer Wahrheitsvermutung und der Verwechslung mit den materiell206

Ebenda, p. 626, 648. Ebenda, p. 626, 651. 208 Ebenda, p. 626, 649. 209 Ebenda, p. 626, 651. 210 Ebenda, p. 626, p. 649: „un valor peculiar“. 211 Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 155 ss. (Satta), 220 ss., 233 ss. (v.a. Pugliese, Satta); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 647 s. und 650 s. (Liebman, Vocino). 212 Vgl. Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 291. 213 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 582 (IX): „En cuanto a la cosa juzgada, esta Ley [...] entiende la cosa juzgada como un instituto de naturaleza esencialmente procesal ...“. 207

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rechtlichen Wirkungen gewisser Urteile entfernt“ habe, 214 wurde den materiellen Deutungsansätzen und dem Verständnis als Vermutung, wie es noch den Artikeln 1251, 1252 C.C. zugrunde gelegen hatte, eine deutliche Absage erteilt. 215 5. Zusammenfassung Obwohl aktuelle Monographien und Lehrbücher sich auch heute noch der Darstellung der Diskussion um die Rechtsnatur der cosa juzgada widmen, kann die Auseinandersetzung in Spanien heute als beendet angesehen werden. Wie in Deutschland hat sich ein Verständnis der cosa juzgada als rein prozessuales Institut durchgesetzt. Die prozessuale Theorie liegt nicht nur den Ausführungen der Literatur zur cosa juzgada zugrunde, sondern in gleichem Maße den Entscheidungen des Tribunal Supremo und der gesetzgeberischen Konzeption der cosa juzgada in der LEC. Eine über die prozessuale Einordnung hinausgehende exakte dogmatische Erklärung der prozessualen Wirkungsweise wird vor dem Hintergrund der auch von Seiten des Gesetzgebers erklärten Anerkennung einer rein prozessualen Natur der cosa juzgada material heute überwiegend für entbehrlich und praktisch wenig bedeutsam gehalten. D. Die Wirkung der „cosa juzgada material“ im späteren Prozess Wie bereits zuvor dargestellt, differenziert die spanische Rechtskraftdogmatik zwischen einer negativen und einer positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada material. Diese Funktionsrichtungen wirken sich in jeweils unterschiedlicher Weise im späteren Verfahren aus. Die negative Funktion schließt bei Identität der Streitgegenstände eine Fortführung des späteren Verfahrens und den Erlass einer Entscheidung zur Sache aus. Dagegen bewirkt die positive Funktion in Fällen, in denen das in der rechtskräftigen Entscheidung festgestellte Rechtsverhältnis eine präjudizielle Vorfrage der im späteren Verfahren zu treffenden Entscheidung darstellt, dass das später angerufene Gericht seiner Entscheidung die hierzu getroffene rechtskräftige Feststellung zugrunde legen muss. Diese abstrakte Wirkungsumschreibung beschreibt aber noch nicht, wie die beiden Funktionen der cosa juzgada im späteren Verfahren zur Wirkung gebracht werden. Im Hinblick auf die prozessuale Behandlung der cosa juzgada material hat das spanische Recht einen deutlichen Wandel vollzogen. Hiervon betroffen sind insbesondere der Zeitpunkt der Berücksichtigung im 214 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 582 (IX): „Con esta perspectiva, alejada de la idea de la presunción de verdad, de la tópica «santidad de la cosa juzgada» y de la confusión con los efectos jurídico-materiales de muchas sentencias,...“. 215 So auch Calaza López, Cosa juzgada, p. 75; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 108, p. 117 (Fußnote 72).

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Verfahren, die Art der Entscheidung bei Bejahung der Voraussetzungen der cosa juzgada material und die Frage, ob die cosa juzgada material von Amts wegen oder nur bei Geltendmachung durch die Parteien zu berücksichtigen sind. I. Die Behandlung der „cosa juzgada material negativa“ und „positiva“ im späteren Verfahren 1. Die Rechtslage vor Einführung der LEC 2000 Trotz der gewandelten Vorstellung von der Rechtsnatur der cosa juzgada material fand sich die zentrale Regelung zur cosa juzgada material vor Einführung der LEC 2000 weiterhin im materiellen Código Civil und nicht im Zivilverfahrensrecht. Die Behandlung der cosa juzgada material im Prozess war dagegen zum Teil auch in der LEC von 1881 geregelt. a. Die negative Ausschlussfunktion der „cosa juzgada“ Vor der umfassenden Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 wurde die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada material als (peremptorische)216 Einrede (excepción (perentorio)) verstanden. Diese musste der Beklagte in seiner Klageerwiderung (contestación) geltend machen. Wie sich aus den Artikeln 306, 542.1 LEC 1881 ergab, war er anderenfalls mit dem Einwand der entgegenstehenden cosa juzgada präkludiert.217 Diese Folge wurde jedoch durch die im Laufe der Achtzigerjahre durch den Tribunal Supremo zunehmend bejahte Möglichkeit der Amtsprüfung der cosa juzgada abgemildert.218 216

Die Einordnung als peremptorische Einrede entsprach der in Art. 544 LEC 1881 vorgenommenen Qualifizierung als solche, war jedoch aufgrund der prozessualen Wirkungsweise der negativen Funktion der cosa juzgada umstritten: gegen die Einordnung als peremptorische Einrede Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 224; für eine solche Einordnung Gómez de Liaño González, El proceso civil, n° 99, p. 217 s.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 701; Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 53. Carreras weist jedoch darauf hin, dass diese Differenzen auf unterschiedlichen Begriffsverständnissen beruhten ( Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 289 s.). 217 Zu der in der Präklusion von nicht im gesetzlich vorgesehenen Verfahrenszeitpunkt vorgenommen Verfahrenshandlungen zum Ausdruck kommenden Eventualmaxime unter Geltung der LEC 1881: Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 218; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 336. De la Oliva Santos sprach sich dafür aus, die cosa juzgada anders als im LEC 1881 vorgesehen von der Präklusion nach Ablauf des vorgesehenen Zeitpunktes auszunehmen und eine Geltendmachung auch noch in einer späteren Phase des Verfahrens de lege ferenda zuzulassen (De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 70 (p. 210)). 218 Hierzu ausführlich unten D. II. 1.

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Im Verfahren selbst wurde die Einrede der cosa juzgada aufgrund ihrer Natur vor anderen Einwendungen thematisiert, 219 im Übrigen wich ihre prozessuale Behandlung jedoch nicht von der sonstiger Einwendungen ab. 220 Die Entscheidung über das Entgegenstehen der cosa juzgada einer früheren Entscheidung erfolgte durch abschließendes Endurteil, 221 in dem die Klage abgewiesen wurde, ohne dass das Gericht eine Entscheidung zur Sache traf. 222 Im Verfahren für höhere Streitwerte (juicio de mayor cuantía) fand die prozessuale Behandlung der Einrede der cosa juzgada jedoch eine spezielle Ausgestaltung in Art. 544 LEC 1881. Diese Behandlung variierte je nachdem, ob der Beklagte die Einrede der cosa juzgada als eine von mehreren Einwendungen gegen die Klage vortrug oder ob sie das einzige Verteidigungsmittel des Beklagten darstellte. Im ersten Fall entsprach die prozessuale Behandlung derjenigen in den übrigen Verfahrensarten. Die Einrede der cosa juzgada wurde also einheitlich mit den übrigen prozessrechtlichen und materiellrechtlichen Fragen behandelt. Die Entscheidung über das Entgegenstehen der cosa juzgada erfolgte im abschließenden Urteil (Art. 544.1 LEC 1881). Stellte die Einrede der cosa juzgada dagegen das einzige Verteidigungsmittel des Beklagten dar, konnte nach Art. 544.2 LEC 1881 auf Antrag des Beklagten nach den Regeln der Vorverfahren über cuestiones incidentales entschieden werden. 223 Das Verfahren für höhere Streitwerte war jedoch aufgrund seiner Langwierigkeit – wie 219 Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 284; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 673; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 701. 220 Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 673. 221 Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1764, V.1. 222 Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 284; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 701. Allerdings sollte nach Ansicht Montero Arocas bei einer Prüfung der cosa juzgada im Verfahren für geringe Streitwerte im ersten Termin (comparecencia) auch ein Einstellungsbeschluss (auto de sobreseimiento) ergehen können (Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 105). 223 Dabei war umstritten, ob dies die Aussetzung des Hauptverfahrens und die Durchführung eines Vorverfahrens zur Frage des Einwandes der cosa juzgada mit anschließender Wiederaufnahme des Hauptverfahrens (so Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 224) oder die Durchführung des gesamten Verfahrens nach den für Vorverfahren geltenden Regeln (Art. 741 ss. LEC 1881) zur Folge haben sollte (so (auf Grundlage der Annahme, die Regelung bezwecke eine Beschleunigung des Verfahrens bei auf den Einwand der cosa juzgada begrenztem Verteidigungsvorbringen) Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 292 ss.; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1764, V.3; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 701 s.).

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bereits in der Darstellung der historischen Entwicklung beschrieben – im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr zurückgedrängt worden, weshalb auch die soeben geschilderte prozessuale Behandlung nach den Vorverfahrensregeln praktisch nur noch in Fällen mit sehr hohen Streitwerten zur Anwendung kam. b. Die positive Funktion der „cosa juzgada“ Die prozessuale Behandlung der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada war in der LEC 1881 nicht ausdrücklich geregelt. Die positive Bindung bei Präjudizialität konnte aber anerkanntermaßen sowohl durch den Kläger zur Stützung seines Vorbringens als auch durch den Beklagten als Verteidigungsmittel geltend gemacht werden. 224 Umstritten war allerdings, wie die positive Funktion der cosa juzgada im Fall der Geltendmachung als Verteidigungsmittel zu qualifizieren war. Teilweise wurde die positive Wirkungsrichtung wie die negative Ausschlussfunktion als prozessuale Einrede angesehen, die verhindere, dass das Gericht im Hinblick auf das präjudizielle Rechtsverhältnis eine erneute Prüfung in der Sache vornehme. 225 Dagegen wurde sie von anderen als materiellrechtlicher Einwand verstanden: Sie verhindere nicht den Fortgang des Verfahrens oder eine Entscheidung zur Sache, vielmehr werde damit geltend gemacht, dass eine materiellrechtliche Voraussetzung des klägerischen Anspruchs aufgrund der zuvor ergangenen Entscheidung als nicht erfüllt anzusehen sei und die Klage daher in der Sache ohne Erfolg bleiben müsse. 226 Das Verfahren in Art. 544.2 LEC 1881 fand auf die positive Präjudizialbindung keine Anwendung, vielmehr wurde diese auch im Verfahren für höhere Streitwerte mit dem gesamten übrigen Vorbringen des Klägers und des Beklagten gemeinsam abgehandelt, ohne dass eine Vorabentscheidung möglich war. 227 Auch die positive Wirkungsrichtung musste in der Klageschrift bzw. Klageerwiderung (bzw. – sofern diese zulässig waren – in der Replik oder Duplik) geltend gemacht werden.228 Die Folgen einer verspäteten Geltendmachung

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Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 286 ss.; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1764; De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 71 (p. 210). 225 So Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 288. 226 So de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 72 (p. 210 s.); Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 106. 227 De la Oliva Santos/Angel Fernández/Angel Fernández, Derecho procesal civil II, § 22 n° 3 (p. 81). 228 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 71 s. (p. 210).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

wurden aber auch hier durch die Anerkennung einer amtswegigen Berücksichtigung der cosa juzgada gemildert.229 Zudem wurde angenommen, dass für den Fall, dass das Urteil, auf dessen cosa juzgada sich die jeweilige Partei berufen wollte, erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Klage bzw. der Klageerwiderung erlassen wurde oder unanfechtbar geworden war, ausnahmsweise auch ein späterer Vortrag der Präjudizialität noch möglich sein sollte. 230 Über die bestehende positive Bindungswirkung eines früheren Urteils wurde (bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen) im abschließenden Sachurteil entschieden.231 c. Zusammenfassung In der LEC 1881 hatte die prozessuale Behandlung der cosa juzgada keine umfassende gesetzliche Ausformung erhalten.232 Für die Berücksichtigung im Verfahren, insbesondere den Zeitpunkt ihrer Geltendmachung, galten überwiegend (mit Ausnahme des Art. 544.2 LEC 1881) dieselben Regeln wie für die sonstigen peremptorischen Einreden. Der Unterschied zwischen negativer und positiver Wirkungsrichtung fand im Gesetz keinen Niederschlag. Dort wurde lediglich die negative Funktion thematisiert. Die Ausgestaltung der prozessualen Berücksichtigung der positiven Funktion war daher der Literatur und Rechtsprechung überlassen. 2. Die Rechtslage unter Geltung der LEC 2001 Mit der Reform des Jahres 2000 sollte der rudimentären gesetzgeberischen Ausgestaltung ein Ende bereitet werden und auch die prozessuale Behandlung der cosa juzgada im Verfahren einer ausführlicheren, die Unterschiede zwischen positiver und negativer Funktion berücksichtigenden Regelung unterworfen werden. a. Die negative Ausschlusswirkung Die negative Funktion, also die Ausschlusswirkung in einem späteren Verfahren mit identischem Streitgegenstand, ist in Art. 222.1 LEC definiert. Nach 229

Ausführlich hierzu unten D. II. 1. Angesichts des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung sollte als Grundlage hierfür die für den Vortrag neuer Tatsachen geltenden Regelung des Art. 563 LEC 1881 herangezogen werden oder eine gerichtliche Anordnung einer weiteren Sachverhaltsaufklärung nach Art. 340, 5° LEC 1881 (sog. diligencia para mejor proveer) vorgenommen werden: De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, 3ª ed. 1994, § 27 n° 72 (p. 210). 231 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 71 (p. 210). 232 Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 310. 230

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dem Wortlaut des Art. 222.1 LEC schließt die negative Ausprägung der cosa juzgada material ein neues Verfahren mit identischem Gegenstand aus. 233 Diese Formulierung, die andeutet, dass schon die Einleitung des neuen Verfahrens ausgeschlossen sei, 234 wird in der weiteren Ausgestaltung der negativen Funktion der cosa juzgada in der LEC 2000 präzisiert: Die Ausschlusswirkung der cosa juzgada material gehört danach nicht zu den Gründen, die einer Zulassung der Klage (admisión de la demanda) durch den secretario judicial,235 welche Voraussetzung der Rechtshängigkeit ist, 236 entgegenstehen. Vielmehr schließt sie allein den Fortgang des Verfahrens und den Erlass einer erneuten Sachentscheidung aus. 237 Dies stellt auch die LEC klar, indem sie die cosa juzgada in Art. 416.1, 2ª LEC als einer der Gründe aufführt, die eine Fortführung des Verfahrens und Beendigung durch Sachurteil verhindern.238 Stellt das Gericht im Fortgang des eingeleiteten Verfahrens das Entgegenstehen der cosa juzgada einer vorangegangenen Entscheidung fest, so muss es das Verfahren beenden.239 Gemäß Art. 421 LEC geschieht dies im Normalver-

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Z.B. Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 221. Da die Existenz eines rechtskräftigen Urteils mit identischem Gegenstand in einem späteren Verfahren häufig nicht sofort ersichtlich ist, erschiene es schon aus praktischen Erwägungen schwierig, bereits die Einleitung eines neuen Verfahrens auszuschließen, so auch Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 495. 235 Der secretario judicial vebindet in seinem Aufgabenfeld Funktionen, die denen des deutschen Rechtspflegers, aber auch des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle entsprechen. Nach Eingang der Klage bei Gericht überprüft der secretario judicial die Klage auf das Vorliegen der im Gesetz abschließend aufgeführten Gründe, die eine Zulassung der Klage ausschließen. Hält der er einen solchen Grund für gegeben, so legt er die Klage dem angerufenen Gericht zur Entscheidung über die Ablehnung der Klagezulassung (inadmisión) vor (Art. 404.2 LEC). Bei heilbaren Fehlern setzt er dem Kläger zuvor eine Frist zur Bewirkung der Heilung. Wird die Zulassung abgelehnt, so tritt weder die Rechtshängigkeit ein, noch erfolgt eine Zustellung an den Beklagten. Liegt kein Grund für eine inadmisibilidad vor, erlässt der secretario judicial die Zulassungsverfügung (decreto de admisión) und veranlasst die Zustellung der Klage (Art. 404.1 LEC). Ausführlich zur admisión de la demanda: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 319 ss. 236 Art. 410 LEC: „La litispendencia, con todos sus efectos procesales, se produce desde la interposición de la demanda, si después es admitida.“ 237 Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 292; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 495. 238 Art. 416.1 LEC: „Descartado el acuerdo entre las partes, el tribunal resolverá, del modo previsto en los artículos siguientes, sobre cualesquiera circunstancias que puedan impedir la válida prosecución y término del proceso mediante sentencia sobre el fondo y, en especial, sobre las siguientes: [...]; 2.ª Cosa juzgada o litispendencia; ...“. 239 De la Oliva Santos/Díez-Picazo Giménez, Derecho procesal civil – Proceso de declaración, p. 493 (§ 48 n° 9) („so schnell wie möglich” („a la mayor brevedad possible“)); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 495; Tome Tamame, La Ley 1/2004, D-32, p. 1775, 1778. 234

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fahren (juicio ordinario) durch Einstellungsbeschluss (auto de sobreseimiento). Sind nach der Einschätzung des Gerichts dagegen die Voraussetzungen der entgegenstehenden cosa juzgada nicht gegeben, stellt das Gericht dies unverzüglich (en el acto) in einer mündlichen 240 und begründeten Entscheidung fest und ordnet den Fortgang des Verfahrens an (Art. 421.2 LEC). Wie sich aus dem Regelungsstandort der Artikel 416, 421 LEC im Kapitel über die audiencia previa ergibt, wird die Frage der entgegenstehenden cosa juzgada und der entsprechenden Entscheidung des Gerichts im Normalverfahren (juicio ordinario) gewöhnlich im Verfahrensabschnitt der audiencia previa behandelt. Diese mündliche Vorverhandlung dient zum einen dazu, eine gütliche Streitbeilegung zu erzielen, zum anderen wird (bei Scheitern des Versuchs der gütlichen Streitbeilegung) in diesem Prozessabschnitt durch frühzeitige Klärung des Vorliegens von Prozesshindernissen und Konkretisierung des Verfahrensgegenstandes der Verhandlungstermin des juicio vorbereitet. Dementsprechend wird auch das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden cosa juzgada in diesem frühen Stadium behandelt und zwar sinnvollerweise noch vor jeder anderen prozessualen Frage. 241 Hat das Gericht das Entgegenstehen der cosa juzgada in der audiencia previa abgelehnt, kann es hiervon im weiteren Fortgang des Verfahrens nicht abweichen und die Sperrwirkung der cosa juzgada doch noch bejahen.242 War allerdings die Existenz eines früheren Urteils mit identischem Gegenstand für das Gericht im Verfahrensabschnitt der audiencia previa nicht erkennbar und hat es daher gar keine Entscheidung zur cosa juzgada getroffen, so kann (und muss) es auch im späteren Verfahrensabschnitt des juicio über das Entgegenstehen der cosa juzgada entscheiden, wenn sich das mögliche Entgegenstehen einer früheren Entscheidung erst zu diesem Zeitpunkt ergibt. 243 Zu berücksichtigen ist, dass Art. 421 LEC nur für das Normalverfahren gilt. Die dort geschilderte prozessuale Berücksichtigung der cosa juzgada findet 240

Die mündliche Form der Entscheidung ergibt sich aus Art. 210 LEC, der für sämtliche während einer Verhandlungen zu erlassenden Entscheidungen gilt. 241 STS 85/2007, 31.07.2007 (n° ROJ: STS 428/2007), FD 2°; STS 536/2008, 10.06.2008 (n° ROJ: STS 2924/2008), FD 1°; Calaza López, Cosa juzgada, p. 235. Erweist sich die Beurteilung des Entgegenstehens der cosa juzgada im Einzelfall jedoch als zu schwierig, um die für den Regelfall vorgesehene unverzügliche Entscheidung in der mündlichen Vorverhandlung zu treffen, so ermöglicht es Art. 421.3 LEC, innerhalb einer Frist von fünf Tagen nach der mündlichen Vorverhandlung zu entscheiden. Die mündliche Vorverhandlung wird in diesem Fall nicht ausgesetzt, sondern im Hinblick auf weitere Verfahrenshindernisse und die Konkretisierung des Verfahrensgegenstandes zu Ende geführt. Die Entscheidung über ein Entgegenstehen der cosa juzgada sollte aber vor einer Verhandlung zur Sache im juicio ergehen (BarrileroYarnoz, Comentario al Art. 421 LEC, in: Lledó Yagüe (dir.), Comentarios a la nueva Ley de Enjuiciemiento Civil, p. 416). 242 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 253, 254, p. 283. 243 STS 459/2013, 1. Juli 2013 (n° ROJ: STS 3602/2013), FD 2°; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 255, p. 284.

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keine Anwendung auf den juicio verbal, d.h. die gestraffte Verfahrensart mit nur einem mündlichen Termin (vista) und (bislang)244 verkürzter Klageform, welche bei Verfahren mit einem Streitwert unter 6.000 Euro und streitwertunabhängig bei verschiedenen Rechtsstreitigkeiten v.a. in miet-, grundstücksund besitzrechtlichen Angelegenheiten zur Anwendung kommt.245 Das Entgegenstehen der cosa juzgada einer früheren Entscheidung ist aber auch im juicio verbal frühzeitig, nämlich zu Beginn der vista zu prüfen:246 Der Beklagte hat seine mündliche Erwiderung auf den klägerischen Vortrag mit der Geltendmachung jener Umstände zu beginnen, die einem Fortgang des Verfahrens und einer Entscheidung zur Sache entgegenstehen, im Anschluss entscheidet das Gericht hierüber (Art. 443.2, 3 LEC 247). Während also nach altem Recht eine frühzeitige Behandlung der Frage der entgegenstehenden Rechtskraft nur im Verfahren über höhere Streitwerte und auch nur auf Antrag des Beklagten erfolgte, wird nach heutigem Recht in sämtlichen Verfahrensarten in einem möglichst frühen Stadium überprüft, ob dem Fortgang des Verfahrens die Ausschlusswirkung der cosa juzgada entgegensteht, und auf diese Weise eine unnötige Durchführung einer Hauptverhandlung vermieden.248

244 Der Entwurf des aktuellen Projekts zur Reform der LEC sieht die verkürzte Klage nur noch in juicios verbales vor, die ohne anwaltliche Vertretung geführt werden, während die Klage im Regelfall der juicios verbales nach den für die Klage im juicio ordinario geltenden Regeln zu erheben ist (Proyecto de Ley de reforma de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial de las Cortes Generales – Congreso de los Diputados – X. Legislatura, Seria A: Proyectos de Leyes, 6. März 2015, n° 133–1, 121/000133, p. 1, 11: „Veinticinco. Se modifica el artículo 437, que queda redactado del siguiente modo: ‚Artículo 437. Forma de la demanda. Acumulación objetiva y subjetiva de acciones. 1. El juicio verbal principiará por demanda, con el contenido y forma propios del juicio ordinario, …‘.“). 245 Vgl. Art. 250, 437 ss. LEC. 246 Calaza López, Cosa juzgada, p. 236; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 292; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 568. 247 Auch nach dem im Reformentwurf vorgesehenen Ablauf der vista wird das Gericht nach dem Versuch eine gütliche Streitbeilegung zu bewirken, zunächst über die prozessualen Fragen entscheiden, die einer Verhandlung und Entscheidung zur Sache entgegenstehen, vgl. Proyecto de Ley de reforma de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial de las Cortes Generales – Congreso de los Diputados – X. Legislatura, Seria A: Proyectos de Leyes, 6. März 2015, n° 133–1, 121/000133, p. 1, 14: „Treinta. Se modifica el artículo 443, que queda redactado del siguiente modo: ‚Artículo 443. Desarrollo de la vista. [...] 2. Si las partes no hubiesen llegado a un acuerdo o no se mostrasen dispuestas a concluirlo de inmediato, el Tribunal resolverá sobre las circunstancias que puedan impedir la válida prosecución y término del proceso mediante sentencia sobre el fondo de acuerdo con los artículos 416 y siguientes ...‘.“ 248 Zu diesem Vorteil der Neuregelung: BarrileroYarnoz, Comentario al Art. 421 LEC, in: Lledó Yagüe (dir.), Comentarios a la nueva Ley de Enjuiciemiento Civil, p. 416.

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b. Die positive Bindung bei Präjudizialität Der Reformgesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der cosa juzgada LEC 2000 große Sorgfalt darauf verwendet, die positive Wirkungsrichtung genau zu beschreiben und auch ihre Wirkung im späteren Verfahren deutlich von jener der negativen Funktion abzugrenzen. Nach Art. 222.4 LEC bindet das rechtkräftig Entschiedene das Gericht in einem späteren Verfahren, in dem es die logische Voraussetzung (antecedente lógico)249 des Verfahrensgegenstandes bildet. In Art. 421.1, II LEC wird die Wirkung und Berücksichtigung der positiven Bindung im Prozess bestimmt und klargestellt, dass anders als bei der negativen Wirkungsrichtung kein Einstellungsbeschluss ergeht. 250 Sowohl der Kläger als auch der Beklagte können die positive Bindung an die rechtskräftige Feststellung eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses in der Klageschrift bzw. Klageerwiderung geltend machen. 251 Zwar wird die cosa juzgada auch in ihrer positiven Ausprägung als prozessuales Institut eingeordnet, ihre Wirkung entfaltet die positive Bindungswirkung aber bei der materiellrechtlichen Beurteilung des Gegenstands des späteren Verfahrens. 252 Sie kommt damit letztlich erst bei der Abfassung der Sachentscheidung zum Tragen,253 indem sie das Gericht verpflichtet, die in der rechtskräftigen Entscheidung getroffene Feststellung zu der jeweiligen präjudiziellen Frage ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Da die audiencia previa gemäß Art. 428 LEC auch den Zweck hat, die zwischen den Parteien streitigen Tatsachen und Fragen festzulegen, erscheint es aber denkbar, dass das Gericht die jeweilige präjudizielle Vorfrage aufgrund der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada bereits im frühen Stadium der audiencia previa als unstreitig festsetzt mit der

249 Teilweise wird in der Literatur angemerkt, dass die Bezugnahme auf die „logische“ Voraussetzung nicht ganz korrekt sei und das Greifen der positiven Präjudizialbindung vielmehr voraussetze, dass das rechtskräftig Festgestellte die rechtlich -tatsächliche Grundlage („base jurídico-fáctica“) des neuen prozessualen Anspruchs bilde, so Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 292. 250 Dies bedürfte an sich keiner ausdrücklichen Klarstellung, ergibt sich dies doch an sich schon aus den Definitionen der beiden Funktionen der cosa juzgada in Art. 222.1 und 4 LEC (so auch Tapia Fernández, Comentario al Art. 421 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1761, 1766). Dass der Gesetzgeber es dennoch für nötig befunden h at, den Art. 421.1 um diesen zweiten Satz zu ergänzen, zeigt, welche Bedeutung er einer klaren Definition der beiden Wirkungsrichtungen der cosa juzgada material beigemessen hat. 251 Calaza López, Cosa juzgada, p. 238; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 260, p. 288 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 503. 252 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 264, p. 292. 253 López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 446; Tapia Fernández, Comentario al Art. 421 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1761, 1767.

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Folge, dass diesbezüglich nicht mehr verhandelt und insbesondere kein Beweis erhoben wird. 254 c. Zusammenfassung Durch die Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 haben die beiden Wirkungsrichtungen der cosa juzgada material gesetzliche Anerkennung gefunden. Nicht nur die negative Funktion, auf die sich die gesetzliche Ausgestaltung zuvor beschränkt hatte, sondern auch die positive Bindung bei Präjudizialität wurden gesetzlich definiert und ihre Berücksichtigung im Prozess deutlich klarer beschrieben, als dies unter der alten Rechtslage der Fall war. II. Die Rolle der Parteien und des Gerichts bei der Berücksichtigung der „cosa juzgada“ 1. Amtsprüfung a. Die Rechtslage vor der LEC-Reform 2000 Mit dem Verständnis der cosa juzgada als Einrede war lange Zeit auch der Ausschluss einer Berücksichtigung von Amts wegen verknüpft. 255 Sowohl in ihrer negativen als auch in ihrer positiven Funktion sollte die cosa juzgada material nur dann vom Gericht berücksichtigt werden, wenn sie von einer der Parteien geltend gemacht wurde. 256 Diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herrschende Meinung beruhte auf einem Verständnis der cosa juzgada als Rechtsdurchsetzungsmittel der Parteien 257 und konnte sich zudem auf Art. 1692, 5° LEC 1881 (in der bis 1984 gültigen Fassung) stützen: Dass das angegriffene Urteil trotz entgegenstehender cosa juzgada in der Sache entschieden

254

So Tapia Fernández, Comentario al Art. 421 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1761, 1767. 255 Die cosa juzgada wurde als Einrede „im eigentlichen Sinne“ verstanden, die von der Geltendmachung durch die Parteien abhängig war: Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 52 („una verdadera y propia excepción“). 256 STS 235/1962, 24. März 1961 (n° ROJ: STS 338/1961), Considerando 6°; STS 620/1967, 27. Oktober 1967 (n° ROJ: STS 1906/1967), Considerando 1°; STS 570/1968, 30. September 1968, (n° ROJ: STS 2863/1968), Considerando 2°; Carreras, Tratamiento procesal, in: Fenech/Carreras, Estudios de derecho procesal, n° 10, p. 265, 286; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 563; Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 52 s. 257 Silva Melero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1936 (t. 168), p. 37, 52 („un derecho del demandado tendente a impugnar y anular el derecho de acción“).

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hatte, konnte nur dann als Kassationsgrund angeführt werden, wenn die Einrede der cosa juzgada im Verfahren, in dem die angefochtende Entscheidung ergangen war, erhoben worden war. 258 Trotz des Fortbestehens dieser gesetzlichen Regelung zeichnete sich seit den Sechzigerjahren 259 sowohl in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo als auch in der spanischen Literatur ein Umschwung ab: Zunehmend wurde angenommen, dass die Gerichte zumindest die Möglichkeit haben müssten, die cosa juzgada von Amts wegen zu prüfen.260 Hintergrund dieser Entwicklung war eine veränderte Vorstellung von der Natur der cosa juzgada: Während die cosa juzgada zuvor als Instrument privater Rechtsdurchsetzung wahrgenommen worden war, stand nun ein Verständnis der cosa juzgada als öffentlichen Interessen dienendes Institut im Vordergrund.261 Die Zielsetzung der cosa juzgada, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herzustellen und gleichzeitig das Ansehen der Rechtsprechung zu wahren, diene dem öffentlichen Interesse, auch wenn durchaus auch die privaten Interessen der Parteien berührt würden. 262 Die ge-

258 Art. 1692 LEC 1881 (in der bis 1984 gültigen Fassung): „Habrá lugar al recurso de casación por infracción de ley o de doctrina legal : [...] 5.° Cuando el fallo sea contrario á la cosa juzgada, siempre que se haya alegado esta excepción en el juicio.“ 259 Auf ein bereits aus dem Jahr 1944 stammendes Urteil, das die amtswegige Prüfung der cosa juzgada (in ihrer positiven Ausprägung) für möglich hält, weist Morón Palomino hin (Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 348). Diese Rechtsprechung wurde jedoch erst in den Sechzigerjahren wieder aufgegriffen (vgl. Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 348 s.). 260 STS 724/1965, 6. November 1965 (n° ROJ: STS 3171/1965), Considerando 5° („por eso esta Sala hubo de proclamar [...] que no siempre tenía que ser invocada la cosa juzgada, para que los Tribunales no dicten sentencias que resulten abiertamente contradictorias con otras anteriores.“); zwischen Beibringung der Tatsache der Existenz des vorausgegangenen Urteils und der Amtsprüfung unterscheidend: STS 430/1977, 17. Dezember 1977 (n° ROJ: STS 899/1977), Considerando 4° („... debiendo ser propuesta en forma de excepción por la parte demandada, [...] es asimismo exacto que tal orientación se contrae y alcanza exclusivamente a la alegación de su existencia, es decir a la manifestación de la correspondiente alegación de parte al respecto, pero no la apreciación, en definitiva, de la sentencia que la origina, cuya apreciación incumbe al Órgano jurisdiccional ante el que viene formulada la alegación de la cosa juzgada, ....“). Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 435; Gómez de Liaño González, El proceso civil, n° 99, p. 217; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 209, n° 184. 261 Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 209, n° 184; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 700 s. Ausdrücklich auch STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°. 262 Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 209, n° 184; STS 11. November 1981 (n° ROJ: STS 270/1981), Considerando 4; STS 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°.

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setzliche Regelung des Art. 1692, 5° LEC 1881 konnte jedoch nicht unberücksichtigt bleiben.263 Daher wurde ganz überwiegend eine Differenzierung zwischen den beiden Wirkungsrichtungen der cosa juzgada vorgenommen: Während die in Art. 1692, 5° LEC geregelte excepción de la cosa juzgada, also die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada, nur auf Einrede des Beklagten hin zu prüfen sei, sollte im Hinblick auf die positive Bindung bei Präjudizialität eine Prüfung von Amts wegen möglich sein. 264 Bereits seit Anfang der Achtzigerjahre wird aber auch im Hinblick auf eine Amtsprüfung der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada ein Umschwung in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo erkennbar: In verschiedenen Entscheidungen nahm das oberste Zivilgericht an, dass das Gericht auch die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada von Amts wegen prüfen dürfe. 265 Befördert wurde diese Entwicklung 1984 durch eine LEC-Reform,266 welche die n° 5 des Art. 1692 LEC 1881 durch einen neuen Kassationsgrund 263

Auf die Notwendigkeit, eine im Einklang mit Art. 1682, 5° LEC 1881 stehende Lösung zu finden, wies Gómez Calero ausdrücklich hin, der an sich annahm, dass die Prüfung von Amts wegen der prozessualen Natur der cosa juzgada entspreche (Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 434). 264 So STS 64/1961, 3. Februar 1961 (n° ROJ: STS 118/1961), Considerando 5° („que al existir la cosa juzgada, sin ser articulada como excepción, no obstante su realidad, los órganos jurisdiccionales no pueden desconocerla en absoluto como algo fuera de la realidad procesal, sino que deben resolver los problemas planteados en el segundo litigio exactamente igual que ya fueron definidos en el primero, respetando sus declaraciones; y c) que el Tribunal de instancia, [...] se abstuvo de entrar en el examen de las pretensiones de fondo, en cumplimiento de su deber funcional, ya que en este caso la cosa juzgada produce efecto negativo, o sea, impide un nuevo fallo, sobre lo anteriormente juzgado“) ; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 435; Gómez de Liaño González, El proceso civil, n° 99, p. 217; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 672 s. 265 STS 425/1981, 11. November 1981 (n° ROJ: STS 270/1981), Considerando 4; STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°; STS 667/1990, 12. November 1990 (n° ROJ: STS 8152/1990 und STS 10748/1990), FD 5; STS 692/1992, 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), FD 3°. Eine Prüfung des Entgegenstehens der cosa juzgada, ohne dass diese von einer der Parteien geltend gemacht worden war, verstößt danach nicht gegen das Prinzip der Kongruenz (congruencia) des Urteils (STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°; STS 273/2004, 13. Mai 2004 (n° ROJ: STS 3266/2004), FD 2° (ebenfalls noch zur Rechtslage vor Einführung des LEC 2000)), wonach die Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht nur durch die Anträge der Parteien und die von diesen beigebrachten Tatsachen begrenzt, sondern in prozessualer Hinsicht auch auf die von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen und tatsächlich erhobenen Prozesseinreden beschränkt ist (zum Erfordernis der Kongruenz ausführlich: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 386 ss., 389; Ortells Ramos, La sentencia y otros modos de terminación, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 439 ss.). 266 Ley 34/1984, de 6 de agosto, de reforma urgente de la Ley de Enjuiciamiento Civil, BOE 2006, n° 188 (7. August 1984) – 17580, p. 22917, 22930, Artículo 25 (Art. 1.692, 5°: „Infracción de las normas del ordenamiento jurídico o de la jurisprudencia, que fueren aplicables para resolver las cuestiones objetos de debate“).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

ersetzte, der zwar auch eine Verletzung des Art. 1252 C.C. erfasste, 267 die Berücksichtigung als Kassationsgrund jedoch nicht mehr von der Erhebung der Einrede im Ausgangsverfahren abhängig machte. In den genannten Entscheidungen hob der Tribunal Supremo hervor, dass der Charakter als den öffentlichen Interessen der Rechtssicherheit, des Rechtsfriedens und des Ansehens der Justiz dienendes, öffentlichrechtliches Instrument sowohl in der positiven als auch der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada zum Tragen komme.268 Daher seien auch beide Wirkungsrichtungen von Amts wegen zu berücksichtigen.269 Auch die verspätete Geltendmachung der entgegenstehenden cosa juzgada (beispielsweise erst in den abschließenden conclusiones) sollte eine Berücksichtigung der cosa juzgada nicht mehr ausschließen.270 Allerdings konnte von einer einheitlichen Position des Tribunal Supremo selbst in den Neunzigerjahren noch nicht gesprochen werden: Allein die amtswegige Berücksichtigung der positiven Wirkungsrichtung war ausnahmslos anerkannt.271 Im Hinblick auf die negative Ausschlusswirkung erließ das oberste Gericht jedoch immer wieder Entscheidungen, nach denen diese nur auf Einrede der Parteien

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Moron Palomino, Derecho procesal civil, p. 349. STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1° („claro es que (...) puede y debe apreciarse por el correspondiente órgano jurisdiccional de oficio, [...] teniendo ciertamente la cosa juzgada su fundamento en razones de seguridad jurídica, e incluso en la confianza y prestigio de la justicia, perteneciendo a la esfera del Derecho Público, [...] no es preciso su alegación por vía de excepción concretamente, bastando que consten las identidades del artículo 1.252 del Código Civil, estableciendo un juicio comparativo con la sentencia anterior; y todo ello bien se considere la función negativa de la cosa juzgada [...] o la función positiva de la cosa juzgada ...“). Ebenso STS 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), FD 3°. 269 STS 425/1981, 11. November 1981 (n° ROJ: STS 270/1981), Considerando 4; STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°; STS 667/1990, 12. Novemb er 1990 (n° ROJ: STS 8152/1990 und STS 10748/1990), FD 5°; STS 692/1992, 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), FD 3°. 270 So beispielsweise im der Entscheidung STS 425/1981, 11. November 1981 (n° ROJ: STS 270/1981) zugrundeliegenden Fall: „… pues si bien la cosa juzgada, como excepción perentoria, ha sido opuesta tardíamente, ya que se formula en el escrito de conclusiones no puede ignorarse la evidencia de que en el juicio [...], seguido entre los mismos contendientes, han sido propuestas y resueltas las cuestiones de hecho y de derecho ahora nuevamente planteadas“ (Considerando 4). 271 Zur amtswegigen Prüfung der positiven Präjudizialbindung: STS 533/1984, 5. Oktober 1984 (n° ROJ: STS 188/1984), Considerando 2, 3; STS 127/1990, 28. Februar 1990 (n° ROJ: STS 1873/1990), FD 2°; STS 259/1993, 23. März 1993 (n° ROJ: STS 1873/1993), FD 3°. 268

§ 2 Spanien

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zu berücksichtigen war.272 Auch in der Literatur blieb die Frage der Amtsprüfung der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada nach der Streichung des früheren Art. 1692, 5° LEC 1881 umstritten. 273 Eine ausführliche Diskussion über die Frage, ob die Gerichte zur Amtsprüfung lediglich befugt sein sollten oder ob vielmehr eine Pflicht zur amtswegigen Prüfung bestand, enwickelte sich in Spanien – anders als in Frankreich – nicht.274 In den Entscheidungen, in denen der Tribunal Supremo eine Befugnis

272 Z.B. STS 119/1990, 26. Februar 1990 (n° ROJ: STS 1740/1990 und STS 13371/1990), FD 5°. 273 Eine Amtsprüfung der cosa juzgada als negative Sachentscheidungsvoraussetzung ablehnend: Gómez de Liaño González, El proceso civil, n° 99, p. 217; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 672 s. Für eine unterschiedslose Möglichkeit der amtswegigen Prüfung dagegen: Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, I.2; Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 105; Moron Palomino, Derecho procesal civil, p. 349; für die Befugnis des Gerichts zur amtswegigen Prüfung der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada auch de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, 3ª ed. 1994, § 27 n° 70 (p. 210). 274 In der Literatur findet sich eine ausführlichere Stellungnahme hierzu lediglich bei de la Oliva Santos (De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 69 (p. 207 s.)): Dieser lehnte eine generelle Verpflichtung zur Amtsprüfung mit der – aus der französischen Diskussion bekannten und zwischen Amtsprüfung und Amtsermittlung nicht klar trennenden – Begründung ab, dass den Gerichten eine Ermittlung der Existenz entgegenstehender bzw. bindender rechtskräftiger Entscheidungen – außer in sehr kleinen Gerichtsbezirken mit geringem Klageaufkommen – kaum möglich sei (ebenda, p. 208). Es seien letztlich die an den bisherigen Verfahren beteiligten Parteien, die von den ergangenen Entscheidungen Kenntnis hätten, weshalb die Existenz rechtskräftiger Urteile auch am besten von diesen ins Verfahren einzuführen sei (ebenda, p. 208). Allerdings verwendet der Autor den Begriff der Prüfung von Amts wegen wohl als Oberbegriff sowohl zur Bezeichnung der Amtsermittlung der Tatsache des existierenden rechtskräftigen Urteils als auch der amtwegigen Überprüfung der Voraussetzungen der jeweiligen Wirkungsrichtung der cosa juzgada sowie die Anwendung ihrer Rechtsfolgen geht er doch davon aus, dass ein Gericht, das von der Existenz einer rechtskräftigen Entscheidung Kenntnis erlange, die Wirkung der cosa juzgada von Amts wegen zu berücksichtigen und daher zwingend das Verfahren zu beenden bzw. die präjudizielle Entscheidung zugrunde zu legen habe, ohne dass dies von den Parteien geltend gemacht werden müsste (ebenda, p. 208). Zur Ermittlung der Existenz rechtskräftiger Entscheidungen zwischen den Parteien sei das Gericht zwar befugt, aber nicht verpflichtet. De la Oliva Santos nimmt letztlich dennoch eine differenzierende Beurteilung vor und bejaht im Ergebnis eine Pflicht zur Amtsprüfung, sobald das Gericht Kenntnis von der rechtskräftigen Entscheidung erlangt. Eine schon im Ausgangspunkt strenge Unterscheidung zwischen der Einbringung der Tatsache der Existenz eines zwischen den Parteien ergangenen rechtskräftigen Urteils in den Prozess und der Prüfung der Rechtsfolgen der cosa juzgada mahnte dagegen Montero Aroca an (Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 105 (Fußnote 44), 106 s.).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

zur Amtsprüfung bejahte, ging das Gericht vielmehr auch von einer Verpflichtung des Gerichts zur amtswegigen Berücksichtigung aus. 275 Auch wenn eine Prüfung der cosa juzgada von Amts wegen damit bereits vor der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 zunehmend befürwortet wurde, konnte von einer allgemeinen Anerkennung der Amtsprüfung nur im Hinblick auf die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada gesprochen werden, während die Berücksichtigung der negativen Sperrwirkung von Amts wegen umstritten blieb. b. Berücksichtigung von Amts wegen nach heutigem Recht Die sich bereits vor der Zivilprozressrechtsreform abzeichnende Entwicklung hin zu einer Anerkennung der Berücksichtigung beider Wirkungsrichtungen der cosa juzgada von Amts wegen hat sich heute verfestigt: Die cosa juzgada darf anerkanntermaßen sowohl in ihrer negativen als auch in ihrer positiven Funktion von Amts wegen geprüft werden.276 Die cosa juzgada wird als Ausfluss der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und als öffentlichen Interessen dienendes Institut verstanden, dessen Wirkungsgehalt in der Bindung der Rechtsprechungsorgane liege und dessen Berücksichtigung daher nicht der Disposition der Parteien unterworfen sein könne. 277 Bevor das Gericht von Amts wegen über die Frage des Entgegenstehens der cosa juzgada bzw. der präjudiziellen Bindung entscheidet, muss es allerdings die Parteien anhören.278 Im Gesetzestext der LEC 2000 wird eine gewandelte Beurteilung der Berücksichtigungsmöglichkeit von Amts wegen allerdings nur angedeutet. Über-

275 Zur negativen Wirkungsrichtung: STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°: „puede y debe apreciarse por el correspondiente órgano jurisdiccional de oficio ...“; STS 667/1990, 12. November 1990 (n° ROJ: STS 10748/1990), FD 5°; STS 692/1992, 2. Juli 1992 (n° ROJ: STS 5338/1992), FD 3°. Zur positiven Wirkungsrichtung: STS 533/1984, 5. Oktober 1984 (n° ROJ: STS 188/1984), Considerando 2 (“debiendo ser apreciada en consecuencia ex oficio por los Tribunales“). 276 STS 459/2013, 1. Juli 2013 (n° ROJ: STS 3602/2013), FD 2°; STS 307/2010, 25. Mai 2010 (n° ROJ: STS 3036/2010), FD 6°; STS 277/2007 13. März 2007 (n° ROJ STS 1975/2007), FD 5° (noch zu Art. 1252 C.C.); Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 312; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 369; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 439, 445; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 503. 277 STS 459/2013, 1. Juli 2013 (n° ROJ: STS 3602/2013), FD 2°; Calaza López, Cosa juzgada, p. 225 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 503. 278 STS 47/2006, 24.01.2006 (n° ROJ: STS 183/2006), FD 2° (noch zu Art: 1252 C.C.); de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 248, p. 278.

§ 2 Spanien

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wiegend wird aber angenommen, die gesetzgeberische Anerkennung der Möglichkeit einer Prüfung von Amts wegen lasse sich aus Art. 421 LEC herleiten: Anders als in den Regelungen zu den übrigen in der audiencia previa zu thematisierenden prozessualen Fragen nimmt Art. 421 LEC nicht auf eine Geltendmachung durch die Parteien Bezug, sondern spricht unmittelbar die Prüfung durch das Gericht an („cuando el tribunal aprecie“). Hieraus wird geschlossen, dass auch der Reformgesetzgeber davon ausgegangen sei, dass die Berücksichtigung der cosa juzgada ohne Geltendmachung durch die Parteien von Amts wegen erfolgen könne. 279 Das der heute bejahten Berücksichtigung von Amts wegen zugrunde liegendende Verständnis der cosa juzgada als ein dem ordén público zuzurechnendes Institut verhindert zudem die Annahme einer bloßen Befugnis zur Amtsprüfung bei bestehender Kenntnis von der rechtskräftigen Entscheidung, wie sie das französische Recht vorsieht.280 Stellt das Gericht daher das Verfahren trotz Kenntnis von der Existenz eines rechtskräftigen Urteils zwischen den Parteien bei Streitgegenstandsidentität nicht ein bzw. legt es seiner Entscheidung das rechtkräftige Urteil über eine präjudizielle Vorfrage trotz entsprechender Kenntnis nicht zugrunde, so kann das Urteil im Wege des außerordentlichen Rechtsbehelfs wegen prozessrechtlichen Verstoßes (recurso extraordinario de infracción procesal) nach Art. 468 ff. LEC angefochten werden. 281 Das Gericht 279 Sentencia de la Audiencia Provincial (SAP) Palma de Mallorca 94/2003, 13. Februar 2003 (n° ROJ SAP IB 355/2003), FJ 5°; SAP Palma de Mallorca 150/2006, 4. April 2006 (n° ROJ: SAP IB 466/2006), FJ 2°; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 248, p. 278; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 312; Tapia Fernández, Comentario al Art. 421 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1761, 1763. 280 ATS 24. Juni 2008 (n° ROJ 5368/2008), Razonamientos jurídicos (RJ) 3°; STS 905/2007, 23. Juli 2007 (n° ROJ: STS 5821/2007), FD 2°. De la Oliva Santos äußert zwar auch nach Einführung des LEC 2000 Bedenken gegenüber einer Verpflichtung der Gerichte zur amtswegigen Überprüfung der cosa juzgada (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 248, p. 277). Seine Bedenken betreffen aber weiterhin die Ermittlung der Tatsachengrundlage der cosa juzgada. Eine Pflicht zur amtswegigen Prüfung der Voraussetzung der cosa juzgada und zur Anwendung der Rechtsfolgen der cosa juzgada für den Fall, dass das Gericht von der Existenz einer rechtskräftigen Entscheidung (durch die entsprechende Behauptung einer Partei bzw. aus den Akten) Kenntnis erlangt, lehnt er jedoch nicht ab. Das Gericht sei aber keineswegs ohne jegliche Tatsachenbeibringung von Seiten der Parteien zu einer amtswegigen Erforschung der Existenz etwaiger zwischen den Parteien ergangener Urteile verpflichtet (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 248, p. 276). 281 STS 538/2011, 11. Juli 2011 (n° ROJ: 4876/2011), FD 4° („la cosa juzgada, tanto en su aspecto negativo o de eficacia de cosa juzgada material como en su aspecto positivo o prejudicial, se encuadra dentro de la actividad procesal, cuya corrección debe examinarse en el marco del recurso extraordinario por infracción procesal...“); ATS 8. Februar 2011 (n° ROJ: ATS 1134/2011), RJ 2°; ATS 15. Februar 2011 (n° ROJ: ATS 1340/2011), RJ 2°; ATS 27. Januar 2009 (n° ROJ: ATS 870/2009), RJ 2°; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III

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kann also anders als in Frankreich nicht rechtsfehlerfrei auf die Berücksichtigung der cosa juzgada verzichten. Damit ist die bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren begonnene Entwicklung hin zu einer umfassenden Anerkennung einer Prüfung der cosa juzgada von Amts wegen mittlerweile abgeschlossen. 2. Einführung der Tatsache des existierenden rechtskräftigen Urteils in den Prozess Auch wenn die Begrifflichkeiten nicht immer vollkommen trennscharf verwendet werden, unterscheidet die spanische Rechtskraftdogmatik doch zwischen der Frage der Beibringung der Tatsache eines existierenden rechtskräftigen Urteils und der Prüfung der Rechtsfolgen der cosa juzgada. 282 Das spanische Recht sieht es als Aufgabe der Parteien an, die Tatsache der Existenz einer zwischen den Parteien ergangenen früheren Entscheidung beizubringen und diese durch Vorlage der Urteilsurkunde zu beweisen. 283 Das Gericht ist nicht zur Ermittlung etwaiger rechtskräftiger Entscheidungen mit identischem Gegenstand bzw. präjudiziellem Inhalt verpflichtet. Dies ergibt sich aus dem Beibringungsgrundsatz und aus der praktischen Erwägung, dass die Beibringung der Tatsache den mit den bereits geführten Verfahren vertrauten Parteien deutlich leichter fällt als dem Gericht. 284 Viele Entscheidungen heben hervor, dass

(Artículos 206–280), p. 339, 370. Dass der recurso extraordinario de infracción procesal der statthafte außerordentliche Rechtsbehelf zur Rüge einer unterbliebenen Beachtung der cosa juzgada ist, ist jedoch nicht unumstritten: Für einen Rückgriff auf den recurso extraordinario de infracción procesal nur bei Nichtbeachtung der negativen Wirkungsrichtung und Statthaftigkeit der Kassation bei der positiven Wirkungsrichtung STS 349/2009, 22. Mai 2009 (n° ROJ STS 3515/2009) FD 3°; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 526. Generell für die Anfechtung im Wege des zur Überprüfung materiellrechtlicher Fehler dienenden außerordentlichen Rechtsmittels der Kassation Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 130 s. (da der Richter beim Vergleich der Streitgegenstände in jedem Fall auf die Prüfung in der Sache eingehen müsse). 282 Besonders deutlich Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 503; so auch schon zur Rechtslage vor Einführung der LEC 2000: Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 105 (Fußnote 44), 106 s. 283 Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 312; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 370; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, p. 439, 445; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 503; zum Recht vor Einführung der LEC 2000 ebenso: Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 350. 284 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 503. Zum Vorschlag, eine Datenbank mit Suchfunktion hinsichtlich der Existenz von Entscheidungen zwischen denselben Parteien zu schaffen und so auch den Gerichten die Kenntnisnahme von

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die Prüfung der cosa juzgada von Amts wegen nur dann in Betracht komme (und verpflichtend sei), wenn die Existenz einer entsprechenden Entscheidung offenkundig (evidente/manifiesta/notoria) sei. 285 Wenn sich aber in den verfahrenseinleitenden Schriftsätzen oder in der Akte Hinweisen auf eine bereits ergangene Entscheidung finden, soll das Gericht eine Prüfung von Amts wegen vornehmen können.286 Insoweit hat die Zivilprozessrechtsreform keine Änderungen bewirkt. 3. Verzicht der Parteien auf die „cosa juzgada“ Mit der schon Mitte des 20. Jahrhunderts gewandelten Vorstellung vom Wesen der cosa juzgada und dem seither herrschenden Verständnis als öffentlichen Interessen dienendes Institut setzte sich gleichzeitig die Ablehnung einer Verzichtsmöglichkeit der Parteien durch.287 Die der Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit dienende cosa juzgada kann nach heutigem Verständnis nicht der Disposition Einzelner unterworfen sein. 288 Es ist den Parteien daher nicht möglich, durch die Erklärung eines Verzichts (renuncia) eine Berücksichtigung durch das Gericht auszuschließen. 4. Zusammenfassung Die Diskussion, ob die cosa juzgada von Amts wegen oder nur nach entsprechender Geltendmachung durch die Parteien zu prüfen sei, ist heute abgeschlossen und zugunsten einer uneingeschränkten Berücksichtigung von Amts wegen entschieden. Diese Lösung entspricht dem gewandelten Verständnis vom Wesen der cosa juzgada in Literatur und Rechtsprechung. Als prozessuales und (zumindest auch) öffentlichen Interessen dienendes Instrument ist sie heute der Disposition der Parteien entzogen. Die Beibringung der Tatsache,

existierenden rechtskräftigen Entscheidungen in bestimmten Parteikonstellationen zu erleichtern: Calaza López, Cosa juzgada, p. 227. 285 STS 459/2013, 1. Juli 2013 (n° ROJ: STS 3602/2013), FD 2° („apreciable de oficio cuando es evidente su existencia“); STS 422/2010, 5. Juli 2010 (n° ROJ 5403/2010), FD n° 25; ATS 24. Juni 2008 (n° ROJ: 5368/2008), RJ 3° („cuando la cosa juzgada es manifiesta y resulte de lo actuado deviene necesaria su apreciación de oficio“); STS 277/2007, 13. März 2007 (n° ROJ: STS 1975/2007), FD 5° („cuando queda manifiesta en el proceso su concurrencia“); STS 905/2007, 23. Juli 2007 (n° ROJ: STS 5821/2007), FD 2°; STS 273/2007, 13. Mai 2004 (n° ROJ: STS 3266/2004), FD 2° („cuando es notoria su existencia“). 286 STS 533/1984, 5. Oktober 1984 (n° ROJ: STS 188/1984), Considerando 2; Calaza López, Cosa juzgada, p. 226 s. 287 STS 200/1980, 27. Mai 1980 (n° ROJ: STS 4818/1980), Considerando 5; Calaza López, Cosa juzgada, p. 232. 288 Calaza López, Cosa juzgada, p. 232.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

dass ein streitgegenstandsidentisches bzw. präjudizielles Urteil existiert, obliegt aber weiterhin den Parteien. Da das Gericht von einer solchen Entscheidung in der Regel nur durch entsprechendes Tatsachenvorbringen bzw. aufgrund entsprechender Andeutungen in den Schriftsätzen der Parteien Kenntnis erlangt, bleibt den Parteien damit trotz der Anerkennung der Prüfung von Amts wegen faktisch ein gewisser Einfluss auf die Berücksichtigung der cosa juzgada im späteren Verfahren. III. Die Folge der unterbliebenen Berücksichtigung der „cosa juzgada“: Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen Auch wenn im Regelfall zumindest eine der Parteien ein Interesse an der Berücksichtigung der Ausschlusswirkung der cosa juzgada hat und diese daher geltend machen wird, sind Konstellationen denkbar, in denen die cosa juzgada weder gerügt, noch vom Gericht von Amts wegen geprüft wird, mit der Folge, dass eine zweite Sachentscheidung ergeht. Wie diese Situation der Existenz zweier unanfechtbarer Entscheidungen über denselben Streitgegenstand zu behandeln ist, ist jedoch weder unter der Geltung der LEC von 1881 noch der LEC 2000 gesetzlich geregelt worden. Die Lösung ist daher der Rechtsprechung und Literatur überlassen geblieben. Da die Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen in der Praxis aber eher selten ist, haben sich nur wenige Autoren zu dieser Problematik geäußert. Noch seltener sind Stellungnahmen der Rechtsprechung. Die Autoren, die sich mit der Thematik beschäftigt haben, diskutieren zum einen, welche Grundregel zur Bestimmung des Verhältnisses der beiden Entscheidungen zur Anwendung gelangen soll. Zum anderen wird untersucht, welches Verfahren zur Klärung der Kollisionslage zu wählen ist, wenn eine Anfechtung der zeitlich späteren Entscheidung durch den für Fälle des Verstoßes gegen das Verfahrensrecht vorgesehenen außerordentlichen Rechtbehelf (recurso extraordinario por infracción procesal) Fristablaufs nicht mehr möglich ist. 1. Die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Entscheidungen Im Hinblick auf die Frage, ob den kollidierenden Entscheidungen Geltung zukommen soll und welche der erlassenen Entscheidungen Geltungsvorrang hat, wurden und werden verschiedene Lösungen diskutiert. 289 Abgelehnt wird dabei die Lösung, der zeitlich späteren Entscheidung Vorrang einzuräumen: Die Aufrechterhaltung des zeitlich späteren Urteils widerspreche dieser Unveränderlichkeit der unanfechtbaren Entscheidung und beraube damit das Institut der cosa juzgada insgesamt ihres Sinnes, stünde doch in diesem Fall auch der In-

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Ausführlich insbesondere Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 270 ss.

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fragestellung der späteren Entscheidung durch ein drittes Urteil nichts entgegen.290 Die Zielsetzung der cosa juzgada, Rechtsfrieden herzustellen, könne so nicht erfüllt werden. Auch eine Aufhebung beider kollidierender Entscheidungen und erneute Durchführung des Verfahrens in vollem Umfang wird überwiegend als nicht tragfähige Lösung angesehen. 291 Im Vordergrund steht dabei die Wahrnehmung, dass den Parteien, die bereits kostspielige und zeitaufwendige Verfahren durchlaufen hätten, um ihren Rechtstreit einer abschließenden Klärung zuzuführen, auf diese Weise sämtliche Prozessergebnisse verlören und in ein erneutes Verfahren gezwungen würden, in dem bereits sämtliche Argumente der Gegenseite bekannt seien. 292 Überwiegend wird daher angenommen, der zeitlich früheren Entscheidung komme Vorrang zu.293 Diese Lösung entspreche der durch die cosa juzgada beschriebenen Unveränderlichkeit und Verbindlichkeit der Entscheidung, die nicht durch eine spätere Entscheidung in Frage gestellt werden könne.

290 Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 109; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 275; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 704. 291 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 704. In Erwägung zieht dies aber Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 872. 292 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 278 s. 293 Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 109; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 704. Nicht ganz eindeutig Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 872, die neben dem Vorrang der früheren Entscheidung auch die Aufhebung beider Urteile in Erwägung zieht. Eine gänzlich abweichende Ansicht vertritt Nieva Fenoll, der sich dafür ausspricht, in einem dritten Verfahren unter Beteiligung der Parteien allein die Abweichungen zwischen den beiden Entscheidungen zu untersuchen und für jeden der Punkte, in denen ein Widerspruch besteht, diejenige der beiden Lösungen aufrechtzuerhalten, die dem im Drittverfahren zur Entscheidung berufenen Gericht als die korrektere erscheint (Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 277 s., 280, 283 ss.). Am Ende dieses dritten Verfahrens stünde dann eine dritte abschließende Entscheidung, in der eine Lösung des Rechtsstreits auf Grundlage des in den beiden Verfahren vorgetragenen Vorbringens und der darin beigebrachten Beweismittel enthalten ist (Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 277). Versagt man allerdings den Parteien aufgrund der öffentlichen und gesamtgesellschaftlichen Anliegen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit die Möglichkeit, auf die cosa juzgada zu verzichten, so kann auch das dennoch eingeleitete Verfahren und die entgegen der bereits bestehenden cosa juzgada ergangene Entscheidung keine Geltung beanspruchen, selbst wenn es sich um die materiell-rechtlich „korrektere“ Lösung handelt (auf den Ausschluss des Verzichts weist in diesem Zusammenhang auch Calaza López hin (Calaza López, Cosa juzgada, p. 232)).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Unklar bleibt bei den Autoren, die für den Vorrang des zeitlich früheren Urteils eintreten, woran die zeitliche Abfolge zu knüpfen ist. 294 Eine Stellungnahme findet sich allein bei Montero Aroca, der auf den Zeitpunkt der Urteilsabfassung abstellt. 295 Diese Entscheidung überrascht, wird doch die Begründung für den Vorrang der ersten Entscheidung mit der durch die cosa juzgada bewirkte Unabänderlichkeit der Entscheidung begründet. 296 Nach der auf den Abfassungszeitpunkt abstellenden Formulierung Montero Arocas käme der zeitlich früher abgefassten Entscheidung aber auch dann Vorrang zu, wenn die zweite, kollidierende Entscheidung innerhalb der für die erste Entscheidung geltenden Rechtsmittelfrist unanfechtbar würde, so dass die cosa juzgada material hinsichtlich der später abgefassten Entscheidung früher eingetreten wäre. Der Grund für die Ungenauigkeit bei der Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Festlegung der zeitlichen Reihenfolge wird wohl darin zu finden sein, dass die Zahl der Fälle, in denen die kollidierenden Entscheidungen so nah beieinanderlagen, dass es auf diese Frage ankommen könnte, noch seltener sind, als es die Kollisionssituationen ohnehin sind. Stimmiger wäre es dennoch, auf den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit und damit des Eintritts der cosa juzgada material abzustellen. 2. Das anzuwendende Verfahren Im Hinblick auf die Frage, welche Verfahrensart zur Klärung der Kollision zwischen den Entscheidungen in Betracht kommt, werden ebenfalls verschiedene Ansätze diskutiert. Überwiegend abgelehnt wird der Rückgriff auf die Revision unanfechtbarer Urteile (revisión de sentencias firmes) nach Art. 509 ff. LEC297.298 Der Revision unanfechtbarer Urteile, die – ähnlich wie die deutsche Restitutionsklage – in bestimmten Fällen, eine Durchbrechung der cosa juzgada ermöglicht, kommt jedoch Ausnahmecharakter zu, 299 weshalb die in

294 Serra Domínguez spricht beispielsweise nur vom Vorrang des „ersten Urteils” („la primera sentencia“), Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 704. 295 Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 108 („la sentencia firme dictada primero en el tiempo“). 296 Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 109. 297 Unter Geltung des LEC 1881: Art. 1796 ss. LEC 1881. 298 Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 867; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 284. 299 STS 171/1981, 13. April 1981 (n° ROJ: STS 4927/1981), Considerando 1; STS 245/1985, 18. April 1985 (n° ROJ: STS 606/1985), Considerando 1; STS 801/1987, 4. Dezember 1987 (n° ROJ: STS 8489/1987), FD 2°; STS 505/2006, 23. Mai 2006 (n° ROJ: STS 2989/2006), FD 2°; Muerza Esparza, Comentario al Art. 510 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 2136.

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Art. 510 LEC300 enthaltene Aufzählung der Revisionsgründe als abschließend und nicht analogiefähig verstanden wird. 301 Da die Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen zum selben Gegenstand in Art. 510 LEC nicht aufgeführt ist, kommt ein Rückgriff auf die Revision unanfechtbarer Urteile nicht in Betracht (wenn nicht im Einzelfall einer der abschließend aufgezählten Revisionsgründe vorliegt). Teilweise wird angenommen, die Kollision der rechtskräftigen Entscheidungen könne nur vor dem Verfassungsgericht geklärt werden. 302 Die betroffene Partei habe Verfassungsbeschwerde (recurso de amparo) wegen Verstoßes gegen die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (tutela efectiva) nach Art. 24.1 C.E. einzulegen.303 Das Recht auf effektiven Rechtsschutz erfasse auch das Recht, die Vollstreckung des erzielten Urteils erwirken zu können.304 Die Existenz eines im Widerspruch stehenden Vollstreckungstitels stehe der Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit des jeweils anderen Urteils entgegen, so dass ein Verstoß gegen Art. 24.1 C.E. vorliege. 305 Gegen eine verfahrensrechtliche Behandlung der Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen im Wege der Verfassungsbeschwerde wird jedoch insbesondere vorgebracht, dass sich die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichts auf die Überprüfung der Verletzung des Verfassungsrechts beschränke und daher auf eine Überprüfung der Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen, die regelmäßig ein Eindringen in die sachliche Prüfung erfordere, nicht ausgerichtet sei. 306 Zum anderen stelle der Weg zum Verfassungsgericht eine ausgesprochen zeitintensive Möglichkeit dar, auf die die betroffene Partei nicht verwiesen werden könne. Einige Autoren vertreten dagegen die Klärung in einem ordentlichen Verfahren erster Instanz307 vor einem Gericht, welches nicht am Erlass der ersten

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Unter Geltung des LEC 1881: Art. 1796 LEC 1881. STS 171/1981, 13. April 1981 (n° ROJ: STS 4927/1981), Considerando 1; STS 245/1985, 18. April 1985 (n° ROJ: STS 606/1985), Considerando 1; Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 867; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 507 („enumeración taxativa“). 302 So Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 867 ss. 303 Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 871. 304 Botana García, Justicia 1990/IV, p. 855, 871. 305 So für den Widerspruch von Entscheidungen verschiedener Gerichtsbarkeiten: STC 62/1984, 21. Mai 1984 BOE 1984, n° 146 (19. Juni 1984) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 13938, p. 4, 6 (FJ 5°); („no resulta compatible la efectividad de dicha tutela y la firmeza de pronunciamientos judiciales contradictorios“); STS 158/1985, 26.11.1985, BOE 1985, n° 301 (17. Dezember 1985) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 26302, p. 6, 9 (FJ 4°). 306 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 282. 307 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 283 s.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, p. 627, 704. 301

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

beiden Entscheidungen beteiligt war. 308 In diesem erfolgt dann die Entscheidung über den Vorrang des zeitlich früheren Urteils. Nach den bislang geltenden Regeln wäre die in diesem Verfahren ergehende Entscheidung allerdings wiederum anfechtbar,309 was die endgültige Klärung der Lage und damit auch die Schaffung von Rechtssicherheit erneut hinauszögern würde. 310 3. Zusammenfassung Die Kollision zweier rechtskräftiger Entscheidungen zum selben Gegenstand hat im spanischen Gesetzesrecht keine Regelung gefunden. Die Behandlung dieser praktisch zwar seltenen, aber keineswegs ausgeschlossenen Situation, ist jedoch auch in der Literatur und Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Zwar spricht sich eine überwiegende Ansicht für die Aufrechterhaltung der zeitlich früheren Entscheidung und eine Behandlung der Frage in einem erstinstanzlichen ordentlichen Verfahren aus, jedoch bestehen im Einzelnen noch Unklarheiten. Obwohl der spanische Reformgesetzgeber im Jahr 2000 versucht hatte, auch die cosa juzgada einer umfassenden Regelung zu unterwerfen, besteht hier also eine Regelungslücke, die weder von Literatur noch Rechtsprechung bislang befriedigend gefüllt wurde. E. Rechtskraftfähige Entscheidungen Im Abschnitt zur Abgrenzung zwischen cosa juzgada formal und material wurde bereits festgestellt, dass die spanische Rechtskraftlehre die cosa juzgada material nur Entscheidungen zuspricht, die nicht oder nicht mehr durch ordentliche Rechtsmittel angefochten werden können. Darüber hinaus wird die Rechtskraftfähigkeit einer Entscheidung in Spanien an weitere Voraussetzungen geknüpft, die insbesondere die Verfahrensart, in der die Entscheidung erging, sowie die Form und den Gegenstand der Entscheidung betreffen. I. Streitige Verfahren („jurisdicción contencioso“) und freiwillige Gerichtsbarkeit („jurisdicción voluntaria“) Auch in Spanien sind bestimmte rechtliche Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterstellt. Gesetzlich geregelt sind die Verfahren seit Juli 2015 im Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit, Ley 15/2015 de la Jurisdicción Voluntaria.311 Damit endet die unbefriedigende Anwendung der Regelungen der Art. 1811 ff. LEC 1881, deren Fortgeltung bis zum Erlass eines

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Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 284. Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 285. 310 Hierauf weist auch Nieva Fenoll hin, Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 285. 311 Ley 15/2015, de 2 de julio, de la Jurisdicción Voluntaria. 309

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Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit in den Übergangsvorschriften der LEC 2000 angeordnet worden war.312 Eine Regelung zur cosa juzgada material hatten die Artikel 1811 ff. LEC 1881 nicht enthalten.313 Während die Rechtsprechung traditionell annahm, dass Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine cosa juzgada material zukomme314 und das Fehlen der cosa juzgada material gerade als wesenseigenes Merkmal der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen sei, 315 hatte sich in der Literatur eine differenzierende Betrachtung durchgesetzt. Der Ablehnung der cosa juzgada material wurde danach insoweit gefolgt, als dass eine im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangene Entscheidung in einem späteren

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LEC Disposición derogatoria única: „1. Se deroga la Ley de Enjuiciamiento Civil, aprobada por Real Decreto de 3 de febrero de 1881, con las excepciones siguientes: 1.ª Los Títulos XII y XIII del Libro II y el Libro III, que quedarán en vigor hasta la vigencia de la Ley Concursal y de la Ley sobre Jurisdicción Voluntaria, respectivamente, excepción hecha del artículo 1827 y los artículos 1880 a 1900, inclusive, que quedan derogados. [...].” Trotz der in den abschließenden Regelungen der LEC 2000 formulierten Absicht, ein Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit zügig zu verabschieden (LEC Disposicion final 18ª – Proyecto de Ley sobre Jurisdicción voluntaria: „En el plazo de un año a contar desde la fecha de entrada en vigor de esta Ley, el Gobierno remitirá a las Cortes Generales un proyecto de Ley sobre jurisdicción voluntaria.“), hat es damit fast 15 Jahre gedauert, bis die Geltung der Regelungen der LEC 1881 endgültig entfallen ist. Ein 2005 eingebrachter Entwurf eines Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit war im Jahre 2007 im Gesetzgebungsverfahren gescheitert (zur Geschichte dieses Gesetzesentwurfs: Fernández de Buján, Revista de Derecho UNED 2012, n° 11, p. 961, 963 s.). 313 Nur das Abänderungsverbot und die Bindung im selben Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit waren in Art. 1818.2 LEC 1881 für die abschließenden und unanfechtbaren Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit festgeschrieben. 314 ATS 86/1985, 8. Februar 1985 (n° ROJ: ATS 497/1985), Considerando 1; ATS 16. Juli 1996 (n° ROJ: ATS 426/1996); FD 2°; ATS 21. Oktober 1997 (n° ROJ: ATS 303/1997), FD 3°; ATS 1. Dezember 1998 (n° ROJ: STA 1429/1998), FD 2°; ATS 30. November 1999 (n° ROJ: ATS 1012/1999), FD 2°; ATS 29. Oktober 2002 (n° ROJ: ATS 2569/2002), FD 2°; ATS 31. Juli 2003 (n° ROJ: ATS 8363/2003), FD 2°; ATS 30. März 2004 (n° ROJ: ATS 4341/2003), FD 2°; STS 435/2005, 1. Juni 2005 (n° ROJ: STS 3522/2005), FD 3°; STS 896/2006, 25. September 2006 (n° ROJ: STS 5690/2006), FD 4°; STS 1134/2007, 18. Oktober 2007 (n° ROJ: STS 6431/2007), FD 3°. Allerdings beschränken sich die den Entscheidungen zugrunde liegenden Fälle auf Sachverhalte, in denen der Rechtsmittelführer versucht hatte, die cosa juzgada einer Entscheidung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in einem späteren streitigen Verfahren geltend zu machen. 315 STS 1134/2007, 18. Oktober 2007 (n° ROJ: STS 6431/2007), FD 3°: „... siendo esta ausencia de efectos de cosa juzgada consustancial a la jurisdicción voluntar ia“. ATS 16. Juli 1996 (n° ROJ: ATS 426/1996); FD 2°; ATS 21. Oktober 1997 (n° ROJ: ATS 303/1997), FD 3°; ATS 1. Dezember 1998 (n° ROJ: STA 1429/1998), FD 2°; ATS 30. November 1999 (n° ROJ: ATS 1012/1999), FD 2°: „En el orden jurídico procesal español, los actos de jurisdicción voluntaria se han caracterizado por no producir efecto ejecutivo – al menos, en sentido propio – ni de cosa juzgada ...“.

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streitigen Verfahren keine cosa juzgada material entfalten sollte. 316 Weil aber auch die Durchführung eines Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf eine beständige Klärung der Rechtslage abzielt 317 und auch hier ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit bestehe, das durch Wiederholung streitgegenstandsidentischer Verfahren enttäuscht werde, 318 sollte den Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine auf die freiwillige Gerichtsbarkeit beschränkte cosa juzgada material zukommen.319 Dieser Lösung der Literatur hat sich auch der Gesetzgeber nun angeschlossen, auch wenn der Begriff der cosa juzgada vermieden wird: Gemäß Art. 19.3 Ley de Jurisdicción Voluntaria ist ein erneutes Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit identischem Gegenstand ausgeschlossen und bindet die getroffene Entscheidung in jedem nachfolgenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, das mit dem Gegenstand des ersten Verfahrens verknüpft ist. 320 Einem späteren streitigen Verfahren mit demselben Gegenstand steht die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangene Entscheidung gemäß jedoch Art. 19.4 Ley de Jurisdicción Voluntaria nicht entgegen.321 Ein Richter in einem späteren streitigen Verfahren, in dem die Entscheidung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Frage gestellt wird, ist an die im Verfahren der freiwilligen 316

Calaza López, Cosa juzgada, p. 126; Fernández de Buján, Revista de Derecho UNED 2012, n° 11, p. 961, 992; Ramos Méndez, Derecho procesal civil II, p. 1293. Zugrunde lage dem teilweise ein Verständnis der Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit als bloße Verwaltungsentscheidungen, bei denen es an der Ausübung der rechtsprechenden Funktion fehle (Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho porcesal civil II, p. 948 („actividad administrativa“; „No se trata de Jurisdicción ...“), p. 952.). Teilweise gehen die Autoren auch von einer schon in der Natur der freiwilligen Gerichtsbarkeit angelegten Beschränkung der Reichweite der Entscheidungen aus, die eine Identität der Streitgegenstände im Verhältnis zu streitigen Verfahren von vornherein ausschließe (so Ramos Méndez, Derecho procesal civil II, p. 1293). 317 Calaza López, Cosa juzgada, p. 125. 318 Fernández de Buján, Revista de Derecho UNED 2012, n° 11, p. 961, 992. 319 Calaza López, Cosa juzgada, p. 125; Fernández de Buján, Revista de Derecho UNED 2012, n° 11, p. 961, 992; Ramos Méndez, Derecho procesal civil II, p. 1292 s. 320 Art. 19.3, I Ley de Jurisdicción Voluntaria: „Resuelto un expediente de jurisdicción voluntaria y una vez firme la resolución, no podrá iniciarse otro sobre idéntico objeto, salvo que cambien las circunstancias que dieron lugar a aquél. Lo allí decidido vinculará a cualquier otra actuación o expediente posterior que resulten conexos a aquél.“ Damit ist sowohl eine negative Sperrwirkung als auch eine positve Bindung bestätigt. Im Gesetzesentwurf von 2013 war die positive Bindungswirkung noch nicht enthalten, wurde aber in der Literatur befürwortet, vgl. Calaza López, Cosa juzgada, p. 126 s.; Fernández de Buján, Revista de Derecho UNED 2012, n° 11, p. 961, 992. 321 Art. 19.4 Ley de Jurisdicción Voluntaria: „La resolución de un expediente de jurisdicción voluntaria no impedirá la incoación de un proceso jurisdiccional posterior con el mismo objeto que aquél, debiendo pronunciarse la resolución que se dicte sobre la confirmación, modificación o revocación de lo acordado en el expediente de jurisdicción voluntaria.“

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Gerichtsbarkeit getroffene Beurteilung nicht gebunden. 322 Das neue Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit hat damit die Rechtslage in der bereits zuvor in der Literatur vorgezeichneten Weise geklärt. II. Die Rechtskraftfähigkeit von Entscheidungen in streitigen Verfahren 1. Verfahrensbeendende Entscheidung oder Sachurteil: Die schwierige Formulierbarkeit einer Grundregel Grundvoraussetzung der Zuerkennung der cosa juzgada material ist zunächst die verfahrensbeendende Eigenschaft der jeweiligen Entscheidung. 323 Prozessleitenden Maßnahmen sowie bloßen Zwischenentscheidungen, die das Verfahren nicht beenden, kommt daher keine der Wirkungen der cosa juzgada material, sondern lediglich die innerprozessual wirkende cosa juzgada formal zu.324 Darüber hinaus formuliert insbesondere die spanische Literatur als Grundregel für die Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit, dass die cosa juzgada material nur „sentencias sobre el fondo del asunto“, also nur Sachurteilen, zuzusprechen ist. 325 Das Erfordernis der Sachentscheidung soll dabei der gesetzlichen Normierung der cosa juzgada material in Art. 222 LEC entnommen werden:326 Art. 222.1 LEC beschreibt die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada allein für „unanfechtbare Urteile, unabhängig davon, ob diese stattgebend oder abweisend seien“ („sentencias firmes, sean estimatorias o desestimatorias“), der Begriff einer sentencia (des)estimatoria findet im spanischen Zivilprozessrecht aber nur auf gerichtliche Entscheidungen Anwendung, die einen Ausspruch zur Begründetheit des klägerischen Anspruchs enthalten.327 Vor der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 hatte man die Grundregel in ähnlicher Weise aus Art. 1252 C.C. und der dortigen Bezugnahme allein auf die 322 Calaza López, Cosa juzgada, p. 126 s.; Fernández de Buján, Revista de Derecho UNED 2012, n° 11, p. 961, 992. 323 Dies ergibt sich schon aus Art. 222.4 LEC: „Lo resuelto con fuerza de cosa juzgada en la sentencia firme que haya puesto fin a un proceso vinculará al tribunal de un proceso posterior ....“ 324 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 493. 325 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 89, p. 98; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 293; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 559; Gómez Calero, Revista general de legislación y jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 448; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 557; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 493; Prieto Castro, Derecho procesal civil I, 1968, n° 334, p. 566 s. 326 Calaza López, Cosa juzgada, p. 144; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 293; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 493. 327 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 89, p. 98; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 235.

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Entscheidungsform der sentencia sowie aus der Verknüpfung der cosa juzgada mit dem „entschiedenen Fall“ (caso resuelto) hergeleitet. 328 Während die Beschränkung der cosa juzgada auf verfahrensbeendende Entscheidungen aber allgemeine Anerkennung findet, ist das Erfordernis der Entscheidung in der Sache umstritten. Dies zeigt sich insbesondere in der Diskussion um die Rechtskraftfähigkeit von Prozessentscheidungen, welche das Verfahren wegen eines bestehenden Verfahrenshindernisses beenden. Gleichzeitig spielen auch weitere Faktoren, insbesondere die jeweilige Verfahrensart, eine Rolle bei der Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit und relativieren so die formulierte Regel, wonach Sachentscheidungen die Wirkungen der cosa juzgada zuzusprechen seien. Dies wird insbesondere im umstrittenen Fall der Sachentscheidungen in summarischen Verfahren deutlich. Im Folgenden soll daher die Rechtskraftfähigkeit verschiedener Entscheidungsarten genauer beleuchtet werden. 2. Untersuchung der Rechtskraftfähigkeit verschiedener Urteils- und Verfahrensarten a. Prozessurteile Vor dem Hintergrund des in der Literatur vertretenen Erfordernisses einer Entscheidung in der Sache stellt sich insbesondere die Frage nach der Rechtskraftfähigkeit von Entscheidungen, die ein Verfahren aufgrund des Fehlens einer Prozessvoraussetzung oder wegen eines Prozesshindernisses beenden. 329 Dabei war und ist sowohl in der Rechtsprechung330 als auch in der Literatur331 unumstritten, dass eine Prozessentscheidung einer erneuten Entscheidung über den Gegenstand nicht entgegensteht, wenn der prozessuale Mangel, der zum Erlass der Erstentscheidung geführt hat, behoben wurde. Im Hinblick auf die Beurteilung der materiellrechtlichen Begründetheit der Klage kann das 328 Gómez Calero, Revista general de legislación y jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 448; Prieto Castro, Derecho procesal civil I, 1968, n° 334 B) p. 566. 329 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein ergangenes Sachurteil eine rechtskräftige Feststellung des Vorliegens aller Prozessvoraussetzungen und der Abwesenheit sonstiger Prozesshindernisse enthält, vgl. hierzu das Kapitel zu den rechtskraftfähigen Entscheidungsbestandteilen (unten F). 330 STS 310/1989, 14. April 1989 (n° ROJ: STS 2482/1989), FD 2°; STS 778/1991, 5. November 1991 (n° ROJ: STS 5982/1991), FD 10°; STS 1070/1997, 29. November 1997 (n° ROJ: STS 7231/1997), FD 1°; STS 999/2004, 19. Oktober 2004 (n° ROJ: 6591/2004), FD 3°. 331 Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 91; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 346; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 563; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 652.

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Prozessurteil keine Bindungswirkung entfalten, da insoweit überhaupt keine Entscheidung ergangen ist.332 Die Diskussion um die Rechtskraftfähigkeit von Prozessentscheidungen kommt vielmehr erst dann zum Tragen, wenn ein Gericht nach Erlass einer solchen Entscheidung erneut angerufen wird, ohne dass der jeweilige prozessuale Mangel beseitigt wurde. In dieser Situation ist streitig, ob der prozessualen Erstentscheidung die Wirkungen der cosa juzgada zuzuerkennen sind. aa. Der Meinungsstand vor Einführung des LEC 2000 Vor der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 war die Zuerkennung der cosa juzgada in der Literatur hoch umstritten. Zahlreiche Autoren lehnten es ab, verfahrensbeendenden Entscheidungen über prozessuale Fragen die Wirkung der cosa juzgada zuzuerkennen.333 Entscheidungen allein prozessualen Inhalts dienten nicht der abschließenden Beurteilung der jeweiligen prozessualen Frage, sondern allein der Beantwortung der Frage, ob in eine Entscheidung zur Sache einzutreten sei oder nicht. 334 Da Entscheidungen dieser Art damit keine abschließende Feststellung zum Bestehen oder Nichtbestehen des materiellrechtlichen Rechtsverhältnisses bzw. eines Anspruchs (pretensión) enthielten, fehlte es nach dieser Ansicht an einer

332 STS 778/1991, 5. November 1991 (n° ROJ: STS 5982/1991), FD 10°; STS 999/2004, 19. Oktober 2004 (n° ROJ: 6591/2004), FD 3°; Ortells Ramos, La cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 563; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 652. 333 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 24 s. (p. 172 ss.); Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 449 s.; Jiménez Asenjo, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1948, n° 184, p. 63, 68 (n° 5); Tapia Fernández, Efectos objetivos de la cosa juzgada, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 163, 174. Aufgrund der erheblichen Bedeutung der gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen schlug de la Oliva Santos allerdings de lege ferenda eine – auf die positive Präjudizialbindung beschränkte (de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 24 (p. 173)) – Anerkennung der cosa juzgada material derjenigen verfahrensbeendenden Entscheidungen vor, die auf dem Fehlen der internationalen Zuständigkeit, der Rechtswegzuständigkeit sowie der sachlichen Zuständigkeit beruhten (Ebenda, § 27 n° 25 (p. 174 s.)). Er betonte aber, dass diese Lösung mit der geltenden Rechtslage, die eine Amtsprüfung der gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen vorsehe, nicht vereinbar sei (Ebenda § 27 n° 25 (p.175); dies betonend auch Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 163, 174). 334 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 24 (p. 174); zum heutigen Recht ebenso Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 28 s.

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„entschiedenen Sache“ (cosa juzgada) im Wortsinne,335 weshalb der Entscheidung keine über das jeweilige Verfahren hinausgehende rechtliche336 Verbindlichkeit zukommen sollte. 337 Die richterliche Entscheidungsfreiheit des später angerufenen Gerichts wurde hier als vorrangig angesehen. 338 Da der Aufwand, den das Gericht tätigen müsse, um eine etwaige Veränderung der relevanten Tatsachen bzw. eine Heilung des jeweiligen prozessualen Mangels zu überprüfen, letztlich dem einer vollständig neuen Prüfung der Prozessvoraussetzung entspreche, wurden auch zugunsten einer Anerkennung der cosa juzgada angeführte prozessökonomische Erwägungen zurückgewiesen. 339 Demgegenüber bejahte eine verbreitete Ansicht eine auf den jeweiligen festgestellten prozessualen Mangel beschränkte cosa juzgada der Prozessentscheidungen.340 Bei Fortbestehen des Mangels war ein späteres Verfahren mit identischem Gegenstand nach dieser Ansicht wegen der entgegenstehenden cosa juzgada der Erstentscheidung und nicht wegen des bestehenden prozessualen Mangels zu beenden.341 Die abschließende Entscheidung über eine bestimmte Frage aufgrund einer rechtlichen Beurteilung sei die Grundvoraussetzung der Zuerkennung der cosa juzgada. 342 Diese sei aber auch dann gegeben, wenn das

335 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 24 (p. 172); de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 139, p. 156; Jiménez Asenjo, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1948, n° 184, p. 63, 68 (n° 5). 336 Eine rechtliche Bindung wird dabei klar von der Frage unterschieden, ob sich ein Gericht im späteren Verfahren faktisch an der Vorentscheidung orientiert (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 142, p. 159; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 37). 337 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 29. 338 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 24 (p. 174); de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 142, p. 159. 339 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 24 (p. 174); ebenso für die heutige Rechtslage: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 144, p. 161 s.; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 348 s. Gegen die Relevanz des Argument eines vergleichbaren Prüfungsaufwandes in der aktuellen Literatur Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 209. 340 Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 92; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 346; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1968, n° 334, p. 567; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 652. 341 Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1968, n° 334, p. 567; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214–1253), p. 627, 652. 342 Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 89.

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Gericht das Fehlen einer Prozessvoraussetzung oder das Vorliegen eines Prozesshindernisses feststelle und das Verfahren deswegen beende. 343 Dieser Ansicht begann nach und nach auch die Rechtsprechung zu folgen. Traditionell hatte diese die cosa juzgada material zwar als Wirkung angesehen, die allein Entscheidungen zukomme, welche auf Grundlage eines wirksam begründeten Prozessrechtsverhältnisses über die materielle Begründetheit der Klage, also in der Sache, entschieden. 344 Seit den Siebzigerjahren345 ergingen aber zunehmend Entscheidungen, in denen diese Beschränkung auf Sachurteile in Frage gestellt wurde. Insbesondere verfahrensbeendenden Entscheidungen, die auf die Ablehnung der Rechtswegzuständigkeit (incompetencia de jurisdicción) bzw. auf die Unstatthaftigkeit der gewählten Verfahrensart (inadecuación de procedimiento) gestützt waren, wurde darin eine auf die jeweilige Prozessvoraussetzung beschränkte cosa juzgada zuerkannt.346 Dass sich die Anerkennung einer auf die Prozessvoraussetzung bezogenen cosa juzgada material nicht auf spezifische Prozessvoraussetzungen beschränken sollte, legen die Entscheidungsbegründungen der Gerichte nahe. Diese stellten für die Anerkennung der cosa juzgada material nicht etwa auf spezifische Eigenheiten der jeweiligen Prozessvoraussetzung ab, sondern bejahten die cosa juzgada material der verfahrensbeendenden Prozessentscheidungen mit der Begründung, dass hinsichtlich der jeweiligen Prozessvoraussetzung oder des Prozesshindernisses eine abschließende Entscheidung ergangen sei, der als solcher auch cosa juzgada material zuzusprechen sei. 347 Die Rechtssicherheit und die Funktionsfähigkeit der Justiz würden auch dann beeinträchtigt, wenn eine Entscheidung zu 343

Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 89, 92. In der aktuellen Literatur auch Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 207. 344 STS 542/1962, 12. Juni 1962 (n° ROJ: STS 101/1962), Considerando 2; STS 957/1962, 21.12.1962 (n° ROJ: STS 2598/1962), Considerando 2; STS 298/1963, 27. März 1963 (n° ROJ: STS 59/1963), Considerando 2. 345 Erstmals wohl die Entscheidung STS 63/1976, 13. März 1976 (n° ROJ: STS 1197/1976), Considerando 1. Allerdings stützt diese Entscheidung die Bindung im späteren Verfahren auf die cosa juzgada formal, obwohl eine Bindungswirkung außerhalb des Ausgangsverfahren nach der Definition von cosa juzgada formal und material nur auf Grundlage der cosa juzgada material denkbar ist (kritisch zu dieser begrifflichen Unsauberkeit auch: Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 34). 346 STS 63/1976, 13. März 1976 (n° ROJ: STS 1197/1976), Considerando 1; STS 487/1992 (Sala de lo Social), 18. Mai 1992 (n° ROJ: STS 20528/1992), FD 3°; STS 30. März 2000 (Sala de lo Social) (n° de recurso: 293/1999; n° ROJ: STS 2591/2000), FD 2°; STS 244/2007, 23. Februar (n° ROJ: STS 1041/2007), FD 2°; STS 379/2007, 29. März 2007 (n° ROJ: STS 2224/2007), FD 2° (jeweils zu einem nach Art. 1252 C.C. zu beurteilend en Fall). 347 STS 487/1992 (Sala de lo Social), 18. Mai 1992 (n° ROJ: STS 20528/1992), FD 3°: „... no tanto, al menos en principio, cuando el replanteamiento de la demanda se efectúa manteniéndose la carencia de dicho presupuesto, pues la apreciación de tal carencia ya quedo juzgada, se decidió al respecto y tal decisión, precisamente en el indicado aspecto, puede producir efectos de cosa juzgada.“

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einer prozessualen Frage immer wieder in Frage gestellt würde. 348 Nach Auffassung der Rechtsprechung entfaltete eine Prozessentscheidung damit zwar keine cosa juzgada im Hinblick auf die Beurteilung der Klage in der Sache. Wenn der jeweilige prozessuale Mangel im späteren Verfahren noch vorlag, stand die Prozessentscheidung aber einem späteren gegenstandsidentischen Verfahren entgegen.349 Die Rechtskraftfähigkeit von Prozessentscheidungen wurde damit vor der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 uneinheitlich beurteilt, wobei aber die Rechtsprechung zunehmend zu einer Anerkennung der Rechtskraftfähigkeit tendierte. bb. Heutiger Meinungsstand Die Einführung der LEC 2000 mit der Normierung der cosa juzgada material in Art. 222 LEC hat eine gewisse Verschiebung dieses Meinungsbildes bewirkt. In der spanischen Literatur hat sich nach Einführung des Art. 222 LEC mit seiner klaren Bezugnahme auf sentencias estimatorias o desestimatorias die ablehnende Haltung gegenüber der Anerkennung einer cosa juzgada der Prozessentscheidungen durchgesetzt.350 Selbst Autoren, die zuvor den Prozessentscheidungen die Wirkungen der cosa juzgada zubilligen wollten, lehnen die 348

STS 244/2007, 23. Februar (n° ROJ: STS 1041/2007), FD 2°: „... ‚ha de tenerse en cuenta que el fundamento de la cosa juzgada radica en la necesidad de evitar la reproducción indefinida de litigios y de conseguir la estabilidad y seguridad jurídicas‘, añadiendo que también afecta ‚al prestigio de unos órganos estatales‘ de tal modo que la seguridad jurídica y la función jurisdiccional quedaría comprometida si se permitiera ilimitadamente cuestionar lo definitivamente resuelto, aunque la decisión comporte únicamente un pronunciamiento sobre cuestiones de carácter procesal y de tratamiento preliminar“. So auch Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 92. Aus der aktuellen Literatur auch Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 142 ss.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 203. 349 STS 487/1992 (Sala de lo Social), 18. Mai 1992 (n° ROJ: STS 20528/1992), FD 3°: „...las sentencias meramente procesales, las que no resuelven en cuanto al fondo por apreciar la falta de un presupuesto procesal, no impiden un ulterior proceso sobre el mismo objeto, cuando tal presupuesto procesal queda cumplido; no tanto, al menos en principio, cuando el replanteamiento de la demanda se efectúa manteniéndose la carencia de dicho presupuesto“. Angedeutet auch in STS 452/1998, 19. Mai 1998 (n° ROJ: STS 3242/1998), FD 1°: „la acción que pueda ser ejercitada en un nuevo proceso removidos que sean aquellos impedimentos procesales“. 350 Eine cosa juzgada material der Prozessentscheidungen lehnen ab: López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 348 s.; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 563; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 36. Im Ergebnis auch

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Rechtskraftfähigkeit der Prozessentscheidungen heute ab. 351 Grund hierfür ist, dass die ablehnende Haltung heute eine Stütze im Wortlaut des Art. 222.1 LEC findet: Da sich die cosa juzgada gemäß Art. 222.2 LEC auf die in der Klage und Widerklage geltend gemachten Ansprüche erstreckt, wird der jeweilige Anspruch (pretensión) als Gegenstand des Zuspruchs oder der Abweisung verstanden.352 Auch wenn der Begriff des Anspruchs in Art. 222 LEC im Sinne des prozessualen Anspruchs und damit des Streitgegenstandes verwendet wird, 353 enthält eine Feststellung zu einer Prozessvoraussetzung nach herrschendem Verständnis gerade keine Entscheidung über einen (prozessualen) Anspruch, sondern nur über eine Vorbedingung für eine solche Entscheidung.354 Angeführt wird zudem, dass sowohl die Regelung der negativen Ausschlusswirkung in Art. 222.1 LEC als auch die der positiven Präjudizialbindung in Art. 222.4 LEC allein von der cosa juzgada der Urteile (sentencias) sprechen. Art. 206 LEC sieht für prozessuale Entscheidungen aber die Entscheidungsform des Beschlusses (auto) (oder der Verfügung (providencia)) und damit gerade nicht die Urteilsform vor, weshalb aus der Bezugnahme des Art. 222 LEC allein auf sentencias geschlossen wird, dass die cosa juzgada bei prozessualen Entscheidungen nach geltendem Recht abzulehnen ist. 355 Nur eine Mindermeinung in der spanischen Literatur spricht sich aus den bereits vor der Reform angeführten Gründen weiterhin für eine Anerkennung der cosa juzgada material der Prozessentscheidungen aus,356 wobei diese teilweise auf ihre positive Funktion als Präjudizialbindung beschränkt wird. 357 Die Calaza López, Cosa juzgada, p. 144; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 146 ss., p. 164 ss. 351 So beispielsweise Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494. Calaza López erwägt zwar die Erstreckung aus Gründen der Rechtssicherheit (Calaza López, Cosa juzgada, p. 142 s.), schließt sich aber im Ergebnis aufgrund der „eindeutigen“ Entscheidung der LEC gegen eine cosa juzgada („la LEC es rotunda“) ebenfalls der ablehnenden Position an (p. 144). De la Oliva Santos erwägt – wie auch schon vor 2000 – die Rechtskraftfähigkeit der auf das Fehlen der gerichtsbezogenen Prozessvoraussetzungen gestützten Prozessentscheidungen, lehnt diese aber im Ergebnis ab (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 146 ss., p. 164 ss.). 352 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 36. 353 Vgl. hierzu unten G. II. 1. 354 Calaza López, Cosa juzgada, p. 144; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 563; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 36. 355 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 36. 356 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 142 ss.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 199 ss. 357 So Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 202. Interessanterweise klammert Padura Ballesteros zudem die Entscheidungen über die Rechtswegzuständigkeit von der cosa juzgada aus (Fundamentación, p. 210 s.), d.h. gerade jene Prozessentscheidung, für die traditionell eine Ausnahme von der grundsätzlichen Ablehnung der cosa juzgada vertreten wurde. Sie begründet dies damit, dass das Gericht immer nur über die eigene Unzuständigkeit oder

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LEC-Reform hat nach Ansicht dieser Autoren nichts geändert, da Art. 222 LEC lediglich die Wirkungen und Grenzen der cosa juzgada material beschreibe, aber keine ausdrückliche Regelung der rechtskraftfähigen Entscheidungsformen enthalte.358 Die Rechtsprechung359 scheint auch nach der Einführung des Art. 222 LEC an ihrer Position festzuhalten, wonach verfahrensbeendenden Prozessentscheidungen eine auf den jeweils bejahten prozessualen Mangel beschränkte cosa juzgada zukommt, die bei unverändertem Fehlen der Prozessvoraussetzung eine Einstellung des Verfahrens wegen entgegenstehender cosa juzgada rechtfertigt. 360 Insbesondere die für das Arbeitsrecht zuständige Sala de lo Social des Tribunal Supremo hält diese Lösung ausdrücklich für mit Art. 222 LEC vereinbar:361 Anders als Art. 1252 C.C., der den „entschiedenen Fall“ als Ausgangspunkt der Beurteilung des übereinstimmenden Streitgegenstandes benannte, spreche Art. 222.4 LEC dem „Entschiedenen“ (lo resuelto) die Bindungswirkung bei Präjudizialität zu. 362 Während ein „Fall“ eher mit der rechtlich-tatsächlichen Beurteilung des Rechtsstreits in Verbindung zu bringen sei, kann „das Entschiedene“ nach dem Verständnis der Sala de lo Social auch auf das zu einer prozessualen Frage Entschiedene bezogen werden. 363 Auch wenn die Zahl der Fälle, in denen die Rechtsprechung sich tatsächlich mit einer erneuten Klage trotz Fortbestehens des bereits zuvor behandelten prozessualen Mangels auseinandersetzen muss, überschaubar ist, lassen doch die ergangenen

Zuständigkeit entscheide, nicht aber über die Eröffnung oder Nichteröffnung des anderen Rechtswegs (Fundamentación, p. 211). 358 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 191. 359 Die ergangenen Entscheidungen entstammen allerdings ganz überwiegend der Arbeitsgerichtsbarkeit. 360 STS 8. Juli 2004 (Sala de lo Social) (n° de recurso: 156/2003; n° ROJ: STS 4907/2004), FD 2°; STS 6. Juni 2006 (Sala de lo Social) (n° de recurso 1234/2005; n° ROJ: STS 3849/2006), FD 7°; obiter dicta auch in den Entscheidungen ATS 16. Oktober 2008 (Sala de lo Social) (n° de recurso: 4126/2007; n° ROJ: ATS 11952/2008), RJ 1°; ATS 12. März 2013 (Sala de lo Social) (n° de recurso: 2432/2013; n° ROJ: ATS 3572/2013), RJ 1°; ATS 12. September 2013 (Sala de lo Social) (n° de recurso: 1008/2013; n° ROJ: ATS 8222/2013), RJ 1°. Vgl. auch die nach 2000 und im Bewusstsein der Neuregelung in der LEC 2000 ergangenen Entscheidungen der Zivilkammer (Sala de lo Civil) zu Art. 1252 CC: STS 244/2007, 23. Februar (n° ROJ: STS 1041/2007), FD 2°; STS 379/2007, 29. März 2007 (n° ROJ: STS 2224/2007), FD 2°. 361 STS 8. Juli 2004 (Sala de lo Social) (n° de recurso: 156/2003; n° ROJ: STS 4907/2004), FD 2°; STS 6. Juni 2006 (Sala de lo Social) (n° de recurso 1234/2005; n° ROJ: STS 3849/2006), FD 7°. 362 STS 6. Juni 2006 (Sala de lo Social) (n° de recurso 1234/2005; n° ROJ: STS 3849/2006), FD 7°. 363 STS 6. Juni 2006 (Sala de lo Social) (n° de recurso 1234/2005; n° ROJ: STS 3849/2006), FD 7°.

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Entscheidungen den Schluss zu, dass sich die Rechtsprechung durch die Neuregelung der cosa juzgada nicht zur Aufgabe ihrer Position veranlasst sieht. Die Argumentation der Sala de lo Social vermag allerdings nicht zu überzeugen, verkürzt sie doch den Wortlaut des Art. 222.4 LEC zu stark: Dieser knüpft die positive Bindungswirkung bei Präjudizialität nicht an das „Entschiedene“, sondern an das in einem verfahrensbeendenden, unanfechtbaren Urteil „mit Rechtkraft Entschiedene“ („lo resuelto con fuerza de cosa juzgada“). Da diese Wendung an eine bestehenden cosa juzgada anknüpft, kann sie nur schwerlich zur Bestimmung der von der cosa juzgada erfassten Entscheidungsarten herangezogen werden. Zwar enthält Art. 222 LEC keine spezifische Regelung allein der rechtskraftfähigen Entscheidungen, sondern normiert primär die Wirkungen und Grenzen der materiellen cosa juzgada. Angesichts der ausdrücklichen Zielsetzung des Gesetzgebers, mit der Zivilprozessrechtsreform auch eine klare Abgrenzung der Entscheidungsarten einzuführen,364 spricht die ausdrückliche Bezugnahme auf die Entscheidungsform der sentencias in Art. 222 LEC aber tatsächlich für eine bewusste gesetzgeberische Begrenzung der rechtskraftfähigen Entscheidungsarten. 365 cc. Zusammenfassung Die Rechtskraftfähigkeit von verfahrensbeendenden Prozessentscheidungen wird damit heute von Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Während sich in der Literatur eine die cosa juzgada material klar ablehnende Position durchgesetzt hat, scheint die Rechtsprechung den eingeschlagenen Weg der Anerkennung einer auf den jeweiligen prozessualen Mangel beschränkten cosa juzgada der Prozessentscheidungen in den ergangenen Entscheidungen fortzuführen, auch wenn dies angesichts der Regelung des Art. 222 LEC heute schwerer vertretbar erscheint. 364

Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 581 (IX): „... el esfuerzo que la Ley realiza por aclarar los ámbitos de actuación de los tribunales, a quienes corresponde dictar las providencias, autos y sentencias ...“. Vgl. zur Abgrenzung der verschiedenen Entscheidungsarten nach der LEC 2000 und der Beschränkung der Entscheidungsform der sentencia auf Sachurteile: Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 232 ss.; Hualde López, Comentarios al Art. 206 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1019, 1024. Nur vereinzelt wird vertreten, eine Verfahrensbeendigung wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung in Form einer sentencia de instancia, wie sie unter der LEC 1881 möglich war, sei auch nach geltendem Recht denkbar (so aber: López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 348). 365 Selbst Padura Ballesteros gesteht zu, dass der Gesetzgeber bei Abfassung des Art. 222 LEC wohl nur an die cosa juzgada der Sachurteile gedacht habe (Fundamentación, p. 191, Fußnote 13: „Ciertamiente, de la regulación del artículo 222 LEC parece que el legislador sólo está pensando en la cosa juzgada material de las resoluciones de fondo.“).

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b. Gestaltungsurteile („sentencias constitutivas“) Nur selten in Frage gestellt wurde die Rechtskraftfähigkeit der Gestaltungsurteile. Nur eine Mindermeinung in der spanischen Literatur nahm an, dass die auch in Spanien bejahte Gestaltungswirkung (efecto constitutivo) der Gestaltungsurteile die Wirkungen der cosa juzgada material entbehrlich mache und deren Anwendung ausschließe, weil die Bindung in späteren Verfahren gerade durch die Schaffung einer neuen, von jedermann zu akzeptierenden Rechtslage bewirkt werde.366 Die ganz herrschende Meinung vertritt dagegen die Position, dass Gestaltungsurteilen neben der Gestaltungswirkung auch die Wirkung der cosa juzgada material zukommen müsse. 367 Die Gestaltungswirkung könne lediglich eine Bindung im Sinne eines Abweichungsverbotes, jedoch nicht den Ausschluss eines späteren Verfahrens mit identischem Gegenstand bewirken, so dass die Gestaltungswirkung zumindest nicht die negative Funktion der cosa juzgada übernehmen könne.368 Zudem wird darauf hingewiesen, dass sowohl Art. 1252.2 C.C. als auch Art. 222.3 LEC ausdrücklich die subjektiven Grenzen der cosa juzgada für Entscheidungen über den Personenstand regelten, obwohl gerade in Personenstandssachen regelmäßig Gestaltungsurteile ergingen.369 Fußend auf der Annahme, dass die Zuerkennung der cosa juzgada nicht vom Ausgang des Verfahrens abhängen dürfe und daher nur einheitlich sowohl für stattgebende als auch abweisende Urteile beurteilt werden könne, 370 wird ein Ausschluss der Gestaltungsurteile von den Wirkungen der cosa juzgada zudem mit der Begründung abgelehnt, dass eine Umgestaltung der Rechtslage nur bei stattgebenden, nicht aber bei klageabweisenden Urteilen erfolge. 371

366 So Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 210, n° 185; ders., Estudios y Comentarios II, n° 60, p. 537 ss., 538. 367 Calaza López, Cosa juzgada, p. 86 s.; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1761, I.2; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 104, p. 114, n° 137, p. 155; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494; Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 87 s. 368 Calaza López, Cosa juzgada, p. 87; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494; Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 87 s. 369 Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 88 (zu Art. 1252 CC). 370 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 104, p. 114; Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 87 (beide den Grundsatz res iudicata ... non secundum eventum litis zitierend). 371 Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 87.

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c. Urteile in summarischen Verfahren (procesos sumarios) Zu einer der umstrittensten Fragen der spanischen Rechtskraftlehre gehört die Rechtskraftfähigkeit der in summarischen Verfahren ergangenen Sachentscheidungen. Der summarische Charakter eines Verfahrens ergibt sich nach traditionellem Verständnis372 aus einer Beschränkung des Vorbringens, der Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der richterlichen Erkenntnis.373 So ist beispielsweise das Vorbringen des Beklagten sowie der Gegenstand seiner Beweisangebote im Verfahren über die Räumung eines vermieteten bzw. verpachteten Grundstücks aufgrund ausgebliebener Mietzinszahlungen beschränkt auf die erfolgte Mietzinszahlung bzw. die freiwillige Zahlung oder Hinterlegung der 372 STS 209/1996, 23. März 1996 (n° ROJ: STS 1805/1996), FD 2°; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 53; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 176. Erschwert wird jedoch sowohl die Klassifizierung der summarischen Verfahren als auch die Klärung der Frage der Rechtskraftfähigkeit dieser Verfahrensart dadurch, dass teilweise der Ausschluss der Wirkungen der cosa juzgada material als entscheidendes Merkmal der summarischen Verfahren verstanden wird (so etwa Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1890; Ramos Méndez, Derecho procesal civil II, p. 773; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 591; für ein kumulatives Abstellen auf die Beschränkung des Vorbringens-/Beweisgegenstandes und die fehlende cosa juzgada, bzw. fehlende Verbindlichkeit in späteren ordentlichen Verfahren: López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 349, 351; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 37). Das Fehlen der cosa juzgada material wird insoweit nicht als mögliche Folge, sondern als Voraussetzung einer Einordnung als summarisches Verfahren betrachtet. Da die Begründung hierfür aber gerade in der Beschränkung des Gegenstandes des Vorbringens, des Beweises und der richterlichen Erkenntnis gesehen wird (Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1890; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 591), wird auf diese Position im Rahmen der Darstellung der Diskussion um die Rechtskraftfähigkeit der in summarischen Verfahren ergehenden Sachentscheidungen eingegangen. 373 Teilweise ergibt sich eine Beschränkung des Vorbringens aber lediglich aus der spezifischen Reichweite des Streitgegenstandes, wie dies beispielsweise im Besitzschutzverfahren der Fall ist, bei dem es nach heutigem Recht (anders als nach früherer Rechtslage, vgl. Art. 1652, 1656 LEC 1881) an einer gesetzlichen Beschränkung der Klagevorbringens und der Einwendungen auf die Frage des unmittelbaren Besitzes und der erfolgten Störung bzw. Entziehung fehlt (dies bemerkt auch Nieva Fenoll, der deshalb die Beschränkung des Verfahrensgegenstands auf ein einzelnes Thema als Merkmal der summarischen Verfahren definieren möchte, Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 161). Nach früherer Rechtslage waren gewisse summarische Verfahren auch durch eine Beschränkung der zulässigen Beweismittel gekennzeichnet, vgl. beispielsweise Art. 1579.2 LEC 1881 (Beschränkung der zulässigen Beweismittel bei Räumungsklagen wegen unterbliebener Mietzinszahlung auf das Geständnis und den Urkundenbeweis).

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eingeklagten Summe (enervación) (Art. 444.1 LEC), weshalb das Räumungsverfahren wegen rückständigen Mietzinses als summarisches Verfahren eingeordnet wird. 374 Ob und welche Verbindlichkeit einer in einem summarischen Verfahren ergangenen Sachentscheidung in späteren summarische Verfahren, aber insbesondere auch in nachfolgenden ordentlichen Verfahren ohne Beschränkung des Vorbringens und der Beweisthemen (procesos plenarios) zukommt, war und ist hoch umstritten. aa. Keine „cosa juzgada material“ im Sinne ihrer negativen Wirkungsrichtung im späteren ordentlichen Verfahren Ein späteres ordentliches Verfahren wird durch die in einem summarischen Verfahren ergangene Sachentscheidung nicht ausgeschlossen: Die für die summarischen Verfahren typische Beschränkung des zulässigen Vorbringen, des Beweisgegenstandes sowie der Beweismittel macht es nach herrschendem Verständnis erforderlich, dass die Parteien denselben Gegenstand in einem späteren ordentlichen Verfahren ohne die Beschränkungen des summarischen Verfahrens vollumfänglich zur Klärung bringen könnten.375 Ein Greifen der negativen Funktion der cosa juzgada material im nachfolgenden ordentlichen Verfahren wird daher verneint. 376 Diese Lösung entspricht auch den gesetzlichen 374 Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1889; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 53; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil II, p. 81 s. Zu den summarischen Verfahren zählen wegen ähnlicher Beschränkungen (Art. 444 LEC) auch das Besitzschutzverfahren wegen Besitzentziehung oder –störung sowie die Verfahren über die Einstellung des Baus neuer Gebäude, über den Abriss einsturzgefährdeter Gebäude und sonstiger gefährlicher Gegenstände, über die Feststellung der Wirksamkeit eingetragener dinglicher Rechte, über die Drittwiderspruchsklage gegen eine Pfändung (tercería de dominio, Art. 603 LEC) sowie die gerichtliche Bestätigung der Nachlassteilung (Art. 787 LEC) (Art. 250.1, 1°, 4°, 5°, 6°, 10°, 11°, 447.3, 447.4, 603 LEC. Vgl. Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1889; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 122, p. 132 s.; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 53; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil II, p. 38 ss. Ein wichtiger Fall eines summarischen Verfahrens war nach früherer Rechtslage auch das Vollstreckungsverfahren bei außergerichtlichen Vollstreckungstiteln ( juicio ejecutivo, Art. 1429 ss. LEC 1881), das wegen der Vereinheitlichung der Vollstreckung heute in dieser Form nicht mehr existiert (Gimeno Sendra, Derecho procesal civil II, p. 113; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 39 Fußnote 36). Zwei vormals als summarisch eingeordnete Verfahren, nämlich jene über Räumung bei jederzeitiger Kündbarkeit (precariedad) und über vorläufigen Unterhalt (alimentos provisionales), unterfallen heute den Regeln des ordentlichen Verfahrens (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 123, p. 133 s.). 375 Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1890; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442 376 Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1891; Cordón Moreno, Cosa juzgada – Derecho procesal, in: Montoya

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Vorgaben sowohl der früheren als auch der heutigen LEC: In den in der LEC 1881 verstreuten Regelungen für einzelne summarische Verfahren folgte dem Ausschluss der cosa juzgada material regelmäßig die Klarstellung, dass den Parteien die Möglichkeit eines späteren ordentlichen Verfahrens über den Gegenstand eröffnet bleibe, 377 oder beschränkte sich die Regelung von vornherein auf die Feststellung dieser Möglichkeit. 378 Art. 447.2 LEC 379 enthält einen un-

Melgar (dir.), Enciclopedia jurídica básica – Vol. II, p. 1761, 1762, I 2; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442; Montero Aroca, La cosa juzgada: conceptos generales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 92; Calaza López, Cosa juzgada, p. 112, 116s. Unklar allerdings Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 162 ss. Überwiegend auch die Rechtsprechung, vgl. beispielsweise STS 869/1961, 19. Dezember 1961 (n° ROJ: STS 424/1961), Considerando 2; STS 835/1993, 29. Juli 1993 (n° ROJ: STS 5800/1993), FD 4°; vgl. aber auch bei tatsächlicher Übereinstimmung des Streitgegenstandes: STS 1173, 12. Dezember 2003 (n° ROJ: 8040/2003), FD 2°; STS 237/2007, 1. März 2007 (n° ROJ: 1030/2007), FD °, 3°). 377 Art. 1479 LEC 1881: „Las sentencias dictadas en los juicios ejecutivos no producirán la excepción de cosa juzgada, quedando a salvo su derecho a las partes para promover el ordinario sobre la misma cuestión.“ (für das Vollstreckungsverfahren bei außergerichtlichen Vollstreckungstiteln (juicio ejecutivo)); Art 1617 LEC 1881: „Cualquiera que sea la sentencia firme que recaiga en estos juicios, no producirá excepción de cosa juzgada. Siempre quedará a salvo el derecho de las partes para promover el juicio plenario de alimentos definitivos,...“ (für das Verfahren über vorläufigen Unterhalt (alimentos provisionales)). 378 Vgl. Art. 1675 LEC 1881 (für das Verfahren über die Einstellung eines Neubaus (interdicto de obra nueva). Eine Besonderheit stellte insoweit die Regelung des Art. 1658.3 LEC 1881 für das Besitzschutzverfahren dar, die die Aufnahme eines Vorbehalts in den Urteilstenor vorsah, durch den dem Kläger die Ausübung seiner über die im Besitzschutzverfahren zu prüfenden possessorischen Ansprüche hinausgehenden Rechte ausdrücklich vorbehalten wurde (Art. 1658.3 LEC 1881: „En uno y otro caso la sentencia contendrá la fórmula de ‚sin perjuicio de tercero‘, y se reservará a las partes el derecho que puedan tener sobre la propiedad o sobre la posesión definitiva, el que podrán utilizar en el juicio correspondiente.“). Der Vorbehalt wurde angesichts der Beschränkung des Streitgegenstandes jedoch als unnötig angesehen und die Regelung des Art. 1658.3 LEC 1881 eher als Klarstellung hinsichtlich der Eröffnung eines späteren ordentlichen Verfahrens verstanden ( Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 653). 379 Die Regelung der cosa juzgada der summarischen Entscheidungen wird überwiegend als misslungen bewertet (Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1890; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 175). Dies liegt vor allem daran, dass sich die Aufzählung der summarischen Verfahren in Art. 250.1 LEC nicht mit der Regelung des Art. 447 LEC zur cosa juzgada material der summarischen Verfahren deckt. Art. 447.2 LEC hebt vielmehr mit dem Besitzschutz- und dem Räumungsverfahren zwei in Art. 250 LEC genannte summarische Verfahren als nicht rechtskraftfähig hervor, schließt aber dann mit einer Generalklausel, wonach Verfahren, die das Gesetz als summarisch qualifiziere, generell nicht die Wirkungen der cosa juzgada material zukomme (kritisch zu dieser Regelungstechnik: Cordón Moreno, Comentario al Art.

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eingeschränkten Ausschluss der cosa juzgada material für Urteile in summarischen Verfahren, so dass die Möglichkeit eines späteren proceso plenario in jedem Fall eröffnet bleibt. 380 Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der dogmatischen Begründung der fehlenden Rechtskraftwirkung im späteren ordentlichen Verfahren. Teilweise wird den summarischen Verfahren schlicht jede Rechtskraftfähigkeit abgesprochen. 381 Dagegen wollen andere Autoren den summarischen Entscheidungen nicht allgemein die Wirkungen der cosa juzgada material versagen,382 sondern begründen die fortbestehende Möglichkeit eines späteren ordentlichen Verfahrens vielmehr mit der fehlenden Identität des Streitgegenstandes: 383 Aufgrund der Beschränkungen des Vorbringens in summarischen Verfahren

447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1890; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 175). Die Inkongruenz wird noch dadurch verstärkt, dass die Gesetzesmotive zur LEC 2000 mit dem Verfahren über Unterlassungsklagen bei unlauterem Verhalten im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des geistigen Eigentums ein Verfahren als summarisch und nicht rechtskraftfähig bezeichnen, das nach Art. 249, 4° LEC an sich den Regeln des ordentlichen Verfahrens unterworfen ist (Ausnahme nur bei allein auf Zahlung gerichteten Verfahren aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des geistigen Eigentums) (Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 586 (XII); kritisch hierzu: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 122, p. 132; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 176). Auch im aktuellen Reformentwurf ist diesbezüglich keine Änderung vorgesehen. 380 López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442. 381 So Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1891; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442; Ortells Ramos, Diversidad de procesos, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 592 s. 382 Calaza López, Cosa juzgada, p. 117 ss.; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 515; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 293; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 162 ss.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 180; Prieto Castro, Derecho procesal civil I, 1968, n° 334 C), p. 568; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 652 s. 383 Der Ansatz, den Sachentscheidungen in summarischen Verfahren nicht generell die Wirkungen der cosa juzgada abzusprechen, lässt im Ausnahmefall auch die Annahme einer Ausschlusswirkung im späteren ordentlichen Verfahren zu (so Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 567; vgl. auch die Entscheidungen, in denen das Gericht auf dieser Grundlage von einem Greifen der negativen Ausschlusswirkung der cosa juzgada material bei tatsächlicher Streitgegenstandsidentität zwischen dem summarischen und dem ordentlichen Verfahren ausging: STS 173/2000, 29. Februar 2000 (n° ROJ: STS 1612/2000), FD 3°; STS 1172/2003, 12. Dezember 2003 (n° ROJ: STS 8040/2003), FD 2°.). Dies ist beispielsweise denkbar, wenn das Gericht die Beschränkungen des summarischen Verfahrens nicht einhält, das Vorbringen der Parteien ohne Einschränkungen zulässt und die jeweilige Frage vollumfänglich überprüft (Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 567 s.).

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sei der darin geltend gemachte Anspruch von gänzlich anderer Art als ein entsprechender Anspruch im ordentlichen Verfahren, so dass selbst bei an sich bestehender Identität des Antrags und der zugrunde liegenden Tatsachen und Rechtsgründe eine Abweichung des Streitgegenstandes anzunehmen sei. 384 Wird eine Rechtskraftfähigkeit der in summarischen Verfahren ergehenden Entscheidungen nicht generell verneint, eröffnet sich die Möglichkeit, bei der Beurteilung der Verbindlichkeit der im summarischen Verfahren erlassenen Entscheidung mit einem Teil der Literatur zwischen dem Fall, dass spätere erneut ein summarisches Verfahren eingeleitet wird, und dem Fall eines späteren ordentlichen Verfahrens zu differenzieren. Den im summarischen Verfahren ergangenen Entscheidungen kann dann eine auf den summarischen Verfahrensgegenstand beschränkte cosa juzgada material zugeschrieben werden.385 Eine solche beschränkte cosa juzgada steht nach dieser Ansicht zwar einem späteren summarischen Verfahren mit identischem Gegenstand entgegen, nicht aber einem nachfolgenden ordentlichen Verfahren.386 Die Zielsetzung der cosa juzgada, eine unnötige Wiederholung identischer Verfahren zu vermeiden und widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern, greife auch bei Entscheidungen, die in summarischen Verfahren ergingen. 387 Die Vertreter dieser Ansicht beziehen die gesetzliche Versagung der cosa juzgada material in der LEC allein auf eine Wirkung in späteren procesos plenarios, eine Aussage zur Wirkung in einem späteren summarischen Verfahren sei darin nicht enthalten. 388 Im Hinblick auf die heutige Regelung des Art. 447.2 LEC stößt diese Lesart jedoch auf Bedenken, insbesondere wenn man den heutigen Gesetzestext mit den Normen der LEC 1881 vergleicht. Die Regelungen der LEC 1881 beschränkten sich entweder auf die Feststellung der fortbestehenden Klagemöglichkeit in späteren ordentlichen Verfahren oder ergänzten die Versagung der 384 So de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 131, p. 146 und n° 133, p. 148; Ramos Méndez, Derecho procesal civil II, p. 773. Dagegen geht Calaza López von einer grundsätzlichen Identität des Streitgegenstandes bei identischem petitum aus, jedoch sei es denkbar, dass das im summarischen Verfahren ausgeschlossene Tatsachen- und Rechtsvorbringe so erheblich ist, dass im Einzelfall von einer Änderung der causa petendi auszugehen sei (Calaza López, Cosa juzgada, p. 118). 385 Calaza López, Cosa juzgada, p. 117; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 653. 386 Calaza López, Cosa juzgada, p. 117; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347. Vgl. auch AAP Logroño 132/2004, 5. Oktober 2006 (n° ROJ: AAP LO 247/2004), FD 2° (zu Art. 447.3 LEC). Eine cosa juzgada material allein im Hinblick auf nachfolgende summarische Verfahren hielt (zumindest vor der Einführung der LEC 2000) auch der im Übrigen einer Anerkennung der cosa juzgada der in summarischen Verfahren ergehenden Entscheidungen kritisch gegenüberstehende Montero Aroca für denkbar (Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 93 s.). 387 Calaza López, Cosa juzgada, p. 119. 388 Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347.

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Wirkungen der cosa juzgada um eine Bezugnahme auf diese Möglichkeit. Dies ließ die Interpretation zu, dass sie die Frage der Verbindlichkeit summarischer Entscheidungen allein im Verhältnis zu nachfolgenden ordentlichen Verfahren regelten. Dagegen enthält die heutige Regelung in 447.2 LEC keine derartige Bezugnahme auf nachfolgende ordentliche Verfahren, sondern verneint die cosa juzgada material der summarischen Entscheidungen ganz pauschal. Auch die Gesetzesmotive zur LEC 2000 enthalten keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Ausschluss der cosa juzgada material nur im Hinblick auf spätere ordentliche Verfahren verstanden wissen wollte. Für eine teleologische Reduktion des Ausschlusses der cosa juzgada fehlt es folglich an einem Anknüpfungspunkt. Zahlreiche Autoren nehmen daher an, dass der Gesetzgeber der Annahme einer auch nur in späteren summarischen Verfahren wirkenden cosa juzgada durch die Regelung des Art. 447 LEC die Grundlage entzogen habe. 389 bb. Bindungswirkung im späteren „proceso plenario“ bzw. Präklusion des im summarischen Verfahren zulässigen Vorbringens Den Gedanken einer auf den Gegenstand des summarischen Verfahrens beschränkten cosa juzgada material wurde schon unter früherer Rechtslage in der Rechtsprechung und von Teilen der Literatur dahingehend weiterentwickelt, dass die beschränkte oder partielle cosa juzgada material in einem ordentlichen Verfahren eine erneute Verhandlung über all die Fragen ausschließe, die bereits im summarischen Verfahren Gegenstand einer vollumfänglichen Überprüfung waren oder hätten sein können.390 Der in der gegenständlichen Beschränkung der summarischen Verfahren liegende Grund für die Versagung der cosa juzgada material greife gerade nicht bei Fragen, welche nicht von den Beschränkungen des summarischen Verfahrens betroffen seien, zu denen also 389

So Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1891; Ortells Ramos, Diversidad de procesos, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 592 s.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 57. 390 STS 472/1967, 26. Juni 1967 (n° ROJ: STS 56/1967), Considerando 2; STS 625/1969, 21. November 1969 (n° ROJ: STS 1335/1969), Considerando 2; STS 854/1988, 14. November 1988 (n° ROJ: STS 7959/1988), FD 4°; STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 13537/1992), FD 2°, 3°; STS 1094/1992, 27. November 1992 (n° ROJ: STS 18024/1992), FD 4°; STS 213/1996, 23. März 1996 (n° ROJ: STS 7745/1992), FD 2°; STS 784/2005, 28.10.2005 (n° ROJ: STS 6603/2005), FD 4°; STS 686/2007, 14. Juni 2007 (n° ROJ: STS 4263/2007), FD 2°; STS 724/2007, 18. Juni 2007 (n° ROJ: STS 4285/2007), FD 2°; Calaza López, Cosa juzgada, p. 117 s.; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 515; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 293; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 180; Prieto Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1968, n° 334 C), p. 568; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil y compilaciones forales, t. XVI, vol. 2° (Art. 1214 -1253), p. 627, 652 s.

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bereits im summarischen Verfahren vollumfänglich vorgetragen werden konnte und die daher Gegenstand einer vollumfänglichen richterlichen Überprüfung sein konnten.391 Der auf die Vermeidung unnötiger Wiederholungen gerichteten Zielsetzung der cosa juzgada material entsprechend sollen die vollumfänglich geklärten Streitpunkte392 sowohl in einem nachfolgenden summarischen als auch in einem ordentlichen Verfahren einer erneuten gerichtlichen Überprüfung entzogen sein.393 Als Begründung hierfür wird die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada material 394 herangezogen, 395 eine im späteren

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Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 179. Die heutigen summarischen Verfahren sind nicht mehr durch Beschränkungen der zulässigen Beweismittel gekennzeichnet, so dass die Fragen, die zulässiger Gegenstand des Parteivorbringens sein können, einer umfassenden Beweisaufnahme und richterlichen Prüfung unterzogen werden können (hierauf hinweisend Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 161 ss.). Jedoch kann nur der Tatsachen- und Rechtsvortrag umfassend geprüft werden, der im summarischen Verfahren nicht ausgeschlossen ist. Die Bejahung einer im späteren ordent lichen Verfahren wirkenden Bindung an Fragen, die nicht Gegenstand des summarischen Verfahrens sein konnten, wäre mit den Verteidigungsrechten nach Art. 24 CE unvereinbar, vgl. STC 14/1992, 10. Februar 1992, BOE 1992, n° 54 (3. März 1992), Suplemento del TC – 5061, p. 29, 41 (FJ 10); Cordón Moreno, Comentario al Art. 447 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1888, 1890; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 38. Dagegen hält Nieva Fenoll die Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten für unmaßgeblich für die Frage der Zuerkennung der Wirkungen der cosa juzgada material (Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 163). 393 Calaza López, Cosa juzgada, p. 119; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 164; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 180. 394 Da der Klageantrag und die darin eingeforderte Rechtsfolge jedoch nicht unter sämtlichen Gesichtspunkten, sondern nur unter dem beschränkten Blickwinkel des summarischen Verfahrens überprüft werden (hierauf hinweisend de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 133, p. 148), ist ein umfassendes Vorbringen und eine entsprechende richterliche Prüfung allerdings nur im Hinblick auf gewisse (insbesondere die in Art. 444 LEC genannten) Einwendungen und Vorfragen möglich (eine Ausnahme bilden allerdings Besitzschutzklagen wegen Besitzstörung oder -entziehung , da hier Art. 444 LEC keine Beschränkungen der Einwendungen vorsieht). Bejaht man mit der heute überwiegenden Meinung eine Erstreckung der cosa juzgada auf die tragenden Entscheidungsgründe und erfasst damit auch Feststellungen zu vorgreiflichen Rechtsverhältnisses und Einwendungen (hierzu ausführlich unten F. IV.), lässt sich aber eine Präjudizialbindung hinsichtlich der im jeweiligen summarischen Verfahren umfassend beurteilten Einwendungen bejahen (Padura Ballesteros, die ein auf die cosa juzgada material gestütztes Abweichungsverbot im ordentlichen Verfahren bejaht, betont denn auch ausdrücklich, dass ihre Position auf der Annahme fußt, dass die cosa juzgada material auch gewisse tragende Entscheidungen zu Vorfragen erfasse (Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 181)). 395 STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 13537/1992), FD 2°, 3°; STS 784/2005, 28.10.2005 (n° ROJ: STS 6603/2005), FD 4° („efecto positivo de la cosa juzgada“); Calaza López, Cosa juzgada, p. 117 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 181. Eine Präjudizialität des Urteilsausspruchs summarischer Entscheidungen in späteren or392

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proceso plenario greifende Präklusion hinsichtlich des nicht geltend gemachten Vorbringens, das aber Gegenstand des summarischen Verfahrens hätte sein können, wird teilweise auf Art. 400 LEC gestützt. 396 Die meisten Autoren beschränken sich allerdings darauf, Erwägungen der Prozessökonomie und der Rechtssicherheit für ein solches Abweichungsverbot ins Feld zu führen, ohne ihre Position im Rahmen der Lehre von der cosa juzgada material genauer zu verorten.397 Die Bejahung einer beschränkten cosa juzgada material der summarischen Entscheidungen erscheint aber kaum vereinbar mit dem geltende Gesetzesrecht. Die LEC 2000 kennt eine beschränkte cosa juzgada, die sich allein auf die in einem Verfahren mit eingeschränkten Verfahrensgegenstand klärbaren Fragen bezieht, jedoch ist eine solche nur in der Spezialregelung des Art. 827.3 LEC für den Sonderfall des Wechselprozesses vorgesehen. In Art. 447 LEC wurde diese Lösung dagegen nicht aufgegriffen. 398 Der Gesetzgeber bringt damit die Figur einer beschränkten cosa juzgada material in einem Spezialverfahren zur Anwendung, formuliert aber gleichzeitig in Art. 447 LEC für den Regelfall der summarischen Verfahren einen allgemein gehaltenen Ausschluss der cosa juzgada material, so dass sich Art. 827.3 LEC kaum als Argument für eine gesetzgeberische Anerkennung der beschränkten cosa juzgada sämtlicher summarischer Entscheidungen heranziehen lässt. 399 Vielmehr legt das Nebeneinander dieser beiden Regelungen nahe, dass der Gesetzgeber gerade keinen Gleichlauf der Urteilswirkungen in den allgemeinen summarischen Verfahren und im Wechselprozess etablieren wollte. 400 Gerade durch die gesetzgeberische Anerkennung einer auf bestimmte Fragen beschränkten cosa juzgada im Sonderfall des Wechselprozesses wird deutlich, dass der allgemeine, ohne einschränkende Klarstellung formulierte Ausschluss der cosa juzgada der sum-

dentlichen Verfahren aufgrund der eigentümlichen Beschränkungen der summarischen Verfahren von vornherein ablehnend dagegen de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 132, p. 147. 396 So Calaza López, Cosa juzgada, p. 118. Allerdings setzt die Präklusion nach Art. 400 LEC Antragsidentität voraus (hierzu unten G. II. 2. d. cc. (2) (d)), welche aber wohl nur in wenigen Fällen gegeben sein wird, da der Antrag im ordentlichen Verfahren regelmäßig weiter gefasst ist als im beschränkten summarischen Verfahren. 397 So beispielsweise Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 162 ss.; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 515; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 293; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 347. 398 Hierauf hinweisend Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 564. 399 Zur Stützung ihrer These der beschränkten cosa juzgada material zieht Calaza López den Art. 827.3 LEC dennoch heran: Der Gesetzgeber mache darin deutlich, dass die Möglichkeit eines späteren ordentlichen Verfahrens nicht die Anerkennung einer beschränkten cosa juzgada ausschließe (Calaza López, Cosa juzgada, p. 120). 400 Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 564.

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marischen Entscheidungen in Art. 447.2 LEC eine Verbindlichkeit dieser Entscheidungen in nachfolgenden ordentlichen Verfahren in jeder Form verhindert.401 Weite Teile der Literatur lehnen dementsprechend den Ansatz einer im späteren ordentlichen Verfahren wirkenden beschränkten cosa juzgada material ab. 402 Die Rechtsprechung scheint sich durch die Einführung des Art. 447.2 LEC – soweit bislang absehbar – nicht zu einer Änderung ihrer Position veranlasst zu sehen: Nach Erlass der LEC 2000 sind bereits einige Entscheidungen des Tribunal Supremo ergangen, in denen die cosa juzgada material in summarischen Verfahren diskutiert wurde. Die Entscheidungen betrafen zwar überwiegend Fälle, welche noch nach altem Recht zu behandeln waren. Allerdings hat das oberste Gericht in diesen Entscheidungen keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der LEC 2000 geäußert und teilweise sogar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 447.2 LEC an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten.403 Auch die Audiencias Providenciales ziehen teilweise die alten Rechtsprechung zur beschränkten cosa juzgada material der in summarischen Verfahren ergehenden Sachurteile heran.404 Andere Entscheidungen nehmen die Einführung des Art. 447.2 LEC dagegen zum Anlass, eine cosa juzgada material der Sachentscheidungen aus summarischen Verfahren zu verneinen.405 Eine gänzlich eindeutige Aussage zur Fortentwicklung der Position der Rechtsprechung lässt sich damit derzeit noch nicht treffen. 401

So auch Ortells Ramos, Diversidad de procesos, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 564, 593; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 38. Obwohl de lege ferenda für eine cosa juzgada material der in summarischen Verfahren ergehenden Entscheidungen eintretend, geht Nieva Fenoll von einem klaren gesetzlichen Ausschluss der cosa juzgada material aus, Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 162, 164. 402 López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 442; Ortells Ramos, Diversidad de procesos, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 592 s.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 38, 57. 403 So z.B. in der Entscheidung STS 784/2005, 28.10.2005 (n° ROJ: STS 6603/2005), FD 4°: „El efecto positivo de la cosa juzgada actúa en el sentido de no poder decidir en proceso posterior la cuestión o tema litigioso de manera distinta o contraria a como fue resuelto en pleito contradictorio precedente, y aunque en los juicios de desahucio, dada su naturaleza sumaria, no se genera el efecto de cosa juzgada (como dice ahora el artículo 447.2 LEC ), cuando la cuestión litigiosa actual viene a coincidir con la que ya fue objeto de discusión entre las mismas partes, y la decisión adquirió firmeza, se ha de tener en cuenta la decisión.“ Ähnlich: STS 724/2007, 18. Juni 2007 (n° ROJ: STS 4285/2007), FD 2°. 404 SAP Barcelona 603/2013, 11. November 2013 (n° ROJ: SAP B 12568/2013), FD 4°; SAP 415/2013, 27. November 2013 (n° ROJ: SAP VI 670/2013), FD 2°. In der Regel wird ein Greifen der cosa juzgada im Ergebnis doch verneint, allerdings wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen der cosa juzgada material im konkreten Einzelfall, nicht wegen Ablehnung einer bechränkten cosa juzgada material. 405 SAP Las Palmas de Gran Canaria 89/2014, 5. März 2014 (n° ROJ: SAP GC 480/2014), FD 1° (mit der Unterscheidung zwischen der Entscheidung über die summarische Räumungsklage, welche vom Ausschluss der cosa juzgada material in Art. 447.2 LEC erfasst

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cc. Die Rechtsmissbrauchslösung de la Oliva Santos’ Einen eigenständigen Ansatz vertritt de la Oliva Santos. Dieser lehnt es zwar ab, den in summarischen Verfahren ergehenden Urteilen die Wirkungen der cosa juzgada material zuzusprechen, erkennt aber an, dass der wiederholten Führung von Prozessen über dieselben Fragen auch bei summarischen Verfahren gewisse Grenzen zu setzen sind. Eine Regulierung der unbegrenzten Verfahrenswiederholung will er über den Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit und des Verstoßes gegen den prozessualen guten Glauben (Art. 247 LEC) bewirken (bzw. das Rechtschutzinteresse verneinen). 406 Eine erneute gegenstandsidentische Klage im summarischen, aber auch im ordentlichen Verfahren ist nach seiner Ansicht wegen Rechtsmissbrauchs nach Art. 247.2 LEC zurückzuweisen.407 Der Ansatz de la Oliva Santos‘ ist zum einen mit der Regelung des Art. 447 LEC vereinbar und liefert zum anderen eine flexible Lösung für Fälle der Verfahrenswiederholung, insbesondere weil als Sanktion des Verstoßes gegen den guten Glauben im Einzelfall neben der Abweisung der Klage auch die Auferlegung eines Ordnungsgeldes (multa) nach Art. 247.3 LEC in Betracht kommt.408 dd. Zusammenfassung Getragen von dem Anliegen, auch hinsichtlich der Ergebnisse des summarischen Verfahrens eine gewisse Stabilität zu erzielen und aus Gründen der Prozessökonomie eine erneute Behandlung bereits vor Gericht diskutierter Fragen zu verhindern, hat sich in der spanischen Rechtskraftlehre das Konzept einer auf den summarischen Verfahrensgegenstand beschränkten cosa juzgada material entwickelt, an dem Teile der Literatur und wohl auch die Rechtsprechung auch nach Einführung der LEC 2000 festhalten. Zweifelhaft ist aber, ob diese Figur einer beschränkten oder teilweisen cosa juzgada material mit der gesetzgeberischen Entscheidung in Art. 447 LEC vereinbar ist. d. Entscheidungen im Wechselprozess und im Mahnverfahren aa. Der Wechselprozess („proceso cambiario“) Der Wechselprozess dient einer zügigen Durchsetzung von Forderungen aus Wechseln oder Schecks, welche im Wege einer verkürzten Klage (demanda sei, und der im Wege der Klagehäufung im selben Verfahren geltend gemachten Rückzahlungsklage, die nicht von Art. 447.2 LEC erfasst werde). 406 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 128, p. 141 s.; n° 136, p. 152 s. Dagegen ausdrücklich Calaza López (Cosa juzgada, p. 116) mit dem Argument, das adäquate Instrument zur Verhinderung der erneuten Beurteilung des bereits Entschiedenen sei die cosa juzgada material, nicht der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit. 407 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 128, p. 141 s.; n° 136, p. 152 s. 408 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 136, p. 153.

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sucinta) geltend gemacht werden.409 Bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen erlässt das Gericht einen Zahlungsbefehl (requerimiento de pago) und eine Pfändungsandrohung.410 Gegen den Zahlungsbefehl kann der Beklagte Widerspruch (oposición) einlegen, worüber das Gericht nach Fortführung des den Regeln des juicio verbal folgenden Verfahrens411 durch Urteil entscheidet. 412 Legt der Beklagte keinen Widerspruch ein, so lässt das Gericht die Vollstreckung aus dem Wechsel zu (despacho de ejecución), ohne die Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs zu überprüfen. 413 Die Rechtsnatur des Wechselprozesses ist umstritten. Wegen der Beschränkung des Angriffs- und Verteidigungsvorbringens 414 wird der Wechselprozess häufig als summarisches Verfahren eingeordnet, 415 teilweise aber auch wegen der Wirkung des Wechsels als Vollstreckungstitel als besonderes Vollstreckungsverfahren 416 bzw. wegen der strukturellen Ähnlichkeit zum Mahnverfahren als Mahnverfahren besonderer Art angesehen. 417 Vor Einführung der LEC 2000 wurde der Wechselprozess als Anwendungsfall des summarischen Vollstreckungsverfahrens aus außergerichtlichen Titeln (juicio ejecutivo) eingeordnet,418 weshalb die Rechtsprechung der nach Widerspruch ergehenden Sachentscheidung419 wie bei den übrigen summarischen Verfahren eine – auf die im Wechselprozess zulässigen Angriffs- und Verteidigungsmittel – beschränkte cosa juzgada material zusprach.420 Die Lösung 409

Art. 821.1 LEC. Art. 821.2 LEC. 411 Art. 826.1 LEC. Im Unterschied zum Mahnverfahren bewirkt der Einspruch damit nicht die Beendigung des Wechselprozesses und die Überleitung in das ordentliche Verfahren, vielmehr wird der Wechselprozess weitergeführt (de Miranda Vázquez, Comentario al Art. 824 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC – Vol. I (Arts. 517 al final), p. 1100, 1101; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 657 s.). 412 Art. 827 LEC. 413 Art. 825 LEC. 414 Vgl. Art. 824.2 LEC. 415 So SAP Madrid 423/2013, 17. Oktober 2013, (n° ROJ: SAP M 15424/2013), FD 1° (summarisches Spezialverfahren); Gimeno Sendra, Derecho procesal civil II, p. 189 („proceso declarativo y relativamente sumario“). 416 So Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 659. 417 So Bonet Navarro, Proceso monitorio cambiario, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, Cap. 39, p. 925, 926. 418 Art. 1429, 4° LEC 1881; vgl. auch Ramos Méndez, Derecho procesal civil II, p. 1138. 419 Unbestritten ist dagegen die fehlende Rechtskraftfähigkeit des Beschlusses über die Zulassung der Vollstreckung bei nicht eingelegtem Einspruch, da dieser Beschluss keine Entscheidung zur Sache enthält, sondern sich ohne Sachprüfung auf die Zulassung der Vollstreckung beschränkt, vgl. Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 835. 420 Ausdrücklich zum juicio ejecutivo cambiario: SAP Madrid, 7. September 1998 (n° de recurso: 296/1998; n° ROJ: SAP M 9398/1998), FD 2°; SAP Murcia 201/2002, 27. März 2002 (n° ROJ: SAP MU 1384/2002), FD 2°; SAP Badajoz 96/2002, 29. April 2002 (n° ROJ: 410

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war – wie insgesamt bei den summarischen Verfahren – umstritten, hat aber im Zuge der Zivilprozessrechtsreform Eingang in den Gesetzestext gefunden: Nach Art. 827.3 LEC kommt der Entscheidung über den Widerspruch im Wechselprozess die Wirkung der cosa juzgada hinsichtlich der Fragen zu, die im Wechselprozess vorgetragen und diskutiert werden konnten, während hinsichtlich der übrigen Fragen ein erneutes Verfahren geführt werden kann. 421 Die Figur der „beschränkten cosa juzgada material“ ist damit für den Bereich des Wechselprozesses nunmehr gesetzgeberisch anerkannt,422 was in der Literatur teils auf erhebliche Ablehnung gestoßen ist. 423 Der gesetzgeberischen Entscheidung wird insbesondere vorgeworfen, hier einen untechnischen Begriff der cosa juzgada einzuführen, der an sich ein gesondertes Abweichungsverbot beschreibe, das anderen Regeln folge als die cosa juzgada im traditionellen Sinne.424 bb. Das Mahnverfahren („proceso monitorio“) Von seiner Struktur her ähnelt der Wechselprozess dem erst durch die LEC 2000 eingeführten und in Art. 812 ff. LEC geregelten Mahnverfahren (proceso monitorio). Das Verfahren wird durch Antrag eingeleitet. 425 Nach Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Mahnverfahrens erlässt das Gericht einen Zahlungsbefehl (requerimiento de pago). 426 Legt der Antragsgegner gegen

SAP BA 424/2002), fallo. Zum juicio ejecutivo allgemein: STS 1086/2001, 26. November 2001 (n° ROJ: STS 9252/2001), FD 2° sowie die Fußnoten zum Abschnitt über die summarischen Verfahren. 421 Art. 827.3 LEC: „La sentencia firme dictada en juicio cambiario producirá efectos de cosa juzgada, respecto de las cuestiones que pudieron ser en él alegadas y d iscutidas, pudiéndose plantear las cuestiones restantes en el juicio correspondiente.“ 422 Die Rechtsprechung versteht den Art. 827.3 LEC denn auch lediglich als gesetzliche Übernahme der Rechtsprechung zum juicio ejecutivo cambiario, vgl. beispielsweise: SAP Girona 31/2003, 29. Januar 2003 (n° ROJ: SAP GI 116/2003), FD 1°: „Cuando el art. 827.3 LEC recoge que ‚La sentencia firme dictada en juicio cambiario producirá efectos de cosa juzgada, respecto de las cuestiones que pudieron ser en él alegadas y discutidas, pudiéndose plantear las cuestiones restantes en el juicio correspondiente‘, no hace sino recoger la anterior doctrina jurisprudencial sobre el particular, poniendo a su vez de manifiesto la existencia de cuestiones que escapan al ámbito de conocimiento de este tipo de procesos especiales.“ 423 Insbesondere de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 124, p. 134 s. 424 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 124, p. 134 s.: „El art. 827.3 LEC es el único precepto de esa Ley en que, según nuestro criterio, el concepto de cosa juzgada se utiliza en el sentido vulgar, no técnico, que ya criticamos, simplemente para afirmar una eficacio cierta de la sentencia [...]. Pero no es la eficacio de cosa juzgada, ni en su función negativa ni en su función positiva.“ 425 Art. 814 LEC. 426 Art. 815 LEC.

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den Zahlungsbefehl Widerspruch ein, so hat dies – anders als im Wechselprozess – die Überleitung in das ordentliche Erkenntnisverfahren zur Folge. 427 Dieses endet mit einem gewöhnlichen Sachurteil, dem deshalb ohne Weiteres die Wirkungen der cosa juzgada material zuzuerkennen sind.428 Legt der Antragsgegner dagegen nach Zustellung des Zahlungsbefehls keinen Widerspruch (oposición) ein, so verfügt der Richter das Ende des Mahnverfahrens. Die Verfügung wird dem Antragssteller zugestellt und auf dessen Antrag hin das Vollstreckungsverfahren eröffnet (despacho de ejecución).429 Der Zahlungsbefehl wirkt in diesem Fall als Vollstreckungstitel. 430 Hier stellt sich die Frage, ob der Zahlungsbefehl auch einer erneuten Einforderung des Anspruchs in einem späteren Verfahren entgegensteht. Die LEC gibt hierauf eine bejahende Antwort, ohne dabei aber auf das Institut der cosa juzgada Bezug zu nehmen: Nach Art. 816.2 LEC kann der Antragsteller in einem späteren ordentlichen Verfahren nicht nochmals die im Mahnverfahren eingeforderte Zahlung verlangen, zudem ist es dem Beklagten verwehrt, die Rückgewähr des aus dem Zahlungsbefehl Vollstreckten einzufordern.431 Trotz der fehlenden Bezugnahme auf das dahinterstehende Rechtsinstitut wird die Regelung überwiegend als Anerkennung der cosa juzgada material des Zahlungsbefehls verstanden.432 Während das Gesetz also der Entscheidung im Wechselprozess eine lediglich beschränkte cosa juzgada material zuerkennt, werden sowohl dem nicht angefochtenen Zahlungsbefehl und der Entscheidung nach erfolgtem Widerspruch dieselben Wirkungen der cosa juzgada material zuerkannt wie einem gewöhnlichen Leistungsurteil.

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Art. 818 LEC. Lediglich klarstellende Bedeutung hat daher Art. 818.1, I LEC: „Si el deudor presentare escrito de oposición dentro de plazo, el asunto se resolverá definitivamente en juicio que corresponda, teniendo la sentencia que se dicte fuerza de cosa juzgada.“ Vgl. auch Barona Vilar, ZZPInt 15 (2010), S. 127, 136; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil II, p. 196; Montero Aroca/u.a. – Gómez Colomer, Derecho jurisdiccional civil II, p. 822. 429 Art. 816 LEC. 430 Barona Vilar, ZZPInt 15 (2010), S. 127, 136; Montero Aroca/u.a. – Gómez Colomer, Derecho jurisdiccional civil II, p. 822. Konkretisierend (Vollstreckungstitel sei der Zahlungsbefehl nur in Verbindung mit der gerichtlich dokumentierten Feststellung der nicht erfolgten Zahlung oder Einlassung des Antragsgegners sowie des unterbliebenen Widerspruchs): Bonet Navarro, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, Cap. 38, p. 909, 914. 431 Art. 816.2, I LEC: „[...] pero el solicitante del proceso monitorio y el deudor ejecutado no podrán pretender ulteriormente en proceso ordinario la cantidad reclamada en el monitorio o la devolución de la que con la ejecución se obtuviere.“ 432 Barona Vilar, ZZPInt 15 (2010), S. 127, 136; Montero Aroca/u.a. – Gómez Colomer, Derecho jurisdiccional civil II, p. 822. 428

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e. Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes Wie auch in anderen Rechtsordnungen stellt sich schließlich die Frage nach der Rechtskraftfähigkeit der Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes (resoluciones oder medidas cautelares). Die medidas cautelares dienen der Sicherung der Effektivität eines zukünftigen Urteils im Hauptverfahren und der Vollstreckung aus diesem. 433 Aus diesem Grund setzt der Erlass einer medida cautelar eine Gefährdung der Rechtsdurchsetzung durch während der Dauer des Hauptverfahrens drohende Tatsachenänderungen oder Handlungen voraus (periculum in mora). 434 Der spanische einstweilige Rechtsschutz ist durch eine Reduzierung des Beweismaßes gekennzeichnet: Für den Erlass einer medida cautelar genügt der „Anschein des guten Rechts“ (apariencia de buen derecho, fumus boni iuris), so dass der Antragsgegner lediglich die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs seines Hauptsacheantrags glaubhaft machen (acreditar) muss. 435 Den medidas cautelares kommt im Verhältnis zum Hauptverfahren eine reine Hilfs- und Sicherungsfunktion zu,436 weshalb die Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes auch lediglich vorläufigen Charakters sein dürfen und zeitlich begrenzt sind.437 Aufgrund der Reduzierung des Beweismaßes und des vorläufigen Charakters der medidas cautelares wird eine Ausschluss- und Bindungswirkung im Sinne der cosa juzgada material hinsichtlich des Hauptanspruchs (pretensión principal) abgelehnt.438 Nach überwiegendem Verständnis stimmt der Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz nicht mit dem des Hauptverfahrens überein.439 Umstritten ist dagegen, ob die Wirkungen der cosa juzgada material zumindest in einem nachfolgenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes greifen können. 433 Fontestad Partalés, Las medidas cautelares, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 44, 539; Garberí Llobregat, Derecho prcoesal civil, p. 379; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 219. 434 Art. 728.1 LEC. Vgl. auch Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 225. 435 Art. 728.2 LECC. Vgl. auch Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 225 s. 436 Zur instrumentalidad im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren: Montero Aroca/u.a. – Barona Vilar, Derecho jurisdiccional civil II, p. 699; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 222 s. 437 Art. 726.2 LEC nennt als Kennzeichen der medidas cautelares ihren „zeitlich begrenzten, vorläufigen, bedingten und der Abänderung und Aufhebung unterworfenen Charakter” („Con el carácter temporal, provisional, condicionado y susceptible de modificación y alzamiento ...”). Die medidas cautelares werden nur bis zum Ende des Hauptverfahrens (bei abweisender Entscheidung im Hauptverfahren) bzw. bis zum Ablauf der Vollstreckbarkeitsfrist nach Art. 548 LEC (bei stattgebendem Urteil) aufrechterhalten, vgl. Art. 731.1 LEC. 438 STS 12/2000, 22. Januar 2000 (n° ROJ: STS 296/2000), FD 4°; Cálaza López, Cosa juzgada, p. 147 ss., 150 , 154 s.; Ormazábal Sánchez, Comentario al Art. 735 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC, p. 805, 806. 439 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 118, p. 126.

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In der Diskussion kommt den Regelungen in Art. 736, 743 LEC besondere Bedeutung zu. Gemäß Art 736.2 LEC kann ein abgewiesener Antrag auf Erlass einer medida cautelar erneut gestellt werden, wenn sich die zugrunde liegenden Umstände geändert haben.440 Zudem kann gemäß Art. 743 LEC die Abänderung einer stattgebenden Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes verlangt werden, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die zuvor nicht vorgebracht werden konnten.441 Die Bedeutung dieser Normen für die Rechtskraftfähigkeit wird dabei sehr unterschiedlich beurteilt. Die in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende Veränderlichkeit der medidas cautelares wird von Teilen der Literatur als Argument gegen eine Zuerkennung der Wirkungen der cosa juzgada material auch im Verhältnis zu nachfolgenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ins Feld geführt.442 Dem wird entgegengehalten, dass eine nachträgliche Veränderung der zugrunde liegenden Tatsachen bzw. die Entstehung neuer Tatsachen bei allen Entscheidungsarten zum Entfallen der cosa juzgada material führen könne, sofern nur die Veränderung nachträglich eintrete. 443 Statt die cosa juzgada material generell abzuerkennen, müsse Ansatzpunkt einer Ablehnung oder Zuerkennung der cosa juzgada material auch bei Entscheidungen über medidas cautelares immer die Frage der Identität des Streitgegenstandes sein. 444 Die in Art. 743 LEC vorgesehene Abänderung und die erneute Antragstellung nach Art. 736 LEC setzen eine Veränderung der Umstände voraus, durch welche sich die Beurteilung der Voraussetzungen für den Erlass einer medida cautelar445 und damit auch der Streitgegenstand ändere, so dass es an der für

440 Art. 736.2 LEC: „Aun denegada la petición de medidas cautelares, el actor podrá reproducir su solicitud si cambian las circunstancias existentes en el momento de la petición.“ 441 Art. 743.1 LEC: „Las medidas cautelares podrán ser modificadas alegando y probando hechos y circunstancias que no pudieron tenerse en cuenta al tiempo de su concesión o dentro del plazo para oponerse a ellas.“ Vgl. auch die sehr ähnliche Regelung des früheren Art. 1893.1 LEC 1881: „Las anteriores medidas podrán ser modificadas a petición de parte, basada en hechos posteriores, en el modo y forma previstos en el artículo 1.900, y quedarán sin efecto cuando termine el proceso.“ 442 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 118, p. 127; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 249; Ormazábal Sánchez, Comentario al Art. 736 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC, p. 807. 443 Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 97 ss. 444 Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 97 ss.; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 137. 445 Montero Aroca/u.a. – Barona Vilar, Derecho jurisdiccional civil II, p. 725.

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ein Greifen der cosa juzgada material notwendigen Identität des Streitgegenstandes fehle. 446 Liegt dagegen keine Veränderung der zugrunde liegenden Tatsachen vor 447 und wird dennoch ein identischer Antrag gestellt, so greift nach diesem Verständnis die cosa juzgada material in ihrer negativen Ausrichtung, da sowohl der Antrag als auch die causa petendi in diesem Fall identisch sind.448 Die in den Artikeln 736, 743 LEC vorgesehene Abänderung und erneute Antragsstellung steht der Anerkennung der cosa juzgada material danach nicht entgegen. Um eine unnötige Wiederholung von Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne Änderung der Tatsachengrundlage zu vermeiden, erkennen daher weite Teile der Literatur 449 und auch die Rechtsprechung (der Audiencias Provinciales) 450 den Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes die Wirkung der cosa juzgada material im Hinblick auf nachfolgende Anträge auf Erlass der medida cautelar zu.

