Allgemeine Betriebswirtschaftslehre: Band 5 Die betrieblichen sozialen Funktionen [Reprint 2013 ed.] 9783110836189, 9783110034790


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Table of contents :
1 Grundlagen des betrieblichen Sozialwesens
10 Begründung und Wesen sozialer Funktionen des Betriebes
100 Soziale Funktionen als betriebliche Funktionen
101 Die Wahrnehmung sozialer Funktionen als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit
102 Die Wahrnehmung sozialer Funktionen als sozial-ethische Verpflichtung
11 Die Aktualität der betrieblichen sozialen Funktionen
110 Allgemeine Betrachtung
111 Durch betriebsseitige Entwicklung bedingte Aktualität
112 Durch außerbetriebliche Entwicklungen bedingte Aktualität
12 Die Entwicklung des betrieblichen Sozialwesens
120 Allgemeines
121 Das patriarchalische betriebliche Sozialwesen
122 Das liberale betriebliche Sozialwesen
123 Das kooperative betriebliche Sozialwesen
124 Das moderne betriebliche Sozialwesen und die an dieses gestellten Anforderungen
2 Gesetzliche und tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung
20 Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen als Bestimmungsfaktoren betrieblichen sozialen Gebarens
200 Übersicht über die Arbeits- und Sozialgesetze
201 Das Sozialversicherungssystem als Fundament für die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer
202 Das Lohnfortzahlungsgesetz als jüngstes Beispiel gesetzlich auferlegter sozialer Aufgaben
203 Wesen und Inhalt des Tarifvertrages
21 Gegenwärtige Schwerpunkte der Initiative von Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien zur Verbesserung der sozialen Stellung der Arbeitnehmer
210 Mitbestimmung der Arbeitnehmer
211 Vermögensbildung der Arbeitnehmer
3 Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung
30 Bestimmungsfaktoren für die betriebliche Sozialpolitik
300 Allgemeine Erörterungen
301 Die Wohlfahrt der Arbeitnehmer als Bestimmungsfaktor
302 Die Steigerung der Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit als Bestimmungsfaktor
303 Das Zusammenwirken der Bestimmungsfaktoren
31 Formen der Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter
310 Das Bemühen um gerechte Entlohnung
311 Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer
312 Freiwillige Sozialleistungen
32 Die Wahrung und Förderung immaterieller Interessen der Mitarbeiter
320 Allgemeines
321 Wahrung elementarer menschlicher Interessen der Mitarbeiter
322 Förderung des beruflichen Fortkommens
323 Förderung aktiver Teilnahme der Mitarbeiter am Betriebsgeschehen
4 Die Organisation der sozialen Betätigung des Betriebes
40 Notwendigkeit der Institutionalisierung der betrieblichen sozialen Funktionen
41 Organisation zur Durchführung der betrieblichen Sozialpolitik
42 Arbeitsrechtliche Einrichtungen
420 Die Arbeitsordnung
421 Betriebsverfassung
422 Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände
5 Wirtschaftliche Zusammenhänge, Grenzen und Wandlungen betrieblicher Sozialpolitik
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Allgemeine Betriebswirtschaftslehre: Band 5 Die betrieblichen sozialen Funktionen [Reprint 2013 ed.]
 9783110836189, 9783110034790

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Allgemeine Betriebswirtschaftslehre von

Dr. Konrad Mellerowicz em. o. Prof. an der Technischen Universität Berlin

Fünfter Band

Die betrieblichen sozialen Funktionen

w DE

_G Sammlung Göschen Band 4 0 0 4

Walter de Gruyter & Co. Berlin · New Y o r k 1971

© Copyright 1971 by Walter de Gruyter 8c Co., vormals G. J . Gösdien'sche Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J . Trübner - Veit & Comp., Berlin 30 - Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. - Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36. - Printed in Germany.

ISBN 3 11 003479 4

Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen des betrieblichen Sozialwesens 10 Begründung und Wesen sozialer Funktionen des Betriebes 100 Soziale Funktionen als betriebliche Funktionen 101 Die Wahrnehmung sozialer Funktionen als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit 102 Die Wahrnehmung sozialer Funktionen als sozial-ethische Verpflichtung 11 Die Aktualität der betrieblichen sozialen Funktionen 110 Allgemeine Betrachtung 111 Durch betriebsseitige Entwicklung bedingte Aktualität 112 Durch außerbetriebliche Entwicklungen bedingte Aktualität 12 Die Entwicklung des betrieblichen Sozialwesens . . . . 120 Allgemeines 121 Das patriarchalische betriebliche Sozialwesen . . 122 Das liberale betriebliche Sozialwesen 123 Das kooperative betriebliche Sozialwesen . . . . 124 Das moderne betriebliche Sozialwesen und die an dieses gestellten Anforderungen 2 Gesetzliche und tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung 20 Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen als Bestimmungsfaktoren betrieblichen sozialen Gebarens 200 Übersicht über die Arbeits- und Sozialgesetze 201 Das Sozialversicherungssystem als Fundament für die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer . . 202 Das Lohnfortzahlungsgesetz als jüngstes Beispiel gesetzlich auferlegter sozialer Aufgaben . . 203 Wesen und Inhalt des Tarifvertrages 21 Gegenwärtige Schwerpunkte der Initiative von Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien zur Verbesserung der sozialen Stellung der Arbeitnehmer 210 Mitbestimmung der Arbeitnehmer 2100 Allgemeines zur Mitbestimmung

6 6 6 8 11 14 14 15 19 22 22 22 26 28 30 40 40 40 42 47 50 52 52 52

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Inhaltsverzeichnis 2101 Formen der Mitbestimmung 2102 Die paritätische Mitbestimmung 2103 Stellungnahme zum Biedenkopf-Bericht und zur paritätischen Mitbestimmung . . 211 Vermögensbildung der Arbeitnehmer 2110 Bedeutung der Vermögensbildung 2111 Grundlegende Probleme der Vermögensbildung 2112 Vermögensbildungspläne 2113 Konkrete Maßnahmen zur Förderung der Vermögensbildung

3 Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung . . . . 30 Bestimmungsfaktoren für die betriebliche Sozialpolitik 300 Allgemeine Erörterungen 301 Die Wohlfahrt der Arbeitnehmer als Bestimmungsfaktor 302 Die Steigerung der Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit als Bestimmungsfaktor 303 Das Zusammenwirken der Bestimmungsfaktoren 31 Formen der Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter 310 Das Bemühen um gerechte Entlohnung 3100 Problematik des gerechten Lohnes 3101 Leistungsgerechte Entlohnung 3102 Bedarfsgerechte Entlohnung 3103 Lohnpolitische Vertrauensbasis 311 Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer 3110 Die Ausgangssituation 3111 Ziele der Gewinnbeteiligung 3112 Betriebswirtschaftliche und soziale Grundsatzfragen 3113 Formen der Gewinnbeteiligung 3114 Grundsätzliches zur Gewinnverteilung . . 3115 Kapitalbeteiligung (Miteigentum)

56 57 66 68 68 71 75 82 86 86 86 87 93 95 98 98 98 99 101 103 105 105 107 109 114 119 127

Inhaltsverzeichnis 312 Freiwillige Sozialleistungen 3120 Begriff und Problematik der Freiwilligkeit sozialer Leistungen 3121 Ziele und Bedeutung freiwilliger Sozialleistungen 3122 Gliederung der freiwilligen Sozialleistungen 3123 Arten freiwilliger Sozialleistungen 3124 Betriebliche Bestimmungsfaktoren für Art und Umfang freiwilliger Sozialleistungen 32 Die Wahrung und Förderung immaterieller Interessen der Mitarbeiter 320 Allgemeines 321 Wahrung elementarer menschlicher Interessen der Mitarbeiter 322 Förderung des beruflichen Fortkommens 3220 Betriebliche Ausbildung und Fortbildung 3221 Förderung des beruflichen Aufstiegs im Betriebe 323 Förderung aktiver Teilnahme der Mitarbeiter am Betriebsgeschehen 3230 Verstärkte Information 3231 Aktivierung des Vorschlagswesens 3232 Übertragung von Befugnissen und Verantwortung 3233 Partnerschaftliche Bestrebungen 4 Die Organisation der sozialen Betätigung des Betriebes 40 Notwendigkeit der Institutionalisierung der betrieblichen sozialen Funktionen 41 Organisation zur Durchführung der betrieblichen Sozialpolitik 42 Arbeitsrechtliche Einrichtungen 420 Die Arbeitsordnung 421 Betriebsverfassung 422 Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände . . . . 5 Wirtschaftliche Zusammenhänge, Grenzen und Wandlungen betrieblicher Sozialpolitik Literaturverzeichnis Sachregister

5 130 130 133 137 139 163 173 173 176 182 182 193 196 196 199 201 204 205 205 206 209 209 211 219 224 234 239

1 G r u n d l a g e n des betrieblichen Sozialwesens 10 B e g r ü n d u n g u n d Wesen sozialer F u n k t i o n e n des Betriebes 100 Soziale Funktionen als betriebliche Funktionen Die voranstehenden Kapitel des Werkes hatten die sachlichtechnische Sphäre des Betriebes und vor allem seine wirtschaftliche Sphäre zum Gegenstand. In ersterer gelten Naturgesetze, dominiert das Zweckdenken; alles ist rational und weitestgehend meßbar und berechenbar. In der wirtschaftlichen Sphäre gelten die Gesetze der Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität; in ihr herrscht ein kalkulatorisches Denken: ein Denken in Aufwendungen und Erträgen, in Kosten und Leistungen, hinzu kommt ein planendes und kontrollierendes Denken in Soll und Ist. Die Untersuchung des Erfahrungsobjektes unserer Wissenschaft unter dem Gesichtspunkt dieser beiden betrieblichen Teilsphären gab den An!aß dazu, die drei Grundfunktionen: Beschaffung, Produktion, Vertrieb und die zu ihrer Ergänzung erforderlichen Funktionen der Verwaltung und Leitung in das System der betrieblichen Funktionen aufzunehmen. Diese Funktionen kennzeichnen erschöpfend die Aufgaben des Betriebes in seiner Eigenschaft als technische und wirtschaftliche Einheit. Und doch sind damit noch nicht alle betrieblichen Funktionen umrissen. Ein umfassendes Bild von ihnen ergibt sich erst dann, wenn man auch noch die dritte der im Betriebe zusammentreffenden Sphären, die menschlich-gesellschaftliche Sphäre, in die Betrachtung einbezieht. Man sieht dann im Betriebe nicht nur eine sachlich-technische und eine wirtschaftliche Einheit, sondern auch ein arteigenes Sozialgebilde, verkörpert durch die im Betriebe tätigen Menschen, die gemeinsam auf die Erreichung des Betriebszweckes hinwirken und durch diese gemeinsame Aufgabe miteinander und mit dem Betriebe verbunden sind.

Begründung u. Wesen sozialer Funktionen d. Betriebes

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In dieser seiner menschlich-gesellschaftlichen Sphäre ist der Betrieb mit einem Komplex von Problemen behaftet, die nicht - zumindest aber nicht unmittelbar - technischer oder wirtschaftlicher Natur sind, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Beziehungen zwischen Mensch, Arbeit und Betrieb zum Gegenstand haben. Hieraus ergeben sich für den Betrieb zusätzliche Aufgaben - Aufgaben im Hinblick auf die im Dienste der Erreichung des Betriebszweckes stehenden Menschen die wir als soziale Funktionen des Betriebes bezeichnen wollen. Das Adjektiv „sozial" soll diese Aufgaben als solche charakterisieren, die an der Betriebsgemeinschaft und deren einzelnen Mitgliedern zu vollbringen sind. Mehr soll es nicht ausdrücken; insbesondere soll damit keine sittliche Wertung der Motive für die am Menschen im Betrieb zu erfüllenden Aufgaben vorgenommen werden, weil ja die Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht zwangsläufig in einer ethischen Gesinnung begründet zu sein braucht. Die sozialen Funktionen bilden zusammen mit den technischen und wirtschaftlichen Funktionen ein betriebliches Ganzes, aus dem sich ein harmonisches Ganzes ergeben soll. Für die Betriebswirtschaftslehre entsteht daraus die Notwendigkeit systematischer Durchdringung der Probleme, die sich durch die Eingliederung des Menschen in das Betriebsgeschehen ergeben. Dies „erfordert allerdings eine Erweiterung ihrer Grundlagen. Neben die Wirtschaftstheorie, die Rechtswissenschaft und die Technologie treten als weitere unentbehrliche Hilfswissenschaften die Psychologie, die Soziologie und die Pädagogik" 1 . Mit ihrer Hilfe wird die Betriebswirtschaftslehre ihrer Aufgabe nachkommen können, dem Betrieb nicht allein Orientierungshilfen für die Erfüllung seiner technischen und wirtschaftlichen Funktionen, sondern auch seiner sozialen Aufgaben zu geben. Deren Wahrnehmung stellt einen wichtigen 1 Hax, K., „Die menschlichen Beziehungen im Betrieb als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung", in: ZfhF n. F., 2. Jhg. 1350, S. 395.

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

Teilaspekt führung.

der Betriebsführung dar:

die soziale

Betriebs-

Der Inhalt der sozialen Funktionen des Betriebes sowie ihre betriebswirtschaftliche Notwendigkeit und gesellschaftspolitische Verpflichtung werden ersichtlich aus der Wechselbeziehung, die zwischen dem Betrieb und den Menschen im Betriebe besteht. 101 Die Wahrnehmung sozialer Funktionen als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit Die Betriebswirtschaftslehre ist eine angewandte Wissenschaft, die ihre Leitsätze aus dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit, nicht aus ethischen oder humanitären Forderungen ableitet. Sie sieht deshalb den Menschen im Betriebe primär in einem Zweck-Mittel-Verhältnis, und zwar dergestalt, daß der Mensch als Träger geistiger und körperlicher Potenzen eine dienende Funktion im Hinblick auf die technischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen des Betriebes innehat. In dieser Funktion spielt der Mensch die entscheidende Rolle im Betrieb, die Arbeit ist der tragende Betriebsfaktor. Das gilt zunächst für den technischen Arbeitsvollzug des Betriebes. Wenngleich heute schon viele Betriebe hochgradig automatisiert sind, so können doch selbst sie auf die menschliche Arbeit nicht verzichten. Mag die Maschine auch in weiten Bereichen den Menschen überflüssig machen, so gibt es doch ohne Konstruktion und Instandhaltung durch den Menschen, ohne Überwachung durch ihn während ihres Laufes, also ohne menschliche Mitwirkung, keine technische Arbeitsleistung. Mehr noch als im technischen Bereich ist die menschliche Leistung in der wirtschaftlichen Sphäre des Betriebes von Bedeutung: von den Dispositionen der Führenden, ihrer Zweckwahl des Mitteleinsatzes, hängt die Entwicklung und damit das Schicksal des Betriebes ab.

Begründung u. Wesen sozialer Funktionen d. Betriebes

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Schon allein um der aufgezeigten Bedeutung willen, die der Mensch im Betriebe als Mittel, hingeordnet auf die Zielsetzung des Betriebes, einnimmt, ist es erforderlich, ihm besondere Aufmerksamkeit zu widmen und ihm in solcher Form und in solchem Umfange pflegliche Sorgfalt angedeihen zu lassen, daß seine Eignung als Mittel zum Zweck entfaltet, erhalten und gefördert wird. Dieser an sich elementare Grundsatz hat keineswegs zu allen Zeiten Gültigkeit für die betriebliche Praxis besessen. So sah sich ζ. B. Robert Owens vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten zu der Aufforderung an die Unternehmer veranlaßt, ihren „lebendigen Maschinen dieselbe Aufmerksamkeit zu widmen wie ihren toten Maschinen, was sich in entsprechender Weise für sie lohnen werde" 2 . Als sich die Verhältnisse im Sinne Owens zu ändern begannen, war man zwar einen Schritt weitergekommen, doch zeichnete sich die frühere Phase der Industrialisierung durch den wesentlichen Mangel einer fehlenden Differenzierung zwischen menschlicher Arbeit und Maschinenarbeit aus, was besonders in den Thesen der wissenschaftlichen Betriebsführung Taylors zum Ausdruck kam. Die erzielten Leistungsgrade arbeitender Menschen werden nicht allein durch die Höhe des Lohnes und die vorhandenen Fähigkeiten bestimmt; sie sind vielmehr zugleich das komplexe Ergebnis sozialer, physischer und psychischer menschlicher Eigenschaften. Das aber bedeutet, daß die menschliche Arbeit im Betriebe ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, nicht jenen der Maschine, und daß man, um die größtmögliche Effektivität des Arbeitseinsatzes zu erreichen, die physischen und psychischen Besonderheiten des Produktionsfaktors Arbeit zu berücksichtigen hat. Diese Erkenntnis gab den Ausschlag für einen permanenten Prozeß zunehmender Anpassung des Betriebsgeschehens an die Besonderheiten des Menschen im Betriebe. 2 Vgl. Geck, L. Α. H., „Von der technischen und sozialen Betriebsführung", in: Praktischer Betriebswirt, 1935, S. 750.

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

Aus diesem Blickwinkel muß das Entstehen der Arbeitswissenschaft und das starke Interesse seitens der Praxis für ihre Forschungsergebnisse betrachtet werden. Die Erkenntnisse der Arbeitsphysiologie bilden die Voraussetzung für konstruktive Verbesserungen von Maschinen und Arbeitsgeräten im Hinblick auf die Menschen, die daran bzw. damit arbeiten sollen, zu Maßnahmen der besseren Arbeitsplatz-, Arbeitsumwelt- und Arbeitspausengestaltung, weil man nun um die Art der Einflußnahme dieser Faktoren auf das menschliche Leistungsverhalten weiß. Die Arbeitspsycbologie liefert die notwendigen Informationen über die seelischen Auswirkungen, die sich durch den Arbeitsprozeß ergeben und in Arbeitsfreude oder Arbeitsunlust ihren Niederschlag finden. Es ist von entscheidendem Einfluß auf den Betriebserfolg, ob die Mitarbeiter nur widerwillig gerade soviel leisten, wie zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes notwendig ist, oder ob sie bereit sind, ihr volles Leistungspotential in den Dienst des Betriebes zu stellen. Letzteres ist aber nur dann der Fall, wenn sie sich mit dem Betrieb und der Arbeit verbunden fühlen. Betriebswirtschaftliche Lehre und Praxis haben auch in Hinsicht auf diese Aufgabe schon wesentliche Fortschritte erzielt; es sind insbesondere die Maßnahmen der betrieblichen Sozialpolitik, der Menschenführung und Menschenbehandlung, die auf die Schaffung und Vertiefung der Betriebsverbundenheit abzielen. Soweit man - wie hier geschehen - den Menschen im Betriebe allein in seiner Rolle als Mittler sieht, dessen sich der Betrieb bei der Erfüllung seiner Ziele bedient, ergibt sich die Art der vom Betrieb zu erfüllenden sozialen Funktionen und die Intensität ihrer Wahrnehmung aus reinen Zweckmäßigkeitserwägungens. Man wird in diesem Fall den Menschen „als Betriebsmittel den übrigen Betriebsmitteln gleichstellen und nur insofern anders behandeln, als ein lebendes, fühlendes, denkendes Betriebsmittel eben anders angefaßt werden muß als • Vgl. dazu: Nell-Breuning, O. v., „Der Mensch im Betrieb", in: ZfB, 20. Jhg. 1950, S. 259.

Begründung u. Wesen sozialer Funktionen d. Betriebes

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ein totes, gefühl- und vernunftloses Betriebsmittel" 4 . Unabhängig davon, ob ein Unternehmer humanitären und ethischen Forderungen gegenüber aufgeschlossen ist oder nicht, wird er im eigenen Interesse wenigstens in dem Maße soziale Aufgaben übernehmen, wie sich dieses für den Betrieb lohnt, d. h. kostensenkend oder/und leistungssteigernd auswirkt, denn insoweit kommt die Fürsorge für die Mitarbeiter mittelbar dem Betriebe zugute. 102 Die Wahrnehmung sozialer Funktionen als sozialethische Verpflichtung Die unter dem Gesichtspunkt, daß die im Betriebe tätigen Menschen für den Betrieb da sind, gewonnenen Erkenntnisse über die Notwendigkeit sozialer Betätigung des Betriebes müssen einseitig und daher unvollständig sein, genauso wie der Sachverhalt der reinen Betriebsbezogenheit einseitig ist und nicht alle Beziehungen zwischen Mensch und Betrieb widerspiegelt. Die volle Würdigung wird den sozialen Funktionen des Betriebes nur dann zuteil, wenn man die "Wechselbeziehung zwischen Mensch und Betrieb in die Überlegungen einbezieht und folglich die eine Teilwahrheit, daß die Menschen im Betriebe für den Betrieb da sind, durch die noch gewichtigere Teilwahrheit, daß der Betrieb für die im Betriebe tätigen Menschen da ist, ergänzt 5 . Dieser letztgenannte Aspekt der Wechselbeziehung zwischen dem Betrieb und den arbeitenden Menschen entspringt nicht betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen. Daß der Betrieb im Dienste der arbeitenden Menschen zu stehen hat, ist erst vom sozialphilosophischen Standpunkt einer übergeordneten Ziel- und Zweckordnung einzusehen, in der die grundsätzliche Auffassung über Sinn und Zweck des Menschenlebens und über die Stellung der Wirtschaft im Sinngefüge des Lebens zum Ausdruck kommt. « Nell-Breuning, O. v., a. a. Ο., S. 263. Vgl. Nell-Breuning, Ο. v., a. a. Ο., S. 260.

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

Was allgemein gilt: daß die Werke der Menschen um der Menschen willen da sind, das gilt im besonderen auch für den Betrieb. Seine Aufgabe besteht von diesem übergeordneten Standpunkt aus in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Aus seinem spezifischen Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung leitet der Betrieb sein Recht auf Existenz und seine Stellung im sozialen Leben ab. Bei dieser Betrachtungsweise kommt zur Geltung, daß der Betrieb dienende Funktion hat, also den Charakter eines Mittels trägt, das im Dienste der Menschen, der Träger der Bedürfnisse, steht und deren Lebensbedingungen verbessern helfen soll. Diese dienende Funktion des Betriebes besteht generell, auch - und sogar in besonderem Maße - gegenüber jenen Menschen, durch deren Bereitschaft, sich in den Betriebsprozeß einzufügen und sich dabei den Betriebszielen unterzuordnen, der Betrieb erst existenz- und funktionsfähig wird. Ihre Bedürfnisse und Interessen dürfen nur insoweit dem Betriebsinteresse untergeordnet werden, als der Sachzwang bei der Erstellung der betrieblichen Leistung dies gebietet. Soweit diesem Sachzwang Genüge getan ist, haben ihre Belange Vorrang vor jenen des Betriebes; andernfalls würde der Fall gegeben sein, daß der Betrieb um seiner selbst willen geführt wird. Aus dieser Auffassung von der grundsätzlichen Überordnung des Menschen über den Betrieb ergeben sich schließlich ganz andere Leitmaximen für die soziale Betätigung des Betriebes als aus jener Betrachtungsweise, die den Menschen im Betrieb lediglich als Betriebsmittel erkennt: Art und Umfang sozialer Betätigung des Betriebes dürfen nicht beschränkt sein auf das, was betriebsnotwendig ist, sie haben sich vielmehr auf das zu erstrecken, was menschlicherseits wünschenswert und betrieblicherseits möglich ist. Bestimmungsfaktoren für die Art der zu erfüllenden sozialen Funktionen sind demnach die vielfältigen Bedürfnisse materieller und immaterieller Natur, deren Befriedigung der Mensch mit seiner Eingliederung in den Arbeits-

Begründung u. Wesen sozialer Funktionen d. Betriebes

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prozeß anstrebt. Für die Art und den Umfang sozialer Betätigung gibt es (gedanklich) dort einen Optimalpunkt, wo die wirtschaftliche und die organisatorische Funktionsfähigkeit des Betriebes gerade noch voll gewährleistet sind. Dieser Optimalpunkt stellt die Grenze des betrieblicherseits Möglichen dar; sie darf keinesfalls überschritten werden, denn alles Mehr käme den Betriebsangehörigen in Wirklichkeit gar nicht zugute: es müßte die Lebensfähigkeit des Betriebes beeinträchtigen, von der doch letztlich das Wohlergehen der im Betrieb tätigen Menschen abhängt. „Innerhalb der Grenzen des Möglichen aber ist der Betrieb den in ihm tätigen Menschen es schuldig, sie nicht nur als menschliche Arbeitskräfte pfleglich zu behandeln, ihre körperliche, seelische und geistige Lebenskraft nicht zu verwüsten, sondern ihnen mit der Arbeits- und Verdienstgelegenheit zugleich auch die Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit, zum Reicherwerden an Persönlichkeitswerten zu bieten 6 ." Dabei kommt aber bereits zum Ausdruck, daß sich die soziale Betätigung des Betriebes nicht auf bloße Fürsorgemaßnahmen beschränken darf. Die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen gehen über das Verlangen nach materieller Sicherheit hinaus; sie wünschen eine sinnvolle Tätigkeit im Rahmen des Unternehmens und möchten dabei gleichzeitig ihre Bedürfnisse nach Kooperation, nach Mitsprache und Mitbestimmung, nach Anerkennung und nach beruflichem Fortkommen befriedigt sehen. Damit sieht sich der Betrieb aber mit sozialethischen Forderungen konfrontiert, die unvereinbar mit dem betrieblichen Gewinnstreben erscheinen. Auf kurze Sicht mag diese Betrachtungsweise wohl auch berechtigt sein: die Nichtbeachtung sozialer Funktionen ermöglicht niedrige Sozialleistungen und beläßt dem Unternehmer ein hohes Maß an persönlicher Machtfülle; beides wirkt sich positiv auf die Gewinnerzielung aus, hat aber auch seinen Preis; denn auf längere Sicht wird es dem so vorgehenden Betrieb schwerlich möglich • Nell-Breuning, O. v., a. a. Ο., S. 261.

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

sein, neue Arbeitskräfte zu gewinnen und eine leistungsfreudige Stammbelegschaft zu halten, zumal dann nicht, wenn andere Betriebe ein besseres Sozialverhalten an den Tag legen. 11 Die Aktualität der betrieblichen sozialen F u n k t i o n e n 110 Allgemeine Betrachtung Für die auf lange Sicht angelegte Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Betriebes ist eine gewissenhafte Wahrnehmung der sozialen Aufgaben ebenso notwendig wie eine zweckdienliche Erfüllung der technischen und wirtschaftlichen Funktionen. Man kann einen Betrieb nicht nur dadurch ruinieren, daß man nicht in der richtigen Art und Weise zu finanzieren, zu produzieren und abzusetzen versteht, sondern auch dadurch, daß man die Menschen im Betriebe nicht richtig zu behandeln und zu führen weiß. Gewiß wird nicht jede Fehlleistung im sozialen Bereich so unmittelbare Auswirkungen auf die Betriebsexistenz haben, wie sie etwa von wirtschaftlichen Fehldispositionen zu befürchten sind, doch ist zu bedenken, daß der Betrieb nur dann seine volle Leistungsfähigkeit entfalten kann, wenn er auch in seinem sozialen Bereich intakt ist. Gerade aber von dieser Sphäre her ist der Betrieb heute mehr denn je Belastungen und Gefahren ausgesetzt, die nicht von allen Betriebsführern gebührend ernstgenommen werden. Vielfach belassen es diese beim lautstarken Zurückweisen von Forderungen der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertreter und wenden sich im übrigen ihren - vermeintlich - allein wichtigen Aufgaben zu. So entsteht die Gefahr, daß ob der Aktualität der unbestreitbar ernsten und von den unternehmerischen Zielsetzungen her vorrangigen Probleme produktionswirtschaftlicher Natur, die im Zuge des technischen Fortschritts entstehen, und der absatzwirtschaftlichen (Marketing-) Probleme die Bedeutung der sozialen Probleme verkannt wird. Aber nicht

Aktualität der betrieblichen sozialen Funktionen

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nur im technischen und wirtschaftlichen Sektor sind wesentliche Veränderungen festzustellen; auch im sozialen Bereich zeichnen sich gewaltige Umwälzungen ab, die bereits jetzt, verstärkt aber in absehbarer Zukunft, für die Unternehmensleitungen mannigfaltige Konfliktsituationen heraufbeschwören und so den sozialen Funktionen des Betriebes eine besondere Aktualität verleihen werden. Diese zunehmende Bedeutung hat ihre Ursache in Entwicklungen der verschiedensten Art, die sich teils in den Betrieben selbst, teils außerhalb vollziehen. 111 Durch betriebsseitige Entwicklungen bedingte Aktualität Da der Betrieb den Gesetzen der Wirtschaftlichkeit unterliegt, ist er gezwungen, die sich ihm darbietenden Chancen zur Verbesserung seiner technischen und wirtschaftlichen Ergiebigkeit zu nutzen. Im Streben nach modernsten Produktionstechniken, nach straffen Organisationsformen, nach größeren Betriebseinheiten usw. äußert sich die Reaktion der Betriebsleitungen auf dieses wirtschaftliche Erfordernis. Vielfach aber lösen die im Betriebe eingeführten Neuerungen und Veränderungen nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern auch - als Sekundäreffekte — zusätzliche soziale Probleme aus. So wird ζ. B. von den verschiedensten Seiten immer wieder auf die Gefahr hingewiesen, daß die neuzeitlichen Produktionstechniken und Organisationsformen soziale Konflikte heraufbeschwören, weil sie die ihnen unterworfenen Menschen zum einen in ihrem Drang nach Persönlichkeitsentfaltung behindern und zum anderen mit völlig ungewohnten Arbeitsanforderungen belegen. Einen zentralen Gegenstand dieser Kritik stellt die bisweilen übertriebene Arbeitsteilung dar, deren nachteilige Auswirkungen auf die betroffenen Menschen bis heute noch nicht beseitigt werden konnten. Während einst der arbeitende Mensch in der

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Grundlagen

des betrieblichen

Sozialverhaltens

Regel den Weg eines Produktes vom Anfangs- bis zum Endzustand verfolgen konnte, oft sogar alle dafür notwendigen Arbeiten selbst ausführte, hat die Entwicklung diesen vorindustriellen Zustand längst überholt und das Prinzip der Arbeitsteilung zu einer der wichtigsten produktionstechnischen Grundlagen industrieller Produktivitätsfortschritte werden lassen: einerseits braucht der nur mit einer Teilaufgabe Beschäftigte nicht die umfassenden Kenntnisse und Fähigkeiten, die derjenige benötigt, der die gesamte Aufgabe auszuführen hat; andererseits kann er sich in stärkerem M a ß e der Erfüllung dieser Teilaufgabe widmen und es durch häufige Wiederholung und Übung zu besonderer Fertigkeit und speziellen Kenntnissen und Fähigkeiten bringen. Die neuzeitliche hochentwickelte Technik ist auf solche Spezialisten angewiesen, weil nur sie den hohen von ihr gestellten Anforderungen genügen können. Im Verlauf zunehmender Arbeitsteilung und Spezialisierung hat sich aber erwiesen, daß ihren Vorteilen schwerwiegende Nachteile gegenüberstehen 7 : 1. Die fehlende Beziehung des Arbeiters zum Betriebsprodukt und zur eigenen Arbeit mindert seinen Arbeitswillen und seine Arbeitsfreude. 2. Die ständige Wiederholung einer und derselben Arbeitsverrichtung löst im Laufe der Zeit einen Monotonieeffekt aus, der sich im Nachlassen der Reaktionsgeschwindigkeit und in zunehmender Arbeitsunlust äußert. 3. Die bei der Arbeitsteilung vorgenommene Trennung zwischen geistiger Arbeit und reiner Ausführungsarbeit bedeutet f ü r viele Arbeitskräfte eine einseitige Beanspruchung; das sich einstellende Gefühl des Unausgefülltseins erzeugt physische Störungen und Spannungen. 7 M i t diesem Problem hat sich insbesondere Friedmann beschäftigt. Vgl. Friedmann, G , „Grenzen der Arbeitsteilung", Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Band 7, 1959.

Aktualität der betrieblichen sozialen Funktionen

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Hinzu kommen die sozialen Probleme, die mit der fortschreitenden Technisierung und Automatisierung einhergehen. Zwar brachten diese Entwicklungen eine Reihe bedeutender Vorteile für die Arbeitnehmer, so vor allem die Verringerung körperlicher Schwerarbeit durch den Einsatz von Kraft- und Arbeitsmaschinen, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch moderne Anlagen und Verfahren zur Vermeidung von Staub-, Abgas-, Hitze- und sonstigen Belästigungen. Die Arbeitsanforderungen wurden dadurch aber nicht wesentlich verringert, sondern meist nur verlagert. Statt physischer menschlicher Arbeit wird heute zunehmend Maschinenbedienungsarbeit und Überwachungs- und Kontrollarbeit verlangt. Damit verbunden sind höchste Anforderungen an die Beobachtungsgabe, die Reaktionsgeschwindigkeit und das Konzentrationsvermögen der Arbeitenden. In Sekundenschnelle müssen sie ζ. B. optische oder akustische Signale aufnehmen und deuten und in rasche Anweisungen oder Handlungen umsetzen können. Und selbst dann, wenn längere Zeit alles normal läuft und keine Reaktion des Uberwachenden erforderlich ist, muß die Aufmerksamkeit während der gesamten Arbeitszeit voll aufrechterhalten bleiben, weil hohe Sachwerte und teure Betriebsstunden auf dem Spiel stehen und der Überwachende die Verantwortung dafür trägt. Durch die zunehmende Automatisierung der Produktionsabläufe wird so die Nervenbeanspruchung durch die Arbeit wesentlich vergrößert, was in den betreffenden Betriebsabteilungen häufig zu Spannungen und Reibereien führt, die früher in gleichem Maße nicht vorhanden waren, und betrieblicherseits Überlegungen und Maßnahmen zum Abbau der Konflikte erforderlich macht. Als weitere Folgerung aus den neuzeitlichen Entwicklungen der Produktionstechnik und deren in kurzen Intervallen sich vollziehenden Veränderungen ergeben sich die hohen Anforderungen an die Ausbildung der Arbeitenden und an ihre Bereit2

Mellerowicz, Soziale Funktionen

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

schaft, sich beruflich weiterzubilden. Auch hier erwächst dem Betriebe eine ganze Reihe dringender sozialer Aufgaben. Ferner wird der im Zuge der aufgezeigten Verlagerung der Arbeitsinhalte sich verwischende Unterschied zwischen Arbeiterund Angestelltentätigkeit Überlegungen dahingehend auslösen müssen, ob die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten heute noch zeitgemäß ist. Neben Entwicklungen im Bereich der Produktionstechnik sind es vor allem die aus dem allgemein zu verzeichnenden Wachstum der Betriebsgröße sich ergebenden Auswirkungen auf die menschliche Seite des Betriebes, die den sozialen Funktionen eine besondere Aktualität verleihen. Wenn die These gilt, daß Stillstand gleichbedeutend mit Rückschritt ist, so gehorcht der Betrieb einem Zwang, wenn er bestrebt ist, zu wachsen, sich zu vergrößern. Je größer aber ein Betrieb wird, desto extensiver werden die Beziehungen zwischen den Betriebsangehörigen untereinander und zwischen diesen und der Unternehmensleitung. Der Tendenz zum Verlust der betrieblichen Geschlossenheit wird dann zwar entgegengewirkt durch eine entsprechend straffe Organisation. Da diese aber im Wege einer entsprechenden Tiefengliederung der Betriebshierarchie lediglich die betrieblich erforderlichen (unpersönlichen) Beziehungen zwischen den Mitarbeitern bewerkstelligt, vermag sie den vom Einzelnen empfundenen Mangel an persönlichem Kontakt und die Anonymität des Einzelnen nicht aufzuheben; beides verstärkt sich eher noch. Nur im großen Betrieb ist es möglich, daß der Einzelne sich in die Anonymität versetzt fühlt und den Eindruck gewinnen kann, nur ein kleines Rädchen im Getriebe des Betriebes zu sein. Immer mehr Unternehmen wachsen in Größenverhältnisse hinein, bei deren Erreichen diese Schwierigkeiten auftreten und die größenbedingte Abnahme der inneren Verbundenheit der Mitarbeiter mit ihrem Betrieb zu einem echten Problem sozialer Betriebsführung wird.

Aktualität der betrieblichen sozialen Funktionen

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112 Durch außerbetriebliche Entwicklungen bedingte Aktualität Der Betrieb steht nicht isoliert da; als Organ der Gesamtwirtschaft steht er zu seiner Umwelt in enger Interdependenz. Abhängigkeit des Betriebes von der Gesellschaft, in die er eingebettet ist, besteht in vielerlei Hinsicht, ζ. B. als Abhängigkeit von ihren Rechtsgrundlagen, insbesondere von der "Wirtschaftsordnung und der Steuer-, Arbeits- und Sozialgesetzgebung, als Abhängigkeit von ihren Organisationen und Institutionen, als Abhängigkeit von den Ausstrahlungen geistiger und politischer Strömungen innerhalb der Gesellschaft, als Abhängigkeit von den Vorstellungen und Wünschen jener Mitglieder der Gesellschaft, die dem Betriebe als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen bzw. als solche vom Betriebe nachgefragt werden. Der Betrieb, so wie er sich uns konkret darstellt, ist deshalb stets zu einem wesentlichen Teil auch ein Ergebnis außerbetrieblicher, gesellschaftlich bedingter Einflußfaktoren. Diese aber stehen nicht ein für allemal fest; sie machen, ebenso wie die Gesellschaft, Wandlungen durch. In unserer Zeit sind es vor allem die sozialpolitischen Umwälzungen, die außergewöhnlich starke Ausstrahlungen auf die Wirtschaft im allgemeinen und auf die Betriebe im besonderen haben und es erforderlich machen, daß sich betriebswirtschaftliche Theorie und Praxis intensiv mit ihnen auseinandersetzen und sich um eine Neuorientierung betrieblichen sozialen Gebarens bemühen. Es sind vor allem die nachstehend aufgeführten Tatbestände, aus denen die gegenwärtigen Kernprobleme sozialer Betriebsführung ersichtlich werden: 1. Der sich in der Arbeitnehmerschaft vollziehende Bewußtseinswandel, 2. die zunehmende Macht der Gewerkschaften, 3. die Verknappung des Angebotes auf den Arbeitsmärkten, 4. der zunehmende staatliche Einfluß auf das betriebliche Sozialwesen, 5. die allgemeinen Demokratisierungsbestrebungen. 2·

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

Zu 1.: Die Arbeitnehmerschaft ist sich ihrer Bedeutung bewußter geworden und bewertet ihren Beitrag zum Betriebsprodukt entsprechend höher. Das findet zum einen seinen Ausdruck in höheren materiellen Forderungen an die Betriebe: es wird verlangt, daß der Faktor Arbeit in stärkerem Maße an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt wird, in Form höherer Löhne und Sozialleistungen und im Wege der betrieblichen Gewinnbeteiligung. Darüber hinaus zeigt sich der Bewußtseinswandel in einem stark gestiegenen - teils übersteigerten Selbstbewußtsein, mit dem Untergebene ihren Vorgesetzten und den Unternehmern gegenübertreten. Der Arbeiter, der seinem Chef mit Ehrfurcht und Untertänigkeit begegnet und sich mit der Rolle des Befehlsempfängers und -ausführenden beschied, gehört - und das ist gut so - der Vergangenheit an. Heute will der Arbeiter als Mitarbeiter anerkannt sein: er will am Betriebsgeschehen aktiv teilhaben, will informiert sein, gehört werden und soweit wie möglich das Betriebsgeschehen mitbestimmen, um nicht Gefahr zu laufen, menschlicher Willkür seitens des Unternehmers ausgeliefert zu sein. Zu 2.: In unserem freiheitlichen Staatswesen repräsentieren die Gewerkschaften einen Machtfaktor, der so bedeutsam ist, daß mitunter Zweifel angebracht sind, ob die Gewerkschaften nicht weit über ihre ureigenste Funktion hinausgehen. Ihre Macht reicht weit über den unmittelbaren Einfluß auf ihren Sozialpartner, die Arbeitgeber, hinaus in den Bereich parteiund staatspolitischen Geschehens, so daß die Gewerkschaften auch noch auf diesem Wege Einfluß auf die Betriebe nehmen. Zu 3.: Die Verknappung des Angebotes auf den Arbeitsmärkten - teilweise als Ausfluß gewerkschaftlicher Strategie künstlich hervorgerufen - hat zwischen den Unternehmen einen Wettbewerb um Arbeitskräfte entstehen lassen, in dem mitunter zu Mitteln gegriffen wird, die weder im Interesse der umworbenen Arbeitskräfte, noch im Interesse der Betriebe sein können, weshalb es rascher Bemühungen um eine Beseitigung der Mißstände bedarf. Die Kritik gilt vor allem jenen Metho-

Aktualität der betrieblichen sozialen Funktionen

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den des Anwerbens und Festhaltens von Arbeitskräften, bei denen der Betrieb hohe finanzielle Mittel (ζ. B. für Personalkredite, Werkswohnungen, Altersversorgung) aufwendet, um den Umworbenen den Eintritt in die Dienste des Betriebes schmackhaft und gleichzeitig eine Kündigung möglichst schwer zu machen, weil mit ihr Nachteile verbunden sind, die für den Betroffenen nicht tragbar sind. Zw 4.: Die betriebliche Entscheidungsfreiheit über Sozialleistungen, also die Möglichkeit, betriebliche Sozialpolitik zu betreiben, wird unter dem zunehmenden staatlichen Einfluß immer mehr beschnitten. Vielfach werden so aus Kosten, die bisher variablen Charakter hatten und der betrieblichen Situation angepaßt werden konnten, fixe Kosten mit aller ihnen innewohnenden Problematik. Dazu kommt, daß seitens des Gesetzgebers die unternehmerischen Rechte zusehends beschnitten werden und so die Gefahr droht, daß der betriebliche Willensbildungsprozeß immer mehr in Hände gelegt wird, die nicht über das notwendige Maß an Verantwortungsbewußtsein für die Belange des Betriebes verfügen. Zu 5.: Getragen werden die gegenwärtigen sozialpolitischen Veränderungen von den ihnen überlagerten allgemeinen Demokratisierungsbestrebungen, die sich gegen jedwede Art von Autorität zu richten scheinen und die wir heute in allen gesellschaftlichen Bereichen registrieren, nicht nur in den Betrieben, sondern auch in den Familien, in den Schulen und Universitäten, innerhalb der Kirchen, politischer Parteien usw. Hier erwächst uns die Gefahr, daß mit betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfordernissen nur oberflächlich vertraute, politisch ambitionierte Ideologen die Initiative an sich reißen und die Grundlagen unseres relativen Wohlstandes zu einem Experimentierfeld ihrer Vorstellungen machen, wenn nicht alle Kräfte aus betriebswirtschaftlicher Theorie und Praxis rechtzeitig diese Entwicklungen ernstnehmen und ihnen zu begegnen wissen.

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens 12 Die Entwicklung des betrieblichen Sozialwesens 120 Allgemeines

Um die in der heutigen Zeit von den Betrieben wahrgenommenen sozialen Funktionen richtig beurteilen zu können, ist es notwendig, die historische Entwicklung zu sehen. Erst durch die Kenntnis der Vergangenheit läßt sich die Gegenwart voll verstehen, lassen sich die Gestaltungskräfte erkennen, die auch für die Prognose der zukünftigen Entwicklung von Bedeutung sind. Wenn wir das betriebliche Sozialwesen seit Entstehung der industriellen Gesellschaft betrachten, also seit dem Zeitpunkt, in dem die Beachtung sozialer Funktionen im Betriebe notwendig wurde, so können wir drei Haupttypen - historische Grundtypen - betrieblicher Sozialpolitik feststellen 8 . Diese Typen charakterisieren jeweils ganz bestimmte Auffassungen über das betriebliche Sozialwesen. Sie traten zwar nirgends in völlig reiner Form auf, sondern bildeten mit ihren typischen Elementen eine Vielzahl von Mischformen. Andererseits ist aber doch jede historische Epoche durch einen bestimmten Grundtyp betrieblichen Sozialwesens charakterisiert. Die historischen Grundtypen betrieblichen Sozialwesens lassen sich als patriarchalisch, liberal oder kooperativ umschreiben. In den nächsten Abschnitten sollen ihre Wesenszüge skizziert werden. 121 Das patriarchalische betriebliche Sozialwesen Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden viele entscheidende Erfindungen gemacht, die die Grundlage für die darauf folgende Industrialisierung bildeten. Die Maschinen8 Vgl. dazu ausführlich: Briefs, G., „Die Problemstellung der sozialen Betriebspolitik", in: Probleme der sozialen Betriebspolitik, hrsg. von Briefs, G., Berlin 1930; Geck, L. Η. Α., „Soziale Betriebsführung", 2. erweiterte Auflage, Essen 1953; Herckner, H., »Die Arbeiterfrage", Bd. 1, 8. Aufl. Berlin/Leipzig 1922; Schmoller, G., „Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre", Bd. 1, München/ Leipzig 1923.

E n t w i c k l u n g d e s betrieblichen S o z i a l w e s e n s

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arbeit trat in immer stärkere Konkurrenz zur Handarbeit. Fabriken entstanden, die eine große Zahl von Arbeitern benötigten. Ihrer Nachfrage nach Arbeitskräften stand ein außergewöhnlich großes Angebot gegenüber, bedingt durch die seinerzeit zu verzeichnende rasche Bevölkerungsvermehrung und durch die allzu beschränkte Fähigkeit zur Aufnahme des vermehrten Arbeitskräfteangebots seitens der Landwirtschaft und des Handwerks. In der Landwirtschaft führte die Bevölkerungsvermehrung nicht nur dazu, daß sich ein Teil des Nachwuchses von den Hofgütern mit Anerbenrecht Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft suchen mußte; auch in Gegenden freier Teilbarkeit des Grundbesitzes sah sich ein Teil der Landbevölkerung gezwungen, gewerblicher Lohnarbeit nachzugehen, weil die sich wiederholende Teilung landwirtschaftlicher Anwesen eine natürliche Grenze dort fand, wo die Betriebseinheiten so klein wurden, daß sie die Versorgung der sie Bewirtschaftenden nicht mehr sicherstellen konnten. Im Handwerk hatten sich ähnliche Zustände entwickelt, da die Zahl der Meisterstellen nur sehr langsam anstieg und die Zahl der Anwärter um ein Drei- und Mehrfaches größer war9. So wurde eine große Zahl Angehöriger alter Handwerksfamilien gezwungen, Arbeit in Fabriken zu suchen. Die Vielzahl dieser, in anderen, herkömmlichen Berufen nicht oder nicht mehr zu beschäftigenden Menschen bildete am Anfang das Industrieproletariat, die Klasse der besitzlosen Arbeiter. „Die Massen selbst begriffen kaum was vorging; erlebten das Anwachsen der Städte, Entfremdung von der Natur, die Verhäßlichung einer sonst blühenden, schönen Welt; ließen sich in den Fabriken zusammenpferchen; wohnten in trostlosen Löchern, arbeiteten und darbten bis an ihr Lebensende; flogen bei jeder Absatz-, jeder Kreditkrise auf die Straße; ließen die Zerreißung ihrer Familien, deren Glieder allesamt mitarbeiten mußten und die Löhne der Männer « Vgl. Heide, L „ „Abriß der Sozialpolitik", 11. Aufl., Heidelberg 1959, S. 26.

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G r u n d l a g e n des betrieblichen S o z i a l v e r h a l t e n s

drückten, über sich ergehen; duldeten Berufskrankheiten, Unfallgefahr und sittliche Verrohung. England ging auf diesem Wege unter Führung einer puritanisch asketischen Unternehmerschicht voran. In Deutschland ist nicht ganz der gleiche Zustand erreicht worden. Der Staat sah zunächst noch kein Interesse, das ihn hätte veranlassen können, in das freie Spiel der Kräfte ernstlich einzugreifen. Er schaute zu, wie sich die alte Solidarität innerhalb der wirtschaftlichen Unternehmungen lockerte und wußte nicht, was er im chaotischen Niederbruch der alten Ordnung hätte der Bildung von Klassengegensätzen als einende Kraft entgegenstellen können 1 0 ." Neben dieser Entwicklung erfolgte außerdem noch eine Wandlung im Wirtschaftsdenken. Adam Smith, der Lehrer des Wirtschaftsliberalismus, hatte 1776 sein Buch über den „Reichtum der Nationen" veröffentlicht und damit Reaktionen gegenüber Jahrhunderte alten Barrieren im Wirtschaftsleben ausgelöst. Angesichts der herrschenden sozialen Mißstände versuchten zunächst einzelne Unternehmer, wie Robert Owen in England, I.e Play in Frankreich und Krupp, Oechelhäuser, Zeiss und andere in Deutschland, die Not der Arbeiter zu lindern. Das ganze 19. Jahrhundert bildete eine Kette betrieblicher sozialpolitischer Versuche, wobei das meiste und relativ erfolgreichste unter dem Sammelnamen des „Patriarchalismus" oder „Patronismus" zusammengefaßt werden kann. Die Grundidee des Patriarchalismus kann darin gesehen werden, daß „über das rein wirtschaftliche abgegrenzte Leistungs- und Gegenleistungsverhältnis hinaus Verpflichtungen nach Analogie des Grundherrn zum Untergebenen oder des wohlmeinenden Vaters zu seinen Kindern bestehen, Verpflichtungen für das leibliche und geistige Wohl der anvertrauten Menschen, die über den reinen Arbeits- und Zweckrahmen des Betriebes hinwegreichen, den Betrieb als das erweiterte Haus 11

Heide, L., a. a. O . , S. 27.