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SAP Madrid 122/2014, 31. März 2014 (n° ROJ: SAP M 5611/2014), FJ 7° („Igualmente, confunde la apelante la eficacia de cosa juzgada del auto de medidas cautelares con la posibilidad de modificar o sustituir las medidas, vigente el proceso principal, siempre que se produzca un cambio de circunstancias. Pero sucede que, precisamente, ese cambio de circunstancias equivale a una alteración de la causa petendi de la medida cautelar, lo que excluye la apreciación de la cosa juzgada (art. 222 L.E.c).“); Montero Aroca/u.a. – Barona Vilar, Derecho jurisdiccional civil II, p. 719, 726; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494; Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 98. 447 Teilweise wird jedoch angenommen, Art. 736, 743 LEC ließen eine erneute Antragstellung bzw. eine Infragestellung der ergangenen Entscheidung auch dann zu, wenn allein neue Mittel der Glaubhaftmachung der bereits zuvor vorliegenden Tatsachen vorgetragen werden, so Ormazábal Sánchez, Comentario al Art. 736 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC, p. 807, 808 s. Hieraus schließen manche Autoren, dass die Rechtskraftfähigkeit der Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verneinen sei (Ormazábal Sánchez, Comentario al Art. 736 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC, p. 807 ss.; vgl. auch Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 98, Fußnote 33 (für den Fall des Art. 127, 6ª Ley 22/1987, 11. November 1987, de Propiedad Intelectual, der ausdrücklich die erneute Stellung des Antrags auf Erlass einer medida cautelar für den Fall der Erlangung neuer Beweismittel vorsah)), da nach den allgemeinen Regeln der cosa juzgada material und der damit verbundenen Präklusion eine allein auf neue Beweismittel gestützte erneute Antragstellung bzw. Infragestellung der Entscheidung nicht zulässig wäre (vgl. hierzu unten F. II. 3. c. cc. (3)). 448 Montero Aroca/u.a. – Barona Vilar, Derecho jurisdiccional civil II, p. 719, 726; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494; Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 98. 449 Montero Aroca/u.a. – Barona Vilar, Derecho jurisdiccional civil II, p. 719, 726; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional civil II, p. 494; Montero Aroca, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, 1995, p. 67, 98; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 137. 450 SAP Madrid 122/2014, 31. März 2014 (n° ROJ: SAP M 5611/2014), FJ 7° (mit besonderer Deutlichkeit); AAP Madrid 277/2009, 9. Dezember 2009 (n° ROJ AAP M

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Einen alternativen Ansatz auf Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots vertritt – wie auch bei den summarischen Verfahren – de la Oliva Santos. Zwar lehnt er es ab, den Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes die Wirkungen der cosa juzgada zuzuerkennen,451 jedoch könne ein erneuter Antrag nach abweisender Entscheidung im Einzelfall gemäß Art. 247 LEC wegen Rechtsmissbräuchlichkeit zurückgewiesen werden. 452 Wie bei den Entscheidungen in summarischen Verfahren soll also der flexiblere, auf den Einzelfall bezogene Maßstab des Rechtsmissbrauchs zur Anwendung kommen. Festzuhalten ist damit, dass eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich des Hauptsacheanspruchs keine Wirkungen entfaltet. Im Fall einer erneuten Stellung des identischen Antrags auf Erlass einer medida cautelar bei unveränderter Tatsachenlage wird eine erneute Durchführung des Verfahrens nach umstrittener, aber wohl überwiegender Ansicht für unzulässig erachtet, jedoch nicht zwingend auf Grund entgegenstehender cosa juzgada material, wie der Ansatz de la Oliva Santos‘ zeigt. 3. Zusammenfassung Die Frage, welchen Entscheidungen die cosa juzgada material zuzuerkennen ist, lässt sich im spanischen Recht nicht eindeutig beantworten. Selbst die teilweise formulierte Grundregel einer Beschränkung auf verfahrensbeendende Sachentscheidungen ist umstritten. Die Rechtskraftfähigkeit von Prozessentscheidungen wird aufgrund des heutigen Gesetzeswortlauts in der Literatur ganz überwiegend abgelehnt, wohingegen zumindest die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung eine Rechtskraftfähigkeit auch heute noch zu bejahen scheint. Insgesamt vertritt die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit eine eher extensive Haltung und spricht sich insbesondere bei Entscheidungen in summarischen Verfahren und bei Entscheidungen des einsweiligen Rechtsschutzes für eine beschränkte cosa juzgada material aus. F. Die rechtskraftfähigen Elemente der Entscheidung Eine von der streitgegenstandsbezogenen Bestimmung der objektiven Reichweite der cosa juzgada material klar getrennte Betrachtung der rechtskraftfähigen Entscheidungselemente findet sich in der spanischen Literatur weniger häufig als in französischen Abhandlungen zur autorité de la chose jugée. Dennoch haben sich die Rechtsprechung und die Literatur auch in Spanien seit jeher auch mit der Frage beschäftigt, aus welchen Elementen der Entscheidung 17153/2009), RJ 5°; SAP Santa Cruz de Tenerife 106/2006, 24. Juli 2006 (n° ROJ: AAP TF 2097/2006), FD 3°. 451 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 118, p. 126 ss. 452 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 118, p. 126 s.

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sich das Entschiedene, lo juzgado, an das die cosa juzgada material anknüpft, ergibt. Bevor diese Frage aber eingehender untersucht wird, ist kurz auf den Aufbau spanischer Urteile einzugehen. I. Der Aufbau spanischer Urteile und der Inhalt des Tenors Der Aufbau spanischer Urteile folgt einer klaren, gesetzlich vorgegebenen Struktur:453 Nach einem Urteilskopf (encabezamiento), der in knapper Form die grundlegenden Informationen zu den Parteien und ihren Prozessvertretern, zum Gegenstand des Rechtstreits sowie zur Besetzung des Gerichtes enthält, werden in den sog. antecedentes de hecho zunächst die Anträge der Parteien, ihr Tatsachen- und Beweisvortrag sowie die Prozessgeschichte dargestellt. Dem folgt in den sog. fundamentos de derecho 454 die Darstellung des festgestellten Sachverhalts sowie dessen rechtliche Würdigung. Der Tenor, als parte dispositiva oder fallo455 bezeichnet, steht nicht am Anfang der Entscheidung, sondern als abschließender Subsumtionsschluss am Ende des Urteils. Gemäß Art. 209, 4ª LEC enthält die parte dispositiva einen (abweisenden oder stattgebenden) Urteilsspruch zu jedem einzelnen der von den Parteien geltend gemachten (prozessualen) Ansprüche (pretensiones) sowie eine Kostenentscheidung. 456 Wie der Tenor deutscher Urteile ist auch der fallo durch die Verwendung bestimmter Urteilsformeln geprägt und inhaltlich auf das Wesentliche reduziert. Im Fall der Abweisung spricht das Gericht im fallo daher allein die Abweisung der Klage (desestimación de la demanda) aus, ohne hierfür einen Grund zu nennen.457 Die parte dispositiva der stattgebenden Entscheidung 453

Vgl. die detaillierte Beschreibung der Entscheidungsabschnitte in Art. 209 LEC (nach früherem Recht: in Art. 372 LEC 1881; Art. 248.3 Ley Orgánica 6/1985, de 1 de julio, del Poder Judicial (LOPJ)). 454 Unter Geltung des LEC 1881 wurden die antecedentes de hecho als resultando und die fundamentos de derecho als considerando bezeichnet (vgl. Art. 372, 2°, 3° LEC 1881), ohne dass aber mit der abweichenden Bezeichnung inhaltliche Unterschiede verbunden waren. 455 Der Begriff fallo rührt von einer Substantivierung der Formel “ich entscheide“ („fallo“) bzw. „wir entscheiden“ („fallamos“), mit denen in spanischen Urteile der parte dispositiva eingeleitet wird, her. Vgl. auch de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 187, p. 213. 456 Art. 209, 4.ª LEC: „El fallo [...] contendrá, numerados, los pronunciamientos correspondientes a las pretensiones de las partes, aunque la estimación o desestimación de todas o algunas de dichas pretensiones pudiera deducirse de los fundamentos jurídicos, así como el pronunciamiento sobre las costas.“ 457 Vgl. das der Entscheidung Sentencia del Juzgado de Primera Instancia (SJPI) de Ponferrada (sec. 6) 134/2014 1. September 2014 (n° de recurso 501/2013, n° ROJ: SJPI 86/2014) entnommene Tenorierungsbeispiel: „FALLO que DESESTIMANDO ÍNTEGRAMENTE la demanda promovida por [...], en representación de D. [...], contra la entidad [...] S.A., DEBO ABSOLVER Y ABSUELVO a la demandada de las pretensiones ejercitadas en su contra en la citada demanda, con expresa imposición de costas a la parte actora.“

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enthält nach der ausdrücklichen Stattgabe (estimación) die Verurteilung des Beklagten zur jeweiligen Leistung bzw. die jeweilige Feststellung. 458 Im Regelfall ist die parte dispositiva spanischer Entscheidungen damit auf den Rechtsfolgenausspruch, also auf die beantragte Feststellung bzw. die Verurteilung zur Leistung begrenzt und ähnelt darin stärker dem Tenor deutscher Urteile als dem inhaltlich weniger klar festgelegten und häufig auch Feststellungen zu Vorfragen enthaltenden dispositif französischer Entscheidungen. II. Der Ausgangspunkt: Der Urteilsspruch über die (prozessualen) Ansprüche im „fallo“ als Gegenstand der „cosa juzgada material“ Art. 1252 C.C. knüpfte die Wirkungen der cosa juzgada material recht unscharf an den „durch das Urteil entschiedenen Fall“ (el caso resuelto por la sentencia), während sich die cosa juzgada material nach der heutigen Regelung des Art. 222.2 LEC auf die in der Klage und Widerklage geltend gemachten prozessualen Ansprüche (sowie die in Art. 408.1 LEC und Art. 408.2 LEC genannten Einwendungen der Aufrechnung und der Nichtigkeit des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses) erstreckt. Die Frage, in welchem Abschnitt des Urteils die Entscheidung über den „Fall“ bzw. die prozessualen Ansprüche zu ergehen hat, wird hiermit jedoch nicht beantwortet, vielmehr ergab und ergibt sich die Antwort hierauf aus den Regelungen der Ley de Enjuiciamiento Civil zum Urteilsaufbau und -inhalt. 1. Verortung des Urteilsspruchs zu den Ansprüchen der Parteien im „fallo“ Der stattgebende oder abweisende Urteilsspruch zu den geltend gemachten Ansprüchen ergeht gemäß Art. 209, 4ª LEC im fallo.459 Prägend für die Verortung der Entscheidung über die Sachanträge im fallo ist das in Art. 218 LEC verankerte Gebot der erschöpfenden Entscheidung (exhaustividad), wonach das Urteil einen Ausspruch zu sämtlichen Fragen enthalten muss, die Gegenstand des

458 Vgl. das der Entscheidung SJPI de Barcelona (sec. 41) 50/2014, 27. März 2014 (n° de recurso: 128/2013; n° ROJ: SJPI 34/2014) entnommene Tenorierungsbeispiel: „FALLO que estimando totalmente la demanda interpuesta por Don [...], representado por el Procurador Sr. [...], contra [...], representada por el Procurador Sr. [...], debo condenar y condeno a la parte demandada a indemnizar a la parte demandante con 61.820,41 euros de principal más los intereses del art 20LCS desde el 5–10–2011 y hasta el total pago, así como al pago de las costas causadas en esta instancia.“ 459 Unter Geltung der LEC 1881 ergab sich dies aus dem Zusammenspiel der Artikel 359 und 372, 4° LEC 1881: Gemäß Art. 359 LEC 1881 hatte das Urteil alle durch die „Klagen und Ansprüche“ (demandas y pretensiones) veranlassten Urteilssprüche zu beinhalten. Art. 372, 4° LEC 1881 bestimmte, dass die in Art. 359 LEC 1881 vorgesehenen Urteilssprüche im fallo zu ergehen hatten.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Rechtsstreits waren. 460 Ob der Grundsatz der erschöpfenden Entscheidung im Hinblick auf die Anträge der Parteien eingehalten wurde, ist nach Ansicht der Literatur auf Grundlage eines Vergleichs mit dem fallo zu beurteilen.461 Es bedarf danach auch dann eines ausdrücklichen, abweisenden Ausspruchs im fallo, wenn sich die Abweisung eines der gestellten Sachanträge eindeutig aus den Entscheidungsgründen ergibt.462 Die Rechtsprechung geht im Grundansatz ebenfalls davon aus, dass die Beurteilung der erschöpfenden Behandlung der Parteianträge durch einen Vergleich mit dem fallo zu erfolgen hat.463 2. Der Urteilsspruch im „fallo“ und die „cosa juzgada material“ Bestimmt das spanische Prozessrecht damit die in den Prozess eingeführten Ansprüche zum Gegenstand der cosa juzgada und sieht es gleichzeitig eine erschöpfende Behandlung dieser Ansprüche im fallo vor, so liegt es nahe, die Wirkungen der cosa juzgada auf den Rechtsfolgenausspruch im fallo zu beschränken. Dies entsprach auch dem traditionellen Ansatz des spanischen Rechts: Die Rechtsprechung verortete den Gegenstand der cosa juzgada lange

460 Art. 218.1, 2 LEC: „Harán las declaraciones que [las pretensiones de las partes] exijan, condenando o absolviendo al demandado y decidiendo todos los puntos litigiosos que hayan sido objeto del debate.“ Art. 218.3 LEC: „Cuando los puntos objeto del litigio hayan sido varios, el tribunal hará con la debida separación el pronunciamiento correspondiente a cada uno de ellos.“ (fast wortgleich die Vorgängerregelung des Art. 359.1 und 2 LEC 1881). Insbesondere die Rechtsprechung behandelt dieses Erfordernis als Ausprägung des Gebotes der Kongruenz von Klage und Urteil und nimmt daher bei einer die Sachanträge der Parteien nicht erschöpfend behandelnden Entscheidung eine Inkongruenz durch Auslassung (incongruencia omisiva) an (STS 156/1996, 5. März 1996 (n° ROJ: STS 7974/1996), FD 1°; STS 842/2010, 22. Dezember 2010 (n° ROJ: STS 7767/2010), FD 34°, 35°; STS 600/2013, 14. Oktober 2013 (n° ROJ: STS 4951/2013), FD 2°); dagegen die Literatur, vgl. nur Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 551; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 384; Tapia Fernández, Comentario al Art. 218 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1073, 1074. 461 Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 553; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 218 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 245, 259. 462 López-Fragoso Álvarez/Reverón Palenzuela, Comentario a los Arts. 206–213 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 3, 33. 463 STS 942/1999, 16. November 1999 (n° ROJ: STS 7251/1999), FD 1°; STS 874/2010, 29. Dezember 2010 (n° ROJ: STS 7709/2010), FD 3° A) („para determinar si una sentencia es incongruente se ha de acudir necesariamente al examen comparativo de lo postulado en el suplico de la demanda y los términos en que se expresa el fallo combatido“) . Eine (vollumfänglich) abweisende Entscheidung kann nach der Rechtsprechung nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der erschöpfenden Entscheidung angegriffen werden, da in der Abweisung eine Entscheidung zu sämtlichen aufgeworfenen Fragen liege (z.B. STS 600/2013, 14. Oktober 2013 (n° ROJ: STS 4951/2013), FD 2°; STS 874/2010, 29. Dezember 2010 (n° ROJ: STS 7709/2010), FD 3° A)).

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Zeit allein im Rechtsfolgenausspruch im fallo, während sie die dem fallo zugrunde liegende Begründung ausdrücklich von den Wirkungen der cosa juzgada ausnahm.464 Die cosa juzgada sei „die Wirkung eines richterlichen Urteilsspruchs und nicht die einer Argumentation“. 465 Auch die spanische Literatur ging bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts mehrheitlich von einer Beschränkung der Wirkungen der cosa juzgada auf den Urteilsspruch im fallo aus; Elemente der Urteilsbegründung in Form der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen sollten nicht an der cosa juzgada teilhaben.466 Hierin spiegelte sich das römisch-rechtliche Vorbild wieder, wie es auch in einzelnen Normierungen der Siete Partidas, welche die dem abschließenden Urteilsspruch vorgelagerten Entscheidungen von der fuerça de iuyzio ausnahmen, frühe gesetzliche Ausformung gefunden hatte.467 Dieser historisch vorgezeichneten Linie blieb die spanische Rechtskraftlehre auch im 20. Jahrhundert unter dem prägenden Einfluss der Chiovendas und dessen Lehre eines die Urteilsbegründung weitgehend ausklammernden Gegenstandes der Rechtskraft468 lange Zeit treu.469 Trotz der Hervorhebung des fallo als Gegenstand der cosa juzgada fand jedoch auch Berücksichtigung, dass die parte dispositiva letztlich nur den gedanklichen Schlusspunkt eines Entscheidungsvorgangs enthält und die dahinterstehenden tatsächliche Feststellungen und rechtlichen Grundlagen im Regelfall nicht erkennen lässt. Insbesondere bei abweisenden Entscheidungen und bei der Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Summe wird der Ge-

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STS 236/1984, 10. April 1984 (n° ROJ: STS 74/1984), Considerando 1; STS 241/1990, 6. April 1990 (n° ROJ: STS 10635/1990), FD 1°; STS 450/1990, 12. Juli 1990 (n° ROJ: STS 11140/1990), FD 2°; STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 2. 465 STS 236/1984, 10. April 1984 (n° ROJ: STS 74/1984), Considerando 1: „CONSIDERANDO que sólo el fallo o parte dispositiva de la sentencia, en cuanto declara la existencia o inexistencia de un derecho o relación jurídica, pasa en autoridad de cosa juzgada a otro proceso posterior, por lo que son ajenos a dicho instituto tanto las premisas fácticas deducidas por el Juzgador tras la correspondiente valoración de la prueba practicada, como los razonamientos jurídicos o motivaciones utilizados para fundamentar su conclusión decisoria, por ser la cosa juzgada, como se dice por la doctrina, el efecto de un pronunciamiento judicial y no de un razonamiento [...]“ (Hervorhebung der Verfasserin). 466 Gomez de Liaño González, El proceso civil, n° 98, p. 216; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 562; Jiménez Asenjo, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1948, n° 184, p. 63, 69 (n° 6); Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 181, p. 207; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 672. 467 Partida III, Tit. XXII, Ley XXII: „Non ha fuerça de iuyzio toda palabra o mandamiento que el iuez faga en los pleitos.“ Vgl. hierzu Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 178. 468 Chiovenda, Istitutioni di diritto processuale civile I, § 16 n° 122 ss., p. 322 ss. 469 Vgl. Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 187 ss., 190 ss.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

genstand der Entscheidung allein aus dem Urteilsspruch im fallo kaum erkennbar, weshalb sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur anerkannt war, dass die Entscheidungsgründe zur Auslegung des parte dispositiva herangezogen werden können.470 Sollten damit ursprünglich die Wirkungen der cosa juzgada material an die parte dispositiva geknüpft sein, während die Entscheidungsgründe lediglich zur Auslegung des fallo heranzuziehen sein sollten, so wurden diese Grundsätze seit den Achtzigerjahren zunehmend relativiert. III. Die sog. impliziten Urteilssprüche („pronunciamientos implícitas“) Die traditionelle Ansicht, wonach die Wirkungen der cosa juzgada dem Urteilsspruch im fallo, jedoch nicht den Entscheidungsgründen zukommen sollte, knüpfte – wie bereits dargestellt – an dem Verständnis des fallo als zentralen Standort der Entscheidung über die prozessualen Ansprüche an. Dieser Grundsatz einer im fallo konzentrierten Entscheidung über die Sachanträge der Parteien hat jedoch seit den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts eine gewisse Relativierung durch die Rechtsprechung zum impliziten oder stillschweigenden Urteilsspruch erfahren: Unter Rückgriff auf die Figur eines impliziten Urteilsspruchs (pronunciamiento implícita) bzw. einer stillschweigenden Abweisung (desestimación tácita) bejaht die Rechtsprechung seither eine erschöpfende Entscheidung auch dann, wenn zwar der fallo zu einem bestimmten Sachantrag (oder einem bestimmten Verteidigungsvorbringen) keinen Ausspruch enthält, sich die entsprechende Entscheidung aber eindeutig aus den Entscheidungsgründen ergibt. 471 In diesem Fall wird die Lücke im fallo im Lichte der ausdrücklichen Feststellungen in den Entscheidungsgründen als impliziter Urteilsspruch ausgelegt. Die Fälle, in denen die Figur des stillschweigenden Ausspruchs dazu herangezogen wurde, eine erschöpfende Behandlung der Sachanträge zu begründen, blieben allerdings relativ selten. 472 Eine ausdrückliche Stellungnahme zur

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STS 710/1965, 30. Oktober 1965 (n° ROJ: STS 213/1965), Considerando 2; STS 173/1980, 9. Mai 1980 (n° ROJ: STS 4759/1980), Considerando 2; STS 1094/1992, 27.11.1992 (n° ROJ: STS 18024/1992), FD 5°; STS 1191/1993, 15.12.1993 (n° ROJ: STS 17836/1993), FD 3°; Calaza López, Cosa juzgada, p. 204; de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37bis (p. 184); López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 356; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo, Comentarios al CC, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 657. 471 STS 636/1989, 20. September 1989 (n° ROJ: STS 4734/1989), FD 2° (implizit abgewiesener Antrag auf Vertragsaufhebung wegen entsprechender Ausführungen in den Entscheidungsgründen). 472 Deutlich häufiger zur Anwendung kommt die Figur, um eine umfassende Behandlung der Einwendungen des Beklagten zu bejahen (STS 266/1984, 27. April 1984 (n° ROJ: STS

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Frage, ob diesen impliziten Urteilssprüchen zu nicht im fallo behandelten Sachanträgen die Wirkungen der cosa juzgada zuzubilligen sind, findet sich in der Rechtsprechung daher nicht. Dennoch liegt es nahe, auch in diesem Fall die cosa juzgada zu bejahen. Denn wenn die Rechtsprechung in Fällen, in denen lediglich in den Entscheidungsgründen eine ausdrückliche Entscheidung zu einem der Sachanträge enthalten ist, eine hierdurch implizierte Entscheidung im fallo konstruiert, so wäre es nur folgerichtig, dieser – wenn auch nur impliziten – Entscheidung im fallo entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, wonach die cosa juzgada sich auf die im fallo enthaltenen Urteilssprüche über die prozessualen Ansprüche der Parteien erstreckt, die Wirkungen der cosa juzgada zuzuschreiben. Insoweit bestünde dann eine gewisse Ähnlichkeit mit den französischen motifs décisoires, denen das französische Recht bis vor wenigen Jahren ebenfalls die autorité de la chose jugée zuerkannt hat. Es fällt jedoch schwer, die Rechtsprechung zu den impliziten Entscheidungen auf einen klaren dogmatischen Ansatz zurückzuführen. Dies liegt insbesondere daran, dass die Rechtsprechung unter dem Begriff der impliziten Entscheidung daneben auch die Frage der rechtskräftigen Entscheidung über Einwendungen des Beklagten behandelt und auch die Präklusion nicht gestellter Sachanträge, die in einem engen objektiven Zusammenhang zu den im ersten Verfahren gestellten Anträgen stehen, auf die Annahme einer impliziten Entscheidung im fallo stützt.473 Unter dem Schlagwort der impliziten Entscheidung werden daher verschiedene Fallgruppen behandelt, die sich nur schwerlich als Ausprägung einer einheitlichen Rechtsregel verstehen lassen. Die Literatur hat den Gedanken der impliziten Entscheidung teilweise aufgegriffen und eine mit den Wirkungen der cosa juzgada ausgestattete Entschei-

237/1984), Considerando 3°; STS 420/1984, 29. Juni 1984 (n° ROJ: STS 1263/1984), Considerando 3°; STS 39/1985, 23. Januar 1985 (n° ROJ: STS 1377/1985), Considerando 2°; STS 979/1989, 22. Dezember 1989 (n° ROJ: STS 7670/1989), FD 5° (die Bejahung einer Forderung im fallo beinhalte die stillschweigende Abweisung aller gegen das Bestehen der Forderung gerichteten Einwendungen und Einreden); STS 203/2002, 1. März 2003 (n° ROJ: STS 1409/2003), FD 2° (bei Sachentscheidung implizite Abweisung aller prozessualen Einwendungen)). Ausführlich zur cosa juzgada hinsichtlich nicht ausdrücklich zurückgewiesener Einwendungen F. IV. 2. b. bb. 473 So z.B. in der Entscheidung STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 1140/1991), FD 2° (über die beantragte Feststellung der Wirksamkeit des Mietvertrages sowie auf die Wiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung und Schadensersatz sei bereits implizit im ersten Verfahren entschieden worden, in dem der jetzige Beklagte auf Räumung wegen unterlassener Mietzinszahlung und Zahlung des noch ausstehenden Mietzinses geklagt hatte). Hierzu ausführlich unten G. II. 2. d.

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dung auch dann bejaht, wenn diese lediglich durch Feststellungen in den Entscheidungsgründen impliziert werde. 474 Eine dogmatisch klar umrissene Begründung für die Rechtskraftfähigkeit einer Entscheidung über einen nicht im fallo behandelten Sachantrag hat aber auch die Literatur nicht entwickelt. Der Reformgesetzgeber wollte der Praxis der pronunciamientos tácitos ausweislich der Gesetzesbegründung zur LEC 2000 ein Ende setzen und den fallo als Standort der Entscheidung über die Anträge der Parteien festigen. 475 Die Rechtsprechung hält jedoch auch nach Einführung der LEC 2000 an der Anerkennung impliziter Urteilssprüche zur Begründung einer erschöpfenden Entscheidung fest. 476 IV. Die der Entscheidung im „fallo“ vorgelagerten Fragen Wie auch in der französischen Rechtskraftdogmatik dient die grundsätzliche Anknüpfung der Wirkungen der cosa juzgada an den Urteilsausspruch im fallo

474 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 660 (wenn ein Antrag nicht Gegenstand der ausdrücklichen Entscheidung war, könne die Bejahung der cosa juzgada hinsichtlich des Antrags auf die Annahme einer impliziten Entscheidung gestützt werden). Für eine Bejahung der cosa juzgada bei impliziten Urteilssprüchen außerhalb des fallo auch de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37bis (p. 184). 475 Exposición de Motivos, BOE núm. 7, 8 de Enero de 2000, p. 575, 581: „... el precepto sobre forma y contenido de las sentencias aumenta la exigencia de cuidado en la parte dispositiva, disponiendo que en ésta se hagan todos los pronunciamientos correspondientes a las pretensiones de las partes sin permitir los pronunciamientos tácitos con frecuencia envueltos hasta ahora en los fundamentos jurídicos.“ Überwiegend wird auch angenommen, die Formulierung des Art. 209, 4ª LEC bringe ein solches Verbot der stillschweigenden Abweisung zum Ausdruck, siehe nur López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 218 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 245, 258 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 385 (zulässig sei die Annahme einer stillschweigenden Abweisung nur noch in den Fällen uneigentlicher Eventualklagehäufung (acumulación accesoria), wenn der Hauptantrag abgewiesen wird). Gänzlich eindeutig ist die Formulierung jedoch nicht, so dass teilweise sogar angenommen wird, der Gesetzgeber habe im Gegenteil durch Art. 209, 4ª LEC sicherstellen wollen, dass jeder strittige Punkt als stillschweigend entschieden angesehen werden könne (so Sánchez Pos, Comentario al Art. 209 LEC, in: Cordón Moreno/u.a. (coord.), Comentarios a la LEC, p. 1040, 1046). Mit der ausdrücklich in der Gesetzesbegründung formulierten gesetzgeberischen Intention ist ein solches Verständnis jedoch nur schwer vereinbar. 476 STS 178/2009, 12. März 2009 (n° ROJ: STS 1256/2009), FD 9° (stillschweigend abgewiesener Antrag auf Zinszahlung); STS 891/2011, 29. November 2011 (n° ROJ: STS 7975/2011), FD 3° (Abweisung eines (neben Anträgen auf Vermessung und Eingrenzung geltend gemachten) Antrags auf Feststellung der Eigentümerstellung an einem bestimmten Grundstücksabschnitt ergab sich nur aus den Entscheidungsgründen).

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in Spanien nur als Ausgangspunkt der Betrachtung, während zunehmend diskutiert wurde, ob auch die rechtlich-tatsächlichen Feststellungen,477 welche der Entscheidung über den beantragten Rechtsfolgenausspruch zwingend vorgelagert sind, von der cosa juzgada material erfasst werden. 1. Die Feststellungsklage hinsichtlich präjudizieller Rechtsverhältnisse: „Cosa juzgada material“ bei entsprechendem Parteiantrag Dabei war seit jeher anerkannt, dass die Parteien, insbesondere in Fällen, in denen aus einem bestimmten Rechtsverhältnis weitere Rechte abgeleitet werden können, ein erhebliches Interesse an einer verbindlichen Klärung präjudizieller Rechtsverhältnisse haben können. Anders als das französische Recht ermöglicht das spanische Recht478 es daher, die Existenz und Wirksamkeit vorgreiflicher Rechtsverhältnisse oder das Bestehen eines Haftungsgrundtatbestandes zum Gegenstand einer Feststellungsklage zu machen und diese mit einer Leistungsklage zu verbinden.479 Allerdings kann diese Klagehäufung gemäß Art. 401 LEC nur bis zur Klageerwiderung erfolgen, eine nachträgliche Erweiterung durch den Feststellungsantrag ist im spanischen Recht wegen des Verbots der nachträglichen Klageänderung nach Art. 412 LEC ausgeschlossen. Eine dem deutschen § 256 Abs. 2 ZPO vergleichbare Regelung einer Zwischenfeststellungsklage enthält weder die frühere, noch die heutige LEC. 480 Wird aber bis zur Klageerwiderung neben einem auf einem bestimmten Rechtsverhältnis aufbauenden Leistungsantrag auch ein Antrag auf Feststellung des Bestehens und der Wirksamkeit des jeweiligen Rechtsverhältnisses gestellt, 477

Wenn im Folgenden von Vorfragen/präjudiziellen Fragen gesprochen wird, so wird damit entsprechend der in der spanischen Diskussion verwendeten Terminologie die rechtlich-tatsächliche Einheit eines Subsumtionsschritts bezeichnet, vgl. López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 500 („conjunto fáctico y jurídico“). Zu den reinen Tatsachenfeststellungen s. im Anschluss unten F. IV. 3. 478 Auch wenn die Feststellungsklage in Spanien vor 2000 wie in Frankreich gesetzlich nicht geregelt war, war sie als Klageart auch vor Einführung der LEC 2000 anerkannt, vgl. ausführlich Guasp, Derecho procesal civil I, p. 219. 479 SAP Madrid, 15. Oktober 2001 (n° de recurso: 647/2000; n° ROJ: SAP M 14049/2001), FD 19°; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 174 s. Ähnlich auch Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 181, p. 207 (eine gesonderte Klage ermögliche die verbindliche Feststellung zu vorgreiflichen Fragen). 480 Zur alten Rechtslage: Ritter, ZZP 87 (1974), S. 138, 146 f. Der Begriff der „Zwischenfeststellungsklage“ (demanda de declaración incidental) wird in der spanischen Literatur und Rechtsprechung aber bisweilen ausdrücklich verwendet, vgl. SAP Madrid, 15. Oktober 2001 (n° de recurso: 647/2000; n° ROJ: SAP M 14049/2001), FD 19°; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 174. Den Begriff ebenfalls verwendend, aber die demanda de declaración incidental wegen Erstreckung der cosa juzgada auf entscheidungserhebliche Vorfragen für unnötig haltend: Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 129.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

enthält auch der fallo des stattgebenden Urteils neben der Verurteilung zur Leistung eine Feststellung zu dem Rechtsverhältnis oder Haftungsgrund.481 In diesem Fall ergibt sich die Erfassung der Entscheidung über das vorgreifliche Rechtsverhältnis von der cosa juzgada material problemlos auch bei Beschränkung der cosa juzgada auf den Ausspruch im fallo. Der Erfolg eines Feststellungsantrags setzt jedoch immer das Vorliegen eines legitimen Interesses (interés legítimo) voraus, welches nur gegeben ist, wenn das jeweilige Rechtsverhältnis zweifelhaft oder strittig ist, wenn also eine rechtliche Unsicherheit hinsichtlich der Frage besteht.482 Zudem muss der Gegenstand der beantragten Feststellung für sich genommen geeignet sein, weitere Rechtsfolgen nach sich zu ziehen.483 Somit bildet nicht jede tatsächliche oder rechtliche Vorfrage eines Anspruchs einen tauglichen Gegenstand einer solchen Feststellung, vielmehr bedarf es einer vorgreiflichen Frage, aus der sich weitere Rechtsfolgen ableiten lassen.484 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können die Parteien durch den 481

Häufig findet sich insbesondere die Kumulation einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vertragsverhältnisses und einer Klage auf Rückgewähr der auf Grundlage des Vertrages erbrachten Leistungen, vgl. statt vieler den Tenor in der Entscheidung SJPI de Alcalá de Henares (sec. 3) 91/2014, 22. Juli 2014 (n° de recurso 1438/2013, n° ROJ: SJPI 80/2014): „FALLO QUE DEBO ESTIMAR Y ESTIMO la demanda formulada por el procurador Sr. [...], en nombre y representación de [...] S.A., contra [...] S.A., y en consecuencia: DEBO DECLARAR Y DECLARO la nulidad de los contratos de adquisición de acciones de la demandada, y concretamente, de las 8.000, 2.666 y 26.400 acciones (total: 37.066), cuyos códigos cuenta de valores son [...]. DEBO CONDENAR Y CONDENO a la demandada a la restitución del importe invertido en la adquisición (138.997,00 Euros), siendo obligación de la actora la devolución de tos títulos y en su caso, de los rendimientos que hubiera podido percibir.“ (zu den entsprechenden Feststellungs- und Leistungsanträgen der Klägerin, vgl. Antecedentes de hecho 1°). Zur Kumulation einer Feststellung zur haftungsbegründenden Ehrverletzung mit dem Ausspruch über die Rechtsfolgen dieser Ehrverletzungen in Form von Unterlassung und Schadensersatz: SJPI de Valencia (sec. 12) 86/2014, 15. Mai 2014 (n° de recurso:106/2014, n° ROJ: SJPI 36/2014): „FALLO Estimando la demanda interpuesta por []…., DEBO DECLARAR Y DECLARO que la demandada [...] es autora de una INTROMISIÓN ILEGITIMA EN EL DERECHO FUNDAMENTAL AL HONOR del demandante, Sr. [...], a través de la creación, registro y difusión del dominio y la web "DIRECCION000"; y en consecuencia DEBO CONDENAR Y CONDENO a dicha demandada a estar y pasar por esta declaración y a SUPRIMIR y CESAR en la utilización de dicho dominio de forma directa o a través del enlace en su pagina de Facebook. [...] y finalmente. DEBO CONDENAR Y CONDENO a la demandada [...] a indemnizar al demandante en la cantidad de 30.000 euros.“ 482 STS 985/1994, 8. November 1994 (n° ROJ: STS 19335/1994), FD 6°; STS 667/1997, 18. Juli 1997 (n° ROJ: STS 5158/1997), FD 2°; Cordón Moreno, Comentario al Art. 5 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 99, 119 (II 4 B); Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 208; Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 59. 483 STS 722/2004, 6. Juli 2004 (n° ROJ: STS 4820/2004), FD 2°. 484 So war im der Entscheidung STS 722/2004, 6. Juli 2004 (n° ROJ: STS 4820/2004), FD 2° zugrunde liegenden Fall die Frage der Unwahrheit (falsedad) der ehrrührigen Behauptungen für sich genommen nicht geeignet, weitere Rechtsfolgen nach sich zu ziehen, auch

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Feststellungsantrag eine rechtskraftfähige Entscheidung über präjudizielle Rechtsverhältnisse bewirken. 2. „Cosa juzgada material“ hinsichtlich vorgelagerter Fragen auch ohne Antrag? Angesichts der Anerkennung der Feststellungsklage hinsichtlich präjudizieller Rechtsverhältnisse konzentriert sich die eigentliche Diskussion in Spanien auf die Frage, ob Feststellungen zu vorgelagerten Fragen auch unabhängig von einem durch entsprechenden Feststellungsantrag konkretisierten Parteiwillen von der cosa juzgada material erfasst sein können. Dabei wird in der Diskussion in der Regel zwischen logischen Vorfragen des klägerischen Anspruchs und Einwendungen des Beklagten differenziert. Im Folgenden soll daher dieser Unterscheidung gefolgt werden. a. Präjudizielle Vorfragen Bei der Beurteilung der Frage, ob die cosa juzgada präjudizielle Vorfragen485 auch dann erfasst, wenn eine entsprechende Feststellung nicht beantragt wurde, hat sich im spanischen Recht ein deutlicher Wandel vollzogen. Es war dabei

wenn sie notwendiger Bestandteil der Beurteilung des Vorliegens eines unberechtigten Eingriffs in die persönliche Ehre (intromisión ilegítima en el honor) war: „La mera declaración de falsedad no constituye una pretensión autónoma, sino únicamente un elemento de hecho del supuesto normativo de la intromisión ilegítima en el honor. Falta el interés legítimo, porque tal declaración aislada no permite sustentar ningún efecto jurídico, sin que quepa plantear en un proceso la existencia de uno de los elementos del supuesto de hecho de aplicación de la norma con el propósito o expectativa de su complemento en otro proceso posterior. Por lo tanto, sin perjuicio de admitir que el examen de la falsedad o veracidad de las expresiones de que se trata tiene una indudable trascendencia para resolver el asunto, no resulta procedente una declaración de falsedad con sustantividad propia respecto de la apreciación de la intromisión ilegítima, de tal modo que una eventual desestimación de ésta no permite que se reconozca aquella solicitud con carácter independiente, pues se integra en el todo de la pretensión y sigue su suerte.“ 485 Der Begriff der präjudiziellen Frage (cuestión prejudicial) wird in der LEC nur im Hinblick auf die Frage verwendet, wie in einem laufenden Verfahren Vorfragen zu behandeln sind, die bereits den Hauptsachegegenstand eines parallelen Zivilverfahrens bilden (Fall der sog. zivilrechtlichen homogenen Präjudizialität (prejudicialidad homogénea/ prejudicialidad civil), vgl. Art. 43 LEC) bzw. deren Beurteilung den Gerichten eines anderen Rechtswegs zugewiesen ist (sog. heterogene Präjudizialität (prejudicialidad heterogénea), Art. 40 ss. LEC), vgl. zum Ganzen Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, Lec. 8, p. 203 ss. In der Literatur und Rechtsprechung wird der Begriff der präjudiziellen Frage aber auch im Rahmen der Diskussion über die Erstreckung der cosa juzgada auf Vorfragen bzw. Begründungselemente verwendet, vgl. z.B. STS 798/1986, 30. Dezember 1986 (n° ROJ: STS 7476/1986), FD 2°; STS 771/2006, 21. Juli 2006 (n° ROJ: STS 6358/2006), FD 4°; Calaza López, Cosa juzgada, p. 93 s.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 171 ss.

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nicht die Einführung der LEC 2000, sondern vielmehr eine gewandelte Vorstellung vom richterlichen Entscheidungsgang, welche diesen Wandel herbeiführte. aa. Die Positionen in der Literatur (1) Die Entwicklung unter Geltung der LEC 1881 Wie bereits erwähnt, ging die spanische Literatur bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts mehrheitlich von einer Beschränkung der Wirkungen der cosa juzgada auf den Urteilsspruch im fallo aus. Elemente der Urteilsbegründung sollten nicht an der cosa juzgada teilhaben. 486 Dies sollte nach einer in der spanischen Literatur weit verbreiteten Auffassung auch für logisch zwingend zu entscheidende Vorfragen, insbesondere Feststellungen zur Existenz und Wirksamkeit vorgreiflicher Rechtsverhältnisse, gelten. 487 Einige Autoren, welche die cosa juzgada grundsätzlich als an den Ausspruch im fallo geknüpft verstanden, nahmen dagegen an, dass die Gründe, welche die logisch unverzichtbare Grundlage des Ausspruchs im fallo bildeten und ohne welche die Entscheidung nicht aufrecht erhalten werden könne, an den Wirkungen der cosa juzgada teilhaben müssten.488 Zunehmend stellten spanische Autoren den Grundsatz einer Beschränkung der cosa juzgada auf den parte dispositiva jedoch gänzlich in Frage: Ob eine bestimmte Feststellung von der cosa juzgada erfasst werde, lasse sich nicht allein anhand des formalen Standorts im fallo bestimmen. 489 Vielmehr dürfe für das Vorliegen eines zur cosa juzgada zu rechnenden Ausspruchs allein maßgeblich sein, ob die jeweilige Frage in der Verhandlung streitig diskutiert worden war und ob das Gericht tatsächlich eine Entscheidung zu der Frage erlassen hatte.490 Wie auch in Frankreich bemühten sich die Autoren aber um die Formulierung von Regeln, die eine uferlose Ausweitung der cosa juzgada 486

Gomez de Liaño González, El proceso civil, n° 98, p. 216; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 562; Jiménez Asenjo, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1948, n° 184, p. 63, 69 (n° 6); Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil (1989), n° 181, p. 207. 487 Guasp, Derecho procesal civil I, p. 562; Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil (1989), n° 181, p. 207. 488 Jiménez Asenjo, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1948, n° 184, p. 63, 69 s. (n° 6). 489 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37bis (p. 184). 490 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37bis (p. 183 s.); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios als C.C. – T. XVI, vol. 2°, p. 627, 659; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 194 (welche aber auch auf die in der italienischen Prozessualistik v.a. durch Satta entwickelte Unterscheidung zwischen Vorfragen im logischen und im technischen Sinne zurückgegreift).

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auf sämtliche auch nur beiläufige Feststellungen verhindern und das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren wahren sollten: Eine präjudizielle Frage könne nur dann von der cosa juzgada erfasst sein, wenn sie entscheidungserheblich sei sowie ausdrücklich von einer der Parteien aufgeworfen oder zumindest umfänglich zwischen den Parteien diskutiert worden sei. 491 Schließlich müsse sich aus dem Urteil ergeben, dass sich das Gericht tatsächlich und umfassend mit der Frage auseinandergesetzt und auf dieser Grundlage eine Entscheidung getroffen habe. 492 Teilweise wurde auch gefordert, dass die Prozessvoraussetzungen der Zuständigkeit, der Gerichtsbarkeit und der statthaften Verfahrensart auch im Hinblick auf die Entscheidung über die jeweilige Vorfrage erfüllt sein müssten.493 (2) Die heutige Literatur Wie die bereits vor Einführung der LEC 2000 zunehmend vertretene Ansicht knüpft die heute überwiegende Ansicht in der Literatur an den Gedanken an, Gegenstand der cosa juzgada müsse das tatsächlich Entschiedene (lo juzgado) sein, welches sich nicht allein aus dem Subsumtionsschluss im fallo ergebe.494 Nur eine Mindermeinung hält an der früheren strengen Begrenzung der Wirkungen auf den Urteilsspruch im fallo fest.495 Eine gewandelte Vorstellung vom Vorgang der richterlichen Entscheidung steht hinter dieser Entwicklung: Das Verständnis des Urteils als vom Weg der Entscheidungsfindung gelöste Willensäußerung des Staates, deren Wirkungskraft allein von der staatlichen Autorität des Richters, nicht aber von der logischen Begründung der Entscheidung abhänge, ist zunehmend in den Hintergrund getreten. 496 Die gerichtliche 491

De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37bis (p. 183 s.); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios al C.C. – T. XVI, vol. 2°, p. 627, 659; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 194. 492 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37bis (p. 183 s.); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios al C.C. – T. XVI, vol. 2°, p. 627, 659; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 194. 493 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios al C.C. – T. XVI, vol. 2°, p. 627, 659; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 194. 494 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 499 s.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 170 s. 495 So wohl nur Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 564 s. 496 Siehe nur de la Oliva Santos, der abstrakte Betrachtungen zur Natur des Urteils als Ausdruck des staatlichen Willens oder des Willens des Gesetzes als interessanten Gegenstand intellektueller Diskussion ansieht, für die Lösung praktischer rechtlicher Fragen aber allein die Betrachtung des tatsächlichen geistigen Vorgangs, der bei Erlass eines Urteils ab-

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Entscheidung wird heute vielmehr als einheitlicher intellektueller Vorgang verstanden, an welchem die auf dem Weg zum Ausspruch im Tenor vorzunehmende Beurteilung von Vorfragen ebenso teilhat wie die abschließende Rechtsfolgenfeststellung. 497 Die gerichtliche Beurteilung der Vorfragen, welche die unabdingbare Grundlage der Schlussfolgerung im fallo bilden, unterscheide sich in keiner Weise von dem abschließenden und im fallo enthaltenen Subsumtionsschluss. Die Annahme einer bloß logischen Behandlung dieser Vorfragen ohne tatsächliche richterliche Beurteilung beruhe vielmehr auf einer künstlichen Differenzierung, welche dem tatsächlichen Gang der Entscheidungsfindung nicht gerecht werde.498 Aufgrund der zunehmenden Bedeutung, die der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen und unnötiger Verfahrenswiederholung angesichts einer überlasteten Justiz beigemessen wird, wird eine strenge Begrenzung der cosa juzgada auf den Entscheidungssatz im fallo zudem als nicht mehr vertretbar angesehen. 499 (a) Die notwendige Verknüpfung der Vorfrage mit dem beantragten Rechtsfolgenausspruch Auch wenn die heutige Literatur die vormals klare Begrenzung der Wirkungen der cosa juzgada auf den Rechtsfolgenausspruch in der parte dispositiva nicht mehr aufrechterhält, wird hiermit keine uneingeschränkte Ausweitung der cosa juzgada auf sämtliche Elemente der Entscheidungsbegründung verbunden. Zwar sollen Widersprüche zwischen aufeinanderfolgenden Entscheidungen auch im Hinblick auf Begründungselemente möglichst ausgeschlossen werden, jedoch dürfen die Rechtsschutzsuchenden nicht jeglicher Kontrolle darüber beraubt werden, welche Rechtsfolgen sie in einem Verfahren zur Entscheidung stellen.500 Nur bestimmte Vorfragen sollen daher an der cosa juzgada teilhaben. Bei der Beurteilung der Frage, welche Vorfragen im Einzelnen erfasst werden,

laufe, als zielführend ansieht (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 188, p. 215). Teilweise wird die Vorstellung vom Urteil als hoheitliche Willensäußerung auch dahingehend modifiziert, dass der gesamte intellektuelle Entscheidungsweg, zu dem auch die tragenden Entscheidungsgründe gehörten, Ausdruck hoheitlichen Willens sei (so Calaza López, Cosa juzgada, p. 206). 497 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 500. 498 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 191, p. 214 ss., p. 218: „Resulta [...] un artificio ingenioso pero excesivo y, a fin de cuentas, infundado, pretender que [...] esos elementos básicos sólo han sido objeto de un tratamiento ‹meramenta lógioco›, sin actividad de enhuiciamiento.“ 499 So Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 178. 500 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 70. Vgl. auch Calaza López, Cosa juzgada, p. 91: „La verdadera razón de ser de la begación de la cosa juzgada material, predicable de las resoluciones que ventilan ceustiones prejudiciales ha de encontrarse [...] en el principio dispositivo que inspira al proceso civil español.“

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wird in der Literatur auf unterschiedliche Begrifflichkeiten und Ansätze zurückgegriffen, wobei sich aber zwei Grundlinien unterscheiden lassen, die zudem häufig zu ähnlichen Ergebnissen gelangen. Vielfach wird – wie in der französischen Lehre von den motifs décisifs und den décisions implicites – auf die logisch zwingende Verknüpfung der jeweiligen Frage mit dem beantragten Rechtsfolgenausspruch abgestellt. Von der cosa juzgada material erfasst sind danach die Vorfragen, welche die unerlässliche logische Grundlage der Entscheidung im fallo bildeten.501 Diese unumgänglichen Vorfragen habe der Richter zwingend zu durchdenken und zu entscheiden, um den abschließenden Rechtsfolgenausspruch treffen zu können. Dabei handele es sich nicht um ein lediglich beiläufiges Bedenken, vielmehr müsse der Richter eine tatsächliche richterliche Beurteilung (juicio) vornehmen.502 Aufgrund dieser zwingenden logischen Verknüpfung gehöre auch die unentbehrliche logische Grundlage zum tatsächlich Entschiedenen und werde daher von der cosa juzgada material erfasst.503 Auf Begründungselemente, welche die abschließende Schlussfolgerung zwar argumentativ stützen, deren Hinwegdenken dem Ausspruch im fallo aber nicht die Grundlage entzieht, soll sich die cosa juzgada dagegen nicht erstrecken.504 Andere nehmen an, dass die cosa juzgada die zur Entscheidung gestellte, als rechtlich-tatsächliche Einheit verstandene causa petendi erfassen müsse, so dass auch die dem beantragten Rechtsfolgenausspruch unmittelbar vorgelagerte Entscheidung über den Rechtsgrund des geltend gemachten Rechts mit den Wirkungen der cosa juzgada versehen sei.505 Nur Vorfragen, welche die causa petendi bilden, sind hiernach von der cosa juzgada erfasst. 506 501 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 216 („fundamento lógico insoslayable/ineludible“); ähnlich auch die auf die logische Verknüpfung abstellenden Definitionen bei: Calaza López, Cosa juzgada, p. 93 („manifiesta imposibilidad, para el Juez, de resolver la ‚cuestión principal‘ sin antes pronunciarse sobre la ‚prejudicial‘“); López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, p. 439, 444 („antecedente lógico“); Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 185 („pronunciamiento imprescindible“). 502 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 188, p. 215; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 69. 503 Calaza López, Cosa juzgada, p. 93; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 188 ss., p. 214 ss.; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 185 ss. 504 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 185. 505 Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 565; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 499 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 128 ss. 506 Einen Sonderweg geht Tapia Fernández, die auf die durch den italienischen Prozessrechtswissenschaftler Salvatore Satta (Satta, Accertamento incidentale, in: Calasso (dir.), Enciclopedia del diritto I (Ab-Ale), p. 243, 245) entwickelte Unterscheidung zwischen Präjudizialität im logischen und im technischen Sinne zurückgreift. Nur die präjudiziellen Vorfragen im logischen Sinne sind nach ihrer Ansicht von der cosa juzgada material erfasst, während die Entscheidung im Hinblick auf präjudizielle Vorfragen im technischen Sinne keine Bindung entfalten soll (Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 179). Bei der Definition

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Einigkeit herrscht zwischen den in den in der Literatur vertretenen Ansichten dahingehend, dass bei einem stattgebenden Leistungsurteil die Bejahung der Existenz des dem jeweiligen Anspruch zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses von der cosa juzgada erfasst ist (also beispielsweise das Bestehen eines Mietvertrages bei einem Verfahren über die Zahlung ausstehenden Mietzinses oder die Eigentümerstellung des Klägers bei einer Herausgabeklage). 507 Bei klageabweisenden Entscheidungen soll die cosa juzgada die Verneinung der Existenz des dem klägerischen Anspruch zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses oder Rechts erfassen.508 Die positive Funktion der cosa juzgada bewirkt danach eine Bindung an die Verneinung des Bestehens des Rechtsverhältnisses in Verfahren, in denen das Rechtsverhältnis wiederum nur eine Vorfrage darstellt.509 Unterschiedlich wird aber beispielsweise beurteilt, ob mit dem stattgebenden Leistungsurteil auch die Wirksamkeit (validez) des jeweiligen Rechtsverhältnisses bindend feststeht. Während dies teilweise ohne Weiteres der Präjudizialität im logischen und technischen Sinne setzt Tapia Fernández bei der Begriffsbestimmung Sattas an: Während die von der cosa juzgada material erfassten präjudiziellen Fragen im logischen Sinne mit dem Rechtsverhältnis gleichzusetzen seien, aus dem sich die eingeklagte Rechtsfolge ergibt, werden als präjudizielle Fragen im technischen Sinne die vom Beklagten eingeführten Fragen angesehen, die zwar geeignet sind, den beantragten Rechtsfolgenausspruch zu verhindern, die aber ein anderes Rechtsverhältnis betreffen als dasjenige, aus dem der Anspruch des Klägers unmittelbar hervorgeht ( Tapia Fernández, p. 177; vgl. Satta, Accertamento incidentale, p. 243, 245). Nach Tapía Fernández‘ Verständnis sind die präjudiziellen Fragen im logischen Sinne, die allein von der cosa juzgada erfasst werden, mit den anspruchsbegründenden Tatsachen gleichzusetzen, welche die causa petendi darstellen (Tapia Fernández, p. 177). Sie kommt damit zu einer Bestimmung der von der cosa juzgada erfassten Vorfragen, die auf den ersten Blick mit dem auf die Zugehörigkeit zur causa petendi abstellenden Ansatz übereinstimmt, im Ergebnis aber abweicht, weil Tapia Fernández von einem engeren Begriff der causa petendi ausgeht, der an der von Satta entwickelten Differenzierung ausrichtet ist (so soll beispielsweise die Eigenschaft als Erbe nicht zur causa petendi gehören, wenn der angebliche Erbe eine zum Nachlass gehörende Forderung einklagt) (Tapia Fernández, p. 177; vgl. Satta, Accertamento incidentale, p. 243, 245). Diesen Begriff der causa petendi ausdrücklich kritisierend: Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 125 („se trata de casos en los que el demandado niega lo que debió constituir la causa de pedir del actor.“). 507 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 216; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 177. 508 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 196, p. 223 s.; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 500. 509 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 196, p. 224. Nach de la Oliva Santos soll dies selbst dann geltend, wenn das Urteil des Erstverfahrens in seinen Gründen nicht ausdrücklich festgestellt hat, dass das Rechtsverhältnis nicht besteht (de la Oliva Santos, ebenda).

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bejaht wird, 510 sehen andere Autoren die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses nicht als Teil des vom Kläger anzuführenden und vom Gericht zwingend zu entscheidenden Rechtsgrundes an, vielmehr müsse die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses nur dann thematisiert werden, wenn der Beklagte diese in Frage stelle. 511 Da die Wirksamkeit daher nicht zwingend vor der Entscheidung über die Hauptsache zu klären sei, entstehe diesbezüglich nur dann eine Bindung, wenn der Beklagte Einwendungen gegen die Wirksamkeit erhebe. 512 Von erheblicher Bedeutung ist die Erstreckung der cosa juzgada material auf das Bestehen präjudizieller Rechtsverhältnisse insbesondere für die Beurteilung der Reichweite der cosa juzgada bei Teilklagen. Zwischen nicht individualisierten Teilbetragsklagen und individualisierten Teilklagen, bei denen wiederkehrend geschuldete Leistungen nur für einen bestimmten Teil des Gesamtzeitraums eingeklagt werden, wird insoweit nicht differenziert: Die wohl überwiegende Ansicht nimmt an, dass die Beurteilung des Bestehens der zugrunde liegenden Verbindlichkeit der Entscheidung über den Teilbetrag oder über die einzelnen Raten zwingend vorgelagert ist und daher von der cosa juzgada erfasst sei. 513 Ihr müsse daher im nachfolgenden Verfahren über den Restbetrag bzw. über weitere Raten oder Leistungen aus dem Dauerschuldverhältnis die Bindungswirkung der positiven Funktion der cosa juzgada material zukommen.514 Montero Aroca bejaht dagegen die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung des Bestehens der Verbindlichkeit in einem nachfolgenden Verfahren, ohne dies jedoch zu begründen. 515 Trotz gewisser Abweichungen im Einzelnen sind sich die Autoren darin einig, dass die Wirkungen der cosa juzgada material nicht auf den Rechtsfolgenausspruch im fallo beschränkt bleiben, sondern sich auch auf die tragende 510

De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 216 („existencia y validez“) (anders aber noch zu Beginn der Neunzigerjahre: de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37 (p. 183) (cosa juzgada nur, wenn der Beklagte ausdrücklich die Wirksamkeit besreitet); López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, 439, 444. 511 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 123 („la validez del contrato no será – ni tiene por qué ser – la causa petendi del actor, pues a éste le basta con alegar los hechos constitutivos“). 512 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 123, 132 ss. Da hierbei aber die Frage der Präklusion von Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Vertragsverhältnis berührt wird, soll hierauf nochmals im entsprechenden Abschnitt (s. unten G. II. 3. b. dd.) eingegangen werden. 513 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 233, p. 261; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357; Tapía Fernández, Cosa juzgada, p. 177, 179. Wohl auch Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 124, 126 ss. 514 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357. 515 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 501.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Begründung und damit insbesondere auf präjudizielle Rechtsverhältnisse erstrecken. Die Erstreckung der cosa juzgada über den fallo hinaus bleibt jedoch auf diese als unerlässliche logische Grundlage bzw. causa petendi bezeichnete Begründung beschränkt. Argumente, die lediglich der ergänzenden Begründung des Ergebnisses dienen, ohne das Erfordernis der Zugehörigkeit zur unerlässlichen logischen Grundlage bzw. zur causa petendi zu erfüllen, bleiben damit auch heute von der cosa juzgada ausgenommen. (b) Die formalen Anforderungen an die Entscheidung über die Vorfrage Neben dem materiellen Kriterium der Zugehörigkeit zur logischen Grundlage bzw. zur causa petendi wird aber auch durch formale Anforderungen versucht, der Ausweitung der cosa juzgada auf Begründungselemente Grenzen zu ziehen. Diesbezüglich divergieren die Ansichten allerding recht stark. Wie bereits in der älteren Literatur wird überwiegend gefordert, dass das Gericht nach den Regeln der Rechtswegzuständigkeit (jurisdicción) und Zuständigkeit (competencia) zur Entscheidung über die Vorfrage berechtigt sein müsse, dass die Verfahrensart auch für die Klärung der Vorfrage statthaft sein müsse (adecuación del procedimento) und die Vorfrage im Hinblick auf die Aktiv- und Passivlegitimation (legitimación) allein die Parteien betreffe. 516 Sehr unterschiedlich wird dagegen beurteilt, ob die Wirkungen der cosa juzgada nur dann greifen, wenn die jeweilige Vorfrage zwischen den Parteien streitig diskutiert wurde und das Gericht in den Entscheidungsgründen eine ausdrückliche Entscheidung zu der Frage getroffen hat. Dass das Prinzip der kontradiktorischen Verhandlung (contradicción) 517 zu wahren ist, wird dabei von allen Ansichten angenommen, unterschiedlich wird allerdings beurteilt, welche Anforderungen damit verknüpft sind: Teilweise wird verlangt, dass die jeweilige präjudizielle Frage Gegenstand einer tatsächlichen streitigen Diskussion zwischen den Parteien war (efectiva contradicción entre las partes). 518 Der Beklagte müsse also den Vortrag des Klägers zu der Frage bestritten haben und die Parteien deshalb hierzu streitig verhandelt haben. Andere weisen jedoch darauf hin, dass das Nichtbestreiten durch den Beklagten als implizites Anerkenntnis der rechtlich-tatsächlichen Grundlage des klägerischen Anspruchs

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Calaza López, Cosa juzgada, p. 94; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, 439, 444; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 179; ebenso wohl de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 217 (mit Fußnote 144), der aber auch annimmt, dass sich bei den Vorfragen, bei denen eine Erstreckung der cosa juzgada erwogen wird, nur selten Probleme im Hinblick auf diese prozessualen Voraussetzungen stellen. 517 Ausführlich zu diesem Grundsatz des spanischen Zivilprozessrechts Stürner/Stapf, Festschrift I. Meier, 2015, S. 739 ff. 518 Calaza López, Cosa juzgada, p. 94; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 179.

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und der späteren Entscheidung gewertet werden könne. 519 Dem Erfordernis der kontradiktorischen Verhandlung werde schon dann Rechnung getragen, wenn der Beklagte die Möglichkeit zum Gegenvortrag hatte. Mache er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch und komme es deshalb nicht zu einer tatsächlichen streitigen Verhandlung über den jeweiligen Punkt, so stehe dies einer Zuerkennung der cosa juzgada im Hinblick auf das Prinzip der contradicción nicht entgegen.520 Mit der Frage der Notwendigkeit einer tatsächlichen streitigen Verhandlung verknüpft wird häufig die Frage, ob die Wirkung der cosa juzgada nur dann auf die logische Grundlage zu erstrecken ist, wenn das Gericht in den Entscheidungsgründen ausdrücklich eine Feststellung zu der jeweiligen Vorfrage getroffen hat. Teilweise wird eine ausdrückliche Entscheidung verlangt: Sei eine Frage zwischen den Parteien nicht streitig und habe das Gericht deshalb keinen Anlass, sich zu dieser in den Entscheidungsgründen zu äußern, dürfe das Schweigen des Gerichts in den Entscheidungsgründen nicht als implizite Entscheidung über die Vorfrage verstanden werden, auch wenn diese die logische Grundlage oder einen Teil der causa petendi darstelle. 521 Es fehle hier schlicht an einer tatsächlichen richterlichen Beurteilung. Andere nehmen dagegen eine Bindung auch für den Fall an, dass das Gericht sich nicht ausdrücklich zu der Vorfrage geäußert hat.522 Die zwingende logische Verknüpfung wird hier als ausreichend angesehen, um eine in späteren Verfahren bindende Entscheidung

519 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 218; de la Oliva Santos/Díez-Picazo Giménez/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil, § 48 n° 43 (p. 512) (anders noch zu Beginn der Neunzigerjahre: de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 37 (p. 183)); López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357 (die letztgenannten Autoren nehmen in diesem Fall allerdings eine implizite Entscheidung des Gerichts an: „… el conjunto fáctico y jurídico que fundamenta la pretensión ha sido también objeto de enjuiciamiento – implícito – y debe quedar dentro de los límites objetivos de la cosa juzgada.“). 520 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 218 (vgl. auch n° 192, p. 220: „… no parece una tesis razonable, sino más bien absurd, la que insiste en sostener que los presupuestos jurídicos-materiales del fallos […] no están comprendidos en la cosa juzgada al no haber sido controvertidos expresamente en un proceso.“); López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357. 521 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 107. Wenn das Gericht sich aber ausdrücklich zu der Frage äußere, obwohl es hierzu wegen der Unstreitigkeit der Frage keinen Anlass habe, so liege zwar eine inkongruente Entscheidung vor, der aber dennoch die Wirkungen der cosa juzgada zuzubilligen seien (p. 131). 522 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190, p. 218; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

zu der Vorfrage unabhängig davon zu bejahen, ob diese im Urteilstext ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat oder nicht. In der Diskussion wird dabei häufig die Frage der Notwendigkeit einer ausdrücklichen Feststellung in den Entscheidungsgründen mit dem Erfordernis der streitigen Verhandlung vermischt. Eine der französischen Differenzierung zwischen motifs décisifs und décisions implicites entsprechende Unterscheidung zwischen ausdrücklich in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen einerseits und dem Urteilsspruch im fallo logisch zwingend vorgelagerten, jedoch nicht in den Urteilstext aufgenommenen Entscheidungen andererseits wird nicht getroffen. (c) Die Erstreckung auf Vorfragen im Verhältnis zu den verschiedenen Funktionen der „cosa juzgada material“ Wenn in der spanischen Literatur die Erstreckung der cosa juzgada material auf die unmittelbare logische Grundlage bzw. causa petendi erörtert wird, wird selten zwischen den beiden Wirkungsrichtungen der cosa juzgada material differenziert. Die herangezogenen Beispiele betreffen jedoch meist Fälle, in denen die im ersten Verfahren geklärte Vorfrage im späteren Prozess erneut eine Vorfrage darstellt, so dass die positive Wirkungsrichtung zur Anwendung kommt. 523 Diese ist – anders als die negative Wirkungsrichtung – nicht durch das petitum begrenzt, sondern setzt lediglich eine Konnexität in dem Sinne voraus, dass das im Erstverfahren Entschiedene eine logische Voraussetzung des im späteren Verfahren geltend gemachten Anspruchs darstellt. 524 Es fällt daher im Hinblick auf die positive Wirkungsrichtung leichter, eine Erstreckung der cosa juzgada über den gerade am petitum auszurichtenden fallo hinaus zu begründen. Bejaht man allerdings eine Erstreckung der cosa juzgada auf die logisch unerlässliche Grundlage bzw. auf die zur causa petendi zu rechnenden Fragen, so könnte für den Fall, dass die Vorfrage des Erstverfahrens später zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht wird, auch die negative Funktion der cosa juzgada material zur Anwendung kommen. Einige Autoren bejahen

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So z.B. López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357. 524 Art. 222.4 LEC.

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dies ausdrücklich 525 und auch der Tribunal Supremo hat in einigen Entscheidungen ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung bejaht. 526 In diesem Fall stellt sich allerdings die Frage nach der Vereinbarkeit mit der objektiven Begrenzung der cosa juzgada material in ihrer negativen Funktion durch das petitum. 527 Vereinzelt gehen Autoren auf diese Frage ein: So wird teilweise angenommen, der Kläger stelle hinsichtlich der zwingend logisch verknüpften Fragen einen impliziten Antrag,528 was von anderen als unnötige Fiktion abgelehnt wird.529 Es sei vielmehr anzunehmen, dass der Kläger (oder Widerkläger) einen bestimmten Streitgegenstand zur Entscheidung stelle, den er durch seinen Antrag und den Vortrag der causa petendi eingrenze. Innerhalb des so gesteckten Rahmens seien aber sämtliche die causa petendi bildenden Punkte zur Entscheidung gestellt und könnten daher an den Wirkungen der cosa juzgada teilhaben.530 Im Ergebnis läuft auch dies auf die Annahme eines mit dem ausdrücklich gestellten Klageantrag verbundenen bewussten Erbittens einer Feststellung zu vorgelagerten Fragen hinaus, welche der Bejahung eines impliziten Antrags zumindest nahekommt. Beide Begründungsansätze machen die im spanischen Recht anerkannte Feststellungsklage hinsichtlich vorgreiflicher

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De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 192, p. 220. Im Hinblick auf die dem klägerischen Antrag vorgelagerten präjudiziellen Vorfragen scheint auch Padura Ballesteros ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung bei späterer Feststellungsklage zu bejahen , wenn sie annimmt, ein späteres Verfahren zu der Vorfrage sei ausgeschlossen ( Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 130 („no puede tener lugar un segundo pleito […] entre esas partes“)). Im Hinblick auf die Erfassung von Einwendungen von den Wirkungen der cosa juzgada vertritt sie aber eine andere Position, hierzu sogleich. 526 So in der Entscheidung STS 237/2007, 1. März 2007 (n° ROJ: STS 1030/2007), FD 3°: „[S]e ha de concluir, con el tribunal de instancia, que en el precedente juicio de tercería de dominio y el presente se dan las tres identidades, la subjetiva, la objetiva y la causal, que hacen actuar el efecto impeditivo o excluyente propio de la cosa juzgada material, en su sentido negativo.“ (Einer Klage auf Feststellung des Eigentums an einem Grundstück stehe die cosa juzgada der Abweisung der vom Kläger gegen die Vollstreckung in das Grundstück durch einen Dritten eingelegten tercería de dominio entgegen, da darin die Frage der Eigentümerstellung des Klägers ausführlich als Vorfrage behandelt wurde und der Kläger eine ausreichende Möglichkeit zum Vortrag gehabt habe). Zu abweichenden Entscheidungen im Fall der klageweisen Einforderung des kontradiktorischen Gegenteils der Vorfragenfeststellung, vgl. unten G. II. 2. c. bb. 527 Dies sieht wohl auch Nieva Fenoll, wenn er darauf hinweist, dass die Erstreckung der cosa juzgada auf dem fallo logisch vorgelagerte Fragen, über die drei Identitäten hinausgehe (Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 186). 528 Calaza López, Cosa juzgada, p. 92 s. 529 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 129 („ no hay necesidad alguna de inventar peticiónes implícitas“). 530 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 129 s.: Eine Leistungsklage beinhalte keine implizite Feststellungsklage, sie enthalte vielmehr eine ausdrückliche causa de pedir, über welche das Gericht dann entscheiden müsse.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Rechtsverhältnisse letztlich obsolet. 531 Teilweise wird zwar angenommen, dem Feststellungsantrag könne im Hinblick auf sonstige, nicht von der cosa juzgada erfasste Vorfragen Bedeutung zukommen. 532 Jedoch wird das notwendige legitime Feststellungsinteresse wohl primär im Hinblick auf präjudizielle Rechtsverhältnisse bestehen, die die Grundlage des geltend gemachten Anspruchs bilden und damit nach heutigem Verständnis gerade auch ohne Antrag von der cosa juzgada erfasst wären. Den Stimmen, die ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada im Fall einer späteren Feststellungsklage zu dem in den Entscheidungsgründen behandelten Rechtsverhältnis ausdrücklich bejahen, steht ein Ansatz gegenüber, welcher die Bedeutung der Identität des petitum als Voraussetzung der negativen Wirkungsrichtung hervorhebt: Folgt auf ein Leistungsurteil, welches in den Entscheidungsgründen auch eine Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis trifft, eine Feststellungklage zu diesem Rechtsverhältnis so sind danach unterschiedliche petita gegeben, weshalb ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung ausgeschlossen ist. 533 Es ergeht ein Sachurteil, in dem das Gericht aber aufgrund der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada an die im Vorverfahren getroffene Feststellung zu dem Rechtsverhältnis gebunden ist. 534 Ob im Rahmen der Erstreckung der cosa juzgada material auf Vorfragen auch eine Anwendung der negativen Wirkungsrichtung denkbar ist, ist damit bislang nicht abschließend geklärt.

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Dies erkennt auch Padura Ballesteros, die aber aus diesem Grund die Zwischenfeststellungsklage auch für ein unnötiges Konstrukt hält (Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 129). 532 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 179 (allerdings auf Grundlage des mit den übrigen Ansichten nicht gänzlich übereinstimmenden Ansatzes einer Unterscheidung zwischen präjudiziellen Vorfragen im logischen und technischen Sinne: Letztere könnten nur dann von der cosa juzgada material erfasst werden, wenn ein Zwischenfeststellungsantrag gestellt werde). 533 So Padura Ballesteros im Rahmen ihrer Ausführungen zur Erstreckung der cosa juzgada material auf Einwendungen des Beklagten (Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 167): „Si en el segundo proceso el que era demandado pasa a ser actor y ejercita una acción declarativa negativa de extinción del contrato por pago del precio, nu puede decirse que la sentencia del pleito anterior produzca efectos de cosa juzgada – en su función negativa – porque los petita son distintos (de condena en el primer caso, declarativo en el segundo).“ 534 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 167. Ein Greifen allein der positiven Wirkungsrichtung bejaht auch die Entscheidung SAP Alicante 302/2008 (n° ROJ: SAP A 2822/2008), FD 2° (Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Darlehensvertrages wegen Wuchers, nachdem die Einwendung der Nichtigkeit des Vertrages wegen Wuchers bereits im vorangegangenen Verfahren über eine Klage auf vorzugsweise Befriedigung (tercería de mejor derecho) vorgebracht und in den Entscheidungsgründen entschieden worden war).

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(d) Zusammenfassung Die spanische Literatur hat sich somit von der früheren Begrenzung der cosa juzgada auf den Rechtsfolgenausspruch fortbewegt. Die Ausdehnung der rechtskraftfähigen Entscheidungsbestandteile soll aber auf Vorfragen beschränkt bleiben, welche die unerlässliche logische Grundlage bzw. causa petendi des Rechtsfolgenausspruchs im fallo bilden. Gleichzeitig soll durch formale Anforderungen eine Vereinbarkeit insbesondere mit dem bestehenden System der Rechtswegs- und Zuständigkeitsnormen hergestellt werden. Dagegen bemühen sich nur wenige Autoren um die Formulierung einer Lösung, durch welche die Ausdehnung der cosa juzgada material auf Vorfragen mit der Begrenzung der negativen Funktion der cosa juzgada material durch das petitum sowie mit der Möglichkeit der Feststellungsklage hinsichtlich vorgreiflicher Rechtsverhältnisse in Einklang gebracht wird. bb. Die Behandlung der Frage in der Rechtsprechung Fußend auf einem Verständnis, welches das Urteil als Äußerung staatlichen Willens und die cosa juzgada als Wirkung des hoheitlichen Richterspruchs begreift, 535 verortete die Rechtsprechung die cosa juzgada lange Zeit grundsätzlich nur im Rechtsfolgenausspruch im fallo, während sie die diesem zugrunde liegende Begründung von den Wirkungen der cosa juzgada ausnahm.536 Teilweise finden sich jedoch auch Entscheidungen, in denen die Rechtsprechung 535 Deutlich insbesondere SAP Madrid, 15. Oktober 2001 (n° de recurso: 647/2000; n° ROJ: SAP M 14049/2001), FD 19°: „Si se concibe la cosa juzgada no como afirmación de la verdad de los hechos, sino como formulación de la voluntad de la ley por obra de los Jueces, de tal modo que el razonamiento que el Juez realiza hasta llegar a la afirmación en la sentencia de esa voluntad de ley desaparece como tal razonamiento lógico, la consecuencia inmediata es que la solución que el Juez da a las cuestiones que se van presentando en el proceso ya se refieran a cuestiones procesales o sustantivas, de hecho o de derecho, no tienen eficacia de cosa juzgada, precisamente porque ese razonamiento del Juez al resolver tales cuestiones es simplemente preparatorio de la declaración final esti matoria o desestimatoria de la demanda.“ Vgl. auch STS 205/1990, 23. März 1990 (n° ROJ: STS 2751/1990), FD 1°: „una institución procesal, en el sentido atribuir a los Tribunales la función de no juzgar cuando la función jurisdiccional se ha desenvuelto plenamente, e incluso como voluntad autoritaria del Estado, por el parecer que el fundamento de la cosa juzgada no está en el elemento lógico de la sentencia [...].“ 536 STS 236/1984, 10. April 1984 (n° ROJ: STS 74/1984), Considerando 1: „Considerando que sólo el fallo o parte dispositiva de la sentencia, en cuanto declara la existencia o inexistencia de un derecho o relación jurídica, pasa en autoridad de cosa juzgada a otro proceso posterior, por lo que son ajenos a dicho instituto tanto las premisas fácticas deducidas por el Juzgador tras la correspondiente valoración de la prueba practicada, como los razonamientos jurídicos o motivaciones utilizados para fundamentar su conclusión decisoria, por ser la cosa juzgada, como se dice por la doctrina, el efecto de un pronunciamiento judicial y no de un razonamiento [...]“. STS 241/1990, 6. April 1990 (n° ROJ: STS

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die Bindung an eine Feststellung zu einer präjudiziellen Vorfrage in einer vorausgegangenen Entscheidung bejahte, auch wenn dabei nicht immer ausdrücklich darauf eingegangen wurde, ob diese Feststellung in den Entscheidungsgründen oder im parte dispositiva getroffen worden war und ob eine der Parteien eine entsprechende Feststellung beantragt hatte. 537 In den Neunzigerjahren begann sich jedoch ein generelles Umdenken abzuzeichnen, zunehmend bejahten die Gerichte eine Erstreckung der cosa juzgada über den Rechtsfolgenausspruch im fallo hinaus. Ausdrücklich bejahte und begründete 1995 der Tribunal Superior de Justicia (TSJ) der Autonomen Gemeinschaft Navarra die Erstreckung der cosa juzgada material auf präjudizielle Vorfragen: Die cosa juzgada material wurzele zwar in der abschließenden Schlussfolgerung und nicht in den Urteilsgründen, jedoch bestehe diese Schlussfolgerung nicht nur aus dem ausdrücklichen Ausspruch im fallo, sondern auch aus den darin implizit enthaltenen Entscheidungen (decisiones implícitas)538 sowie den Feststellungen, welche die entscheidende Voraussetzung (presupuesto determinante) oder notwendige Ergänzung (necesario complemento) des Ausspruchs im fallo darstellten. Diese beinhalteten die tatsächlich entschiedene Sache (la cosa realmente juzgada). 539 Der TSJ Navarra stützte sich zur Begründung insbesondere auf verschiedene seit Mitte der Achtzigerjahre ergangene Entscheidungen des Tribunal Supremo, wonach sich die für 10635/1990), FD 1°; STS 450/1990, 12. Juli 1990 (n° ROJ: STS 11140/1990), FD 2°; STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 2. 537 So beispielsweise in der Entscheidung STS 798/1986, 30. Dezember 1986 (n° ROJ: STS 7476/1986), FD 2°: Das über eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens einer Grunddienstbarkeit (servidumbre real) (Führung eines Dunstabzugs über die über der Mietsache liegende Wohnung) befindende Gericht sei an die im vorangegangenen Verfahren über die Auflösung eines Mietverhältnis wegen ungenehmigter baulicher Änderungen (Errichtung des Dunstabzugs) getroffene Feststellung gebunden, wonach die Führung des Dunstabzugs über die darüber gelegene Wohnung genehmigt gewesen sei. 538 Zu den decisiones implicitas bereits oben F. III. Zum Begriff der cosa juzgada implícita, der heute überwiegend zur Beschreibung der Erstreckung der cosa juzgada auf das logische Gegenteil des Rechtsfolgenausspruchs im fallo verwendet wird, dann im Abschnitt zu den objektiven Grenzen der cosa juzgada (G. II. 2. c.). 539 STSJ Navarra, 13. November 1995, Repertorio de Jurisprudencia 1995 – 8644, p. 11525, 11530 (FD 7°): „[S]i bien es cierto que la cosa juzgada material radica en la conclusión decisoria y no en sus razonamientos [...], siendo por ello mismo en principio las declaraciones contenidas en su parte dispositiva y no las consideraciones y argumentaciones insertas en su fundamentación jurídica las que la producen, configuran y estructuran [...], también lo es que la conclusión decisoria queda integrada, no sólo por los explícitos pronunciamientos del fallo, sino también por las decisiones implícitas en ellos [...] y por las declaraciones que, aun incardinadas en la fundamentación jurídica de la resolución, constituyen presupuesto determinante o necesario complemento suyo, al punto de definir con la parte dispositiva la cuestión efectivamente resuelta o, lo que es igual, la cosa realmente juzgada.“ Ebenso: STSJ Navarra 16/2000, 22. Juni 2000 (n° ROJ: STSJ NA 1312/2000), FD 2°.

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die Einlegung eines Rechtsmittels notwendige Beschwer (gravamen) auch aus nicht im fallo enthaltenen Feststellungen ergeben könne, sofern diese die unerlässliche Voraussetzung des fallo bildeten.540 Die Möglichkeit, eine Entscheidung aufgrund der unerlässlichen vorgreiflichen Feststellungen anzufechten, lasse sich, so der TSJ Navarra, nur dann begründen, wenn die Feststellungen bindenden Charakter hätten und von der cosa juzgada erfasst würden.541 In der Folgezeit griffen zahlreiche Gerichte die Entscheidungen des TSJ Navarra auf. 542 Seither hat sich in der Rechtsprechung die Formulierung durchgesetzt, dass die Wirkungen der cosa juzgada zwar grundsätzlich an den Ausspruch im fallo geknüpft seien, die Begründung aber insoweit an der cosa juzgada543 teilhabe, als sie die ratio decidendi (razón decisoria) bzw. die logische 540

STS 47/1990, 1. Februar 1990 (n° ROJ: STS 774/1990), FD 3°: „... pues si bien es doctrina de esta Sala que, por conocida y reiterada, excusa una cita pormenorizada de la misma, la de que, como norma general, la casación se da contra el fallo de la sentencia recurrida y no contra su fundamentación jurídica, dicha doctrina quiebra y no es aplicable [...] cuando esa fundamentación jurídica haya sido la premisa indispensable del fallo …. “ Zuvor bereits angedeutet in STS 748/1986, 12. Dezember 1986 (n° ROJ: STS 7682/1986), FD 3° („... el recurso de casación se da contra el fallo y no los considerandos de la resolución impugnada, a menos que los mismos sean premisa indispensable del fallo o le sirvan de antecedente, lo que aquí no acontece.“). Ähnlich auch STS 223/1992, 5. März 1992 (n° ROJ: STS 1846/1992), FD 2°. 541 STSJ Navarra, 13. November 1995, Repertorio de Jurisprudencia 1995 – 8644, p. 11525, 11530 (FD 7°) („No otra razón explica y justifica que, en cuanto predeterminantes del fallo y pese a no formar parte del mismo, sean tales declaraciones susceptibles de recurso...“); SAP Alicante 302/2008, 24. Juli 2008 (n° ROJ: SAP A 2822/2008), FD 2° a). 542 Ausdrücklich wird der TSJ Navarra beispielsweise in folgenden Entscheidungen zitiert: SAP Toledo 230/1998, 20. Juli 1998 (n° ROJ: SAP TO TO 737/1998), FD 2°; SAP Toledo 317/1998, 9. November 1998 (n° ROJ: SAP TO 912/1998), FD 2°; SAP Vigo 303/2000, 19. September 2000 (n° ROJ: SAP PO 2589/2000), FD 3°; SAP Alicante 302/2008, 24. Juli 2008 (n° ROJ: SAP A 2822/2008), FD 2° a; SAP Ourense 54/2010, 17.02.2010 (n° ROJ: SAP OU 129/2010), FD 3°. 543 Die überwiegende Zahl der Fälle, in denen die Rechtsprechung eine Erstreckung der cosa juzgada auf die ratio decidendi bejahte, betrifft die positive Funktion der cosa juzgada material. Es finden sich nur einige wenige Entscheidungen, in denen das Gericht auch ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada bejaht und dementsprechend das spätere Verfahren, in dem die zuvor präjudizielle Frage zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht wurde, wegen entgegenstehender cosa juzgada eingestellt hat (eines der wenigen Beispiele ist die Entscheidung AAP Vigo 134/2008, 30. Juni 2008 (n° ROJ: AAP PO 36/2008), RJ 3°). Die Konnexität, die im spanischen Recht neben der Übereinstimmung der Parteien als Voraussetzung der positiven Wirkungsrichtung genannt wird, lässt sich im Hinblick auf präjudizielle Vorfragen schlicht häufiger bejahen, als die für die negative Ausschlusswirkung erforderliche Übereinstimmung des petitum und der causa petendi. Die Entscheidungen, in denen eine Bindung an Begründungselemente bejaht wurde, betonen daher bisweilen ausdrücklich, dass die positive Bindungswirkung der cosa juzgada lediglich die bestehende Konnexität verlange, so z.B. SAP Santander, 20. Oktober 1998 (n° de recurso: 128/1997, n ° ROJ: SAP S 1843/1998), FD 2° („[L]a jurisprudencia ha venido estableciendo

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Voraussetzung des fallo (presupuesto/antecedente lógico) bilde, sofern es sich also um tragende Entscheidungsgründe handele. 544 Unterschieden werden diese von sonstigen „bloßen“ Argumenten und Gedankengängen des Gerichts (simples razonamientos) in den Urteilsgründen, welche nicht von der Wirkung der cosa juzgada material erfasst seien.545 Als bindend betrachtet wurde auf dieser Grundlage beispielsweise die Feststellung zur Eigentümerstellung des Klägers sowohl in einer Entscheidung über eine Herausgabeklage (acción reivindicatoria)546 als auch in einem Urteil über die Beseitigung eigentumsbeeinträchtigender Bauten.547 Die positive Wirkung der cosa juzgada material soll sich auch auf die einer Räumungsentscheidung zugrundliegende Entscheidung über die Auflösung des Mietverhältnisses erstrecken. 548 Gleiches gilt für die einem Urteil über eine Schadensersatzklage zugrundeliegende Beurteilung des Verursachungsbeitrags des Beklagten 549 bzw. der Haftungsverteilung zwischen Kläger und Beklagtem.550 Nicht von der cosa juzgada erfasst, weil nicht zur ratio decidendi gehörend, sind nach der Rechtsprechung beispielsweise die

que para la aplicación del efecto positivo vinculante o prejudicial que consiste en no poder decidirse en otro proceso un tema o punto litigioso de manera distinta o contraria a como ya ha sido resuelto por sentencia firme en otro proceso precedente no se precisa la más perfecta identidad sino la conexión ...“); SAP Toledo 317/1998, 9. November 1998 (n° ROJ: SAP TO 912/1998), FD 2°). Die Konstruktion über einen impliziten Antrag, die in der Literatur teilweise zur Überwindung der fehlenden Antragsidentität herangezogen wird, findet sich in der Rechtsprechung nicht. 544 STS 307/2010, 25. Mai 2010 (n° ROJ: STS 3036/2010), FD 4°: „El efecto prejudicial de la cosa juzgada se vincula al fallo, pero también a los razonamientos de la sentencia cuando constituyan la razón decisoria.“. STS 491/2007, 7. Mai 2007 (n° ROJ: STS 2553/2007), FD 2°: „Antes bien, la función prejudicial de la cosa juzgada se vincula al fallo no a los razonamientos [...] salvo en la medida en que constituyan la ratio de la decisión [...].“ Vgl. auch: SAP Madrid 874/2013, 28. November 2013 (n° ROJ: SAP M 21413/2013), FD 5° („ratio decidendi de su fallo“); AAP Vigo 134/2008, 30. Juni 2008 (n° ROJ: AAP PO 36/2008), RJ 3° („antecedente lógico e indispensable del fallo »; « presupuesto jurídico y lógico de la pretensión ejercitada“). 545 STS 777/2012, 17. Dezember 2012 (n° ROJ: STS 8857/2012), FD 3°: „... sin que el efecto de ‘cosa juzgada’- negativo o positivo- alcance a simples razonamientos de la sentencia, y menos a la interpretación interesada que de los mismos pueda hacer la parte, cuando no integran la ‘ratio decidendi’ ni tienen reflejo en el fallo‘.“ 546 SAP Cáceres 270/2012, 17. Mai 2012 (n° ROJ: SAP C.C.419/2012), FD 2°. 547 AAP Vigo 134/2008, 30. Juni 2008 (n° ROJ: AAP PO 36/2008), Razonamientos jurídicos 3°. 548 SAP Ourense 54/2010, 17. Februar 2010 (n° ROJ: SAP OU 129/2010), FD 3°. 549 SAP Toledo 317/1998, 9. November 1998 (n° ROJ: SAP TO 912/1998), FD 2°. 550 STS 727/2003, 14. Juli 2003 (n° ROJ: STS 4957/2003), FD 2°.

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Feststellung des Eigentumserwerbs des Beklagten zur Begründung der Abweisung einer Eigentumsfeststellungsklage des Klägers551 oder die Ausführungen des Gerichts zur Frage der Überlassung der Mietsache im zum üblichen Gebrauch geeigneten Zustand in einer Entscheidung über eine Klage auf Mietszinszahlung.552 In beiden Fällen hatte das Gericht die jeweilige Feststellung als Argument für die abschließende Entscheidung herangezogen, ohne dass diese Feststellung aber die abschließende Entscheidung bedingte. 553 Teilweise greifen die Gerichte bei der Abgrenzung zwischen von der cosa juzgada erfassten und nicht erfassten Vorfragen auch auf die aus der Literatur bekannte Unterscheidung zwischen präjudiziellen Vorfragen im logischen Sinne und im technischen Sinne zurück. 554 Entsprechend ihrer Position zur Rechtskraftfähigkeit von Prozessurteilen bejaht die Rechtsprechung zudem – anders als die Literatur – die Bindung an Begründungselemente eines Prozessurteils, sofern die Feststellungen die ratio decidendi des fallo bilden. So soll beispielsweise die Verneinung eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien, auf die ein Arbeitsgericht in einem Kündigungsschutzverfahren die Ablehnung seiner Rechtswegzuständigkeit gestützt hatte, in einem späteren Verfahren über die Rückzahlung der im Rahmen des Vertragsverhältnisses gezahlten Beträge bindend sein. 555 Auch wenn insbesondere die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada material mittlerweile in vielen Fällen über den formalen fallo hinaus ausgedehnt wird, zeigen sich auch in der Rechtsprechung vereinzelt Tendenzen, dieser Ausdehnung gewisse Grenzen zu setzen. So greifen die Entscheidungen 551

SAP Burgos 441/2007. 14. November 2007 (n° ROJ: SAP BU 865/2007), FD 2° (die vormalige Klägerin, welche im Erstverfahren die Feststellung ihrer Eigentümerstellung hinsichtlich eines Teils des Grundstücks des vormaligen Beklagten verlangt hatte, wurde im zweiten Verfahren vom früheren Beklagten auf Entschädigung für die unberechtigte Nutzung des fraglichen Grundstücksteils in Anspruch genommen. In diesem zweiten Verfahren wollte sich der Kläger dann auf die Bindung an die Feststellung seiner Eigentümerstellung berufen). 552 SAP Valladolid 210/2008, 4. November 2008 (n° ROJ: SAP VA 922/2008), FD 2°. 553 Diese Trennung zwischen schlichten Argumenten und ratio decidendi hält die Rechtsprechung jedoch nicht immer durch, vielmehr wird teilweise auch eine Bindung an Begründungselemente bejaht, die nicht als ratio decidendi qualifiziert werden können: So war z.B. in einem Verfahren auf Erstellung eines Nachlassinventars die Einstellung einer bestimmten Sache in das Inventar mit der Begründung abgelehnt worden, es bestünde kein Miteigentum an der Sache. In einem späteren Verfahren, in dem die Unwirksamkeit eines Vertrages über die Sache festgestellt werden sollte, bildete die Verneinung des Bestehens von Miteigentum eine Vorfrage. Das Gericht nahm eine Bindung an (SAP Santander, 20. Oktober 1998 (n° de recurso: 128/1997, n ° ROJ: SAP S 1843/1998), FD 2°). 554 So beispielsweise die Audiencia Provincial Madrid in der Entscheidung SAP Madrid, 15. Oktober 2001 (n° de recurso: 647/2000; n° ROJ: SAP M 14049/2001), FD 19°. 555 STSJ Madrid 627/2013 (Sala de lo Civil), 16. September 2013 (STSJ M 13234/2013), FD 2°.

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teilweise die zusätzlichen Bedingungen einer Erstreckung der cosa juzgada auf Begründungselemente auf, welche die Literatur zur Gewährleistung des Rechts auf ein kontradiktorisches Verfahren und der Wahrung der Kompetenzordnung formuliert hat: Dementsprechend wird teilweise verlangt, dass das entscheidende Gericht hypothetisch auch für ein Verfahren zuständig sein müsse, in dem die jeweilige Vorfrage die Hauptsache bildet. Zudem müsse die jeweilige Vorfrage zwischen den Parteien streitig verhandelt und vom Gericht umfassend behandelt worden sein.556 Uneinheitlich beurteilt die Rechtsprechung die Rechtskraftfähigkeit von vorgreiflichen Feststellungen in Entscheidungen, in denen der Beklagte zur Erbringung der in einem bestimmten Zeitraum geschuldeten Leistungen aus einem Dauerschuldverhältnis verurteilt wird. Die für Zivilsachen zuständige Sala de lo Civil des Tribunal Supremo hat eine Bindung des Gerichts an die Feststellungen der Erstentscheidung zum Bestehen der Verbindlichkeit in einem späteren Verfahren, in dem dieselbe Leistungsverpflichtung für einen anderen Zeitraum zu beurteilen war, verneint: Das Fortdauern der Verbindlichkeit bis in den späteren Zeitabschnitt hinein sei im Verfahren über den früheren Zeitabschnitt nicht Entscheidungsgegenstand gewesen. 557 Dass es sich um dieselbe Verbindlichkeit handelt, genügt daher nicht, um die positive Wirkung der cosa juzgada material zu bejahen, vielmehr soll die Beschränkung des früheren Urteils auf einen bestimmten Zeitraum auch die Bindung an Begründungselemente begrenzen. Damit weicht die Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit deutlich von der in der Literatur ganz überwiegend vertretenen Lösung ab. Die spanische Arbeitsgerichtsbarkeit teilt dagegen die Ansicht der spanischen Literatur und bejaht in der genannten Fallkonstellation ausdrücklich ein Greifen der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada, sofern nicht nachträgliche Veränderungen tatsächlicher Art erkennbar sind.558 Insgesamt hat sich damit in der heutigen Rechtsprechung eine Erstreckung auf die logischen Voraussetzungen bzw. die ratio decidendi des Ausspruchs im 556 Diese beiden Voraussetzungen formuliert beispielsweise AAP Vigo 134/2008, 30. Juni 2008 (n° ROJ: AAP PO 36/2008), RJ 3°. 557 STS 777/2012, 17. Dezember 2012 (n° ROJ: STS 8857/2012), FD 3° („las condiciones de subsistencia de dicha obligación para las anualidades posteriores no fue objeto de enjuiciamiento“). Ebenso SAP Madrid, 19. Februar 2002 (n° de recurso: 1485/1998; n° ROJ: 2529/2002), FD 4°; dagegen: SAP Gijon 433/2013, 31. Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2871/2013), FD 3°. 558 STS (Sala de lo Social) , 11. November 2008 (n° de recurso: 207/2008; n° ROJ: STS 6579/2008), FD 2°; STS (Sala de lo Social), 3. März 2009 (n° de recurso: 1319/2008; n° ROJ: 1340/2009), FD 2°; STS (Sala de lo Social), 20. Januar 2010 (n° de recurso 1093/2009; N° ROJ: STS 511/2010), FD 2° 2, 3; ATS (Sala de lo Social), 18. Januar 2012 (n° de recurso: 1821/2011; n° ROJ: ATS 1337/2012), RJ único; STSJ Andalucía (Sala de lo Social) 5/2005 (n° ROJ: STSJ AND 7/2005), FD 2°; STSJ Madrid (Sala de lo Social) 262/2009 (n° ROJ: STSJ M 2564/2009), FD 1°, 2°.

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fallo durchgesetzt. Wenn sich in den Entscheidungen dennoch teilweise die Formulierung findet, die cosa juzgada sei auf den fallo beschränkt, dient die Bezugnahme auf diesen Grundsatz in der Regel dem Zweck, eine Bindung an nicht tragende Feststellungen zu verneinen, 559 und nicht etwa dazu, die ratio decidendi von den Wirkungen der cosa juzgada auszunehmen. Heute wird der Grundsatz, wonach die cosa juzgada sich nicht auf Elemente der Urteilsbegründung erstrecke, daher häufig um den einschränkenden Zusatz ergänzt, dass dies nur insoweit gelte, als die Begründung nicht die ratio decidendi bilde. 560 cc. Zusammenfassung Während sich die französische Rechtskraftlehre in den letzten Jahren von der Erstreckung der autorité de la chose jugée auf Begründungselemente entfernt hat, hat sich in Spanien eine umgekehrte Entwicklung vollzogen: Von der ursprünglichen klaren Begrenzung der Wirkungen der cosa juzgada material auf den Entscheidungssatz des fallo ist man in Spanien abgekommen und erstreckt die cosa juzgada material auch auf präjudizielle Fragen. Rechtsprechung und weite Teile der Literatur stellen dabei darauf ab, ob die jeweilige Frage dem Rechtsfolgenausspruch im fallo logisch unerlässlich vorgelagert ist, während in der Literatur auch ein Abstellen auf die causa petendi vertreten wird. Das dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch zugrundeliegende Rechtsverhältnis wird nach allen Ansichten von der cosa juzgada erfasst. Im Übrigen zeigen sich aber gewisse Abweichungen, die insbesondere im Hinblick auf die Reichweite der cosa juzgada bei Teilklagen augenfällig werden. b. Entscheidungen über Gegenrechte und Einwendungen Wie bereits angedeutet, wird die Frage der Erstreckung der cosa juzgada auf Entscheidungen über Einwendungen des Beklagten regelmäßig von der Beur-

559 So z.B. in den Entscheidungen SAP M 243/2011, 29. März 2011 (n° ROJ: SAP M 3814/2011), FD 2° (die Feststellung des Zugewinncharakters eines Immobilienverkaufs im Rahmen einer Entscheidung über die Feststellungsklage hinsichtlich der Nichtigkeit des notariellen Kaufvertrages sei in einem späteren Verfahren über die Feststellung der Aktiva und Passiva der Zugewinngemeinschaft nicht bindend); SAP Murcia (Catagena) 240/2008, 23. Oktober 2008 (n° ROJ: SAP MU 2170/2008), FD 2° (Ausführungen zur Kenntnis der später beklagten Bank von einem bereits eingetretenen Eigentumsübergang auf einen gutgläubigen Dritten in einer Entscheidung über die Nichtigkeit einer Grundstücksversteigerung seien in einem späteren Verfahren über Schadensersatzansprüche gegen die Bank nicht bindend). 560 Z.B. STS 215/2013, 8. April 2013 (n° ROJ: STS 3513/2013), FD 8°: „sin que el efecto de ‚cosa juzgada‘ –negativo o positivo – alcance a simples razonamientos de la sentencia, y menos a la interpretación interesada que de los mismos pueda hacer la parte, cuando no integran la ‚ratio decidendi‘ ni tienen reflejo en el ‚fa llo‘“. STS 777/2012, 17. Dezember 2012 (n° ROJ: STS 8857/2012), FD 3°.

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teilung der übrigen Vorfragen getrennt behandelt. Da Gegenstand der cosa juzgada material der klageweise geltend gemachte (prozessuale) Anspruch ist, wurde traditionell angenommen, dass nur die klägerische pretensión, nicht aber das Verteidigungsvorbringen des Beklagten von der cosa juzgada erfasst sei, sofern nicht der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage selbst einen eigenen Anspruch geltend mache.561 Konnte bei den Vorfragen, auf welche sich der klägerische Anspruch unmittelbar stützt, noch argumentiert werden, die klägerische pretensión umfasse zwingend auch diese unerlässliche Grundlage, so ließ sich dies für die Einwendungen des Beklagten nicht ohne Weiteres annehmen. Dennoch hat sich auch im Hinblick auf die Erfassung der Einwendungen von der cosa juzgada eine deutliche Veränderung gegenüber der traditionell restriktiven Position abgezeichnet. Ausgehend von dem traditionellen Grundsatz, welcher eine Erstreckung der cosa juzgada auf das Verteidigungsvorbringen nur dann bejahte, wenn dieses Gegenstand einer Widerklage war, bietet es sich an, zunächst jene Einwendungen zu betrachten, welche in den Grenzbereich zwischen Widerklage und Einwendung fallen und als sogenannte excepciones reconvencionales seit jeher eine gewisse Sonderbehandlung, auch im Hinblick auf die Erstreckung der cosa juzgada material, erfahren haben. Im Anschluss wird dann die Behandlung der übrigen Einwendungen untersucht. aa. Die „excepciones reconvencionales“: Aufrechnung und Nichtigkeitseinwand Macht der Beklagte geltend, ihm stehe ein mit der Forderung des Klägers verrechenbarer Anspruch zu, oder trägt er vor, ein dem klägerischen Anspruch zugrunde liegendes Rechtsgeschäft sei aus einem bestimmten Grund nichtig, so liegt jeweils ein Sonderfall des Gegenvorbringens vor. In beiden Fällen kann der Beklagte mit der Geltendmachung entweder das Ziel verfolgen, lediglich die Abweisung der Klage zu bewirken, oder aber – über die bloße Klageabweisung hinaus – einen gesonderten Ausspruch über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung bzw. über die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts verlangen.562 Im ersten Fall liegt eine schlichte Einwendung (excepción) vor, im zweiten Fall

561

Prieto Castro Ferrándiz, Estudios y Comentarios II, n° 58, p. 521, 524: „como sostiene la doctrina […] ni las excepciones materiales ni las defensas, en general del demandado, sea cualquiera su clase, son cubiertas por la cosa juzgada, si no se hacen material de reconvención; pues el objeto de tal cosa juzgada únicamente puede ser la pretension […] deducida por el demandante con su acción (demanda) o por el demandado con la reconvención.“ 562 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 74; Tapia Fernández, Comentario al Art. 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702.

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erhebt der Beklagte dagegen eine Widerklage (reconvención). 563 In beiden Fällen wird jedoch die Tatsachengrundlage des Rechtsstreits dahingehend erweitert, dass Tatsachen eingeführt werden, die über den durch den Kläger zur Entscheidung gestellten Sachverhalt hinausgehen. 564 Sowohl die aufrechenbare Gegenforderung als auch die Nichtigkeitsfeststellung können dabei Gegenstand einer eigenständigen Klage sein. 565 Wird die Aufrechnung bzw. die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts mit dem alleinigen Ziel geltend gemacht, die Klageabweisung zu bewirken, so trägt sie aufgrund ihrer auf die Abweisung beschränkten Zielsetzung Züge einer schlichten Einwendung, wegen der Begründung einer eigenständigen Klagemöglichkeit und der Erweiterung der Tatsachengrundlage aber auch einer Widerklage. Man spricht daher bei der Aufrechnung (compensación) und dem Nichtigkeitseinwand (nulidad del negocio jurídico en que se funda la demanda) von sog. excepciones reconvencionales.566

563 Allgemein zu dieser Abgrenzung zwischen Einwendung und Widerklage: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 501; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 363; Ortells Ramos, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, cap. 12, p. 327, 341. Die Unterscheidung schlägt sich auch im Gesetzestext des Art. 406.3, III LEC, wonach niemals eine Widerklage angenommen werden könne, wenn die Klageerwiderung des Beklagten mit dem bloßen Antrag auf Abweisung des klägerischen Anspruchs ende („En ningún caso se considerará formulada reconvención en el escrito del demandado que finalize solicitando su absolución respecto de la pretensión o pretensiones de la demanda principal.“). Die Abgrenzung zwischen Einwendung und Widerklage entspricht der im französischen (s. oben F. II. 4. a. bb. (2) (a)) und italienischen Recht (Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 26 p. 157 (Fußnote 41)) vorgenommenen Unterscheidung. 564 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 26, p. 38; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 74; dies., Comentario al Art. 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702. Allerdings wird richtig darauf hingewiesen, dass Aufrechnungs- und Nichtigkeitseinwand sich dadurch unterscheiden, dass bei der Aufrechnung bei nicht konnexer Gegenforderung ein neues Rechtsverhältnis eingeführt wird, während der Einwand der Nichtigkeit des dem klägerischen Anspruch zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts dasselbe Rechtsverhältnis betrifft wie die Klage (so Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 310 (Fußnote 84); Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 148 s.). 565 Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 309. Auf diesen Unterschied zu sonstigen Einwendungen weist auch Calaza López hin, Calaza López, Cosa juzgada, p. 128, 136 s. 566 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 75; dies., Comentario al Art. 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1703. Auch hierin zeigt sich eine Übereinstimmung mit dem französischen Recht (exceptions reconventionelles). Auch das italienische Recht kennt die eccezione riconvenzionale (vgl. Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 26, p. 157 (Fußnote 41); Luiso, Diritto procesuale civile I, n. 32.5, p. 289 ss.), jedoch wird die Aufrechnung hier nicht immer als solche behandelt, sondern als gesonderte, wenn auch den eccezione riconvenzionale ähnliche Einwendung angesehen (so z.B. Luiso, Diritto procesuale civile I, n. 32.5, p. 289).

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(1) Die Rechtslage vor 2000 Die Sonderstellung zwischen schlichter Einwendung und Widerklage ist auch der Grund, weshalb die prozessuale Behandlung der excepciones reconvencionales lange Zeit umstritten war. (a) Die Form der Geltendmachung im Verfahren (aa) Aufrechnung („compensación“) Wie auch in den romanischen Rechtsordnungen Italiens und Frankreichs567 tritt die Wirkung der Aufrechnung nach der in der in Spanien herrschenden Auffassung ipso iure ein. Die beiden gegenseitigen Forderungen gehen also kraft Gesetzes in dem Moment unter, in dem die Voraussetzungen der Aufrechnung erfüllt sind, ohne dass es der Kenntnis der Parteien vom Vorliegen einer Aufrechnungssituation bedarf. 568 Trotz der ipso iure eintretenden Wirkung findet die Aufrechnung jedoch im Verfahren keine Berücksichtigung, wenn der Beklagte sie nicht im Prozess geltend gemacht hat.569 567

Vgl. für Italien: Art. 1242 Codice Civile; für Frankreich: Art. 1290 Code Civil. STS 91/1962, 1. Februar 1962 (n° ROJ: STS 2949/1962), Considerando 2° („se opera por ministerio de la ley“); STS 326/1975, 16. Oktober 1975 (n° ROJ: STS 127/1975), Considerando 9° („la compensación se produce y opera ‚ipso iure‘“); STS 541/1987, 19. September 1987 (n° ROJ: STS 5669/1987), FD 3° („de pleno derecho“); STS 312/1994, 9. April 1994 (n° ROJ: STS 2322/1994), FD 2° („por ministerio de la ley“); Albaladejo, Derecho civil II, p. 315; Lasarte, Principios de derecho civil II, p. 179 (jeweils auch zur älteren, gegenteiligen Mindermeinung von González Palomino). Der Wortlaut des Art. 1202 C.C. („El efecto de la compensación es extinguir una y otra deuda en la cantidad concurrente, aunque no tengan conocimiento de ella los acreedores y deudores.“) legt zwar eine ipso iure eintretende Wirkung nahe, da er von einem Eintritt auch ohne Kenntnis des Gläubigers und des Schuldners ausgeht, er lässt sich jedoch auch mit einer von einer entsprechenden Willenserklärung abhängigen, lediglich auf den Zeitpunkt des Vorliegens der Aufrechnungsvoraussetzungen zurückwirkenden Aufrechnung vereinbaren (so Gomez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 224). 569 STS 73/2005, 15. Februar 2005 (n° ROJ: STS 911/2005), FD 2°, I; STS 325/2006, 3, April 2006 (n° ROJ: STS 1846/2006), FD 3°; Gomez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 224 s.; Lasarte, Principios de derecho civil II, p. 178. Dabei ist unstreitig, dass die Parteien die dem Aufrechnungstatbestand zugrunde liegenden Tatsachen in den Prozess eingeführt haben müssen. Dass sich ein Wille, die Wirkungen der Aufrechnung zur Geltung zu bringen, in darüber hinausgehender Weise manifestieren müsse, wird in einigen Entscheidungen des Tribunal Supremo angedeutet: Der Automatismus der Aufrechnung beziehe sich lediglich auf den Zeitpunkt des Untergangs der gegenseitigen Forderungen (im Moment, in dem die Voraussetzungen des Aufrechnungstatbestandes erfüllt sind), dies bedeute jedoch nicht, dass nicht ein entsprechender Wille zumindest einer der Parteien notwendig sei: STS 73/2005, 15. Februar 2005 (n° ROJ: STS 911/2005), FD 2°, I („Ese llamado automatismo de la compensación es expression de la idea de que la neutralización de deudas se produce desde el momento en que concurren los requisitos precisos, más no en el sentido de que no sea necesario para compensar que lo quiera, al menos, uno de los deudores.“) ; 568

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Wie die Aufrechnung vor Einführung der LEC 2000 allerdings in das Verfahren einzubringen und prozessual zu behandeln war, wurde kontrovers diskutiert. Aufgrund der Zwischenstellung der Aufrechnung zwischen schlichter Einwendung und Widerklage stellte sich die Frage, ob die Aufrechnung ganz allgemein als Widerklage zu erheben war oder ob zumindest in dem Fall, in dem der Beklagte mit der Aufrechnung lediglich die Abweisung der gegnerischen Klage bewirken wollte, auch eine prozessuale Behandlung nach den für gewöhnliche Einwendungen geltenden Regeln in Betracht kam. Dies wurde lange Zeit sehr unterschiedlich beurteilt, wobei verschiedenste Lösungen vertreten wurden: Teilweise wurde für alle Aufrechnungskonstellationen die Regel aufgestellt, das Gericht dürfe die aufrechenbare Gegenforderung nur dann berücksichtigen, wenn diese im Wege der Widerklage 570 in den Prozess eingeführt wurde.571 Überwiegend wurden jedoch differenzierende Ansätze vertreten: So sollte die Aufrechnung bei Geltendmachung einer Gegenforderung geringerer oder gleicher Höhe eine Behandlung als schlichte Einwendung, bei einem die klägerische Hauptforderung übersteigenden Betrag der Gegenforderung dagegen als Wiederklage erfahren.572 In der Rechtsprechung findet sich STS 325/2006, 3, April 2006 (n° ROJ: STS 1846/2006), FD 3°. Jedoch nahm die Rechtsprechung für den Fall, dass der Beklagte die dem Aufrechnungstatbestand zugrunde liegenden Tatsachen vorgetragen hatte, wiederum regelmäßig eine sogenannte implizite Widerklage (reconvención implícita) an, welche eine ausdrückliche Geltendmachung als formale Widerklage oder explizit erhobene Einwendung unnötig machen sollte, so z.B. STS 80/1985, 6. Februar 1985 (n° ROJ: STS 1470/1985), Considerando 1; STS 1069/1993 (n° ROJ: 7713/1993), FD 2°; STS 1173/2001, 18. Dezember 2001 (n° ROJ: STS 9968/2001), FD 5°. 570 Eine deutliche Relativierung erfuhr dieses Widerklageerfordernis aber dadurch, dass auch eine sog. implizite Widerklage genügen sollte (STS 82/2006, 7. Februar 2006 (n° ROJ: STS 460/2006), FD 1° (noch zum alten Recht): „ha de ser objeto de reconvención explícita o implícita“). Eine solche reconvención implícita bejahte die Rechtsprechung aber schon dann, wenn der Beklagte lediglich die dem Aufrechnungstatbestand zugrunde liegend en Tatsachen vorgetragen hatte, ohne eine formale Widerklage erhoben zu haben (so z.B. STS 80/1985, 6. Februar 1985 (n° ROJ: STS 1470/1985), Considerando 1°: „… porque admitida doctrinal y jurisprudencialmente la reconvención implícita, […] , es decir, aquella que no va acompañada de formulismo procesal que la exteriorice, y reconocido, igualmente, que el demandado, para impugnar la demanda no tiene necesidad de alegar expresa y nominalmente excepciones, bastando con la invocación de hechos de los que las mismas resulten …“. 571 Z.B. STS 82/2006, 7. Februar 2006 (n° ROJ: STS 460/2006), FD 1° (zum alten Recht): Im zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte lediglich die Abweisung der gegnerischen Klage verlangt und dabei geltend gemacht, sie habe Forderungen der Klägerin für diese erfüllt. Das Berufungsgericht hatte den hieraus resultierenden Regressanspruch mit der Forderung der Klägerin saldiert und der Klägerin nur den verbleibenden Saldo zugesprochen. Der Tribunal Supremo hob diese Entscheidung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Kongruenz (ne ultra petita) auf, da die Beklagte keine Widerklage erhoben habe. 572 STS 80/1985, 6. Februar 1985 (n° ROJ: STS 1470/1985), Considerando 1°; STS 1069/1993, 16. November 1993 (n° ROJ: STS 7713/1993), FD 2°; STS 333/1999, 24. April

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zudem die aus dem französischen Recht bekannte Unterscheidung zwischen der als Einwendung zu behandelnden compensación legal, bei der die Voraussetzungen der kraft Gesetz eintretenden Aufrechnung bereits sämtlich erfüllt sind und die rechtsvernichtende Wirkung daher bereits eingetreten ist, und der im Wege der Widerklage geltend zu machenden compensación judicial 573, bei der eine noch fehlende Voraussetzung der kraft Gesetz eintretenden Wirkung gerade im gerichtlichen Verfahren hergestellt werden soll. 574 Eine einheitliche prozessuale Behandlung hatte die Aufrechnung vor Einführung der LEC 2000 damit weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur erfahren. (bb) Der Nichtigkeitseinwand Eindeutiger war dagegen die prozessuale Behandlung des Einwandes der Nichtigkeit des dem klägerischen Anspruch zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses: Wollte der Beklagte die absolute, anfängliche Nichtigkeit des Rechtsverhältnisses geltend machen, so stand ihm nach der Rechtsprechung die Wahlmöglichkeit zwischen einer auf die gesonderte Feststellung der Nichtigkeit abzielenden Widerklage und einer lediglich die Abweisung der gegnerischen Klage bewirkenden Einwendung zu. 575 Wollte der Beklagte dagegen die An-

1999 (n° ROJ: STS 2750/1999), FD 2°; STS 1173/2001, 18. Dezember 2001 (n° ROJ: 9968/2001), FD 5°; Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 225; de la Oliva Santos, La Ley 1982, 918, 922. Im Fall der die Hauptforderung übersteigenden Gegenforderung war allerdings wiederum umstritten, ob die gesamte Forderung im Wege der Widerklage geltend zu machen sei (so STS 333/1999, 24. April 1999 (n° ROJ: STS 2750/1999), FD 2°; Pente de Pinedo, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 408, § 2, p. 668, 669) oder nur hinsichtlich des die Hauptforderung übersteigenden Differenzbetrages von einer Widerklage auszugehen sei (so STS 80/1985, 6. Februar 1985 (n° ROJ: STS 1470/1985), Considerando 1°; STS 1069/1993, 16. November 1993 (n° ROJ: STS 7713/1993), FD 2°; STS 1173/2001, 18. Dezember 2001 (n° ROJ: 9968/2001), FD 5°; de la Oliva Santos, La Ley 1982, p. 918, 922; wohl auch Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 225). 573 Kritisch zu dieser Unterscheidung zwischen verschiedenen „Formen“ der Aufrechnung Albaladejo, Derecho civil II, p. 320 (immer compensación legal, lediglich verschiedene Wege, deren Voraussetzungen herzustellen). 574 So STS 36/1978, 31. Januar 1978 (n° ROJ: 4164/1978), Considerando 2°; STS 405/1979, 6. Dezember 1979 (n° ROJ: 4674/1979), Considerando 4°. Angedeutet auch in: STS 73/2005, 15. Februar 2005 (n° ROJ: STS 911/2005) FD 2°, I. 575 STS 343/1969, 24. Mai 1969 (n° ROJ: STS 59/1969), Considerando 2 ° („… para oponer con éxito a una demanda la petición de nulidad en que ésta se apoya, no es imprescindible acudir a la vía reconvencional provocando el nacimiento de un proceso objetivamente acumulativo dentro del originariamente iniciado, sino que puede obtenerse dicho resultado mediante la invocación de una excepción perentoria dirigida a enervar o destruir en ese mismo sentido la acción ejercitada, sin ningún otro pedimento“) ; STS 427/1989, 2. Juni 1989 (n° ROJ: 3289), FD 2°; STS 150/1992, 19. Februar 1992 (n° ROJ:

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nullierung (relative Nichtigkeit) oder Aufhebung des Rechtsverhältnisses geltend machen, so sollte dies nur im Wege der Widerklage möglich sein. 576 Wie sich aus den Entscheidungen des Tribunal Supremo ergibt, hielten es aber gerade unterinstanzliche Gerichte vielfach für notwendig, in Fällen, in denen der Beklagte in der Klageerwiderung die Nichtigkeit geltend gemacht hatte, ohne aber eine formale Widerklage auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit zu erheben, eine Berücksichtigung des Nichtigkeitseinwandes durch die Konstruktion einer impliziten Widerklage zu rechtfertigen. 577 Durch diese Praxis wurde die an sich klare Regel verwässert, so dass auch im Hinblick auf die prozessuale Behandlung des Nichtigkeitseinwandes gewisse Unklarheiten verblieben.578 (b) Die Zuerkennung der „cosa juzgada material“ (aa) Die Aufrechnung Im Fall der Aufrechnung setzten sich die Unklarheiten im Hinblick auf die prozessuale Behandlung jedoch nicht in der Beurteilung der Erfassung durch die cosa juzgada fort. Vielmehr war die Aufrechnung vor Einführung der LEC 2000 die einzige Einwendung, die gänzlich unstreitig von der cosa juzgada material erfasst wurde. Lediglich in der Begründung dieser Erstreckung spiegelte sich die abweichende Beurteilung der prozessualen Behandlung wider. Sah man die Widerklage als einzig statthafte Form der Geltendmachung der Aufrechnung an, so ergab sich hieraus ohne Weiteres die Erfassung von der cosa juzgada, 579 da durch die Widerklage ein eigenständiger prozessualer Anspruch in das Verfahren eingeführt wird, der einen eigenständigen Ausspruch im fallo erforderlich macht. Aber auch bei einer Behandlung als schlichte Einwendung wurde die Erstreckung der cosa juzgada material auf die zur Auf-

12628/1992), FD 2°; STS 750/1991, 20. Juli 1994 (n° ROJ: 5611/1994), FD 1°; STS 837/1999, 16. Oktober 1999 (n° ROJ: STS 6412/1999), FD 5°. 576 STS 53/1980, 15. Februar 1980 (n° ROJ: 178/1980), Considerando 7°; STS 715/1988, 6. Oktober 1988 (n° ROJ: 6855/1988), FD 2°; STS 1034/1994, 19. November 1994 (n° ROJ: 7491/1994), FD 3°; STS 837/1999, 16. Oktober 1999 (n° ROJ: STS 6412/1999), FD 5°: „Es reiterada y uniforme doctrina de esta Sala la de que si bien la nulidad relativa o anulabilidad ha de ser pedida necesariamente por vía de acción (ejercitada en la demanda principal o en la demanda reconvencional), la nulidad radical o de pleno derecho se puede hacer valer por vía de acción o por vía de excepción …“. 577 So beispielsweise in dem der Entscheidung STS 837/1999, 16. Oktober 1999 (n° ROJ: STS 6412/1999), FD 5° zugrunde liegenden Fall, in dem die unterinstanzlichen Gerichte – aus Sicht des Tribunal Supremo ohne Not – eine reconvención implícita konstruiert hatten. 578 Vgl. auch die Darstellung der verschiedenen Positionen der Rechtsprechung bei Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 76 ss. 579 So Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 207.

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rechnung gestellte Gegenforderung sowie die Rechtsfolge der Aufrechnung bejaht.580 Dem lag die Erwägung zugrunde, dass es dem Beklagten versagt sein sollte, seine Forderung doppelt zur Durchsetzung zu bringen: Bei einer Versagung der cosa juzgada drohe die Gefahr, dass der Beklagte seine Forderung in einem ersten Verfahren unter Berufung auf die Aufrechnung zur Vernichtung des gegenerischen Anspruchs einsetze, die Forderung in einem zweiten Verfahren aber – nunmehr klageweise – erneut geltend mache, ohne dass das Gericht im späteren Verfahren an die im ersten Prozess vorgenommene Beurteilung der Existenz der Forderung und des Eintritts der Wirkung der Aufrechnung gebunden sei. 581 Unabhängig von der prozessualen Behandlung der Aufrechnung erfasste die cosa juzgada material daher bereits vor der Zivilprozessrechtsreform die Feststellungen zum Bestehen der Gegenforderung sowie zur Wirkung der Aufrechnung. (bb) Der Nichtigkeitseinwand Die Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zum Einwand der absoluten Nichtigkeit eines Rechtsverhältnisses war dagegen vor Einführung der LEC 2000 nicht allgemein anerkannt. In der Literatur wurde eine Erstreckung der cosa juzgada auf Einwendungen nur für den Fall der Aufrechnung bejaht, der Einwand der absoluten Nichtigkeit sollte dagegen nach ganz überwiegender Ansicht wie auch das übrige Verteidigungsvorbringen des Beklagten 582 nur dann von der cosa juzgada erfasst sein, wenn der Beklagte eine Widerklage erhob. 583 Die Rechtsprechung bejahte dagegen teilweise ein Entgegenstehen der cosa juzgada, wenn die Partei, die sich gegenüber einer auf die Wirksamkeit eines Vertragsverhältnisses gestützten Klage mit dem Einwand der Nichtigkeit des Vertrages verteidigt hatte, in einem späteren Verfahren eine Klage auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit dieses Vertrages erhob. 584 Dieses Ergebnis wurde aber weniger mit einer Erstreckung der cosa juzgada auf eine in 580 STS 333/1999, 24. April 1999 (n° ROJ: STS 2750/1999), FD 2° (mit der Folge der bindenden Wirkung der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada im späteren Verfahren); de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 42 (p. 188 s.); Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 225. 581 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 42 (p. 188 s.); de la Oliva Santos, La Ley 1982, p. 918, 921. 582 Ausführlich zu den sonstigen Einwendungen sogleich unter F. IV. b. bb. 583 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 38 ss. (p. 185 s.); Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 225; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 207. Für eine Erstreckung der cosa juzgada sprach sich dagegen Serra Domínguez aus, Serra Domínguez, Art. 1252 C.C. in: Albaladejo, Comentarios al C.C. – T. XVI, vol. 2°, p. 627, 662. 584 STS 30. Januar 1947 (Entscheidungsteilabdruck und -besprechung in: Prieto Castro, Estudios y Comentarios II, n° 58, p. 521 ss.).

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den Entscheidungsgründen tatsächlich enthaltene Zurückweisung des Nichtigkeitseinwandes begründet, als vielmehr auf die Annahme einer im ersten Verfahren implizit erhobenen Widerklage auf Nichtigkeitsfeststellung und einer durch das zusprechende Urteil implizierten Abweisung dieser Widerklage gestützt. 585 (2) Die heutige Rechtslage Mit der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 hat der Gesetzgeber die prozessuale Behandlung der Aufrechnung und des Nichtigkeitseinwandes sowie die Frage der Erstreckung der cosa juzgada auf die Feststellungen zur Aufrechnung und zur absoluten 586 Nichtigkeit in Art. 408 LEC für das Normalverfahren

585 STS 30. Januar 1947, zur Widerklage: „Si también es doctrina legal, por lo repetida, notoria, que cuantas peticiones haga el demandado, independientes de aquella que se contrae a ser absuelto, entrañan verdadera reconvención, no cabe decir, con propiedad, que no tuviese tal carácter la súplica de la [demandada], en que se postuló la nulidad del pacto por usurario […], siquiera tal pretensión no se articulara con formal rigorismo. “ Zur im zusprechenden Urteil enthaltenen Zurückweisung des Nichtigkeitseinwandes: „… por existir entre las dos peticiones un enlace sólido y directo, y aun común origen, dimanantes de una misma relación jurídica, al acogerse la demanda quedó, como es lógico automátice e implícitamente rechazada; […] al declararse en el primero de los pleitos válida la compraventa, […] no era preciso llevar a la parte dispositiva de la sentencia pronunciamento alguno, por separado, en torno a la nulidad del contrato; porque la incompatabilidad entre ellos lo hacía naturalmente innecesario ...“ (entnommen aus Prieto Castro, Estudios y Comentarios II, n° 58, p. 521, 526). Vgl. auch die Ausführungen Prieto Castros zur Konstruktion einer impliziten Widerklage und einer impliziten Entscheidung über den Nichtigkeitseinwand bei stattgebendem Tenor, p. 523 ss. Stillschweigende Abweisung des Nichtigkeitseinwandes auch bejaht in STS 266/1984, 27. April 1984 (n° ROJ: STS 237/1984), Considerando 3°. 586 Während der Normtext des Art. 408.2 LEC ausdrücklich von der „absoluten Nichtigkeit“ spricht, wird diskutiert, ob dieser Begriff tatsächlich streng formal auf Fälle der anfänglichen absoluten Nichtigkeit zu beschränken ist, oder ob die Erwiderungsmöglichkeit sowie die ausdrückliche Erstreckung der cosa juzgada auf die diesbezügliche Feststellung auch zur Anwendung kommen soll, wenn der Beklagte die relative Nichtigkeit (nulidad relativa, anulabilidad) des Rechtsgeschäft, also dessen auf bestimmte Willensmängel gestützte Annullierbarkeit (Art. 1300 ss. CC) geltend macht. Während einige Autoren eine Anwendung der Norm zwar für sinnvoll erachten, wegen des ausdrücklichen Wortlautes des Art. 408.2 LEC jedoch die relative Nichtigkeit wie die übrigen Einwendungen behandeln wollen (Tapia Fernández, 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1707; dies., Cosa juzgada, p. 98; so teilweise auch die Rechtsprechung: SAP Pamplona/Iruña 65/2010, 16. März 2010 (n° ROJ: SAP NA 655/2010), FD 4°), befürworten andere die Anwendung der Norm auch auf Fälle der relativen Nichtigkeit (de la Oliva Santos, Objeto del proceso n° 205, p. 231). Die Rechtsprechung hält im Hinblick auf di e relative Nichtigkeit dagegen auch nach Einführung der LEC 2000 an der Linie fest, eine Geltendmachung der relativen Nichtigkeit nur im Wege der Widerklage zuzulassen, während eine Wahlmöglich-

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(juicio ordinario) gesetzlich geregelt. Der Gesetzgeber hat die Aufrechnung und den Nichtigkeitseinwand dabei jedoch weder als Widerklage noch als schlichte Einwendung qualifiziert,587 sondern ihre prozessuale Behandlung unabhängig von der Form der Geltendmachung dem für Widerklagen geltenden Verfahrensgang unterstellt: Selbst wenn der Beklagte die aufrechenbare Gegenforderung bzw. die Nichtigkeit als schlichte Einwendung mit dem alleinigen Ziel geltend macht, die Abweisung der gegnerischen Klage zu bewirken,588 wird dem Kläger – anders als bei einer auf sonstige Einwendungen beschränkten Klageerwiderung des Beklagten – gemäß Art. 408.1, 2 LEC die Gelegenheit gegeben, innerhalb von 20 Tagen ab Zustellung der Klageerwiderung in einem Schriftsatz auf den Vortrag des Beklagten zu erwidern. Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Formulierung der Absätze 1 und 2 des Art. 408 LEC keinen völligen Gleichlauf der prozessualen Behandlung von Aufrechnung und Nichtigkeitseinwand hergestellt: 589 Während der Kläger im Fall der Aufrechnung gemäß Art. 408.1 LEC ohne Weiteres nach den für die Widerklage gel-

keit zwischen Widerklage und schlichter Einwendung nur bei dem Einwand absoluter Nichtigkeit möglich sein soll (SAP Granada 29/2006, 3. März 2006 (n° ROJ: SAP GR 356/2006), FD 3°; SAP Málaga 262/2006, 30. März 2006 (n° ROJ: SAP MA 498/2006), FJ 2°; SAP León 407/2009, 22. Juli 2009 (n° ROJ: SAP LE 932/2009), FD 2°; SAP Málaga 317/2010, 14. Juni 2010 (n° ROJ: SAP MA 651/2010), FD 2°). Bei diesem Verständnis ist sowohl die prozessuale Behandlung der relativen Nichtigkeit als auch die Frage d er Zuerkennung der cosa juzgada bereits vorgezeichnet, sodass man eine klarstellende Regelung wie Art. 408.2, 3 LEC für die relative Nichtigkeit anders als für die absolute Nichtigkeit für entbehrlich halten kann (so Puente de Pinedo, in: Toribios Fuentes, Comentarios a la LEC, Art. 408 LEC, § 3, p. 668, 671 s.). 587 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 79 s. 588 Vgl. den Wortlaut des Art. 408.1 LEC: „… aunque el demandado sólo pretendiese su absolución y no la condena al saldo que a su favor pudiera resultar.“ Auch in den Fällen, in denen die frühere Rechtsprechung regelmäßig eine Geltendmachung der Aufrechnung per Widerklage verlangte, wird heute aufgrund der fehlenden Differenzierung im Normtext vielfach die Möglichkeit einer Erhebung als schlichte Einwendung bejaht (so für die compensación judicial ausdrücklich STS 427/2013, 13. Juli 2013 (n° ROJ: STS3359/2013), FD 2°). Ob die Aufrechnung jedoch auch dann als schlichte Einwendung geltend gemacht werden kann, wenn der Betrag der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung den der klägerischen Hauptforderung übersteigt, ist in der seit 2000 ergangenen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt worden (für die Möglichkeit der Erhebung als Einwendung auch bei einer die Hauptforderung übersteigenden Gegenforderung: SAP Oviedo 405/2011, 8. November 2011 (n° ROJ: SAP O 1822/2011), FJ 2°; dagegen: SAP Madrid 229/2008, 29. April 2008 (n° ROJ: SAP M 4924/2008), FJ 2°). 589 Ausführlich zu den Unterschieden zwischen den Absätzen 1 und 2 des Art. 408 LEC: Tapia Fernández, 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1704 ss.

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tenden Regeln erwidern kann, sieht Art. 408.2 LEC ein entsprechende Erwiderung auf den Nichtigkeitseinwand nur auf Antrag des Klägers vor. 590 Der Kläger erhält damit zwar auch beim Einwand der Nichtigkeit die Möglichkeit, formal auf das Vorbringen des Beklagten zu erwidern, jedoch werden die Verfahrensschritte eines Antrags und einer Verfügung des secretario judicial dazwischen geschaltet. Macht der Beklagte eine aufrechenbare Gegenforderung geltend oder trägt er Tatsachen vor, welche die Nichtigkeit des dem klägerischen Anspruch zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts begründen, so hat das Gericht gemäß Art. 408.3 LEC eine ausdrückliche Feststellung hierzu zu treffen. 591 Dieser Feststellung kommen gemäß Art. 222.2, 408.3 LEC die Wirkungen der cosa juzgada material zu. 592 Für die Aufrechnung bleibt es damit bei der bereits zuvor in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Lösung. Im Hinblick auf den Einwand der absoluten Nichtigkeit bedeutet die klare Entscheidung für eine Erstreckung der cosa juzgada eine Abkehr von der zuvor uneinheitlichen, häufig auf der Annahme impliziter Widerklagen und impliziter Entscheidungen beruhenden Rechtsprechung. Leitend war hierbei – ähnlich wie bei der Aufrech-

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Art. 408 LEC: „1. Si, frente a la pretensión actora de condena al pago de cantidad de dinero, el demandado alegare la existencia de crédito compensable, dicha alegación podrá ser controvertida por el actor en la forma prevenida para la contestación a la reconvención, aunque el demandado sólo pretendiese su absolución y no la condena al saldo que a su favor pudiera resultar. 2. Si el demandado adujere en su defensa hechos determinantes de la nulidad absoluta del negocio en que se funda la pretensión o pretensiones del actor y en la demanda se hubiere dado por supuesta la validez del negocio, el actor podrá pedir al Secretario judicial contestar a la referida alegación de nulidad en el mismo p lazo establecido para la contestación a la reconvención, y así lo dispondrá el Secretario judicial mediante decreto. […].“ 591 Bezweckt der Beklagte mit der Berufung auf die aufrechenbare Gegenforderung allerdings lediglich die Abweisung der Klage, ohne einen gesonderten Ausspruch über seine Forderung zu verlangen, und hält das Gericht die klägerische Forderung bereits unabhängig von der Aufrechnung für nicht gegeben, zwingt Art. 408.3 LEC das Gericht nicht zu einer Feststellung zur Gegenforderung des Beklagten, vielmehr hat das Gericht im Urteil klarzustellen, dass es eine Entscheidung über das (Fort-)Bestehen der Forderung des Beklagten nicht getroffen hat, weshalb insoweit auch keine cosa juzgada anzunehmen ist (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 26, p. 38 s.). 592 Art. 408.3 LEC: „La sentencia que en definitiva se dicte habrá de resolver sobre los puntos a que se refieren los apartados anteriores de este artículo y los pronunciamientos que la sentencia contenga sobre dichos puntos tendrán fuerza de cosa juzgada.“ Art. 222.2 LEC: „La cosa juzgada alcanza a las pretensiones de la demanda y de la reconvención, así como a los puntos a que se refieren los apartados 1 y 2 del artículo 408 de esta Ley.“

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nung – der Gedanke, dass es dem Beklagten verwehrt sein solle, den Nichtigkeitseinwand in zweifacher Weise – zunächst als Einwendung und dann als Widerklage – geltend zu machen.593 Aufgrund der in Art 408.1 LEC vorgesehenen Erwiderungsmöglichkeit des Klägers kollidiert die Erstreckung der cosa juzgada auf die Aufrechnung auch nicht mit dem traditionell für eine Erstreckung auf Elemente der Entscheidungsbegründung geforderten Erfordernis der Wahrung der Grundsätze der Kontradiktion und des rechtlichen Gehörs. 594 Aufgrund des systematischen Standorts im das Normalverfahren (juicio ordinario) regelnden zweiten Titel des zweiten Buches der LEC kann Art. 408 LEC nur für diese Verfahrensart unmittelbare Geltung beanspruchen. Für das beschleunigte Verfahren des juicio verbal fehlt es dagegen bislang an einer dem Art. 408 LEC entsprechenden Regelung. Möchte der Beklagte im juicio verbal, das keine der mündlichen Verhandlung vorgelagerte schriftliche Klageerwiderung vorsieht, die Aufrechnung geltend machen, sieht Art. 438.2, I LEC zwar entsprechend des Verfahrensgangs bei beabsichtigter Erhebung einer Widerklage eine Mitteilung an den Kläger spätestens fünf Tage vor der

593 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung zur Zivilprozessrechtsreform, Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII): „...la Ley evita la indebida dualidad de controversias sobre nulidad de los negocios jurídicos – una, por vía de excepción; otra, por vía de demanda o acción“. 594 Im Hinblick auf den Nichtigkeitseinwand wird allerdings die Frage aufgeworfen, ob die Erfassung von der cosa juzgada davon abhängig ist, ob der Kläger von der Antragsmöglichkeit nach Art. 408.2 LEC Gebrauch macht oder nicht (so bei Tapia Fernández, 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1706). Mit der Vorstellung, die Zuerkennung der cosa juzgada sei Fragen vorbehalten, hinsichtlich welcher eine kontradiktorische Diskussion im Verfahren tatsächlich stattgefunden hat, würde ein Verständnis des Art. 408.2, 3 LEC korrelieren, welches nur im Fall eines Antrags des Klägers und einer tatsächlich erfolgten Erwiderung eine Erstreckung der cosa juzgada auf die Feststellung zur Nichtigkeit bejaht (so Tapia Fernández, 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1706; ebenso (jedoch auch im Hinblick auf die Aufrechnung) López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 358). Ein solches Verständnis erscheint jedoch keineswegs zwingend. Mit der Erwägung, dass die Möglichkeit des Klägers, einen seine Erwiderung vorsehenden Verfahrensablauf einzuleiten, ausreiche, um dem Prinzip der Kontradiktion und den Verteidigungsrechten des Klägers gerecht zu werden, ließe sich auch ein vom tatsächlich gestellten Antrag oder einer tatsächlichen Erwiderung unabhängige Erstreckung der cosa juzgada befürworten (hiervon scheint de la Oliva Santos auszugehen: Objeto del proceso, n° 205, p. 231). Zudem verknüpft Art. 408.3 LEC die Erstreckung der cosa juzgada auf die „Punkte“ (puntos) der Aufrechnung bzw. Nichtigkeit nicht mit der tatsächlichen Wahrnehmung der Erwiderungsmöglichkeit.

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mündlichen Verhandlung vor,595 zur cosa juzgada äußert sich die Regelung aber nicht. Da die Mitteilung dem Kläger eine Vorbereitung auf die Erhebung des Aufrechnungseinwandes durch den Beklagten in der Verhandlung ermöglicht, wird aber angenommen, dass sich die cosa juzgada der im juicio verbal ergehenden Entscheidung auf die Feststellung zur aufgerechneten Gegenforderung und zur Aufrechnungswirkung erstrecke. 596 Anders als Art. 408 LEC enthält Art. 438 LEC allerdings keine Aussage zum Einwand der absoluten Nichtigkeit eines der Klage zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. Nur teilweise wird erwogen, einen Gleichlauf mit Art. 408 LEC durch eine Anwendung des Art. 438.2 LEC auch auf den Nichtigkeitseinwand herzustellen. 597 Dagegen spricht sich der wohl überwiegende Teil der Literatur dafür aus, die Frage der Zuerkennung der cosa juzgada wie vor Einführung der LEC davon abhängig zu machen, ob der Nichtigkeitseinwand als Einwendung oder Widerklage geltend gemacht wird.598 Die unterschiedliche Behandlung von Aufrechnung und Nichtigkeitseinwand wird mit der Erwägung gerechtfertigt, dass die Geltendmachung einer häufig nicht aus demselben Rechtsverhältnis stammenden aufrechenbaren Gegenforderung für den Kläger nicht in gleichem Maße vorhersehbar sei wie die Infragestellung der Wirksamkeit des seiner Klage zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. 599 In der im aktuellen Gesetzesentwurf zur Reform der LEC vorgesehenen Neufassung des Art. 438.3 LEC wird Art. 408 LEC ausdrücklich für anwendbar erklärt, wenn der Beklagte in der Klageerwiderung eine aufrechenbare Gegenforderung geltend macht, 600 so dass sowohl im Hinblick auf die prozessuale Behandlung als auch auf die Zuerkennung der cosa 595

Art. 438.2, I LEC: „Cuando en los juicios verbales el demandado oponga un crédito compensable, deberá notificárselo al actor al menos cinco días antes de la vista.“ Ausführlich zur Angleichung an die für die Widerklage geltenden Regeln: Carranza Cantera, in: Toribios Fuentes, Comentarios a la LEC, Art. 438 LEC, p. 712, 717 s. (§ 2, 1). 596 Carranza Cantera, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 438 LEC, § 2.1, p. 712, 717 s.; Tapia Fernández, 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1707. 597 Vgl. Die Darstellung der entsprechenden Ansichten bei Carranza Cantera, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 438 LEC, § 2.2, p. 712, 718. 598 Carranza Cantera, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 438 LEC, § 2.2, p. 712, 719; Tapia Fernández, 408 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1702, 1707. 599 Carranza Cantera, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 438 LEC, § 2.2, p. 712, 718 s. 600 Proyecto de Ley de reforma de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial de las Cortes Generales – Congreso de los Diputados – X. Legislatura, Seria A: Proyectos de Leyes, 6. März 2015, n° 133–1, 121/000133, p. 1, 12: Art. Uno, Veintiséis: „Se modifican la rúbrica y el contenido del artículo 438, que quedan redactados del siguiente modo: ‚Artículo 438. Admisión de la demanda y contestación. Reconvención. [...] 3. El demandado podrá oponer en la contestación a la demanda un crédito compensable, siendo de aplicación lo dispuesto en el art. 408. Si la cuantía de dicho crédito fuese superior a la que determine que se siga

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juzgada ein Gleichlauf mit dem Normalverfahren hergestellt wird. Auch das Reformprojekt sieht allerdings keine Regelung für den Nichtigkeitseinwand vor. 601 Mit der Einführung des Art. 408 LEC hat der Gesetzgeber für das Normalverfahren die klare Entscheidung getroffen, die Wirkungen der cosa juzgada auch dann auf die Feststellungen des Gerichts zur Aufrechnung oder Nichtigkeit zu erstrecken, wenn der Beklagte dieses Gegenvorbringen nicht im Wege einer formalen Widerklage, sondern als schlichte Einwendung geltend gemacht hat. Der zuvor häufig herangezogenen Konstruktion impliziter Widerklagen oder impliziter Urteilssprüche bedarf es für die Zuerkennung der cosa juzgada insoweit nicht mehr.602 Durch die Ausgestaltung der Art. 408.1, 2 LEC wird gewährleistet, dass der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zum Vorbringen einer aufrechenbaren Gegenforderung bzw. zum Nichtigkeitseinwand erhält. Im Hinblick auf den juicio verbal setzen sich dagegen bislang die bereits vor Einführung der LEC geführten Diskussionen fort. Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf zur Reform der LEC 2000 wird die Regelung des Art. 408 LEC jedoch zumindest im Hinblick auf die Aufrechnung auch im juicio verbal Anwendung finden. bb. Sonstige Einwendungen Im Hinblick auf die übrigen, nicht zu den excepciones reconvencionales zählenden Einwendungen lässt sich ebenfalls eine klare Entwicklung hin zu einer Ausdehnung der Reichweite der cosa juzgada erkennen. Während aber die Erstreckung der cosa juzgada auf die zur unabdingbaren logischen Grundlage des klägerischen Anspruchs zählenden Vorfragen bereits vor Einführung der LEC in der spanischen Literatur breite Zustimmung gefunden hatte, hat sich die entsprechende Entwicklung im Hinblick auf Feststellungen zu Einwendungen des Beklagten erst nach der Umgestaltung des Verfahrensgangs im Rahmen der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 vollzogen.

el juicio verbal, el Tribunal tendrá por no hecha tal alegación en la vista, advirtiéndolo así al demandado, para que use de su derecho ante el Tribunal y por los trámites que correspondan.[...]‘.“ 601 Zwar nimmt Art. 438.3 LEC n.F. unterschiedslos auf den gesamten Art. 408 LEC Bezug, so dass auch der dem Nichtigkeitseinwand gewidmete Art. 408.2 LEC erfasst ist, allerdings ist Art. 438.3 LEC allein der Aufrechnung gewidmet und wird die Anwendung des Art. 408 LEC eindeutig für den Fall angeordnet, dass der Beklagte die Aufrechnung geltend macht. Diese systematische Einordnung des Verweises auf Art. 408 LEC in einen allein der Zulässigkeit des Aufrechnungseinwandes im juicio verbal gewidmeten Absatz, lässt es als fernliegend erscheinen, den Verweis auf Art. 408 LEC auch auf den Nichtigekeitseinwand zu beziehen. 602 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 204, p. 230 s.

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(1) Die Diskussion in der Literatur Die Haltung der spanischen Literatur zu einer Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu Einwendungen war zunächst vorbestimmt durch die herrschende Position einer Beschränkung der cosa juzgada auf den Urteilsspruch im fallo: Aufgrund der Ablehnung einer Erstreckung der cosa juzgada auf Elemente der Urteilsbegründung konnten auch die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Feststellungen zum Verteidigungsvorbringen des Beklagten nicht an den Wirkungen der cosa juzgada material teilhaben.603 Mit Erstarken der bereits beschriebenen 604 Ansicht, welche die tatsächlich erfolgte richterliche Beurteilung unabhängig von ihrem Standort in der Entscheidung als maßgeblichen Anknüpfungspunkt der cosa juzgada verstand, begann die Diskussion aber stärker auf die Besonderheiten des Verteidigungsvorbringens einzugehen. Die in der spanischen Literatur geführte Auseinandersersetzung über die Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu materiellrechtlichen 605 Einwendungen des Beklagten konzentrierte sich dabei auf zwei Gesichtspunkte. Wie auch in anderen Rechtsordnungen wurde erörtert, ob dem Verteidigungsvorbringen ein Einfluss auf den Streitgegenstand zuzusprechen sei. Die Verknüpfung der Zuerkennung der Wirkungen der cosa juzgada mit dem Erfordernis der Wahrung des Prinzips der Kontradiktion warf schließlich die Frage nach der Möglichkeit des Klägers zur Erwiderung auf das Gegenvorbringen im Rahmen des geltenden Verfahrensrechts auf. Im Hinblick auf beide Aspekte hat sich ein erheblicher Wandel vollzogen, was in einem Fall auf eine gewandelte Vorstellung vom Gegenstand der cosa juzgada und im anderen Fall auf der Umgestaltung des Verfahrensgangs im Rahmen der Reform des Jahres 2000 beruht.

603 Guasp, Derecho procesal civil I, p. 562; Prieto Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 207. Gegen eine Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen in den Entscheidungsgründen zu Einwendungen auch Gómez de Liaño González, El proceso civil, n° 98, p. 216 (der allerdings eine Präklusion nicht geltend gemachter Einwendungen bejaht). Die Erfassung anderer Einwendungen als der Aufrechnung durch die cosa juzgada ablehnend, ohne auf die Frage der Erstreckung der cosa juzgada auf die Entscheidungsgründe Bezug zu nehmen: Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 225. 604 Siehe oben F. IV. 2. a. aa. (1)). 605 Prozessrechtliche Einwendungen werden – entsprechend der in der spanischen Literatur herrschenden Ablehnung der Rechtskraftfähigkeit von Prozessurteilen – auch heute nach der in der Literatur ganz herrschenden Ansicht niemals von den Wirkungen der cosa juzgada material erfasst (so de la Oliva Santos, Objeto del prcoeso, n° 197, p. 225; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 565; dagegen allein: Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 192, 199 ss.).

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(a) Einfluss des Verteidigungsvorbringens auf den Streit- und Rechtskraftgegenstand Die Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu Einwendungen des Beklagten wurde lange Zeit schon deshalb verneint, weil dem Verteidigungsvorbringen jeglicher Einfluss auf den Streitgegenstand und damit auch den Gegenstand der cosa juzgada abgesprochen wurde: 606 Während der Kläger vom Gericht die Zuerkennung einer Rechtsposition einfordere, beschränke sich der Beklagte bei der Erhebung von Einwendungen auf die reine Abwehr des klägerischen Anspruchs. 607 Selbst wo er über das bloße Bestreiten des klägerischen Tatsachenvortrags hinausgehe und rechtshinderne, -vernichtende oder hemmende Tatsachen vortrage, verfolge er keine eigenständige Rechtsposition.608 Unabhängig davon, ob für die Bestimmung des Streitgegenstandes auf die Figur der acción oder des prozessualen Anspruchs Rückgriff genommen wurde, 609 sollte daher allein das durch den Kläger ausgeübte Klagerecht bzw. der durch den Kläger geltend gemachte Anspruch (und dessen unmittelbare Voraussetzungen) zum Gegenstand der cosa juzgada zu rechnen sein. Als spanische Autoren Ende des 20. Jahrhunderts dem denklogischen Entscheidungsgang auf dem Weg zum Urteilsspruch über den klägerischen Antrag zunehmende Bedeutung beizumessen begannen und die tatsächlich erfolgte richterliche Beurteilung unabhängig von ihrem Standort in der Entscheidung als maßgebliches Kriterium einer Zuerkennung der cosa juzgada verstanden,610 blieb dies auch im Hinblick auf die Bewertung des Einflusses des Verteidigungsvorbringens auf den Gegenstand der cosa juzgada nicht ohne Auswirkungen: Aus der Betrachtung des richterlichen Entscheidungsvorgangs folgerten die Autoren, dass der Richter auf dem Weg zur Beurteilung des klägerischen Anspruchs – sofern der klägerische Vortrag nicht unschlüssig sei – notwendigerweise auch das Gegenvorbringen des Beklagten zu beurteilen habe611 und diese Prüfung mit ebenso großer Sorgfalt und rechtlicher Genauigkeit vornehmen müsse wie die Beurteilung der vom Kläger angeführten Grundlagen des klägerischen Anspruchs.612 Stütze sich das Urteil auf die abweisende oder stattgebende Entscheidung zu einer der Einwendungen, so sei die entsprechende Feststellung dem Urteilsspruch zum klägerischen Anspruch im fallo 606 Guasp, La pretensión procesal, Anuario de derecho procesal 1952, p. 9, 57: „La oposición a la pretension no integrará el objeto del proceso, …“. 607 Auch aus heutiger Sicht hieran festhaltend: Calaza López, Cosa juzgada, p. 128. 608 Calaza López, Cosa juzgada, p. 128. 609 Hierzu ausführlicher unten G. II. 1. 610 Siehe die Darstellung oben F IV 2., a. aa. (1). 611 De la Oliva Santos/Angel Fernández, Derecho procesal civil II, n° 39, p. 186; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 202. 612 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 207, p. 232; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 138.

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unmittelbar vorgelagert und damit untrennbar mit diesem verknüpft. 613 Das Verteidigungsvorbringen bestimmt nach diesem Verständnis den Entscheidungsgegenstand mit, nicht nur weil und soweit es als „Kehrseite der Medaille“ des klägerischen Vorbringens verstanden werden kann, sondern weil die Einwendungen Gegenstand einer eigenständigen richterlichen Beurteilung sind und die entsprechende Feststellung einen unauflöslichen Bestandteil der abschließenden Entscheidung und cosa juzgada im eigentlichen Sinne darstellt.614 Die heute überwiegende Mehrheit der Autoren 615 folgt dieser Argumentation und nimmt an, dass zum Gegenstand der cosa juzgada auch das Verteidigungsvorbringen des Beklagten zähle.616 Wie auch bei Feststellungen zur unerlässlichen logischen Grundlage des klägerischen Anspruchs wird also die Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu Einwendungen mit der logischen Verknüpfung der Feststellung mit dem Urteilsspruch im fallo einerseits und der Einordnung als vollwertige richterliche Entscheidung andererseits begründet. (b) Rechtliches Gehör und streitige Erörterung im Hinblick auf das Verteidigungsvorbringen Obwohl bereits vor Einführung der LEC 2000 weite Teil der spanischen Literatur de lege ferenda eine Ausweitung des Gegenstandes der cosa juzgada mit der soeben beschriebenen Begründung befürworteten, wurde eine Erstreckung der Wirkungen der cosa juzgada auf Feststellungen zu Einwendungen de lege

613 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 207, p. 232; de la Oliva Santos/Angel Fernández, Derecho procesal civil II, n° 39, p. 186; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 202; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 150. 614 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 133; ebenso de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 198, p. 226. 615 Eine Ausnahme bildet Calaza López, die eine Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu Einwendungen ablehnt (Calaza López, Cosa juzgada, p. 128 ss.). 616 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 24 s., p. 36 s. (auf Grundlage einer Entscheidung zwischen objeto necesario/principal und objeto contingente/accesorio, wobei letzterer auch das Verteidigungsvorbringen erfasse und für die cosa juzgada maßgeblich sei); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 148 s., 501 (die cosa juzgada müsse auch den vom objeto del proceso zu unterscheidenden objeto del debate erfassen, für den auch das Verteidigungsvorbringen maßgeblich sei); Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 565 (die Wirkungen der cosa juzgada seien auch auf die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Feststellungen zur „causa petendi der Klageerwiderung“ im Sinne der materiellrechtlichen Einwendungen zu erstrecken).

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lata auch von Vertretern dieses ausweitenden Konzeption der cosa juzgada abgelehnt.617 Grund hierfür war der in der LEC 1881 vorgesehene Verfahrensgang nach erfolgter Klageerwiderung, welcher erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit einer Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zum Verteidigungsvorbringen mit dem Erfordernis der streitigen Erörterung aufkommen ließ. Während nämlich der Beklagte nach der Verfahrensausgestaltung des LEC 1881 zu den vom Kläger vorgetragenen Tatsachen und Rechtsargumenten, welche die unerlässliche Grundlage seines Anspruchs bildeten, ohne Weiteres in der Klageerwiderung Stellung nehmen konnte, war eine Erwiderungsmöglichkeit des Klägers auf das Gegenvorbringen des Beklagten nicht in gleicher Weise gewährleistet. Sah das Verfahren für hohe Streitwerte (juicio de mayor cuantía), welches in der Praxis kaum noch Anwendung fand, 618 eine schriftliche Replik und Duplik vor,619 so dass es dem Kläger dort möglich war, zum Gegenvorbringen des Beklagten Stellung zu nehmen, war im Verfahren für geringe Streitwerte (juicio de menor cuantía), welches sich zum Standardverfahren entwickelt hatte, ein schriftliche Replik des Klägers nicht vorgesehen: Die comparecencia previa, die mündliche Vorverhandlung des juicio de menor cuantía, erlaubte zwar eine Klarstellung und Korrektur des eigenen Vorbringens, eine Ergänzung des klägerischen Vorbringens um eine Stellungnahme zum Verteidigungsvorbringen des Beklagten sah der den Gegenstand der comparecencia previa regelnde Art. 693 LEC 1881 jedoch nicht vor. 620 Auch wenn eine (mündliche) Erwiderung zum Beklagtenvortrag – und im Rahmen der sogenannten diligencias para mejor proveer gegebenenfalls auch die Stellung entsprechender Beweisanträge – bei entsprechender gerichtlicher Verfahrensleitung auch in diesem Verfahren 617

De la Oliva Santos/Angel Fernández, Derecho procesal civil II, § 27 n° 39bis s., p. 186 s. Anders aber Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo, Comentarios al CC, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 660 ss. 618 Zu dieser Entwicklung vgl. auch die Bemerkungen zur historischen Entwicklung des Zivilverfahrens unter A. II. 1. a. 619 Art. 546 LEC 1881: „De la contestación a la demanda se dará traslado al actor para réplica, por término de diez días, y de la réplica, por igual término al demandado para dúplica.“ Vgl. zur damit verbundenen Erwiderungsmöglichkeit des Klägers: Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 521 (§ 28 I 3). 620 Art. 693 LEC 1881: „ De no lograrse el acuerdo a que se refiere el artículo anterior, la comparecencia proseguirá con el objeto establecido en las siguientes reglas:[...] 2.ª Oír al demandante y al demandado e invitarlos para que, sin alterar lo sustentado en sus escritos con carácter sustancial, concreten los hechos, fijen aquéllos en que no exista disconformidad y puntualicen, aclaren y rectifiquen cuanto sea preciso para delimitar los términos del debate. 3.ª Subsanar o corregir, si fuese posible, los defectos de que pudieran adolecer los correspondientes escritos expositivos, o salvar la falta de algún presupuesto o requisito del proceso que se haya aducido por las partes o se aprecie de oficio por el Juez; y cuando la subsanación no pudiera llevarse a efecto en el propio acto, conceder un plazo no superior a diez días, suspendiéndose entre tanto la comparecencia.[...].“

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nicht gänzlich ausgeschlossen war, 621 sah das Verfahrensrecht dies nicht ausdrücklich vor. Eine der Klageerwiderung des Beklagten vergleichbare Stellungnahmemöglichkeit des Klägers zu den Einwendungen des Beklagten wurde hierdurch nicht gewährleistet. 622 Da eine umfassende streitige Erörterung des Verteidigungsvorbringens des Beklagten daher aufgrund des Verfahrensgangs ausgeschlossen war, wurde eine Bindung an die Feststellungen des Gerichts zu den Einwendungen des Beklagten unter Geltung der LEC 1881 abgelehnt.623 Mit der Einführung der LEC 2000 wurden die Verfahrensarten und der Verfahrensgang jedoch von Grund auf neu geregelt und in diesem Rahmen auch die Äußerungsmöglichkeit des Klägers zum Gegenvorbringen des Beklagten erweitert: Zwar sieht die LEC weder für das Normalverfahren (juicio ordinario) noch den verkürzten juicio verbal eine schriftliche Replik vor, jedoch findet eine Stellungnahme des Klägers zum Gegenvorbringen des Beklagten in beiden Verfahrensarten eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung als Bestandteil der mündlichen (Vor-)Verhandlung.624 Damit ist in beiden Verfahrensarten gewährleistet, dass der Kläger Gelegenheit hat, sich zu den Einwendungen des Beklagten zu äußern,625 weshalb aus Sicht zahlreicher Autoren mit 621

Hierauf wies de la Oliva Santos hin: de la Oliva Santos/ Angel Fernández, Derecho procesal civil II, § 27 n° 39bis, p. 187; ähnlich auch Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 145 (eine gänzliche Versagung rechtlichen Gehörs sei nicht festzustellen gewesen). 622 De la Oliva Santos/ Angel Fernández, Derecho procesal civil II, § 27 n° 39bis, p. 187. 623 De la Oliva Santos/ Angel Fernández, Derecho procesal civil II, § 27 n° 40, p. 187. 624 Der für das Normalverfahren geltende Art. 426.1 LEC im frühen mündlichen Termin der audiencia previa ausdrücklich eine Erwiderung zum Gegenvorbringen und eine entsprechende streitige Erörterung zu (Art. 426.1 LEC: „En la audiencia, los litigantes, sin alterar sustancialmente sus pretensiones ni los fundamentos de éstas expuestos en sus escritos, podrán efectuar alegaciones complementarias en relación con lo expuesto de contrario.“ Im juicio verbal ist die Stellungnahmemöglichkeit zum Gegenvorbringen in der mündlichen vista vorgesehen (Art. 443 LEC: „2. Acto seguido, el demandado podrá formular las alegaciones que a su derecho convengan, [...]. 3. Oído el demandante sobre las cuestiones a que se refiere el apartado anterior, [...].“) Durch die im aktuellen Gesetzesentwurf zur Reform der LEC geplante Umgestaltung des juicio verbal werden die Erwiderungs- und Erörterungsmöglichkeiten dagegen denen des Normalverfahrens angeglichen (Proyecto de Ley de reforma de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial de las Cortes Generales – Congreso de los Diputados – X. Legislatura, Seria A: Proyectos de Leyes, 6. März 2015, n° 133–1, 121/000133, p. 1, 15: Artículo Uno, Treinta: „Artículo 443. Desarollo de la vista:[...] 3. [...] se resolviese por el Tribunal la continuación del acto, se dará la palabra a las partes para realizar aclaraciones y fijar los hechos sobre los que exista contradicción. Si no hubiere conformidad sobre todos ellos, se propondrán las pruebas y se practicarán seguidamente las que resulten admitidas.“). 625 Zweifel an der Klarheit der Verankerung der Erörterungsmöglichkeit im Normalverfahren äußert Padura Ballesteros, die darauf hinweist, dass Art. 426.1 LEC nur von ergänzenden Behauptungen (alegaciones complementarias) hinsichtlich des Gegenvorbringens spreche (Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 147). Im Ergebnis nimmt aber auch sie an,

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der Neugestaltung des Verfahrens der maßgebliche Einwand gegen eine Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu den Einwendungen des Beklagten entfallen ist.626 (c) Gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Erstreckung der „cosa juzgada“? – Die Diskussion über die Zulässigkeit eines Umkehrschlusses aus Art. 408 LEC War der zentrale Einwand der Literatur gegen eine Erstreckung der Wirkungen der cosa juzgada auf Feststellungen zu den Einwendungen des Beklagten durch die Neugestaltung des Verfahrensgangs im Zuge der Zivilprozessrechtsreform beseitigt worden, hat gerade eine Norm des neuen Zivilprozessgesetzes eine solche Erstreckung hinsichtlich sämtlicher Einwendungen des Beklagten wieder in Frage gestellt: Aus der expliziten Erstreckung der cosa juzgada auf den Aufrechnungs- und Nichtigkeitseinwand in Art. 222.2, 408 LEC haben einige Autoren geschlossen, dass der Gesetzgeber mit der auf diese beiden Einwendungen beschränkten Regelung die übrigen Einwendungen von der cosa juzgada material habe ausnehmen wollen.627 Die überwiegende Mehrheit der Autoren lehnt einen solchen Umkehrschluss jedoch ab und weist überzeugend darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des Art. 408 LEC bezweckt hatte, die zuvor umstrittene prozessuale Behandlung der Aufrechnung und des Nichtigkeitseinwandes einer einheitlichen, umfassenden (und damit auch die Frage der cosa juzgada behandelnden) Regelung zu unterwerfen, die der mit den beiden Einwendungen verbundenen deutlichen Ausweitung der Tatsachengrundlage des Rechtsstreits durch eine an die Widerklage angeglichene formale Ausgestaltung des Verfahrensgangs Rechnung tragen sollte.628 Die auf Aufrechnung und Nichtigkeitseinwand beschränkte Regelung finde so eine von der allgemeinen Frage der Erfassung der dass eine ausreichende kontradiktorische Erörterung in der audiencia previa gewährleistet sei (p. 147 ss.). Im Hinblick auf den juicio verbal wird zudem keine völlige Kongruenz der Äußerungsmöglichkeit von Kläger und Beklagten zum Vorbringen des jeweils anderen hergestellt, da die Klageerwiderung im juicio verbal erst mündlich im Rahmen der vista erfolgt und der Kläger sich daher nicht hierauf vorbereiten kann (hierauf weist auch de la Oliva Santos (Objeto del proceso, n° 201, p. 228 (Fußnote 147)) hin, der aber bei überraschendem Verteidigungsvortrag eine Vorbereitung des Klägers durch Aussetzung der vista gewährleisten will). Die im Gesetzesentwurf zur Reform der LEC vorgesehene Änderung des Art. 443 LEC wird aber die Erwiderungsmöglichkeit in der vista stärker an das Normalverfahren angleichen (siehe vorherige Fußnote). 626 So de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 201, p. 228.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 149 s. 627 So Calaza López, Cosa juzgada, p. 135. Den Umkehrschluss ebenfalls in Erwägung ziehend, die Frage aber letztlich offen lassend: López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 358. 628 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 101.

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Einwendungen von der cosa juzgada gesonderte Rechtfertigung, weshalb sich ein Umkehrschluss aus der Regelung des Art. 408.3 LEC auf die Behandlung der übrigen Einwendungen verbiete.629 (d) Ergebnis der Entwicklung Die Literatur hat damit seit Ende des 20. Jahrhunderts auch im Hinblick auf die Frage der Erstreckung der cosa juzgada auf gerichtliche Feststellungen zu materiellrechtlichen Einwendungen des Beklagten eine Kehrtwende vollzogen: Heute nimmt die ganz überwiegende Mehrheit der Autoren an, dass die cosa juzgada auch die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Feststellungen zu Einwendungen erfasst. 630 Leitend war hierbei die Zielsetzung, die erneute richterliche Prüfung bereits umfassend beurteilter Fragen und sich widersprechende richterliche Feststellungen zu vermeiden. 631 (2) Die Position der Rechtsprechung Die Rechtsprechung ist in der Beurteilung der Erfassung der Einwendungen von der cosa juzgada nicht denselben Weg wie die Literatur gegangen. Bereits vor Einführung der LEC 2000 brachten die Gerichte die cosa juzgada material zwar zur Anwendung, wenn die in einem früheren Verfahren geltend gemachte Einwendung zum Gegenstand einer späteren Klage gemacht wurde. Auffällig ist allerdings, dass die Gerichte es dabei vermieden, den in den Entscheidungsgründen enthaltenen Feststellungen die Wirkungen der cosa juzgada material zuzuerkennen.632 Stattdessen wurde häufig ein im fallo des früheren Urteils getroffener impliziter Urteilsspruch zu der Einwendung konstruiert. 633 Teilweise 629

De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 206, 231 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 143 s.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 100 s. 630 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 207 ss., 232 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 149 ss.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 101. 631 Die Ausweitung der cosa juzgada ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Verhinderung von Verfahrenswiederholungen und sich widersprechenden Entscheidungen stützend: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 209, p. 234; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 150. Ähnlich auch Tapía Fernández, Cosa juzgada, p. 101 („necesaria racionalización del proceso“). 632 Vgl. auch die entsprechende Rechtsprechungsanalyse bei Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 160 ss. 633 Z.B. STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 3° („al absolver o condenar no es necesario hacer pronunciamiento expreso sobre todas las excepciones, porque siempre que se estima la acción se entienden desestimadas, por el mismo hecho, las excepciones del demandado“), FD 5° („toda vez que el estudio llevado a cabo en la dictada por el Juzgado sobre la excepción de falta de personalidad de dicha Comunidad, origin su desestimación en el curso de la fundamentación jurídica de la sentencia y aunque el fallo recogiera de manera explícita de tal pronunciamiento desestimatorio, debe entenderse cual embebida en el estimatorio de la demanda interpuesta por las dos Comunidades actoras“).

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wurde auch ein sehr weiter Begriff der causa petendi verwendet und die Streitgegenstandsidentität bereits dann bejaht, wenn in aufeinanderfolgenden Klagen dieselbe Frage die unentbehrliche Grundlage des Anspruchs bildete. 634 In der Zeit nach Einführung der LEC 2000 haben sich bislang nur wenige Entscheidungen mit der Thematik auseinandergesetzt. Die auffindbaren Urteile der Audiencias Provinciales bejahen jedoch ein Greifen der cosa juzgada material in Fällen, in denen die im ersten Verfahren vorgebrachte Einwendung später die Grundlage einer aus demselben Sachverhalt entspringenden Klage des vormaligen Beklagten bildet. 635 Wie auch bereits vor der Zivilprozessrechtsrechtsreform wird aber auf eine ausdrückliche Erstreckung der cosa juzgada auf tatsächlich in den Entscheidungsgründen getroffene Feststellungen zu Einwendungen verzichtet. Stattdessen wird die Anwendung der Wirkungen der cosa juzgada material 636 recht pauschal und letztlich unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Einzelfalls auf immer wiederkehrende und bereits aus der Rechtsprechung vor 2000 bekannte Argumentationsketten gestützt, ohne dass aber tatsächlich eine differenzierte dogmatische Begründung erkennbar würde. So wird auf die Figur einer im fallo des stattgebenden Ersturteils enthaltenen impliziten Abweisung der Einwendungen des Beklagten zurückgegriffen,637 die Feststellung zu einer Einwendung aber auch als entscheidende Voraussetzung des Urteilsspruchs im fallo eingeordnet 638 und schließlich die allgemeine Erwägung herangezogen, eine Partei, deren (Verteidigungs-)Vorbringen das Gericht im ersten Verfahren nicht gefolgt war, dürfe dieses Vorbringen nicht noch einmal zur Grundlage einer Klage machen. 639 Während die Literatur einer in den Entscheidungsgründen tatsächlich getroffenen Feststellung zu einer Einwendung die Wirkungen der cosa juzgada zuerkennt und die Frage, ob der Beklagte auch mit nicht vorgetragenen Einwendungen präkludi-

634 So z.B. in der Entscheidung STS 1065/2001, 15. November 2001 (n° ROJ: 8927/2001), FD 1°: Der Klage auf Kaufpreiszahlung stand danach die cosa juzgada einer früheren, eine Klage des Verkäufers auf Vertragsauflösung wegen unterbliebener Kaufpreiszahlung abweisenden Entscheidung entgegen. Das Gericht begründete dies mit der Erwägung, in beiden Verfahren habe die unterbliebene Kaufpreiszahlung die „razón de pedir“ gebildet. Es besteht insoweit eine gewisse Ähnlichkeit zum Kernpunktansatz des EuGH. 635 SAP Pontevedra, 570/2006, 26. Oktober 2006 (n° ROJ: SAP PO 2170/2006), FD 2°; SAP Alicante 302/2008, 24. Juli 2008 (n° ROJ: SAP A 2822/2008), FD 2°. 636 So z.B. in der Entscheidung SAP Pontevedra, 570/2006, 26. Oktober 2006 (n° ROJ: SAP PO 2170/2006), FD 2° (die Begründung, die unter anderem das Vorliegen der triple identidad untersucht, deutet eher auf eine Anwendung der negativen Wirkungsrichtung hin, obwohl im ersten Verfahren die Einwendung des mangelhaft erfüllten Vertrages erhoben wurde und die spätere Klage des vormals Beklagten auf Mängelbeseitigung gerichtet war). 637 SAP Pontevedra 570/2006, 26. Oktober 2006 (n° ROJ: SAP PO 2170/2006), FD 2°; SAP Alicante 302/2008, 24. Juli 2008 (n° ROJ: SAP A 2822/2008), FD 2°. 638 SAP Alicante 302/2008, 24. Juli 2008 (n° ROJ: SAP A 2822/2008), FD 2°. 639 SAP Pontevedra, 570/2006, 26. Oktober 2006 (n° ROJ: SAP PO 2170/2006), FD 2°.

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ert ist, hiervon klar trennt, verhindert gerade die pauschale Annahme einer impliziten Abweisung aller Einwendungen auf Grundlage der Figur einer decisión implícita in der Rechtsprechung eine differenzierte Betrachtung.640 An einer Entscheidung des Tribunal Supremo fehlt es unter Geltung der LEC 2000 – soweit ersichtlich – bislang. Trotz des unklaren dogmatischen Fundaments wird aber deutlich, dass auch die Rechtsprechung eine abweichende Beurteilung einer Einwendung in einem späteren Verfahren ausschließen möchte. (3) Zusammenfassung Über die Fälle des Art. 408 LEC hinaus bleiben auch die übrigen Einwendungen des Beklagten nicht von der cosa juzgada material ausgenommen. Während aber in der Literatur mittlerweile ganz überwiegend eine Erstreckung der cosa juzgada auf die in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen zu Einwendungen des Beklagten befürwortet wird, fehlt es an einer derart eindeutigen Festlegung der Rechtsprechung. Die Anwendung der cosa juzgada material in Fällen, in denen die Einwendungen des Beklagten später wieder zur Grundlage eines Verfahrens gemacht werden, begründet die Rechtsprechung vielmehr auch heute noch primär unter Rückgriff auf die weit gefasste Figur der impliziten Entscheidung. cc. Zusammenfassung Die vorausgegangene Untersuchung hat gezeigt, dass weder die Literatur noch die Rechtsprechung das Verteidigungsvorbringen des Beklagten von der cosa juzgada material ausnehmen, im Einzelnen aber durchaus noch unterschiedliche Wege gehen. Während eine Erstreckung der cosa juzgada auf die Aufrechnung und in geringerem Maße auch auf den Nichtigkeitseinwand schon vor Einführung der LEC 2000 anerkannt war, gilt dies im Hinblick auf die sonstigen Einwendungen zumindest aus Sicht der Literatur erst seit der Verfahrensumgestaltung im Zuge der Zivilprozessrechtsreform. Deutlich zeigt sich an der hierzu geführten Diskussion, dass der Gewährung rechtlichen Gehörs und der streitigen Erörterung maßgebliche Bedeutung als Voraussetzung einer Anerkennung als rechtskraftfähiges Entscheidungselement zukommt. 3. Tatsachenfeststellungen Aus dem für die Bestimmung der rechtskraftfähigen Entscheidungsbestandteile ursprünglich leitenden Grundsatz, wonach die Entscheidungsgründe an den Wirkungen der cosa juzgada material nicht teilhaben sollten, folgte auch 640

Kritisch zum Fehlen einer klaren Entscheidung für die Erstreckung der Wirkungen der cosa juzgada material auf Feststellungen zu Einwendungen und zum Festhalten an der Konstruktion impliziter Entscheidungen auch Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 163.

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ein Ausschluss der Tatsachenfeststellungen von den Wirkungen der cosa juzgada. 641 Die reine Tatsachenfeststellung blieb im späteren Verfahren jedoch nicht ohne jede Bedeutung: Vielmehr wurde und wird das unanfechtbare Urteil als qualifiziertes Beweismittel zum Nachweis der in den Entscheidungsgründen festgestellten Tatsachen angesehen. 642 Voraussetzung ist auch hier, dass die Tatsachenfeststellung für die Entscheidung bestimmend war.643 Begründet wird diese Wirkung mit der Erwägung, das Vorliegen sich widersprechender Entscheidungen hinsichtlich des Vorliegens oder Nichtvorliegens derselben Tatsache sei mit den Prinzipien der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 24.1 C.E. unvereinbar. 644 Bei der Wirkung des Urteils als Beweismittel handelt es sich jedoch um eine von der cosa juzgada material zu unterscheidende sog. indirekte Wirkung (efecto reflejo) der Entscheidung. 645

641 STS 497/1987, 17. Juli 1987 (n° ROJ: STS 5143/1987), FD 2° (Bestehen einer öffentlichen Straße: keine cosa juzgada wegen fehlender entsprechende Äußerung in der parte dispositiva). 642 STS 167/1987, 18. März 1987 (n° ROJ: STS 9195/1987), FD 2° („no es menos cierto que toda sentencia firme, con independencia de tales efectos de cosa juzgada, produce otros accesorios o indirectos, entre lo cuales debe destacarse el de constituir en un ulterior proceso un medio de prueba de los hechos en ella contemplados y valorados y que fueron determinantes de su parte dispositiva, medio de prueba calificado“); STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 3°; STS 491/2007, 7. Mai 2007 (n° ROJ: STS 2553/2007), FD 2°; STSJ Cataluña 2/2010, 7. Januar 2010 (n° ROJ: STSJ CAT 101/2010), FD 3°. Das Urteil ist als Beweismittel unter Einbeziehung der übrigen Beweismittel zu würdigen, STS 167/1987, 18. März 1987 (n° ROJ: STS 9195/1987), FD 2° („medio de prueba calificado, aun cuando deba ponderarse en unión de los demás elementos de convicción aportados al juicio“); STS 491/2007, 7. Mai 2007 (n° ROJ: STS 2553/2007), FD 2°. 643 STS 167/1987, 18. März 1987 (n° ROJ: STS 9195/1987), FD 2°; SAP Barcelona 369/2013, 12. Juli 2013 (n° ROJ: SAP B 10572/2013), FD 2°. 644 STS 491/2007, 7. Mai 2007 (n° ROJ: STS 2553/2007), FD 2°; STS 307/2010, 25. Mai 2010 (n° ROJ: STS 3036/2010), FD 4° („Este criterio se funda en que la existencia de pronunciamientos contradictorios en las resoluciones judiciales de los que resulte que unos mismos hechos ocurrieron o no ocurrieron es incompatible con el principio d e seguridad jurídica y con el derecho a una tutela judicial efectiva que reconoce el artículo 24.1 CE.“) . Dieser Gedanke entstammt der Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts, vgl. STC 34/2003, 25. Februar 2003, BOE 2003, n° 63 (14. März 2003) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 5286, p. 4, 8 (FJ 4) („Este Tribunal ha sostenido en diversas ocasiones que la existencia de pronunciamientos contradictorios en las resoluciones judiciales de los que resulte que unos mismos hechos ocurrieron o no ocurrieron es incompatible, además de con el principio de seguridad jurídica -en cuanto dicho principio integra también la expectativa legítima de quienes son justiciables a obtener para una misma cuestión una respuesta inequívoca de los órganos encargados de impartir justicia- con el derecho a una tutela judicial efectiva que reconoce el art. 24.1 CE“). 645 STS 167/1987, 18. März 1987 (n° ROJ: STS 9195/1987), FD 2° („con independencia de tales efectos de cosa juzgada“); STS 491/2007, 7. Mai 2007 (n° ROJ: STS 2553/2007),

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Die Erstreckung der cosa juzgada material auf Vorfragen, welche die unerlässliche logische Grundlage des Urteilspruchs im fallo bilden, hat jedoch auch den Weg für die Überlegung bereitet, auch den in den Entscheidungsgründen enthaltenen reinen Tatsachenfeststellungen die Wirkung der cosa juzgada material zuzuerkennen. Teile der Literatur wollen die cosa juzgada in ihrer positiven Wirkungsrichtung daher heute zur Anwendung bringen, wenn sich eine Tatsache, welche die Grundlage der Erstentscheidung bildete, in einem späteren Verfahren zwischen denselben Parteien als logische Voraussetzung des Urteilsspruchs im fallo darstellt. 646 Könnten Gerichte die Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen unterschiedlich bewerten, so bestünde die Gefahr, dass durch die Annahme des Bestsehens und Nichtbestehens einer Tatsache in aufeinanderfolgenden Entscheidungen ein jeder Vernunft entgegenstehender Widerspruch entstehe. 647 Solange die im späteren Verfahren Beteiligten die Möglichkeit hatten, als Parteien im Erstverfahren auf das Ergebnis der Tatsachenfeststellung durch Beweisbeibringung, Bestreiten und Zugestehen Einfluss zu nehmen, sei es gerechtfertigt, eine Vermeidung von Widersprüchlichkeiten durch die Zuerkennung der cosa juzgada material zu bewirken.648 Einige wenige Autoren wollen eine Differenzierung zwischen reinen Tatsachenfeststellungen und Vorfragen, welche das Ergebnis einer Subsumtion darstellen und damit eine rechtliche Beurteilung beinhalten, auf dieser Grundlage gänzlich aufgeben: Maßgeblich für die Zuerkennung der Wirkungen der cosa juzgada material sei allein, dass sich der abschließende Rechtsfolgenausspruch im fallo auf die Vorfragen stütze. 649 FD 2°. Ausführlich zur Unterscheidung der efectos reflejos oder indirectos und cosa juzgada: SAP Madrid 89/2014, 18. März 2014 (n° ROJ: SAP M 4352/2014), FD 4°; González Montes, Distinción entre cosa juzgada y otros efectos de la sentencia, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 113, 117 ss. 646 Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 180 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 153. Wohl auch de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 218, p. 246, dessen Ausführungen aber von einer gewissen Widersprüchlichkeit geprägt sind: So lehnt der Autor einerseits eine Bindung an die isolierte Tatsachenfeststellung „als solche“ ab, um im unmittelbaren Anschluss sofort anzunehmen, die Tatsachenfeststellungen müssten „im Rahmen der cosa juzgada respektiert werden“ (n° 218, p. 246). Zudem zeigen die angeführten Beispielsfälle, dass der Autor Fälle vor Augen hat, in denen die reine Tatsachenfeststellung von der rechtlichen Beurteilung nur schwer zu lösen ist (so werden häufig Beispiele der Verteilung der Verantwortlichkeitsanteile in Fällen außervertraglicher Haftung genannt, bei denen durchaus auch eine rechtliche Bewertung einfließt, n° 213, p. 239 (Fußnote 152); n° 218, p. 244 (Fußnote 159)). Insoweit scheint sich doch wieder ein Verständnis zu zeigen, welches der Tatsachenfeststellung allein als Bestandteil eines Subsumtionsvorganges die Wirkungen der cosa juzgada zumisst. 647 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 215, p. 242. 648 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 218, p. 244 ss. 649 So Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 180 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 153.

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Überwiegend wird eine solche Erstreckung auf reine Tatsachenfeststellungen jedoch abgelehnt:650 Da die richterliche Tatsachenfeststellungen in der Regel nicht auf einer völligen Gewissheit beruhen, sondern den jeweils zur Verfügung stehenden Beweismitteln, dem Zugestehen im Einzelfall sowie der Verteilung der Beweislast geschuldet sind und damit der konkreten Verfahrenssituation entspringen, sollen sie in späteren Verfahren keine unwiderlegliche Bindung bewirken. 651 Als rechtskraftfähige Vorfrage wird somit ganz überwiegend nur die rechtlich-tatsächliche Einheit eines Subsumtionsschrittes verstanden, nicht aber die reine Tatsachenfeststellung. In der Rechtsprechung ist – soweit ersichtlich – keine Tendenz festzustellen, die Erstreckung der cosa juzgada auf die ratio decidendi auch auf reine Tatsachenfeststellungen zu erstrecken.652 Allerdings findet sich in den Entscheidungsgründen vieler Urteile, welche die Erfassung einer Vorfrage durch die cosa juzgada bejahen, nicht nur eine Bezugnahme auf die gefestigte Rechtsprechung zur Erstreckung der cosa juzgada material auf die ratio decidendi, sondern im unmittelbaren Anschluss auch auf die Rechtsprechung zur Wirkung des Urteils als Beweismittel. 653 Offensichtlich wird hier das Bedürfnis gesehen, der Eigenschaft der Vorfrage als rechtlich qualifizierte Tatsache durch den zusätzlichen Hinweis auf den efecto reflejo der Entscheidung Rechnung zu tragen und so das Ergebnis einer Bindung an die jeweilige Feststellung abzusichern. Dass die unerlässliche logische Grundlage bzw. die ratio decidendi, auf welche die heute herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung die cosa juzgada material erstrecken will, auch durch ein Tatsachenelement geprägt ist, 650

Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 500 s.; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 559, 564; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 202. 651 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 500 s. 652 Etwas anderes gilt aufgrund gesetzlicher Regelung aber für die Wirkung der cosa juzgada eines Strafurteils hinsichtlich einer späteren Zivilklage des Geschädigten gegen den Straftäter: Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Art. 116.1 Ley de Enjuiciamiento Criminal soll die cosa juzgada des Strafurteils eine Bindung (im Sinne der positiven Funktion der cosa juzgada material) an die dortige Sachverhaltsfeststellung bewirken, wenn und soweit das Gericht zum Ergebnis gelangt, dass der strafbewehrte tatsächliche Sachverhalt nicht gegeben ist (vgl. zu Art. 116.1 Ley de Enjuicimiento Criminal: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 215, p. 242, nota 158). Darüber hinaus besteht allerdings ausdrücklich keine Bindung an die Tatsachenfeststellungen, vgl. STS 212/2005, 30. März 2005 (n° ROJ: STS 1913/2005), FD 2° („La doctrina jurisprudencial viene declarando que la sentencia penal absolutoria no produce el efecto de cosa juzgada en el proceso civil, salvo cuando se declare que no existió el hecho del que la responsabilidad hubiere podido nacer […]. Asimismo tiene dicho que no prejuzga la valoración de los hechos que puede hacerse en el proceso civil.“). 653 So z.B. in den Entscheidungen STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 3°; STS 307/2010, 25. Mai 2010 (n° ROJ: STS 3036/2010), FD 4°; SAP Barcelona 369/2013, 12. Juli 2013 (n° ROJ: SAP B 10572/2013), FD 2°.

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veranlasst damit bisweilen zu Versuchen, eine Bindung an dieses Tatsachenelement auch gesondert zu begründen. Hierbei wird jedoch überwiegend im Wege einer ergänzenden Argumentation auf die Wirkung des Urteils als Beweismittel verwiesen. Eine Erstreckung der cosa juzgada material auf die von ihrer Bedeutung als Teil der Subsumtion gelöste, reine Tatsachenfeststellung hat sich dagegen trotz einiger abweichender Stimmen in der Literatur bislang nicht durchgesetzt. V. Zusammenfassung und abschließende Beurteilung Von der ursprünglich strengen Beschränkung der cosa juzgada auf den Urteilsspruch über den klägerischen Antrag im fallo hat sich die spanische Rechtskraftlehre seit Ende des 20. Jahrhunderts deutlich entfernt: Den in den Entscheidungsgründen enthaltenen Feststellungen zu Vorfragen, welche die unerlässliche logische Grundlage bzw. die ratio decidendi des Urteilsspruchs im fallo bilden, erkennt die heute ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung die Wirkung der cosa juzgada material zu. Gleiches gilt zumindest nach der überwiegenden Zahl der Autoren auch für die tragenden Feststellungen zu Einwendungen des Beklagten. Die Rechtsprechung greift hier hingegen auf die Konstruktion einer im Tenor enthaltenen impliziten Entscheidung über die Einwendung zurück. Auf reine Tatsachenfeststellungen erstreckt sich die cosa juzgada nicht. Die dargestellte Entwicklung ist ein Produkt des Diskurses in Literatur und Rechtsprechung: Obwohl der Gesetzgeber die cosa juzgada in der neuen LEC einer ausführlicheren Regelung unterworfen hat, ist die Frage der rechtskraftfähigen Entscheidungselemente in der LEC 2000 fast gänzlich ungeregelt geblieben. Der Bezugnahme auf die pretensión als Gegenstand der cosa juzgada in Art. 222.1 LEC wird keine Beschränkung auf den fallo entnommen, da die Vorfragen, welche die unerlässliche logische Grundlage des Urteilsspruchs im fallo bilden, wegen ihrer unmittelbaren logischen Verknüpfung als Teil der Entscheidung über die pretensión verstanden werden. Allein in Art. 408 LEC hat der Gesetzgeber für die excepciones reconvencionales der Aufrechnung und des Nichtigkeitseinwandes eine klare Entscheidung für die Erstreckung der cosa juzgada material getroffen. Aus deutscher Sicht ist auffällig, dass die festgestellte Entwicklung nicht durch das Fehlen eines Instruments veranlasst war, durch welches eine verbindliche Klärung präjudizieller Vorfragen innerhalb eines einheitlichen Verfahrens herbeigeführt werden kann. Vielmehr kannte und kennt das spanische Recht eine Feststellungklage hinsichtlich präjudizieller Rechtsverhältnisse. Die Erstreckung der cosa juzgada auf Vorfragen stellt sich vor diesem Hintergrund als bewusste Entscheidung dar, die Reichweite der cosa juzgada nicht

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mehr der Disposition der Parteien zu überlassen, sondern eine erneute richterliche Befassung mit einer bereits umfassend beurteilten Frage im öffentlichen Interesse ganz allgemein auszuschließen. Bei der Bestimmung der von der Rechtskraft erfassten Vorfragen knüpft die spanische Rechtskraftlehre mehrheitlich an der Unmittelbarkeit der logischen Verknüpfung mit dem Rechtsfolgenausspruch im fallo an. Bedenken hinsichtlich der Identifizierbarkeit einer zwingenden logischen Verknüpfung, wie sie in Frankreich ins Feld geführt werden, finden sich in Spanien kaum. Die recht offene Anknüpfung an die logische Unerlässlichkeit der Vorfragenbeurteilung lässt eine flexible, einzelfallbezogene Handhabung zu, was in der Rechtsprechung zu den decisiones implícitas noch deutlicher zum Tragen kommt. Ein Gegengewicht zur flexiblen Weite dieses Ansatzes soll nach Ansicht der Literatur die Verknüpfung mit dem Erfordernis der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs und der streitigen Erörterung bilden. Wenn dieses über die Gewährleistung der Möglichkeit zur Stellungnahme hinaus aber zu einem Erfordernis tatsächlich erfolgter streitiger Erörterung entwickelt wird, handelt es sich hierbei um ein im Einzelfall schwer handhabbares Kriterium, welches die Zuerkennung der cosa juzgada von einer Untersuchung des Verfahrensablaufs im früheren Prozess abhängig macht und damit der Vorhersehbarkeit der Bindung durch die cosa juzgada nicht zuträglich ist. Es verwundert daher nicht, dass diese Beschränkung in der Rechtsprechung in dieser Strenge deutlich seltener formuliert wird als in der Literatur. Die spanische Rechtskraftlehre hat damit im Vergleich zum französischen Recht eine gegenläufige Entwicklung vollzogen. G. Grenzen der „cosa juzgada“ Wie auch ihr französisches Vorbild, Art. 1351 des französischen Code civil, beschrieb die bis 2001 zentrale spanische Rechtskraftregelung des Art. 1252 C.C. die Grenzen der cosa juzgada material unter Rückgriff auf die dreifache Identität (triple identidad) von cosa, causa und personas de los litigantes. Im Gesetzestext der LEC 2000 findet dieses dreifache Identitätserfordernis keine Erwähnung mehr, vielmehr spricht Art. 222 LEC allein von der Identität des Gegenstandes (objeto) (Art. 222.1 LEC) und benennt den Anspruch (pretensión) als Gegenstand der cosa juzgada material (Art. 222.2 LEC), während Art. 222.3 LEC die subjektiven Grenzen beschreibt. Sowohl Art. 1252 C.C. als auch Art. 222 LEC liegt jedoch eine Unterscheidung zwischen objektiv-streitgegenstandsbezogenen Kriterien – cosa und causa in der früheren, objeto bzw. pretensión in der heutigen Regelung – und subjektiven Grenzen der cosa juzgada material zugrunde. Dieser Aufteilung soll auch in der anschließenden Untersuchung gefolgt werden. Da sich die tiefgreifenden Entwicklungen der letzten Jahre wie auch in Frankreich primär im Bereich der objektiven Grenzen der

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cosa juzgada vollzogen haben, wird der Schwerpunkt der folgenden Darstellung auf diese gelegt. I. Subjektive Grenzen In der subjektiven Eingrenzung der cosa juzgada material ging und geht das spanische Recht von einer grundsätzlichen Beschränkung der cosa juzgada material auf die am Erstverfahren beteiligten Parteien aus. Von dem sowohl für die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada als auch die positive Bindung bei Präjudizialität geltenden 654 Grundsatz sind Ausnahmen zugelassen, deren Reichweite die heutige Regelung des Art. 222.3 LEC gegenüber dem früheren Art. 1252.2, 3 C.C. deutlich beschnitten hat. 1. Die grundsätzliche Beschränkung auf die Parteien und der Begriff der Parteiidentität Der Grundsatz res iudicata inter partes wird als Ausdruck der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs und der Verteidigungsrechte verstanden 655 und fand sich sowohl vor als auch nach der Zivilprozessrechtsreform ausdrücklich im Gesetz verankert: Der frühere Art. 1252 C.C. knüpfte die Wirkungen der cosa juzgada an die „vollkommenste Identität“ der Personen der Prozessparteien (litigantes) und ihrer Qualität (calidad) im Verfahren. Gemäß Art. 222.3 LEC erfassen die Wirkungen der cosa juzgada material die Parteien (las partes), der vierte Absatz des Art. 222 LEC formuliert das Erfordernis der Übereinstimmung der Parteien (mismos litigantes) nochmal ausdrücklich für die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada material. Dritte bleiben daher von den Wirkungen der cosa juzgada grundsätzlich unberührt. Auch eine tatsächliche Betroffenheit Dritter durch das Urteil findet keine

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Während sich dies eindeutig aus der heutigen Regelung des Art. 222.4 LEC ergibt, der auch die positive Wirkungsrichtung ausdrücklich an das Erfordernis subjektiver Identität knüpft, war die Formulierung des auf die negative Wirkungsrichtung ausgerichteten Art. 1252 C.C. insoweit weniger eindeutig. Die Geltung des Grundsatzes sowie seiner Ausnahmen für die cosa juzgada material in ihrer positiven Funktion ist aber seit jeher anerkannt, vgl. STS 858/2003, 24. September 2003 (n° ROJ: STS 5707/2003), FD 1° (zur Rechslage nach altem Recht); de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 28 (p. 176). 655 Calaza López, Cosa juzgada, p. 163; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 166, p. 183; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 563; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 363; Boquera Oliver, Los límites subjetivos de la cosa juzgada material, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 143.

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Berücksichtigung – ein der französischen tièrce opposition ähnelndes Instrument hat das spanische Recht nicht entwickelt. 656 a. Der Parteibegriff und das Erfordernis einer rechtlichen Identität der Verfahrenssubjekte Die Beurteilung einer Übereinstimmung der Parteien (partes oder litigantes) setzt zunächst eine Bestimmung des Parteibegriffs voraus. Das spanische Verfahrensrecht unterscheidet die Partei im prozessualen Sinne klar von den am streitgegenständlichen materiellen Rechtsverhältnis Beteiligten. 657 Partei im prozessualen Sinne ist, wer dem Gericht den prozessualen Anspruch zur Entscheidung vorlegt (Kläger) bzw. gegenüber wem der prozessuale Anspruch gerichtlich geltend gemacht wird (Beklagter). 658 Bestimmend ist im Regelfall die Nennung als Kläger und Beklagter in der Klageschrift, ohne dass es auf eine

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Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 520 ss. Vgl. auch Serra Domínguez (Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 691), der eine Einführung einer oposición de tercero nach französischem und italienischem Vorbild zwar für sinnvoll erachtet, aber ausdrücklich auf das Fehlen einer entsprechenden Regelung im spanischen Rechts hinweist. Ausführlich zum Fehlen einer gesetzlich verankerten tercera oposición und zu Versuchen, eine ähnliche Vorgehensmöglichkeit Dritter im spanischen Recht zu konstruieren: Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 469 ss. 657 Del Lucchi López-Tapia, Las partes en el proceso civil, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 13, p. 195; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 58 („la condición de parte procesal no interesa“); Ortells Ramos, La calidad de parte, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 147 („La condición de parte no depende de que la persona sea titular de la relación jurídica material ...“) . 658 Del Lucchi López-Tapia, Las partes en el proceso civil, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 13, p. 195; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 59; Ortells Ramos, La calidad de parte, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 147. Als Parteien werden (nach Zulassung des Streitbeitritts durch das Gericht) jedoch auch streitgenossenschaftlich Beitretende (intervenientes litisconsorcionales) und einfache Nebenintervenienten (intervenientes adhesivas simples) angesehen (Gutiérrez de Cabiedes e Hidalgo de Caviedes, Comentario al Art. 13 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 261, 274 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 93 ss. Hinsichtlich der Erfassung von den Wirkungen der cosa juzgada jedoch umstritten, vgl. Calaza López, Cosa juzgada, p. 164 (hier greife nur der efecto reflejo der Entscheidung (ebenda, Fußnote 239)).

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tatsächliche Beteiligung am streitgegenständlichen materiellen Rechtsverhältnis ankäme.659 Damit gilt im Ausgangspunkt auch in Spanien ein formeller Parteibegriff. 660 Im Rahmen der Bestimmung der subjektiven Grenzen der Rechtskraft wird dieser Parteibegriff jedoch ergänzt (und in der Praxis oft auch ersetzt) durch das Kriterium der rechtlichen Identität (identidad jurídica): Maßgeblich ist danach nicht die physische Identität der im Verfahren Auftretenden, sondern die rechtliche Übereinstimmung der auf der Behauptung der Rechtsinhaberschaft bzw. der außerordentlichen Berechtigung zur Geltendmachung eines fremden Rechts beruhenden legitimación.661 Entscheidend ist also, ob sich die im Erstund Zweitverfahren auftretenden Personen jeweils auf dieselbe Begründung der legitimación stützen.662 Dieses Erfordernis einer rechtlichen Identität brachte der frühere Art. 1252 C.C. durch die Ergänzung der Identität der Parteien mit dem Kriterium des Auftretens in derselben Qualität (calidad) zum

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López-Fragoso Álvarez, Comentario al 5 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico I, p. 101, 102; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 58 s.; Ortells Ramos, La calidad de parte, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 148. 660 López-Fragoso Álvarez, Comentario al 5 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico I, p. 101, 102: „El concepto de parte es para el Derecho procesal un concepto formal.“ 661 STS 836/1965, 7. Dezember 1965 (n° ROJ: STS 869, 1965), Considerando 8°; STS 931/1998, 8. Oktober 1998 (n° ROJ: STS 5727/1998), FD 2°; STS 790/2001, 26. Juli 2001 (n° ROJ: STS 6635/2001), FD 1° („[S]i bien no se da identidad subjetiva física en las empresas demandadas, este requisito no lo exige como absolutamente necesario el artículo 1252, y a lo que ha de atenderse es a que concurra identidad subjetiva jurídica.... “); STS 210/2006, 28. Februar 2006 (n° ROJ: STS 1058/2006), FD 4°; STS 124/2007, 8. Februar 2007 (n° ROJ: STS 805/2007), FD 2°; SAP Jaén 192/2012, 11. September 2010 (n° ROJ: SAP J 520/2012), FD 2°; Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 450; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 559; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 364; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 497 s.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 684. 662 STS 790/2001, 26. Juli 2001 (n° ROJ: STS 6635/2001), FD 1° („comparecieron en los correspondientes pleitos con la misma legitimación“); STS 210/2006, 28. Februar 2006 (n° ROJ: STS 1058/2006), FD 4°; Boquera Oliver, Los límites subjetivos de la cosa juzgada material, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; Calaza López, Cosa juzgada, p. 322; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 451; Prieto-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 182 a), p. 208.

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Ausdruck, 663 welches aus dem französischen Code civil übernommen worden war. 664 Wird somit die Übereinstimmung der legitimación zum maßgeblichen Kriterium der Parteiidentität, so fließt ein gewisses materiellrechtliches Element in die Bestimmung der subjektiven Grenzen der cosa juzgada material mit ein, denn die legitimación beschreibt die Beziehung der im Verfahren auftretenden Person zu dem geltend gemachten materiellrechtlichen Rechtsverhältnis.665 Auch wenn die legitimación nach überwiegender, wenn auch umstrittener666 Ansicht als materielle Sachlegitimation verstanden wird, bei deren Fehlen ein abweisendes Sachurteil zu ergehen hat,667 bedeutet das Abstellen auf die Übereinstimmung der legitimación nicht, dass die tatsächliche Beziehung zu der materiellrechtlichen Rechtsposition die Reichweite der cosa juzgada material bestimmt, da in der Situation der Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen der cosa juzgada nur das im Erstverfahren und in der zu beurteilenden Klage behauptete Verhältnis zur materiellen Rechtsposition zum Vergleich herange-

663 STS 790/2001, 26. Juli 2001 (n° ROJ: STS 6635/2001), FD 1° („identidad subjetiva jurídica que el precepto precisa al referirse a la calidad con que los demandados lo fueron en uno y otro proceso“); Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 450; Guasp, Derecho procesal civil I, p. 559; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 684. 664 Wie auch im französischen Regelung des Art. 1351 Code civil wurde mit dem in Art. 1252 C.C. verankerten Kriterium derselben Qualität (calidad) also nicht auf die prozessuale Position als Kläger und Beklagter Bezug genommen, so dass ein späteres Auftreten des Beklagten als Kläger und umgekehrt der Annahme der subjektiven Identität nicht entgegenstand, vgl. STS 363/1980, 7. November 1980 (n° ROJ: STS 5038/1980), Considerando 3°; STS 1200/2001, 12. Dezember 2001 (n° ROJ: STS 9769/2001), FD 2°; STS 210/2006, 28. Februar 2006 (n° ROJ: STS 1058/2006), FD 4°; Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 364; Morón Palomino, Derecho procesal civil, p. 345. 665 Cordón Moreno, Comentario al Art. 10 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 166: „[L]a legitimación hace siempre referencia a una determinada relación del sujeto con la situación jurídica material que se deduce en juicio.“ 666 Insbesondere Montero Aroca versteht die legitimación im Sinne der deutschen Prozessführungsbefugnis als prozessuale Voraussetzung (Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 85 ss.). Allerdings nimmt auch er an, dass die LEC 2000 von einer materiellrechtlichen Natur der legitimación ausgehe und dass eine Abweisung wegen fehlender legitimación nicht im Wege einer Prozessentscheidung erfolgen kann (p. 88). 667 Cordón Moreno, Comentario al Art. 10 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 166, 174; del Lucchi López-Tapia, Las partes en el proceso civil, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 13, p. 195, 201; Garberí Llobregat, Derecho procesal civil, p. 163 s.; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 133.

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zogen werden kann. Gleichzeitig eröffnet aber das an der legitimación ausgerichtete Erfordernis der rechtlichen Identität einen gewissen Einfluss des materiellen Rechts auf die subjektive Begrenzung der cosa juzgada. Das Abstellen auf eine rechtliche Übereinstimmung zielt zunächst auf eine Präzisierung der Parteiidentität in Fällen ab, in denen die im Verfahren auftretende Person eine fremde Rechtsposition geltend macht. Zur Anwendung kommt das Kriterium daher insbesondere in Fällen der Stellvertretung: 668 Da sich der im Verfahren als Stellvertreter Auftretende auf die Behauptung der Rechtsinhaberschaft des Vertretenen stützt, wird als Partei der Vertretene und nicht der Stellvertreter angesehen, mit der Folge, dass die rechtliche Parteiidentität gegeben ist, wenn der Vertretene in einem späteren Verfahren die behauptete Rechtsposition selbst einklagt. 669 Geht dagegen der im Erstverfahren als Stellvertreter Handelnde im späteren Prozess im eigenen Namen auf Grundlage der Behauptung eigener Rechtsinhaberschaft vor, so fehlt es an der subjektiven Identität.670 Für den Fall der sustitución procesal, der spanischen Entsprechung der Prozessstandschaft, ist dagegen umstritten, ob zwischen dem das fremde Recht im eigenen Namen geltend Machenden und dem Rechtsinhaber eine rechtliche Identität besteht. 671 In seiner soeben dargestellten Anwendung diente das Kriterium der rechtlichen Identität folglich lediglich der Konkretisierung der Parteienstellung bei der Berufung auf fremde Rechtspositionen. Darüber hinaus wurde das Kriterium der rechtlichen Identität in der Rechtsprechung aber lange Zeit auch zur Erstreckung der Rechtskraft auf zuvor nicht am Verfahren beteiligte Personen in Fällen materiellrechtlicher Verknüpfung herangezogen: Eine rechtliche Identität sollte nach einer vielfach verwendeten Formulierung schon dann gegeben sein, wenn in den beiden Verfahren die auf dieselben Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel gestützte acción geltend gemacht wurde. 672 Auf dieser 668 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 364; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 497 s. 669 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 364; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 497 s. 670 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 364. 671 Für rechtliche Identität: Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 497 s. Für eine Parteistellung allein des die fremde Rechstposition geltend Machenden dagegen Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 189 (ausführlicher zur Erstreckung der cosa juzgada material im Fall der sustitución procesal unten G. I. 2. a. cc.). 672 STS 68/1991, 1. Februar 1991 (n° ROJ: STS 569/1991), FD 5° („existe jurídicamente identidad de personas, aunque no sean físicamente las mismas las que litiguen en los pleitos, cuando la que litiga en el segundo ejercita la misma acción, invoca iguales fundamentos y

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Grundlage wurde beispielsweise die Erstreckung der Rechtskraft im Verhältnis zwischen verschiedenen Miterben oder zwischen Ehegatten bejaht. 673 Nach der genannten Definition begründet allerdings die Übereinstimmung des Streitgegenstandes in objektiver Hinsicht letztlich auch die subjektive Identität. Das Abstellen auf eine rechtliche Identität bewirkt damit eine recht konturlose Ausdehnung674 der subjektiven Reichweite der cosa juzgada in Fällen enger materiellrechtlicher Verbindung über die in Art. 1252 C.C. geregelten Ausnahmefälle hinaus.675 Dass die Einführung des Art. 222.3 LEC eine Änderung dieser Rechtsprechung bewirkt hat, ist nicht ersichtlich. b. Subjektive Identität trotz zusätzlicher Parteien im späteren Verfahren? Einer späteren Klage, in der zwar die Parteien des vorangegangenen Verfahrens, aber zusätzlich auch weitere Personen als Parteien auftreten, steht die cosa juzgada der nur gegenüber einzelnen der Parteien ergangenen Entscheidung angesichts des Erfordernisses der subjektiven Identität grundsätzlich nicht entgegen.676 Die der subjektiven Begrenzung auf die am Erstverfahren beteiligten Parteien zugrunde liegende Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verhindert hier an sich eine Bindung der im Zweitverfahren hinzutretenden Parteien. Die Rechtsprechung macht von diesem Grundsatz jedoch eine Ausnahme für den Fall, dass die Einbeziehung zusätzlicher Parteien im späteren Verfahren „offensichtlich überflüssig“ ist oder mit dem offensichtlichen Ziel der Umgehung der Wirkung der cosa juzgada erfolgt. 677 Die cosa juzgada als se apoya en los mismos títulos que en el primero“); STS 931/1998, 8. Oktober 1998 (n° ROJ: STS 5727/1998), FD 2°; STS 124/2007, 8. Februar (n° ROJ: STS 805/2007), FD 2°. 673 STS 931/1998, 8. Oktober 1998 (n° ROJ: STS 5727/1998), FD 2° (verschiedene Erben); STS 124/2007, 8. Februar (n° ROJ: STS 805/2007), FD 2° (Ehegatten). 674 Dass diese Rechtsprechungslinie aufgrund ihrer Weite keine einheitliche Behandlung gewährleistet, kritisiert auch Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 195. Ablehnend auch de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 173, p. 192, der von einem „heillosen Unsinn“ spricht („un disparate sin paliativos“). 675 Eine Ausdehnung der subjektiven Grenzen über die Figur einer unvollkommenen Stellvertretung (representación imperfecta), bei der die im Verfahren auftretende Person als „Vertreter“ weiterer Personen angesehen wird, durch ihr Handeln aber anders als bei der echten Stellvertretung nicht nur die Vertretenen, sondern auch sich selbst bindet, wie sie ähnlich auch in der französischen Rechtsprechung bekannt ist (siehe auch die entsprechende Darstellung oben F. I. 2.), wurde zwar auch im spanischen Recht teilweise diskutiert (vgl. beispielsweise Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 697), hat sich jedoch nicht durchgesetzt. 676 STS 86/1993, 13. Februar 1993 (n° ROJ: STS 633/1993), FD 1° (Zurückweisung des Einwandes entgegenstehender cosa juzgada mit der Begründung, dass die im späteren Verfahren mitbeklagten Fahrzeugführer und Fahrzeughalter nicht am vorausgegangenen Verfahren beteiligt gewesen waren). 677 STS 932/1997, 20. Oktober 1997 (n° ROJ: STS 6209/1997), FD 4°; STS 712/2003, 12. Juli 2003 (n° ROJ: STS 4949/2003), FD 4° („[L]a identidad personal puede entenderse

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dem Rechtsfrieden dienendes Institut soll hier vor Umgehung geschützt werden. Die Überflüssigkeit der Einbeziehung und die Zielsetzung der Umgehung der cosa juzgada sind jedoch wenig trennscharfe Begriffe und haben auch durch die Rechtsprechungspraxis keine klaren Konturen erhalten.678 Die richterrechtliche Einschränkung eröffnet vielmehr den Weg hin zu einer einzelfallbezogenen richterlichen Missbrauchskontrolle, durch die der Grundsatz der subjektiven Beschränkung der cosa juzgada auf die Parteien zumindest relativiert wird.679 c. Zusammenfassung Obwohl der Grundsatz der Beschränkung der subjektiven Reichweite auf die Parteien des Erstverfahrens im spanischen Recht seit jeher fest verankert ist, erfährt er durch das Kriterium der rechtlichen Identität und die Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Unerheblichkeit des Hinzutretens zusätzlicher Personen bei drohender Umgehung der cosa juzgada Einschränkungen auch über die ge-

existente, aún cuando en el segundo proceso intervenga alguna pe rsona más que en el primero, pues es factible que la misma haya sido llamada a los autos precisamente con el propósito de intentar eludir la cosa juzgada“); STS 480/2004, 26. Mai (n° ROJ: STS 3637/2004), FD 2°; STS 432/2009, 17. Juni 2009 (n° ROJ: STS 3640/2009), FD 2°; SAP Las Palmas de Gran Canaria 116/1999, 24. März 1999 (n° ROJ: SAP GC 720/1999), FD 3° („[E]s irrelevante para eludir la excepción de cosa juzgada la introducción en el segundo proceso de un nuevo demandado existiendo la identidad objetiva máxime cuando la interpelación del citado es a todas luces superflua.“). In der Literatur wird diese Rechtsprechung häufig aufgegriffen, z.B. Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 146 s.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 686. 678 Vielfach wird in den Entscheidungen sogar auf eine Begründung für die Annahme verzichtet, dass eine überflüssige oder auf die Umgehung der cosa juzgada gerichtete Einbeziehung weiterer Parteien vorliege, so z.B. in den Entscheidungen STS 932/1997, 20. Oktober 1997 (n° ROJ: 6209/1997), FD 4°; STS 480/2004, 26. Mai (n° ROJ: STS 3637/2004), FD 2°; mit recht ausführlicher Begründung dagegen: STS 712/2003, 12. Juli 2003 (n° ROJ: STS 4949/2003), FD 4°. Teilweise dient die Erwägung, die Einbeziehung zusätzlicher Parteien im späteren Verfahren sei unmaßgeblich, wenn sie dem Ziel der Umgehung der cosa juzgada diene, auch der ergänzenden Begründung der Rechtskrafterstreckung in Fällen, in denen eine der gesetzlichen Ausnahmen nicht vollumfänglich greift, so z.B. im Fall eines teilweisen Rechtsübergangs zur Ergänzung der Erstreckung auf Rechtsnachfolger, vgl. STS 118/1984, 25. Februar 1984 (n° ROJ; STS 348/1984), Considerando 2° (im zweiten Verfahren wurden die Erwerber eines Teils des streitgegenständlichen Grundstücks neben der ursprünglichen Partei verklagt). 679 Tapia Fernández spricht in diesem Zusammenhang lediglich von einer „Lockerung“ oder „Nuancierung“ (matización) des Erfordernisses der subjektiven Identität durch die Rechtsprechung (Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1101).

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setzlichen Ausnahmen hinaus. Hierdurch wird eine flexible, einzelfallbezogene Ausweitung der cosa juzgada material in subjektiver Hinsicht ermöglicht, deren genaue Reichweite sich jedoch schwer bestimmen lässt. 2. Die Erstreckung auf nicht am Verfahren beteiligte Dritte Im früheren Art. 1252 C.C. erfuhr der Grundsatz der Beschränkung der Wirkungen der cosa juzgada material auf die Parteien eine deutliche Einschränkung durch die überwiegend aus den Siete Partidas übernommenen, recht ausführlichen Ausnahmetatbestände. Der Reformgesetzgeber des Jahres 2000 hat auch in Art. 222.3 LEC Ausnahmen aufgenommen, jedoch darauf verzichtet, eine vollständige Kongruenz zwischen der Regelung des Art. 222.3 LEC und dem früheren Art. 1252 C.C. herzustellen. Kontinuität zeigt sich jedoch insoweit, als dass das Gesetz sowohl Ausnahmetatbestände vorsieht, in denen die Wirkungen der cosa juzgada material auf bestimmte Dritte erstreckt wird, als auch Fälle einer Erstreckung der cosa juzgada auf jedermann im Sinne einer Wirkung erga omnes verankert. a. Erstreckung auf bestimmte Dritte Die Erstreckung der cosa juzgada material über die Parteien des Erstverfahrens hinaus bleibt in einigen Fällen auf einzelne, vom Gesetz ausdrücklich benannte Dritte beschränkt, die entweder mit der Person der Partei oder mit dem sachlichen Streitgegenstand eng verbunden sind. aa. Rechtsnachfolger („causahabientes“, „herederos“) Sowohl Art. 1252.3, var. 1 C.C. als auch Art. 222.3, I LEC erstrecken die Wirkungen der cosa juzgada material auf die Rechtsnachfolger der Parteien des Erstverfahrens. Die Verankerung einer solchen Erstreckung wird vielfach für unnötig gehalten, da zwischen dem früheren Rechtsinhaber und dem Rechtsnachfolger bereits eine rechtliche Identität bestehe, die durch den Eintritt in die Rechtsposition des Rechtsvorgängers begründet werde. 680 Es handele sich daher nicht um eine Ausnahme vom Grundsatz res iudicata inter partes, sondern vielmehr um eine schlichte Anwendung des Kriteriums der rechtlichen Identität.681 Unabhängig von der Konstruktion besteht aber vollkommene Einigkeit, dass die cosa juzgada material auch für und gegen die Rechtsnachfolger der

680 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145, 149; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 365; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 686. 681 Boquera Oliver, Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 149.

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Parteien wirkt. Dies gilt sowohl für die Gesamt- als auch die Einzelrechtsnachfolge. 682 Einer Vollrechtsnachfolge bedarf es dabei nach weit verbreiteter Ansicht nicht, vielmehr genügt es, wenn hinsichtlich des im späteren Verfahren gegenständlichen Teilrechts ein Rechtsübergang eintritt, z.B. wenn der Eigentümer ein Nießbrauchs- oder Wohnrecht einräumt. 683 Maßgeblicher Zeitpunkt für den Eintritt der Rechtsnachfolge ist die Rechtshängigkeit, 684 nicht der Erlass des Ersturteils.685 Tritt die Rechtsnachfolge vor Rechtshängigkeit ein, so bindet das dennoch ergangene Urteil den Rechtsnachfolger nicht. Einen Schutz des gutgläubigen Erwerbers sieht das Gesetz nicht vor und auch in der Literatur wird nur vereinzelt erwogen, den Rechtsnachfolger von der cosa juzgada material der ergangenen Entscheidung auszunehmen, wenn ein Gutglaubenstatbestand vorliegt und der Rechtsnachfolger hinsichtlich der Anhängigkeit eines Verfahrens gutgläubig war.686 bb. Nicht am Verfahren beteiligte Geschädigte in Gruppen- und Verbandsklagen im Sinne des Art. 11 LEC Bereits vor der Reform erkannte das spanische Recht auch die Klagen von Verbraucherverbänden im Interesse der Verbraucher an.687 In der Zivilprozess-

682 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 150 („El sucesor a título universal o singular“); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 498. 683 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 365; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 688. 684 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 150; Calaza López, Cosa juzgada, p. 163; López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 365; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 498; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 565; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 687. 685 Tritt der Rechtsübergang während des laufenden Verfahrens ein, so ermöglicht die LEC eine Auf- bzw. Übernahme des Verfahrens durch den Rechtsnachfolger. Man spricht hierbei von Prozessnachfolge (sucesión procesal), vgl. auch Cordón Moreno, Comentario al Art. 16, Comentario al 17 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 326 ss. Das hierfür in Art. 16 LEC (beim Tod einer Partei) bzw. in Art. 17 LEC (bei der Übertragung der streitbefangenen Sache oder Forderung) vorgesehene Verfahren ähnelt dem im deutschen Recht (§§ 239, 265 ZPO) geregelten. 686 So wohl nur Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 687. 687 Vgl. Art. 7.3 Ley Orgánica del Poder Judicial (LOPJ): „Los Juzgados y Tribunales protegerán los derechos e intereses legítimos, tanto individuales como colectivos, sin que

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rechtsreform hat der Gesetzgeber zum Schutz der Rechte der Verbraucher neben den Verbandsklagen auch Gruppenklagen in der LEC verankert: Gemäß Art. 11 der heutigen LEC können neben den einzelnen Verbrauchern auch Verbrauchervereinigungen klagen, sowohl wenn die zu einer Gruppe Geschädigter gehörenden Verbraucher bestimmt oder bestimmbar sind (sog. Kollektivinteressen) als auch, wenn es an einer solchen Bestimmbarkeit fehlt (sog. diffuse Interessen). Im Fall der leichten Bestimmbarkeit der geschädigten Verbraucher ist auch eine Gruppenklage der geschädigten Verbraucher möglich (Art. 11.2 LEC). 688 Nach Erhebung der Klage erfolgt von Gerichtsseite, konkret durch den Secretario Judicial, ein Aufruf in den Medien, in denen betroffene Verbraucher dazu aufgefordert werden, dem Rechtsstreit beizutreten. 689 Die Verbraucher, die sich zum Beitritt entscheiden, werden Parteien des Verfahrens mit der Folge, dass die cosa juzgada des abschließenden Urteils auch ihnen gegenüber wirkt. Gemäß Art. 222.3 LEC erfasst die cosa juzgada aber zudem die „nicht am Verfahren beteiligten Subjekte, welche Inhaber der Rechte sind, auf die nach Art. 11 LEC die Legitimation der Parteien gestützt ist“. 690 Damit werden auch die nicht beigetretenen Verbraucher von den Wirkungen der cosa juzgada erfasst. 691 Eine – nach alter Rechtslage teilweise für Verbandsklagen en ningún caso pueda producirse indefensión. Para la defensa de estos últimos se reconocerá la legitimación de las corporaciones, asociaciones y grupos que resulten afectados o que estén legalmente habilitados para su defensa y promoción.“ Vgl. auch die Ausführungen bei Ramos Mendez, Derecho procesal civil I, p. 257. 688 Art. 11 LEC: „1. Sin perjuicio de la legitimación individual de los perjudicados, las asociaciones de consumidores y usuarios legalmente constituidas estarán legitimadas para defender en juicio los derechos e intereses de sus asociados y los de la asociación, así como los intereses generales de los consumidores y usuarios. 2. Cuando los perjudicados por un hecho dañoso sean un grupo de consumidores o usuarios cuyos componentes estén perfectamente determinados o sean fácilmente determinables, la legitimación para pretender la tutela de esos intereses colectivos corresponde a las asociaciones de consumidores y usuarios, a las entidades legalmente constituidas que tengan por objeto la defensa o protección de éstos, así como a los propios grupos de afectados. 3. Cuando los perjudicados por un hecho dañoso sean una pluralidad de con sumidores o usuarios indeterminada o de difícil determinación, la legitimación para demandar en juicio la defensa de estos intereses difusos corresponderá exclusivamente a las asociaciones de consumidores y usuarios que, conforme a la Ley, sean representativas.4. Las entidades habilitadas a las que se refiere el artículo 6.1.8 estarán legitimadas para el ejercicio de la acción de cesación para la defensa de los intereses colectivos y de los intereses difusos de los consumidores y usuarios. [...].“ 689 Art. 15 LEC. 690 Art. 222.3 LEC: „La cosa juzgada afectará ... a los sujetos, no litigantes, titulares de los derechos que fundamenten la legitimación de las partes conforme a lo previsto en el artículo 11 de esta Ley.“ 691 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 169, p. 187; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 563; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 498.

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vorgeschlagene692 – Differenzierung nach dem Ausgang des Verfahrens in der Weise, dass der nicht Beigetretene zwar von den ihm zuträglichen Wirkungen eines stattgebenden Urteils profitiert, im Falle einer Abweisung jedoch nicht daran gehindert ist, eine eigenständige Individualklage zu erheben, sieht das Gesetz nicht vor. 693 Eine vom Verfahrensausgang unabhängige Erstreckung der cosa juzgada auch auf Verbraucher, welche sich bewusst gegen einen Verfahrensbeitritt entschieden hatten, wird überwiegend694 als logische Folge der Einführung der Verbands- und Gruppenklagen angesehen, welche aus Gründen der Rechtssicherheit in derartigen Verfahren erforderlich sei. 695 Die in Art. 15 LEC vorgesehenen Veröffentlichungs- und Beteiligungsvorschriften sicherten den Verbrauchern ausreichende Beteiligungs- und Einflussnahmemöglichkeiten. 696

692 Vgl. die Darstellung der damaligen Ansicht bei Tapia Fernández, Comentario al Art. 221 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1091, 1092 s. Für eine Erstreckung auch schon vor Einführung der LEC 2000: Gomez de Liaño González, El proceso civil, n° 98, p. 216. 693 Dieser gesetzgeberischen Entscheidung ausdrücklich zustimmend beispielsweise de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 169, p. 187. Eine besondere Regelung für Urteile, welche die Sittenwidrigkeit oder Rechtswidrigkeit gewisser Handlungen oder Verhaltensweisen zum Gegenstand haben, enthält Art. 221.1, 2ª LEC: Danach bestimmt das Gericht in einem Urteil, in dem die Feststellung der Sitten- oder Rechtswidrigkeit gewisser Handlungen oder Verhaltensweisen den Gegenstand des Verfahrens oder eine hierbei zu klärende Vorfrage bildet, durch ausdrückliche Festlegung, ob sich die prozessualen Wirkungen der entsprechenden Feststellung über die als Parteien am Verfahren Beteiligten hinaus erstrecken. Die Rechtsprechung entnimmt diesem Absatz eine Aussage zur subjektiven Reichweite der cosa juzgada material: Die Feststellung zur Sitten- oder Rechtswidrigkeit binde nicht am Verfahren Beteiligte nur dann, wenn die Entscheidung eine entsprechende Bestimmung zur Wirkungserstreckung auf die nicht beteiligten Dritten enthalte (STS 375/2010, 17. Juni 2010 (n° ROJ: STS 4216/2010), FD 4°; SAP Zaragoza 598/2012, 23. November 201 2 (n° ROJ: SAP Z 2597/2012), FD 2°; SAP Cáceres 58/2013, 13. Februar 2013 (n° ROJ: SAP CC 136/2013), FD 2°; SAP Bilbao 83/2014, 10. Februar 2013 (n° ROJ: SAP BI 2/2014), FD 3°; SAP Pontevedra 175/2014, 17. Mai 2014 (n° ROJ: SAP PO 448/2014), FD 2° (jeweils zu Klauseln in Darlehensverträgen)). In der Literatur wird Art. 221.1, 2ª LEC dagegen nicht als Regelung zur cosa juzgada verstanden (vgl. z.B. Tapia Fernández, Comentario al Art. 221 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1091, 1094.) Die Regelung des Art. 221 LEC beinhaltet im Übrigen nur Anforderungen an die Urteilsabfassung bei Klagen von Verbrauchervereinigungen, durch die eine Vollstreckung auch der nicht am Verfahren Beteiligten aus dem Urteil ermöglicht werden soll. 694 Zur vereinzelt geäußerten Kritik vgl. die Darstellung bei Calaza López, Cosa juzgada, p. 168 (mit Fußnote 252). 695 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 169, p. 188; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 498. 696 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 169, p. 188.

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cc. Erstreckung auf den Rechtsinhaber bei „sustitución procesal“ – Der ursprüngliche Verweis des Art. 222.3 LEC auf Art. 10 LEC Eine Erstreckung der cosa juzgada auf am Verfahren nicht selbst beteiligte Dritte wird auch für den Fall der sog. prozessualen Ersetzung (sustitución procesal) diskutiert. Diese beschreibt die der deutschen Prozessstandschaft ähnelnde Geltendmachung eines fremden Rechts in eigenem Namen auf Grundlage einer gesetzlich geregelten außerordentlichen Legitimation. 697 Wie bereits im Abschnitt zur rechtlichen Identität beschrieben, sprechen sich Teile der Literatur dafür aus, die cosa juzgada hier nicht nur auf den im Verfahren Auftretenden (sustituto), sondern auch auf den Rechtsinhaber (sustituido) zu erstrecken. Umstritten ist dabei allerdings, wie die Erfassung des Rechtsinhabers von den Wirkungen der cosa juzgada zu konstruieren ist. Während teilweise angenommen wird, zwischen dem sustituto und dem Rechtsinhaber bestehe eine personale Identität im rechtlichen Sinne, weshalb sich die Erfassung des Rechtsinhabers ohne Weiteres schon aus dem Erfordernis der rechtlichen Identität ergebe, 698 befürworten andere eine Erstreckung der cosa juzgada im Sinne einer Ausnahme vom Grundsatz res iudicata inter partes.699 Wenn für die rechtliche Identität, wie oben gezeigt, die Identität der legitimación ausschlaggebend ist, lässt sich die Annahme einer rechtlichen Personenidentität zwischen Rechtsinhaber und sustituto nur schwer begründen, da an sich zwischen der außerordentliche Legitimation des sustituto und der ordentlichen (weil sich aus der Rechtsinhaberschaft herleitenden) Legitimation des Rechtsinhabers zu unterscheiden ist. Die Annahme einer rechtlichen Identität lässt sich hier nur rechtfertigen, wenn man auf die Identität des der Klage zugrunde liegenden materiellen Rechts abstellt, 700 wodurch aber der Abgrenzungswert der formalen Parteistellung weiter geschmälert würde. Zudem ist zweifelhaft, ob eine 697 Die sustitución procesal ist einer der von Art. 10.2 LEC erfassten Fälle der außerordentlichen Legitimation, welche nicht auf der Rechtsinhaberschaft, sondern auf gesetzlicher Übertragung beruht, vgl. ausführlich zu den Fällen der legitimación extraordinaria López-Fragoso Álvarez, Comentario al 10–11 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico I, p. 225, 231 ss.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 82 ss. 698 So Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 145; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 301; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 497 s. 699 Von einer Parteiverschiedenheit ausgehend eine Erstreckung der cosa juzgada befürwortend: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 170, p. 188 s.; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 199. 700 Ausdrücklich darauf abstellend, dass die legitimación sowohl des sustituto als auch des Rechtsinhabers sich auf dasselbe materielle Recht stütze, auch wenn sich die Legitimation des einen aus der gesetzlichen Anordnung ergebe und die des anderen aus der Rechtsinhaberschaft: Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 301.

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Erstreckung mit dem gesetzgeberischen Willen vereinbar ist: Nachdem die Ursprungsfassung der LEC 2000 in Art. 222.3 LEC noch einen Verweis auf Art. 10 LEC enthielt701, der in seinem zweiten Absatz die Fälle der außerordentlichen legitimación einer vom Rechtsinhaber verschiedenen Person regelt, wurde der Gesetzestext schon wenige Monate nach Veröffentlichung der LEC 2000 korrigiert und der ursprüngliche Wortlaut durch den Verweis auf Art. 11 LEC ersetzt.702 Der Gesetzgeber hat also anstelle der allgemeinen Bezugnahme auf die außerordentliche Legitimation einen Verweis auf den Sonderfall der außerordentlichen Legitimation der Verbraucherverbände und -gruppen eingefügt. Es liegt daher nahe, die Korrektur des Wortlauts des Art. 222.3 LEC unter Änderung des Verweises als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Ausdehnung der Rechtkraft auf sämtliche Fälle der außerordentlichen Legitimation und damit auch der sustitución procesal zu verstehen. Die überwiegende Zahl der Autoren hält die vorgenommene Korrektur des Verweises allerdings für verfehlt703 und spricht sich auch heute für eine Erstreckung der cosa juzgada material des gegenüber dem sustituto ergangenen Urteils auf den Rechtsinhaber aus. 704 dd. Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen („acuerdos societarios/ sociales“) In Art. 222.3, III LEC hat der Reformgesetzgeber eine in Art. 1252 C.C. nicht geregelte Fallgruppe der Erstreckung der cosa juzgada aufgenommen: Danach erfasst die cosa juzgada einer Entscheidung über die Anfechtung von Beschlüssen gesellschaftsrechtlicher Beschlussorgane (acuerdos sociales) auch die am Anfechtungsprozess nicht beteiligten Gesellschafter. Die heutige ge-

701 Vgl. die Gesetzesveröffentlichung im Boletín Oficial del Estado, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000) – I. Disposiciones generales – 323, p. 575, 626. 702 CORRECCIÓN de errores de la Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil (BOE 2000, n° 90 (14. April 2000) – I. Disposiciones generales – 7052, p. 15278): „Advertidos errores en el texto de la Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil, publicado en el ́Boletín Oficial del Estadoª número 7, del 8, se procede a efectuar las oportunas modificaciones: [...] En la página 626, segunda columna, artículo 222, apartado 3, párrafo primero, quinta línea, donde dice: ‚... en el artículo 10 de esta Ley.‘, debe decir: ‚... en el artículo 11 de esta Ley.‘“ (abrufbar unter http://www.boe.es/boe/dias/2000/04/14/ pdfs/A15278–15278.pdf (zuletzt aufgerufen am 05.12.2015)). 703 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 170, p. 188 s.; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 566 („rectificó erróneamente la remisión al artículo 10“); Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 199 s. („incorrecta corrección“). 704 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 170, p. 188 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 498; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 566 („rectificó erróneamente la remisión al artículo 10“); Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 199 s. („incorrecta corrección“).

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setzliche Wirkungserstreckung enthält keine Differenzierung nach dem Ausgang des Verfahrens.705 Die Verfahrensregelungen zur Beschlussanfechtung706 gewähren den Gesellschaftern ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten, so dass eine Erstreckung der cosa juzgada auch bei abweisender Entscheidung als gerechtfertigt angesehen wird.707 Die Vermeidung einer erneuten Anfechtung entspricht nach dem Verständnis der Literatur dem besonderen, auch im übrigen Gesellschaftsrecht berücksichtigten Bedürfnis nach „Stabilität und Rechtssicherheit“ in Fragen der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung. 708 ee. Gesamtschuld, Gesamtgläubigerschaft und unteilbare Leistungen Wie bereits in den historischen Ausführungen dargestellt, hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 1252 C.C. nicht nur das Vorbild des französischen Code civil vor Augen, sondern übernahm gerade bei der Ausgestaltung der Fälle einer subjektiven Erstreckung der cosa juzgada auch Teilregelungen 705 Art. 222.3, III LEC: „Las sentencias que se dicten sobre impugnación de acuerdos societarios afectarán a todos los socios, aunque no hubieren litigado.“ Anders noch nach früherer Rechtslage: Eine Erstreckung auf die nicht am Anfechtungsverfahren beteiligten Gesellschafter und Aktionäre wurde auf Grundlage gesellschaftsrechtlicher Sonderreglungen nur für den Fall einer stattgebenden Entscheidung bejaht, d.h. bei Aufhebung des Beschlusses (vgl. die Ausführungen von Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 695, der auf Art. 70 des früheren Ley de Sociedades Anónimas verwies). Dagegen erwies sich eine Wirkungserstreckung bei abweisender Entscheidung, also bei Aufrechterhaltung des Beschlusses, angesichts des Fehlens klarer gesetzlicher Vorgaben als problematischer, in der Literatur wurde jedoch auch hier eine Erstreckung der cosa juzgada auf sämtliche Gesellschafter bejaht, so dass eine spätere erneute Anfechtung ausgeschlossen bleiben sollte (Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 696). 706 Die entsprechenden Regelungen finden sich in den Artikeln 204 ss. Ley de Sociedades de Capital. 707 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 172, p.190 s. Zudem wird in Art. 76.2, 2° LEC, der eine zwingende amtswegige Verbindung mehrerer Verfahren hinsichtlich eines einheitlichen Gesellschafterbeschlusses anordnet, der Wille des Gesetzgebers deutlich, die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen möglichst konzentriert in einem Verfahren abzuhandeln (vgl. hierzu Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 498 (allerdings noch unter Anwendung des früheren Regelungsstandorts in Art. 73.2 LEC a.F. (Rechtslage vor der der Gesetzesänderung durch Ley13/2009)). 708 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 172, p.191 (Fußnote 125). Vgl. auch Calaza López, Cosa juzgada, p. 175. Vor diesem Hintergrund wird teilweise auch erwogen, die cosa juzgada einer Entscheidung über eine Beschlussanfechtung in analoger Anwendung des Art. 222.3, III LEC auch auf die nach Art. 206 Ley de Sociedades de Capital ebenfalls anfechtungsberechtigten Geschäftsführer der Gesellschaft und Dritten mit legitimem Interesse zu erstrecken (so Calaza López, Cosa juzgada, p. 174 ss.). Eine analoge Anwendung sieht sich jedoch dem Einwand ausgesetzt, dass die gesetzlich vorgesehenen Fälle der Erstreckung der cosa juzgada auf Dritte als Ausnahmen restriktiv auszulegen sind (hierzu Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 149).

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der Siete Partidas. Zu diesen aus dem frühen spanischen Gesetzeswerk übernommenen Fällen zählte die in Art. 1252.3 C.C. verankerte Erstreckung auf Personen, die mit einer der Parteien in einem Verhältnis der Gesamtschulderschaft oder Gesamtgläubigerschaft (solidaridad) standen, sowie in Fällen unteilbarer Leistungen auf die nicht am Verfahren beteiligten Schuldner oder Gläubiger unteilbarer Forderungen. (1) Die Anerkennung in Literatur und Praxis unter Geltung des Art. 1252 C.C. Trotz der gesetzlichen Verankerung war die subjektive Erstreckung der cosa juzgada in Fällen der Gesamtschuldnerschaft bzw. -gläubigerschaft sowie bei Unteilbarkeit äußerst umstritten und wurde daher in der Praxis restriktiv ausgelegt bzw. zum Teil sogar gänzlich umgangen. (a) Gesamtschuld und Gesamtgläubigerschaft In Art. 1252.3 C.C. wurden die Wirkungen der cosa juzgada ohne weitere Differenzierung auf alle Personen erstreckt, die mit den Parteien des Verfahrens durch ein Verhältnis der Gesamtschuld oder der Gesamtgläubigerschaft verbunden waren. Auch wenn Teile der Rechtsprechung die gesetzlich angeordnete Erstreckung der cosa juzgada auf nicht am Verfahren beteiligte Gesamtschuldner entsprechend der Vorgabe des Art. 1252 C.C. anwendeten, 709 lehnte die ganz überwiegende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung eine uneingeschränkte Ausdehnung der cosa juzgada auf weitere Gesamtschuldner ab.710 Ausschlaggebend hierfür war die Unvereinbarkeit einer Erstreckung der negativen Wirkungsrichtung mit der gesetzlichen Ausgestaltung der Gesamtschuld im Código Civil: Gemäß Art. 1144 C.C. kann der Gläubiger nach seiner Wahl gegen einzelne oder sämtliche Gesamtschuldner vorgehen, ohne durch die nur 709 Sowohl in Fällen der eigentlichen Gesamtschuld (vgl. SAP Madrid 156/2006, 7. März 2006 (n° ROJ: SAP M 2793/2006), FD 4°; SAP Las Palmas de Gran Canaria 365/2007, 5. November 2007 (n° ROJ: SAP GC 2936/2007), FD 3°) als auch in Fällen der uneigentlichen Gesamtschuld (solidaridad impropia), die bei einer schuldhaften Beteiligung mehrerer an einem schädigenden Ereignis bei nicht eindeutig trennbaren Verschuldensbeiträgen, insbesondere in Bauhaftungsfällen bei Haftung des Architekten, des Bauleiters und des Bauunternehmens, bejaht wurde (zur Anwendung des Art. 1252.3 C.C. in diesen Fällen: STS 389/1984, 16. Juni 1984 (n° ROJ: STS 1249/1984), Considerando 1°; STS 601/1988, 14. Juli 1988 (n° ROJ: STS 9743/1988), FD 1°. 710 STS 827/2005, 24. Oktober 2005 (n° TOJ: STS6450/2005), FD 3°; SAP Madrid, 7. September 1998 (n° de recurso 145/1997; n° ROJ: SAP M 9387/1998), FD 3°; SAP Oviedo 605/1998, 25. November 1998 (n° ROJ: SAP O 3461/1998), FD 2°. Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 153 ss.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 694.

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gegen einen einzelnen Gesamtschuldner gerichtete Geltendmachung daran gehindert zu sein, den Anspruch später gegenüber den anderen Gesamtschuldnern einzufordern, solange und soweit er noch nicht vollständig befriedigt ist. Sollte diese Möglichkeit nicht gänzlich entwertet werden, musste es dem Gläubiger auch nach einer im Verhältnis zu einem der Gesamtschuldner ergangenen Entscheidung möglich sein, die noch nicht befriedigte Forderung gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern in einem gesonderten Verfahren geltend zu machen711 und im Verhältnis zu diesen einen Vollstreckungstitel zu erlangen.712 Ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada gegenüber den nicht am Verfahren beteiligten Gesamtschuldnern stand zudem im Widerspruch zur in Art. 1148 C.C. verankerten Möglichkeit des Gesamtschuldners, dem Gläubiger auch seine persönlichen Einwendungen entgegenzuhalten.713 Diesem Widerspruch zwischen Art. 1252.3 LEC und der Gesamtschuldregelung im Código Civil versuchte man überwiegend 714 durch eine teleologische Reduktion des Art. 1252.3 LEC Rechnung zu tragen, nach der die Erstreckung auf die nicht beteiligten Gesamtschuldner allein im Hinblick auf die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada zur Anwendung kommen sollte: 715 Einer späteren Klage des Gläubigers gegenüber den anderen Gesamtschuldnern stand

711 STS 827/2005, 24. Oktober 2005 (n° TOJ: STS6450/2005), FD 3° („... pues eliminaría la esencia de la solidaridad, dada la imposibilidad de perseguir y ejecutar la condena contra los restantes deudores al carecer de título ejecutivo para ello, y limitaría indebidamente el contenido de los artículos 1.144 y 1.148 del Código civil ....“); SAP Madrid, 7. September 1998 (n° de recurso 145/1997; n° ROJ: SAP M 9387/1998), FD 3°; SAP Oviedo 605/1998, 25. November 1998 (n° ROJ: SAP O 3461/1998), FD 2°. 712 SAP Oviedo 605/1998, 25. November 1998 (n° ROJ: SAP O 3461/1998), FD 2°. Das gegen einen Gesamtschuldner ergangene Urteil kann auch in Spanien nicht als Vollstreckungstitel gegenüber den anderen Gesamtschuldnern dienen, vgl. SAP Madrid, 6. Oktober 2001 (n° de recurso: 547/2000; n° ROJ: SAP M 13594/2001), FD 10°; Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 154 s. 713 STS 827/2005, 24. Oktober 2005 (n° TOJ: STS6450/2005), FD 3°; SAP Madrid, 7. September 1998 (n° de recurso 145/1997; n° ROJ: SAP M 9387/1998), FD 3°. 714 Die Erstreckung sowohl der negativen als auch der positiven Wirkungsrichtung ablehnend Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 153 ss., 155 (wegen Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Gewährleistung rechtlichen Gehörs auch im Hinblick auf die positive Wirkungsrichtung). 715 STS 827/2005, 24. Oktober 2005 (n° TOJ: STS6450/2005), FD 3°. In der Literatur wurde häufig auch noch weitergehend nach dem Ausgang des Erstverfahrens zwischen Klageabweisung und Verurteilung differenziert (bei Verurteilung des Gesamtschuldners: nur Erstreckung hinsichtlich der positiven Wirkungsrichtung, nicht aber der negativen Sperrwirkung; bei Abweisung, also Entscheidung zugunsten der Gesamtschuldner: Erstreckung beider Wirkungsrichtungen auf die nicht beteiligten Gesamtschuldner), so Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 694. Zu den verschiedenen Differenzierungsansätzen in der Literatur Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 153.

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daher nicht die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada entgegen.716 Vielmehr sollte im späteren Verfahren lediglich eine Bindung an die präjudiziellen Feststellungen zum Haftungsgrundtatbestand sowie zu den allen Gesamtschuldnern gemeinsamen Einwendungen bestehen, ohne dass es dem beklagten Gesamtschuldner aber verwehrt war, seine persönlichen Einwendungen geltend zu machen.717 Ähnliche differenzierende Lösungen wurden teilweise auch im Hinblick auf die in der Rechtsprechung kaum behandelte Gesamtgläubigerschaft vorgeschlagen,718 allerdings bestand anders als bei der Gesamtschuld kein derart deutlicher Konflikt mit den materiellrechtlichen Regelungen zur Gesamtgläubigerschaft, so dass manche Autoren hier auch eine Erstreckung beider Wirkungsrichtungen der cosa juzgada auf die nicht klagenden Gesamtgläubiger zulassen wollten.719 (b) Unteilbarkeit der Leistung Während die Wirkungserstreckung im Fall der solidarischen Berechtigung oder Verpflichtung zumindest in der Praxis noch teilweise akzeptiert und zur Anwendung gebracht wurde, wurde die Ausdehnung der cosa juzgada auf nicht am Verfahren beteiligte Schuldner oder Gläubiger einer unteilbaren Forderung gänzlich abgelehnt: Die enge Verbindung zwischen den Schuldnern bzw. den Gläubigern einer unteilbaren Forderung sollte zwar auch prozessual Berücksichtigung finden, allerdings nicht durch eine Erstreckung der Wirkungen der cosa juzgada material, sondern durch die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft: 720 Eine Klage, welche nicht gegen sämtliche Schuldner der unteilbaren Forderung gerichtet war bzw. nicht von sämtlichen Gläubigern der unteilbaren Forderung erhoben wurde, war daher wegen Verstoßes gegen die

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STS 827/2005, 24. Oktober 2005 (n° TOJ: STS6450/2005), FD 3° („En efecto, la extensión subjetiva de la cosa juzgada, que parece derivarse del artículo 1.252, párrafo 3º del Código civil , entre los sujetos que están ligados por vínculos de solidaridad, no puede llevarse a los extremos de impedir todo ulterior proceso sobre la misma cuestión frente a los restantes deudores solidarios, cuando, previamente, se haya dictado sentencia contra uno de ellos ...“); SAP Madrid, 7. September 1998 (n° de recurso 145/1997; n° ROJ: SAP M 9387/1998), FD 3°; SAP Oviedo 605/1998, 25. November 1998 (n° ROJ: SAP O 3461/1998), FD 2°. 717 SAP Oviedo 605/1998, 25. November 1998 (n° ROJ: SAP O 3461/1998), FD 2°. 718 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 153 s. 719 So Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 693 s. 720 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 156; Gomez de Liaño González, El proceso civil, n° 98, p. 215 s.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 693.

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Regeln ordnungsgemäßer Klageerhebung bei notwendiger Streitgenossenschaft abzuweisen. Erfolgte eine derartige Abweisung, so konnte es zur Anwendung des Art. 1252.3 C.C. gar nicht kommen. 721 Aber auch für den Fall, dass fehlerhaft doch ein Urteil in der Sache erging, wurde eine Wirkungserstreckung auf die übrigen Schuldner bzw. Gläubiger entgegen der gesetzlichen Vorgabe des Art. 1252.3 C.C. abgelehnt, da diese im Widerspruch zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs stand. 722 (2) Die heutige Rechtslage Der Verzicht des Reformgesetzgebers, die Fälle der Gesamtschuld, der Gesamtgläubigerschaft und der Unteilbarkeit der Leistung in Art. 222.3 LEC aufzunehmen, wird nach ganz herrschender Ansicht als bewusste Aufgabe der früheren Wirkungserstreckung verstanden 723 und als richtige Entscheidung gelobt, welche der materiellrechtlichen Ausgestaltung der Gesamtschuld entspricht724 und eine lange Zeit fehlerhafte gesetzliche Konzeption der prozessualen Behandlung unteilbarer Forderungen korrigiert.725 Aus heutiger Sicht erstreckt sich die cosa juzgada eines zugunsten oder zulasten eines Gesamtschuldners ergehenden Urteils nicht auf die übrigen Gesamtschuldner. 726 Eine gegen einzelne Schuldner einer unteilbaren Forderung gerichtete Klage bzw. eine Klage nur einzelner Gläubiger einer solchen Leistung ist wegen der unterbliebenen Berücksichtigung der notwendigen passiven Streitgenossenschaft ohne Prüfung in der Sache abzuweisen. 727 Die problematische Erstreckung der

721

Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 156; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 693. 722 Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 156. 723 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 173, p. 193; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 202. 724 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 369. 725 So ausdrücklich López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 369 („...la LEC 1/2000 corrige lo que constituía un evidente error jurídico.“). 726 Ausdrücklich auch für die positive Funktion der cosa juzgada SAP Segovia 39/2006, 6. März 2006 (n° ROJ: SAP SG 77/2006), FD 2°: „Ciertamente este tenor [del Art. 1252.3 CC] habría permitido, con anterioridad a la LEC vigente la extensión del efecto positivo de la cosa juzgada al pleito actual, pero la actual dicción del art. 222.4 LEC con su remisión al art. 222.3 LEC impide considerara [...] que los efectos de cosa juzgada puedan extenderse a los supuestos de relaciones solidarias, por lo que debe d arse la razón en este punto al recurrente y entender no vinculante la sentencia anterior en el presente pleito.“ 727 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 369; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1099

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cosa juzgada in Fällen der Gesamtschuld, der Gesamtgläubigerschaft sowie der Unteilbarkeit der Forderung hat daher mit der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 ein Ende gefunden. b. Wirkung erga omnes Eine Erstreckung der cosa juzgada auf jedermann sah der frühere Art. 1252 C.C. in Angelegenheiten des Personen- und Familienstandes sowie in Verfahren, welche die Wirksamkeit bzw. Nichtigkeit von Testamenten zum Gegenstand hatten, vor. Der Reformgesetzgeber hat diese nur teilweise übernommen. Kontinuität zeigt sich bei der Zuerkennung einer Wirkung erga omnes bei Entscheidungen zum Personen- und Familienstand. Eine Wirkung für und gegen jedermann greift in Verfahren über den Personen- und Familienstand, in Ehe- und Abstammungssachen sowie in Verfahren, welche die Entmündigung und Wiedereinräumung der Mündigkeit zum Gegenstand haben. 728 Die Anordnung einer Wirkung für und gegen jedermann wird mit der Zugehörigkeit der aufgeführten Verfahrensgegenstände zum ordre public begründet, die eine Einheitlichkeit der Beurteilung dieser Fragen erforderlich mache.729 Auch wenn es sich bei den Entscheidungen, die in den genannten Verfahren ergehen, regelmäßig um Gestaltungsurteile handelt, die durch die Gestaltungswirkung eine unmittelbare Veränderung der Rechtsverhältnisse bewirken und auf diese Weise schon Wirkung gegenüber jedermann entfalten, wird auch die Zuerkennung einer für und gegen jedermann wirkenden cosa juzgada traditionell für notwendig gehalten, um spätere Verfahren mit identischem Gegenstand auszuschließen und eine Bindung auch bei abweisender Entscheidung zu bewirken.730 Überraschenderweise wird die Wirkung der cosa juzgada für und gegen

s. („defecto procesal de falta de litisconsicrcio pasivo necesario, obstativo de un pronunciamiento sobre el fondo del asunto“). 728 Art. 222.3, II LEC: „En las sentencias sobre estado civil, matrimonio, filiación, paternidad, maternidad e incapacitación y reintegración de la capacidad la cosa juzgada tendrá efectos frente a todos a partir de su inscripción o anotación en el Registro Civil.“ Auch wenn Art. 1252.3 C.C. die Wirkungserstreckung auf Dritte ohne nähere Bestimmung allgemein für „Fragen den Personen- und Familienstand betreffend“ (cuestiones relativas al estado civil de las personas) anordnete, wurden hierunter die Verfahrensgegenstände gefasst, die im heutigen Art. 222.3, II LEC detailliert aufgelistet werden, vgl. die Aufzählung bei Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 692 (Nichtigkeit von Ehen, Trennung und Scheidung von Ehen, Anerkennung und Anfechtung der Abstammung, sowie Verfahren über die Entmündigung). 729 Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 451. 730 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 34 (p. 179); López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 368. Zum

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jedermann nach dem Wortlaut des Art. 222.3, II LEC allerdings von der Eintragung in das Registro Civil abhängig gemacht. In der Literatur wird diese Verknüpfung kritisiert: Die Registereintragung lasse sich zwar als Voraussetzung einer Gestaltungswirkung akzeptieren, die der Ausübung der rechtsprechenden Tätigkeit innewohnende Wirkung der cosa juzgada könne dagegen nicht von einem reinen Verwaltungsakt, wie ihn die Registereintragung darstellt, abhängen.731 Tatsächlich lässt sich eine Verknüpfung der Wirkungen der cosa juzgada mit der Eintragung in ein Register nur schwerlich in die Rechtskraftdogmatik einfügen, vielmehr scheinen hier cosa juzgada, Gestaltungwirkung und Elemente einer Publizitätswirkung öffentlicher Register vermischt zu werden.732 Einige Autoren sprechen sich daher dafür aus, die cosa juzgada unabhängig von der Eintragung ins Zivilregister für und gegen jedermann wirken zu lassen.733 Andere lehnen – wie auch teilweise schon unter Geltung des Art. 1252 C.C. vertreten – eine Ausdehnung der cosa juzgada auf sämtliche Dritte ab. Vielmehr sei zu differenzieren und die Erstreckung allein auf jene Dritte zu beziehen, denen die legitimación zur Erhebung der entsprechenden Klage zukomme. 734 Beide Lösungen widersprechen aber dem eindeutigen Wortlaut der Norm.735 Der Gesetzesbegründung zur LEC 2000 lassen sich keine Anhaltspunkte für die gesetzgeberische Zielsetzung entnehmen, welche hinter der erst spät im Gesetzesverfahren einfügten 736 Anknüpfung an die Registereintragung stand. Rechtsprechung zu dieser Frage existiert bislang – soweit ersichtlich – noch nicht, was sicher auch daran liegt, dass der Fall eines

Verhältnis von cosa juzgada und Gestaltungswirkung bei Gestaltungsurteilen auch bereits oben E. II. 2. b. 731 Calaza López, Cosa juzgada, p. 170. 732 Eine Vermischung von cosa juzgada und Gestaltungswirkung sehen Calaza López, Cosa juzgada, p. 170; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 171, p. 189 s.; daneben auch auf die Publizität der Register hinweisend Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 304 („principio de publicidad registral“). Als eindeutig auf die cosa juzgada ausgerichtete Regelung scheint Montero Aroca die Vorschrift zu verstehen, Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 499. 733 Calaza López, Cosa juzgada, p. 170s.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 171, p. 190. 734 So Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 304. Vor Einführung der LEC 2000 bereits Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 691 s. 735 Eine erga omnes wirkende cosa juzgada bei Eintragung der Entscheidung ins Register akzeptiert Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 499. 736 Im Gesetzesprojekt war die Verknüpfung mit der Eintragung im Register noch nicht enthalten, vgl. de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 171, p. 189.

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erneuten Verfahrens bei nicht erfolgter Eintragung der Entscheidung in der Praxis selten auftreten wird.737 Eine weitere Fallgruppe, in der der Art. 1252.3 LEC eine Wirkung erga omnes anordnete, namentlich in Verfahren über die Wirksamkeit bzw. Nichtigkeit von Testamenten, ist durch die Einführung des Art. 222.3 LEC entfallen. Die Wirkung für und gegen jedermann war bereits nach früherer Rechtslage umstritten.738 Heute wird angenommen, dass die Entscheidung über die Wirksamkeit oder Nichtigkeit eines Testaments selbst dann keine Wirkung gegenüber Dritten entfaltet, wenn diese ein legitimes Interesse an der Wirksamkeit des Testaments haben.739 Einer Wiederholung von Verfahren zur Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen wird schon dadurch Grenzen gesetzt, dass die klageweise Anfechtung des Testaments gegen alle im Testament Bedachten als notwendige passive Streitgenossen gerichtet werden muss. 740 Der Gesetzgeber hat damit die Verfahren, in denen die cosa juzgada für und gegen jedermann wirken, auf die auch unter altem Recht unstreitig anerkannten Fälle reduziert. Die verbliebene Erstreckung erga omnes in Art. 222.3, II LEC verwischt aufgrund der Anknüpfung an die Registereintragung allerdings die Grenzen zwischen cosa juzgada, Gestaltungswirkung und Registerpublizität. c. Zusammenfassung: Erstreckung der „cosa juzgada“ über die Parteien hinaus Die weitreichende Zulassung einer Erstreckung der cosa juzgada über die Parteien hinaus, wie sie Art. 1252 LEC nach historischem Vorbild vornahm, bereitete in der Praxis nicht unerhebliche Probleme und wurde daher in einigen Fällen durch die Annahme einer notwendigen passiven Streitgenossenschaft, die ein späteres Greifen der Rechtskrafterstreckung schon im Erstverfahren verhindern sollte, sowie durch teleologische Reduktion deutlich beschränkt. Dieser unbefriedigenden früheren Rechtslage hat der Reformgesetzgeber durch 737 Auf die geringe praktische Relevanz weist auch de la Oliva Santos hin, der aber davor warnt, mit dieser Begründung auf eine abschließende Lösung des Problems zu verzichten (Objeto del proceso, n° 171, p. 190). 738 Vgl. Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 692 (nur Wirkungserstreckung auf Dritte mit legitimación im Hinblick auf die Wirksamkeits- bzw. Nichtigkeitsfeststellung, aber keine Wirkung erga omnes). 739 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 369; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1100. 740 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al Art. 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III (Artículos 206–280), p. 339, 369; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1100. So bereits zur früheren Rechtslage Boquera Oliver, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 139, 157.

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Streichung der umstrittensten Fallgruppen der Wirkungserstreckung Rechnung getragen. Auch wenn die heutige gesetzliche Ausgestaltung nicht frei von Widersprüchen ist und teilweise neue Probleme geschaffen hat, ergibt sich auf Grundlage der heute geregelten Fallgruppen einer Erstreckung der cosa juzgada auf Dritte ein überwiegend stimmiges Verhältnis zum materiellen Recht und zur Figur der notwendigen Streitgenossenschaft. 3. Zusammenfassung Auch das spanische Recht geht von einer grundsätzlichen Beschränkung der Wirkungen der cosa juzgada auf die Parteien des Verfahrens aus. Eine Erstreckung der cosa juzgada über die Parteien hinaus bleibt damit dem Grundsatz nach auf die gesetzlich geregelten Ausnahmefälle beschränkt. Bei der Ausgestaltung des Art. 222.3 LEC wird – trotz gewisser Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten im Einzelnen – das gesetzgeberische Bemühen deutlich, eine im Vergleich zur früheren Rechtslage klarere und stimmigere Definition der subjektiven Grenzen der cosa juzgada material zu schaffen. In der Praxis zeigt sich allerdings eine Tendenz zur flexiblen Handhabung der subjektiven Grenzen der cosa juzgada in der Anwendung des Erfordernisses der rechtlichen Identität und in der Bejahung einer Parteiidentität bei rechtsmissbräuchlicher Hinzuziehung zusätzlicher Parteien. II. Die objektive Reicheweite der „cosa juzgada“ Während der Grundsatz der Wirkung inter partes die Reichweite der cosa juzgada in subjektiver Hinsicht umschreibt und dabei sowohl für die negative als auch die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada material Geltung beansprucht, unterscheiden sich die objektiven Voraussetzungen der beiden Wirkungsrichtungen der cosa juzgada. Wie sich schon aus der in Art. 222.4 LEC enthaltenen Definition ergibt, setzt die positive Funktion in objektiver Hinsicht eine Konnexität der beiden Verfahren in dem Sinne voraus, dass der Gegenstand des ersten Verfahrens eine unerlässliche logische Voraussetzung des im späteren Prozess zur Entscheidung gestellten Gegenstandes bildet. Damit hat der Gesetzestext die nach früherem Recht der Rechtsprechung überlassene Definition der objektiven Voraussetzung der positiven Wirkungsrichtung präzisiert, ohne aber hiermit eine grundlegende Neubestimmung der erforderlichen objektiven Beziehung zwischen den beiden Verfahren vorzunehmen.741 Mit der 741 Zur in der Rechtsprechung zur früherem Rechtslage angewendeten Definition der Voraussetzungen der positiven Wirkungsrichtung vgl. beispielsweise STS 1069/1997, 1. Dezember 1997 (n° ROJ: STS 7280/1997), FD 4°; STS 569/2008, 12. Juni 2008 (n° ROJ: STS 3627/2008), FD 2° („impidiendo razones de seguridad jurídica someter a cuestión y ‹decidir en proceso posterior un concreto tema, cuestión o punto litigioso de manera contraria o distinta a como quedó resuelto o decidido en pleito contradictorio precedente› [...],

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in Art. 222.4 LEC verankerten Definition ist das objektive Verhältnis der beiden zu betrachtenden Verfahren für die positive Ausprägung der cosa juzgada bereits abschließend beschrieben. 742 Prägend für die Reichweite der positiven Wirkungsrichtung ist dann vielmehr die bereits oben behandelte Bestimmung der an dieser Bindung teilhabenden Entscheidungsbestandteile und Vorfragen.743 Voraussetzung der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada material ist dagegen eine objektive Streitgegenstandsidentität, deren Konkretisierung die folgenden Ausführungen dienen sollen. Bevor aber auf die Elemente des für die cosa juzgada geltenden Streitgegenstandsbegriffs und damit auf die objektiven Grenzen der cosa juzgada im Einzelnen eingegangen wird, soll zunächst die Entwicklung der spanischen Streitgegenstandsdogmatik kurz umrissen werden. 1. Die Terminologie der spanischen Streitgegenstandslehre: „Acción“, prozessualer Anspruch, Streitgegenstand und das Erfordernis der dreifachen Identität Bereits bei einem ersten Vergleich des Wortlauts des früheren Art. 1252 C.C. und des heute geltenden Art. 222 LEC wird deutlich, dass sich die beiden Normen bei der Beschreibung der objektiven Voraussetzungen der cosa juzgada material unterschiedlicher Begrifflichkeiten bedienen. Während Art. 1252.1 C.C. nach französischem Vorbild auf die Identität der cosa und der causa in den beiden Verfahren zurückgreift, verlangt Art. 222 LEC in seinem ersten Absatz die Identität des Streitgegenstandes (objeto), um im zweiten Absatz auf apareciendo la decisión al respecto contenida en la sentencia firme como punto de partida vinculante de la resolución ulterior ...“). 742 Die in der Literatur anzufindenden Beschreibungen der objektiven Voraussetzungen der positiven Wirkungsrichtung fügen der gesetzlichen Definition nichts Wesentliches hinzu, vgl. beispielsweise die Definitionen bei Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 292 („[L]o que requiere la función positiva en cuanto a los objetos de ambos procesos es que entre ellos exista una conexión, esto es, que el objeto del primer proceso condicione o sea prejudicial del objeto del segundo, del modo que el juez no pueda resolver sobre éste sin resolver previamente sobre el primero.“) ; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 496 („[L]a función positiva no puede exigir identidad objetiva entre los dos procesos, sino sólo que la relación jurídica definida en la sentencia entra en el supuesto fáctica del segundo proceso.“) ; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 227 („La cuestión o punto litigioso que vinculará al juez del segundo proveso habrá de formar parte de la causa de pedir de ese nuevo objeto procesal, del derecho heco valer en el nuevo juicio.“). 743 So diskutiert beispielsweise Gimeno Sendra in seiner Darstellung der positiven Wirkungsrichtung nach Anführung der gesetzlichen Definition aus Art. 222.4 LEC nur noch die Frage, welche Entscheidungselemente an der positiven Bindungswirkung teilhaben ( Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 561 s.). Auf die Bedeutung dieser Frage für Reichweite der positiven Funktion hinweisend auch Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 228.

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die Ansprüche (pretensiones) der Parteien Bezug zu nehmen. Häufig wird zur Begrenzung der Streitsache in der Literatur und an verschiedenen Stellen der LEC auch der Begriff der acción verwendet. Bei einer Darstellung der Entwicklung des Streitgegenstandsbegriffs in Spanien ist daher auch auf diese verschiedenen Begrifflichkeiten und ihr Verhältnis zueinander einzugehen. a. Die Entwicklung der Streitgegenstandslehre Ausgangspunkt der spanischen Streitgegenstandslehre war das römischrechtliche Aktionendenken, in der die actio (acción) untrennbar mit der materiellen Rechtsposition verbunden war. Dieses Aktionendenken lag auch dem Código civil zugrunde. 744 Noch in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde die acción in der Literatur als materielles Klagerecht verstanden, welches zwar vom subjektiven materiellen Recht unterschieden wurde, aber mit diesem in der Weise eng verknüpft war, dass die materielle Rechtsposition oder die Verletzung des materiellen Rechts die Grundlage und Voraussetzung der acción darstellten.745 Auf eine als materielles Klagerecht verstandene acción nahm auch die LEC 1881 an einigen Stellen Bezug. 746 In der LEC 1881 fanden sich zudem gewisse Formulierungen, die einer Bezeichnung und Eingrenzung des Verfahrensgegenstandes dienten.747 Ein eigenständiger Streitgegenstandsbegriff als dogmatisches Instrument einer Abgrenzung verschiedener Verfahren ist hierin aber noch nicht zu sehen. Auch der Begriff des Anspruchs (pretensión) taucht in der LEC 1881 bereits auf, jedoch bezieht er sich nur an gewissen Stellen auf das Vorbringen der Parteien, 748 überwiegend wird er im Sinne eines

744 Beispielhaft sei auf die Regelungen der acción reivindicatoria in Art. 348.2 C.C. („El propietario tiene acción contra el tenedor y el poseedor de la cosa para reivindicarla.“) , Art. 1862 C.C. („La promesa de constituir prenda o hipoteca sólo produce acción personal entre los contratantes ... .“) und die acciones de filiación (Título V, Capítulo III, Art. 127 ss. CC) verwiesen. Vgl. zur Prägung des Código Civil durch das Aktionendenken römischen Ursprungs auch Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 199; Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 45. 745 Vgl. die Darstellung der Literatur der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts bei Ramos Méndez, Derecho y proceso, 1979, p. 57 s. 746 So beispielsweise in Título IV, Sección I („De la acumulación de acciones“) Art. 153 ss. LEC 1881; Art. 497, 2° LEC 1881 („acción real o mixta“); Art. 524.2 LEC 1881 („la clase de acción“). 747 So sprach das Gesetz an verschiedenen Stellen von einem Verfahrens- oder Verhandlungsgegenstand (objeto del pleito, objeto del debate), überwiegend um einzugrenzen, welches Vorbringen der Parteien Thema des Verfahrens bzw. der streitigen Erörterung war (Art. 359.1, 548, 581 LEC 1881 („objeto del debate“); Art. 273, 1°, Art. 369 LEC 1881(„objeto del pleito“)). Im Zusammenhang mit der Streitwertfestsetzung findet sich zudem die Bezugnahme auf die Streitsache (Art. 492 LEC 1881 („cosa litigiosa“)). 748 So in Art. 372,2° („pretensiones y excepciones que hayan formulado“), Art. 548.2 („las pretensiones de las partes“), Art. 720 LEC 1881 („la pretensión que se deduce“).

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Verfahrensantrags (auf Anordnung einer mündlichen Verhandlung, eines Vorverfahrens, einer Beweismaßnahme, usw.) verwendet. 749 Eine über die Anknüpfung an die acciones beziehungsweise die nicht näher bestimmte Bezugnahme auf den Verfahrensgegenstand hinausgehende dogmatische Erfassung des Streitgegenstandes fand noch nicht statt. Erst mit der Rezeption insbesondere der Lehren der deutschen und – in etwas geringerem Maße – der italienischen Rechtswissenschaftler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts änderte sich dies. Dieser Rezeptionsprozess beginnt – wie bereits in den historischen Ausführungen dargelegt 750 – in den Dreißigerund Vierzigerjahren. Im Hinblick auf die Aktionen- und Streitgegenstandsdogmatik finden die deutschen Rechtslehren ab Ende der Vierzigerjahre Eingang in die prozessrechtlichen Lehrbücher und Aufsätze der spanischen Autoren. 751 Die Bezugnahme auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Windscheid und Muther wird zur Grundlage jeder spanischen Ausführung zur acción,752 die Unterscheidung zwischen einem prozessualen Klagerecht und dem subjektiven materiellen Recht findet bald eine feste Verankerung in der spanischen Dogmatik.753 In Anlehnung an die Lehren insbesondere Wachs, Degenkolbs und Hellwigs wird die acción nun als gegenüber dem Staat bestehendes (subjektiv öffentliches) Recht auf Gewähr von Rechtsschutz durch Erlass einer richterlichen Entscheidung verstanden.754 Dabei lassen sich – mit vielen 749 So in Art. 492 (Antrag bei abweichender Beurteilung der Streitwertfestsetzung oder Statthaftigkeit der Verfahrensart), Art. 497.2 (Antrag auf Durchführung einer diligencia preliminar), Art. 567 (Antrag auf Vornahme einer Beweismaßnahme (diligencia de prueba)), Art. 668, 674.1 (Antrag auf Anordnung eines mündlichen Verhandlungstermins (vista)), Art. 706 (später Art. 705) LEC 1881 (Antrag auf Anschluss an die Berufung des Berufungsklägers). 750 Oben A. II. 2. 751 Beispielsweise bei Guasp, Los límites temporales de derecho civil, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435 ss.; ders., La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9 ss.; Lois Estévez, La teoría del objeto del proceso, Anuario de Derecho Civil 1949, p. 606 ss.; ders., Problemas del objeto del proceso en nuestro sistema legal, Anuario de Derecho Civil 1955, p. 67 ss. 752 Vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 46 s.; 51 s.; Pietro-Castro y Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1964, p. 71; Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 60 s. 753 Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 47 ss.; vgl. auch die Darstellung der Entwicklung bei Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 79 ss. Eine engere Verknüpfung zwischen acción und subjektivem materiellen Recht liegt der Theorie von Prieto-Castro Ferrándiz zugrunde (Derecho procesal civil I, 1964, n° 55, p. 73 ss.), der insoweit einen Sonderweg ging (vgl. zu dieser Einordnung Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 91 ss.). 754 Fairén Guillén, Estudios de derecho procesal civil, p. 75 ss.; Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 45 s. („la acción [...] como un derecho dirigido hacia el Estado, y como facultad de obtener mediante el órgano de éste, y contra o frente al demandado, el acto de tutela jurídica.“). Aus der heutigen Literatur: de la Oliva Santos,

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Abstufungen im Einzelnen – zwei Grundpositionen erkennen: Während die Vertreter eines abstrakten Verständnisses der acción nach dem Vorbild der abstrakten publizistischen Klagerechtstheorie Degenkolbs die acción als auf den Erlass eines Urteils schlechthin gerichtetes Recht verstanden, 755 nahmen Anhänger eines an Wach und Chiovenda orientierten 756 konkreten Aktionenbegriffs an, dass die acción auf den Erlass einer günstigen Entscheidung eines bestimmten Inhalts gerichtet sei. 757 Der als Rechtsschutzanspruch oder Möglichkeit der Anrufung der Gerichte gedachten acción wird der Begriff der pretensión, des Anspruchs, zur Seite gestellt. Wie schon gezeigt, hatte bereits die LEC 1881 von der pretensión gesprochen, ohne diese aber durchgehend als Anspruch zu verstehen. Vielmehr fand der Begriff darin häufig Anwendung, um einen Prozessantrag zu bezeichnen. Der überwiegenden Zahl der Autoren diente er entweder – verstanden als materieller Anspruch – zur Abgrenzung des prozessualen Klagerechts vom materiellen Recht758 oder zur Beschreibung der Ausübung der acción.759 Einen eigenständigen prozessualen Anspruchsbegriff entwickelte 1952 jedoch Guasp in seinem von den Lehren Rosenbergs und Carneluttis beeinflussten760 Werk zur pretensión procesal, 761 das zahlreiche spanische Autoren beeinflusst hat.762 Nach Guasps Verständnis ist die acción als Recht oder Fähigkeit, das Tätigwerden der Gerichte zu veranlassen, zwar jeder prozessualen

Objeto del proceso, n° 15, p. 29 („[L]a acción es, a nuestro entender un derecho subjetivo público a una tutela jurisdiccional determinada, un derecho frente al Estado ...“) ; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 199; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 204 s., 208. 755 Fairén Guillén, Estudios de derecho procesal civil, p. 75 ss. 756 Vgl. zu den Ursprüngen der spanischen Theorien insbesondere die Darstellung bei Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 61 ss. (zu den abstrakten publizistischen Klagerechtstheorien), p. 65 ss. (zu den konkreten Ansätzen). 757 Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 46 („la acción no es el derecho a obtener una sentencia, sino la sentencia favorable“). Ebenfalls einen konkreten Begriff der acción vertretend, aber mit stärkerer Verknüpfung mit dem materiellen Recht: Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1964, n° 55, p. 73 ss. (n° 58, p. 76: „Su concreción la recibe del hecho de que se pide la aplicación de la norma para un resultado específico.“). 758 So beispielsweise bei Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 47 ss. 759 Kritisch mit dieser Ansicht setzt sich auseinander Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 33. 760 Guasp nimmt ausdrücklich auf Rosenberg als Vorreiter des prozessualen Anspruchsbegiffs Bezug, weist aber auch darauf hin, dass er dessen Konzept nicht für vollständig hält. Sein Konzept versteht er als „Fusion“ der Ansätze von Rosenberg und Carneluttti (Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 28 s. (Fußnote 44)). 761 Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9 ss. 762 Hierzu Ramos Méndez, Dercho y proceso, p. 86.

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Aktivität notwendig vorgelagert, bewegt sich aber selbst außerhalb des Prozesses, 763 weshalb sie auch nicht zur Eingrenzung des Prozessgegenstandes dienen kann.764 Hierfür sei vielmehr auf die pretensión procesal zurückzugreifen. Diese wird als erbittende Willenserklärung (declaración de voluntad petitoria) verstanden bzw. als vor Gericht gestellter Antrag (petición) eines Subjekts gegenüber einem anderen Subjekt, der sich auf ein bestimmtes Rechtsgut bezieht (bien de la vida). 765 Definiert wird die pretensión procesal daher durch die Subjekte einerseits und andererseits durch den Antrag und dessen Begründung,766 wobei Guasp hier von objektiven Elementen spricht, den Antrag aber auch als Handlungselement versteht. 767 Nach Guasps Verständnis bildet die pretensión procesal den Streitgegenstand (objeto del proceso),768 den er als die Materie definiert, „in der sich der Inhalt des Verfahrens abzeichne“. 769 Die Ergänzung der Aktionenlehre durch eine pretensión procesal wurde in der Folge vor allem von Vertretern eines abstrakten Verständnisses der acción aufgegriffen,770 da die abstrakte acción als solche nicht zur Konkretisierung des Verfahrens dienen kann.771 Nicht nur bei Guasp fand der Begriff eines objeto del proceso Anwendung. Ab den Fünfzigerjahren wurde er zunehmend zum Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung und zwar nicht nur im Sinne einer rechtssoziologischen Bestimmung der Zielsetzung des Verfahrens 772, sondern auch als der Individualisierung und Begrenzung des Verfahrensthemas dienende Figur. 773 763

Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9,31 ss. Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 33. 765 Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 46 („una petición de un sujeto activo ante un Juez frente a un sujeto pasivo sobre un bien de la vida“). An anderer Stelle definiert er auch knapper: „petición fundada“ (p. 50). 766 Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 50. Dabei definiert er die Begründung als Ereignisse des Lebens („acaecimientos de la vida“), auf welche sich der Antrag stütze (p. 50). 767 Guasp, Los límites temporales de derecho civil, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 444; ders., La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 41 ss., 43 ss. 768 Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 37 s. 769 Guasp, La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 41 ss. 770 So beispielsweise von Fairén Guillén, Estudios de derecho procesal civil, p. 76 ss. 771 Guasp weist ausdrücklich darauf hin, dass die acción zumindest im Sinne der abstrakten Theorie nicht zur Erklärung von Rechtshängigkeit und cosa juzgada dienen könne, während dies bei einem konkreten Aktionenverständnis zumindest noch denkbar erschiene (La pretensión procesal, Anuario de Derecho Civil 1952, p. 9, 33 (Fußnote 56)). 772 Z.B. Lois Estévez, La teoría del objeto del proceso, Anuario de Derecho Civil 1950, p. 606, 627: Der objeto del proceso sei als Rückkehr zur Ordnung zu verstehen (vuelta al orden) und stelle so die Brücke zwischen der Zielsetzung der Wahrung der Konstanz der Rechtsordnung und der in der Störung der Ordnung oder Nicht-Ordnung (no-orden) liegenden Ursache (causa) des Prozesses dar. 773 So beispielsweise bei Lois Estévez, Problemas del objeto del proceso en nuestro sistema legal, Anuario de Derecho Civil 1955, p. 68 ss. 764

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Auch wenn der Begriff des objeto del proceso bald allgemeine Anwendung fand, um den Inhalt oder das Thema des Verfahrens zu beschreiben, 774 wurde ihm als eigenständige dogmatische Figur nicht dieselbe Aufmerksamkeit und Bedeutung zuteil, wie dies in der deutschen Prozessrechtswissenschaft der Fall war: Insbesondere die Vertreter einer konkreten Aktionenlehre führten in ihren Darstellungen zum objeto del proceso schlicht ihr Aktionenverständnis weiter aus, so dass die eigentliche Eingrenzung des Verfahrens über den Begriff der acción erfolgte, 775 oder verzichteten gleich gänzlich auf eine von der Behandlung der acción gesonderte Untersuchung des objeto del proceso. 776 Unabhängig vom dogmatischen Grundansatz wurden die Ausführungen zur Identifizierung und Abgrenzung des Rechtsstreits im Regelfall relativ schnell auf die drei durch Art. 1252 CC, aber auch Art. 162 LEC 1881 vorgegebenen Elemente der Parteien, der cosa bzw. des petitum777 und der causa (de pedir) zurückgeführt, ohne diese in objektiver Hinsicht zweigliedrige Streitgegenstandsbegrenzung eigenständig herzuleiten.778 Eingliedrige Streitgegenstandslehren haben sich in der spanischen Prozessrechtswissenschaft nicht entwickelt. b. Die heutige Terminologie Heute wird zur Beschreibung der Klagehäufung, der Klageänderung sowie der Einhaltung des Erfordernisses der kongruenten und erschöpfenden Entscheidung, aber auch zur Bestimmung der Grenzen von Rechtshängigkeit und cosa juzgada unstreitig auf den Begriff des Streitgegenstandes (objeto del proceso) zurückgegriffen,779 auch wenn eine Einheitlichkeit des Begriffs durch die Einführung des Art. 400 LEC in Frage gestellt wird. Bei der Definition des Streitgegenstandes nimmt man auf die traditionellen Elemente des petitum oder Antrags einerseits und des Anspruchs- oder Klagegrundes (causa de pedir) andererseits Bezug. 780 Die Annahme einer Identität oder Teilidentität der Begriffe des objeto del proceso und der pretensión procesal ist heute weit verbreitet.781 774 Vgl. die Darstellungen bei Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1964, n° 202 ss., p. 319 ss.; Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 270 ss. 775 Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1964, n° 202 ss., p. 319 ss. 776 So Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 44 ss. 777 So aber beispielsweise von Ramos Méndez, Derecho y proceso, p. 274. 778 Dies zeigt sich beispielsweise bei Lois Estévez, Problemas del objeto del proceso en nuestro sistema legal, Anuario de Derecho Civil 1955, p. 68, 70 ss.; Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil I, 1964, n° 203, p. 320 s. 779 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 10 s., p. 24 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 150 s. 780 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 30, p. 42; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 200 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 151 ss. 781 Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 200; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 148 (aber für eine Teilidentität im Hinblick auf die individualisierenden Elemente in dem Sinne, dass der objeto del proceso allein durch die

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Insoweit zeigt sich der Einfluss der Lehre Guasps, auch wenn sich das von ihm zur Bestimmung des objeto del proceso herangezogene Tätigkeitselement in der heutigen Definition nicht wiederfindet. Trotz des Siegeszuges des Streitgegenstandsbegriffs hat die acción in Spanien anders als in Deutschland nicht jegliche Bedeutung eingebüßt. Vielmehr ist sie als subjektiv-öffentliches Recht auf Rechtsschutz gegenüber dem Beklagten auch heute noch Bestandteil der spanischen Prozessrechtsdogmatik. 782 Hinsichtlich der Frage, wie die acción ins Verhältnis zum Streitgegenstand und zum Begriff der pretensión zu setzen ist, kommen die Vertreter eines abstrakten Begriffs der acción und Anhänger einer konkreten Konzeption zu unterschiedlichen Ergebnissen,783 ohne dass sich dies aber auf die Reichweite des Streitgegenstandes und die Lösung der mit dem Streitgegenstand verbundenen Probleme auswirkt.784 Auffällig ist, dass außerhalb isolierter Untersuchungen des objeto, der pretensión und der acción, d.h. insbesondere bei der Beschreibung und Anwendung streitgegenstandsbezogener prozessualer Phänomene, auf eine klare terminologische Differenzierung und einheitliche Begriffsverwendung verzichtet wird. Insbesondere die Rechtsprechung schwankt zwischen der Anwendung objektiven Elemente des petitum und der causa de pedir definiert wird, während die pretensión procesal zusätzlich noch durch die Parteien bestimmt werde (p. 151)); Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 276. Natürlich auch im (von Guasp begründeten) Lehrbuch von Aragoneses Alonso/Guasp, Derecho procesal civil I, 2005, p. 259 ss. 782 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 15, p. 29; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 199; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 204 s., 208. Zudem nehmen die Autoren auch heute noch zu der Frage Stellung, ob ein abstraktes oder konkretes Verständnis der acción vorzuziehen ist: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 15, p. 29 (konkreter Begriff); Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 199 (für ein abstraktes Verständnis, aber annehmend, dass sich heute ein konkretes Verständnis durchgesetzt habe); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 204 s., 205 ss. (gegen die konkrete Aktionenlehre). 783 Bei Vertretern einer abstrakten Konzeption der acción, wird der objeto del proceso durch die pretensión procesal bestimmt, der acción als abstraktem Recht auf Rechtsschutzgewährung durch Urteil kommt danach für die Streitgegenstandsbestimmung keine Bedeutung zu (so Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 199; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 117, 148). Dagegen stellt der einen konkreten Begriff der acción vertretende de la Oliva Santos die „bei der Formulierung der pretensión behauptete acción“ bei der Bestimmung des objeto del proceso in den Vordergrund („el objeto del proceso civil […] está constituido por la acción o acciones afirmadas al formular la pretensión“ (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 15, p. 29)), nicht ohne aber zu betonen, dass auch schlicht auf die pretensión abgestellt werden könne, wenn einem anderen Verständnis der acción gefolgt wird (Objeto del proceso, n° 15, p. 30). 784 Dass die Bestimmung des objeto del proceso nicht davon abhängt, ob man die pretensión oder die acción (im Sinne eines konkreten Klagerechts) heranzieht, betont de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 30, p. 41 s.

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eines materiellrechtlichen Aktionenbegriffs 785 und der Heranziehung der acción als konkretes Klagerecht, welches den Streitgegenstand beschreibt. 786 Zur Bestimmung des Streitgegenstandes greift die Rechtsprechung jedoch nicht nur auf die acción, sondern oft auch auf den Begriff der pretensión zurück. 787 In der Literatur werden die Begriffe der pretensión und der acción häufig als Synonyme und gleichbedeutend mit dem Streitgegenstand angewendet. 788 Mitursächlich hierfür dürfte sein, dass das materielle Zivilrecht im insoweit unveränderten Código Civil, wie bereits gezeigt, zahlreiche auf dem aktionenrechtlichen Denken des römischen Rechts aufbauende Regelungen enthält. Der Verzicht auf eine differenzierte Begriffsverwendung wurde jedoch auch dadurch befördert, dass der Reformgesetzgeber bei der Ausgestaltung der LEC 2000 die Begriffe des objeto, der pretensión und der acción an verschiedenen Stellen im Gesetzestext angewendet hat, ohne diese zu definieren oder auch nur einheitlich anzuwenden. Vielmehr zieht der Reformgesetzgeber für die Beschreibung einheitlicher prozessualer Phänomene ganz bewusst unterschiedliche Begriffe heran und verzichtet damit auf eine Entscheidung für eine einheitliche dogmatische Linie und eine klare terminologische Sinnzuweisung. 789 So 785 So z.B. STS 248/2010, 26. April 2010 (n° ROJ: STS 1938/2010), FD 2°(„un proceso en que se ejercita una acción de resolución de un contrato de arrendamiento rustico por causa de haberse declarado los terrenos arrendados como suelo urbano, y otro proceso en el que se ejercitó una acción de acceso a la propiedad de las fincas arrendadas por parte del arrendatario“); STS 716/2011, 21. Oktober 2011 (n° ROJ: STS 7045/2011), FD 2° („la causa de pedir venía constituida por el incumplimiento culpable de los vendedores y en él se ejercitó una acción de resolución derivada del artículo 1124 CC, mientras que en este juicio ordinario la causa de pedir es la condición resolutoria expresa pactada en el contrato y en él se ha ejercitado una acción de resolución basada en el artículo 1114 CC“). 786 So z.B. STS 196/2012, 26. März 2012 (n° ROJ: 2017/2012), FD 4° („La causa petendi [causa de pedir], como elemento que permite identificar la acción ...“) . 787 Selbst innerhalb einer Entscheidung, so z.B. STS 537/2013, 14. Januar 2014 (n° ROJ: 49/2014), FD 2°, 6.7 („si el actor, en la audiencia previa, puede cambiar el componente o fundamento jurídico de la acción ejercitada en la demanda, esto es, provocar un cambio en el razonamiento que justifica su pretensión.“; „algún aspecto esencial de la pretensión – petición, causa petendi o los sujetos“). 788 So z.B. bei Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 64 („[L]a concreta tutela jurídica que el actor solicita, esa concreta acción o pretensión, se identifica por los tres elementos integrantes: sujetos, petitum y caus[a] petendi.“), p. 65 („identificación de la acción (o del concreto objeto procesal sometido a controversia)“); dies., Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1663 („El objeto del proceso es el que es; es decir, la concreta acción (pretensión) que el actor ha ejercitado ...“); Cordón Moreno, Comentario al Art. 5 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 99, 117 („los tipos de pretensiones de tutela (o acciones)“). 789 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 581 576 s. (IV): „Se elude, sin embargo, hasta la apariencia de doctrinarismo y, por ello, no se considera inconveniente, sino todo lo contrario, mantener diversidades expresivas para las

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wird teilweise der Begriff des objeto del proceso verwendet, 790 in anderen Normen dagegen ohne klare inhaltliche Differenzierung auf die acción791 oder auch die pretensión792 abgestellt. Diese undifferenzierte Verwendung der Begriffe der pretensión, der acción und des objeto del proceso wurde in der prozessrechtlichen Literatur dann aufgegriffen. 793 c. Terminologische Festlegung für die Bestimmung der objektiven Grenzen der „cosa juzgada“ Die begriffliche Unschärfe zeigt sich auch bei der Bestimmung der objektiven Grenzen der cosa juzgada. Denn auch wenn der Gesetzgeber in Art. 222 LEC nur auf den objeto und die pretensión Bezug genommen hat, wird in Rechtsprechung und Literatur zur Eingrenzung der cosa juzgada neben objeto del proceso und pretensión auch immer wieder die acción herangezogen. Angesichts der uneinheitlichen Begriffsverwendung und der Unschärfe insbesondere des Begriffs der acción soll im Folgenden auf einen Rückgriff auf diese Figur weitestgehend verzichtet werden. Wo zitierte Literatur und Rechtsprechung Bezug auf die acción nehmen, wird versucht, die jeweilige Begriffsverwendung kurz einzuordnen, wenn dies für ein Verständnis der zitierten Aussage erforderlich ist. Im Übrigen soll dagegen auf eine Terminologie zurück-

mismas realidades, cuando tal fenómeno ha sido acogido tanto en el lenguaje común como en el jurídico. Así, por ejemplo, se siguen utilizando los términos ‹juicio› y ‹proceso› como sinónimos y se emplea en unos casos los vocablos ‹pretensión› o ‹pretensione s› y, en otros, el de ‹acción› o «acciones» como aparecían en la Ley de 1881 y en la jurisprudencia y doctrina posteriores, durante más de un siglo, sin que ello originara problema alguno.“ 790 Art. 222.1 LEC (Identität des objeto als Voraussetzung der cosa juzgada material); Art. 252 LEC (Streitwertfestsetzung bei einer Mehrheit von objetos); Art. 412 LEC (keine Änderung des objeto del proceso nach Klage und Klagerwiderung). 791 Art. 12.1 LEC (Streitgenossenschaft auf Klägerseite bei Geltendmachung von auf dieselbe causa petendi gestützten acciones); Art. 20 LEC (Verzicht auf die acción); zur Häufung von acciones Art. 71–73 LEC, aber auch Art. 53.1 LEC (örtliche Zuständigkeit), Art. 252 LEC (Streitwertfestsetzung bei Mehrheit von objetos/acciones), Art. 401 LEC (Präklusionszeitpunkt für die Häufung der acciones), Art. 404 LEC (Einwendungen gegen die Häufung), Art. 419 LEC (Zulassung der Häufung der acciones). 792 Art. 5 LEC (Arten der pretensiones (Leistungs-, Feststellungs-, Gestaltungsklage)); Art. 21 LEC (Anerkenntnis der klägerischen pretensión); Art. 22, 413.2 (Beendigung des Prozesses wegen außerprozessualer Befriedigung der pretensión); Art. 405, 408 LEC (gegen die pretensión des Klägers gerichtete Einwendungen des Beklagten); Art. 406, 409 LEC (in der Widerklage geltend gemachte pretensiones des Beklagten); Art. 426.2 LEC (Verdeutlichung und Berichtigung der pretensiones). 793 Mit dem Hinweis auf die Gesetzesbegründung und die dortige Rechtfertigung einer unterschiedslosen Anwendung der Begriffe „acción“ und „pretensión“ leitet Tapia Fernández ihre Ausführungen zur Reichweite der cosa juzgada ein (Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 64), um dann in der Folge die beiden Begriffe als Synonyme zu verwenden.

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gegriffen werden, die durch die gesetzliche Regelung des Art. 222 LEC vorgezeichnet ist und so eine gewisse Verfestigung gezeigt hat. Die Begriffe des Streitgegenstandes (objeto del proceso) und des prozessualen Anspruchs (pretensión procesal) werden daher inhaltsgleich verwendet. Der Streitgegenstand bzw. prozessuale Anspruch wird – zumindest als tatsächlicher Streitgegenstand (objeto actual), der das im Verfahren tatsächlich zur Entscheidung Gestellte erfasst 794 – in objektiver Hinsicht durch petitum und causa petendi definiert. Dass die traditionelle Ausrichtung der objektiven Grenzen der cosa juzgada an diesem Streitgegenstandsbegriff durch die Einführung des Art. 400 LEC wieder in Frage gestellt wurde, 795 hindert – wie auch das Vorgehen der heutigen Rechtsprechung796 und Literatur 797 zeigt – nicht daran, den durch petitum und causa petendi bestimmten Streitgegenstandsbegriff als Ausgangspunkt der Darstellung der objektiven Grenzen der cosa juzgada zu wählen. d. Verfahrensgegenstand, Urteilsgegenstand und Gegenstand der „cosa juzgada“ Nach spanischem Recht ist das Gericht in seinem Urteil an die zur Entscheidung gestellten prozessualen Ansprüche der Parteien gebunden, es darf in seiner Entscheidung also nicht über den in der Klage (bzw. Widerklage) bestimmten Streitgegenstand hinausgehen. Dieses in Art. 218.1 LEC798 geregelte Erfordernis der Kongruenz von Urteil und Klage verbietet dem Gericht sowohl eine Entscheidung ultra petita als auch eine Abweichung vom geltend gemachten Anspruchsgrund.799 Dies hat zur Folge, dass der in der Klage bestimmte Verfahrensgegenstand regelmäßig mit dem Urteilsgegenstand übereinstimmt. Wenn das Gericht allerdings das Kongruenzgebot fehlerhaft nicht beachtet, fallen beide auseinander. Im Hinblick auf die cosa juzgada ist dann das tatsächlich im Urteil Entschiedene maßgeblich, auch wenn dieses nicht Gegenstand

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Zu diesem Begriff de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 67 ss., p. 75 ss. Hierzu sogleich. 796 Vgl. statt vieler die weiterhin auf die subjektive Identität und die Übereinstimmung von petitum und causa petendi abstellenden Entscheidungen STS 760/2014, 8. Januar 2014 (n° ROJ: STS 463/2015), FD 3°; SAP Málaga, 22. Juli 2013 (n° ROJ: SAP MA 1241/2013), FD 3° („Esto es, se mantiene la exigencia de las identidades de ‚personas‘, ‚cosa‘ y ‚causa o razón de pedi‘›.“). 797 Vgl. die Darstellungen bei Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 564 ss.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 499 s.; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1102. 798 Art. 218.1, I LEC: „Las sentencias deben ser [...] congruentes con las demandas y con las demás pretensiones de las partes, deducidas oportunamente en el pleito.“ Wortgleich Art. 359.1, I LEC 1881 in seinem ersten Halbsatz. 799 Ausführlich hierzu Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 549 ss.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 386 ss. 795

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der Anträge der Parteien und der Erörterung im Verfahren war. 800 Das Urteil ist dann zwar fehlerhaft und kann durch Rechtsmittel angefochten werden, mit Eintritt der cosa juzgada formal wird aber der Inhalt des Urteils trotz der Abweichung verbindlich.801 Beim Vergleich des in einer späteren Klage geltend gemachten prozessualen Anspruchs mit dem Gegenstand des früheren Verfahrens ist im Fall einer Abweichung des Urteils von der Klage der prozessuale Anspruch in der Gestalt heranzuziehen, in der er im Urteil Ausdruck gefunden hat und nicht wie er im klägerischen Antrag des Erstverfahrens formuliert war. Wie noch zu zeigen sein wird, hat die Einführung des Art. 400 LEC allerdings auch eine Übereinstimmung von Urteils- und Rechtskraftgegenstand in Frage gestellt, da die in Art. 400 LEC mit der cosa juzgada verknüpfte Präklusion sämtliche denkbaren Tatsachen und Rechtsgründe erfasst, die der Kläger zur Begründung des Antrags heranziehen konnte, und damit nicht nur die vom Kläger tatsächlich geltend gemachten und vom Gericht tatsächlich geprüften Anspruchsgründe. 2. Die objektive Begrenzung der „cosa juzgada“ durch das „petitum“ In objektiver Hinsicht wird die cosa juzgada zunächst durch das petitum bzw. den Antrag (petición) oder – nach der Terminologie des Art. 1252 C.C. – die cosa begrenzt.802 Das petitum hat bei der Bestimmung der Reichweite der cosa juzgada lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle gespielt, da die maßgebliche Bedeutung bei der objektiven Eingrenzung des Streitgegenstandes und der cosa juzgada der causa petendi zugesprochen wurde. 803 Wie noch zu zeigen sein wird, hat das petitum auf Grundlage des Art. 400 LEC allerdings nunmehr an Bedeutung gewonnen.

800 So die heute herrschende Meinung Calaza López, Cosa juzgada, p. 185; Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 190; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 67; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 58; dies., Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1099. Zum alten Recht schon Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 163, 178 s.; anders aber (wegen fehlender kontradiktorischer Erörterung) Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo, Comentarios al CC, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 660 s. 801 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 58. 802 Zur Übereinstimmung der Begriffe petitum, petición und cosa: Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 412; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 664. 803 Vgl. nur Lois Estévez, Anuario de Derecho Civil 1955, p. 68, 71: „Ahora bien, para la identificación de cada proceso [...] se val el Código de tres elementos: las personas, las cosas y las causas. De los tres, el más importante es el último.“

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a. Die Definition des „petitum“ Das spanische Recht hat traditionell auf eine recht weit gefasste Definition des Begriffs zurückgegriffen: Das petitum wurde danach verstanden als das Gut (bien de la vida, bien jurídico), dessen Schutz oder Zuerkennung der Kläger begehrt.804 Bei der Frage, worin das Gut oder Rechtsgut, auf welches sich das Rechtsschutzbegehren bezieht, zu sehen sein sollte, blieben die Aussagen vieler Autoren allerdings recht vage. 805 Die heutige Literatur verwendet einen stärker formalisierten Begriff des petitum, der üblicherweise in zwei Elemente unterteilt wird: Die unmittelbare Komponente beschreibt die Art des Rechtsschutzes, der vom angerufenen Gericht erbeten wird, und ist an der Unterteilung der Klage- und Urteilsarten nach Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsbegehren ausgerichtet: 806 Leistungs, Feststellungs- und Gestaltungsanträge bilden daher unterschiedliche petita, auch wenn sie sich auf dieselbe Rechtsposition beziehen. 807 Die unmittelbare Komponente bildet auf diese Weise ein erstes Grobraster zur Unterscheidung verschiedener peticiones. Die sogenannte mittelbare Komponente beschreibt 804

STS 96/1993, 11. Februar 1993 (n° ROJ: STS 576/1993), FD 3°; STS 907/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 17693/1993), FD 1° („el bien jurídico cuya protección o concesión se solicita del juzgador“). Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 454 („el bien de la vida, sea corporal o incorporal, que se pretende en el proceso“); Guasp, Derecho procesal civil I, p. 561 („el bien de la vida sobre el que la pretensión recae“); Lois Estévez, Anuario de Derecho Civil 1955, p. 68 („cualquier bien de la vida que puede ser objeto de una relación jurídica“) ; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 412 („bien de la vida“); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 664 („el bien jurídico cuya protección o concesión se solicita del Juzgador“). 805 So z.B. bei Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 454 (körperliche Sache oder Leistung); Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 205 (eine Sache, Geldsumme, Dientleistung oder Feststellung eines Rechtsverhältnisses); Guasp, Derecho procesal civil I, p. 561 (eine körperliche oder unkörperliche Sache). Vgl. auch Ramos Méndez (Derecho procesal civil I, p. 412), der ausdrücklich darauf hinweist, dass der spanische Begriff der petición nicht im technischen Sinne des deutschen Antrags oder Begehrens verwendet wird, sondern in eher „intuitiver“ Weise und ohne „polemische Last“ der Eingrenzung des Streitgegenstandes diene („[E]l petitum [] no tiene un significado técnico-dogmático […]. Esta más bien usado en un sentido neutro que de manera intuitiva hace referencia a lo que es objeto del proceso […] Se utilizan por tanto las expresiones petición y afirmación jurídica sin la carga polémica que los términos tienen en el ámbito de la doctrina germánica, por ejemplo.“). 806 Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 203 („objeto inmediato“); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 151 s. („petición inmediata“); Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 277 s. („objeto inmediato“); Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 64 s.; dies., in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 207. 807 Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 278.

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das petitum dann genauer: Hier kommt die traditionelle Definition als Rechtsgut, auf welches sich das Rechtschutzbegehren bezieht, zur Anwendung. 808 Bei der Bestimmung des Rechtsgutes wird heute aber klarer anhand der verschiedenen Klage- bzw. Urteilsarten differenziert: Das bien jurídico wird daher bei Leistungsklagen in der Leistung in Form der Handlung oder Unterlassung gesehen, bei Feststellungsklagen in dem Rechtsverhältnis, dessen Feststellung beantragt wird, und bei Gestaltungsklagen in der konkreten Schaffung, Änderung oder Auflösung des Rechtsverhältnisses oder Rechtszustandes. 809 Die Klage muss das mittelbare petitum bzw. das bien jurídico eindeutig bestimmen,810 und das Urteil sich auf das so beschriebene petitum beziehen.811 In dieser konkretisierten Form dient das petitum der Eingrenzung der cosa juzgada. 812 b. Bedeutung der rechtlichen Qualifizierung des Begehrens Während in der französischen Literatur die Bedeutung der rechtlichen Qualifizierung für die Eingrenzung des objet ausführlich erörtert wird, hat sich eine vergleichbare Diskussion in Spanien im Hinblick auf das petitum nicht entwickelt. Bei der Konkretisierung des mittelbaren petitum und der Abgrenzung unterschiedlicher petita hat die spanische Literatur vielmehr immer auf das Begehren in seiner Ausrichtung an gesetzlich vorgezeichneten Rechtsfolgen abgestellt und damit die rechtliche Qualifizierung des Begehrens einbezogen.813 Auch bei Anträgen mit aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht ähnlicher Zielsetzung wird daher bislang untersucht, ob eine Übereinstimmung der begehrten Rechtsfolge auch unter Einbeziehung der rechtlichen Qualifizierung zu bejahen ist. In der Rechtsprechung wird eine rechtliche Prägung des Begriffs des petitum, soweit ersichtlich, nicht thematisiert. Bei abweichender rechtlicher Qualifizierung des rechtlichen Begehrens wird vielmehr häufig eine Abweichung der causa petendi bejaht oder ohne nähere Differenzierung zwischen den bei-

808

Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 204; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 152 („[petición] mediata, que se atiende siempre a un bien jurídico al que se refiere la tutela jurídica“); Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 278; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 65; dies., Efectos objetivos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 207. 809 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 152 s.; Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 278 s. 810 Art. 399.1 LEC. 811 Art. 209, 4.ª LEC, 218.1, 3 LEC. 812 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 65; dies., Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1102. 813 Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 413; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 664.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

den objektiven Grenzen der cosa juzgada festgestellt, dass unterschiedliche acciones bzw. pretensiones vorlägen.814 Auch nach der Rechtsprechung wird die cosa juzgada aber durch das an der gesetzlich vorgezeichneten Rechtsfolge ausgerichtete Begehren begrenzt: Abweichende Streitgegenstände sind daher beispielsweise gegeben bei einer Klage auf Feststellung der anfänglichen Nichtigkeit (nulidad absoluta) eines Rechtsverhältnisses und einer Klage auf Aufhebung (rescisón) desselben Rechtsverhältnisses. 815 Ein Greifen der negativen816 Wirkungsrichtung der cosa juzgada material wird auch bei einem Aufeinanderfolgen einer Klage auf Festsetzung der Grundstücksgrenzen (acción de deslinde) und einer Klage auf Herausgabe desselben Grundstücks(teils) (acción reivindicatoria) verneint.817 Trotz der Ähnlichkeit des betroffenen Interesses hat die Rechtsprechung eine Abweichung des Streitgegenstandes zudem im Verhältnis zwischen einer Klage auf Erbringung einer vertraglichen Leistung und einer nachfolgenden Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Unmöglichkeit der vertraglichen Leistung bejaht. 818

814 So z.B. in der Entscheidung STS 3832/1988, 9. Mai 1988 (n° ROJ: STS 9989/1988), FD 2°, in der zwar das Erfordernis der Identität von petitum und causa petendi genannt wird, die aber im Anschluss nur noch darauf abstellt, dass es sich um unterschiedliche acciones handele. 815 STS 489/2006, 24. Mai 2006 (n° ROJ: STS 3352/2006), FD 1°; STS 278/2008, 6. Mai 2008 (n° ROJ: STS 4223/2008), FD 3° B); STS 169/2014, 8. April 2014 (n° ROJ: 1629/2014), FD 11°. 816 Allerdings bewirkt die Entscheidung über die Festsetzung der Grundstücksgrenzen eine Bindung im Sinne der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada, die eine abweichende Festlegung der Grenzen in einem späteren Herausgabeverfahren verhindert, vgl. STS 552/2004, 15. Juni 2004 (n° ROJ: STS 4114/2004), FD 2°. 817 STS 206/1987, 3. April 1987 (n° ROJ: STS 8929/1987), Considerando 3°; STS 3832/1988, 9. Mai 1988 (n° ROJ: STS 9989/1988), FD 2° (str., a.A. (Abweisung einer Herausgabeklage steht einer späteren Grenzfestsetzungsklage entgegen): STS 118/1984, 25. Februar 1984 (n° ROJ: STS 348/1984), Considerando 2°; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 169 s. (anders aber noch dies., in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 221)). Eine der Grenzfestsetzungsklage folgende Herausgabeklage ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn im Grenzfestsetzungsverfahren auch die Besitzüberlassung an dem Grundstück verlangt wurde, vgl. STS 193/1996, 13. März 1996 (n° ROJ: STS 1584/1996), FD 1°. 818 STS 251/1998, 20. März 1998 (n° ROJ: STS 1879/1998), FD 2° (Verurteilung zur Herstellung und Lieferung des Werkes gefolgt von einer Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Verpflichtung zur Herstellung und Lieferung des Werkes); STS 1193/2007, 7. November 2007 (n° ROJ: STS 7188/2007), FD 2° (Verurteilung zur Nachbesserung und Reparatur gefolgt von einer Klage auf Schadensersatz wegen Unmöglichkeit der Nachbesserung und Reparatur (hier liegt aber wohl auch eine Abweichung der causa petendi vor bzw. greifen die zeitlichen Grenzen der cosa juzgada, da die (auch im ersten Verfahren bestehende) Unmöglichkeit der Reparatur erst nach dem Ersturteil erkennbar wurde)). In der

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Dass sich eine Klage aus einem wirtschaftlichen oder sozialen Blickwinkel auf eine ähnliche Zielsetzung oder auf ein ähnliches rechtliches Interesse (z.B. die Lösung von einem Vertrag oder das Erfüllungsinteresse) zurückführen lässt wie eine vorangegangene Klage, genügt zumindest nach der bislang herrschenden Meinung in der Literatur für sich genommen noch nicht für ein Greifen der cosa juzgada. 819 Vielmehr ist die gesetzlich umschriebene Rechtsfolge, auf welche sich das Begehren bezieht, prägend für die Reichweite der cosa juzgada. c. Die „cosa juzgada implícita“ Der Grundsatz der Begrenzung der cosa juzgada durch das petitum wird ergänzt durch die Figur der cosa juzgada implícita, die dazu dient, eine Umkehrung der ergangenen Entscheidung auszuschließen. Dabei lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden, in denen die implizite cosa juzgada zur Ausweitung der cosa juzgada über die Grenzen des petitum hinaus herangezogen wird: Zum einen dient sie der Begründung einer Erstreckung der cosa juzgada auf das unmittelbare Gegenteil des Urteilsspruchs, zum anderen hat sie – wenn auch seltener – in Fällen Anwendung gefunden, in denen die spätere Klage mit einer im vorausgegangenen Urteil getroffenen Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis unvereinbar ist. aa. Die Erstreckung der „cosa juzgada“ auf das unmittelbare Gegenteil des Ausspruchs im Tenor Mit dem Begriff der cosa juzgada implícita wird die Erstreckung der cosa juzgada auf das Gegenteil des im fallo enthaltenen Rechtsfolgenausspruchs beschrieben: Nach der in der Rechtsprechung üblichen Umschreibung der Figur bleibt die Einheit der acción unabhängig davon gewahrt, ob sie im Prozess negativ und positiv formuliert wird. 820 Eine im Tenor der Entscheidung enthaltene Bejahung einer bestimmten Rechtsfolge beinhaltet daher auch die impli-

Literatur wurde in diesen Konstellationen aber teilweise auch eine Identität des petitum bejaht, vgl. Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 672. 819 Vgl. aber zu dem neueren Ansatz, im Rahmen des Art. 400 LEC die Homogenität der Zielsetzung genügen zu lassen, unten G. II. 2. d. cc. e.. 820 STS 161/1985, 11. März 1985 (n° ROJ: STS 661/1985), Considerando 3° („... la intrínseca entidad material de una acción (determinada por sus elementos subjetivos, objetivos y causales), permanece intacta sean cuales fueren las modalidades extrínsecas adoptadas para su formal articulación procesal, a cuyo respecto esta Sala viene negando toda relevancia innovadora a la posición de las partes enfrentadas, y otro tanto cabe decir de las correlativas formulaciones, positivas o negativas, de que la acción ejercitada sea susceptible“); STS 1212/2008, 11. Dezember 2008 (n° ROJ STS 6669/2008), FD 2°.

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zite Verneinung ihres Gegenteils (antagónico), ebenso wie die Verneinung einer Rechtsfolge die implizite positive Feststellung ihres Gegenteils einschließt. 821 Die Wirkungen der cosa juzgada erfassen daher auch das Gegenteil der ausgesprochenen Rechtsfolge als Kehrseite desselben Streitgegenstandes und als logisch zwingende Schlussfolgerung aus dem Rechtsfolgenausspruch im fallo.822 In Anwendung dieser Regel wird die cosa juzgada material bejaht, wenn nach Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses in einer Klage die Feststellung des Nichtbestehens desselben Rechtsverhältnisses 823 oder nach einem Leistungsurteil die Feststellung des Nichtbestehens der in dem Leistungsurteil bejahten Forderung verlangt wird.824 Wird dem Kläger eine ausschließliche Rechtsposition zugesprochen, so steht damit fest, dass der Beklagte nicht Inhaber dieser Rechtsposition ist mit der Folge, dass seine spätere Klage auf Feststellung seiner Rechtsinhaberschaft an der entgegenstehenden

821 STS 161/1985, 11. März 1985 (n° ROJ: STS 661/1985), Considerando 3° („...la acción de declaración positiva de un derecho comporta la acción de declaración negativa del antagónico [...], a partir de lo cual no puede ignorarse la esencial identidad de contenido entre dos procesos cuando ejercitada en el primero la acción positiva, el otro litigante deduzca en el subsiguiente la correlativa acción negativa“); STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 6°; STS 1212/2008, 11. Dezember 2008 (n° ROJ: STS 6669/2008), FD 2°; STS 768/2013, 5. Dezember 2013 (n° ROJ: STS 5820/2013), FD 3°, 2. In der Literatur wird in der Regel formuliert, die cosa juzgada erstrecke sich auch auf das, was durch die Bejahung im fallo implizit, aber notwendigerweise verneint wird, sowie auf das durch die Verneinung im fallo implizit, aber notwendigerweise Bejahte («La cosa juzgada alcanza […] también a lo que está implícita pero necesariamente negado por la afirmación contendia en la parte dispositiva de la sentencia, y lo que está implícita pero necesaria e inescindiblemente afirmado por la negación que aquélla contempla.“) : de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 184, p. 210; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 163; dies., in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 184. Diese Definition ebenfalls als Ausgangspunkt heranziehend: Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 100. 822 STS 161/1985, 11. März 1985 (n° ROJ: STS 661/1985), Considerando 3°; STS 1212/2008, 11. Dezember 2008 (n° ROJ STS 6669/2008), FD 2°; STS 768/2013, 5. Dezember 2013 (n° ROJ STS: 5820/2013), FD 3°, 2. 823 So in dem der Entscheidung STS 1212/2008, 11. Dezember 2008 (n° ROJ STS 6669/2008) zugrunde liegenden Fall (im ersten Verfahren Klage auf Feststellung der Unrechtmäßigkeit des Zustandekommens und des Nichtbestehens der Eigentümergemeinschaft; im zweiten Verfahren Klage der Eigentümergemeinschaft gegenüber dem vormaligen Kläger auf Feststellung des rechtmäßigen Zustandekommens und Bestehens der Eigentümergemeinschaft (FD 2°)). 824 So im der Entscheidung STS 768/2013, 5. Dezember 2013 (n° ROJ STS: 5820/2013) zugrunde liegenden Fall (im ersten Verfahren erfolgreiche Widerklage auf Verurteilung zur Errichtung der öffentlichen Urkunde über die Übertragung eines Bebauungsrechts (derecho de servicio); im zweiten Verfahren Klage des zuvor Verurteilten auf Feststellung der Unmöglichkeit der Errichtung der öffentlichen Urkunde über das Bebauungsrecht (FD 3°, 2)).

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cosa juzgada der Erstentscheidung scheitert. 825 Ein streng logisches, kontradiktorisches Gegenteil ist letztlich nur in diesen Konstellationen gegeben. In der Literatur wird der Anwendungsbereich der cosa juzgada implícita vielfach auf diese Fälle beschränkt.826 Die Rechtsprechung wendet die cosa juzgada implícita weitergehend aber auch in Fällen einer auf ein Leistungsurteil folgenden Leistungsklage des zuvor Beklagten an, in der dieser eine im unmittelbaren Widerspruch zur ergangenen Rechtsfolgenfestsetzung stehende Rechtsfolge begehrt, ohne aber das unmittelbare Gegenteil des Rechtsfolgenausspruchs zu beantragen. Eine solche Anwendung der cosa juzgada implícita liegt beispielsweise einer Entscheidung des Tribunal Supremo827 zu einem Rechtsstreit über einen Grundstücksüberbau zugrunde: Der überbauende Kläger war in einer vorausgegangenen Entscheidung zur Herausgabe der überbauten Grundstücksteile an den Grundstückseigentümer durch Abriss der errichteten Gebäude und Überlassung des Besitzes an den unbebauten Grundstücksteilen verurteilt worden. In einer gegen den Grundstückseigentümer gerichteten Klage verlangte er später dessen Verurteilung zur Ausübung des in Art. 361 C.C. vorgesehenen Wahlrechts zwischen der Übernahme des errichteten Gebäudes gegen Entschädigung und der Einforderung des Grundstückserwerbs durch den Überbauenden. Der Tribunal Supremo nahm an, dass der Klage die cosa juzgada entgegenstand, weil die Verurteilung zum Abriss und zur Herausgabe der unbebauten Grundstücksteile an den Grundstückseigentümer bereits die Verneinung der Rechtsfolgen aus dem Überbau beinhaltete, zwischen denen der Grundstückseigentümer nun wählen sollte. Die Klage auf Verurteilung zur Ausübung des Wahlrechts bezweckte nach Ansicht des Tribunal Supremo die Festsetzung von Rechtsfolgen (Übernahme des Gebäudes gegen Entschädigung oder Verkauf der Grundstücksteile an den überbauenden Kläger), die eine Umkehrung oder Abwand-

825

STS 480/2004, 26. Mai 2004 (n° ROJ: STS 3637/2004), FD 2° (im ersten Verfahren Klage auf Feststellung der Eigentümerstellung des Beklagten an einem Gesamtgrundstück; im zweiten Verfahren Klage der vormaligen Beklagten auf Anerkennung ihrer Eigentümerstellung durch den früheren Kläger hinsichtlich eines Teils desselben Gesamtgrundstücks): „[L]a estimación del dominio sobre la totalidad de la finca contenida en el primer proceso implica lógicamente la imposibilidad de estimar ahora el dominio sobre una parte de ella a favor de persona distinta a la que obtuvo la primera sentencia.“ 826 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 99 ss. Die von de la Oliva Santos genannten Beispiele beschränken sich ebenfalls auf diese Fallgruppen, vgl. de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 184, p. 210 s. (mit der Feststellung der Eigentümerstellung der Kläger werde die Eigentümerstellung des Beklagten verneint, mit der Abweisung der Entmündigungsklage werde die Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person festgestellt). 827 STS 161/1985, 11. März 1985 (n° ROJ: STS 661/1985), Considerando 3°.

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lung der im ersten Verfahren getroffenen Regelung der Überbaufolgen (Herausgabe der unbebauten Grundstücke) darstellten. 828 Ein logisch exaktes Gegenteil wäre zwar nur zu bejahen gewesen, wenn in der späteren Klage die Feststellung des Nichtbestehens der Verpflichtung zum Abriss und der Herausgabe der unbebauten Grundstücksteile verlangt worden wäre. Dennoch zielte der überbauende Kläger mit seiner Klage darauf ab, eine Abänderung der im Urteil des Erstverfahrens festgesetzten Rechtsfolge zu bewirken. Die Erstreckung der cosa juzgada auf das Gegenteil durch die cosa juzgada implícita wird hier also dazu genutzt, Verfahren auszuschließen, durch welche der ursprünglich Beklagte seine Verurteilung in der Erstentscheidung umkehren bzw. abändern will. bb. Unvereinbarkeit der Klage mit einer Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis In einigen wenigen Fällen hat die Rechtsprechung die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada material unter Rückgriff auf die Figur der cosa juzgada implícita auch dann zur Anwendung gebracht, wenn in einer Klage das unmittelbare Gegenteil einer in den Entscheidungsgründen eines vorangegangenen Urteils getroffenen Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis begehrt wurde. So hat der Tribunal Supremo angenommen, der Klage eines Wohnungseigentümers auf Feststellung der Unwirksamkeit der Eigentümergemeinschaft und ihrer Handlungen stehe die cosa juzgada einer vorangegangenen Entscheidung über eine Zahlungsklage der Eigentümergemeinschaft gegen den nun klagenden Eigentümer entgegen, in deren Gründen sich das Gericht ausführlich mit der wirksamen Begründung der Eigentümergemeinschaft auseinandergesetzt hatte.829 Zur Begründung wurde dabei auch auf die Regel zurückgegriffen, wonach die cosa juzgada auch die gegenteilige Formulierung der acción erfasse. 830 In anderen Entscheidung hat der Tribunal Supremo allerdings in der Konstellation der auf eine Verurteilung zur Leistung folgenden 828 STS 161/1985, 11. März 1985 (n° ROJ: STS 661/1985), Considerando 3°: „... pretensión reivindicatoria que conllevaba o embebía la negativa de la acción, por lo cual la pretensión aquí ejercitada por el allí demandado adoptando ahora [...] la posición de demandante no viene a ser sino reproducir, invirtiendo el sentido, la misma ya resuelta, tanto al solicitar la indemnización del artículo 361 [...] como la adquisición, mediante el dispositivo de la accesión invertida, del terreno invadido“. 829 STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 6°: „Cuanto antecede permite establecer, como conclusión final, que respecto a la cuestión a que se hizo referencia existe entre el procedimiento anterior y el actual, entendiendo por tal los dos acumulados entre sí, una perfecta identidad entre los elementos definidores de la cosa juzgada prevista en el art. 1252 del Código civil: cosas y causas de pedir, coincidencia que, así mismo, se extiende al elemento personal pues la condición de una Comunidad ….“ 830 STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 3°: „[N]o puede ignorarse la esencial identidad de contenido entre dos procesos cuando ejercitada en el

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Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Rechtsverhältnisses, auf dessen Wirksamkeit sich das Leistungsurteil gestützt hatte, lediglich ein Greifen der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada material bejaht.831 Auch die Beurteilung der Konstellation in der Literatur schwankt zwischen einer Anwendung der cosa juzgada implícita mit entsprechender Ausschlusswirkung832 und einer ausschließlichen Bejahung der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada material. 833 Es stellt sich hier die bereits zuvor behandelte 834 Frage, ob die Erstreckung der cosa juzgada auf in den Entscheidungsgründen enthaltene Feststellungen zu präjudiziellen Rechtsverhältnissen auch die Anwendung der negativen Funktion der cosa juzgada bei einer späteren Feststellungsklage zum selben Rechtsverhältnis zur Folge hat. Bejaht man dies oder fingiert man einen impliziten Antrag hinsichtlich des präjudiziellen Rechtsverhältnisses, so liegt es

primero la acción positiva, el otro litigante deduzca en el subsiguiente la correlativa acción negativa.“ 831 STS 771/2006, 21. Juli 2006 (n° ROJ: STS 6358/2006), FD 4° (im ersten Verfahren Klage der Eigentümergemeinschaft gegen einen der Eigentümer auf Zahlung der durch die Eigentümerversammlung durch Beschluss festgesetzten Beiträge zu den Gemeinkosten; im zweiten Verfahren Klage des Eigentümers gegen die Eigentümergemeinschaft auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Beschlusses der Versammlung): „La cuestión estriba, pues, en determinar si nos encontramos ante lo que se ha denominado un ‹elemento de prejudicialidad civil homogéneo del fondo del presente juicio, que debe ser resuelto acatando lo que se pronunció en el antecedente› [...], lo que claramente ocurre cuando la cuestión ha sido deducida y resuelta en el proceso, y también, incluso cuando no ha sido deducida expressis verbis pero aparezca como un antecedente lógico de lo que sea su objeto.“; „Lo que permite concluir que la cuestión de la validez de Juntas y acuerdos fue deducida y resuelta en el litigio anterior, y por ello ha de estimarse la existencia de cosa juzgada.“ Ebenso STS 549/2003, 3. Juni 2003 (n° ROJ: STS 3816/2003), FD 2° (im ersten Verfahren Verurteilung zur Errichtung der öffentlichen Urkunde über den Kauf, darin Feststellung der Zahlung des in der Höhe genau bestimmten Kaufpreises; im zweiten Verfahren Klage des vor maligen Beklagten auf Feststellung der Nichtigkeit des privatschriftlichen Kaufvertrages und der öffentlichen Urkunde wegen fehlender Festsetzung eines Kaufpreises): „[S]i ahora se atendiera la pretensión de nulidad del contrato se ‚entraría en evidente contradicción con la precedente al tener que declarar la nulidad por inexistencia del precio en el contrato de compraventa y que la que ha ganado firmeza declara existente y totalmente pagado por el comprador‘; lo que así es ciertamente ya que [...] deberá operar el efecto prejudicial positivo de la cosa juzgada material....“ 832 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 165 („[E]l principio lógico de no contradicción no consiente [...] la coexistencia de un derecho que sea directamente incompatible con la relación jurídica prejudicial respecto del orto.“). 833 Padura Ballesteros, Fundamentos, p. 167, 168 („se trata de un supuesto distinto al de la cosa juzgada implícita o principio de contradicción“), zu ihrem auf das exakte kontradikorische Gegenteil beschränkten Verständnis der cosa juzgada implícita: Fundamentos, p. 99 ss. 834 Vgl. oben F. IV. 2. a. aa. (2) (c).

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nahe, insoweit auch die Erstreckung auf das logische Gegenteil der Feststellung über die Figur der cosa juzgada implícita zur Anwendung zu bringen. Stellt man dagegen zur Beurteilung der für die negative Wirkungsrichtung notwendigen Streitgegenstandsidentität nur auf das petitum ab, wie es im klägerischen Antrag und im fallo der Entscheidung tatsächlich zum Ausdruck gekommen ist, und sieht entsprechend auch nur das Gegenteil des entsprechenden Rechtsfolgenausspruchs als über die cosa juzgada implícita erfasst an,835 so kommt bei späteren Feststellungsklagen zum bereits behandelten präjudiziellen Rechtsverhältnis nur ein Greifen der positiven Wirkungsrichtung in Betracht. cc. Zusammenfassung Die spanische Rechtskraftlehre hat mit der cosa juzgada implícita eine der deutschen Erstreckung der Rechtskraft auf das kontradiktorische Gegenteil vergleichbare Regel entwickelt, welche die cosa juzgada material in ihrer negativen Wirkungsrichtung auch dann greifen lässt, wenn in einer späteren Klage die Umkehrung des Rechtsfolgenausspruchs der früheren Entscheidung begehrt wird. Über Fälle eines logisch exakten Gegenteils hinaus wendet die Rechtsprechung die cosa juzgada implícita allerdings teilweise auch dann an, wenn mit einer späteren Leistungsklage letztlich nur die Abänderung der in einem vorausgegangenen Leistungsurteil festgesetzten Rechtsfolge bewirkt werden soll. Insgesamt bildet aber die Erstreckung der cosa juzgada material auf das Gegenteil des Rechtsfolgenausspruchs im fallo einen fest verankerten Bestandteil der spanischen Rechtskraftlehre. Unklar ist dagegen die Anwendung der Sperrwirkung der cosa juzgada material, wenn in der späteren Klage das Gegenteil einer allein in den Gründen eines vorausgegangenen Urteils getroffenen Feststellung zu einem präjudiziellen Rechtsverhältnis geltend gemacht wird. Hier setzen sich die Unklarheiten fort, welche bereits bei der Untersuchung der Erstreckung der cosa juzgada material auf präjudizielle Vorfragen beschrieben wurden. d. Die Erstreckung der „cosa juzgada“ auf ergänzende Anträge („peticiones complementarias“) Eine Ausdehnung der cosa juzgada über die Grenzen des formal zur Entscheidung gestellten und abgeurteilten Antrags hinaus hat die spanische Rechtsprechung auch dann vorgenommen, wenn der im späteren Verfahren gestellte Antrag in einem engen inneren Verhältnis zum Antrag des Erstverfahrens steht und diesen ergänzt. Die Bejahung der Sperrwirkung der cosa juzgada stützte sich hier auf eine doppelte Begründung: Zum einen wird angenommen, dass

835

So ausdrücklich Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 99 ss., p. 167 s.