Entwicklung des betrieblichen Sozialwesens

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und die Belegschaft als die erweiterte Gefolgschaft oder Familie auffassen lassen" 11 . Dafür werden vom Arbeitnehmer gute Führung, Fleiß, Gehorsam und gute Gesinnung erwartet. Das Wesentliche des Patriarchalismus besteht darin, daß er die sozialen Probleme mit spezifisch patriarchalischen Mitteln der Fürsorge und Vorsorge auf der Grundlage einer Gesinnung zu lösen versucht, die neben den rein wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer auch menschliche gelten läßt. Wenn auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Patriarchalismus die Grundform des betrieblichen Sozialwesens bildete, so wurde er doch nie zur dominierenden Erscheinung, sondern blieb immer Einzelfall. Andererseits sind Einzelfälle patriarchalischen betrieblichen Sozialwesens bis in die heutige Zeit erhalten geblieben. Grundsätzlich konnte sich der Patriarchalismus auf die Dauer jedoch nicht behaupten, und zwar deswegen nicht, weil er unverträglich ist mit einem liberalen Konkurrenzsystem. Der patriarchalische Unternehmer konnte aus Gründen des Wettbewerbs und konjunktureller Wechsellagen den patriarchalischen Verpflichtungen auf die Dauer in vollem Umfange nicht nachkommen. „Dieser Mißerfolg des Patriarchalismus umschließt da, wo er ehrlich gemeint war, eine tiefe Tragik. Sie besteht darin, daß der patriarchalische Unternehmer eine vorindividualistische Gemeinschaftshaltung innerhalb einer individualistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung verwirklichen zu können glaubt. Der Patriarchalismus besaß unter den Bedingungen einer kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft eine ungenügende Systemkongruenz, er besaß nicht jene ethische Kongruenz zu dem Verhalten, das objektiv von der Mechanik einer wirtschaftsliberalen Spielregel gefordert wurde. Er war ein Irrtum, solange und soweit er nicht generell galt und verwirklicht wurde; er konnte aber nicht generell gelten und verwirklicht 11

Briefs, G., „Die Problemstellung der sozialen Betriebspolitik", a. a. O., S. 5.

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werden, weil die Grundstruktur der Wirtschaft eben individualistisch war 12 ." Immerhin fanden sich in der Form des Patriarchalismus erste Ansätze einer Betriebsführung, die den Arbeiter nicht nur als Träger des Faktors „Arbeit" sieht, sondern ihn auch als Mensch respektiert. Das eigentliche Verdienst dieser Betriebsführung besteht darin, daß sie wenigstens die größte Not der Arbeiter zu lindern vermochte. Aus sozialethischer Gesinnung heraus entstanden im Rahmen der Wohlfahrtspflege soziale Einrichtungen und Maßnahmen, und es wurden Möglichkeiten der Hilfeleistung erprobt, die zum Teil bis in die heutige Zeit Bedeutung behielten. So gesehen, liegt der Mißerfolg patriarchalisch orientierten betrieblichen Sozialwesens weniger im Fehlen sozialer Gesinnung und Verhaltensweise auf Seiten der Unternehmer begründet als vielmehr darin, daß der Patriarchalismus nicht der damaligen liberalen Wirtschaftsauffassung entsprach. 122 Das liberale betriebliche Sozialwesen Auf den Patriarchalismus folgte, sich unabhängig von ihm entwickelnd, das liberale betriebliche Sozialwesen. Es hatte seine Ursache in der wirtschaftsindividualistischen Haltung der Unternehmer, die von der Vorstellung ausgingen, daß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur reine Lohn- und Leistungsbeziehungen bestünden. Die liberale betriebliche Sozialpolitik vertrat damit den Standpunkt, daß sich die beste Sozialordnung aus dem freien Spiel der Kräfte ergebe, aus der völligen Freiheit jedes einzelnen Menschen. Es setzt sich die Ansicht durch, daß beim Streben eines jeden Menschen nach seinem größten Nutzen auch der Gesamtnutzen am höchsten sei. Die auf solchen Vorstellungen basierende liberalorientierte Betriebsführung leugnet jegliches Beu

Briefs, G., .Die Problemstellung der sozialen Betriebspolitik", S. 7.

Entwicklung des betrieblichen Sozialwesens

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stehen sozialer Verpflichtung den Arbeitnehmern gegenüber. Unternehmer, die in diesem Sinne ihren Betrieb führen, unternehmen deshalb von sich aus keinerlei Anstrengungen zur Erfüllung sozialer Aufgaben; allenfalls können sie sich dazu nur unter dem Zwang, der sich aus dem „freien Spiel der Kräfte" ergibt, genötigt sehen. Die Unternehmer der liberalen Anschauung vertreten bezüglich der Arbeitsverhältnisse die Uberzeugung 13 , 1. daß sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer frei darüber entscheiden kann, ob er in ein Arbeitsverhältnis eintritt oder nicht; 2. daß die Freiheit, einen Arbeitsvertrag zu schließen, jedem die Chance gibt, das für ihn beste Arbeitsverhältnis auszusuchen; 3. daß bei der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses die Arbeitsleistung auf der einen Seite voll durch die Lohnzahlung auf der anderen Seite abgegolten wird; 4. daß mit der Arbeitsleistung einerseits und der Lohnzahlung andererseits sämtliche Verpflichtungen der beiden Parteien erfüllt sind; 5. daß der Unternehmer in seinem Betrieb tun und lassen kann was er will und darüber niemandem Rechenschaft schuldig ist. In diesem Sinne betrachtet der liberale Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis als ein reines Herrschaftsverhältnis. Vom Zentralverband der Deutschen Industriellen wurde im Jahre 1905 klar ausgedrückt, daß die volle Gleichberechtigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur bis zum Abschluß des Arbeitsvertrages Gültigkeit haben könne, „denn mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages wird der Arbeiter der Untergebene des Arbeitgebers, er muß sich ihm unterordnen; der Arbeitgeber wird sein Herr" 1 4 . " Vgl. Geck, L. Η. Α., .Soziale Betriebsführung", a. a. O., S. 2S l. " Bueck, Η. Α., „Der Zentralverband Deutscher Industrieller", Bd. ΠΙ, Berlin 1905, S. 686.

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Wenn auch die Zahl der Unternehmer, die diesen extrem liberalistischen Standpunkt vertraten, verhältnismäßig gering war, so liegen doch hier die Ursachen für die sozialen Unruhen und Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt auf Grund dieser Unternehmerhaltung sah sich schließlich auch der Staat veranlaßt, sozialpolitisch tätig zu werden. Die großen Mißstände und die Not der Arbeitnehmer der damaligen Zeit veranlaßten den Staat, in seiner Sozialgesetzgebung den Betrieben ein Minimum an sozialen Verpflichtungen aufzuerlegen. Hier liegen die Ausgangspunkte unserer modernen sozialen Systeme. In Deutschland setzte sich, unter Führung Preußens, in dem zu Beginn der 70er Jahre geschaffenen Sozialgesetzgebungswerk der Gedanke durch, daß es die Aufgabe des Staates ist, für das Wohl aller Bürger zu sorgen. 123 Das kooperative betriebliche Sozialwesen Die Arbeitnehmer mußten im Laufe der Zeit zu der Überzeugung kommen, daß sie sich als Einzelne gegenüber der Macht der Unternehmer nicht behaupten konnten. So kam es zur Organisation der Arbeitnehmerschaft. Unter dem Einfluß von Schulze-Delitzsch bildeten sich Mitte des 19. Jahrhunderts viele „Arbeiterbildungs- und Genossenschaftsvereine", die als Vorläufer der Gewerkschaften betrachtet werden können. Seit 1868 schlossen sich nach dem Vorbild der englischen Trade Unions die Arbeitnehmer teils in sozialistischen Gewerkschaften (von Schweitzer, Fritzsche), teils in neutralen Gewerkvereinen (Hirsch, Duncker) zusammen. Die Gewerkschaften hatten jedoch damals als sogenannte ungefestigte und vom Staat nicht anerkannte, später sogar verbotene Gewerkschaften nur geringe Macht 15 . Sie entwickelten sich bis Ende des 19. Jahrhunderts sehr langsam: 1891 zählten sie 278 000, 1896 329 000 Mitglieder. 15

Vgl. dazu Briefs, G., „Zwischen Kapitalismus und Syndikalismus", Bern 1952.

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Die zunehmende Betriebsgröße, die notwendig gewordene straffe Organisation, die größere Arbeitsteilung und die damit zunehmende Entfremdung von der Arbeit erschwerten persönliche Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer mehr. So entstanden Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die Gewerkschaften, sondern daneben bildeten sich auch bereits Gruppen im Betriebe, die in verschiedenen Formen als Arbeiter- oder Betriebsausschüsse auftraten. Ihr Ziel war die verstärkte Zusammenarbeit aller im Betriebe Tätigen. Ihr Einfluß auf den Betrieb war jedoch noch gering. Parallel zu dieser Entwicklung wandelte sich aber auch das wirtschaftsindividualistische Verhalten liberal eingestellter Unternehmer zu einem sozw/-individualistischen Verhalten. Diese Entwicklung beruhte auf der sich verbreitenden Auffassung, daß zwischen Betrieb und Belegschaft eine gewisse Interessengleichheit besteht und sich gute Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirtschaftlich günstig auswirken. Profilierter Vertreter dieser Auffassung ist Taylor. Grundlage seiner „Wissenschaftlichen Betriebsführung" ist „die feste Überzeugung, daß die wahren Interessen der beiden ein und dieselben sind; daß die Wohlfahrt des Unternehmers auf lange Sicht nicht bestehen kann, wenn sie nicht von der Wohlfahrt des Arbeiters begleitet wird und umgekehrt" 16 . Als Folge dieses Wandels in der Haltung der Unternehmer entwickelte sich die kooperativ orientierte Betriebsführung, gekennzeichnet durch das Bemühen, die Arbeitnehmer am Betriebsgeschehen teilhaben zu lassen, sie für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Dabei ergaben sich zum Teil bemerkenswerte Ansätze einer Mitberatung und Mitsprache der Arbeitnehmer und ihrer Beteiligung an der Verwaltung betrieblicher Sozialeinrichtungen.

" Taylor, F. W., „The Principles of Scientific Management" (1911) und andere Schriften, in: Scientific Management, New York/London 1947, S. 10.

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens 124 Das moderne betriebliche Sozialwesen und die an dieses gestellten Anforderungen

Das Sozialwesen des Betriebes, so wie es sich heute darbietet, ist das Ergebnis einer Vielzahl unterschiedlicher, teils gegen-, teils gleichläufiger Bestrebungen einzelner Persönlichkeiten oder Institutionen während der letzten 100 Jahre. Nach dem ersten Weltkriege begannen sich die ersten groben Konturen des modernen betrieblichen Sozialwesens abzuzeichnen. Carl Duesberg, Chemiker und Leiter der IG-Farben-Werke, nahm zum ersten Male einen Sozialpolitiker als Sozialdirektor in den Vorstand des Unternehmens auf. Das R K W , der VDI, das Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA), das internationale Arbeitsamt in Genf und eine Reihe weiterer Organisationen begannen, sich intensiv mit den betrieblichen sozialen Problemen zu beschäftigen. Auch die Sozialwissenschaft nahm sich durch kritische Analysen des Betriebes unter soziologischen Gesichtspunkten in immer stärkerem Maße der betrieblichen sozialen Probleme an. Sombart, Plenge, Briefs, Hellpach, Geck, Lechtape, RosenstockHuessy sind nur einige der Namen von Wissenschaftlern, die in diesem Zusammenhang zu erwähnen sind. Besonders hervorzuheben ist das im Jahre 1928 gegründete „Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre" an der Technischen Hochschule in Berlin, das unter der Leitung von Prof. Götz Briefs stand und sich hohe Verdienste um die Erforschung der sozialen Funktionen des Betriebes erwarb, und durch dessen Arbeiten die sozialen Fragen des Betriebes erst einem größeren Kreise vertraut wurden. Heute sind diese Probleme weitgehend erkannt, aber freilich keineswegs gelöst. Das liegt daran, daß es für sozialpolitische Maßnahmen Rezepte und ausreichende Vorschriften weder gibt noch geben kann. Sozialpolitische Maßnahmen betreffen den Menschen; die Menschen aber sind verschieden, so daß auch die Wirkung der einzelnen Maßnahmen unterschiedlich ist.

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Zwar lassen sich für eine Reihe von Maßnahmen betrieblicher sozialer Betätigung allgemeine Erfahrungsregeln aufstellen, doch können diese für die praktische Betriebsarbeit nur dann von Nutzen sein, wenn sie den gegebenen betrieblichen Verhältnissen entsprechend interpretiert und angewandt werden. Die betriebliche Sozialpolitik ist damit individuell; sie wird es auch in Zukunft bleiben, wenigstens solange das System der Marktwirtschaft bestehen bleibt. Es ist nun aber nicht so, daß die sozialen Verhältnisse, die sich im Betriebe herausbilden, für immer feststehen. Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, aber auch die Menschen selbst ändern sich: in ihren Bedürfnissen und Erwartungen, ihren Ansichten und Motiven. Der große Komplex zwischenmenschlicher Beziehungen in einer Gesellschaft und damit auch in einem Betriebe befindet sich in einem ständigen Wandel. Der Wohlstandsstaat schafft neue Ausgangslagen; eine überaus kritische und mit den gegenwärtigen Verhältnissen unzufriedene Jugend geht von anderen Vorstellungen aus und stellt neue Forderungen. Das betriebliche Sozialwesen wird sich dem Wandel anpassen müssen, es muß dynamisch sein. Wenn es aber diese Eigenschaft besitzen soll, so erfordert das den Mut, die bisher praktizierten Sozialmaßnahmen - selbst, wenn diese bereits traditioneller Bestandteil betrieblichen Sozialwesens geworden sind - in Frage zu stellen und nötigenfalls abzubauen und neue, mehr Erfolg versprechende Methoden zu erproben und einzuführen. Wenn man nun aber um die Beharrlichkeit weiß, mit der die Arbeitnehmerseite an gewohnheitsmäßig gewährten Sozialleistungen festhält, so kann man auch ermessen, welche Schwierigkeiten jeglicher Änderung betrieblichen sozialen Gebarens im Wege stehen und die Dynamik der betrieblichen Sozialpolitik hemmen. 'Hauptursache für diese Einstellung dürfte der Mangel an Vertrauen in die soziale Haltung der Unternehmer im allgemeinen und in diejenige des eigenen Arbeitgebers im besonderen sein.

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Wie stark die gefühlsbedingten Vorurteile der Arbeitnehmer gegenüber den Unternehmern sind, mag daraus ersehen werden, in welchem M a ß e verschwommen, wenn nicht falsch, die Funktion des Unternehmers in der Marktwirtschaft - und damit seine Bedeutung - gesehen wird, was schon daraus erklärlich ist, daß viele Betriebsangehörige ihren Arbeitgeber nur als den „Chef" kennen, ihn kaum jemals gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen haben. Eine Befragung durch E M N I D über den „Unternehmer" bei 2000 Arbeitnehmern verschiedener Wirtschaftszweige ergab, d a ß 34 % der Befragten den „Unternehmer" nur mit „Profit" in Beziehung brachten, 39 °/o ihm Tüchtigkeit bescheinigten, 27 % von ihm „gar keine Ahnung" hatten. Als sehr positiv wird vermerkt, wenn der „Chef" „etwas f ü r die Leute tut", wenn er „soziale M a ß n a h m e n " einführt, als überaus negativ, wenn er „für die Arbeiter nichts übrig" und „zu wenig soziale Verantwortung" hat. So ist es nur natürlich, daß man eine stärkere Vertrauensbasis für die betriebliche Sozialpolitik sucht, zumal die materiellen, rein quantitativen Veränderungen in der sozialen Praxis der letzten Jahrzehnte so groß sind, daß sie in qualitative Veränderungen umschlagen müssen 17 , und das um so mehr, als die quantitative Vermehrung der sozialen Leistungen auf einer Woge der Konjunktur erfolgte. Wenn einmal eine rückläufige Konjunktur einen wetteren Zuwachs sozialer Leistungen nicht mehr zuläßt, oder gar einen Abbau der materiellen Aufwendungen für diese Leistungen erforderlich macht, so sind neue soziale Konflikte zu befürchten, wenn es nicht rechtzeitig gelingt, die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter auf der Grundlage gegenseitigen Verstehens und Vertrauens, der Erkenntnis gegenseitiger Abhängigkeit und dem Anerkenntnis „rechenhafter ökonomischer " Vgl. S. 13.

Achinger,

H.,

„Sozialpolitik

als

Gesellschaitspolitik",

Hamburg

19J8,

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Durchdringung" 18 auch aller sozialpolitischen Vorhaben zu gestalten. Die Initiative dazu hat von den Unternehmensleitungen auszugehen; bei ihnen liegen die Mittel und die Möglichkeiten, das vorhandene Ressentiment abzubauen und den Geist sozialer Zusammengehörigkeit wachzurufen. Wenn sich also die sozialpolitische Initiative von oben nach unten durch den ganzen Betrieb fortpflanzt, ist auch zu erwarten, daß der umgekehrte Weg, der von unten nach oben, eingeschlagen wird. Eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung größeren gegenseitigen Vertrauens im Betriebe ist ohne Zweifel die Mitarbeit der Arbeitnehmer an der Gestaltung der betrieblichen sozialen Sphäre. Wer zur Mitarbeit nicht aufgefordert wird, fühlt sich auch nicht erkannt und zur Mitarbeit verpflichtet; wer glaubt, daß seine Meinung doch niemanden interessiert, wird kaum Initiative entfalten. Eine wesentliche Aufgabe moderner Betriebsführung ist es daher, die Mitarbeiter darauf aufmerksam zu machen, daß auch sie zur Verbesserung des sozialen Lebens im Betriebe beitragen können und daß ein solcher Beitrag von ihnen erwartet wird. Eine der Möglichkeiten, die Mitarbeiter an die von ihnen erwartete Mitarbeit heranzuführen, besteht in einer ständigen Schulung. Je besser die fachliche Ausbildung und die Allgemeinbildung sind, desto mehr sind der Arbeiter und der Angestellte in der Lage, die Ziele der Unternehmensleitung zu verstehen, wozu es freilich auch ausreichender Informationen bedarf. Dann werden sie auch eher geneigt sein, deren Absichten zu unterstützen. Es ist keine Frage, daß ein Mitarbeiter, der seine Arbeit als einen sinnvollen Teil der Betriebsarbeit erkennt, nicht nur bessere Leistungen erbringen wird, sondern auch ein tieferes Gefühl der Betriebszugehörigkeit und Verantwortlichkeit für den Betrieb empfindet. In der Regel ist es einfacher, jenen Mitarbeitern, die dank besserer Ausbildung einen größeren Einblick in die Probleme 18

3

Helmut Schmidt auf dem Parteitag der SPD in Saarbrücken (1970).

Mellerowicz, Soziale Funktionen

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens

des Betriebes haben, die Notwendigkeit bestimmter, auch unpopulärer Maßnahmen verständlich zu machen. Zunehmende geistige Bildung hat aber meist auch verstärkten Individualismus zur Folge. Dies braucht jedoch für den Betrieb durchaus nicht von Nachteil zu sein. Individualisten fügen sich zwar nicht so leicht in den festgefügten Aufbau des Betriebes. Aber gerade deshalb können sie eher persönlich angesprochen werden, sind sie eher bereit und in der Lage, ihre eigene Meinung frei zu äußern. In diesem Zusammenhang muß auch auf die Bedeutung der informellen Strukturen eingegangen werden. „Während die formelle Organisation des Betriebes von vornherein Gegenstand von soziologischen Analysen gewesen ist, wurde die Bedeutung der informellen Ordnung erst relativ spät erkannt 1 '." Die Analyse informeller Strukturen erfolgte erst nach den Untersuchungen von Max und Alfred Weber im Rahmen des Vereins für Sozialpolitik, den Arbeiten von Rosenstock, Hellpach und Windschuh, im Hawthorne-Experiment von Elton Mayo. Das Hawthorne-Experiment vermittelt eindrucksvoll den Einblick in die Tatsache, daß die „Kooperation größerer Zahlen von Menschen an einem Ort gleichsam unbeabsichtigterweise nicht geplante Gruppenbeziehungen ermöglicht, oder gar im Sinne eines sozialen Imperativs erzwingt" 20 . Andererseits vertritt Lepsius die Meinung, daß die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft eher zu einem Abbau der informellen Gruppierungen im Betriebe tendiert: „Je weiter die Mechanisierung fortschreitet, je komplexer die technischen Anlagen werden, um so stärker treten technisch bedingte Kooperationsformen in den Vordergrund,... Das bedeutet: mit zunehmender Technisierung der Industriearbeit gewinnen die sozialen Kontakte, die sich aus der Zusammenarbeit ergeben, einen auf präzise Leistungserfüllung abgestellten und " Burisch, W., „Industrie- und Betriebssoziologie", Berlin 1969, S. 106. · · Burisch, W., a. a. O., S. 107.

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versachlichten Charakter. An die Stelle einer persönlich harmonisierenden Arbeitsgruppe mit gruppenspezifischen Verhaltensweisen und einem Gruppenführer tritt als neue Kooperationseinheit ein in der Ausführung seiner Arbeit vorzüglich spezialisiertes und technisch kompetentes Arbeitsgefüge, unter dessen Mitgliedern keine wechselseitige persönliche Verbundenheit zu bestehen braucht 21 ." Die Bedeutung der informellen Strukturen und der daraus resultierenden Kommunikationssysteme für den Betrieb und für die ganze Gesellschaft sollte jedoch auch trotz oder gerade wegen der von Lepsius vermuteten Entwicklungstendenz nicht unterschätzt werden. „Das informelle Kommunikationssystem dient keineswegs nur der innerbetrieblichen Integration und dem individuellen Sicherheitsbedürfnis, sondern zugleich auch der Organisation von Widerständen gegen als ungerecht empfundene Anordnungen22." Neben der Förderung gegenseitigen Vertrauens und Verstehens zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern muß eine moderne Sozialpolitik darauf bedacht sein, dem Menschen im Betriebe so viel Freiheit wie möglich zu erhalten23. Der moderne Mensch verlangt, stärker als früher, die Freiheit von Organisationen und Institutionen. Er will „sein eigenes Leben leben", es kommt ihm darauf an, daß er sich seine Freiheit erhält. Er empfindet es als Beeinträchtigung seiner Würde, daß er als Objekt von einer Vielzahl von Institutionen vertreten wird; er will als Subjekt frei handeln und entscheiden können und dafür auch die Verantwortung tragen. Diesem aufbegehrenden und an sich gesunden Streben des Einzelnen nach Freiheit und Selbstverantwortung kann jedoch verständlicherweise um des Gesamtwohles der Gesellschaft " Lepsius, R. M . , „Strukturen und Wandlungen im Industriebetrieb", München 1960, S. 19. » Burisch, W., a. a. O., S. 111. *» Vgl. dazu audi: Bednarik, K., „Der junge Arbeiter von heute - ein neuer Typ", Stuttgart 1953. 3*

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willen nicht in vollem Umfange nachgegeben werden. Ganz ohne Institutionen, die seine Interessen, wenigstens im Notfalle, vertreten, geht es nicht. Denn ein den Lebensunterhalt in jedem Notfalle sicherndes Vermögen besitzen nur wenige. So muß es Institutionen (Staat, Versicherungen, Betriebe usw.) geben, die dem in Not Geratenen Hilfe leisten. Die Frage ist nur, wie weit diese Hilfeleistung gehen soll. Übertriebene Fürsorge von oben schränkt die Freiheit des Einzelnen ein; zu geringe Hilfe setzt ihn zu sehr den Gefahren und Zufällen des Lebens aus. Einen Ausweg aus diesem Konflikt weist das Subsidiaritätsprinzip. Es verlangt, daß die nächst höhere Stufe innerhalb der menschlichen Gesellschaftsordnung erst dann ein Subsidium (eine Hilfeleistung, Unterstützung) zu übernehmen hat, wenn die vorausgehende Stufe dazu nicht in der Lage ist. Danach ist grundsätzlich jeder Einzelne für sich verantwortlich. Er hat seine Existenz selbst zu sichern und für sich selbst zu sorgen. Erst wenn seine Kraft dazu nicht mehr ausreicht, hat die Gesellschaft zu helfen. Diese Hilfe soll jedoch nicht zu einer ständigen Versorgung und zur Unselbständigkeit führen, sondern zur Wiederherstellung der Fähigkeit zur Selbsthilfe. Seine Begründung findet das Subsidiaritätsprinzip einmal in der Freiheit und persönlichen Würde des Menschen, der von der Gesellschaft nicht entmündigt werden soll, dann aber in der Struktur und Eigenart der kleineren Lebenskreise, in denen dem Einzelnen Aufgaben zufallen, die sinnvoll von einem umfassenderen Sozialgebilde überhaupt nicht erfüllt werden könnten. Eine Außerachtlassung des Subsidiaritätsprinzips in einem Staatssystem könnte zur Folge haben, daß sich der Staat zu einem reinen „Versorgungsstaat" entwickelt, der dem Einzelnen jede Selbstverantwortung abnimmt. Die gleiche Gefahr birgt der „Versorgungsbeineb" in sich, der das Schicksal der Arbeitnehmer gewissermaßen von der Wiege bis zur Bahre bestimmen möchte. Es steht außer Frage, daß in einem reinen „Versorgungsstaat" und einem reinen

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„Versorgungsbetrieb" die Freiheit des Einzelnen in unerträglicher Weise eingeschränkt wird. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das moderne betriebliche Sozialwesen bestrebt sein muß, folgenden Forderungen gerecht zu werden: 1. Es muß individuell sein; d. h. es muß soweit möglich auf die Gegebenheiten des einzelnen Betriebes und die Bedürfnisse des einzelnen Menschen abgestellt sein. 2. Es muß dynamisch sein; d. h. es muß sich den sozialen Veränderungen im Laufe der Zeit flexibel anpassen. 3. Es muß ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen. 4. Es muß die Initiative jedes Einzelnen fördern. Jedem Arbeitnehmer muß die Möglichkeit gegeben werden, das Betriebsgeschehen entsprechend seinen Fähigkeiten mitzugestalten. 5. Es muß das persönliche Moment in allen zwischenmenschlichen Beziehungen im Betriebe fördern. 6. Es muß dem Einzelnen soviel Freiheit wie möglich geben. 7. Es muß dem Einzelnen soviel soziale Sicherheit wie nötig geben, aber ohne den Willen zur Selbsthilfe zu schwächen. Die Darstellung der Anforderungen an das moderne betriebliche Sozialwesen bedarf noch einer Ergänzung: der Feststellung, worin die Ursachen dafür liegen, daß auch heute noch - trotz der unbestreitbar enormen Fortschritte unseres betrieblichen Sozialwesens - die sozialen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in vielen Fällen keineswegs als zufriedenstellend bezeichnet werden können. Die Ursachen sind sowohl auf Seiten der Arbeitgeber als auch auf Seiten der Arbeitnehmer zu suchen: 1. Der steile wirtschaftliche Aufstieg nach dem Zweiten Weltkriege verhalf den Arbeitgebern zu beachtlichen Gewinnen. Sicherlich war die notwendige Konsolidierung und Modernisierung der Betriebe oft nur durch Selbst-

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Grundlagen des betrieblichen Sozialverhaltens finanzierung über den Gewinn möglich, aber das oft rücksichtslose Gewinnstreben führte dazu, daß die sozialen Aufgaben als zweitrangig betrachtet und daher vernachlässigt wurden. Unmittelbar nach dem Kriege nahmen die Arbeitnehmer dieses Verhalten der Arbeitgeber in Kauf, weil sie durch die vorangegangenen Jahre der Entbehrung noch sehr anspruchslos waren. Die Erinnerung daran, daß diese Anspruchslosigkeit der Arbeitnehmer von den Arbeitgebern nicht selten rücksichtslos ausgenutzt wurde, ist noch heute durchaus lebendig. 2. Zunehmende Betriebsgröße, stärkere Rationalisierung und neue Organisationen der Betriebe lockerten oft die persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, die vorher bei dem gemeinsamen Wiederaufbau im kleineren Kreis bestanden hatten. Der Ausspruch: „Der Chef kennt und sieht uns heute nicht mehr", ist für diese Entwicklung bezeichnend. 3. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufstiegs hat sich das Privatvermögen der Arbeitgeber in bedeutend stärkerem Maße vergrößert als das der Arbeitnehmer. 1950 befanden sich in der Hand der Arbeitnehmer 40,5 % des gesamten Privatvermögens der BRD. Bis 1967 war dieser Anteil auf 23,9 °/o gesunken24. Gewiß ist der Lebensstandard der Arbeitnehmer in den vergangenen 20 Jahren beträchtlich gestiegen. Dieser Anstieg steht jedoch in keinem Verhältnis zu der Steigerung, die die Unternehmer erreichen konnten. Je mehr sich die Arbeitnehmer dieser unterschiedlichen Entwicklung bewußt werden, je sozialkritischer sie werden, desto unzufriedener werden sie mit ihrer Position und desto unerfreulicher wird sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestalten.