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über den späteren Antrag aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Gegenstand des ersten Verfahrens bereits in der Entscheidung im Erstverfahren implizit mitentschieden wurde. Zum anderen wurde der Grundsatz herangezogen, wonach sich die cosa juzgada auch auf Fragen erstreckt, die im ersten Verfahren hätten vorgebracht werden können, aber nicht vorgetragen wurden. 836 Eine spätere Klage dürfe nicht dazu dienen, die in einem früheren Verfahren begangenen Fehler auszubessern. Es sei daher unzulässig, dieselbe Sache nochmals zur Entscheidung zu stellen, nur weil im Erstverfahren unterlassen wurde, gewisse Anträge (pedimientos) zu stellen.837 Die herangezogene richterrechtliche Regel, wonach die cosa juzgada nicht nur das Vorgebrachte (lo deducido), sondern auch das „Vorbringbare“ (lo deducible) erfasst, 838 diente an sich primär der Begründung einer Präklusion der im ersten Verfahren nicht vorgetragenen Tatsachen- und Rechtsgrundlagen und betraf damit vor allem die causa petendi als Grenze der cosa juzgada. 839 Durch die Einordnung ergänzender Anträge als in dieser Weise „vorbringbare“ Fragen entwickelte die Regel aber auch Bedeutung für die Begrenzung der cosa juzgada durch das petitum. Die Bejahung der Sperrwirkung der cosa juzgada hinsichtlich der verknüpften Anträge wird auf die enge Verbindung (profundo enlace) mit dem früheren Antrag gestützt. 840 Wann ein den Gegenstand des Erstverfahrens lediglich ergänzender Antrag und eine derart enge Verbindung vorliegt, dass sie die Erfassung des tatsächlich nicht abgeurteilten Antrags von der Sperrwirkung der cosa juzgada material rechtfertigt, wird in den ergangenen Entscheidungen nicht näher konkretisiert. Eine Zusammenschau der Urteile legt jedoch nahe,

836 STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 13537/1991), FD 2°: „Las cuestiones deducibles y no deducidas [...] quedaron así implícitamente resueltas al haber entre ellas y él objetivo principal del pleito (la existencia de un contrato de arrendamiento) un profundo enlace, y están protegidas por la cosa juzgada, tanto si han sido expresamente resueltas, como si no habiendo sido objeto de resolución pueden estimarse implícitamente resueltas, por hallarse comprendidas en el thema decidendi. Así, cubre también la cosa juzgada a las peticiones que las recurrentes hicieron en el juicio de menor cuantía origen de este recurso como complementarias de la principal ...“. Ebenso: STS 164/2011, 21. März 2011 (n° ROJ: STS 1240/2011), FD 4° (zur alten Rechtslage). 837 STS 693/1996, 30. Juli 1996 (n° ROJ: STS 4724/1996), FD 2° („no desaparece la consecuencia negativa de la cosa juzgada cuando, mediante el segundo pleito, se han querido suplir o subsanar los errores alegatorios o de prueba acaecidos en el primero, pues no es correcto procesalmente plantear de nuevo la misma pretensión cuando antes se omitieron pedimentos, o no pudieron demostrarse o el juzgador no los atendió“) ; STS 164/2011, 21. März 2011 (n° ROJ: STS 1240/2011), FD 4°. 838 Zur Kritik an der sprachlich unsauberen Regel: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 71, p. 79 (nota 44) 839 Hierzu noch ausführlich unten G. II. 3. a. bb. 840 STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 13537/1991), FD 2°; STS 164/2011, 21. März 2011 (n° ROJ: STS 1240/2011), FD 4°.

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dass es sich jeweils um Anträge handeln muss, die sich als Bestandteil desselben aus einem bestimmten Sachverhalt abgeleiteten Rechtsfolgenkomplexes verstehen lassen, zu dem auch der Antrag im ersten Verfahren zählt, und die sich zudem als bloße Fortführung des Begehrens oder Bestreitens im ersten Verfahren darstellen. Die den Entscheidungen des Tribunal Supremo zugrunde liegenden Fälle sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass durch den späteren Antrag die vorausgegangene Rechtsfolgenfestsetzung wieder in Frage gestellt wird, sei es weil der Kläger eine Erhöhung oder Ergänzung des ihm bereits Zugesprochenen begehrt, sei es weil der Beklagte versucht, die zu seinen Lasten ergangene Rechtsfolgenentscheidung des früheren Urteils indirekt abzuändern. aa. Ergänzung und Erhöhung des bereits zuvor geltend gemachten Anspruchs – Die Reichweite der „cosa juzgada“ bei Teilklagen Eine das Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada rechtfertigende enge Verknüpfung späterer Anträge mit dem Gegenstand des ersten Verfahrens wurde insbesondere im Verhältnis zwischen Teilklagen und späteren Nachforderungen bejaht. Im Hinblick auf die Begrenzung der cosa juzgada durch das petitum sind gerade die Fälle der nicht individualisierten Teilklagen von Relevanz, bei denen der eingeklagte Teil nicht als einer von mehreren qualitativ zu unterscheidenden Forderungsposten individualisierbar oder durch den Bezug auf bestimmte Zeitabschnitte abgrenzbar ist. 841 Eine Unterscheidung verschiedener Streitgegenstände lässt sich hier vor allem mit der Begrenzung des Antrags begründen. (1) Die Rechtsprechung Die zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung beschränkte die cosa juzgada in diesen Fällen nicht auf den mit dem Antrag zur Entscheidung gestellten Betrag, sondern bejahte vielmehr unter Rückgriff auf die Regel, nach der die cosa juzgada auch die Punkte erfasse, die im ersten Verfahren hätten

841

Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen individualisierten und nicht individualisierten Teilklagen nimmt die spanische Rechtsprechung dabei nicht vor, vielmehr erfasst sie sämtliche Fälle aufeinanderfolgender Teilklagen mit der Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf das „Vorbringbare“ („lo deducible“), vgl. z.B. die Entscheidungen STS 693/1996, 30. Juli 1996 (n° ROJ: STS 4724/1996), FD 2°; STS 530/1998, 6. Juni 1998 (n° ROJ: 5709/1998), FD 2°. Trotz der einheitlichen Behandlung in der Rechtsprechung sollen die Fälle individualisierter Teilklagen hier aber im Rahmen der Ausführungen zur causa petendi behandelt werden, da bei einer Individualisierung der eingeklagten Teile in Form verschiedener Zeitabschnitte oder klar abgrenzbarer Schadensposten die tatsächliche Begründung des Anspruchs und damit die causa petendi als Ansatzpunkt einer Differenzierung zwischen den Streitgegenständen naheliegender ist.

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vorgetragen werden können, eine Sperrung der späteren Nachforderung. 842 Die spätere Einforderung des Restbetrages wurde selbst dann für ausgeschlossen gehalten, wenn sich der Kläger Nachforderungen im Erstverfahren ausdrücklich vorbehalten hatte.843 Die Erwägung, eine Klage dürfe nicht dazu genutzt werden, die Versäumnisse beim Vortrag und bei der Antragstellung in einem vorausgegangenen Verfahren nachzuholen, diente damit dazu, eine betragsmäßige oder an bloßen Rechnungsposten ausgerichtete Aufspaltung einheitlicher Forderungen zu verhindern, wenn die entsprechenden Tatsachen bereits im ersten Verfahren vollständig bekannt waren. Statt hier den Begriff des petitum zu konkretisieren, stellten die Gerichte allein darauf ab, dass die Anträge hinsichtlich der Restbeträge bereits im ersten Verfahren hätten gestellt werden können und müssen, um ein Greifen der cosa juzgada zu vermeiden.844 (2) Die Position der Literatur Die spanische Literatur ging und geht dagegen bei der Bestimmung der Reichweite der cosa juzgada bei Teilklagen von einer formalen Betrachtung des tatsächlichen Antragsumfangs aus: Das petitum wird auf den eingeforderten Betrag oder Teil beschränkt, mit der Folge, dass die cosa juzgada der ergangenen Entscheidung einer späteren Einforderung des Restbetrages nicht entgegensteht.845 Eine Unterscheidung zwischen offenen und verdeckten Teilklagen 842

Die cosa juzgada in ihrer negativen Wirkungsrichtung kam daher beispielsweise zur Anwendung, wenn der Kläger in einem ersten Verfahren das beklagte Versicherungsunternehmen zunächst erfolgreich auf Zahlung der Entschädigung für einen versicherten Schadensfall in Anspruch genommen hatte, um dann im zweiten Verfahren eine der Anpassung des zugesprochenen Betrages an den Verbraucherpreisindex entsprechende Erhöhung der Entschädigung zu verlangen (STS 164/2011, 21. März 2011 (n° ROJ: STS 1240/2011), FD 4° (zur alten Rechtslage). In gleicher Weise hat der Tribunal Supremo ein Entgegenstehen der cosa juzgada material bejaht, wenn der Kläger nach einer ersten, auf Aufwendungsersatz für die Erschließung eines Grundstücks gerichteten Klage in einem späteren Verfahren weiteren Aufwendungsersatz mit der Begründung einforderte, tatsächlich seien für die Erschließung desselben Grundstücks auf Grundlage desselben Vertragsverhältnisses weitere Aufwendungen getätigt worden (STS 873/2010, 30. Dezember 2010 (n° ROJ: STS 7566/2010), FD 3° (zur alten Rechtslage)). Dabei waren die später behaupteten weiteren Aufwendungen bereits zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens vollständig vorgenommen oder getätigt worden. 843 So im der Entscheidung STS 873/2010, 30. Dezember 2010 (n° ROJ: STS 7566/2010), FD 3° zugrundeliegenden Fall. 844 STS 164/2011, 21. März 2011 (n° ROJ: STS 1240/2011), FD 4°: „Por ello, las aseguradas hubieron podido pedir en su primera demanda la actualización de la cantidad y al no haberlo hecho, deben asumir la consecuencia de la concurrencia de la cosa juzgada.“ 845 De la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 36 (p. 181). Ebenso (späteres Verfahren über den Restbetrag nicht ausgeschlossen), allerdings ohne klare Aussage zum petitum: López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 207 s. Für

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wird hierbei nicht vorgenommen. Teilweise wird ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada material im späteren Verfahren über den Restbetrag jedoch bei abweisender Entscheidung über die erste Teilklage bejaht.846 Nach der bereits im Abschnitt zu den rechtskraftfähigen Entscheidungsbestandteilen dargestellten herrschenden Ansicht bewirkt aber die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada eine Bindung an die Feststellungen der Erstentscheidung zu den logisch unerlässlichen Vorfragen, hier also an das Bestehen der Forderung dem Grunde nach.847 bb. Ergänzende Anträge bei einem auf Umkehrung oder Abänderung einer früheren Rechtsfolgenfeststellung gerichteten Hauptantrag Eine Infragestellung der zuvor ergangenen Entscheidung bildet die Grundlage einer weiteren Konstellation, in der die Rechtsprechung eine Erstreckung der cosa juzgada über das petitum hinaus auf weitere Anträge bejaht hat: In dieser Fallgruppe stellt der vormalige Beklagte einen Antrag, welcher im Widerspruch zu einer vorausgegangenen Verurteilung steht, bzw. begehrt der vormalige Kläger trotz Abweisung seiner ersten Klage erneut die bereits eingeforderte Rechtsfolge, ergänzt diesen Antrag aber um weitere Anträge, welche auf der im Widerspruch zum Ersturteil stehenden Rechtsfolge beruhen oder dasselbe Schuldverhältnis betreffen. Der Hauptantrag des zweiten Verfahrens stellt sich dabei als Begehren des Gegenteils dar, während die anderen Anträge mit diesem Begehren lediglich eng verbunden sind. (1) Die Rechtsprechung Zur Lösung dieser Konstellation hat die Rechtsprechung ebenfalls auf die Regel zurückgegriffen, wonach die cosa juzgada auch eng verbundenen Anträgen entgegensteht, welche bereits im ersten Verfahren hätten gestellt werden können. In einem Fall, in dem der ehemalige Mieter, der zuvor zur Räumung wegen ausgebliebener Mietzinszahlungen verurteilt worden war, später eine den Fall einer stattgebenden Entscheidung über den ersten Teil der Forderung ebenfalls ein Greifen der cosa juzgada in ihrer negativen Wirkungsrichtung verneinend: Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 671. Zu der Literaturmeinung, die im Rahmen des Art. 400 LEC die Anwendung eines weiter gefassten Begriffs des petitum befürwortet, auf dessen Grundlage auch teilweise eine Identität des petitum bei Teilklagen und Nachforderungen bejaht wird, da diese auf dasselbe wirtschaftliche und rechtliche Ziel gerichtet seien (Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508) unten G. II. 2. e. 846 So Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 671. 847 López-Fragoso Álvarez/González Navarro, Comentario al 222 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 339, 357; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 208.

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Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der angeordneten Räumung sowie auf Wiederherstellung des Mietverhältnisses und Wiedereinräumung des Besitzes an der Mietsache erhob, ordnete der Tribunal Supremo beispielsweise die letztgenannten Anträge als „geltend machbare Fragen“ (cuestiones deducibles) ein.848 Aufgrund ihrer engen Verbindung zum Hauptantrag und zum „thema decidendi“ sei in dem im ersten Verfahren ergangenen, im Widerspruch zum jetzigen Hauptantrag stehenden Ausspruch auch bereits eine Entscheidung über die nun gestellten Anträge enthalten. 849 In einem anderen Fall war der Kläger mit seiner Anfechtung eines Beschlusses der Aktionärsversammlung in einem ersten Verfahren gescheitert, woraufhin er in einer späteren Klage erneut die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Aktionärsversammlung begehrte, in der er und die anderen vormaligen Verwaltungsratsmitglieder entlassen worden waren. Daneben focht er im zweiten Verfahren aber auch die nachfolgenden Beschlüsse der Aktionärsversammlung an, in denen ein neuer Verwaltungsrat bestimmt und eine Geschäftsführerin entlassen worden war.850 Der Tribunal Supremo bejahte die Sperrwirkung der cosa juzgada hinsichtlich sämtlicher Anträge und begründete dies mit der Akzessorietät der die weiteren Beschlüsse bestreffenden Anträge.851 Obwohl in diesen Fällen eine Verknüpfung mit der Erstreckung der cosa juzgada auf das Gegenteil erkennbar ist, wurde die Figur der cosa juzgada implícita nicht einmal zur Begründung der Sperrung des Hauptantrags herangezogen. Vielmehr stellte der Tribunal Supremo ganz allgemein auf das Verbot ab, denselben Anspruch nochmals zum Gegenstand eines Verfahrens zu machen, und ergänzte dieses durch die Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf Fragen, deren Vortrag im ersten Verfahren möglich gewesen wäre. Diese denkbar weit gefassten Regeln dienten damit als flexible Instrumente, um ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung ohne weitere Differenzierung sowohl

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STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 13537/1991), FD 2°. STS 154/1991, 28. Februar 1991 (n° ROJ: STS 13537/1991), FD 2°: „Las cuestiones deducibles y no deducidas como, por ejemplo, el reintegro de posesión después del juicio resolutorio, o la indemnización de daños no solicitada, o la rehabilitación del contrato, quedaron así implícitamente resueltas al haber entre ellas y él ob jetivo principal del pleito (la existencia de un contrato de arrendamiento) un profundo enlace, y están protegidas por la cosa juzgada, tanto si han sido expresamente resueltas, como si no habiendo sido objeto de resolución pueden estimarse implícitamente resueltas, por hallarse comprendidas en el thema decidendi.“ 850 STS 537/1987, 17. September 1987 (n° ROJ: STS 8718/1987), FD 1°. 851 STS 537/1987, 17. September 1987 (n° ROJ: STS 8718/1987), FD 1°: „la pretensión de invalidez de los acuerdos tomados en la misma, relativos a la destitución, cese o dimisión del Consejo de Administración [...] nutren, el resto de las peticiones que la demanda presente contiene de modo que estas nuevas especificaciones accesorias y subordinadas a las primeras han de seguir la suerte desestimatoria de aquellas otras matrices, por efecto expansivo de la cosa juzgada apreciada ...“. 849

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hinsichtlich des tatsächlich gegenteiligen Hauptantrags als auch hinsichtlich der mit diesem verknüpften weiteren Anträge bejahen zu können. (2) Die Position der Literatur Die wenigen Autoren, die sich zu der beschriebenen Konstellation äußern, halten es für naheliegender, ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada bei Klagen, in denen (auch) eine Umkehrung oder ein (weit gefasstes) Gegenteil eines früheren Rechtsfolgenausspruchs begehrt wird, unter Rückgriff auf die Figur der cosa juzgada implícita zu begründen.852 Eine über das petitum hinausgehende Erstreckung der cosa juzgada auf Vorbringen, welches im ersten Verfahren hätte geltend gemacht werden können, wird dagegen abgelehnt. 853 cc. Fortführung der Rechtsprechung zu den eng verknüpften Anträgen unter Geltung des Art. 400 LEC? Durch die Reform der LEC hat die Erstreckung der cosa juzgada auf nicht geltend gemachtes Vorbringen, welches im ersten Verfahren hätte vorgetragen werden können (lo deducido y lo deducible), in der Norm des Art. 400 LEC einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt gefunden: Wenn sich das Beantragte (lo que se pida) auf verschiedene Tatsachen oder Rechtsgründe bzw. Rechtstitel stützen lässt, muss nach dieser Norm das gesamte bekannte Tatsachen- und Rechtsvorbringen in der ersten Klage geltend gemacht werden und darf nicht für einen späteren Prozess zurückbehalten werden.854 Im Hinblick auf Rechtshängigkeit und Rechtskraft ordnet Art. 400.2 LEC an, dass eine Identität zwischen den im ersten Verfahren tatsächlich geltend gemachten Tatsachen und Rechtsgründen und dem Tatsachen- und Rechtsvorbringen, welches im ersten Verfahren zur Stützung des Antrags hätte vorgetragen werden können, anzunehmen ist.855 Auf diese Weise wird die Nichteinhaltung der im ersten Absatz geregelten Konzentrationsobliegenheit durch die Sperrwirkung von cosa juzgada material und litispendencia sanktioniert. Dem Wortlaut nach bezieht sich die Vorschrift allein auf das zur Begründung des Antrags heranziehbare Tatsachen- und Rechtsvorbringen und hat damit primär Relevanz für die causa pe-

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So Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 168. Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 168. 854 Art. 400.1 LEC: „Cuando lo que se pida en la demanda pueda fundarse en diferentes hechos o en distintos fundamentos o títulos jurídicos, habrán de aducirse en ella cuantos resulten conocidos o puedan invocarse al tiempo de interponerla, sin que sea admisible reservar su alegación para un proceso ulterior.“ 855 Art. 400.2 LEC: „De conformidad con lo dispuesto en al apartado anterior, a efectos de litispendencia y de cosa juzgada, los hechos y los fundamentos jurídicos aducidos en un litigio se considerarán los mismos que los alegados en otro juicio anterior si hubiesen podido alegarse en éste.“ 853

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tendi. Ob sich der Norm auch eine Obliegenheit zur Konzentration verschiedener, auf demselben Sachverhalt beruhender Anträge zumindest in den zuvor richterrechtlich erfassten Fällen ergänzender Anträge entnehmen lässt, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. (1) Die Beurteilung auf Grundlage des Art. 400 LEC nach dem Verständnis der Literatur In der Literatur wird die Norm dahingehend verstanden, dass die darin verankerte Konzentrationslast nur innerhalb der Grenzen des petitum wirkt.856 Der Kläger muss also zwar sämtliches Vorbringen, welches zur Stützung seines Antrags dienen kann, im ersten Verfahren geltend machen. Eine Obliegenheit zur Konzentration der sich aus einem bestimmten Sachverhalt ergebenden Anträge wird ihm dagegen nicht auferlegt, 857 so dass der Regelung des Art. 400.2 LEC nach dem Verständnis der Literatur auch keine Ausdehnung der cosa juzgada material auf ergänzende Anträge entnommen werden kann. Die ablehnende Haltung der Literatur gegenüber der Rechtsprechung zu den eng verknüpften Anträgen setzt sich damit auch in der Auslegung des Art. 400 LEC fort. Gestützt wird diese Auslegung des Art. 400 LEC auf den Wortlaut der Norm: Dieser regele ausdrücklich nur den Fall, dass „das Beantragte“ (lo que se pida) auf verschiedene Tatsachen- und Rechtsgrundlagen gestützt werden könne, ohne eine entsprechende Konzentrationslast für verschiedene Anträge anzusprechen. 858 Da es sich bei Art. 400 LEC um eine rechtsbeschränkende Norm handele, müsse diese eng ausgelegt werden und sei auch der Analogie nicht zugänglich.859

856 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 33, p. 44 s.; n° 71, p. 79 s.; Gimeno Sendra/ Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 179; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 189; Puente de Pinedo, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 400 LEC, p. 653 s.; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1666; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 117 s.; Vallines García, La preclusión en el proceso civil, p. 220. 857 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 71, p. 79 s. („el art. 400.1 LEC tiene por aducidos todos los fundamentos de lo pretendido (del petitum, para ser exactos), pero no tiene por pretendido o pedido lo que no se pretenda o pida.“) ; Silguero Estagnan, La preclusión de alegaciones en el proceso civil, 2009, p. 179. 858 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 33, p. 45; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 189; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 119. 859 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 117.

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(2) Die Rechtsprechung zur heutigen Rechtslage Während die Literatur mit ihrer Auslegung des Art. 400 LEC an die bereits vor der Zivilprozessrechtsreform vertretene Position anknüpft, zeigt sich in den Entscheidungen der Gerichte zur neuen Rechtslage eine gewisse Verunsicherung im Hinblick auf die Frage, ob die Präklusionswirkung nur im Rahmen desselben petitum greift oder ob Art. 400 LEC darüber hinaus in gewissen Fällen auch die Konzentration verschiedener, sich aus einem einheitlichen Sachverhalt herleitender Anträge im ersten Verfahren erforderlich macht. Uneinheitlich wurde insbesondere das Verhältnis des Art. 400 LEC zur zuvor bejahten Erstreckung der cosa juzgada auf eng verknüpfte, ergänzende Anträge beurteilt. Zwei Erwägungen stehen sich dabei gegenüber: 860 Einerseits bezieht sich die in Art. 400 LEC geregelte Präklusion dem Gesetzeswortlaut nach allein auf Tatsachen und Rechtsgründe, die der Stützung des „Beantragten“ dienen können.861 Andererseits lässt sich mit der in der Gesetzesbegründung zu Art. 400 LEC zum Ausdruck gebrachten Zielsetzung, eine erneute Inanspruchnahme der Gerichte zu vermeiden, wenn die streitgegenständliche Frage auch in einem einzelnen Verfahren gelöst werden könne, 862 auch eine Konzentrationslast bezüglich der sich aus einem einheitlichen Sachverhalt ergebenden, eng verknüpften Anträge rechtfertigen. 863 Zudem hebt die Gesetzesbegründung864 ein Anknüpfen an der bestehenden Rechtsprechung hervor. 865 860

Dies wird besonders deutlich in einer Entscheidung der Audiencia Provincial Zaragoza, in der die Gerichtsmehrheit ein Greifen der cosa juzgada auf Grundlage einer engen, am Wortlaut orientierten Auslegung des Art. 400 LEC verneinte, einer der Richter aber in einem Sondervotum eine Präklusion in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zur Erstreckung der cosa juzgada auf eng verknüpfte Anträge befürwortete (AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), FD 4° und Voto Particular). 861 Hierauf abstellend z.B. die Gerichtsmehrheit in der Entscheidung AAP Zaragoz a 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), FD 4°. 862 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII): „Se parte aquí de dos criterios inspiradores: por un lado, la necesidad de seguridad jurídica y, por otro, la escasa justificación de someter a los mismos justiciables a diferentes procesos y de provocar la correspondiente actividad de los órganos jurisdiccionales, cuando la cuestión o asunto litigioso razonablemente puede zanjarse en uno solo. Con estos criterios [...] la presente Ley, entre otras disposiciones, establece una regla de preclusión de alegaciones de hechos y de fundamentos jurídicos, ya conocido en nuestro Derecho y en ortos ordenamientos jurídicos. [...] En todos estos puntos, los nuevos preceptos se inspiran en sólida jurisprudencia y doctrina.“ 863 So das Sondervotum (voto particular) in der Entscheidung AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), FD 4°. 864 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII): „En todos estos puntos, los nuevos preceptos se inspiran en sólida jurisprudencia y doctrina.“ 865 Hierauf verweist das Sondervotum in der Entscheidung AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), FD 4°.

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(a) Teilklagen Das Schwanken zwischen diesen beiden Erwägungen zeigt sich besonders deutlich in der Rechtsprechung der Audiencias Provinciales zu Nachforderungsfällen. Ein Teil der Gerichte versteht die in Art. 400 LEC geregelte Präklusion als Ausprägung des zuvor richterrechtlich geprägten Grundsatzes, wonach die cosa juzgada sowohl das tatsächlich Vorgetragene als auch das „Vorbringbare“ erfasst. Da die Rechtsprechung zu den eng verknüpften und ergänzenden Anträgen auf diesen Grundsatz gestützt wurde, glauben einige Gerichte, in Art. 400 LEC eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechungslinie zu erkennen, und wollen diese daher auch unter Geltung der neuen LEC fortführen. 866 Der Kläger sei daher – unabhängig vom Ausgang des Erstverfahrens – mit einer Nachforderung des Restbetrages präkludiert.867 In anderen Entscheidungen wird die spätere Nachforderung dagegen für zulässig gehalten.868 Dabei wurde vor allem auf den Wortlaut des Art. 400 LEC abgestellt, der die Präklusion allein auf das zur Stützung des „Beantragten“ dienende Tatsachen- und Rechtsvorbringen bezieht.869 Vor dem Hintergrund des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 24.1 C.E. dürfe Art. 400 LEC keine über seinen Wortlaut hinausgehende Präklusion von Anträgen entnommen werden.870 Die Gerichte, die dieser einschränkenden Auslegung folgten, 866

SAP Zaragoza 335/2007, 12. Juni 2007 (n° ROJ: SAP Z 2156/2007), FD 1°. Ebenso das Sondervotum in der Entscheidung AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), voto particular. 867 So für Fälle nicht individualisierter Teilbetragsklagen: SAP Santander 584/2005, 14. Dezember 2005 (n° ROJ: SAP S 2102/2005), FD 2°; SAP Zaragoza 335/2007, 12. Juni 2007 (n° ROJ: SAP Z 2156/2007), FD 1°; SAP Valencia 130/2013, 21. März 2013 (n° ROJ: SAP V 1802/2013), FD 2°. Ebenso das Sondervotum in der Entscheidung AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), voto particular. 868 AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), FD 4° (Klage auf einen weiteren Teilbetrag des Kaufpreises); SAP Palencia 203/2005, 1. Juli 2005 (n° ROJ: SAP P 190/2005), FD 1° (Teilbetragsklage); AAP Madrid 136/2012, 4. Mai 2012 (n° ROJ: AAP M8801/2012), RJ 4°; SAP Zaragoza 330/2013, 24. Juni 2013 (n° ROJ: SAP Z 1494/2013), FD 2° (jeweils Klagen auf weiteren Werklohn wegen angeblich erbrachter weiterer Arbeiten im Hinblick auf dasselbe Werk). 869 AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ:AAP Z 486/2004), FD 4 ° („la prohibición de la reiteración atañe a ‚hechos y fundamentos o títulos jurídicos‘, no a peticiones o pretensiones“; „no se debe confundir la ‚base o sustrato‘ de lo pedido con la ‚petición‘“) ; SAP Palencia 203/2005, 1. Juli 2005 (n° ROJ: SAP P 190/2005), FD 1°; AAP Madrid 136/2012, 4. Mai 2012 (n° ROJ: AAP M8801/2012), RJ 4° 870 AAP Zaragoza 204/2004, 25. März 2004 (n° ROJ: AAP Z 486/2004), FD 4° („habrán de solventarse según la máxima ‚favorabilia sunt amplianda, odiosa restringenda‘“) ; SAP Palencia 203/2005, 1. Juli 2005 (n° ROJ: SAP P 190/2005), FD 1°. Für eine einschränkende Auslegung des Art. 400 LEC als den durch Art. 24.1 CE geschützten Zugang zu den Gerichten beschränkende Norm auch SAP Zaragoza 330/2013, 24. Juni 2013 (n° ROJ: SAP Z

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sehen sich zudem durch eine 2010 ergangene Entscheidung des Tribunal Constitucional871 bestätigt.872 Darin hat das Verfassungsgericht betont, dass sich Art. 400 LEC allein auf Tatsachen und Behauptungen, nicht aber auf nicht abgeurteilte prozessuale Ansprüche beziehe. 873 Das Urteil des Verfassungsgerichts betraf allerdings keine bloße Nachforderung eines Teilbetrags oder eines unselbstständigen Rechnungspostens, sondern einen stärker verselbstständigten Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen,874 und hat daher auch nicht die Uneinigkeit in der Rechtsprechung der Audiencias Provinciales zu Teilklagen beendet. Vielmehr wurden auch in der Folgezeit Entscheidungen erlassen, in denen bei nicht individualisierten Teilklagen eine Präklusion der Nachforderung bejaht wurde. 875 Der Tribunal Supremo hat bislang – soweit ersichtlich – noch nicht zu einem nach der heutigen Rechtslage zu behandelnden Fall der Nachforderung entschieden. Allerdings hat das höchste Gericht in einer nach Inkrafttreten der LEC 2000 ergangenen Entscheidung zur alten Rechtslage obiter dictum klargestellt, dass es von einem Gleichlauf der Lösungen auf Grundlage des früheren und des heutigen Rechts ausgeht. 876 An einer abschließenden Bestimmung 1494/2013), FD 2° („el principio ‚pro actione‘ que aconseja facilitar el acceso del justiciable a los Tribunales“). 871 STC 71/2010, 18. Oktober 2010, BOE 2010, n° 279 (18. November 2010) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 17.748, p. 96 ss. 872 Der Einfluss dieser Entscheidung wird beispielsweise hervorgehoben im Urteil SAP Zaragoza 330/2013, 24. Juni 2013 (n° ROJ: SAP Z 1494/2013), FD 2°. 873 STC 71/2010, 18. Oktober 2010, BOE 2010, n° 279 (18. November 2010) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 17.748, p. 96, 106 (FJ 5): „[N]o puede dejar de advertirse en este supuesto que los arts. 222.2 y 402.2 LEC se refieren a hechos y alegaciones que pudieron ser aducidos en un procedimiento anterior, pero no a la formulación de pretensiones que permanezcan imprejuzgadas y respecto de las cuales no hubiese prescrito o caducado la acción procesal.“ 874 Im zugrunde liegenden Fall, in dem der Kläger zunächst Schadensersatz für die Folgen eines Verkehrsunfalls verlangt und in einem späteren Verfahren dann die entsprechenden Verzugszinsen eingefordert hatte, nahm der Tribunal Constitucional ein Abweichen der Streitgegenstände an, weshalb Art. 400 LEC nach seinem Verständnis nicht greifen konnte. Der Tribunal Constitucional weist selbst daraufhin, dass die in dem betroffenen Fall geltend gemachten Anträgen unabhängig voneinander seien und es sich gerade nicht um ergänzende Anträge handele, STC 71/2010, 18. Oktober 2010, BOE 2010, n° 279 (18. November 2010) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 17.748, p. 96, 107 (FJ 5): „... sin que [...] exista previsión legal que imponga el ejercicio obligatorio de ambas acciones en concurso, dado que entre ellas existe una relación de autonomía e independencia y no de complementariedad, al no estar basadas en el mismo título jurídico.“ 875 SAP Valencia 130/2013, 21. März 2013 (n° ROJ: SAP V 1802/2013), FD 2°. 876 STS 164/2011, 21. März 2011 (n° ROJ: STS 1240/2011), FD 4°: „Esta doctrina aplicable al litigio por regirse aun por la LEC 1881, coincide con lo dispuesto en el Art. 400.2 LEC 2000 [...] que recogiendo la anterior doctrina, sienta la regla de que los efectos de la litispendencia y la cosa juzgada se extienden no sólo a los hechos jurídicos y fundamentos

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der Reichweite bei (nicht individualisierten) Teilklagen fehlt es in der Rechtsprechung damit bislang noch. (b) Umkehrung und Abänderung des vorherigen Rechtsfolgenausspruchs Im Hinblick auf den zweiten Anwendungsfall der Rechtsprechung zu den ergänzenden Anträgen zeichnet sich dagegen ein Festhalten der Rechtsprechung an der bisherigen Lösung deutlicher ab, da hier nicht nur Entscheidungen der Audiencias Provinciales vorliegen,877 sondern sich auch der Tribunal Supremo bereits zur Rechtslage unter Geltung des Art. 400 LEC geäußert hat: In einer 2012 erlassenen Entscheidung hat der Tribunal Supremo eine Sperrung eines umkehrenden Antrags auf die alte Rechtsprechungslinie gestützt, wonach die cosa juzgada auch Punkte erfasse, welche im ersten Verfahren hätten geltend gemacht werden können.878 Diese Rechtsprechung habe in Art. 400 LEC gesetzliche Umsetzung gefunden.879 Die Beklagten des ersten Verfahrens beantragten im späteren Prozess eine Feststellung zu Punkten, welche im ersten Verfahren Vorfragen bildeten, und die, wären sie dort in der nun beantragten Weise beantwortet worden, zur Abweisung der Klage geführt hätten. 880 Der Tribunal Supremo ging in seiner Entscheidung jedoch nicht darauf ein, dass die nun beantragten Feststellungen Vorfragen des ersten Verfahrens betrafen, sondern argumentierte sehr vage, dass die Beklagten des Erstverfahrens mit

aducidos, sino a los que hubieran podido alegarse en el primer proceso o el proceso anterior. Por ello, las aseguradas hubieron podido pedir en su primera demanda la actualización de la cantidad y al no haberlo hecho, deben asumir la consecuencia de la concurrencia de la cosa juzgada.“ 877 Z.B. die Entscheidung SAP Zaragoza 172/2007 (n° ROJ: SAP Z 563/2007), FD 2° (für eine nach vorausgegangener Klage auf Erfüllung eines Vertrages erhobenen Klage auf Feststellung der Nichtigkeit desselben Vertrages). 878 STS 393/2012, 26. Juni 2012 (n° ROJ: STS 4945/2012), FD 2°. 879 STS 393/2012, 26. Juni 2012 (n° ROJ: STS 4945/2012), FD 2°: „Como se ha puesto de relieve, esta Sala ha considerado reiteradamente, que el segundo pleito no puede servir para plantear cuestiones que no lo han sido en el primero, cuestión que la LEC/2000 ha incluido en el art 400....“ 880 In einem ersten Verfahren hatte ein Teil der Erben auf Feststellung der Pflichtwidrigkeit verschiedener Schenkungen der Erblasserin an die ebenfalls als Erben eingesetzten Beklagten geklagt. Die Beklagten des ersten Verfahrens beantragten in einem späteren Verfahren widerklagend Feststellungen zum Umfang des Nachlasses und die Feststellung der ausreichenden Deckung aller Ansprüche der gesetzlichen Erben durch das Nachlassvermögen. Auf Grundlage dieser Feststellungen hätte die im ersten Verfahren getroffene Feststellung der Pflichtwidrigkeit der Schenkungen nicht getroffen hätte werden können. Die Entscheidung geht damit sogar über die zur alten Rechtslage ergangenen Urteile des Tribunal Supremo in Fällen der Umkehrung des Ergebnisses des Erstverfahrens hinaus, da im zugrunde liegenden Fall im späteren Verfahren kein Antrag gestellt wurde, in dem das unmittelbare Gegenteil der im Tenor der Erstentscheidung ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wurde.

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ihrer späteren Klage bezweckten, die Rechtsfolgenfestsetzung des ersten Verfahrens in Frage zu stellen, und entgegen der Vorgabe des Art. 400 LEC Fragen aufwürfen, die bereits im ersten Verfahren vorzutragen gewesen wären. 881 Diese Lösung lässt sich angesichts des Wortlautes des Art. 400 LEC, welcher die Präklusion auf die das „Beantragte“ stützenden Tatsachen und Rechtsgründe beschränkt, allerdings nur dann882 in nachvollziehbarer Weise auf Art. 400 LEC stützen, wenn das „Beantragte“ auch das Gegenteil des zuvor gestellten Antrags von der Präklusion erfasst, wofür die Figur der cosa juzgada implícita den dogmatischen Anknüpfungspunkt bildet. 883 In der Entscheidung des Tribunal Supremo findet diese aber keine Erwähnung. Deutlich zeigt sich aber die Tendenz, in Fällen logisch unvereinbarer Klagen über das unmittelbare Gegenteil hinaus eine erneute und möglicherweise widersprüchliche Beurteilung in der Sache auszuschließen. Dabei wird auf flexible Begründungsansätze zurückgegriffen, die eine Feststellung des logisch exakten Gegenteils und eine klare Bestimmung des Verhältnisses der positiven und negativen Funktion der cosa juzgada im Hinblick auf Vorfragen verzichtbar machen.

881

STS 393/2012, 26. Juni 2012 (n° ROJ: STS 4945/2012), FD 2°: „[L]a parte demandada/reconviniente efectuó una petición concreta sobre la incorporación de nuevos bienes a los efectos del cálculo de la legítima, con el claro propósito de evitar la efectividad de la inoficiosidad ya declarada. Lo que se pidió en realidad en la reconvención fue un nuevo cálculo de la legítima, por lo que hay cosa juzgada respecto a la inoficiosidad. No es cierto que el objeto del segundo pleito sea distinto, porque lo que pretende la parte reconviniente es que se elimine la anterior declaración de inoficiosidad.[...] Como se ha puesto de relieve, esta Sala ha considerado reiteradamente, que el segundo pleito no puede servir para plantear cuestiones que no lo han sido en el primero, cuestión que la LEC/2000 ha incluido en el art 400 y que afecta claramente a la reconvención.En conclusión, la demandada/reconviniente ha pretendido plantear de nuevo las cuestiones referidas al cálculo de la legítima, ya resueltas en el anterior litigio....“ 882 Während es bei der Behandlung der Nachforderungsfälle noch denkbar erscheint, von einer Einheitlichkeit des Beantragten auszugehen, weil letztlich dasselbe Begehren verfolgt wird, welches nur nach Beträgen oder unselbstständigen Rechnungsposten aufgeteilt wird, kann zumindest in Fällen, in denen der Beklagte die Umkehrung der zuvor festgesetzten Rechtsfolge verlangt, nicht von einer Übereinstimmung mit dem Antrag des Erstverfahr ens gesprochen werden. 883 Da die Rechtsprechung die cosa juzgada implícita wie oben gezeigt (siehe oben G. II. 2. c. bb.) auch in Fällen zur Anwendung bringt, in denen die Umkehrung oder Abänderung einer früheren Verurteilung oder die Feststellung des Gegenteils einer zuvor getroffenen Feststellung zu einer Vorfrage begehrt wird, wäre es im der Entscheidung des Tribunal Supremo zugrunde liegenden Fall denkbar gewesen, die Sperrung der späteren Klage allein mit der Erstreckung der cosa juzgada auf das weit verstandene Gegenteil zu begründen, ohne insoweit mit dem Wortlaut des Art. 400 LEC in Konflikt zu geraten (auf den in dieser Situation denkbaren Rückgriff auf die cosa juzgada implícita weist auch Tapia Fernández hin (Cosa juzgada, p. 155 s., 168)).

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(c) Weitere Ausdehnung der „cosa juzgada material“ über das „petitum“ hinaus auf Grundlage des Art. 400 LEC? Den soeben dargestellten Entscheidungen, die eine über das petitum hinausgehende Präklusion auch nach heutiger Rechtslage bejahen, liegt die Annahme zugrunde, eine Präklusion im Erstverfahren nicht gestellter, miteinander verknüpfter Anträge könne auf Art. 400 LEC oder zumindest auf einen in dieser Norm zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken gestützt werden. Auf Grundlage dieser Annahme erscheint es jedoch nicht fernliegend, eine Sperrung zuvor nicht gestellter Anträge auch in weiteren Konstellationen einer engen Verknüpfung der Anträge anzuerkennen. Tatsächlich finden sich nach der Einführung der LEC 2000 Entscheidungen der Audiencias Provinciales, in denen ein Ausschluss zuvor nicht zur Entscheidung gestellter petita in weiteren Konstellationen bejaht wurde. In einer Fallkonstellation, in der eine Partei nach einem rechtskräftig beendeten Verfahren über die Auseinandersetzung einer Miteigentümergemeinschaft und die Teilung des gemeinsamen Eigentums Klage auf Aufwendungsersatz für die auf das gemeinsame Eigentum getätigten Aufwendungen erhob, bejahten mehrere Audiencias Provinciales übereinstimmend eine Präklusion, 884 obwohl der Tribunal Supremo zuvor in einer dieselbe Fallgestaltung betreffenden Entscheidung zum alten Recht ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada material verneint hatte.885 Dabei wurde die Rechtsprechung zur Erstreckung der Präklusion auf eng verbundene Anträge angewendet und mit Art. 400 LEC verknüpft. 886 In einem ähnlichen Fall wurde zudem angenommen, dass nach der Klage auf Erstellung der Bilanz der Aktiva und Passiva nach Auflösung einer Errungenschaftsgemeinschaft (sociedad de gananciales) eine Klage auf Einbeziehung einer weiteren Forderung ausgeschlossen sei. 887 Obwohl die Gerichte jeweils die Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf eng verknüpfte Anträge und Art. 400 LEC heranzogen, sind die Entscheidungen geprägt von der Erwägung, dass Streitgegenstand des ersten Verfahrens die vollständige Auseinandersetzung der Miteigentümergemeinschaft bzw. die abschließende Festlegung der Aktiva und Passiva sei und dass weitere Forderungen lediglich unselbstständige Teile dieses übergeordneten und einheitlichen Klageziels bildeten. 888 884 AAP Jaén 44/2008, 4. September 2008 (n° ROJ: AAP J 248/2008), FD 3°; SAP Santa Cruz de Tenerife 568/2011, 23. November 2011 (n° ROJ: SAP TF 2693/2011), FD 3°; SAP Barcelona 132/2013, 8. März 2013 (n° ROJ: SAP B 16950/2013), FD 3°. 885 STS 1/2006, 16. Januar 2006 (n° ROJ: STS83/2006), FD 2°. 886 AAP Jaén 44/2008, 4. September 2008 (n° ROJ: AAP J 248/2008), FD 3°; SAP Barcelona 132/2013, 8. März 2013 (n° ROJ: SAP B 16950/2013), FD 3°. 887 SAP Cádiz 576/2012, 28. November 2012 (n° ROJ: SAP CA 2056/2012), FD 1°. 888 In der Entscheidung SAP Barcelona 132/2013 kommt diese Erwägung deutlich zum Ausdruck: „No es sólo una petición complementaria [...] sino que forma parte de la misma pretensión de división. Con esta acción se pretende poner fin a la situación de comunidad;

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Eine Präklusion von sich aus demselben Sachverhalt ergebenden, aber selbstständig nebeneinander stehenden Anträge wird daher auch hier nicht angenommen. Einheitlich wird zudem auch diese Konstellation nicht beurteilt. 889 Dennoch zeigt sich, dass die Audiencias Provinciales die Regelung des Art. 400 LEC zum Anlass nehmen, die frühere Rechtsprechung zur Erstreckung der Sperrwirkung der cosa juzgada auf ergänzende und eng verknüpfte Anträge nicht nur in bereits zuvor anerkannten Fällen fortzuführen, sondern auch in darüber hinausgehenden Konstellationen enger Verknüpfung zur Anwendung zu bringen. (d) Keine Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher Anträge aus demselben Sachverhalt Neben der in Fortführung der früheren Rechtsprechung bejahten Ausweitung der cosa juzgada in bestimmten Fallgruppen ergänzender oder verknüpfter Anträge bejahten einzelne Audiencias Provinciales in den ersten Jahren nach Einführung des Art. 400 LEC auch in weiteren Fällen eine über das petitum hinausgehende Präklusion von abweichenden, aber auf demselben Rechtsverhältnis beruhenden Anträgen.890 In der Folgezeit konnte sich eine derart weitreichende Anwendung des Art. 400 LEC aber nicht durchsetzen, vielmehr beschränkt die Rechtsprechung die über das petitum hinausgehende Ausdehnung mittlerweile auf die oben genannten Fälle der engen Verknüpfung mit dem Gegenstand des ersten Verfahrens. 891 Eine darüber hinausgehende Obliegenheit des Klägers, sämtliche sich aus einem bestimmten Sachverhalt ergebende An-

para ello, nada más lógico que, a fin de liquidar definitivamente la comunidad, se exija el pago de aquellos gastos o adelantos que vienen referidos a la cosa hasta entonces común.“ 889 Das formale Abweichen der Anträge betonend und unter Berufung auf den Wortlau t des Art. 400 LEC eine Sperrung der späteren Klage ablehnend z.B. AAP Zaragoza 197/2009, 31. März 2009 (n° ROJ: AAP Z 581/2009), FD 2°. 890 SAP Pontevedra 392/2006, 30. Juni 2006 (n° ROJ: SAP PO 1779/2006), FD 2°(nach dem Erfolg der Klage auf Unterlassung jeglicher Handlungen, die zu einer Verkleinerung des im Eigentum der Kläger stehenden Weggrundstücks führen könnten, seien die Kläger mit einem Antrag auf Abriss einer bereits zum Zeitpunkt des Erstverfahrens über das Weggrundstück hinaus gebauten Scheune präkludiert); SAP Madrid 603/2006, 26. September 2006 (n° ROJ: SAP M 13196/2006), FD 3° (Klage auf Auszahlung der Mietkaution hätte gemäß Art. 400 LEC im Verfahren über die Klage auf Ersatz der vergeblichen Aufwendungen auf die Mietsache geltend gemacht werden müssen). 891 So ausdrücklich SAP Barcelona 132/2013, 8. März 2013 (n° ROJ: SAP B 16950/2013), FD 3°: „Este tribunal no cuestiona que el ámbito del artículo 400 Lec no puede interpretarse de forma tan amplia que obligue a las partes a 'acumular' todas las acciones que la una tenga frente a la otra. Sólo cuando entre las acciones hay una fuerte vinculación objetiva y finalista, lo que sólo puede valorarse comparando los objetos de los dos procesos, se produce el efecto preclusivo.“

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träge in einem Verfahren zu konzentrieren, lehnt die ganz herrschende Rechtsprechung ab. 892 Aus Sicht des Tribunal Constitucional steht eine Auslegung des Art. 400 LEC, wonach der Kläger oder Widerkläger sämtliche Ansprüche, welche sich aus dem mit der Gegenpartei eingegangenen Rechtsgeschäft ergeben, nicht nur im Widerspruch mit dem Wortlaut des Art. 400 LEC, sie ist auch unvereinbar mit der Dispositionsfreiheit der Parteien sowie dem Recht auf Zugang zu den Gerichten als Ausprägung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz.893 Auch einer allzu weiten Ausdehnung der Präklusion nach Art. 400 LEC über die Rechtsprechung zu den eng verknüpften Anträgen dürften damit Grenzen gesetzt sein. (3) Zusammenfassung Während also die Literatur mit ihrer Auslegung des Art. 400 LEC an ihrer früheren Position zur Reichweite der cosa juzgada anknüpfen konnte, hat die Rechtsprechung noch keine einheitliche Antwort auf die Frage gefunden, wie die früher praktizierte Erstreckung der cosa juzgada auf eng verknüpfte Anträge ins Verhältnis zur neuen Gesetzeslage zu setzen ist. Gerade im Hinblick auf die Frage, ob die cosa juzgada bei Entscheidungen über Teilklagen unter Geltung des Art. 400 LEC durch den tatsächlich eingeforderten Betrag zu beschränken ist, besteht innerhalb der Rechtsprechung erhebliche Uneinigkeit. Eine Entwicklungsrichtung ist noch nicht klar erkennbar, auch wenn der Tribunal Supremo eine Fortführung der bisherigen Linie angedeutet hat. Im Hinblick auf die Fälle einer Umkehrung eines früheren Rechtsfolgenausspruchs hat der Tribunal Supremo ein Festhalten an der bisherigen, das Entgegenstehen der cosa juzgada material bejahenden Position bereits deutlich zum Ausdruck gebracht. Fraglich ist hier allein das Verhältnis zur Figur der cosa juzgada implícita, die sich in dieser Konstellation als alternatives, klarer begrenztes Instrument anbietet, wobei jedoch auch bei einer Argumentation auf Grundlage einer Ausdehnung der cosa juzgada auf ein weit verstandenes Gegenteil die 892 STS 159/2011, 10. März 2011 (n° ROJ: STS 1065/2011), FD 2°; SAP M 259/2008, 23. Oktober 2008 (n° ROJ: SAP M 13912/2008), FD 3° („El art. 400 de la Ley de Enjuiciamiento Civil [...] no permite tener por formulado un pedimento, a efectos de litigios posteriores, que efectivamente no lo haya sido en el litigio anterior. Como ha afirmado algún autor (Díez-Picazo Giménez), ‹la preclusión alcanza solamente causas de pedir deducibles pero no deducidas, pero no a petita deducibles pero no deducidos›.“) ; SAP Oviedo 351/2009, 9. November 2009 (n° ROJ: SAP O 2806/2009), FD 1°; AAP A Coruña 52/2012, 29. November 2011 (n° ROJ: AAP C 741/2012), FD 1°; SAP Murcia 248/2014, 21. April 2014 (ROJ: SAP MU 910/2014), FD 3° („Si lo pedido varía, la preclusión del art. 400 LEC no tiene lugar.“). 893 STC 71/2010, 18. Oktober 2010, BOE 2010, n° 279 (18. November 2010) – Suplemento del Tribunal Constitucional – 17.748, p. 96, 106 s. (FJ 5); STC 106/2013, 6. Mai 2013, BOE 2013, n° 133, 4. Juni 2013, Suplemento del Tribunal Constitucional – 5929, p. 12, 19 s. (FJ 5°).

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flexible Beurteilung im Einzelfall im Vordergrund steht. Ob sich eine Anwendung der nun in Art. 400 LEC hineingelesenen Regel der Präklusion eng verknüpfter Anträge auch in weiteren Konstellationen durchsetzt, bleibt abzuwarten. Eine Erstreckung der Konzentrationslast auf sämtliche auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhenden Anträge wird aber weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur bejaht. e. Wandel der Definition des „petitum“ im Rahmen des Art. 400 LEC: Flexibilisierung durch ein Erfordernis der Übereinstimmung der „Zielsetzung“ („finalidad“)? Wie soeben beschrieben, ist die Präklusion nach Art. 400 LEC nach ganz herrschendem Verständnis entsprechend dem Wortlaut der Norm durch das „Beantragte“, also durch das petitum, begrenzt. Während die überwiegende Mehrheit der Autoren und auch zahlreiche Gerichte hierbei ohne Weiteres an das oben dargestellte traditionelle Verständnis des petitum anknüpfen, wollen Teile der Rechtsprechung und Literatur den Begriff des petitum oder „Beantragten“ im Rahmen des Art. 400 LEC modifizieren und an der verfolgten Zielsetzung ausrichten: Die Präklusion des Tatsachen- und Rechtsvorbringens soll danach in einem späteren Verfahren nicht nur dann greifen, wenn eine absolute Identität der petita gegeben ist, sondern auch im Fall einer bloßen „Homogenität“ der petita, die bei einer Übereinstimmung der Zielsetzung (finalidad) bejaht wird. 894 Um diese übereinstimmende Zielsetzung festzustellen, seien die tatsächlich gestellten Anträge im Lichte der geltend gemachten causas de pedir

894

STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6° („[L]o que se pide en ambas demandas [...] es lo mismo, aunque no desde una visión ontológica [...], pero sí conforme a una visión jurídica adecuada a la función que está llamada a cumplir la preclusión, dada la homogeneidad de las pretensiones y la coincidencia de sus finalidades prácticas.“); AAP Madrid 302/2008, 17. September 2008 (n° ROJ: AAP M 11940/2008), RJ 21° („A nuestro juicio, no es estrictamente necesario que ‚lo que se pida‘ sea exacta y precisamente igual en la acción que se ejercita y en la que precluye. La identidad en ‚lo que se pida‘ que exige el artículo 400.1,1 no significa absoluta identidad de petita. Es suficiente que los petita sean ‚homogéneos‘. Dicho con más precisión, lo verdaderamente relevante para que opere el artículo 400.1,1 LEC es que la acción que se ejercita y la que precluye, a pesar de ser diversas en razón de su causa de pedir ‚sirvan a una misma finalidad‘, o ‚concurran a un mismo resultado o fin‘, o ‚funden una consecuencia jurídica única desde [un] punto de vista práctico o de utilidad‘.“); AAP Oviedo 62/2011, 7. Juni 2011 (n° ROJ: AAP O 459/2011), FD 3°; SAP Oviedo 303/2013, 14.Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2°. Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508; Vallines García, La preclusión en el proceso civil, p. 220 s. Eine Erstreckung der Präklusion auf homogene Anträge mit übereinstimmender Zielsetzung de lege ferenda befürwortend, aber die Bezugnahme auf das “Beantragte” als Entscheidung des spanischen Gesetzgebers gegen eine solche Erstreckung verstehend: Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 188 s.

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zu betrachten.895 Hierdurch soll die durch die Obliegenheit zur Konzentration des Tatsachen- und Rechtsvorbringens geminderte Bedeutung der causa petendi für die Begrenzung der cosa juzgada ausgeglichen werden, um so beispielsweise bei Zahlungsklagen, in denen der Klageantrag allein keinerlei Identifizierung des Streitgegenstandes erlaubt, eine klare Begrenzung des Streitgegenstandes zu ermöglichen.896 Bliebe die Ausrichtung der Definition des petitum an der verfolgten Zielrichtung hierauf beschränkt, wäre sie nicht zwingend mit einer Ausdehnung der Reichweite der cosa juzgada verbunden, stellte doch auch die beschriebene traditionelle Definition des petitum nicht allein auf den formellen Antrag ab, sondern bezog auch dessen rechtlichen Einkleidung ein. In den bislang ergangenen Entscheidungen, die auf das Kriterium der Homogenität der Anträge und Übereinstimmung der Zielrichtung abgestellt haben, kamen die Gerichte denn auch zu Ergebnissen, welche auch auf Grundlage des alten Begriffsverständnisses hätten gefunden werden können.897 Trotz der bislang bestehenden Übereinstimmung im Ergebnis ist die auf die Homogenität der Anträge und die Übereinstimmung der Zielsetzung abstellende Definition des „Beantragten“ im Grundansatz weiter gefasst als der traditionelle Begriff des petitum, indem sie sich stärker vom formellen Antrag löst und stattdessen die Ermittlung des hinter dem Antrag stehenden Ziels oder begehrten Ergebnisses unter Einbeziehung des Tatsachen- und Rechtsvorbringens erfordert. Die Entscheidungen, welche die Kriterien der Homogenität und der übereinstimmenden Zielsetzung aufgreifen, betonen, dass dieses Verständnis des „Beantragten“ ein gegenüber der völligen Identität der petita geringeres Maß an Übereinstimmung erfordert und weniger an formaler Exaktheit als an der Zusammenfassung von Anträgen aus praktischen Erwägungen und an einer flexiblen Festlegung des Streitgegenstandes im Einzelfall orientiert ist. 898 Gleichzeitig wurde in der Rechtsprechung auf Grundlage des Kriteriums der übereinstimmenden Zielrichtung vereinzelt und lediglich obiter dictum eine 895 Vallines García, La preclusión en el proceso civil, p. 222 („considerar los petita a la luz de respectivas causas de pedir“). Ähnlich auch STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6° („Para examinar si lo que en dichos escritos se pide es lo mismo [...] resulta conveniente no aislarlo de la que sea su causa.“). 896 Vallines García, La preclusión en el proceso civil, p. 222. 897 Z.B. Ablehnung eines übereinstimmenden petitum im Verhältnis des Antrags auf Rückforderung vertraglicher Leistungen wegen Insolvenz (Fall der rescisión) zum Antrag auf resolución wegen Nichterfüllung vertraglicher Pflichten (SAP Oviedo 303/2013, 14.Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2°). 898 AAP Oviedo 62/2011, 7. Juni 2011 (n° ROJ: AAP O 459/2011), FD 3°; SAP Oviedo 303/2013, 14.Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2° („una interpretación lógica del precepto debe conducir a una postura más flexible en el sentido de que las peticiones habrán de guardar cierta homogeneidad, es decir que persigan una misma finalidad“). Vgl. auch STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6° („finalidades prácticas“).

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Erstreckung der Präklusion auf Anträge bejaht, welche auf Grundlage der traditionellen Definition wohl nicht von der cosa juzgada erfasst wären.899 Dass das flexible Kriterium der übereinstimmenden Zielsetzung in künftigen Entscheidungen zur Ausdehnung der Präklusion nach Art. 400 LEC herangezogen werden könnte, erscheint daher naheliegend. Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass das Kriterium der Homogenität der Ansprüche auch bereits angewendet wurde, um die Präklusion in Konstellationen zu verneinen, in denen ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada früher unter Berufung auf das Abweichen der causa de pedir abgelehnt wurde. 900 In der Literatur wird eine Erstreckung der cosa juzgada über den tatsächlich gestellten Antrag hinaus bereits teilweise mit der Übereinstimmung der Zielsetzung begründet: Sabater Martín bejaht unter Bezugnahme auf das übereinstimmende Ziel der Anträge die Sperrung einer späteren Nachforderung bei nicht individualisierter Teilklage. 901 In dieser Konstellation könnte eine an der Zielsetzung orientierte Definition des petitum tatsächlich eine Vereinbarkeit der Rechtsprechung zu den eng verbundenen Anträgen mit dem Wortlaut des Art. 400 LEC herstellen. Allerdings haben die Gerichte bei Teilklagen bislang noch nicht auf das Kriterium der übereinstimmenden Zielrichtung zurückgegriffen. Der in der Rechtsprechung und Teilen der Literatur vertretene Ansatz, im Rahmen des Art. 400 LEC auf eine Homogenität der Anträge und eine Übereinstimmung der Zielrichtung abzustellen, ist nicht nur eine Reaktion auf die geminderte Bedeutung insbesondere des Rechtsvorbringens für die Begrenzung der cosa juzgada, er bezweckt auch eine flexiblere Festlegung der Grenzen der Präklusion im Einzelfall. Ob die Anwendung eines Kriteriums der übereinstimmenden finalidad zur Beschreibung des „Beantragten“ im Rahmen des Art. 400 LEC zu einer Ausweitung der Präklusion führen wird, bleibt allerdings abzuwarten. Wie auch bei der Ausweitung der Rechtsprechung zu eng verknüpften Anträgen zeigt sich die Tendenz, einer streng formalen Betrachtung der Grenzen der cosa juzgada flexible Ansätze entgegenzusetzen.

899 SAP Oviedo 303/2013, 14.Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2°: Eine Homogenität bestehe nicht nur zwischen dem Antrag auf Vertragsauflösung (rescisión) wegen Insolvenz und der Vertragsaufhebung (resolución) wegen Nichterfüllung vertraglicher Pflichten, sondern auch im Verhältnis zu einem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages (nulidad). 900 Z.B. in der Entscheidung STS 671/2014, 19. November 2014 (n° ROJ: STS 4840/2014), FD 7° (n° 5). 901 Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508. Ähnlich wohl auch Alfaro Valverde (Problemas sobre el objeto virtual del proceso civil, La Ley 2014, D-143, p. 1497, 1499), der eine Ausdehnung der Präklusion über das petitum hinaus strikt ablehnt (p. 1500), aber annimmt, dass Art. 400 LEC der Nachforderung nach einer Entscheidung über eine Teilbetragsklage entgegensteht (p. 1499).

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f. Zusammenfassung Das petitum bleibt damit auch unter Geltung der LEC 2000 als Grenze der cosa juzgada material anerkannt, auch wenn die Einführung des Art. 400 LEC teilweise zum Anlass genommen wird, eine Modifizierung des Begriffs des petitum vorzuschlagen. Eine Ergänzung erfährt die grundsätzliche Beschränkung der Sperrwirkung der cosa juzgada auf das geltend gemachte petitum durch die Figur der cosa juzgada implícita, mit der die Erstreckung der cosa juzgada auf das Gegenteil beschrieben wird. Während die ganz überwiegende Literatur im Übrigen an einer Begrenzung durch das tatsächlich zur Entscheidung gestellte petitum festhält, gibt die Rechtsprechung nicht nur der cosa juzgada implícita einen sehr weiten Anwendungsbereich, sie hat zudem mit der Erstreckung der cosa juzgada auf eng verknüpfte Anträge, welche im ersten Verfahren hätten geltend gemacht werden können, eine Regel geschaffen, die eine flexible Erstreckung der cosa juzgada auch über die Grenzen des zur Entscheidung gestellten Antrags hinaus ermöglicht, deren Anwendbarkeit unter geltendem Recht aber aufgrund des Wortlautes des Art. 400 LEC auch in der Rechtsprechung umstritten ist. 3. Der Anspruchsgrund: Die Relevanz der rechtlich-tatsächlichen Anspruchsbegründung Da der Antrag eine Identifizierung des Streitgegenstandes nicht in allen Fällen ermöglicht und insbesondere bei nur gattungsmäßig bestimmten Leistungsanträgen eine trennscharfe Abgrenzung kaum zulässt, ist seit jeher anerkannt, dass die eindeutige Bestimmung der Reichweite der cosa juzgada auch der Einbeziehung der Begründung des Antrags bedarf. Während Art. 1252 C.C. die causa eindeutig als Element des Gegenstandes der cosa juzgada bezeichnete, hebt Art. 222.2, I LEC mit seiner Bezugnahme allein auf den prozessualen Anspruch die Bedeutung des Anspruchsgrundes als Grenze der cosa juzgada allerdings nicht mehr gesondert hervor. Wenn aber Art. 222.2, II LEC regelt, welche Tatsachen „im Hinblick auf den Grund der geltend gemachten Ansprüche“ als neue Tatsachen anzusehen sind, so wird auch in der aktuellen Rechtskraftregelung deutlich, dass der Anspruchsbegründung für die Bestimmung der Reichweite der cosa juzgada eine gewisse Relevanz zukommt. Gleichzeitig wurde im Rahmen der LEC-Reform aber mit Art. 400 LEC eine Norm geschaffen, die eine Präklusion sämtlicher denkbarer Tatsachen und Rechtsgründe anordnet, wodurch eine Begrenzung der cosa juzgada durch die nach altem Recht sehr eng gefasste causa petendi in Frage gestellt wird. Um die Entwicklung nachvollziehen zu können, soll aber zunächst auf die frühere Rechtslage eingegangen werden.

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a. Die frühere Rechtslage: Begrenzung der „cosa juzgada“ durch die „causa de pedir“ Im Gesetzestext des früheren Art. 1252 C.C. wurde die causa ausdrücklich als zweites objektives Element des Gegenstandes der cosa juzgada neben der cosa genannt. Die causa de pedir oder causa petendi, also der Klage- oder Anspruchsgrund, bildete damit eine objektive Grenze des Streit- und Rechtskraftgegenstandes. aa. Die Definition der „causa petendi“ als objektive Grenze der „cosa juzgada“ Wie auch im Hinblick auf das petitum enthielt Art. 1252 C.C. keine Anhaltspunkte zur Bestimmung der causa de pedir, so dass die Definition der Literatur und Rechtsprechung überlassen blieb. Dabei stellte sich in Spanien wie auch in anderen Rechtsordnungen die Frage, ob der Anspruchsgrund in den der Klage bzw. dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachen zu finden ist oder ob der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts bzw. der rechtlichen Qualifizierung des geltend gemachten Rechtsverhältnisses alleinige oder zumindest ergänzende Bedeutung für die Individualisierung der causa de pedir zukommt. (1) Von der Auseinandersetzung zwischen Substantiierungs- und Individualisierungslehre zu vermittelnden Ansätzen Die in Spanien hierzu geführte Diskussion orientierte sich lange Zeit an der aus der deutschen Diskussion über die Bestimmung des Klagegrundes bekannten Auseinandersetzung zwischen Individualisierungstheorie und Substantiierungslehre.902 Eine Diskussion dieser theoretischen Ansätze bildete die Grundlage jeder wissenschaftlichen Ausführung zur causa de pedir. 903 Eine strenge

902 Vgl. zu dieser Auseinandersetzung ausführlich Robinow, Zur Lehre vom Streitgegenstand, 1934, S. 13 ff.; Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozess, 1956, S. 184 ff.; zusammenfassend in jüngerer Zeit beispielsweise Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 393 ff.; Stein/Jonas/H.Roth, ZPO, § 253 Rn. 52 f. 903 Dabei wurde zunächst ausdrücklich auf die deutschen (und in geringerem Maße italienischen) Autoren Bezug genommen (vgl. die ausführliche Auseinandersetzung mit den deutschen Autoren bei Fairén Guillén, Estudios de derecho procesal, p. 466 ss. (n° 14)), nach und nach trat der Ursprung der Theorien jedoch in den Hintergrund, so dass Individualisierungs- und Substantiierungstheorie bald ohne jeden Nachweis dargestellt und diskutiert wurden (so schon bei Gómez Orbaneja/ Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 202; Guasp, Derecho procesal civil, 1956, p. 244; in der Folge auch bei Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 414; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 665; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 210; ebenso in der heutigen Literatur: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 44, p. 52; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 71 s.).

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Individualisierungstheorie, welche das durch rechtliche Kategorien beschriebene Rechtsverhältnis als Anspruchsgrund versteht, wurde in Spanien allerdings – soweit ersichtlich – zu keinem Zeitpunkt vertreten.904 Dagegen fand die Substantiierungslehre, welche die causa petendi allein anhand des der Klage bzw. dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachenkomplexes identifiziert, insbesondere in Guasp905 einen prominenten Anhänger und auch der Tribunal Supremo ordnete seine Position häufig der Substantiierungstheorie zu. 906 Zunehmend setzte sich jedoch die Wahrnehmung durch, dass die causa de pedir durch ein isoliertes Abstellen allein auf die tatsächliche Grundlage bzw. allein auf die rechtliche Qualifizierung zumindest nicht in allen Fallkonstellationen adäquat umschrieben wurde. Die Darstellung des Theorienstreits diente daher in der Literatur bereits ab Mitte des 20. Jahrhunderts eher der Abgrenzung und Begründung vermittelnder Ansichten, ohne dass aber noch versucht wurde, diese innerhalb des Theorienstreits zwischen Substantiierungs- und Individualisierungstheorie zu verorten.907 Nach dem sich durchsetzenden Begriffsverständnis war die causa de pedir weder allein in der Gesamtheit der vorgetrage-

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Zu den vertretenen Ansichten, die das Rechtsverhältnis selbst nur in gewissen Fällen als Anspruchsgrund verstehen bzw. die rechtliche Qualifizierung nur als Teilelement der causa de pedir verstehen, sogleich ausführlicher. Vgl. zum Vorherrschen der Substantiierungstheorie in Spanien Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 72. 905 Guasp, Derecho procesal civil, 1956, p. 244: “Summe konkreter Lebensvorgänge” („Así entendido, el título de la pretensión lo constituye una suma del acaecimientos concretos de la vida que particularizan la petición del pretendiente. No basta, desde luego, con proporcionar aquellos datos que sirvan para individualizar a la pretensión dentro de las categorías jurídicas: teoría de la individualización, o del hecho jurídico, sino que es preciso que se aporten todos aquellos elementos fácticos, históricos, que, efectivamente, jueguen tal papel delimitador: teoría de la substanciación, o del hecho natural.“). Ähnlich (allerdings nur hinsichtlich der Bestimmtheit der Klage) auch Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 458 („la causa petendi queda configurada con la mera alegación de su componente fáctico, sin aducir el componente jurídico“) (im übrigen für die Anerkennung auch eines rechtlichen Elements, p. 457). Die Substantiierungstheorie im damaligen, von starker Schriftlichkeit geprägten spanischen Verfahrensrecht gegenüber der Individualisierungstheorie den Vorzug gebend: Fairén Guillén, Estudios de derecho procesal, p. 478 (n° 19), der insgesamt aber eine vermittelnde Ansicht vertritt (Tatsa chen in ihrer gesetzlichen Gestalt („hechos con su figura legal“) (p. 478, n° 19). 906 Überwiegend allerdings zur Reichweite der richterlichen Prüfungsbefugnis nach dem Grundsatz der Kongruenz der Entscheidung: STS 581/1986, 13. Oktober 1986 (n° ROJ: STS 5439/1986), FD 1°; STS 615/1987, 9. Oktober 1987 (n° ROJ: STS 8667/1987), FD 5°; STS 222/2006, 8. März 2006 (n° ROJ: STS 1060/2006), FD 2° („la doctrina de la sustanciación que sigue esta Sala en la identificación de aquella causa (causa petendi)“). 907 Vgl. Tapia Fernández, Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 210 („En la actualidad, el enconado antagonismo entre ambas teorías está totalmente superado....“).

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nen Tatsachen zu sehen, noch sollte die rechtliche Qualifizierung des Rechtsverhältnisses für sich genommen den Anspruchsgrund beschreiben. 908 Vielmehr setzt die seither entwickelte Streitgegenstandslehre zwar bei einer Definition der causa de pedir als Tatsachenkomplex an, greift aber auf die rechtliche Würdigung und Qualifizierung zurück, um den Anspruchsgrund weiter zu konkretisieren. Vielfach wird daher davon gesprochen, dass die causa de pedir durch ein tatsächliches und ein rechtliches Element gekennzeichnet sei. 909 (2) Die Definition der „causa de pedir“ im Zusammenspiel von Tatsachen und rechtlicher Qualifizierung Die Definition der causa de pedir knüpft nach allen in Spanien vertretenen Begriffsbestimmungen an einem Verständnis als zusammengehörige Gesamtheit von Tatsachen, also von Vorgängen des sozialen Lebens, an.910 Der rechtlichen Würdigung wird im Rahmen des spanischen Streitgegenstandsverständnisses zunächst insoweit eine Rolle zuerkannt, als die rechtliche Qualifizierung und Kategorisierung dazu herangezogen wird, um aus der Gesamtheit des vorgetragenen Sachverhalts die streitgegenstandsdefinierenden Tatsachen herauszuarbeiten: Die die causa de pedir bildende Tatsachengesamtheit wird nicht primär über die Zugehörigkeit der Tatsachen zu einem einheitlichen natürlichen Lebenssachverhalt bestimmt, maßgeblich ist vielmehr die Bedeutung der Tatsachen als Voraussetzung der begehrten Rechtsfolge im Rahmen eines gesetzlich umschriebenen Tatbestandes. 911 Diese Betrachtung kommt auch in der in weiten Teilen der Literatur und Rechtsprechung herangezogenen Definition der causa de pedir zum Ausdruck: Danach beschreibt die causa petendi die 908 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 666 s. („Tantos los hecho scomo el derecho carecen de todo valor en el proceso considerados aisladamente. Tan sólo en su recíproca interacción en aras a la obtención de la conescuencia jurídica adquieren relevancia procesal.“); Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. 909 Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, p. 102 („componente fáctico“, „componente jurídico“); Tapia Fernández, Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211 („... dos subelementos que componen la causa de pedir: un conjunto de hechos [...] y un conjunto de consecuencias jurídicas que derivan de tales hechos y que el ordenamiento jurídico contempla.“); Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969, n° 227, p. 420, 457 (allerdings Vorrang des tatsächlichen Elements); 910 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280 („La causa de pedir debe consistir, pues en hechos históricos, acontecimientos concretos de la vida social.“); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155 („La causa de pedir tiene que ser hechos, acontecimientos de la vida que sucedieron en un momento del tiempo...“). 911 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 666 („Unicamente tienen importancia y pueden considerarse identificadores de la acción ejercitada aquellos hechos expuestos por las partes que estén contemplados en la norma como productores de la consecuencia jurídica pretendida.“) .

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Gesamtheit der rechtlich relevanten Tatsachen, von deren Existenz eine Rechtsnorm den Eintritt der begehrten Rechtsfolge abhängig macht. 912 (a) Die rechtliche Relevanz der Tatsachen Mit der Bezugnahme auf die rechtliche Relevanz der Tatsachen bringt die Definition zum Ausdruck, dass zur Identifizierung der causa de pedir nicht sämtliche vorgetragenen Tatsachen, sondern allein die zur Begründung des Rechts oder Rechtsverhältnisses dienenden, unter die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes subsumierbaren Entstehungstatsachen beitragen. 913 Vielfach wird versucht, die rechtliche Relevanz durch die begriffliche Differenzierung zwischen akzessorischen Tatsachen einerseits und notwendigen bzw. konstitutiven Tatsachen andererseits greifbarer zu machen: Die causa petendi wird danach allein durch die notwendigen Tatsachen, welche sich unter den gesetzlichen Tatbestand subsumieren lassen, bestimmt. Hiervon abgegrenzt werden die akzessorischen oder rechtlich irrelevanten Tatsachen, welche nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören, sondern lediglich der Ergänzung und Konkretisierung des Sachverhalts dienen, weshalb ihnen allenfalls beweisrechtliche Bedeutung zukommt, sie aber ohne Einfluss auf den Streitgegenstand sind.914 Ein häufig genanntes Beispiel für diese Kategorie ist die Anwesenheit eines Dritten (und potentiellen Zeugen) beim Vertragsschluss im Rahmen einer Klage auf Erbringung einer in dem Vertrag vereinbarten Leistung. 915 Im Hinblick auf die cosa juzgada material bedeutet dies, dass bei einem Vortrag abweichender notwendiger Tatsachen in der späteren Klage eine neue causa de pedir vorliegt, wohingegen die causa de pedir unverändert bleibt und daher die

912 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 279 („conjunto de hechos jurídicamente relevante para fundar la petición“) ; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155 („hechos [...] que tengan trascendencia jurídica“); Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211 („situación de hecho jurídicament relevante y susceptible por tanto de recibir la tutela jurídica solicitada“). 913 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280 („hechos concretos jurídicamente calificablesque funden la petición formulada en la pretensión procesal“); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155 („hechos [...] que tengan trascendencia jurídica, es decir, que sean el supuesto de una norma que les confiere consecuencias jurídicas“); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 673. 914 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 184; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 673. 915 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155.

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Sperrwirkung der cosa juzgada material greift, wenn der Kläger im späteren Verfahren lediglich zusätzliche akzessorische Tatsachen vorträgt. 916 Da mit der Subsumierbarkeit unter den gesetzlichen Tatbestand letztlich noch kein über den Begriff der rechtlichen Relevanz hinausgehendes Kriterium für das Vorliegen streitgegenstandsbestimmender oder notwendiger Tatsachen formuliert ist, wird teilweise weitergehend differenziert: Um den Erfolg seiner Klage sicherzustellen, müsse der Kläger zwar Tatsachen vortragen, die sämtlichen Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes entsprechen, zur Identifizierung der causa de pedir bedürfe es aber nur eines Teils dieser notwendigen oder konstitutiven Tatsachen.917 Als sogenannte identifizierende Tatsachen sind daher nur Tatsachen anzusehen, welche das geltend gemachte Recht oder Rechtsverhältnis im konkreten Fall erkennbar machen. 918 Im Fall einer Klage auf Übergabe einer Wohnung genügt für die Identifizierung des Anspruchsgrundes beispielsweise die Behauptung, dass der Beklagte dem Kläger die Immobilie geschenkt habe, während Behauptungen zur Erfüllung des Formerfordernisses der Schenkung bzw. zur Annahme der Schenkung, obwohl auch sie sich auf Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes beziehen, nicht die causa de pedir bestimmen. Abweichendes Vorbringen zum Formerfordernis oder zur Annahme wäre daher nicht geeignet, das Entgegenstehen der cosa juzgada bei einer nochmaligen Klage auf Übergabe der Immobilie zu verhindern, da die causa petendi hierdurch nicht verändert wird. 919 (b) Das rechtliche Element der „causa de pedir“ Bei der soeben geschilderten Betrachtung der streitgegenstandsbestimmenden rechtlich relevanten Tatsachen steht das Verständnis der causa de pedir als 916 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 673. 917 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155. 918 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 155. In der Rechtsprechung scheint diese Abgrenzung den Streitgegenstand identifizierender Tatsachen von den übrigen zum gesetzlichen Tatbestand zählenden Tatsachen ebenfalls teilweise aufgegriffen zu werden, wobei hier aber Tatsachen, die sich unter den gesetzlichen Tatbestand subsumieren lassen, ohne diesen zu identifizieren, abweichend von der oben genannten Definition ebenfalls teilweise als akzessorische Tatsachen bezeichnet werden, so in der Entscheidung STS 567/1993, 3. Juni 1993 (n° ROJ: STS 3654/1993), FD 3° (verschiedene Tatsachen, welche die Nichterfüllung der Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag begründen sollten, als akzessorische Tatsachen), kritisch zu diesem Abstellen auf die Abgren zung zwischen notwendigen und akzessorischen Tatsachen: Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 223. 919 Mit diesem Beispiel Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 281.

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Tatsachengesamtheit im Vordergrund, wohingegen den Rechtsnormen und der rechtlichen Qualifizierung nur insoweit Bedeutung zukommt, als sich die Identifizierung der rechtlich relevanten Tatsachen an der gesetzlichen Vorzeichnung des Tatbestandes orientiert. Inwieweit damit das rechtliche Element der causa de pedir abschließend beschrieben ist, wird unterschiedlich bewertet. Eine weit verbreitete Ansicht in der Literatur beschränkt den Einfluss der rechtlichen Würdigung auf die causa de pedir auf das Kriterium der rechtlichen Relevanz.920 Andere benennen dagegen die rechtliche Qualifizierung (cualificación jurídica)921 bzw. die rechtlichen Gründe (fundamentos jurídicos)922 als eigenständige Komponente der Definition des Anspruchsgrundes. 923 Teilweise wird das rechtliche Element auch dahingehend konkretisiert, dass die causa de pedir durch die rechtlichen Kategorien, in die der Sachverhalt eingeordnet wird, begrenzt ist: Ändere sich diese rechtliche Kategorie, die teilweise durch den Begriff des Rechtstitels924 oder des rechtlichen Gesichtspunktes 925 beschrieben wird, liege eine neue causa de pedir vor.926 Die Rechtsprechung definierte die causa de pedir zwar zum Teil unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Substantiierungstheorie allein anhand der herangezogenen Tatsachen, dieses rein tatsächliche Verständnis der causa de pedir findet sich aber insbesondere in Entscheidungen zu den Grenzen der richterlichen Prüfungsbefugnis nach der Regel der Kongruenz. 927 Wo es um die 920 Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 279 s. So grundsätzlich auch Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 672 ss., (insbes. 674). 921 Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 65, p. 102. 922 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 72. Ebenso Gómez Calero, Revista General de Legislación y Jurisprudencia 1969 (n° 227), p. 420, 457 (allerdings für eine Vorrangigkeit des tatsächlichen Elements). 923 Trotz einer auf die Gesamtheit rechtlich relevanter Tatsachen Bezug nehmenden Definition will Montero Aroca zugestehen, dass der von den Parteien angeführten bzw. vom Gericht vorgenommenen rechtlichen Qualifizierung dann eine den Streitgegenstand begrenzende Bedeutung zukommen könne, wenn sich die vorgetragenen Tatsachen unter verschiedene Rechtsnormen subsumieren lassen (Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 154). 924 Auch diese Begrifflichkeiten sind allerdings relativ, wie die Verwendung des Begriffs des título bei Guasp zeigt, wo er letztlich als Synonym für die allein durch die tatsächlichen Lebensvorgänge bestimmte causa de pedir verwendet wird, Guasp, Derecho procesal civil, 1956, p. 244. 925 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 184; Vallines Garcia, La preclusión, p. 210. 926 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 184; Vallines Garcia, La preclusión, p. 210. 927 STS 581/1986, 13. Oktober 1986 (n° ROJ: STS 5439/1986), FD 1°; STS 615/1987, 9. Oktober 1987 (n° ROJ: STS 8667/1987), FD 5°; STS 222/2006, 8. März 2006 (n° ROJ: STS 1060/2006), FD 2°.

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Abgrenzung des Streitgegenstandes verschiedener Verfahren ging, ließ die Rechtsprechung die rechtliche Würdigung dagegen regelmäßig stärker einfließen,928 wobei sich hier vielschichtige Abstufungen zeigen. Diese reichen von einem Begriffsverständnis als Gesamtheit der rechtlich relevanten Tatsachen929, bei welchem Tatsachen und gesetzlich vorgezeichnete Rechtsfolge als Elemente der causa de pedir zusammenspielen,930 über eine Gleichsetzung der causa de pedir mit dem geltend gemachten rechtlichen Titel (título)931 hin zu einer Betrachtung, welche der angeführten rechtlichen Qualifizierung oder dem geltend gemachten Rechtsgrund auch unabhängig von einer Veränderung der Tatsachengrundlage eingrenzende Bedeutung zuschreibt.932

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Vgl. zu dieser Einschätzung Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 216 s. 929 STS 1268/1998, 31. Dezember 1998 (n° ROJ: STS 8063/1998), FD 1° („situación de hecho jurídicamente relevante y susceptible, por tanto, de recibir por parte del órgan o judicial competente, la tutela jurídica solicitada“); STS 1065/2001, 15. November 2001 (n° ROJ: STS 8927/2001), FD 1°; STS 132/2007, 9. November 2007 (n° ROJ: STS 461/2007), FD 1°. Ähnlich auch die Definition als notwendige Tatsache (STS 462/2000, 3. Mai 2000 (n° ROJ: STS 3614/2000), FD 1° („el conjunto de hechos esenciales para el logro de la consecuencia jurídica pretendida por la parte actora“)) oder rechtliche Tatsache (STS 907/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 17693/1993), FD 1° („hecho jurídico o título que sirve de base al derecho reclamado“)). 930 STS 1268/1998, 31. Dezember 1998 (n° ROJ: STS 8063/1998), FD 1° („De dicha definición se desprende la existencia de dos elementos, cuya identidad es precisa, como son a) un determinado ‚factum‘ y b) una determinada consecuencia jurídica en la que se subsanen los hechos.“); STS 132/2007, 9. November 2007 (n° ROJ: STS 461/2007), FD 1°. Die Ausrichtung der causa de pedir auf eine bestimmte Rechtsfolge wurde teilweise so weit getrieben, dass ein Greifen der cosa juzgada mit Hinweis auf ein Abweichen der causa de pedir abgelehnt wurde, obwohl an sich ohne Weiteres von einem Abweichen des petitum zur Begründung herangezogen hätte werden können, weil eine ganz andere Rechtsfolge begehrt wurde (so z.B. in den Entscheidungen STS 173/1980, 9. Mai 1980 (n° ROJ: STS 4759/1980), Considerando 2°, 3° (Feststellung der Eigentümerstellung hinsichtlich einer Grundstückshälfte im ersten Verfahren und nachfolgende Klage der vormaligen Beklagten auf Feststellung des Nichtbestehens des Kaufvertrages über das Grundstück im zweiten Verfahren); STS 290/1992, 31. März 1992 (n° ROJ: STS 2846/1992), FD 2° (im ersten Verfahren Rückgewähr des Besitzes an einer Immobilie, im zweiten Verfahren Nutzungsersatz für die rechtsgrundlose Nutzung der Immobilie)). Deutlich wird hier, dass vor Einführung der LEC 2000 der causa de pedir in vielen Fällen eine im Vergleich zum petitum größere Rolle bei der Begrenzung des Streitgegenstandes zugemessen wurde (so ausdrücklich Lois Estévez, Anuario de Derecho Civil 1955, p. 68, 71 („... tres elementos: las personas, las cosas y las causas. De los tres, el más importante es el último.“)). 931 STS 984/2000, 27. Oktober 2000 (n° ROJ: STS 7797/2000), FD 1° („título que sirve de base al derecho reclamado“). 932 STS 67/1984, 10. Februar 1984 (n° ROJ: STS 253/1984), Considerando 2° („para que dicha alteración de la ‚causa petendi‘ se produzca no es necesario siempre un hecho distinto como base de la demanda, sino que es suficiente que aún basándose la segunda acción en

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Sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung finden sich damit verschiedenste Versuche, die rechtliche Prägung der causa de pedir allgemeingültig zu erfassen. Trotz dieser definitorischen Vielfalt traten die Unterschiede in der Abgrenzung verschiedener Streitgegenstände im konkreten Einzelfall weniger deutlich zutage, als die unterschiedlichen Begriffsbestimmungen vermuten lassen. Der Grund hierfür ist darin zu finden, dass die Versuche, die causa de pedir einheitlich zu definieren, lediglich den Ausgangspunkt einer zwischen verschiedenen Anspruchs- und Klagearten differenzierenden Betrachtung bildeten. (c) Differenzierende Betrachtung des Einflusses der rechtlichen Würdigung je nach Anspruchs- und Klageart Auch wenn das neben die tatsächliche Komponente tretende rechtliche Element der causa de pedir in den soeben dargestellten Definitionsansätzen unterschiedlich ausgeprägt ist, stimmt die spanische Streitgegenstandslehre doch darin überein, dass sich das Verhältnis von tatsächlichem Sachverhalt und rechtlicher Qualifizierung bei der Bestimmung der causa de pedir nicht in allen Fällen gleich ausgestaltet, sondern je nach Klage- und Anspruchsart variiert.933 In den von der Rechtsprechung herangezogenen voneinander abweichenden Beschreibungen des Einflusses der rechtlichen Würdigung lässt sich ebenfalls eine derartige differenzierende Betrachtung erkennen. Die vorgenommene Differenzierung ist dabei stark durch aktionenrechtliches Denken geprägt. Dies zeigt sich in der Unterscheidung zwischen persönlichen Klagen (acciones personales) und Sachklagen (acciones reales), 934 bzw. el mismo hecho que la anterior (en este caso la realización de una donación de bienes inmuebles) el motivo legal en que la acción se funde sea distinto“) ; STS 588/2010, 29. September 2010 (n° ROJ: STS 5146/2010), FD 5° („La calificación jurídica alegada por las partes, aunque los hechos sean idénticos, puede ser también relevante para distinguir una acción de otra cuando la calificación comporta la delimitación del presupuesto de hecho de una u otra norma con distintos requisitos o Efectos jurídicos. Por ello la jurisprudencia alude en ocasiones al título jurídico como elemento identificador de la acción, siempre que sirva de base al derecho reclamado.“) (zur alten Rechtslage). 933 Vgl.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156 ss.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 667 ss.; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211 ss. Ähnlich de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 50, p. 59, der auf Grundlage der Unterscheidung zwischen Individualisierungs- und Substantiierungstheorie annimmt, dass in gewissen Fällen die eine Lehre, in anderen Fällen die andere Theorie zur Anwendung kommen müsse. 934 Diese aktionenrechtlich orientierte Terminologie verwendet beispielsweise Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 667 ss. Ebenso z.B. STS 929/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 6776/1993), FD 1°.

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der Differenzierung danach, ob in der Klage obligatorische oder dingliche Rechte geltend gemacht werden.935 Bei auf obligatorische Rechte gestützten Klagen936 wird die causa de pedir in den konkreten (rechtlich relevanten) Tatsachen gesehen, aus denen sich die Verbindlichkeit herleitet. 937 Nur eine Bezugnahme auf den historischen Sachverhalt ermögliche hier die trennscharfe Bestimmung des Anspruchsgrundes: Der abstrakte rechtliche Titel (z.B. der Anspruch auf Kaufpreiszahlung oder der Darlehensrückzahlungsanspruch) lasse zwar eine gewisse grobe Abgrenzung verschiedener Streitgegenstände zu. Haben aber die Parteien beispielsweise verschiedene Kaufverträge geschlossen, könne der Anspruchsgrund einer Kaufpreiszahlungsklage nur unter Heranziehung der konkreten, die Umstände des Vertragsschlusses, den Gegenstand des Vertrages und das Ausbleiben der Kaufpreiszahlung beschreibenden Sachverhaltes identifiziert werden.938 Dabei kommt regelmäßig die oben bereits beschriebene Unterscheidung zwischen konstitutiven und akzessorischen Tatsachen zur Anwendung. 939 So 935 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156 („derecho de obligación“, „derecho real“); Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 281 s. („derecho de obligación“, “derecho real“); Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211 s. („derechos obligacionales“, „derechos absolutos o reales“). 936 Die Bestimmung der causa de pedir anhand der konkreten Tatsachen erfolgt nicht nur bei Leistungsklagen, sondern auch bei positiven Feststellungsklagen, Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 157; Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 283. 937 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156 („los hechos concretos que dan lugar al nacimiento del derecho subjetivo“); Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 281 („los hechos concretos que dan lugar al nacimiento y adquisición de ese derecho“); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 668 s.; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. Die Relevanz des tatsächlichen Vorbringens für die Eingrenzung des Streitgegenstandes bei auf persönliche bzw. obligatorische Rechte gestützten Klagen hervorhebend: STS 1268/1998, 31. Dezember 1998 (n° ROJ: STS 8063/1998), FD 1°; STS 462/2000, 3. Mai 2000 (n° ROJ: STS 3614/2000), FD 1°; STS 606/2000, 19. Juni 2000 (n° ROJ: STS 5010/2000), FD 3°. Zur besonderen Bedeutung des zeitlichen Faktors und damit der Änderung der zugrunde liegenden Tatsachen bei persönlichen Rechten: STS 1166/1997, 24. Dezember 1997 (n° ROJ: STS 7992/1997), FD 2° („que el elemento temporal repercute en la delimitación del objeto del proceso, sobre todo en las acciones fundadas en un derecho personal, en las que, dado su carácter ocasional, el cambio de los parámetros temporales identifica una relación jurídica diversa“); STS 132/2007, 9. November 2007 (n° ROJ: STS 461/2007), FD 1°. 938 Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 281; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. 939 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 669.

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wurde das Vorliegen unterschiedlicher causas de pedir im Verhältnis zwischen vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Ansprüchen mit dem Abweichen der notwendigen Tatsachen (Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Kausalverhältnisses) begründet. 940 Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung soll die Konstellation der Anspruchskonkurrenz im Anschluss gesondert dargestellt werden. Ist damit bei Klagen aus obligatorischen Rechten der herangezogene (rechtliche relevante) Sachverhalt maßgeblich für die Bestimmung des Anspruchsgrundes, steht bei dinglichen Rechten das Recht im Vordergrund: Aus der absoluten Wirkung der dinglichen Rechte wird hergeleitet, dass im Fall einer auf ein solches Recht gestützten Klage das geltend gemachte sachenrechtliche Rechtsverhältnis selbst die causa de pedir bildet. 941 Die Inhaberschaft des dinglichen Rechts bestehe unabhängig von der Art und Weise des Erwerbs der Rechtsposition, weshalb die der Erlangung der Rechtsposition zugrunde liegenden Tatsachen für die Bestimmung des Streitgegenstandes unmaßgeblich seien. 942 Bei einer auf das Eigentum an einer Sache gestützten Klage ist die causa also in der Eigentümerstellung an der konkreten Sache zu sehen, wohingegen die einzelnen denkbaren Tatbestände des Eigentumserwerbs trotz tatsächlicher Abweichung keine gesonderten Anspruchsgründe bilden. 943 Auch 940

So z.B. STS 307/1982, 25. Juni 1982 (n° ROJ: STS 71/1982) Considerando 3°; PrietoCastro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 181, p. 207. 941 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 203; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 667; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. Ebenso weite Teile der Rechtsprechung: STS 311/1968, 20. April 1968 (n° ROJ: STS 2066/1968), Considerando único („en ambos casos la razón, causa o fundamento de la petición – entrega de la finca reclamada – consistía en la propiedad que dice tener quien ahora recurre, al margen de los medios o procedimientos con los que la hubiese adquirido“) ; STS 929/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 6776/1993), FD 1° („... y en consecuencia basta con la alegación del derecho sobre una determinada cosa, para que se integre el objeto del proceso“) ; STS 450/2006, 8. Mai 2006 (n° ROJ: STS 2867/2006), FD 2° („Se da perfecta identidad entre las partes, demandante y demandada, las cosas objeto de las acciones son las mismas fincas, las acciones son la misma reivindicatoria y la causa petendi, por más que se intente disfrazar, es la misma, la declaración de ineficacia traslativa del negocio de adquisición del dominio de dichas fincas, sea por ser negocio jurídico simulado, sea por ser negocio fiduciario.“). 942 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 203; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156 („el hecho determinante de la adquisición del derecho no haca a la causa de pedir“); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 667 s.; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. So auch Teile der Rechtsprechung: STS 311/1968, 20. April 1968 (n° ROJ: STS 2066/1968), Considerando 1°; STS 929/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 6776/1993), FD 1°. 943 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 203; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156; Tapia Fernández, in:

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wenn die Rechtsprechung die causa de pedir bei absoluten Rechten überwiegend in gleicher Weise bestimmte, finden sich auch Entscheidungen, in denen der Tribunal Supremo eine feingliedrigere Abgrenzung der Anspruchsgründe vornahm und jeden das absolute Recht begründenden abstrakten Erwerbstatbestand als gesonderte causa de pedir betrachtete. 944 Die überwiegend vorgenommene Identifizierung der causa de pedir mit dem Rechtsverhältnis selbst als causa de pedir gilt sowohl, wenn es sich um eine Leistungsklage, als auch wenn es sich um eine (positive) Feststellungsklage handelt.945 Die Eigentümerstellung bildet daher nicht nur im Fall einer Klage auf Feststellung des Eigentums an der Sache, sondern auch bei einer auf das Eigentum gestützten Herausgabeklage (acción reivindicatoria) den Anspruchsgrund:946 Klagte der im ersten Verfahren abgewiesene Kläger daher erneut auf die Herausgabe der Sache und begründete er dabei sein Eigentum nicht mehr mit einem erbrechtli-

Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. Ebenso: STS 311/1968, 20. April 1968 (n° ROJ: STS 2066/1968), Considerando 1°; STS 929/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 6776/1993), FD 1°; STS 139/1998, 17, Februar 1998 (n° ROJ: STS 1055/1998), FD 1°. 944 So z.B. STS 92/1984, 17. Februar 1984 (n° ROJ: STS 279/1984), Considerando 2 ° („una cosa es pedir una atribución de dominio con base en entender se dan las circunstancias que lo determinan, una situación posesoria amparada por una concreta norma legal – la expresada del Real Decreto de 1 de diciembre de 1923 – , [...] y otra el solicitar aquella atribución de dominio con base en la simple acción del tiempo, por vía de la prescripció n adquisitiva“). 945 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156 s.; Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 281. 946 Dass sich petitum und causa de pedir bei absoluten Rechten überlagern, wie dies in der Rechtsprechung (STS 929/1993, 11. Oktober 1993 (n° ROJ: STS 6776/1993), FD 1°: „Cuando de acciones reales se trate, la distinción entre el ‹petitum› y la ‹causa de pedir› se sobrepone ...“) und Literatur (Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 667 s.) zum Teil vertreten wurde, erscheint im Hinblick auf die Feststellungsklage nachvollziehbar, dagegen geht das petitum beispielsweise bei einer Herausgabeklage über die bloße Feststellung der Eigentumsposition hinaus. Dass Eigentumsfeststellungs- und Herausgabeklage einen übereinstimmenden Streitgegenstand besitzen, soll hiermit wohl auch nicht zum Ausdruck gebracht werden, sondern vielmehr lediglich die fehlende Bedeutung des den Rechtserwerb begründenden tatsächlichen Sachverhalts hervorgehoben werden (vgl. z.B. die soeben zitierte Entscheidung STS 929/1993, die im unmittelbaren Anschluss an die Feststellung der sich bei absoluten Rechten erübrigenden Unterscheidung zwischen petitum und causa de pedir diese Aussage konkretisiert: „... y en consecuencia basta con la alegación del derecho sobre una determinada cosa, para que se integre el objeto del proceso, sin que sea necesaria la alegación de los hechos de los que se deriva dicho derecho absoluto.“ (FD 1°)).

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chen Erwerb im Wege der Universalsukzession, sondern mit der Ersitzung (usucapión), stand seiner Klage die cosa juzgada material des im ersten Verfahren ergangenen Urteils entgegen. 947 In dieser differenzierten Betrachtung des Anspruchsgrundes bei obligatorischen und dinglichen Rechten zeigt sich deutlich das Fortdauern aktionenrechtlichen Denkens mit der Unterscheidung zwischen actiones in personam und actiones in rem. Die Differenzierung nach der Art des geltend gemachten Rechts kommt insbesondere bei Leistungs- und (positiven) Feststellungsklagen zum Tragen. Eigenen Regeln folgt dagegen die Abgrenzung der Anspruchsgründe bei Gestaltungsklagen. Bei diesen wird überwiegend der jeweils herangezogene gesetzlich beschriebene Rechtsgrund (causa legal/motivo legal) bzw. die im Gesetz enthaltene abstrakte Beschreibung der den Rechtsgrund bildenden Tatsachen als causa de pedir verstanden.948 Teilweise wird auch formuliert, die causa de pedir liege hier in der Gesamtheit der konkreten Tatsachen, die sich unter den jeweiligen Rechtsgrund subsumieren lassen, ohne dass damit aber Abweichungen im Ergebnis verbunden wären. 949 Diese stark am jeweiligen Rechtsgrund ausgerichtete Lösung kommt sowohl im Fall der auf eine Begründung oder Änderung eines Rechtszustandes gerichteten Gestaltungsentscheidung 950 als auch bei den praktisch noch bedeutsameren Fällen der auf die Aufhebung oder

947 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 668; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 211. 948 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 203 („motivo legal“); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 670 („causa legal que autoriza el cambio jurídico“, „hechos abstractos reflejados en la causa legal en que la demanda se funda“); Tapia Fernández, Efectos objetivos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 212 („concreta causa legal“). Ähnlich auch STS 716/2011, 21. Oktober 2011 (N° ROJ: STS 7045/2011), FD 4° C) (zum alten Recht) (Heranziehung des jeweiligen título jurídico zur Abgrenzung der verschiedenen Streitgegenstände; dabei wird darauf abgestellt, ob der Tatbestand, also die abstrakt beschriebenen tatsächlichen Voraussetzungen der beiden Aufhebungsgründe, voneinander abweichen). 949 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 158 („conjunto de los hechos de los que la ley hace derivar el derecho a crear o modificar“), vgl. p. 157 („la causa de pedir no sería propiamente el conjunto de hechos afirmado por el actor, sino la causa tal y como se enuncia en la ley“). 950 Als Beispiel wird hier die richterliche Begründung eines Wegerechts nach Art. 564 C.C. genannt, bei dem der gesetzliche Tatbestand eines von anderen Grundstücken völlig umschlossenen Grundstücks ohne Zugang zu einer öffentlichen Straße auch die causa de pedir darstellt, Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 284.

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Auflösung eines Rechtszustandes gerichteten Gestaltungsklagen zur Anwendung. Gerade in den letztgenannten Fällen sieht das Gesetz häufig verschiedene rechtliche Tatbestände für die Aufhebung oder Auflösung vor, so dass hier die Begrenzung durch den jeweiligen Rechtsgrund besonders deutlich wird. 951 Dieser Kategorie unterfallen auch die praktisch bedeutsamen Fälle der nachträglichen Vernichtung oder Auflösung von Rechtsverhältnissen in ihren verschiedenen teils ex tunc, teils ex nunc wirkenden, im Código Civil terminologisch nicht klar bestimmten Formen der Annullierung (anulación) und Aufhebung (resolución, revocación, rescisión). 952 Die gerichtliche Annullierung bzw. Aufhebung von Rechtsverhältnissen zählt zu den Gestaltungsurteilen. 953 Hier stellt nicht nur jede Art der Lösung vom Vertrag (anulación, resolución, rescisión) einen gesonderten Streitgegenstand dar,954 vielmehr verstand die

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Verschiedene causas de pedir bildeten daher bei Scheidungsklagen die verschiedenen Scheidungsgründe alten Rechts oder die Gründe für eine gerichtliche Anordnung des Getrenntlebens (separación), wie Ehebruch oder körperliche Misshandlung, vgl. Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 203; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 670; die konkret zur Stützung des jeweiligen Scheidungs- oder Trennungsgrundes vorgetragenen Tatsachen bewirkten dagegen keine weitere Begrenzung der causa de pedir, vielmehr waren sämtliche unter diesen Scheidungs- oder Trennungsgrund subsumierbare Tatsachen zu einer einheitlichen causa de pedir zu rechnen (die Behauptung eines anderen Fall des Ehebruchs verhinderte daher nicht das Greifen der cosa juzgada material eines zuvor ergangenen Urteils über eine erste, auf Ehebruch gestützte Scheidungsklage), Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 670. 952 Die Terminologie des Código Civil sowie deren uneinheitliche Anwendung in Rechtsprechung und Literatur erschweren im Hinblick auf die nachträglich herbeizuführende Vernichtung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen eine klare Kategorisierung (so auch Albaladejo, Derecho civil II – Derecho de obligaciones, § 79, p. 480). Wenn z.B. Art. 1265 C.C. z.B. bei Willensmängeln von der Nichtigkeit des Vertrages spricht, ist darin keine anfängliche, sondern eine relative Nichtigkeit (nulidad relativa/ impugnabilidad/ anulabilidad), bei der die Vernichtung des Rechtsverhältnisses erst durch die auf Antrag der betroffenen Vertragspartei erfolgte Annullierung bewirkt wird, die aber dann ex tunc wirkt (Albaladejo, Derecho civil II – Derecho de obligaciones, § 79, p.476 ss.). Resolución, revocación und rescisión bezeichnen in der Regel eine ex nunc wirkende Aufhebung, was aber in der Rechtsprechung auch immer wieder relativiert wird (STS 681/1998, 10. Juli 1998 (n° ROJ: STS 4648/1998), FD 3°; gegen eine in allen Fällen einheitliche Beantwortung der Frage, ob die resolución ex tunc oder ex nunc wirke, auch STS 763/2013, 22. April 2014 (n° ROJ: STS 2087/2014), FD 3°). Letztlich empfiehlt es sich, die jeweils zur Anwendung kommende Auflösungsnorm für sich genommen auf ihre Wirkungsweise hin zu untersuchen (so auch Albaladejo, Derecho civil II – Derecho de obligaciones, § 79, p. 480). 953 Vgl. Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 70 A d), p. 110. 954 Wie bereits in der Darstellung des petitum ausgeführt wurde, schwankte insbesondere die Rechtsprechung, ob dieses Abweichen des Streitgegenstandes mit einem Abweichen des petitum oder der causa de pedir zu begründen sei (für Abweichen der causa de pedir bei-

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herrschende spanische Streitgegenstandslehre – mit Ausnahme einzelner, früher Entscheidungen der Rechtsprechung955 – jeden Annullierungs- oder Aufhebungsgrund als gesonderte causa de pedir.956 Eine Zusammenfassung verschiedener Rechtsgründe nach Art des jeweiligen Mangels (z.B. aller Willensmängel zu einer Kategorie), wie sie in Frankreich vorgenommen wird, findet sich in der spanischen Streitgegenstandslehre nicht. Die Abgrenzung verschiedener Streitgegenstände nach dem Rechtsgrund hat zur Folge, dass der Kläger beispielsweise die Annullierung eines bestimmten Vertrages zunächst wegen Irrtums verlangen konnte, ohne durch die cosa juzgada material der ergangenen Entscheidung darin gehindert gewesen zu sein, die Annullierung später unter Berufung auf eine arglistige Täuschung nochmals einzufordern. 957 Dagegen war es ihm nach überwiegendem Verständnis verwehrt, die spätere Klage nochmals auf die Behauptung eines Irrtums zu stützen, auch wenn zur Begründung dieses Irrtums andere – im Erstverfahren bereits bekannte – Tatsachen herangezogen wurden.958 Eine in der jüngeren Literatur vertretene Mindermeinung stellt stärker auf die vorgetragene konkrete Tatsachengrundlage ab und

spielsweise: STS 588/2010, 29. September 2010 (n° ROJ: STS 5146/2010), FD 5° („la acción de resolución por incumplimiento y la acción de nu lidad se fundan en distinta causa petendi [causa de pedir].“)). 955 Ein Greifen der cosa juzgada in einem Fall bejahend, in dem die Klage auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit zunächst auf die Rechtswidrigkeit des Vertragsgegenstandes und in der späteren Klage dann auf einen Formfehler gestützt wurde: STS 83/1965, 6. Februar 1965 (n° ROJ: STS 95/1965), Considerando 1°. 956 Gómez Orbaneja/Herce Quemada, Derecho procesal civil I, p. 203; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 670; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 213. Ebenso: STS 716/2011, 21. Oktober 2011 (N° ROJ: STS 7045/2011), FD 4° C) (zum alten Recht) (Klage auf Vertragsauflösung (resolución), im ersten Verfahren gestützt auf Nichterfüllung, im zweiten Verfahren auf eine Vertragsaufhebungsklausel). 957 Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 212 s. (die verschiedenen Annullierungsgründe des Irrtums (error), der arglistigen Täuschung (dolo), der Gewalt (violencia), der Drohung (intimidación) als verschiedene causas de pedir). 958 Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 213 (unter Anwendung der Regel, wonach die cosa juzgada, das Vorgetragene (lo deducido) und das Vortragbare (lo deducible) erfasse). Ebenso hinsichtlich verschiedener Aufhebungsgründe: STS 567/1993, 3. Juni 1993 (n° ROJ: STS 3654/1993), FD 3° (am Beispiel zweier aufeinander folgender Klagen auf Aufhebung (resolución) eines Kaufvertrages wegen Nichterfüllung (incumplimiento), bei denen die Nichterfüllung jeweils auf einen unterschiedlichen Tatsachenvortrag gestützt wurde; die abweichenden Tatsachen wurden als akzessorisch angesehen); Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 670 (am Beispiel der Auflösung eines Gesellschaftsvertrages).

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differenziert innerhalb des jeweiligen Rechtsgrundes noch weiter nach den jeweils zur Stützung des Rechtsgrundes vorgetragenen Tatsachen, 959 wodurch eine noch feinere Unterteilung des Streitgegenstandes bei Gestaltungsklagen bewirkt wird.960 Ein am jeweils herangezogenen Rechtsgrund ausgerichtetes Verständnis der causa de pedir, wie es die herrschende Meinung bei Gestaltungsklagen heranzieht, kommt auch bei negativen Feststellungsklagen bzw. -urteilen zur Anwendung. Bei Klagen auf Feststellung der (absoluten oder anfänglichen) Nichtigkeit eines Rechtsverhältnisses wird die causa de pedir daher mit dem gesetzlich vorgezeichneten Tatbestand des jeweils geltend gemachten absoluten Nichtigkeitsgrunds identifiziert 961 und so ein Gleichlauf mit den auf Auflösung von Rechtsverhältnissen gerichteten Gestaltungsklagen hergestellt. 962 Literatur und Rechtsprechung bestimmen die causa de pedir damit nicht einheitlich, sondern ziehen je nach Klage- und Anspruchsart mal den konkreten tatsächlichen Sachverhalt, mal das geltend gemachte Rechtsverhältnis oder den abstrakt umschriebenen Rechtsgrund heran. Auch wenn die Konstellationen im Einzelnen weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur völlig einheitlich gelöst werden, kann die nach Klage- und Anspruchsarten differenzierende Betrachtung des Einflusses von tatsächlichem Sachverhalt und rechtlicher Qualifizierung auf den Streitgegenstand doch als herrschend bezeichnet werden.

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So Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 284 („no se trata solo de distinguir causas legales, sino de que, dentro de cada una de éstas, cada hecho concreto suficiente para sustentarla constituya una causa de pedir distinta“). 960 Nach dieser Betrachtungsweise bildet bei einer auf den Willensmangel des Irrtums gestützten Klage auf Annullierung des Vertrages nicht die Gesamtheit aller unter d ie Kategorie des Annullierungsgrundes des Irrtums subsumierbaren Tatsachenkonstellationen die causa de pedir, sondern vielmehr die einen konkreten Irrtum im Einzelfall begründenden Tatsachen (Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 284), mit der Folge, dass – vor Einführung des Art. 400 LEC – ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada auch dann vermieden hätte werden können, wenn eine spätere Klage auf Annullierung desselben Vertrages auf andere Tatsachen gestützt wurde, die sich wiederum unter denselben Annullierungsgrund (z.B. des Irrtums) subsumieren ließen. 961 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 157 (am Beispiel der Feststellung der Nichtigkeit der Ehe) zum Streitgegenstand, aber mit Hinweis auf die hinsichtlich der Reichweite der cosa juzgada heute abweichende Lösung des Art. 400 LEC. Vgl. auch STS 67/1984, 10. Februar 1984 (n° ROJ: STS 253/1984), Considerando 2°, 3° (Feststellung der Nichtigkeit einer Schenkung wegen inoficiosidad (Übermaß der Schenkung im Verhältnis zum Erbteil) im ersten Verfahren, wegen fehlender Annahme der Schenkung im späteren Verfahren); STS 863/2003, 24. September 2003 (n° ROJ: STS 5708/2003), FD 2° (Nichtigkeit wegen Formfehlers im ersten Verfahren, im zweiten Verfahren wegen Vorliegens eines Scheingeschäfts). 962 Auf diesen Gleichlauf ausdrücklich hinweisend Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 158.

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Auch wenn diese Differenzierung teils als Wechsel zwischen Individualisierungs- und Substantiierungstheorie je nach Anspruchs- und Klageart verstanden wird,963 während andere hierin die Anwendung der Definition der rechtlich relevanten Tatsachen mit einem jeweils variierenden Maß der Ausrichtung der rechtlichen Relevanz an spezifischen Rechtsnormen sehen 964, führt die differenzierende Betrachtung doch insgesamt zu einer deutlichen Relativierung der zwischen den verschiedenen abstrakten Definitionsversuchen bestehenden Unterschiede. Deutlich wird, dass der Streitgegenstand und damit nach früherer Rechtslage auch der Rechtskraftgegenstand bei absoluten Rechten überwiegend recht weit gefasst wird, bei Gestaltungsklagen und -urteilen durch das feingliedrige Abstellen auf den jeweiligen Rechtsgrund dagegen sehr eng begrenzt wird. (d) Die „causa de pedir“ bei Gesetzes- und Anspruchskonkurrenz Besondere Bedeutung hat das Verhältnis von tatsächlichem Sachverhalt und rechtlicher Qualifizierung im Fall von Konkurrenzverhältnissen, in denen sich die begehrte Rechtsfolge aus verschiedenen materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen ergibt und auch obligatorische und reale Rechte aufeinandertreffen können (so z.B. im Verhältnis zwischen der Revindikation (reivindicación) und vertraglichen Herausgabeansprüchen). Dabei war es in der spanischen Streitgegenstandslehre üblich, in Fällen konkurrierender Anspruchsgrundlagen dem materiellrechtlichen Konkurrenzverhältnis auch Bedeutung im Hinblick auf die Begrenzung des Streit- und Rechtskraftgegenstandes zuzumessen. 965 Unterschieden wurde dabei zwischen Gesetzeskonkurrenz (concurso de leyes) und Aktionenkonkurrenz (concurso de acciones): 966 Während die verschiedenen Rechtsgrundlagen im Fall der Gesetzeskonkurrenz eine einheitliche causa de pedir bilden sollten mit der Folge, dass das Vorbringen einer zuvor nicht 963

Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 206 (Individualisierungstheorie bei Gestaltungsklagen); ähnlich auch de la Oliva Santos, wenn er annimmt, dass bei der differenzierenden Betrachtung der causa de pedir in den einzelnen Fallgestaltungen mal die eine, mal die andere Theorie zur Anwendung kommt („unas veces con mejor apoyo en una teoría y en otras ocaciones, sobre la base de la teoría contraria“, de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 50, p. 57). 964 So Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 281 ss.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 156 ss. 965 Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 181, p. 206 s.; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 409 s.; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 678 ss. 966 Grundlegend zur stark durch die deutsche Dogmatik beeinflussten Unterscheidung zwischen Gesetzes- und Aktionenkonkurrenz in Spanien Gómez Orbaneja, Concurso de leyes y concurso de acciones en Derecho civil, Revista de Derecho Privado 1946, p. 705 ss. (mit ausführlicher Auseinandersetzung mit den Ansätzen der deutschen Autoren Hellwig, Lent, Schmidt, Dietz).

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herangezogenen Rechtsgrundlage ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada nicht verhinderte, ging man bei Aktionenkonkurrenz von einer Mehrheit von Streitgegenständen aus und bejahte entsprechend nach früherer Rechtslage die Zulässigkeit einer späteren Klage unter Berufung auf den konkurrierende Anspruch.967 Gesetzes- und Aktionenkonkurrenz wurden jedoch nicht einheitlich definiert. So beschrieben einige Autoren die Gesetzeskonkurrenz als den Fall, in dem die begehrte Rechtsfolge aus verschiedenen Rechtsnormen mit übereinstimmenden tatbestandlichen Voraussetzungen hergeleitet werden könne, wohingegen der Tatbestand bei der Aktionenkonkurrenz nicht vollständig übereinstimme. 968 Andere stellten der Abgrenzung Gomez Orbanejas969 folgend darauf ab, ob die eine Norm die Anwendung der anderen ausschließt, wobei bei einem Ausschluss Gesetzeskonkurrenz, anderenfalls Aktionenkonkurrenz vorliegen sollte. 970 Angesichts der unterschiedlichen Definitionen überrascht es nicht, dass auch die verschiedenen Konkurrenzfälle nicht immer einheitlich der einen oder anderen Konkurrenzkategorie zugeordnet wurden. Deutlich zeigte sich dies an der umstrittenen Einordnung des Verhältnisses von vertraglicher und deliktischer Schadensersatzhaftung. Teilweise wurde hierin ein Fall der Gesetzeskonkurrenz gesehen, so dass vertragliche und deliktische Haftung eine einheitliche causa de pedir bildeten.971 Dagegen lag nach herrschender Ansicht Aktionenkonkurrenz und damit eine Verschiedenheit von Anspruchsgründen vor.972 Der Kläger, der mit seiner auf einen vertraglichen Anspruch gestützten Schadensersatzklage gescheitert war, konnte danach denselben Schaden später nochmals unter Berufung auf die deliktische

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Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 181, p. 206 s.; Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 409; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 678 s. 968 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 678 („supuestos de concurso de leyes: una misma consecuencia jurídica puede ser obtenida partiendo de diversas normas que contemplan presupuestos idénticos; y de concurso de acciones: la misma conescuencia jurídica práctica se deriva de hechos parcialmente distintos.“). 969 Gómez Orbaneja, Revista de Derecho Privado 1946, p. 705, 715 („... la aplicación de una norma no excluye la otra, y entonces no hay concurso de normas – ni de supuestos abstractos, ni de efectos –: concurso de acciones. [...] la derogación de una norma y, por tanto, su inaplicación, por la concurrencia de la otra, bien por su especialidad, bien por su subsidaridad: concurso de leyes.“). 970 Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 409 („Si la aplicación de una norma excluye la de otra, aunque sea subsidiariamente, existe concurso de leyes. En caso contrario, nos encontramos ante concurso de acciones.“). 971 So Prieto-Castro Ferrándiz, Derecho procesal civil, n° 181, p. 207. 972 Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 410; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 679 s.

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Haftung einfordern.973 Dieses auf die Einordnung als Fall der Aktionenkonkurrenz gestützte Ergebnis wurde allerdings teilweise auch als schlichte Anwendung der oben bereits dargestellten herrschenden Definition der causa de pedir als Gesamtheit der rechtlich relevanten Tatsachen verstanden, da zur Stützung des vertraglichen Anspruchs unerlässlich die Existenz eines Vertrages vorzutragen ist und daher die Gesamtheit der notwendigen Tatsachen gegenüber der deliktischen Haftung abwichen.974 Dass einige Autoren die Einordnung in die Kategorien der Gesetzes- bzw. Aktionenkonkurrenz letztlich nur als einen ersten Schritt einer Eingrenzung des Anspruchsgrundes verstanden und letztlich die Übereinstimmung der an den Tatbestandsvoraussetzungen der materiellrechtlichen Haftungsnormen ausgerichteten rechtlich relevanten Tatsachen als maßgebliches Kriterium ansahen, wird bei der Beurteilung des umgekehrten Falls deutlich, in dem der gerichtlichen Verneinung der deliktischen Haftung im ersten Verfahren eine auf die vertragliche Haftung gestützte Schadensersatzklage folgte. Hier wurde teilweise ein Greifen der cosa juzgada mit der Begründung bejaht, der Tatbestand der deliktischen Haftung sei viel weiter gefasst als bei der vertraglichen Haftung. 975 Ausschlaggebend war bei dieser Beurteilung also nicht das formale Konkurrenzverhältnis, sondern die Erwägung, dass die Abweisung des weiter gefassten deliktischen Haftungstatbestandes eine Berufung auf die tatbestandlich teilweise übereinstimmende, aber engere vertragliche Haftung ausschloss. 976 In der Rechtsprechung wurde die Reichweite der Sperrwirkung der cosa juzgada im Verhältnis der vertraglichen zur deliktischen Haftung ohne Rückgriff auf eine abstrakte Bestimmung des materiellrechtlichen Konkurrenzverhältnisses behandelt. Die cosa juzgada der vorangegangenen Entscheidung, in welcher das Gericht allein die vertragliche bzw. allein die deliktische Haftung geprüft hatte, stand nach Ansicht der Rechtsprechung der späteren, auf die andere Haftungsgrundlage gestützten Schadensersatzklage wegen Abweichens der

973 Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 410; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 680. Der Verneinung eines Greifens der Sperrwirkung der cosa juzgada zustimmend auch Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 218. 974 So Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 680 („... los hechos esenciales que conducen a dicha consecuencia jurídica uniforme son distintos en la culpa contractual y en la extracontractual.“). 975 Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 410. Ein Greifen der cosa juzgada in dieser Konstellation zumindest in Erwägung ziehend auch Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 680. 976 Vgl. Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 410 („... son distintos los presupuestos de una y otra acción: contrato, daño, culpa y prescripción de quince años en un caso; daño, culpa, prescripción de un año, en el otro. De suyo parece más amplia la responsabilidad extracontractual“).

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causa de pedir nicht entgegen,977 unabhängig davon, ob zuerst die vertragliche oder die weiter gefasste deliktische Haftung Gegenstand einer Entscheidung gewesen war.978 Die Verschiedenheit der causa de pedir wurde allerdings meist ohne nähere Erklärung bejaht,979 so dass unklar blieb, ob bei der Annahme der Streitgegenstandsverschiedenheit die unterschiedlichen tatsächlichen Voraussetzungen der beiden Haftungstatbestände oder die schlichte Abweichung der materiellrechtlichen Anspruchsnormen ausschlaggebend waren. Eine Mehrheit von Anspruchsgründen und Streitgegenständen bejahte der Tribunal Supremo allerdings nicht in allen seinen Entscheidungen. 980 Im Hinblick auf die cosa juzgada wurden die vertragliche und die deliktische Haftung aber sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung mehrheitlich als voneinander abweichende Anspruchsgründe eingeordnet, auch wenn dieses Ergebnis nicht immer einheitlich begründet wurde. Deutlich wird am Beispiel konkurrierender Anspruchsgrundlagen aber, dass die causa 977

STS 382/1972, 30. Juni 1972 (n° ROJ: STS 3109/1972), Considerando 1°; STS 596/1996, 12. Juli 1996 (n° ROJ: STS 4322/1996), FD 3°; STS 380/2004, 6. Mai 2004 (n° ROJ: STS 3077/2004), FD 2° (Verhältnis zwischen zehnjähriger werkvertraglicher Haftung für mangelbedingte Zerstörung eines Bauwerkes (responsabilidad decenal, Art. 1591 CC) und deliktischer Haftung (Art. 1902 CC), zur Rechtshängigkeit). Vgl. auch m.w.N. Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 218. 978 Die deliktische Haftung war beispielsweise im der Entscheidung STS 382/1972 (30. Juni 1972 (n° ROJ: STS 3109/1972)) zugrundeliegenden Fall Gegenstand des früheren Verfahrens gewesen. 979 Vgl. STS 382/1972, 30. Juni 1972 (n° ROJ: STS 3109/1972), Considerando 1°: „... porque basta, un somero examen del pleito anterior para, comparando la acción allí ejercitada, en la que se instaba una condena de daños y perjuicios derivada de culpa extra -contractual, con la que es base del presente que solicita una condena derivada del contrato de seguro, concluir que no se da la identidad de causa "petendi" exigida por el artículo 1.252 del Código Civil.“ 980 Insbesondere bei der Beurteilung, ob das Kongruenzgebot gewahrt wurde, das es dem Gericht verbietet, in seiner Entscheidung über den geltend gemachten Streitgegenstand hinauszugehen, schwankte das höchste spanische Gericht fortwährend zwischen der Annahme einer Einheitlichkeit des Streitgegenstandes und der Unterteilung in verschiedene causas de pedir: In einigen Entscheidungen wurde angenommen, der Richter könne ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Kongruenz statt der geltend gemachten vertraglichen auch die deliktische Haftung prüfen, da es sich um eine einheitliche zivilrechtliche Haftung (unidad de culpa) handele und das Rechtsvorbringen die causa de pedir nicht begrenze (STS 481/1996, 15. Juni 1996 (n° ROJ: STS 3663/1996), FD 5°, 6°; STS 108/1997, 18. Februar (n° ROJ: STS 1089/1997), FD 6° (hier auch Annahme von Gesetzeskonkurrenz (concurso de normas); STS 280/1999, 8. April 1999 (n° ROJ: STS 2368/1999), FD 1°). In anderen Urteilen stellte der Tribunal Supremo dagegen den Schutz der Verteidigungsrechte des Beklagten in den Vordergrund (STS 288/2004, 7. April 2004 (n° ROJ: STS 2402/2004), FD 2° (indefensión)) und sprach sich dafür aus, dass der Richter nur die jeweils vorgetragene Rechtsgrundlage prüfen dürfe (so z.B. STS, 18. Oktober 1995 (n° de recurso: 1245/1992, n° ROJ: STS 5138/1995), FD 1°; STS 195/1996, 11. März 1996 (n° ROJ: STS 1513/1996), FD 1°; STS 288/2004, 7. April 2004 (n° ROJ: STS 2402/2004), FD 2°).

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de pedir stark an den materiellrechtlichen Tatbeständen ausgerichtet war, sei es weil man auf die Art des Konkurrenzverhältnisses abstellte, sei es weil man die den Streitgegenstand identifizierenden Tatsachen anhand der Tatbestandsvoraussetzungen bestimmte. (e) Zusammenfassung Die spanische Streitgegenstandsdogmatik erkennt damit ganz überwiegend ein rechtliches Element der causa de pedir an, wobei unterschiedlich bewertet wird, ob dieses sich auf eine Eingrenzung der streitgegenstandsbestimmenden Tatsachen anhand ihrer Relevanz im Hinblick auf einen konkreten Rechtstatbestand beschränkt oder ob es in Form des vom Kläger oder Gericht herangezogenen Rechtsgrundes oder Rechtstitels gegenüber dem Sachverhalt stärker verselbstständig ist. Die zahlreichen hierzu vertretenen Ansichten relativieren sich allerdings in der Anwendung auf nach Klage- und Anspruchsarten unterschiedenen Fallgruppen. Das Maß, in dem die herangezogenen Rechtsgrundlagen bzw. die Einordnung des Sachverhalts in rechtliche Kategorien die causa de pedir prägen, variiert hier unabhängig von der herangezogenen Definition erheblich. So wurde die causa de pedir bei Sachklagen im geltend gemachten sachenrechtlichen Rechtsverhältnis selbst unabhängig von der Herleitung dieses Rechts gesehen, bei Gestaltungsklagen dagegen im jeweils zur Begründung der begehrten Rechtsänderung herangezogene Rechtsgrund. Im Fall der auf obligatorische Rechte gestützten Leistungs- und Feststellungsklagen sollte dagegen der vorgetragene Sachverhalt die maßgebliche Begrenzung bewirken, wobei aber bei Aktionenkonkurrenz zwischen verschiedenen Anspruchsgrundlagen eine Abweichung der causa de pedir bejaht wurde. Auf Grundlage dieser differenzierenden Bestimmung des Anspruchsgrundes blieb die Reichweite der cosa juzgada – außer in der Fallgruppe der Sachklagen – recht eng begrenzt mit der Folge, dass der Kläger in vielen Fällen eine antragsidentische Klage in einem späteren Verfahren unter Berufung auf abweichende Anspruchsgrundlagen oder Rechtsgründe erneut zur Entscheidung stellen konnte. bb. Die Erstreckung der „cosa juzgada auf lo deducido y lo deducible“ Im Hinblick auf die Grenzen der cosa juzgada fanden die zur Bestimmung des Anspruchsgrundes entwickelten Grundsätze eine Ergänzung durch die – bereits im Rahmen der Darstellung des Streitgegenstandselements des petitum erwähnte – Regel, wonach die cosa juzgada nicht nur das tatsächlich vorgetragene und geprüfte Vorbringen erfasst, sondern auch das zur Stützung des Be-

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gehrens Vortragbare und Prüfbare (la cosa juzgada cubre lo deducido y lo deducible). 981 Eine spätere Klage dürfe nicht dazu genutzt werden, im Rahmen des Vorbringens im ersten Verfahren begangene Fehler und Unterlassungen auszubessern.982 Die Regel lieferte den dogmatischen Begründungsansatz für eine mit der cosa juzgada verbundene Präklusion nicht vorgetragener und geprüfter Tatsachen und Argumente,983 bewirkte aber keine Ausweitung der cosa juzgada über die causa de pedir hinaus: So wurde bei Sachklagen, bei denen die herrschende Ansicht die causa de pedir mit dem sachenrechtlichen Rechtsverhältnis gleichstellte, zwar unter Rückgriff auf die Präklusionsregel argumentiert, dass die cosa juzgada nicht nur die bei der Beurteilung des Erwerbs der jeweiligen Rechtsposition tatsächlich geprüften Tatsachen und Rechtsgründe erfasse, sondern auch sämtliche Erwerbsgründe, die zur Begründung hätten vorgetragen werden können.984 Bei Gestaltungsklagen, bei denen die causa de pedir nach der herrschenden Streitgegenstandslehre auf den jeweils zur Begründung der Umgestaltung des Rechtsverhältnisses herangezogenen Rechtsgrund beschränkt blieb, sollte aber auch die Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf das Vortragbare keine Ausweitung des Rechtskraftgegenstands im Sinne einer Präklusion des Vortrags zuvor nicht herangezogener Rechtsgründe bewirken.985 Auch bei persönlichen Klagen betraf die Präklusion nur die akzessorischen Tatsachen, nicht aber die eine andere causa petendi kennzeichnenden notwendigen Tatsachen.986 Die Regel wirkte also nur im Rahmen der – wenn 981 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 661 s.; Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 180. 982 STS 530/1998, 6. Juni 1998 (n° ROJ: 3709/1998), FD 2°: „[N]o desaparece la consecuencia negativa de la cosa juzgada cuando, mediante el segundo pleito, se han querido suplir o subsanar los errores alegatorios o de prueba acaecidos en el primero“. 983 Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 181: „La sentencia pasada en cosa juzgada ‹precluye› la posibilidad de una demanda en un nuevo proceso para plantear nuevos argumentos que habrían podido ser planteados al Juez en el anterior litigio...“. 984 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 661. 985 Die Regel, die cosa juzgada erfasse „lo deducido y lo deducible“ sollte bei Gestaltungsklagen lediglich bewirken, dass diese auch dann nicht noch einmal auf denselben Rechtsgrund gestützt werden konnten, wenn zur Stützung dieses Rechtsgrundes im späteren Verfahren neue Tatsachen vorgetragen wurden. So war beispielsweise der Kläger, der mit seiner auf einen Irrtum bei Vertragsschluss gestützten Vertragsannullierungsklage abgewiesen worden war, mit dem Vortrag von Tatsachen präkludiert, die einen anderen Irrtum bei Vertragsabschluss begründend sollten, vgl. Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 213. 986 Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 661.

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auch nicht einheitlich bestimmten – causa de pedir. 987 Eine Präklusion verschiedener causae petendi wurde aus der Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf das Vortragbare dagegen nicht abgeleitet. Entsprechend der unterschiedlichen Auffassungen bei der Bestimmung der causa de pedir variierte aber auch die Reichweite der Präklusion. 988 Besondere Bedeutung kam der Präklusionsregel bei der Beurteilung individualisierter Teilklagen zu. Wie auch bei den nicht individualisierten Teilklagen zog die Rechtsprechung die Regel, wonach die cosa juzgada auch das Vortragbare und Prüfbare (lo deducible) erfasse, hier vielfach heran, um den Ausschluss einer späteren Einforderung des weiteren Teils, also insbesondere von Schadensersatz für weitere aus demselben Schadensereignis herrührende Schäden bzw. für weitere Mängel einer einheitlichen vertraglichen Leistung, zu begründen.989 Sämtliche bereits im Zeitpunkt des ersten Verfahrens vorliegende und erkennbare990 Schäden und Mängel mussten danach konzentriert in der ersten Klage geltend gemacht werden, um eine Präklusion zu vermeiden. Die Regel kam auch im Fall wiederkehrender Leistungsverpflichtungen oder auf Ersatz von entgangenem Gewinn gerichteter Schadensersatzforderungen zur Anwendung: War in einem ersten Verfahren nur die Leistung für einen bestimmten Zeitraum eingefordert worden, bejahte die Rechtsprechung im Hinblick auf die spätere, auf einen anderen – vor dem Erstverfahren liegenden – Zeitraum bezogene Klage teilweise ein Entgegenstehen der cosa juzgada. 991 Von einer einheitlichen Beurteilung dieser Fälle in der Rechtsprechung kann jedoch nicht gesprochen werden, vielmehr finden sich immer wieder Beispiele, in denen die Rechtsprechung unter Berufung auf eine Abweichung des Streitgegenstandes ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada material verneinte.992 Auch der Beklagte konnte die gegen den klägerischen Anspruch im ersten Verfahren nicht vorgetragenen Einwendungen in einem späteren Prozess nicht 987

Tapia Fernández, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 181; dies., Cosa juzgada, p. 109 s. 988 Auch Tapia Fernández (in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 161, 183) weist darauf hin, dass angesichts der nicht unumstrittenen Reichweite der causa de pedir die Begrenzung der Präklusion durch die causa de pedir aber zu unterschiedlichen Ergebnissen führen konnte. 989 STS 393/1996, 30. Juli 1996 (n° ROJ: STS 4724/1996), FD 2° (verschiedene Mängel einer einheitlichen Werkleistung und verschiedene Schäden); STS 530/1998, 6. Juni 1998 (n° ROJ: 3709/1998), FD 2° (verschiedene Schadensposten). 990 Vgl. zu den Anforderungen an neue Tatsachen und zum Präklusionszeitpunkt im Folgenden die Ausführungen zu den zeitlichen Grenzen der cosa juzgada. 991 STS 552/2002, 10. Juni 2002 (n° ROJ: STS 4224/2002), FD 5°. 992 Z.B. STS 371/2013, 23. Mai 2013 (n° ROJ: STS 2710/2013), FD 2° (verschiedene Mängel; nach altem Recht beurteilter Fall); SAP Ourense 92/1998, 2. März 1998 (n° ROJ: SAP OU 70/1998), FD 2° (Einforderung der Anteile an den Gemeinkosten bei einer Miteigentümergemeinschaft hinsichtlich verschiedener Zeiträume).

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geltend machen, um die im Erstverfahren festgestellte Rechtsfolge anzugreifen: Eine Präklusion nicht vorgetragener Einwendungen des Beklagten des ersten Verfahrens wurde allerdings nicht immer damit begründet, dass die cosa juzgada auch die vortragbaren Einwendungen (excepciones deducibles) erfasse. 993 Gerade in der Rechtsprechung wurde eine Präklusion zuvor nicht erhobener Einwendungen gegen das gegnerische Recht vielmehr durch eine Anwendung der weit gefassten Rechtsfigur der cosa juzgada implícita und die Annahme einer in der Bejahung der vom Kläger begehrten Rechtsfolge implizit getroffenen Entscheidung über denkbare Einwendungen bewirkt. 994 Dass die cosa juzgada trotz ihrer begrifflichen Bezugnahme auf das Entschiedene auch eine Sperrung tatsächlich nicht vorgetragenen und geprüften Vorbringens bewirkt, war im spanischen Recht damit bereits vor Einführung der LEC 2000 anerkannt. Die Regel, dass die cosa juzgada nicht nur das tatsächlich Vorgetragene, sondern auch das Vortragbare erfasse, bildete die Grundlage für die Annahme einer Präklusion des zur selben causa de pedir zu rechnenden Vorbringens, das im Erstverfahren nicht geltend gemacht und geprüft wurde. Nicht gesperrt war das Tatsachen- und Rechtsvorbringen, welches eine neue causa de pedir darstellte. Eine Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher Anspruchsgründe wurde der Regel damit nicht entnommen. cc. Präklusion über die Grenzen der „causa de pedir“ hinaus? Auch wenn sich der Grundsatz der Erstreckung der cosa juzgada auch auf das mögliche Vorbringen nur auf das einer einheitlichen causa de pedir zurechenbare Tatsachen- und Rechtsvorbringen bezog, war eine darüber hinausgehende Präklusion sämtlicher der Begründung desselben Begehrens dienenden causae petendi dem spanischen Recht nicht gänzlich unbekannt. Für den Sonderfall der tercerías, die einem Dritten – ähnlich wie die Drittwiderspruchsklage und die Klage auf vorrangige Befriedigung des deutschen Rechts – die Anfechtung der Vollstreckung unter Berufung auf das Eigentum am Vollstreckungsgegenstand (tercería de dominio) bzw. auf die Inhaberschaft eines gegenüber dem Recht des Vollstreckungsgläubigers vorrangigen Rechtes (tercería de mejor derecho) ermöglichen, sah das Gesetz eine solche Präklusion ausdrücklich vor: Art. 1538.1 LEC 1881 995 erklärte eine erneute tercería für unzulässig, wenn sich diese auf Titel oder Rechte stützte, die der Kläger bereits zum Zeitpunkt der ersten tercería innehatte. Hierdurch war ausge-

993 Ausführlich Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 661 s. 994 Vgl. zu dieser Rechtsprechungslinie oben G. II. 2. c. 995 Art. 1538.1 LEC 1881: „No se permitirá en ningún caso segunda tercería, ya sea de dominio, ya de preferencia, que se funde en títulos o derechos que poseyera el que la interponga al tiempo de formular la primera.“

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schlossen, dass der Dritte die Vollstreckung im Verhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner immer wieder unter Berufung auf neue Titel und Rechtspositionen verzögerte. Indem die Norm dem Kläger nicht nur die Last der Konzentration sämtlicher Titel, also Erwerbsgründe, sondern auch sämtlicher vorrangiger Rechte auferlegt, geht die Norm über die – bei auf absolute Rechte gestützten Realklagen bejahte – Präklusion denkbarer Gründe des Rechtserwerbs hinaus. Wollte der Kläger die Präklusion vermeiden, musste er daher sämtliche Rechtspositionen und damit sämtliche Klagegründe im Rahmen der ersten tercería geltend machen. Eine sämtliche denkbaren Anspruchsgründe erfassende Präklusion blieb allerdings sowohl im Gesetzesrecht als auch in der praktischen Rechtsanwendung auf den Sonderfall des Art. 1538.1 LEC beschränkt.996 Dagegen wurde eine weitgehendere Präklusion in der Literatur bereits vor der Zivilprozessrechtsreform befürwortet. Insbesondere de la Oliva Santos997 empfahl aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung unnötiger Verfahren die Einführung einer umfassenden Präklusionsregel: Präkludiert sein sollten nach seiner Vorstellung sowohl die nicht vorgetragenen Tatsachen998 als auch die nicht geltend gemachten Rechtsgründe 999 und zwar auch dann, wenn das neue Vorbringen nach traditionellem Verständnis als abweichende causa petendi einzuordnen war.1000 Selbst wenn sich eine erneute Klage mit identischem petitum daher auf ein Vorbringen stützte, welches eine neue causa de pedir bildete, sollte ihr die cosa juzgada der im Erstverfahren ergangenen Entscheidung entgegenstehen, obwohl das Gericht die nun angeführte causa

996 Dass Art. 1538.1 LEC 1881 der einzige (eindeutige) Vorläufer der im heutigen Art. 400 LEC verankerten Präklusion war, heben hervor: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 52, p. 60; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 165. 997 De la Oliva Santos, Límites temporales, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 427 ss.; de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 43 ss. (p. 190 ss.). 998 De la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 427 ss.; de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 43 ss. (p. 190 ss.). 999 De la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 432 ss.; de la Oliva Santos/Angel Fernández/de la Oliva Santos, Derecho procesal civil II, § 27 n° 51 ss. (p. 194 ss.). Ausdrücklich sollte es sich dabei nicht nur um abweichende rechtlich relevante Tatsachen handeln, sondern auch um reines Rechtsvorbringen, vgl. de la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, p. 433 (nota 4). 1000 De la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 433: „[S]ería bueno que un precepto positivo indicase que los fundamentos que podrían esgrimirse como diferentes ‹causas de pedir› [...], pero no se esgriman, no servirán, posteriormente, como causas de pedir de una nueva demanda en otro proceso. [...] Habrá en el segundo proceso un cambio (aparente) de la causa petendi, pero se considerará ineficaz e irrelevante a efectos de cosa juzgada que sí surtirá efectos.“

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petendi nicht geprüft hatte (und wegen der auch von de la Oliva Santos bejahten Begrenzung der richterlichen Prüfungsbefugnis auf die jeweils geltend gemachte causa de pedir auch nicht hätte prüfen dürfen 1001). Unterließ es die Partei, das ihren Antrag stützende Vorbringen einschließlich abweichender causae petendi im ersten Verfahren – gegebenenfalls im Wege der Eventualhäufung – zu konzentrieren, sollte dies durch die Sperrwirkung der cosa juzgada sanktioniert werden.1002 Um die Auswirkungen einer derart weitreichenden Präklusion abzumildern, wollte de la Oliva Santos die Präklusion aber auf Tatsachenund Rechtsvorbringen beschränken, von dem die Partei im maßgeblichen Präklusionszeitpunkt bereits Kenntnis hatte oder vernünftigerweise hätte haben können.1003 Seine umfassende Präklusionskonzeption verstand de la Oliva Santos ausdrücklich als Vorschlag de lege ferenda. Angesichts der Reichweite der von ihm entwickelten Präklusionsregel bedürfe diese einer gesetzlichen Regelung.1004 De lege lata fehlte es dagegen auch aus Sicht de la Oliva Santos‘ an einer Grundlage für eine Präklusion sämtlicher auf dasselbe Klageziel gerichteter Anspruchsgründe. 1005 dd. Zusammenfassung der früheren Rechtslage Vor Einführung der LEC 2000 wurde der Streit- sowie Rechtskraftgegenstand durch die causa de pedir begrenzt, die nicht durch eine natürliche Zusammenfassung von Tatsachen zu einem einheitlichen Lebenssachverhalt bestimmt,

1001

Ausführlich hierzu de la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 435 ss. (insbesondere 437). 1002 Eine von der cosa juzgada gelöste Präklusion lehnte de la Oliva Santos ab: „Podría sostener que lo único que hay o debe haber es, precisamente, una norma de preclusión de alegaciones, sin implicar la cosa juzgada. Como se verá [...] es del todo razonable. [sic] por el contrario, [...] debe existir una regulación sobre el ámbito de la cosa juzgada, uno de cuyos efectos sería hacer efectiva la preclusión.“ (de la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 431 (Fußnote 2)). 1003 De la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 434. Maßgeblicher Präklusionszeitpunkt sollte dabei zwar grundsätzlich der Moment der letztmöglichen Ergänzung des Tatsachen- und Rechtsvorbringens sein, da nach de la Oliva Santos‘ Präklusionskonzeption aber auch unterschiedliche causas de pedir im ersten Verfahren zu konzentrieren sein sollten und eine Änderung (oder Ergänzung) der causa de pedir als Klageänderung anzusehen, die nach der Klageerwiderung an sich ausgeschlossen war, sprach sich de la Oliva Santos dafür aus, eine Eventualhäufung verschiedener causae petendi auch zum späteren Zeitpunkt der Replik zuzulassen (ebenda, p. 435). 1004 De la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 434: „la preclusión que nos parece necesaria no puede, sin embargo, oprear sin que exista una norma positiva ...“. 1005 De la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 434, 444 s.

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sondern – sei es durch ein Abstellen auf die eng an den gesetzlichen Tatbeständen ausgerichtete Gesamtheit der rechtlich relevanten Tatsachen, sei es durch ein Abstellen auf die Rechtsgrundlage selbst – stark durch die gesetzlichen Tatbestände geprägt war. Ergebnis dieser Definition des Anspruchsgrundes war ein recht feingliedriger Rechtskraftgegenstand, der es ermöglichte, dasselbe Begehren später auf Grundlage anderer rechtlicher Wertungen erneut geltend zu machen. Eine Ausnahme bildeten insoweit auf absolute Rechte gestützte Klagen, bei denen die einzelnen Rechtsgründe für die Entstehung der jeweiligen sachenrechtlichen Rechtsposition nicht streitgegenstandsbegrenzend wirkten. Die in der Regel, die cosa juzgada erfasse das tatsächlich geltend Gemachte und das Vortragbare, zum Ausdruck gebrachte Vorstellung einer Präklusion auch der nicht tatsächlich geprüften und entschiedenen Tatsachen und Rechtsgrundlagen, sollte nur das zur selben causa de pedir zu rechnende Vorbringen betreffen. Eine umfassendere Präklusion wurde dagegen nur in der Literatur befürwortet, auch hier aber von einer künftigen Gesetzesänderung abhängig gemacht. b. Die heutige Rechtslage: Die Präklusion nach Art. 400 LEC und ihre Bedeutung für die Grenzen der „cosa juzgada“ Wie bereits beschrieben, beschränkt sich die geltende Regelung der cosa juzgada in Art. 222 LEC auf die Benennung des prozessualen Anspruchs als Gegenstand der cosa juzgada, ohne aber Elemente dieses Anspruchs zu bestimmen. Allein in Art. 222.2, II LEC deutet sich durch die Definition der Tatsachen, die „im Hinblick auf den Grund des Anspruchs“ als neu oder abweichend anzusehen sind, an, dass zumindest der tatsächlichen Begründung auch im Rahmen der cosa juzgada weiterhin eine anspruchsbegrenzende Bedeutung zukommen soll. Angesichts der traditionellen Definition des prozessualen Anspruchs anhand des petitum und der causa de pedir erscheint bei isolierter Betrachtung allein des Art. 222 LEC ein Festhalten an der bisherigen Begrenzung durch die causa de pedir denkbar. Die maßgebliche Änderung im Hinblick auf den Gegenstand der cosa juzgada findet sich aber nicht in Art. 222 LEC, sondern im bereits in der Darstellung des petitum angesprochenen Art. 400 LEC. Dieser sieht vor, dass sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel, auf die sich der klägerische Antrag stützen lässt, im Rahmen des ersten Verfahrens geltend gemacht werden müssen und nicht für einen späteren Prozess aufgespart werden dürfen.1006 Für die Beurteilung der Reichweite der cosa juzgada von zentraler Bedeutung ist dann der zweite Absatz des Art. 400 LEC, wonach die Tatsachen und Rechtsgründe, welche im ersten Verfahren zur Stützung des 1006 Art. 400.1, I LEC: „Cuando lo que se pida en la demanda pueda fundarse en diferentes hechos o en distintos fundamentos o títulos jurídicos, habrán de aducirse en ella cuantos resulten conocidos o puedan invocarse al tiempo de interponerla, sin que sea admisible reservar su alegación para un proceso ulterior.“

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Antrags hätten vorgetragen werden können, im Hinblick auf cosa juzgada und litispendencia als mit den im ersten Verfahren tatsächlich geltend gemachten Tatsachen und Rechtsgründen übereinstimmend anzusehen sind. 1007 Die Sperrwirkung der cosa juzgada kommt damit im Hinblick auf die Gesamtheit der zur Begründung des Antrags zur Verfügung stehenden Tatsachen und Rechtsgründe zur Anwendung – unabhängig von deren tatsächlicher Geltendmachung oder Prüfung im Erstverfahren. Ob und in welcher Weise die tatsächliche und rechtliche Begründung der Klage nach geltender Rechtslage die Reichweite der cosa juzgada begrenzt und welche Relevanz dabei der bislang überwiegend eng gefassten causa de pedir zukommt, hängt damit von der Auslegung und Anwendung des Art. 400 LEC ab. aa. Hintergründe und Zielsetzung der Einführung des Art. 400 LEC Fehlte es für die Annahme einer umfassenden Präklusion des Tatsachen- und Rechtsvorbringens vor der Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 noch an einer gesetzlichen Grundlage, so wurde dieser Mangel durch die Einführung des Art. 400 LEC 2000 behoben. Ausweislich der Gesetzesbegründung ließ sich der Reformgesetzgeber bei der Schaffung des Art. 400 LEC zum einen von Rechtssicherheitserwägungen leiten, zum anderen aber von dem Anliegen, die Durchführung mehrerer Prozesse – und die entsprechende Belastung der Parteien und Gerichte – zu verhindern, „wenn sich die streitige Angelegenheit vernünftigerweise in einem einzigen Verfahren lösen lässt“. 1008 Dabei ergänzen sich öffentliche Belange und der Schutz von Individualinteressen: Dass die endgültige Beendigung des Rechtstreits durch Art. 400 LEC in einem Verfahren konzentriert und damit auf möglichst prozessökonomische Weise bewirkt werden soll, dient einerseits dem Schutz des Beklagten vor wiederholter Inanspruchnahme in derselben Angelegenheit, soll aber auch eine unnötige Belastung der staatlichen Ressourcen verhindern.1009 Hatte es die frühere Rechtslage 1007 Art. 400.2 LEC: „De conformidad con lo dispuesto en el apartado anterior, a efectos de litispendencia y de cosa juzgada, los hechos y los fundamentos jurídicos aducidos en un litigio se considerarán los mismos que los alegados en otro juicio anterior si hubiesen podido alegarse en éste.“ 1008 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII): „Se parte aquí de dos criterios inspiradores: por un lado, la necesidad de seguridad jurídica y, por otro, la escasa justificación de someter a los mismos justiciables a diferentes procesos y de provocar la correspondiente actividad de los órganos jurisdiccionales, cuando la cuestión o asunto litigioso razonablemente puede zanjarse en uno solo. Con estos criterios, que han de armonizarse con la plenitud de las garantías procesales, la presente Ley, entre otras disposiciones, establece una regla de preclusión de alegaciones de hechos y de fundamentos jurídicos, ya conocida en nuestro Derecho y en otros ordenamientos jurídicos.“ 1009 Dies bringt die Gesetzesbegründung selbst zum Ausdruck: „... someter a los mismos justiciables a diferentes procesos y de provocar la correspondiente actividad de los órganos

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noch ermöglicht, die endgültige Klärung des Rechtsstreits durch immer neue Klagen auf Grundlage jeweils neuer Begründungen hinauszuzögern, sollte die Einführung des Art. 400 einem solchen „tröpfchenweisen“ Vorbringen in verschiedenen Verfahren ein Ende bereiten. 1010 Zu diesem Zweck wird dem Kläger durch die Auferlegung einer Obliegenheit zur Konzentration seines Vorbringens eine deutlich größere Verantwortung für die möglichst zügige und konzentrierte Beendigung des Rechtsstreits auferlegt. 1011 An welchen Vorbildern sich der Reformgesetzgeber bei der Schaffung des Art. 400 LEC orientiert hat, lässt sich den Motiven nicht eindeutig entnehmen. In der Gesetzesbegründung heißt es lediglich, die vorgesehene Präklusion des Tatsachen- und Rechtsvorbringens sei nicht nur in (nicht näher bestimmten) ausländischen Rechtsordnungen, sondern auch in Spanien bereits bekannt gewesen.1012 Die Bezugnahme auf spanische Vorbilder wird als Verweis auf die Regelung des Art. 1538 LEC 1881, 1013 in geringerem Maße auch auf die Regel, wonach die cosa juzgada auch das „Vortragbare“ erfasste1014 bzw. auf die Definition der causa de pedir bei auf absolute Rechte gestützten Klagen 1015 verstanden. Als direkter Vorläufer ist aber insbesondere die von de la Oliva Santos

jurisdiccionales ...“ (Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII)). Die doppelte Zielsetzung der Einführung des Art. 400 LEC stellen besonders deutlich heraus: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 53, p. 61; Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 176. 1010 „Goteo de alegaciones/pretensiones“ (Behauptungs-/Anspruchstropf): Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 285; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1507; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 123. 1011 Zu diesem Aspekt Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661. 1012 „Una regla de preclusión de alegaciones de hechos y de fundamentos jurídicos, ya conocida en nuestro Derecho y en otros ordenamientos jurídicos.“ (Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII)). 1013 So de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 52, p. 61 (Fußnote 35); Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 165; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1662. 1014 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 165 (Fußnote 6), 171. Als gesetzliche Ausformung dieser Rechtsprechungslinie verstehen die Regelung des Art. 400 LEC auch einige Gerichte, so z.B. SAP Salamanca 548/2012, 17. Oktober 2012 (n° ROJ: SAP SA 642/2012), FJ 3° („Con lo cual, la LEC 2000 tipifica en el ordenamiento procesal positivo algo que doctrina y jurisprudencia venían reconociendo anteriormente: que la cosa juzgada material abarca tanto lo deducido como lo deducible en un proceso civil ....“). 1015 Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506 s.; Vallines García, La preclusión, p. 201 (mit Fußnote 334).

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entwickelte Präklusionskonzeption anzusehen. 1016 Im Hinblick auf Vorbilder in ausländischen Rechtsordnungen wird regelmäßig die deutsche Tatsachenpräklusion genannt.1017 Seltener findet die englische Henderson v. HendersonRegel Erwähnung,1018 der die Cour de Cassation bei der Schaffung der richterrechtlichen Konzentrationsobliegenheit in der Entscheidung Cesareo ausdrücklich eine Vorbildfunktion zugesprochen hat.1019 bb. Anwendungsbereich des Art. 400 LEC Sowohl die Gesetzesformulierung als auch der systematische Regelungsstandort des Art. 400 LEC werfen Fragen bezüglich der Reichweite und des Anwendungsbereichs der neuen Regelung auf. Dies betrifft zum einen die Frage, ob die Präklusionsregel auch das Gegenvorbringen des Beklagten erfasst. Zum anderen stellt sich angesichts der systematischen Stellung des Art. 400 LEC im dem Normalverfahren (juicio ordinario) gewidmeten Abschnitt die Frage der Anwendbarkeit in den übrigen Verfahrensarten der LEC. (1) Anwendung auch auf das Gegenvorbringen des Beklagten? Da Art. 400.1 LEC allein auf das „in der Klage Beantragte“ Bezug nimmt, betrifft die Obliegenheit zur Konzentration des Vorbringens seinem Wortlaut nach zunächst nur den Kläger und dessen Vorbringen. Für den Fall, dass der Beklagte im Erstverfahren eine Widerklage erhebt, erklärt Art. 406.4 LEC die Regelung des Art. 400 LEC ausdrücklich für anwendbar, so dass die in Art. 400 LEC geregelte Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen den Widerkläger in derselben Weise wie den Kläger trifft. Die Ausführungen zur Reichweite der Präklusion gelten daher für die Widerklage entsprechend. Erhebt der Beklagte dagegen im Erstverfahren keine Widerklage, sondern beschränkt sich auf schlichte Einwendungen gegen den klägerischen Anspruch, stellt sich die

1016 So Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 174 s.; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1507 (mit Fußnote 10); Vallines García, La preclusión, p. 202. 1017 Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1507 („En realidad, para hallar el país en que originariamente se ha instituido la preclusión de alegaciones, debe acudirse a Alemania“); Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 166. Zur Prägung insbesondere des Präklusionsansatzes de la Oliva Santos‘ durch das deutsche Recht: Vallines García, La preclusión, p. 202. Zur Prägung eines allgemeinen Präklusionsgedankens durch die deutsche Dogmatik und insbesondere deren Fortentwicklung durch die italienischen Prozessualisten auch: Lozano-Higuero Pinto, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2000 (n° 2), p. 299, 301 ss. 1018 Eine Übereinstimmung in der Grundidee feststellend: Carballo Piñeiro, in: Esplugues Mota/ Barona Vilar (ed.), Civil Justice in Spain, 2009, Ch. 7, p. 165, 190. 1019 Siehe oben F. II. 2. 4. a.

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Frage, ob es ihm möglich ist, sich in einem späteren Verfahren gegen den Kläger auf Vorbringen zu stützen, das er bereits im ersten Verfahren im Wege der materiellen Einwendung oder Widerklage hätte geltend machen können. Eine Minderheit der spanischen Autoren spricht sich dafür aus, Art. 400 LEC auch auf das Gegenvorbringen des Beklagten anzuwenden und auf diese Weise eine Präklusion von Tatsachen und Rechtsgründen zu bewirken, die der vormalige Beklagte in einem vorangegangenen Verfahren zu seiner Verteidigung hätte vorbringen können:1020 Dem vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung formulierten Zweck des Art. 400 LEC, die unnötige Durchführung weiterer Verfahren zu vermeiden, wenn sich die Angelegenheit in einem Verfahren lösen lasse, widerspreche es, wenn der Beklagte das Ergebnis des Erstverfahrens unter Berufung auf neue Einwendungen immer wieder in Frage stellen könne. 1021 Die ganz überwiegende Literatur lehnt es dagegen ab, eine Obliegenheit zum erschöpfenden Gegenvorbringen aus Art. 400 LEC abzuleiten. 1022 Dem stehe der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen, der eine Konzentration des Tatsachen- und Rechtsvorbringens nur in der Klage („en ella“) und nur für den Fall vorsieht, dass sich das „in der Klage Beantragte“ („lo que se pida en la demanda“) auf unterschiedliche Tatsachen und Rechtsgründe stützen lässt.1023 1020 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 82 ss., 84, 90, 169 s.; Sabater Martín, La Ley 2001 (n° 4), D-120, p. 1506, 1508. Für den Nichtigkeitseinwand auch Castillejo Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 342. 1021 Sabater Martín, La Ley 2001 (n° 4), D-120, p. 1506, 1508. 1022 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 27, p. 39 s.; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 190; Vallines García, La Preclusión, p. 226 ss. Die Präklusion ohne jede Bezugnahme auf Art. 400 LEC begründend: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 501; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 310. 1023 Vallines García, La Preclusión, p. 226. Zwar nimmt Art. 400.1, II LEC auch auf die Klageerwiderung Bezug, wenn dort klargestellt wird, dass die im ersten Satz geregelte Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen die Möglichkeit unberührt lässt, neue oder neu zur Kenntnis gelangte Tatsachen in den gesetzlich vorgesehenen Fällen auch nach der Klage „und Klageerwiderung“ geltend zu machen. Jedoch lässt sich hieraus nicht der zwingend e Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck bringen wollte, dass auch das Gegenvorbringen von der Obliegenheit zum erschöpfenden Vorbringen und Präklusion erfasst ist (so allerdings Sabater Martín, La Ley 2001 (n° 4), D-120, p. 1506, 1508 (Fußnote 21)): Zum einen wird hier nur die Formulierung aufgegriffen, die in der LEC zur Bestimmung des Präklusionszeitpunkt allgemein verwendet wird (vgl. Vallines García, La Preclusión, p. 227), zum anderen kann die Nennung der Klageerwiderung auch auf die Widerklage bezogen werden, bei der die Obliegenheit zum erschöpfenden Vorbringen gemäß Art. 406.3 LEC in Verbindung mit Art. 400 LEC ebenfalls gilt. Da die Obliegenheit zum erschöpfendem Vorbringen beinhaltet, dass der Kläger verschiedene causae petendi gegebenenfalls im Wege der Eventualklagehäufung geltend macht (Ausführlich hierzu unten G. II. 3. b. cc. (3)), könnte die Bezugnahme auf die Klageerwiderung zudem dadurch zu erklären sein, dass die Klagehäufung gemäß Art. 401 LEC nur bis zum Zeitpunkt der Klageerwiderung zulässig

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Als den Zugang zu den Gerichten beschränkende Norm sei Art. 400 LEC eng auszulegen, so dass eine analoge Anwendung auf die Einwendungen des Beklagten ausgeschlossen sei. 1024 Lässt sich eine Präklusion des Gegenvorbringens nach herrschender Ansicht damit nicht auf Art. 400 LEC stützen, bedeutet dies jedoch nicht, dass es dem Beklagten des ersten Verfahrens ohne Weiteres möglich sein soll, sich in einem späteren Verfahren auf Tatsachen zu berufen, die er im Erstverfahren bereits als Einwendung gegen den klägerischen Anspruch hätte geltend machen können. Da hierzu aber auf eine Vielzahl anderer Rechtsfiguren zurückgegriffen wird, soll die Präklusion des Gegenvorbringens erst im Anschluss an die Darstellung des Art. 400 LEC behandelt werden. (2) Von der Regelung erfasste Verfahrensarten Wie bereits angedeutet, hat der Gesetzgeber die Regelung des Art. 400 LEC im dem Normalverfahren gewidmeten Titel II des zweiten Buches der LEC verankert und damit – anders als z.B. Art. 222 LEC – gerade nicht im vor die Klammer gezogenen, für sämtliche Verfahrensarten geltenden ersten Buch oder im für sämtliche Erkenntnisverfahren (juicios declarativos) Titel I des zweiten Buches der LEC. Welcher Schluss für den Anwendungsbereich der Präklusion aus dieser systematischen Stellung zu ziehen ist, ist umstritten. (a) Anwendung im „juicio verbal“ Insbesondere im Hinblick auf den juicio verbal, der als gestraffte Verfahrensart überwiegend für geringe Streitwerte neben das Normalverfahren tritt, wird die Anwendung des Art. 400 LEC kontrovers diskutiert. Gegen eine Anwendung des Art. 400 LEC wird neben dessen systematischer Stellung insbesondere angeführt, dass bei juicios verbales mit besonders geringem Streitwert (unter 2.000 €) kein Anwaltszwang besteht,1025 so dass die Obliegenheit zum erschöpfenden Vorbringen, insbesondere der Rechtsgründe, die Partei hier besonders stark belasten würde. 1026 In der Literatur wird eine Anwendung im juicio verbal dennoch befürwortet. Dem systematischen Argument wird entgegengehalten,

ist (Art. 401.1 LEC: „No se permitirá la acumulación de acciones después de contestada la demanda.“). 1024 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 190. 1025 Art. 23.2, 1.° LEC. 1026 Tapia Fernández (Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1665. Ebenso in seiner Diskussion der Argumente Vallines García hin (La preclusión, p. 203: „No puede desconocerse que la aplicación del artículo 400 de la LEC a los juicios verbales puede resultar excesivamente gravosa para el actor que acude a los tribunales sin defensa ni representación técnicas, habida cuenta de la ausencia de conocimientos jurídicos del ciudadano de a pie.“).

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dass das Normalverfahren in der LEC eine viel umfassendere Regelung erfahren habe als das juicio verbal, weshalb auch in anderen Fällen, z.B. im Hinblick auf den Ablauf der Verhandlung oder die Anhängigkeit des Verfahrens, zur Füllung von Lücken in der Regelung des juicio verbal auf die für das Normalverfahren geltenden Regelungen zurückgegriffen werde. 1027 Dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der in Art. 400 LEC verankerten Präklusionsregel nicht auf das Normalverfahren beschränkt verstand, wird zudem der Gesetzesbegründung zur LEC 2000 entnommen: Darin wird die Präklusion des Tatsachen- und Rechtsvorbringens im dem „zivilprozessualen Streitgegenstand“ gewidmeten Absatz VIII behandelt, ohne dass eine Differenzierung zwischen den Verfahrensarten auch nur angedeutet wird.1028 Die zur Begründung der Einführung der Präklusionsregel angeführte Zielsetzung, eine unnötige Führung einer Mehrzahl von Verfahren zu verhindern, greift ohnehin auch im juicio verbal. 1029 Problematisch erscheint allerdings, dass Art. 428.3 LEC die objektive Klagehäufung und damit auch die Kumulation von causae petendi auf einen engen numerus clausus kumulierbarer acciones beschränkt und damit die Möglichkeit, der Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen auch über die einzelne causa petendi hinaus nachzukommen, erschwert.1030 Im Rahmen der aktuellen Reform der LEC scheint die Frage der Anwendbarkeit des Art. 400 LEC auf das juicio verbal nun einer gesetzlichen Lösung zugeführt zu werden: Art. 437. LEC n.F. erklärt die für das Normalverfahren geltenden Regeln zur Präklusion des Vorbringens für anwendbar, 1031 so dass ein Greifen des Art. 400

1027 So Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1662; Vallines García, La preclusión, p. 203. 1028 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII). 1029 Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1662. 1030 Neben Klagen, die sich auch als ergänzende Anträge im Sinne der bei der Darstellung des petitum diskutierten Rechtsprechung zu eng verknüpften Anträgen verstehen lassen (z.B. ein Schadensersatzanspruch und ein für diesen Schadensersatzanspruch präjudizieller Anspruch, Art. 428.3, 2ª. LEC) lässt Art. 438.3 LEC insbesondere Klagen zu, die sich auf dieselben Tatsachen stützen, Art. 428.3, 1ª. LEC. 1031 Proyecto de Ley de reforma de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial de las Cortes Generales – Congreso de los Diputados – X. Legislatura, Seria A: Proyectos de Leyes, 6. März 2015, n° 133–1, 121/000133, p. 1, 11: „Veinticinco. Se modifica el artículo 437, que queda redactado del siguiente modo: ‚Artículo 437. Forma de la demanda. Acumulación objetiva y subjetiva de acciones. 1. El juicio verbal principiará por demanda, con el contenido y forma propios del juicio ordinario, siendo también de aplicación lo dispuesto para dicho juicio en materia de preclusión de alegaciones y litispendencia.‘ [...]“.

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LEC im juicio verbal künftig wohl zu bejahen sein wird, auch wenn die Formulierung nicht völlig eindeutig ist. 1032 (b) Anwendung auf summarische Verfahren Auch im Hinblick auf summarische Verfahren wird eine Anwendung des Art. 400 LEC diskutiert. Gegen die Anwendung der Präklusionsregel wird insbesondere die Beschränkung des Vorbringens und der Beweismittel in summarischen Verfahren ins Feld geführt: Es könne nicht erwartet werden, dass der Kläger sein gesamtes Vorbringen im ersten Verfahren konzentriere, da ihm dies wegen der inhärenten gegenständlichen Begrenzung im summarischen Verfahren gar nicht möglich sei. 1033 Unabhängig davon, ob die Präklusion nach Art. 400 LEC als Ausprägung der cosa juzgada angesehen oder als eigenständiges Institut verstanden wird, das lediglich durch die Anwendung der Rechtsfolgen der cosa juzgada material zur Wirkung gebracht wird, 1034 legt es die Verknüpfung des Art. 400 LEC mit der cosa juzgada zudem nahe, die Präklusion nach Art. 400 LEC nur dann zur Anwendung zu bringen, wenn auch die Wirkungen der cosa juzgada greifen.1035 Entsprechend der teilweise zur Rechtskraftfähigkeit der Entscheidungen im summarischen Verfahren vertretenen Ansicht1036 erscheint es daher denkbar, dem Kläger zumindest eine Obliegenheit zur Konzentration des Vorbringens, das im summarischen Verfahren vollumfänglich diskutiert, bewiesen und gerichtlich geprüft werden kann, aufzuerlegen. Mit dem im ersten Verfahren nicht geltend gemachten Tatsachenund Rechtsvorbringen würde der Kläger dann in einem späteren summarischen Verfahren gleicher Art nicht gehört werden. 1037 Dass dem Kläger die Berufung auf Vorbringen, das im summarischen Verfahren vollumfänglich geprüft hätte werden können, in einem späteren ordentlichen Verfahren verwehrt ist, wird dagegen entsprechend der überwiegend vertretenen Ablehnung eines Greifens der cosa juzgada in dieser Konstellation verneint.1038 Ohnehin wird es hier regelmäßig an der für die Anwendung des Art. 400 LEC notwendigen Übereinstimmung des petitum fehlen. Geht man von einem Gleichlauf der Anwendungsbereiche der cosa juzgada und der Präklusion nach Art. 400 LEC aus, 1032 Seltsam erscheint insbesondere die Formulierung des Verweises, der auf „das für das Normalverfahren im Hinblick auf die Präklusion des Vorbringens und litispendencia Geregelte“ Bezug nimmt, also die Präklusionsregel neben der Rechtshängigkeit, nicht aber der cosa juzgada erwähnt. Zudem wird die starke Beschränkung der zulässigen Klagehäufung beibehalten, deren Regelungsstandort allerdings in Art. 437.4 LEC n.F. verschoben. 1033 Gimeno Sendra/ Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 177. 1034 Hierzu sogleich unten G. II. 3. b. cc. (1) (b). 1035 So auch Vallines García, La preclusión, p. 204. 1036 Vgl. hierzu ausführlich oben E. II. 2. c. bb. 1037 Für eine Anwendung in diesem Fall Vallines García, La preclusión, p. 204. 1038 So auch Vallines García, La preclusión, p. 204.

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spricht zudem der in Art. 447.2 LEC enthaltene Ausschluss der Rechtskraftfähigkeit der in summarischen Verfahren ergehenden Urteile gegen eine Anwendung des Art. 400 LEC in summarischen Verfahren, zumindest aber gegen eine Präklusionswirkung in späteren ordentlichen Verfahren.1039 Der Entwurf des Gesetzes zur Reform der LEC sieht keine Änderung des Art. 447.2 LEC vor. Allerdings könnte der in Art. 437 LEC n.F. enthaltene Verweis auf Art. 400 LEC, der die summarisch ausgestalteten Fälle des juicio verbal nicht ausnimmt, Anlass zur weiteren Diskussion geben. (c) Zusammenfassung Die systematische Stellung des Art. 400 LEC erschwert die Bestimmung seines Anwendungsbereichs. Um eine Einheitlichkeit zumindest im Verhältnis der beiden ordentlichen Verfahrensarten des Normalverfahrens und des juicio verbal herzustellen, wird eine Anwendung des Art. 400 LEC auch auf den juicio verbal in der Literatur befürwortet und im Rahmen des aktuellen Reformprojekts wohl auch gesetzliche Bestätigung finden. Im Hinblick auf die summarischen Verfahren setzt sich letztlich der Streit um die Rechtskraftfähigkeit der in dieser Verfahrensart ergangenen Entscheidungen fort. (3) Zusammenfassung Durch Einführung des Art. 400 LEC hat der Gesetzgeber die gesetzliche Grundlage für eine Präklusion des klägerischen Vorbringens geschaffen, die auch für den Fall der Widerklage zur Anwendung kommt. Auf eine entsprechende gesetzliche Regelung für das Gegenvorbringen des nicht widerklagenden Beklagten hat der Gesetzgeber dagegen verzichtet. Insoweit kommen andere Rechtsfiguren zur Anwendung. Im Hinblick auf die von der Regelung erfassten Verfahrensarten wird die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Norm erschwert durch den Widerspruch zwischen der auf Allgemeingültigkeit der Präklusionsregel hindeutenden Gesetzesbegründung und der Wahl des Regelungsstandorts des Art. 400 LEC in einem allein das Normalverfahren geltenden Titel. Zumindest für die Anwendung in der ordentlichen Verfahrensart des juicio verbal könnte die Reform der LEC eine Klärung der Rechtslage dahingehend bewirken, dass Art. 400 LEC für anwendbar erklärt wird. cc. Konzentration und Präklusion klägerischen Vorbringens Wie bereits beschrieben, hat der Kläger nach Art. 400 LEC sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe und Titel, die zur Stützung des Beantragten in Betracht kommen und die er zum Zeitpunkt der Klageeinreichung geltend machen 1039 So auch Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 177.

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konnte, in seiner Klage anzuführen und darf den entsprechenden Vortrag nicht für einen späteren Prozess zurückhalten. Die Norm erlegt dem Kläger damit eine Obliegenheit zu erschöpfendem Tatsachen- und Rechtsvorbringen und damit zur Konzentration seines Vorbringens im ersten Verfahren auf. 1040 Durch die – klarstellende bzw. fingierende – Anordnung einer Identität der Anspruchsgründe stellt die Regelung sicher, dass der Versuch, das Klageziel in einem späteren Verfahren auf das entgegen der Vorbringenslast nicht im ersten Verfahren konzentrierte Tatsachen- und Rechtsvorbringen zu stützen, an der entgegenstehenden cosa juzgada bzw. Rechtshängigkeit scheitert. (1) Die Konzentrationsobliegenheit des Klägers und die objektiven Grenzen der „cosa juzgada“ (a) Die Reichweite der Obliegenheit im Verhältnis zur „causa de pedir“ Angesichts der zuvor stark an Fallgruppen orientierten Auslegung der causa de pedir, bei der der Einfluss der rechtlichen Würdigung bzw. der angeführten Rechtsgründe stark variierte, kommt der Entscheidung des Gesetzgebers, die Obliegenheit auf sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel zu beziehen, erhebliche Bedeutung zu: Die sehr weit gefasste Formulierung umfasst letztlich alle nach altem Recht zur Beschreibung der causa de pedir herangezogenen Elemente tatsächlicher und rechtlicher Art. Auf diese Weise hat der Gesetzeber die Obliegenheit zu konzentriertem Vorbringen für alle Anspruchsund Klagearten einheitlich und unabhängig von einer bestimmten Definition des Anspruchsgrundes angeordnet. Aus der uneingeschränkten Erstreckung der Obliegenheit auf sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel, die der Kläger zur Stützung des Beantragten heranziehen kann, ergibt sich allerdings auch, dass der Frage, ob sich die Tatsachen, Rechtsgründe oder Rechtstitel einer bestimmten Gesamtheit rechtlich relevanter Tatsachen bzw. einem rechtlichen Gesichtspunkt und damit einer einheitlichen causa de pedir im traditionellen Sinne zuordnen lassen, keine Bedeutung mehr zukommt.1041 Die Obliegenheit zu konzentriertem und erschöpfendem Vorbringen erstreckt sich daher nicht nur auf das zur selben causa de pedir zu rechnende Vorbringen, welches schon nach alter Rechtslage auf Grundlage der Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf das Vortragbare als präkludiert angesehen wurde, sondern erfasst 1040 STS 30. Juli 2013 (n° ROJ: ), FD 12° („una norma que impone al demandante la exhaustividad al aducir los hechos y fundamentos o títulos jurídicos en que se pueda fundar lo que reclama, sancionando el incumplimiento de esa carga con la preclusión y, al fin, el impedimento de la posterior alegación de los hechos y fundamentos jurídicos reservados para el proceso ulterior“); Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 176; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 566 („obligación de exhaustividad“). 1041 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 185; Vallines García, La preclusión, p. 215.

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auch Tatsachen und Rechtsgründe, die nach dem oben beschriebenen Verständnis der causa de pedir an sich abweichende Anspruchsgründe darstellen.1042 Literatur und Rechtsprechung entnehmen Art. 400 LEC daher eine Obliegenheit des Klägers, sämtliche causas de pedir zu kumulieren, die zur Stützung des Antrags herangezogen werden können, und entsprechend eine Präklusion aller causas de pedir, die hätten vorgetragen werden können.1043 Die Reichweite der Präklusion wird damit nicht durch die einzelne causa de pedir beschränkt, vielmehr gibt Art. 400.1 LEC als Grenze der zu vorzubringenden Tatsachen und Rechtsgründe allein „das Beantragte“ (lo que se pida) vor. (b) Das Verhältnis des Art. 400 LEC zur „cosa juzgada“ Die in Art. 400.1 LEC geregelte Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen geht damit über die bislang als Grenze der cosa juzgada anerkannte causa de pedir hinaus. Gleichzeitig ordnet Art. 400.2 LEC aber an, dass „die in einem späteren Verfahren angeführten Tatsachen und Rechtsgründe im Hinblick auf cosa juzgada und litispendencia als dieselben anzusehen sind wie die im vorangegangenen Verfahren geltend gemachten, sofern sie in dem früheren Verfahren bereits hätten vorgebracht werden können“. Art. 400.2 LEC hat also zur Folge, dass einer späteren erneuten Klage des Klägers die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada (bzw. bis zur Unanfechtbarkeit der Erstentscheidung die litispendencia) entgegensteht. Es stellt sich folglich die Frage, in welchem Verhältnis die in Art. 400.1 LEC geregelte Präklusion zum Institut der cosa juzgada material steht. Dies wird in der spanischen Literatur unterschiedlich bewertet. Entsprechend seiner bereits vor Einführung der LEC 2000 vertretenen Präklusionskonzeption versteht de la Oliva Santos die Präklusion nicht vorgetragener Tatsachen und Rechtsgründe als Wirkung einer sich auf sämtliche Anspruchsgründe erstreckenden cosa juzgada material, die durch Art. 400.2 LEC lediglich die notwendige gesetzliche Verankerung gefunden habe. 1044 Auch aus Sicht anderer Autoren steht einer späteren antragsidentischen Klage, in der sich 1042

Concheiro del Río, Efectos preclusivos de la cosa juzgada, UNED Boletín de la Facultad de Derecho 2003 (n° monográfico 23), p. 245, 256; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 566; Padura Ballesteros, Fundamentación , p. 76 s.; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 182. 1043 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6° („[E]l artículo 400 persigue que el actor haga valer en el proceso todas las causas de pedir de la pretensión deducida.“); Concheiro del Río, UNED Boletín de la Facultad de Derecho 2003 (n° 23), p. 245, 256; Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 177; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 566; Ortells Ramos, Objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 280; Padura Ballesteros, Fundamentación , p. 76 s.; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 181 s.; Vallines García, La preclusión, p. 209. 1044 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 96, p. 106 ss.

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der Kläger auf Tatsachen und Rechtsgründe beruft, die er bereits im ersten Verfahren hätte geltend machen können, die cosa juzgada material selbst entgegen, allerdings werde die notwendige Identität der Tatsachen und Rechtsgründe als Voraussetzung der cosa juzgada erst im Wege der Fiktion 1045 nach Art. 400.2 LEC hergestellt. 1046 Auch bei Annahme einer Fiktion erstreckt sich aber die cosa juzgada seit Einführung des Art. 400 LEC auch auf die im Erstverfahren nicht vorgetragenen Tatsachen und Rechtsgründe.1047 Dies leugnet eine Mindermeinung in der Literatur, die die Präklusion nicht geltend gemachten Vorbringens streng vom Institut der cosa juzgada unterscheiden will. 1048 Da die Tatsachen und Rechtsgründe, die der Kläger im ersten Verfahren nicht geltend gemacht hat, vom Gericht nicht geprüft wurden, könne von einer diesbezüglichen Entscheidung und einer cosa juzgada im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden. 1049 Dass sich der Gesetzgeber in Art. 400.2 LEC für eine Bezugnahme auf die cosa juzgada entschieden habe, statt ein gesondertes Instituts der Präklusion mit eigenständiger gesetzlicher Rechtsfolgenausgestaltung zu normieren, wird als gesetzgeberische Fehlentscheidung gewertet. 1050 Auf Grundlage des Art. 400.2 LEC kommen nach diesem Verständnis lediglich die Rechtsfolgen der negativen Wirkungsrichtung cosa juzgada material zur Anwendung. Die Institute der cosa juzgada und der Präklusion seien aber dennoch voneinander zu unterscheiden. 1051 1045 Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 178 („ficción jurídica“); Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 115 („ficción de identidad“). 1046 Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 178. 1047 Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 115 s. („[A]unque nada se hubiera alegado al respecto, quedará cubierto por la cosa juzgada, de modo que un ulterior proceso donde se pida lo mismo, pero basado en diferentes hechos o fundamentos jurídicos (aunque ello suponga un cambio de acción, por variación de la causa de pedir) no será viable procesalmente (proque lo prohíbe el efecto negativo o exluyente de la cosa juzgada: non bis in idem).“). 1048 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 76 s.; Sabater Martín, La Ley 2001 (n° 4), D-120, p. 1506, 1507; Ebenso Guixé Nogués, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 245, 249. 1049 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 76 („[L]o que impide un segundo proceso sobre una causa de pedir distinta cuando no han acaecido hechos (o fundamentos) nuevos en el tiempo es una regla que tiene nombre propio: la regla de preclusión y no, propiamente, la cosa juzgada, pues nada se ha juzgado ya que se había alegado.“); Sabater Martín, La Ley 2001 (n° 4), D-120, p. 1506, 1507. 1050 So Guixé Nogués, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 245, 249. 1051 Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 77 („...no podrán ser deducidos en un segundo proceso como consecuencia de la preclusión, y no de la cosa juzgada que nada tiene que ver. [...] la parte demandada podrá alegar la excepción de ‚cosa juzgada‘, porque el legislador reconduce el tratamiento procesal de la preclusión a aquella institución.“) . Ebenso Guixé Nogués, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 245, 249.

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Die der soeben geschilderten Ansicht zugrunde liegende Annahme, die Wirkungen der cosa juzgada material kämen nur hinsichtlich der Fragen zum Tragen, über die das Gericht tatsächlich ausdrücklich entschieden habe, beruht aber auf einem Verständnis der cosa juzgada als tatsächlich entschiedene Sache, welches aufgrund der Anerkennung einer Erstreckung der cosa juzgada auf das „Vortragbare“ letztlich schon vor Einführung der LEC 2000 überholt war. 1052 Die in Art. 400.1 LEC geregelte Obliegenheit zum erschöpfenden Vorbringen in der ersten Klage wird erst durch die Erstreckung der cosa juzgada bzw. der litispendencia auf dieses Vorbringen zur Wirkung gebracht.1053 Obschon diese Folge auch im Wege eines Rechtsfolgenverweises bewirkt hätte werden können, hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, in Art. 400.2 LEC eine Übereinstimmung der im ersten Verfahren herangezogenen Tatsachen und Rechtsgründe mit dem Tatsachen- und Rechtsvorbringen der späteren Klage anzuordnen, wenn letzteres bereits im Rahmen der ersten Klage hätte geltend gemacht werden können. Der Gesetzeswortlaut stellt damit klar, dass die Voraussetzungen der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada in diesem Fall zu bejahen sind. 1054 Zur Anwendung kommt daher nach Art. 400.2 LEC die cosa juzgada (bzw. litispendencia) selbst und nicht etwa eine gesonderte Präklusionswirkung, die lediglich die für die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada vorgesehenen Rechtsfolgen nach sich zieht. Auch die Rechtsprechung geht aufgrund des Art. 400.2 LEC von einer Verknüpfung der Präklusion mit der cosa juzgada material aus und prüft Art. 222 LEC und Art. 400 LEC regelmäßig gemeinsam. 1055 Der Tribunal Supremo verneint zudem einen Verstoß gegen das Gebot der erschöpfenden Behandlung des (Gegen-)Vorbringens (exhaustividad), wenn der Beklagte zwar sowohl das Entgegenstehen der cosa juzgada als auch der Präklusion nach Art. 400 LEC geltend gemacht hat, das Gericht dieses Gegenvorbringen aber allein mit der Begründung zurückweist, die Voraussetzungen der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada seien nicht gegeben.1056 Eine einheitliche Stellungnahme zum Verhältnis der Präklusion des nicht geltend gemachten Tatsachen- und Rechtsvorbringens zur cosa juzgada lässt sich der Rechtsprechung des Tribunal Supremo allerdings nicht entnehmen, vielmehr verwendet das Gericht teils

1052

So auch de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 96, p. 108. De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 96, p. 107. Ausführlich zur Bedeutung der cosa juzgada als Instrument der Geltendmachung der Präklusion Vallines García, La preclusión, p. 321 ss. 1054 Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 178. 1055 Vgl. z.B. STS 522/2014, 8. Oktober 2014 (n° ROJ: STS 4237/2014), FD 4° („vulneración de lo dispuesto en los artículo 400 y 222 de la Ley de Enjuiciamiento Civil“). 1056 STS 588/2010, 29. September 2010 (n° ROJ: STS 5146/2010), FD 3°. 1053

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Formulierungen, in denen die Präklusion nach Art. 400 LEC und die cosa juzgada zwar als eng verknüpft, aber nicht völlig identisch erscheinen, 1057 teils scheint eher ein Verständnis der Präklusion als der cosa juzgada zuzurechnende Wirkung zum Ausdruck zu kommen. 1058 Dass aber die Präklusion nach Art. 400 LEC dadurch zur Wirkung gelangt, dass die cosa juzgada auch auf das nicht vorgetragene Tatsachen- und Rechtsvorbringen erstreckt wird, wird in den Entscheidungen nicht in Frage gestellt. Mit Ausnahme einer Mindermeinung in der Literatur wird die Verknüpfung der Präklusion nicht vorgetragener Tatsachen und Rechtsgründe mit der cosa juzgada akzeptiert. Ob es sich bei der Präklusion um eine schlichte Anwendung der ohnehin auf nicht geltend gemachte Anspruchsgründe zu erstreckenden negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada handelt oder sich die cosa juzgada nur aufgrund einer in Art. 400 LEC enthaltenen Anordnung der Ausdehnung der cosa juzgada bzw. einer Identitätsfiktion zur Anwendung kommt, wird zwar unterschiedlich beurteilt. Die cosa juzgada greift nach neuer Rechtslage aber jedenfalls nicht nur, wenn sich der Kläger in einer späteren Klage auf Vorbringen beruft, welches der in der ersten Klage bereits geltend gemachten causa de pedir zuzurechnen ist, sondern gemäß Art. 400.2 LEC auch dann, wenn der Kläger die nachfolgende Klage auf zuvor nicht angeführte causae petendi stützt.

1057 Vgl. z.B. STS 522/2014, 8. Oktober 2014 (n° ROJ: STS 4237/2014), FD 3° („principio de preclusión de la alegación de hechos y fundamentos jurídicos del artículo 400 de la Ley de Enjuiciamiento Civil , y su reflejo en la cosa juzgada regulada en su artículo 222“) . Auch dadurch dass der Tribunal Supremo in der Entscheidung 588/2010 die Ablehnung eines Verstoßes gegen das Gebot der erschöpfenden Behandlung des Vorbringens mit der Annahme einer implizit erfolgten Zurückweisung des Einwandes der Präklusion begründet, bleibt das Verhältnis von cosa juzgada und Präklusion im Ungefähren, umgeht das Gericht es doch auf diese Weise, den Einwand eines Entgegenstehens der Präklusion nach Art. 400 LEC als mit dem Einwand der cosa juzgada material übereinstimmend zu bezeichnen (STS 588/2010, 29. September 2010 (n° ROJ: STS 5146/2010), FD 3°: „La sentencia resuelve motivadamente declarando que no hay cosa juzgada. De esto se sigue que el tribunal de apelación descarta la concurrencia de óbices que pudieran determinar la cosa juzgada y le impidan examinar la cuestión de fondo. No cabe, por tanto, apreciar el defecto procesal denunciado, toda vez que el fracaso de la alegación de la parte [de la vulneración del principio de preclusión] aparece implícito en la decisión de la Audiencia.“) . 1058 Vgl. z.B. STS 185/2013, 7. März 2013 (n° ROJ: STS 1716/2013), FD 3° („excepción de cosa juzgada con efectos preclusivos“).

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(c) Schlussfolgerungen aus Art. 400 LEC für die Begrenzung der „cosa juzgada“ durch den Anspruchsgrund Erstreckt sich die cosa juzgada gemäß Art. 400.2 LEC damit auch auf Tatsachen und Rechtsgründe, die nicht der bereits im ersten Verfahren geltend gemachten causa petendi zuzurechnen ist, so stellt sich die Frage, wie sich dies auf die Bestimmung der objektiven 1059 Grenzen der cosa juzgada auswirkt. Nicht wenige Autoren klammern diese Frage bei der Beschreibung der heutigen objektiven Reichweite der cosa juzgada weitgehend aus.1060 Unter den Autoren, die sich ausführlicher mit den Auswirkungen des Art. 400 LEC auf die Grenzen der cosa juzgada beschäftigen, wird aus der durch Art. 400 LEC 1059

Im Hinblick auf die subjektiven Grenzen wird keine Ausweitung bejaht. Aus dem Wortlaut des Art 400 LEC ergibt sich für eine Ausweitung der subjektiven Grenzen kein Anhaltspunkt. Zwar ließe sich bei einer Auslegung des „Beantragten“ als übereinstimmende Zielsetzung in bestimmten Fällen sicher auch bei gegen verschiedene Beklagte gerichteten Klagen eine Einheitlichkeit der Zielsetzung bejahen, allerdings wäre eine derart extensive Auslegung des Begriffs des „Beantragten“ mit dem rechtsbeschränkenden Charakter des Art. 400 LEC nur schwer vereinbar (so auch Vallines García, La preclusión, p. 234: „una interpretación extensiva de una norma restrictiva“). Angesichts des Verweises auf die cosa juzgada und dem Fehlen eines Anhaltspunktes für eine subjektive Ausdehnung, ist daher vielmehr anzunehmen, dass die Präklusion nach Art. 400 LEC nur in den von Art. 222.3 LEC vorgegebenen subjektiven Grenzen wirkt (STS 522/2014, 8. Oktober 2014 (n° ROJ: STS 4237/2014), FD 3°; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508; ausführlich Vallines García, La preclusión, p. 232 ss.). 1060 Bei einigen Autoren wird der Gegenstand der cosa juzgada unter Berufung auf die Bezugnahme des Art. 222.2 LEC auf den prozessualen Anspruch (pretensión) weiterhin durch das petitum und die causa petendi definiert, während die durch Art. 400 LEC bewirkte und von den Autoren (vgl. Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 566) ausdrücklich anerkannte Erstreckung der cosa juzgada auf die Gesamtheit des denkbaren Tatsachen- und Rechtsvorbringens an anderer Stelle geradezu versteckt behandelt wird (z.B. im Rahmen der Darstellung der zeitlichen Grenzen (so bei Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 566) oder als Zusatz im Rahmen der Darstellung des Streitgegenstandes (so bei Ortells Ramos, El objeto del proceso, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 285 s.)). Andere arbeiten zwar heraus, dass die Begrenzung der cosa juzgada durch die causa de pedir durch die Regelung des Art. 400 LEC in Frage gestellt wird, verzichten aber auf eine nähere Untersuchung der Folgen für die abstrakte Bestimmung des Gegenstandes der cosa juzgada (so Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 301, 306 ss.; López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 444). Auf Grundlage eines Verständnisses des Art. 400.2 LEC als Identitätsfiktion wird schließlich angenommen, das traditionelle Erfordernis der Identität der causa de pedir werde lediglich durch die in Art. 400.2 LEC enthaltene Fiktion einer Übereinstimmung der Anspruchsgründe ergänzt, auf deren Grundlage die negative Wirkungsrichtung auch hinsichtlich der im Erstverfahren nicht geltend gemachten causas de pedir greife (so Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 178). Dass die causa de pedir dadurch gerade als Grenze der cosa juzgada entwertet wird, wird dann aber nicht weiter thematisiert.

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bewirkte Erstreckung über die geltend gemachte causa de pedir hinaus teilweise geschlossen, die causa de pedir habe durch die Einführung des Art. 400 LEC ihre Bedeutung als Grenze der cosa juzgada weitestgehend verloren.1061 Ohne dies ausdrücklich zu sagen, nähert sich ein solcher Ansatz einem allein durch das petitum bestimmten eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff für die cosa juzgada an. De la Oliva Santos will dagegen an der Begrenzung der cosa juzgada durch die causa de pedir festhalten. Allerdings modifiziert er den Begriff der causa de pedir dahingehend, dass dieser nicht die tatsächlich vorgetragene Tatsache bzw. den tatsächlich vorgetragenen Rechtsgrund beschreibt, sondern vielmehr die Gesamtheit der Tatsachen und Rechtsgründe, die der Kläger vorgetragen hat und die er hätte vortragen können.1062 Den von ihm als „möglichen Streitgegenstand“ (objeto virtual) bezeichneten Gegenstand der cosa juzgada und litispendencia begrenzt er also durch einen stark ausgeweiteten Begriff der causa de pedir. Eine Präzisierung der objektiven Grenzen der cosa juzgada bewirkt de la Oliva Santos‘ Ansatz allerdings nicht, da die Definition der causa de pedir als Gesamtheit der denkbaren Tatsachen und Rechtsgründe, auf die der Antrag gestützt werden kann, von fast konturloser Weite ist. Indem Art. 400 LEC die Sperrwirkung der cosa juzgada auch dann auf nicht im Erstverfahren vorgetragene Tatsachen und Rechtsgründe erstreckt, wenn diese eine abweichende causa de pedir bilden, verliert die im traditionellen Sinne definierte causa de pedir ihre Bedeutung als Grenze der cosa juzgada. Die Gesamtheit der Tatsachen und Rechtsgründe, auf welche der Antrag gestützt hätte werden können, mag zwar bei Festhalten an einem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff im Bereich der cosa juzgada den neuen Anspruchsgrund bilden, zu einer Individualisierung des Rechtsstreits trägt ein derart weit gefasster Anspruchsgrund aber nicht bei. Bedeutung könnte ihm allein im Hinblick auf die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft zukommen, wenn man ihn von Anfang an auf die Tatsachen (und Rechtsgründe) beschränkt, die im für das Tatsachen- und Rechtsvorbringen vorgesehenen Zeitpunkt des Erstverfahrens bereits eingetreten und bekannt waren. 1063 Unabhängig davon, ob man auf die Grenze der causa de pedir vollständig verzichtet oder die causa petendi bzw. 1061

Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 116 („[A] partir de esta norma, la identitad de causa de pedir exigida por la legislación anterior y avalada por unánime jurisprudencia entre la actio iudicata y la actio iudicanda puede ser irrelelvante.“) ; dies., Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1094, 1103 („[P]oca o nula importancia tendrá la identidad de causa de pedir de ambas acciones.“) . 1062 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 96, p. 106 s. („[L]a causa de pedir de un primer proceso se integra, en virtud de esos dos preceptos, con los fundamentos fácticos y jurídicos que, aun no alegados, hubiesen podido alegado....“). 1063 Nur in diesem Zusammenhang nimmt auch Art. 222 LEC noch auf den Anspruchsgrund (fundamento de las pretensiones) Bezug (Art. 222.2, II LEC). Zu den sog. zeitlichen Grenzen der cosa juzgada unten G. II. 3. c..

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einen hiervon zu unterscheidenden Anspruchsgrund als Gesamtheit der Tatsachen und Rechtsgründe, auf welche das „Beantragte“ gestützt hätte werden können, definiert, kommt dem nach alter Rechtslage häufig vernachlässigten petitum bzw. dem „Beantragten“ (lo que se pida) im Sinne des Art. 400 LEC künftig die zentrale Bedeutung bei der Identifizierung des Gegenstandes der cosa juzgada bzw. der Präklusion zu.1064 (d) Die Begrenzung des Gegenstandes der „cosa juzgada“ bzw. der Präklusion durch das „petitum“ Findet die Präklusion damit unabhängig von ihrer dogmatischen Verortung künftig ihre Grenze primär im petitum bzw. im „Beantragten“ im Sinne des Art. 400 LEC, bedarf es nochmals eines kurzen Blicks auf die Definition des petitum. Wie bereits oben beschrieben, wird der Begriff des petitum nicht am rein formalen Antragsinhalt ausgerichtet. 1065 Auf Grundlage des herrschenden Verständnisses des petitum bezieht vielmehr die mittelbare Komponente des petitum auch die rechtliche Qualifizierung des begehrten Rechtsgutes in gewissem Maße mit ein.1066 Durch die Definition des petitum als rechtlich eingekleidetes Rechtsgut bleibt wohl zumindest eine uferlose Ausweitung der Präklusion nach Art. 400 LEC auf sämtliche denkbaren Rechtsverhältnisse, auf die sich der (formale) Antrag stützen ließe, ausgeschlossen. 1067 Eine genaue Aussage zur 1064 Vgl. die Beurteilung von Concheiro del Río, UNED Boletín de la Facultad de Derecho 2003 (n° 23), p. 245, 258: „[E]l fundamento básico determinante de la cosa juzgada material se hace recaer [...] en lo que constituye el petitum de la demanda, a diferencia de lo que ocurría anteriormente, en que se basaba principalmente en la causa de pedir (causa petendi) ...“. 1065 Anderenfalls bestünde bei einem primär durch das petitum begrenzten Rechtskraftgegenstand insbesondere bei Zahlungsklagen die Gefahr einer fast uferlosen Ausweitung der Präklusion, ließe sich doch annehmen, dass der Kläger sämtliche Zahlungsansprüche aus sämtlichen Rechtsverhältnissen und auf Grundlage aller ihm bekannten Sachverhalte in der ersten Klage (hilfsweise) geltend machen muss, selbst wenn dabei so unterschiedliche Ansprüche betroffen wären wie beispielweise ein Kaufpreiszahlungsanspruch aus einem Immobilienkaufvertrag und eine Schadensersatzforderung wegen eines zwei Jahre später geschehenen Verkehrsunfalls. 1066 Zur Definition des petitum siehe oben G. II. 2. b. 1067 Vgl. SAP Ourense 398/2013, 22. November 2013 (n° ROJ: SAP OU 755/2013), FD 2° („El artículo 400 circunscribe su ámbito a ‚lo que se pida en la demanda‘, sin que sea extrapolable a toda relación jurídica que pudiera mediar entre las mismas partes.“) . Ähnlich auch Vallines García, La preclusión, p. 223 (für Klagen, die sich auf zu verschiedenen Zeitpunkten geschlossene Kaufverträge beziehen). Ein Entgegenstehen des Art. 400 LEC in einem Fall, in dem sich die Zahlungsklagen auf zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschlossene Darlehensverträge stützen, lehnt auch Castillejos Manzanares ausdrücklich ab, allerdings mit der Begründung des Abweichens der tatsächlichen causa (Castillejos Manzanares, Hechos nuevos o de nueva noticia, p. 262 s.). Die Autorin nimmt aber wohl an, dass Art.

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Reichweite der Konzentrationsobliegenheit nach Art. 400 LEC wird allerdings durch die oben bereits beschriebene Unschärfe der herrschenden Definition des petitum erschwert. Auch nach Einführung des Art. 400 LEC hat die Literatur kaum dazu beigetragen, dem petitum klarere Konturen zu geben. Ein Teil der Literatur und der Rechtsprechung spricht sich allerdings – wie bereits erwähnt – dafür aus, das petitum bzw. das „Beantragte“ im Rahmen des Art. 400 LEC im Sinne einer homogenen Zielsetzung zu verstehen. 1068 Hiermit scheint zwar zunächst allein eine Ausweitung der Präklusion verbunden zu sein, da statt der Identität der petita nur die Homogenität des Klageziels verlangt wird.1069 Gleichzeitig kommt aber den herangezogenen Anspruchsgründen insoweit Bedeutung zu, als die Zielsetzung der Klage durch das Tatsachenund Rechtsvorbringen mitgeprägt wird. 1070 So fließt der Anspruchsgrund beispielsweise bei der bereits erwähnten Zahlungsklage dergestalt in die Bestimmung der Zielsetzung mit ein, dass als Klageziel nicht die Zahlung einer bestimmten Summe, sondern die Zahlung des Kaufpreises aus einem bestimmten Kaufvertrag anzusehen ist.1071 Hierdurch soll zwar nicht die Konzentrationslast hinsichtlich des Rechts- und Tatsachenvorbringens unter dem Deckmantel einer Modifizierung des Begriffs des petitum umgangen werden,1072 jedoch wird der der Klage zugrunde liegende Sachverhalt und dessen rechtliche Qualifizierung auf diese Weise nicht gänzlich aus der Definition des Gegenstandes der cosa juzgada herausgelöst. Vielmehr kommt ihm auch im Rahmen des Art. 400 LEC eine gewisse begrenzende Bedeutung zu, wenn auch in deutlich geringerem Maße als bei einer Begrenzung des Streitgegenstandes durch die causa de pedir. Während sich die Bezugnahme auf eine durch das Tatsachen- und

400 LEC nur im Rahmen derselben causa de pedir wirkt, wobei aber ihre Aussagen zum Verhältnis von causa de pedir, pretensión und Tatsachenänderung (p. 262 s.) sehr vage sind und eher den Rechtszustand vor Einführung des Art. 400 LEC widerzuspiegeln scheinen. 1068 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6°; AAP Madrid 302/2008, 17. September 2008 (n° ROJ: AAP M 11940/2008), RJ 21°; AAP Oviedo 62/2011, 7. Juni 2011 (n° ROJ: AAP O 459/2011), FD 3°; SAP Oviedo 303/2013, 14. Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2°; Vallines García, La preclusión, p. 220 s. Ähnlich auch Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508 (Homogenität des petitum). 1069 Wie bereits oben beschrieben geht die Rechtsprechung bei der praktischen Anwendung des Kriteriums der übereinstimmenden Zielsetzung aber bislang nicht über die zuvor gefundenen Ergebnisse hinaus, G. II. 2. d. cc.; e. 1070 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6° („Para examinar si lo que en dichos escritos se pide es lo mismo [...] resulta conveniente no aislarlo de la que sea su causa.“); Vallines García, La preclusión en el proceso civil, p. 222 („considerar los petita a la luz de respectivas causas de pedir“). 1071 Vallines García, La preclusión, p. 223 1072 So ausdrücklich STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6°.

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Rechtsvorbringen konturierte Homogenität des Beantragten in der höchstrichterlichen Rechtsprechung durchzusetzen scheint, 1073 kann dieses Verständnis in der Literatur nicht als herrschend bezeichnet werden, sondern wird hier sogar teilweise als mit dem Wortlaut des Art. 400 LEC unvereinbar angesehen.1074 Obwohl dem petitum durch die Formulierung des Art. 400 LEC nun an sich die maßgebliche Rolle bei der Begrenzung der cosa juzgada zukommt, bemühen sich nur wenige Autoren um eine präzisere Definition des petitum. Allein das Kriterium der Homogenität der Zielsetzung bzw. der Ansprüche lässt derzeit einen Ansatz einer abstrakten Neubestimmung der objektiven Grenzen der cosa juzgada erkennen. Ob dieser sich durchzusetzen vermag und dabei auch klarere Konturen erhalten wird, bleibt abzuwarten. (e) Zusammenfassung Die frühere abstrakte Defintion der objektiven Reichweite der cosa juzgada kann nach Einführung des Art. 400 LEC keine uneingeschränkte Gültigkeit mehr beanspruchen. Da sich die cosa juzgada nicht mehr auf die geltend gemachte causa de pedir im traditionellen Sinne beschränkt, stimmt der Gegenstand der cosa juzgada nicht mehr mit dem Streitgegenstandsbegriff überein, der für zahlreiche streitgegenstandsbezogene Fragen, wie das Vorliegen einer Klageänderung oder die Einhaltung des Gebots der Kongruenz der Entscheidung, gilt und der weiterhin durch die causa de pedir im traditionellen Sinne definiert wird. 1075 In der Literatur wird der für die cosa juzgada geltende Streitgegenstandsbegriff aber bislang nur vereinzelt genauer untersucht. Insbesondere die causa de pedir, die in ihrer traditionellen Definition an sich nicht mehr als objektive Grenze der cosa juzgada wirken kann, wird keiner neuen Definition zugeführt oder durch eine neue Figur zur Beschreibung der zum selben Gegenstand gehörenden Tatsachen und Rechtsgründe ersetzt. Aber auch dem petitum, dessen Bedeutung als Grenze der zu konzentrierenden Tatsachen und Rechtsgründe schon durch den Wortlaut des Art. 400.1 LEC vorgegeben wird und die den Bedeutungsverlust der causa de pedir ausgleichen könnte, wird in der Literatur nur selten größere Aufmerksamkeit gewidmet. Allein das Abstellen auf eine Homogenität der Zielsetzung bildet sich als Neuentwurf des für 1073 Vgl. z.B. die Entscheidung STS 671/2014, 19. November 2014 (n° ROJ: STS 4840/2014), FD 7° (n° 5): „Para que entre en juego la regla preclusiva del art. 400 LEC no es imprescindible que las pretensiones formuladas en una y otra demanda sean idénticas, pero sí es necesario que exista homogeneidad entre ellas.“ 1074 So Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 188 s. 1075 Vgl. die von de la Oliva Santos geprägte Unterscheidung zwischen dem tatsächlichen Streitgegenstand (objeto actual) und dem für die cosa juzgada und die litispendencia geltenden möglichen Streitgegenstand (objeto virtual), de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 67 ss., p.75 ss.

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die cosa juzgada geltenden Streitgegenstandsbegriffs in Reaktion auf die Einführung des Art. 400 LEC heraus, ohne dass aber klar erkennbar würde, in welchem Maß dieser Streitgegenstand durch Sachverhalt und rechtliche Qualifizierung geprägt ist. An einer greifbaren, subsumtionsfähigen Definition des Gegenstandes der cosa juzgada fehlt es damit derzeit. Um die Grenzen der cosa juzgada unter geltendem Recht zu konkretisieren, erscheint es daher notwendig, einen Blick auf die praktische Anwendung des Art. 400 LEC zu werfen. (2) Die Anwendung des Art. 400 LEC in einzelnen Fallgruppen (a) Die Reichweite der Präklusion bei verschiedenen Anspruchs- und Klagearten Erlegt Art. 400 LEC dem Kläger eine Obliegenheit zur Ausschöpfung sämtlicher causae petendi auf, kann dem nach verschiedenen Anspruchs- und Klagearten differenzierenden Verständnis der causa de pedir, welches nach alter Rechtslage die Reichweite der Sperrwirkung der cosa juzgada bestimmt hatte, bei der Beurteilung des Gegenstandes der cosa juzgada heute keine Bedeutung mehr zukommen. Um die Vergleichbarkeit mit der früheren Rechtslage zu erleichtern, erscheint es sinnvoll, die Betrachtung der Wirkungsweise des Art. 400 LEC an dieser Differenzierung zwischen Anspruchs- und Klagearten auszurichten. Keine Änderung im Hinblick auf die Reichweite der Sperrwirkung der cosa juzgada ist bei Leistungs- und Feststellungsklagen zu verzeichnen, die sich auf absolute Rechte stützen: Die bereits nach alter Rechtslage ganz herrschende Lösung, wonach einer späteren Klage mit übereinstimmendem petitum auch dann die cosa juzgada des Ersturteils entgegensteht, wenn die Rechtsinhaberschaft nun auf einen anderen Erwerbstatbestand gestützt wird, wird heute mit Art. 400 LEC begründet.1076 Der Kläger muss also nach wie vor sämtliche denkbaren Gründe für die Entstehung seiner sachenrechtlichen Rechtsposition im ersten Verfahren anführen, da ihm eine auf einen anderen Erwerbsgrund gestützte Klage verwehrt ist. Während aber die Begründung dieses Ergebnisses nach alter Rechtslage immer eine Auseinandersetzung mit der Frage der Prägung der causa de pedir durch die herangezogenen Rechtsgrundlagen erforderte, ergibt sich die Lösung heute ohne Weiteres aus Art. 400.1 LEC, der die Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsgründe und Rechtstitel bezieht.

1076 SAP Girona 233/2009, 17. Juni 2009 (n° ROJ: SAP GI 1251/2009), FD 3° (verschiedene Erwerbsgründe eines Erbbaurechts (censo)); Castillejos Manzanares, Hechos nuevos o de nueva noticia, p. 269 ss.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 314; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 123; Vallines García, La preclusión, p. 199.

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Hat Art. 400 LEC bei Verfahren über absolute Rechte damit lediglich die Begründung der bereits zuvor herrschenden Lösung erleichtert, hat die Einführung der Norm im Hinblick auf die Reichweite der Präklusion bei Gestaltungsurteilen einen deutlichen Wandel bewirkt. Hier zeigt sich in besonderer Deutlichkeit, dass Art. 400 LEC die Konzentration und Präklusion nicht nur des Tatsachenvorbringens, sondern auch der den Antrag stützenden Rechtsgründe vorsieht.1077 Während sich die cosa juzgada nach früherer Rechtslage auf den in der Klage zur Begründung der begehrten Rechtsänderung herangezogenen bzw. im Urteil geprüften Rechtsgrund beschränkte, ist der Kläger nun gemäß Art. 400 LEC mit einer späteren, auf einen anderen Rechtsgrund gestützten Gestaltungsklage präkludiert.1078 In der Literatur ist man sich daher einig, dass bei den auf die Auflösung eines Rechtsverhältnisses gerichteten Klagen sämtliche Annullierungs- und Aufhebungsgründe im ersten Antrag zu konzentrieren sind, auch wenn weiterhin jeder einzelne Rechtsgrund als gesonderte causa de pedir angesehen wird. 1079 In der Rechtsprechung der Audiencias Provinciales fanden sich zwar auch nach Einführung des Art. 400 LEC zunächst noch Entscheidungen, die eine Präklusion der im ersten Verfahren nicht geltend gemachten Aufhebungsgründe verneinen und dementsprechend eine spätere antragsgleiche

1077 Gimeno Sendra/Fuentes Soriano nehmen sogar an, dass die Bezugnahme auf die fundamentos jurídicos allein die Fallgruppe der Gestaltungsklagen betrifft (Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 177 s.). 1078 Allgemein zu Gestaltungsklagen und -urteilen: Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 265 ss. Für Aufhebung und Annullierung: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 314 und 500; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661; Vallines García, La preclusión, p. 200. 1079 Dass es sich auch weiterhin um verschiedene causas de pedir handelt, betont Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 500. So auch SAP Salamanca 548/2012, 17. Oktober 2012 (n° ROJ: SAP SA 642/2012), FD 3°.

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Aufhebungsklage auf Grundlage anderer Rechtsgründe für zulässig erachten.1080 In aktuellen Entscheidungen sind die Audiencias Provinciales 1081 allerdings der in der Literatur herrschenden Lösung gefolgt und bejahen ein Greifen der cosa juzgada. 1082 Der Obliegenheit zur Konzentration der Annullierungsund Aufhebungsgründe wird aber durch das Erfordernis der Übereinstimmung (bzw. der Homogenität) des Antrags gewisse Grenzen gesetzt: So wird im Verhältnis zwischen den verschiedenen Formen der Annullierung oder Aufhebung (anulabilidad, resolución, rescisión) ein Abweichen des „Beantragten“ im Sinne des Art. 400.1 LEC bejaht,1083 so dass eine neue Klage bei Berufung auf einen Rechtsgrund, der einer anderen Form der Anfechtung eines Rechtsverhältnisses zuzurechnen ist, möglich bleibt. Bei der Differenzierung scheint es aber weniger auf die formelle Bezeichnung als auf die genaue Wirkungsweise des jeweiligen Aufhebungstatbestandes anzukommen. 1084 Auch im Hinblick auf Verfahren, die obligatorische Rechte zum Gegenstand haben, hat Art. 400 LEC eine deutliche Änderung gegenüber der bisherigen Bestimmung des Rechtskraftgegenstandes bewirkt. So verhindert die Heran-

1080 SAP Barcelona 625/2004, 3. November 2004 (n° ROJ: SAP B 13082/2004), FD 2° (Aufhebung (resolución) eines Mietverhältnisses im ersten Verfahren wegen Eigenbedarfs, im zweiten Verfahren wegen Nichtnutzung durch den Mieter); SAP Madrid 647/2007, 5. Dezember 2007 (n° ROJ: SAP M 17135/2007), FD 3 (Aufhebung (resolución) des Mietverhältnisses im ersten Verfahren wegen fehlenden Nutzungsbedarfs des Mieters, im zweiten Verfahren wegen Baufälligkeit der Wohnung bei Unverhältnismäßigkeit der Renovierungskosten). Die Entscheidung SAP Barcelona 625/2004 beruht allerdings auf der Annahme, dass Art. 400 LEC bei einem Abweichen der causa de pedir nicht greift, während die Entscheidung SAP Madrid 647/2007 ein Greifen der negativen Wirkung der cosa juzgada nach Art. 222.1 LEC verneint, ohne auch nur auf Art. 400 LEC Bezug zu nehmen. 1081 An einer Entscheidung des Tribunal Supremo fehlt es dagegen – soweit ersichtlich – bislang. In einem insolvenzrechtlichen Fall, in dem die Aufhebung (rescisión) eines Vertragsverhältnisses zunächst auf Grundlage der acción pauliana wegen Gläubigerbetrugs und in einer späteren Klage auf Grundlage des insolvenzrechtlichen Aufhebungsanspruchs gemäß dem früheren Art. 878 Código de Comercio eingeklagt worden war, hat der Tribunal Supremo (STS 169/2014, 8. April 2014 (n° ROJ: 1629/2014), FD 11°) ein Entgegenstehen der cosa juzgada nach Art. 222.1 LEC wegen abweichenden Streitgegenstandes verneint, jedoch fand Art. 400 LEC in diesem Verfahren keine Anwendung. Zum Anwendungsbereich des Art. 400 LEC sogleich unter G. II. 3. b. bb. 1082 SAP Salamanca 548/2012, 17. Oktober 2012 (n° ROJ: SAP SA 642/2012), FD 3° (Aufhebung des Mietverhältnisses im 1. Verfahren wegen Nichterfüllung, im zweiten wegen Vereinbarung eines cross default); SAP A Coruña 248/2012, 2. Mai 2012 (n° ROJ: SAP C 1284/2012), FD 3° (verschiedene Rechtsgründe für die Nichtigkeit einer testamentarischen Verfügung). 1083 SAP Oviedo 303/2013, 14.Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2°. 1084 Vgl. auch das obiter dictum in der Entscheidung SAP Oviedo 303/2013, 14.Oktober 2013 (n° ROJ: SAP O 2768/2013), FD 2° (zur denkbaren Homogenität im Verhältnis zwischen der rescisión im Fall der Insolvenz und der Nichtigkeit).

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ziehung unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen bzw. die Berufung auf unterschiedliche Pflichtverletzungen nach dem Verständnis der Literatur nicht, dass einer erneuten, denselben Sachverhalt betreffenden Schadensersatzklage nach Art. 400.2 LEC die cosa juzgada des im vorausgegangenen Schadensersatzprozess ergangenen Urteils entgegensteht. 1085 Insbesondere ist damit ausgeschlossen, dass der Kläger seinen Anspruch nach Abweisung der auf die deliktische Haftung gestützten Klage im späteren Verfahren auf die vertragliche Haftung stützt und umgekehrt.1086 Die zu Art. 400 LEC ergangene Rechtsprechung teilt zwar die Ansicht, dass der Kläger sämtliche causae petendi, auf die er sein Schadensersatzbegehren stützen kann, im ersten Verfahren zu konzentrieren hat,1087 setzt der Präklusion aber durch das Erfordernis der Homogenität der Ansprüche bzw. der Zielsetzung Grenzen. Deutlich wird dies bei einem Vergleich zweier Entscheidungen des Tribunal Supremo: In einem Fall, in dem die Kläger ihre gegen einen Fernsehsender gerichtete Schadensersatzklage zunächst auf eine Verletzung des Gesetzes zum Schutz der Ehre, der Intimsphäre und des eigenen Bildes, in der späteren Klage dann aber auf die Verletzung der datenschutzrechtlichen Pflicht zur vorherigen Information über die Verwendung personenbezogener Daten stützten, hat der Tribunal Supremo 2011 eine Präklusion bejaht.1088 Zwar mache der Kläger unterschiedliche Rechtsgrundlagen und damit wegen Abweichens des normativen Elements unterschiedliche causae petendi geltend, jedoch sei die notwendige Homogenität des Beantragten gegeben, weshalb die Voraussetzungen des Art. 400 LEC erfüllt seien.1089 In einem 2014 ergangenen Urteil hat der Tribunal Supremo dagegen eine Präklusion nach Art. 400 LEC verneint.1090 Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, 1085 Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 262 s.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 54, p. 62 s.; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1507; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661; dies., Cosa juzgada, p. 123; Vallines García, La preclusión, p.199 s. 1086 Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 262 s.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 54, p. 62 s.; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1507; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661; Vallines García, La preclusión, p.199 s. 1087 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6°; AAP Barcelona 177/2005, 15. November 2005 (n° ROJ: AAP B 5903/2005), RJ 4° (Schadensersatz im ersten Verfahren auf Grundlage des Gesetzes zum Schutz der Ehre, im zweiten Verfahren aus deliktische Haftung bei Beleidigung). 1088 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6°. 1089 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6°: „Es evidente que, cuanto menos, el elemento normativo de cada una de las dos causas de pedir es diferente del de la otra. Sin embargo, lo que se pide en ambas demandas – una indemnización de daños y perjuicios de igual naturaleza – es lo mismo [...], dada la homogeneidad de las pretensiones y la coincidencia de sus finalidades prácticas“. 1090 STS 671/2014, 19. November 2014 (n° ROJ: STS 4840/2014), FD 7°.

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in dem die beklagte Bank die Kreditkarte ihres nun klagenden Kunden an eine nicht mehr gültige Adresse versendet hatte, weshalb die Kreditkarte in die Hände Dritter fiel, die die Karte missbräuchlich belasteten. Wegen des hierdurch entstandenen Negativsaldos auf dem Konto des Klägers veranlasste die Bank die Aufnahme des Klägers als säumigen Schuldner in das Schuldnerverzeichnis einer Auskunftei. Der Kläger forderte in einem ersten Verfahren Ersatz seines Vermögensschadens wegen Verletzung der vertraglichen Pflichten bei der Zusendung der Kreditkarte. Im Anschluss verlangte er immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung seiner persönlichen Ehre durch die Aufnahme in das Schuldnerverzeichnis. Hier verneinte das Gericht die Homogenität der Ansprüche, ohne allerdings deutlich zu machen, ob hierfür ausschlaggebend war, dass der Kläger im ersten Verfahren einen Vermögensschaden, in der späteren Klage dagegen einen immateriellen Schaden geltend machte, dass es sich einmal um einen vertraglichen Anspruch und im späteren Verfahren um eine außervertragliche Anspruchsgrundlage handelte oder dass die zum vertraglichen Leistungsumfang gehörende Zusendung der Kreditkarte in tatsächlicher und zeitlicher Hinsicht klar von der späteren Veranlassung der Aufnahme in das Schuldnerverzeichnis trennbar war. Der Tribunal Supremo bezieht in seiner Begründung vielmehr alle diese Aspekte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit ein.1091 In der Entscheidung von 2011 hatte der Tribunal Supremo primär auf die übereinstimmende Natur des geltend gemachten Schadens und den praktischen Gleichlauf der Zielsetzung abgestellt. 1092 Der Konkretisierung des „Beantragten“ im Sinne des Art. 400.1 LEC durch das Kriterium der Homogenität der Ansprüche kommt damit in der Rechtsprechung eine zentrale Bedeutung bei der Bestimmung der Reichweite der Präklusion bei Schadensersatzprozessen zu. Bei dem dabei vorgenommenen Vergleich scheint eine Rolle zu spielen, welche Art von Schaden jeweils geltend

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STS 671/2014, 19. November 2014 (n° ROJ: STS 4840/2014), FD 7°: „Para que entre en juego la regla preclusiva del art. 400 LEC no es imprescindible que las pretensiones formuladas en una y otra demanda sean idénticas, pero sí es necesario que exista homogeneidad entre ellas. Tal homogeneidad no existe entre una demanda en la que se ejer cita la pretensión de que se declare la responsabilidad contractual de una entidad financiera por no haber cumplido las obligaciones derivadas del contrato que le une con su cliente, y se le condene a asumir los perjuicios patrimoniales provocados por tal incumplimiento, y otra posterior en la que pide la protección del derecho fundamental al honor respecto de la vulneración provocada por la inclusión del cliente en un fichero sobre incumplimiento de obligaciones dinerarias, y se le condene a indemnizar los daños morales producidos por tal vulneración, como sucede en el caso enjuiciado.“ 1092 STS 189/2011, 30. März 2011 (n° ROJ: STS 2227/2011), FD 6° („una indemnización de daños y perjuicios de igual naturaleza», «coincidencia de sus finalidades prácticas“).

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gemacht wird.1093 Eine ausdrückliche Festlegung der Kriterien für die Beurteilung der Homogenität hat der Tribunal Supremo allerdings vermieden, was die Vorhersehbarkeit der Anwendung des Homogenitätskriteriums erschwert, den Gerichten aber eine flexible Beurteilung im konkreten Einzelfall ermöglicht. Hat sich damit im Hinblick auf Schadensersatzansprüche eine in der Rechtsprechung durch das Erfordernis der Homogenität der Ansprüche begrenzte Obliegenheit zur Konzentration der unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen durchgesetzt, stellt sich die Frage, ob Ähnliches für das Verhältnis von vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Ansprüchen gilt, ob also der Kläger in seiner Klage neben dem vertraglichen Anspruch auch hilfsweise eine bereicherungsrechtliche Haftung geltend machen muss: Während die Literatur eine Präklusion des nicht geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Anspruchs bejaht,1094 ist die Position der Rechtsprechung noch nicht völlig gefestigt. In der Rechtsprechung der Audiencias Provinciales wurde nach Einführung des Art. 400 LEC zwar teilweise ebenfalls eine Präklusion befürwortet. 1095 Die Audiencia Provincial (AP) Ourense hat 2014 allerdings ein Greifen der Präklusion nach Art. 400 LEC verneint:1096 Art. 400 LEC erlege dem Kläger nicht die Obliegenheit auf, den bereicherungsrechtlichen Anspruch im Wege der Eventualklagehäufung 1097 bereits im Erstverfahren über einen vertraglichen Anspruch geltend zu machen.1098 Dabei berief sich die AP Ourense auf eine Entscheidung des Tribunal Supremo aus dem Jahr 2013, in der das Gericht die Obliegenheit 1093

Auch in der Literatur findet sich die Unterscheidung nach verschiedenen Schadensarten, so soll die Klage auf Ersatz immaterieller Schäden einer Klage auf Ersatz des entgangenen Gewinns nicht entgegenstehen, Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508 s.; Vallines García, La preclusión, p. 224. 1094 Vallines García, La preclusión, p. 200. 1095 SAP Sevilla, 12. April 2005 (n° de recurso: 308/2005, n° ROJ: SAP SE 1314/2005), FD 3° („Es obvio y evidente que la parte actora pudo en aquel proceso anterior formular conjuntamente con la acción por incumplimiento contractual la de enriquecimiento injusto, pues su fundamento o causa de pedir es el mismo, son idénticas las circunstancias determinantes del derecho reclamado.“). 1096 SAP Ourense 228/2014, 12. Juni 2014 (n° ROJ: SAP OU292/2014), FD 3°. Im zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger zunächst auf die Zahlung von Mietzins für den Zeitraum der Nutzung einer Immobilie geklagt und nach Abweisung seiner auf die Existenz eines Mietvertrages gestützten Klage Ersatz für die Nutzung auf bereicherungsrechtlicher Grundlage geltend gemacht. 1097 Da im Hinblick auf die Klagehäufung auch weiterhin der „tatsächliche“, durch die vorgetragene causa de pedir begrenzte Streitgegenstandsbegriff gilt, ist die Kumulation von vertraglichem und bereicherungsrechtlichem Anspruch wegen abweichenden Streitgegenstands als Eventualklagehäufung und nicht lediglich als Hilfsvorbringen zu werten, vgl. de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 69, p. 76 s. 1098 SAP Ourense 228/2014, 12. Juni 2014 (n° ROJ: SAP OU292/2014), FD 3°: „Pero además cuando las pretensiones no son las mismas y el título jurídico en virtud de que se actúa individualiza la acción, el artículo 400 no obliga al demandante a efectuar una acumulación eventual de acciones ...“.

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zur Kumulation des vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Anspruchs im Wege der Eventualklagehäufung für den Fall abgelehnt hatte, „dass die prozessualen Ansprüche abweichen“. 1099 Die Abweichung des prozessualen Anspruchs war im der Entscheidung des Tribunal Supremo zugrunde liegenden Fall allerdings schon deshalb gegeben, weil der Kläger, der Zahlung von Nutzungsersatz für die Zeit der rechtsgrundlosen Nutzung einer Immobilie verlangte, zuvor lediglich die Feststellung des Bestehens des Mietverhältnisses und der Verpflichtung zur Mietzinszahlung beantragt hatte. 1100 Der Fall eines Aufeinanderfolgens zweier Leistungsklagen mit übereinstimmender Zielsetzung, wie er der Entscheidung der AP Ourense zugrunde lag, ist damit höchstrichterlich noch nicht geklärt. Die von der umstrittenen Definition der causa de pedir gelöste Erstreckung der cosa juzgada auf im Erstverfahren nicht geltend gemachte Tatsachen und Rechtsgründe hat – mit Ausnahme der Fallgruppe der auf absolute Rechte gestützten Leistungsklagen – im Vergleich zur bisherigen Reichweite der cosa juzgada eine Ausweitung der Sperrwirkung der cosa juzgada bewirkt.1101 Insbesondere in der Rechtsprechung zeigt sich aber die Tendenz, dieser weitreichenden Präklusion durch eine den zugrunde liegenden Sachverhalt und die Natur der geltend gemachten Ansprüche einbeziehende Definition des „Beantragten“ Grenzen zu setzen. (b) Der Anwendungsbereich der Regel der Erstreckung der „cosa juzgada“ auf das mögliche Vorbringen („lo deducible“) Während die bisherigen Ausführungen den Bereich betreffen, in dem nach bisheriger Rechtslage die eng verstandene causa de pedir die Reichweite der cosa juzgada vorgab, stellt sich die Frage, wie sich die Einführung des Art. 400 LEC im Anwendungsbereich der Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf das „Vortragbare“ auswirkt, wird diese doch als Vorläufer des Art. 400 LEC verstanden. Wie oben dargestellt, war die Erstreckung der cosa juzgada auf das mögliche Vorbringen von besonderer Bedeutung in der Konstellation der nach 1099

STS 812/2012, 9. Januar 2013 (n° ROJ: STS 277/2013), FD 4° („Cuando no son las mismas las prensiones y el título jurídico en virtud del que se pretenden individualiza la acción, el artículo 400 LEC no obliga al demandante a efectuar en la demanda una acu mulación eventual de acciones, que no viene impuesta por el artículo 71.2 LEC.“). 1100 STS 812/2012, 9. Januar 2013 (n° ROJ: STS 277/2013), FD 4°: „[N]o puede apreciarse identidad entre las pretensiones, ya que en el juicio 327/2005 las pretensiones fueron meramente declarativas circunscritas al ámbito de un supuesto contrato de arrendamiento...“. 1101 Vgl. auch die Beurteilung des Art. 400 LEC in der Entscheidung STS 432/2009, 17. Juni 2009 (n° ROJ: STS 3640/2009), FD 2°: „El ámbito objetivo de lo deducible ha sido ampliado, conforme a la vigente Ley de Enjuiciamiento Civil, por la regla de preclusión que contiene su artículo 400, apartado 1 ...“ (obiter dictum, da der Fall nach altem Recht zu beurteilen war).

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verschiedenen Schadensposten, Mängeln oder Zeitabschnitten individualisierten Teilklagen. Im Zeitraum seit Einführung der LEC 2000 hat sich eine einheitliche Behandlung dieser Konstellation noch nicht herausgebildet. Die in Art. 400 LEC geregelte Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen und die damit verbundene Erstreckung der cosa juzgada bezieht sich nach dem Verständnis der Literatur nicht auf Schäden, die sich unterschiedlichen Schadenskategorien zurechnen lassen (also z.B. immaterielle Schäden einerseits und entgangener Gewinn andererseits, 1102 bzw. körperliche Schäden einerseits und Vermögensschäden andererseits 1103), da insoweit ein Abweichen des „Beantragten“ im Sinne des Art. 400 LEC vorliege. 1104 Wie oben bereits gezeigt, deutet sich eine solche Differenzierung auch in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo an. Bei verschiedenen, einer einheitlichen Kategorie zuzurechnenden Schadensposten bzw. bei verschiedenen Mängeln einer einheitlichen vertraglichen Leistung haben die Audiencias Provinciales dagegen überwiegend 1105 in Fortführung der früheren Rechtsprechung1106 eine Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher im Zeitpunkt der ersten Klage eingetretenen und bekannten Schäden und Mängel bejaht, da es sich hierbei um Tatsachenvorbringen handele, welches der Obliegenheit des erschöpfenden Vorbringens unterfalle. 1107 In der Literatur wird dieses Ergebnis aber teilweise mit der Begründung abgelehnt, Ansprüche hinsichtlich weiterer Mängel beträfen ein anderes petitum.1108

1102 Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508 s.; Vallines García, La preclusión, p. 224. 1103 Vallines García, La preclusión, p. 224. 1104 Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1508 („pues lo que se pide en el segundo proceso no se pidió en el primero“). 1105 Gegen eine Präklusion unter Betonung der Dispositionsfreiheit des Klägers SAP Gijón 85/2013, 22. Februar 2013 (n° ROJ: SAP O 560/2013), FJ 1° (cosa juzgada) (Schadensersatz für Mängel am Dach des errichteten Gebäudes im ersten Verfahren; Schadensersatz für weitere Mängel am Rest des Gebäudes im zweiten Verfahren): Art. 400 LEC sei nicht dahingehend zu verstehen, dass der Kläger in seiner Klage sämtliche Schäden geltend machen müsse, die sich aus einer vertraglichen Pflichtverletzung ergeben. Vielmehr könne der Kläger in jedem Zeitpunkt frei entscheiden, welche Schäden er wann geltend mache („Es el demandante quien decide en cada momento qué reclama y contra quien reclama, dentro del posible repertorio de daños causados [...], y el haber reclamado por unos d años no le impide reclamar después por otros derivados de unos mismos hechos.“). 1106 So ausdrücklich SAP Burgos 220/2008, 24. Juni 2008 (n° ROJ: SAP BU 367/2008), FD 3°. 1107 SAP Alicante 252/2006, 23. Mai 2006 (n° ROJ: SAP A 4416/2006), FD 4°, 5°; SAP Palma de Mallorca 395/2006, 21. September 2006 (n° ROJ: SAP IB 1810/2006), FD 3°; SAP Salamanca 19/2008, 21. Januar 2008 (n° ROJ: SAP SA 8/2008), FJ 4°; SAP Burgos 220/2008, 24. Juni 2008 (n° ROJ: SAP BU 367/2008), FD 3°. 1108 So Vallines García, La preclusión, p. 224.

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Uneinheitlich haben die Audiencias Provinciales die Frage beurteilt, ob der Kläger bei auf wiederkehrende Leistungen gerichteten Rechtsverhältnissen die für den gesamten Zeitraum bis zur Erhebung der Klage angefallenen Leistungsansprüche in einer Klage konzentrieren muss1109 oder ob er verschiedene Zeitabschnitte in verschiedenen Klagen geltend machen kann, ohne sich der Präklusion nach Art. 400 LEC ausgesetzt zu sehen. 1110 In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist diese Konstellation unter Geltung der LEC 2000 bislang noch nicht entschieden worden.1111 Denkbar scheint hier sowohl eine Lösung, die das „Beantragte“ auf den jeweiligen Zeitabschnitt beschränkt, als auch eine Einordnung des Vortrags eines auch hinsichtlich weiterer Zeitabschnitte bestehenden Leistungsanspruchs als nach Art. 400 LEC in der ersten Klage zu konzentrierendes Vorbringen. Art. 400 LEC bildet nach heutigem Recht die Grundlage für die Beurteilung der Reichweite der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada bei individualisierten Teilklagen. Während sich die Audiencias Provinciales überwiegend für eine Obliegenheit zum Vortrag sämtlicher erkennbarer Schäden und Mängel ausspricht, ist bis zur noch ausstehenden höchstrichterlichen Klärung denkbar, dass die Präklusion auch hier durch ein engeres Verständnis des „Beantragten“ begrenzt wird. (c) Zusammenfassung Sowohl im Anwendungsbereich der früheren fallgruppenorientierten Begrenzung der cosa juzgada durch die causa de pedir als auch in den Konstellationen, die nach altem Recht anhand der Regel der Erstreckung der cosa juzgada auf das Vorbringbare gelöst wurden, bildet die in Art. 400.1 LEC unterschiedslos auf Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel erstreckte Obliegenheit zu konzentriertem Vorbringen die Grundlage für eine flexible und weitgefasste Bestimmung der Reichweite der cosa juzgada. Gleichzeitig bietet Art. 400 LEC durch die Beschränkung der Obliegenheit auf das der Stützung des „Beantragten“ dienende Vorbringen eine Stellschraube für eine Begrenzung dieser Präklusionswirkung. In sämtlichen behandelten Fallkonstellationen eröffnet der Wortlaut des Art. 400 LEC letztlich zwei Auslegungs- und Anwendungsmöglichkeiten: Entweder kann auf die Möglichkeit, die jeweiligen Tatsachen 1109

So SAP Burgos 23/2007, 24. Januar 2007 (n° ROJ: SAP BU 142/2007), FD 1°. So SAP Gijón 107/2014, 27. März 2014 (n° ROJ: SAP O 778/2014), FD 2°. 1111 Die bereits erwähnte Entscheidung STS 777/2012 (17. Dezember 2012 (n° ROJ: STS 8857/2012), FD 3°), in der eine Bindung im Sinne der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada an die Feststellungen einer früheren Entscheidung zum Bestehen der Verpflichtun g zur Übernahme von anfallenden Steuern im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben verneint wurde, betraf einen Fall, in der die Klägerin im ersten Verfahren ihre Forderung hinsichtlich des gesamten Zeitraums bis zur Klageerhebung eingefordert hatte, während da s spätere Verfahren die der Klageerhebung zeitlich nachgelagerten Zeiträume betraf. 1110

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oder Rechtsgründe bereits im ersten Verfahren geltend zu machen, abgestellt und die Präklusion auf diese Weise sehr weit gefasst werden. Eine derartige Anwendung kann sich dabei immer auf die vom Reformgesetzgeber in der Gesetzesbegründung formulierte Zielsetzung einer Vermeidung unnötiger Verfahren berufen. Alternativ kann aber auch die Begrenzung der Präklusion durch das „Beantragte“ in den Vordergrund gestellt werden. Wird das „Beantragte“ im Lichte des angeführten tatsächlichen Lebenssachverhalts bzw. der Natur der angeführten Rechtsgrundlagen ausgelegt, kann der Anwendungsbereich der Präklusion so stärker verengt werden. Während die Literatur hinsichtlich der Rechtsgrundlagen bei Gestaltungs- und Leistungsklagen eher zur Anwendung des ersten Ansatzes tendiert, stellt sie hinsichtlich des tatsächlichen Vorbringens weiterer Schäden, Mängel und Zeitabschnitte eher auf das Abweichen des „Beantragten“ ab. Die Rechtsprechung schwankt in den verschiedenen Konstellationen zwischen den beiden Ansätzen. Die Entscheidungen des Tribunal Supremo zur Reichweite der Präklusion bei einer Mehrheit denkbarer tatsächlicher und rechtlicher Grundlagen eines Schadensersatzbegehrens deuten allerdings darauf hin, dass sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein engerer Ansatz auf Grundlage des Kriteriums der Homogenität der Ansprüche durchsetzen könnte. (3) Die Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen in der prozessualen Umsetzung im Verfahren Wie die vorausgehenden Ausführungen gezeigt haben, hat die Einführung des Art. 400 LEC die Möglichkeit zur Erhebung späterer antragsgleicher Klagen auf Grundlage eines abweichenden Tatsachen- und Rechtsvorbringens deutlich eingeschränkt. Wurde bislang aber vor allem die gegenständliche Reichweite der Konzentrations- und Präklusionsregel untersucht, soll die Beurteilung der Norm im Folgenden um eine Untersuchung der praktischen Wirkung der Konzentrationsobliegenheit im ersten Verfahren sowie eine Betrachtung des Art. 400 LEC im Lichte der Gewährleistung rechtlichen Gehörs ergänzt werden. (a) Konzentration in der Frühphase des Verfahrens Art. 400 LEC erlegt dem Kläger – wie soeben geschildert – die Obliegenheit auf, sämtliche Tatsachen und Rechtsgründe, auf die sich sein Antrag stützen kann, in einer einzigen Klage geltend zu machen. Gleichzeitig schiebt die Norm dem Versuch, nicht geltend gemachte Tatsachen oder Rechtsgründe in einer parallelen oder späteren Klage nachzuschieben, den Riegel der entgegenstehenden cosa juzgada bzw. litispendencia vor. Für den Kläger ist es daher von zentraler Bedeutung, seine Klage in einer Weise zu formulieren, welche die Gesamtheit des denkbaren Tatsachen- und Rechtsvorbringens in zulässiger Weise einbezieht.

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der spanische Zivilprozess durch eine klare Unterteilung in verschiedene Verfahrensabschnitte gekennzeichnet ist. Nach den das spanische Verfahrensrecht prägenden Prinzipien der Präklusion und Eventualität ist das prozessuale Handeln der Parteien, insbesondere ihr Tatsachen-, Rechts- und Beweisvorbringen, bestimmten, klar definierten Abschnitten zugewiesen und kann nur im Rahmen des vorgesehenen Verfahrensabschnitts erfolgen.1112 In einem späteren Verfahrensabschnitt ist die Partei mit der entsprechenden Handlung oder dem entsprechenden Vorbringen präkludiert. Grundlage hierfür ist allerdings nicht die mit der cosa juzgada verbundene Präklusion, auf die Art. 400 LEC Bezug nimmt, sondern das übergeordnete Prinzip der Präklusion, das an der unterbliebenen Gebrauchmachens von der Möglichkeit des Vorbringens im dafür vorgesehenen Verfahrensabschnitt anknüpft. 1113 Für die Einbringung der klagebegründenden Tatsachen und Rechtsgründe in das Verfahren sieht die LEC dabei einen sehr frühen Verfahrenszeitpunkt vor: Gemäß Art. 399.1 LEC hat die Klageschrift im Normalverfahren 1114 eine getrennte und nummerierte Auflistung der Tatsachen und Rechtsgründe zu beinhalten.1115 Eine Ergänzung des in der Klageschrift enthaltenen Tatsachen- und Rechtsvortrags ist dem Kläger im Normalverfahren nur noch im vorbereitenden mündlichen Termin der audiencia previa möglich und auch dies nur in begrenztem Umfang: Gemäß Art. 426.1 LEC dürfen die Parteien im Hinblick

1112 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 302 (preclusión, eventualidad); Vallines García, La preclusión, p. 33 ss. („la preclusión como principio inspirador del proceso con el transcurso de sus fases o etapas“). Vgl. hierzu auch Stürner, Festschrift Eichele, 2013, S. 409, 411 f. 1113 Hierzu ausführlich Vallines García, La preclusión, p. 43 ss. 1114 Dies gilt für die Klage im Normalverfahren. Die für das juicio verbal bislang allgemein vorgesehene verkürzte Klage (demanda sucinta) muss dagegen nur die Bezeichnung der Parteien und den Antrag beinhalten (Art. 437.1 LEC), anders als die Klage im Normalverfahren aber gerade nicht die Tatsachen und Rechtsgründe, auf die der Antrag gestützt wird (Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 35; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 410). Tatsachen und Rechtsgründe muss der Kläger erst zu Beginn des mündlichen Termins (vista) vortragen (Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 35 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 410). Nach dem aktuellen Reformentwurf wird die verkürzte Klage nur noch in juicios verbales, die ohne anwaltliche Vertretung geführt werden, zulässig sein, während die Klage im Regelfall der juicios verbales nach den für die Klage im juicio ordinario geltenden Regeln zu erheben ist. Die folgenden Ausführungen einschließlich des Zeitpunktes der Präklusion des Vorbringens gelten in Zukunft daher auch für den juicio verbal. 1115 Zum zwingenden Charakter dieser Bestimmung der Tatsachen und Rechtsgründe Concheiro del Río, UNED Boletín de la Facultad de Derecho 2003 (n° 23), p. 245, 269; Tapia Fernández, Comentario al Art. 399 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1656, 1660.

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auf das Vorbringen der Gegenseite ihren Vortrag aus den einleitenden Schriftsätzen ergänzen bzw. gemäß Art. 426.2 LEC ihren Vortrag erläutern, jeweils aber ohne den Anspruch oder dessen Begründung „grundlegend“ zu ändern.1116 In keinem Fall ist es dem Kläger zu diesem Zeitpunkt gestattet, neue causae petendi geltend zu machen.1117 Im nachfolgenden Verhandlungstermin des juicio findet nur noch die Beweisaufnahme statt und können die Parteien ihre abschließenden Schlussfolgerungen (conclusiones) zur Bestimmung der streitigen und unstreitigen Tatsachen, zur Beweiswürdigung und rechtlichen Würdigung präsentieren, ohne aber noch (ihnen bereits zuvor bekannte) Tatsachen einbringen zu können.1118 Bei der Sammlung und Auflistung der ihm bekannten1119 Tatsachen muss der Kläger folglich große Sorgfalt walten lassen, da eine Ausbesserung später nur noch in sehr begrenztem Maße möglich ist. Wie oben ausführlich beschrieben, trifft den Kläger seit Einführung des Art. 400 LEC allerdings auch die Last, in seiner Klage sämtliche denkbaren causae petendi zu konzentrieren. Wenn der Kläger seine Klage aber auf Tatsachen und Rechtsgründe stützt, die verschiedene causae petendi bilden, so handelt es sich nach herrschender Meinung um einen Fall der Klagehäufung bzw. nach der 1116 Art. 426 LEC: „1. En la audiencia, los litigantes, sin alterar sustancialmente sus pretensiones ni los fundamentos de éstas expuestos en sus escritos, podrán efectuar alegaciones complementarias en relación con lo expuesto de contrario.2. También podrán las partes aclarar las alegaciones que hubieren formulado y rectificar extremos secundarios de sus pretensiones, siempre sin alterar éstas ni sus fundamentos. [...].“ 1117 Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 56; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 366; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1761, 1666 („[E]s evidente que una modifiación de la causa de pedir supone una alteración sustancial del objeto del proceso.“); Silguero Estagnan, La preclusión de alegaciones en el proceso civil, p. 203, 207 ss. Ausführlich diskutiert Tapia Fernández (Comentario al Art. 426 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1785, 1789 s.) aber, ob aus Art. 400.1, II LEC, in dem klargestellt wird, dass die im Gesetz (und damit auch in Art. 426 LEC) vorgesehenen Möglichkeiten ergänzenden Vorbringens nach der Klageschrift bzw. Klageerwiderung von der Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen nach Art. 400.1, I LEC nicht berührt werden, herzuleiten ist, dass die audiencia previa gerade doch den richtigen Zeitpunkt zur Einbringung des erschöpfenden Vorbringens und damit auch der verschiedenen causae petendi darstellt. Wegen des in Art. 426.1, 2 LEC klar formulierten Verbots substantieller Änderungen des Anspruchs verneint sie dies aber, so dass auch sie sich im Ergebnis gegen die Möglichkeit der Geltendmachung weiterer causae petendi in der audiencia previa ausspricht (p. 1790). De lege ferenda wegen der erheblichen Reichweite der Präklusion aber eine Möglichkeit zur Ergänzung auch der causae petendi in der audiencia previa befürwortend, vgl. Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1667. 1118 Art. 433 LEC. Zum Ablauf und Gegenstand des juicio Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 370. 1119 Zur Einführung neu entstandener Tatsachen, vgl. sogleich die Darstellung der zeitlichen Grenzen, unten G. 2. 3. c.

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Terminologie der LEC der Aktionenhäufung (acumulación de acciones) im Sinne des Art. 71 LEC: Auch wenn für cosa juzgada und litispendencia seit Einführung der LEC 2000 der in den obigen Ausführungen beschriebene weite Streitgegenstandsbegriff gilt, begrenzt die einzelne causa de pedir im Hinblick auf die Klagehäufung weiterhin den Streitgegenstand und bildet das Kriterium zur Differenzierung zwischen verschiedenen Klagen bzw. acciones. 1120 Art. 71 LEC ermöglicht es dem Kläger die aufgrund der Abweichung der vorgetragenen Klagegründe zu unterscheidenden Klagen zu kumulieren.1121 Bei miteinander unvereinbaren Klagegründen, 1122 so z.B. im Verhältnis von vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Ansprüchen, 1123 muss er gemäß Art. 71.4 LEC im Wege der Eventualklagehäufung vorgehen. 1124 Eine Erweiterung der Klage

1120 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 69, p. 77; Vallines García, La Preclusión, p. 200. Für die Geltung des durch die causa petendi begrenzten Streitgegenstands im Rahmen der Klagehäufung auch: Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 158 ss.; Tapia Fernández, Comentario al Art. 412 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1717, 1719 (allerdings mit der Maßgabe, dass es sich im Rahmen des Art. 412 LEC um eine substantielle Änderung der causa de pedir handeln müsse). Eine Mindermeinung nimmt allerdings an, dass das in Art. 400 LEC zum Ausdruck kommende Streitgegenstandsverständnis, nach dem ein Abweichen der causa de petendi keinen neuen prozessualen Anspruch begründet, auf die Beurteilung des Vorliegens einer Klagehäufung und -erweiterung zu übertragen sei (so Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 224 s.). Dies hätte zur Folge, dass die Ergänzung des Vorbringens um eine weitere causa de pedir nicht als nach der Klageerwiderung unzulässige Klageänderung anzusehen wäre. Da die Ansicht allerdings erst dann zu maßgeblichen Abweichungen führt, wenn die ergänzte causa de pedir sich auf nach den einleitenden Schriftsätzen entstandene Tatsachen stützt (Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 224 s.), soll auf diese Ansicht erst bei der Darstellung der zeitlichen Grenzen der cosa juzgada eingegangen werden, siehe unten G. II. 3. C. (2). 1121 Dies gilt zumindest für das Normalverfahren. Im juicio verbal ist dagegen – wie oben G. II. 3. B. bb. (2) (a) bereits ausgeführt – eine Klagehäufung nur eingeschränkt zulässig. 1122 Die Unvereinbarkeit im Sinne des Art. 71.2 LEC kann sich – wie im Fall des Verhältnisses der vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Ansprüche – auch daraus ergeben, dass zur Begründung des einen Anspruchs eine Tatsache (z.B. Existenz eines Vertrages) bejaht werden muss, die bei dem anderen Anspruch gerade nicht vorliegen darf, vgl. Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 163. 1123 Ob die Konzentrationsobliegenheit dem Kläger hier eine Obliegenheit zur Klagehäufung auferlegt, ist allerdings insbesondere in der Rechtsprechung umstritten. Ganz allgemein aber für eine Obliegenheit des Klägers, die ihm zur Verfügung stehenden Klagegründe ggf. im Wege der Eventualklagehäufung geltend zu machen: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 54, p. 62; Vallines García, La preclusión, p. 200. 1124 Dabei muss er gemäß Art. 71.4 LEC in eindeutiger Weise eine Hauptklage (acción principal) bestimmen und klarstellen, dass die anderen Klagegründe nur hilfsweise für den Fall einer Abweisung der Hauptklage zum Tragen kommen sollen. Eine Alternativklagehäufung ist dagegen ausgeschlossen, wie sich aus der Zusammenschau der Absätze 2 und 4 des Art. 71 LEC ergibt, vgl. Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p.

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auf weitere causae petendi ist dem Kläger als Klageänderung gemäß Art. 401.1 LEC nur bis zur Klageerwiderung (bzw. bis zum Verstreichen der Klageerwiderungsfrist 1125) möglich,1126 danach handelt es sich um eine nach Art. 412 LEC verbotene Klageänderung.1127 Die Tatsachen und Rechtsgründe, die der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens nicht vorgetragen hat, kann er auch im Berufungsverfahren (apelación) nicht mehr geltend machen. Wie sich aus Art. 456.1 LEC ergibt, ermöglicht die spanische apelación lediglich die Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung „auf Grundlage der Tatsachen und Rechtsgründe, die in der ersten Instanz vorgetragen wurden". 1128 Das Berufungsverfahren beschränkt sich auf die tatsächlich geltend gemachte causa de pedir, wie sie im erstinstanzlichen Verfahren durch die tatsächlich vorgetragenen Tatsachen und Rechtsgründe bestimmt wurde.1129 Das Tatsachenvorbringen darf nur durch nach dem Ende des erstinstanzlichen Verfahrens eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen ergänzt werden. 1130 Auch ihren Rechtsvortrag 160 s.; Tapia Fernández, Comentario al Art. 71 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 606, 608. 1125 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 166. 1126 Tapia Fernández, Comentario al Art. 401 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1667, 1670. 1127 Art. 412.1 LEC: „Establecido lo que sea objeto del proceso en la demanda, en la contestación y, en su caso, en la reconvención, las partes no podrán alterarlo posteriormente.“ Die Frage, ob trotz des Verbots der mutatio libelli neue causae petendi auf Grundlage des Art. 426.4 LEC noch im Rahmen der audiencia previa geltend gemacht werden können, sofern sie sich aus Tatsachen ergeben, die erst nach der Klageerwiderung entstanden sind, wird im Rahmen der Darstellung der zeitlichen Grenzen behandelt, siehe unten G. II. 3. c. bb. 1128 Art. 456.1 LEC: „En virtud del recurso de apelación podrá perseguirse, con arreglo a los fundamentos de hecho y de derecho de las pretensiones formuladas ante el tribunal de primera instancia, que se revoque un auto o sentencia y que, en su lugar, se dicte otro u otra favorable al recurrente, mediante nuevo examen de las actuaciones llevadas a cabo ante aquel tribunal y conforme a la prueba que, en los casos previstos en esta Ley, se practique ante el tribunal de apelación.“ 1129 Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 134; Herrero Perezagua, Comentario al Art. 456 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1949, 1950; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 460 s.; Ortells Ramos, El recurso de apelación, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 511. 1130 Dies ergibt sich mittelbar aus Art. 460 LEC, der den im Berufungsverfahren zulässigen Beweisgegenstand beschreibt und – neben den Fällen der im erstinstanzlichen Verfahren zu Unrecht zurückgewiesenen Beweisanträge und der trotz Beweisantrags von der Partei unverschuldet nicht durchgeführten Beweisaufnahme – einen Beweisvortrag hinsichtlich der Tatsachen zulässt, die nach dem Beginn der Frist zur Abfassung der erstinstanzlichen Entscheidung und damit nach dem in Art. 286 LEC bezeichneten letztmöglichen Zeitpunkt eingetreten sind oder der Partei zur Kenntnis gelangt ist, Art. 460.2, 3ª LEC (Art. 460.2 LEC: „En el escrito de interposición se podrá pedir, además, la práctica en segunda instancia de

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darf die Partei nur insoweit ergänzen, als sie hierdurch nicht über die von ihr im ersten Verfahren angeführten Rechtsgründe (bzw. den rechtlichen Gesichtspunkt oder die rechtliche Qualifikation) 1131, also das rechtliche Element der causa de pedir, hinausgeht.1132 Durch die Einführung des Art. 400 LEC sind die an den Kläger gerichteten Anforderungen im Hinblick auf die Sorgfalt der Formulierung seiner Klage deutlich gestiegen. Seine Klageschrift muss nicht nur eine umfassende und genaue Darlegung der denkbaren Tatsachen und Rechtsgründe enthalten. Um die Präklusion von Anspruchsgründen zu verhindern, muss er nach herrschender Ansicht gegebenenfalls auch auf die Möglichkeit der Eventualklagehäufung zurückgreifen. Die Möglichkeit, der Obliegenheit zu erschöpfendem Vorbringen nachzukommen, ist zudem auf ein sehr frühes Stadium des Verfahrens beschränkt, da eine substantielle Ergänzung nur bis zur Klageerwiderung möglich ist. Eine Nachbesserung in zweiter Instanz ist durch die gegenständliche Beschränkung der Berufung auf die in erster Instanz vorgetragenen Tatsachen und Rechtsgründe ebenfalls ausgeschlossen. (b) Die Obliegenheit zu erschöpfendem Tatsachen- und Rechtsvorbringen im Lichte der Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien Um das Ausmaß der dem Kläger damit auferlegten Behauptungslast beurteilen zu können, ist auch zu berücksichtigen, welche Rollenverteilung die LEC im Hinblick auf die Beibringung von Tatsachen und die Rechtsanwendung zwischen Gericht und Parteien vorsieht. (aa) Die Behauptungslast in Bezug auf die Tatsachen und die Bedeutung der Kenntnis des Klägers Im Hinblick auf die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen gilt auch in Spanien der Grundsatz, dass die Beibringung der Tatsachen den Parteien obliegt. In Art. 216 LEC findet sich dieser Grundsatz als Ausprägung des sogenannten „Prinzips der beantragten Rechtsschutzgewährung“ (principio de las pruebas siguientes: [...] 3.ª Las que se refieran a hechos de relevancia para la decisión del pleito ocurridos después del comienzo del plazo para dictar sentencia en la primera instancia o antes de dicho término siempre que, en este último caso, la parte justifique que ha tenido conocimiento de ellos con posterioridad.“). Zur Beschränkung des zulässigen neuen Tatsachenvorbringens auf nachträglich entstandene oder bekannt gewordene Tatsachen Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 134 s.; Herrero Perezagua, Comentario al Art. 456 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1949, 1951. 1131 Zur Vielfalt der hier verwendeten Begrifflichkeiten unten G. II. 3. b. cc. (3) (b) (bb). 1132 Herrero Perezagua, Comentario al Art. 456 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1949, 1950; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 461.

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justicia rogada)1133 wieder, das nicht nur den Dispositionsgrundsatz, sondern auch die Verhandlungsmaxime bzw. den Beibringungsgrundsatz des deutschen Rechts beschreibt. 1134 Gemäß Art. 216 LEC entscheiden die Gerichte auf Grundlage der von den Parteien beigebrachten Tatsachen und Beweise. 1135 Eigene Tatsachenermittlungen sind dem Gericht verwehrt,1136 es kann lediglich in der audiencia previa die Parteien zu einer Präzisierung und Erläuterung des Tatsachenvorbringens auffordern.1137 Abgesichert wird dieser Grundsatz durch das in Art. 218.1, II LEC geregelte Erfordernis der Kongruenz der Entscheidung, wonach der Richter in seiner Entscheidung nicht von der causa de pedir abweichen darf, indem er andere Tatsachen prüft als die von den Parteien geltend gemachten.1138 Die Beibringung der Tatsachen oblag im spanischen Recht zwar schon immer den Parteien,1139 so dass der Kläger auch vor Einführung des Art. 400 LEC eingehend zu prüfen hatte, welche Tatsachen er vortragen musste, um den Erfolg seiner Klage sicherzustellen. Indem nun aber Art. 400 LEC in Verbindung mit Art. 222 LEC ausschließt, dass der Kläger den Antrag in einem späteren Verfahren auf Tatsachenvorbringen stützen kann, das bereits im ersten Verfah-

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Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, bildet das Prinzip ein Synonym für den Dispositionsgrundsatz, vgl. Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 577 (VI) („el principio de justicia rogada o principio dispositivo“). 1134 Eine Unterscheidung zwischen Dispositionsgrundsatz (principio dispositivo) und Verhandlungsmaxime (principio de aportación) ist aber auch der spanischen Prozessrechtsdogmatik bekannt (vgl. Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 15 ss.; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 38; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 263; Tapia Fernández, Comentario al Art. 216 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1064, 1065), allerdings werden diese häufig dem Prinzip der justicia rogada oder einem weit verstandenen Dispositionsgrundsatz untergeordnet (so z.B. de la Oliva Santos, El papel del juez en el proceso civil, 2012, p. 37 ss.); kritisch hierzu Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 20; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 38. 1135 Art. 216 LEC: „Principio de justicia rogada. Los tribunales civiles decidirán los asuntos en virtud de las aportaciones de hechos, pruebas y pretensiones de las partes, excepto cuando la ley disponga otra cosa en casos especiales.“ 1136 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 263 („El juez no puede [...] hacer cualquier aportación de hechos.“). 1137 Art. 426.6 LEC: „El tribunal podrá también requerir a las partes para que realicen las aclaraciones o precisiones necesarias respecto de los hechos y argumentos contenidos en sus escritos de demanda o contestación.“ 1138 Zum Zusammenspiel von Art. 216 LEC und Art. 218 LEC: Gallego García, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 216 LEC, p. 369; Tapia Fernández, Comentario al Art. 216 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1064, 1065 s. 1139 Vgl. zur alten Rechtslage beispielsweise Ramos Méndez, Derecho procesal civil I, p. 337 s.

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ren hätte vorgetragen werden können, muss der Kläger sein Tatsachenvorbringen heute deutlich intensiver durchdenken und durch seinen Sachverhaltsvortrag die Subsumtionsgrundlage für die verschiedenen denkbaren Anspruchsgrundlagen bzw. Gründe einer begehrten Rechtsänderung schaffen, gegebenenfalls auch durch hilfsweisen Vortrag. Die hiermit verbundene Konzentrationslast erstreckt sich jedoch gemäß Art. 400.1, I LEC nur auf Tatsachen, die der Kläger im Rahmen seiner Klage bereits geltend machen konnte.1140 Damit können Tatsachen, die erst nach dem Zeitpunkt der Präklusion des Tatsachenvorbringens eingetreten sind, 1141 sowie Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage nicht bekannt waren,1142 auch später noch geltend gemacht werden. Bestätigung erfährt diese Beschränkung durch den zweiten Satz des Art. 400.1 LEC, der klarstellt, dass die im ersten Satz geregelte Obliegenheit die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, neu entstandene oder zur Kenntnis gekommene Tatsachen im selben Verfahren auch noch nach der Klageschrift und Klageerwiderung vorzutragen, unberührt lässt. 1143 Die getroffene Einschränkung fügt sich daher auch in das die LEC durchziehende Regelungsgefüge zur Präklusion des Tatsachenvorbringens in den verschiedenen zeitlichen Abschnitten desselben Verfahrens ein. 1144 Aber auch in einem späteren Verfahren kann der Kläger seinen Antrag folglich ungehindert von der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada sowohl auf neu entstandene Tatsachen stützen als auch auf Tatsachen, die ihm im Erstverfahren zum Zeitpunkt des letztmöglichen Vorbringens neuer Tatsachen noch

1140 Art. 400.1, I LEC: „... habrán de aducirse cuantos resulten conocidos o pueden invocarse al tiempo de interponer[] [la demanda]...“. 1141 Vgl. hierzu unten die Ausführungen zu den zeitlichen Grenzen der cosa juzgada G. II. 3. c. 1142 Da nur die Kenntnis von der jeweiligen Tatsache in Art. 400.1, I LEC ausdrücklich erwähnt wird, nicht aber die Erkennbarkeit, stellt sich die Frage, ob von der Präklusion auch Tatsachen erfasst sind, von denen der Kläger zwar keine Kenntnis hatte, von denen er aber bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt Kenntnis erlangen hätte können. Es erscheint denkbar, anzunehmen, dass dieser Fall der zweiten Alternative des Art. 400.1, I LEC unterfällt, weil der Kläger die Tatsache (bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt) bei Erhebung der Klage hätte geltend machen können (de la Oliva Santos stellt im Hinblick auf die zweite Alternative darauf ab, ob die Tatsache „aus gutem Grund“ nicht geltend gemacht werden konnte (Objeto del proceso, n° 57, p. 65), was im Sinne eines Sorgfaltsmaßstabs verstanden werden kann). 1143 Art. 400.1, II LEC: „La carga de la alegación a que se refiere el párrafo anterior se entenderá sin perjuicio de las alegaciones complementarias o de hechos nuevos o de nueva noticia permitidas en esta Ley en momentos posteriores a la demanda y a la contestación.“ 1144 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 57, p. 65 s.

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nicht bekannt waren.1145 Dass der Kläger bestimmte Tatsachen im Erstverfahren nicht geltend machen konnte, kann seinen Grund aber auch in der gegenständlichen Beschränkung des Erstverfahrens finden, 1146 sofern man Art. 400 LEC in den gegenständlich beschränkten juicios verbales anwenden will.1147 (bb) Die Obliegenheit zur Konzentration des Rechtsvorbringens und der Grundsatz „iura novit curia“ Gemäß Art. 400.1 LEC sind nicht nur die Tatsachen, sondern auch die Rechtsgründe und Rechtstitel im ersten Verfahren zu konzentrieren. Gleichzeitig sieht Art. 399.1 LEC vor, dass der Kläger in seiner Klageschrift neben dem tatsächlichen Sachverhalt auch die Rechtsgründe aufzuführen hat.1148 Die dem Kläger durch die auch Rechtsgründe und -titel betreffende Konzentrationsobliegenheit und die entsprechende Präklusion auferlegte Last lässt sich allerdings erst angemessen beurteilen, wenn man betrachtet, welchen Einfluss der Rechtsvortrag der Parteien auf den Umfang der richterlichen Rechtsanwendung hat. Auch das spanische Recht geht dabei von dem Grundsatz aus, dass die Bestimmung der anwendbaren Rechtsnormen und die Subsumtion dem Gericht obliegen.1149 Grenzen sind der richterlichen Rechtsprüfung und -anwendung allerdings durch das Gebot der Kongruenz der Entscheidung gesetzt: Nach diesem in Art. 359 LEC 1881 und nach heutigem Recht in Art. 218 LEC verankerten Gebot darf das Gericht in seiner Entscheidung nicht über den Rahmen des in der Klage bestimmten petitum und der causa petendi hinausgehen.1150 Während aber Art. 359 LEC 1881 nur allgemein die Kongruenz der Entscheidung im Verhältnis zum geltend gemachten Anspruch forderte, trifft der Gesetzgeber heute in Art. 218.1, II LEC deutlich konkretere Aussagen zur Reichweite der richterlichen Rechtsanwendung: Gemäß Art. 218.1, II LEC entscheidet der Richter zwar „entsprechend der auf den Fall anwendbaren Rechtsnormen, auch wenn diese von den Parteien nicht korrekt zitiert oder vorgetragen wurden“, er darf dabei aber „nicht über die causa de pedir hinausgehen, indem er andere Tatsachen oder Rechtsgründe (fundamentos de hecho o de derecho) 1145

De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 57, p. 65 s.; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 185; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1509. 1146 So Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1509. 1147 Hierzu oben G. II. 3. B- (2) (a). 1148 Zum aus Art. 399.1 LEC hervorgehenden zwingenden Charakter des Rechtsvortrags Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 315 („El actor debe, porque así lo disponen el artículo dicho, fundar en derecho la pretensión contenida en la demanda ...“). 1149 Iura novit curia: de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 60, p. 68; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 264 s. 1150 Vgl. ausführlich zum Kongruenzgebot Ortells Ramos, La sentencia, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 439 ss.

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anwendet, als die Parteien geltend machen wollten“. 1151 Einerseits stellt die Regelung also klar, dass das Gericht im durch die causa de pedir bestimmten Rahmen sämtliche Rechtsnormen anwenden darf, auch wenn diese nicht von den Parteien angeführt wurden. Gleichzeitig ergibt sich aus der Norm aber, dass die verbotene Abweichung von der causa de pedir auch durch Anwendung anderer als der vorgebrachten Rechtsgründe bewirkt werden kann. Eine Abweichung von den geltend gemachten Rechtsgründen ist dem Richter dem Wortlaut nach verwehrt. Dass der Gesetzgeber durch die Entscheidung, ein Abweichen von den Rechtsgründen in die Beschreibung des Inkongruenzverbots einzubeziehen, ein rechtliches Element der causa de pedir unabhängig von der Klageart1152 anerkennen und in seiner Bedeutung als Grenze der richterlichen Rechtsanwendung hervorheben wollte, legt nicht nur der Verzicht auf eine Differenzierung in der Formulierung des Art. 218.1, II LEC, sondern auch die Gesetzesbegründung nahe: Zum einen spricht diese ausdrücklich von einer richterlichen Rechtsanwendung im Rahmen der rechtlichen „Facette“ der causa de pedir,1153 weshalb zumindest die Anwendung eines allein anhand der vorgetragenen Tatsachen definierten Begriffs der causa de pedir im Sinne der Substantiierungstheorie kaum noch begründet werden kann.1154 Zum anderen liegt der Regelung

1151 Art. 218.1, II LEC: „El tribunal, sin apartarse de la causa de pedir acudiendo a fundamentos de hecho o de Derecho distintos de los que las partes hayan querido hacer valer, resolverá conforme a las normas aplicables al caso, aunque no hayan sido acertadamente citadas o alegadas por los litigantes.“ 1152 Vgl. aber Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 205, der den aus seiner Sicht „konfusen“ Wortlaut des Art. 218.1, II LEC dahingehend auslegt, dass das Gericht grundsätzlich in Anwendung der Substantiierungstheorie berechtigt sei, den Rechtsstreit umfassend und unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu überprüfen (p. 205), wobei es nur an den Tatsachenvortrag der Parteien gebunden sei (p. 206). Bei Gestaltungsklagen komme dagegen die Individualisierungstheorie mit ihrer Beschränkung der causa de pedir auf die Rechtsgründe zur Anwendung (p. 206).). Dass der Gesetzgeber mit der Formulierung des Verbots der Änderung der causa de pedir unter Einbeziehung der Abweichung von den Rechtsgründen lediglich bezweckte, eine Änderung der causa petendi auch bei Gestaltungsklagen auszuschließen, mag vor dem Hintergrund plausibel erscheinen, dass im Rahmen der traditionell zwischen Klage- und Anspruchsarten differenzierenden Bestimmung der causa petendi bei Gestaltungsklagen eine Begrenzung der causa de pedir durch die zur Begründung der begehrten Rechtsänderung herangezogenen Rechtsgründe bejaht wird. Dem Wortlaut des Art. 218.1, II LEC ist eine solche Beschränkung auf den Fall der Gestaltungsklagen allerdings nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen. 1153 Vgl. auch die Gesetzesbegründung Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII): „ ... el tribunal aplique el Derecho que conoce dentro de los límites marcados por la faceta jurídica de la causa de pedir.“ 1154 So, wenn auch kritisch zu dieser gesetzgeberischen Entscheidung, eine bis dato von einer „Mindermeinung in der Literatur vertretene Ansicht in gesetzliche Form zu gießen“

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des Art. 218 LEC ausweislich der Gesetzesbegründung ein Verständnis des Dispositionsgrundsatzes zugrunde, wonach dieser der Rechtsschutz begehrenden Partei nicht nur Rechte gewährt, sondern auch Lasten auferlegt, zu denen neben der Bestimmung des begehrten Rechtsschutzes und der Darlegung und dem Beweis der Tatsachen auch die Obliegenheit zählt, die dem Anspruch zugrunde liegenden Rechtsgründe vorzutragen. 1155 Die Literatur greift diesen Gedanken auf und nimmt an, dass der Kläger aufgrund des Dispositionsgrundsatzes bestimmen dürfe, unter welchem Gesichtspunkt er sein Recht zur Prüfung stellen möchte. 1156 Die getroffene Bestimmung dürfe das Gericht nicht in Frage stellen. 1157 Dementsprechend versteht die überwiegende Zahl der Autoren Art. 218.1, II LEC dahingehend, dass bei der Beurteilung, ob ein Verstoß gegen das Kongruenzgebot vorliegt, nunmehr darauf Garnica Martín, La Ley 1999, D-28, p. 1713, 1715. Die „radikale Interpretation“ des Grundsatzes iura novit curia im Sinne der Subtantiierungstheorie für weder mit Art. 218.1 LEC noch mit der früheren Rechtslage vereinbar haltend de la Oliva Santos, El papel del juez en el proceso civil, 2012, p. 114 s. Anders aber Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 205. 1155 Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 577 (VI): „La nueva Ley de Enjuicimiento Civil sigue inspirándose en el principio de justicia rogada o principio dispositivo [...] Tampoco se grava al tribunal con el deber y la responsabilidad de decidir qué tutela, de entre todas los posibles, puede ser la que corresponde al caso. Es a quien cree necesitar tutela a quien se atribuyen las cargas de pedirla, determinarla con suficiente precisión, alegar y probar los hechos y aducir los fundamentos jurídicos correspondientes a las pretensiones de aquella tutela.“ Ebenso mit ausführlicher Begründung de la Oliva Santos, El papel del juez en el proceso civil, p. 77 ss., 125 ss. 1156 Tapia Fernández, Comentario al Art. 218 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1073, 1078 („[La] libertad [del Juez en el manejo del derecho] pudiera atentar contra el principio dispositivo, concebido como una indicación de límites puestos por las partes a la función jurisdiccional. El límite de las facultades de aplicación del derecho por los Jueces ha de venir exctamente determinado por los límites que los litigantes hayan querido establecer respecto de sus derechos subjetivos, su medida y la amplitud de su ejercicio.“). 1157 Hätte der Gesetzgeber allein die Gewährleistung der Verteidigungsrechte (derechos de defensión) (auf diese abstellend Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 289) und den Schutz der Parteien vor der überraschende Prüfung eines anderen Rechtsgrundes bezweckt, wäre die bereits vor der Einführung der LEC 2000 vorgeschlagene Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme der Parteien für den Fall einer vom Gericht geplanten Anwendung eines abweichenden Rechtsgrundes naheliegender gewesen. Die LEC kennt aber weder einen derartigen Hinweis des Gerichts, noch entspricht dies der Ausgestaltung des Inkongruenzverbotes in Art. 218 LEC oder der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Entscheidung des Gesetzgebers, dem gerichtlichen Rechtsschutz beanspruchenden Kläger die Last der Bestimmung der Rechtsgründe aufzuerlegen (kritisch zu der Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Regelung, die die richterliche Abweichung von der rechtlichen Würdigung der Parteien von einer Gewährung rechtlichen Gehörs abhängig macht: Garnica Martín, La Ley 1999, D-28, p. 1713, 1715).

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abzustellen ist, ob die vom Gericht vorgenommene Abweichung von der in der Klage angeführten rechtlichen Begründung als Änderung des Rechtsgrundes bzw. des rechtlichen Gesichtspunktes 1158 einzuordnen ist.1159 Wie von de la Oliva Santos bereits vor der LEC-Reform vorgeschlagen,1160 wird zwischen der zulässigen Anwendung anderer als der vom Kläger angeführten Rechtsnormen und der unzulässigen Änderung des Rechtsgrundes differenziert. Das Gericht darf daher alle Rechtsnormen anwenden und auch Tatsachen abweichend qualifizieren, sofern es nicht den Charakter der vom Kläger gewählten rechtlichen

1158 Die Begriffe werden in der Literatur oft synonym verwendet, z.B. bei Tapia Fernández, Comentario al Art. 218 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1073, 1078. 1159 So de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 60, 61, p. 68 ss.; Gallego García, in: Toribios Fuentes (dir.), Comentarios a la LEC, Art. 218 LEC, p. 374, 377; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 80 s.; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 186; Tapia Fernández, Comentario al Art. 218 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1073, 1078; Vallines García, La preclusión, p. 213. Ähnlich auch Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 154 (die Kongruenz der Entscheidung müsse sich auf die von der Partei vorgenommene rechtliche Qualifizierung beziehen, wenn dieselben Tatsachen unterschiedlich qualifiziert werden können und der Erfolg des Antrags von der bestimmten Qualifizierung abhängt). Gänzlich ablehnend auf Grundlage der Substantiierungstheorie dagegen Gimeno Sendra/Fuentes Soriano, Comentario a los Art. 399–404 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico V, p. 165, 182. Kritisch auch López-Fragoso Álvarez, Comentario al Art. 218 LEC, in: Gimeno Sendra (dir.), Proceso civil práctico III, p. 245, 254. 1160 Nach der insbesondere von de la Oliva Santos vertretenen Ansicht war zwischen der bloßen Änderung der rechtlichen Argumentation bzw. der angewendeten Norm einerseits und einer abweichenden rechtlichen Würdigung, durch die eine Änderung des rechtlichen Charakters des geltend gemachten Rechtsverhältnisses oder Anspruchs bewirkt wird, andererseits zu unterscheiden (de la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 436). Letztere wurde als Änderung des Rechtsgrundes (fundamento jurídico: de la Oliva Santos, ebenda, p. 436) oder des rechtlichen Gesichtspunktes (punto des vista jurídico: Prieto-Castro y Ferrándiz, El cambio de punto de vista jurídico, in: Trabajos y orientaciones de derecho procesal, n° 13, p. 222 ss.) bezeichnet. Eine rechtliche Würdigung, durch die der Rechtsgrund oder rechtliche Gesichtspunkt geändert wird, stellte eine Änderung der causa de pedir dar und sollte daher wegen Verstoßes gegen das Kongruenzerfordernis unzulässig sein (de la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 427, 436 s) bzw. nur zulässig sein, wenn die Parteien die Möglichkeit hatten, zu dieser geänderten rechtlichen Würdigung Stellung zu nehmen (so Prieto-Castro y Ferrándiz, in: Trabajos y orientaciones de derecho procesal, n° 13, p. 222, 238). Ebenso der An fang der Siebzigerjahre von einer Gruppe renommierter spanischer Prozessrechtswissenschaftler entwickelte Entwurf einer Reform der LEC in der vorgeschlagenen Regelung eines Art. 313 LEC zu den „Begrenzungen der Anwendung des Grundsatzes iura novit curia“, Profesores de Derecho Procesal de las Universidades españolas, Corrección y actualización de la Ley de Enjuiciamiento Civil – Tomo I, 1972, p. 306, Art. 313.1).

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Begründung so grundlegend verändert, dass von einer Änderung des Rechtsgrundes bzw. des rechtlichen Gesichtspunktes auszugehen ist.1161 Der Richter ist an den „rechtlichen Rahmen“ gebunden, in den die Parteien ihre Tatsachenbehauptungen einordnen, in diesem Rahmen ist er aber zur umfassenden Ermittlung des anwendbaren Rechts und Rechtsanwendung berechtigt und verpflichtet.1162 Obwohl sich immer wieder abweichende Entscheidungen finden,1163 bejaht auch die Rechtsprechung eine Begrenzung des zulässigen richterlichen Prüfungsumfangs durch eine rechtliche Komponente der causa de pedir in Form der angeführten Rechtsgründe. 1164 Wann eine Änderung des Rechtsgrundes und eine Überschreitung des Rahmens des rechtlichen Elements der causa de pedir zu bejahen ist, bleibt letztlich eine Wertungsfrage.1165 In der Anwendung im Einzelfall ist die Grenze 1161 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 62 ss., p. 70 ss.; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 186; Vallines García, La preclusión, p. 213. 1162 Tapia Fernández, Comentario al Art. 216 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1064, 1066 („[E]l legislador ha querido que el tribunal quede también vinculado por el marco jurídico en que las partes basan sus alegaciones fácticas, sin perjuicio de que los tribunales pueden aplicar el derecho que conocen dentro de los límites marcados por la faceta jurídica de la causa de pedir.“). Vgl. auch die Gesetzesbegründung zur LEC, Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 577 (VI) („... no constituye, en absoluto, un obstáculo para que, como se hace en esta Ley, el tribunal aplique el Derecho que conoce dentro de los límites marcados por la faceta jurídica de la causa de pedir.“). 1163 STS 773/2013, 10. Dezember 2013 (n° ROJ: STS 6301/2013) FD 3° („Siempre que se respete la ‚causa petendi‘ [...] de las pretensiones de las partes, esto es, el acaecimiento histórico o relación de hechos que sirven para delimitarlas, el deber de congruencia es compatible con un análisis crítico de los argumentos de las partes e incluso con el cambio de punto de vista jurídico expresado con el tradicional aforismo ‚iura nov it curia‘ [...] siempre que ello no suponga una mutación del objeto del proceso que provoque indefensión.“). 1164 STS 361/2012, 18. Juni 2012 (n° ROJ: 4444/2012), FD 7°: „La causa de pedir, por tanto, tiene un componente jurídico que limita las facultades del juez de aplicar libremente a los hechos el Derecho que considere más procedente o, dicho de otra forma, que limita el principio iura novit curia [...] descartando que pueda tener un carácter absoluto, como por demás resulta del art. 218 LEC al disponer que el tribunal resuelva conforme a las normas aplicables al caso pero sin acudir a fundamentos de hecho o de Derecho distintos de los que las partes hayan querido hacer valer.“ Ebenso STS 280/2013, 6. Mai 2013 (n° ROJ: STS 5918/2013), FD 2° („Por tanto, la causa de pedir tiene un componente jurídico que la conforma y sirve de límite a la facultad del juez de aplicar a los hechos el derecho que considere más procedente, esto es, limita el iura novit curia. Este límite tiene fiel reflejo en el articulo 218 LEC, al disponer que el tribunal ha de resolver conforme a las normas aplicables al caso pero sin acudir a fundamentos de hecho o de derecho distintos de los que las partes hayan querido hacer valer.”); STS 372/2013, 7. Juni 2013 (n° ROJ: STS 6308/2013) FD 2°; STS 384/2013, 14. Juni 2013, (n° ROJ: STS 6307/2013), FD 2°. 1165 Dieser Wertungscharakter deutet sich beispielsweise in der zu Art. 218 LEC ergangenen Entscheidung STS 145/2010 (29. März 2010 (n° ROJ: STS 1519/2010)) an: „...una

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zwischen einer zulässigen Anwendung der unterschiedlichen Rechtsnormen und einer unzulässigen Änderung des Rechtsgrundes daher häufig nicht eindeutig bestimmbar.1166 Dieser Tatsache versucht die Rechtsprechung Rechnung zu tragen, indem sie eine Änderung der rechtlichen Qualifikation bei „Fehlern oder Ungenauigkeiten“ in der von der Partei vorgenommenen rechtlichen Würdigung zulässt, sofern sich diese Änderung den vorgetragenen Tatsachen, entnehmen lässt.1167 Der Tribunal Supremo hat eine Änderung der rechtlichen Qualifizierung auf dieser Grundlage beispielsweise dann zugelassen, wenn der Kläger die vom Gericht erwogene Haftungsgrundlage zwar nicht ausdrücklich genannt hatte, aber der (subjektive und objektive) Tatbestand dieser Haftungsgrundlage in seiner Sachverhaltsdarstellung klar erkennbar wurde und die Tatsachen, die sich unter die Tatbestände der beiden Haftungsgrundlagen subsumieren ließen, letztlich einen einheitlichen Vorgang bildeten.1168 Ob alteración sustancial de la fundamentación jurídica que implica un planteamiento diferente que excede del ámbito del principio ‚iura novit curia‘“ (FD 6°). In der Literatur wird beispielsweise die Anwendung der außervertraglichen Haftung als Verstoß gegen das Kongruenzerfordernis gewertet, wenn der Kläger sich auf die vertragliche Haftung gestützt hatte (und andersherum) (Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 299 ss.; Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1510. Dass die Regelung des (damals) neuen Art. 218 LEC eine richterliche Prüfung der jeweils anderen Haftungsart ausschließt, nimmt auch Garnica Martín an (La Ley 1999, D-28, p. 1713, 1715). Vgl. aber STS 372/2013, 7. Juni 2013 (n° ROJ: STS 6308/2013), FD 2° (Prüfung auch der außervertraglichen Haftung zulässig, allerdings auf Grundlage einer flexiblen Ausnahmeformel bei fehlerhafter oder ungenauer rechtlicher Würdigung der Partei). Der Tribunal Supremo hat eine unzulässige Inkongruenz der Entscheidung zudem in einem Fall bejaht, in dem das Gericht in einem Rechtsstreit um die Verletzung der mit einem Firmennamen verbundenen gewerblichen Schutzrechte statt der vom Kläger herangezogenen Verletzung des Gesetzes über gewerbliche Schutzrechte und unlauteren Wettbewerb eine Verletzung gesellschaftsr echtlicher Normen zum Schutz des Firmennamens bejaht hatte (STS 145/2010, 29. März 2010 (n° ROJ: STS 1519/2010), FD 6°). 1166 So ausdrücklich STS 280/2013, 6. Mai 2013 (n° ROJ: STS 5918/2013), FD 2° („Sin embargo, la distinción entre el componente jurídico de la causa de pedir y la posibilidad de aplicar las normas jurídicas por el juez – iura novit curia – no es siempre clara, o mejor, no siempre presenta unos contornos precisos.“); STS 372/2013, 7. Juni 2013 (n° ROJ: STS 6308/2013), FD 2°; STS 384/2013, 14. Juni 2013, (n° ROJ: STS 6307/2013), FD 2°. 1167 STS 280/2013, 6. Mai 2013 (n° ROJ: STS 5918/2013), FD 2° („Por esta razón, nuestra actual jurisprudencia admite la posibilidad de un cambio en la calificación jurídica de los hechos en los supuestos de error o imprecisión de la parte, si bien este cambio debe extraerse de los propios hechos alegados y conformados, en cuanto han podido ser objeto de discusión sin alterar los términos del debate siempre que no haya podido causar indefensión a cualquiera de los litigantes.“); STS 372/2013, 7. Juni 2013 (n° ROJ: STS 6308/2013), FD 2°; STS 384/2013, 14. Juni 2013, (n° ROJ: STS 6307/2013), FD 2°. 1168 STS 372/2013, 7. Juni 2013 (n° ROJ: STS 6308/2013), FD 2°: „... la resolución del caso descansa en la "causa petendi" de la pretensión ejercitada en la demanda configurada, claramente, por unos hechos que servían para calificar la conducta de los aquí recurrentes como de dolosa o de mala fe en el marco o desenvolvimiento de una relación contractual

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es sich hierbei um eine der Beseitigung von Fehlern und Ungenauigkeiten dienende Bestimmung des vom Kläger eigentlich oder ebenfalls gemeinten Rechtsgrundes durch Auslegung der Klage handelt oder ob vielmehr im Kleide einer Beseitigung von Fehlern und Ungenauigkeiten eine Rückkehr zur Bestimmung der causa de pedir allein anhand der vorgetragenen Tatsachen vollzogen wird, ist schwer zu sagen. Deutlich wird aber, dass die Rechtsprechung auf diese Weise ein Instrument geschaffen hat, das eine flexible Bestimmung des Rahmens der zulässigen Rechtsanwendung je nach Ausgestaltung des Einzelfalls erlaubt. Auch wenn die Rechtsprechung die Begrenzung durch die von den Parteien angeführten Rechtsgründe teilweise auf Grundlage dieser flexiblen Formel aufbricht und in anderen Entscheidungen sogar weiterhin auf die Substantiierungstheorie zurückgreift, kann sich der Kläger nach aktueller Rechtslage im Zeitpunkt der Formulierung der Klage nicht sicher sein, dass das Gericht eine umfassende Rechtsprüfung unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten vornimmt. Beschränkt das Gericht des Erstverfahrens seine Prüfung aber auf den vorgetragenen Rechtsgrund und weist es die Klage unter dem geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkt zurück, so bleibt es dem Kläger aufgrund der nach Art. 400.2 LEC greifenden cosa juzgada verwehrt, den Antrag in einem späteren Verfahren nochmals unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zur Entscheidung zu stellen. 1169 Der Kläger ist daher gut beraten, vor Abfassung der Klageschrift eine umfassende Prüfung der denkbaren Rechtsgründe vorzunehmen und besondere Sorgfalt auf die möglichst weit gefasste Beschreibung der Rechtsgründe zu verwenden. 1170 (cc) Zusammenfassung Da die in Art. 400 LEC geregelte Obliegenheit zum erschöpfenden Vortrag sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsgründe erstreckt wird, müssen die Parteien bzw. ihre Anwälte bei der vorbereitenden Rechtsprüfung und bei der analizada en toda su extensión, comprensiva de los procedimientos de ejecución que servían para garantizar el derecho de crédito del acrreedor [...]. [...] no suponen una "mutatio libelli" o cambio de demanda pues lo resuelto no se realiza desde una mera o vaga presentación del evento dañoso, como si de una estricta responsabilidad extracontractual se tratase, sino conexo al desenvolvimiento de la relación contractual celebrada y llevada a cabo.“ Im der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatten die darlehensnehmenden Kläger – gestützt auf die vertragliche Haftung – von ihrer Bank Schadensersatz wegen der vertragswidrigen vorzeitigen Rückforderung der Darlehensvaluta verlangt und dabei auch die nachfolgende bösgläubige Durchführung eines Zwangsvollstreckungsverfahrens wegen der Darlehensforderung beschrieben. Nach Ansicht des TS verstieß die Prüfung der nicht ausdrücklich angeführten außervertraglichen Haftung wegen bösgläubiger Durchführung der Vollstreckung nicht gegen das Kongruenzerfordernis. 1169 Es sei denn, es ließe sich eine Abweichung des „Beantragten“ annehmen. 1170 Vgl. Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 79.

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Formulierung der Klageschrift besondere Sorgfalt walten lassen. Werden Tatsachen oder Rechtsgründe übersehen, stellt das spanische Verfahrensrecht dem Kläger im Hinblick auf die ihm bereits bekannten Tatsachen und Rechtsgründe1171 keine Möglichkeiten zur substantiellen Ergänzung zur Verfügung. Das Gericht wird zwar bei Fehlern und Lücken im Rechtsvortrag der Parteien die korrekten Rechtsnormen zur Anwendung bringen und umfassend prüfen. Dabei darf es aber nach überwiegender Ansicht weder vom Sachverhaltsvortrag der Parteien, noch von den vorgebrachten Rechtsgründen abweichen. Sowohl in Art. 400 LEC als auch in Art. 218.1, II LEC wird der gesetzgeberische Wille erkennbar, dem gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmenden Kläger eine größere Verantwortung nicht nur für die Beibringung der Tatsachen, sondern auch für die Bestimmung der rechtlichen Grundlagen seiner Klage zuzuweisen. (4) Die Bewertung der Präklusionsregel in der Literatur Trotz der damit verbundenen Konzentrationslast ist die Einführung des Art. 400 LEC in der spanischen Literatur auf deutlich weniger Kritik gestoßen als die richterrechtliche Schaffung der Konzentrationsobliegenheit in Frankreich. Nur selten wird die der Regelung des Art. 400 LEC zugrunde liegende stärkere Gewichtung prozessökonomischer Erwägungen kritisiert und deren Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes und der Verteidigungsrechte in Frage gestellt. 1172 Das Recht auf rechtliches Gehör und auf Wahrung der Verteidigungsrechte beinhaltet zwar auch das Recht, das gesamte Tatsachen- und Rechtsvorbringen, das nach Ansicht der Partei zum Gegenstand des Verfahrens gehört, vorbringen zu können, 1173 dieses Recht ist aber nach dem Verständnis des spanischen Rechts schon dann gewährleistet, wenn die tatsächliche Möglichkeit zu einem umfassenden Vorbringen besteht.1174 Diese Möglichkeit bleibt aber trotz des Art. 400 LEC gewahrt, auch wenn das zeitliche Fenster zur Einführung der Tatsachen und Rechtsgründe sehr klein ist, gewährleistet doch auch die übrige Verfahrensausgestaltung, dass neu entstandene oder erst nachträglich zur Kenntnis gelangte 1171

Zur späteren Einführung von nachträglich eingetretenen und bekannt gewordenen Tatsachen, siehe unten G. II. 3. c. bb. 1172 So aber Concheiro del Río, UNED Boletín de la Facultad de Derecho 2003 (n° 23), 245, 260 ss. Sehr polemisch und ohne durchschlagende Argumente Nieva Fenoll, Cosa juzgada, p. 168 („denegación de justicia“). 1173 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 248. 1174 Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional I, p. 248 („En el proceso civil el derecho se respeta cuando se ofrece a las partes esta posibilidad real, sin que sea necesarop que éstas hagan uso efectivo de la misma.“); Molina Caballero, Principios y formas del proceso y del procedimiento, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 8, 137, 138. Vgl. auch Stürner/Stapf, Festschrift I. Meier, 2015, S. 739, 742.

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Tatsachen noch später vorgetragen werden können. Die überwiegende Zahl der Autoren äußert denn auch keine grundlegenden Bedenken im Hinblick auf die Grundkonzeption des Art. 400 LEC und deren Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Verfahrensgewährleistungen.1175 Bedenken werden lediglich vereinzelt hinsichtlich einer ausweitenden Anwendung in der Rechtsprechung1176 sowie hinsichtlich des durch die Verfahrensausgestaltung bewirkten frühen Zeitpunkts der Präklusion geäußert. 1177 Ganz überwiegend sieht die spanische Literatur aber die Notwendigkeit einer Entlastung der Justiz 1178 und befürwortet daher die gesetzgeberische Entscheidung, die Parteien zum Zweck einer möglichst in einem Verfahren konzentrierten Lösung des Rechtsstreits stärker in die Verantwortung zu nehmen.1179 Die mit der Obliegenheit zur Konzentration der Tatsachen und Rechtsgründe im ersten Verfahren und der gleichzeitigen Beschränkung des zulässigen Umfangs der richterlichen Rechtsanwendung durch die vorgetragenen Rechtsgründe verbundene Festlegung der Rollenverteilung zwischen Gerichten und Parteien wird dabei nicht als Überlastung der Parteien gewertet: Auf-

1175

Alfaro Valverde, La Ley 2014, D-143, p. 1497, 1502. Alfaro Valverde, La Ley 2014, D-143, p. 1497, 1502: Problematisch sei weder die Grundkonzeption, noch die Ausgestaltung des Art. 400 LEC, sondern allein die zu weitgehende Auslegung in der Rechtsprechung, durch die die Präklusion teilweise über das petitum hinaus ausgedehnt werde. 1177 So Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1667: Statt die Last des erschöpfenden Vortrags der bekannten Tatsachen und Rechtsgründe auf die Klageschrift zu konzentrieren, biete sich die mündliche Verhandlung in der audiencia previa dazu an, sämtliche causae petendi anzuführen, da auch der Beklagte hier noch die Möglichkeit zur mündlichen Stellungnahme habe. Angesichts der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung der audiencia previa und des dort zulässigen Vorbringens, bedürfte er hierfür aber wohl einer Gesetzesänderung, die auch das aktuelle Reformvorhaben nicht vorsieht. 1178 Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1103 („Y ello es lógico si se piensa en la sobrecarga actual de la administración de justicia, que no permite un goteo de pretensiones y procesos , cuando podrían solucionarse todas las cuestiones en uno solo.“). 1179 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 53 s., p. 61 s. („Hay que suponer que la parte demandante (o el demandado que formula reconvención) puede, con su asesor experto en Derecho, asumir la carga de estudiar cuidadosamente el caso y determinar todos los posibles fundamentos de hecho y de Derecho....“); Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1103. Die Zielsetzung des Gesetzgebers akzeptierend Calaza López, Cosa juzgada, p. 192 („imperiosas razones de ordén público, de paz social, de economía procesal y de seguridad jurídica abogan por mantener una medida tan drástica“); Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 157 s. (ohne Stellungnahme zur eigenen Haltung). 1176

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grund des im spanischen Verfahrensrecht fast umfassend geltenden Anwaltszwangs1180 werde der juristische Laie mit der rechtlichen Einordnung seines Begehrens und seiner Begründung nicht allein gelassen. 1181 Die Hauptlast der in Art. 400 LEC geschaffenen Obliegenheit treffe vielmehr die Anwälte, die aber für die umfassende rechtliche Prüfung und sorgfältige Formulierung der Klageschrift gerade ausgebildet seien.1182 Im Hinblick auf die Bestimmung der Rechtsgründe kommt der Notwendigkeit der Konzentration des Vorbringens auf die Klageschrift allerdings eine besondere Schärfe zu, weshalb sich die in der Literatur geäußerte Kritik auch hierauf konzentriert: Für bedenklich halten die Autoren, dass Art. 400 LEC zwar Tatsachen, die bei Klageerhebung noch nicht bekannt waren, von der Präklusion ausnimmt, für Rechtsgründe, deren Relevanz erst später erkennbar wird, aber keine vergleichbare Einschränkung vorsieht. 1183 Dass die Relevanz eines rechtlichen Gesichtspunktes erst im Laufe des Verfahrens erkennbar wird, sei – auch bei Einhaltung der notwendigen Sorgfalt bei der vorbereitenden Rechtsprüfung – durchaus denkbar, insbesondere in Fällen, in denen an der rechtlichen Einordnung zunächst keine vernünftigen Zweifel zu bestehen scheinen.1184 Ein Teil der spanischen Autorenschaft schlägt daher eine Beschränkung des Art. 400 LEC auf „vernünftigerweise erkennbare Rechtsgründe“ vor.1185 Andere akzeptieren dagegen den gesetzgeberischen Verzicht 1180 Art. 23.1 LEC: „La comparecencia en juicio será por medio de Procurador, que habrá de ser licenciado en Derecho, legalmente habilitado para actuar en el Tribunal que conozca del juicio. [...]“. Die in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, der Anwaltszwang greife nur in besonders einfach gelagerten Fällen („casos de singular simplicitad“) nicht (Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 577 (VI)), ist aber wohl nicht in jedem Fall gerechtfertigt, da auch in den Fällen, in denen Art. 23.2 LEC (z.B. juicios verbales mit einem Streitwert von unter 2.000 €) die Postulationsfähigkeit der Partei selbst vorsieht, komplizierte rechtliche Probleme entstehen können. 1181 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 53 s., p. 62; Tapia Fernández, Comentario al Art. 400 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1661, 1665. Vgl. auch die Gesetzesbegündung, Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 577 (VI) („Justamente para afrontar esas cargas sin indefensión y con las debidas garantías, se impone a las partes, excepto en casos de singular simplicidad, estar asistidas de abogado.“). 1182 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 53 s., p. 62. Besonders eindrücklich auch de la Oliva Santos, El papel del juez en el proceso civil, p. 79 („En un páis de abogados y con una tradición de procesos de abogados, no parece lógico liberarles de la tarea más propia de su específica idoneidad y formación.“). 1183 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 56, p. 63 s.; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 79 s. 1184 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 56, p. 63; Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 80. 1185 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 56, p. 64 („fundamentos o títulos jurídicos que sean razonablemente apreciables“); Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 80.

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auf eine solche Einschränkung: Da Gesetze und Rechtsprechung öffentlich zugänglich seien, könne von den Parteien bzw. ihren Anwälten erwartet werden, dass sie die Anwendbarkeit sämtlicher (auch fernliegender) Rechtsgründe bereits vor Abfassung der Klageschrift abschätzen können.1186 Tatsächlich dürfte eine Beschränkung auf erkennbare Rechtsgründe aber deshalb schwer umsetzbar sein, weil sich eine Erkennbarkeit eines rechtlichen Gesichtspunktes ungleich schwerer feststellen und nachweisen lässt, als die Kenntnis von einer Tatsache. 1187 Festzuhalten bleibt, dass die Literatur die Einführung der Art. 400 LEC und die damit verbundene Erhöhung der die Parteien treffenden prozessualen Lasten ganz überwiegend als rechtspolitisch fundierte Entscheidung akzeptiert oder sogar befürwortet, auch wenn im Einzelnen gewisse Entschärfungen der auf einen sehr frühen Zeitpunkt beschränkten Konzentrationslast diskutiert werden. Dass die spanische Rechtswissenschaft auf die Einführung des Art. 400 LEC mit deutlich größerer Gelassenheit reagiert hat als die französischen Literatur auf die Cesareo-Rechtsprechung, dürfte zumindest auch darin begründet liegen, dass die dem Art. 400 LEC zugrunde liegende Vorstellung einer Präklusion nicht vorgetragener Tatsachen und Rechtsgründe der spanischen Rechtskraftdogmatik auch zuvor bereits bekannt war und mit der Einführung des Art. 400 LEC lediglich eine Ausweitung dieses Konzepts vorgenommen wurde, die aber in dieser Form bereits in der Literatur empfohlen worden war. (5) Zusammenfassung Die Anordnung einer Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher bekannter Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel im ersten Verfahren sowie der Erstreckung der cosa juzgada auf das zu konzentrierende Vorbringen hat zu einer Modifizierung des für die cosa juzgada geltenden Streitgegenstandsbegriffs geführt. Auch wenn die eng verstandene causa de pedir traditioneller Auslegung jedenfalls keine objektive Grenze der cosa juzgada mehr bildet und sich in der Praxis der Rechtsanwendung Grundzüge eines solchen neuen Streitgegenstandsbegriffs herauszubilden scheinen, steht die genaue abstrakte Umschreibung dieses Streitgegenstandsbegriffs noch aus. Die der Ausweitung der cosa juzgada zugrunde liegende Konzentrationsobliegenheit stellt sich als Ausdruck einer gesetzgeberischen Entscheidung dar, die Rechtsschutz in Anspruch nehmende Partei im Hinblick auf die möglichst in einem Verfahren konzentrierte Lösung des Rechtsstreits stärker in die Verantwortung zu nehmen

1186

So Sabater Martín, La Ley 2001 (t. 4), D-120, p. 1506, 1509. Auf die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen erkennbaren und neuen Rechtsgründen weist auch Concheiro del Río hin (UNED Boletín de la Facultad de Derecho 2003 (n° 23), p. 245, 260). 1187

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und auf diese Weise die Gerichte zu entlasten. Flankiert wird diese Entscheidung durch die Einführung des Art. 218.1, II LEC, der eine stärkere, in ihrer konkreten Umsetzung aber strittige Beschränkung des Rahmens der zulässigen richterlichen Rechtsanwendung durch die von den Parteien angeführten Rechtsgründe vorsieht und der den Parteien bzw. ihren anwaltlichen Vertretern bei der Bestimmung der rechtlichen Gesichtspunkte, unter denen der Antrag zu prüfen ist, ebenfalls größere Verantwortung zuweist. Trotz der hiermit verbundenen Belastung der Parteien werden in der Literatur zwar Anpassungen im Einzelnen verlangt, aber weder die hinter Art. 400 LEC stehende rechtspolitische Grundentscheidung, noch die Norm selbst in Frage gestellt. dd. Präklusion des Gegenvorbringens des Beklagten Wie bereits zuvor festgestellt, findet Art. 400 LEC nach ganz herrschendem Verständnis keine Anwendung auf das Gegenvorbringen des Beklagten, sofern dieser keine Widerklage erhebt. Eine Präklusion des denkbaren Gegenvorbringens wird jedoch vielfach unter Rückgriff auf andere dogmatische Figuren konstruiert, die in dieser Arbeit teilweise bereits an anderer Stelle besprochen wurden. Wie vielfältig die zur Begründung einer solchen Präklusion herangezogenen Ansätze sind, zeigt sich am deutlichsten bei einer differenzierten Betrachtung der Verfahrenskonstellationen, in denen eine Präklusion des Gegenvorbringens zum Tragen kommen kann. (1) Einwendungen im Vollstreckungsverfahren Im Hinblick auf die Wirkung in einem auf ein Leistungsurteil folgenden Vollstreckungsverfahren geht die LEC in den der Vollstreckungsgegenklage (oposición a la ejecución) gewidmeten Artikeln 556 ff. davon aus, dass der Vollstreckungsschuldner gegen die titulierte Forderung nur Einwendungen vorbringen kann, die nach dem Zeitpunkt der Präklusion des Tatsachenvorbringens im Erkenntnisverfahren entstanden sind. So verweist Art. 564 LEC den Vollstreckungsschuldner, der Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend machen möchte, die nicht in den engen numerus clausus der in der oposición zulässigen Gründe fallen, auf die klageweise Geltendmachung im entsprechenden (Erkenntnis-)Verfahren,1188 sieht diese Klagmöglichkeit aber ausdrücklich nur für Einwendungen vor, die nach dem maßgeblichen Präklusionszeitpunkt im Erkenntnisverfahren entstanden sind. 1189 Diese Beschränkung der zulässigen Einwendungen gilt in gleicher Weise für die in der oposición zulässigen 1188

Zum Verhältnis und Zusammenspiel von oposición und Erkenntnisverfahren nach Art. 564 LEC: Cordón Moreno, Comentario al Art. 564 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC – Vol. II, p. 256, 257 s. 1189 Art. 564 LEC: „Si, después de precluidas las posibilidades de alegación en juicio o con posterioridad a la producción de un título ejecutivo extrajudicial, se produjesen hechos

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Einwendungen im Sinne des Art. 556.1 LEC. 1190 Dem Vollstreckungsschuldner ist es also verwehrt, sich gegen die Vollstreckung mit gegen die titulierte Forderung gerichteten Einwendungen zu wehren, die er bereits im ersten Verfahren hätte geltend machen können und die deshalb von der cosa juzgada bzw. der Präklusion erfasst sind.1191 (2) Die Präklusion des Gegenvorbringens im Verfahren über eine spätere Klage des Klägers bei Übereinstimmung in Vorfragen Für den Fall, dass der Kläger des Erstverfahrens später eine weitere Klage erhebt, die sich auf eine präjudizielle Vorfrage des Erstverfahrens stützt, greift – soweit es sich um eine unerlässliche Vorfrage handelt – die Erstreckung der cosa juzgada auf Vorfragenfeststellungen und die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada. 1192 Dass der Beklagte die Bindung an die Vorfragenfeststellung nicht durch Einwendungen zerstören kann, die er bereits im ersten Verfahren hätte geltend machen können, wird hier als Folge der positiven Wirkungsrichtung der cosa juzgada material verstanden,1193 deren Bindungswirkung gemäß Art. 222.2, II LEC nur bei einem Vortrag neuer oder neu zur Kenntnis gelangter Tatsachen entfällt. (3) Im Verfahren über eine auf das kontradiktorische Gegenteil gerichtete Klage des vormaligen Beklagten Wenn der Beklagte in einem späteren Verfahren das unmittelbare kontradiktorische Gegenteil des klägerischen Antrags im Erstverfahren beantragt, steht seiner Klage in Anwendung der Figur der cosa juzgada implícita1194 auch dann die Sperrwirkung der cosa juzgada material entgegen, wenn er sich in der Klage auf Vorbringen stützt, auf das er sich im Erstverfahren noch nicht beru-

o actos, distintos de los admitidos por esta Ley como causas de oposición a la ejecución, pero jurídicamente relevantes respecto de los derechos de la parte ejecutante frente al ejecutado o de los deberes del ejecutado para con el ejecutante, la eficacia jurídica de aquellos hechos o actos podrá hacerse valer en el proceso que corresponda.“ 1190 Cordón Moreno, Comentario al Libro III, Título III, Capítulo IV, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC – Vol. II, p. 218, 220; ders., Comentario al Art. 556 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC – Vol. II, p. 221 s.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 601. 1191 Cordón Moreno, Comentario al Art. 564 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC – Vol. II, p. 256: „[N]o se pueden reproducir en sede de ejecución hechos y cuestiones que quedan alcanzados por la cosa juzgada o por la preclusión“. 1192 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 190 s. 1193 Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 191. 1194 Ausführlich zur cosa juzgada implícita oben G. II. 2. c.

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fen hat, sofern er es dort bereits als Einwendung hätte geltend machen können.1195 Zur Anwendung kommt hier eine der cosa juzgada inhärente Präklusionswirkung, nicht aber Art. 400 LEC. 1196 (4) Im Verfahren über eine nicht auf das kontradiktorische Gegenteil gerichtete, aber verknüpfte Klage des vormaligen Beklagten Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob eine Präklusion des Gegenvorbringens auch bei einer Klage des vormaligen Beklagten greift, in der dieser nicht das streng kontradiktorische Gegenteil beantragt, in der er aber einen aus demselben Lebenssachverhalt entspringenden Antrag auf Tatsachen stützt, die er im Erstverfahren als Einwendungen gegen den klägerischen Anspruch hätte geltend machen können. Betrifft die Einwendung die Existenz oder Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses, auf das sich die Klage im Erstverfahren stützte, so wird bei einer Verurteilung im Erstverfahren von vielen eine rechtskräftige Entscheidung über die Vorfrage der Existenz und Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses bejaht. 1197 Erhebt der Beklagte im Folgenden eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens oder der Nichtigkeit des Rechtsverhältnisses, so greift zwar nach Ansicht eines Teils der Literatur nur die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada, dagegen bejahen andere hier eine Anwendung der negativen Sperrwirkung der cosa juzgada. 1198 Aber auch wenn der Gegenstand der späteren Klage des Beklagten nicht die Wirksamkeit des präjudiziellen Rechtsverhältnisses des Erstverfahrens betrifft, sondern sich der Beklagte in

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So z.B. in der Entscheidung STS 768/2013, 5. Dezember 2013 (n° ROJ STS: 5820/2013), FD 3°, 2. 1196 Deutlich wird dies in den Entscheidungsgründen der Entscheidung STS 768/2013, 5. Dezember 2013 (n° ROJ STS: 5820/2013): Dort wurde zur Bejahung der cosa juzgada hinsichtlich des eine umgekehrte Formulierung beinhaltenden Antrags ein allgemeiner Grundsatz postuliert, wonach ein späteres Verfahren dem rechtskräftig Verurteilten nicht dazu dienen könne, Verteidigungsvorbringen geltend zu machen, welches der Beklagte im ersten Verfahren nicht vorgebracht hatte („Quien fue condenado en una sentencia firme no puede servirse de un proceso posterior para objetar el pronunciamiento condenatorio realizado en una anterior sentencia, puesto que el litigio posterior no puede servir para formular alegaciones defensivas que no se formularon en el anterior litigio ni para impugnar la corrección de la sentencia dictada en ese litigio anterior.“, FD 3°, n° 2). Art. 400 LEC wurde nicht herangezogen, obwohl er in der Entscheidung hinsichtlich eines Antrags der Klägerin zur Anwendung gebracht wurde (vgl. FD 3°, n° 3). 1197 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 190 ss., p. 216 ss. 1198 Für ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 192, p. 220; für die Anwendung der cosa juzgada in ihrer positiven Funktion Padura Ballesteros, Fundamentación, p. 167; ausführlich hierzu oben F. IV. a. (2) (c) Der Annahme einer impliziten Verneinung der Nichtigkeit stehen jedenfalls Bedenken hinsichtlich des Fehlens einer streitigen Diskussion entgegen (so z.B. Calaza López, Cosa juzgada, p. 94; Tapia Fernández, Cosa juzgada, p. 179; Vallines García, La preclusión, p. 263).

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seiner späteren Klage auf sonstiges Vorbringen stützt, 1199 das im ersten Verfahren als Einwendung vorbracht hätte werden können, hat die Rechtsprechung bereits ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada bejaht.1200 Zum Ausdruck kommt dabei jeweils die Annahme, die Sperrwirkung der cosa juzgada stehe eigenständigen Anträgen des vormaligen Beklagten entgegen, die dieser im vorausgegangenen Verfahren nur im Wege der Widerklage hätte geltend machen können, sofern sich die Anträge auf Tatsachen und Rechtsgründe stützen, die im früheren Verfahren bereits als schlichte Einwendungen hätten geltend gemacht werden können. Diesem Verständnis hat der Tribunal Constitucional allerdings in einer Entscheidung vom 6. Mai 2013 1201 eine Absage erteilt und die Bejahung der Sperrwirkung der cosa juzgada in einem solchen Fall als Verstoß gegen Art. 24.1

1199 Eine Obliegenheit, die Aufrechnung geltend zu machen und daher im Prozess zur gegnerischen Klage sämtliche aufrechenbaren Forderungen einzubringen, wird allerdings – mit Ausnahme eines Autors in der Frühphase nach Einführung der neuen LEC (vgl. die Nennung der Ansicht bei Vallines García, La preclusión, p. 229, Fußnote 390) – abgelehnt (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 27, p. 39; Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 190; Vallines García, La preclusión, p. 231). Der Beklagte kann daher sowohl die Gegenforderung (de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 27, p. 39; Vallines García, La preclusión, p. 231) als auch die Aufrechnung (Pérez Benítez, Revista del Poder Judicial 2005 (n° 78), p. 163, 190) in einem späteren Verfahren geltend machen. 1200 Besonders weit ging die Entscheidung SAP Pontevedra 570/2006, 26. Oktober 2006 (n° ROJ: SAP PO 2170/2006), in der die Audiencia Provincial annahm, der Klage des Werkbestellers auf Mängelbeseitigung und Ersatz mangelbedingter Schäden stünde gemäß Art. 400 LEC die cosa juzgada seiner vorausgegangenen Verurteilung zur Zahlung von Werklohn entgegen (FD 2°). In der oben G. II. 2. d. cc. (2) (b) bereits besprochenen Entscheidung STS 393/2012, 26. Juni 2012 (n° ROJ: STS 4945/2012) sah der Tribunal Supremo die Klagen auf Feststellung des Nachlassumfangs und der Deckung der Pflichtteilsansprüche als präkludiert an (FD 2°), durch die der Kläger eine Frage zum Gegenstand seiner Klage machte, die im vorausgegangenen Verfahren (über die Feststellung der Pflichtwidrigkeit der Schenkungen an den späteren Kläger wegen unzulässiger Beeinträchtigung der Pflichtteilsansprüche der gesetzlichen Erben) eine Vorfrage gebildet hatte. 1201 STC 106/2013, 6. Mai 2013, BOE 2013, n° 133, 4. Juni 2013, Suplemento del Tribunal Constitucional – 5929, p. 12, 19 s. (FJ 5°). In dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien einen Kaufvertrag über Gesellschaftsanteile geschlossen, in dem sich die Käufer u.a. zur Ablösung von Sicherheiten verpflichteten, welche die Verkäufer für Kreditgeschäfte der Gesellschaft gestellt hatten. In einem ersten Verfahren hatten die Verkäufer gegen die Käufer auf Ablösung der Sicherheiten geklagt, in einem zweiten Verfahren beantragten die Käufer Feststellung des Vorliegens eines Versicherungsfalls bei der Bewertung des Unternehmens und auf das Vorliegen verschleierter Schulden der Gesellschaft, auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages bzw. hilfsweise auf Erklärung der Aufhebung des Vertrages (resolución) sowie auf Zahlung von Entschädigung. Das Gericht des späteren Verfahrens stellte das Verfahren wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit des anderen Verfahrens mit der Begründung ein, die im zweiten Verfahren gestellten Anträge hätten nach Art. 400 LEC in der Klageerwiderung im ersten Verfahren geltend gemacht

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C.E. gewertet. 1202 Über die vom vormaligen Beklagten geltend gemachten prozessualen Ansprüche sei im ersten Verfahren eben gerade nicht entschieden worden, weder Art. 222 LEC noch Art. 400 LEC bewirkten eine Präklusion nicht beurteilter prozessualer Ansprüche. 1203 Nur dort, wo der vom vormaligen Beklagten gestellte Antrag und die vorausgegangene Klage als identischer prozessualer Anspruch angesehen werden können, steht die cosa juzgada der späteren Klage des Beklagten entgegen. Damit dürfte die negative Sperrwirkung der cosa juzgada letztlich nur in dem Fall greifen, in dem der Beklagte die Umkehrung bzw. das unmittelbare Gegenteil des Urteilsausspruchs im Erstverfahren geltend macht. In der Literatur wird diese Beurteilung des Tribunal Constitucional von einigen Autoren geteilt: Eine Präklusion eigenständiger prozessualer Ansprüche des Beklagten lasse sich weder aus Art. 400 LEC noch aus der cosa juzgada selbst herleiten.1204 (5) Zusammenfassung Die Rechtslage im Hinblick auf das Schicksal der nicht im Erstverfahren vorgetragenen Einwendungen ist durch die Einführung der LEC 2000 nicht klarer werden müssen, so dass nun die Rechtsfolge des Art. 400.2 LEC in Verbindung mit Art. 222 LEC greife. 1202 Der Bejahung einer Präklusion stünden der Dispositionsgrundsatz und die damit verbundene Freiwilligkeit der Erhebung der Widerklage entgegen, von der auch die Widerklageregelung des Art. 406 LEC ausgehe. Durch die Annahme, aufgrund des Art. 400 LEC müsse der Beklagte Widerklage erheben, um die Präklusion seiner Ansprüche zu verhindern, würden die für die Forderungen des Beklagten geltenden Verjährungsfristen verkürzt und das Recht des Beklagten, sich gegen eine Widerklage zu entscheiden, unverhältnismäßig beschnitten, wodurch die in Art. 24.1 LEC verankerte Gewährleistung des Zugangs zu den Gerichten verletzt werde, STC 106/2013, 6. Mai 2013, BOE 2013, n° 133, 4. Juni 2013, Suplemento del Tribunal Constitucional – 5929, p. 12, 20: „Tal interpretación [...] contraviene el carácter voluntario que la ley procesal otorga al ejercicio de la reconvención.[...] lesiva del derecho a la tutela judicial efectiva en su vertiente de acceso a la justicia, en la medida que restringe desproporcionadamente el derecho del demandado que optó por no reconvenir...“. 1203 STC 106/2013, 6. Mai 2013, BOE 2013, n° 133, 4. Juni 2013, Suplemento del Tribunal Constitucional – 5929, p. 12, 20: „En definitiva, sin perjuicio de la evidente relación entre los dos procesos judiciales, lo cierto es que las pretensiones que se ejercitaron en el segundo pleito quedaron imprejuzgadas, por lo que[...] lo cierto es ‚los arts. 222.2 y 400.2 LEC se refieren a hechos y alegaciones que pudieron ser aducidos en un procedimiento anterior, pero no a la formulación de pretensiones que permanezcan imprejuzgadas y respecto de las cuales no hubiese prescrito o caducado la acción procesal‘.“ 1204 Ausführlich Vallines García, La preclusión, p. 258 ss. (allerdings nur de lege lata, dagegen befürwortet er die Einführung einer Präklusionsnorm, die eine Präklusion bei logische Inkompatibilität (incompatibilidad lógica) vorsieht, auf deren Grundlage sich dann beispielsweise die Präklusion der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Rechtsverhältnisses nach erfolgter Verurteilung zu einer aus diesem Rechtsverhältnis entspringenden Leistung begründen ließe).