4. Die Unternehmer befinden sich in der Regel in der stärkeren Position, und nicht wenige nutzen sie auch aus, sobald "

Vgl. „Die Z e i t " vom 6. 2. 1970, S. 22.

Entwicklung des betrieblichen Sozialwesens

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ihre persönlichen Interessen auf dem Spiele stehen, selbst wenn dadurch Interessen der Arbeitnehmer verletzt werden. Das dürfte ein Grund sein für den aus Arbeitnehmerkreisen nicht selten zu hörenden Vorwurf, daß der Arbeitgeber in Notzeiten sich zwar wohl auch einschränken müsse, aber doch nie in seiner Existenz gefährdet sei. 5. Im Zuge der Hochkonjunktur ist bei vielen Arbeitnehmern ein Abnehmen der Arbeitsmoral zu beobachten. Die Übernachfrage nach Arbeitskräften in fast allen Bereichen der Wirtschaft veranlaßt offenbar zahlreiche Arbeitnehmer dazu, ihre Arbeit weniger ernst zu nehmen und weniger sorgfältig auszuführen, da die Gefahr, entlassen zu werden, gering ist. Die Rezession im Sommer 1967, in deren Verlauf eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ernstlich gefährdet war, führte zu einem deutlichen Rückgang der Krankmeldungen. Auch wenn eine direkte Beziehung zwischen Arbeitsmoral und Zahl der Krankmeldungen schwer nachweisbar ist, so kann aus dieser Erscheinung doch geschlossen werden, daß ein Teil der Arbeitnehmer eine recht zweifelhafte Arbeitsmoral besitzt. 6. Das zum Teil zu beobachtende, geschichtlich begründete Mißtrauen der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern hatte oftmals zur Folge, daß sich die Arbeitnehmer auch gegenüber gutgemeinten Angeboten der Arbeitgeber ablehnend verhielten, was wohlwollende Arbeitgeber verständlicherweise verärgern mußte. 7. Die immer mächtiger werdenden Gewerkschaften nutzen ihre Machtposition oftmals aus, um Forderungen an die Unternehmer zu stellen, denen diese nicht nachkommen wollen und zum Teil auch gar nicht nachkommen können. Sie erzwingen Lohnerhöhungen weit über die allgemeine Produktivitätssteigerung hinaus, ohne Rücksicht auf die spezielle betriebliche Situation und unter Inkaufnahme der preistreibenden Wirkung.

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Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

2 Gesetzliche und tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung 20 Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen als Bestimmungsfaktoren betrieblichen sozialen Gebarens 200 Übersicht über die Arbeits- und Sozialgesetze Der moderne Betrieb liegt „mehr denn je im Kraftfeld staatlicher und gewerkschaftlicher Sozialpolitik. Unsere Betriebe stehen schon lange nicht mehr im Mittelpunkt ihrer eigenen sozialpolitischen Maßnahmen, sondern sind zur Hauptkampflinie der Sozial- und Gesellschaftspolitik des Staates und der Gewerkschaften geworden"25. Der Betrieb ist damit zugleich Objekt und Subjekt betrieblicher Sozialpolitik. Der Einfluß des Staates und der Gewerkschaften auf die betriebliche Sozialpolitik drückt sich hauptsächlich in dem gesetzlichen und tariflichen Sozialaufwand des Betriebes aus. Die gesetzlichen Sozialaufwände werden durch staatliche Gesetze und Verordnungen den Betrieben auferlegt. Sie lassen dem einzelnen Unternehmer bei ihrer Auswahl und Bemessung keine Wahl. Während zu Beginn der Sozialgesetzgebung die Hauptziele der Sozialpolitik noch darin bestanden, der Arbeiterschaft eine materielle Existenzsicherheit zu geben und sie in die bestehende bürgerliche Ordnung einzugliedern, versucht die heutige Sozialpolitik, das Eigentum breiter zu streuen mit dem Ziel, die Selbsthilfe des Einzelnen in der sozialen Sphäre stärker herauszustellen. Die Entwicklung der staatlichen Sozialpolitik spiegelt sich in den folgenden Maßnahmen wider: 1871 Übernahme der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes auf das Reich !B T o l l e , G . , „Betriebliche Sozialpolitik Sozialarbeit heute, hrsg. v o m Deutschen Düsseldorf-Wien 1962, S. 9 ff.

- noch zeitgemäß?" in: Betriebliche Institut für Betriebswirtschaft e. V . ,

Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen 1878 1883 1884 1889 1897 1900 1903 1911 1911 1920 1920 1923 1923 1926 1927 1934 1934 1938 1938 1939 1946 1949 1951 1951 1952 1952 1952 1953

41

Gewerbe- und Fabrikaufsicht Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter Unfallversicherungsgesetz Gesetz über die Invaliden- und Altersversicherung Reform des Handelsgesetzbuches (Verbesserung der Arbeitsverhältnisse der Handelsgehilfen) Neufassung der Gewerbeordnungsnovelle (Einführung der Kaufmannsgerichte) Ausdehnung der Unterstützung bei Krankheitsfällen von 13 auf 26 Wochen Reichsversicherungsordnung (Zusammenfassung der bisherigen Sozialgesetzgebung) Angestelltenversicherung Mutterschaftsversicherung Betriebsrätegesetz Schwerbeschädigtengesetz Reichsgesetzliche Regelung der Knappschaftsversicherung Angestellten-Kündigungsschutzgesetz Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Gesetz zur „Ordnung der nationalen Arbeit" Erweiterung des Kündigungsschutzes für Frauen und Schwerbeschädigte Einführung der Pflichtversicherung des Handwerks Jugendschutzgesetz Einführung der Hausarbeitstage Betriebsrätegesetz Tarifvertragsgesetz Mitbestimmungsgesetz (Bergbau, Eisen und Stahl) Kündigungsschutzgesetz Betriebsverfassungsgesetz Mutterschutzgesetz (Neufassung 1968) Rentenaufbesserungsgesetz Schwerbeschädigtengesetz (neue Fassung 1961)

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Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

1954 1954 1957 1957 1960 1963 1968 1969 1969 1969 1969

Kindergeldgesetz (bis 1961 Ergänzungen) Kriegsfolgenschlußgesetz Rentenreform Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle Jugendarbeitsschutzgesetz (neue Fassung 1968) Bundesurlaubsgesetz Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsförderungsgesetz Kündigungsschutzgesetz Zweites Vermögensbildungsgesetz Lohnfortzahlungsgesetz

Aus der Vielzahl und Vielfalt der gesetzlichen Vorschriften, durch die dem Betriebe ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme und Verantwortung auferlegt wird, sollen im folgenden zwei Komplexe hervorgehoben und näher beschrieben werden: das Sozialversicherungssystem, weil es den Hauptteil der gesetzlichen Sozialleistungen des Betriebes bewirkt und das Fundament der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer bildet; das Lobnfortzahlungsgesetz, weil es das jüngste Beispiel gesetzlich auferlegter sozialer Aufgaben ist und ungewöhnlich nachhaltige soziale und kostenmäßige Auswirkungen hat. 201 Das Sozialversicherungssystem als Fundament für die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer Die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer soll in der BRD im wesentlichen durch die folgenden vier Versicherungszweige gewährleistet werden: 1. die Krankenversicherung 2. die Rentenversicherung 3. die Arbeitslosenversicherung 4. die Unfallversicherung. Die Arbeitgeber sind in zweifacher Hinsicht verpflichtet, für die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer zu sorgen. Zum einen

Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen

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sind sie dafür verantwortlich, daß ihre Mitarbeiter Mitglieder der obengenannten Versicherungen sind, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen auf sie zutreffen. Zum anderen - und das ist viel bedeutender - müssen sie einen bestimmten Prozentsatz der Versicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmer tragen. Nach der grundsätzlichen Regelung ist der Arbeitgeber verpflichtet, 5 0 % des Versicherungsbeitrages seiner Arbeitnehmer für die Krankenversicherung 50 «/ο für die Rentenversicherung 5 0 °/o für die Arbeitslosenversicherung 100 °/o für die Unfallversicherung zu tragen. Bezieht der Arbeitnehmer monatlich weniger als 180 D M , so trägt der Arbeitgeber 100 % des Versicherungsbeitrages für die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Bezieht der Arbeitnehmer monatlich weniger als 65 D M , so trägt der Arbeitgeber auch 100 °/o des Versicherungsbeitrages für die Krankenversicherung (diese Regelung dürfte nur noch bei Lehrlingen anwendbar sein). Diese Prozentsätze sind nur dann aussagekräftig, wenn die Beiträge für die Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung zum Bruttoentgelt ins Verhältnis gesetzt werden. Nach den Richtlinien der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin (AOK) ζ. B. gelten ab 1. Januar 1970 folgende Beitragssätze: 1. Krankenversicherung a) allgemeiner Beitragssatz b) erhöhter Beitragssatz

8,2

°/o des Bruttoentgelts

11,7

°/o des Bruttoentgelts

2. Rentenversicherung

17,0

°/o des Bruttoentgelts

1,3

°/o des Bruttoentgelts

3. Arbeitslosenversicherung

Vom Arbeitgeber sind folgende Anteile zu tragen:

44

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

1. Krankenversicherung a) allgemeiner Beitragssatz 4,1 °/o des Bruttoentgelts b) erhöhter Beitragssatz 5,85 % des Bruttoentgelts 2. Rentenversicherung 8,5 °/o des Bruttoentgelts 0,65 % des Bruttoentgelts 3. Arbeitslosenversicherung Der Beitrag, den der Arbeitgeber allein für diese drei Versicherungszweige aufbringen muß, beläuft sich also je nachdem, ob der Arbeitnehmer für die Krankenversicherung den allgemeinen oder den erhöhten Beitragssatz entrichtet, auf 13,25 bzw. 15 % des Bruttoentgelts. Hinzu kommen noch die Beiträge zur Unfallversicherung, die vom Arbeitgeber zu 100 % zu tragen sind. Sie lassen sich in obige Darstellung nicht einfügen, weil sie nach den jeweiligen Gefahrenklassen des Betriebes und nach der Höhe der Lohnsumme berechnet werden und damit von Betrieb zu Betrieb verschieden sind. Die obengenannten Beitragssätze gelten allerdings nicht unbegrenzt. Sie werden nach oben durch Beitragsbemessungsgrenzen eingeschränkt. Vom 1. Januar 1970 ab gelten hierfür folgende Beträge: Für die Beitragsabrechnung wird das Entgelt herangezogen in der Lohnzahlungszeitraum

Krankenversicherung bis D M

Renten- und Arbeitslosenversicherung bis D M

kalendertäglich

40-

60,-

arbeitstäglich bei 6-Tage-Woche bei 5-Tage-Woche

46,67 56-

69,23 83,08

wöchentlich 2wöchentlich 4wöchentlich 5wöchentlich

280560,11201400-

415,38 830,76 1661,52 2076,90

monatlich

1200,-

1800,-

Gesetzliche und tarifvertragliche R e g e l u n g e n

45

Die Aufgaben der vier Versicherungszweige hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung folgendermaßen gekennzeichnet 26 : a) Aufgabe der Krankenversicherung ist es, dem Versicherten und seinen Familienangehörigen bei Krankheit und Unfall ausreichende Hilfe durch Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser sowie Arzneien, Heil- und Hilfsmittel zukommen zu lassen. Daneben soll sie dem Versicherten Lohn oder Gehalt, soweit diese während der Arbeitsunfähigkeit nicht weitergezahlt werden, ersetzen. Gleichartige Leistungen werden auch bei Mutterschaft zur Verfügung gestellt; außerdem sind hierbei Vorsorgeuntersuchungen vorgesehen. Der Erhaltung der Gesundheit dienen die Maßnahmen zur Krankheitsverhütung und die Fürsorge für Genesende. Im Todesfalle wird Sterbegeld gezahlt. b) Die Aufgaben der Kentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der Knappschaftlichen Versicherung bestehen vor allem in der Erhaltung, Verbesserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten sowie in der Gewährung von Renten an Versicherte und an die Hinterbliebenen verstorbener Versicherter. Von der Rentenversicherung werden als eine Pflichtleistung auch die Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner entrichtet oder erstattet. c) Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist es, Arbeitslosenentgelt, Lohnausfallvergütungen bei Kurzarbeit oder bei bestimmten Stillegungen von Betrieben an den Arbeitslosen zu zahlen. Allerdings geht den Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Vermittlung von Arbeit vor. Die Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit umfassen insbesondere " Vgl. Schewe, I)., Nordhorn, K., „Ubersicht über die soziale Sicherheit in Deutschland. Stand: Januar 1967". Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.

46

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

die Förderung der Arbeitsaufnahme und der Berufsausbildung sowie berufliche Bildungsmaßnahmen die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft einschl. der Zahlung von Schlechtwettergeld. Die Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosenentgelt an Arbeitslose zu zahlen, ist ζ. Z., im Zustand der Vollbeschäftigung, unproblematisch: Die Zahl der offenen Stellen übersteigt bei weitem die Zahl der Arbeitslosen27. offene Stellen Arbeitslose März 1969 720 000 243 000 März 1970 835 000 198 000 (Auch ohne Berücksichtigung der Problematik einer Inbeziehungsetzung der Anzahl offener Stellen zur Anzahl der Arbeitslosen machen diese Zahlen deutlich, daß das Problem der Arbeitslosenversicherung ζ. Z. in erster Linie in der Vermittlung von Arbeit und erst in zweiter Linie in der Zahlung von Arbeitslosenentgelt liegen dürfte.) d) Aufgabe der Unfallversicherung schließlich ist es in erster Linie, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu verhüten. Nach Eintritt eines Schadensfalles soll die Unfallversicherung jedoch dem Verletzten, seinen Angehörigen oder seinen Hinterbliebenen Hilfe gewähren, entweder durch die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten, durch Berufshilfe oder durch Erleichterung der Verletzungsfolgen oder durch Leistungen in Geld an den Verletzten, seine Angehörigen oder seine Hinterbliebenen. Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung bilden die Komponenten des Sozialversicherungssystems, wie es sich in der BRD heute darbietet. Unsere Sozialgesetzgebung wird damit vom Versicherungsprinzip getragen. Da der An" Aus der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 1. Mai 1970, S. 40.

Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen

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spruch auf die Versicherungsleistung zum Teil auf Beitragsleistungen des Versicherten gegründet ist, kann in gewissem Umfange von Selbsthilfe gesprochen werden. Im Interesse des sozialen Fortschritts sollte die moderne betriebliche Sozialpolitik diesen Betätigungsraum für die Selbsthilfe und damit die Selbstverantwortung nicht zu stark einengen. Eine Sozialpolitik, die die Selbsthilfe des Einzelnen zu sehr einschränkt, muß zwangsläufig zum totalen Versorgungsstaat führen, der dem Einzelnen die Daseinsvorsorge abnimmt und damit die Aufgabe seiner persönlichen Verantwortung und - in letzter Konsequenz - auch seiner persönlichen Freiheit herbeiführt. „Fortschrittlich ist eine Sozialpolitik in einer freiheitlichen Staatsordnung nicht immer nur dann, wenn sie fortlaufend Leistungen ausbaut, sondern auch, wenn sie das Verantwortungsgefühl des Einzelnen stärkt 2 8 ." 202 Das Lohnfortzahlungsgesetz als jüngstes Beispiel gesetzlich auferlegter sozialer Aufgaben Mit dem Lohnfortzahlungsgesetz (LFG) hat der Bundestag ein sozial- und gesellschaftspolitisch überaus wichtiges Gesetz erlassen. Dieses am 1 . 1 . 1970 in Kraft getretene Gesetz verpflichtet die Arbeitgeber, auch den Arbeitern bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bis zu 6 Wochen den Lohn fortzuzahlen 29 . Damit wurde eine alte gesellschaftspolitische Forderung der Gewerkschaften nach grundsätzlicher Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten erfüllt. Bis Juli 1957 gab es gesetzliche Vorschriften über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle nur für Angestellte und Lehrlinge (auf Grund der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133 c GewO, 90 a BergG und § 4 der Anordnung über Erziehungsbeihilfen). Für die Arbeiter 88 Veröffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung; Bd. 8: „Leistungsbereitschaft, soziale Sicherheit, politische Verantwortung", Köln-Opladen 1967, S. 35. 88 Vgl. Doetsch, Schnabel, Paulsdorff, „Lohnfortzahlungsgesetz", Kommentar, Bergisch Gladbach 1969, S. 8.

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Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

galt bislang lediglich § 616 Abs. 1 BGB als nachgiebiges (d. h. abdingbares) Recht, hinzu kamen Tarifbestimmungen. Im übrigen waren die Arbeiter auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen30. Das neue Lohnfortzahlungsgesetz löst die Bestimmungen des Arbeiterkrankheitsgesetzes (ArbKrankhG) vom 26. Juni 1957 in der Fassung vom 12.7.1961 ab. Nach diesem Arbeiterkrankheitsgesetz erhielten die Arbeiter bereits seit dem 1.8. 1961 Krankenbezüge - aus Krankengeld und Arbeitgeberzuschuß - in Höhe ihres regelmäßigen Netto-Arbeitsentgeltes. (Nach dem Gesetz vom 26. 6.1957 erhielten sie zunächst nur einen Zuschuß des Arbeitgebers in Höhe der Differenz zwischen Kranken- bzw. Haushaltsgeld und 90 °/o des Netto-Arbeitsentgeltes.) Die Arbeiter waren damit bereits seit dem 1. 8.1961 den Angestellten im Krankheitsfalle formal wirtschaftlich gleichgestellt. Allerdings mußten sie - im Gegensatz zu den Angestellten - das Krankengeld in den ersten 6 Wochen der Arbeitsunfähigkeit über den Beitrag zur Hälfte mittragen, wobei sich die Nichtentrichtung der Rentenversicherungsbeiträge von den Krankenbezügen unter Umständen rentenmindernd auswirken konnte. Neben der wirtschaftlichen Gleichstellung wurde jedoch schon seit Jahren auch eine rechtliche Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfälle gefordert. Bereits 1962 hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle vorgelegt, der den Arbeitern einen unmittelbaren Anspruch gegen die Arbeitgeber einräumen sollte. Auch die Arbeitgeber hatten sich grundsätzlich für die materielle Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfalle ausgesprochen. Allerdings waren die Arbeitgeber der Auffassung, daß die materielle Gleichstellung im 30

S. 12.

Vgl.

Marienhagen,

„Lohnfortzahlungsgesetz",

Kommentar,

Heidelberg

1969.

Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen

49

Krankheitsfalle nicht über die Einräumung eines unmittelbaren arbeitsrechtlichen Anspruchs gegen den einzelnen Arbeitgeber verwirklicht werden sollte. Vielmehr strebten sie eine Lösung an, bei der der Arbeiter im Krankheitsfalle einen öffentlichrechtlichen Anspruch gegen die Krankenkasse zu Lasten eines besonderen Arbeitgeberbeitrages haben sollte. Maßgebend für den Vorschlag der Arbeitgeber waren - neben der andersartigen rechtlichen Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses - insbesondere: die Kalkuljerbarkeit des Risikos für den Betrieb, die um die Lohnsteuern verminderte Kostenbelastung, die ungeteilte Erhaltung der versicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen Krankenkasse und Versicherten hinsichtlich des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit auch in den ersten 6 Wochen. Obwohl auch die im Auftrage der Bundesregierung erstattete Sozialenquete diese versicherungsrechtliche Regelung der Lohnfortzahlung als den richtigen Weg bezeichnete, entschied sich - ungeachtet schwerwiegender sachlicher Bedenken - die Mehrheit des Bundestages aus gesellschaftspolitischen Überlegungen für die arbeitsrechtliche Form der Lohnfortzahlung 31 . Das neue Lohnfortzahlungsgesetz stellt die Betriebe und die Krankenkassen (es verlangte gleichzeitig eine Reform des Krankenversicherungsrechts, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll) vor schwierige Aufgaben. Nur die kleineren Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten erhalten von den Ortskrankenkassen, Landeskrankenkassen, Innungskrankenkassen, der Bundesknappschaft und der Seekrankenkasse einen Teil (80 %>) des an den Arbeiter im Krankheitsfalle fortgezahlten Arbeitsentgelts, sowie die darauf entfallenden, von den Arbeitgebern zu tragenden Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ersetzt. Die größeren Betriebe dagegen müssen " Vgl. dazu Doetsch, Schnabel, Paulsdorff, a. a. O., S. 8 f. 4

Mellerowicz, Soziale Funktionen

50

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

das Risiko der Erkrankung ihrer Arbeiter gemäß dem neuen Lohnfortzahlungsgesetz in voller Höhe allein tragen. 203 Wesen und Inhalt des Tarifvertrages Eine rechtliche Verpflichtung zur Erfüllung gewisser sozialer Aufgaben entsteht den Betrieben nicht nur aus gesetzlichen Bestimmungen, sondern auch aus zwischen den Tarifpartnern abgeschlossenen Tarifverträgen. Während aber der einzelne Betrieb auf die Entstehung gesetzlicher Normen keinen Einfluß hat, übt er auf das Zustandekommen der tariflichen Regelungen möglicherweise sogar starken Einfluß aus, namentlich dann, wenn er (in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber) selbst Tarifvertragspartei der Gewerkschaft ist. Ist er dagegen Mitglied einer als Tarifvertragspartei fungierenden Arbeitgebervereinigung, so hängt sein Einfluß von der Stellung ab, die er innerhalb dieser Vereinigung innehat. In jedem Falle aber stehen den Arbeitgebern heute sehr starke Gewerkschaften gegenüber, die über wirksame Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen gebieten, und deren Bestrebungen dahin gehen, möglichst viele der betriebsindividuell den Arbeitnehmern eingeräumten Vorteile in überbetrieblichen Abmachungen rechtlich zu verankern. Bedauerlicherweise wird dergestalt der individuelle Spielraum betrieblicher Sozialpolitik zunehmend eingeschränkt und einer kollektiven Nivellierung geopfert. „Tarifverträge haben namentlich den Zweck, den Mindestinhalt von Arbeitsverhältnissen und bestimmte andere Rechtsbeziehungen allgemein festzustellen 32 ." Hueck-Nipperdey 33 definieren den Begriff Tarifvertrag folgendermaßen: „Tarifvertrag ist der schriftliche Vertrag zwischen einem oder mehreren Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und einer oder mehreren Gewerkschaften zur Regelung von arbeitsrechtlichen 38 Herschel, W., „Arbeitsrecht", 14. Band aus Sdiaeffer's Grundriß des Redits und der Wirtschaft, Düsseldorf 1966, S. 27. ss Hueck-Nipperdey, „Grundriß des Arbeitsredtts", 4. Aufl. Berlin-Frankfurt/M., 1968, S. 191.

Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen

51

Rechten und Pflichten der Tarifvertragsparteien (schuldrechtlicher Teil) und zur Festsetzung von Rechtsnormen über Inhalt, Abschluß und Beendigung von Arbeitsverhältnissen, sowie über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen und gemeinsame Einrichtungen der Vertragsparteien (normativer Teil)." Der normative Teil des Tarifvertrages enthält diejenigen Vorschriften, die unmittelbar für die Einzelarbeitsverträge gelten sollen. Nach § 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) lassen sich die normativen Tarifbestimmungen in folgende Gruppen zusammenfassen: a) Abschlußnormen (Bestimmungen über das Zustandekommen neuer Arbeitsverhältnisse) b) Inhaltsnormen (Vorschriften, die den Inhalt des einzelnen Arbeitsvertrages betreffen) c) Normen betreffend betriebliche Fragen (Bestimmungen, durch die dem Arbeitgeber Leistungen nicht zugunsten eines einzelnen Arbeitnehmers, sondern zugunsten der gesamten oder einer bestimmten Gruppe der Belegschaft auferlegt werden). Der schuldrechtliche (obligatorische) Teil des Tarifvertrages betrifft die gegenseitigen Rechte und Pflichten der den Tarifvertrag schließenden Parteien. Er umfaßt: a) Bestimmungen und Verpflichtungen, die ausschließlich die Tarifvertragsparteien selbst betreffen, und b) Bestimmungen und Verpflichtungen, die auch die Mitglieder der Tarifvertragsparteien betreffen. Die beiden wichtigsten obligatorischen Bestimmungen sind die relative und die absolute Friedenspflicht. Die relative Friedenspflicht gebietet den durch den Tarifvertrag Verpflichteten die Einhaltung der tarifvertraglichen Normen. Bezüglich der nicht im Tarifvertrag geregelten Sachverhalte steht ihnen das Recht zu, Kampfmaßnahmen zu ergreifen. 4'

52

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

Die absolute Friedenspflicht - nur dann bestehend, wenn im Tarifvertrag ausdrücklich vereinbart - ist auf unbedingten Arbeitsfrieden gerichtet und verbietet jegliche Kampfmaßnahmen, auch solche gegen nicht im Tarifvertrag geregelte Sachverhalte. Nach § 4 TVG haben die Tarifvertragsnormen die negative Wirkung, daß sie nicht durch abweichende Vereinbarungen der Parteien ersetzt werden können (Unabdingbarkeit), und die positive Wirkung, daß sie ohne weiteres den Inhalt eines jeden unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitsverhältnisses beherrschen (Unmittelbarkeit). Grundsätzlich wirken die Tarifvertragsnormen, soweit es sich um Inhalts- und Abschlußnormen sowie um die Regelungen gemeinsamer Einrichtungen handelt, nur auf die Arbeitsverhältnisse, die dem zeitlichen, räumlichen, sachlichen und persönlichen Geltungsbereich der Tarifvertragsnormen unterstehen. Durch die sog. Allgemeinverbindlichkeitserklärung kann der Geltungsbereich der Tarifvertragsnormen jedoch auch auf Außenseiter ausgedehnt werden (unter Außenseitern werden hier Personen - Arbeitgeber oder Arbeitnehmer - verstanden, die nicht tarifgebunden sind). Nach Herschel wird jährlich für etwa 150 Tarifverträge die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ausgesprochen. 2 1 Gegenwärtige Schwerpunkte der Initiative von Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien zur Verbesserung der sozialen Stellung der Arbeitnehmer 210 Mitbestimmung der Arbeitnehmer 2100 Allgemeines zur

Mitbestimmung

Noch zu keiner Zeit wurde die Ausstattung der Arbeitnehmer mit größeren Mitbestimmungsrechten so viel diskutiert

Gegenwärtige Schwerpunkte

53

und so nachdrücklich gefordert, wie das heute geschieht. Sie bildet so einen der Schwerpunkte gesetzgeberischer Initiative zur Verbesserung der sozialen Stellung der Arbeitnehmer im Betrieb, wenngleich noch nicht abzusehen ist, auf welchen Kompromiß sich im Parlament Befürworter und Gegner einer erweiterten Mitbestimmung schließlich einigen werden. Die Frage, ob überhaupt und wenn ja, in welcher Form und in welchem Umfange den Mitarbeitern Mitbestimmungsrechte zu gewähren sind, führt in ihrer Auswirkung über den Betrieb hinaus in die Bereiche der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. In nahezu allen Bereichen unserer Gesellschaft sind gegenwärtig außerordentlich starke Demokratisierungsbestrebungen im Gange, und auch der Bereich der Wirtschaft ist davon nicht ausgenommen. Die Mitbestimmung ist deshalb nicht von ungefähr einer der zentralen Gegenstände gesellschaftspolitischer Diskussion. Man übersieht hierbei freilich nur zu oft über der Gesellschaft den Einzelnen und vergißt, daß man Konstante aus dem Bisherigen braucht, um Maßstäbe für das Neue zu haben. Wenn unter Mitbestimmung die Überwindung der „Objekt"stellung des Arbeitnehmers, die Aufhebung der durch die Arbeitsteilung und die neuen Produktionsverfahren entstandenen Entfremdung und eine aktive Beteiligung aller am Wirtschaftsprozeß gemeint wäre, würde kaum jemand Einwände gegen sie erheben. In einer Gesellschaft, in der ein verantwortliches Miteinander in den Vordergrund rückt, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Mitbestimmung in diesem allgemeinen Sinne und nicht ein „Determiniertsein von außen" Voraussetzung und Grundlage einer menschenwürdigen und funktionsfähigen Gesellschaft ist34. Bei den Diskussionen um die Mitbestimmung geht es gewiß nicht um diese allgemeine Form des „Mitbestimmens", des 81 Vgl. Rauscher, Α., „Einführende Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Mitbestimmungsdiskussion", in: Rauscher, A. (Hrsg.), Mitbestimmung - Referate und Diskussion auf der Tagung katholischer Sozialwissenschaftler 1968 in Mönchengladbach, Köln 1968, S. 13.

54

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

harmonischen Zusammenarbeitens. Die Meinungsverschiedenheiten beginnen erst dort, wo es konkret darum geht, Ziele und Wege der Mitbestimmung im Rahmen der partnerschaftlichen Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern festzulegen. Bei dieser Frage, wie weit die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betriebe gehen soll, vor allem, ob sie paritätisch sein soll, hat eine deutliche Polarisierung der Meinungen stattgefunden. Die Befürworter einer erweiterten Mitbestimmung der Arbeitnehmer (im wesentlichen vertreten durch die Gewerkschaften, insbesondere den DGB) erwarten von einer weitergehenden Mitbestimmung der Arbeitnehmer positive wirtschafte- und gesellschaftspolitische Auswirkungen. Die Gegner der erweiterten Mitbestimmung (im wesentlichen vertreten durch die Arbeitgeberverbände) halten das augenblickliche Maß an Mitbestimmung für ausreichend und befürchten von einer erweiterten Mitbestimmung starke negative Auswirkungen in wirtschaftspolitischer Hinsicht. Von einem übergeordneten Standpunkt wird man die Mitbestimmungsfrage vor dem realen Hintergrund sehen müssen, daß das Schicksal des arbeitenden Menschen eng mit dem Schicksal seines Betriebes verbunden ist und es aus dieser Sicht ungerechtfertigt erscheint, daß der Unternehmer über die wirtschaftlichen und sozialen Belange des Betriebes völlig allein entscheidet, zumal es durchaus möglich ist, daß einzelne Unternehmer den Betrieb als Instrument persönlichen Macht- und Profitstrebens gebrauchen, soweit ihnen das Gesetz und der Markt nicht Grenzen setzen. Die Alleinherrschaft des Unternehmers über die Geschicke des Betriebes ist daher nur solange gerechtfertigt, wie er der einzige ist, der die erforderliche Sachkenntnis, den gehörigen Weitblick und Uberblick und das notwendige Maß an Verantwortungsbewußtsein besitzt, um beurteilen und entscheiden zu können, wie der Betrieb zum Wohle aller von ihm Abhängigen zu führen ist.

Gegenwärtige Schwerpunkte

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Einer demokratisch organisierten Gesellschaft entspricht es, daß auch im Betriebe eine weiterentwickelte Mitarbeit und Mitberatung erfolgt, um zu erreichen, daß die im Betriebe Beschäftigten an allen Entscheidungen, von denen sie unmittelbar oder mittelbar betroffen werden, beteiligt sind. Man muß sich dabei aber im klaren sein, daß die Gewährung von Mitbestimmungsrechten nicht rascher vorangetrieben werden kann, als bei den Angehörigen des Betriebes die notwendige Einsicht, das Verantwortungsbewußtsein und die Fähigkeit zu selbständigem Entscheiden genügend entwickelt sind. Andernfalls würden sie überfordert, und der Betrieb würde Gefahr laufen, an Funktionsfähigkeit zu verlieren. Der fortschrittliche Unternehmer wird aus dieser Erkenntnis und Einsicht heraus und aus seinem Verantwortungsgefühl für das Gedeihen der Wirtschaft seine Rolle in dieser Gesellschaft neu überdenken müssen und schließlich aktiv an einer sinnvollen Verwirklichung der Mitbestimmung teilnehmen, um die Entwicklung in Bahnen zu halten, die den ökonomischen Notwendigkeiten nicht zuwider laufen. Welcher Grad der Mitbestimmung der rechte ist, läßt sich, wie meist bei derart komplexen Fragestellungen, mit letzter Exaktheit nicht sagen. Zu kompliziert sind die Zusammenhänge und zu differenziert sind die Verhältnisse bei den einzelnen Wirtschaftszweigen und Betrieben. Wir wollen versuchen, die wesentlichen Argumente beider Seiten darzustellen und kritisch zu betrachten. Das verlangt zunächst eine Darstellung der verschiedenen Formen der Mitbestimmung: der Mitsprache, des Mitwirkens, des Mitberatens, bis zur qualifizierten Mitbestimmung, zur Mitentscheidung. Es geht an dieser Stelle nur um die grundsätzliche Betrachtung, um das Problem an sich. Art und Umfang der Mitbestimmung, die ζ. Z. in der BRD besteht, werden dagegen im Abschnitt 42, insbesondere 421: Betriebsverfassung, behandelt.

56

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

2101 Formen der

Mitbestimmung

Die Bezeichnung „Mitbestimmung" umfaßt ein Vielerlei von Arten des Mitbestimmens; sie wird als Sammelbegriff für alle Arten, aber auch für die einzelne Art gebraucht. Die Mitbestimmung soll den Mitarbeiter bewußt in die Gestaltung der Betriebsvorgänge einbeziehen, damit er nicht uninformiert und darum uninteressiert die ihm übertragene Teilarbeit verrichtet. Die Miteinbeziehung des Arbeitnehmers in das Betriebsgeschehen kann nun auf verschiedenen Ebenen erfolgen: an seinem Arbeitsplatz, in seiner Abteilung, in bestimmten Bereichen (besonders im Sozial- und Personalbereich) und im Gesamtbetrieb. Sie kann in verschiedenem Grade (teilweise, erweitert und allumfassend) und in verschiedener Weise geschehen: durch Information, Zugestehen von besonderen Rechten (Beschwerderecht, Anhörungsrecht, Vorschlagsrecht bis zur Mitwirkung, Mitgestaltung und Mitentscheidung) und dies wiederum allgemein oder nur auf besondere, ihn betreffende Gebiete bezogen. Die betriebliche Mitbestimmung (besser Mitentscheidung) ist scharf zu unterscheiden von Mitsprache, Mitwirkung, Mitgestaltung. Mitsprache bedeutet Information und Mitberatung bei gemeinsamen Besprechungen zwischen Unternehmer und Betriebsrat, aber auch anderen, vor allem sachverständigen Mitarbeitern. Mitwirkung ist das Recht auf Hinzuziehung vor der Entscheidung (Recht auf Anhörung und Anspruch auf Verhandlung), so des Betriebsrats in bestimmten gesetzlich festgelegten Fällen. Mitbestimmung35 ist Mitentscheidung, begrenzt auf Teilgebiete oder insgesamt. Mitwirkung und Mitentscheidung um" Im bestehenden Arbeitsrecht ist das Mitbestimmungsrecht recht kompliziert geregelt. Es läßt sich in ein echtes und ein halbechtes Mitbestimmungsrecht einteilen. H a t der Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht, so kann, sofern keine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zustande kommt, eine Einigungsstelle angerufen werden, deren Entscheidung verbindlich ist. H a t der Betriebsrat bezüglich einer M a ß n a h m e ein halbechtes Mitbestimmungsrecht, so bedeutet das, (Fortsetzung s. S. 57)

Gegenwärtige Schwerpunkte

57

fassen ein Vetorecht, wenn keine Einigung erzielt werden kann. Über die meisten dieser Fragen besteht im allgemeinen kein Meinungsunterschied. Sie sind unabdingbarer Bestandteil einer sozial orientierten Betriebsführung. Was zur Frage steht, ist die paritätische Mitbestimmung durch die Vertreter der Arbeitnehmer, insbesondere dann, wenn diese Vertreter nicht der Belegschaft angehören. 2102 Die paritätische

Mitbestimmung

Betrachten wir zunächst die Argumente der Befürworter einer paritätischen Mitbestimmung: a) Die Großunternehmen haben in unserer kapitalistischen Gesellschaft eine sehr große wirtschaftliche - und damit auch politische - Machtstellung. Die Mitbestimmung soll eine bessere Kontrolle dieser Macht ermöglichen und so einen Machtmißbrauch verhindern. b) Durch die Mitbestimmung soll eine Demokratisierung der Wirtschaft erreicht werden. Von dieser Demokratisierung erhofft man sich eine stärkere Integration des Arbeitnehmers in den Betrieb und eine stärkere Verantwortung des Einzelnen für die gesamte Wirtschaft. c) Die Mitbestimmung soll schließlich dazu beitragen, die gesamte Arbeitswelt menschlicher zu gestalten, Lohnabhängige und -unabhängige gleichberechtigt nebeneinander zu stellen oder - extrem ausgedrückt - die Lohnabhängigen aus ihrem Untertanendasein befreien. d) Die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sollen durch die Mitbestimmung gleichberechtigt werden. Durch diese Gleichberechtigung soll die Vorherrschaft des Kapitals gebrochen werden. daß er zunächst vom Arbeitgeber informiert werden muß. Bei Bedenken des Betriebsrats gegen die beabsichtigte Maßnahme kommt es zu Verhandlungen, nach deren Abschluß die Maßnahme vom Arbeitgeber auch ohne Einigung vorläufig durchgeführt werden kann. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung aus einem der im Gesetz näher angeführten Gründe und entspricht das Arbeitsgericht seinem Antrage, so hat dies das Ende der vorläufigen Maßnahme zur Folge.

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Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

Zw a): Daß es notwendig ist, große wirtschaftliche Macht zu kontrollieren, wird nicht bestritten. Problematisch wird es allerdings, wenn festgelegt werden soll, durch wen diese Kontrolle erfolgen soll. Bei der Mitbestimmung nach dem Montanmodell würde diese Kontrollfunktion weitgehend den Gewerkschaften, also einer einseitig ausgerichteten Interessenvertretung mit beträchtlicher Macht, zufallen, nicht einer neutralen Instanz. Um einen Machtmißbrauch zu verhindern, würde das wiederum eine Kontrolle der Macht „Gewerkschaft" verlangen. Zw b): Demokratisierungsbestrebungen in einer arbeitsteiligen Leistungsgemeinschaft, wie im Betrieb, werfen grundlegende Probleme auf. Im Betriebe darf - wenn er leistungsfähig sein soll - nicht allein die Zahl der Köpfe den Ausschlag geben, sondern vor allem der Sachverstand in den Köpfen. Das demokratische Prinzip ist für eine Leistungsgemeinschaft, wie der Betrieb es ist, keineswegs das optimale Organisationsprinzip. Überdies kann auch bei der Montanmitbestimmung keineswegs von einer Demokratie im ursprünglichen (politischen) Sinne gesprochen werden, da die in diesem Modell einflußreichen Gewerkschaften nur einen relativ kleinen Teil der Belegschaft vertreten. Zw c): Gewiß ist es erstrebenswert, die Arbeitswelt noch menschlicher zu gestalten; fraglich ist jedoch, ob hierfür die Mitbestimmung das geeignete Instrument ist. Die große Masse der Arbeitnehmer hat nur sehr unklare Vorstellungen von der Mitbestimmung. „Hautnahe" Dinge wie Verdienst, Urlaub, sonstige Vergünstigungen hängen nur unmittelbar, wenn überhaupt, mit der Mitbestimmung zusammen und lassen so die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der augenblicklichen Bewußtseinslage gar nicht so erstrebenswert erscheinen36. Zu d): Als Motivierung für eine so weitgehende Mitbestimmung, wie es die paritätische Mitbestimmung ist, wird besonders die „Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit" angegeben: der Betriebserfolg sei das Ergebnis des Zusammen"

Vgl. dazu: Stellung der Arbeitnehmer zur M i t b e s t i m m u n g , S. 62 f.

Gegenwärtige Schwerpunkte

59

wirkens von Kapital und Arbeit, wobei unter Arbeit das partnerschaftliche Wirken aller im Betriebe zu verstehen ist. Es sei nicht so, wird gesagt, daß das Kapital die Arbeit in Dienst nimmt, sondern daß umgekehrt das Kapital der Arbeit zu dienen hat. Diese Umkehrung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit ist unrealistisch. Sie übersieht, daß es darauf ankommt, von wem die Initiative zur Gründung und Fortführung des Betriebes ausgeht und wer alle Erfordernisse der Unternehmensführung auf sich nimmt: den Kapitaleinsatz, die Organisation, die Risikoübernahme, die Verantwortung, selbst auf die Gefahr, daß es seine Existenz kostet. Unter diesen Umständen bei Entscheidungen im Betriebe von Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit zu sprechen, ist wohl kaum berechtigt, höchstens in sozialer und soziologischer Betrachtung. Keineswegs kann daraus ein Recht auf erweiterte Mitbestimmung hergeleitet werden. Die Argumente der Gegner einer paritätischen Mitbestimmung sind bei der Kritik der Argumente der Befürworter bereits zum Teil dargelegt worden. Sie lassen sich etwa unter den folgenden Punkten zusammenfassen37: a) Die Gewerkschaften erlangen durch die Mitbestimmung eine zu große Macht. Sie aber sind bereits stark genug, um berechtigte Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen. Erlangen die Gewerkschaften noch größere Macht, so wird das Gleichgewicht, das die Arbeitgeber und Unternehmer ζ. Z., beispielsweise bei Abschluß der Tarifverträge, haben, aufgehoben. Die Gewerkschaften bekämen doppeltes Gewicht: als Tarifpartner und als Arbeitgeber (Mitglieder im Aufsichtsrat und im Vorstand). Die Tarifautonomie wäre nicht mehr vertretbar; ihre Voraussetzung ist das Gleichgewicht der Tarifpartner. " Vgl. auch: Deutsches Industrieinstitut (Hrsg.), Mitbestimmung - Forderungen und Tatsachen, 2. ergänzte und erweiterte Auflage, Köln 1968, S. 43.

60

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

b) Ubernationale „Europa-Gesellschaften" würden ihren Sitz nicht in einer mitbestimmten BRD nehmen; ausländisches Kapital würde die mitbestimmten deutschen Unternehmungen meiden. c) Die Mitbestimmung würde den Eigentümer zwingen, nur so über sein Eigentum zu verfügen, wie es die Gewerkschaftsfunktionäre für richtig halten und zulassen. Die Rechte des Eigentümers würden demnach eingeschränkt. Ob diese Einschränkung im Sinne des Artikels 14 des Grundgesetzes möglich ist, ist mehr als fraglich. d) Die Mitbestimmung bringt den Arbeitnehmern keine sichtbaren Vorteile. Die Arbeitnehmer sind bisher materiell nicht zu kurz gekommen. Voraussetzung für weitere Verbesserungen ist einzig die Leistungsfähigkeit des Betriebes, aber gerade diese Leistungsfähigkeit kann durch Mitbestimmung nicht gesteigert werden. Es wird noch eine Fülle anderer Argumente angeführt; auf sie wird in anderem Zusammenhange weiter unten eingegangen werden. Die oben angeführten vier sind aber die wichtigsten. Zur Weiterführung des Problems und vor einer eigenen Stellungnahme sollen ergänzend noch drei weitere Funkte herangezogen werden: a) die Entstehungsgeschichte der Montan-Mitbestimmung b) die Stellung der Arbeitnehmer zur Mitbestimmung c) der Biedenkopf-Bericht. Zu a): Zur Entstehungsgeschichte

der

Montan-Mitbestimmung

„Die Gewerkschaften fordern, daß die gesetzliche Sonderregelung über die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften in den Vorständen und Aufsichtsräten der Montanunternehmen jetzt für alle Unternehmen aller Wirtschaftszweige eingeführt werden soll, soweit ein Unternehmen zwei von folgenden drei Voraussetzungen erfüllt: 2000 Arbeitnehmer, 50 Mill. DM Bilanzsumme, 100 Mill. DM

Gegenwärtige Schwerpunkte

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Umsatz. Die Aufsichtsräte der Montanunternehmen müssen nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz paritätisch mit Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern und mit einem neutralen Mann besetzt werden. Die überwiegende Zahl der Arbeitnehmervertreter wird von den Gewerkschaften berufen und ist von ihnen rechtlich wie faktisch abhängig 3 8 ." Bei dieser so weitgehenden Mitbestimmung ist es wesentlich zu wissen, wie es zu dieser Regelung gekommen ist. Sie ist kein deutsches Produkt, sondern ein britisches, durchgesetzt in der britischen Besatzungszone (1947). Das verfolgte Ziel war ein politisches: die Schwächung der deutschen Wirtschaftskraft (vor allem der Schwerindustrie), die ihre Stärke im Zweiten Weltkriege so deutlich bewiesen hat. Es ist bezeichnend, daß die damalige Labour-Regierung die gewerkschaftliche Kontrolle der Montanunternehmen in der britischen Besatzungszone einführte, während sie es - als sozialistische Partei - im eigenen Lande nicht tat. Dieses Besatzungsrecht wurde 1951 von der B R D im Mitbestimmungsgesetz übernommen. Damit wollte man die demontagefeindliche Haltung der Belegschaften belohnen, dazu jeden Anlaß zum politischen Streik (wegen Aufhebung der Mitbestimmung) vermeiden. Aber in diesem Gesetz eine Grundlage zur zukünftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gestaltung sehen zu wollen, ist alles andere als berechtigt. Dagegen sprechen Ursprung und verfolgtes Ziel dieses Mitbestimmungsgesetzes, das nirgends in der Welt eine Nachfolge gefunden hat. Nun wird von den Freunden dieses Gesetzes immer wieder behauptet, es habe sich in der Praxis bewährt. Das aber ist eine Legende. Es hatte ja bisher noch keine Gelegenheit, sich zu bewähren. Der Prüfstand der Bewährung wären Depression und Krise. Die seit langem herrschende Uberbeschäftigung 98 Balke, S., „Idee und Wirklichkeit der ,Mitbestimmung'", in: Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik, Jhg. 1966, Heft 1, S. 19.

62

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

konnte alle Fälle entstandener Schwierigkeiten leicht auffangen. Die wirtschaftsschädigende Wirkung dieser Form der Mitbestimmung ist nur deswegen erträglich geblieben, weil es nur in einem beschränkten Wirtschaftsgebiet, nur in der Schwerindustrie, angewandt wurde. Nun aber soll es, nach dem Willen der Gewerkschaften, in allen Wirtschaftszweigen Geltung bekommen. Damit würde die Macht der Gewerkschaften gewaltig verstärkt werden. Sie würden geradezu eine Kontrolle über die Wirtschaft erhalten, die aber gebührt allein der Regierung, die wiederum der Kontrolle des Parlaments unterliegt. Besonders wichtig aber ist, daß die qualifizierte Mitbestimmung dem einzelnen Arbeitnehmer nichts nützt, „jedenfalls nicht in dem Sinne einer Erweiterung seines Freiheitsbereichs oder seiner Integration in das Unternehmen oder in die Gesamtgesellschaft. Aber gerade diese Vitalsituation zu verbessern, sollte unsere vornehmste Aufgabe sein, nicht hingegen die stufenweise, aber konsequente Beseitigung unseres erfolgreichen Systems, dessen wirtschaftliche Erfolge unbestreitbar sind, eines Systems, das im gesellschaftlichen Bereich einen relativ hohen, um nicht zu sagen, optimalen Freiheitsgehalt aufweist und das überdies kontinuierlicher Verbesserungen, insbesondere durch partnerschaftliches Zusammenwirken in allen Teilbereichen, fähig ist. Einer solchen Kooperation, wie sie auch im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen ist, würde aber der Boden entzogen sein, wenn sich der eine Partner zum Herrn über den anderen aufgeschwungen hätte" 39 . Zu b): Stellung der Arbeitnehmer

zur

Mitbestimmung

Wie wenig die Mitbestimmung von der Arbeitnehmerschaft, selbst von Mitgliedern des DGB, geschätzt wird, hat eine im Jahre 1969 durchgeführte Untersuchung des INFAS (das vor allem für die SPD, die Gewerkschaften und die gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen arbeitet) deutlich gemacht: " Balke, S., a. a. O., S. 21.