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geworden ist. Art. 400 LEC ist auf das Gegenvorbringen des Beklagten nach ganz herrschendem Verständnis nicht anwendbar. Literatur und Rechtsprechung bejahen dagegen eine der cosa juzgada innewohnende Präklusionswirkung, die auch in der gesetzlichen Ausgestaltung der oposición gegen die Vollstreckung aus gerichtlichen Urteilen zum Ausdruck kommt. Die Erstreckung der cosa juzgada auf unerlässliche Vorfragen sowie die cosa juzgada implícita werden in verschiedenen Situationen ebenfalls zur Begründung einer Präklusion des Gegenvorbringens herangezogen. Die in Literatur und Rechtsprechung teilweise vorgenommene Erstreckung der Präklusion auf eigenständige prozessuale Ansprüche des Beklagten bei unterbliebener Widerklage im Erstverfahren, kann seit der Entscheidung 106/2013 des Tribunal Constitucional jedoch nicht mehr als verfassungskonform angesehen werden, so dass insoweit mit einer Begrenzung der Präklusion zu rechnen ist. Fest steht aber, dass der Beklagte im Vollstreckungsverfahren sowie in Verfahren über die in einer Vorfrage übereinstimmende spätere Klage des Klägers sowie bei einer eigenen auf das kontradiktorische Gegenteil gerichteten Klage mit Einwendungen präkludiert ist, die er bereits im ersten (Erkenntnis-) Verfahren hätte geltend machen können. Auch der Beklagte muss daher den Tatsachen- und Rechtsvortrag, auf den er seine Einwendungen stützen will, im ersten Verfahren konzentrieren – nicht nur um einer Verurteilung im Erstverfahren zu entgehen, sondern auch, um eine Präklusion der entsprechenden Einwendung zu verhindern. Wie für den klägerischen Tatsachen- und Rechtsvortrag ist für das Gegenvorbringen des Beklagten eine sehr frühe Verfahrensphase vorgesehen: Der Beklagte kann die Tatsachen und Rechtsansichten, auf die er seine Einwendungen stützen möchte, in der Klageerwiderung (Art. 405 LEC) geltend machen. Eine spätere substantielle Ergänzung oder Änderung des Vorbringens ist ihm dagegen gemäß Art. 426, 433 LEC nicht mehr möglich. ee. Zusammenfassung Sowohl der Kläger als auch der Beklagte sind nach der heutigen Ausgestaltung des Verfahrensrechts gehalten, ihr Vorbringen und Gegenvorbringen in einem frühen Verfahrensstadium zu konzentrieren, und sehen sich anderenfalls einer Präklusion ihres Vorbringens gegenüber. Die Konzentrationslast des Beklagten hält sich aber im Rahmen der Grenzen des Streitgegenstandes, eine Obliegenheit zur Ausweitung des Gegenstandes durch Erhebung einer Widerklage wird ihm nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht auferlegt. Die Präklusion seines Gegenvorbringens ergibt sich nach herrschendem Verständnis auch nicht aus Art. 400 LEC, sondern wie schon nach früherer Rechtslage aus weiteren Grundsätzen der Rechtskraftdogmatik wie der cosa juzgada implícita und der Erstreckung der cosa juzgada auf Vorfragen. Demgegenüber hat die Konzentrationslast des Klägers in Art. 400 LEC gesetzliche Ausformung gefunden. Die darin angeordnete Ausdehnung der Sperrwirkung der cosa

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juzgada auf sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel, die zur Begründung der Klage herangezogen werden können, hat dabei eine Neubestimmung der objektiven Grenzen der cosa juzgada bewirkt, deren genaue Konturen noch nicht völlig klar erkennbar sind. c. Die „cosa juzgada“ und die nachträgliche Veränderung entscheidungsrelevanter Umstände – Die sogenannten zeitlichen Grenzen der „cosa juzgada“ Erstreckt sich die cosa juzgada nach der bisherigen Untersuchung auf die Gesamtheit der Tatsachen und Rechtsgründe, die zur Stützung des Antrags herangezogen werden können, so bleibt zu klären, wie sich nach dem ersten Verfahren eintretende tatsächliche Veränderungen, welche die entscheidungsbegründenden Tatsachen und Rechtsgründe betreffen, im Hinblick auf die Sperrwirkung der cosa juzgada auswirken. Dabei war und ist in der spanischen Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass die cosa juzgada material einer erneuten antragsidentischen Klage nicht entgegensteht, wenn sich die entscheidungsbegründenden Umstände nach dem ersten Verfahren, konkret nach dem Zeitpunkt des letztmöglichen Vortrags nachträglich eingetretener oder zur Kenntnis gelangter Tatsachen, geändert haben.1205 Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist dieser häufig unter dem Stichwort der zeitlichen Grenzen der cosa juzgada behandelte Grundsatz zwar auch heute noch nicht, allerdings geht die Regelung der cosa juzgada in Art. 222 LEC offensichtlich von einem Entfallen der Sperrwirkung der cosa juzgada bei nachträglicher Veränderung der Tatsachen aus. Denn nur so wird die in Art. 222.2, II LEC getroffene Festlegung, dass nach der vollständigen Präklusion des Vorbringens im Erstverfahren eingetretene Tatsachen im Hinblick auf die Gründe der prozessualen Ansprüche als neue oder abweichende Tatsachen anzusehen sind, verständlich. 1206 Die Thematik ist eng verknüpft mit der soeben behandelten Präklusion nicht vorgebrachter Tatsachen und Rechtsgründe, geht es doch darum, zu bestimmen, ab welchem Zeitpunkt neu eingetretene Tatsachen nicht mehr im Erstverfahren geltend gemacht werden können und damit nicht der mit der cosa juzgada der Erstentscheidung verbundenen Präklusion unterfallen, sondern eine 1205 Für die Rechtslage vor Einführung der LEC 2000: Guasp, Los límites temporales de la cosa juzgada, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 468 ss.; de la Oliva Santos, in: Montero Aroca (dir.), Efectos jurídicos del proceso, p. 425 ss. Für die heutige Rechtslage: beispielsweise de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 219 ss., p. 246 ss.; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 501 s.; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 567; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1105. 1206 Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1105.

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neue antragsidentische Klage rechtfertigen können. Neben der Bestimmung des Präklusionszeitpunktes soll im Folgenden aber auch untersucht werden, welcher Art die Änderung der entscheidungsrelevanten Umstände sein muss, um eine erneute Klage rechtfertigen zu können. Zunächst soll aber kurz darauf eingegangen werden, wie das Entfallen der Sperrwirkung bei Änderung der tatsächlichen Umstände dogmatisch begründet wird. aa. Dogmatische Grundlagen: Der Begriff der zeitlichen Grenzen der „cosa juzgada“ Seit sich Jaime Guasp in seinem 1948 veröffentlichten Aufsatz zu den „Límites temporales de la cosa juzgada“ erstmals ausführlich mit dem Schicksal der cosa juzgada im Fall einer nachträglichen Weiterentwicklung der entscheidungsbegründenden Umstände auseinandergesetzt hat, 1207 nimmt die spanische Rechtskraftdogmatik in diesem Zusammenhang auf die zeitlichen Grenzen der cosa juzgada Bezug. Die Verwendung des Begriffs ist jedoch umstritten. Kritisiert wird insbesondere, dass hierdurch fälschlicherweise eine inhärente zeitliche Begrenzung der cosa juzgada material und damit ein Erlöschen ihrer Wirkungen durch schlichten Zeitablauf suggeriert werde. 1208 Auch Guasp setzte sich schon mit diesem Einwand auseinander, legte aber ausführlich dar, dass der Begriff der zeitlichen Grenzen lediglich umschreibe, dass die Veränderung der einer Entscheidung zugrunde liegenden Umstände zur Aufhebung der durch die cosa juzgada bewirkten Unangreifbarkeit der Entscheidung führe. 1209 Die Bezugnahme auf zeitliche Grenzen sei gerechtfertigt, weil es um eine im Laufe der Zeit eintretende Veränderung der dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachen gehe. 1210 1207

Guasp, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435 ss. So mit großer Schärfe de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 219 ss., p. 246 ss. Spanische Autoren, die den Begriff der zeitlichen Grenzen verwenden, sehen sich bis heute genötigt, klarzustellen, dass es nicht darum gehe, der cosa juzgada von herein eine begrenzte Wirkungszeit zuzuschreiben, vgl. beispielsweise Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 502; Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 567; teilweise auch die Rechtsprechung, vgl. STS 1203/2004, 9. Dezember 2004 (n° ROJ: STS 7921/2004), FD 3° („La cosa juzgada no tiene un límite temporal, en el sentido de que caduque con el paso del tiempo, por más que el transcurso del mismo, por sí, produzca una inevitable modificación natural, de circunstancias; no basta ésta por el paso del tiempo.“). 1209 Guasp, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 452. 1210 Guasp, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 452 („ [S]on las nuevas circunstancias las que determinan la demarcación de la cosa juzgada. Ahora bien, si se considera que estas circunstancias en tanto juegan aquí en cuanto se modifican dentro del tiempo y, por ello, importan precisamente en su calidad de novedades cronológicas, sigue habuendo motivos bastantes para sostener la denominación propuesta.“). 1208

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Ob zur Begründung dieses Ergebnisses die Anerkennung zeitlicher Grenzen der cosa juzgada notwendig ist, hängt letztlich von der Frage ab, ob man annimmt, dass die Begrenzung auf den Zeitpunkt des ersten Verfahrens schon den objektiven Grenzen der cosa juzgada, also dem Streitgegenstand, innewohnt oder nicht: Aus Sicht der Autoren, die den Streitgegenstand von vornherein allein anhand der im Zeitpunkt des ersten Verfahrens bereits eingetretenen rechtlich relevanten Tatsachen definieren und jede nachträglich eingetretene tatsächliche Veränderung als Änderung der causa de pedir und damit als neuen Streitgegenstand werten,1211 bedarf es keiner Ergänzung der objektiven Begrenzung der cosa juzgada durch gesonderte zeitliche Grenzen. Nimmt man dagegen an, dass es sich trotz einer nachträglichen Änderung der zugrunde liegenden Umstände auch weiterhin um dieselbe causa de pedir handelt, ist der Rückgriff auf die Figur der zeitlichen Grenzen der cosa juzgada zur Begründung der Zulässigkeit einer erneuten Klage bei nachträglicher Veränderung unerlässlich.1212 Der überwiegende Teil der spanischen Literatur nimmt heute zwar an, dass mit der Berufung auf neu eingetretene Tatsachen ein neuer Streitgegenstand geltend gemacht wird, dass also das Entgegenstehen der cosa juzgada im Fall einer nachträglichen Änderung der entscheidungsbegründenden Umstände schon aufgrund der objektiven Grenzen der cosa juzgada zu bejahen ist,1213

1211

So de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 222, p. 251; n° 231, p. 260; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 502; Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 675; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1105. 1212 So Guasp, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 454 (allerdings mit dem Hinweis, dass angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Verankerung in der Praxis auf die objektive Grenze der causa de pedir zurückgegriffen werden könne, auch wenn dies dogamtisch unsauber sei, p. 469 s.); in der aktuellen Literatur Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 567 („En otros casos el objeto del proceso no es diferente y, ello no obstante, se puede resolver de nuevo sobre el mismo en consideración de hechos relevantes para el sentido de la resolución que han ocurrido con posterioridad a la preclusión de las alegaciones en el proceso que produjo cosa juzgada. En mi opinión, ésta es la verdadera expresión de los límites temporales.“). 1213 De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 222, p. 251; n° 231, p. 260; Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 502; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1105. Dass der Ausschluss der entgegenstehenden cosa juzgada dabei selbst bei Autoren, die der causa de pedir nach Einführung des Art. 400 LEC eigentlich ihre Bedeutung als Grenze der cosa juzgada absprechen wollen, mit einem Abweichen der causa de pedir begründet wird (so z.B. Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1105), zeigt, dass die Konturen eines nach Einführung des Art. 400 LEC für die cosa juzgada geltenden Streitgegenstandsbegriffs bei vielen Autoren noch recht unscharf bleiben.

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erläutert wird dies aber regelmäßig getrennt von den objektiven Grenzen unter dem Stichwort der zeitlichen Grenzen der cosa juzgada. 1214 bb. Geltendmachung tatsächlicher Veränderung im Erstverfahren: Der für das Vorbringen nachträglich eingetretener Tatsachen maßgebliche Präklusionszeitpunkt Dass die nachträgliche Veränderung der entscheidungsrelevanten Tatsachen die Sperrwirkung der cosa juzgada entfallen lässt, wirft die Frage auf, auf welchen Verfahrenszeitpunkt es für die Einordnung als nachträgliche Veränderung bzw. als „neue Tatsache“ (hecho nuevo) ankommt. Art. 222.2, II LEC liefert hierfür den Maßstab: Als „neue Tatsachen“ sind die nach der vollständigen Präklusion von Tatsachenbehauptungen im ersten Verfahren eingetretenen Tatsachen anzusehen.1215 Zu untersuchen ist also, bis zu welchem Zeitpunkt tatsächliche Veränderungen noch im Rahmen des ersten Verfahrens vorgebracht werden können. (1) Geltendmachung nachträglich entstandener oder bekannt gewordener Tatsachen im Laufe des Verfahrens Wie bereits oben geschildert, sieht das spanische Zivilverfahrensrecht als maßgeblichen Zeitpunkt für das Tatsachen- und Rechtsvorbringen die einleitenden Schriftsätze der Klageschrift und der Klageerwiderung vor, während in der audiencia previa nur noch Ergänzungen und Klarstellungen nicht substantieller Art zulässig sind (Art. 426.1 LEC). Um tatsächlichen Veränderungen des zugrunde liegenden Sachverhalts während des Verfahrens Rechnung tragen zu können, lässt die LEC aber den Vortrag von Tatsachen, die nach den einleitenden Schriftsätzen eingetreten oder den Parteien bekannt geworden sind (hechos nuevos o de nueva noticia), auch noch zu einem späteren Zeitpunkt ins Verfahren zu. Dem Verfahrensprinzip der Präklusion entsprechend1216 sieht die LEC hierfür ein gestuftes System bestimmter Verfahrensabschnitte mit entsprechender Präklusion vor: Die nach den einleitenden Schriftsätzen eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen können im Normalverfahren 1217 – je nach Zeitpunkt des Tatsacheneintritts bzw. der Kenntnisnahme – im vorbereitenden 1214 So bei Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 501; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1105. 1215 Art. 222.2, II LEC: „Se considerarán hechos nuevos y distintos, en relación con el fundamento de las referidas pretensiones, los posteriores a la completa preclusión de los actos de alegación en el proceso en que aquéllas se formularen.“ 1216 Hierzu bereits oben G. II. 3. b. cc. (3) (a). 1217 Im juicio verbal erfolgt der Tatsachen- und Rechtsvortrag angesichts der der verkürzten Klageerhebung bislang ohnehin erstmals im mündlichen Termin der vista (Art. 443.1

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mündlichen Termin der audiencia previa (Art. 426.4 LEC), 1218 im mündlichen Verhandlungstermin des juicio vor der Beweisaufnahme (Art. 433.1, II)1219 oder schließlich gemäß Art. 286 LEC 1220 noch bis zum Beginn der Frist für die

LEC). Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf, der nun eine Klageerhebung nach den für das Normalverfahren geltenden Regeln vorsieht, finden auch die Regeln zur Präklusion des Vorbringens aus dem Normalverfahren Anwendung (Proyecto de Ley de reforma de la Ley de Enjuiciamiento Civil, Boletín Oficial de las Cortes Generales – Congreso de los Diputados – X. Legislatura, Seria A: Proyectos de Leyes, 6. März 2015, n° 133–1, 121/000133, p. 1, 11 (zur Änderung des Art. 437)), so dass die Ausführungen zum Normalverfahren dann auch für den juicio verbal gelten. 1218 Art. 426.4 LEC: „Si después de la demanda o de la contestación ocurriese algún hecho de relevancia para fundamentar las pretensiones de las partes en el pleito, o hubiese llegado a noticia de las partes alguno anterior de esas características, podrán alegarlo en la audiencia. [...].“ 1219 Sofern die Tatsachen nach der audiencia previa, aber vor der Beweisaufnahme im juicio entstanden oder der Partei zur Kenntnis gekommen sind, können sie gemäß Art. 433.1, II LEC im Rahmen des juicio mündlich vorgetragen werden, wozu die Gegenseite dann Stellung nehmen kann. Im Einzelnen ist im Verhältnis zu Art. 286 LEC vieles umstritten. So stellt sich u.a. die Frage, in welcher Form die seit der audiencia eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen geltend zu machen sind, da Art. 286.1 LEC die unverzügliche Geltendmachung im Wege eines sog. tatsachenerweiternden Schriftsatzes („alegándolo de inmediato por medio de escrito, que se llamará de ampliación de hechos“) vorsieht, während die Geltendmachung nach Art. 433.1, II LEC im juicio an sich mündlich erfolgt (Dies ist umstritten. Für Mündlichkeit nach den Regeln des Art. 433 LEC: Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 122; Gimeno Sendra, Derecho procesal civil I, p. 407; Tapia Fernández, Comentario al Art. 433 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1718, 1820. Für die Erforderlichkeit der in Art. 286.1 LEC vorgesehenen Schriftsatzform und der entsprechenden Zustellung: Garcimartín Montero, Comentario al Art. 286 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1331, 1335). Bestreitet die Gegenseite die Tatsachenbehauptung, können die Parteien Beweise vorbringen und es erfolgt gegebenenfalls eine Beweisaufnahme (Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 122; Tapia Fernández, Comentario al Art. 433 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1718, 1821) entweder im juicio selbst oder – wenn eine sofortige Beweisaufnahme nicht möglich ist – im Wege einer nachträglichen Beweisaufnahme in den sog. diligencias finales (Ortells Ramos, Otros actos de alegación, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 354). 1220 Art. 286.1, I LEC: „Si precluidos los actos de alegación previstos en esta Ley y antes de comenzar a transcurrir el plazo para dictar sentencia, ocurriese o se conociese algún hecho de relevancia para la decisión del pleito, las partes podrán hacer valer ese hecho, alegándolo de inmediato por medio de escrito, que se llamará de ampliación de hechos, salvo que la alegación pudiera hacerse en el acto del juicio o vista.“ Dies geschieht im Wege des sog. tatsachenerweiternden Schriftsatzes (escrito de ampliación de hechos) (Art. 286.1, I LEC). Die Beweisaufnahme erfolgt dann im Wege der nachträglichen Beweisaufnahme in den diligencias finales, Art. 286. 3, II LEC, Art. 435.1, 3ª LEC; vgl. auch Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 128.

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Abfassung des Urteils, d.h. im Normalverfahren1221 regelmäßig bis zum Ende des juicio, 1222 geltend gemacht werden. Die Tatsachen können aber jeweils nur in dem Verfahrensabschnitt geltend gemacht werden, der ihrem Eintritt bzw. der Kenntnisnahme unmittelbar nachfolgt, in den darauffolgenden Abschnitten ist die Partei mit dem entsprechenden Vortrag dagegen schon präkludiert.1223 Im erstinstanzlichen Verfahren bildet gemäß Art. 286.1 LEC der Beginn der Urteilsabfassungsfrist den letztmöglichen Zeitpunkt, nachträglich eingetretene oder bekannt geworden Tatsachen vorzubringen. 1224 1221 Im juicio verbal beginnt die Frist für die Abfassung des Urteils ebenfalls mit dem Ende des mündlichen Termins der vista (Ar. 447.1, I LEC). Da angesichts der bislang fehlenden schriftlichen Klageerwiderung ein Tatsachenvortrag vor der vista überhaupt nur dem Kläger möglich ist, kommt eine Tatsachenerweiterung im Sinne des Art. 286 LEC letztlich nur für den Kläger in Betracht, während der Beklagte seinen Tatsachenvortrag erst im Rahmen der vista vornehmen kann (hierauf hinweisend Garcimartín Montero, Comentario al Art. 286 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1331, 1334 s.). Für das juicio verbal kommt der in Art. 286 LEC vorgesehenen Möglichkeit des Vortrags neuer Tatsachen nur in einem zeitlich sehr engen Zeitfenster Bedeutung zu (so Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 125). Im Hinblick auf die Entstehung oder Kenntniserlangung von Tatsachen nach der Beweisaufnahme in der vista ist angesichts des Fehlens einer nachträglichen Beweisaufnahme im Wege von diligencias finales auch unklar, wie eine Beweiserhebung erfolgen sollte (hierzu Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 129 ss.). 1222 Art. 434.1 LEC: „La sentencia se dictará dentro de los veinte días siguientes a la terminación del juicio.“ 1223 Tatsachen, die nach den einleitenden Schriftsätzen, aber vor der audiencia previa (oder vista) eingetreten oder bekannt geworden sind, sind in der audiencia previa oder vista vorzutragen und können nicht später noch im juicio ins Verfahren eingebracht werden. Auch die bis zum Beginn der Beweisaufnahme eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen können entsprechend nur zu Beginn des juicio und nicht noch bis zum Beginn der Urteilsabfassungsfrist im Wege des tatsachenerweiternden Schriftsatzes geltend gemacht werden (vgl. zu dieser Abstufung in erster Instanz Tapia Fernández, Comentario al Art. 433 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1718, 1820). Schließlich bleibt auch die Möglichkeit des Vortrags neuer Tatsachen im Berufungsverfahren den nach Beginn der Frist zur Urteilsabfassung entstandenen Tatsachen vorbehalten (Art. 460.1, 3ª LEC („...hechos de relevancia para la decisión del pleito ocurridos después del comienzo del plazo para dictar sentencia en la primera instancia o antes de dicho término siempre que, en este último caso, la parte justifique que ha tenido conocimiento de ellos con posterioridad.“)). 1224 Wird gegen die erstinstanzliche Entscheidung das Rechtsmittel der apelación, der Berufung, eingelegt, so können die seit dem in Art. 286 LEC bezeichneten Zeitpunkt eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen allerdings – in Ausnahme vom grundsätzlichen Ausschluss einer Ausweitung des Tatsachenvortrags – noch im Berufungsverfahren vorgetragen werden: Aus Art. 460.2, 3a LEC ergibt sich, dass die nach Beginn der Frist zur Abfassung des Urteils, also nach Ende des juicio eingetretenen Tatsachen im Berufungsverfahren geltend gemacht werden können (Art. 460.2, 3ª LEC: „2. En el escrito de interposición se podrá pedir, además, la práctica en segunda instancia de las pruebas siguientes: [...] 3.ª Las que se refieran a hechos de relevancia para la decisión del pleito ocurridos después del

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In einem späteren Verfahren sind damit alle nach dem Beginn der Frist für die Abfassung des Urteils1225 eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen als neue Tatsachen im Sinne des Art. 222.2, II LEC anzusehen. Sie sind nicht von der Präklusion nach Art. 400 LEC erfasst, vielmehr kann eine erneute antragsidentische Klage auf diese Tatsache gestützt werden, ohne dass ihr die Sperrwirkung der cosa juzgada entgegensteht.1226 (2) Nachträglich entstandene oder bekannt gewordene Tatsachen, die eine neue „causa de pedir“ bilden: Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 286, 426.4, 433.1, II LEC und Art. 412 LEC Die soeben geschilderten Möglichkeiten zur Geltendmachung nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Tatsachen erfordern zwar eine Relevanz der neuen Tatsache für die Begründung des Anspruchs, 1227 Art. 286, 426.4 und 433.1, II LEC sehen aber keine sonstige Beschränkung der einzuführenden Tatsachen vor. Auf den ersten Blick scheint daher auch die Geltendmachung neuer Tatsachen möglich zu sein, die eine neue causa de pedir begründen. Wie bereits zuvor erläutert, liegt in diesem Fall aber an sich eine Klageänderung vor, die nach Art. 401 LEC nur bis zur Klageerwiderung zulässig ist, danach aber aufgrund des in Art. 412 LEC geregelten Verbots der mutatio libelli ausgeschlossen ist. Nach Art. 412.2 LEC bleibt hiervon lediglich die Möglichkeit ergänzenden Vortrags unberührt. Die durch den Vortrag neu entstandener oder bekannt gewordener Tatsachen bewirkte Änderung der causa de pedir wird dagegen nicht ausdrücklich vom Verbot der Klageänderung ausgenommen. Können nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen, die eine neue causa de pedir begründen, aber wegen Art. 412 LEC nicht mehr ins Verfahren eingebracht werden, hat dies zur Folge, dass die nach der Klageerwiderung entstandenen causae petendi auch nicht von der Präklusion nach Art. 400 LEC erfasst werden, da sich Art. 400 LEC ausdrücklich allein auf Tatsachen und Rechtsgründe bezieht, die der Kläger im ersten Verfahren hätte

comienzo del plazo para dictar sentencia en la primera instancia o antes de dicho término siempre que, en este último caso, la parte justifique que ha tenido conocimiento de ellos con posterioridad.“). Vgl. auch de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 226, p. 255. Ausführlich zur Einführung neuer Tatsachen im Berufungsverfahren Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 132. 1225 Bei Durchführung eines Berufungsverfahrens die nach der Berufungseinlegung bzw. Erwiderung eingetretenen Tatsachen, vgl. Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 356. 1226 López Gil, La cosa juzgada, in: Robles Garzón (dir.), Conceptos básicos, Tema 36, 439, 445; Tapia Fernández, Comentario al Art. 222 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1095, 1106. 1227 Vgl. Art. 426.4, I LEC: „hecho de relevancia para fundamentar las pretensiones de las partes en el pleito“.

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geltend machen können. Die nach dem – sehr frühen – Zeitpunkt der Klageerwiderung eintretenden oder bekannt werdenden Tatsachen, die eine neue causa de pedir begründen, könnten daher zur Begründung einer späteren antragsidentischen Klage herangezogen werden. 1228 Nach Ansicht eines Teils der Literatur widerspricht dieses Ergebnis der in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Intention, eine unnötige Mehrung von Verfahren zu vermeiden, wenn der Rechtsstreit in einem Verfahren zum Abschluss gebracht werden kann.1229 Die mit Einführung des Art. 400 LEC gerade bezweckte Präklusion der verschiedenen denkbaren causae petendi werde letztlich wieder ausgehebelt. 1230 Befürwortet wird daher eine Erstreckung der Präklusion nach Art. 400 LEC über die im Zeitpunkt der Klageerwiderung existierenden und bekannten Anspruchsgründe hinaus auf sämtliche causae petendi, die bis zum Zeitpunkt des Beginns der Urteilsabfassungsfrist als Begründung des Antrags zur Verfügung stehen. 1231 Um das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Klägers auf rechtliches Gehör zu wahren, muss es nach dieser Ansicht aber zulässig sein, causae petendi, die sich aus nach der Klageerwiderung eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen ergeben, noch bis zu diesem Zeitpunkt in das Verfahren einzubringen.1232 In der Literatur versucht man, die Zulässigkeit eines solchen Vortrags durch eine extensive Auslegung der Art. 286, 426.4 LEC sowie des Art. 412.2 LEC zu begründen 1233 bzw. durch die Herleitung eines Streitgegenstandsbegriffs aus Art. 400 LEC, bei dem die causae petendi, die bis zum Beginn der 1228 Diese Folge seines Verständnisses des Verbots der Klageänderung und dessen Zusammenspiels mit Art. 400 LEC als bewusste gesetzgeberische Entscheidung verstehend Vallines García, La preclusión, p. 217 s., nota 370. 1229 So de Miranda Vázquez, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 161, 171, 173. 1230 De Miranda Vázquez, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 161, 173. 1231 De Miranda Vázquez, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 161, 174. Dieses Verständnis soll sich aus Art. 400.1, II LEC ableiten lassen, der festlegt, dass die Konzentrationsobliegenheit die gesetzlichen Möglichkeiten zur Geltendmachung später eingetretener oder bekannt gewordener Tatsachen unberührt lässt (ebenda). 1232 Für eine solche Möglichkeit, auch nach der Klageerwiderung entstandene causae petendi noch in späteren Verfahrensabschnitten geltend zu machen: de Miranda Vázquez, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 161, 170 ss.; Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 309; Picó i Junoy, La modifiación de la demanda en el proceso civil, n° 44, p. 90; n° 49, p. 113; Tapia Fernández, Comentario al Art. 426 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1785, 1791. Ebenso (allerdings ohne Erläuterung) Ortells Ramos, Otros actos de alegación, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 353. 1233 Da der Wortlaut des Art. 286.1 LEC und des Art. 426.4 LEC sich gerade auf nachträglich eintretende und bekannt werdende Tatsachen bezieht, die „von Relevanz“ für die Entscheidung (Art. 286 LEC) oder für die Begründung des Anspruchs (Art. 426.4 LEC) sind, und da gerade auch neue causae petendi entscheidungsrelevant sind, nimmt diese Ansicht an, dass eine Geltendmachung der entsprechenden Tatsachen noch im Laufe des Verfahrens

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Urteilsabfassungsfrist durch nachträgliche Tatsachenänderung oder Kenntnisnahme begründet werden, als zum Streitgegenstand gehörend anzusehen sind, mit der Folge, dass ihre Einführung ins Verfahren keine Klageänderung im Sinne des Art. 412 LEC darstellt.1234 Beide Ansätze sind mit dem Wortlaut und der Regelungssystematik der Art. 286, 400, 412, 426 LEC allerdings nur schwer vereinbar.1235 in der in Art. 426.4 286 LEC vorgesehenen Weise möglich ist (Picó i Junoy, La modificación de la demanda en el proceso civil, n° 44, p. 90; Tapia Fernández, Comentario al Art. 426 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1785, 1791). Art. 412 LEC stehe dem nicht entgegen, da dessen zweiter Absatz – trotz des auf das ergänzende Vorbringen beschränkten Wortlauts – dahingehend auszulegen sei, dass das Verbot der Klageänderung nicht nur die Möglichkeit ergänzenden Vorbringens im Sinne des Art. 426.1 LEC, sondern auch die Möglichkeit des Vorbringens nachträglich entstandener oder bekannt gewordener Tatsachen nach Art. 426.4 LEC und Art. 286 LEC unberührt lässt (Tapia Fernández, Comentario al Art. 412 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1717, 1720). Art. 412.2 LEC enthält danach eine tatsächliche Ausnahme vom Verbot der nachträglichen Änderung des Streitgegenstandes, weil er nach dieser Konzeption auch eine Änderung der causa de pedir bei nachträglicher Entstehung oder Kenntnisnahme von neuen Tatsachen zulässt (Tapia Fernández, Comentario al Art. 412 LEC, in: Cordón Moreno/u.a., Comentarios a la LEC, p. 1717, 1720). 1234 So Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 224 s. („[A] la vista de lo dispuesto en el artículo 400 LEC, las diferentes causas de pedir que fundamentan una misma petición, frente al mismo demandado, no sirven para abrir otro nuevo proceso, por lo que a los efectos de iniciar otro nuevo proceso se entiende que no hay nueva pretensión, y por lo tanto, el momento para alegar los nuevos hechos configuradores de una nueva causa petendi, no precluye con la contestación ...“); de Miranda Vázquez, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 161, 170 ss., 171 („[C]obra pleno sentido que la aparición de nuevas causas de pedir durante la pendencia de un proceso, desde luego con posterioridad a la fase de alegaciones, suponga su inclusión en el objeto del proceso, por bien que se modifique parcialmente su contenido.“). Wohl auch Grande Seara, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2001 (n° 1), p. 285, 309. 1235 Im Hinblick auf die erste Ansicht sprechen insbesondere der Wortlaut und die Regelungssystematik der Art. 426, 412 LEC gegen eine solche Auslegungsmöglichkeit: Die in Art. 412.2 LEC, wonach die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zu ergänzendem Vorbringen (alegaciones complementarias) vom Verbot der mutatio libelli unberührt bleiben, angesprochene Regelung des Art. 426.1 LEC könne in der Zusammenschau mit der Beschränkung des zulässigen ergänzenden Vorbringens auf nicht substantielle Veränderungen in Art. 426.2 LEC nur auf Ergänzungen bezogen werden, die die Streitgegenstandselemente des petitum und der causa de pedir unberührt lassen. Art. 412.2 LEC stelle daher keine tatsächliche Ausnahme vom Verbot der nachträglichen Klageänderung dar (so auch Vallines García, La preclusión, p. 217). Zudem erlaube Art. 426.4 LEC nach seinem Wortlaut in der audiencia previa nur die Einführung nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Tatsachen, die „von Relevanz für die Begründung des prozessualen Anspruchs“ seien und damit für den bereits geltend gemachten prozessualen Anspruch, der durch petitum und causa de pedir definiert ist (so Vallines García, La preclusión, p. 216 s.). Im Hinblick auf den Ansatz, der eine Integrierung der neuen causae petendi in den Streitgegenstand befürwortet, bestehen Bedenken, weil unklar bleibt, weshalb die – in jedem Fall unerwünschte –

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De lege lata liegt es näher, mit einer anderen Ansicht in der spanischen Literatur anzunehmen, dass nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen, die eine neue causa de pedir begründen, nur bis zum Zeitpunkt der Klageerwiderung in das Verfahren eingebracht werden können 1236 und ihrem späteren Vortrag das Verbot der nachträglichen Klageänderung entgegensteht.1237 Auch die Rechtsprechung legt Art. 426.4 LEC und Art. 286 LEC seit einer Entscheidung des Tribunal Supremo vom 9. Februar 2010 1238 dahingehend aus, dass diese eine Einbeziehung von Tatsachen, die nach der Klage eingetreten oder bekannt geworden sind, nur erlauben, wenn die Tatsachen einen „ergänzenden oder auslegenden Charakter“ haben. Der in Art. 412 LEC geregelte Ausschluss einer mutatio libelli durch Änderung der anspruchsbegründenden Tatsachen setze sich insoweit durch. 1239 Eine nachträgliche Einführung einer neuen causa de pedir ist damit ausgeschlossen, auch wenn diese auf nachträglich eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen im Sinne der Art. 286, 426.4 LEC beruht. Die Bedeutung der Diskussion wird zu einem gewissen Grad dadurch relativiert, dass die Grenze zwischen einer bloßen Ergänzung im Rahmen der bereits in der Klage angeführten causae petendi und der unzulässigen nachträglichen Einführung einer neuen causa petendi fließend ist. Gerade die Rechtsprechung fasst die causa de pedir im Einzelfall sehr weit, mit der Folge, dass sich Klageänderung durch spätere Einführung von causae petendi, die bei Klageerhebung bereits bekannten waren, nicht auch zulässig sein sollte. Auch Miranda Vázquez folgt in einem späteren Aufsatz nicht mehr dem Ansatz, die Änderung der causa de pedir aufgrund nachträglicher Tatsachen nicht mehr als Klageänderung anzusehen, sondern befürwortet stattdessen eine gesetzgeberische Änderung des Art. 412.2 LEC, in der die Bezugnahme auf die unberührt bleibenden „ergänzenden Behauptungen“ durch eine Ausnahme für nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen ersetzt wird (Miranda Vázquez, Revista Vasca de Derecho Procesal y Arbitraje 2014 (n° 3), p. 41, 52). 1236 Vallines García, La preclusión, p. 217, nota 370. Ähnlich auch schon zur früheren Rechtslage Serra Domínguez, Art. 1252 C.C., in: Albaladejo (dir.), Comentarios al Código Civil, t. XVI, vol. 2°, p. 627, 677 (Präklusionszeitpunkt für den Vortrag neuer Tatsachen, die eine neue causa de pedir begründen, sei die Klageschrift bzw. die Klageerwiderung). 1237 Vallines García, La preclusión, p. 216 s. 1238 STS 17/2010, 9. Februar 2010 (n° ROJ: STS 746/2010), FD 3°. 1239 STS 17/2010, 9. Februar 2010 (n° ROJ: STS 746/2010), FD 3°: „Pero la posibilidad de tomar en consideración hechos posteriores a la presentación de la demanda sólo es posible cuando tienen un carácter complementario o interpretativo. A este requisito debe entenderse subordinada la aplicación del artículo 426.4 LEC [...], pues prevalece la imposibilidad de alterar el objeto del proceso establecido en la demanda (412.2 LEC), es decir, los hechos fundamentales que integran la pretensión.“ (im zugrunde liegenden Fall wurde dann allerdings angenommen, dass die nachträglich bekannt gewordene Tatsache derselben causa de pedir zuzurechnen war). Ebenso STS 420/2010, 5. Juli 2010 (n° ROJ: STS 3742/2010), FD 2°; STS 223/2011, 12. April 2011 (n° ROJ: STS 2018/2011), FD 3°; SAP Granada 456/2011, 11. November 2011 (n° ROJ: SAP GR 1878/2011), FD 1°; SAP Santa Cruz de Tenerife 311/2012, 24. Juli 2012 (n° ROJ: SAP TF 2499/2012), FD 3 °, 4°.

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auch eine substantielle Ergänzung des Tatsachenvortrags zur selben causa petendi rechnen lässt und daher nicht als Klageänderung zu werten ist. 1240 (3) Zusammenfassung Der Beginn der Frist zur Abfassung des Urteils bildet den letztmöglichen Zeitpunkt, in dem nach den einleitenden Schriftsätzen entstandene oder bekannt gewordene Tatsachen noch ins Verfahren eingebracht werden können. Dabei können jedoch nicht alle nach den einleitenden Schriftsätzen entstandenen Tatsachen bis zu diesem Zeitpunkt vorgebracht werden, vielmehr sieht die LEC für die Geltendmachung dieser Tatsachen ein nach den verschiedenen Verfahrensabschnitten unterteiltes System der Präklusion vor. In der strittigen Frage, ob auch Tatsachen, die neue causae petendi begründen würden, nach diesem System zu behandeln sind, oder ob ein entsprechender Vortrag wegen Art. 401, 412 LEC nur bis zur Klageerwiderung möglich ist, hat sich die Rechtsprechung für letztgenannte Lösung entschieden.

1240

Ein solch weites Verständnis des Klagegrundes hat der Tribunal Supremo beispielsweise in der Entscheidung 17/2010 (9. Februar 2010 (n° ROJ: STS 746/2010)) seiner Verneinung des Vorliegens einer unzulässigen nachträglichen Klageänderung zugrunde gelegt: Im dem Tribunal Supremo vorliegenden Fall hatte der Kläger seine auf Schadensersatz und Erfüllung der Gesellschaftsschulden im Wege der Durchgriffshaftung gerichtete Klage gegen die Geschäftsführer einer insolventen Gesellschaft (acción individual de responsabilidad und acción de responsabilidad de los administradores por deudas sociales) auf verschiedene Pflichtverletzungen der Geschäftsführer während der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gestützt (Bestellung von Waren und Dienstleistungen im Namen der Gesellschaft trotz Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit, Gründung einer Parallelgesellschaft mit identischem Gesellschaftszweck unter Mitnahme eines Teils des Kundenstamms, Verletzung der Insolvenzantragspflicht). In der audiencia previa ergänzte der Kläger diesen Vortrag dann um den Vorwurf des erst nach Klageerhebung bekannt gewordenen Verkaufs der Anteile an eine andere Gesellschaft, welche den maßgeblichen Aktivposten des Gesellschaftsvermögens gebildet hatten. Der Tribunal Supremo sah anders als die Vorinstanzen hierin keine unzulässige Veränderung der causa de pedir: Den Klagegrund bilde die Unredlichkeit der Geschäftsführer bei der Verwaltung des Gesellschaftsvermögens zum Schaden der Gläubiger. Diesem sei auch die spätere Behauptung des Anteilsverkaufs zuzurechnen gewesen (FD 3°: „La demanda se fundaba en la mala fe de los administradores en la gestión económica que se decía realizada en perjuicio de los acreedores [...]. La existencia de una posible venta de acciones que se sostiene realizada en perjuicio de los acreedores es un hecho susceptible de ser ponderado en uno u otro sentido [...], pero en todo caso puede considerarse integrado en la gestión contractual de los administradores que el demandante reputa perjudicial a los acreedores.“).

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cc. Anforderungen an die nachträglichen Veränderungen: Die Einordnung als neue Tatsachen Ist damit der maßgebliche Präklusionszeitpunkt für das Vorbringen neuer Tatsachen bestimmt, stellt sich die Frage, welcher Art die Veränderungen der anspruchsbegründenden Umstände sein müssen, um die Zulässigkeit einer späteren antragsidentischen Klage zu begründen. (1) Veränderung des zugrunde liegenden Sachverhaltes Im Hinblick auf tatsächliche Veränderungen ist festzustellen, dass die nach dem maßgeblichen Präklusionszeitpunkt eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen für die Begründung des Anspruchs von Relevanz sein müssen.1241 Von Bedeutung für die Begründetheit des Anspruchs sind zum einen Tatsachen, die eine neue causa petendi begründen, aber auch akzessorische Tatsachen,1242 die eine abweichende Beurteilung der Begründetheit des Anspruchs rechtfertigen, ohne aber eine neue causa de pedir zu bilden. 1243 Von besonderer Relevanz ist die Möglichkeit, bei nachträglichen Veränderungen der entscheidungsbegründenden Tatsachen eine neue Klage zu erheben, bei Sachverhalten, die sich schon naturgemäß in starker Entwicklung befinden. Dies betrifft beispielsweise Schadensersatzklagen über die Folgen aus einem schädigenden Ereignis. Hier können nach dem ersten Verfahren neue Schäden oder eine Verschlimmerung der schon bestehenden Schäden (oder Mängel)

1241

Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 67. Vgl. STS 26. Juni 2006 (n° ROJ: STS 4005/2006, n° de recurso: 3807/1999), FD 2°: „[P]ara que este transcurso pueda determinar la inaplicación del instituto de la cosa juzgada, será preciso que hayan variado las circunstancias que existían a la fecha en que se instó la primera demanda [...], lo cual no ha sucedido y ello por que, tal y como recoge la Sentencia recurrida, los hechos esenciales de ambos pleitos son los mismos ...“ (kein Entfallen der cosa juzgada einer abweisenden Entscheidung über die Klage auf Vertragsaufhebung wegen unterbliebener Kaufpreiszahlung allein wegen Behauptung einer neuerlich erfolgten Zahlungsaufforderung bei unveränderter Tatsachenlage). 1242 So z.B. die nachträgliche Entstehung eines neuen Grundes für die Aufhebung eines Vertragsverhältnisses, vgl. Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 567. 1243 So z.B. der Eintritt der Fälligkeit oder der Eintritt einer Bedingung, die im vorausgegangenen Verfahren noch nicht gegeben war, aber auch aus Beklagtensicht die nachträglich erfolgte Zahlung, die der Beklagte zwar nicht im Erkenntnisverfahren gelten machen konnte, auf die er nun aber seine Vollstreckungsgegenklage stützen kann, vgl. mit diesen Beispielen Ortells Ramos, Cosa juzgada, in: Ortells Ramos (dir.), Derecho procesal civil, p. 567 s. Vgl. aber auch die Unterscheidung zwischen tatsächlichen Gründen und bloßen Argumenten bei Guasp, der die Wirkungen der cosa juzgada nicht entfallen lassen will, wenn es sich um eine bloße Änderung der Argumente handelt, Guasp, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 457.

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eintreten. Dass diese nachträglich eintretenden Schäden oder Verschlimmerungen in einem späteren Verfahren klageweise geltend gemacht werden können, ohne dass ihnen die cosa juzgada der bereits ergangenen Entscheidung über den Schadensersatz entgegensteht, war und ist in der spanischen Rechtsprechung und Literatur anerkannt.1244 Auch in Verfahren über die Aberkennung der Geschäftsfähigkeit können nachträgliche Veränderungen des psychischen Zustandes der betroffenen Person eine erneute Klage oder einen gegenläufigen Antrag rechtfertigen.1245 Von erheblicher praktischer Bedeutung ist das Entfallen der Sperrwirkung der cosa juzgada bei entscheidungsrelevanter Veränderung des Sachverhalts auch bei Verfahren, die wiederkehrende Leistungen zum Gegenstand haben, z.B. bei Unterhaltsverfahren. Hier ermöglicht es die nachträgliche Veränderung der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten bzw. der finanziellen Leistungskraft des Unterhaltsverpflichteten, die Festsetzung eines höheren oder niedrigeren Unterhalts klageweise in einem späteren Verfahren einzufordern.1246 Dabei ist eine erneute Leistungs- oder Feststellungsklage hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung der einzige Weg, die tatsächlichen Veränderungen

1244 STS 1141/2001, 29. November (n° ROJ: STS 9343/2001), FD 3° (nachträglich eingetretene neue Schäden an der verkauften Immobilie); SAP A Coruña 378/2013, 6. November 2013 (n° ROJ: SAP C 2886/2013), FD 3° (erst nachträglich erkennbare dauerhafte Schädigung des Geschädigten infolge eines Verkehrsunfalls). Zulässigkeit der zivilrechtlichen Schadensersatzklage auf Grundlage desselben Schadensereignisses (z.B. eines bestimmten Verkehrsunfalls) nach dem im Adhäsionsverfahren erfolgten Zuspruch von Schadensersatz bei im Erstverfahren nicht absehbarer Verschlimmerung der Schäden und Unfallfolgen: STS 317/1988, 20. April 1988 (n° ROJ: STS 2836/1988), FD 2°; STS 205/1991, 15. März 1991 (n° ROJ: STS 1597/1991), FD 3°, 4°; Anwendung dieser Rechtsprechung, allerdings Ablehnung einer nachträglichen Veränderung STS 802/2011, 7. November 2011 (n° ROJ: STS 7267/2011), FD 3°. 1245 Calaza López, Cosa juzgada, p. 216 s.; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 232, p. 260 s. 1246 Castillejos Manzanares, Hechos nuevos y de nueva noticia, p. 347; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 231, p. 260. In diesem kann aber die positive Bindungswirkung bei Präjudizialität greifen, Calaza López, Cosa juzgada, p. 215; de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 233, p. 261.

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geltend zu machen.1247 Eine Abänderungsklage ist trotz entsprechender Reformvorschläge aus der Prozessrechtswissenschaft 1248 weder in die LEC 1881 noch in die LEC 2000 aufgenommen worden. 1249 (2) Gesetzesänderungen und Änderungen der Rechtsprechung Führt damit eine nachträgliche Veränderung entscheidungsrelevanter Tatsachen zum Entfallen der Sperrwirkung der cosa juzgada, stellt sich die Frage, wie sich eine Änderung des bei der Beurteilung der Klage herangezogenen Rechts auf die cosa juzgada der Entscheidung auswirkt. Im Hinblick auf die Änderung des Gesetzesrechts ist zunächst festzustellen, dass diese die Beurteilung der Klage nur dann beeinflussen kann, wenn sie für den Sachverhalt Geltung beanspruchen kann, was wiederum vom zeitlichen Geltungsbereich der Gesetzesänderung abhängt. Ist das neue Recht auch auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien anwendbar und ist die Gesetzesänderung von Relevanz für die Begründetheit des Anspruchs, erscheint es denkbar, aus der in Art. 400.2 LEC verankerten Erstreckung der cosa juzgada auf sämtliche Tatsachen und Rechtsgründe, die der Kläger zur Begründung seiner Klage im ersten Verfahren heranziehen kann, herzuleiten, dass ein Entgegenstehen der cosa juzgada der ergangenen Entscheidung auch dann zu verneinen ist, wenn durch die Gesetzesänderung neue Rechtsgründe entstehen. 1250 An einer Regelung, die – wie Art. 222.2, II LEC für nachträglich entstandene oder bekannt gewordene Tatsachen – darauf hindeutet, dass neu entstandene Rechtsgründe eine erneute Klage rechtfertigen können, fehlt es allerdings. In der Rechtsprechung ist die Konstellation – soweit ersichtlich – noch nicht behandelt worden. Eine bloße Änderung der Rechtsprechung oder eine veränderte

1247

Zu den verschiedenen denkbaren Ausgestaltungsformen für die Geltendmachung nachträglicher Veränderungen der entscheidungsrelevanten Tatsachen (Geltendmachung durch Rechtsmittel, Abänderungsklage, neues erstinstanzliches Verfahren) bereits ausführlich Guasp, Anuario de Derecho Civil 1948, p. 435, 463 ss. 1248 Vgl. der Vorschlag in Profesores de Derecho Procesal de las Universidades españolas, Corrección y actualización de la Ley de Enjuiciamiento Civil – Tomo I, Madrid 1972, p. 309, Art. 321: „Modificación de la cosa juzgada. – Cuando la sentencia que haya adquirido autoridad de cosa juzgada hubiese decidido sobre prestaciones periódicas y variasen las circunstancias, que hubieron sido determinantes de la misma, en sentido abolutorio o condenatorio, la parte interesada podrá pretender, en el juicio que corresponda, la modificación de sus pronunciamientos.“ 1249 Hierzu de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 230, p. 259. 1250 So ausdrücklich de la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 224, p. 253.

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Beurteilung in der Rechtswissenschaft lässt die Sperrwirkung der cosa juzgada dagegen unstreitig unberührt.1251 (3) Neue Beweismittel Das nachträgliche Auffinden eines neuen Beweismittels, das dem Nachweis einer bereits im Erstverfahren behaupteten (also bereits bekannten), aber nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesenen Tatsache dient, schließt ein Greifen der Sperrwirkung der cosa juzgada nicht aus.1252 Diese Konstellation muss allerdings abgegrenzt werden von dem Fall, dass eine Partei durch das Auffinden eines Beweismittels, beispielsweise einer Urkunde, nach dem Erstverfahren erst Kenntnis von der jeweiligen Tatsache erlangt. 1253 In diesem Fall kann die neue Tatsache gemäß Art. 222.2 LEC bei entsprechender Bedeutung für die Begründetheit des Anspruchs eine neue Klage rechtfertigen. Zwar verhindert das Auffinden neuer Beweismittel für sich genommen nicht, dass einer erneuten Klage mit übereinstimmendem Gegenstand die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada entgegensteht, allerdings ermöglicht das nachträgliche Auftauchen von Urkunden bzw. die nachträgliche Infragestellung der Rechtmäßigkeit eines verwendeten Beweismittels in bestimmten Fällen die Anfechtung der bereits rechtskräftigen Entscheidung durch den Rechtsbehelf der Revision gegen unanfechtbare Urteile (revisión de sentencias firmes) nach Art. 509 ff. LEC. Gemäß Art. 510 LEC kann die Aufhebung des rechtskräftigen Urteils verlangt werden, wenn der Partei eine nach

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De la Oliva Santos, Objeto del proceso, n° 224, p. 253. Dies wurde auch durch das spanische Verfassungsgericht bestätigt, STC 242/1992, 21. Dezember 1992 (Recurso de amparo 2738/1990), FJ 3° (nicht im BOE) (zur Änderung der Rechtsprechung des Tribunal Supremo zur Auslegung von Mietvertragsklauseln zur Mietzinsanpassung). 1252 SAP Madrid 310/2006, 17. April 2006 (n° ROJ: SAP M 5978/2006), FD 1°: „Lo que se pretende hacer en este litigio es subsanar errores alegatorios y suplir las deficiencias probatorias que se habían padecido en el anterior litigio. En efecto [...] se pretende ahora en un nuevo procedimiento mediante la aportación de un documento hacer valer la situación de incapacidad que le fue rechazada en anterior litigio. Pero es evidente que la causa petendi es la misma y no se puede decir que la existencia de un documento sea un hecho pues los documentos lo que prueban son hechos y esos hechos la situación de incapacidad permanente total ya fue alegada y desestimada en el anterior litigio.“ 1253 STS575/1999, 26. Juni 1999 (n° ROJ: STS 4555/1999), FD 2° („Los hechos nuevos (nova producta) producidos después del término concedido para proponer p rueba en primera instancia, o los hechos ignorados que hubieren llegado a conocimiento de la parte después de dicho término preclusivo (nova reperta), han de consistir en un evento fáctico que se integre en la causa petendi de la pretensión principal ejercitada, sin que pueda confundirse ese evento con su prueba, que es lo que hace la parte recurrente al pretender alegar como hechos nuevos o antiguos por ella ignorados, las pruebas que aduce sobre su inicial oposición fundada desde su inicio en los hechos a que se refieren esas pretendidas probanzas.“); Castillejos Manzanares, Hechos nuevos, p. 66.

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Unanfechtbarkeit des Urteils aufgefundene Urkunde im Verfahren wegen höherer Gewalt oder durch Veranlassung der Gegenseite nicht zur Verfügung gestanden hat oder wenn im Hinblick auf eine Urkunde oder Zeugen- bzw. Sachverständigenaussage, auf die sich das Urteil gestützt hat, nachträglich eine strafrechtliche Verurteilung wegen Urkundenfälschung oder Falschaussage erfolgt oder bekannt wird.1254 Die erfolgreiche Revision gegen unanfechtbare Urteile führt zur Aufhebung der rechtskräftigen Entscheidung, bewirkt damit also eine Durchbrechung der cosa juzgada. 1255 (4) Zusammenfassung Weder neue Beweismittel noch eine Änderung der Auslegung des Rechts durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft können damit für sich genommen eine neue Klage nach rechtskräftiger Entscheidung begründen. Dagegen kann nach einer Änderung des tatsächlichen Sachverhalts, die für die Beurteilung der Begründetheit des Anspruchs von Relevanz ist, eine erneute Klage erhoben werden, ohne dass dieser die Sperrwirkung der cosa juzgada entgegen gehalten werden kann. Unklar ist dagegen ob dies auf Grundlage der Art. 222, 400 LEC auch für die Begründung eines neuen Rechtsgrundes durch Gesetzesänderung gilt. dd. Zusammenfassung zu den „zeitlichen Grenzen“ der „cosa juzgada“ Sowohl nach früherer als auch nach heutiger Rechtslage können nachträgliche Veränderungen der entscheidungsrelevanten Umstände zum Entfallen der Sperrwirkung der cosa juzgada führen. Dass der Kläger eine erneute Klage auf nachträglich eintretende oder bekannt werdende entscheidungsrelevante Tatsachen stützen kann, ohne dass die Sperrwirkung der cosa juzgada nach Art. 400.2, 222 LEC greift, ist eine Vorbedingung für die Vereinbarkeit der weitreichenden Präklusionsregel des Art. 400 LEC mit den verfassungsrechtlichen 1254 Ausführlich zur revisión de sentencias firmes Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 506 ss. 1255 Sie ähnelt somit der deutschen Restitutionsklage nach § 580 ZPO. Neben der revisión de sentencias firmes ist eine Durchbrechung der cosa juzgada im spanischen Recht nur noch in Art. 228 LEC im Wege des sog. incidente excepcional de nulidad de actuaciones vorgesehen, der aber die Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Grundrechte durch das Urteil voraussetzt (ausführlich hierzu Pérez Daudí, Liber Amicorum Berzosa Francos, 2013, p. 261 ss.; vgl. auch Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 516 ss.). Für den Sonderfall des gegen den Beklagten ergangenen Versäumnisurteils, dessen Zustellung wegen nicht ermittelbaren Wohnsitzes des Beklagten im Wege der öffentlichen Bekanntmachung durch Veröffentlichung im Amtsblatt (Boletín Oficial) erfolgte, sehen die Art. 497 ss. LEC vor, dass der säumige Beklagte auch gegen das unanfechtbare Urteil noch im Wege der audiencia de rebelde vorgehen kann (vgl. hierzu Montero Aroca/u.a. – Montero Aroca, Derecho jurisdiccional II, p. 512 ss.).

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Gewährleistungen des Art. 24.1 LEC. Während diese „zeitliche Begrenzung“ der Sperrwirkung der cosa juzgada auf bereits eingetretene und bekannte Tatsachen im Gesetz in Art. 222.2, II LEC und Art. 400.1, II LEC Andeutung gefunden hat, ist die Rechtslage im – wohl seltenen – Fall nachträglich durch Gesetzesänderung entstehender Rechtsgründe unklar. Um eine Anpassung des Tatsachenvortrags an nachträglich eingetretene und bekannt gewordene Sachverhaltsänderungen zu ermöglichen und so eine möglichst abschließende Beurteilung des Rechtsstreits zu bewirken, lässt das Gesetz einen Vortrag von Tatsachen, die nach den einleitenden Schriftsätzen entstanden sind, auch noch in späteren Verfahrensabschnitten zu, wobei im erstinstanzlichen Verfahren der Beginn der Frist zur Urteilsabfassung und damit in der Regel das Ende des mündlichen Verhandlungstermins des juicio den letztmöglichen Zeitpunkt darstellt, zu dem nachträgliche eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen geltend gemacht werden können. Angesichts des derzeitigen Wortlauts der Art. 401, 412 LEC ist allerdings eine Einführung von Tatsachen, die neue causae petendi bilden, nach der Klageerwiderung nicht mehr möglich, da insoweit das Verbot nachträglicher Klageänderung greift. Die nach der Klageerwiderung entstandenen causae petendi können daher die Grundlage einer erneuten Klage bilden, ohne dass die Sperrwirkung der cosa juzgada greift, auch wenn dies an sich dem Zweck des Art. 400 LEC zuwiderläuft, eine Durchführung mehrerer Verfahren durch Konzentration der zur Verfügung stehenden Anspruchsgründe im ersten Verfahren zu verhindern. d. Zusammenfassung und Bewertung: Relevanz der rechtlich-tatsächlichen Begründung für die Begrenzung der „cosa juzgada“ Die causa de pedir bildete als drittes Element des dreifachen Identitätserfordernisses in Art. 1252 C.C. traditionell eine der objektiven Grenzen der cosa juzgada material. In ihrer stark an gesetzlichen Tatbeständen orientierten Definition bewirkte sie allerdings bei auf obligatorische Rechte gestützten Klagen und insbesondere bei Gestaltungsklagen eine sehr feingliedrige Unterteilung des Streitgegenstandes. So wurde eine Aufspaltung einheitlicher Rechtsstreitigkeiten nach verschiedenen Haftungsgrundlagen und Rechtsgründen ermöglicht mit der Folge, dass eine endgültige Klärung des Rechtsstreits oft erst nach Durchführung mehrerer Verfahren bewirkt wurde. Diesem „Eintröpfeln“ von Verfahren und der damit verbundenen unnötigen Inanspruchnahme der Gerichte wollte der Reformgesetzgeber des Jahres 2000 mit Einführung des Art. 400 LEC ein Ende bereiten. Die durch die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada bewirkte Präklusion wird danach auf sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe und Rechtstitel erstreckt, die den Antrag stützen können. In der praktischen Anwendung hat die Regelung bei Gestaltungsklagen, aber auch bei auf obligatorische Rechte gestützten Leistungsklagen eine Auswei-

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tung der Reichweite der cosa juzgada bewirkt, während im Hinblick auf Sachklagen aus absoluten Rechtsverhältnissen die frühere Rechtslage Bestätigung findet. In dogmatischer Hinsicht sind die Auswirkungen der Einführung des Art. 400 LEC auf die Grenzen der cosa juzgada dagegen noch nicht klar bestimmt. Eindeutig wird aber die cosa juzgada über die traditionell definierte causa de pedir hinaus ausgedehnt. Die Gesamtheit der antragsbegründenden Tatsachen und Rechtsgründe, auf die sich die cosa juzgada nun erstreckt, wird allein durch ihre Eignung zur Stützung des „Beantragten“ sowie die Beschränkung auf Tatsachen und Rechtsgründe, die im Erstverfahren tatsächlich hätten geltend gemacht werden können, identifiziert. Hiermit eng verbunden sind die sog. „zeitlichen Grenzen“ der cosa juzgada, aus denen sich die Zulässigkeit einer erneuten antragsidentischen Klage ergibt, die sich auf nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Tatsachen stützt. Durch diese erfährt die mit der cosa juzgada verknüpfte Präklusion nach Art. 400 LEC eine insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes wichtige Begrenzung. Im Zusammenspiel mit der grundsätzlichen Beschränkung des Tatsachenund Rechtsvorbringens auf die einleitenden Schriftsätze sowie der Begrenzung des zulässigen Rahmens richterlicher Rechtsanwendung durch die rechtliche Komponente der causa de pedir bewirkt die in Art. 400 LEC geregelte Präklusion der nicht im ersten Verfahren vorgetragenen Tatsachen und Rechtsgründe, dass der Kläger dem Gericht in seiner Klageschrift einen umfassend aufbereiteten Fall unter ausführlicher Sachverhaltsdarstellung und klarer Benennung der rechtlichen Gesichtspunkte präsentieren und daher bei der Vorbereitung und Formulierung seiner Klageschrift besondere Sorgfalt walten lassen muss. 4. Zusammenfassung – Objektive Grenzen der „cosa juzgada“ Die LEC-Reform hat mit der Einführung des Art. 400 LEC die objektive Reichweite der cosa juzgada deutlich ausgedehnt und eine Spaltung des zuvor einheitlichen Streitgegenstandsbegriffs bewirkt: Während für die meisten streitgegenstandsbezogenen prozessualen Institute der traditionelle, durch das petitum und die (tatsächlich geltend gemachte und geprüfte) causa de pedir begrenzte Streitgegenstandsbegriff gilt, kommt im Hinblick auf die cosa juzgada und die Rechtshängigkeit heute ein weiter gefasster Streitgegenstandsbegriff zur Anwendung, der über die geltend gemachte causa de pedir hinausgeht. Auf eine Bestimmung einzelner Elemente dieses Streitgegenstandsbegriffs nach dem Vorbild des Art. 1252 C.C. a.F. hat der Gesetzgeber dabei verzichtet. Die Anforderungen an die Identität des Streitgegenstandes als Voraussetzung der negativen Wirkungsrichtung der cosa juzgada erhält aber durch Art. 400 LEC gewisse Konturen: Art. 400.2 LEC geht davon aus, dass die Sperrwirkung der cosa juzgada eine Übereinstimmung der Tatsachen und Rechtsgründe, auf die sich das Beantragte stützen lässt, voraussetzt, und legt – im Wege einer

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Klarstellung oder Fiktion – fest, dass diese Übereinstimmung auch zwischen den im ersten Verfahren vorgetragenen und den nicht geltend gemachten Tatsachen und Rechtsgründen besteht. Voraussetzung ist, dass die Tatsachen und Rechtsgrründee zur Begründung desselben Antrags dienen und im ersten Verfahren tatsächlich vorgebracht hätten werden können. Die zum selben Streitgegenstand zu rechnenden Tatsachen werden damit allein durch ihre Eignung als Begründung des „Beantragten“ und die Möglichkeit, sie im ersten Verfahren geltend zu machen, identifiziert. Auf diese Weise wird die Bedeutung der Anspruchsgründe für die Bestimmung des Streitgegenstandes deutlich reduziert. Die rechtlich-tatsächliche Begründung wirkt letztlich nur noch insoweit eingrenzend, als sie das Beantragte mitprägt und die nachträgliche Änderung des Sachverhalts (möglicherweise auch der Rechtsgrundlagen) zum Entfallen der Sperrwirkung der cosa juzgada führt. Zum maßgeblichen Kriterium für die Abgrenzung verschiedener Streitgegenstände wird dagegen das petitum bzw. das Beantragte. Wurde dem petitum als Grenze der cosa juzgada traditionell weniger Aufmerksamkeit geschenkt als der causa de pedir, bedarf es daher jetzt einer Definition, die zur Individualisierung des Streitgegenstandes geeignet ist. Die traditionell verwendete Definition, die das petitum als das begehrte Rechtsgut in seiner rechtlichen Einkleidung versteht, ermöglicht zwar durch die Einbeziehung der rechtlichen Qualifizierung schon eine gewisse Eingrenzung des Streitgegenstandes, dennoch fehlt es ihr für sich genommen an Trennschärfe. Etwas konkreter wird der in Teilen der Literatur und der Rechtsprechung vertretene Ansatz auf Grundlage eines Erfordernisses der Übereinstimmung der Zielsetzung bzw. der Homogenität der Anträge, durch das die angeführte rechtlich-tatsächliche Begründung bei der Bestimmung des „Beantragten“ miteinbezogen wird. Eine hierüber hinausgehende, exaktere Definition der objektiven Grenzen findet sich nicht. Sie ist aber möglicherweise auch gar nicht erwünscht, bietet doch der Wortlaut des Art. 400 LEC das Instrumentarium für eine flexible Bestimmung der objektiven Grenzen der cosa juzgada im konkreten Einzelfall: So kann die Präklusion durch Abstellen auf die bereits im ersten Verfahren gegebene Möglichkeit zum Vortrag der jeweiligen Tatsache oder des Rechtsgrundes recht leicht ausgedehnt, durch die Verneinung der Identität des „Beantragten“ aber auch recht einfach begrenzt werden. III. Zusammenfassung – Grenzen der „cosa juzgada“ Insbesondere im Hinblick auf die objektiven, in geringerem Maße aber auch auf die subjektiven Grenzen der cosa juzgada hat die Einführung der LEC 2000 erhebliche Veränderungen mit sich gebracht. Die subjektiven Grenzen der cosa juzgada haben in Art. 222.3 LEC eine detaillierte und klare gesetzliche Ausgestaltung erhalten, in der der Katalog der Ausnahmefälle einer Erstreckung der cosa juzgada auf nicht am Verfahren Beteiligte von den nach früherer Rechtslage problematischen, weil an sich über

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das Institut der notwendigen Streitgenossenschaft zu lösenden Fällen befreit wurde. Im Hinblick auf die objektiven Grenzen der cosa juzgada hat sich der Gesetzgeber entschieden, auf eine Benennung einzelner Elemente einer objektiven Begrenzung der cosa juzgada zu verzichten, und sich vielmehr darauf beschränkt, die Bezugnahme auf ein Erfordernis der Identität des Streitgegenstandes in Art. 222 LEC durch Art. 400.2 LEC zu ergänzen, der die Erstreckung der Sperrwirkung der cosa juzgada auf sämtliche Tatsachen und Rechtsgründe, die der Kläger im ersten Verfahren zur Stützung des Beantragten anführen konnte, anordnet. Diese offen formulierte Beschreibung des Gegenstandes der cosa juzgada in Art. 222, 400 LEC liefert dem Rechtsanwender die gesetzliche Grundlage für eine flexible Bestimmung der objektiven Reichweite der cosa juzgada im Einzelfall. Dass insbesondere die spanische Rechtsprechung es vorzieht, die Reichweite der cosa juzgada anhand einer nach flexiblen Regeln bestimmten Zusammengehörigkeit von Anspruchsgründen und Anträgen zu bestimmen, zeigte sich schon vor Einführung der LEC 2000: In objektiver Hinsicht wurde die starr anmutende Ausrichtung des Gegenstandes der cosa juzgada an petitum und causa petendi durch die Erstreckung der cosa juzgada auf das „Vortragbare“ und auf ergänzende, eng verknüpfte Anträge sowie durch eine teils extensive Anwendung der cosa juzgada implícita aufgebrochen. Im Hinblick auf die subjektiven Grenzen zeigte sich die Tendenz zum Rückgriff auf flexible Formeln bei der Handhabung des Kriteriums der rechtlichen Identität und der Ausnahme vom Erfordernis der Parteiidentität bei missbräuchlicher Umgehung der cosa juzgada durch Einbeziehung zusätzlicher Parteien. In Art. 400 LEC hat eine flexible Bestimmung der objektiven Reichweite der cosa juzgada nun einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt gefunden. Die bereits zuvor bekannten flexiblen Elemente der Rechtskraftdogmatik finden auch unter Geltung der LEC 2000 weiterhin Anwendung und werden in ihrer Anwendung teilweise sogar ausgedehnt. Grenzen werden einer allzu weitreichenden Ausdehnung dieser Instrumente aber durch die Beschränkung der cosa juzgada durch das petitum bzw. das Beantragte im Sinne des Art. 400 LEC gesetzt. H. Abschließende Zusammenfassung Von der durch das historische Regelwerk der Siete Partidas und den französisichen Code civile geprägten Rechtskraftkonzeption des späten 19. Jahrhunderts, aber auch von der Rechtskraftdogmatik, die sich Mitte des 20. Jahrhunderts als Folge intensiver Auseinandersetzung mit der deutschen und italienischen Prozessrechtsdogmatik herausgebildet hatte, hat sich die heutige Lehre von der cosa juzgada in vielerlei Hinsicht entfernt. Hatte sich schon seit den Achtzigerjahren in Rechtsprechung und Literatur eine Abkehr von der traditionellen Rechtskraftkonzeption abgezeichnet (beispielsweise im Bereich der

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2. Kapitel: Rechtskraft in Frankreich und Spanien

Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu Vorfragen), wurde diese Tendenz im Rahmen der umfassenden Zivilprozessrechtsreform des Jahres 2000 aufgegriffen und weitergeführt. In der LEC 2000 hat der Gesetzgeber die rudimentäre Rechtskraftregelung in Art. 1252 Código Civil und in der LEC 1881 durch eine ausführliche gesetzliche Ausgestaltung des Instituts der cosa juzgada ersetzt. Die im selben Verfahren wirkende cosa juzgada formal bzw. die weiteren innerprozessualen Urteilswirkungen werden klar von der im späteren Verfahren greifenden cosa juzgada material getrennt. Sowohl die positive als auch die negative Wirkungsrichtung der cosa juzgada material werden im Gesetz beschrieben. Insbesondere die Voraussetzungen und Wirkungen der zuvor nicht normierten positiven Wirkungsrichtung sind in Art. 222.4 LEC erstmals eindeutig bestimmt worden. Indem sich der Gesetzgeber schließlich in der Gesetzesbegründung ausdrücklich für eine Einordnung der cosa juzgada material als rein prozessuales Institut ausgesprochen hat, hat er nicht nur die endgültige Abkehr von materiellen Rechtskrafttheorien vollzogen, sondern auch die Prüfung der cosa juzgada von Amts wegen bestätigt. An einer abschließenden Regelung fehlt es allerdings im Hinblick auf die Bestimmung der rechtkraftfähigen Entscheidungen. Hier bleibt insbesondere unklar, ob die cosa juzgada material nur Entscheidungen zur Sache zukommt, mit der Folge, dass die Rechtkraftfähigkeit von Prozessentscheidungen von der herrschenden Literatur verneint, in der Rechtsprechung aber vielfach bejaht wird. Die scheinbar eindeutige Verneinung der cosa juzgada der in summarischen Entscheidungen ergangenen Urteile in Art. 447.2 LEC hat die vor Einführung der LEC 2000 geführte Diskussion um eine beschränkte cosa juzgada nicht beendet. Offen lässt das Gesetz die Rechtskraftfähigkeit der Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes (medidas cautelares). Ein Greifen der cosa juzgada allein in späteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird nach umstrittenem, aber herrschendem Verständnis bejaht. Im Hinblick auf die Erstreckung der cosa juzgada auf Feststellungen zu präjudiziellen Vorfragen und Einwendungen hat zwar die Erstreckung der cosa juzgada auf die Feststellungen zur Aufrechnung und zum Nichtigkeitseinwand in Art. 408 LEC gesetzliche Ausgestaltung gefunden, im Übrigen hat der Gesetzgeber die Frage aber der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur überlassen. Die hierbei seit den Achtzigerjahren schon erkennbare Tendenz, die cosa juzgada auch auf die dem Urteilsspruch im fallo logisch zwingend vorgelagerten Vorfragen, insbesondere das Bestehen und die Wirksamkeit von präjudiziellen Rechtsverhältnissen, zu erstrecken, hat sich mittlerweile zur herrschenden Meinung verfestigt. Auch die Erstreckung auf Feststellungen zu Einwendungen wird, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung, in Rechtsprechung und Literatur bejaht. Die wohl tiefgreifendste Veränderung der spanischen Rechtskraftkonzeption hat der Gesetzgeber im Bereich der Grenzen der cosa juzgada bewirkt.

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Dies betrifft weniger die subjektiven Grenzen, bei deren Regelung der Gesetzgeber letztlich nur veraltete Ausnahmen vom Grundsatz der Beschränkung der cosa juzgada auf die Parteien abgeschafft und bereits zuvor anerkannte Ausnahmen gesetzlich konkretisiert hat. Im Hinblick auf die objektiven Grenzen der cosa juzgada hat der Gesetzgeber dagegen durch die Einführung des Art. 400 LEC mit dem traditionellen Verständnis der durch die geltend gemachte causa de pedir begrenzten cosa juzgada gebrochen. War eine Präklusion nicht geltend gemachten Vorbringens nach früherer Rechtslage nur im Rahmen der geltend gemachten causa petendi bejaht worden, erstreckt sich die in Art. 400 LEC geregelte, durch die Sperrwirkung der cosa juzgada bewirkte Präklusion auf sämtliche Tatsachen und Rechtsgründe, die im ersten Verfahren zur Stützung des Antrags hätten vorgetragen werden können. In der praktischen Anwendung der Norm auf den konkreten Einzelfall wird deutlich, dass die feingliedrige Differenzierung zwischen verschiedenen Streitgegenständen im Bereich der Gestaltungsklagen sowie der auf obligatorische Rechte gestützten Leistungs- und Feststellungklagen ein Ende findet und eine deutliche Ausweitung der cosa juzgada bewirkt wird. Die Auswirkungen der in Art. 400 LEC geregelten Präklusion auf die abstrakte Bestimmung der Grenzen der cosa juzgada sind noch nicht abschließend geklärt. Unzweifelhaft ist, dass die causa de pedir ihre vormals zentrale Bedeutung als Grenze der cosa juzgada verliert, das petitum dagegen an Bedeutung gewinnt. Einer dogmatisch exakten Definition einzelner Streitgegenstandselemente scheint eine am Wortlaut des Art. 400 LEC orientierte flexible Bestimmung des Gegenstandes der cosa juzgada im Einzelfall vorgezogen zu werden. Der nach Einführung des Art. 400 LEC zum Ausdruck kommende Verzicht auf eine dogmatisch eindeutige Bestimmung des für die cosa juzgada geltenden Streitgegenstandsbegriffs zugunsten einer flexiblen Formel kann als symptomatisch verstanden werden: Die spanische Literatur, deutlicher aber noch die spanische Rechtsprechung haben zur Beschreibung des Instituts der cosa juzgada verschiedene Formeln geprägt, die im Laufe der Zeit eine Verfestigung zu eigenständigen Elementen der Rechtskraftdogmatik erfahren haben, die aber auf eine flexiblen Anwendung im Einzelfall ausgerichtet sind und klare Konturen vermissen lassen. Deutlich zeigt sich diese Tendenz nun auch in der Auslegung des Art. 400 LEC.

Drittes Kapitel

Die Entwicklungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre im europäischen Vergleich Nachdem im vorausgegangenen Kapitel die Entwicklung der französischen und spanischen Rechtskraftdogmatik isoliert betrachtet wurde, sollen die hierbei herausgearbeiteten Entwicklungslinien im Folgenden eine rechtsvergleichende Einordnung erhalten und die festgestellten Veränderungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre im europäischen Spektrum der Rechtskraftkonzeptionen verortet werden. Den rechtsvergleichenden Rahmen bilden hierbei die Rechtsordnungen Deutschlands und Englands als Prozesskulturen mit stark divergierenden Rechtskraftkonzepten sowie das italienische Recht als romanisches Beispiel einer gefestigten Rechtskraftlehre. In den Teilbereichen, in denen sich eine autonome europäische Konzeption der Rechtskraft bzw. des Streitgegenstandes abzeichnet oder anzudeuten scheint, wird zudem auf die Rechtsprechung des EuGH eingegangen. Bei der rechtsvergleichenden Untersuchung soll zunächst die dogmatische Grundkonzeption der jeweiligen Rechtskraftlehre unter Bezugnahme auf die Regelungsweise, die Natur und das Wirkungsspektrum der Rechtskraft sowie das Verhältnis zur Anfechtbarkeit durch Rechtsmittel betrachtet werden, um dann das Hauptaugenmerk auf die Aspekte der Rechtskraftlehre zu richten, die in Frankreich und Spanien in aktueller Zeit Gegenstand deutlicher Veränderungen waren. Es sind dies die Teilfragen der Prüfung von Amts wegen, der Anforderungen an die Rechtskraftfähigkeit einer Entscheidung, der Erstreckung der Rechtskraft auf Feststellungen zu Vorfragen sowie schließlich der Bestimmung der subjektiven und objektiven Reichweite der Rechtskraft.

§ 1 Grundlagen und Umrisse der nationalen Rechtskraftkonzeptionen § 1 Grundlagen der nationalen Rechtskraftkonzeptionen

Ein Vergleich der verschiedenen Rechtskraftlehren setzt zunächst die eindeutige Bestimmung der zu vergleichenden Rechtsinstitute in den einzelnen Rechtsordnungen voraus.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre I. Die deutsche Rechtskraftlehre Die Rechtskraft des deutschen Rechts beschreibt sowohl die sich aus der Unzulässigkeit von Einspruch und Rechtsmitteln ergebende Unangreifbarkeit der Entscheidung als auch die endgültige Verbindlichkeit oder Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts.1 Die beiden Aspekte werden als formelle und materielle Rechtskraft bezeichnet und auch im Gesetz in § 705 ZPO und § 322 ZPO klar voneinander unterschieden. Dennoch sind sie in der Weise miteinander verknüpft, dass die materielle Rechtskraft den Eintritt der formellen Rechtskraft und damit die Unanfechtbarkeit der Entscheidung voraussetzt.2 Die formelle Rechtskraft beschränkt sich auf die Beschreibung der Unangreifbarkeit einer Entscheidung 3 und hat damit einen recht eng begrenzten Inhalt. Eine innerprozessuale Bindung des Richters an die im selben Verfahren ergangenen Entscheidungen zählt dagegen nicht zum Inhalt der formellen Rechtskraft, sondern wird als gesonderte Wirkung in § 318 ZPO geregelt. 4 Im Hinblick auf die materielle Rechtskraft hat sich nach langer dogmatischer Auseinandersetzung zwischen materiellen 5 und prozessualen 6 Rechtskrafttheorien ein prozessuales Verständnis der materiellen Rechtskraft durchgesetzt, welches der Rechtskraft jeglichen Einfluss auf die materielle Rechtslage abspricht. 7 Das Wesen der Rechtskraft wird als Bindung eines später angerufenen Gerichts an die rechtskräftig gewordene Entscheidung beschrieben, 1 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 149 Rn. 1, 2 (S. 863); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 1. 2 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 1; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 61 Rn. 9, S. 244; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 149 Rn. 1, 2 (S. 863); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 6; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 1. 3 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 2; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 1; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 705 Rn. 1a. 4 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 149 Rn. 1 (S. 863); Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 6. 5 Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, S. 305 ff.; Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältnis, § 29, S. 111 f. 6 Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, S. 466 f. (§ 154 II 3); Bötticher, Kritische Beiträge, 2. Kap. § 10, S. 139 ff. (144 f.); Stein/Juncker, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrechts, S. 277 ff.. 7 BGH NJW 1961, 1969; BGH NJW 1985, 2825, 2826; BGH NJW 2004, 1805, 1806; HkZPO/Saenger, § 322 Rn. 11; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 6 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 8 (S. 870). Vermittelnd (auch Wirkung auf materiellrechtlichem Gebiet) Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 31 ff. Eine modifizierte materiellrechtliche Rechtskraftlehre im Sinne eines Verständnisses als „unwiderlegliche Vermutung dafür, dass die ausgesprochene Rechtsfolge dem Recht entspricht“, haben in jüngerer Zeit vertreten: Blomeyer, Zum Streit über Natur und Wirkungsweise der materiellen Rechtskraft, JR 1968, 407, 409; Pohle, Gedanken über das

§ 1 Grundlagen der nationalen Rechtskraftkonzeptionen

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wobei sich diese Bindung nach der herrschenden ne bis in idem-Lehre nicht lediglich in einem Verbot abweichender Entscheidung erschöpft, 8 sondern sich aus dem Ausschluss einer erneuten Entscheidung über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge ergibt. 9 Die materielle Rechtskraft kann danach in einem späteren Verfahren in zweifacher Weise wirken: Stimmt der Streitgegenstand der beiden Verfahren überein, so wirkt die materielle Rechtskraft als negative Prozessvoraussetzung, die zur Abweisung der Klage durch Prozessurteil führt und so eine erneute Verhandlung und Sachprüfung zum bereits abgeurteilten Gegenstand ausschließt. 10 Fehlt es an einer Identität der Streitgegenstände, bildet die im ersten Verfahren festgestellte Rechtsfolge aber eine präjudizielle Vorfrage für die Entscheidung im späteren Verfahren, so hat das später angerufene Gericht seiner Entscheidung die rechtskräftige Feststellung zugrunde zu legen. Es besteht also eine Bindung an die Vorentscheidung.11 II. Das englische Prinzip der „res judicata“ Das englische res judicata-Prinzip hebt sich von den übrigen behandelten Rechtsordnungen schon dadurch ab, dass es nicht auf gesetzlichen Grundlagen aufbaut, sondern als Institut des common law allein im Fallrecht (case law) verankert ist. Wie dies für das case law kennzeichnend ist, haben sich aber über die Jahre hinweg in der Rechtsprechung einheitliche Regeln zur Bestimmung der Elemente, Voraussetzungen und Grenzen des res judicata-Prinzips herausgebildet.

Wesen der Rechtskraft, in: Furno (Hrsg.), Scritti giuridici in memoria di Piero Calamandrei – Vol. 2. Diritto processuale (autori stranieri), S. 377, 388. 8 So aber die ältere sog. Bindungstheorie, Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung der Rechtskraft, Leipzig 1901, S. 7 ff., 10, 13; Stein/Juncker, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrechts, S. 278 („[Der Richter] darf nicht von ihr [der rechtskräftigen Entscheidung] abweichen, muß sie seinem Urteil zugrunde legen und folgeweise wie früher entscheiden.“). 9 BGH NJW 1983, 2032; BGH NJW 1985, 2535 f.; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 7, 9, 11. Der ne bis in idem-Lehre folgend, diese aber um eine Bindung auch der Parteien ergänzend: MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 14; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 9 (S. 870). 10 BGH NJW 2008, 1227; BGH NJW 2014, 314; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 10, 12; MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 11; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 10 (S. 871). 11 BGH NJW 1983, 2032; BGH NJW 1985, 2535 f.; BGH NJW 1993, 2304, 2305; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 10; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 9. Diese Bindung an die Vorentscheidung lässt sich als Anwendung des ne bis in idem-Grundsatzes verstehen, da eine erneute Prüfung und Entscheidung der rechtskräftig beurteilten Vorfrage ausgeschlossen ist, so Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 10, 13; MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 12; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 15 (S. 871).

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Dem res judicata-Prinzip übergeordnet ist der Grundsatz der Endgültigkeit (finality), nach dem ein Rechtsstreit durch die abschließende gerichtliche Entscheidung endgültig beendet wird und das dabei gefundene Ergebnis endgültig feststeht.12 Die den Rechtsstreit abschließende Entscheidung lässt keine weitere Prozessführung zum selben Gegenstand (subject matter) zu.13 Der Grundsatz der Endgültigkeit der Beendigung des Rechtsstreits und das Prinzip der res judicata dienen zum einen den Interessen der Parteien, indem das erzielte rechtliche Ergebnis unangreifbar gemacht und die Partei vor nochmaliger Inanspruchnahme geschützt wird, zum anderen aber auch dem öffentlichen Interesse an endgültiger Befriedung und Schonung der Kapazitäten der Gerichte.14 Um die Endgültigkeit der in der richterlichen Entscheidung gefundenen Lösung des Rechtsstreits zu bewirken, hat das englische Recht verschiedene Regeln entwickelt, deren Verhältnis zueinander nicht abschließend geklärt ist. 15 Neben ein eng verstandenes res judicata-Prinzip mit verschiedenen Ausprägungen tritt dabei das Verbot des Prozessmissbrauchs (abuse of process). Eindeutig dem res judicata-Prinzip zugehörig sind der cause of action estoppel16 12

Smith v. Brough [2006] C.P. Rep. 17 [at 54], per Brooke L.J. („it is a fundamental principle of our common law that the outcome of litigation should be final”). Vgl. auch Andrews, On Civil Processes – Vol. 1, para. 16.02; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.64. 13 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.64. 14 Lockyer v. Ferryman et al. (1877) 2 App. Cas. 519, 530, per Lord Blackburn: „The object of the rule of res judicata is always put upon two grounds – the one public policy, that it is the interest of the State that there should be an end of litigation, and the other, the hardship on the individual, that he should be vexed twice for the same cause.“ Ebenso Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham. Den Schutz der Gerichtsressourcen betonend Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.65; ähnlich auch Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham („This public interest is reinforced by the current emphasis on efficiency and economy in the conduct of litigation, in the interests of the parties and the public as a whole.“). 15 Vgl. Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.64: „neither sharply differentiated from each other nor clearly identified by a generally accepted terminology“. 16 Zur Beschreibung der Elemente des res judicata- oder finality-Prinzips wird der Begriff des estoppel verwendet. Der common law-Grundsatz des estoppel als Verbot widersprüchlichen Verhaltens durchzieht das gesamte – insbesondere auch das materielle – englische Recht, ohne dass seine verschiedenen Ausprägungen aber im Hinblick auf Voraussetzungen und Wirkungen einheitlich beurteilt werden können (vgl. Andrews, On Civil Processes, 16.01, p. 464, note 1). Der vor den common law-Gerichten zur Anwendung kommende, von germanischen Rechtsvorstellungen geprägte estoppel by record hatte ursprünglich ein von der römischrechtlichen res judicata in Wirkung und Anwendungsbereich zu unterscheidendes Institut zur Verhinderung einer Infragestellung ergangener Entscheidungen gebildet, war aber im 19. Jahrhundert zunehmend seiner ursprünglichen Bedeutung entkleidet und zur Beschreibung des res judicataPrinzips herangezogen worden (vgl. Millar, 39 Mich. L. Rev. (1940), 238, 251 et seq.). Es ist daher seither üblich geworden, vom estoppel per rem judicatam zu sprechen (Andrews, On Civil Processes – Vol. 1, para. 16.01; Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 1.02 et seq.; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.64. Vgl. aber Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995,

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und der issue estoppel sowie die eng mit dem cause of action estoppel verknüpfte doctrine of merger. 17 Dem res judicata-Prinzip zumindest in einem weiteren Sinne zugerechnet18 wird die als Anwendungsfall des Verbots des Prozessmissbrauchs (abuse of process) verstandene Henderson v. HendersonDoktrin19, die teilweise auch als abuse of process estoppel bezeichnet wird.20 Als allgemeiner Grundsatz bildet das Verbot des abuse of process zudem in weiteren Konstellationen ein flexibles Hindernis für ein im Widerspruch mit vorangegangenen Entscheidungen stehendes Vorbringen.21 Gleichzeitig lässt S. 841, 844 ff., der dies für „eigentlich unkorrekt“ hält (S. 846, Fn. 22) und von einer fortdauernden Trennung zwischen estoppel und res judicata ausgeht). Der in der Folge entwickelte estoppel per res judicatam unterscheidet sich von anderen Ausprägungen des estoppel-Grundsatzes und folgt eigenständigen Regeln (vgl. Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 218 ff.). 17 Andrews, On Civil Processes – Vol. 1, para. 16.01; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.64. 18 Das Verhältnis der Henderson v. Henderson-Regel zum res judicata estoppel wird uneinheitlich beschrieben: Als Anwendungsfall des res judicata-Prinzips wurde sie in der Leitentscheidung Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100 verstanden (p. 115, per Wigram V.C.: „The plea of res judicata applies, except in special cases, not only to points upon which the Court was actually required by the parties to form an opinion and pronounce a judgment, but to every point which properly belonged to the subject of litigation, and which the parties, exercising reasonable diligence, might have brought forward at the time.“). Dagegen wurde sie in neueren Entscheidungen häufig als gesonderte, dem Verbot des abuse of process entspringende Regel beschrieben, die allenfalls als Ausprägung eines res judicata-Prinzips im weiteren Sinne verstanden werden könne, vgl. Barrow v. Bankside Members Agency Ltd and Others [1996] 1 W.L.R. 257, 260, CA, per Bingham M.R. („The rule is not based on the doctrine of res judicata in a narrow sense, nor even on any strict doctrine of issue or cause of action estoppel.”); Yat Tung Investment Co Ltd v Dao Heng Bank Ltd [1975] A.C. 581, 590 („[T]he true doctrine [of res judicata] in its narrower sense cannot be discerned in the present series of actions, since there has not been […] any formal repudiation of the pleas raised by the appellant […]. But there is a wider sense in which the doctrine may be appealed to, so that it becomes an abuse of process to raise in subsequent proceedings matters which could and therefore should have been litigated in earlier proceedings.“). In einer jüngeren Entscheidung wurde dagegen betont, dass sich die Henderson v. Henderson-Regel zwar gegen eine bestimmte Form des abuse of process richte, dass sie aber dennoch dem Recht der res judicata zugerechnet werden könne: Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 310 [at 24 et seq.], per Lord Sumption; vgl. Jackson (ed.), White Book 2015, Civil Procedure Rules 1998 and Practice Directions, Rule 3.4 – Commentary, 3.4.3.2; vgl. auch die ausführliche Besprechung der Entscheidung bei Hemsworth, Civil Justice Quarterly 2015, 52, 56 et seq. 19 Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100, 115. 20 So z.B. bei Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.101 et seq. 21 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.69, 25.101. Res judicata und abuse of process können daher als sich überlappende Grundsätze verstanden werden, vgl. Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 310 [at 24 et seq.], per Lord Sumption: „distinct although overlapping“.

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sich die Vermeidung missbräuchlicher Verfahrensführung als übereinstimmende Zielsetzung aller genannten Grundsätze verstehen. 22 Der cause of action estoppel hindert die Parteien daran, die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer cause of action in einem späteren Verfahren dadurch in Frage zu stellen, dass entweder der Kläger versucht, dieselbe cause of action nochmals geltend zu machen, oder der Beklagte die Existenz der bejahten cause of action verneint bzw. ihr Gegenteil einklagt.23 Voraussetzung des cause of action estoppel ist die Identität der cause of action. 24 Im Hinblick auf zusprechende Entscheidungen wird zur Beschreibung dieser Wirkung auch auf die sog. Verschmelzungsdoktrin (doctrine of merger) zurückgegriffen: Nach dieser die römische Vorstellung von der Klagekonsumption aufgreifenden 25 Regel geht die cause of action in der Entscheidung auf und „verschmilzt“ mit ihr, d.h. die cause of action geht unter und an ihre Stelle tritt der in der Entscheidung zugesprochene Anspruch.26 Ob diese Regel lediglich eine zusätzliche Begründung liefert oder als eigenständiges Prinzip neben den cause of action estoppel tritt, lässt sich aus der Vielzahl der Definitionen und Beschreibungen nicht eindeutig entnehmen.27 Im Ergebnis steht sowohl bei ei-

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Vgl. Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 310 [at 24 et seq.], per Lord Sumption: „[T]hey are distinct although overlapping legal principles with the common underlying purpose of limiting abusive and duplicative litigation.“ Vgl. auch Stürner, in: Stürner/Kawano (ed.), Current Topics, 2009, p. 239, 247 („... the doctrine of 'abuse of process’ may be a common basic idea, on which all kinds of res judicata and estoppel are founded.“). 23 Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 197, per Diplock L.J.: „The first species, which I will call ‘cause of action estoppel,’ is that which prevents a party to an action from asserting or denying, as against the other party, the existence of a particular cause of action, the non-existence or existence of which has been determined by a court of competent jurisdiction in previous litigation between the same parties.“ 24 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 104, per Lord Keith („Cause of action estoppel arises where the cause of action in the later proceedings is identical to that in the earlier proceedings, the latter having been between the same parties or their privies and having involved the same subject matter.“); Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 310 [at 17]; Andrews, On Civil Processes, para. 16.12; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.84. 25 Vgl. Stürner, Festschrift Schütze,1999, S. 913, 921. 26 Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 197, per Diplock L.J.: „If the cause of action was determined to exist, i.e., judgment was given upon it, it is said to be merged in the judgment, or, for those who prefer Latin, transit in rem judicatam.“ 27 Vgl. die Beschreibung von Diplock L.J. in Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 197 et seq., die darauf hindeutet, dass beide dem cause of action estoppel zugerechnet werden können und sich in der Weise ergänzen, dass bei zusprechenden Entscheidungen die doctrine of merger, bei abweisenden Entscheidungen der estoppel per rem judicatam zur Anwendung kommt (in Form des cause of action estoppel): „If the cause of action was determined to exist, i.e., judgment was given upon it, it is said to be merged in the judgment, [...]. If it was determined not

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ner Begründung allein anhand des cause of action estoppel als auch bei Heranziehung der doctrine of merger fest, dass die Parteien daran gehindert sind, die cause of action erneut zur Entscheidung zu stellen oder das Gegenteil einzufordern. Während der cause of action estoppel verhindert, dass die identische cause of action noch einmal zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht wird, schließt der issue estoppel aus, dass eine der Parteien in einem späteren, eine andere cause of action betreffenden Verfahren die im ersten Urteil getroffene Beurteilung eines Streitpunktes (issue) in Frage stellt, die als Vorfrage der Beurteilung beider causes of action notwendig vorgelagert war: Der issue estoppel bewirkt also eine Bindung der Parteien an Feststellungen zu einzelnen Streitpunkten, die im ersten Verfahren notwendiger Bestandteil der cause of action waren und im späteren Verfahren wiederum eine Voraussetzung der cause of action bilden.28 Der beschriebene estoppel per rem judicatam im engeren Sinne schließt eine Infragestellung von tatsächlich Entschiedenem aus. 29 Eine Sperrung von causes of action, die im ersten Verfahren nicht geltend gemacht wurden, bzw. eine Bindung an issues, die nicht vorgetragen wurden, wird dagegen auf Grundlage der sog. Henderson v. Henderson-Doktrin bewirkt: Nach dieser – nach der Leitentscheidung aus dem Jahre 1843 benannten – Regel ist es den Parteien nicht gestattet, denselben Gegenstand unter Berufung auf Vorbringen, das sie bereits im ersten Verfahren hätten vortragen können, aber tatsächlich nicht geltend gemacht hatten, nochmals vor Gericht zu bringen. 30 Die Parteien müssen vielmehr ihr gesamtes Vorbringen (their whole case) im ersten Verfahren geltend machen. to exist, the unsuccessful plaintiff can no longer assert that it does; he is estopped per rem judicatam.“ Hiervon scheint auch Zuckerman auszugehen (On Civil Procedure, para. 25. 83). Als getrennte Ausprägungen des Oberbegriffs der res judicata aufgezählt werden sie dagegen in Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 310 [at 17], per Lord Sumption. Die genaue technische Erklärung für „weniger wichtig“ haltend: Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 846. 28 Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 198; Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 105, per Lord Keith („Issue estoppel may arise where a particular issue forming a necessary ingredient in a cause of action has been litigated and decided and in subsequent proceedings between the same parties involving a different cause of action to which the same issue is relevant one of the parties seeks to re-open that issue.“); Andrews, On Civil Processes, para. 16.27; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.86. 29 Vgl. Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.87 („Issue estoppel can arise only with respect to issues that a court has actually addressed and determined …“). 30 Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100, 114 et seq., per Wigram V.-C.: „[W]here a given matter becomes the subject of litigation in, and of adjudication by, a Court of competent jurisdiction, the Court requires the parties to that litigation to bring forward their whole case, and will not (except under special circumstances) permit the same parties to open the same subject of litigation in respect of matter which might have been brought forward as part of the

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Die englische Rechtskraftlehre setzt sich damit aus verschiedenen Prinzipien zusammen, deren Verhältnis zueinander nicht leicht bestimmbar ist. Entsprechend ist auch eine einheitliche Beurteilung des Wesens der englischen Rechtskraft kaum möglich.31 Auf der einen Seite ist die doctrine of merger von der Vorstellung einer Neuschaffung des Anspruchs geprägt, was eine Nähe zu materiellrechtlichen Ansätzen nahelegt. 32 Andererseits liegt die Verhinderung einer Erneuerung des Rechtsstreits auch im öffentlichen Interesse und wird zudem zur Beschreibung der Henderson v. Henderson-Doktrin das Verbot des abuse of process und damit ein Zurückweisungsgrund prozessualen Charakters33 herangezogen. Eine der in Deutschland oder Spanien geführten Diskussion vergleichbare ausführliche Auseinandersetzung mit der Natur der res judicata findet sich nicht. Ein englisches Urteil ist von dem Zeitpunkt des Urteilsausspruchs an für die Parteien bindend und vollstreckbar. 34 Auch der estoppel per rem judicatam in seinen Ausprägungen ist nicht von der Unanfechtbarkeit der Entscheidung abhängig.35 Als entscheidungsbezogene Voraussetzung des res judicata estoppel wird im case law lediglich das Vorliegen einer abschließenden Sachentscheidung genannt (final decision on the merits), 36 was sich allein auf die abschlie-

subject in contest, but which was not brought forward, only because they have, from negligence, inadvertence, or even accident, omitted part of their case.“; Barrow v. Bankside Members Agency Ltd and Others [1996] 1 W.L.R. 257, 260, per Bingham M.R. („the parties cannot return to the court to advance arguments, claims or defences which they could have put forward for decision on the first occasion but failed to raise“). 31 So auch Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI: Civil Procedure, Ch. 9, Rn. 44; Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 925. 32 Vgl. Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 44. Vgl. auch Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 315 [at 25]: „Res judicata is a rule of substantive law …“. 33 Vgl. Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 315 [at 25]: „… abuse of process is a concept which informs the exercise of the court's procedural powers.“ 34 CPR 40.7; vgl. auch Zuckerman, On Civil Procedure, para. 23.17 et seq. Das Urteil ist selbst dann unmittelbar mit Ausspruch vollstreckbar, wenn eine Partei gegen die Entscheidung im Wege des appeal vorgeht (Zuckerman, On Civil Procedure, para. 23.18). Nur auf gesonderte gerichtliche Anordnung wird die Vollstreckung wegen laufenden appeal-Verfahrens ausgesetzt (stay of execution pending appeal, CPR 52.7). 35 So Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 844; Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 13. Aus englischer Sicht wird diese Fragestellung allerdings nicht behandelt, vgl. Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 925 („kaum diskutiertes Thema“). 36 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 1.02.

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ßende Beurteilung des Streitgegenstandes, jedoch nicht auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung bezieht.37 Der estoppel per rem judicatam greift also unabhängig davon, ob gegen die Entscheidung noch Rechtsmittel eröffnet sind oder nicht.38 Während das Urteil die Parteien bereits mit dem (gegebenenfalls mündlichen) Ausspruch bindet, 39 endet die richterliche Befugnis zur Befassung mit der Streitsache erst, wenn der Richter die Urteilsurkunde entsprechend dem Erfordernis der CPR 40.2 (2) formal errichtet und mit dem Gerichtssiegel versehen hat.40 Bis zu diesem Zeitpunkt darf er seine Entscheidung auch noch abändern,41 danach ist ihm eine Abänderung oder erneute Befassung mit der Streitsache – mit Ausnahme der Berichtigung offensichtlicher Fehler oder Auslassungen42 – verwehrt, was aber wohl weniger eine Folge der res judicata ist, als vielmehr darauf beruht, dass sich seine jurisdiction mit der formalen Errichtung der Urteilsurkunde erschöpft. 43 III. Die italienische Lehre von der „cosa giudicata“ Die Rechtskraft wird in Italien mit dem Begriff der cosa giudicata bzw. des giudicato umschrieben, wobei die Grenzen zwischen der Verwendung zur Bezeichnung des unangreifbar feststehenden Urteilsgegenstandes und zur Beschreibung der Wirkung des Urteils, für die oft auch der Begriff der autorità de la cosa giudicata herangezogen wird, fließend sind. 44 Die italienische 37 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.93: „A decision is final in this sense if it conclusively (as distinguished from provisionally) disposes of the matter.“ 38 Dies ebenfalls aus der Beschränkung allein auf final decisions schließend: Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 13. 39 Vgl. Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.03; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 23.20, 23.23. 40 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 23.20. Nach Spencer Bower/Handley kann auch erst ab diesem Zeitpunkt von einer final decision gesprochen werden, Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.03. 41 Da ein schon mündlich ergangenes Urteil bereits ab dem mündlichen Ausspruch bindend ist, bestehen aber auch im Hinblick auf eine Abänderung vor formaler Urteilsabfassung gewisse Beschränkungen, vgl. In Re Barrell Enterprises [1973] 1 W.L.R. 19, 23 f. (nur im Falle außergewöhnlicher Umstände (exceptional circumstances)); weiter dagegen In Re L and another (Children) [2013] 1 W.L.R. 634, 643 [at 27] (flexible Bewertung nach Gerechtigkeitserwägungen, aber Abänderung ausgeschlossen, wenn eine Partei im Vertrauen auf die ergangene Entscheidung ihre Lage zu ihrem Nachteil geändert hat). 42 CPR 40.12 (1): „The court may at any time correct an accidental slip or omission in a judgment or order.“ 43 Vgl. Zuckerman, On Civil Procedure, para. 23.23 („Until a judgment has been perfected, the court’s jurisdiction is not exhausted...“). 44 Vgl. zur Terminologie Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 786. Der giudicato bzw. die cosa giudicata wird zum Teil als Urteilseigenschaft (qualità), nicht

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Rechtskraftlehre unterscheidet zwischen der cosa giudicata formale und der cosa giudicata sostanziale. Die Differenzierung wird auch in der gesetzlichen Regelung aufgegriffen: Während der giudicato formale in Art. 334 Codice di Procedura Civile (c.p.c.) geregelt ist, findet sich die gesetzliche Ausgestaltung des giudicato sostanziale im materiellen Zivilrecht in Art. 2909 Codice Civile (c.c.). Die cosa giudicata formale beschreibt die Unanfechtbarkeit durch die in Art. 324 c.p.c. im Einzelnen aufgelisteten (ordentlichen) Rechtsmittel. Sie bildet eine Voraussetzung der cosa giudicata sostanziale. 45 Einer darüber hinausgehenden Beschreibung innerprozessualer Wirkungen dient die cosa giudicata formale dagegen nicht. Soweit ein ab Veröffentlichung des Urteils eintretendes Abänderungsverbot des Richters ausdrücklich Erwähnung findet, wird dieses als Unabänderlichkeit (irrevocabilità) bezeichnet und von der formellen cosa giudicata unterschieden.46 Zudem erkennt das italienische Recht mit dem sog. giudicato interno auch eine im selben Verfahren wirkende Ausprägung des giudicato sostanziale an.47 Der giudicato interno beschreibt eine Präklusion derjenigen selbstständigen Streitpunkte, die Gegenstand einer eigenständigen Zwischenentscheidung waren, welche nicht durch Rechtsmittel angegriffen wurde. 48 Die jeweiligen Punkte können im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr in Frage gestellt werden, 49 es besteht somit eine Bindungswirkung im selben Verfahren. Die cosa giudicata sostanziale (im Sinne des giudicato esterno 50) bewirkt nach dem Wortlaut des Art. 2909 c.c., dass die im rechtskräftigen Urteil ent-

als Urteilswirkung eingeordnet (Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.1, p. 152), dennoch wird auch zur Beschreibung der Wirkungen immer wieder auf den giudicato Bezug genommen, vgl. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.1, p. 152. 45 Satta/Punzi, Diritto processuale civile, n. 118, p. 249. 46 So Cian/Trabucchi/Chizzini, Commentario breve al Codice civile, Art. 2909, I n. 2. 47 Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, II n. 2; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.4, p. 154; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 63. 48 Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 597.4, p. 2033; Proto Pisani, Rivista di diritto processuale 1990, p. 386, 413 ss. Teilweise wird aber neben der Präklusion der durch Zwischenentscheidung feststellbaren Streitpunkte auch die durch Beschränkung des Rechtsmittels auf einen Teil des Urteils eintretende Teilrechtskraft durch den giudicato interno beschrieben, so Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 597.4, p. 2033. 49 Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 82. 50 Während der giudicato esterno in einem späteren, neuen Verfahren greift, beschreibt der giudicato interno die Wirkung im selben Verfahren (Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, II n. 2; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.4, p. 154; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 82). Der Gegenstand der Bindung im selben Verfahren ist allerdings weiter gefasst als der des giudicato esterno, da er z.B. auch prozessuale Fragen erfasst (Proto Pisani, Rivista di diritto processuale 1990, p. 386, 413 ss., 415).

§ 1 Grundlagen der nationalen Rechtskraftkonzeptionen

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haltene Feststellung (accertamento) zwischen den Parteien (und ihren Rechtsnachfolgern) bindend feststeht (fa stato a ogni effeto). Weder die Funktionsweise noch die Voraussetzungen dieser Wirkung werden im Gesetz genauer bestimmt, ihre Definition ist vielmehr der Literatur und Rechtsprechung überlassen geblieben. Die cosa giudicata sostanziale verhindert, dass die in der Entscheidung enthaltene Feststellung in späteren Verfahren erneut zur Diskussion gestellt wird. 51 In einem späteren Verfahren kann sich die autorità di giudicato in zweifacher Weise zeigen: Bei Identität des Streitgegenstandes verhindert sie eine Entscheidung zur Sache und hat die Verfahrensbeendigung durch Prozessurteil (definizione in rito del processo) zur Folge, 52 bei Präjudizialität der im Erstverfahren getroffenen Feststellung für die Entscheidung im späteren Verfahren schließt sie dagegen eine abweichende Beurteilung aus. 53 Auf eine begriffliche Trennung zwischen einer positiven und einer negativen Wirkungsrichtung der cosa giudicata, wie sie in Spanien und in Frankreich vorgenommen wird, wird dabei aber überwiegend verzichtet und vielmehr betont, dass die Wirkungsweise sowohl bei Streitgegenstandsidentität als auch bei Präjudizialität einheitlich auf die Bindung an den Entscheidungsinhalt zurückzuführen ist.54 War die Wirkungsweise der cosa giudicata sostanziale im 19. Jahrhundert als Wahrheitsvermutung beschrieben und auch im Codice civile von 1865 in unmittelbarer Übernahme des französischem Vorbilds im Beweisrecht als Vermutung eingeordnet worden, löste sich die italienische Prozessrechtswissenschaft Anfang des 20. Jahrhunderts von dieser Beschreibung des Wesens der cosa giudicata sostanziale. 55 Chiovenda begründete Anfang des 19. Jahrhunderts als erster ausführlich die Abkehr von der Einordnung als Vermutung 56 und entwickelte eine prozessuale Theorie, in der das Wesen der autorità de la 51

Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 2. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 21.2, p. 194; Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 2. 53 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 21.3, p. 194 s.; Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 2. 54 Vgl. ausführlich Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 727, 818 ss., 822: „... un contenuto decisamente negativo ad un apertamente positivo. Ma non si tratta di due o più effeti, i quali si contrappongano l’uno all’altro come entità diverse, bensì di semplici manifestazioni o estrinsecazioni di un unico effetto, che se compendia nell’attribuzione alla sentenza di un valore vincolante tale da assicurare che l’accertamento in essa contenuto ‚faccia stato‘.“ Teilweise wird aber von einer direkten Wirkung (efficacia diretta) bei Streitgegenstandsidentität und einer indirekten Wirkung (efficacia riflessa) bei Präjudizialität gesprochen, so Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 63; ders., Rivista di diritto processuale 1990, p. 386, 389. 55 Vgl. die Darstellung bei Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 727, 794 s. 56 Chiovenda, Sulla cosa giudicata, in: Saggi di diritto processuale civile – Vol. 2, p. 399, 406 s. 52

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

cosa giudicata als Bindung des Richters an den Inhalt der ersten Entscheidung beschrieben wurde.57 Beeinflusst durch die Diskussion in der deutschen Prozessrechtslehre des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts standen sich in der Folgezeit prozessuale und materielle 58 Rechtskrafttheorien gegenüber. Deren Eignung zur Beschreibung des Wesens der cosa giudicata wurde allerdings zunehmend in Frage gestellt, stattdessen entwickelten sich Ansätze, welche die Wirkungsweise der cosa giudicata weder in einer rein prozessualen Bindung oder einem prozessualen Verbot der erneuten Beurteilung sahen, noch in einer Ersetzung oder Abänderung der materiellen Rechtslage. 59 Weite Verbreitung gefunden hat insbesondere der Ansatz, der zwar einen Einfluss des Urteils auf die materielle Rechtslage verneint, jedoch die Entscheidung bzw. den giudicato als neuen Tatbestand versteht, aus dem das geltend gemachte Recht künftig hergeleitet wird: Das Wesen der cosa giudicata wird danach in der autoritativen, verbindlichen Festlegung der rechtlichen Verhältnisse zwischen den Parteien gesehen, ohne dass aber hierdurch die (tatsächliche) materielle Rechtslage berührt würde. 60 B. Vergleichende Betrachtung Die Zielsetzung, einen erneuten Rechtsstreit über bereits abschließend Entschiedenes zu verhindern, ist den einzelnen Rechtsordnungen gemein. Im Hinblick auf die Zielrichtung der Rechtskraft fällt jedoch auf, dass die Rechtskraftlehren des englischen sowie des heutigen spanischen und französischen Rechts den Aspekt der Vermeidung einer erneuten Inanspruchnahme der Gerichte stärker betonen und daher ihre Rechtskraftkonzeption in der Grundausrichtung

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Chiovenda, Sulla cosa giudicata, in: Saggi di diritto processuale civile – Vol. 2, p. 399, 407 ss. 58 Vertreter eines materiellen Rechtskraftverständnisses waren z.B. Allorio, Problemi di diritto – Vol. II, p. 161 ss.; Busnelli, Rivista di diritto e procedura civile 1961, p. 1317, 1326 ss. 59 Vgl. die Ansätze von Falzea, Accertamento, in: Enciclopedia del diritto I, p. 205, 209 ss, 212 s.; ders., Efficacia giuridica, in: Enciclopedia del diritto XIV, p. 432, 498 ss., 506 s. (materiellrechtlich wirkende Präklusion); Liebman, Efficacia ed autorità della sentenza, in: Efficacia ed autorità della sentenza, ristampa 1983, p. 1, 39 ss. (Unterscheidung zwischen der efficacia della sentenza (im Sinne einer autoritativen, verbindlichen Festlegung des Rechtsverhältnisses) und der autorità della cosa giudicata (im Sinne einer Unabänderlichkeit in einem späteren Verfahren und des Verbots einer nochmaligen Entscheidung über die bereits entschiedene Frage)); Satta/Punzi, Diritto processuale civile, n. 118, p. 250 ss. 60 Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 1 ss.; ders., Il giudicato civile, p. 68; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 64; ders., Rivista di diritto processuale 1990, p. 386, 389 s.

§ 1 Grundlagen der nationalen Rechtskraftkonzeptionen

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stärker auf eine möglichst umfassende und in einem Verfahren konzentrierte Behandlung der Streitsache ausrichten. 61 Dass die Entscheidung dem Gericht des Erstverfahrens ab einem bestimmten Zeitpunkt entzogen ist und das Urteil dann nicht mehr durch den entscheidenden Richter abgeändert werden kann, nehmen alle untersuchten Rechtsordnungen an. Dieses Abänderungs- und Ergänzungsverbot wird in Deutschland als Teil der innerprozessualen Bindungswirkung, in Spanien als invariabilidad nach Art. 214 LEC, 62 in Frankreich als dessaisissement 63 und wohl auch in Italien als irrevocabilità von der Rechtskraftwirkung unterschieden. In England ist das Verhältnis zur res judicata nicht eindeutig, das Abänderungsverbot beruht aber wohl ähnlich wie beim dessaisissement des französischen Rechts eher auf einem Entfallen der richterlichen Entscheidungskompetenz (jurisdiction). Inwieweit eine positive Bindung an ein Zwischenentscheidungsergebnis im selben Verfahren durch die (formelle oder materielle) Rechtskraft bewirkt wird oder als zu trennendes Institut einzuordnen ist, wird selbst innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich bewertet. 64 Letztlich wird sie nur in Deutschland unstreitig von der Rechtskraft gesondert. Sämtliche untersuchten Rechtsordnungen kennen sowohl eine Wirkung des Urteils, die bei Streitgegenstandsidentität eine erneute Durchführung des Verfahrens verhindert, als auch eine in späteren Verfahren mit abweichendem Streitgegenstand greifende Bindung, die an die Präjudizialität der Feststellungen der ersten Entscheidung anknüpft. In der französischen Literatur wird eine Anerkennung einer Präjudizialbindung im Sinne einer autorité positive de la chose jugée allerdings teilweise in Frage gestellt. 65 Die angeführten Argumente betreffen aber eher das Zusammenspiel einer solchen Wirkung mit einer Bindung an Vorfragen. Neben eine negative Sperrwirkung tritt damit allgemein eine positive Bindungswirkung, ohne dass aber in allen Rechtsordnungen begrifflich so deutlich zwischen einer positiven und einer negativen Funktion oder Wirkungsrichtung der Rechtskraft unterschieden wird wie in der spanischen und französischen Rechtskraftlehre. 66

61 Vgl. zu dieser Zielsetzung der englischen Rechtskraftkonzeption Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S. 603, 613. In Frankreich war die Einführung der Konzentrationsobliegenheit durch die Cesareo-Entscheidung durch eine entsprechende Zielsetzung geprägt, die sich als Fortführung einer gewandelten rechtspolitischen Grundhaltung darstellt, ausführlich hierzu oben Zweites Kapitel § 1 F. II. 4. a. Ähnliche prozessökonomische Erwägungen gaben auch in Spanien Anlass zur Einführung des Art. 400 LEC, vgl. hierzu oben Zweites Kapitel § 2 G. II. 3. b. aa. 62 Oben Kapitel 2, § 2 B. II. 63 Oben Kapitel 2, § 1 B. I. 2. a. 64 Für Spanien oben Kapitel 2, § 2 B. II. 2., für Frankreich oben Kapitel 2, § 1 B. I. 2. 65 Hierzu oben Kapitel 2, § 1 C. I. 2. b. 66 Vgl. oben Kapitel 2, § 1 C. I. (Frankreich) und Kapitel 2, § 2 B. III. (Spanien).

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Ob die Wirkungen der Rechtskraft an die Rechtsmittelfestigkeit geknüpft sind, beurteilen die Rechtsordnungen unterschiedlich. Während Spanien, Deutschland und Italien die Wirkungen einer materiellen Rechtskraft von der Unanfechtbarkeit durch ordentliche Rechtsmittel abhängig machen und ein Nebeneinander streitgegenstandsidentischer Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt durch die fortdauernde Rechtshängigkeit, bzw. litispendencia oder litispendeza, verhindern,67 treten die Wirkungen der Rechtskraft in Frankreich und England schon mit der formalen Urteilsvollendung ein. 68 Im Hinblick auf das Wesen der Rechtskraft wird der intensive Austausch der Prozessrechtslehre insbesondere zwischen Deutschland, Italien und Spanien,69 aber auch der Einfluss italienischer Dogmatik auf die französische Rechtskraftlehre erkennbar.70 Trotz dieser gegenseitigen Beeinflussung haben sich die Rechtskraftlehren der untersuchten Rechtsordnungen jedoch nicht einheitlich entwickelt. Nahe stehen sich Deutschland und Spanien mit einem jeweils prozessualen Verständnis, ohne dass aber Spanien eine klare Unterscheidung zwischen Bindungstheorie und ne bis in idem-Lehre vornimmt.71 In der italienischen Rechtskraftlehre werden zunehmend Ansätze vertreten, die sich sowohl von einer prozessualen als auch von einer streng materiellen Rechtskraftlehre gelöst haben, wobei die Vorstellung, durch das Urteil erfolge eine verbindliche, gesetzesähnliche Festlegung der rechtlichen Verhältnisse zwischen den Parteien, weite Verbreitung gefunden hat. Diese Idee findet sich auch in Frankreich, wo sie sich in der Konzeption der autorité de la chose jugée als force de vérité légale widerspiegelt. 72 Eine prozessuale Theorie hat sich in Frankreich nie etabliert, das heute teilweise vertretene funktionale Verständnis der autorité de la chose jugée wird immer ergänzt durch die von Liebman beeinflusste Anerkennung einer die Rechtslage zwischen den Parteien beeinflussenden efficacité substantielle. 73 Von der Einordnung als gesetzliche Vermutung haben sich die Rechtsordnungen jedoch allesamt entfernt. Die in Frankreich und Italien entwickelten Ansätze weichen damit von den in Spanien und Deutschland vorherrschend vertretenen Rechtskraftlehren ab, auch weisen die einzelnen Rechtskrafttheorien durchaus deutliche nationale Eigenarten auf. Jedoch sind die vertretenen Ansätze zur Erklärung der Rechtskraft in den übrigen 67

Für Spanien oben Kapitel 2, § 2 B. III. Für Deutschland: Rechtshängigkeitseinwand nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, der bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft wirkt (Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 40 Rn. 1 ff., S. 165 f.). Für Italien: Art. 39 c.p.c. (zu deren Wirkung bis zum Eintritt der cosa giudicata formale des verfahrensbeendenden Urteils Luiso, Diritto processuale civile I, n. 22.1, p. 200.) 68 Für Frankreich oben Kapitel 2, § 1 B. I. 2. 69 Siehe oben Kapitel 2, § 2 A. I. 2. 70 Siehe oben Kapitel 2, § 2 A. I. 2. c. 71 Siehe oben Kapitel 2, § 2 C. II. 2. 72 Hierzu oben Kapitel 2, § 1 B. III. 1. b. 73 Hierzu oben Kapitel 2, § 1 B. III. 2.

§ 2 Die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Verfahren

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Rechtsordnungen nicht unbekannt und bewegen sich letztlich im Rahmen eines Meinungsspektrums, das auf der insbesondere in Italien und Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert geführten Diskussion beruht und sich durch Rezeptionsprozesse auch in Spanien und – in geringerem Maße – auch in Frankreich verbreitet hat. Hiervon unterscheidet sich das englische res judicata-Prinzip, das als common law-Prinzip weniger stark dogmatisch durchformt ist. Die verschiedenen Formen des res judicata und abuse of process estoppel sowie die doctrine of merger lassen zwar eine Rückführung auf eine einheitliche Natur und Wirkungsweise des res judicata-Prinzips kaum zu, liefern hierdurch aber ein sehr flexibles, ineinandergreifendes Instrumentarium für die Beurteilung im konkreten Einzelfall.

§ 2 Die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Verfahren: Prüfung von Amts wegen oder nur auf Einrede der Parteien? § 2 Die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Verfahren

Ob die Berücksichtigung der Rechtskraft nur auf Einwand einer Partei hin erfolgt oder ob das Gericht diese auch von Amts wegen prüfen darf, hängt in erheblichem Maße von der Natur und Zielrichtung des nationalen Instituts der Rechtskraft ab. A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre I. Berücksichtigung von Amts wegen in der deutschen Rechtskraftlehre Im deutschen Recht wird die Rechtskraft als Institut verstanden, das nicht nur den Interessen der Parteien, sondern in gleichem Maße auch dem öffentlichen Interesse an der Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dient. 74 Als solches ist die Rechtskraft sowohl als negative Prozessvoraussetzung bei Streitgegenstandsidentität als auch im Rahmen der Bindungswirkung bei Präjudizialität in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. 75 Zur Einführung der Tatsache des Vorliegens eines rechtskräftigen Urteils sowie zu entsprechenden Beweiserhebungen ist das Gericht zwar berechtigt, aber nicht

74 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 62 Rn. 19, S. 248; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 17 (S. 872); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 211. 75 BGH NJW 1989, 2133, 2134; BGH NJW 2008, 1227, 1228; BGH NJW 1993, 2304, 2305; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 12, 13; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 62 Rn. 19, S. 248; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 17 (S. 872); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 211; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 9, 11, 13; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 20.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

verpflichtet. 76 Eine Vereinbarung der Parteien über die Rechtskraft eines Urteils ist ebenso ausgeschlossen wie ein Verzicht auf die Rechtskraftwirkung, da die Rechtskraft der Parteidisposition entzogen ist. 77 II. Berücksichtigung nur auf Einwendung der Parteien im englischen Verfahrensrecht Obwohl auch das englische Recht annimmt, dass das res judicata-Prinzip sowohl den Interessen der Parteien als auch öffentlichen Interessen dient, wird die Berücksichtigung der res judicata traditionell von der Erhebung des entsprechenden Einwandes durch die Parteien abhängig gemacht: Will eine Partei sich auf den res judicata estoppel berufen, so bedarf dies der formalen Geltendmachung im Verfahren.78 Dem case law kann entnommen werden, dass die unterbliebene Geltendmachung als Verzicht (waiver) auf die estoppel-Wirkung gewertet wird, sofern die Partei tatsächlich die Möglichkeit hatte, den res judicata estoppel geltend zu machen.79 Das Gericht muss daher den bereits abschließend beurteilten Streitgegenstand bzw. den Streitpunkt erneut prüfen, wenn nicht eine der Parteien den Einwand des estoppel erhoben hat.80 In Teilen der Literatur wird die traditionelle Ablehnung einer Amtsprüfungsmöglichkeit 76

Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 211. Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 17; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 17, 18 (S. 872); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 212; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 6; a.A. Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß, 1968, S. 12 ff., 14. Der Ausschluss betrifft auch nach herrschender Meinung nur die Rechtskraft selbst, eine Vereinbarung über die festgestellte Rechtsfolge bzw. über das streitgegenständliche Recht ist dagegen möglich (Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 17; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 151 Rn. 18 (S. 872); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 212). 78 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 18.07. 79 Diese Regel wurde allerdings meist obiter dicta in Fällen erwähnt, in denen die Geltendmachung nicht möglich gewesen war, so z.B. in Morrison Rose & Partners v. Hillman [1961] 2 Q.B. 266, 276 f. Vgl. auch Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.80. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich der doctrine of merger ist dieses Ergebnis allerdings weniger eindeutig, basiert diese doch auf der Annahme, dass die cause of action untergeht und die ergangene Entscheidung an ihre Stelle tritt, vgl. Republic of India v. India Steamship Co. Ltd. [1993] A.C. 410, 423 („it is perhaps more difficult for a plea of waiver or estoppel to be effective in a case where the doctrine of merger in judgment applies, since the effect of the merger is that the cause of action ceases to exist“). Für „dogmatisch weniger klar“ hält den Ausschluss einer Berücksichtigung des merger von Amts wegen auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 247, Fn. 148. 80 So die Beschreibung der traditionellen Position des englischen Rechts bei Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.80 (diese im Ergebnis aber ablehnend). Vgl. auch Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 926. Da das Gericht gegen Prozessmissbrauch auch von Amts wegen vorgehen kann, wird hinsichtlich eines auf Prozessmissbrauch gestützten estoppel aber eine Berücksichtigung von Amts wegen für möglich gehalten, so Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.80. 77

§ 2 Die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Verfahren

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jedoch mittlerweile in Frage gestellt: Eine erneute Durchführung eines Verfahrens zu einer bereits abschließend beurteilten Streitsache bzw. die erneute Prüfung eines bereits beurteilten Streitpunktes widerspricht nach dieser Auffassung der auch in den Civil Procedure Rules81 zum Ausdruck kommenden Zielsetzung einer möglichst prozessökonomischen und zügigen Abwicklung des Verfahrens.82 III. Entwicklung hin zur Berücksichtigung von Amts wegen im italienischen Recht Die Beurteilung der Berücksichtigungsfähigkeit der cosa giudicata von Amts wegen hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt: Lange Zeit hatte die Rechtsprechung eine Berücksichtigung von Amts wegen nur im Hinblick auf den im selben Verfahren wirkenden giudicato interno zugelassen, der giudicato esterno sollte dagegen als Einwendung im engen Sinne (eccezione in senso stretto) nur bei entsprechender Geltendmachung durch die Parteien geprüft werden.83 Demgegenüber vertrat die Literatur schon früh, dass die cosa giudicata (auch im Sinne des giudicato esterno) von Amts wegen zu berücksichtigen sei und nicht Gegenstand eines Verzichtes sein könne. 84 Seit Mitte der Neunzigerjahre85 hat sich auch die Position der Rechtsprechung grundlegend gewandelt: Auf Grundlage eines Verständnisses als primär öffentlichen Interessen dienendes Institut 86 wird nunmehr auch die autorità del giudicato 81 CPR 1.1 (2) „Dealing with a case justly and at proportionate cost includes, so far as is practicable – […] (e) allotting to it an appropriate share of the court’s resources, while taking into account the need to allot resources to other cases; […]“. 82 So Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.80. 83 Statt vieler: Corte di Cassazione, 1. Dezember 1988, n. 6514, Repertorio del Foro Italiano 1988, voce Cosa giudicata civile, n. 14, p. 663; Corte di Cassazione, 11. November 1991, n. 12011, Repertorio del Foro Italiano 1991, voce Cosa giudicata civile, n. 20, p. 709; Corte di Cassazione, 19. Februar 1997, n. 1509, Repertorio del Foro Italiano 1997, voce Cosa giudicata civile, n. 13, p. 824. 84 Liebman, Sulla rilevabilità d’ufficio dell’eccezione di cosa giudicata, in: Efficacia ed autorità della sentenza, p. 171 ss.; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 786. Vgl. auch schon Chiovenda, Sulla cosa giudicata, in: Saggi di diritto processuale civile – Vol. 2, p. 399, 409 (keine Einwendung im eigentlichen Sinne). Aus der heutigen Literatur: Luiso, Diritto processuale civile I, n.18.4, p. 154; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 27, p. 164 s; a.A. Satta/Punzi, Diritto processuale civile, n. 121, p. 258 (Unterscheidung zwischen giudicato interno und externo wie in der (früheren) Rechtsprechung). 85 Zu den ersten Entscheidungen gehören: Corte di Cassazione, 23. Oktober 1995, n. 11018, Il Foro Italiano 1996, I, 599, 606; Corte di Cassazione, 14. Juni 1999, n. 5886, Il Foro Italiano 2000, I, p. 856. 862 („eccezione in senso lato, e, come tale, rilevabile senza preclusioni anche ex officio e nel giudizio d’appello“). 86 Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 25. Mai 2001, n. 226/SU, Il Foro Italiano 2001, I, 2810, 2821: „L’autorità del giudicato è riconosciuta non nell’interesse del singolo soggetto che lo ha provocato, ma nell’interesse pubblico e quindi vale […] per l’interna comunità.“

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

esterno heute als Einwendung im weiten Sinne (eccezione in senzo lato) verstanden, die das Gericht in jeder Phase des Verfahrens von Amts wegen berücksichtigen kann und muss, sofern sich die Existenz eines rechtskräftigen Urteils aus den Akten und beigebrachten Urkunden ergibt. 87 Auch ein Verzicht auf die Wirkung des giudicato ist ausgeschlossen.88 B. Vergleich mit der Rechtskraftlehre Frankreichs und Spaniens Das deutsche und das englische Recht vertreten im Hinblick auf die Berücksichtigung der Rechtskraft im späteren Prozess traditionell entgegengesetzte Positionen. Der nicht nur die Berücksichtigung von Amts wegen vorschreibende, sondern auch die Einführung der Tatsache der Existenz der rechtskräftigen Entscheidung durch das Gericht zulassende deutsche Ansatz bildet letztlich den Gegenpol zur traditionellen englischen Position, die eine Berücksichtigung nur bei Geltendmachung des res judicata estoppel zulässt. Sowohl die spanische89 als auch die französische90 Rechtkraftlehre haben sich wie das italienische Recht von einer Berücksichtigungsfähigkeit nur bei Einwendung der Parteien fortbewegt und lassen heute wie das deutsche Recht eine Berücksichtigung von Amts wegen zu. Während allerdings in Spanien und Italien hierfür eine stärkere Betonung der öffentlichen Interessen dienenden Zielsetzung Ausschlag gebend war,91 hält die französische Lehre im Grundsatz an der Einordnung der autorité de la chose jugée als privaten Interessen dienendes Institut fest. Eine Berücksichtigung von Amts wegen wird in Frankreich erst durch die ausdrückliche gesetzliche Regelung im Code de procédure civile ermöglicht. 92 Trotz des Festhaltens an der Einordnung als den Parteiinteressen dienendes Institut war aber auch die gesetzliche Einführung der Amtsprüfung in Frankreich von der Zielsetzung geleitet, eine Führung erneuter Verfahren trotz offensichtlichen Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung zu vermeiden. 93 87

Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 25. Mai 2001, n. 226/SU, Il Foro Italiano 2001, I, 2810, 2822 („Se il giudice, in presenza di un giudicato interno, è obbligato a rilevarlo d’ufficio, a prescindere di qualsiasi instanza di parte […] allo stesso modo è obbligato a rilevare l’esistenza di un giudicato esterno, una volta che quest’ultimo è entrato a far parte del materiale documentale acquisito al processo.“); Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 17. Juni 2006, n. 13916, Il Foro Italiano 2007, I, 493, 497; Corte di Cassazione, 3. März 2010, n. 5091, Il Foro Italiano 2010, I, 3450, 3451 f. (Diesbezüglich nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Rechtsprechung die Darstellung bei Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 36). 88 Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 25. Mai 2001, n. 226/SU, Foro Italiano 2001, I, 2810, 2821 s. 89 Siehe oben Kapitel 2 § 2, D. II. 1. b. 90 Siehe oben Kapitel 2 § 1 C. II. 2. 91 Für Spanien siehe oben Kapitel 2, § 2 D. II. 1. 92 Siehe oben Kapitel 2 § 1 C. II. 2. 93 Zu den Hintergründen der Gesetzesänderung oben Kapitel 2 § 1 C. II. 2. a.

§ 3 Rechtskraftfähige Entscheidungen

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Unterschiede im Verhältnis zur Lösung des deutschen, spanischen und italienischen Rechts bestehen allerdings insoweit, als das französische Recht im Regelfall keine obligatorische Berücksichtigung von Amts wegen vorsieht. Aber auch wenn es dem Gericht daher möglich ist, trotz Kenntnisnahme von der Existenz der rechtskräftigen Entscheidung von einer Berücksichtigung der autorité de la chose jugée abzusehen, dürfte dieser Fall angesichts des Eigeninteresses des Gerichts an einer zügigen Verfahrensbeendigung in der Praxis selten sein. Das deutsche Recht geht im Vergleich zu den romanischen Rechtsordnungen weiter, indem es auch eine Einführung der Tatsache des rechtskräftigen Urteils und eine entsprechende Beweiserhebung von Amts wegen zulässt. Damit gesteht das deutsche Recht dem Richter die weitreichendsten Befugnisse im Hinblick auf die Berücksichtigung einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren zu, während das englische Recht den restriktivsten Ansatz verfolgt. Die untersuchten romanischen Rechtsordnungen haben sich von der im englischen Recht noch fortgeltenden Berücksichtigung allein bei entsprechender Einwendung einer Partei entfernt und zu einer zumindest möglichen Prüfung von Amts wegen hinbewegt. Die Bedeutung dieser Unterschiede sollte jedoch nicht überbetont werden, denn auch in den Rechtsordnungen, die eine Berücksichtigung von Amts wegen zulassen, wird die Existenz einer rechtskräftigen Entscheidung dem Gericht häufig erst über die Parteien zur Kenntnis gebracht. Zudem hat regelmäßig zumindest eine der Parteien ein Interesse daran, eine erneute oder abweichende Beurteilung des Ergebnisses des ersten Verfahrens zu verhindern, und wird sich daher auf die rechtskräftige Entscheidung berufen.94 Hierdurch relativieren sich selbst die Unterschiede zum englischen Recht. Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass das Anliegen einer prozessökonomischen Vermeidung erneuter richterlicher Überprüfung zunehmend Anlass gegeben hat, den Gerichten zumindest die Möglichkeit einer Berücksichtigung der Rechtskraft von Amts wegen zu eröffnen.

§ 3 Rechtskraftfähige Entscheidungen § 3 Rechtskraftfähige Entscheidungen

Welchen Entscheidungen die einzelnen Rechtsordnungen Rechtskraft zuschreiben, wird ebenfalls unterschiedlich beurteilt. Die im Folgenden vorge-

94 Dass aus der Zulassung oder Ablehnung der Berücksichtigung von Amts wegen bedeutende praktische Unterschiede erwachsen, bezweifeln daher auch Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 47.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

nommene Betrachtung beschränkt sich auf den Umriss der jeweils entwickelten Grundregel sowie auf die Frage der Rechtskraftfähigkeit von Prozessurteilen und Zwischenentscheidungen. A. Die deutsche, englische und italienische Rechtskraftlehre I. Die deutsche Rechtskraftlehre Der materiellen Rechtskraft fähig sind nach deutschem Recht alle endgültigen und vorbehaltslosen Entscheidungen. 95 Die Endgültigkeit des Ausspruchs über die Klage ist damit das maßgebliche Kriterium für die Bestimmung der Rechtskraftfähigkeit. Da auch Prozessurteile, welche die Klage wegen des Fehlens einer Prozessvoraussetzung oder wegen eines Prozesshindernisses abweisen, eine solche endgültige Entscheidung über die Klage enthalten, sind sie der materiellen Rechtskraft fähig. 96 Das Erfordernis der Endgültigkeit ist dagegen bei Zwischenurteilen grundsätzlich nicht erfüllt, insoweit greift aber die innerprozessuale Bindungswirkung nach § 318 ZPO. 97 Nur bei sog. unechten Zwischenurteilen, die gegenüber Dritten ergehen und im Verhältnis zu diesen einen Zwischenrechtsstreit endgültig entscheiden, kann die materielle Rechtskraft bejaht werden.98 Im Hinblick auf Arrest und einstweilige Verfügung ist zu differenzieren: Im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren kommt den Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes keine materielle Rechtskraft zu. Dies ergibt sich schon daraus, dass Gegenstand der Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes die Zulässigkeit der zwangsweisen Sicherung des Anspruchs, aber ge-

95 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 1 (S. 872); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 3. Ebenfalls auf die Endgültigkeit abstellend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 48. Die „Feststellung einer Rechtslage“ für ausschlaggebend haltend Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322, Rn. 8. 96 BGH NJW 1985, 2535; BGH NJW-RR 2007, 578, 579; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 4 ff. (S. 873); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 55; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 3; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322, Rn. 8. 97 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 9 (S. 873); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 51; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 4; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322, Rn. 8. 98 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 152 Rn. 9 (S. 873); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 52; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 3; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322, Rn. 8.

§ 3 Rechtskraftfähige Entscheidungen

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rade nicht das Bestehen oder Nichtbestehen des im Hauptsacheverfahren gegenständlichen Anspruchs oder Rechtsverhältnisses ist. 99 Damit ist im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren nicht nur die Streitgegenstandsidentität ausgeschlossen, vielmehr kann die Entscheidung über die Zulässigkeit der Anspruchssicherung im einstweiligen Rechtsschutz auch nicht als Vorfrage der Entscheidung über den Anspruch angesehen werden, so dass auch eine Bindungswirkung wegen Präjudizialität ausgeschlossen ist. 100 Diskutiert wird allerdings, ob den Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf nachfolgende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes materielle Rechtskraft zuzubilligen ist. Dies ist in der Literatur umstritten. Gegen eine Rechtskraftfähigkeit werden heute deren unklarer Gegenstand101 sowie die lediglich summarische Prüfung des Arrest- bzw. Verfügungsanspruchs und -grundes102 angeführt. Statt die materielle Rechtskraft zur Anwendung zu bringen, wird vorgeschlagen, eine erneute Stellung eines identischen Antrags (bei unveränderter Tatsachenlage) durch Annahme der Rechtsmissbräuchlichkeit 103 einer solchen Antragstellung bzw. die Ablehnung des Rechtsschutzbedürfnisses104 zu verhindern. Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur 105 bejaht dagegen eine materielle Rechtskraftfähigkeit, trägt bei der Zuerkennung der Rechtskraftwirkungen aber den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes durch eine gewisse Modifizierung der allgemeinen Rechtskraftregeln Rechnung: Die materielle Rechtskraft einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag steht danach sowohl einer Infragestellung durch den Antragsgegner im Wege des (erneuten) Widerspruchs als auch einem erneuten identischen Antrag des Antragstellers entgegen, sofern sich nicht die zugrunde liegenden Umstände geändert haben. 106 Auch schließt eine Abweisung wegen fehlender Schlüssigkeit des Antrags im Hinblick auf den An-

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Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 51.27; M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 6; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 916 Vorbem, Rn. 2. 100 MüKO/Drescher, ZPO, Vorbem. zu den §§ 916 ff., Rn. 28; Stein/Jonas/Grunsky, vor § 916 Rn. 13; M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 7. 101 So Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO, Vor § 916, Rn. 16. 102 So Bongen/Renaud, NJW 1991, 2886, 2887. 103 Bongen/Renaud, NJW 1991, 2886, 2888. 104 So Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO, Vor § 916, Rn. 16. 105 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 51.27; Stein/Jonas/Grunsky, vor § 916 Rn. 14; M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 13 ff.; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 922 Rn. 8 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 916, Rn. 13. Unklar (Rechtskraft oder Rechtsmissbrauch) MüKO/Drescher, ZPO, Vorbem. zu den §§ 916 ff., Rn. 29. 106 M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 19; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 916, Rn. 13.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

spruchsgrund bzw. wegen fehlender Dringlichkeit vorbehaltlich einer nachträglichen Tatsachenveränderung einen erneuten Antrag aus. 107 Die Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes finden aber insoweit Berücksichtigung, als eine erneute Antragstellung auch bei unveränderter Tatsachengrundlage möglich ist, wenn der Arrest nicht innerhalb der Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen werden konnte. 108 Zudem soll eine erneute Antragstellung nach abweisender Entscheidung auch dann möglich sein, wenn dem Antragsteller neue Mittel zur Glaubhaftmachung der bereits zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens bekannten Tatsachen zur Verfügung stehen. 109 An einer höchstrichterlichen Entscheidung zur Rechtskraft des zivilprozessualen einstweiligen Rechtsschutzes fehlt es bislang. 110 Die obergerichtliche Rechtsprechung geht jedoch von einem Greifen der (beschränkten) materiellen Rechtskraft aus. 111 II. Die englische Rechtskraftlehre Auch der estoppel per rem judicatam setzt eine endgültige Entscheidung voraus (final judgment), verlangt daneben aber auch das Vorliegen einer Entscheidung in der Sache (decision on the merits). 112 Dies hat zur Folge, dass aus einer Klageabweisung aus prozessualen Gründen kein res judicata estoppel abgeleitet werden kann.113

107 Stein/Jonas/Grunsky, vor § 913 Rn. 15; M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 20; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 922 Rn. 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 916, Rn. 13. 108 M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 19; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 922 Rn. 9; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 916, Rn. 13. 109 Stein/Jonas/Grunsky, vor § 916 Rn. 16; M. Stürner, ZZP 125 (2012), S. 3, 20 f.; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 922 Rn. 10. 110 In BGH NJW 2005, 436, 437 wurde zwar eine Rechtskraftfähigkeit bejaht, jedoch betraf die Entscheidung einen Amtshaftungsfall und eine einstweilige Verfügung nach § 123 VwGO. 111 OLG Frankfurt NJW 1968, 2112, 2113 (wenn auch im konkreten Fall ablehnend); OLG Köln GRUR-RR 2005, 363, 364; OLG Frankfurt a.M. BauR 2003, 287. 112 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 1.02, 5.01 ss., 6.01 ss.; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.93. 113 The Sennar (No. 2) (DSV Silo-und Verwaltungsgesellschaft mbH v Owners of The Sennar and 13 Other Ships) [1985] 1 W.L.R. 490, 499 (per Lord Brendan: „Looking at the matter negatively a decision on procedure alone is not a decision on the merits. Looking at the matter positively a decision on the merits is a decision which establishes certain facts as proved or not in dispute; states what are the relevant principles of law applicable to such facts; and expresses a conclusion with regard to the effect of applying those principles to the factual situation concerned.“); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 6.02; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.93. Dagegen soll eine Anwendung des abuse of process-Grundsatzes auch bei prozessualen und nicht endgültigen Entscheidungen in Betracht kommen, vgl. Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.95

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Die Endgültigkeit der Entscheidung ist gegeben, wenn die Entscheidung die Streitsache abschließend und nicht lediglich vorläufig regelt. 114 Den final decisions werden hierbei häufig die sog. interlocutory decisions bzw. interim decisions/remedies115 gegenübergestellt, 116 jedoch kann hieraus nicht geschlossen werden, dass die Wirkungen des res judicata estoppel bei sämtlichen interlocutory/interim decisions zu verneinen sind. Eine einheitliche Bewertung der Rechtskraftfähigkeit dieser Entscheidungen ist kaum möglich: Zum einen werden unter den Begriff der interlocutory oder interim decisions eine große Vielzahl von gerichtlichen Maßnahmen gefasst, 117 die sich nur grob in Entscheidungen mit Sicherungscharakter (protective orders) und mit Prozessleitungscharakter (process orders) unterteilen lassen.118 Zum anderen hat die Rechtsprechung keine einheitliche Regel zur Beurteilung ihrer Rechtskraftfähigkeit aufgestellt: 119 Zwar wird zum Teil von einer im Regelfall fehlenden res judicata-Wirkung dieser Entscheidungen ausgegangen, 120 jedoch wird im Hinblick auf interim decisions, die nicht rein prozessualer Natur sind, auch immer wieder ein res judicata estoppel bejaht.121 Letztlich wird einzelfallbezogen beurteilt, ob im jeweiligen Fall eine abschließende Entscheidung in der Sache 114 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.93: „A decision is final in this sense if it conclusively (as distinguished from provisionally) disposes of the matter.“ 115 Terminologisch besteht keine Einigkeit hinsichtlich der Verwendung der verschiedenen Begriffe. CPR 25.1 spricht von „interim remedies“, die Bezeichnung „interlocutory“ entspricht der vor Einführung der CPR verwendeten Terminologie, hierzu Zuckerman, On Civil Procedure, para.10.4, note 2. 116 So bei Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.02. 117 Vgl. die Auflistung der interim remedies in CPR 25.1. 118 Vgl. zu dieser Kategorisierung Zuckerman, On Civil Procedure, para.10.2. 119 Vgl. die einzelfallbezogene Aufführung von „interlocutory decisions final for res judicata“ einerseits und „interlocutory orders not final for any purpose“ bei Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.31, 5.32. Zum Fehlen klarer Regeln, wann die res judicata-Wirkungen auch bei interlocutory decisions greifen können: Germelmann, Die Rechtkraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 231. 120 So z.B. formuliert in der Entscheidung Possfund Custodian Trustee Ltd. and Another v Diamond and Others v Mcgrigor Donald (A Firm) (Third Party) [1996] 1 W.L.R. 1351, 1356 per Lightman J. (“Whilst the doctrine of res judicata may at least ordinarily be inapplicable in respect of an earlier interlocutory decision …”) unter Bezugnahme auf Dombey & Son, Limited v Playfair Brothers and Others [1897] 1 Q.B. 368, 369 (darin Lord Esher: “It is said, however, […]that the matter is res judicata and cannot be reopened. This argument appears to me to be untenable, for the matter adjudicated on is not the action, but merely a step in the action.”). 121 Vgl. z.B. Desert Sun Loan Corp v Hill [1996] C.L.C. 1132, 1140, per Evans L.J. (“So it would seem that the rule defined in terms of ‘a final judgment on the merits’ cannot apply when there was no more than an interlocutory decision on a procedural and non-substantive issue. But there are strong contrary arguments. […] Moreover, the fact that procedural or interlocutory issues do not involve ‘causes of action’ in the strict sense does not mean that their independent existence cannot be recognised in appropriate circumstances.”); Chanel Ltd. v F. W. Woolworth & Co. Ltd. and Others [1981] 1 W.L.R. 485, 492 f., per Buckley L.J. (“Even in

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getroffen wurde (oder ein Prozessmissbrauch vorliegt). Unabhängig davon, ob sich aus interim decisions ein res judicata estoppel ergeben kann, sind aber ihrer Abänderung durch den erlassenden Richter selbst gewisse Grenzen gesetzt: Die in CPR 3.1 (7) 122 vorgesehene Befugnis des Richters zur Abänderung seiner Entscheidungen 123 wird in der Rechtsprechung häufig auf Fälle beschränkt, in denen sich die entscheidungserheblichen Umstände verändert haben oder in denen die Entscheidung auf einer Täuschung des Gerichts beruht.124 Eine freie Abänderung ist jedenfalls ausgeschlossen. 125 Eine Besonderheit weist das englische Recht insoweit auf, als dass die Zuerkennung der Wirkungen des res judicata-Prinzips auch die Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts (jurisdiction) voraussetzt. 126 interlocutory matters a party cannot fight over again a battle which has already been fought unless there has been some significant change of circumstances, or the party has become aware of facts which he could not reasonably have known, or found out, in time for the first encounter.”); unter Bezugnahme auf diese Entscheidung auch Possfund Custodian Trustee Ltd. and Another v Diamond and Others v Mcgrigor Donald (A Firm) (Third Party) [1996] 1 W.L.R. 1351, 1356 per Lightman J. (“This principle applies where in the previous battle the substantive issue between the parties has been decided, and not where on account of some remedial procedural error or omission the substantive issue has had to be left undecided.”). Vgl. auch Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.31 und die dort zitieren Fälle. 122 CPR 3.1 (7): “A power of the court under these Rules to make an order includes a power to vary or revoke the order.” 123 Obwohl dies noch nicht abschließend in der Rechtsprechung entschieden ist, wird angenommen, dass sich die in Art. 3.1 (7) vorgesehene Befugnis nur auf Prozessleitungsmaßnahmen (case management decisions) und sonstige interim decisions beschränkt, so Zuckerman, On Civil Procedure, para. 23.43. 124 Lloyds Investment (Scandinavia) Limited v. Christen Ager-Hanssen [2003] EWHC 1740 (Ch) [at 7] per Patten J. („[I]t seems to me that, for the High Court to revisit one of its earlier orders, the Applicant must either show some material change of circumstances or that the judge who made the earlier order was misled in some way, whether innocently or otherwise, as to the correct factual position before him.“); Collier v Williams [2006] 1 W.L.R. 1945, 1983, [at 119] („But it is a wrong exercise of this power to vary or revoke an order where there has been no material change of circumstances since the earlier order was made and/or no material is brought to the attention of the second court which was not brought to the attention of the first. A party who unsuccessfully deploys all his material before a court should not be allowed to have a second bite of the cherry merely because he failed to succeed on the first occasion.“) (jeweils aber zu interim decisions mit Prozessleitungscharakter). Die Zulässigkeit einer Abänderung von interim injunctions und freezing injunctions auf Grundlage von CPR 3.1 (7) auf Fälle veränderter Umstände beschränkend: Zuckerman, On Civil Procedure, para. 10.167. 125 Tibbles v SIG plc (trading as Asphaltic Roofing Supplies) [2012] 1 W.L.R. 2591, 2602, [at 39] (“The rule [CPR 3.1 (7)] is apparently broad and unfettered, but considerations of finality, the undesirability of allowing litigants to have two bites at the cherry, and the need to avoid undermining the concept of appeal, all push towards a principled curtailment of an otherwise apparently open discretion.”). 126 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 4.01. Ebenso Andrews, On Civil Processes, para. 16.15.

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III. Die italienische Rechtskraftlehre Eine abstrakte Formulierung der Anforderungen an eine rechtskraftfähige Entscheidung findet sich in Italien selten, vielmehr werden für verschiedene Entscheidungs- und Verfahrensarten gesonderte Lösungen entwickelt und diskutiert. Die Darstellung lässt sich ausrichten an einer Unterscheidung zwischen Sachurteilen (sentenze sul merito) und der Abweisung wegen prozessualen Mangels (sentenza di rito), zwischen endgültigen und nicht endgültigen Entscheidungen (sentenze definitive/7non defnitive) sowie der gesonderten Betrachtung der summarischen Verfahrensarten (procedimenti sommari). Die italienische Rechtskraftlehre weist die Wirkungen der cosa giudicata materiale den Sachentscheidungen zu. Entscheidungen über prozessuale Mängel entfalten dagegen nach traditionellem Verständnis im späteren Verfahren grundsätzlich keine der Wirkungen der cosa giudicata materiale.127 Gestützt auf die Regelungen in Art. 310, II c.p.c. und Art. 382 c.p.c. nimmt die traditionelle Rechtskraftlehre jedoch von diesem Grundsatz die Entscheidungen der Corte di cassazione über die Rechtswegzuständigkeit (giurisdizione) und Zuständigkeit (competenza) aus. 128 Teile der jüngeren Lehre betonen dagegen, dass sich die gegen eine Rechtskraftfähigkeit von Prozessentscheidungen angeführten Argumente primär gegen die Rechtskraft der Entscheidungen über prozessuale Vorfragen richten,129 die Gegenstand einer prozessualen Zwischenentscheidung (sentenza non definitive di rito) waren oder im Sinne des giudicato implicito als durch die Entscheidung in der Sache impliziert angesehen werden. Prozessualen Endurteilen soll dagegen nach dieser Ansicht in einem späteren Verfahren die Wirkung der cosa giudicata materiale zukommen,130 sofern sie über Prozessvoraussetzungen entscheiden, die sich nicht auf die konkrete Prozesssituation beziehen. 131 127 Corte di Cassazione, 22. März 1995, n.3313, Repertorio del Foro Italiano 1995, voce Cosa giudicata civile, n. 5, p. 831; Corte di Cassazione 8. März 1995 n. 2697, Repertorio del Foro Italiano 1995, voce Cosa giudicata civile, n.6, p. 831; Chiovenda, Cosa giudicata e competenza, in: Saggi di diritto processuale civile – Vol. 2, p. 411, 423; Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 606, p. 2053; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 839 ss. Eine innerprozessuale Bindung des Richters im selben Verfahren wird aber bejaht, vgl. Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 606.1, p. 2054 s. 128 Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 605, p. 2051 s. Dagegen nur für eine von der cosa giudicata zu unterscheidende efficacia panprocessuale, die nur im Falle einer identischen Klage wirken soll: Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 83. 129 So Luiso, Diritto processuale civile I, n. 21.6, p. 198. 130 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 21.6, p. 198 s. 131 Zu den Prozessurteilen, denen die Wirkungen der cosa giudicata materiale in einem späteren Verfahren zukommen, gehören danach Urteile zur Rechtswegzuständigkeit, Zuständigkeit, Prozessführungsbefugnis (leggitimazione) und zum Rechtsschutzinteresse (interesse

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Im Hinblick auf Entscheidungen in der Sache lässt sich die Endgültigkeit der Entscheidung nicht ohne Weiteres als Kriterium der Rechtskraftfähigkeit identifizieren, wie sich an der Diskussion um die Rechtskraftfähigkeit der Zwischenentscheidungen über rechtlich-tatsächliche Vorfragen zur Sache (sentenze non definitive su questioni preliminari di merito) zeigt.132 In der italienischen Literatur ist höchst umstritten, 133 ob sich die Verbindlichkeit dieser Entscheidungen auf den Prozess beschränkt, in dem sie ergangen sind, 134 oder ob sie auch in einem späteren Verfahren Wirkungen entfalten. 135 Die Einordnung als summarisches Verfahren (und trotz des Wortlautes des Art. 2909 c.c. („sentenza“) auch die formale Entscheidungsform) ist für die Entscheidung über die Rechtskraftfähigkeit einer Sachentscheidung nicht bestimmend. Vielmehr wird weitergehend differenziert: Den summarischen Verfahren ohne reinen Sicherungscharakter (procedimenti sommari non cautelari), die als wählbare Verfahrensarten summarischen Charakters neben das Normalverfahren treten, wird ganz überwiegend die cosa giudicata materiale zugebilligt. Für die Entscheidung (ordinanza) im summarischen Erkenntnisverfahren nach Art. 702-bis ff. c.p.c. (procedimento sommario di cognizione) ergibt sich dies schon aus der gesetzlichen Anordnung. 136 Nach herrschender Meinung ist die Rechtskraftfähigkeit auch im Hinblick auf den Mahnbescheid (decreto ingiuntivo non opposto, Art. 633 ff c.p.c.) 137 und die Entscheidung über die ad agire), nicht dagegen beispielsweise eine Klageabweisung wegen unwirksamer Bevollmächtigung des Prozessvertreters, vgl. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 21.6, p. 197. 132 Dies betrifft nicht den Fall, dass eine Entscheidung über ein präjudizielles Rechtsverhältnis beantragt wurde oder gesetzlich vorgesehen ist. Der in diesem Fall ergehenden Entscheidung im Sinne des Art. 34 C.p.c. kommen ohne Weiteres die Wirkungen der cosa giudicata zu (Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 118). 133 Ausführlich Dalfino, Questioni di diritto e giudicato, 2008, p. 154 ss. 134 So Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 448.1, p. 1574. 135 So z.B. Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 119, aber lediglich in Form einer sog. efficacia panprocessuale, die nur dann eine Präklusion bewirkt, wenn noch einmal eine identische Klage geltend gemacht wird, nicht aber als Bindung in einem späteren Verfahren, in dem die Frage vorgreiflich ist. 136 Hier ergibt sich die Rechtskraftfähigkeit schon aus dem Gesetz, vgl. Art. 709-quater c.p.c.: „L’ordinanza emessa ai sensi del sesto comma dell’articolo 702-ter produce gli effetti di cui all’articolo 2909 del codice civile se non è appellata entro trenta giorni dalla sua comunicazione o notificazione.[…]“. Vgl. Auch Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 13.8, p. 138; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile IV, § 53, p. 392 s.. 137 Corte di Cassazione, 2. April 1987, n. 3188, Il Foro Italiano 1988, I, p. 3341, 3344; Corte di Cassazione, 20. April 1996, n. 3757, IlForo Italiano 1998, I, p. 1980, 1987; Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 14.17, p. 154 ss.; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile III, § 7, p. 54 s. Vgl. aber Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 1. März 2006, n. 4510, Il Foro Italiano 2006, I, p. 2039, 2045 s. (Beschränkung der Wirkungen auf die Anträge, denen das Gericht im decreto ingiuntivo stattgegeben hat, nicht aber auf abgewiesene Anträge). Gegen eine Zuerkennung der Wirkungen der cosa giudicata aber Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 597.1, p. 2031.

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Bestätigung der Mietvertragsbeendigung (convalida di sfratto, art. 657 ff. c.p.c.)138 zu bejahen. Bedenken werden jedoch hinsichtlich der nach weit verbreiteter Ansicht mit der cosa giudicata materiale verbundenen Bindung auch an logisch vorgelagerte Vorfragen und der Präklusion nicht vorgetragener Fragen139 geäußert: Eine solche Bindung sei bei summarischen Verfahren nicht gerechtfertigt, weshalb den in diesen Verfahren ergehenden Entscheidungen nur eine eingeschränkte autorità de la cosa giudicata bzw. eine preclusione pro iudicato zuzugestehen sei, die nur den abschließenden Rechtsfolgenausspruch verbindlich mache. 140 Die herrschende Ansicht rechtfertigt die umfassende Zuerkennung aller Wirkungen der cosa giudicata damit, dass die Verfahren als summarische Alternative mit entsprechenden Einschränkungen vom Kläger bewusst gewählt werden und der Beklagte die Möglichkeit hat, durch Widerspruch eine Prüfung im nicht summarischen, ordentlichen Streitverfahren zu veranlassen.141 Bei summarischen Verfahren mit Sicherungscharakter, also insbesondere den Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes wie dem sequestro (art. 670 ff. c.p.c.) oder der istruzione preventiva (Art. 692 ff. c.p.c.), wird dagegen eine vollumfängliche autorità de la cosa giudicata abgelehnt:142 Der Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes kommt im Hinblick auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren (provvedimento di merito) keine der Wirkungen der cosa giudicata zu.143 Allerdings wird teilweise von einer Bindungswirkung beschränkten Umfangs gesprochen,144 da Art. 669-decies c.p.c. eine Änderung oder Aufhebung in einem erneuten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oder in der Instruktionsphase des Hauptsacheverfahrens nur bei Veränderung

138 Corte di Cassazione, 23. Oktober 1968, n. 3429, Il Foro Italiano 1969, I, 1284, 1287; Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 16.14, p. 183; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile III, § 10, p. 68 s. A.A. wohl Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 597.1, p. 2031. 139 Hierzu unten Kapitel 3§ 4 A III und § 6 A III. 140 So Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 80 s. (unter Bezugnahme auf die von Redenti vertretene Mindermeinung (als solche versteht sie auch Proto Pisani („parte minoritaria della dottrina“)), die lediglich eine autorità de la cosa giudicata minore bzw. eine preclusione pro iudicato bejaht). 141 Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 14.17, p. 155 s. (decreto ingiuntivo), n. 16.14, p. 183 (convalida di sfratto). Gegen die Anerkennung einer nur eingeschränkten Wirkung des giudicato auch Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile III, § 7, p. 55 (nota 131) (die italienische Rechtsordnung kenne nur eine Form der efficacia di giudicato). 142 Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 18.20, p. 226. 143 Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 18.20, p. 226; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile IV, § 46, p. 322. 144 Luiso, Diritto processuale civile IV, n. 18.20, p. 226 („una sorta di ‚giudicato‘ cautelare“).

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

der zugrunde liegenden Umstände oder bei nachträglicher Kenntniserlangung von entscheidungserheblichen Tatsachen ermöglicht. 145 B. Vergleich mit der französischen und spanischen Rechtskraftlehre Dem Ansatz des deutschen und französischen Rechts, 146 auch Prozessurteilen die Wirkungen der (materiellen) Rechtskraft zuzusprechen, steht die klare Beschränkung der Rechtskraft auf Sachentscheidungen im englischen Recht gegenüber. Die italienische Rechtsordnung lehnt traditionell die materielle Rechtskraft der Prozessurteile ab und lässt hiervon nur sehr begrenzte Ausnahmen zu. Schwierigkeiten bereitet die Verortung der spanischen Position, stehen sich hier doch die Literatur mit einer klaren, am Gesetzeswortlaut des Art. 222 LEC orientierten Ablehnung der materiellen Rechtskraftfähigkeit der Prozessentscheidungen und die (insbesondere arbeitsgerichtliche) Rechtsprechung gegenüber, die eine Rechtskraftfähigkeit dieser Entscheidungen (insbesondere der Klageabweisung wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit und Zuständigkeit) bejaht.147 Eine klare Entwicklungslinie oder eine Verknüpfung mit der jeweils vertretenen Vorstellung von der Natur und Wirkungsweise der Rechtskraft lässt sich hier nicht erkennen. Die untersuchten Rechtsordnungen erklären ganz überwiegend die Endgültigkeit der Entscheidung zur maßgeblichen Richtschnur für die Beurteilung der materiellen Rechtskraftfähigkeit von Sachentscheidungen, 148 nur die italienische Rechtskraftlehre äußert sich insoweit nicht eindeutig. Im Hinblick auf Zwischenentscheidungen kommt nach deutschem Recht die innerprozessuale Bindungswirkung und nicht die materielle Rechtskraft zur Anwendung. In der italienischen Literatur ist dagegen umstritten, ob die sentenze non definitive auch in nachfolgenden Verfahren Wirkungen entfalten. Eine rein innerprozessuale Bindung wird jedoch in jedem Fall bejaht. Den Prozessförderungsmaßnahmen und den Maßnahmen der vorläufigen Sicherung des französischen 145 Art. 669.decies C.p.c.: „Salvo che sia stato proposto reclamo ai sensi dell'articolo 669terdecies, nel corso dell'istruzione il giudice istruttore della causa di merito può, su istanza di parte, modificare o revocare con ordinanza il provvedimento cautelare, anche se emesso anteriormente alla causa, se si verificano mutamenti nelle circostanze o se si allegano fatti anteriori di cui si è acquisita conoscenza successivamente al provvedimento cautelare. […] Quando il giudizio di merito non sia iniziato o sia stato dichiarato estinto, la revoca e la modifica dell'ordinanza di accoglimento, esaurita l'eventuale fase del reclamo proposto ai sensi dell'articolo 669-terdecies, possono essere richieste al giudice che ha provveduto sull'istanza cautelare se si verificano mutamenti nelle circostanze o se si allegano fatti anteriori di cui si è acquisita conoscenza successivamente al provvedimento cautelare.“ Vgl. zur Abänderung durch den Instruktionsrichter auch Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile IV, § 44, p. 295 s. 146 Zum französischen Recht oben Kapitel 2, § 1 D. II 1. 147 Hierzu oben Kapitel 2, § 2 E. II. 2. a. 148 Vgl. zu Frankreich Kapitel 2, § 1 D. II., zu Spanien Kapitel 2, § 3 E. II. 1.