Gegenwärtige Schwerpunkte

63

In allen untersuchten Gruppen gibt es nur eine Minderheit, die die Mitbestimmung auch auf Unternehmensentscheidungen ausgedehnt haben möchte: von der Bevölkerung 22 °/o von den berufstätigen Arbeitnehmern 27 °/o von den befragten DGB-Mitgliedern 38 °/o. Auch in der Frage der Einschaltung von Gewerkschaftsfunktionären in die Mitbestimmung ist eine gewisse Zurückhaltung bemerkbar. Es sprachen sich dafür aus: von allen berufstätigen Arbeitnehmern etwas weniger als 50% von Nichtmitgliedern der Gewerkschaften nur 30 °/o. In Anbetracht der jahrelangen Werbung der Gewerkschaften für die Mitbestimmung sind diese Befragungsergebnisse äußerst bezeichnend und klärend und keinesfalls dazu geeignet, die Mitbestimmungsforderungen damit begründen zu wollen, daß diese ein wesentliches Anliegen der Arbeitnehmer seien. Viel wichtiger ist für die Arbeitnehmer die Sicherung der Arbeitsplätze und die Stabilität der Währung. Das verlangt aber leistungsfähige Betriebe, was wiederum insbesondere von der Fähigkeit der Führung abhängt. Zu c): Der

Biedenkopf-Bericht

Eine positive Stellung zur Mitbestimmung nimmt der Biedenkopf-Bericht ein, wenn auch nicht in der vom DGB geforderten Form. Er distanziert sich klar von der MontanMitbestimmung. Die entscheidenden Feststellungen der Biedenkopf-Kommission sind: Die institutionelle Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen ist geeignet, die Marktwirtschaft auch politisch zu sichern; sie trägt dazu bei, die Verwirklichung der sozialen Prinzipien im Bereich des Unternehmens zu sichern, ohne daß der Grundsatz der Rentabilität unternehmerischen Handelns aufgegeben wird.

64

T a r i f v e r t r a g l i c h e B i n d u n g e n sozialer B e t r i e b s f ü h r u n g

Der gegen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer geäußerte Verdacht der Fernsteuerung hat sich als nicht verifizierbar erwiesen. Die Sorge, daß die paritätische Mitbestimmung den Zugang des Unternehmens zum Kapitalmarkt erschweren könne, läßt sich nicht rechtfertigen. Die Kommission hat nicht feststellen können, daß sich die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmenskonzentrationen hemmend ausgewirkt hat. Wenn sich die Biedenkopf-Kommission trotz ihrer positiven Haltung zur Mitbestimmung nicht hat entschließen können, die Parität der Sitze im Aufsichtsrat zu empfehlen, sondern der Anteilseignerseite eine Mehrheit eingeräumt hat, so, weil sie sich von der Erwägung leiten ließ, daß sich die Politik des Aufsichtsrats ungeachtet der sozialen und sozialpolitischen Bindungen des Unternehmens an der Rentabilität als der primären unternehmerischen Zielfunktion orientieren sollte. Die Empfehlung der Kommission selbst läuft auf eine Verstärkung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer hinaus, jedoch bei einem geringen zahlenmäßigen Übergewicht der Vertreter der Anteilseigner im Aufsichtsrat. Vorgeschlagen wird, daß in Kapitalgesellschaften mit mindestens 1000 bis 2000 Arbeitnehmern der Aufsichtsrat sich zusammensetzt aus sechs Anteilseignern, vier Arbeitnehmervertretern, zwei kooptierten Mitgliedern. Die Kooption der beiden weiteren Aufsichtsratsmitglieder bedarf sowohl der Zustimmung der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter als auch der Anteilseigner. Nimmt man an, daß jeweils eines der kooptierten Mitglieder vom besonderen Vertrauen der einen Seite getragen ist, dann würde das Verhältnis von Anteilseignern zu Arbeitnehmern im Aufsichtsrat in der Regel sieben zu fünf sein.

Gegenwärtige Schwerpunkte

65

Die Wahl aller Arbeitnehmervertreter soll durch die Belegschaft des Unternehmens erfolgen. Ein bis zwei Arbeitnehmervertreter sollen nicht aus dem eigenen Unternehmen stammen. Bezüglich dieser unternehmensexternen Arbeitnehmervertreter soll den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften das ausschließliche Benennungsrecht zustehen. Damit wäre die Mitbestimmung, wie sie im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist, erheblich erweitert, gleichwohl die Parität des Montan-Modells vermieden. Gesetzlich vorgeschrieben werden soll die Vertretung des Personalressorts im Vorstand durch ein dafür bestelltes Vorstandsmitglied. Abweichend von der bisherigen Berufung des Arbeitsdirektors der Montanunternehmen, soll seine Bestellung aber wie die jedes anderen Vorstandsmitgliedes erfolgen. Die Möglichkeit einer Uberstimmung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat soll erschwert werden durch einen Begründungszwang der Mehrheit gegenüber der Minderheit, ferner durch begrenzte Befreiung der Aufsichtsratsmitglieder von der Verschwiegenheitspflicht, durch Berichterstattung über das Zusammenspiel von Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretung im Geschäftsbericht, sowie durch obligatorische Beteiligung von Arbeitnehmervertretern an allen Ausschüssen des Aufsichtsrats, insbesondere am Aufsichtsratspräsidium. Nach Berechnungen der Kommission würden unter die vorgeschlagene Mitbestimmungsregelung bei einer Untergrenze von 1000 Arbeitnehmern 66,3 % der Beschäftigten in Kapitalgesellschaften ( = 4,3 Mill. Arbeitnehmer), bei einer Grenze von 2000 Arbeitnehmern 55,9 % der Beschäftigten in Kapitalgesellschaften ( = 3,6 Mill. Arbeitnehmer) fallen. Im ersten Falle wären 982 Kapitalgesellschaften betroffen, im zweiten Falle 502. Zum Vergleich: Unter die Montan-Mitbestimmung fallen ζ. Z. 59 Unternehmen.

5

Mellerowicz, Soziale Funktionen

66

Tarifvenragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

2103 Stellungnahme zum und zur paritätischen

Biedenkopf-Bericht Mitbestimmung

So anerkennenswert die Bemühungen der Biedenkopf-Kommission um Klärung der schwierigen Frage der Mitbestimmung und so positiv eine ganze Reihe von Feststellungen zu bewerten sind, so sollen einige Bedenken doch nicht unausgesprochen bleiben, in denen zugleich eine eigene Stellungnahme zur paritätischen Mitbestimmung liegen soll: 1. Der Bericht macht den Eindruck des Kompromisses, eine Einigung verschiedener Meinungen auf einer mittleren Linie. Er folgt nicht konsequent klaren Erkenntnissen. 2. Die Mitentscheidung, wenn sie auch nicht paritätisch erfolgen soll, verschlechtert die betriebliche Disposition, die einheitlich erfolgen muß. Viele Köche verderben nun einmal den Brei. Zwar ist es in der Leitungspraxis auch nichtmitbestimmter größerer Unternehmen allgemein üblich, daß die Leitungsfunktion durch ein mehrköpfiges Gremium (Kollegialprinzip) wahrgenommen wird; jedoch wird dadurch die rasche und einheitliche "Willensbildung bei weitem nicht so stark beeinträchtigt, wie dies im Falle der Beteiligung von Arbeitnehmervertretern am Willensbildungsprozeß zu befürchten ist, weil die Interessen der Beteiligten weitgehend homogen und daher viel leichter auf einen Nenner zu bringen sind. Von der Entscheidung der Führung nach ihrer Erkenntnis (unbeeinflußt von anders eingestellten Mitbestimmern), von ihrem schnellen Handeln (nicht erst nach langem Verhandeln), ihrer Initiative, ihrem Mut zur Übernahme des Risikos und der Verantwortung hängt alles ab. Die Mitbestimmung dagegen kollektiviert die Entscheidung, verzögert oder verhindert sie, liefert sie vielleicht sogar Unsachverständigen aus oder führt sogar zu politischen statt zu wirtschaftlichen Entscheidungen.

Gegenwärtige Schwerpunkte

67

3. Die Marktwirtschaft erhält ihre Wirksamkeit (und hat sie durch überragende Erfolge, besonders im Vergleich zur zentralen Verwaltungswirtschaft) allein durch den Unternehmer, seine Initiative, sein „Wagen und Winnen", seine Anpassung an den Markt mit seinen wechselnden Angebots- und Nachfrageverhältnissen. Ihn als alleinigen Leiter abzusetzen und ihn an die Zustimmung anderer, dabei Andersdenkender zu binden, heißt gegen das System der Marktwirtschaft verstoßen, mindestens ihre Leistungsfähigkeit mindern. Systemfalsche Organisation kann nicht ohne Folgen bleiben. Es gibt nur eine Alternative zur Marktwirtschaft: die zentrale Verwaltungswirtschaft, mögen die Anfänge auch unverfänglich erscheinen. 4. Unternebmenskapital von unternehmensfremden, haftungsfreien Entscheidungen abhängig zu machen, bedeutet letzten Endes kalte Sozialisierung, mag man dies auch noch so heftig bestreiten. 5. Es hätte in dem Biedenkopf-Bericht viel deutlicher zum Ausdruck kommen müssen, daß Mitwirkung, Mitsprache und Mitbestimmung (in welcher Form auch immer) nur den Belegschaftsmitgliedern, nicht Betriebsfremden zukommen darf. Von Belegschaftsmitgliedern kann Identifizierung mit dem Betriebe und seinen Interessen angenommen werden, hängt doch vom Prosperieren des Betriebes die Sicherheit der Arbeitsplätze ab. Betriebsfremde Mitentscheidende können auch andere, sogar politische Interessen wahrnehmen. 6. Der Bericht bleibt bei der Organisation des Betriebes beim demokratischen Prinzip. Das demokratische Prinzip ist aber ein antibetriebliches Organisationsprinzip, es ist die Übertragung eines politischen Prinzips auf ein unpolitisches Objekt. Eine Leistungsgemeinschaft kann nicht demokratisch, sie muß hierarchisch organisiert sein, mit klar festgelegten Weisungsbefugnissen. Die Anwendung des demokratischen Prinzips im Betriebe, der vom Anfang

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Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung bis zum Ende auf Leistung eingestellt sein muß, ist ein glatter Verstoß gegen elementarste Gesetze der Organisation. 7. Der Bericht geht achtlos daran vorbei, daß die Gewerkschaften durch die qualifizierte Mitbestimmung doppeltes Gewicht erhalten, einmal als Arbeitgeber (gleichwertiges Mitglied des Aufsichtsrats und Mitglied des Vorstands) und als Tarifpartner. Damit wird aber die Tarifautonomie aufgehoben. Was paritätische Mitbestimmung zuwege bringt, zeigen die Lohnzugeständnisse, die die mitbestimmende IGBE gegen die von ihr völlig beherrschte Ruhrkohlen AG trotz der katastrophalen Ertragslage durchgesetzt hat: ein Verlustbetrieb wird gezwungen, zweimal in einem Jahr enorme Lohnerhöhungen zu bewilligen. Die notwendige Folge stellte sich prompt ein: massive Preiserhöhungen für Kohle und Koks. Der Verbraucher muß - wie immer in ähnlichen Fällen - die Folgen tragen. 8. Der Bericht vergißt bzw. nimmt keine Rücksicht auf die Tatsache, daß im Auslande die Mitbestimmung nirgends eingeführt wurde, was zu einer Benachteiligung der deutschen Betriebe gegenüber ausländischen Konkurrenten führen muß. Sie ist zugleich integrationsfeindlich. 211 Vermögensbildung der Arbeitnehmer 2110 Bedeutung der

Vermögensbildung

Wie die Mitbestimmung, so ist auch die angestrebte Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der sozialen Stellung der Arbeitnehmer. Allerdings stellt die Vermögensbildung beim Arbeitnehmer erst in zweiter Linie ein betriebswirtschaftliches Problem dar: im Laufe der letzten Jahre hat sie sich zu einem politischen Problem entwickelt, aus dem Bewußtwerden der ungleichen Neuvermögensverteilung nach dem Zweiten Weltkriege. Die Politik erkannte

Gegenwärtige Schwerpunkte

69

die Bedeutung einer breiteren Vermögensstreuung und sucht sie auf dem Wege der Gesetzgebung durchzusetzen. Die Vermögensbildung verfolgt zu allererst den Zweck, eine breitere Vermögensstreuung zu erreichen, was dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit entsprechen würde. Vom Standpunkt des Einzelnen hat dagegen die Vermögensbildung den Wert a) zusätzlicher Alterssicherung und b) zusätzlicher Einnahmen aus den Zinsen des erreichten Vermögens. Hinzu käme aber eine weitere Wirkung: Sie sollte auch eine positive Einstellung zur Marktwirtschaft hervorbringen, die von der Arbeitnehmerseite nicht hoch genug eingeschätzt wird. Zugleich könnte die Vermögensbildung auch (wegen ihrer Sparwirkung) ein Mittel der Konjunkturpolitik sein. Freilich müßte, um die Erhaltung der gebildeten Vermögen zu sichern, Preisstabilität gewährleistet sein. Die Vermögensbildung fördert auch von sich aus die Preisstabilität, da sie Konsumverzicht verlangt. Erste kleine Schritte auf dem Wege zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand waren das „Wohnungsbauprämiengesetz" und das „Spar-Prämiengesetz" von 1959 und 1963, das erste und zweite Vermögensbildungsgesetz von 1961 und 1965 und die Privatisierungen der Preussag, des Volkswagenwerkes und der Veba. Neben diesen gesetzlichen Maßnahmen sind tarifvertragliche Vereinbarungen ein zweiter Weg zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. So enthalten die Tarifverträge einzelner Gewerkschaften: im Baugewerbe (1965), im Bergbau (1969) und in der Metallindustrie (1970) Versuche, das Privatvermögen breiter zu streuen40. Aber durch all diese Maßnahmen kann eine grundlegende Vermögensumverteilung nicht erreicht werden. Allenfalls «» Vgl. dazu auch S. 82 ff.

70

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

könnte durch diese Gesetze und Tarifverträge eine weiterschreitende Zusammenballung des Kapitals in der Hand eines kleinen Teiles der Bevölkerung aufgehalten werden. Wie einseitig sich die Vermögensverteilung nach dem Kriege entwickelt hat, will annähernd die folgende Tabelle zeigen: Soziologische Schichtung der Nominalvermögensbildung der privaten Haushalte von 1 9 5 0 - 1 9 6 3 4 1 )

in Mrd. D M Vermögensbildung unselbständiger Einkommensbezieher Arbeitnehmer Rentner Vermögensbildung selbständiger Einkommensbezieher Landwirte übrige Selbständige Private Vermögensbildung insgesamt

in v. H.

je Einkommensbezieher in D M

je Haushaltsvorstand in D M

91,5

56

3 200

5 200

69,9 21,7

43 13

3 300 2 900

5 600 4 500

71,1

44

12 7 0 0

24100

9,5 61,5

6 38

3 400 22 000

11 800 30 400

162,5

100

4 700

8 300

Die Zusammenstellung zeigt, daß in den Jahren von 1950 bis 1963 die selbständigen Einkommensbezieher im Durchschnitt nahezu viermal soviel Vermögen bilden konnten wie die unselbständigen. Bezieht man die Vermögensbildung auf die Haushaltsvorstände (letzte Spalte der Tabelle), dann werden die Unterschiede noch größer: in dem Zeitraum von 1950 bis 1963 konnten die selbständigen Haushaltsvorstände 4,65mal soviel Vermögen ansammeln wie die unselbständigen. 4 1 Aus B o h l e n , W . , „Die volkswirtschaftlichen bildungspläncn", H a n n o v e r 1969, S. 24.

Auswirkungen

von

Vermögens-

Gegenwärtige Schwerpunkte

71

Die Forderung nach breiterer Streuung des Privatvermögens zieht immer weitere Kreise. Sie ist auch für unser Wirtschaftssystem von Bedeutung. Wir stehen vor einer Veränderung unserer Gesellschaftsstruktur. Eine sinnvolle und wirksame breitere Vermögensstreuung kann mit dazu beitragen, daß sich dieser Wandel evolutionär und nicht revolutionär vollzieht. 2111 Grundlegende Probleme der

Vermögensbildung

Ein revolutionärer Weg, das Problem der Vermögensbildung der Arbeitnehmer einer Lösung zuzuführen, wäre der, die bestehenden Vermögen zu enteignen und sie neu zu verteilen. Dieser Weg wäre nicht nur gefährlich, es wäre auch wenig sinnvoll, etwas, was funktioniert, nur deshalb zu zerstören, weil es gewisse Mängel aufweist. Was heißt überdies „gerechte" Vermögensverteilung? Nach Artikel 14 Satz 3 des Grundgesetzes ist eine Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig". Es ist mehr als fraglich, ob eine Enteignung und Neuverteilung der Vermögen mit allen ihren wirtschaftlichen Auswirkungen tatsächlich dem Wohle der Allgemeinheit dienen würde. Derartige Überlegungen sind bei der augenblicklichen Verteilung politischer und finanzieller Macht in unserer Gesellschaft völlig unrealistisch. Über den Sinn oder Unsinn der Enteignung von (großen) Privatvermögen in der Absicht, durch eine Neuverteilung die erstrebte „gerechtere" Vermögensverteilung zu erreichen, wird deshalb meist auch gar nicht diskutiert. Im wesentlichen erstreckt sich die Diskussion heute darauf, wie die neu zuwachsenden Vermögensteile in Zukunft „gerechter" verteilt werden könnten. Zur Frage der Vermögensbildung - dies sei als grundsätzliche Stellungnahme vorweggenommen - sagt Oswald von Nell-Breuning 42 : „Die herkömmliche Betrachtungsweise unterstellt, die Entscheidung (über die Einkommensverteilung in einer Marktwirtschaft) liege mehr oder weniger ausschließlich 48 In einem V o r t r a g vor dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums im September 1950.

72

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

auf seiten der Einkommensverwendung. Nach dieser Auffassung sind es die Einkommensbezieher, die in voller Freiheit darüber entscheiden, welchen Teil ihres Einkommens sie für Verbrauchsgüter aufwenden und welchen Teil sie „sparen" und so unmittelbar oder mittelbar der Investition zuführen wollen. Daraus wird abgeleitet, die Einkommensverteilung müsse so gesteuert werden, daß ein ausreichender Teil des Sozialproduktes an spar- und investitionswillige Einkommensbezieher falle, um daraus die volkswirtschaftlich notwendige Investition bestreiten zu können. Des weiteren unterstellt man, dieser Sparund Investitionswille sei bei den Beziehern großer Einkommen vorhanden, wogegen die Bezieher kleiner Einkommen auch jede Einkommenssteigerung überwiegend zur Erhöhung der Lebenshaltung verwenden, also dem Verbrauch zuwenden würden. So kommt man zu der Forderung, das Einkommen der breiten Masse knapp zu halten. Unter dieser Rücksicht erscheint der Unternehmergewinn als förderungswürdigste Einkommensart, die gar nicht groß genug sein könne." Aus dieser Einstellung zur Gewinnverteilung ergab sich offensichtlich die so viel kritisierte einseitige Vermögensbildung, sie ist also begründet in der Notwendigkeit der Finanzierung der Investitionen aus Gewinnen. Nun sind aber Investitionen nicht zu umgehen. Wenn daher ein Teil der Gewinne den Arbeitnehmern zugute kommen soll, muß gewährleistet werden, daß diese Gewinne nicht konsumiert, sondern zu Investitionen verwandt werden. Entweder investiert der Unternehmer aus den Gewinnen oder es muß durch die Arbeitnehmer geschehen. Sonst sind die privaten Unternehmungen - die entscheidenden Träger der Marktwirtschaft - nicht aufrechtzuerhalten. Mit ihnen steht und fällt das System der Marktwirtschaft. Aus den regulären Arbeitnehmereinkommen heraus - auf der Grundlage des Sparens, in welcher Form auch immer - ist eine Finanzierung der notwendigen Investitionen kaum zu erreichen. Das liegt teilweise an der fast gesetzmäßigen Aus-

Gegenwärtige Schwerpunkte

73

Wirkung der Lohnerhöhungen, deren ununterbrochene Kette wir heute erleben: Alle über die Produktivitätssteigerungen hinausgehenden Lohnerhöhungen müssen zu Preissteigerungen führen und fließen daher in Form erhöhter Preise zu den Unternehmungen zurück. Die Lohnquote, das ist der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen, ist daher auch zwischen 1950 und 1960 nur unwesentlich: von 59,9 auf 6 0 , 8 % gestiegen. Wenn daher eine gerechtere Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung erreicht werden soll, kann dies nur dadurch geschehen, daß aus den Gewinnen der Unternehmungen die Arbeitnehmereinkommen überproportional erhöht werden, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Einkommenserhöhung nicht verbraucht, sondern zur Investition verwandt wird. Dann wird sowohl für die Vermögensbildung als auch für die notwendigen Investitionen gesorgt; jedenfalls werden die Investitionen nicht geringer sein, als wenn sie vom Unternehmer im Wege der Selbstfinanzierung vorgenommen würden. Dadurch wird der Arbeitnehmer zum Mitbesitzer am Unternehmen. Freilich müßten die Bedingungen, vor allem die mögliche Höhe des Anteils und eine garantierte Dividende (im Verhältnis des Anteils) genau festgelegt sein. Auf diese Weise - aus Unternehmensgewinnen heraus könnte eine gerechtere Vermögensverteilung erreicht werden, ohne daß die notwendigen, bisher durch Selbstfinanzierung erfolgten Investitionen vermindert werden oder gar unterbleiben müßten. Nell-Breuning sagt in diesem Zusammenhang sehr deutlich, daß „Eigentumsbildung der NichtUnternehmer... nicht möglich ist auf Kosten des Verbrauchs dieser Kreise, sondern nur zu Lasten der Unternehmergewinne". Nach dieser grundsätzlichen Stellungnahme nun zum Tatsächlichen der Vermögensbildung, wobei aber zu bedenken ist, daß die Diskussion über dieses Problem noch völlig im Fluß ist.

74

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

Hier entsteht sofort die Frage - und sie wird ernsthaft diskutiert was unter „Vermögen" zu verstehen ist, bei welcher Höhe von Vermögen gesprochen werden könne. Die SPD will unter Vermögen ein „Jahresdurchschnittseinkommen" verstehen, das sind etwa 13 000 DM. Der Burgbacher-Plan der CDU sieht schon die Hälfte dieser Summe als Vermögen an, während Sachverständige der CDU/CSU Bundestagsfraktion an 30 000 bis 40 000 DM denken und Prof. Biedenkopf auf Grund anderer Aussagen auf Beträge von 40 000 bis 50 000 DM kommt. Wie stark die Vorstellungen darüber, was unter Vermögen zu verstehen ist, auch voneinander abweichen, über einen Punkt herrscht doch Einigkeit: daß sich durch die augenblicklich gültigen gesetzlichen Regelungen und tariflichen Vereinbarungen entscheidende Änderungen in der Vermögensverteilung nicht erreichen lassen. Die mit der Privatisierung von Preussag, VW, Veba angestrebte breite Aktienstreuung ist ausgeblieben, desgleichen eine breitere Vermögensbildung durch das 312-DM-Gesetz. Es erscheint fraglich, ob - bei bisheriger Einstellung der Arbeitnehmer zum Konsumverzicht - die unterdes erfolgte Erhöhung des begünstigten Betrages auf 624 DM im Jahr daran etwas ändern wird. Ohne Konsumverzicht gibt es keine echte Vermögensbildung, und der Wille zum Konsumverzicht ist nicht gerade groß 43 . So stellt sich die grundlegende Frage, ob eine Vermögensbildung der Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis überhaupt zu erreichen ist. Die Befürworter dieser Form der Vermögensbildung weisen darauf hin, daß die freiheitliche Verfassung unseres Staates und unserer Wirtschaft, das Recht auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen staatliche Zugriffe auf das Einkommen ausschließen sollten. So wird gesagt, daß beispielsweise der „gesetzliche Beteiligungslohn" ein " Vgl. Schulte, H - , „Vermögensbildungspläne. Begrenzte Erfolgsschancen - weitreichende N e b e n w i r k u n g e n " , in: Der Volkswirt, 24. J h g . Nr. 21 v. 22. 5. 1970, S . 46.

Gegenwärtige Schwerpunkte

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brutaler Eingriff in den Bereich der Einkommensverwendung wäre. Nicht bedacht wird dabei, daß dann auch die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Beiträge zur Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung sowie die Steuern als brutale staatliche Zugriffe auf das Einkommen des Einzelnen angesehen werden müßten. Es ist wohl kaum sinnvoll, gesetzliche Regelungen zur Vermögensbildung nur deshalb abzulehnen, weil sie einen Zwang darstellen. Wenn im Rahmen unserer gesamten Wirtschaftsund Sozialpolitik ein Zwang zur Vermögensbildung vorteilhaft ist, so sollte er allein nicht der Hinderungsgrund für gesetzliche Maßnahmen sein. 2112

Vermögensbildungspläne

In der Zeit von 1953 bis 1970 sind etwa 20 Vermögensbildungspläne veröffentlicht worden, die sich alle sowohl in der Form der Vermögensbildung als auch in der Anlage der gesparten Mittel unterscheiden. Zur Mittel Beschaffung, die das primäre Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen Vermögensbildungspläne ist, werden vor allem folgende Wege vorgeschlagen: a) eigene Sparleistungen der Arbeitnehmer, verbunden mit Sparförderungsplänen, b) Investivlohn (auf Grund von Betriebsvereinbarungen oder durch gesetzlichen Zwang), c) Gewinnbeteiligung (freiwillig oder gesetzlich bestimmt), d) Beteiligung am Unternehmensvermögen gung) 44 .