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Rechts (jugement avant dire droit) kommt schon aufgrund gesetzlicher Regelung keine Bindungswirkung im Hinblick auf die Hauptsache zu. 149 Sofern aber innerhalb einer Entscheidung neben einer solchen Maßnahme auch über einen Teil der Hauptsache entschieden wird, wird allein dem die Hauptsache betreffenden Entscheidungsteil die autorité de la chose jugée zugebilligt. 150 Dass eine Entscheidung über Maßnahmen der Sicherung oder Prozessförderung in den Gründen zu einer Teilfrage der Hauptsache entscheidet, genügt nach heutigem Verständnis allerdings nicht mehr, um eine Bindung an die jeweilige Feststellung zu begründen.151 Für das englische Recht lässt sich eine einheitliche Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit der interlocutory judgments nicht treffen, trotz des Erfordernisses der final decisions wird auch hier teilweise eine Anwendung des res judicata estoppel bejaht. Eine im Fortgang desselben Verfahrens greifende Bindungswirkung der Zwischenentscheidungen wird damit überwiegend bejaht, ohne dass sich diese aber zwingend als Ausfluss der Rechtskraft darstellt. Im Hinblick auf Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes wird eine Bindungswirkung im Hauptverfahren in den betrachteten Rechtsordnungen abgelehnt.152 Eine Abänderung der Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes wird überwiegend nur bei Änderung der zugrunde liegenden Umstände zugelassen, ohne dass dies aber zwingend als Folge des Instituts der Rechtskraft verstanden wird. Dass den im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erlassenen Entscheidungen eine Rechtskraftwirkung (beschränkten Umfangs) zukommen kann, wird im deutschen Recht sowie in Spanien von der überwiegenden Ansicht bejaht.153 In Frankreich bleibt diese Lösung auf die ordonnance de référé beschränkt.154 Das italienische Recht erweist sich dagegen als zurückhaltender. Eine gewisse Verbindlichkeit unter Ausschluss einer fortwährenden Infragestellung der gefundenen Ergebnisse wird damit aber auch den Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes zugebilligt, wobei aber der Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes dieser Verbindlichkeit eine Grenze setzt. 155 Im Hinblick auf die Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit einzelner Entscheidungsarten bestehen deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen 149

Vgl. hierzu oben Kapitel 2, § 1 D. II. 2. Siehe oben Kapitel 2, § 1 D. II. 2. 151 Vgl. oben Kapitel 2, § 1 D. II. 2.; § 1 E. 2. b. 152 Vgl. für Frankreich Kapitel 2, § 1 D. II. 3., für Spanien Kapitel 2, § 2 E. II. 2. e. 153 Vgl. Kapitel 2, § 2 E. II. 2. e. (Ausschluss eines identischen Antrags auf Erlass einer medida cautelar). 154 Vgl. Kapitel 2, § 1 D. II. 3. (Ausschluss eines weiteren Antrags im vorläufigen Rechtsschutz bei der ordonnance de référé aufgrund Art. 488, al. 2 C.p.c. zu bejahen, im Hinblick auf die ordonnance de requête aber überwiegend verneint). 155 Vgl. etwas weitergehend Stürner, Festschrift Geiß, 2000, S. 199, 214 f. („Man wird also der einstweiligen Maßnahme vielfach durchaus Rechtskraft im Rahmen des Regelungszwecks zubilligen müssen.“). 150

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Rechtsordnungen. Differenzierende Lösungen erlauben die Rechtsordnungen, die ein an den Richter gerichtetes Abänderungsverbot oder eine innerprozessuale Bindungswirkung kennen. Die Zuerkennung der Rechtskraftfähigkeit erweist sich dabei in den Rechtsordnungen als schwerwiegender, in denen die Rechtskraft auch auf vorgreifliche Rechtsverhältnisse und Einwendungen erstreckt wird. Deutlich zeigt sich dies im italienischen Recht, wo die Literatur aus diesem Grund zur Beschreibung der Wirkung summarischer Entscheidungen Figuren wie die Präklusion pro iudicato entwickelt. Auch in Frankreich hat sich die Auseinandersetzung um die gemischten Entscheidungen, in denen neben einem jugement avant dire droit auch eine Entscheidung zu einem Teil der Hauptsache ergeht, erst infolge der Begrenzung der autorité de la chose jugée auf den Rechtsfolgenausspruch im dispositif entschärft. 156

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf präjudizielle Rechtsverhältnisse, Vorfragen und Einwendungen § 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

Von erheblicher Bedeutung für die Beurteilung der Reichweite einer Rechtskraftkonzeption ist die Frage, ob sich die Rechtkraft nach dem jeweiligen nationalen Verständnis auch auf präjudizielle Rechtsverhältnisse erstreckt. Da der EuGH in dieser Hinsicht in einer jüngeren Entscheidung eine autonome Position anklingen lassen hat, wird auch kurz auf die entsprechende Entscheidung einzugehen sein. A. Die Rechtslage in Deutschland, England und Italien I. Die deutsche Rechtskraftlehre Gemäß § 322 ZPO beschränkt sich die Rechtskraft auf die Entscheidung über den in der Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch, also den unmittelbaren Streitgegenstand. In Abkehr von der insbesondere von Savigny zum gemeinen

156

Hierzu oben Kapitel 2, § 2 D. II. 2. sowie E. II. 2. b.

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

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Recht vertretenen Position 157 kommt den dem Subsumtionsschluss vorgelagerten Vorfragen daher keine Rechtskraftwirkung zu. 158 Dies gilt sowohl für Tatsachenfeststellungen 159 als auch für vorgelagerte Subsumtionsschritte. 160 Nicht in Rechtskraft erwachsen daher die Feststellungen zu präjudiziellen Rechtsverhältnissen,161 so dass beispielsweise weder bei einer zusprechenden noch bei einer abweisenden Entscheidung über eine Herausgabeklage nach § 985 BGB rechtskräftig über die Eigentümerstellung entschieden wird. 162 Sofern der Beklagte keine Widerklage erhebt, entfaltet das Urteil auch keine Rechtskraft hinsichtlich des Gegenvorbringens des Beklagten. 163 Eine Ausnahme hiervon sieht § 322 Abs. 2 ZPO für die Aufrechnung vor: Hat der Beklagte eine Gegenforderung zur Aufrechnung gestellt, so erwächst die Entscheidung über die Gegenforderung in Rechtskraft, sofern eine solche Entscheidung tatsächlich ergangen ist.164 Eindeutig gilt dies für den Fall, dass die Aufrechnung mit der 157 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. VI, § 291 (S. 350 ff.), § 298 (S. 439 ff.). Zur Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen in der Praxis der deutschen Rechtsprechung vor Einführung der Civilprozessordnung Stürner, Festschrift 200 Jahre Badisches Oberhofgericht OLG Karlsruhe, S. 25, 35 f. 158 BGH NJW 2010, 2210, 2211; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 23; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 15 ff., S. 251 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 9 (S. 875); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 80 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 19. 159 BGH NJW 1995, 2993; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 23; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 15, S. 251; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 12 (S. 876); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 77 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 19; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322, Rn 32. 160 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 9 (S. 875). 161 BGH NJW 1965, 693, 694; BGH NJW 2010, 2210, 2211; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 23; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 17, S. 251; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 14 (S. 876); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 81. Vgl. aber zum Ansatz einer Erstreckung der Rechtskraft auf präjudizielle Rechtsverhältnisse bei Ausgleichszusammenhängen Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft, S. 75 ff.; auch Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 89 V 4a, S. 491 ff. 162 BGH NJW-RR 1999, 376, 377; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 23; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 18, S. 251; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 15 (S. 876); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 82 ff.; a.A. Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft, S. 194 ff. 163 BGH NJW 1992, 1172, 1173; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 23; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 22, S. 252; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 16 (S. 877); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 86 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322, Rn 34a. 164 Wenn das Gericht gar keine Entscheidung über die Gegenforderung getroffen hat, insbesondere weil das Gericht annimmt, dass die Klage unzulässig ist, ist eine rechtskräftige Feststellung hinsichtlich der Gegenforderung zu verneinen, BGH NJW 2001, 3616; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 46; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 23, S. 252 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 17 (S. 877); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 48a.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Begründung verneint wird, dass die Gegenforderung nicht bestehe. 165 Trotz des Wortlauts des § 322 Abs. 2 ZPO, der die Rechtskraftwirkung nur hinsichtlich der „Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht“, anordnet, soll § 322 Abs. 2 ZPO aber nach heute herrschender Meinung auch dann Anwendung finden, wenn der Aufrechnungseinwand Erfolg hat, da dann die Gegenforderung zwar ursprünglich bestanden hat, aber durch die Aufrechnung erloschen ist und damit nicht (mehr) besteht. 166 Hierdurch wird verhindert, dass der Beklagte die aufgerechnete Gegenforderung in einem späteren Verfahren einklagt und so nochmals zu Durchsetzung bringt.167 Obwohl Feststellungen zu Vorfragen damit nicht in Rechtskraft erwachsen, erkennt das deutsche Recht an, dass die Parteien im Hinblick auf weitere Rechtsstreitigkeiten auf Grundlage desselben Rechtsverhältnisses ein erhebliches Interesse an der rechtskräftigen Feststellung des präjudiziellen Rechtsverhältnisses haben können.168 Aus diesem Grund eröffnet § 256 Abs. 2 ZPO sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten die Möglichkeit, eine rechtkräftige Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses durch Zwischenfeststellungsklage zu erwirken. Die Erhebung der Klage ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, also bis zu einem recht späten Verfahrenszeitpunkt möglich. In der Beschränkung auf streitige vorgreifliche Rechtsverhältnisse sowie im Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses, welches nur dann bejaht wird, wenn das betreffende Rechtsverhältnis noch über die im anhängigen Rechtsstreit geltend gemachten Folgen hinaus Bedeutung gewinnen kann,169 zeigt sich die von prozessökonomischen Erwägungen geprägte Zielsetzung des § 256 Abs. 2 ZPO, eine erneute Prüfung und widersprüchliche Beurteilung präjudizieller Rechtsverhältnisse in künftig denkbaren Rechtsstreitigkeiten auszuschließen, 170 sofern dies dem Parteiwillen entspricht. Eine rechtkräftige Feststellung vorgreiflicher Rechtsverhältnisse ist damit zwar nicht automatische Folge des Urteils, kann aber auf Antrag der Parteien

165

Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 46; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 23, S. 252; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 17 (S. 877); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 46. 166 BGH NJW 2002, 900; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 47; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 23, S. 253; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 17 f. (S. 877); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 160; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 47. 167 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 45; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 153 Rn. 18 (S. 877). 168 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 35 Rn. 25, S. 148 f. 169 BGH NJW 2007, 82, 83; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 30; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 35 Rn. 24, S. 148; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 96 Rn. 36 (S. 531); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 256 Rn. 28 f. 170 Hierzu Hk-ZPO/Saenger, § 265 Rn. 26.

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

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erwirkt werden. Im Übrigen bleiben Vorfragen aber von der Rechtskraftwirkung ausgenommen. II. Die englische Rechtskraftlehre Während im deutschen Recht eine Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen abgelehnt wird, bildet die Bindung an vorgelagerte Streitpunkte in Form des issue estoppel einen integralen Bestandteil des res judicata-Prinzips. Der issue estoppel schließt aus, dass sich die Parteien in einem späteren, eine andere cause of action betreffenden Verfahren auf eine abweichende Beurteilung des jeweiligen issue berufen, als sie das Gericht vorgenommen hat. 171 Bewirkt wird also eine Bindung an die in der vorausgegangenen Entscheidung ergangene Feststellung zu dem jeweiligen Streitpunkt. Voraussetzung ist, dass der jeweilige Streitpunkt sowohl im ersten Verfahren als auch im späteren Verfahren ein notwendiges Element der Beurteilung der zur Entscheidung gestellten cause of action bildet. 172 Maßgeblich ist also die notwendige Verknüpfung mit der Entscheidung über die jeweilige cause of action. Nebensächliche oder beiläufige Feststellungen, die sich nicht auf das Ergebnis der Entscheidung über die cause of action ausgewirkt hätten, sind vom estoppel dagegen nicht erfasst.173 Streitpunkte können rein rechtlicher Natur sein oder als Subsumtionsschritt die rechtliche Bewertung einer Tatsache beinhalten.174 Zudem können auch Tatsachenfeststellungen einen issue estoppel bewirken,175 jedoch nur, sofern 171 Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 198, per Diplock L.J.; Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 105; Andrews, On Civil Processes, para. 16.27; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.86. 172 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 105 („necessary ingredient in a cause of action“); Mills v Cooper [1967] 2 Q.B. 459, 468, per Diplock L.J. („essential element in his cause of action or defence“); In re State of Norway's Application (No. 2) [1988] 3 W.L.R. 603, 624 („fundamental to the decision first arrived at“) (später aus anderen Gründen aufgehoben); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.24; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.87. 173 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.23; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.88. 174 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.04. 175 Jones v Lewis and Others [1919] 1 K.B. 328, 345; Mills v Cooper [1967] 2 Q.B. 459, 468, per Diplock L.J. („an assertion, whether of fact or of the legal consequences of facts”); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.04 („The determinations which will found an issue estoppel may be of law, fact, or mixed fact and law.”). In Fidelitas Shipping Co. Ltd. v. V/O Exportchleb hob Diplock L.J. allerdings hervor, dass die reine streitige Tatsache gelöst von ihren rechtlichen Folgen kein issue darstelle (Fidelitas Shipping Co. Ltd. v V/O Exportchleb. [1966] 1 Q.B. 630, 641 f. per Diplock L.J.: „The final resolution of a dispute between parties as to their respective legal rights or duties may involve the determination of a number of different ‚issues‘, that is to say, a number of decisions as to the legal consequences of particular facts, each of which decisions constitutes a necessary step in determining what are the

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

die jeweilige Tatsache eine unmittelbare Voraussetzung der cause of action bildet und nicht lediglich dem Beweis einer Voraussetzung der cause of action dient.176 Als vom issue estoppel erfasste Tatsachenfeststellung wird oft die Festlegung von Verschuldensbeiträgen bei Verkehrsunfällen eingeordnet. 177 Der issue estoppel bezieht sich auf Streitpunkte, zu denen das Gericht eine Feststellung getroffen hat178 oder hinsichtlich derer angenommen werden kann, dass das Gericht eine Feststellung getroffen hat. Der Nachweis der Feststellung ergibt sich regelmäßig aus den Urteilsgründen, kann jedoch auch unter Rückgriff auf weitere Materialien, insbesondere Schriftsätze, Protokolle und sonstige Beweismittel erfolgen.179 Auch wenn die Urteilsgründe oder Materialen keine ausdrückliche Feststellung zu dem jeweiligen Streitpunkt enthalten, ist es aber zulässig, aus dem Urteil auf eine entsprechende Feststellung zu schließen,180 sofern die Entscheidung über den jeweiligen Streitpunkt einen unerläss-

legal rights and duties of the parties resulting from the totality of the facts. […] But while an issue may thus involve a dispute about facts, a mere dispute about facts divorced from their legal consequences is not an ‚issue.‘“). Die damit verbundene Unterscheidung zwischen issue estoppel und fact estoppel hat Lord Reid aber in einer späteren Entscheidung des House of Lords als „schwer verständlich“ bezeichnet, Carl Zeiss Stiftung Appellants v Rayner & Keeler Ltd. and Others Respondents [1967] 1 A.C. 853, 916 f. („difficult to understand“). 176 Thoday v Thoday [1964] P. 181,198, per Diplock L.J.: „The determination by a court of competent jurisdiction of the existence or nonexistence of a fact, the existence of which is not of itself a condition the fulfilment of which is necessary to the cause of action which is being litigated before that court, but which is only relevant to proving the fulfilment of such a condition, does not estop at any rate per rem judicatam either party in subsequent litigation from asserting the existence or non-existence of the same fact contrary to the determination of the first court. It may not always be easy to draw the line between facts which give rise to "issue estoppel" and those which do not, but the distinction is important and must be borne in mind.“ 177 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.04., 12.05 f. Vgl. auch Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 93. 178 Lilyford Ltd v La Porta [2013] EWHC 434 (Ch) („An issue estoppel does not derive from the parties’ pleadings, but from the judgment of the court on those pleadings. It had to be shown that the court’s decision was also predicated on that assumption.“); Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.87. 179 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.29; Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 922; Ritter, ZZP 87 (1974), S. 138, 172. 180 Shoe Machinery Company v. Cutlan [1896] 1 Ch. 667, 670 f. („It is not necessary, in considering the question of res judicata, that there should be an express finding in terms, if, when you look at the judgment and examine the issues raised before the Court, you see that the point came to be decided as a separate issue for decision, and was decided between the parties.“); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.08.

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

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lichen Zwischenschritt auf dem Weg zur abschließenden Entscheidung bildet. 181 Die Grenze zwischen einer Herleitung der Feststellung zu dem Streitpunkt aus dem expliziten Inhalt des Urteils und der sonstigen Materialen und einer Erstreckung des issue estoppel auf sämtliche unerlässliche Vorfragen ist daher fließend.182 Die Bindung an die Entscheidung über den Streitpunkt wird dadurch abgesichert, dass die Parteien daran gehindert sind, die ausdrückliche (oder implizite) Feststellung zu einem Streitpunkt später durch rechtliches oder tatsächliches Vorbringen in Frage zu stellen, welches sie bereits im ersten Verfahren hätte vortragen können.183 Insoweit wird der issue estoppel durch die Henderson v. Henderson-Regel ergänzt.184

181 The Queen v. The Inhabitants of the Township of Hartington Middle Quarter, 119 E.R. 288, 293 f. („If, then, the former decision cannot be impeached, and these facts are so cardinal to it that without them it cannot stand, on principle, when these facts are again in question between the same parties, they must be considered as having been conclusively determined.[…] Strike either of these facts out, and there is no ground for the decision: these facts therefore were necessarily and directly matter of inquiry.“). Vgl. auch die bei Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.09, 8.10 genannten Beispiele aus der Rechtsprechung. 182 Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 849. 183 Dies gilt insbesondere für die Einwendungen des Beklagten gegen präjudizielle Rechtsverhältnisse, vgl. Humphries v. Humphries [1910] 2 K.B. 531, 535 ff. (Dem Einwand der Formnichtigkeit des Mietverhältnisses, der im Verfahren über die Mietzinsklage des Vermieters nicht erhoben wurde, steht im späteren Verfahren über den Mietzins für einen späteren Zeitraum der issue estoppel entgegen). Einwendungen, die über ein Bestreiten und Gegenvorbringen zum Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen der cause of action hinausgehen und die selbstständige issues bilden, hinsichtlich derer daher auch keine Pflicht zur Geltendmachung gegen den klägerischen Anspruch besteht, werden allerdings nicht vom estoppel erfasst, wenn sie vom Beklagten nicht erhoben wurden (Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.16; vgl. auch Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI, Ch. 9, Rn. 92.). Das entsprechende Tatsachen- und Rechtsvorbringen kann daher die Grundlage einer späteren Klage bilden (vgl. z.B. Davis v. Hedges (1870–71) L.R. 6 Q.B. 687, 690 ff., 692 (Macht der Werkbesteller gegenüber der gegen ihn gerichteten Werklohnzahlungsklage des Werkunternehmers nicht die Reduzierung des Kaufpreises wegen Mangelhaftigkeit der vertraglichen Leistung (breach of warranty) geltend, so kann der Entscheidung nicht die Feststellung entnommen werden, dass ein breach of warranty nicht gegeben ist, so dass der Werklohnbesteller in einem späteren Verfahren seine gegen den Werkunternehmer gerichtete Klage auf die Mängelgewährleistungshaftung stützen kann)). 184 Vgl. Fidelitas Shipping Co. Ltd. v. V/O Exportchleb [1966] 1 Q.B. 630, 640, per Lord Denning („[W]ithin one issue, there may be several points available which go to aid one party or the other in his efforts to secure a determination of the issue in his favour. The rule then is that each party must use reasonable diligence to bring forward every point which he thinks would help him. If he omits to raise any particular point, from negligence, inadvertence, or even accident (which would or might have decided the issue in his favour), he may find himself shut out from raising that point again, at any rate in any case where the self-same issue arises in the same or subsequent proceedings.“). Zur Anwendung der Henderson v. Henderson-Regel

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Der issue estoppel setzt zwar voraus, dass das Gericht über den jeweiligen Streitpunkt (zumindest implizit) entschieden hat, jedoch stellt sich der issue estoppel nicht als starre und zwingende Folge der gerichtlichen Entscheidung dar. Vielmehr ist bei der Beurteilung, ob hinsichtlich eines bestimmten Streitpunktes ein estoppel zu bejahen ist, das Parteiverhalten im Erstverfahren und der Umfang der Einflussnahmemöglichkeit der Partei auf die Entscheidung über den Streitpunkt im Erstverfahren maßgeblich. 185 Dies zeigt sich zunächst darin, dass sich aus Versäumnisurteilen kein issue estoppel ergibt: 186 Ergeht eine Entscheidung wegen Säumnis, so haben die Parteien nicht über die einzelnen Voraussetzungen der Entscheidung über die cause of action gestritten und kann nicht angenommen werden, dass das Gericht Feststellungen zu einzelnen vorgelagerten Streitpunkten getroffen hat. 187 Dass für den issue estoppel auch das Parteiverhalten im Erstverfahren bedeutsam ist, ermöglicht es zudem, die Beurteilung des Greifens des estoppel stärker an Billigkeitserwägungen auszurichten. Eine Bindung an den entschiedenen Streitpunkt kann daher unter besonderen Umständen verneint werden. 188 Das Vorliegen solcher besonderen Umstände wird vor allem 189 in zwei Fällen bejaht: zum einen, wenn eine nachträgliche Rechtsänderung eingetreten ist, aus der sich eine andere Beurteilung des Streitpunktes ergibt,190 zum anderen, wenn Beweismittel aufgefunden werden, die eine andere Bewertung des Streitpunktes rechtfertigen, sofern die Partei das Beweismittel bei Anwendung der zu erwartenden Sorgfalt zuvor nicht

im Bereich des issue estoppel auch Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 107. 185 Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 850; Stürner, Festschrift Schütze,1999, S. 913, 922. 186 New Brunswick Railway Company v. British and French Trust Corporation, Ltd [1939] A.C. 1, 21 et seq.; Kok Hoong v. Leong Cheong Kweng Mines Ltd. [1964] A.C. 993, 1011 et se., 1019. 187 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.96; vgl. auch Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 851; Stürner, Festschrift Schütze,1999, S. 913, 922. 188 Arnold and Others v. National Westminster Bank Plc. [1991] 2 A.C. 93, 107 ff., 110. Vgl. auch Stürner, Festschrift Schütze,1999, S. 913, 922. 189 Zuckerman (On Civil Procedure, para. 25.90) zieht eine weitergehende Ausnahme wegen Unverhältnismäßigkeit in Erwägung (keine Bindung des Beklagten an Streitpunkte, die in einem Verfahren geringen Streitwertes und geringer Bedeutung festgestellt wurden, wenn er sich in einem späteren Verfahren einem deutlich größeren Anspruch gegenübersieht). 190 Arnold and Others v. National Westminster Bank Plc. [1991] 2 A.C. 93, 110; Andrews, On Civil Processes, para. 16.39; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89.

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

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hätte auffinden können.191 Der issue estoppel ist damit in seiner Anwendung flexibler als die strenge Regel des cause of action estoppel. 192 Durch den issue estoppel als Ausprägung des res judicata estoppel wird eine Bindung an die der Entscheidung über die cause of action notwendig vorgelagerten Streitpunkte bewirkt, die sowohl rechtliche als auch tatsächliche Vorfragen erfasst und durch die Anknüpfung an das Parteiverhalten und die Einbeziehung von Billigkeitserwägungen eine flexible Handhabung zulässt. III. Die italienische Rechtskraftlehre Im Hinblick auf die Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen und präjudizielle Rechtsverhältnisse zeigt das italienische Recht ein sehr uneinheitliches Bild. Ausgangspunkt des Ansatzes der italienischen Rechtskraftlehre ist aber die von Chiovenda beschriebene193 Beschränkung der Wirkung der cosa giudicata auf die abschließende rechtliche Schlussfolgerung im hinsichtlich der beantragten Rechtsfolge. Eine der englischen Lösung ähnelnde Erstreckung der cosa giudicata auf Vorfragen wird nur von einer Mindermeinung befürwortet. 194 In der Literatur wird eine Erstreckung der Wirkungen der cosa giudicata auf präjudizielle Vorfragen vielfach abgelehnt, sofern nicht eine entsprechende rechtskräftige Feststellung von einer Partei beantragt wurde oder das Gesetz eine solche vorsieht.195 Gestützt wird diese Ansicht auf Art. 34 c.p.c. 196 Dieser enthält an sich eine Zuständigkeitsregelung, die die Wahrung der sachlichen Zuständigkeit auch im Hinblick auf Vorfragen gewährleisten soll und eine Verweisung an das höhere Gericht vorsieht, wenn eine rechtskräftig zu entscheidende Frage in die Zuständigkeit des höheren Gerichts fällt. Da Art. 34 c.p.c. 191 Phosphate Sewage Company, Ltd v. Molleson (1879) 4 App. Cas. 801, 814, HL; Hunter v. Chief Constable of the West Midlands Police and Others [1982] A.C. 529, 545, HL; Andrews, On Civil Processes, para. 16.39; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89. 192 Andrews, On Civil Processes, para. 16.39; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89. Vgl. auch Spellenberg, Festschrift Henckel, 1995, S. 841, 850. 193 Vgl. Chiovenda, Instituzioni, n. 129, p. 354 s. 194 Für eine dem angloamerikanischen issue/collateral estoppel angeglichene Erstreckung der Wirkungen der cosa giudicata auf Vorfragen, die der abschließenden Entscheidung logisch vorgelagert sind, sofern das erkennende Gericht auch für diese Vorfragen zuständig ist, die Parteien sachlich legitimiert sind und aus dem Urteil erkennbar ist, dass die jeweilige Vorfrage umfassend und nicht nur summarisch geprüft wurde: Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 866 ss., 868 s. 195 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 140, p. 273 s.; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 191, nota 58. 196 Art. 34 c.p.c.: „Il giudice, se per legge o per esplicita domanda di una delle parti è necessario decidere con efficacia di giudicato una questione pregiudiziale che appartiene per materia o valore alla competenza di un giudice superiore, rimette tutta la causa a quest'ultimo, assegnando alle parti un termine perentorio per la riassunzione della causa davanti a lui.“

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

die Verweisung für den Fall vorsieht, dass eine Entscheidung mit der „efficacia del giudicato“ „aufgrund Gesetzes oder wegen ausdrücklicher Klage (domanda esplicita)“ notwendig ist, wird aus der Norm geschlossen, dass präjudizielle Fragen nur dann von der cosa giudicata erfasst werden, wenn das Gesetz dies vorsieht oder eine Partei dies ausdrücklich beantragt hat.197 Gegenüber dieser traditionellen Ansicht nimmt eine weit verbreitete Ansicht eine Unterscheidung zwischen präjudiziellen Fragen im logischen und im technischen Sinne vor. 198 Als präjudizielle Frage im logischen Sinne wird das präjudizielle Rechtsverhältnis bezeichnet, aus dem sich die geltend gemachte Rechtsfolge ergibt.199 Vorfragen im technischen Sinne sind dagegen zwar von Einfluss auf die begehrte Rechtsfolge, weil ihr Bestehen oder ihr Fehlen zur Verneinung der Rechtsfolge führen kann, sie betreffen jedoch nicht das der Rechtsfolge unmittelbar zugrunde liegende Rechtsverhältnis. 200 Als Beispiel für eine präjudizielle Frage im technischen Sinne wird die Frage des Eigentums am Kraftfahrzeug bei der Haftung des Eigentümers für die durch einen Verkehrsunfall entstandenen Schäden nach Art. 2054, III c.c. (Halterhaftung) genannt.201 Die aus Art. 34 c.p.c folgende Begrenzung der cosa giudicata auf Vorfragen, deren rechtskräftige Feststellung gesetzlich vorgesehen ist oder von einer Partei beantragt wurde, bezieht sich danach allein auf Vorfragen im technischen Sinne.202 Dagegen soll die cosa giudicata die Vorfragen im logischen Sinne unabhängig von den in Art. 34 c.p.c. genannten Voraussetzungen erfassen.203 Wo ein und dasselbe Rechtsverhältnis betroffen sei, bestehe ein besonderes Bedürfnis nach der Widerspruchsfreiheit der Entscheidungen, weshalb hinsichtlich des präjudiziellen Rechtsverhältnisses eine Bindung durch die cosa giudicata zu bejahen sei. 204 Die Vorfragen im logischen Sinne sollen als der Entscheidung über die beantragte Rechtsfolge logisch notwendig vorgela-

197

Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 140, p. 273 s. Grundlegend Satta, Accertamento incidentale, in: Caasso (dir.), Enciclopedia del diritto I (Ab-Ale), p. 243, 245. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.14 s., p. 166 ss.; Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 83 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 67 ss. 199 Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 83; Satta, Accertamento incidentale, in: Calasso (dir.), Enciclopedia del diritto I (Ab-Ale), p. 243, 244 s. 200 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.14, p. 166; Satta, Accertamento incidentale, in: Calasso (dir.), Enciclopedia del diritto I (Ab-Ale), p. 243, 245. 201 Menchini, Il giudicato civile, p. 77; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 67. 202 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.14, p. 166; Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 84 s. 203 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.14, p. 166; Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 83; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 68 ss.; Satta, Accertamento incidentale, in: Calasso (dir.), Enciclopedia del diritto I (Ab-Ale), p. 243, 245. 204 So Menchini, Il giudicato civile, p. 83. 198

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

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gerte Punkte (antecedente logico necessario) von der Wirkung der cosa giudicata erfasst sein. 205 Im Fall einer zusprechenden Leistungsentscheidung sind damit das Bestehen und die Wirksamkeit des dem Leistungsanspruch zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses bindend festgestellt. 206 Bei einer Klageabweisung, die auf einem anderen Grund als der Verneinung des Bestehens oder der Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses beruht (z.B. auf der Verjährung des Anspruchs), 207 darf nach überwiegender Ansicht dagegen nicht von einer rechtskräftigen Feststellung hinsichtlich des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ausgegangen werden. 208 Die herrschende Rechtsprechung erstreckt die cosa giudicata auf die logische und notwendige Voraussetzung des Urteils (presupposto/antecedente logico e necessario della decisione della sentenza). Insoweit wird auch häufig der Begriff des stillschweigend Entschiedenen (giudicato implicito) verwendet. 209 Die autorità della cosa giudicata erfasst danach insbesondere das Bestehen oder die Wirksamkeit des der Leistungsklage zugrunde liegenden

205

Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.15, p. 167; Menchini, Il giudicato civile, p. 82. Erst jüngst Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 12. Dezember 2014, n. 26242, Foro Italiano 2015, I, p. 862, 905 s. (7.3) mit ausführlicher Erläuterung der Erstreckung der Wirkungen der cosa giudicata auf die Vorfrage der Nichtigkeit bzw. der Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses in den verschiedenen Konstellationen einer Entscheidung über die Klagen auf Erfüllung, auf Aufhebung, usw. (Entscheidung zur Überprüfbarkeit der nullità des Rechtsverhältnisses von Amts wegen). 207 Es gilt der Grundsatz, dass die abweisende Entscheidung sich auf den eindeutigsten Abweisungsgrund (principio della ragione più liquida) stützen kann, ohne zwingend über vorgelagerte Fragen zu entscheiden, vgl. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.15, p. 167; Menchini, Il giudicato civile, p. 82 208 So Luiso, Diritto processuale civile I, n. 18.15, p. 167; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 75 ss. Ebenso Menchini, Il giudicato civile, p. 82 s.; anders aber noch in Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 114 s. (cosa giudicata hinsichtlich des präjudiziellen Rechtsverhältnisses auch bei Abweisung wegen Verjährung, weil die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses und das Bestehen des Anspruchs hier zuvor zwingend bejaht werde). 209 Z.B. Corte di Cassazione, 13. Juni 2012, n. 9594, Repertorio del Foro Italiano 2012, voce Cosa giudicata civile, n. 18, p. 811. Im Hinblick auf die Erfassung von den Wirkungen der cosa giudicata macht es keinen Unterschied, ob die Entscheidungsgründe zu der zwingend zu entscheidenden Vorfrage eine Feststellung enthalten oder nicht, jedoch wird der Begriff des giudicato implicito zum Zwecke der Differenzierung zwischen den beiden Fällen teilweise nur zur Bezeichnung der Erstreckung der Wirkungen der cosa giudicata auf logisch zwingend vorgelagerte Fragen verwendet, zu denen die Entscheidungsgründe keine ausdrückliche Feststellung enthalten, und auf diese Weise eine Abgrenzung von den ebenfalls von der cosa giudicata erfassten tragenden Entscheidungsgründen vorgenommen, so z.B. in der Entscheidung Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 12. Dezember 2014, n. 26242, Il Foro Italiano 2015, I, p. 862, 905 ss. (7.3, A., 2), 4) B.). 206

570

3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Schuldverhältnisses, 210 bei auf sachenrechtliche Ansprüche gestützten Klagen auch die zugrunde liegende Rechtsposition (z.B. das Eigentum bei auf Unterlassung, Beseitigung oder Herausgabe gerichteten Klagen). 211 Nach der Rechtsprechung wird bei Entscheidungen über Schadensersatzklagen aus demselben haftungsbegründenden Ereignis das Verschulden bindend festgestellt. 212 Zudem kann sich die cosa giudicata auf die rechtliche Qualifizierung eines geltend gemachten Anspruchs erstrecken, wenn diese dem Ausspruch über die Klage unerlässlicher- und notwendigerweise vorgelagert war.213 Die Entscheidung in der Sache soll zudem die implizite Bejahung der Zulässigkeit der Klage enthalten.214 Die reine, von der jeweiligen Rechtsfolge gelöste Tatsachenfeststellung wird jedoch nicht von der cosa giudicata erfasst. 215 Die von der Literatur vorgenommene Unterscheidung zwischen zum selben Rechtsverhältnis gehörenden Vorfragen und Fragen, die ein gesondertes, selbstständiges Rechtsverhältnis betreffen, bzw. zwischen logischer und technischer Präjudizialität,

210 Corte di Cassazione, 8. Mai 2009, n. 10623, Repertorio del Foro Italiano 2009, voce Cosa giudicata civile, n. 24, p. 967. Corte di Cassazione, 25. November 2009, n. 24784, Repertorio del Foro Italiano 2010, voce Cosa giudicata civile, n. 17, p. 846; Corte di Cassazione, 6. Dezember 2011, n. 26199, Il Foro Italiano 2012, I, p. 1840, 1842. 211 Corte di Cassazione, 24. Oktober 1978, n. 4807, Repertorio del Foro Italiano 1978, voce Cosa giudicata civile, n. 24, p. 594; Corte di Cassazione, 13. Februar 1988, n. 1564, Repertorio del Foro Italiano 1988, voce Cosa giudicata civile, n. 17, p. 663. So auch die Literatur, vgl. Menchini, Il giudicato civile p. 93 ss. (Die aus dem Eigentum erwachsenden Ansprüche seien Bestandteil des Rechts selbst, weshalb mit der Bejahung des Anspruchs untrennbar die Bejahung des Rechts verbunden sei.). 212 Corte di Cassazione, 20. Februar 2013, n. 4241, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 34, p. 864 (Feststellung zu den nach Art. 2054, II c.c. vermuteten gleichen Verschuldensbeiträgen bei Verkehrsunfall zwischen zwei Kraftfahrzeugen). 213 Corte di Cassazione, 24. April 2013, n. 10053, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 32, p. 864; Corte di Cassazione, 1. August 2013, n. 18427, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 29, p. 863. 214 Corte di Cassazione, 15. April 2011, n. 8637, Repertorio del Foro Italiano 2011, voce Cosa giudicata civile, n. 26, p. 863; Corte di Cassazione, 13. Juni 2012, n. 9594, Repertorio del Foro Italiano 2012, voce Cosa giudicata civile, n. 18, p. 811. 215 Corte di Cassazione, 11. Februar 2011, n. 3434, Repertorio del Foro Italiano 2011, voce Cosa giudicata civile, n. 22, p. 863 („[L]’efficacia del giudicato si estende alle questioni che costituiscono presupposti logicamente e giuridicamente ineliminabili della statuizione finale, mentre è da escludere il giudicato sul punto di fatto, ossia sul puro e semplice accertamento dei fatti storici contenuto nella motivazione…“). Dies entspricht der traditionellen Position des italienischen Rechts, vgl. Menchini, Il giudicato civile, p. 70 (aber auch mit Hinweis auf abweichende Entscheidungen der Rechtsprechung).

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

571

wird auch in der Rechtsprechung teilweise aufgegriffen 216 und lässt sich beispielsweise in der Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit der Feststellungen zu Einwendungen des Beklagten bei klageabweisender Entscheidung erkennen: Feststellungen zu Einwendungen des Beklagten, die sich nicht allein auf das Bestehen und die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses beziehen, sondern ein anderes Rechtsverhältnis betreffen, erwachsen nicht in Rechtskraft. 217 Eine rechtskräftige Feststellung zu einer Vorfrage hat aber in jedem Fall zu ergehen, wenn dies von einer der Parteien beantragt wird 218 oder das Gesetz dies vorsieht.219 Als Fall einer gesetzlich vorgesehenen rechtskräftigen Entscheidung über Vorfragen wird wegen Art. 35 c.p.c. 220 insbesondere die Entscheidung über die Aufrechnung angesehen, wenn die vom Beklagten geltend gemachte Gegenforderung vom Kläger bestritten wird. 221 Im italienischen Recht kann die rechtskräftige Entscheidung über präjudizielle Vorfragen damit im Wege der Feststellungsklage bewirkt werden. Nach der Rechtsprechung und einer starken Literaturmeinung erstreckt sich die Wirkung der cosa giudicata aber auch ohne entsprechenden Antrag oder gesetzliche Anordnung auf die Vorfragen, welche die unerlässliche, notwendige Voraussetzung der Entscheidung über den Antrag bilden, wobei insbesondere die Literatur die Beschränkung dieser Erstreckung auf das der begehrten Rechtsfolge zugrunde liegende präjudizielle Rechtsverhältnis betont.

216

Corte di Cassazione, 28. September 1994, n. 7890, Foro Italiano 1995, I, p. 1227, 1233 s. (keine bindende Feststellung des Eigentums des Vermieters an der Mietsache durch die zusprechende Entscheidung über die Klage auf Herausgabe der Mietsache nach Ablauf des Mietvertrages). Vgl. auch Menchini, Il giudicato civile, p. 79 s. mit weiteren Beispielen). 217 Corte di Cassazione, 21. März 1964, n. 643, Il Foro Italiano 1964, I, p. 653, 655. (Wird die Klage der Erben des Hauseigentümers auf Herausgabe der Immobilie wegen verwirkten Wohnrechts abgewiesen, weil der Einwendung des Beklagten gefolgt wurde, wonach der Erblasser mit dem Beklagten einen (unbefristeten) Mietvertrag geschlossen habe, so erwächst die Feststellung zum Bestehen eines Mietverhältnisses nicht in Rechtskraft). 218 Insoweit gelten die allgemeinen Regeln für die Erhebung der Klage bzw. Widerklage, vgl. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 30.8, p. 270. 219 Zu diesen Fällen gehören beispielsweise die Nichtigkeit eines früher eingegangenen Eheverhältnisses eines Ehepartners, vgl. Art. 124 c.c. 220 Art. 35: „Quando e' opposto in compensazione un credito che è contestato ed eccede la competenza per valore del giudice adito, questi, se la domanda è fondata su titolo non controverso o facilmente accertabile, può decidere su di essa e rimettere le parti al giudice competente per la decisione relativa all'eccezione di compensazione, subordinando, quando occorre, l'esecuzione della sentenza alla prestazione di una cauzione; altrimenti provvede a norma dell'articolo precedente.“ 221 Carpi/Taruffo/Zucconi Galli Fonseca, Comentario breve al Codice di procedura civile, Art. 34, II n. 1, Art. 35, I n. 3; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 338.

572

3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

IV. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Gothaer Allgemeine Versicherung AG ./. Samskip GmbH“ Der EuGH hatte sich bis vor Kurzem nicht dazu veranlasst gesehen, 222 einen autonomen Begriff einer europäischen Rechtskraft zu formulieren und deren Umfang zu bestimmen: 223 Eine Regelung zur Rechtskraft, anhand derer der EuGH den Umfang der Rechtskraft autonom entwickeln hätte können, ist weder in der EuGVVO224 noch in den vereinheitlichten europäischen Verfahrensregelungen der EuBagatellVO und der EuMahnVO225 enthalten und auch für den Bereich der Urteilsanerkennung nach Art. 33 EuGVVO 226 wurde zur Beurteilung der Frage, welche Wirkungen der anzuerkennenden Entscheidung im Anerkennungsstaat zuzubilligen sind, bislang darauf abgestellt, welche Urteilswirkungen die betroffenen nationalen Rechtsordnungen der Entscheidung zusprechen.227 In der 2012 ergangenen Entscheidung in der Rechtssache Gothaer

222 Auf eine allein an den Regelungen der damaligen EuGVÜ ausgerichteten, die nationalen Rechtskraftregelungen nicht erwähnende Argumentation stützte sich der EuGH allerdings in der Entscheidung EuGH Jozef de Wolf ./. Harry Cox B.V., Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76, Slg. 1976, 1759, Rn. 7/8 – Rn.13; vgl. hierzu Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 33 EuGVVO, Rn. 11. Gegen die Annahme, in der Entscheidung lasse sich ein Konzept einer europäischen Rechtskraftwirkung erkennen, Zeuner, Festschrift Kerameus, 2009, S. 1587, 1593 f. 223 Ob dies in den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überhaupt möglich ist, wird teilweise bezweifelt, vgl. Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 33 EuGVVO, Rn. 11; unter Geltung der EuGVÜ zweifelnd auch Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 209 f. (für „nicht umsetzbar“); gegen eine autonome Rechtskraftkonzeption auch Pfeiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der Europäischen Union, 2012, S. 168 ff.; Zeuner, Festschrift Kerameus, 2009, S. 1587, 1594 ff. Nach heutiger Rechtslage dagegen eine autonome Rechtskraftkonzeption befürwortend Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Kap. 5 Rn. 35, S. 176; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, S. 1, 19; zumindest für Teilbereiche (nicht die subjektiven Grenzen) auch Freitag, Festschrift Kropholler, 2008, S. 759, 771 ff. 224 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 125; Zeuner, Festschrift Kerameus, 2009, S. 1587, 1590. 225 Zur Lücke bei der Regelung der Rechtskraft in der EuBagatellVO und EuMahnVO Freitag, Festschrift Kropholler, 2008, S. 759 ff. 226 In der an die Stelle der EuGVVO getretenen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ist die Anerkennung in Art. 36 ff. geregelt. 227 Umstritten ist lediglich, nach welchem nationalen Recht sich der Umfang der Rechtskraftwirkung bestimmt. Nach der herrschenden Lehre von der Wirkungserstreckung entscheidet das Recht des Mitgliedstaates, in dem die anzuerkennende Entscheidung ergangen ist, EuGH Hoffmann ./. Krieg, Urt. v. 04.02.1988, Rs. 145/86, Slg. 1988, 662, Rn. 11 = NJW 1989, 663, 664; Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 33, A.1 Rn. 13; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 182; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, vor Art. 33 EuGVO, Rn. 9; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, EuGVVO aF Art. 33, Rn. 2. Ausführliche Darstellung der Theorien der Wirkungserstreckung, der Wirkungsgleichstellung und der Kumulationslehre bei Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 33 EuGVVO Rn. 3, 3a.

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

573

Allgemeine Versicherung AG u.a. ./. Samskip GmbH hat der EuGH zur Bestimmung des Umfangs der mit einem Prozessurteil verbundenen Rechtskraftwirkung aber nicht mehr den Maßstab der nationalen Rechtkraftkonzeption angelegt, sondern einen autonom bestimmten „Rechtskraftbegriff des Unionsrechts“ herangezogen:228 Zu entscheiden hatte er über die ihm vorgelegte Frage, ob das Zweitgericht an eine Feststellung des Erstgerichts zu einer Vorfrage – im konkreten Fall der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung – gebunden war, auf die das Erstgericht die Abweisung der Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit gestützt hatte. 229 Der EuGH bejahte dies mit der Begründung, dass der „Rechtskraftbegriff des Unionsrechts“ nicht nur den Tenor der Entscheidung erfasse, sondern auch die tragenden, vom Tenor nicht zu trennenden Entscheidungsgründe. 230 Die Entscheidung ist maßgeblich geprägt von dem Gedanken des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten, der nach Auffassung des EuGH dort noch deutlicher zu Tage tritt, wo die Anwendung der gemeinsamen Zuständigkeitsvorschriften betroffen ist. 231 Zudem stand nach Ansicht des EuGH die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung im Widerspruch zum Verbot der Überprüfung der internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art. 35 Abs. 3 EuGVVO. 232 Die Entscheidung ist damit in ihrer Argumentation stark auf den Fall einer Entscheidung über die internationale Zuständigkeit ausgerichtet. 233 Dass die erfolgte Festlegung eines 228 EuGH Gothaer Allgemeine Versicherung AG u.a. ./. Samskip GmbH, Urt. 15.11.2012, Rs. C-456/11, IPRax 2014, 163 ff. 229 Zum bisherigen Stand der Diskussion um die Anerkennung von Prozessurteilen zur internationalen Unzuständigkeit und die damit verbundene Bindung allgemein Geimer, Festschrift Kaissis, 2012, S. 287, 289 ff. 230 EuGH Gothaer Allgemeine Versicherung AG u.a. ./. Samskip GmbH, Urt. 15.11.2012, Rs. C-456/11, IPRax 2014, 163, 166, Rn. 40. Diesen Rechtskraftbegriff, nach dem sich die Rechtskraft auch auf die untrennbar mit dem Tenor verbundenen Feststellungen zu Vorfragen erstreckt, entnahm der EuGH allerdings seiner Rechtsprechung zur Rechtskraftwirkung seiner eigenen (verwaltungsprozessrechtlich geprägten) Entscheidungen, EuGH Gothaer Allgemeine Versicherung AG u.a. ./. Samskip GmbH, Urt. 15.11.2012, Rs. C-456/11, IPRax 2014, 163, 166, Rn. 40. Vgl. auch Roth, IPRax 2014, S. 136, 138. 231 EuGH Gothaer Allgemeine Versicherung AG u.a. ./. Samskip GmbH, Urt. 15.11.2012, Rs. C-456/11, IPRax 2014, 163, 166, Rn. 35. Kritisch zu dieser Herleitung aus einem „Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens“ Roth, IPrax 2014, S. 136, 139. 232 EuGH Gothaer Allgemeine Versicherung AG u.a. ./. Samskip GmbH, Urt. 15.11.2012, Rs. C-456/11, IPRax 2014, 163, 166, Rn. 38. Dies vermag allerdings nicht recht überzeugen, weil ja nicht die Zuständigkeit des Erstgerichts in Frage gestellt wird, sondern als Frage der Folge der Anerkennung zu klären ist, ob das später angerufene Gericht bei der Beurteilung seiner eigenen Zuständigkeit an die Feststellung des Erstgerichts zur Vorfrage der wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten isländischer Gerichte gebunden war, kritisch zur der Argumentation daher Bach, EuZW 2013, S. 56, 57; Roth, IPRax 2014, S. 136, 139. 233 Bach, EuZW 2013, S. 56, 58.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

autonomen, mit einer Bindung an Vorfragen verbundenen Rechtskraftbegriffs über den Fall eines Prozessurteils über die fehlende internationale Zuständigkeit hinaus auch für Sachentscheidungen Geltung beanspruchen wird, ist angesichts dieser Bezugnahme allein auf die Situation der Abweisung wegen internationaler Unzuständigkeit eher unwahrscheinlich. 234 Dennoch hat der EuGH in seiner Entscheidung zu erkennen gegeben, dass er zumindest für den Teilbereich der Prozessurteile zur internationalen Zuständigkeit die Anwendung einer autonom bestimmten Rechtkraftkonzeption für notwendig hält und die Rechtskraftwirkung insoweit nicht streng auf den Rechtsfolgenausspruch im Tenor beschränkt sieht, sondern vielmehr auf die mit dem Tenor untrennbar verknüpften Vorfragen erstreckt. B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Entwicklung Für die Frage der Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen zeichnet sich daher im europäischen Vergleich ein uneinheitliches Bild ab. Wie bereits zuvor festgestellt, gilt dies auch im Vergleich zwischen Frankreich und Spanien, haben die beiden Rechtsordnungen doch im Hinblick auf die Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen gegenläufige Entwicklungen vollzogen: Während das spanische Recht traditionell von einer Beschränkung der Rechtskraft auf den Rechtsfolgenausspruch im Tenor ausging, haben Rechtsprechung und Literatur seit den Neunzigerjahren die cosa juzgada kontinuierlich auch auf die logisch notwendigen Vorfragen bzw. die ratio decidendi ausgedehnt.235 Dagegen hat das französische Recht, das zunächst auch eine Rechtskraft der tragenden Entscheidungsgründe und logisch unerlässlichen Vorfragen anerkannt und hierzu eine differenzierte Dogmatik entwickelt hatte, nicht nur seit Einführung des Nouveau Code de procédure civile die Anerkennung der Rechtskraft der in die Entscheidungsgründe verschobenen Entscheidungen über Teile des Antrags (motifs décisoires) aufgegeben.236 Vielmehr lehnen die ganz herrschende Rechtsprechung und Teile der Literatur heute auch die Erstreckung der Rechtskraft auf logisch unerlässliche Vorfragen ab und zwar unabhängig davon, ob sie in den Gründen enthalten oder lediglich stillschweigend impliziert sind.237 In der französischen Literatur äußern sich zwar zahlreiche Autoren kritisch zu dieser Entwicklung, allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch diese Stimmen in der Literatur überwiegend eine durch die positive Wirkungsrichtung der au-

234 So auch Roth, IPRax 2014, S. 136, 138. Ebenso Bach, EuZW 2013, S. 56, 58 (der die Ausweitung für nicht beabsichtigt, wohl aber für möglich hält). Für offen hält dies wohl Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Kap. 5, Rn. 35, S. 176. 235 Siehe oben Kapitel 2, § 2 F. IV. 2. a., b. bb. 236 Siehe oben Kapitel 2, § 1 E. II. 2. b. aa. 237 Siehe oben Kapitel 2, § 1 E. II. 2. b..

§ 4 Erstreckung der Rechtskraftwirkungen auf Vorfragen

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torité de la chose jugée bewirkte Bindung an den soutien nécessaire du dispositif ablehnen und primär die Notwendigkeit einer Heranziehung der logisch unabdingbaren Vorfragen zur Bestimmung der Identität von objet und cause im Rahmen der autorité négative de la chose jugée betonen.238 Die ganz herrschende Meinung in der Literatur und in der Rechtsprechung Spaniens und Italiens hat sich demgegenüber vom frühen Ausgangspunkt einer der restriktiven deutschen Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft ähnelnden Position entfernt und billigt heute den unabdingbaren logischen Vorfragen die Rechtskraftwirkung zu. Obwohl beide Rechtsordnungen die Feststellungsklage hinsichtlich vorgreiflicher Rechtsverhältnisse ermöglichen, wird also eine vom Parteiwillen gelöste Bindung an Feststellungen zu präjudiziellen Vorfragen bejaht, die ähnlich auch in der vom EuGH in der Rechtssache Gothaer Allgemeine Versicherung (für Zuständigkeitsentscheidungen) beschriebenen Lösung anklingt. Die italienische Literatur und – zumindest im Hinblick auf Einwendungen des Klägers – auch die italienische Rechtsprechung begrenzen die Rechtskrafterstreckung allerdings stärker auf das der Klage zugrunde liegende Rechtsverhältnis, als dies in der spanischen Rechtskraftlehre geschieht. Auch wenn die spanische Position damit der weiten englischen Rechtskraftkonzeption am nächsten kommt, 239 unterscheidet sie sich aber dennoch vom issue estoppel des englischen Rechts, indem sie insbesondere die Rechtskraftfähigkeit reiner Tatsachenfeststellungen verneint. In Frankreich hat sich die Rechtsprechung mit ihrem klaren Bekenntnis zu einer auf den Ausspruch im dispositif beschränkten Rechtskraft der deutschen Lösung angenähert. Anders als das deutsche Recht, das mit der Zwischenfeststellungsklage den Parteien die Möglichkeit gibt, eine rechtskräftige Feststellung zu bewirken, kennt das französische Recht keinen Zwischenfeststellungsantrag, auch wenn ein Antrag auf Feststellung zu Vorfragen heute für möglich gehalten wird. 240 Eine gewisse Abmilderung des in der Rechtsprechung formulierten strengen Grundsatzes bewirkt jedoch die Flexibilität des Tenors französischer Urteile, die auch die Aufnahme von Feststellungen zu Vorfragen ermöglicht.241 Die Rechtskraft erstreckt sich in England und nach herrschender Ansicht auch in Spanien auf Feststellungen zu Einwendungen. 242 Nach der italienischen Rechtskraftlehre soll dies dagegen nur dann gelten, wenn die Einwendung die 238 Siehe oben Kapitel 2, § 1 E. II. 2. b. bb. Vgl auch die Darstellung der französischen Lösung im rechtvergleichenden Beitrag von Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 149 f. 239 So auch Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 151. 240 Siehe oben Kapitel 2, § 1 E. I. 241 Hierzu oben Kapitel 2, § 1 E. I. 242 Siehe oben Kapitel 2 § 2 IV. 2. b. bb.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Existenz und Wirksamkeit des präjudiziellen Rechtsverhältnisses betrifft. Eine Sonderbehandlung erfährt in Deutschland, Spanien und Italien die Aufrechnung: Das deutsche Recht macht hier eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Feststellungen zu Einwendungen nicht von der Rechtskraft erfasst sind, das spanische Recht bestätigt die auch für die übrigen Einwendungen anerkannte Rechtskrafterstreckung im Fall der Aufrechnung ausdrücklich im Gesetz 243 und auch im italienischen Recht ist bei streitiger Gegenforderung eine rechtskräftige Feststellung schon gesetzlich vorgesehen. Auch in England erstreckt sich der estoppel nach den allgemeinen Grundsätzen auf den geltend gemachten set off.244 Den genannten Rechtsordnungen ist gemeinsam, dass durch die Annahme einer bindenden Feststellung vermieden werden soll, dass der zur Aufrechnung gestellte eigenständige Anspruch zur doppelten Durchsetzung gebracht wird. Frankreich bildet insoweit also eine Ausnahme. In Spanien und England wird versucht, der recht weit gefassten Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen durch Formulierung von formalen Voraussetzungen einen die Vereinbarkeit mit dem übrigen Prozessrecht herstellenden Rahmen zu geben. So wird die Erstreckung auf Vorfragen davon abhängig gemacht, dass die Parteien eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu der Vorfrage hatten, was in Spanien als allgemeine Voraussetzung formuliert wird 245 und sich in England im Ausschluss des issue estoppel bei Versäumnisurteilen zeigt. Zudem wird versucht, die Annahme einer rechtskräftigen Feststellung zur Vorfrage durch das Erfordernis der Zuständigkeit des Gerichts 246 bzw. in Italien durch Verweisungsregeln (Art. 34 c.p.c.) in das bestehende System der gerichtlichen Zuständigkeitsregeln zu integrieren. Dem weiten englischen issue estoppel steht damit der Ansatz der deutschen und französischen Rechtsprechung gegenüber, wonach nur die ausdrücklich zur Entscheidung gestellte Rechtsfolge von der Rechtskraft erfasst ist. Spanien und Italien beschreiten dagegen einen Mittelweg, indem sie zwar den unerlässlichen logischen Vorfragen und insbesondere den präjudiziellen Rechtsverhältnissen unabhängig vom ausdrücklich geäußerten Parteiwillen Rechtskraft zugebilligen, aber insbesondere reine Tatsachenfeststellungen von der Rechtskraft ausnehmen. Indem das italienische Recht aber zumindest im Hinblick auf Einwendungen des Beklagten eine klarere Begrenzung der Rechtskrafterstreckung auf Vorfragen formuliert, die den Bestand und die Wirksamkeit des der

243

Siehe hierzu oben Kapitel 2 § 2 IV. 2. b. aa. (1) (a) (aa). Da durch die Gegenforderung ein selbstständiger Streitpunkt ins Verfahren eingeführt wird, steht der estoppel einer späteren Einforderung der aufrechnungsfähigen Forderung aber nicht entgegen, wenn der set off nicht geltend gemacht wurde (Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 8.16). 245 Siehe oben Kapitel 2 § 2 IV. 2. a. aa. (2) (b). 246 Zum spanischen Recht oben Kapitel 2 § 2 IV. 2. a. aa. (2) (b). 244

§ 5 Subjektive Grenzen der Rechtskraft

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Klage zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses betreffen, stellt sich die italienische Lösung als enger dar als die des spanischen Recht. Die französische Rechtsprechung hat mit der Beschränkung der Rechtskraftwirkung auf den dispositif eine klare Regel formuliert, die angesichts des Fehlens einer allgemeinen Feststellungsklage hinsichtlich präjudizieller Vorfragen allerdings verhindert, dass dem häufig bestehenden Interesse der Parteien an einer verbindlichen Klärung vorgreiflicher Rechtsverhältnisse Rechnung getragen werden kann.

§ 5 Subjektive Grenzen der Rechtskraft § 5 Subjektive Grenzen der Rechtskraft

A. Die Rechtslage in Deutschland, England und Italien I. Die subjektive Reichweite der Rechtskraft in Deutschland Die Rechtskraft wirkt grundsätzlich nur für und gegen die Parteien (§ 325 ZPO), 247 da nur diese auf das Prozessergebnis Einfluss nehmen können und rechtliches Gehör erhalten haben. 248 Als Parteien werden die in der Klageschrift als solche bezeichneten Personen angesehen. Es gilt folglich ein formeller Parteibegriff. 249 Bei der Stellvertretung ist der Vertretene als Partei anzusehen, weshalb die Wirkungen der Rechtskraft auch allein ihn treffen. 250 Im Fall der Prozessstandschaft kommt dem Prozessstandschafter die Parteistellung zu.251 Allerdings soll die Rechtskraft der Entscheidung bei der gewillkürten Prozessstandschaft immer auch für und gegen den Rechtsträger wirken, weil dieser den Rechtsfremden zur Prozessführung ermächtigt hat, so dass es nur billig erscheint, dass ihn auch die Wirkungen des Urteils treffen.252 Aber auch in Fällen der gesetzlichen Prozessstandschaft kommt eine Erstreckung der

247

A.A. Schwab ZZP 77 (1964), S. 124, 160. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 1 (S.887); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 1 f. 249 BGH NJW 1984, 126, 127; Hk-ZPO/Saenger§ 325 Rn. 2; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 12; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 3. 250 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 14, 53; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 4. 251 Anders für die „Parteien kraft Amtes“ Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 15. 252 BGH NJW 1988, 1585, 1586; BGH NJW 1988, 2375, 2376; Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 28; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 46 Rn. 62 (S.234); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 63. Wegen des Bestehens eines gegenseitigen Ausschlussverhältnisses im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis auch Markoulakis, Die Betroffenheit Dritter von der Rechtskraft, S. 97. 248

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Rechtskraft auf den Rechtsträger in Betracht, allerdings sind die hierfür geltenden Kriterien umstritten.253 Überwiegend wird aber eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger bejaht, wenn dieser der Prozessführung durch den Rechtsfremden zugestimmt hat.254 Neben den Parteien erstreckt sich die Rechtskraft auch auf deren Gesamtbzw. Einzelrechtsnachfolger,255 sofern die Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit eintritt.256 Im Hinblick auf Gesamtrechtsnachfolger ergibt sich dies schon aus § 1922 ZPO. 257 Eine Erstreckung der Rechtskraft auf den Rechtsnachfolger ist ohne Weiteres zu bejahen, wenn die zwischen den ursprünglichen Parteien ergangene Entscheidung zugunsten des Rechtsnachfolgers wirkt. 258 Zwar wird die Rechtskraft grundsätzlich auch bei einer Entscheidung zulasten des Rechtnachfolgers auf diesen erstreckt, jedoch sieht § 325 Abs. 2 ZPO eine Ausnahme für den Fall der Gutgläubigkeit des Rechtsnachfolgers vor, indem er die Vorschriften über den Erwerb vom Nichtberechtigten für entsprechend anwendbar erklärt.259 Ob die Regelung eine Erstreckung der Rechtskraft eines zulasten des Rechtsnachfolgers wirkenden Urteils auch bei einem Erwerb vom Berechtigten ausschließt, wenn der Rechtsnachfolger im Hinblick auf die Rechtshängigkeit eines Verfahrens gutgläubig war, oder ob § 325 Abs. 2 ZPO nur beim Erwerb vom Nichtberechtigten zur Anwendung kommt, ist

253 Teilweise wird darauf abgestellt, ob der rechtsfremde Prozessführungsbefugte ausschließlich prozessführungsbefugt ist oder ob dem Rechtsträger eine konkurrierende Prozessführungsbefugnis zusteht, wobei nur im ersten Fall eine Rechtskrafterstreckung bejaht wird (So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 46 Rn. 62 (S.234); Markoulakis, Die Betroffenheit Dritter von der Rechtskraft, S. 91 f., 94 ff.; Sinianotis, ZZP 79 (1966), 78, 92, 98). Andere messen dagegen der Ausschließlichkeit der Prozessführungsbefugnis keine Bedeutung zu, sondern machen die Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsträger davon abhängig, dass dieser der Prozessführung durch den Rechtsfremden zugestimmt hat und ihm die Wahrnehmung seiner Interessen übertragen hat (Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 92 I 3, S. 512; Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 27; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325 Rn. 4; sofern der Prozess unter Berufung auf die Zustimmung geführt wurde, auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 64). Ausführlich zum Meinungsspektrum Berger, Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 15 ff. 254 BGH NJW 1985, 2825; Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 27; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 64; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325 Rn. 4. 255 Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 7 (S. 888); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325 Rn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 14 ff., 17 ff. 256 § 325 Abs. 1 ZPO. Vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 10 (S. 889); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 16, 17; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 14, 17. 257 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 16; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 14. 258 Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 30; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 34; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 44. 259 Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 44.

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umstritten.260 Nach wohl überwiegender Ansicht dient § 325 Abs. 2 ZPO lediglich dazu, einen gesetzlich vorgesehenen Erwerb vom Nichtberechtigten auch trotz einer rechtskräftigen Entscheidung zu ermöglichen,261 so dass die Regelung auf den Erwerb vom Berechtigten keine Anwendung findet. Für den Erwerb vom Nichtberechtigten bei Rechtshängigkeit eines Verfahrens bzw. bei bereits erlassener Entscheidung über den Erwerbsgegenstand formliert § 325 Abs. 2 ZPO allerdings erhöhte Anforderungen an die Gutgläubigkeit: 262 Der Rechtsnachfolger muss sowohl hinsichtlich der Berechtigung bzw. Verfügungsbefugnis als auch hinsichtlich der Rechtshängigkeit des Verfahrens gutgläubig sein.263 Neben der Erstreckung auf den Rechtsnachfolger sieht das Gesetz vereinzelt weitere Fälle einer Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf bestimmte Dritte264 bzw. in Abstammungssachen auch auf jedermann265 vor. Gesetzlich vorgesehen ist eine Wirkungserstreckung auch in einzelnen Konstellationen materiellrechtlich abhängiger Rechtsverhältnisse. 266 Außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle begründet aber die materielle Abhängigkeit des Rechts eines Dritten vom zwischen den Parteien streitigen Rechtsverhältnis nach herrschender Meinung keine subjektive Rechtskrafterstreckung. 267 Abgelehnt wird von 260

Für eine Anwendung nur beim Erwerb vom Nichtberechtigten: Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 30; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 23; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 11 (S. 889); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 38 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 44. Für eine Anwendung auch beim Erwerb vom Berechtigten (Gutgläubigkeit dann nur hinsichtlich der Rechtshängigkeit) dagegen: Pohlmann, Zivilprozessrecht, Rn. 713; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 325 Rn. 8. 261 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 23; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 11 (S. 889); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 38. 262 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 11 (S. 889); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 38. 263 Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 32; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 24; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 11 (S. 889); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 38. 264 Z.B. § 248 Abs. 1 AktG (Rechtkraft des Urteils, das einen Hauptversammlungsbeschluss für nichtig erklärt, wirkt gegenüber allen Aktionären der Gesellschaft). 265 § 184 Abs. 2 FamFG (Wirksamkeit des Beschlusses, durch den über die Abstammung entschieden wird, gegenüber jedermann). 266 Z.B. gemäß § 124 VVG bei der KfZ-Haftpflichtversicherung: Wirkung der Abweisung der Klage des Dritten gegen den Versicherer auch für den Versicherungsnehmer und andersherum (nach h.M. als Rechtskrafterstreckung einzuordnen, vgl. BGH NJW 1982, 996 ff. (zum früheren § 3 Nr. 8 PflichtversicherungsG); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 25 (S. 891); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 73. Gegen die Einordnung als Rechtskrafterstreckung allerdings MüKo/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 64 (besondere Feststellungswirkung)). 267 BGH NJW 1996, 395, 396; BGH NJW 2011, 2048 f.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 41, S. 255; MüKO/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 70 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 27 (S. 891); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 325 Rn. 90 ff. Vgl. aber

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der herrschenden Meinung daher insbesondere eine Ausdehnung der Rechtskraft der Verurteilung des Hauptschuldners auf den Bürgen 268 bzw. einer Entscheidung zulasten des Hauptmieters auf den Untermieter. 269 Auch das gegenüber einem einzelnen Gesamtschuldner ergangene Urteil wirkt nicht zulasten der anderen Gesamtschuldner.270 Versuchen, den Grundsatz der Beschränkung der Rechtskraftwirkung auf die Parteien dazu zu missbrauchen, die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen zu unterlaufen, hat der BGH wiederholt dadurch Grenzen gesetzt, dass er den lediglich vorgeschobenen „Strohmann“ der tatsächlichen Partei gleichstellt.271 Dies setzt jedoch voraus, dass der „Strohmann“ das Verfahren im Interesse und auf Weisung des Hintermannes und ohne jedes Eigeninteresse führt.272 Im Übrigen bleibt die Rechtskraft aber nach der herrschenden Meinung grundsätzlich streng auf die Parteien beschränkt und werden Ausnahmen von diesem Grundsatz nur bei entsprechender gesetzlicher Regelung zugelassen.

die abweichenden Ansätze von Schwab ZZP 77 (1964), S. 124, 142 f. (Bindung des Dritten bei Präjudizialität des Streitgegenstandes für das Rechtsverhältnis, an dem der Dritte beteiligt ist); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 91 II, S. 505 ff. (Rechtskrafterstreckung bei Vorgreiflichkeit des Streitgegenstandes für das Rechtsverhältnis des Dritten zu einer der Parteien und Zumutbarkeit der Rechtskrafterstreckung für den Dritten). 268 BGH NJW 1980, 1460, 1461; Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 20; MüKO/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 75; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 15; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 29 (S. 891). Auf das klageabweisende (also dem Bürgen günstige) Urteil im Verhältnis zwischen Gläubiger und persönlichem Schuldner kann sich der Bürge aber gemäß § 768 Abs. 1 S. 1 BGB berufen, was als Rechtskrafterstreckung verstanden wird, vgl. BGH NJW 1970, 279; BGH NJW-RR 1987, 683, 685; Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 20; MüKO/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 74; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 15; a.A. Markoulakis, Die Betroffenheit Dritter von der Rechtskraft, S. 193 ff. Im Sonderfall der Prozessbürgschaft ergibt sich die Wirkungserstreckung auch des zulasten des Hauptschuldners ergangenen Urteils aus dem Sicherungszweck der Bürgschaft, vgl. BGH NJW 1975, 1119, 1121. 269 BGH NJW-RR 2006, 1385, 1386; BGH NJW 2010, 2208; MüKO/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 88; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 325 Rn. 18; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 29 (S. 891); a.A. dagegen Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 93 III 2b S., 521 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 325 Rn. 38; AG Hamburg NJW-RR 1992, 1487. 270 § 425 Abs. 2 BGB, vgl. auch BGH NJW-RR 1993, 1266, 1267; BGH NJW-RR 1989, 1055, 1056; BGH NJW-RR 2006, 1628, 1629; Hk-ZPO/Saenger, § 325 Rn. 2; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 41, S. 255; MüKO/Gottwald, ZPO, § 325 Rn. 85; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156 Rn. 29 (S. 891). Ebenso bei Gesamtgläubigern, vgl. BGH NJW 1984, 126, 127. 271 BGH NJW 1993, 2942, 2043. Ebenso, aber im konkreten Fall die Unzulässigkeit der Klage des Strohmanns verneinend BGH GRUR 1963, 253 f.; BGH GRUR 2010, 231, 233; BGH GRUR 2012, 540, 541. 272 BGH GRUR 2010, 231, 233; BGH GRUR 2012, 540, 541.

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II. Die subjektive Reichweite des „res judicata estoppel“ Auch in England gilt der Grundsatz, dass die res judicata-Wirkung der Entscheidungen in personam nur die Parteien und deren privies trifft. 273 Unerheblich ist dabei ein Wechsel der Kläger- und Beklagtenstellung.274 Die Parteiidentität wird abgelehnt, wenn die Person in den beiden Verfahren in unterschiedlicher Eigenschaft (capacity) aufgetreten ist, insbesondere also wenn sie im einen Verfahren als Stellvertreter gehandelt hat und im anderen Prozess dagegen in eigenem Namen vorgegangen ist. 275 Grundsätzlich wirkt die res judicata im Verhältnis zwischen Kläger und Beklagten, jedoch hat die Rechtsprechung teilweise angenommen, dass die Abweisung einer gegen mehrere Beklagte gerichteten Klage auch einen res judicata estoppel in einem späteren Verfahren zwischen den Beklagten zur Folge haben kann.276 Neben den Parteien erfasst die res judicata-Wirkung auch deren privies. Der Begriff des privy ist nicht leicht zu erfassen und umschreibt nicht nur den Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger, sondern über die Figur der privity of interest auch Personen, die aufgrund einer engen Beziehung zur Partei oder zum Streitgegenstand ein besonderes Interesse an dem zwischen den Parteien geführten Verfahren haben.277 Gemeinsam ist den Fällen der privity das Bestehen eines rechtlichen oder sonstigen Interesses am vorausgegangenen Verfahren oder dessen Gegenstand (subject matter). 278 Die Erstreckung der res judicataWirkung setzt voraus, dass die Rechtsnachfolge oder die Erlangung des Interesses nach dem Erlass des rechtskräftigen Urteils eingetreten ist. 279

273 Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 1.02. Dies gilt sowohl für den cause of action estoppel (R (Coke-Wallis) v. Institute of Chartered Accountants in England and Wales [2011] 2 A.C. 146, 148) als auch für den issue estoppel (The Sennar (No. 2) (DSV Silo-und Verwaltungsgesellschaft mbH v. Owners of The Sennar and 13 Other Ships) [1985] 1 W.L.R. 490, 499; Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 105). 274 Eastmure v. Laws 132 E.R. 1170, 1173; Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 9.05. 275 Marginson v. Blackburn Borough Council [1939] 2 K.B. 426, 438 (Auftreten im eigenen Namen und später als Vertreter des Vermögens der verstorbenen Frau); Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 9.22. 276 Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 9.08. 277 Vgl. die Definition der privies bei Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 9.38: “Privies include any person who succeeds to the rights or liabilities of a party on death, insolvency, by assignment or by statute, or who is otherwise identified in estate or interest.” 278 Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 9.38; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.91. 279 Powell v. Wiltshire [2005] Q.B. 117, 126 [at 25] (“In other words a person claiming title is privy to the interests of those through whom he claims that title for the purposes of the operation of the doctrine of estoppel per rem judicatam but only if the title he claims was acquired after the date of the judgment.”); Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.92.

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Die Figur der privity of interest ermöglicht eine sehr flexible Ausdehnung der res judicata-Wirkung auf am Verfahren nicht formal Beteiligte. Welcher Maßstab für die Stellung als privy in interest einer Partei gilt, lässt sich dem case law allerdings nicht eindeutig entnehmen. Nicht jedes Interesse am Verfahrensgegenstand und nicht jede materiellrechtliche Verbindung zu einer der Parteien begründen eine privity of interest: So ist beispielsweise ein Verpächter in einer Besitzschutzklage des Pächters eines Grundstücks gegen einen Dritten nicht als privy des Pächters angesehen worden. 280 Wegen bestehender privity of interest ist dagegen z.B. der trustee durch eine gegen den beneficiary ergangene Entscheidung gebunden und andersherum.281 Die Ergebnisse hängen hier oft von der Ausgestaltung des konkreten Einzelfalls ab. So wird im Rahmen eines Konzerns zwar nicht allgemein ein Verhältnis der privity zwischen der Muttergesellschaft und dem Tochterunternehmen angenommen, jedoch hat die Rechtsprechung ein solches Verhältnis teilweise aufgrund der Umstände des Einzelfalls bejaht, so z.B. in einem Markenrechtsstreit aufgrund der Tatsache, dass die Muttergesellschaft die Markenrechte innehatte und die Tochtergesellschaft diese verwendete.282 Privity of interest wurde zudem auch in Fällen bejaht, in denen eine Person mit Interesse am Ausgang des Verfahrens und der Möglichkeit, an diesem formal beteiligt zu werden, in Kenntnis von dem Verfahren auf eine Beteiligung am Rechtsstreit verzichtet und die Führung des Rechtsstreits der Person mit einem gleichen rechtlichen Interessen überlassen hat.283 Hier sind die Grenzen zum abuse of process estoppel jedoch fließend.284 Ein abuse of process estoppel wird zwar häufiger zu bejahen sein, wenn die Parteien des Verfahrens, in dem der Missbrauch zu prüfen ist, dieselben sind wie in dem vorausgegangenen Verfahren, jedoch lässt der flexible Missbrauchsmaßstab auch die Annahme eines Prozessmissbrauchs im Verhältnis zu einem Dritten zu.285 Sowohl die Beurteilung einer privity of interest als auch 280

Sophia Elizabeth Baroness Wenman v. William Mackenzie 119 E.R. 547, 551. Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 515; Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 9.44. 282 Special Effects Ltd v. L'Oréal SA [2007] Bus. L.R. 759, 785. 283 So in der Entscheidung House of Spring Gardens Ltd. v. Waite [1991] 1 Q.B. 241, 253 f. 284 So die Beurteilung von Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.92. 285 Dexter Ltd (In Administrative Receivership) v. Vlieland-Boddy [2003] EWCA Civ. 14 [at 49] by Clarke L.J.: „The principles to be derived from the authorities, of which by far the most important is Johnson v Gore Wood & Co [2002] 2 AC 1, can be summarised as follows: i) Where A has brought an action against B, a later action against B or C may be struck out where the second action is an abuse of process. ii) A later action against B is much more likely to be held to be an abuse of process than a later action against C….“ Vgl. auch Bradford & Bingley Building Society v. Seddonhancock [1999] 1 W.L.R. 1482, 1491 f. („…now well established that the Henderson rule, as a species of the modern doctrine of abuse of process, is capable of application where the parties to the proceedings in which the issue is raised are different from those in earlier proceedings.“). 281

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die Anwendung des abuse of process estoppel sind dabei stark von Billigkeitserwägungen geprägt.286 Während bei Entscheidungen in personam der Grundsatz der Beschränkung auf die Parteien und deren privies gilt, soll die res judicata bei Entscheidungen in rem, in denen über den rechtlichen Zustand einer Person oder Sache entschieden wird, gegenüber jedermann wirken. 287 Eine von der res judicata zu unterscheidende Gestaltungswirkung kennt das englische Recht nicht. Durch die genaue Grenzziehung zwischen Feststellungen in rem und in personam (auch innerhalb einer Entscheidung 288) wird aber der Ausdehnung der Rechtskraft auf jedermann Grenzen gesetzt. 289 III. Die subjektiven Grenzen der „cosa giudicata“ in Italien Im italienischen Recht ergibt sich aus Art. 2909 c.c. eine subjektive Begrenzung der Wirkung der cosa giudicata auf die Parteien und ihre Rechtsnachfolger (eredi e aventi causa). Als Partei wird im Fall der Stellvertretung der Vertretene angesehen.290 Bei der Prozessstandschaft (sostituzione processuale oder leggitimazione straordinaria) ist dagegen umstritten, ob dem Rechtsinhaber (sostituito) oder dem Prozessstandschafter (sostituto) die Parteistellung zukommt. 291 Allerdings wollen auch die Autoren, die auf Grundlage eines materiellen Parteibegriffs den Rechtsinhaber als Partei ansehen, die Wirkungen des 286

Vgl. Gleeson v. J. Wippell & Co. Ltd. [1977] 1 W.L.R. 510, 515 („[T]here must be a sufficient degree of identification between the two to make it just to hold that the decision to which one was party should be binding in proceedings to which the other is party. It is in that sense that I would regard the phrase ‘privity of interest’.“). Resolution Chemicals Ltd v. H. Lundbeck A/S [2013] EWCA Civ. 924 [at 32] („[A] court which has the task of assessing whether there is privity of interest between a new party and a party to previous proceedings needs to examine […] whether it is just that the new party should be bound by the outcome of the previous litigation.“). Vgl. auch Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.132. 287 Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 10.01. 288 Vgl. Pattni v. Ali [2007] 2 A.C. 85, 104 („[T]here is no reason why an order should be characterised as either wholly in rem or wholly in personam.“). 289 So wird beispielsweise die Aufhebung eines Patents als Entscheidung in rem, die Entscheidung über die Wirksamkeit des Patents aber als Entscheidung in personam verstanden, zu diesem Beispiel Spencer Bower/Handley, Res judicata, para. 10.19. 290 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 41, p. 85 s.; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 24.4, p. 220; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 28, p. 167. 291 Auf Grundlage eines prozessualen, formalen Parteibegriffs für die Parteistellung des Prozessstandschafters: Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 41, p. 86; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 24.4, p. 220. Auf Grundlage eines am materiellen Rechtsverhältnis orientierten Parteibegriffs für eine Parteistellung des Rechtsinhabers: Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, V n. 5; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 28, p. 167; Für einen materiellen Parteibegriff im Rahmen des Art. 2909 c.c. auch Corte di Cassazione, 28. Oktober 1978, n. 4936, Repertorio del Foro Italiano 1978, voce

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Urteils auf den Prozessstandschafter erstrecken. 292 Die cosa giudicata wirkt auch für und gegen die Gesamt- und Einzelrechtsnachfolger, sofern der Rechtsübergang nach Rechtshängigkeit eingetreten ist. 293 Für einen Rechtsübergang während des laufenden Verfahrens ergibt sich die Wirkungserstreckung schon aus Art. 111, IV c.p.c., 294 für die Zeit nach dem Verfahrensende aus Art. 2909 c.c.295 In einzelnen Fällen ordnet das Gesetz eine Wirkung erga omnes an,296 die darüber hinaus aber teilweise auch den Entscheidungen zum rechtlichen Zustand einer Person oder Sache (status) zugesprochen wird.297 Während die autorità de la cosa giudicata in Literatur und Rechtsprechung häufig auf die Parteien und ihre Rechtsnachfolger beschränkt und eine Ausdehnung der Wirkungen nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zugelassen wird, 298 befürworten weite Teile der Rechtsprechung und der Literatur in Fällen materiell abhängiger Rechtsverhältnisse eine weitergehende Ausdehnung der Urteilswirkungen auf Dritte. So zieht die Rechtsprechung das ergangene Urteil im Verhältnis zu Dritten, denen ein Recht zusteht, welches von dem im ersten Verfahren gegenständlichen Rechtsverhältnis abhängig ist, oder die eine abhängige Verbindlichkeit trifft, teilweise als (Urkunds-)Beweis für die in der

Cosa giudicata civile, n. 12, p. 593: „il giudicato si forma soltanto fra le parti che sono i soggetti del rapporto sostanziale“). 292 Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 28, p. 167. 293 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 19.3, p. 171 ss. 294 Art. 111, comma 4 c.p.c.: „La sentenza pronunciata contro questi ultimi spiega sempre i suoi effetti anche contro il successore a titolo particolare ed è impugnabile anche da lui, salve le norme sull'acquisto in buona fede dei mobili e sulla trascrizione.“ Art. 111 c.p.c. ähnelt dem deutschen § 265 ZPO. 295 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 145, p. 284; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 365. 296 Als Beispiel wird die gesetzlich angeordnete Wirkungserstreckung der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit eines Patents genannt: Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, V n. 5; Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 145, p. 286. 297 Ablehnend allerdings Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 145, p. 286. 298 In der Rechtsprechung z.B. Corte di Cassazione, 8. Februar 2006, n. 2786, Repertorio del Foro Italiano 2006, voce Cosa giudicata civile, n. 35, p. 1002. Ebenso Consiglio di Stato, 22. November 2005, n. 6506, Repertorio del Foro Italiano 2006, voce Cosa giudicata civile, n. 31, p. 1002; Corte di Cassazione, 19. März 2013, n. 6788, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 42, p. 864. In der Literatur wohl Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, V, n. 5; Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 599 s., p. 2036 ss. Teile der Literatur unterscheiden zwischen einer gegenüber jedermann wirkenden efficacia des Urteils und der nach Art. 2909 c.c. subjektiv beschränkten autorità de la cosa giudicata (Liebman, Efficacia ed autorità della sentenza, in: Efficacia ed autorità della sentenza, p. 1, p. 95 ss. (n. 24), 98; Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 141–144, p. 275 ss.).

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Erstentscheidung getroffene Feststellung zum zugrunde liegenden Rechtsverhältnis heran.299 Hierüber hinaus geht die in Rechtsprechung und Literatur weit verbreitete Bejahung einer sogenannten Reflexwirkung (efficacia riflessa) des Urteils gegenüber Dritten in Fällen materiellrechtlicher Abhängigkeit. 300 Die efficacia riflessa beschreibt nicht lediglich eine Tatbestandswirkung, sondern eine Präjudizialbindung an die Feststellung des Erstverfahrens, die von der direkten Wirkung der cosa giudicata (efficacia diretta) bei Streitgegenstandsidentität unterschieden wird. 301 Als Anwendungsfälle dieser nicht auf die Parteien beschränkten efficacia riflessa werden zunächst die gesetzlich geregelten Konstellationen angesehen, in denen sich der an einem abhängigen Rechtsverhältnis beteiligte Dritten im Verhältnis gegenüber einer der Parteien auf die Entscheidung berufen kann.302 Darüber hinaus wird die efficacia riflessa aber allgemein zur Begründung einer Bindungswirkung der Entscheidung in Fällen herangezogen, in denen der Streitgegenstand des zwischen den Parteien ent-

299 So z.B. in Corte di Cassazione, 12. April 1984, n. 2369, Foro Italiano 1985, p. 2383, 2389 ss. (zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner ergangenes Urteil, in dem der Hauptschuldner verurteilt wurde, als Beweismittel im späteren Verfahren zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen); Corte di Cassazione, 29. Januar 2003, n. 1372, Repertorio del Foro Italiano 2003, voce Cosa giudicata civile, n. 54, p. 913 („Dal principio fissato dall’art. 2909 c.c. [...] se evince [...] che l’accertamento contenuto nella sentenza passata in giudicato può esclusivamente avere la diversa efficacia di prova, o di elemento di prova documentale, in ordine alla situazione giuridica che abbia formato oggetto dell’accertamento giudiziale“). Gegen eine Heranziehung als Beweismittel Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, V n. 9. 300 Corte di Cassazione, 6. September 2007, n. 18725, Repertorio del Foro Italiano 2007, voce Cosa giudicata civile, n. 53, p. 1013 („Il giudicato, oltre a spiegare un’efficacia diretta nei confronti di soggetti che hanno partecipato al giudizio nel quale esso si è formato, è dotato anche di un’ efficacia riflessa nei confronti di terzi ….“); Corte di Cassazione, 8. Oktober 2013, n. 22908, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 39, p. 864; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 366 ss., 370. Mit gewisser Einschränkung auch Luiso, Diritto processuale civile I, n. 19.6 ss., p. 176 ss. Teilweise verwischen aber die Grenzen zu einer Heranziehung des Urteils als Beweismittel, so z.B. in der Entscheidung Corte di Cassazione, 12. Mai 2002, n. 7262, Repertorio del Foro Italiano 2003, voce Cosa giudicata civile, n. 58, p. 913 („Il giudicato in quanto affermazione aggettiva di verità, può avere efficacia riflessa anche nei confronti dei terzi estranei alla sua formazione ed essere utilizzato dal giudice di un diverso processo nella formazione del suo convincimento.“). 301 Vgl. Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 63. 302 Die Rechtsprechung ordnet z.B. auch die in Art. 1306, II c.c. vorgesehene Möglichkeit des Gesamtschuldners, dem Gläubiger ein im Verfahren zugunsten eines anderen Gesamtschuldners ergangenes Urteil entgegenzuhalten, der efficacia riflessa zu, vgl. z.B. Corte di Cassazione, 6. April 2004, n. 6694, Repertorio del Foro Italiano 2004, voce Cosa giudicata civile, n. 42, p. 957 („Il principio del giudicato riflesso, ovvero il principio per cui un coobligato può avvalersi del giudicato favorevole emesso in un giudizio promosso da altro ccobligato, anche se non vi ha partecipato …“).

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schiedenen Rechtsstreits eine Voraussetzung des abhängigen Verhältnisses bildet (nesso di pregiudizialità-dipendeza), 303 in denen also der Dritter Inhaber eines Rechtes oder Schuldner einer Verbindlichkeit ist, die von dem Rechtsverhältnis zwischen den Parteien abhängt.304 Notwendig ist demnach ein Verhältnis der Präjudizialität bzw. der materiellrechtlichen Abhängigkeit, das z.B. zwischen Untermiet- und Hauptmietverhältnis bejaht wurde. 305 Eine Reflexwirkung der cosa giudicata gegenüber Dritten wird aber nur für Fälle materiellrechtlicher Abhängigkeit bejaht. Daher verneint die Rechtsprechung beispielsweise eine Erstreckung der autorità de la cosa giudicata bzw. der efficacia riflessa auf Dritte, die ein Recht innehaben bzw. für sich beanspruchen, welches zwar mit dem im Erstverfahren beurteilten Rechtsverhältnis unvereinbar ist, das aber in keinem materiellrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zu diesem steht.306 Eine derart weitgehende Erstreckung der Wirkung der 303 Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 366 ss., 370. Einschränkend (nur in Fällen, in denen der dauerhafte Fortbestand des präjudiziellen Rechtsverhältnisses Voraussetzung des abhängigen Rechtsverhältnisses ist, z.B. bei der Untervermietung im Verhältnis zum Hauptmietverhältnis) Luiso, Diritto processuale civile I, n. 19.6 ss., p. 176 ss. Die efficacia riflessa auf die gesetzlich vorgesehenen Fälle beschränkend Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 599, p. 2037. 304 Corte di Cassazione, 24. Mai 1994, n. 5053, Repertorio del Foro Italiano 1994, voce Locazione – Rilascio, n. 461, p. 1289; Corte di Cassazione, 10. November 1998, n. 11324, Repertorio del Foro Italiano 1998, voce Locazione – Sublocazione e cessione, n. 300, p. 1403; Corte di Cassazione, 13. Januar 1998, n. 212, Il Foro Italiano 2007, I, 3627, 3629; Corte di Cassazione, 8. November 2007, n. 23302, Repertorio del Foro Italiano 2007, voce Locazione – Sublocazione e cessione, n° 239, p. 1593 (jeweils zur Wirkung der Entscheidung zwischen Vermieter und Hauptmieter im Verhältnis zum Untermieter); Corte di Cassazione, 1. März 2007, n. 4864, Repertorio del Foro Italiano 2007, voce Cosa giudicata civile, n. 50, p. 1013; Corte di Cassazione, 6. September 2007, n. 18725, Repertorio del Foro Italiano 2007, voce Cosa giudicata civile, n. 53, p. 1013 („efficacia riflessa nei confronti di terzi che, pur essendo rimasti estranei al medesimo giudizio, risultino titolari di diritti ed obblighi dipendenti dalla situazione, giuridica definita in quel processo“) (das zwischen einer Bank und einem Bürgen ergangene Urteil zur Formwirksamkeit (Unterschrift) des Bürgschaftsvertrages stand dem Erfolg der späteren Klage des Bürgen auf Schadensersatz wegen Fälschung der Unterschrift des Bürgen nicht nur im Verhältnis zur Bank, sondern auch zu ihrem Angestellten entgegen). 305 Corte di Cassazione, 24. Mai 1994, n. 5053, Repertorio del Foro Italiano 1994, voce Locazione – Rilascio, n. 461, p. 1289; Corte di Cassazione, 10. November 1998, n. 11324, Repertorio del Foro Italiano 1998, voce Locazione – Sublocazione e cessione, n. 300, p. 1403; Corte di Cassazione, 13. Januar 1998, n. 212, Foro Italiano 2007, I, 3627, 3629; Corte di Cassazione, 8. November 2007, n. 23302, Repertorio del Foro Italiano 2007, voce Locazione – Sublocazione e cessione, n° 239, p. 1593. 306 Corte di Cassazione, 4. April 2003, n. 5320, Repertorio del Foro Italiano 2003, voce Cosa giudicata civile, n. 55, p. 913 („[T]uttavia, talli effetti riflessi, oltre che dagli ordinari limiti soggettivi, sono impeditivi tutte le volte in cui il terzo vanta un proprio diritto autonomo rispetto al rapporto in ordine al quale il giudicato interviene, non essendo ammissibile che quegli ne possa ricevere un pregiudizio giuridico.“); Corte di Cassazione, 22. Dezember 2006, n. 27500, Repertorio del Foro Italiano 2006, voce Cosa giudicata civile, n. 30, p. 1002.

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cosa giudicata auf Dritte wird als unvereinbar mit dem in Art. 24 der italienischen Verfassung verankerten Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens (contraddittorio) angesehen.307 Dem Dritten, auf den sich zwar nicht die Wirkungen der cosa giudicata erstrecken, der aber durch die zwischen den Parteien wirkende Entscheidung beeinträchtigt wird, steht nach italienischem Recht die opposizione di terzo (Art. 404 c.p.c.) zur Verfügung, durch welche die Entscheidung angefochten werden kann.308 Das italienische Recht begrenzt die Rechtskraftwirkung damit grundsätzlich auf die Parteien und deren Rechtsnachfolger. Teile der Rechtsprechung und Literatur brechen diesen Grundsatz aber in Fällen materiellrechtlicher Abhängigkeit auf, indem sie eine Bindung Dritter in Form der efficacia riflessa bejahen. B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtsentwicklung Sämtliche untersuchten Rechtsordnungen beschränken die Rechtskraft im Grundsatz auf die Parteien und deren Rechtsnachfolger. Spanien und Frankreich bilden insoweit keine Ausnahme. Im Fall der Stellvertretung wird in den untersuchten Rechtsordnungen der Vertretene und nicht der im Verfahren als Stellertreter Auftretende als Partei angesehen. 309 Im Hinblick auf die subjektive Reichweite der Rechtskraft in Fällen der Prozessstandschaft bzw. wenn fremde Rechte im eigenen Namen geltend gemacht werden, divergieren die Lösungen dagegen stärker. Während das deutsche und das spanische Recht 310 den im Verfahren auftretenden Rechtsfremden als Partei ansehen, ist dies in Italien umstritten. Eine Bindung des Rechtsfremden ist jedoch auch in Italien gewollt, auch wenn dies bei Ablehnung der Parteistellung über eine Erstreckung der Rechtskraft bzw. der efficacia riflessa erfolgt. Eine Erstreckung der Rechtskraft auf den Rechtsinhaber befürwortet die spanische Literatur,311 im deutschen Recht wird sie zumindest bei Zustimmung des Rechtsträgers zur Prozessführung des Rechtsfremden überwiegend bejaht.

307 So Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, V n. 5; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 19.2, p. 171; Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 599 s., p. 2037. 308 Art. 404 c.p.c.: „Un terzo puo' fare opposizione contro la sentenza passata in giudicato o comunque esecutiva pronunciata tra altre persone quando pregiudica i suoi diritti. Gli aventi causa e i creditori di una delle parti possono fare opposizione alla sentenza, quando è l'effetto di dolo o collusione a loro danno.“ 309 Für Frankreich siehe oben Kapitel 2 § 2 F. I. 1., 2.; für Spanien Kapitel 2, § 2, G. I. 1. a. 310 Hierzu oben Kapitel 2, § 2, I. a.; II. a.. cc. 311 Siehe oben Kapitel 2, § 2, I. a.; II. a. cc.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Deutliche Unterschiede zeigen sich aber im Hinblick auf die Ausnahmen, die von der grundsätzlichen Beschränkung der Rechtskraft auf die Parteien und ihre Rechtsnachfolger zugelassen werden. Das deutsche Recht nimmt hierbei die restriktivste Position ein und lässt Ausnahmen nur in gesetzlich geregelten Fällen zu, während die übrigen untersuchten Rechtsordnungen flexiblere Ansätze wählen, um insbesondere bei materiellrechtlicher Abhängigkeit bzw. bei einer engen materiellrechtlichen Beziehung zu einer der Parteien bzw. zum Streitgegenstand eine Ausweitung auf Dritte zu bewirken: In Spanien wird eine solche subjektive Ausdehnung, z.B. auf nicht am Verfahren beteiligte Ehepartner und Miterben, über das Erfordernis der rechtlichen Parteiidentität bewirkt. 312 Eine Erstreckung der Rechtskraft auf nicht am Verfahren beteiligte Gesamtschuldner bzw. -gläubiger wird angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung, die nach früherer Rechtslage gesetzlich verankerte Rechtskrafterstreckung in dieser Konstellation zu streichen, jedoch verneint. 313 Sehr uneinheitlich wird eine Rechtskrafterstreckung wegen materiellrechtlicher Abhängigkeit im italienischen Recht beurteilt: Nach einer umstrittenen, jedoch sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur verbreiteten Ansicht ist im Verhältnis zu einem Dritten eine Präjudizialbindung an die im ersten Verfahren getroffene Feststellung zu dem Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zu bejahen, wenn das Recht des Dritten vom Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unmittelbar abhängt. Eine recht weitreichende Erstreckung der Rechtskraft auf Dritte wird in Frankreich unter Rückgriff auf die Figur der représentation vorgenommen: Diese ermöglicht es, in Konstellationen materieller Abhängigkeit, z.B. zwischen Gesamtschuldnern oder zwischen Hauptschuldner und Bürgen, die Annahme einer Bindung sowohl des tatsächlich im Verfahren Auftretenden als auch des nicht am Verfahren beteiligten, aber „vertretenen“ Gesamtschuldners oder Bürgen zu begründen.314 In England liefert die Figur der privity of interest, die ein besonderes Interesse am Verfahrensgegenstand voraussetzt, den dogmatischen Anknüpfungspunkt für eine sehr flexible, stark von der Ausgestaltung des konkreten Einzelfalls abhängige Ausdehnung der res judicata-Wirkung auf Dritte. Der englische Begriff des privy und die französische Figur der repésentation erlauben damit eine weiterreichende Ausdehnung auf Dritte, als sie im italienischen, spanischen und insbesondere deutschen Recht zugelassen wird. Selbst die deutsche Rechtsprechung durchbricht aber die strenge Begrenzung auf die Parteien im formellen Sinne, um Versuche einer Umgehung der Rechtskraft durch missbräuchliches Vorschieben anderer Personen im späteren Verfahren zu verhindern. Auch den anderen Rechtsordnungen ist eine Ausdehnung der Rechtskraft mit dem Ziel, ein missbräuchliches Unterlaufen der 312

Siehe oben Kapitel 2, § 2, I. a.. Siehe oben Kapitel 2, § 2, I. a. ee. (1) (a). 314 Siehe oben Kapitel 2, § 1,F. I. 1. 313

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Rechtskraft zu verhindern, bekannt. So erklärt die spanische Rechtsprechung das Hinzutreten zusätzlicher Parteien in späteren Verfahren für unbeachtlich, wenn hierdurch die Rechtskraft der Erstentscheidung umgangen werden soll. 315 Das englische Recht lässt in Fällen des Prozessmissbrauchs eine Ausweitung der Urteilswirkung auf Dritte über den abuse of process estoppel zu. Eine Rechtskraftwirkung erga omnes wird insbesondere bei familienrechtlichen Verfahrensgegenständen bejaht, die von besonderem öffentlichen Interesse sind. Im deutschen Recht zeigt sich dies bei der gesetzlichen Anordnung der erga omnes-Wirkung in Abstammungssachen. Dagegen wirkt bei Gestaltungsurteilen zum Personen- und Familienstand nur die Gestaltungswirkung gegenüber jedermann, während die Rechtskraft auch hier auf die Parteien beschränkt bleibt. Obwohl auch Spanien die Gestaltungswirkung der Gestaltungsurteile kennt, ordnet Art. 222 LEC eine weite Rechtskraftwirkung erga omnes der Entscheidungen zum Personen- und Familienstand, zur Abstammung und Geschäftsfähigkeit an.316 In Italien ist eine Wirkung erga omnes bei den Entscheidungen zum Personen- und Familienstand umstritten. Dagegen zählen Entscheidungen zum status einer Person in England anerkanntermaßen zu den Entscheidungen in rem, die gegenüber jedermann wirken. Einen eigenständigen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung für Dritte, die durch die zwischen den Parteien ergangene Entscheidung in ihren Rechten beeinträchtigt werden, haben nur Frankreich und Italien entwickelt. In den übrigen Rechtsordnungen wird ein ausreichender Schutz der Rechtsposition des Dritten bereits darin gesehen, dass die Rechtskraftwirkung auf die Parteien beschränkt bleibt und dem Dritten Instrumente für ein Vorgehen gegen seine Rechte beeinträchtigende Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Obwohl alle untersuchten Rechtsordnungen vom selben Grundsatz ausgehen, bewirkt die unterschiedliche Handhabung der Zulassung von Ausnahmen, dass im Ergebnis doch recht große Unterschiede bestehen. Deutlich wird, dass mit Ausnahme des deutschen Rechts alle Rechtsordnungen flexible Formeln entwickelt haben, um in Fällen einer engen materiellrechtlichen Verbindung zwischen einem Dritten und den Parteien bzw. dem Verfahrensgegenstand, insbesondere in Fällen materiellrechtlicher Abhängigkeit, eine Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf den Dritten zu ermöglichen.

315 316

Siehe oben Kapitel 2, § 2, I. 1. b. Siehe oben Kapitel 2, § 2, I. 2. B.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

§ 6 Die objektive Reichweite der Rechtskraft § 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

A. Die objektive Reichweite der Rechtskraft in Deutschland, England und Italien sowie der autonome europäische Begriff der Anspruchsidentität Im Hinblick auf die objektive Reichweite der Rechtskraft wird in den heranzuziehenden Vergleichsrahmen auch der Begriff der Anspruchsidentität einbezogen, den der EuGH für die Rechtshängigkeitssperre des Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO/Art. 29 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-Verordnung) entwickelt hat. Auch wenn durchaus berechtigte Zweifel bestehen, ob dieser Begriff auf die Rechtskraft übertragen werden kann, 317 so erscheint es doch legitim, im Rahmen einer Verortung der französischen und spanischen Lösungen im europäischen Vergleich abgrenzend auch eine autonome europäische Konzeption objektiver Streitgegenstandsbegrenzung heranzuziehen, die zudem terminologisch auf ähnlichen Elementen aufbaut wie die objektiven Grenzen der Rechtskraft in Frankreich und Spanien. 318 I. Die Reichweite der Rechtskraft nach deutschem Recht: Streitgegenstand, kontradiktorisches Gegenteil und Tatsachenpräklusion § 322 Abs. 1 ZPO bestimmt den in der Klage bzw. der Widerklage geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand der Rechtskraft. Damit ist nach der heute ganz herrschenden Meinung der prozessuale Anspruch im Sinne des Streitgegenstandes gemeint.319 Die objektive Reichweite der Rechtskraft bestimmt sich daher anhand des Streitgegenstandsbegriffs, der überwiegend zweigliedrig durch den Antrag und den diesem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt definiert wird. 320

317

Vgl. z.B. die ausführliche Ablehnung einer Ableitung einer europäischen Rechtkraftkonzeption aus Art. 27 EuGVVO und einer Übertragung des hierzu entwickelten Begriffs der Anspruchsidentität Zeuner, Festschrift Kerameus, 2009, S. 1587, 1592 ff. 318 Zur Ausrichtung des Begriffs der Anspruchsidentität an den beiden Elementen des Gegenstandes (objet) und der Grundlage (cause) Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 129 und sogleich unten Kapitel 3, § 6 A. IV. 319 BGH NJW 2004, 1252, 1253; BGH NJW 2010, 2210, 2211; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 22; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 110; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 16. 320 Diesen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff vertritt insbesondere die Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 2004, 1252, 1253; BGH NJW 2010, 2210, 2211; BGH NJW 2013, 540, 542. Aus der Literatur Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 154 Rn. 2 (S. 880); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 17. Im Hinblick auf die Rechtskraft in Übereinstimmung mit dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff das Abstellen auf den Antrag durch die Heranziehung des Tatsachenkomplexes ergänzend auch: Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 94. Für unerheblich haltend, ob der Streitgegenstand primär durch den Antrag oder gleichwertig durch Antrag und Lebenssachverhalt bestimmt wird: MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 111.

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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Der Lebenssachverhalt umfasst den gesamten historischen Lebensvorgang, auf den sich das Rechtsschutzbegehren bezieht, 321 bzw. sämtliche Tatsachen, die bei natürlicher Betrachtung dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex zuzurechnen sind.322 Er ist damit nicht auf die Tatsachen beschränkt, die den gesetzlichen Tatbestand einer Rechtsgrundlage umschreiben, aus der sich die begehrte Rechtsfolge ergeben könnte. 323 Dass durch bestimmte Handlungen oder Unterlassungen verschiedene, gesetzlich vorgezeichnete vertragliche Pflichten verletzt werden, führt noch nicht zwingend zur Annahme verschiedener Streitgegenstände, vielmehr wird wertend entschieden, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt gegeben ist. 324 Unerheblich ist auch, ob abweichende materiellrechtliche Anspruchsgrundlagen oder verschiedene Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe hinsichtlich eines Rechtverhältnisses herangezogen werden, sofern von einer Einheitlichkeit des Lebenssachverhaltes auszugehen ist. 325 Daher ist nach einer auf einen vertraglichen Anspruch gestützten Schadensersatzklage beispielsweise auch eine auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch gestützte Klage auf Grundlage desselben Sachverhaltes gesperrt.326 Dagegen kann der Kläger nach Abweisung seiner Klage auf eine vertragliche Gegenleistung bereicherungsrechtlichen Wertersatz verlangen, weil durch die Berufung auf das Fehlen eines Vertrages im zweiten Verfahren ein

Ausführlich zur Entwicklung der Streitgegenstandslehren Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 40 ff. 321 BGH NJW 2004, 1252, 1253. 322 BGH NJW 1992, 1172, 1173; BGH NJW 2008, 3570, 3571; BGH NJW 2013, 540, 542; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 154 Rn. 2 (S. 880). Vgl. auch MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 115 („wohl am praktikabelsten“). 323 BGH NJW 2013, 540, 541. 324 So bildet der Anlageberatungsvorgang auch bei verschiedenen Verstößen gegen Beratungs- und Aufklärungspflichten im Laufe der Beratung einen einheitlichen Lebenssachverhalt: BGH NJW 2014, 314, 315; OLG München WM 2014, 743 (anders noch OLG Karlsruhe NJWRR 2012, 1435, 1436). Vgl. dagegen BGH NJW-RR 2008, 762, 763 (fehlerhafte Entwurfsplanung und mangelhafte Bauüberwachung stellen gegenüber der fehlenden Ausführungsplanung einen abweichenden Tatsachenkomplex dar, obwohl sie im Rahmen eines einheitlichen Arch itektenvertrages vorgenommen wurden). 325 BGH NJW 2009, 3655, 3657 (verschiedene Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe bei Anfechtung eines Eigentümerbeschlusses). Dass bei dieser Abgrenzung im Einzelfall auch die gesetzlich vorgezeichneten Rechtstatbestände eine gewisse, mittelbare Berücksichtigung finden, liegt aber schon deshalb nahe, weil die gesetzlichen Tatbestände an typisierten Lebenssachverhalten ausgerichtet sind, so auch Stein/Jonas/Leipold, § 322 Rn. 227. 326 Einen einheitlichen Streitgegenstand wegen einheitlichen Lebenssachverhaltes trotz Berufung auf vertragliche und deliktische Ansprüche bejahend BGH NJW 2013, 540, 542. Ebenso Stein/Jonas/Leipold, § 322 Rn. 98.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

wesentlich abweichender Sachverhalt geltend gemacht wird. 327 Die Zugehörigkeit zu einem einheitlichen Tatsachenkomplex bildet allerdings kein trennscharfes Kriterium,328 sondern beruht vielmehr auf einer wertenden Zusammenfassung verschiedener Tatsachen nach im Einzelfall zu bestimmenden Gesichtspunkten.329 Erhebliche Bedeutung für die Bestimmung des Streitgegenstandes und der Begrenzung der Rechtskraft kommt im deutschen Recht dem Antrag zu. Die deutsche Streitgegenstandslehre stellt nicht das wirtschaftlich-soziale Begehren, sondern die im Antrag konkret bestimmte Rechtsfolge in den Vordergrund. Dies zeigt sich insbesondere bei der Beurteilung der Rechtskraftreichweite bei Teilklagen. Unstreitig ist hierbei, dass eine spätere Klage auf den ausstehenden Teil oder Restbetrag zumindest dann möglich ist, wenn hinsichtlich des bereits eingeklagten Teils ein zusprechendes Urteil ergangen ist. 330 Nach der herrschenden Ansicht in der Literatur ist eine klageweise Geltendmachung des Restes aber auch dann möglich, wenn das Gericht die erste Teilklage als unbegründet abgewiesen hat. Dies wird von der herrschenden Meinung unabhängig davon bejaht, ob der Kläger in der ersten Klage deutlich gemacht hat, dass er nur einen Teil einklagt (sog. offene Teilklage), oder nicht (sog. verdeckte Teilklage).331 Zur Begründung der Zulässigkeit einer späteren Klage über den restlichen Teil wird angeführt, dass das Gericht nur über den durch den Antrag begrenzten Streitgegenstand entscheide, weshalb eine rechtskräftige Entscheidung nur hinsichtlich des Teilbetrages vorliege, nicht aber hinsichtlich des 327 BGH NJW 1990, 1795, 1796; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 119; Stein/Jonas/Leipold, § 322 Rn. 98. 328 So auch MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 115. 329 Darauf hinweisend, dass der Lebenssachverhalt danach variiert, unter welchem Gesichtspunkt man die Tatsachen zusammenfasst Stein/Jonas/Leipold, § 322 Rn. 226. 330 Dies gilt auch bei verdeckter Teilklage: BGH NJW 1994, 3165, 3166; BGH NJW 1997, 1990; BGH NJW 1997, 3019, 3020; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 12, S. 250 f.; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 125; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 71; für Zulässigkeit, aber Bindung an die Feststellung zum Bestehen des Anspruchsgrundes Stein/Jonas/Leipold, § 322 Rn. 140; Leipold, Festschrift Zeuner, 1994, S. 431, 445 ff. 331 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 25; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 128 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 154 Rn. 17 (S. 883); Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 23; Zöller/Vollkommer, ZPO ,§ 322 Rn. 48. Anders aber die Gegenansicht (mit der Abweisung werde zwingend der gesamte Anspruch verneint, Stein/Jonas/Leipold, § 322 Rn. 142), allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen: Rechtskraft hinsichtlich des gesamten Anspruchs nur bei verdeckter Teilklage (Fenge, Über Chancen und Risiken einer Teilklage im Zivilprozeß, Festschrift Pieper, 1998, S. 31, 37 ff., 43 ff.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 12, S. 251); auch bei offener Teilklage (Bub, Streitgegenstand und Rechtskraft, S. 296 ff., 301 ff.; Leipold, Festschrift Zeuner, 1994, S. 431, 439 ff.); für Bindung an die Feststellung des Nichtbestehens des Anspruchs und entsprechende Abweisung der Klage als unbegründet (bei offener und verdeckter nicht individualisierter Teilklage) Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 73.

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Restbetrages. 332 Von erheblicher Bedeutung ist aber auch die Erwägung, dass sich eine Beschränkung der Rechtskraft auf den Teilbetrag besser in das deutsche System der am Streitwert orientierten Kostenverteilung einfügt. 333 Ausnahmen von der Beschränkung der Rechtskraft auf den geltend gemachten Teil bei verdeckter Teilklage gelten wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes für Schmerzensgeldklagen 334, sowie wegen des Instituts der Abänderungsklage nach § 323 ZPO bei Klagen auf künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 258 ZPO. 335 Im Übrigen gilt aber sowohl bei Teilbetragsklagen als auch bei individualisierten Teilklagen nach herrschender Ansicht der Grundsatz der auf den beantragten Teil beschränkten Rechtskraft. Trotz der zentralen Bedeutung des Antrags für die Eingrenzung der Rechtskraft erkennt die deutsche Rechtskraftlehre ein Greifen der Rechtskraft über die Grenzen des Antrags hinaus insoweit an, als die Rechtskraft auch das kontradiktorische Gegenteil erfasst. 336 Die rechtskräftige Feststellung einer Rechtsfolge beinhaltet gleichzeitig die Feststellung des Nichtvorliegens des Gegenteils.337 Wird in einer späteren Klage das kontradiktorische Gegenteil beantragt, so ist die entsprechende Klage als unzulässig abzuweisen. 338 Umstritten ist allerdings, wie weit diese Ausdehnung der Rechtskraft auf das Gegenteil

332 So BGH NJW 1997, 3019, 3020; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 126, 128; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 154 Rn. 17 (S. 883). 333 MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 126. 334 Die Festsetzung des Schmerzensgeldes erstreckt sich nach herrschender Meinung auf sämtliche Schadensfolgen, deren Eintritt vorhersehbar war, BGH NJW 2004, 1243; BGH NJW-RR 2006, 712, 713. Nur bei ausdrücklicher Beschränkung, also bei einer offenen Teilklage, ist hier eine Nachforderung möglich, BGH NJW-RR 2006, 712, 713; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 24; a.A. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 133. 335 Um eine Umgehung des Mechanismus der Abänderungsklage nach § 323 ZPO zu vermeiden, ist bei Klagen auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 258 ZPO eine Beschränkung auf den jeweiligen Teilbetrag nur dann anzunehmen, wenn sich aus der Klage oder den Umständen eindeutig ergibt, dass es sich bei der ersten Klage um eine Teilklage handelt, BGH NJW 1986, 3142; BGH NJW 2015, 334. Zum Erfordernis eines zumindest erkennbaren Vorbehalts der Nachforderung bei Klagen auf wiederkehrende Leistungen, Hk-ZPO/Saenger, § 322 RN. 25; Thomas/Putzo/Reichold, § 322 Rn. 23; für Unterhaltsentscheidungen ebenso MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 132. 336 BGH NJW 1983, 2032, 2033; BGH NJW 1993, 2684, 2685; BGH NJW 2003, 3058, 3059. 337 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 12; BGH NJW 1993, 2684, 2685. 338 MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 43; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 21; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 21. Uneinheitlich wird allerdings bewertet, ob hier von einer Streitgegenstandsidentität auszugehen ist (so BGH NJW 2003, 3058, 3059; Reischl, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, S. 209; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 21) oder hier die Rechtskraft über den Streitgegenstand hinaus ausgedehnt wird (so Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 21).

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

reicht. Eindeutig erfasst ist das unmittelbare Gegenteil der rechtkräftigen Entscheidung: Eine derartige unmittelbare Umkehrung ist im Verhältnis zwischen einer positiven und einer negativen Feststellungklage hinsichtlich desselben Rechtsverhältnisses339 sowie im Verhältnis zwischen einem Leistungsurteil und einer (negativen bzw. positiven) Feststellungsklage hinsichtlich derselben Leistungspflicht anzunehmen.340 Überwiegend wird auch das Verhältnis zwischen einem positiven Feststellungsurteil hinsichtlich eines ausschließlichen Rechts und der nachfolgenden Klage des zuvor Beklagten auf Feststellung, dass er Inhaber des ausschließlichen Rechts sei, als Fall des kontradiktorischen Gegenteils eingeordnet. 341 Umstritten ist dagegen, ob ein zusprechendes Leistungsurteil auch einer Klage des zuvor Verurteilten entgegensteht, in der das aufgrund des Urteils Geleistete (als ungerechtfertigte Bereicherung) mit der Begründung zurückgefordert wird, im vorausgegangenen Prozess sei nicht richtig entschieden worden.342 Es handelt sich um einen Fall sachlicher Unvereinbarkeit, bei dem aber von einem (echten) unmittelbaren Gegenteil des Rechtsfolgenausspruchs im ersten Urteil nicht gesprochen werden kann.343 Man bezeichnet diese Konstellation auch als „unechtes kontradiktorisches Gegenteil“ 344 bzw. als „unechte Präjudizialität“. 345 Der BGH346 und ein Teil der Literatur 347 sehen hierin ein

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BGH NJW 1983, 2032, 2033; Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 574. MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 43. 341 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 575 („ergibt sich denknotwendig aus der materiellen Exklusivität der alleinigen Rechtsinhaberschaft“); Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 7, S. 250; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 12; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 186. Auf Grundlage der Annahme, dass das Eigentum nur einer Person zustehen könne, ebenso für den Fall eines gegenläufigen Auflassungsanspruchs nach Verurteilung zur Auflassung: Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 186; im Ergebnis ebenso Musielak/Voit/Musielak, § 322 Rn. 25 (allerdings nicht mit völlig übereinstimmender Begründung: einheitlicher Lebenssachverhalt). 342 Zu dieser strittigen Fallgruppe zählen auch Konstellationen wie die auf eine Verurteilung zur Herausgabe folgende Herausgabeklage des zuvor Beklagten sowie die Klage auf Herausgabe eines Grundstücks nach einer Verurteilung zur Zustimmung zur Grundbuchberichtigung. 343 So auch MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 44. 344 So Koussoulis, Beiträge, S. 231 f. 345 Im Hinblick auf die Konstellation der auf eine Verurteilung zur Leistung folgenden Rückforderung des Geleisteten als ungerechtfertigte Bereicherung: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 576. 346 BGH Der Betrieb 1953, 293; BGH NJW 1986, 2645 f.; BGH NJW 1996, 57, 58; ebenso, das Entgegenstehen der Rechtskraft aber im konkreten Fall wegen nach der letzten mündlichen Verhandlung eingetretener Änderung des Sachverhalts die Rechtskraft verneinend: BGH NJW 1982, 1147, 1148; BGH NJW 2000, 2022, 2023. 347 Doderer, NJW 1991, 878, 879; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 12; Koussoulis, Beiträge, S. 231 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 154 Rn. 7 (S. 881); Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 322 Rn. 11; Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 56. Ebenso auf Grundlage seines 340

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von der Rechtskraft erfasstes kontradiktorisches Gegenteil und wollen die spätere Rückforderungsklage als unzulässig abweisen. Dagegen bejaht eine starke Gegenansicht in der Literatur hier lediglich eine Präjudizialbindung an die Bejahung des Rechtsgrundes mit der Folge, dass die spätere Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen ist. 348 Auch wenn die Frage in der Literatur hoch umstritten ist, zeigt sich in der Rechtsprechung des BGH doch die eindeutige Tendenz, ein Entgegenstehen der Rechtskraft über die Fälle des unmittelbaren Gegenteils hinaus auch bei der Umkehrung der in der rechtskräftigen Entscheidung festgestellten Rechtsfolge in Form der Rückforderung des Zugesprochenen zu bejahen. Hierdurch wird die Rechtskraft über den formal gestellten Antrag und die entsprechende Feststellung des Urteils hinaus ausgeweitet. Dass die Rechtskraftwirkung nicht allein auf das tatsächlich im Verfahren Vorgetragene beschränkt ist, ergibt sich zudem aus der mit der Streitgegenstandsdefinition verknüpften Begrenzung durch den Lebenssachverhalt. Dieser beschränkt sich nicht auf den tatsächlich von den Parteien vorgetragenen bzw. dem Gericht bekannten Sachverhalt, sondern umfasst sämtliche Tatsachen, die bei natürlicher Betrachtung demselben historischen Lebenssachverhalt zuzurechnen sind, unabhängig davon, ob diese im Verfahren vorgetragen wurden oder nicht.349 Dies hat zur Folge, dass die Rechtskraft eine Präklusion des gesamten Tatsachenvorbringens bewirkt, welches den Parteien bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung zur Verfügung stand.350 Indem die ergangene Entscheidung über den Streitgegenstand nicht unter Berufung auf Tatsachen in Frage gestellt werden kann, die bereits im ersten Verfahren hätten vorgetragen werden können, wird der Bestand der rechtskräftigen Entscheidung abgesichert. 351 Die Rechtskraftpräklusion betrifft sowohl Tatsachen, die der Kläger zur Stützung seines Antrags hätte heranziehen können, als auch Tatsachen, die der Beklagte als Gegenvorbringen hätte vortragen können. Sie wirkt jedoch nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft.352 Damit bleibt sie zum einen auf das Tatsachenvorbringen beschränkt, das zum Zeitpunkt der

Ansatzes einer Erstreckung der Rechtskraft auf „kontradiktorische Interessen“: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 576 f. 348 Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 22, 24; Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft, S. 14, 55; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 25. Ähnlich MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 45 (die Annahme eines kontradiktorischen Gegenteils ablehnend, aber auch hinsichtlich der Annahme Präjudizialität skeptisch). 349 BGH NJW 1993, 2684, 2685; BGH NJW 2004, 1252, 1253; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 143; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 7 (S. 886). 350 MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 139, 143. 351 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 6 (S. 886). 352 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 29; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 139, 145.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

letzten mündlichen Tatsachenverhandlung geltend gemacht werden konnte, 353 wobei aber die Kenntnis von der jeweiligen Tatsache bzw. das Verschulden der Unkenntnis für ein Greifen der Präklusionswirkung unerheblich ist. 354 Zum anderen erfasst die Präklusion nur Tatsachen im Rahmen desselben Streitgegenstandes.355 Tatsachen, die einem anderen Lebenssachverhalt zuzurechnen sind, werden daher nicht erfasst. Zudem ist die Tatsachenpräklusion durch den Antrag bzw. dessen kontradiktorisches Gegenteil begrenzt und bleibt damit auf die in der rechtskräftigen Entscheidung zugesprochene Rechtsfolge beschränkt.356 Als schwierig erweist sich insoweit die Beurteilung von Abrechnungsfällen, z.B. bei Entscheidungen über den Abschlusssaldo nach einem gekündigten Factoringvertrag,357 in denen sich die rechtskräftige Verurteilung zu einer Zahlung auf die Feststellung eines abschließenden Saldo stützt, und der zur Zahlung Verurteilte später klageweise eine Forderung geltend macht, die als Rechnungsposten in die Saldierung hätte einbezogen werden können. Da die spätere Zahlungsklage nicht das kontradiktorische Gegenteil der zugesprochenen Zahlungsverpflichtung betrifft, 358 sondern lediglich die dieser zugrunde liegende Saldoberechnung in Frage stellt, scheint hier ein Greifen der Rechtskraftpräklusion ausgeschlossen. Der BGH hat dagegen zwar ein Greifen der Rechtskraft als negative Prozessvoraussetzung verneint, dann aber eine Tatsachenpräklusion hinsichtlich der Forderung (als den Saldo beeinflussender tatsächlicher Vorgang) angenommen, was zur Folge habe, dass die Klage als unbegründet abzuweisen sei. 359 Auch wenn das Ergebnis, dass das rechtkräftig festgestellte Saldierungsergebnis nicht sofort wieder in Frage gestellt werden

353 Bei Versäumnisurteilen und Vollstreckungsbescheiden verhindert allerdings die (insoweit rechtskraftfremde) Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO, dass der Beklagte die Entscheidung durch Einwendungen in Frage stellt, die er im Wege des Einspruchs geltend hätte machen können, Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 32; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 165. Maßgeblicher Präklusionszeitpunkt ist hier das Ende der Einspruchsfrist, MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 165. 354 BGH NJW 2004, 1252, 1253; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 30; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 140; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 230. Im Hinblick auf Schmerzensgeld bejaht der BGH sogar eine Präklusion im Hinblick auf Tatsachen (Verletzungsfolgen), deren Eintritt lediglich erkennbar war, BGH NJW 1988, 2300, 2301 (kritisch hierzu MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 141). 355 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 30; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 144 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 228; Zöller/Vollkommer, ZPO § 322 Rn. 68. 356 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 228; 357 So in der Entscheidung BGH NJW 1993, 2684. 358 So auch Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 581. Ebenso BGH NJW 1993, 2684, 2685. 359 BGH NJW 1993, 2684, 2685.

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soll, aus Wertungsgesichtspunkten überzeugt, lässt es sich angesichts der Begrenzung der Tatsachenpräklusion auf den Streitgegenstand nur schwer begründen.360 Die Rechtskraftpräklusion erfasst nach Ansicht des BGH und eines Teils der Lehre auch Gestaltungsrechte, deren Entstehungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung schon erfüllt waren.361 Weil die Veränderung der Rechtslage erst durch die Ausübung des Gestaltungsrechts bewirkt wird, lässt dagegen die herrschende Literatur das bloße Vorliegen der Voraussetzungen des Gestaltungsrechts für eine Präklusion des Rechts noch nicht genügen, sondern stellt auf die Ausübung des Gestaltungsrechts ab. 362 Eine über den Streitgegenstand (einschließlich des kontradiktorischen Gegenteils) hinausreichende Präklusion, durch welche den Parteien die Obliegenheit zur umfassenden Bündelung des gesamten denkbaren und damit auch über den Streitgegenstand hinausgehenden Angriffs- und Verteidigungsvorbringens auferlegt wird, erkennt das deutsche Recht nur in den zwei gesetzlich geregelten Sonderfällen des § 145 PatG und des § 767 Abs. 3 ZPO an, macht diese aber vom Verschulden des Klägers abhängig. 363 In allen anderen Fällen wird ein derart weit gefasstes Bündelungsgebot abgelehnt.364

360 Die Literatur stellt teilweise auf den Grad der Verselbstständigung der Forderung ab und nimmt bei unselbstständigen Rechnungsposten an, dass über diese – „von der Rechtsfolge her gesehen“ – bereits durch die rechtskräftige Verurteilung zu einem bestimmten Betrag als Ergebnis der Saldierung entschieden sei, so Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 228. Auf Grundlage seines interessenorientierten Streitgegenstandsbegriffs bejaht Althammer „innerhalb der Grenzen des geltend gemachten Interesses eine durch die Tatsachenpräklusion vermittelte Bindung“, Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 587. 361 BGH NJW 1961, 1067, 1068 (Aufrechnung); BGH NJW 1987, 1691 f. (Aufrechnung); BGH NJW 1994, 2769, 2270; BGH NJW 2004, 1252, 1253 (Anfechtung); Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), S. 520, 527; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 62, 64. Ausnahmen werden jedoch für einzelne Gestaltungsrechte gemacht, deren Zweck wesensmäßig darauf gerichtet ist, dem Berechtigten die Entscheidung über das Ob und Wann der Ausübung zu lassen, so z.B. beim Optionsrecht des Mieters zur Verlängerung des Mietverhältnisses, vgl. BGH NJW 1985, 2481, 2482. 362 Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 33; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 41; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 4 (S. 885); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 241. Grundsätzlich auch MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 162 (aber mit einer Ausnahme für die Aufrechnung, Rn. 163). 363 Dass die Präklusion verschuldensabhängig ist, ist hinsichtlich des § 145 PatG unstreitig, im Hinblick auf § 767 Abs. 3 ZPO verneint die Rechtsprechung dies aber (BGH NJW 1973, 1328: Bezugnahme des § 767 Abs. 2 ZPO auf Einwendungen, die der Schuldner „geltend zu machen imstande war“ nur zeitlich-objektiv zu verstehen) im Gegensatz zur Literatur (HkZPO/Saenger, § 322 Rn. 32; MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 166; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 231; Zöller/Vollkommer, ZPO, Vor § 322 Rn. 70). 364 MüKo/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 167; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 231.

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Nach deutschem Recht bleibt Rechtskraft damit auf den durch Antrag und Lebenssachverhalt begrenzten, insgesamt recht weit gefassten Streitgegenstand beschränkt. Eine Umkehrung des Streits ist dabei ebenso ausgeschlossen wie eine Infragestellung der rechtkräftigen Entscheidung unter Berufung auf bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung eingetretene, aber nicht vorgetragene oder gerichtsbekannte Tatsachen. II. „Cause of action estoppel“ und die Ausweitung durch die Henderson v. Henderson-Regel im englischen Recht Wie bereits in der Einführung beschrieben, steht einer Klage, mit der dieselbe cause of action wie in einem vorausgegangenen Verfahren zur Entscheidung gestellt wird, der cause of action estoppel entgegen. Die cause of action bildet damit das zentrale Element zur Bestimmung des Gegenstandes der Rechtskraft im englischen Recht. Eine einheitliche Definition des Begriffs der cause of action hat sich jedoch nicht herausgebildet. In den Entscheidungen, in denen die cause of action abstrakt definiert wird, wird sie als tatsächlicher Sachverhalt, der die Voraussetzung des im Verfahren geltend gemachten Rechtsschutzbegehrens oder Anspruchs (remedy)365 bildet, beschrieben.366 Im Ausgangspunkt wird die cause of action damit durch den der Klage zugrunde liegenden tatsächlichen Sachverhalt definiert. Dies zeigt sich auch daran, dass bei der Untersuchung des Übereinstimmens der causes of action häufig darauf abgestellt wird, ob dasselbe Beweisvorbringen zur Stützung beider Begehren herangezogen werden kann.367 Bei Klagen, die auf vertraglichen Pflichtverletzungen beruhen, bildet zwar die Einheitlichkeit der Form der Pflichtverletzung einen Anhaltspunkt für die Einheitlichkeit der cause of action.368 Auch wenn verschie-

365

135 f.

Zum schwer fassbaren Begriff der remedies: Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S.

366 Letang v. Cooper [1965] 1 Q.B. 232, 242 f., per Diplock L.J. („A cause of action is simply a factual situation the existence of which entitles one person to obtain from the court a remedy against another person.“); Cooke v. Gill (1872–73) L.R. 8 C.P. 107, 116, per Brett J. („ 'Cause of action’ has been held from the earliest time to mean every fact which is material to be proved to entitle the plaintiff to succeed,—every fact which the defendant would have a right to traverse.“). Vgl. auch die Definition von Andrews: „the set of material facts, or core factual matrix, which supports a recognized legal ground of claim“ (Andrews, English Civil Procedure, 2003, para. 40.12; ders., On Civil Processes, para. 8.06). Vgl. auch Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 920 („Mindesttatsachen, die der Kläger nach dem Gesetz vortragen bzw. beweisen muß, um das Rechtsschutzziel zu erreichen, das er beansprucht.“). 367 Hitchin [or Kitchen] v. Campbell 96 E.R. 487, 489 („One great criterion of this identity is, that the same evidence will maintain both the actions“); Brunsden v. Humphrey (1884) 14 Q.B.D. 141, 151. Vgl. auch Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S. 603, 605. 368 Vgl. Conquer v. Boot [1928] 2 K.B. 336, 342, per Sankey, L.J. („The cause of action here is: (1.) the contract to complete in a good and workmanlike manner a bungalow, and

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dene Pflichtverletzungen geltend gemacht werden, wird aber dennoch von einer einheitlichen cause of action ausgegangen, wenn die Pflichtverletzungen auf derselben tatsächlichen Grundlage beruhen (same factual basis).369 Im Deliktsrecht bilden verschiedene aufeinanderfolgende Verletzungshandlungen hinsichtlich desselben Rechts verschiedene causes of action.370 Der die cause of action bildende Tatsachenkomplex wird aber stärker als beispielsweise der Lebenssachverhalt im deutschen Streitgegenstandsbegriff an den Tatbestandsvoraussetzungen anerkannter Rechtsgründe ausgerichtet. Auch wenn die herangezogenen rechtlichen Anspruchsgrundlagen selbst nicht die cause of action bestimmen, 371 so fließt bei der Abgrenzung zwischen verschiedenen causes of action doch die Frage ein, ob der später geltend gemachte Anspruch bzw. das geltend gemachte Recht dieselben tatbestandlichen Voraussetzungen wie der bereits abgeurteilte Anspruch hat und daher zur Stützung des Anspruchs oder Begehrens dieselben Tatsachen herangezogen werden können. Eine Klage auf Vertragsauflösung (rescission) und Rückgewähr des Geleisteten (resitution) wegen Täuschung steht daher einer späteren Klage auf Schadensersatz wegen Betrugs (fraud) nicht entgegen, weil der Nachweis des Betrugs keine Voraussetzung für die Vertragsauflösung wegen Täuschung

(2.) the breach of it. I do not think that every breach of it – every particular brick or particular room that is faulty – gives rise to a separate cause of action.“). 369 Republic of India and Another v. India Steamship Co. Ltd.(The Indian Grace) [1993] A.C. 410, 421, per Lord Goff („for present purposes, there is no need to distinguish between the two breaches; because the factual basis relied upon by the plaintiffs as giving rise to the two breaches is the same, and indeed was referred to compendiously by the plaintiffs in the Cochin action as ‚negligence.‘ In these circumstances, I am satisfied that there is identity between the causes of action in the two sets of proceedings.“). Im zugrunde liegenden Fall war ein Teil der Ware durch einen Brand auf einem Frachtschiff und die anschließenden Löscharbeiten beschädigt und deshalb abgeladen worden. Der Kläger machte zunächst Ansprüche wegen Beschädigung der Ware, dann wegen Lieferung einer zu geringen Menge geltend. 370 The Duke of Brunswick v. Pepper 175 E.R. 286 (zeitlich versetzte Veröffentlichungen der ehrverletzenden Behauptungen); Bulmer Rayon Company, Ltd. v. Freshwater [1933] A.C. 661, 667 f. (zeitlich versetzte Fälle einer industriellen Verschmutzung von Gewässern); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.08. 371 So aber Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 135 („Der Umfang der Rechtskraft ist definiert durch den dem Klageanspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalt und die materielle Anspruchsgrundlage ...“). Der rechtlichen Begründung ebenfalls eine größere Bedeutung beimessend auch Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der EU, S. 236 („das gesamte klägerische Begehren inclusive seiner unmittelbaren tatsächlichen und rechtlichen Fundierung“).

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ist.372 Auch werden verschiedene Formen der Eigentums- und Besitzbeeinträchtigung als verschiedene causes of action angesehen.373 Auf diese Weise können rechtliche Kategorien und Tatbestände mittelbaren Einfluss auf die Bestimmung der cause of action haben 374 und kann Berücksichtigung finden, ob dasselbe (durch rechtliche Kategorien geprägte) Interesse betroffen ist. 375 Auch wenn sich der Kläger auf unterschiedliche Anspruchsgrundlagen beruft, kann der cause of action estoppel bzw. die doctrine of merger greifen, sofern der tatsächliche Sachverhalt übereinstimmt und dasselbe rechtliche Interesse betroffen ist.376 Konkurrieren verschiedene Anspruchsgrundlagen im Sinne von alternative remedies, ist daher von einer einheitlichen cause of action auszugehen.377 Dies soll auch für das Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung gelten.378 372 Goldrei, Foucard & Son v. Sinclair and Russian Chamber of Commerce In London , [1918] 1 K.B. 180, 186 f.; per Pickford L.J.: „In these two actions there is a fact, that is, fraud, which if traversed must be proved to support the action for damages for misrepresentation, but which need not be proved in an action for rescission, and if disproved still leaves the plaintiff entitled to a judgment if he prove misrepresentation in fact. […] I think, therefore, that the two forms of action are founded upon different causes of action.“ 373 Lacon v. Barnard, 79 E.R. 635 (trespass einerseits und conversion andererseits); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.10. 374 Daher ist Zeuner recht zu geben, wenn er formuliert, dass zur „‘cause of action’ neben der Einheitlichkeit des Sachverhaltes in stärkerem Maße auch eine gewisse rechtliche Einheit [gehört]“ (Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S. 603, 605) bzw. dass „neben der Einheitlichkeit des Sachverhaltes auch ein rechtliches Element bestimmend ist“ (ebenda, S. 606). Ähnlich auch Albrecht, Die Streitsache im deutschen und englischen Zivilverfahren, S. 145 f. („Tatsachenschilderung mit einer materiellrechtlichen Implikation“); Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 106 („gewisse rechtliche Komponente“). 375 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.10 („Where the claimant has different interests judgment in respect of one is not ordinarily a bar to an action in respect of another.“); para. 21.12. 376 Vgl. z.B. Phillips v. Berryman 99 E.R. 658, 659 (nach erfolgreicher Schadensersatzklage wegen unrechtmäßiger Besitzentziehung auf Grundlage des Anspruchsgrundes des replevin war eine Schadensersatzklage wegen derselben Besitzentziehung aufgrund von excessive distress ausgeschlossen); Hills v. Co-Operative Wholesale Society, Ltd. [1940] 2 K.B. 435, 440 f. (nach erfolgreicher Schadensersatzklage auf gesetzlicher Grundlage war eine Schadensersatzforderung auf Grundlage von common law-Grundsätzen ausgeschlossen). Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.12. 377 Hills v. Co-Operative Wholesale Society, Ltd. [1940] 2 K.B. 435, 440 f. per Wilfrid Greene M.R. („The cause of action quite clearly appears to me to be the same. Here is a plaintiff having one cause of action, enforceable in two different ways, in two different courts, subject to different conditions. […] The plaintiff has chosen to satisfy his cause of action in that way, and the advantage to him of doing so was manifest. In my judgment, by taking the course that he did, his cause of action was satisfied once and for all, and can no longer be maintained in the High Court action.“). 378 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 7.05. So auch Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 146. Eindeutig ist dies jedoch nicht, vgl. (Green v. Weatherill [1929] 2 Ch.

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Die Reichweite des cause of action estoppel wird nicht durch den Klageantrag eingegrenzt.379 Auch die früheren forms of actions sind für die Bestimmung der cause of action nicht entscheidend.380 Daher bewirkt eine Beschränkung der Klage auf einen bestimmten Betrag keine Begrenzung der cause of action, vielmehr sind Nachforderungen im englischen Recht grundsätzlich ausgeschlossen.381 Man spricht insoweit auch vom Grundsatz der finality of relief.382 Bei zusprechenden Entscheidungen findet der Ausschluss einer späteren Einforderung des Restes auch in der Vorstellung der Verschmelzung der cause of action mit der Entscheidung eine Stütze: 383 Der im Urteil zugesprochene Anspruch tritt in der im Urteil bestimmten Höhe an die Stelle der geltend gemachten cause of action. Eine Nachforderung oder Einforderung weiterer Schäden wird aber auch teilweise als abuse of process angesehen.384 Der Grundsatz der finality of relief wird recht streng gehandhabt, so dass selbst nachträglich erkennbar werdende Schadensfolgen die estoppel-Wirkung nicht entfallen lassen.385 Eine Unterscheidung verschiedener causes of action ist aber bei abgrenzbaren Schadensformen möglich, die jeweils ein anderes Interesse betreffen: 386 So stand nach der Entscheidung im Fall Brunsden v. Humphrey ein zusprechendes Urteil über eine Klage auf Schadensersatz für Sachschäden aufgrund eines Verkehrsunfalls einer späteren Klage auf Ersatz der durch den Unfall verursachten körperlichen Schäden nicht entgegen. 387 Die Entscheidung 213, 221, per Maugham J.: „[T]he cause of action in the two cases is strictly speaking not the same. On the other hand, the plea of res judicata is not a technical doctrine, but a fundamental doctrine based on the view that there must be an end to litigation.“) (Die Annahme eines Ausschlusses der neuerlichen Klage wird in der Entscheidung dann recht undifferenziert unter gleichzeitiger Zitierung der Henderson v. Henderson-Regel bejaht.). 379 Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 147; Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S.603, 604. 380 Die Relevanz der alten forms of action für die Abgrenzung der cause of action ausdrücklich ablehnend Letang v. Cooper [1965] 1 Q.B. 232, 240. Vgl. auch m.w.N. Landbrecht, TeilSachentscheidungen, S. 145. 381 Fetter v. Beale 90 E.R. 905; Conquer v. Boot [1928] 2 K.B. 336, 342, per Sankey, L.J. („I think that the present case falls within the rule laid down by Bowen L.J. in Brunsden v. Humphrey: ‚It is a well settled rule of law that damages resulting from one and the same cause of action must be assessed and recovered once for all.‘“); Andrews, English Civil Procedure, para. 40.16; Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 7.01. Vgl. auch Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 922 („Es gilt praktisch das Verbot der Teilklage“). 382 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.29, 7.01. 383 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.29, 7.01. 384 Williams v. Hunt [1905] 1 K.B. 512, 514, per Collins M.R. („[I]t is an abuse of the process of the Court to divide the remedy where there is a complete remedy in the Court in which the suit was first started.“). 385 So im Fall Conquer v. Boot [1928] 2 K.B. 336, 342. Vgl. auch Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.84. 386 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.10. 387 Brunsden v. Humphrey (1884) 14 Q.B.D. 141, 146, 151 f.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

ist jedoch nicht unumstritten, da die cause of action in dem Fall auch schlicht in der Verursachung des Verkehrsunfalls und den daraus folgenden Schäden gesehen werden könnte.388 In der Entscheidung Talbot äußerte Stuart-Smith, L.J. zudem, dass eine Heranziehung der Henderson v. Henderson-Regel in dem Fall zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.389 Trotz der geäußerten Kritik ist die Entscheidung in England immer noch gültiges Recht, so dass die Unterscheidung zwischen Sachschäden und Personenschäden weiterhin zur Anwendung kommen kann.390 In jedem Fall sind aber Ersatzansprüche für sämtliche Schäden an der Person bzw. sämtliche Sachschäden jeweils gebündelt geltend zu machen.391 Bei Ansprüchen auf wiederholte Leistungen ist dagegen eine auf einen bestimmten Zeitabschnitt beschränkte Klage nach einer einen früheren zeitlichen Abschnitt betreffenden Entscheidung möglich. 392 Aufgrund des cause of action estoppel ist es nicht nur dem Kläger verwehrt, dieselbe cause of action nochmals klageweise geltend zu machen, vielmehr ist auch der Beklagte daran gehindert, die im Erstverfahren ergangene Entscheidung über die cause of action in Frage zu stellen.393 Weil die geltend gemachte cause of action bei einem zusprechenden Urteil mit der Entscheidung verschmilzt, kann der Beklagte keine Einwendungen mehr gegen die im Urteil festgesetzte Rechtsfolge geltend machen.394 Mit dem merger ist somit gleichzeitig eine Präklusion von Einwendungen verbunden. Auch eine (teilweise)

388 So auch die dissenting opinion von Lord Coleridge in Brunsden v. Humphrey (1884) 14 Q.B.D. 141, 152 f.: “It appears to me that whether the negligence of the servant, or the impact of the vehicle which the servant drove, be the technical cause of action, equally the cause is one and the same […] it seems to me a subtlety not warranted by law to hold that a man cannot bring two actions, if he is injured in his arm and in his leg, but can bring two, if besides his arm and leg being injured his trousers which contain his leg, and his coat-sleeve which contains his arm, have been torn.” 389 Talbot v. Berkshire County Council [1994] Q.B. 290, 296, per Stuart-Smith L.J. (“Had Henderson's case, 3 Hare 100 been cited, the decision might have been different.”). 390 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.11. 391 Cartledge v. E. Jopling & Sons Ltd. [1963] A.C. 758, 780, per Lord Pearce („In cases of personal injury the law is clear and has been settled for many years. Although two separate actions may be brought, one for personal injury and one for damage to property, both being caused by the same negligence (Brunsden v. Humphrey), only one action may be brought in respect of all the damage from personal injury.“); Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.11. 392 So Blackstone’s Civil Practice, para. 4.3 („Merger does not apply to successive causes of action, so that judgment for specific instalments of debt or rent will not bar a claim for further instalments.“); Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 189. 393 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.29, 7.01. 394 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 7.01; Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 157.

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Rückforderung des aufgrund der Entscheidung Geleisteten mit der Begründung, der zugesprochene Betrag sei zu hoch gewesen, ist ausgeschlossen. 395 Eine Ergänzung und flexible Weiterung erfährt der cause of action estoppel durch die Henderson v. Henderson-Regel bzw. den abuse of process estoppel. Nach dem in der Entscheidung Henderson v. Henderson geprägten Grundsatz trifft die Parteien die Last, ihr gesamtes Vorbringen im anhängigen Verfahren einzuführen. Es ist den Parteien verwehrt, denselben Gegenstand unter Berufung auf Vorbringen, das sie bereits im ersten Verfahren hätten vortragen können, aber tatsächlich nicht geltend gemacht hatten, nochmals vor Gericht zu bringen.396 Wie bereits ausgeführt ist das Verhältnis der Henderson v. Henderson-Regel zum res judicata-Prinzip nicht eindeutig geklärt. Im Unterschied zum res judicata estoppel, durch den nur das tatsächlich Vorgetragene und Entschiedene erfasst werden soll, bewirkt die Henderson v. Henderson-Regel eine Präklusion des nicht Vorgetragenen. 397 Eine solch klare Unterscheidung lässt sich jedoch nicht immer treffen. Deutlich wird dies beispielsweise bei Teilklagen, bei denen die Rechtsprechung teils den cause of action estoppel heranzieht, weil der gesamte Anspruch als abgeurteilte (und damit verschmolzene) cause of action angesehen wird, teils aber auch die Henderson v. HendersonRegel hinsichtlich des im ersten Verfahren nicht geltend gemachten Teils anwendet wird. 398 Die Henderson v. Henderson-Regel dient daher zunächst als Ergänzung des cause of action estoppel, aber auch des issue estoppel, indem sie ausschließt, dass die Entscheidung über die cause of action bzw. die Feststellung zu einem Streitpunkt durch Vorbringen in Frage gestellt wird, das bereits im ersten Verfahren hätte geltend gemacht werden können. 399 Die Henderson-Regel ist aber nicht durch die jeweils geltend gemachte cause of action beschränkt, vielmehr kann der mit dem Henderson-Prinzip bekämpfte Missbrauch auch bejaht werden, wenn eine andere cause of action betroffen ist.400

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Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 5.29, 7.01; Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 158. 396 Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100, 114 f., per Wigram V.-C. 397 Andrews, On Civil Processes, para. 16.60. 398 So z.B. bei Teilklagen, siehe oben. 399 Zur Ergänzung sowohl des cause of action estoppel als auch des issue estoppel durch die Henderson v. Henderson-Regel: Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 104 ff., per Lord Keith. Speziell zur Anwendung als Ergänzung des issue estoppel: Hoystead v. Commissioner of Taxation [1926] A.C. 155, 170; Fidelitas Shipping Co. Ltd. v. V/O Exportchleb. [1966] 1 Q.B. 630, 640. 400 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 21.04 („If the same damage is claimed from the same defendant on separate causes of action an unsatisfied judgment will not necessarily bar an action on the other but it may be barred by the rule in Henderson or as an abuse of process.“); Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.104 („Accordingly a party may be prevented from raising a cause of action […] even though it has never been adjudicated, provided that the party could have advanced the cause […] in previous proceedings.“). Bei der Formu-

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Auf Grundlage der Henderson-Regel bzw. des abuse of process estoppel lässt sich daher auch eine Präklusion selbstständiger, aber verknüpfter Ansprüche bergründen. So können beispielsweise Klagen zurückgewiesen werden, in denen einzelne Rechnungsposten oder Ansprüche geltend gemacht werden, die bereits in einem früheren Verfahren im Rahmen einer abschließenden Abrechnung zugunsten des nun Klagenden eingestellt hätten werden können.401 Obwohl die Möglichkeit, das jeweilige Vorbringen oder den Anspruch in einem früheren Verfahren einzubringen, die Grundvoraussetzung für ein Greifen der Henderson-Regel bildet, hat sich der von Lord Kilbrandon in der Entscheidung Yat Tung Investment v. Dao Heng Bank beschriebene automatische Schluss von der Möglichkeit, eine Frage in einem früheren Verfahren einzubringen, auf die Missbräuchlichkeit der Geltendmachung in einem späteren Verfahren402 nicht durchgesetzt. In der Entscheidung Johnson v. Gore Wood lierung der Regel spielen die zur Beschreibung der Grenzen des res judicata estoppel herangezogenen Figuren der cause of action und des issue häufig keine Rolle, vgl. die von diesen Begriffen völlig gelöste Umschreibung von Bingham M.R. in Barrow v. Bankside Members Agency Ltd and Others [1996] 1 W.L.R. 257, 260 („In the absence of special circumstances, the parties cannot return to the court to advance arguments, claims or defences which they could have put forward for decision on the first occasion but failed to raise.“). Anders aber (Beschränkung der Henderson-Regel auf die cause of action des Erstverfahrens, Präklusion über die cause of action hinaus dagegen nur auf Grundlage des nach ihrer Ansicht hiervon zu trennenden abuse of process estoppel): Hemsworth, Civil Justice Quarterly 2015, p. 52, 64 („…the Henderson doctrine is but an extension (or an implicit aspect) of that form of estoppel: the estoppel operates upon the particular cause (but only upon that cause).“), p. 66 („The conclusion that cause of action estoppel and the Henderson doctrine do not apply in cases when related but distinct claims are made in separate proceedings does not of course mean that the court is powerless to police a claimant’s decided course of action. Whether the court will prevent a claimant from embarking on a fresh cause of action in later proceedings brought against the same party is a question [of] general abuse of process, which is distinct from res judicata not only in juridical roots but also in its guiding principles and breadth of application.“). 401 Public Trustee v. Kenward [1967] 1 W.L.R. 1062, 1068, per Buckley J. („I am oppressed by the certainty that I feel that the order of March 21, 1962, was intended to arrive at finality with regard to his liabilities to the testatrix's estate and the liabilities of her estate to him, with a view to the proper administration of the estate and the proper ascertainment of the assets of which it consisted. I think that his time for putting forward his claim to an interest in this land and to a claim against the estate in respect of something related to the land was at the time the inquiry was taken leading to the master's certificate. I think it was something which, in the language of Wigram V.-C. belonged to the subject of that inquiry and which the defendant, if he had exercised reasonable diligence, could have brought forward at that time.”); Yat Tung Investment Co. Ltd. v. Dao Heng Bank Ltd. [1975] A.C. 581, 584 et seq. Vgl. auch Handley, (2002) 18 L.Q.R. 397, 400 et seq. 402 Yat Tung Investment Co. Ltd. v. Dao Heng Bank Ltd. [1975] A.C. 581, 590, per Lord Kilbrandon: „But there is a wider sense in which the doctrine may be appealed to, so that it becomes an abuse of process to raise in subsequent proceedings matters which could and therefore should have been litigated in earlier proceedings.“ Die von Lord Kilbrandon gewählte Formel wurde in der Folgezeit als viel zu weit kritisiert (Handley, (2002) 18 L.Q.R. 397, 400

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grenzte das House of Lords den Anwendungsbereich der Henderson v. Henderson-Regel vielmehr stärker ein und legte dabei den Maßstab für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit fest: Die Tatsache, dass eine bestimmte Frage oder ein bestimmter Gegenstand in einem früheren Verfahren hätte geltend gemacht werden können, bedeutet danach noch nicht, dass sie auch hätte vorgebracht werden müssen und ihr Einbringen in einem späteren Verfahren automatisch als Prozessmissbrauch anzusehen ist. 403 Vielmehr ist nach den in der Johnson v. Gore Wood-Entscheidung beschriebenen Leitlinien ein weiter Ansatz zu wählen, bei dem die Untersuchung der Missbräuchlichkeit des Vorgehens der Partei anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalles unter Einbeziehung öffentlicher und privater Interessen im Vordergrund steht. 404 Dieser auf das konkrete Parteiverhalten und die Umstände des Einzelfalles abstellende, Billigkeitserwägungen einbeziehende405 Ansatz wird seither als Maßstab für die Anwendung des Henderson v. Henderson-Prinzips herangezogen.406 Die Gerichte sind in der Folge mit der Annahme eines abuse of process deutlich vorsichtiger geworden,407 insbesondere wenn die spätere Klage gegen am Erstverfahren nicht f.), auch wenn das Ergebnis der Entscheidung als richtig angesehen wird (Handley, (2002) 18 L.Q.R. 397, 400: „the result was undoubtedly correct“). 403 Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham: „It is, however, wrong to hold that because a matter could have been raised in earlier proceedings it should have been, so as to render the raising of it in later proceedings necessarily abusive. That is to adopt too dogmatic an approach ....“ 404 Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham: „a broad, meritsbased judgment which takes account of the public and private interests involved and also takes account of all the facts of the case, focusing attention on the crucial question whether, in all the circumstances, a party is misusing or abusing the process of the court by seeking to raise before it the issue which could have been raised before.“ 405 So ist es nach der Entscheidung Johnson v. Gore Wood & Co beispielsweise möglich, in die Bewertung einzubeziehen, dass die unterbliebene Geltendmachung des Anspruchs auf einem Fehlen der entsprechenden finanziellen Ressourcen der Partei beruhte und die angespannte finanzielle Situation gerade durch die Gegenseite verursacht worden war, Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham: „Thus while I would accept that lack of funds would not ordinarily excuse a failure to raise in earlier proceedings an issue which could and should have been raised then, I would not regard it as necessarily irrelevant, particularly if it appears that the lack of funds has been caused by the party against whom it is sought to claim.“ 406 Vgl. z.B. Dexter Ltd (In Administrative Receivership) v. Vlieland-Boddy [2003] EWCA Civ- 14 [at 49] per Clarke L.J.; Aldi Stores Ltd. v. WSP Group plc. [2008] 1 W.L.R. 748, 756 f.; Norman Booth v. Herbert Booth [2010] EWCA Civ. 27. 407 Vgl. die bei Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.109 ff. aufgeführten zahlreichen aktuellen Fälle, in denen ein abuse of process angesichts der Umstände des Einzelfalls verneint wurde. Zuckerman äußert sich teilweise sehr kritisch gegenüber diesen einschränkenden Tendenzen, vgl. ebenda, para. 25.119 („wholly at odds with the principle of Henderson v Henderson which is designed for this very purpose“), para. 25.123 („… misapprehension about the duty of the state. The state is not bound to provide unlimited resources to the civil court.“). Kritisch

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beteiligte Dritte gerichtet ist. 408 Eine abstrakte Bestimmung der erfassten Fälle, in denen ein abuse of process zu bejahen ist, lässt sich angesichts des flexiblen Maßstabs nur schwer vornehmen.409 Eine Obliegenheit, sämtliche Ansprüche gegenüber dem Verfahrensgegner (oder auch möglichen Verfahrensbeteiligten) im ersten Verfahren zu konzentrieren, wird den Parteien auf Grundlage des Johnson-Maßstabs aber jedenfalls nicht auferlegt. 410 Grundzüge einer abstrakten Bestimmung des Rechtskraftgegenstandes werden damit auch im englischen Recht erkennbar, dennoch zeigt sich, dass eine allzu präzise Definition des Streitgegenstandes nicht dem Ansatz des englischen Rechts entspricht. Vielmehr wird die cause of action im Einzelfall wertend bestimmt und eine Präklusion auf Grundlage der Henderson v. Henderson-Regel stark von den Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht. Einer Aufspaltung einheitlicher Ansprüche durch Teilklagen steht das englische Recht tendenziell ablehnend gegenüber. Obwohl das englische Recht den Antrag nicht zur Bestimmung des Gegenstandes der Rechtskraft heranzieht, kann die cause of action aber durch das Abstellen auf den an rechtlichen Tatbeständen bzw. Interessen ausgerichteten Maßstab im Einzelfall auch verengt werden. Auch durch die Henderson v. Henderson-Regel wird den Parteien keine Obliegenheit zur Konzentration sämtlicher im Verhältnis zum Verfahrensgegner bestehenden causes of action auferlegt. Dennoch kann über den abuse of process estoppel im Einzelfall eine sehr weitreichende Präklusion auch über die cause of action hinaus bewirkt werden, wobei aber im Rahmen einer von Billigkeitserwägungen geprägten Beurteilung die Umstände des Einzelfalls und insbesondere das (Prozess-) Verhalten der Parteien einbezogen werden. III. Die objektiven Grenzen der „cosa giudicata“ im italienischen Recht Auch wenn die Regelung des Art. 2909 c.c. die objektiven Grenzen der cosa giudicata nicht bestimmt, ist anerkannt, dass die objektive Reichweite der cosa giudicata anhand der Elemente des petitum (oder oggetto) und der causa petendi definiert wird. 411

zum Johnson v. Gore Wood-Maßstab auch Andrews, On Civil Processes, para. 16.68: „the courts are committed to steering a course between Scylla […] and Charybdis”. 408 Dexter Ltd (In Administrative Receivership) v. Vlieland-Boddy [2003] EWCA Civ. 14 [at 49] per Clarke L.J.: „A later action against B is much more likely to be held to be an abuse of process than a later action against C….” 409 Vgl. Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham: „As one cannot comprehensively list all possible forms of abuse, so one cannot formulate any hard and fast rule to determine whether, on given facts, abuse is to be found or not.” 410 Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 26.21. 411 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 140, p. 272; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 174 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 62; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 862.

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Zur Bestimmung des petitum wird überwiegend unterschieden zwischen dem unmittelbaren petitum, welches die vom Gericht eingeforderte Maßnahme (provveddimento) im Sinne einer Verurteilung, einer Feststellung oder einer Rechtsgestaltung umschreibt, und dem mittelbaren petitum, dem begehrten Rechtsgut (bene della vita), das in der auf eine spezifische Sache bezogenen Leistung, der konkreten Unterlassung bzw. in dem festzustellenden Rechtsverhältnis zu sehen ist.412 Die causa petendi, also der Klagegrund, wird nach dem Bedeutungsrückgang des Theorienstreits zwischen der Individualisierungs- und der Substantiierungslehre413 heute überwiegend relativ, unter Differenzierung zwischen verschiedenen Anspruchs- und Klagekategorien, bestimmt.414 Bei sog. diritti autodeterminanti, insbesondere bei absoluten Rechten, wird die causa petendi Ob dagegen zur Beschreibung der objektiven Reichweite der cosa giudicata auf den Streitgegenstand (oggetto processuale) oder auf die azione abgestellt wird, macht im Ergebnis kaum einen Unterschied (so Menchini, Il giudicato civile, p. 100), da letztlich immer die behauptete vorteilhafte Rechtssituation (situazione di vantaggio affermata), welche durch petitum und causa petendi konkretisiert wird, zur Individualisierung des Rechtsstreits dient, vgl. Menchini, Il giudicato civile, p. 101 412 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 87, p. 179; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 174; Menchini, Il giudicato civile, p. 115. Proto Pisani unterscheidet in gleicher Weise, aber unter Verwendung der Begrifflichkeiten des oggetto im prozessualen und im materiellen Sinne, Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 57. Das petitum auf das Verständnis im mittelbaren Sinne beschränkend, Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 863. 413 Vgl. hierzu Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 178, nota 35. 414 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 87, p. 178 s.; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 181 ss; Menchini, Il giudicato civile, p. 103 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 65 s.; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 863. Dabei wird häufig unterschieden zwischen sog. diritti eterodeterminanti, also Rechten, bei denen zur Individualisierung des Streitgegenstandes auf den Sachverhalt zurückgegriffen werden muss, und sog. diritti autodeterminanti, bei denen die geltend gemachte Rechtsposition zur Identifizierung genügt, so z.B. Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 87, p. 178 s.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 65 s.; in der Rechtsprechung z.B. Corte di Cassazione, 30. September 2013, n. 22316, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 25, p. 863. Teilweise stimmt dieser Ansatz mit der Differenzierung zwischen relativen Rechten, absoluten Rechten und Gestaltungsklagen überein (auf diese Unterscheidung abstellend z.B. Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 182 ss.). Unterschiede bestehen insbesondere im Hinblick auf Klagen, die sich auf schuldrechtliche Forderungen auf Erbringung einer spezifischen Leistung (Speziesschuld) beziehen, bei denen nach der Differenzierung zwischen diritti eterodetermninanti und autodeterminanti trotz des schuldrechtlichen Charakters das geltend gemachte Recht in Verbindung mit dem petitum als ausreichend angesehen wird, um eine Spezifizierung des Streitgegenstandes zu ermöglichen, vgl. zur strittigen Behandlung Menchini, Il giudicato civile, p. 102, 123 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 66. Im Einzelnen ist hier vieles umstritten, vgl. Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 184, nota 45; Menchini, Il giudicato civile, p. 102 s.

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allein anhand der materiellen Rechtsposition bestimmt, während dem die Entstehung des Rechts begründenden Sachverhalt keine Bedeutung für die Identifizierung der causa petendi zugebilligt wird.415 Die Abweisung einer Klage auf Feststellung des Eigentums an einer Sache steht daher einer erneuten, auf einen anderen Erwerbsgrund gestützten Klage entgegen.416 Werden schuldrechtliche Forderungen, die auf gattungsmäßig bestimmte Leistungen gerichtet sind, geltend gemacht, richtet sich die Abgrenzung zwischen verschiedenen causae petendi dagegen nach dem tatsächlichen Sachverhalt bzw. dem fatto costitutivo, d.h. dem rechtsbegründenden Sachverhalt oder Tatbestand. 417 Ob konkurrierende Ansprüche verschiedene causae petendi darstellen, richtet sich dagegen nach der nach materiellem Recht zu bewertenden Einordnung des Konkurrenzverhältnisses als Fall der Normen- bzw. Anspruchskonkurrenz: Nur im Fall der Anspruchskonkurrenz soll eine spätere Berufung auf den konkurrierenden Anspruch noch möglich sein.418 Ein Fall der Gesetzeskonkurrenz liegt beispielsweise im Verhältnis zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung vor, so dass hier von einer einheitlichen causa petendi ausgegangen wird.419 Dagegen bilden die vertragliche und die bereicherungsrechtliche Haftung abweichende

415 Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 87, p. 178; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 183 s.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 66. Ebenso (jedoch mit Einschränkung für sachenrechtlichen Sicherungsrechte) Menchini, Il giudicato civile, p. 109. Dem tatsächlichen Sachverhalt ist aber auch bei absoluten Rechten insoweit Bedeutung zuzumessen, als dass nachträgliche Tatsachenveränderungen zu berücksichtigen sind und auch weitere Beeinträchtigungen eines absoluten Rechts (z.B. durch erneute Besitzentziehung) eine neue Klage rechtfertigen können (sog. causa petendi passiva), Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 179, 185; Menchini, Il giudicato civile, p. 104, 108 s. 416 Corte di Cassazione, 27. Februar 1969, n. 648, Repertorio del Foro Italiano 1981, voce Cosa giudicata civile, n. 9, p. 694; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 184; Menchini, Il giudicato civile, p. 109 (Heranziehung der Regel, die cosa giudicata erfasse il dedotto e il deducibile). Ebenso für den Fall einer Grunddienstbarkeit (Wegerecht): Corte di Cassazione, 30. September 2013, n. 22316, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 25, p. 863. 417 Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 182 s.; Menchini, Il giudicato civile, p. 122 s.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 65; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 865. 418 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 9.3, 9.4, p. 64 s.; Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 248 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 74 s. Mandrioli/Carratta nehmen an, dass bei Identität des fatto costitutivo und der geltend gemachten Rechtsfolge von einem einheitlichen Streitgegenstand auszugehen sei, Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 183. 419 Allerdings mit Unterschieden in der Einordnung innerhalb der Gesetzeskonkurrenz: Luiso, Diritto processuale civile I, n. 9.3, p. 64 (Spezialität); Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 257 ss., 265 (Subsidiarität).

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causae petendi. 420 Bei Gestaltungsklagen und insbesondere bei der bedeutsamen Fallgruppe der verschiedenen Gestaltungsklagen auf Anfechtung eines Rechtsverhältnisses ist der für die Abgrenzung zwischen verschiedenen causae petendi anzuwendende Maßstab umstritten: Hier werden verschiedenste abweichende Ansätze vertreten, die von einer Gleichstellung der causa petendi mit der auf das konkrete Rechtsverhältnis bezogenen Rechtsänderung 421 über die Unterscheidung zwischen verschiedenen causae petendi nach einzelnen Annullierungstatbeständen (z.B. Irrtum, Drohung, Täuschung) 422 bis hin zu einer feingliedrigen Abgrenzung nach der jeweiligen tatsächlichen Begründung des einzelnen Annulierungsgrundes (also z.B. nach jedem einzelnen Irrtum) 423 reichen. Im Hinblick auf die Beurteilung der Rechtskraftreichweite bei Teilklagen ist festzustellen, dass Rechtsprechung und Literatur einer aufgespaltenen Geltendmachung einheitlicher Ansprüche in verschiedenen Klagen heute ablehnend gegenüberstehen. Während die Rechtsprechung früher noch von einem Recht des Klägers ausging, seine Klage zunächst auf einen Teil der Leistung zu beschränken, und daher zumindest bei ausdrücklichem Vorbehalt, also bei offener Teilklage, eine Nachforderung zuließ, 424 lehnt die heute wohl herrschende Rechtsprechung425 die Zulässigkeit späterer Klagen hinsichtlich des Restes

420 Corte di Cassazione, sezioni unite civili. 27. Dezember 2010, n. 26128, Il Foro Italiano 2011, I, p. 1795, 1796; Corte di Cassazione, 13. Mai 2011, n. 10663, Il Foro Italiano 2012, I, p. 1879, 1880 (jeweils zur mutatio libelli). 421 So z.B. Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 188 ss. 422 So Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 87, p. 179; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 186; Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 601.6, p. 2044. Dagegen soll der Vortrag abweichender Tatsachen, die demselben Nichtigkeitstatbestand unterfallen, keine neue causa petendi begründen, Liebman/Colesanti/Merlin/Ricci, Manuale di diritto processuale civile, n. 87, p. 179; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 186. 423 Ausführlicher Überblick über den Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung bei Menchini, Il giudicato civile, p. 133 ss. 424 Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 10. April 2000, n. 108/SU, Repertorio del Foro Italiano 2000, voce Obbligazioni in genere, n. 16, p.1603: „In assenza di espresse disposizioni, o di principi generali desumibili da una interpretazione sistematica, deve riconoscersi al creditore di una determinata somma, dovuta in forza di un unico rapporto obbligatorio, la facoltà di chiedere giudizialmente […] un adempimento parziale […] con riserva di azione per il residuo….“ 425 Es finden sich aber auch abweichende Entscheidungen, die zwar anerkennen, dass Forderungen, insbesondere Schadensersatzforderungen, auf Grundlage desselben Sachverhalts grundsätzlich in ihrer Gesamtheit geltend zu machen sind, aber bei ausdrücklichem Vorbehalt der späteren Nachforderung hinsichtlich weiterer Schadensposten die Zulässigkeit der späteren Nachforderungsklage bejahen, so Corte di Cassazione, 30. Oktober 2006, n. 23342, Repertorio del Foro Italiano 2006, voce Danni civili, n. 386, p. 1024; Corte di Cassazione, 22. August 2008, n. 17873, Repertorio del Foro Italiano 2008, voce Danni civili, n. 160, p. 988.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

ab: 426 Dies gilt nicht nur für die Aufspaltung eines einheitlichen Betrages, sondern auch für verschiedene Rechnungs- und Schadensposten (voci di credito/di danno).427 Zur Begründung des Ausschlusses einer späteren Nachforderung zieht die Rechtsprechung heute überwiegend die Grundsätze der Lauterkeit (correttezza), des guten Glaubens (buona fede) und des Verbots des Prozessmissbrauchs (abuso del processo) heran.428 Auch in der Literatur lehnt die wohl überwiegende Ansicht die Zulässigkeit der späteren Klage über den Rest mit der Begründung ab, der Streitgegenstand sei in dem geltend gemachten Zahlungs- oder Schadensersatzanspruch als Ganzem zu sehen. Das petitum sei nicht durch den geltend gemachten Betrag begrenzt. 429 In der Abwägung zwi-

426

In ausdrücklicher Abkehr von der Entscheidung n. 108/SU: Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 15. November 2008, n. 23726, Il Foro Italiano 2008, I, p. 1514, 1524. Ebenso Corte di Cassazione, 3. Dezember 2008, n. 28719, Repertorio del Foro Italiano 2008, voce Cosa giudicata civile, n. 30, p. 979; Corte di Cassazione, 30. Juni 2009, n. 15343, Repertorio del Foro Italiano 2009, voce Cosa giudicata civile, n. 26, p. 967; Corte di Cassazione, 22. Dezember 2011, n. 28286, Il Foro Italiano 2012, I, p. 2813, 2814. Kritisch zu der Entscheidung n. 23726 aber Caponi, Foro Italiano 2008, I, p. 1519 ss. 427 Corte di Cassazione, 30. Juni 2009, n. 15343, Repertorio del Foro Italiano 2009, voce Cosa giudicata civile, n. 26, p. 967 („deve ritenersi preclusa una seconda pronuncia relativa a tale diritto, sia pure in relazione a diversa voce di credito“); Corte di Cassazione, 22. Dezember 2011, n. 28286, Il Foro Italiano 2012, I, p. 2813, 2814 (Sach- und Personenschäden aus einem Verkehrsunfall). In der Literatur wird teilweise auch für den Fall, dass rechtskräftig über eine Klage auf wiederkehrende Leistungen für einen bestimmten Zeitraum entschieden wurde, eine Präklusion der Forderungen bejaht, die Zeiträume betreffen, die zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens bereits abgeschlossen waren (Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, VI n. 9; Menchini, Il giudicato civile, p. 118). Die entsprechenden Leistungen für zeitlich nachgelagerte Zeiträume sollen aber in jedem Fall in einer späteren Klage geltend gemacht werden können (so auch Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, VI n. 9; Menchini, Il giudicato civile, p. 118; gegen eine Präklusion der spätere Zeitabschnitte betreffenden Forderungen Corte di Cassazione, 23. Juni 2000, n. 8583, Repertorio del Foro Italiano 2000, voce Cosa giudicata civile, n. 46, p. 894). 428 Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 15. November 2008, n. 23726, Il Foro Italiano 2008, I, p. 1514, 1524 („Nel rimeditare questa soluzione […] il collegio ritiene ora però di non poterla mantenere ferma, in un quadro normativo nel frattempo evolutosi nella duplice direzione, sia di una sempre più accentuata e pervasiva valorizzazione della regola di correttezza e buona fede […], sia in relazione al canone del ‚giusto processo‘, di cui al novellato art. 111 Cost.“ ), 1526 („Oltre a violare […] il generale dovere di correttezza e buona fede, la disarticolazione, da parte del creditore, dell’unità sostanziale del rapporto […], in quanto attuata nel processo e tramite il processo, si risolve automaticamente anche in abuso dello stesso.“); Corte di Cassazione, 3. Dezember 2008, n. 28719, Repertorio del Foro Italiano 2008, voce Cosa giudicata civile, n. 30, p. 979; Corte di Cassazione, 30. Juni 2009, n. 15343, Repertorio del Foro Italiano 2009, voce Cosa giudicata civile, n. 26, p. 967; Corte di Cassazione, 22. Dezember 2011, n. 28286, Il Foro Italiano 2012, I, p. 2813, 2814. 429 Menchini, Il giudicato civile, p. 117; ders., I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 276 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 71.

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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schen der Dispositionsmaxime und dem öffentlichen Interesse an einer abschließenden Streitbeilegung wird letzterem der Vorrang zugesprochen. 430 Eine Mindermeinung will aber im Einzelfall bei legitimem Interesse des Klägers an der Aufspaltung eine spätere Nachforderung zulassen. 431 Die Verbindlichkeit der rechtskräftigen Entscheidung wird auch im italienischen Recht durch eine Präklusionsregel abgesichert, 432 die verhindert, dass die rechtskräftige Rechtsfolgenfestsetzung nachträglich durch Berufung auf Vorbringen in Frage gestellt wird, welches bereits im ersten Verfahren hätte angeführt werden können.433 Umschrieben wird diese Präklusion mit der aus dem spanischen Recht bekannten Formel, nach der der giudicato das Vorgetragene und das "Vorbringbare“ (il dedotto e il deducibile) erfasse. 434 Auf die Kenntnis der Partei im Zeitpunkt des ersten Verfahrens kommt es dabei nach herrschender Meinung nicht an.435 Die Präklusion wirkt jedoch nur in den Grenzen des Streitgegenstandes bzw. in den objektiven Grenzen der cosa giudicata.436 Eine 430

Menchini, I limiti oggettivi del giudicato civile, p. 280 ss. So Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 181, nota 39. 432 Menchini, Il giudicato civile, p. 147; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 864 s. 433 Corte di Cassazione, 11. Mai 2010, n. 11360, Repertorio del Foro Italiano 2010, voce Cosa giudicata civile, n. 19, p. 846; Menchini, Il giudicato civile, p. 147; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 864 s. 434 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.2, p. 182 s.; Menchini, Il giudicato civile, p. 147 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 63; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 864 s. 435 Corte di Cassazione, 19. August 1993, n. 8784, Repertorio del Foro Italiano 1993, voce Cosa giudicata civile, n. 14, p. 667 („L’autorità del giudicato […] copre sia il dedotto che il deducibile, senza che assuma rilievo l’ignoranza, da parte di colui contro quale si sia formato il giudicato, di fatti che avrebbero potuto dare fondamento ad azioni o eccezioni non fatte valere“). A.A. (in bewusster Abgrenzung von der herrschenden Lehre) Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.3, p. 183 s. („deducibilità in senso soggettivo»). 436 Menchini, Il giudicato civile, p. 148 („I confini della preclusione sono segnati dall’oggetto del processo.“); Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 65 („non influisce in modo alcuno nel senso di restringere o ampliare i limiti oggettivi del giudicato“). Von einer Wirkung nur innerhalb der objektiven Grenzen der cosa giudicata bzw. des Streitgegenstandes ausgehend auch Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.2, p. 182; Mandrioli/Carratta, Diritto processuale civile I, § 29, p. 189, nota 55; Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 601.2, p. 2041. Aus der Rechtsprechung z.B. Corte di Cassazione, 11. Mai 2010, n. 11360, Repertorio del Foro Italiano 2010, voce Cosa giudicata civile, n. 19, p. 846 („Il giudicato sostanziale conseguente alla mancata opposizione di un decreto ingiuntivo […] copre […] anche l’inestistenza di fatti impeditivi, estintivi e modificativi del rapporto e del credito precedenti al ricorso per ingiunzione non dedotti con l’opposizione, mentre non si estende ai fatti successivi al giudicato ed a quelli che comportino un mutamento del petitum ovvero della causa petendi …“). Corte di Cassazione, 8. August 2013, n. 19017, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 28, p. 863: „Poiché l’efficacia preclusiva ex art. 2909 c.c. presuppone non solo l’identità delle parti, ma anche quella del petitum e della causa petendi 431

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Ausweitung der Rechtskraftwirkung über die causa petendi hinaus ist mit der auch das „Vorbringbare“ erfassenden Präklusion nicht verbunden. Allerdings wird die Präklusionsregel auch dazu herangezogen, spätere Klagen auszuschließen, in denen das Gegenteil bzw. die Umkehrung der Rechtsfolgenfeststellung des ersten Verfahrens eingefordert wird. 437 Diese Erstreckung der cosa giudicata auf das Gegenteil wird dabei nicht als gesonderter Grundsatz der Rechtskraftlehre betrachtet, sondern wird überwiegend als Ausfluss der Regel der Erstreckung der cosa giudicata auf il dedotto e il deducibile verstanden.438 Folge ist eine Ausdehnung der Präklusionswirkung der cosa giudicata.439 Ausgeschlossen ist die spätere klageweise Geltendmachung eines Anspruchs, welcher mit dem rechtskräftig festgestellten Recht unmittelbar unvereinbar ist (direttamente incompatibile): 440 Die Bejahung des Rechts des Klägers enthält danach notwendigerweise auch die Verneinung eines hiermit unmittelbar unvereinbaren Rechts des Beklagten. 441 Bei ausschließlichen Rechten steht die Sperrwirkung der cosa giudicata zudem einer späteren klageweisen Inanspruchnahme der dem Gegner zugesprochenen Rechtsposition entgegen, 442 so dass es beispielsweise dem zur Herausgabe (rivendicazione) Verurteilten verwehrt ist, die Feststellung seiner Eigentümerstellung unter Berufung auf einen zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens bereits eingetretenen Erwerbssachverhalt zu verlangen. 443 Nach ganz überwiegender Ansicht …“ (Daher bewirkte die Rechtskraft einer zusprechenden Entscheidung über die Klage einer in Liquidation befindlichen Vermietergesellschaft auf Bestätigung der Mietvertragsbeendigung nicht, dass der unterlegene Mieter im Verfahren über die Zahlung ausstehender Mieten mit dem Vorbringen der fehlenden Legitimation des Verwalters der in Liquidation befindlichen Gesellschaft präkludiert war.). 437 Menchini, Il giudicato civile, p. 147 ss.; Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 78 ss.; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 865. 438 Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 78; Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 865. Sehr weitreichend auch die Aussage von Montesano/Arieta, die Parteien seien durch den genannten Grundsatz mit allen Klagen und Einwendungen präkludiert, die zu Ergebnissen führen würden, die mit der Rechtsfolgenfeststellung in dem rechtskräftigen Urteil unvereinbar sind, Montesano/Arieta, Trattato di diritto processuale civile I, Tomo 2, n. 601.2, p. 2042 („… essendo alle parte precluse tutte le domande ed eccezioni che, ove accolte dal giudice, darebbero risultati incompatibili con l’accertamento oggetto della sentenza passata in giudicato.“). 439 Menchini, Il giudicato civile, p. 149 („… opera senz’altro l’effetto preclusivo della decisione anteriore“). 440 Menchini, Il giudicato civile, p. 149 („… l’eventuale suo riconoscimento non deve implicare l‘automatico disconoscimento del bene della vita attribuito dalla precedente sentenza all’altra parte“); Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 79. 441 Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 79. 442 Menchini, Il giudicato civile, p. 153 ss. 443 Menchini, Il giudicato civile, p. 155. Vgl. auch Corte di Cassazione, 27. Februar 1969, n. 648, Repertorio del Foro Italiano 1981, voce Cosa giudicata civile, n. 9, p. 694 (Nach Verurteilung zur Herausgabe der streitbefangenen Immobilie und Abweisung seiner Widerklage

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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schließt der Grundsatz der Erstreckung der cosa giudicata auf il deducibile auch eine Rückforderung des in der rechtskräftigen Entscheidung Zugesprochenen auf Grundlage von Einwendungen aus, die bereits im ersten Verfahren hätten vorgetragen werden können.444 Umstritten ist dagegen, ob die Sperrwirkung der cosa giudicata auch in Fällen zur Anwendung gebracht werden kann, in denen in der späteren Klage eine Rechtsfolge begehrt wird, die lediglich mit einer präjudiziellen Feststellung der Erstentscheidung unvereinbar ist, also z.B. wenn der aus einem Rechtsverhältnis zur Leistung Verurteilte später die gerichtliche Annullierung des Rechtsverhältnisses einklagt. 445 Die cosa giudicata wird damit in objektiver Hinsicht durch das nicht mit dem formalen Klageantrag gleichzusetzende petitum und die je nach Anspruchs- und Klageart unterschiedlich definierte causa petendi begrenzt. Eine Präklusion des nicht geltend gemachten Tatsachen- und Rechtsvorbringens in den Grenzen der cosa giudicata sichert die Verbindlichkeit der Entscheidung in späteren Verfahren ab und bewirkt gleichzeitig eine Erstreckung der Sperrwirkung der cosa giudicata auf Klagen, in denen das Gegenteil oder die Umkehrung der rechtkräftig festgestellten Rechtsfolge eingefordert wird.

auf Feststellung seiner Alleineigentümerstellung ist der zuvor Beklagte mit seiner auf einen neuen Erwerbsgrund gestützten Klage auf Feststellung seiner Alleineigentümerstellung präkludiert.). 444 Corte di Cassazione, 6. April 1981, n. 1928, Repertorio del Foro Italiano 1981, voce Procedimento civile, n. 145, p. 2278 (Rückforderung als ungerechtfertigte Bereicherung); Corte di Cassazione, 17. Februar 1976, n. 524, Repertorio del Foro Italiano 1976, voce Cosa giudicata civile, n. 21, p. 717 (Rückforderung im Wege der Schadensersatzklage hinsichtlich des durch die Vollstreckung aus dem ersten Urteil entstandenen Schadens); Menchini, Il giudicato civile, p. 161 („L’efficacia del fatto impeditivo, modifcativo ed estintivo non può essere recuperata neppure fondando su di esso un’autonoma domanda di ripetizione di indebito o di risarcimento di danni;….“); Pugliese, Giudicato civile, in: Enciclopedia del diritto XVIII, p. 865. 445 Gegen eine Präklusion Corte di Cassazione, 28. September 1964, n. 2446, Repertorio del Foro Italiano 1964, voce Cosa giudicata civile, n. 28, p. 718 (Die Verurteilung zur Zahlung des Kaufpreises führt nicht zur Präklusion der azione redibitoria, d.h. der Klage auf Aufhebung des Kaufvertrages wegen versteckter Mängel der Kaufsache.); Corte di Cassazione, 27. November 1986, n. 6991, Il Foro Italiano 1987, I, p. 446, 456 (Die Abweisung der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages wegen Sittenwidrigkeit und die gleichzeitige Verurteilung des Klägers auf die Widerklage hin zum Vertragsschluss als Folge eines Vorvertrages (nach Art. 2932 c.c.) bewirkt nicht die Präklusion einer späteren Klage auf Annullierung des Vorvertrages wegen Willensmängeln.); Proto Pisani, Lezioni di diritto processuale civile, p. 79 s. (am Beispiel einer Eigentumsfeststellungsklage einer Partei, die zuvor zur Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung des Eigentums der Gegenseite verurteilt worden war). Für ein Greifen der Sperrwirkung dagegen Menchini, Il giudicato civile, p. 149 m.w.N.

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IV. Die Bestimmung der Anspruchsidentität im Rahmen des Art. 27 EuGVVO/Art. 29 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Einen autonomen Ansatz zur Bestimmung des Streitgegenstandes hat der EuGH für die Rechtshängigkeitssperre nach Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO entwickelt. Da der Wortlaut des ersten Absatzes des Art. 29 der neuen Brüssel Ia-Verordnung mit dem des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO fast völlig übereinstimmt und darin am Begriff „desselben Anspruchs“ festgehalten wurde, 446 ist davon auszugehen, dass die bisherige autonome Auslegung des Erfordernisses der Anspruchsidentität auch weiterhin Geltung beanspruchen wird. In Bezugnahme auf die Sprachfassungen insbesondere der romanischen Rechtsordnungen wird der Begriff des Anspruchs anhand der Elemente des Gegenstandes (objet) und der Grundlage (cause) bestimmt. 447 Prägend für den vom EuGH entwickelten Anspruchsbegriff ist dabei das Element des Gegenstandes. Dieses ist nicht mit dem formalen Klageantrag gleichzusetzen, 448 vielmehr beschreibt der Gegenstand nach der Auslegung des EuGH den mit der Klage verfolgten Zweck. 449 Ob der Zweck zweier Klagen übereinstimmt, wird anhand der Frage beurteilt, ob die beiden anhängigen Verfahren denselben Kernpunkt haben. 450 Unter Rückgriff auf diesen Maßstab wird ein Greifen der Rechtshängigkeitssperre beispielsweise bejaht, wenn eine Partei in einem Mitgliedsstaat auf negative Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht oder Haftung klagt, und die Gegenseite in einem anderen Mitgliedstaat Klage auf Zahlung von Schadensersatz erhebt.451 Beide Klagen betreffen nach Ansicht des EuGH im Kern die Frage des Bestehens der Schadensersatzpflicht. 452 Dass dabei gegenläufige Anträge gestellt werden, ist für die Annahme der Anspruchsidentität unmaßgeblich, da es sich hierbei nach Ansicht des EuGH nur um eine Frage

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Zum Festhalten an dieser Formulierung im damals erst als Entwurf vorliegenden Art. 29 der Neufassung der EuGVVO Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 125. 447 EuGH Gubisch Maschinenfabrik ./. Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987, S. 4861, Rn. 14 = NJW 1989, 665, 666. 448 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 150; Heiderhoff, Festschrift Kaissis, 2012, S. 383; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 156. Kritisch zu dem damit verbundenen Bedeutungsverlust des Parteiwillens Stürner, Festschrift Heldrich, 2005, S. 1061, 1068 f. 449 EuGH Gubisch Maschinenfabrik ./. Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987, S. 4861, Rn. 16 = NJW 1989, 665, 666; EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I, S. 5439, Rn. 41 = IPRax 1996, 108, 111. 450 EuGH Gubisch Maschinenfabrik/ Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987, S. 4861, Rn. 16 = NJW 1989, 665, 666. 451 EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I, S. 5439, Rn. 41 ff. = IPRax 1996, 108, 111. 452 EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I, S. 5439, Rn. 43 = IPRax 1996, 108, 111.

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der negativen bzw. positiven Formulierung desselben Zwecks handelt.453 Auch das Aufeinandertreffen von Feststellungs- und Leistungsantrag steht der Annahme einer Übereinstimmung des Gegenstandes nicht entgegen und zwar unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der Anträge. 454 Eine Übereinstimmung des Gegenstandes wurde auch für das Verhältnis zwischen einer Klage auf Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung und einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages wegen fehlender Einigung angenommen, weil im Kern um die Wirksamkeit des Vertrages gestritten wurde.455 In ähnlicher Weise wurde in der nationalen Rechtsprechung zu Art. 27 EuGVVO angenommen, dass die Rechtshängigkeitssperre greife, wenn bei Handelsvertreterverhältnissen der Unternehmer vor einem Gericht auf Auflösung des Vertretervertrages wegen Verschuldens des Handelsvertreters klagt und der Handelsvertreter an einem anderen Forum seinen (von der nicht von ihm verschuldeten Kündigung abhängigen) Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch einfordert.456 Kennzeichnend ist in diesen Fällen, dass eine der Klagen jeweils eine präjudizielle Vorfrage der im anderen Verfahren geltend gemachten Rechtsfolge betrifft. 457 Zwecks Verhinderung einander widersprechender Urteile und einer damit verbundenen Gefahr der Nichtanerkennung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaates 458 wird der Gegenstandsbegriff also sehr weit gefasst und kann eine Identität auch schon bei 453 EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I, S. 5439, Rn. 43 = IPRax 1996, 108, 111. 454 In der Rechtssache Tatry folgte der Leistungsantrag auf die Feststellungsklage, EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I, S. 5439, Rn. 44 = IPRax 1996, 108, 111 (der EuGH argumentierte allerdings mit der Annahme, die Leistungsklage auf Schadensersatz stelle „eine natürliche Folge des Antrags auf Feststellung der Haftung dar“, Rn. 44). Vgl. auch Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 27 Brüssel I-VO, Rn. 9; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, S. 139. Ausführlich zur fehlenden Relevanz der zeitlichen Reihenfolge des Feststellungs- und des Leistungsantrags und der hieran geäußerten Kritik McGuire, Verfahrenskoordination, S. 89 ff. 455 EuGH Gubisch Maschinenfabrik ./. Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987, S. 4861, Rn. 16 = NJW 1989, 665, 666. 456 BGH NJW 2002, 2795, 2796; OLG München vom 01.03.2000, 7 U 5080/99, BeckRS 2000 30099076; vlg. auch OLG Stuttgart IPRax 2002, 125, 127. Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation auch BGH NJW 1995, 1758, 1759 (Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Kaufvertrages und Leistungsklage auf bereicherungsrechtliche Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises). 457 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 150 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 6 Rn. 157; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, EuGVVO aF Art. 27, Rn. 6. 458 Zu dieser Zielrichtung der Rechtshängigkeitssperre EuGH Gubisch Maschinenfabrik ./. Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987, S. 4861, Rn. 8 = NJW 1989, 665; EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I, S. 5439, Rn. 32 = IPRax 1996, 108, 110; EuGH Drouot Assurances SA ./. Consolidated metallurgical industries, Urt. v. 19.05.1998, Rs. C-351/96, Slg. 1998 I, S. 3075, Rn. 17 = EuZW 1998, 443, 444; BGH NJW 1997, 870, 872.

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einem Präjudizialitätsverhältnis zwischen den beiden Klagen bejaht werden. 459 Auch bei Teilklagen in verschiedenen Mitgliedstaaten dürfte daher von einer Übereinstimmung des Gegenstandes auszugehen sein. 460 Der sehr weite Kernpunktansatz des EuGH bewirkt damit eine Konzentration von „ergänzenden und gegenläufigen Klagen“ vor demselben Gericht. 461 Einwendungen des Beklagten sind jedoch nach Ansicht des EuGH ohne Einfluss auf die Festlegung des Gegenstandes. 462 Eine mögliche Unvereinbarkeit einer Klage mit einer in einem anderen Verfahren vorgetragenen Einwendung des Beklagten löst die Rechtshängigkeitssperre daher nicht aus. Zudem lässt die offene Formulierung des Kernpunktmaßstabs im Einzelfall auch eine feine Differenzierung zwischen verschiedenen im Zusammenhang mit demselben Sachverhalt verfolgten Zielsetzungen zu: So wurde eine Übereinstimmung im Kernpunkt im Verhältnis zwischen einer Klage eines Schiffseigentümers auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds und der parallelen Klage des Geschädigten auf Schadensersatz abgelehnt, weil die Begründung des Fonds zwar die Beschränkung der Schadensersatzhaftung des Schiffseigners zur Folge haben sollte, aber im Kern nicht das Bestehen der Schadensersatzhaftung betraf.463 Dem zweiten Element des autonom bestimmten Anspruchsbegriffs, der Grundlage, hat der EuGH zunächst weniger Aufmerksamkeit geschenkt: In der 459 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 152. Zur „Einbeziehung von Vorfragen in den Streitgegenstandsbegriff“ auch Stein/Jonas/Wagner, ZPO, Art. 27 EuGVVO, Rn. 28. Ein Fall der bloßen Übereinstimmung in Vorfragen, in dem nicht etwa einer der Anträge eine Vorfrage des in der anderen Klage geltend gemachten Anspruchs betraf, sondern beiden Ansprüchen lediglich dieselben Vorfragen zugrunde lagen, ist vom EuGH bislang noch nicht entschieden worden, vgl. Althammer, Festschrift Kaissis, 2012, S. 23, 33. 460 Für Identität Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, EuGVVO Art. 27 Rn. 4b; für die Teilbetragsklage (nicht aber bei Einforderung eines Teils eines Gesamtschadens) ebenso Stein/Jonas/Wagner, ZPO, Art. 27 EuGVVO, Rn. 38. Gegen eine Identität bei Streitklagen (ohne nähere Begründung) Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 27 A.1 Rn. 41 („geht zu weit“). 461 Gottwald, in: Dogmatische Grundfragen des Zivilprozesses im geeinten Europa – Symposium Schwab, 2000, S. 85, 94; MüKo/Gottwald, ZPO, EuGVO Art. 27, Rn. 13; Mansel/Nordmeier, Festschrift Kaissis, 2012, S. 629, 645. Kritisch zu der damit verbundenen Konzentrationslast Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441 f. 462 EuGH Gantner Electronic GmbH ./. Basch Exploitatie Maatschapij PV, Urt. v. 08.05.2003, Rs. C-111/01, Slg. 2003 I, S. 4207, Rn. 31 = NJW 2003, 2596 f. Vgl. auch Geimer/Schütze/Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 27 A.1 Rn. 43; Mansel/Nordmeier, Festschrift Kaissis, 2012, S. 629, 649; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, S. 139. 463 EuGH Maersk Olie & Gas A/S ./. Firma M. de Haan en W. De Boer, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02, Slg. 2004 I-9657, Rn. 35 = IPRax 2006, 262, 264. Weil die Frage der Haftung und der Haftungsbeschränkung dieselbe Forderung betrafen, dieses Ergebnis für „auf dem Boden einer weiten Streitgegenstandslehre [...] kaum nachzuvollziehen“ haltend Stein/Jonas/Wagner, ZPO, Art. 27 EuGVVO, Rn. 35.

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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Entscheidung Gubisch ./. Palumbo sah der EuGH schlicht das Vertragsverhältnis als Grundlage an.464 Gegenüber der in der Entscheidung als Kernpunkt definierten Frage der Wirksamkeit des Vertrages kam der Grundlage hier also keine eigenständige eingrenzende Relevanz zu. In den folgenden Entscheidungen wurde die Grundlage dann aber als Sachverhalt oder Rechtsvorschrift, auf die sich die Klage stützt, definiert. 465 Gestützt auf diese Begriffsbestimmung nahm der EuGH in der Entscheidung Tatry eine Übereinstimmung der Grundlage an, da sich die Klagen zwar auf verschiedene Beförderungsverträge bezogen, aber der übereinstimmende Sachverhalt der Beschädigung derselben vertragsgegenständlichen Ladung betroffen war. 466 Grundvoraussetzung der Identität der Grundlage ist daher die Übereinstimmung des Lebenssachverhalts.467 Dass der EuGH in die Definition der Grundlage neben dem Sachverhalt auch die Rechtsvorschriften einbezieht, scheint auf den ersten Blick die enge Begrenzung des Streitgegenstandsbegriffs anhand verschiedener Rechtsgrundlagen, wie sie insbesondere das französische Recht früher gekennzeichnet hat aufzugreifen. Aus der Entscheidung in der Rechtssache Maersk wird aber deutlich, dass eine derart enge Begrenzung nicht gewollt ist: Zwar hat der EuGH darin zur Begründung der Annahme einer Anspruchsidentität auch darauf abgestellt, dass sich die beiden Klagen auf verschiedene Rechtsgrundlagen stützten,468 jedoch nahm er dabei nur auf die grobe Anspruchskategorie (außervertragliche Haftung einerseits, Übereinkommen andererseits) Bezug. 469 Damit dürfte sich aus der Einordnung verschiedener geltend gemachter Rechtsgrundlagen in wesens- oder funktionsmäßig zu unterscheidende rechtliche Kategorien zwar ein Anhaltspunkt für das Abweichen der Grundlage ergeben. 470 Allein von der Heranziehung abweichender materieller Rechtsgrundlagen ist aber

464 EuGH Gubisch Maschinenfabrik ./. Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987 4861, Rn. 15 = NJW 1989, 665, 666. 465 EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I-5439, Rn. 39 = IPRax 1996, 108, 111. EuGH Maersk Olie & Gas A/S ./. Firma M. de Haan en W. De Boer, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02, Slg. 2004 I-9657, Rn. 35 = IPRax 2006, 262, 264. 466 EuGH Tatry ./. Maciej Rataj, Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994 I-5439, Rn. 40 = IPRax 1996, 108, 111. 467 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 153. 468 EuGH Maersk Olie& Gas A/S/ Firma M. de Haan en W. De Boer, Urt. v. 14.1.2004, Rs. C-39/02, Slg. 2004 I-9657, Rn. 38 = IPRax 2006, 262, 265 („Selbst unter der Annahme, dass den beiden Verfahren derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, sind daher die rechtlichen Regelungen, auf die die beiden Klagen gestützt werden, unterschiedlich [...]. Denn die Schadensersatzklage beruht auf dem Recht der außervertraglichen Haftung, wohingegen der Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds das Übereinkommen von 1957 und die niederländischen Rechtsvorschriften, mit denen es umgesetzt wird, zur Grundlage hat.“). 469 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 155. 470 Vgl. auch Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 155 („soll es offensichtlich [...] nur darauf ankommen, ob die jeweiligen Vorschriften bei funktioneller und teleologischer Be-

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

nicht unmittelbar auf ein Abweichen der Grundlage zu schließen. 471 Nach diesem Maßstab erscheint es naheliegend, auch bei konkurrierenden vertraglichen und deliktischen Ansprüchen von einer Anspruchsidentität auszugehen,472 auch wenn Bedenken dahingehend geäußert werden, dass insoweit unterschiedliche Gerichtsstände begründet sind und ein Gerichtsstand kraft Sachzusammenhangs vom EuGH473 ablehnt wird.474 Der Anspruchsbegriff des EuGH wird damit vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Rechtshängigkeitssperre, unvereinbare Entscheidungen zu vermeiden, weit gefasst. Die Übereinstimmung der Klagen im Kernpunkt ist die maßgebliche Erwägung für die Beurteilung der Identität des Gegenstandes. Für die Bejahung einer solchen Übereinstimmung kann es genügen, wenn eine der Klagen eine präjudizielle Vorfrage der in der anderen Klage geltend gemachten Rechtsfolge betrifft. Die Grundlage als zweites Element des Anspruchsbegriffs wird primär durch den tatsächlichen Sachverhalt bestimmt. Unterschiedliche geltend gemachte Rechtsvorschriften rechtfertigen dann die Annahme eines abweichenden Streitgegenstandes, wenn sich grundlegend unterscheidende Arten von Rechtsgrundlagen betroffen sind.

trachtung demselben Systemoberbegriff zugeordnet werden können.“); Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 27 Brüssel I-VO, Rn. 8 („ob die vom jeweiligen Gericht anzuwendenden Rechtsnormen funktionell und teleologisch vergleichbar sind.“). Dagegen erscheint es weniger naheliegend, die Bezugnahme auf Sachverhalt und Rechtsvorschriften als ein Abstellen auf den in den romanischen Rechtsordnungen verwendeten, an den Voraussetzungen rechtlicher Tatbestände ausgerichteten Begriff des Anspruchsgrundes zu verstehen (so aber wohl Heiderhoff, Festschrift Kaissis, 2012, S. 383, 384), da sich dieses Verständnis des Anspruchsgrundes kaum mit der am Lebensvorgang ausgerichteten Bestimmung der Grundlage, wie sie in der Entscheidung Tatry vorgezeichnet wurde, vereinbaren lässt. 471 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 153; Heiderhoff, Festschrift Kaissis, 2012, S. 383, 384, 387. 472 So Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 155. Für die Annahme einer einheitlichen Grundlage bei Aufeinandertreffen von vertraglichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen auch Simons/Hausmann/Simons, Brüssel I-Verordnung, Art. 27 Rn. 43; Wernecke, Die Einheitlichkeit des europäischen und nationalen Begriffs vom Streitgegenstand, S. 47. 473 EuGH Athanasios Kalfelis ./. Bankhaus Schröder u.a., Urt. v. 27.09.1988, Rs. 189/87, Slg. I-5565 Rn. 19 ff. = NJW 1988, 3088, 3089. 474 Eine Rechtshängigkeitssperre bei parallelen Klagen aus konkurrierenden vertraglichen und deliktischen Ansprüchen daher ablehnend: Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessund Kollisionsrecht, Art. 27 Brüssel I-VO, Rn. 8. Ausführlich zur Auswirkung der unterschiedlichen Zuständigkeiten bei Anspruchskonkurrenz auf die Annahme der Anspruchsidentität im Sinne des Art. 27 EuGVVO: Heiderhoff, Festschrift Kaissis, 2012, S. 383, 391 ff. (im Ergebnis aber für Anspruchsidentität (selbst bei Ablehnung der nach ihrer Ansicht zu bejahenden Gerichtstandes kraft Sachzusammenhangs, S. 396)).

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtsentwicklung I. Der traditionelle Ansatz der romanischen Rechtsordnungen Bei der Betrachtung des in den einzelnen Rechtsordnungen zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft herangezogenen Grundansatzes fällt zunächst auf, dass die Rechtskraftlehren Spaniens, Italiens und Frankreichs durch die Begrenzung der Rechtskraft anhand eines zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs und die Unterscheidung zweier objektiver Streitgegenstandselemente in Form des petitum oder objet einerseits und der causa petendi oder cause andererseits traditionell einen sehr ähnlichen Grundansatz verfolgt haben. Die Zweigliedrigkeit der Streitgegenstandskonzeption findet sich zwar auch beim durch den Antrag und den Lebenssachverhalt bestimmten Streitgegenstandsbegriff des deutschen Rechts, jedoch zeigen sich bei der Bestimmung der Einzelelemente Unterschiede zwischen der Lösung des deutschen Rechts und den Konzeptionen der romanischen Rechtsordnungen: Das deutsche Rechts beschränkt die Rechtskraft auf die konkrete Beschreibung der begehrten Rechtsfolge im Klageantrag. Dagegen kennzeichnet die romanischen Ansätze ein weiter gefasstes Verständnis des objet bzw. des petitum als begehrtes Ziel oder Rechtsgut unter Einbeziehung seiner rechtlichen Umschreibung und Qualifizierung, welches nicht allein dem formalen Inhalt des Antrags zu entnehmen ist.475 Der Antragsformulierung kommt in Spanien und Italien lediglich insoweit Bedeutung zu, als die Definition als begehrtes Rechtsgut durch das „Grobraster“ der Differenzierung zwischen Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsbegehren ergänzt wird. 476 Auch wenn auf Grundlage des Ansatzes der romanischen Rechtsordnungen vielfach ähnliche Ergebnisse erzielt werden wie beim Abstellen auf den Klageantrag, sind die Definitionen des objet bzw. petitum doch offener gehalten und nicht von derselben formalen Präzision wie die deutsche Lösung, mit der insbesondere eine klare Begrenzung der Rechtskaft auf den geltend gemachten Betrag verbunden ist. Deutlicher noch wurden die Unterschiede zwischen der deutschen Rechtskraftkonzeption und den Begrenzungsansätzen der romanischen Rechtsordnungen aber, wenn man das zweite Element der jeweiligen Streitgegenstandsbegriffe betrachtete: Während das deutsche Recht auf den nach natürlicher Betrachtung zusammengehörigen Lebenssachverhalt abstellt, richteten die romanischen Rechtsordnungen den Anspruchsgrund stärker an rechtlichen Tatbeständen aus, auch wenn sich im Einzelnen Unterschiede zeigten: So war der frühere französische cause-Begriff durch die Abgrenzung nach verschiedenen 475

Zur Definition des objet in Frankreich oben Kapitel 2 § 2 F. II. 3. a.; zum Begriff des petitum im spanischen Recht Kapitel 2, § 2, G. II, 2. a., b. 476 Für Spanien siehe oben Kapitel 2, § 2, G. II, 2. a.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

moyens geprägt, wodurch auch den angeführten Rechtsgrundlagen selbst eingrenzende Bedeutung zugebilligt wurde. Die italienische und die spanische Streitgegenstandslehre stellten bei der Definition der causa petendi dagegen grundsätzlich auf die Gesamtheit der Tatsachen ab, welche die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes bilden, differenzierten aber bei der Beurteilung der Bedeutung der herangezogenen Rechtsgründe für die Eingrenzung der causa petendi nach aktionenrechtlichem Vorbild. 477 Das italienische und das spanische Recht kannten zudem eine Präklusion nicht vorgetragenen Vorbringens in den Grenzen der causa petendi in Form des Grundsatzes, die Rechtskraft erfasse auch das „Vorbringbare“ (lo deducible/il deducibile).478 Von den ursprünglich fast deckungsgleichen Konzeptionen des spanischen und italienischen Rechts bei der Bestimmung der objektiven Reichweite unterschied sich die französische Lösung damit in einzelnen Aspekten. Dennoch ließ sich von einem einheitlichen Grundansatz der romanischen Rechtsordnungen sprechen: Die objektive Reichweite der Rechtskraft wurde einerseits durch ein recht offen definiertes objet bzw. petitum sowie andererseits durch eine eng an rechtlichen Tatbeständen ausgerichtete cause bzw. causa petendi begrenzt. II. Abkehr vom romanischen Ansatz: Konvergenz der französischen und der spanischen Entwicklung In Folge der Einführung der Regelung des Art. 400 LEC in Spanien und der richterrechtlichen Anerkennung der Obliegenheit zur Konzentration der moyens in Frankreich haben sich die spanische und französische Rechtskraftlehre von der traditionellen romanischen Konzeption, wie sie noch in Italien vertreten wird, entfernt. Sowohl Art. 400 LEC als auch das Prinzip der Konzentration der moyens der Cesareo-Rechtsprechung erlegen dem Kläger die Obliegenheit auf, das gesamte Tatsachen- und Rechtsvorbringen, das dieser zur Stützung seiner Klage anführen kann, im ersten Verfahren zu konzentrieren, und sanktionieren die Nichteinhaltung dieser Konzentrationslast mit einer Präklusion kraft Rechtskraft. 479 Ist es den Parteien damit verwehrt, eine spätere Klage auf moyens bzw. Tatsachen und Rechtsgründe zu stützen, die sie bereits in einem früheren Verfahren mit identischem oder gegenläufigem Klageziel hätten geltend machen können, verliert das stark am jeweiligen Rechtstatbestand ausgerichtete Verständnis der cause bzw. der causa petendi seine eingrenzende Bedeutung. In Frankreich hat dies zu einer Änderung der Definition der cause geführt, die nunmehr allein als weit gefasste Tatsachengrundlage verstanden wird und nicht zur feingliedrigen Differenzierung dient.480 In der 477

Für Spanien siehe oben Kapitel 2, § 2, G. II, 3. a. aa. (2) (c). Zu dem spanischen Grundsatz siehe oben Kapitel 2, § 2, G. II, 3. a. bb. 479 Siehe oben Kapitel 2, § 1, F. II, 4. (Frankreich) und Kapitel 2, § 2, G. II, 3. b. (Spanien). 480 Siehe oben Kapitel 2, § 1, F. II, 4. b. aa. 478

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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spanischen Rechtskraftlehre wird entweder auf eine Modifizierung der Definition der causa petendi verzichtet und Art. 400 LEC dadurch Rechnung getragen, dass die Rechtskraft alle causae petendi in den Grenzen des petitum erfasse, oder die causa petendi als Gesamtheit der Tatsachen und Rechtsgründe, auf die das Beantragte gestützt werden kann, definiert. 481 Die geltend gemachte causa petendi im früheren engen Sinne hat ihre Bedeutung als objektive Grenze der Rechtskraft jedenfalls verloren. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien ist damit eine deutliche Ausweitung der Rechtskraft verbunden: Eine spätere neue Klage mit identischem objet bzw. petitum ist auch dann unzulässig, wenn sie sich auf eine andere Rechtsgrundlage stützt, unabhängig davon, welche Anspruchs- oder Klageart vorliegt. Hat die cause oder causa petendi im französischen und spanischen Recht damit für die Begrenzung der Rechtskraft an Bedeutung verloren bzw. diese gar vollständig eingebüßt, kommt nunmehr in beiden Rechtsordnungen dem objet bzw. dem petitum die maßgebliche Rolle bei der Begrenzung der Rechtskraft zu. In Frankreich wie in Spanien hat man allerdings auf eine stärkere Eingrenzung der Definition des objet bzw. des petitum verzichtet. Das französische Recht bestimmt damit die objektiven Grenzen anhand des als rechtlich qualifiziertes Ziel oder Begehren definierten objet sowie anhand der nunmehr sehr weit gefassten, als Tatsachengrundlage verstandenen cause. 482 In Spanien wird die objektive Reichweite der cosa juzgada durch das petitum und die Gesamtheit aller Tatsachen und Rechtsgründe, die zur Begründung des Antrags herangezogen werden können, beschrieben. Zunehmend findet insbesondere in der spanischen Rechtsprechung auch ein letztlich eingliedriger Streitgegenstandsbegriff Anwendung, der die Homogenität des Beantragten verlangt und dabei auf die Übereinstimmung der im Lichte der geltend gemachten causae petendi auszulegenden Zielsetzung abstellt. 483 Kennzeichnend für die gegenwärtige Bestimmung der Rechtskraftreichweite ist sowohl in der französischen als auch der spanischen Praxis, dass die in der Cesareo-Entscheidung bzw. in Art. 400 LEC vorgezeichnete Frage, ob die Partei das jeweilige Vorbringen bereits im Rahmen des ersten Verfahrens hätte geltend machen können, eine zentrale Erwägung bildet, durch die der Maßstab der Übereinstimmung der Elemente des Streitgegenstandsbegriffs ergänzt, vielfach aber auch ersetzt wird. Insbesondere in Frankreich tritt die Frage der Einhaltung der Obliegenheit zur Konzentration der moyens regelmäßig an die Stelle einer Untersuchung der Übereinstimmung der cause. Auf diese Weise entsteht ein flexibler Maßstab zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft, der nicht an einem exakten Vergleich eng

481

Siehe oben Kapitel 2, § 2 G. II. 3. b. cc. (1) (c). Siehe oben Kapitel 2 § 1 F, II, 4. b. 483 Siehe oben Kapitel 2, § 2 G. II. 3. b. cc. (d). 482

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

gefasster Streitgegenstandselemente orientiert ist, sondern auf offen formulierte objektive Grenzen abstellt und diese durch den Maßstab der Konzentrationsobliegenheit ergänzt. III. Verhältnis zur deutschen Rechtskraftlehre Die Bestimmung der objektiven Grenzen, wie sie das französische und das spanische Recht infolge der Cesareo-Rechtsprechung bzw. der Einführung des Art. 400 LEC vornehmen, ähnelt dem Ansatz des deutschen Rechts nunmehr stärker, als dies nach früherer Rechtslage der Fall war: Nicht nur die spanische Rechtskraftlehre, sondern auch das französische Recht kennt als Folge der Konzentrationsobliegenheit nun eine durch Rechtskraft bewirkte Präklusion nicht vorgetragenen Rechts- und Tatsachenvorbringens, die der Tatsachenpräklusion des deutschen Rechts gleicht. 484 Wie im deutschen Recht ist zudem eine Aufspaltung einheitlicher Sachverhalte anhand rechtlicher Tatbestände im spanischen und französischen Recht nicht mehr möglich. 485 Vielmehr tritt an die Stelle der früher an rechtlichen Tatbeständen ausgerichteten causa petendi eine weit gefasste Tatsachengrundlage bzw. eine Gesamtheit von Tatsachen und Rechtsgründen, was insoweit dem deutschen Ansatz ähnelt, als auch nach der deutschen Rechtskraftlehre mit dem zusammengehörigen Lebenssachverhalt ein sehr weites Streitgegenstandselement zur Anwendung kommt, dessen Bestimmung letztlich eine Frage der Wertung im Einzelfall ist. 486 Dass die heute in Frankreich und Spanien zur Anwendung kommenden Konzeptionen der Rechtskraftbegrenzung mit der deutschen Lösung dennoch nicht übereinstimmen, findet seinen Grund darin, dass die gegenwärtige französische und spanische Rechtskraftlehre zum einen an einem offen formulierten Begriff des objet bzw. des petitum festhält und die Rechtsprechung zum anderen auf Grundlage des Maßstabs der Konzentrationsobliegenheit, in Spanien auch auf

484 Dass sich die Lösungen des deutschen und französischen Rechts in diesem Punkt nun ähneln, betont auch di Noto, Liber Amicorum Seul, 2014, S. 84, 97. Dagegen scheint Ferrand schon in der Einführung der Konzentrationsobliegenheit und der damit verbundenen Präklusion den maßgeblichen Unterschied zum deutschen Recht zu sehen: Nach ihrer Ansicht lässt sich in der Einführung der Konzentrationsobliegenheit eine Übernahme der Henderson v. HendersonRegel erkennen, weshalb im Hinblick auf die objektive Reichweite von einer Spaltung („split“) zwischen den Lösungen Englands, Frankreichs und Spaniens einerseits und den übrigen kontinentalen Rechtsordnungen andererseits auszugehen sei, Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 154. Nicht mehr der aktuellen Rechtslage entspricht die Einordnung der französischen Lehre als Rechtsordnung, welche die Rechtskraft auf das tatsächlich Entschiedene beschränke, bei Zeuner/Koch, Effects of Judgment (Res Judicata), in: Cappelletti (ed.), Intl. Encycl. Comp. L. – Vol. XVI: Civil Procedure, Ch. 9, Rn.9–76, 9–97. 485 So auch di Noto, Liber Amicorum Seul, 2014, S. 84, 97. 486 Aus rechtvergleichender Sicht kritisch zu dieser Weite di Noto, Liber Amicorum Seul, 2014, S. 84, 98.

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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Grundlage flexibler Regeln wie der Erstreckung der Rechtskraft auf eng verbundene Anträge und der Figur der cosa juzgada implícita dogmatisch nicht präzise eingegrenzte Weiterungen der Rechtskraft zulässt. 487 Anders als im deutschen Recht, in dem der Klageantrag eine feste, durch den Parteiwillen bestimme Grenze bildet, ist daher beispielsweise in Frankreich – sowie in Spanien nach Ansicht von Teilen der Rechtsprechung – eine Nachforderungs- oder Restklage durch die Rechtskraft einer vorausgegangenen Entscheidung über eine Teilklage ausgeschlossen.488 Gleichzeitig wird die Rechtskraft in Spanien auf Grundlage der cosa juzgada implícita und des Art. 400 LEC sowie in Frankreich auf Grundlage der Konzentrationsobliegenheit des Beklagten über die im deutschen Recht anerkannten Fälle der Erstreckung der Rechtskraft auf das kontradiktorische Gegenteil hinaus auf weitere Fälle unvereinbarer Anträge ausgedehnt. Dies zeigt sich beispielsweise in Fällen, in denen durch die spätere Klage die Wirksamkeit eines Rechtsverhältnisses in Frage gestellt wird, auf dessen Grundlage der nun Klagende zuvor verurteilt wurde. 489 Dass die Beurteilung eines Greifens der Sperrwirkung der Rechtskraft durch Abstellen auf die Möglichkeit, ein bestimmtes (rechtliches oder tatsächliches) Vorbringen bereits in einem früheren Verfahren (hilfsweise) geltend zu machen, im Vergleich zu einer Untersuchung der Übereinstimmung oder des Abweichens des zugrunde liegenden Sachverhaltes zu einer Ausweitung der Reichweite der Rechtskraft führt, wird z.B. in Frankreich daran deutlich, dass einer Klage wegen ungerechtfertigter Bereicherung die Rechtskraft der Abweisung einer Klage auf Erbringung der vertraglichen Gegenleistung entgegensteht. 490 Trotz einer gewissen Annäherung an das deutsche Recht im Grundansatz wird die objektive Reichweite der Rechtskraft in Frankreich und Spanien damit heute weiter gefasst als nach der deutschen Rechtkraftlehre. IV. Verhältnis zum Begriff der Anspruchsidentität des EuGH im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 29 Brüssel Ia-VO Wurde soeben der maßgebliche Unterschied im Vergleich zum deutschen Recht darin gesehen, dass die französische und spanische Rechtskraftlehre einen offener formulierten Begriff des objet bzw. des petitum verwendet und die Rechtskraft insbesondere zur Erfassung von im Vergleich zur Rechtsfolgenfeststellung der Erstentscheidung gegenläufigen Klagen weiter ausgedehnt

487

Hierzu oben Kapitel 2, § 2 G. II. 2. c., d. Für Frankreich siehe oben Kapitel 2 § 1 F. II. 4. b. cc. , für Spanien oben Kapitel 2, § 2 G. II. 2. d. cc. (2) (a). 489 Für Frankreich siehe oben Kapitel 2 § 1 F. II. 4. b. bb., für Spanien § 2 G. II. 2. c. bb.; d. cc. (2) (b). 490 So z.B. in der Cesareo-Entscheidung, siehe oben Kapitel 2 § 1 F. II. 4. a. aa.. So auch teilweise die spanische Rechtsprechung, siehe oben Kapitel 2 § 2, G. II. 3. b. cc. (2) (a) 488

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

wird, so zeigt sich hierin eine gewisse Ähnlichkeit mit dem vom EuGH verwendeten Begriff der Anspruchsidentität, der auf einem weiten Verständnis des objet bzw. des Gegenstandes als mit der Klage verfolgter Zweck aufbaut. Parallelen scheinen insbesondere zu dem in Spanien zunehmend vertretenen Ansatz zu bestehen, wonach für die Bestimmung der Reichweite der Rechtskraftpräklusion auf die Homogenität des Beantragten im Sinne einer Übereinstimmung der Zielsetzung abzustellen ist, 491 bzw. zu der von Teilen der französischen Literatur infolge der Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten vertretenen Ansicht, nach der für die Identität des objet die Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Zielsetzung genügt. 492 Aus dem weiten Kernpunktansatz ergibt sich zudem eine Konzentration ergänzender oder gegenläufiger Anträge in einem Verfahren, die nicht nur in der spanischen Rechtsprechung zur Ausdehnung der Rechtskraft auf ergänzende, eng verknüpfte Anträge sowie der teilweise sehr starken Ausweitung der cosa juzgada implícita, 493 sondern auch in der Erstreckung der Konzentrationsobliegenheit auf den Beklagten im französischen Recht eine gewisse Entsprechung zu finden scheint. 494 In den Fällen, in denen die aktuelle französische und spanische Rechtsprechung eine Sperrung von Anträgen bejaht, durch die das Ergebnis der Erstentscheidung umgekehrt würde oder die mit der Erstentscheidung unvereinbar wären, wäre zudem auch ein Greifen der Rechtshängigkeitssperre nach dem Kernpunktansatz des EuGH begründbar.495 Mit dem Kernpunktansatz des EuGH verbindet

491

Hierzu oben Kapitel 2 § 2, G. II. 2. e. Siehe oben Kapitel 2 § 1 F. II. 4. b. bb. (2) (b) (aa). 493 Zu dieser Rechtsprechung oben Kapitel 2 § 2, G. II. 2. c., d. 494 Hierzu oben Kapitel 2 § 1 F. II. 4. b. bb. 495 So hat die französische und teilweise auch die spanische Rechtsprechung in der auch der Entscheidung Gubisch ./. Palumbo zugrunde liegenden Konstellation, in der auf eine Klage auf Erbringung einer vertraglichen Leistung eine Klage auf Aufhebung desselben Vertragsverhältnisses folgt, ein Greifen der negativen Wirkungsrichtung der Rechtskraft bejaht: So in den Entscheidungen der Cour de Cassation Cass. 3 e civ., 13. Februar 2008, n° 06-22.093, Bull. civ. III, n° 28; Cass. 2e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit. Ebenso in den Entscheidungen des spanischen Tribunal Supremo STS 393/2012, 26. Juni 2012 (n° ROJ: STS 4945/2012), FD 2° (auf Grundlage des in Art. 400 LEC enthaltenen Rechtsgedankens); STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 6° (auf Grundlage der cosa juzgada implícita)), der in dieser Konstellation allerdings auch teilweise nur die positive Wirkungsrichtung der cosa juzgada zur Anwendung bringt. In einer der Betrachtung anhand der Konzentrationsobliegenheit des Beklagten ähnelnden Argumentation hat der EuGH in der Entscheidung Gubisch ./. Palumbo zudem ergänzend darauf abgestellt, dass die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit oder auf Auflösung als bloßes moyen de défense gegen die vorangegangene Leistungsklage angesehen werden könnte, EuGH Gubisch Maschinenfabrik ./. Palumbo, Urt. v. 08.12.1987, Rs. C-144/86, Slg. 1987, 4861 Rn. 16 = NJW 1989, 665, 666 („Ist die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit oder Auflösung die zuletzt eingereichte Klage, so kann in ihr sogar ein bloßes Verteidigungsmittel (in der französischen Sprachfassung: moyen de défense) gegen die 492

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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die Lösungen des französischen und spanischen Rechts damit eine weite Grundanlage der beiden Elemente des Streitgegenstandes, mit der eine Konzentration des Verfahrensstoffs einhergeht und durch die insbesondere eine Sperrung im Sachzusammenhang stehender, sich widersprechender Anträge bewirkt werden kann. Trotz dieser Ähnlichkeiten und teilweise übereinstimmender Ergebnisse unterscheiden sich die Konzeptionen der Begrenzung der Rechtskraftreichweite im französischen und spanischen Recht aber von den Grundsätzen, die der EuGH zur Bestimmung der Anspruchsidentität entwickelt hat. Das objet bzw. das petitum setzt der Rechtskraft im französischen und spanischen Recht trotz offener Formulierung eine Grenze, die sich nicht in der Frage nach der Übereinstimmung im Kernpunkt erschöpft. Insbesondere bei aufeinanderfolgenden Klagen desselben Klägers wird im französischen und spanischen Recht unter Berufung auf ein Abweichen des objet oder des petitum bzw. der fehlenden Homogenität des Beantragten eine Sperrung des späteren Antrags auch in Fällen verneint, in denen derselbe Kernpunkt betroffen ist.496 Deutliche Unterschiede im Grundansatz zeigen sich trotz gewisser Übereinstimmungen im Ergebnis auch bei der Beurteilung von Fällen, in denen zwei anhängige Klagen bzw. ein rechtskräftig entschiedenes Verfahren und eine spätere Klage gegenläufige oder unvereinbare Rechtsfolgen betreffen. Denn anders als im Rahmen des Kernpunktansatzes des EuGH spielt sowohl im französischen als auch im spanischen Recht die zeitliche Abfolge der Klagen eine maßgebliche Rolle: Nur dann, wenn mit der späteren Klage eine Vorfrage der ersten Klage geltend gemacht wird, kann davon ausgegangen werden, dass das entsprechende Vorbringen bereits zur Stützung der ersten Klage bzw. als Einwendung gegen die Klage im ersten Verfahren hätte vorgetragen werden können. Diese Erwägung zeigt sich deutlich in der sowohl vom EuGH als auch in

erste Klage gesehen werden, das in Form einer selbstständigen Klage vor dem Gericht eines anderen Staates geltend gemacht wird.“). 496 Für Frankreich: Cass. 2e civ., 10. November 2010, n° 09-14.948, Bull. civ. II, n° 181 (kein Entgegenstehen der autorité de la chose jugée, wenn der Versicherungsnehmer zunächst auf Übernahme des Schadens durch das Versicherungsunternehmen auf Grundlage des Versicherungsvertrages klagt und anschließend den Schaden aufgrund eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung von Informationspflichten durch das Versicherungsunternehmen klagt); Cass. 3e civ., 11. Januar 2012, n° 10-23.141, Bull. civ. III, n° 4 (kein Entgegenstehen der autorité de la chose jugée wegen abweichendem objet bei der Klage auf Kaufpreisminderung wegen vorsätzlicher Täuschung nach einer vorausgegangenen, auf dieselbe Täuschung gestützten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages); für Spanien z.B. STS 812/2012, 9. Januar 2013 (n° ROJ: STS 277/2013), FD 4° (kein Greifen der cosa juzgada in ihrer negativen Wirkungsrichtung bei Aufeinanderfolgen einer Klage auf Feststellung des Bestehens des Mietverhältnisses und der Verpflichtung zur Mietzinszahlung und der nachfolgenden Klage auf Zahlung von Nutzungsersatz für die Zeit der rechtsgrundlosen Nutzung einer Immobilie).

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

der französischen und spanischen Rechtsprechung entschiedenen Fallkonstellation eines Aufeinandertreffens einer Klage auf Erbringung einer vertraglichen Leistung und einer Klage auf Nichtigkeitsfeststellung oder Aufhebung des der ersten Klage zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses. Während es nach dem Kernpunktansatz des EuGH unmaßgeblich ist, welche der beiden Klagen zuerst erhoben wird, kommt bei der Beurteilung der Rechtskraft im französischen und spanischen Recht ein Greifen der Konzentrationsobliegenheit und der negativen Wirkungsrichtung der autorité de la chose jugée bzw. der cosa juzgada nur dann in Betracht, wenn zuerst über die Leistungsklage rechtskräftig entschieden wurde. 497 Dass ein Beklagter bei umgekehrter zeitlicher Reihenfolge im Verfahren über die Nichtigkeitsfeststellungsklage der anderen Vertragspartei seine Forderung auf Erbringung einer vertraglichen Leistung widerklagend geltend machen müsse, wird dagegen gerade nicht angenommen.498 Eine Konzentrationslast hinsichtlich sämtlicher aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringender Anträge im ersten Verfahren wird sowohl in Frankreich als auch in Spanien ausdrücklich abgelehnt.499 V. Verhältnis zum Ansatz des englischen Rechts Die Anwendung eines flexiblen Maßstabes zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft, der an der Frage anknüpft, ob das jeweilige Vorbringen bereits im ersten Verfahren hätte geltend gemacht werden können, kennzeichnet sowohl die englische Rechtskraftlehre als auch die in jüngster Zeit in Frankreich und Spanien entwickelten Rechtskraftkonzepte. Mit dem Ziel, die mehrmalige

497 So in den Entscheidungen der Cour de Cassation Cass. 3 e civ., 13. Februar 2008, n° 0622.093, Bull. civ. III, n° 28; Cass. 2 e civ., 12. Juli 2012, n° 11-20.587, inédit, hierzu oben. Ebenso in den Entscheidungen des spanischen Tribunal Supremo STS 393/2012, 26. Juni 2012 (n° ROJ: STS 4945/2012), FD 2°; STS 1011/1993, 3. November 1993 (n° ROJ: STS 7367/1993), FD 6°. 498 Für Frankreich die Konzentrationsobliegenheit jeweils ablehnend z.B. Cass. 2 e civ., 20. Mai 2010, n° 09-67.662, Bull. civ. II, n° 97 (Klage auf Aufhebung der Leibrentenverpflichtung und nachfolgende Klage auf Herabsetzung dieser Verpflichtung); Cass. 3e civ., 11. Januar 2012, n° 10-23.141, Bull. civ. III, n° 4 (Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und nachfolgende Klage auf Minderung des Kaufpreises wegen arglistiger Täuschung); ähnlich auch Cass. 2e civ. 26. Mai 2011, n° 10-16.735, Bull. civ. II, n° 117 (Klage auf Herausgabe der Mieteinnahmen ab Verkauf (und Eigentumserwerb) nach einer zuvor erfolgreich erhobenen Widerklage auf Feststellung des wirksamen Verkaufs). Vgl. für Spanien die Ablehnung einer Widerklagelast des Beklagten durch das Verfassungsgericht in der Entscheidung STC 106/2013, 6. Mai 2013, BOE 2013, n° 133, 4. Juni 2013, Suplemento del Tribunal Constitucional – 5929, p. 12, 19 s. (FJ 5°), vgl. hierzu obenKapitel 2, § 2 G. II. 3. b. dd. (2). Allerdings wird (zumindest in Spanien) in diesen Fällen die positive Präjudizialbindung zur Anwendung kommen, vgl. Kapitel 2, § 2 G. II. 3. b. dd. (4) 499 Für Frankreich siehe oben Kapitel 2 § 2 F. II. 4. b. bb. (aa); cc. , für Spanien Kapitel 2, § 2 G. II. 2. cc. (1).

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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Inanspruchnahme der Gerichte und die erneute Belastung der Parteien mit einem gerichtlichen Verfahren zu verhindern,500 erlegen alle drei Rechtsordnungen den Parteien die Last der Bündelung ihres Vorbringens im ersten Verfahren auf. 501 Insoweit ähneln sich der englische Henderson v. Henderson-Grundsatz und die an einer Konzentrationsobliegenheit anknüpfende Präklusion des französischen und spanischen Rechts. 502 Ein Unterschied zeigt sich aber, wenn man betrachtet, was jeweils als maßgeblicher Bezugspunkt des zu konzentrierenden Vorbringens verstanden wird: Während im englischen Recht beim durch die Henderson-Regel erweiterten res judicata estoppel die als (tatbestandlich vorgezeichnete) Tatsachengesamtheit verstandene cause of action den Bezugspunkt bildet und gleichzeitig ein abuse of process estoppel auch über die cause of action hinaus greifen kann, bezieht sich die Konzentrationsobliegenheit der Cesareo-Rechtsprechung und des Art. 400 LEC auf das übereinstimmende objet bzw. petitum und damit auf das Klageziel. Auch wenn das objet in Frankreich und das petitum oder Beantragte in Spanien recht weit gefasst werden und nicht dem formalen Klageantrag entsprechen, ist die Reichweite der mit der Konzentrationsobliegenheit verbundenen Präklusion im französischen und spanischen Recht damit durch das von der Partei vorgegebene Klageziel beschränkt. Hierdurch unterscheidet sich die französische und spanische Konzeption von der allein an der Einheit der cause of action bzw. an der Missbräuchlichkeit im Einzelfall ausgerichteten

500 Vgl. die Beschreibung der Zielsetzung der Henderson v. Henderson-Regel in Johnson v. Gore Wood & Co [2002] 2 A.C. 1, 31, per Lord Bingham (“The underlying public interest is the same: that there should be finality in litigation and that a party should not be twice vexed in the same matter. This public interest is reinforced by the current emphasis on efficiency and economy in the conduct of litigation, in the interests of the parties and the public as a whole.”) sowie die Passage zur Einführung des Art. 400 LEC in der Gesetzesbegründung zur LEC 1/2000 (Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil – Exposición de Motivos, BOE 2000, n° 7 (8. Januar 2000), p. 575, 579 (VIII): «Se parte aquí de dos criterios inspiradores: por un lado, la necesidad de seguridad jurídica y, por otro, la escasa justificación de someter a los mismos justiciables a diferentes procesos y de provocar la correspondiente actividad de los órganos jurisdiccionales, cuando la cuestión o asunto litigioso razonablemente puede zanjarse en uno solo.»). Bei der Einführung der Konzentrationsobliegenheit war primär der Gesichtspunkt der Vermeidung einer erneuten Inanspruchnahme der Gerichte durch aufgespaltene Verfahren leitend, Charruault, Rapport, I B 2), II A (vgl. hierzu oben Kapitel 2 § 1, F. II. 4. a. bb.). 501 Die Rechtskraft „fungiert“ daher heute in allen drei Rechtsordnungen als „ein auf die Streitkonzentration gerichtetes Mittel“ (dies als Kennzeichen des englischen Rechts und als Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem deutschen und damaligen französischen Recht beschreibend: Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S. 603, 615). 502 Daher eine Übereinstimmung des englischen Ansatzes mit der französischen und der spanischen Lösung im Grundansatz feststellend Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 154 f.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Präklusion des englischen Rechts. 503 Anders als im englischen Recht, das im Rahmen der Henderson v. Henderson-Regel bzw. des abuse of process estoppel die Missbräuchlichkeit der erneuten Klage anhand des Parteiverhaltens, der berührten Interessen und sonstigen Umstände des Einzelfalls beurteilt, fließen im französischen und spanischen Recht zudem Billigkeitserwägungen bei der Beurteilung des Greifens der Präklusion nicht mit ein (bzw. nur insoweit, als in Spanien die Kenntnis von der Tatsache Voraussetzung der Präklusion ist). 504 Damit werden zwar Berührungspunkte der spanischen und französischen Konzeption mit dem Ansatz des englischen Rechts erkennbar, ohne dass aber von einer Übereinstimmung gesprochen werden kann. VI. Unterschiede zwischen der spanischen und der französischen Lösung Die in Spanien und Frankreich verfolgten Grundansätze unterscheiden sich damit von den übrigen untersuchten Lösungen, indem sie zwar einerseits die objektiven Grenzen der Rechtskraft anhand eines abstrakten Streitgegenstandsbegriffs definieren, die Elemente dieses Streitgegenstandskonzepts aber gleichzeitig recht offen formulieren und zur Konkretisierung entscheidend auf die von Billigkeitserwägungen gelöste Obliegenheit zur Konzentration des Vorbringens im ersten Verfahren abstellen. Auch im Vergleich zwischen der spanischen und französischen Konzeption zeigen sich allerdings Unterschiede bei der Bestimmung der Reichweite des objet bzw. des petitum im Einzelfall. Dass eine der beiden Rechtskraftkonzeptionen allgemein weiter oder enger gefasst ist, lässt sich bislang noch nicht eindeutig feststellen. Vieles ist hier noch im Fluss. Selbst das in der spanischen Rechtsprechung zunehmend herangezogene Kriterium der Homogenität des Beantragten, das als im Lichte der geltend gemachten causae petendi ausgelegte Zielsetzung verstanden wird und damit weiter gefasst zu sein scheint als 503

Ähnlich auch Ferrand: Durch die „Rückführung“ des Konzentrationsprinzips allein auf eine Obliegenheit zur Konzentration der moyens unter Ausschluss einer Obliegenheit zur Bündelung von Klagen, welche die zweite Zivilkammer der Cour de Cassation (unter Berufung auf das Erfordernis der Identität des objet) vollzogen habe, werde die Reichweite der Präklusion in Frankreich enger gefasst als in England und hierdurch der Dispositionsgrundsatz umfassender gewahrt, Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 154 f. Zur fehlenden Präzision der Diskussion um das angebliche Prinzip der Klagenkonzentration oben Kapitel 2, § 2 F. II. 4. B. bb. (2) (aa). 504 Ebenso di Noto, Liber Amicorum Seul, 2014, S. 84, 104, der in dem subjektiven Maßstab des englischen Rechts den maßgeblichen Unterschied zu den übrigen Rechtsordnungen sieht («dimension subjective marquée que l’on ne retrouve pas dans les autres droits étudiés ...»). Vgl. aber Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 154 s., die für die Annahme eines Gleichlaufs der Lösungen ausreichen lässt, dass zumindest auch der französischen Konzentrationsobliegenheit der Grundsatz prozessualer Lauterkeit zugrunde liegt (S. 155). Hierdurch wird aber übersehen, dass diese Zielsetzung im französischen Recht nicht zur Einbeziehung subjektiven Verschuldens oder sonstiger Billigkeitserwägungen führt.

§ 6 Die objektiven Grenzen der Rechtskraft

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das objet der französischen Rechtskraftlehre, kann im Einzelfall auch zu einer stärkeren Eingrenzung der Rechtskraftreichweite führen als die Konzentrationsobliegenheit des französischen Rechts. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Beurteilung von Teilklagen, die anhand verschiedener Schadensposten individualisiert sind: Die französische Rechtsprechung hat hier mittlerweile ein Greifen der Sperrwirkung der Rechtskraft bejaht, 505 wohingegen die spanische Rechtsprechung die spätere Klage auf den Rest zumindest bei qualitativ abweichenden Schadenskategorien für zulässig hält. 506 Deutlichere Unterschiede zwischen der französischen und der spanischen Rechtskraftkonzeption bestehen im Hinblick auf die Erstreckung der Rechtskraft auf das kontradiktorische Gegenteil. Das spanische Recht erkennt diese seit Langem in Form der cosa juzgada implícita als selbstständiges Element der Rechtskraftlehre an.507 Auch nach der LEC-Reform wird die cosa juzgada implícita herangezogen, um gegenläufige und umkehrende Klagen auszuschließen, und nur teilweise ergänzend auf Art. 400 LEC zurückgegriffen. Dagegen kennt die französische Rechtskraftlehre keinen eigenständigen Grundsatz der Erstreckung der Rechtskraft auf das Gegenteil. Wie bereits oben ausgeführt, hat die französische Rechtsprechung aber die Konzentrationsobliegenheit des Beklagten zur Anwendung gebracht, wenn dieser das auf Grundlage einer rechtskräftigen Entscheidung Zugesprochene in einer späteren Klage zurückfordert oder verneint und sich dabei auf Einwendungen beruft, die er bereits im ersten Verfahren hätte geltend machen können.508 Im Wege der Anwendung der Konzentrationsobliegenheit kommt das französische Recht damit ebenfalls zu einer Bejahung der Rechtskraftsperre, allerdings ist diese Rechtsprechungslinie auf Grundlage des bisherigen objet-Begriffs nicht leicht erklärlich und daher in der Literatur hoch umstritten. 509 Hier fehlt es an einer Präzisierung der Rechtskraftlehre. Wie das italienische Recht zeigt, kann die Erstreckung auf das Gegenteil durchaus auf die Präklusion des nicht geltend gemachten Vorbringens gestützt werden, jedoch ist sie in Italien als Fallgruppe der Regel der Erfassung des „Vorbringbaren“ ausdrücklich anerkannt. Zumindest dies wäre auch für die französische Rechtskraftdogmatik zu erhoffen, um so Rechtsklarheit herzustellen. VII. Zusammenfassung Trotz gewisser Abweichungen haben das französische und das spanische Recht in den letzten Jahren sehr ähnliche Ansätze zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft entwickelt. Von der traditionellen romanischen und 505

Siehe oben Kapitel 2, § 2, F. II. 4. b. cc. Siehe oben Kapitel 2, § 2 G. II. 2. d. cc. (2). 507 Hierzu oben Kapitel 2, § 2 G. II. 2. 508 Siehe oben Kapitel 1,§ 1 F. II. 4. b. bb. 509 Hierzu oben Kapitel 1,§ 1 F. II. 4. b. bb. (2). 506

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

heutigen italienischen Position einer (überwiegend) engen Begrenzung der Rechtskraft durch rechtliche Tatbestände bzw. einzelne Rechtsgrundlagen haben sich beide Rechtsordnungen entfernt. Während die früheren, eng am rechtlichen Tatbestand orientierten Konzeptionen des spanischen und insbesondere des französischen Rechts im Rechtsvergleich durchaus der sehr weiten englischen Lösung als Gegenpol gegenübergestellt werden konnten,510 stellen sich die heutigen Lösungen des französischen und spanischen Rechts als Mittelweg zwischen der deutschen und der englischen Lösung dar: Sie verfolgen einerseits sehr flexible Ansätze zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft, die sich – ähnlich dem Henderson v. Henderson-Prinzip des englischen Rechts – stark an der Frage orientieren, ob mit der späteren Klage Tatsachen und Rechtsgründe vorgetragen werden, die bereits in einem früheren Verfahren hätten geltend gemacht werden können bzw. müssen. Andererseits halten beide Rechtsordnungen an einer Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft anhand eines abstrakten, wenn auch nicht exakt eingegrenzten Streitgegenstandsbegriffs fest, der durch das von der Partei bestimmte Klageziel geprägt ist. Obwohl der rechtliche Klagegrund als enge Rechtskraftgrenze infolge der Einführung der Konzentrationsobliegenheit entfallen ist, wird in Frankreich und Spanien auf eine stärkere Einengung und exaktere Definition des objet bzw. petitum verzichtet. Die Flexibilität der offen formulierten Anknüpfung an eine Konzentrationsobliegenheit, deren Reichweite anhand der weit gefassten, nicht klar umrissenen Rechtsfolge bzw. Zielsetzung im Einzelfall eingeschränkt oder ausgeweitet werden kann, scheint der dogmatischen Durchformung vorgezogen zu werden. Dies hat durchaus Vorteile, wie sich beispielsweise in Fällen von Abrechnungsverhältnissen zeigt, in denen nach der im ersten Verfahren vorgenommenen abschließenden Saldierung eine Forderung geltend gemacht wird, die in diese Abrechnung miteinbezogen hätte werden können: Die spanischen Audiencias Provinciales haben auf Grundlage des weiten Präklusionsbegriffs, der lediglich die Homogenität der Zielsetzung der Klage voraussetzt, deutlich weniger Probleme, 511 hier ein Entgegenstehen der Rechtskraft zu begründen, als die auf den präzise definierten Klageantrag abstellende deutsche Rechtskraftlehre. In der Rechtsprechungspraxis zeigen sich aber auch die Nachteile eines offen formulierten Ansatzes: So hat er in der aktuellen Rechtsprechung der spanischen Obergerichte vielfach zur uneinheitlichen Be-

510 So für die alte Rechtslage Zeuner, Festschrift für Zweigert, S. 603, 618. Auf einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der Frage der Erstreckung der Rechtskraft auf präjudizielle Vorfragen beruhend dagegen das Urteil Stürners zur früheren Rechtslage, wonach sich die „romanisch orientierten Prozeßordnungen [...] in einem Mittelweg [versuchten]“, Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 934. 511 Siehe oben Kapitel 2 § 2, G. II. 2. cc. (2) (c).

§ 7 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft

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wertung übereinstimmender Fallkonstellationen (z.B. bei nicht individualisierten Teilklagen) geführt und auch in Frankreich zeigt sich angesichts abweichender Vorstellungen von der Reichweite der Konzentrationsobliegenheit des Beklagten, dass sich der Verzicht auf eine klare Definition zulasten der Rechtssicherheit auswirkt.

§ 7 Der Einfluss einer späteren Veränderung der entscheidungserheblichen Umstände: Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft § 7 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft

A. Die Rechtskraftlehre in Deutschland, England und Italien I. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft im deutschen Recht Die Rechtskraft ist zeitlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung beschränkt.512 Tatsachen, die nach diesem Zeitpunkt eintreten, sind daher auch dann nicht von der Tatsachenpräklusion erfasst, wenn sie, hätten sie bereits vorgelegen, zum Streitgegenstand des ersten Verfahrens zu rechnen gewesen wären.513 Nicht jede nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung eingetretene Tatsache genügt aber, um die Rechtskraft der ergangenen Entscheidung entfallen zu lassen. Erforderlich ist vielmehr, dass die Tatsache entscheidungserheblich, also geeignet ist, die rechtskräftig festgestellte Rechtslage zu verändern.514 Ob die Ausübung eines Gestaltungsrechts als neue Tatsache zu werten ist, wenn die Voraussetzungen des 512

§ 767 Abs. 2 ZPO. Vgl. auch BGH NJW 1984, 126, 127; BGH NJW-RR 2011, 1528. 1529; BGH NJW 2014, 1306, 1307; Hk-ZPO/Saenger, § 322 Rn. 27; MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 136; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 28; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 1 (S. 884); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 233. 513 MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 149; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 233. Uneinheitlich beurteilt wird, ob mit dem Eintritt einer neuen entscheidungsrelevanten Tatsache automatisch von einem neuen Streitgegenstand auszugehen ist (so MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 149; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 32), oder ob auch die nachträglich eingetretene Tatsache zum selben Streitgegenstand gerechnet werden kann (so Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 234; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 55). Im letzten Fall kommt den zeitlichen Grenzen gegenüber den objektiven Grenzen eigenständige Bedeutung zu, so Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 234. 514 MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 151; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 29; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 61. Bei der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist auf das materielle Recht abzustellen (Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 29; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 238) und ein Abgleich mit der Begründung der rechtskräftigen Entscheidung vorzunehmen, da einer neuen Tatsache die Relevanz fehlt, wenn die Entscheidung auf der Verneinung einer Tatbestandsvoraussetzung beruht, die der von der neuen Tatsache betroffenen Voraussetzung vorgelagert ist (so z.B. bei der Behauptung der mittlerweile

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Rechts bereits vor der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten waren, hängt davon ab, ob man mit dem BGH schon das Vorliegen der Voraussetzungen des Gestaltungsrechts für das Greifen der Tatsachenpräklusion genügen lässt oder mit der wohl überwiegenden Literatur auf die Ausübung des Rechts abstellt.515 Neue Beweismittel genügen für sich genommen nicht, um die Zulässigkeit einer neuen Klage zu rechtfertigen. 516 Auch eine Änderung der relevanten Rechtsprechung ist grundsätzlich 517 nicht als neue Tatsache zu werten.518 Für den Fall einer späteren Gesetzesänderung, die nach dem Willen des Gesetzgebers auch vergangene, bereits rechtkräftig entschiedene Sachverhalte betreffen soll, ist dies dagegen umstritten. Die wohl herrschende Ansicht verneint aber auch hier die Eignung, die Zulässigkeit einer erneuten Klage zu begründen.519 Nachträgliche Änderungen der Gesetzeslage bzw. der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung können nach der Rechtsprechung des BGH jedoch eingetretenen Fälligkeit, wenn der Anspruch dem Grunde nach verneint wurde), vgl. MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 151, 153; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 29. Mit der Abweisung einer Zahlungsklage als derzeit nicht fällig (derzeit unbegründet), ist rechtskräftig festgestellt, dass dem Kläger zum Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung kein fälliger Anspruch zustand (BGH NJW-RR 2011, 1528, 1529; BGH NJW 2014, 1306, 1307). Das Gericht im Zweitverfahren kann daher nicht annehmen, dass der Anspruch unbeschränkt hätte abgewiesen werden müssen (MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 153; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 58). Die Fälligkeit kann nur aufgrund von Tatsachen bejaht werden, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung des Erstverfahrens eingetreten sind (BGH NJW-RR 2011, 1528, 1529; BGH NJW 2014, 1306, 1307). 515 Hierzu oben Kapitel 3, § 6 A I. 516 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 217. Allerdings ermöglicht das Auffinden eines neuen Beweismittels in Form einer Urkunde nach § 580 Nr. 7 b) ZPO die Wiederaufnahme des an sich rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens im Wege der Restitutionsklage zu bewirken. Gleiches ermöglicht § 580 Nr. 1–3 ZPO für den Fall, dass das Verfahren auf in strafrechtlich relevanter Weise beeinflussten Beweismitteln beruht (Verletzungen der Eidespflicht, Urkundenfälschungen, Falschaussagen). 517 Spezialgesetzliche Ausnahmeregelungen finden sich jedoch in § 10 Unterlassungsklagengesetz (nachträglich ergangene Entscheidung des BGH bzw. des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, welche die Verwendung der streitgegenständlichen Bestimmung für dieselbe Art von Rechtsgeschäften nicht untersagt) sowie § 79 Abs. 2 Satz 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (Entscheidung des BVerfG, durch welche ein Gesetz wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz für nichtig erklärt wird). Das eine Verletzung der EMRK feststellende Urteil des EGMR berührt dagegen die Rechtskraft eines Urteils nicht in dieser Weise. Vielmehr eröffnet § 580 Nr. 8 ZPO in diesem Fall die Möglichkeit, die Wiederaufnahme im Wege der Restitutionsklage zu verlangen. 518 BAG NZA 1996, 1058, 1060; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 45, S. 255 f.; MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 153; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 255; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 53. 519 BGH Der Betrieb 1953, 293; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 322 Rn. 53; grundsätzlich auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 256 (aber für eine Ausnahme für wiederkehrende, künftig fällig werdende Ansprüche, insbesondere Unterhalt, Rn. 257). A.A. MüKO/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 155.

§ 7 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft

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dann Berücksichtigung finden und im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden, wenn das rechtskräftige Urteil auch Wirkungen für die Zukunft entfaltet, insbesondere also im Fall von in die Zukunft wirkenden Unterlassungsurteilen.520 Die Berücksichtigung einer nachträglichen Veränderung der entscheidungserheblichen Umstände hat für den Fall der Verurteilung des Beklagten zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen in § 323 ZPO (bzw. für Unterhaltsentscheidungen in § 238 FamFG) eine gesonderte Ausgestaltung erfahren. Die Abänderungsklage nach § 323 ZPO trägt der besonderen Situation einer Verurteilung521 zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen Rechnung: Das Gericht entscheidet darin als Einheit über Ansprüche, die sich zwar zeitlich fortlaufend als einheitliche Rechtsfolgen aus demselben Rechtsverhältnis ergeben, aber in ihrem Bestand von der im jeweiligen Moment bestehenden tatsächlichen Situation abhängen. 522 Die Verurteilung beruht dabei auf einer vom Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung getroffenen prognostischen Bewertung,523 die den Eventualitäten späterer tatsächlicher Veränderungen nicht Rechnung tragen kann und letztlich unter dem Vorbehalt des unveränderten Fortbestehens der im Zeitpunkt der Entscheidung gegebenen Verhältnisse steht. 524 Die Abänderungsklage ermöglicht es, die Veränderung von wesentlichen entscheidungserheblichen Umständen geltend zu machen und eine entsprechende Anpassung der Entscheidung unter Wahrung ihrer Grundlagen525 zu erzielen. Nach der herrschenden Meinung ist hierin eine Durchbrechung der Rechtskraft zu sehen, weil die Rechtskraft der Verurteilung zu künftigen Leistungen auch die Prognose hinsichtlich der künftigen Tatsachenlage erfasse.526 Dies ist jedoch umstritten: Nach anderer Ansicht findet in der Abänderungsklage lediglich die zeitliche Begrenzung der Rechtskraft auf den

520 BGH NJW 1997, 1702 ff. (Rn. 24 ff.) (nachträgliche Gesetzesänderung bei wettbewerbsrechtlichem Unterlassungsurteil); BGH NJW 2009, 3303, 3304 (nachträgliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungstiteln). Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdn. 45.13. 521 Nach herrschender Ansicht ist bei abweisender Entscheidung dagegen keine Abänderungsklage möglich, jeweils m.w.N.: Hk-ZPO/Saenger, § 323. Rn. 8; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn.16 ff. 522 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 158 Rn. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 1. Vgl. auch BGH NJW 1982, 578, 579 („Unterhaltsansprüche, die an sich [...] in jedem Zeitpunkt, in dem ihre Voraussetzungen vorliegen, neu entstehen“). 523 BGH NJW 1982, 578, 579; H.Roth, NJW 1988, S. 1233. 524 BGH NJW 1961, 871, 872; BGH NJW-RR 2001, 937 („prozessualer Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus“); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 2. 525 § 323 Abs. 4 ZPO. 526 BGH NJW 1982, 578, 579; BGH NJW-RR 2001, 937, 938; BGH NJW 2010, 2437, 2438; Hk-ZPO/Saenger, § 323. Rn. 4; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 2, 28. Für Streitgegenstandsidentität auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 60.

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3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung Bestätigung; 527 der Kläger verlange lediglich eine Abänderung ab dem Zeitpunkt der Rechtskraftpräklusion.528 Bei einer späteren Veränderung der entscheidungserheblichen Umstände sei von einem neuen Sachverhalt und einem neuen Streitgegenstand auszugehen. 529 Unstreitig ist angesichts der Regelung des § 323 ZPO aber das Ergebnis: Nur bei einer wesentlichen nachträglichen Änderung der Umstände kann mit Hilfe der Abänderungsklage vom verurteilten Schuldner eine Herabsetzung bzw. vollständige Aufhebung der rechtskräftig festgestellten Leistungspflicht bzw. vom Anspruchsberechtigten eine entsprechende Erhöhung eingeklagt werden.530 Im Grundsatz gilt damit im deutschen Recht eine klare Beschränkung der Rechtskraft auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung. Der besonderen Situation der Verurteilung zu künftig fälligen wiederkehrenden Leistungen mit einer nach herrschender Meinung in die Zukunft wirkenden Rechtskraft wird durch die Abänderungsklage nach § 323 ZPO Rechnung getragen. II. Die Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen beim „res judicata estoppel“ und „abuse of process estoppel“ Bei der Beurteilung des Einflusses nachträglicher Veränderungen relevanter Umstände auf die Rechtskraftwirkung ist im englischen Recht zwischen den verschiedenen Formen des estoppel zu unterscheiden. Im Hinblick auf den issue estoppel ist anerkannt, dass dessen Präklusionswirkung unter besonderen Umständen entfallen kann.531 Dies wird primär in zwei Fallkonstellationen für möglich gehalten: Zum einen kommt eine erneute Beurteilung des issue beim Auffinden neuer Beweistatsachen in Betracht, wenn diese erst nach dem ersten Verfahren zu Tage gefördert wurden und auch bei Anwendung der vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt bis zum Ende

527

Gottwald, Festschrift Schwab, 1990, S. 151, 164. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 4. 529 Gottwald, Festschrift Schwab, 1990, S. 151, 162; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 4. 530 Musielak/Voit/Borth, ZPO, § 323 Rn. 4; H. Roth, NJW 1988, S. 1233, 1234. Eine Nachforderungsklage ist dem Gläubiger dagegen nur dann möglich, wenn er seine Klage im vorausgegangenen Verfahren ausdrücklich auf einen Teil beschränkt hatte, BGH NJW-RR 1987, 642; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 155 Rn. 14 f. (S. 909); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 19; a.A. H. Roth, NJW 1988, S. 1233, 1236 f. 531 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 109, per Lord Keith („special circumstance“); Andrews, On Civil Processes, para. 16.39; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89. 528

§ 7 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft

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des ersten Verfahrens nicht hätten aufgefunden werden können.532 Als besonderer Umstand wird zum anderen eine nach dem ersten Verfahren eingetretene grundlegende Rechtsänderung gewertet, die im durch case law geprägten englischen Recht insbesondere durch die Änderung der maßgeblichen Rechtsprechung bewirkt werden kann.533 Voraussetzung ist, dass sich durch die Rechtsänderung die zuvor vorgenommene rechtliche Bewertung als falsch erweist. 534 Auch die Präklusion nach der Henderson v. Henderson-Regel wird seit der Leitentscheidung unter den Vorbehalt der besonderen Umstände (special circumstances) gestellt. 535 Wann besondere Umstände vorliegen, ist wertend zu bestimmen, wobei auch hier insbesondere das Auffinden neuer, relevanter Beweismittel, die selbst bei Anwendung der zu erwartenden Sorgfalt im Zeitpunkt des ersten Verfahrens nicht hätten aufgefunden werden können, in Betracht kommt. 536 Im Rahmen des in Johnson v. Gore Wood beschriebenen, flexiblen Maßstabs, der eine Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls verlangt,

532 Mills v. Cooper [1967] 2 Q.B. 459, 468 f., per Diplock L.J. („unless further material which is relevant to the correctness or incorrectness of the assertion and could not by reasonable diligence have been adduced by that party in the previous proceedings has since become available to him.“); Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 109, per Lord Keith („further material relevant to the correct determination of a point involved in the earlier proceedings […] being material which could not by reasonable diligence have been adduced in those proceedings.“); Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89. 533 So wurde im Fall Arnold v. National Westminster Bank Plc. [1991] 2 A.C. 93 die abweichende richterliche Auslegung einer Klausel zur Mietzinsanpassung als relevante Änderung der Umstände angesehen, welche die Bindung an die in der rechtskräftigen Entscheidung vorgenommene Auslegung entfallen ließ, Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 110 f.; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89. Vgl. auch S v. S (Ancillary Relief: Consent Order) [2002] 3 W.L.R. 1372 [at 38] (Änderung der Rechtsprechung des House of Lords zur Gütertrennung; allerdings für einen consent order). 534 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 110 et seq.; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.89. 535 Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100, 115, per Wigram V.-C. („[The Court] will not (except under special circumstances) permit the same parties to open the same subject of litigation in respect of matter which might have been brought forward as part of the subject in contest, but which was not brought forward“); Barrow v. Bankside Members Agency Ltd and Others [1996] 1 W.L.R. 257, 260, per Bingham M.R. („In the absence of special circumstances, the parties cannot return to the court to advance arguments, claims or defences which they could have put forward for decision on the first occasion but failed to raise.“). 536 Lemas v. Williams [2013] EWCA Civ. 1433 [at 38] („There is, of course, no exhaustive definition of what constitute special circumstances but they must by definition be circumstances which make it unjust to insist on the estoppel applying. This may occur where a party obtains relevant new material which was not previously available ….“). Für den abuse of process estoppel auch: Hunter Appellant v. Chief Constable of the West Midlands Police [1982] A.C. 529, 545; Smith v. Linskills [1996] 1 W.L.R. 763, 771 (das Vorliegen ausreichender neuer Beweismittel ablehnend).

636

3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

könnte wohl auch die nachträgliche Entstehung von entscheidungserheblichen Tatsachen eine Rolle spielen. Während damit nachträgliche Veränderungen beim issue estoppel und der Henderson v. Henderson-Regel Berücksichtigung finden können, begründet der cause of action estoppel ein absolutes Hindernis für eine neue Klage zur selben cause of action,537 dessen Sperrwirkung auch bei einer nachträglichen Veränderung maßgeblicher Umstände nicht entfällt. 538 Dies gilt auch im Fall des Auffindens neuer Beweismittel und einer nachträglichen Änderung des maßgeblichen Rechts. 539 Die Abweichung gegenüber dem issue estoppel wird damit gerechtfertigt, dass die öffentlichen Interessen, die dem res judicataPrinzip zugrunde liegen, beim cause of action estoppel, der eine erneute gerichtliche Behandlung des gesamten Streitgegenstandes verhindert, noch deutlich stärker betroffen seien als beim auf einzelne Streitpunkte bezogenen issue estoppel. 540 Eine Ausnahme von der absoluten Geltung des cause of action estoppel greift nur dann, wenn die Entscheidung durch betrügerisches oder kollusives Verhalten herbeigeführt wurde. 541 Damit erweist sich der cause of action estoppel als besonders streng. Jedoch ist der soeben beschriebene Grundsatz vor dem Hintergrund der Entscheidung des Supreme Court im Fall Virgin Atlantic Airways Ltd. v. Zodiac Seats UK Ltd. von 2013 dahingehend zu präzisieren, dass er nur den „reinen“, nicht durch die Henderson v. Henderson-Regel ergänzten cause of action estoppel betrifft und damit nur im Hinblick auf das tatsächlich Entschiedene zur Anwendung kommt. 542 Der Entscheidung des Supreme Court lag eine Patentrechtsstreitigkeit zugrunde: Virgin Airways hatte vor englischen Gerichten ein Urteil erstritten, in dem die Wirksamkeit ihres 537 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 104, per Lord Keith („the bar is absolute in relation to all points decided unless fraud or collusion is alleged“); Andrews, On Civil Procedure, para. 16.12; Spencer Bower/Handley, Res Judicata, para. 7.04; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.84. 538 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 104, per Lord Keith („The discovery of new factual matter which could not have been found out by reasonable diligence for use in the earlier proceedings does not, according to the law of England, permit the latter to be re-opened.“). 539 Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.84. 540 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 108, per Lord Keith („[T]here is room for the view that the underlying principles upon which estoppel is based, public policy and justice, have greater force in cause of action estoppel, the subject matter of the two proceedings being identical, than they do in issue estoppel, where the subject matter is different.“). 541 Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93, 104, per Lord Keith; Andrews, On Civil Procedure, para. 16.12; Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.84.. 542 Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 313. Vgl. auch die Zusammenfassung der Grundaussage der Entscheidung bei Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.86: „Rather, the correct interpretation [of Lord Keith’s speech in Arnold] is that the role is absolute only in respect of points actually decided on an earlier occasion.“

§ 7 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft

637

Patents festgestellt und Zodiac Seats wegen Patentrechtsverletzung dem Grunde nach zum Schadensersatz verurteilt worden war. Der Schadensbetrag sollte im Rahmen eines gesonderten Betragsverfahrens festgesetzt werden. Nachdem die Grundentscheidung vom Court of Appeal bestätigt worden war, wurde das Patent allerdings durch das Europäische Patentamt so abgeändert, dass eine Patentverletzung durch Zodiac Seats nun nicht mehr zu bejahen gewesen wäre. Im Verfahren zur Festsetzung des von Zodiac Seats geschuldeten Betrags stellte sich daher die Frage, ob sich Zodiac Seats auf die nachträgliche Abänderungsentscheidung des Patentamtes berufen konnte. Der Supreme Court bejahte dies und legte seiner Entscheidung folgende Differenzierung zugrunde: 543 Eine Frage, die der Entscheidung über die im ersten Verfahren geltend gemachte cause of action notwendig vorgelagert war, sei als abschließend entschieden zu betrachten und könne aufgrund des cause of action estoppel auch nicht durch eine diesen Punkt betreffende nachträgliche Veränderung der Umstände in Frage gestellt werden. 544 Deswegen stand die Wirksamkeit des Patents in der Entscheidung endgültig fest. 545 Punkte, über die das Gericht im Erstverfahren nicht notwendigerweise zu entscheiden hatte, um die cause of action zu beurteilen, die aber bei einem Vorliegen im Zeitpunkt des Erstverfahrens geeignet gewesen wären, die Bejahung der cause of action auszuschließen, sind dagegen nach der Virgin-Entscheidung nicht von dem strengen Hindernis des cause of action estoppel betroffen. 546 Tritt eine Veränderung ein, welche die Beurteilung der cause of action beeinflusst, aber nicht deren im Erstverfahren notwendig zu entscheidende Voraussetzungen betrifft, so ist das 543

Lord Sumption legte zu diesem Zweck die Entscheidung Arnold v. National Westminster Bank Plc., [1991] 2 A.C. 93 aus, Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 311 ff [at 20 et seq.]. 544 Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 313, per Lord Sumption: „Cause of action estoppel is absolute in relation to all points which had to be and were decided in order to establish the existence or non-existence of a cause of action.“ 545 Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 315, per Lord Sumption („The Court of Appeal decided, before the result of the opposition proceedings in the EPO, that in its unamended form the patent was valid and infringed. It follows that Zodiac are estopped from asserting on the inquiry as to damages that in its unamended form the patent was invalid or was not infringed. This estoppel is a true cause of action estoppel.“). 546 Dies ergibt sich in der Entscheidung deutlich aus der Anwendung der formulierten Grundsätze auf den Fall: Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 315, per Lord Sumption („There are two related reasons why Zodiac cannot be precluded from relying on the decision of the TBA on the inquiry as to damages. […] The other is that Zodiac are not seeking to reopen the question of validity determined by the Court of Appeal. The invalidity of the patent may be the reason why the TBA amended the patent, but the defendant is relying on the mere fact of amendment, not on the reasons why it happened.“). Vgl. auch Hemsworth, Civil Justice Quarterly 2015, p. 52, 59: „[The approach of the Supreme Court] serves as a reminder […] of the narrow nature of cause of action estoppel, affecting as it does all points on which a final court decision is necessary but only extending thus far.“

638

3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Vorbringen der entsprechenden Veränderung nach der Virgin-Entscheidung nicht automatisch als präkludiert anzusehen. Vielmehr ist in diesem Bereich des nach dem Henderson v. Henderson-Grundsatz erweiterten estoppel darauf abzustellen, ob der jeweilige Punkt bei Anwendung der vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt (reasonable diligence) hätte geltend gemacht werden können.547 Da das europäische Patentamt die nachträgliche Abänderung des Patents nach der letzten Rechtsmittelentscheidung im Ausgangsverfahren vorgenommen hatte, war ein Vortrag von Zodiac Seats hierzu im ersten Verfahren nicht möglich gewesen.548 Zodiac Seats konnte sich daher nach Ansicht des Supreme Court im Betragsverfahren auf die spätere Abänderung des Patents berufen und eine entsprechende Herabsetzung des Schadens verlangen. Da nachträglich geänderte Umstände nie im Erstverfahren geltend gemacht werden können, scheint auf Grundlage der Virgin Airways-Entscheidung aber letztlich jede nachträgliche Veränderung, die nicht die notwendig zu entscheidenden Streitpunkte betrifft, aber eine abweichende Beurteilung der Rechtslage zur Folge hat, zum Entfallen des estoppel-Einwandes zu führen.549 Da der Supreme Court hinsichtlich der nicht geltend gemachten Punkte aber die Henderson v. Henderson-Regel heranzieht, könnte einschränkend die oben beschriebene Regel zur Anwendung kommen, wonach die Präklusionswirkung nur unter „besonderen Umständen“ entfällt. 550 In jedem Fall hat die Entscheidung in Virgin Airways Ltd. v. Zodiac Seats UK Ltd. die Möglichkeit einer Berufung auf veränderte Umstände im Hinblick auf dieselbe cause of action ausgeweitet. Dennoch verfolgt das englische Recht bei der Berücksichtigung von nachträglichen Veränderungen entscheidungsrelevanter Umstände immer noch einen sehr restriktiven Grundansatz: Im Rahmen des „reinen“ cause of action

547

Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 313, per Lord Sumption: „Cause of action estoppel also bars the raising in subsequent proceedings of points essential to the existence or non-existence of a cause of action which were not decided because they were not raised in the earlier proceedings, if they could with reasonable diligence and should in all the circumstances have been raised.“ 548 Virgin Atlantic Airways Ltd v. Zodiac Seats UK Ltd [2013] 3 W.L.R. 299, 316, per Lord Sumption („Zodiac's reliance on the retrospective amendment is a new point which was not raised before. It could not have been raised before, because the decision of the TBA retrospectively amending the patent was made after the order giving effect to the judgment of the Court of Appeal.“) 549 Kritisch zu der Entscheidung daher Zuckerman, On Civil Procedure, para. 25.85: „The trouble with this view is that a subsequent change in the legal position may enable a party to overcome the estoppel since the later change was not, and could not have been, an issue in the earlier proceedings.“ 550 Von einer Anwendbarkeit der eng zu verstehenden Ausnahme bei special circumstances ausgehend wohl Hemsworth, Civil Justice Quarterly 2015, p. 52, 68 f.

§ 7 Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft

639

estoppel ist die Berücksichtigung der nachträglichen Änderungen ausgeschlossen. Der issue estoppel sowie die Präklusion auf Grundlage der Henderson v. Henderson-Regel können zudem nur bei Vorliegen „besonderer Umstände“ entfallen. III. Die zeitlichen Grenzen („limiti temporali“) der „cosa giudicata“ im italienischen Recht Die Entscheidung und damit auch die Wirkung der cosa giudicata bezieht sich auch im italienischen Recht auf den Zeitpunkt, in dem die Parteien letztmalig Tatsachen vorbringen können.551 Dies ist der mündliche Termin zur Präzisierung des Vorbringens in den abschließenden Schriftsätzen (conclusioni). 552 Die mit der Erstreckung der cosa giudicata auf il dedotto e il deducibile verknüpfte Präklusion bezieht sich allein auf Tatsachen, die bis zu diesem Zeitpunkt eingetreten sind.553 Danach eintretende Tatsachen können dagegen in einem späteren Verfahren geltend gemacht werden.554 Welche nachträglich eintretenden Tatsachen zum Entfallen der Wirkung der cosa giudicata führen, wird unter Bezugnahme auf das materielle Recht und die Gründe des (klageabweisenden) Urteils bestimmt: 555 Die jeweilige Tatsache muss also von Relevanz für die Beurteilung der geltend gemachten Rechtsfolge sein. Gleichzeitig ist der Vortrag einer neuen Tatsache, die eine dem Abweisungsgrund logisch nachgelagerte Voraussetzung der jeweiligen Rechtsfolge betrifft, nicht geeignet, die Wirkung der cosa giudicata entfallen zu lassen.556 Auch im italienischen Recht sind die zeitlichen Rechtskraftgrenzen bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen von besonderer Bedeutung. Eine nachträgliche Veränderung der Bedürftigkeit bei Unterhaltsansprüchen oder die nicht vorhersehbare Verschlimmerung von Schadensfolgen können also die Zulässigkeit einer neuen Unterhalts- bzw. Schadensersatzklage begründen. 557 Das nachträgliche Auffinden neuer Beweismittel lässt auch im italienischen Recht nicht die Rechtskraft der Entscheidung entfalten, sondern eröffnet lediglich in bestimmten, den Resitutionsgründen des § 580 ZPO ähnelnden Fällen

551

Corte di Cassazione, 6. Dezember 2007, n. 25454, Repertorio del Foro Italiano 2007, voce Cosa giudicata civile, n. 44, p. 1012; Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, VI n. 4; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.1, p. 181. 552 Cian/Trabucchi/Chizzini, Codice civile, Art. 2909, VI n. 4; Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.1, p. 181. 553 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.2, p. 182. 554 Corte di Cassazione, 3. August 2012, n. 13999, Repertorio del Foro Italiano 2013, voce Cosa giudicata civile, n. 35, p. 864. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.2, p. 182 s. 555 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.7, p. 187. 556 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.7, p. 187. 557 Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.6, p. 186.

640

3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

die Möglichkeit der rivocazione nach Art. 395 c.p.c.558 Nachträgliche Gesetzesänderungen sind grundsätzlich nicht geeignet, die Wirkungen der cosa giudicata entfallen zu lassen.559 Dies gilt auch für den Fall, dass die vom Gericht im Urteil gewählte Auslegung nachträglich durch eine sog. norma di interpretazione autentica, durch die der Gesetzgeber einen Zustand erheblicher Rechtsunsicherheit in einer Frage der Gesetzesauslegung beseitigt, in Frage gestellt wird.560 Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich eine (verfassungskonforme) Rückwirkung angeordnet hat. 561 B. Rechtsvergleichende Einordnung der französischen und spanischen Rechtskraftlehre Indem es die absolute Sperrwirkung des cause of action estoppel von nachträglichen Tatsachenänderungen unberührt lässt und die Wirkungen des issue estoppel und der Henderson v. Henderson-Regel nur bei besonderen Umständen entfallen lässt, geht das englische Recht einen Sonderweg, der sich von den Lösungen der anderen untersuchten Rechtsordnungen deutlich unterscheidet. 562 In Frankreich, Spanien, Deutschland und Italien betreffen die Rechtskraft und die damit verknüpfte Präklusion nur Tatsachen, die bereits zu dem Zeitpunkt, in dem die Parteien letztmalig Tatsachen ins Verfahren einführen können, eingetreten waren.563 Das Auffinden neuer Beweismittel und die nachträgliche Änderung der Rechtsprechung sind grundsätzlich nicht geeignet, ein Greifen der Rechtskraft bei neuer Klageerhebung auszuschließen. Jedoch se-

558

Art. 395 c.p.c.: „Le sentenze pronunciate in grado d'appello o in un unico grado, possono essere impugnate per revocazione: [...] 2) se si è giudicato in base a prove riconosciute o comunque dichiarate false dopo la sentenza oppure che la parte soccombente ignorava essere state riconosciute o dichiarate tali prima della sentenza; 3) se dopo la sentenza sono stati trovati uno o più documenti decisivi che la parte non aveva potuto produrre in giudizio per causa di forza maggiore o per fatto dell'avversario; [...].“ (nachträglich festgestellte Fälschung bzw. Unwahrheit; nachträgliches Auffinden neuer Urkunden, die aufgrund höherer Gewalt oder durch Einflussnahme der Gegenpartei zuvor nicht aufgefunden oder vorgelegt werden konnten). 559 Corte di Cassazione, sezioni unite civili, 27. November 2000, n. 1210/SU, Repertorio del Foro Italiano 2000, voce Cosa giudicata civile, n. 5, p. 892; Corte di Cassazione, 11. April 2000, n. 4630, Repertorio del Foro Italiano 2000, voce Cosa giudicata civile, n. 2, p. 892. Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.10 s., p. 190 ss. 560 Corte di Cassazione, 11. April 2000, n. 4630, Repertorio del Foro Italiano 2000, voce Cosa giudicata civile, n. 2, p. 892. 561 Corte di Cassazione, 11. April 2000, n. 4630, Repertorio del Foro Italiano 2000, voce Cosa giudicata civile, n. 2, p. 892. Ablehnend auch für den Fall der Rückwirkung, Luiso, Diritto processuale civile I, n. 20.11, p. 190 ss. 562 Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 156. 563 Für Frankreich siehe oben Kapitel 2 § 1, F. II. 4. b. cc., für Spanien insbesonder Kapitel 2, § 2 G. II.3. c.

§ 8 Zusammenfassung

641

hen die untersuchten Rechtsordnungen hier in bestimmten Fällen Sonderrechtsbehelfe vor, durch die das rechtskräftige Urteil angefochten bzw. eine Wiederaufnahme des Verfahrens bewirkt werden kann.564 Ob die rückwirkende Gesetzesänderung die Rechtskraftwirkung entfallen lassen kann, wird zwar häufig diskutiert, überwiegend aber abgelehnt. Obwohl eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen auch in den übrigen Rechtsordnungen nicht unbekannt ist, 565 findet sich eine Abänderungsklage nur in Deutschland. Die sonstigen Rechtsordnungen lassen dagegen eine Leistungs- oder Feststellungsklage bei nachträglichen Veränderungen der entscheidungsrelevanten Umstände ohne Weiteres unter Hinweis auf die zeitliche Begrenzung der Rechtskraft zu.

§ 8 Zusammenfassung § 8 Zusammenfassung

Die rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass nicht in allen Teilbereichen der Rechtskraftdogmatik von einer Konvergenz der Rechtskraftlehren des französischen und spanischen Rechts gesprochen werden kann. Auch hat sich im Rahmen der in jüngster Zeit vollzogenen grundlegenden Veränderungen keine der beiden Rechtskraftlehren in allen Teilfragen einer bestimmten Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates angeglichen. Eine deutliche Übereinstimmung der Entwicklung zeigt sich allerdings bei der Beurteilung der Überprüfung von Amts wegen. Hier haben die untersuchten romanischen Rechtsordnungen das Einredeerfordernis, wie es im englischen Recht noch uneingeschränkt gilt, aufgegeben und die im deutschen Recht schon lange vertretene Lösung einer Berücksichtigungsfähigkeit der Rechtskraft von Amts wegen übernommen.

564 In Spanien: revisión de sentencias firmes nach Art. 509 ss. LEC; in Frankreich: révision nach Art. 593 ss. C.p.c.; in Deutschland: Restitutionsklage nach § 580 Nr. 1–3, 7b ZPO; in Italien: rivocazione nach Art. 395 c.p.c. In ähnlicher Weise ermöglicht das englische Recht in Einschränkung des Prinzips der finality in bestimmten Ausnahmesituationen zur Vermeidung schwerwiegender Ungerechtigkeiten eine Wiederaufnahme (reopening) des Verfahrens durch den Court of Appeal und den High Court unter Aufhebung oder Abänderung einer bereits ergangenen, an sich endgültigen Entscheidung ermöglicht. (CPR 57.12 Reopening of final appeals: „(1) The Court of Appeal or the High Court will not reopen a final determination of any appeal unless – (a) it is necessary to do so in order to avoid real injustice; (b) the circumstances are exceptional and make it appropriate to reopen the appeal; and (c) there is no alternative effective remedy.“ Vgl. schon Taylor v. Lawrence, [2003] Q.B. 528, 535–547). Ein reopening eines Verfahrens ist insbesondere dann denkbar, wenn die ergangene Entscheidung auf einer Täuschung des Gerichts (fraud) durch eine der Parteien beruht (Noble v. Owens, [2010] 1 W.L.R. 2491, 2499; vgl. auch Andrews, On Civil Processes, para. 16.81, 16.82). 565 Für Spanien: Art. 220 LEC.

642

3. Kapitel: Die Entwicklungen im europäischen Vergleich

Unterschiede zwischen den untersuchten Rechtsordnungen zeigen sich bei der Beurteilung der Rechtskraftfähigkeit von Prozessurteilen: Während das französische Recht wie auch das deutsche Recht Prozessurteilen ohne Weiteres materielle Rechtskraft zubilligen, neigt die spanische Literatur der Position des englischen und italienischen Rechts zu, wonach eine Rechtskraftwirkung der Prozessentscheidungen abzulehnen ist. Die spanische Rechtsprechung tendiert dagegen zur Bejahung der Rechtskraftfähigkeit. Am deutlichsten divergieren die Rechtskraftkonzeptionen aber im Hinblick auf die Frage der Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen. Hier zeigen sich in Frankreich und Spanien gegenläufige Entwicklungen. Die französische Rechtsprechung versagt den Entscheidungsgründen und logischen Vorfragen heute eindeutig die Teilhabe an der Rechtskraftwirkung, ermöglicht aber anders als das deutsche Recht auch nicht die bindende Feststellung auf Antrag der Parteien. Demgegenüber erstreckt das spanische Recht, ähnlich der italienischen Konzeption, die Rechtskraft auf die der abschließenden Rechtsfolgenfeststellung zwingend vorgelagerten Vorfragen, unterscheidet sich aber von der englischen Lösung durch die Ablehnung einer Bindung an Tatsachen. Im Hinblick auf die subjektiven Grenzen der Rechtskraft gehen die untersuchten Rechtsordnungen einheitlich von einer grundsätzlich auf die Parteien und deren Rechtsnachfolger beschränkten Rechtskraftwirkung aus. Sowohl in Frankreich als auch in Spanien wird der Grundsatz durch eine Ausweitung des Parteibegriffs bzw. des Vertretungsgedankens relativiert, die insbesondere bei enger materiellrechtlicher Beziehung des Dritten zu einer Partei bzw. dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis eine flexible Ausdehnung der Rechtskraft auf Dritte ermöglicht. Die hierfür entwickelten Figuren unterscheiden sich aber im Ansatzpunkt und in der Reichweite. Im Einzelnen weisen die Ansätze des französischen und spanischen Rechts deutliche Unterschiede auf. Gleiches gilt für das Verhältnis zu den übrigen Rechtsordnungen, so dass sich für die subjektive Reichweite der Rechtskraft keine klare Annäherung einzelner Rechtsordnungen erkennen lässt. Nicht zuletzt ist die Anfechtungsmöglichkeit, die das französische und italienische Recht dem durch das Urteil beeinträchtigten Dritten gewährt, den übrigen Rechtsordnungen fremd. Zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft haben das spanische und das französische Recht in jüngerer Zeit eigenständige Ansätze von ähnlicher Struktur entwickelt, die sich von den Lösungen der übrigen untersuchten Rechtskraftlehren unterscheiden. Beide Rechtsordnungen wählen einen Mittelweg zwischen einer Bestimmung der Rechtskraftgrenzen anhand eines klar umschriebenen, am klägerischen Antrag und der darin bestimmten Rechtsfolge ausgerichteten Streitgegenstandes und einer den Parteiwillen weitgehend ausklammernden, an einer möglichst weitreichenden Streitkonzentration und umfassenden Erledigung des streitigen Sachverhaltes orientierten Präklusion englischer Prägung. Dabei kommt dem rechtlich umschriebenen

§ 8 Zusammenfassung

643

Klageziel die entscheidende Bedeutung zu. An diesem richtet sich die Präklusion des Tatsachen- und Rechtsvorbringens aus, das im ersten Verfahren bereits hätte vorgetragen werden können. Ergänzt wird diese Konvergenz der französischen und spanischen Rechtsentwicklung im Hinblick auf den bei der Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft verfolgten Grundansatz durch einen weitgehenden Gleichlauf der zeitlichen Begrenzung der Rechtskraft. Insoweit zeigt sich aber auch eine Übereinstimmung mit den Lösungen in Deutschland und Italien. Angesichts der unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Teilbereichen der Rechtskraftdogmatik ist eine Verortung der Rechtskraftlehren Frankreichs und Spaniens als Ganzes schwierig. Legt man dem Versuch einer Einordnung allerdings die jeweiligen Lösungen zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft und die Behandlung der Frage der Rechtskrafterstreckung auf Vorfragen zugrunde, so erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass die beiden Rechtsordnungen einen Mittelweg zwischen den Rechtskraftkonzeptionen des deutschen und englischen Rechts beschreiten: Indem das spanische Recht den weiten Ansatz bei der Bestimmung der objektiven Grenzen mit einer Erstreckung auf präjudizielle Vorfragen kombiniert, steht es der Rechtskraftlehre des englischen Rechts allerdings näher als das französische Recht, welches die Rechtskraft auf den Rechtsfolgenausspruch im Tenor beschränkt und darin der deutschen Rechtskraftlehre gleicht. Bestätigung findet die Einordnung der spanischen und der französischen Rechtskraftlehre als Mittelweg, wenn man die subjektiven Grenzen der Rechtskraft miteinbezieht:566 Hier haben die spanische und französische Rechtskraftlehre anders als das deutsche Recht jeweils flexible Instrumente der Rechtskrafterstreckung auf Dritte entwickelt, die aber wiederum nicht so weit gefasst sind, wie die Fälle der englischen privity of interest oder die Ausweitung auf Dritte im Rahmen des abuse of process estoppel. 567

566 Die Thematik der Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen sowie der objektiven und subjektiven Begrenzung der Rechtskraft lassen sich als essentielle Grundfragen der Rechtskraftdogmatik verstehen (vgl. Stürner, in: Stürner/Kawano (ed.), Current Topics, 2009, p. 239, 240), so dass es gerechtfertigt erscheint, die rechtsvergleichende Verortung an diesen Fragen auszurichten. 567 Die italienische Lösung lässt sich in dieses Schema nicht ohne Weiteres einfügen, fasst sie doch die objektive Reichweite der Rechtskraft vielfach enger als die deutsche Rechtskraftlehre, indem sie die causa petendi enger an rechtlichen Tatbeständen ausrichtet. Gleichzeitig erstreckt sie die Rechtskraft aber auch auf gewisse präjudizielle Vorfragen.

Schlusskapitel

Abschließende Bewertung und Ausblick A. Die Rechtskraftlehren Frankreichs und Spaniens im Spannungsfeld zwischen Verfahrenskonzentration und Parteidisposition, zwischen Flexibilität und dogmatischer Klarheit A. Konzentration – Parteidisposition, Flexibilität – dogmatische Klarheit

Die vorausgegangene Untersuchung des in jüngster Zeit vollzogenen Wandels der französischen und spanischen Rechtskraftlehre hat zwei grundlegende Entwicklungstendenzen offenbart. Als prägendes Merkmal der jüngsten Entwicklungsprozesse hat sich zunächst die Ausrichtung an einer stärkeren Verfahrenskonzentration zum Zwecke der Schonung der Ressourcen der Parteien und Gerichte erwiesen, zu deren Gunsten der Gesichtspunkt der Parteidisposition über den Streit- und Rechtskraftgegenstand stärker in den Hintergrund getreten ist. Konnten die Parteien die Reichweite der Rechtskraft nach dem traditionellen romanischen Rechtskraftverständnis, das (zumindest bei Gestaltungsklagen und bei auf obligatorische Rechte gestützten Klagen) von einem engen, rechtlich geprägten Begriff der cause bzw. der causa petendi geprägt war, noch durch ihren Rechtsvortrag zu einem gewissen Grad bewusst begrenzen, lässt das gegenwärtige, mit der Obliegenheit zur Konzentration des gesamten Tatsachen- und Rechtsvorbringens im ersten Verfahren verbundene, weite Rechtskraftverständnis eine solche Aufspaltung nicht mehr zu. Die Konzentrationsobliegenheit findet zwar ihre Grenze in einem durchaus von der Partei bestimmten Klageziel, so dass die Verhinderung neuer Verfahren sich nicht primär am Sachverhalt orientiert, wie dies im englischen Recht der Fall ist. Gleichzeitig wird die Rechtskraftwirkung aber durch die offene Definition des objet bzw. des petitum gerade nicht unter Rückgriff auf den formellen Klageantrag, sondern anhand des weniger präzise bestimmbaren Klageziels, wie es das später angerufene Gericht dem im früheren Verfahren ergangenen Urteil entnimmt, begrenzt, so dass der Einfluss der Parteien auf die Reichweite der Rechtskraft eingeschränkt bleibt. 1 1 Dass die freie Parteidisposition im am formellen Klageantrag orientierten Rechtskraftverständnis des deutschen Rechts am deutlichsten zum Ausdruck kommt, heben hervor: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 643; Stürner, RabelsZ 69 (2005), S. 201, 250 f.; ders., ZZP 127 (2014), S. 271, 284.

A. Konzentration – Parteidisposition, Flexibilität – dogmatische Klarheit

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Leitend ist somit weniger die Freiheit der Parteien zur Bestimmung des Streitund Rechtskraftgegenstandes als die Vorstellung von einer Pflicht der Parteien, zur möglichst konzentrierten und ressourcenschonenden Behandlung des streitigen Sachverhaltes beizutragen. 2 Auch in der sowohl im französischen als auch im spanischen Recht – insbesondere in Fällen enger materiellrechtlicher Verknüpfung – vorgenommenen subjektiven Ausdehnung der Rechtkraftwirkung über die sich aus dem Klageantrag ergebenden Parteien hinaus wird eine gewisse Tendenz erkennbar, die Parteidisposition auch in subjektiver Hinsicht zugunsten einer umfassenden Bewältigung des zusammengehörigen streitigen Sachverhalts in den Hintergrund treten zu lassen. Im spanischen Recht wird die Parteiautonomie weiter dadurch eingeschränkt, dass die Rechtskraft hier unabhängig vom entsprechenden Parteiantrag auf logisch unerlässliche Vorfragen erstreckt wird. Allenfalls in dem von Teilen der Literatur und der Rechtsprechung formulierten Erfordernis, dass die jeweilige Vorfrage Gegenstand der streitigen Diskussion zwischen den Parteien sein müsse, findet der Gedanke, dass der Gegenstand der Rechtskraft vom Parteiwillen abhängig sein könnte, einen gewissen Widerhall.3 Im französischen Recht geht dagegen zwar insbesondere die Rechtsprechung mittlerweile vom Grundsatz der Beschränkung der Rechtskraftwirkung auf den ausdrücklichen Inhalt des dispositif aus und lehnt auf dieser Grundlage eine Ausweitung der Rechtskraftwirkung auf Vorfragen ab, so dass die Parteien vor einer Bindung an Punkte geschützt werden, die sie möglicherweise nicht bewusst zur Entscheidung gestellt haben. Jedoch sieht das französische Recht keine ausdrückliche, die Dispositionsfreiheit der Parteien konsequent wahrende Möglichkeit vor, präjudizielle Rechtsverhältnisse bei entsprechendem Interesse durch Antrag einer bindenden Feststellung zuzuführen. Das heutige Rechtskraftverständnis des spanischen und französischen Rechts ist damit in deutlich geringerem Maße an der Wahrung der Parteidisposition orientiert als die deutsche Rechtskraftlehre, 4 lässt aber gleichzeitig einen stärkeren Einfluss der Parteien auf den Gegenstand der Rechtskraft zu als das englische Recht.5 Es bestätigt sich hier die Zwischenstellung des französischen

2 Zum Zusammenhang zwischen einem weiten Streitgegenstands- und Rechtskraftverständnis und der Vorstellung von einer Pflicht der Parteien zur Ressourcenschonung allgemein Stürner, ZZP 127 (2014), S. 271, 284. 3 Dass dem Erfordernis, dass über die Vorfrage gestritten wurde, eine dem Zwischenfeststellungsantrag zumindest insoweit ähnelnde Funktion zukommt, als jeweils das Parteiverhalten mitbestimmt, ob sich die Rechtskraft auf die Entscheidung über die Vorfrage erstreckt, betont Zeuner, Festschrift Zweigert, 1981, S. 603, 619. 4 Zur im Rechtsvergleich insgesamt stärkeren Gewichtung der Privatautonomie in der deutschen Streitgegenstandslehre Stürner, Liber Amicorum Henckel, 2015, S. 359, 364. 5 Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 143, 154 f.

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Schlusskapitel

und des spanischen Rechtskraftverständnisses zwischen den Rechtskraftkonzeptionen des englischen und des deutschen Rechts. Die stärkere Ausrichtung an einer weitreichenden Verfahrenskonzentration und die gleichzeitige Rücknahme des Einflusses des Parteiwillens sind eng verknüpft mit einer weiteren Tendenz, die im Rahmen dieser Arbeit als kennzeichnendes Merkmal der jüngeren französischen und spanischen Rechtsentwicklung erkennbar geworden ist: Zunehmend verzichten das französische und das spanische Recht in zentralen Bereichen der Rechtskraftlehre auf präzise Definitionen und klare dogmatische Durchformung. Stattdessen kommen offen definierte, flexible Formeln zur Anwendung, die eine erleichterte, einzelfallbezogene Handhabung ermöglichen sollen. Die in praktisch weniger relevanten Teilbereichen der Rechtskraftdogmatik wie der Abgrenzung zwischen einzelnen Urteilseigenschaften und -wirkungen zu großer Detailliertheit neigende französische Rechtskraftlehre lässt in zentralen Fragen wie der Bestimmung der Voraussetzungen der positiven Bindungswirkung der Rechtskraft eine klare Positionierung vermissen. Sie dehnt die subjektive Reichweite der Rechtskraft bei materiellrechtlicher Verknüpfung der Verfahrensgegenstände anhand flexibler Figuren aus und hat mit der Obliegenheit zur Konzentration der moyens eine Formel zur Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft ausgebildet, welche die Untersuchung der triple identité häufig ersetzt und der durch das Erfordernis der Identität des objet eine nur ungenau definierte Grenze gesetzt wird. Angesichts der intensiven Auseinandersetzung mit den deutschen und italienischen Streitgegenstands- und Rechtskraftlehren ist die spanische Rechtskraftkonzeption durch eine etwas stärkere dogmatische Durchformung gekennzeichnet und verfolgt in Teilaspekten, beispielsweise mit der ausdrücklichen Anerkennung der Erstreckung der Rechtskraft auf das Gegenteil, eine klarere Position als die heutige französische Rechtskraftlehre. Dennoch zeigt insbesondere die spanische Rechtsprechung sowohl bei der Formulierung der subjektiven Begrenzung der Rechtskraft, in besonderem Maße aber bei der Bestimmung der objektiven Reichweite durch die weitreichende Heranziehung der Figur der cosa juzgada implícita sowie die Erstreckung der Rechtskraft auf ergänzende, eng verknüpfte Anträge und das „Vorbringbare“ die Tendenz zum Rückgriff auf offen formulierte, sehr flexible Regeln ohne klar bestimmten Anwendungsbereich. Augenfällig ist schließlich sowohl in Frankreich als auch in Spanien der Verzicht auf eine Präzisierung der Definition des objet/petitum trotz des Bedeutungsverlustes der ursprünglich zentralen objektiven Rechtskraftgrenze der cause/causa petendi infolge der Einführung der Obliegenheit zur Konzentration des Rechts- und Tatsachenvorbringens. Die französische und die spanische Rechtskraftlehre grenzen sich damit von der formalen Strenge der an klar definierten Streitgegenstandselementen und einem formellen Parteibegriff orientierten Rechtskraftdogmatik des deutschen

A. Konzentration – Parteidisposition, Flexibilität – dogmatische Klarheit

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Rechts ab, 6 welche zweifelsohne in der Anwendung mit größerem Begründungsaufwand verbunden ist und im Einzelfall sogar die unbefriedigende Konsequenz haben kann, dass sich selbst ein bei natürlicher Betrachtung offensichtlich erwünschtes Ergebnis nur schwer begründen lässt. 7 Zugunsten der leichteren Anwendbarkeit im Einzelfall verzichten das französische und das spanische Recht damit jedoch auf die mit einer strengeren und präziseren Dogmatik verbundenen Vorteile der Klarheit und Rechtssicherheit. Die beiden untersuchten romanischen Rechtskraftlehren gehen in ihrer Tendenz zur entdogmatisierten Flexibilität allerdings auch nicht so weit wie das englische Recht, welches weder den issue, noch die cause of action als Anknüpfungspunkte des estoppel per rem judicatam klar und einheitlich definiert, sondern die Reichweite der Präklusion vielmehr einzelfallbezogen an der erschöpfenden Erledigung des streitigen Sachverhalts ausrichtet und durch den flexiblen Missbrauchsmaßstab ergänzt. Auch wenn sich die Bestimmung der objektiven Reichweite der Rechtskraft in Frankreich und Spanien gegenwärtig stark an der Frage orientiert, ob die vorgetragenen Tatsachen oder Rechtsgründe bereits in einem früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können, und die Formel der Obliegenheit zur Konzentration des Vorbringens in der Praxis sogar vielfach die Untersuchung der Übereinstimmung der Streitgegenstandselemente ersetzt, hält das französische und spanische Recht doch an einer abstrakten Definition der objektiven Grenzen der Rechtskraft, insbesondere des objet bzw. petitum, fest. Auch in subjektiver Hinsicht bleiben die Fälle einer flexiblen Ausdehnung der Rechtskraft auf Dritte deutlich enger beschränkt als im englischen Recht auf Grundlage der Figur der privity of interest und des abuse of process estoppel. Wie auch bei der Behandlung der einzelnen Teilfragen der Rechtskraftdogmatik wählen das französische und das spanische Recht damit bei der Abwägung zwischen prozessökonomischer Verfahrenskonzentration und freier Parteidisposition sowie in ihrer Positionierung zwischen strenger dogmatischer 6 Vgl. auch nochmals die Gegenüberstellung des französischen und des deutschen Ansatzes zur objektiven Begrenzung der Reichweite der Rechtskraft bei Stürner, ZZP 217 (2014), S. 271, 300: „An diesem Paradeobjekt deutscher prozessualer Dogmatik lässt sich wie kaum sonst der Unterschied zwischen sich elegant gebärdender romanischer Flexibilität und – in den Augen der Romanen – übertriebenem und etwas stur wirkendem deutschem Dogmatismus aufzeigen.“ 7 Verwiesen werden soll nur nochmals auf das Beispiel der späteren klageweisen Geltendmachung einer Forderung, die in ein an sich bereits abschließend beurteiltes Abrechnungsverhältnis hätte eingestellt werden können, bei der auch die deutsche Rechtsprechung ein Greifen der Rechtskraft bejaht, dabei aber auf erhebliche Begründungsprobleme stößt, vgl. hierzu oben Kapitel 3, § 6 A I und § 6 B VI-VII. Vgl. auch Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 933: „Das ‚Gegenmodell‘ des deutschen Rechtskreises [...] opfert der hieraus resultierenden Enge seiner Rechtskraft (Urteilstenor, prozessualer Antrag) nicht selten die Logik des Sinnzusammenhangs, wie sie juristisch unverbildetem Rechtsgefühl entspricht.“

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Schlusskapitel

Durchformung und einzelfallbezogener Flexibilität einen Mittelweg. Sie nehmen damit eine Zwischenstellung ein zwischen der am Klageantrag orientierten, auf eine möglichst klare Beschreibung des Anwendungsbereichs und des Gegenstandes der Rechtskraft abzielenden deutschen Rechtskraftdogmatik und der eine möglichst umfassende Streiterledigung bezweckenden, auf abstrakte Streitgegenstandsdefinitionen weitgehend verzichtenden englischen Lehre, welche den Parteien kaum Einfluss auf den Gegenstand der Rechtskraft zubilligt.

B. Ausblick im Lichte einer europäischen Prozessrechtsharmonisierung B. Ausblick im Lichte einer europäischen Prozessrechtsharmonisierung

Soll bei der Formulierung einer europäischen Rechtskraftkonzeption, wie sie immer wieder diskutiert wurde und nun im Rahmen des ELI/UNIDROIT-Projektes zur Schaffung europäischer Zivilverfahrensregeln konkrete Formen annehmen soll, 8 nicht an der aktuellen europäischen Rechtsentwicklung vorbeigearbeitet werden, erscheint es naheliegend, auch die Lösungen und grundlegenden Wertungsentscheidungen der französischen und spanischen Rechtskraftlehre als im Spektrum der europäischen Rechtskraftkonzeptionen neu zu verortende Ansätze zu berücksichtigen. Eine solche Berücksichtigung muss dabei keineswegs zu einer alle Teilbereiche der Rechtskraftlehre betreffenden, uneingeschränkten Übertragung auf die europäische Ebene führen. Vielmehr kann ein europäisches Rechtskraftverständnis gerade auch Ergebnis einer bewussten Abgrenzung von den nationalen Rechtskraftkonzepten sein. Bedenken gegenüber einer deckungsgleichen Übernahme bestehen insbesondere dort, wo im Rechtsvergleich deutliche Unterschiede in der Entwicklungsrichtung erkennbar geworden sind und sich eine einheitliche europäische Rechtsentwicklung nicht abzeichnet. So mahnt die Divergenz der Entwicklung gerade im Hinblick auf die Erstreckung der Rechtskraft auf Vorfragen eher zur Zurückhaltung bei der Festlegung auf eine der nationalen Positionen.9 Stattdessen könnte sich in diesem Punkt eine zurückgenommene Regelung empfehlen, welche – ähnlich des Principle 28 der Principles of Transnational Civil Procedure – die Rechtskrafterstreckung auf Vorfragen auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen sich die erneute Infragestellung von Streitpunkten als klar missbräuchlich darstellt. 10 Auf diese Weise würde 8

Vgl. hierzu oben die Einleitung, A. Ferrand hält eine europäische Harmonisierung in diesem Bereich für schwierig, vgl. Ferrand, Festschrift Gottwald, 2014, S. 141, 158. 10 Zur Rechtskraftregelung des Principle 28 der Principles of Transnational Civil Procedure Stürner, RabelsZ 69 (2005), S. 201, 250 f. (deutschsprachig: ders., ZZPInt 11 (2006), S. 381, 399 f.). 9

B. Ausblick im Lichte einer europäischen Prozessrechtsharmonisierung

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eine Art Kompromisslösung zwischen der restriktiven französischen und deutschen Lösung und dem weitreichenden spanischen und insbesondere englischen Ansatz etabliert.11 Aber auch dort, wo Konvergenzen erkennbar werden und sich die französische und spanische Rechtskraftkonzeption als ähnlich gestalteter Mittelweg präsentiert, lässt sich die Eignung der in zentralen Fragen auf präzise Definitionen und dogmatische Klarheit verzichtenden französischen und spanischen Lösungen zur Übertragung auf die europäische Ebene durchaus in Frage stellen. So spricht vor dem Hintergrund der räumlich sehr weitreichenden Urteilsgeltung in einem großen Rechtsgebiet wie der Europäischen Union einiges dafür, die Reichweite der Rechtskraft und der den Parteien auferlegten Obliegenheit zur Konzentration ihres Vorbringens im Rahmen einer europäischen Regelung klarer zu umgrenzen, als dies derzeit im französischen und spanischen Recht mit der in beiden Elementen recht unpräzisen Beschreibung der objektiven Reichweite der Rechtskraft und mit der flexiblen Zulassung materiellrechtlich begründeter subjektiver Weiterungen über den formellen Parteibegriff hinaus geschieht. 12 In der vorausgegangenen Untersuchung des jüngsten Wandels der französischen und spanischen Rechtskraftlehre sind allerdings auch übereinstimmende Entwicklungslinien erkennbar geworden, deren Grundzüge sich für die Formulierung eines europäischen Rechtskraftverständnisses als richtungsgebend erweisen könnten: Eine feingliedrige, enge Begrenzung der Rechtskraftreichweite nach rechtlichen Tatbeständen wird nicht mehr als zukunftsfähiges Modell angesehen. An ihre Stelle tritt vielmehr ein weites Rechtskraftverständnis, welches mit der Präklusion des im Erstverfahren nicht geltend gemachten Vorbringens des Klägers wie auch des Beklagten einhergeht und eine Infragestellung der Erstentscheidung auch durch gegenläufige Anträge ausschließt. Verbunden mit dem klaren Bekenntnis zur Möglichkeit der Berücksichtigung der

11

Eine solche Formulierung könnte zudem den Besonderheiten einer für eine Vielzahl von Rechtsordnungen geltenden Rechtskraftkonzeption gerecht werden, indem sie der Tatsache Rechnung trägt, dass die richterliche Ermittlung notwendiger Vorfragen durch nationale Unterschiede im Stil und Umfang der Abfassung der Urteilsgründe erschwert wird und insbesondere eine sehr genaue richterliche Kenntnis auch des jeweiligen materiellen Rechts voraussetzt, die nicht immer gegeben sein wird, vgl. Stürner, Festschrift Schütze, 1999, S. 913, 934; ebenso Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 643. Zur Beeinflussung der Regelung des Principle 28 der Principles of Transnational Civil Procedure durch den letztgenannten Aspekt: Stürner, RabelsZ 69 (2005), S. 201, 251; (deutschsprachig: ders., ZZPInt 11 (2006), S. 381, 399). 12 In „großen Rechtsräumen mit weitreichender Urteilsgeltung“ allein die klare antragsbezogene Streitgegenstands- und Rechtskraftbestimmung für „befriedigend“ haltend z.B. Stürner, Festschrift Heldrich, 2005, S. 1061, 1069.

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entgegenstehenden Rechtkraft von Amts wegen zeichnen sich hier Umrisse einer Rechtskraftkonzeption ab, die auch einem europäischen Rechtskraftverständnis Konturen geben könnten. Bestehende Bedenken gegen eine deckungsgleiche Übernahme der Lösung des französischen oder des spanischen Rechts stellen zudem keineswegs die besondere Eignung der beiden Rechtskraftkonzepte in Frage, bei der Formulierung einer europäischen Rechtskraftlehre als Modelle der Orientierung, aber auch der Abgrenzung zu dienen. Diese besondere Eignung ergibt sich zum einen aus der Verortung als Mittelweg zwischen den Rechtskraftmodellen des deutschen und englischen Rechts, der gleichzeitig Überschneidungspunkte mit der vom EuGH autonom entwickelten Definition der Anspruchsidentität zeigt. Zum anderen sind die gegenwärtigen Rechtskraftkonzeptionen des französischen und spanischen Rechts das Ergebnis eines erst in jüngster Zeit in Folge einer bewussten Neuorientierung vollzogenen Wandels und lassen sich daher als Abbild aktueller Geistesströmungen in der Rechtskraftdogmatik betrachten. Auch wenn sich die Rechtskraftlehren des französischen und spanischen Rechts in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht als deckungsgleich zu übertragende Blaupausen eines europäischen Rechtskraftverständnisses eignen mögen, sollten sie daher im Prozess der Ausformung einer europäischen Rechtskraftlehre als aktuelle und im europäischen Vergleich vermittelnde Lösungen doch in jedem Fall Berücksichtigung finden.

C. Fazit C. Fazit

Sowohl in Frankreich als auch in Spanien hat die Rechtskraftdogmatik in jüngerer Zeit einen deutlichen Wandel vollzogen, der nicht in allen Teilbereichen zu übereinstimmenden Ergebnissen geführt hat, an dessen vorläufigem Endpunkt in beiden Rechtsordnungen aber Lösungen stehen, die sich vom traditionellen romanischen Grundansatz entfernt haben und sich im europäischen Vergleich als neue Mittelwege zwischen den Rechtskraftlehren des englischen und deutschen Rechts darstellen. Ob sich diese Lösungen und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen in der gesamteuropäischen Rechtsentwicklung als zukunftsträchtige Modelle erweisen werden, bleibt abzuwarten.

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Sachregister Abänderungsklage 633 f. absolute Rechte – Italien 607 – Spanien 474 abuse of process 534 ff. abuse of process estoppel 534 ff., 582 f., 603 ff. acción 391 ff. acción reivindicatoria, siehe auch Herausgabeklage Anspruchsgrundlagen, verschiedene – Deutschland 591 f. – Frankreich 152 ff., 169 f. Anspruchskonkurrenz – England 600 – Frankreich 152 ff., 169 f. – Italien 608 f. – Spanien 445 ff. antecedente lógico 338 appel 211 ff. Aufhebung von Rechtsverhältnissen – Spanien 442 f., 475 f. Aufrechnung – Deutschland 561 f. – Frankreich, siehe auch compensation – Italien 571 – Spanien, siehe auch compensación – Vergleich 576 autorité de la chose jugée 22 ff. – negative Wirkungsrichtung 51 f. – positive Wirkungsrichtung 52 ff. Berücksichtigung von Amts wegen – Deutschland 545 f. – England 546 f. – Frankreich 60 ff. – Italien 547 f. – Spanien 271 ff. – Vergleich 548 f.

Beweisvortrag, neuer – England 634 ff. – Frankreich 147 f., 194, siehe auch nouveau moyen de preuve – Italien 639 Bürgen – Deutschland 580 – England 588 – Frankreich 126 causa de pedir 327, 334, 429 ff. causa petendi – Spanien, siehe auch causa de pedir – Italien 607 ff. cause 142 ff., 169 ff., 194 cause of action 598 ff. cause of action estoppel 598 ff. Cesareo-Entscheidung 160 ff., 198 ff. chose demandée, siehe auch objet chose non-jugée 198 ff. compensación 344 ff., 347 f. compensation 176 f. – compensation judiciaire 177, 181 f., 193 – compensation légale 176 contradicción, Prinzip der 330 ff. contradiction, Prinzip der 201 ff. cosa giudicata 539 ff. – cosa giudicata formale 540 – cosa giudicata sostanziale 540 f. cosa juzgada 220 ff. – cosa juzgada formal 237 ff., 240 ff. – cosa juzgada implícita 405 ff., 416, 422, 425 f., 452, 503 f. – cosa juzgada material 237 ff., 245 ff. – cosa juzgada negativa 263 ff., 266 ff. – cosa juzgada positiva 265 f., 270 f.

676 décisions implicites 96 ff., 115 ff., 199 f. dessaisissement du juge 36 f. dingliche Rechte – Spanien 439 ff. dispositif 88 f. doctrine of merger 535 ff., 600, 602 f. Domat, Jean 24 ff. efficacia riflessa 585 ff. efficacité substantielle 39 einstweiliger Rechtsschutz, siehe auch vorläufiger Rechtsschutz Einwendungen – Deutschland 561 f. – England 563 ff. – Frankreich 171 ff. – Italien 571 – Spanien 341 ff., 452, 458 ff., 502 ff. – Vergleich 574 ff. Endgültigkeit der Entscheidung – Frankreich 80 ff. – siehe auch rechtskraftfähige Entscheidungen Endgültigkeit, Grundsatz der, siehe auch finality Entscheidungsgründe – Frankreich, siehe auch motifs – Spanien 316 ff. erga omnes-Wirkung – Frankreich 128 – Spanien 387 ff. ergänzende Anträge 410 ff., 416 ff. excepciones reconvencionales 342 ff. exhaustividad 315 f. faits adventices 157 ff. faits spécialement invoqués 157 fallo 315 ff. Feststellungsklage – Frankreich 88 – Spanien 321 ff., 403, 441 Feststellungsurteil – Frankreich 88 – Spanien 321 ff. finality 534 firmeza 241 force de la chose jugée 39 force de vérité légale 47 f.

Sachregister forclusion substantielle 163 f. freiwillige Gerichtsbarkeit – Frankreich 79 f. – Spanien 284 ff. Gegenteil – Deutschland 593 ff. – Frankreich 190 ff. – Italien 612 f. – Spanien 405 ff., 503 ff. germanisches Recht 14 ff. Gesamtschuldner – Deutschland 580 – Frankreich 125 f. – Spanien 225, 230 f., 382 ff., 386 f. – Vergleich 588 Gesellschafterbeschlüsse – Spanien 381 f. Gesetzesänderung, nachträgliche – Deutschland 632 f. – England 635 – Frankreich 194 – Italien 640 – Spanien 521 Gesetzeskonkurrenz – Italien 608 f. – Spanien 445 ff. Gestaltungsklagen – Spanien 441 ff., 450, 475 f. Gestaltungswirkung 248, 296, 387 f., 583, 589 giudicato esterno 540 f. giudicato interno 540 Glossatoren 16 ff. Gruppenklagen – Frankreich 124 – Spanien 377 ff. Henderson v. Henderson-Doktrin 538, 603 ff. Herausgabeklage – Deutschland 561 – Frankreich 28 f., 152 – Italien 570, 612 – Spanien 328, 338, 404, 407 f., 440, 445 Homogenität von Ansprüchen 426 ff., 472 f., 478 ff.

Sachregister il dedotto e il deducibile 611 ff. immutabilité 48 f. Individualisierungslehre 430 ff. invariabilidad 240 f. irrévocabilité 38 f. issue estoppel 563 ff. iura novit curia – Frankreich 155 ff., 205 ff. – Spanien 491 ff. jugement avant dire droit 81 f., 94 jugement définitif, siehe auch Endgültigkeit der Entscheidung jugement en l’état 84 ff. jugement mixte 82, 94 juicio verbal 352 ff., 460 ff. juridiction gracieuse, siehe auch freiwillige Gerichtsbarkeit Frankreich Kanonistik 16 ff. Kassation 75 ff. Kernpunktansatz, siehe auch Streitgegenstand EuGH Klagenkonzentration 172 ff., 175 ff. Kollision rechtskräftiger Entscheidungen – Frankreich 75 ff. – Spanien 223, 280 ff. Kommentatoren 16 ff. kontradiktorisches Gegenteil 593 ff. Konzentration der moyens, Prinzip der 160 ff. Konzentrationsobliegenheit – Frankreich 161 f., 169 ff., 171 – Spanien 424 f., 464 ff., 483 ff. – Vergleich 622 f., 624 ff. lo deducido y lo deducible 411, 416 ff., 449 ff., 480 ff. Mahnverfahren – Frankreich, siehe ordonannce d’injonction de payer – Italien 556 – Spanien, siehe auch proceso monitorio materielle Rechtskrafttheorie – Spanien 253 ff.

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materiellrechtliche Abhängigkeit 579 f., 585 f. – siehe auch subjektive Grenzen der Rechtskraft medidas cautelares, siehe auch vorläufiger Rechtsschutz Spanien motifs 90 ff. – motifs décisifs 95 f., 105 ff. – motifs décisoires 93 ff., 101 ff. moyen 145 ff. – moyens de droit 152 ff., 206 ff. – moyens de défense, siehe auch Einwendungen Frankreich Nichtigkeitseinwand – Spanien 346 f., 348 ff. Nichtigkeitsgründe – Deutschland 591 – Frankreich 153 f. – Italien 609 – Spanien 442 f., 475 f. nouveau moyen de preuve 147 f., 194 objektive Grenzen der Rechtskraft – Deutschland 590 ff. – England 598 ff. – Frankreich 129 ff. – Italien 606 ff. – Spanien 390 ff. – Vergleich 619 ff. objet 134 ff., 186 f., 188 ff., 194 ff. objeto del proceso, siehe auch Streitgegenstand Spanien objeto virtual 470 obligatorische Rechte – Spanien 438 ff., 476 ff. ordonnance de référé 82 ff. ordonnance de requête 82 ff. Ordonnance de Saint Germain-en-Laye 22 f. ordonnance d’injonction de payer 84 ordre public – Frankreich 60 ff, 92 – Spanien 387 parte dispositiva, siehe auch fallo Parteibegriff – Deutschland 577 – Frankreich 123 ff.

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Sachregister

– Italien 583 – Spanien 370 ff. persönliche Klagen 437 petición, siehe auch petitum Spanien peticiones complementarias, siehe auch ergänzende Anträge petitum – Italien 607 – Spanien 401 ff., 471 ff. Pothiers, Robert Joseph 26 ff. präjudizielle Rechtsverhältnisse – Deutschland 562 – England 563 ff. – Frankreich 95 ff. – Italien 567 ff. – Spanien 408 ff. – Vergleich 574 ff. Präklusion – Deutschland 595 ff. – England 602 ff. – Frankreich 130, 151, 163 f., 185 ff., 197, 200 f., 204, 217 – Italien 540, 611 ff. – Spanien 302 ff., 410 ff., 418 ff., 423 ff., 450 ff., 455 ff., 463 ff., 502 ff., 511 ff. présomption de (la) vérité 24 ff., 45 ff. presunción de verdad 251 ff. pretensión procesal, siehe auch prozessualer Anspruch Spanien privies, 581 ff. – siehe auch subjektive Grenzen der Rechtskraft England privity of interest 581 ff. proceso monitorio 308 f. pronunciamiento implícita 318 ff. Prozessmissbrauch, siehe auch abuse of process prozessualer Anspruch – Spanien 391 ff. prozessuale Lauterkeit 165 f., 168 f. prozessuale Rechtskrafttheorie – Spanien 253 ff. Prozessurteile – Deutschland 550 – England 552 – Frankreich 81 – Italien 555 – Spanien 288 ff.

– Vergleich 558 ratio decidendi 337 ff. rechtliche Qualifizierung – Frankreich 136 ff., 195 – Spanien 403 ff., 432 ff., 471 ff. – Italien 570 rechtliches Gehör – Frankreich 201 ff., siehe auch contradiction – Spanien 330 ff., 357 ff., siehe auch contradicción Rechtsgrundlagen, abweichende – Frankreich 152 ff. rechtskraftfähige Entscheidungen – Deutschland 550 ff. – England 552 ff. – Frankreich 78 ff. – Italien 555 ff. – Spanien 284 ff. – Vergleich 558 ff. rechtskraftfähige Entscheidungselemente – Deutschland 560 ff. – England 563 ff. – EuGH 572 ff. – Frankreich 87 ff. – Italien 567 ff. – Spanien 313 ff. – Vergleich 574 ff. Rechtsmissbrauch – Deutschland 551 – England, siehe auch Prozessmissbrauch – Spanien 306, 313, 375 Rechtsnachfolger – Deutschland 578 f. – England 581 – Frankreich 127 – Italien 583 – Spanien 376 f. – Vergleich 587 Rechtssprechungsänderung, nachträgliche – Deutschland 632 f. – England 635 – Frankreich 194 – Spanien 521 f. Reformkommission Coulon 165

Sachregister Reformkommission Magendie 165 f. représentation, siehe auch Parteibegriff Frankreich requalification 206 ff. res iudicata 17 f. res iudicata pro veritate accipitur 19 f. revisión de sentencias firmes 282 f. römisches Recht 8 ff. – Formularprozess 9 ff. – Kognitionsprozess 12 – Legisaktionenprozess 8 f. – nachklassisches Verfahren 12 ff.

Teilklagen – Deutschland 592 f. – England 601 f., 603, 606 – EuGH 616 – Frankreich 139 ff., 195 f. – Italien 609 ff. – Spanien 412 ff., 419 ff., 481 f. tercería – tercería de dominio 452 f. – tercería de mejor derecho 452 f. tierce opposition 128 f. triple identité 122 ff., 188 ff.

Sachklage 437 Schadensposten – England 601 – Frankreich 195 – Spanien 451, 480 f. sententia facit ius 19 f. Siete Partidas 220 ff. special circumstances 635 f. Streitgegenstand – Deutschland 590 ff. – EuGH 614 ff. – Spanien 391 ff. subjektive Grenzen der Rechtskraft – Deutschland 577 ff. – England 581 ff. – Frankreich 123 ff. – Italien 583 ff. – Spanien 369 ff. – Vergleich 587 ff. Substantiierungslehre 430 ff. summarische Verfahren 18 – Italien 556 ff. – Spanien 297 ff., 462 f. sustitución procesal 380 f.

Umkehrung des Rechtsfolgenausspruchs – Deutschland 593 ff. – Frankreich 190 ff. – Italien 612 f. – Spanien 414 ff., 421 ff. unicité de l’instance 179, 181 unteilbare Leistungen – Spanien 230, 385 ff.

Tatsachenfeststellungen – Deutschland 561 – England 563 f. – Italien 570 – Spanien 363 ff. – Vergleich 575 f. Tatsachenvorbringen, neues – Deutschland 631 f. – Frankreich 148 ff., 171, 194 – Spanien 511 ff.

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Verbandsklagen – Spanien 377 ff. Vertragsaufhebung 137 f., 173 Verzicht – Frankreich 74 f. – Spanien 279 Vorfragen – Deutschland 560 ff. – England, 563 ff. siehe auch issue estoppel – EuGH, 572 ff. – Frankreich 95 ff., siehe auch motifs – Italien, 567 ff. – Spanien 323 ff. – Vergleich 574 ff. vorläufiger Rechtsschutz – Deutschland 550 ff. – England 553 f. – Frankreich 82 ff. – Italien 556 ff. – Spanien 310 ff. – Vergleich 558 f. Wahrheitsvermutung – Frankreich, siehe auch présomption de (la) vérité

680 – Spanien, siehe auch presunción de verdad Wechselprozess – Spanien 306 ff. Widerklagen – Frankreich 136, 173 f., 176 ff., 181 ff. – Spanien 342 f., 344 ff., 458 f. zeitliche Grenzen der Rechtskraft – Deutschland 631 ff. – England 634 ff. – Frankreich 148 ff. – Italien 639 f.

Sachregister – Spanien 508 ff. – Vergleich 640 f. Zeitpunkt der Geltendmachung – Frankreich 74 – Spanien 263 ff. Zielsetzung der Rechtskraft – Frankreich 42 ff. – Spanien 249 ff. Zwischenfeststellungsklage – Deutschland 562 – Italien 571 – Spanien 321 f., 332 ff. – Vergleich 575