(Kapitalbeteili-

Für die Mittel Verwendung kommen insbesondere die folgenden vier Formen in Frage: "

Vgl. Abschnitt Kapitalbeteiligung, S. 127 ff.

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Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung a) Errichtung von Sparkonten (mit Sparprämien) für den einzelnen Sparer bei einer beliebigen oder bestimmten Bank, b) Anlage in Effekten (Obligationen und Aktien) auf eigenem Konto des Sparers oder einem Gesamtkonto der Betriebsangehörigen, c) Beteiligung am Unternehmensvermögen (BurgbacherPlan) in Form von Effekten oder Anteilscheinen oder in anderen Formen (ζ. B. Plan der ASU), d) Beteiligung an einem Fonds (Leber, Krelle). Die Sparbeträge fließen an einen gemeinsamen Fonds, an dem die Sparer nach Maßgabe ihrer Sparquoten beteiligt sind.

Zu den einzelnen Vermögensbildungsplänen sei noch folgendes ausgeführt 45 : a)

Sparförderungspläne

Charakteristisch für dem Einkommen eine sparnisbildung erreicht nungsbauprämien- und

die Sparförderungspläne ist, daß aus vermehrte, in der Regel freiwillige Erwerden soll (hierzu zählen ζ. B.: WohSparprämiengesetz).

Für die Sparförderungspläne läßt sich feststellen, daß die volkswirtschaftlichen Auswirkungen keineswegs durchweg so positiv sind, wie man auf den ersten Blick erwarten könnte. Vor allem wirken Sparförderungsmaßnahmen bei rückläufiger Konjunkturentwicklung prozyklisch, eine Wirkung, die unerwünscht sein kann. Hinzu kommt, daß eine tatsächliche Änderung der Vermögensstruktur nur durch eine beträchtliche Zunahme der Ersparnisbildung aus gegebenem Einkommen erzielt werden könnte, wie sie mit den vorliegenden Plänen, in einem überschaubaren Zeitraum zumindest, nicht zu erreichen ist. Das Bild verschlechtert sich weiter durch die Tatsache, daß die Bezieher niedriger Einkommen infolge ihrer geringen Spar15

Vgl. dazu: Schulte, H . , a. a. O . , S. 46 ff.

Gegenwärtige Schwerpunkte

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fähigkeit eigentlich gar nicht begünstigt werden. Sparförderungspläne allein sind daher für die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand nicht sehr wirksam. b)

Investivlohnpläne

Das grundsätzliche mit den Investivlohnplänen verfolgte Ziel besteht darin, Teile von Lohnerhöhungen betrieblich oder überbetrieblich investiv anzulegen (hierzu zählen ζ. B.: der Häussler-Plan, der Hinkel-Plan, im wesentlichen der LeberPlan, das 312-DM- und das 624-DM-Gesetz teilweise und der Burgbacher-Plan). Von den Investivlohnplänen sollen hier nur jene betrachtet werden, die eine volle Barauszahlung der normalen Löhne (einschl. Erhöhungen) anstreben und erst die (über die Produktivitätszunahme hinausgehenden) sog. additiven Lohnsteige· rungen investiv festlegen wollen. Für die anderen (die sog. subtraktiven oder alternativen) Investivlohnpläne, die vom Normallohn ausgehen, gilt analog das für die Sparförderungspläne Gesagte. Im Abschwung wirken sie potentiell prozyklisch, im Aufschwung ergeben sich nicht eindeutig bestimmbare Nebenwirkungen. Die Vermögensbildung erfolgt bei diesen Plänen auf Kosten des Lebensstandards, und damit erhöht sich die Gefahr des kumulierten Verbrauchs nach Beendigung der Sperrfrist vor allem auch dann, wenn das vermehrte Sparen nicht auf freiwilliger Basis beruhte. Nur über die additiven Investivlohnpläne ist unter bestimmten Bedingungen eine Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu erreichen, wenngleich eine durchgreifende Änderung der bestehenden Vermögensstruktur auch dadurch nicht erreicht werden kann. Im einzelnen müssen zur Realisierung dieser Pläne folgende Bedingungen erfüllt sein: 1. Der Gesamtlohn muß über einen längeren Zeitraum hinweg erheblich über dem Produktivitätszuwachs liegen, 2. der Investivlohnanteil muß langfristig gespart werden,

78

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

3. der auf die Arbeitnehmer ausgeübte Zwang darf nicht zu groß sein und 4. die Einführung der notwendigen Maßnahmen darf nur Schritt für Schritt erfolgen; es kann nicht erwartet werden, daß sich die Endstufe - d. h. breitere Vermögensstreuung - schnell erreichen ließe. Nur unter Berücksichtigung dieser Bedingungen können negative Nebenwirkungen auf wirtschaftliche Ziele in Grenzen gehalten und das angestrebte Ziel selbst erfolgreich angesteuert werden. In jedem Falle hängt der Erfolg oder der Mißerfolg der vermögensbildenden Maßnahmen jedoch von der Realität der einzelnen Prämissen ab. Unter diesen Gesichtspunkten ist der Entwurf eines Beteiligungslohngesetzes nach dem BurgbacherPlan besonders beachtenswert: Gewährung von mindestens 20 DM monatlich für jeden Arbeitnehmer, die Aufstockung aus Steuermitteln um 30 %>, eine zusätzliche Sparprämie und eine Sperrfrist von 6 Jahren. Das könnte ein gangbarer Weg sein. c)

Gewinnbeteiligungsplätte

Ziel der Gewinnbeteiligungspläne ist es, die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmungen zu beteiligen (genannt seien folgende Pläne: der Plan der DAG, der Bachmann-Plan, Vorschläge der CDU-Sozialausschüsse). Für die vermögensbildende Bedeutung der einzelnen Gewinnbeteiligungspläne ist in erster Linie entscheidend, welche Unternehmensgrößen einbezogen werden sollen und welcher Beteiligungsprozentsatz für die Arbeitnehmer vorgesehen wird. Ferner ist von Wichtigkeit, daß die Gewinnbeteiligung nicht eine Verminderung der bisherigen Sparfähigkeit, keine verstärkten Entnahmen aus den Sparguthaben nach Ablauf der Sperrfristen und auch keine merkliche Beeinträchtigung der Investitionsneigung zur Folge hat.

Gegenwärtige Schwerpunkte

79

Mehr noch als bei den anderen Plänen zur Vermögensbildung gibt es bei den Gewinnbeteiligungsplänen sehr unterschiedliche Formen, so daß es schwer ist, sie in ihrer Wirksamkeit allgemein zu beurteilen. Es hängt von den einzelnen Bestimmungen ab und ihrem Einfluß auf das menschliche Verhalten 4e . d) Pläne für eine Beteiligung am

Unternehmensvermögen

Zu dieser Form der Vermögensbildung siehe auch die einschlägigen Ausführungen auf S. 127 ff. Ein besonders interessanter Vermögensbildungsplan stammt von der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer (ASU) vom Juni 1970. Es ist ein Drei-Stufen-Plan: 1. Arbeitnehmerdarlehen (Ersparnisse, die der Unternehmung als Darlehen gegeben werden): Verzinsung 3 - 4 % über Spareckzins, zur Zeit etwa 9 °/o; Sperrfrist von 6 Jahren und Begrenzung des Darlehnsbetrages nach oben ohne Unterschied der Stellung im Betriebe. 2. Der Arbeitnehmer wird mit seiner Kapitaleinlage stiller Gesellschafter und als solcher an Gewinn und Verlust direkt beteiligt. Garantiert wird eine Mindestverzinsung in Höhe des Spareckzinses, Gewinne und Verluste werden auf maximal 15 °/o „Dividende" begrenzt. Zwischen altem und neuem Kapital soll eine Höchstrelation von 75 zu 25 eingehalten werden. Auch hier gilt Chancengleichheit für alle Mitarbeiter. Für gewinnlose Jahre wird der garantierte Gewinnanspruch entweder vorgetragen oder sofort ausgezahlt und in späteren Jahren verrechnet. Bei einer Veräußerung des Anteilscheins (stets zum Nominalwert) steht dem Unternehmen ein Vorkaufsrecht zu, sonst kann auch an andere Mitarbeiter verkauft werden, die die Bedingungen des Planes erfüllen. "

Vgl. dazu die Ausführungen zur Gewinnbeteiligung auf S. 105 ff.

80

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

3. Die dritte Stufe des Planes sieht die Einschaltung einer GmbH zwischen dem Unternehmen und den zu beteiligenden Mitarbeitern vor, wobei die G m b H als stiller Gesellschafter in das Unternehmen eintritt. Das Arbeitnehmerkapital wächst mit. Die Beteiligungsmodalitäten sind im wesentlichen die gleichen wie beim Modell der 2. Stufe. Es werden jedoch Anteilscheine der G m b H ausgegeben, und zwar zum Ertragswert, der bei Anwendung eines Zinssatzes von 8 bis 10 Vo auf einen fünfjährigen Gewinndurchschnitt hochgerechnet wird. Vom steuerlichen Gewinn erhält das Altkapital f ü r den Anteil der stillen Reserven am Ertrag einen festzulegenden Vorabgewinn von ζ. B. 20 % . Die restlichen 80 % Gewinn oder Verlust werden nach dem Kapitalverhältnis aufgeteilt, jedoch für das Neukapital wiederum auf maximal 15 °/o nach beiden Seiten begrenzt. Das Problem ist die Sicherheit. M a n denkt hier an eine Garantievereinbarung der ASU-Mitglieder eines bestimmten Gebietes (Tabelle s. S. 82 f.). 2113 Konkrete zur Förderung der

Maßnahmen Vermögensbildung

Die Erkenntnis der Bedeutung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und die langjährige Diskussion über die geeignetste Form der breiten Vermögensstreuung mußten schließlich zu konkreten Maßnahmen führen. Die wichtigsten unter ihnen, abgesehen von der privaten Initiative sozialpolitisch besonders interessierter Unternehmer, sind die tarifvertraglichen Vereinbarungen und die gesetzlichen Regelungen. Die tarifrechtliche Möglichkeit blieb lange Zeit ungenutzt. Mehr noch: die Haltung der Gewerkschaften in dieser Frage war nicht nur gleichgültig, sie war geradezu feindlich. Irgendwie lag die Vermögensbildung außerhalb der gewerkschaft-

Gegenwärtige Schwerpunkte

81

liehen Zielvorstellungen. Den Durchbruch brachte schließlich die Gewerkschaft Bau, Steine, Erden (1965), obschon dieses fortschrittliche Beispiel zunächst ohne Nachahmung blieb. Erst 1970 kam es zum Umschwung in der gewerkschaftlichen Einstellung. Zunächst war es die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, die einen vermögenswirksamen Tarifvertrag über D M 26- pro M o n a t abgeschlossen hat, dann folgte die IG Chemie und in jüngster Zeit auch die IG Metall. Ende 1970 werden von den 22 Mill. Arbeitnehmern in der BRD etwa 8 - 1 0 Mill, auf Grund von Tarifverträgen und von Betriebsvereinbarungen vermögenswirksame Leistungen erhalten. Von größerer und breiterer Wirkung sind jedoch die staatlichen Maßnahmen zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Sie sind doppelter Art und umfassen das prämienbegünstigte

Sparen und

die Sparförderung nach dem

Vermögensbildungsgesetz.

Das prämienbegünstigte Sparen beruht auf dem Sparprämiengesetz (1959) und dem Bausparprämiengesetz (1963). Im Laufe der Zeit wurde es wiederholt geändert und weiterentwickelt. Es verfolgte den ausgesprochenen Zweck, die Massen näher an das Sparen heranzubringen, um sich auf diese Weise Vermögen zu bilden. Voraussetzung für den Erhalt einer Sparprämie ist der Abschluß eines Sparvertrages mit der Verpflichtung entweder zu einer einmaligen Sparleistung (allgemeiner Vertrag) oder zu regelmäßigen monatlichen oder vierteljährlichen Sparraten (prämienbegünstigter Ratensparvertrag). Die Sparprämien von 20-30 °/o werden nur auf Beträge bis zu jährlich 600 D M (bzw. 1200 D M , je nach der Kinderzahl bis zu 1600 DM) gewährt, so daß die maximale jährliche Sparprämie zwischen 120 und 480 D M liegt. Mit dem Steueränderungsgesetz 1969 wurde außerdem eine Zusatzprämie (40 °/o auf die Grundprämie) eingeführt, die aber 6

Mellerowicz, Soziale Funktionen

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

82

Z u r besseren Beurteilung der einzelnen G r u p p e n der Verm ö g e n s b i l d u n g s p l ä n e stellt Schulte 4 7 ihre Beziehungen zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Zielen in einer T a b e l l e zusammen: Beziehungen zwischen Vermögensbildungsplänen und - Schematische Formen d. Vermögensbildung, dein der Depression ren Auswirkungen auf andere wirtschaftspol. Ziele

Sparförderungspläne im Aufschwung

im B o o m

Vollbeschäftigung

negativ: d a sinkende Nachfrage u. Gewinne zum Ausscheiden v. Grenzbetrieben führen. Verschärfung der allgem. Arbeitslosigkeit

neutral: positiv: wenn steigende NachfragedrosseInvestitionsneigung lung, kosten- u. die u m die Sparbeschäftigungsstabeträge verminderte bilisierend Konsumnachfrage ausgleicht.

Preisniveaustabilität

Sinkende Nachfrage führt theoretisch zu Preissenkungen.

Kurzfristig kann die Ersparniszunahme inflatorische Lücken beseitigen; preisdämpfende Wirkung auf das Zinsniveau; Finanzierung zusätzlicher Investitionen möglich.

stetiges Wachstum

Das Bindeglied zwischen Wachstum u. Sparförderung stellen die Investitionen dar. Allgemeiner positiver Effekt: Verflüssigung d. Kapitalmarktes. Sinkende Unternehmergewinne u. sinkende Kapitalnachfrage führen zu sinkender Investitionsneigung. Für Wachstum negativ.

47

Vgl. Schulte, H., a. a. O . , S. 47 ff.

Im Ausmaß d. steigenden Gewinnerwartungen und d. steigenden Nachfrage Rückgang der Beeinträchtigung d. Investitionsneigung. Wachstum gesichert. Finanzierungsmöglichkeiten.

Gegenwärtige Schwerpunkte

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den wichtigsten wirtschaftspolitischen Zielen Darstellung Investivlohnpläne in der Depression

im AufSchwung

im Boom

Keine Einschränkung der Konsumgüternachfrage. Einfluß nur über Investitionsneigung. Bei Rationaliunbesierungsinvesti- stimmt tionen Freisetzung von Arbeitskräften Verschärfung d. Situation

Rationalisierungsinvestitionen positiv

V o n der Nachfrageseite neutral. V o n der Angebotsseite ist zu erwarten, d a ß die Unternehmer den Investivlohn (Kostenfaktor) überwälzen wollen. Das ist in der Depression kaum möglich. Ausnahme: USA 1958 costt)ush-inflation.

eher möglich

sicher negativ

Bindeglied: Investitionsneigung abnehmende unbeInvestitionsstimm neigung Verlangsamung des Wachtstums.

Anstieg d. Investitionsneigung. Ans t o ß zu R a tionalis. in-

Generelle Wachstumshemmung, w e n n Einschränkung d. M o b i l i t ä t der Arbeitnehmer.

Gewinnbeteiligungspläne in der Depression

im Aufschwung

im B o o m

Grundsätzlich neutral, da nur Andersverteilung bereits gebildeter Gewinne. Tangierung des Beschäftigungsniveaus nur über Änderungen der Investitionsneigung und der Gesamtnachfrage.

Wirkungen nur über Änderungen der Nachfrage. Sinkende Nachfrage sinkend neutral zusätzliche bis stabil Verschärfung der Erhöhungstendenzen.

Investitionsneigung: Abnahme der gewinninduzierten Investitionen, da Verminderung der frei verfügbaren Gewinne. Potentiell sinkende Finanzierungskosten, mögliche Erhöhung der Investitionsneigung. An sich wachstumsneutral, da nur Andersverteilung von Neuvermögen

V o n einer aktiven Konjunkturpolitik zur Zielerreichung wird abgesehen. Es wird unterstellt, d a ß nach Ablauf der Sperrfristen keine nennenswerten Entsparungs prozesse stattfinden. 6*

84

Tarifvertragliche Bindungen sozialer Betriebsführung

nur solchen Sparern zugute kommt, deren Jahreseinkommen 6000 DM (bzw. 12 000 DM) nicht übersteigt. Die Sparförderung nach dem Vermögensbildungsgesetz ist eine gezielte, besonders wirksame Maßnahme des Staates zugunsten der Arbeitnehmer. Die vermögenswirksamen Leistungen, die der Staat den Arbeitnehmern prämiiert, können vom Arbeitgeber, zusätzlich zu Lohn oder Gehalt, auf Grund von tariflichen Regelungen oder Betriebsvereinbarungen erbracht werden. Daneben hat auch der Arbeitnehmer selbst die Möglichkeit, Sparbeträge von seinem laufenden Einkommen abzuzweigen und den Arbeitgeber zu veranlassen, diese vermögenswirksam anzulegen. Die Sparförderung nach dem Vermögensbildungsgesetz (dem zweiten von 1965 und dem dritten von 1970) besteht darin, daß (nach dem zweiten Vermögensbildungsgesetz) Sparbeträge von jährlich 312 DM (vom 1 . 1 . 1 9 7 0 an 624 DM) weder Steuer- noch sozialversicherungspflichtig sind. Diese Form der Begünstigung wird nach dem dritten Vermögensbildungsgesetz ab 1. Januar 1971 in eine 30 °/oige (für Arbeitnehmer mit drei und mehr Kindern in eine 40 °/oige) Sparzulage umgewandelt ( 3 0 % von 624 DM = 187,20 DM). Der Arbeitnehmer kann frei über die Form der Anlage entscheiden. In dieser Weise sparbegünstigt werden aber nur Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen bis zu 24 000 DM (bzw. bei Verheirateten bis zu 48 000 DM). Stellen Sparprämien- und Vermögensbildungsgesetz auch zwei verschiedene staatliche Maßnahmen dar, bilden sie doch ein Ganzes und sind untereinander eng verbunden, was sich vor allem aus den Bedingungen des Vermögensbildungsgesetzes für die Anlage der Sparbeträge ergibt. Es kommen nur vier Anlageformen in Betracht: Die Anlage 1. 2. 3. 4.

nach dem Sparprämiengesetz, nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz, in Belegschaftsaktien, in Darlehen an den Arbeitgeber.

Gegenwärtige Schwerpunkte

85

Ab 1. Oktober 1970 ist bedingt auch ein Abschluß von Lebensversicherungsverträgenie möglich, so daß nunmehr fünf Anlageformen zur Auswahl stehen. Bisher ist das prämienbegünstigte Sparen bei weitem bevorzugt worden. Hinzu kommt, daß nach dem Steueränderungsgesetz 1969 die nach dem Vermögensbildungsgesetz sparzulagebegünstigten Leistungen auf den Prämienhöchstbetrag nicht mehr angerechnet werden, so daß beide prämienbegünstigten Sparformen nebeneinander genutzt werden können, wodurch der jährliche Gesamtsparbetrag wesentlich erhöht wird und im Laufe der Zeit tatsächlich zu einem bescheidenen Vermögen führen kann. Dazu trägt der Staat durch seine Prämien wesentlich bei. Dies zeigt das folgende Beispiel: Staatliche Prämienzuschüsse Sparform

nach

Arbeitnehmer ohne Kinder 3 - 5 Kinder 1 Arbeitnehmer 1 Arbeitnehmer DM

DM

1. Vermögensbil· 624 dungsgesetz

Sparzulage

30 »/o

187,20

40 °/o

249,60

2. Sparprämiengesetz 1200

Sparprämie

20 °/o

240,-

25°/o

300,-

3. Steueränderungsgesetz

Zusatzsparprämie

40 Vo der Grundprämie

96523,20

40 °/o der Grundprämie 120,669,60

" Solche Versicherungen müssen eine Mindestvertragsdauer von 12 Jahren h a b e n . W ä h r e n d dieser Laufzeit darf, außer im Versicherungsfall, die Versicherungss u m m e weder ganz noch teilweise ausgezahlt, noch dürfen Ansprüche aus d e m Versicherungsvertrag abgetreten werden. Die begünstigten Versicherungsbeiträge dürfen a u ß e r d e m keine Zusatzleistungen f ü r Unfall, Invalidität oder Krankheit enthalten, der Beitragsaufwand darf 624 D M im J a h r nicht überschreiten, alle Gewinnanteile müssen zur E r h ö h u n g der Versicherungsleistung verwendet werden u n d außerdem m u ß der Versicherungsvertrag schon im ersten J a h r seiner Laufzeit zu einem nicht kürzbaren Sparanteil von mindestens 5 0 % des gezahlten Beitrages f ü h r e n .

86

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Die im Vergleich zur Eigenleistung des Sparers erheblichen staatlichen Prämien sollten in der Tat den Sparwillen der Arbeitnehmer stärken. Zur Sparsumme nach dem Vermögensbildungsgesetz sollten jedoch noch freiwillige prämienbegünstigte Einlagen hinzukommen. Anreiz hierzu ist durch die hohen Prämien genug geboten. Bereits jetzt zeigt sich deren günstige Auswirkung. Nach Berechnungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände werden bis zum Ende 1970 mehr als 13,5 Mill. Arbeitnehmer in die Vermögensbildung nach dem 312- bzw. 624- DM-Gesetz einbezogen sein. Davon sind 8,5 Mill, durch vermögenswirksame Tarifverträge erfaßt, die übrigen 5 Mill, nehmen die Möglichkeiten des 312bzw. 624-DM-Gesetzes auf eigene Initiative wahr. Von den insgesamt rd. 22 Mill. Arbeitnehmern in der Bundesrepublik sind demnach mehr als die Hälfte am Prozeß der Vermögensbildung aktiv beteiligt. 3 Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung 30 Bestimmungsfaktoren für die betriebliche Sozialpolitik 300 Allgemeine Erörterungen Hinsichtlich jener Komponenten sozialer Betriebsführung, die obligatorisch sind, handelt der Betrieb als Exekutivorgan der staatlichen Sozialpolitik oder in Erfüllung von Tarifverträgen. Innerhalb dieses Rahmens besteht keine Möglichkeit, betriebliche Sozial Politik zu betreiben, denn dieser Rahmen ist von außen her fixiert und insofern sind die durch ihn abgesteckten Formen betrieblicher sozialer Betätigung der autonomen Entscheidung des Einzelbetriebes entzogen. Es gibt aber wohl kaum einen Betrieb, der in seiner sozialen Sphäre nicht größere Aktivitäten entfaltet als sie gesetzliche und tarifvertragliche Bestimmungen zwingend vorschreiben;

Bestimmungsfaktoren f. d. betriebliche Sozialpolitik

87

vielmehr sind die Unternehmungen im allgemeinen bestrebt, über das obligatorische Mindestmaß an sozialer Betätigung hinaus noch zusätzliche soziale Aufgaben und Rücksichten wahrzunehmen. Sie nutzen - allerdings mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Absichten - die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich der sozialen Betriebsführung darbieten, indem sie betriebliche Sozialpolitik betreiben. Untersucht man die Gründe oder die Bestimmungsfaktoren, nach denen sich die betriebliche Sozialpolitik orientiert, so schneidet man damit eine sehr komplexe Frage an. In der Regel ist es ja nicht ein einziger Grund, durch den das Verhalten des Unternehmers bestimmt wird. Vielmehr ist es eine Vielzahl von Einflüssen, die den Unternehmer sozial tätig werden lassen und sie mögen ihm mehr oder weniger bewußt sein. Die Fülle der Motive soll wegen der besseren Überschaubarkeit in einigen wenigen zusammengefaßt werden. Es ergeben sich zunächst zwei Gruppen: betriebliche Sozialpolitik 1. aus einer philanthropischen, caritativen, barmherzigen, humanitären oder patriarchalischen Einstellung des Unternehmers, 2. aus wirtschaftlich rationalen Überlegungen herrührend. Bei der ersten Gruppe steht die Wohlfahrt des Arbeitnehmers im Vordergrund; bei der zweiten Gruppe dagegen steht die Steigerung der Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit, die höhere Wirtschaftlichkeit der Leistung des Arbeitnehmers im Mittelpunkt. 301 Die Wohlfahrt der Arbeitnehmer als Bestimmungsfaktor Als das Ziel der betrieblichen Wohlfahrtspflege sah Albrecht49 zu Beginn dieses Jahrhunderts eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der unbemittelten Klassen. Von " Vgl. Albrecht, H . , „ H a n d b u c h der sozialen Wohlfahrtspflege in Deutschland", Berlin 1902, S. 3.

88

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Erdmann betrachtete um dieselbe Zeit als Ziel die „Linderung und Beseitigung solcher aus der wirtschaftlichen Entwicklung notwendig hervorgehenden Schäden, die auf dem Wege rechtlicher Zwangsnormen noch nicht oder überhaupt nicht gemildert oder beseitigt werden können" 50 . Albrecht und von Erdmann orientierten sich bei ihren Forderungen an den für die Arbeitnehmer um die Jahrhundertwende noch recht ungünstigen sozialen Zuständen. Bereits im Jahre 1910 zeigte dagegen Altenrath Ziele der betrieblichen Wohlfahrtspflege auf, die bis heute ihre Gültigkeit behalten haben. Nach Altenrath ist es der Zweck der Betriebswohlfahrtspflege, „die Arbeit, das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer und die Beziehungen zur Mitarbeiterschaft zu einer Arbeits- und Lebensgemeinschaft in der Weise auszubauen, daß der drohenden materiellen Not vorgebeugt und die Arbeit selbst zu einem Mittel innerer Befriedigung wird und die Arbeitsgemeinschaft zu einem Verhältnis gemeinsamen Strebens, gegenseitiger Hilfe, materieller und ideeller Förderung sich gestaltet" 51 . Bevor wir auf die einzelnen Bestimmungsgründe der betrieblichen Wohlfahrtspflege eingehen, soll zunächst der sehr vieldeutige Begriff der „Wohlfahrtspflege" geklärt werden. Unter „Wohlfahrt" verstehen wir mit Pleiß52 den subjektiven Zustand des Wohlbefindens, des Wohlergehens einer Person oder einer Mehrheit von Personen. Die den Begriff „Wohlfahrt" einschließenden Worte „Pflege" und „Betrieb" deuten an, auf welche Art und Weise bzw. an welchem Ort oder durch wen das Ziel der Wohlfahrt erreicht werden soll. Die erstrebten Teilziele sind im wesentlichen folgende fünf 53 : 1. Verbesserung der betrieblichen Arbeitsbedingungen 10

E r d m a n n , R. v., „Die Wohlfahrtspflege", Jena 1903, S. 22. Altenrath, J., „Aufgaben und Organisation der Fabrikwohlfahrtspflege in der Gegenwart", Berlin 1910, S. 2. 58 Vgl. Pleiß, U., „Freiwillige soziale Leistungen der industriellen Unternehm u n g " , Berlin 1960, S. 34. 13 Vgl. hierzu auch Pleiß, U., a. a. O . , S. 36. 51

Bestimmungsfaktoren f. d. betriebliche Sozialpolitik

89

2. Uberwindung der Armut der Arbeiterklasse und Hebung ihres Lebensstandards 3. Schutz und Sicherung gegen Wechselfälle des Lebens 4. Weckung und Förderung eines guten Einvernehmens zwischen Unternehmer und Arbeiter 5. Hebung des geistigen Niveaus der Arbeiterklasse und Beseitigung der Vererbung proletarischer Verhältnisse. Zu 1.: Die Forderungen nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurden laut, als in der Frühzeit der Industrialisierung die sozialen Mißstände in den Betrieben in schärfster Form auftraten. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen erstreckte sich zu jener Zeit auf die Schaffung von Betriebseinrichtungen, deren Vorhandensein wir heute als selbstverständlich betrachten. Einrichtungen, die damals noch als besonders sozial betrachtet wurden, werden heute von der Gewerbeordnung und den Unfallschutzvorschriften verlangt und haben damit zwangsläufig ihren sozialen Charakter verloren. Es schärfte sich der Blick dafür, daß es sich bei solchen Einrichtungen tatsächlich um „Betriebseinrichtungen" handelt, d.ie eines sozialen Wesenszuges entbehren54. Maßnahmen zur Beseitigung gesundheitsschädlicher Einflüsse bei der Fertigung, Unfallschutzvorkehrungen in Fabrikräumen und bei Fertigungseinrichtungen, ferner ärztliche Betreuung und Gesundheitspflege, die Einrichtung von Sanitäts-, Wasch-, Bade- und Umkleide-, Eß- und Aufenthaltsräumen sind heute Betriebseinrichtungen, die kaum noch als „sozial" bezeichnet werden. Es sind dies alles selbstverständliche Einrichtungen, die den Menschen im Betriebe menschenwürdiges Arbeiten überhaupt erst ermöglichen. Wenn heute von einer Verbesserung der menschlichen Arbeitsbedingungen gesprochen wird, so denkt man dabei an subtilere Formen: es müssen die Forschungsergebnisse der " Vgl. Altenrath, J . , a. a. O., S. 1.

90

Gestakungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Ergonomie55, der Lehre von der Anpassung der Arbeit an den Menschen, berücksichtigt sein, wenn von einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesprochen werden kann. Die Forderung nach Anpassung der Arbeitsbedingungen an den Menschen, seine physischen und psychischen Eigenschaften, hat vor allem durch die zunehmende Automatisierung an Bedeutung gewonnen. An den Menschen im automatisierten Betrieb werden andere Anforderungen gestellt als früher bei anderer Organisation der Produktion. Schwere körperliche Arbeiten und manuelle Tätigkeiten verminderten sich; sie wurden von Kraft- und Arbeitsmaschinen übernommen. Dagegen gewinnen reine Überwachungs- und Kontrollfunktionen zunehmend an Bedeutung. Wenn wir unter diesen modernen Verhältnissen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreichen wollen, dann müssen aus der Vielzahl arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse, die ursächlich mit der Automatisierung zusammenhängen, vor allem die beiden von Schmidtke hervorgehobenen berücksichtigt werden56: a) die Zeitvariabilität der menschlichen Leistung bei Überwachungs- und Kontrollfunktionen b) die Arbeitsgestaltung zur Optimierung der Informationsaufnahme. Zu a): Es ist eine alte Erfahrung, daß die Aufmerksamkeit des Menschen um so geringer ist, je anregungsärmer die aktuelle Situation und je weniger konkret seine Leistung ist. Je länger dieser Zustand währt, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit angenommen, daß in einem solchen ereignisarmen Umfeld ein reaktionsforderndes Signal auftritt. Zu b): Auch bei der Untersuchung der Arbeitsgestaltung zur Optimierung der Informationsaufnahme bildet in erster Linie 55 Vgl. dazu insbesondere Schmidtke, H., „Ergonomie und Automatisierung", Beitrag in: Fertigungstechnische Automatisierung, hrsg. von Kurt Pentzlin, Otto Kienzle, Berlin-Heidelberg 1969. »· Vgl. Schmidtke, H „ a. a. O., S. 107 ff.

Bestimmungsfaktoren f. d. betriebliche Sozialpolitik

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der moderne automatisierte Betrieb das Untersuchungsobjekt. Auch hier ist an den Menschen im automatisierten Betriebe gedacht, der an einer zentralen Schaltwarte ständig eine Vielzahl von Informationen erfassen muß. Da diese in der Regel vom Auge erfaßt werden müssen, ist zunächst ein Adaptionsvorgang notwendig, der um so länger dauert, je krasser der Übergang von hell zu dunkel und je älter der beobachtende Mensch ist. Aus dieser Beobachtung ζ. B. ist die Forderung abzuleiten, die Leuchtdichteunterschiede zwischen Schaltpult und zu überwachendem Aggregat möglichst gering zu halten. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Erkenntnisse der Ergonomie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen genutzt werden können57. Zw 2.: Zu dem zweiten Ziel der Betriebswohlfahrtspflege, der Überwindung der Armut der Arbeiterklasse und der Hebung ihres Lebensstandards, sind nähere Erörterungen wohl kaum zeitgemäß. Wenn wir unter Armut einen Daseinszustand an der Grenze des Existenzminimums (oder gar darunter) verstehen, so kann festgestellt werden, daß es Armut in der Bundesrepublik so gut wie nicht mehr gibt. Der Lebensstandard der Arbeitnehmer hat ein Niveau erreicht, das noch vor 50 Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Zu 3.: Der Schutz und die Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens stellt ein fundamentales Ziel betrieblicher Sozialpolitik dar. Ohne Schutz und Sicherung „von oben" wäre der in der Regel vermögenslose Arbeitnehmer hilflos unvorhersehbaren Ereignissen wie Unfall, Krankheit oder Invalidität ausgeliefert. Ziel jedes Schutzes und jeder Sicherung soll es sein, die Erwerbsfähigkeit und die Selbsthilfe des Arbeitnehmers wieder herzustellen. In dieser Richtung wurde bereits viel ge6 7 Ein weiteres Eingehen auf diese Problematik ist hier nicht beabsichtigt, weil wir uns sonst all zu weit auf das Gebiet der Arbeitswissenschaft begeben müßten.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

leistet: Genesungsurlaub, Zuschüsse für Wöchnerinnen, Stillstuben und Milchabgabe, Mütterberatungs- und Säuglingsfürsorge, Rekonvaleszentenhäuser, Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle u. v. m. Die Liste der sozialen Leistungen, die zum Schutze und zur Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens dem Arbeitnehmer zugute kommen, ließen sich noch weit fortsetzen. Zu 4.: Gutes Einvernehmen als Ziel der Betriebswohlfahrtspflege gewinnt gerade in neuerer Zeit an Bedeutung, nicht zuletzt deswegen, weil die unter den Punkten 1 - 3 genannten Teilziele bereits weitgehend verwirklicht sind. Das bei der großbetrieblichen Fertigung verlorengegangene persönliche Verhältnis zwischen den Arbeitnehmern und der Betriebsleitung soll auf eine neue Basis gestellt werden, um den aus der Trennung von Kapital und Arbeit herrührenden Interessengegensatz zu überwinden und auch den Gemeinschaftssinn unter den Arbeitnehmern zu fördern 58 . Das gute Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer läßt sich ζ. B. fördern durch die Unterstützung geselliger Veranstaltungen (Sommerfeste, Weihnachtsfeiern), die Errichtung von Vereins- und Gesellschaftshäusern, durch Jubiläumsfeiern, die Teilnahme von Mitgliedern der Betriebsleitung an besonderen Familienereignissen, durch Geschenke, Auszeichnungen für treue Dienste u. a. Dem Einfallsreichtum der Betriebsleitung sind hier keine Grenzen gesetzt. Zu 5.: Ganz besondere Bedeutung wird in Zukunft der Fortbildung zukommen. Die Forderung nach Hebung des geistigen Niveaus der Arbeiterklasse und nach Beseitigung der „Erblichkeit" des proletarischen Daseins wird seit langem gestellt. Bis heute ist sie zum guten Teil noch unerfüllt geblieben. Sicherlich wurde - im Vergleich zu den Verhältnissen am Anfang der Industrialisierung - schon viel erreicht. Insbesondere ist das geistige Niveau der Arbeiterklasse wesentlich gestiegen, S8

Vgl. Pleiß, U., a. a. O., S. 40.

Bestimmungsfaktoren f. d. betriebliche Sozialpolitik

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und doch blieb dieser Anstieg hinter dem Anstieg des materiellen Niveaus der Arbeitnehmer beträchtlich zurück. Mit der Begründung, Arbeiterkinder seien eben in der Regel weniger begabt als Kinder von Unternehmern, läßt sich diese Diskrepanz nicht erklären. Es ist nicht so, daß die zu beobachtenden Niveauunterschiede naturgegeben sind; vielmehr ergeben sie sich aus den unterschiedlichen Ausgangspositionen. Ungleiche Ausbildungschancen, ungleicher Vermögensbesitz u. a. haben heute noch bei der Entwicklung eines jungen Menschen ein zu großes Gewicht. 302 Die Steigerung der Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit als Bestimmungsfaktor Neben den mehr oder weniger humanitären Gründen, aus denen heraus betriebliche Sozialpolitik betrieben wird, gibt es weitere Gründe, die primär wirtschaftlicher N a t u r sind. Die Zielsetzung, mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen den Wirkungsgrad der menschlichen Arbeit zu erhöhen, entwickelte sich einerseits aus der empirischen Beobachtung, daß die Wohlfahrtspflege sich wirtschaftlich positiv auswirkt, andererseits aus den Erkenntnissen der Arbeitswissenschaft, der Betriebssoziologie, der Betriebspsychologie und der Sozialpsychologie. Beide Gründe bildeten, im Zusammenhang mit den Rationalisierungsbestrebungen der 20er Jahre, den zweiten Anlaß zur Entfaltung sozialpolitischer Initiative der Unternehmen. Besonders stark hat sich diese mehr produktions- und ertragsorientierte Auffassung, die Herstellung einer direkten Mittel-Zweck-Relation zwischen sozialen Leistungen und wirtschaftlichem Erfolg, in den USA durchgesetzt, wo im wesentlichen argumentiert wurde: „it pays". Aber auch in Deutschland bringt ζ. B. der Ausschuß für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie diese Auffassung zum Ausdruck, wenn er erklärt: „Betriebliche Sozialarbeit will dem arbeitenden Menschen dienen. Sie sorgt sich um seine

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Gesundheit und Sicherheit, sie versucht, ihm ideell und materiell in der Not zu helfen, unter möglichster Förderung seiner Selbständigkeit und seines Verantwortungsbewußtseins. Sie bemüht sich um das Wohl seiner Angehörigen. All dies geschieht nicht aus einer patriarchalisch-caritativen Haltung heraus, um Wohltätigkeit zu üben, Abhängigkeit zu erzeugen und - vielleicht Dankbarkeit zu ernten. Betriebliche Sozialarbeit geht von einer nüchternen und realen Tatsache aus: der Tatsache, daß der arbeitende Mensch das wichtigste Element des Betriebes ist und daß ihm deshalb zum mindesten die gleiche Sorgfalt und Pflege zukommt, wie sie ζ. B. für den technischen Produktionsfaktor in jedem Betriebe selbstverständlich ist. Betriebliche Sozialarbeit wird am arbeitenden Menschen und für ihn getan, damit er nicht nur arbeitsfähig, sondern auch arbeitsfreudig und leistungsbereit ist 59 ." Gewisse Probleme ergeben sich bei dieser mehr ökonomischen Betrachtung aus der Tatsache, daß zwischen Einsatzgröße (den Maßnahmen der betrieblichen Sozialpolitik) und Ergebnisgröße (der menschlichen Arbeitsleistung) kein direkter kausaler Zusammenhang besteht. Die aus wirtschaftlicher Sicht gewährten Sozialleistungen wirken nicht unmittelbar auf die Arbeitsleistungen, sondern nur über den zwischengelagerten, seelischen Bereich des Menschen. Damit ist ihre Wirkungskraft nicht allgemein, sondern nur individuell bestimmbar, denn jeder Mensch reagiert anders. Maßnahmen der betrieblichen Sozialpolitik lösen eine Wirkung beim Einzelnen aus. Sie können sein Verhalten so beeinflussen, daß er den Wirkungsgrad seiner Arbeit steigert, sie müssen aber diese Wirkung nicht zwangsläufig erzielen. Nur zu oft bestehen beim Arbeiter Gleichgültigkeit, Interesselosigkeit, Unfähigkeit zur richtigen Beurteilung von Sozialleistungen und in ganz besonderem Maße die Gewöhnung, die den erhofften Erfolg vereiteln. Die Einführung einer betrieblichen Altersversicherung ζ. B. wird 6 8 Ausschuß für Sozialwirtschaft der "Wirtschaftsvereinigung Eisenindustrie (Hrsg.), Betriebliche Sozialarbeit, Heft 1, Düsseldorf 1951, S. 6.

und

Stahl-

Bestimmungsfaktoren f. d. betriebliche Sozialpolitik

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nach Jahr und Tag als etwas Selbstverständliches, wenn auch sicherlich Wertvolles gewürdigt, doch liegt in ihrem Vorhandensein kein unmittelbarer Arbeitsanreiz mehr begründet, es sei denn, daß das Gefühl der erhaltenen Sicherheit zur größeren Arbeitsintensität führt 60 . Auch wenn die Maßnahmen der betrieblichen Sozialpolitik nicht unbedingt eine Steigerung der Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers zur Folge haben, so können sie unter dem Aspekt des „Haushaltens mit der Arbeitskraft" durchaus der wirtschaftlichen Zielsetzung dienen. Eine pflegliche Behandlung des Menschen im Betriebe erfolgt unter diesem Gesichtspunkt weniger um seiner selbst willen, als vielmehr in der Absicht, eine zeitlich längere Einsatzmöglichkeit zu sichern und einen intensiveren Einsatz zu erzielen oder doch zumindest einen Leistungsabfall zu verhindern. 303 Das Zusammenwirken der Bestimmungsfaktoren „Steigerung der Ergiebigkeit menschlicher Arbeit", desgleichen „soziale Rationalisierung", „Menschenökonomie" und „Arbeitsökonomie" sind wirtschaftliche Motive für betriebliche Wohlfahrtspflege. Unter „Menschenökonomie" ist die Rationalisierung des sozialen Verhältnisses zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Arbeit und unter „sozialer Rationalisierung" die bestmögliche Gestaltung des sozialen Betriebsdaseins zu verstehen 61 . Geht man nur von der zweckmäßigsten und ergiebigsten Verwertung der menschlichen Arbeitskraft aus, so betreibt man „Arbeitsökonomie". Als Begründer der „wissenschaftlichen Betriebsführung", d. h. der wissenschaftlichen Durchdringung der Arbeitsabläufe und der menschlichen Arbeit zum Zwecke der Steigerung der betrieblichen Leistung und des Erfolges im Sinne der „Arbeitsökonomie" gilt der Amerikaner Taylor. Mit dem von ihm ein«· Vgl. Pleiß, U., a. a. O . , S. 63. «' Vgl. Pleiß, U „ a. a. O . , S. 56.

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geführten „Pensumlohnsystem" verfolgte er primär das Ziel, den Leistungswillen der Arbeitnehmer anzuregen. Im Laufe der Zeit setzte sich jedoch immer mehr die Erkenntnis durch, daß der Mensch nur als Ganzes, sowohl physisch als auch psychisch, gesehen werden darf, womit das Gebiet der reinen Arbeitsökonomie verlassen war. Nicht nur die Arbeitsplatzgestaltung und die betriebliche Sorge um das gesundheitliche Wohl des Arbeitnehmers wurden nunmehr als betrieblich notwendige soziale Aufgaben angesehen, sondern auch die Befriedigung seines Bedürfnisses nach sozialer Sicherheit, seine Fortbildung, die Stärkung seines Verantwortungsbewußtseins für den Arbeitsplatz und den Betrieb als Ganzes, die Wahrung seiner beruflichen Interessen, seine Information über Betriebsfragen sind nunmehr die Ziele der „menschenökonomisch" orientierten betrieblichen Sozialpolitik. Der Übergang von der ursprünglichen „wissenschaftlichen Betriebsführung" Taylors 8 2 zur „Menschenökonomie" ist inzwischen vollzogen. Nach heute bestehender Auffassung ist es nicht die erste Aufgabe sozialer Betriebsgestaltung, das betriebliche Sozial· gefüge in der Absicht wirtschaftlicher Leistungssteigerung zu ordnen, sondern die bestehende betriebliche Sozialordnung, wie sie in den zwischenmenschlichen Beziehungen im Betriebe und in der Einstellung der Arbeitnehmer zur Arbeit und zum Betriebe besteht, durch zielgerichtete Maßnahmen zu fördern und weiter zu entwickeln. In den USA werden die betriebssoziologische Erforschung der Gegebenheiten und Veränderungen des betrieblichen Sozialgefüges, das Aufspüren von Konfliktsituationen und die Beseitigung von Störungen in der hierarchischen O r d n u n g des βί Vgl. Atteslander, P., „Konflikt und Kooperation im Industriebetrieb", Köln und Opladen 1959, S. 42.

B e s t i m m u n g s f a k t o r e n f. d. b e t r i e b l i c h e S o z i a l p o l i t i k

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Betriebes, sowie die Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsprozeß und den Betriebszweck „human relations" genannt. Das der „Menschenökonomie" gesteckte Ziel ist damit sowohl wirtschaftlicher als auch sozialer Natur: nicht nur die körperliche und geistige Arbeitsleistung des arbeitenden Menschen soll dem Betriebszweck nutzbar gemacht werden, sondern der Mensch soll in allen seinen seelischen Kräften am Arbeitsprozeß, am Betrieb und am Betriebszweck interessiert werden. Damit sind wirtschaftliche und soziale Ziele keine Gegensätze mehr, sondern zu gemeinsamem Nutzen miteinander verwoben oder, wie K. Hax es formuliert: es sind „Humanisierung und ökonomisierung des betrieblichen Arbeitsprozesses untrennbar miteinander verknüpft 63 ." Durch die Summe der Sozialleistungen und ihre sinnvolle Kombination soll also sowohl die Befriedigung sozialer Bedürfnisse als auch eine Leistungssteigerung des Arbeitnehmers erreicht werden. Wirtschaftlichkeit, soziale Wirkung und wirtschaftlicher Aufwand sind im Betriebe eng miteinander verbunden, denn „erfolgt ein primärer Mitteleinsatz in Ausrichtung auf den sozialen Zweck, bleibt das Wirtschaftliche von sekundären Wirkungen nicht unberührt. Fördert man primär um des wirtschaftlichen Erfolges willen die Eigenart des menschlichen Arbeitsträgers, so erfährt auch das Soziale sekundär eine Beeinflussung" 64 . Damit kann die „Menschenökonomie" durchaus ein erfolgswirksames Mittel im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsstrebens des Betriebes bilden. Die „soziale Rationalisierung" dagegen ist grundsätzlich nicht leistungsbezogen. Ihr Ziel ist es, „nicht das Menschliche um der Leistung willen zu fördern . . . , sondern dem Menschen sogar zu Lasten der Leistung zu helfen" 65 , also das Wirtschaft" Hax, K., „Die betrieblidien Sozialleistungen", in: Schriften der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e. V., Bd. 3, Berlin 1966, S. 43. " Pleiß, U., a. a. O., S. 93. " Pleiß, U., a. a. O., S. 93. 7

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liehe dem Sozialen unterzuordnen. Eine solche Auffassung ist aber ausgesprochen wirtschaftsfremd. 3 1 Formen der Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter 310 Das Bemühen um gerechte Entlohnung 3100 Problematik des gerechten

Lohnes

Für den Mitarbeiter entscheidet die Höhe seines Lohnes oder Gehaltes über die Möglichkeit einer angemessenen Lebensführung; darüber hinaus stellt sie einen Gradmesser für die Anerkennung seiner Leistung und damit seiner Person dar. Unter diesen Gesichtspunkten ist es nur natürlich, daß Zufriedenheit und Arbeitsfreude der Mitarbeiter und der daraus resultierende Arbeitseinsatz weitgehend von einer als gerecht empfundenen Entlohnung abhängig sind, und daß deshalb die gerechte Entlohnung als eines der Hauptanliegen sozialer Betriebsführung rangiert. Die Frage der Lohngerechtigkeit ist wohl so alt, wie es abhängige Arbeit gibt. Daß sie niemals endgültig beantwortet werden kann, liegt letztlich darin begründet, daß es keinen objektiven Maßstab dafür gibt, was gerecht ist. Es hängt zweifellos sehr stark von der bestehenden Gesellschaftsordnung und ihren sozial-ethischen Grundlagen ab, unter welchen Bedingungen eine Entlohnung allgemein als gerecht empfunden wird. Das Gerechtigkeitsempfinden in bezug auf die Entlohnung zeigt demnach bei unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen unterschiedliche Ausprägungen. So waren ζ. B. die Vorstellungen von Lohngerechtigkeit zu Zeiten der Leibeigenschaft während des Mittelalters andere als heute, und sie sind ζ. B. auch in Ländern kommunistischer Gesellschaftsordnung von den unsrigen völlig verschieden. Für unser derzeitiges Gesellschaftssystem dürfte die von Geck 66 stammende Definition zutreffend sein, wonach der ge•8 Geck, Α., „Soziale Betriebsführung", a. a. O., S. 220.

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rechte Lohn jener Lohn ist, der „den Arbeitserfolg als Persönlichkeits· und als Gemeinschaftsleistung wertet, der sich gründet auf einzelmenschliche und gemeinschaftliche Leistungen sowie auf soziale Verhältnisse innerhalb und außerhalb des Betriebes, und der den Arbeitsertrag derart aufteilt, d a ß den Leistungen und Lebensbedürfnissen aller zum Arbeitserfolg Beitragenden so gut wie möglich entsprochen wird". Es handelt sich bei dieser Definition um eine Leitmaxime für lohnpolitisches Vorgehen, in der alle wesentlichen Bestimmungsfaktoren des gerechten Lohnes zum Ausdruck kommen. Es ist aber nicht möglich, diese Faktoren objektiv richtig zu ermitteln, noch die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen - etwa in der Form mathematischer Gleichungen - allgemeingültig darzustellen. Und es kann somit auch keine der Forderung nach absoluter Lohngerechtigkeit genügende Vorschrift f ü r die Ermittlung von Löhnen und Gehältern entwickelt werden. Dennoch aber ist im Interesse gesunder wirtschaftlicher und sozialer Betriebsverhältnisse ernsthaftes Bemühen um gerechte Entlohnung zu entfalten, indem Wege zu einer besseren Annäherung an eine als gerecht empfundene Entlohnung gesucht und beschritten werden. 3101 Leistungsgerechte

Entlohnung

Einen wesentlichen Fortschritt in Richtung auf eine gerechte Entlohnung stellen die Methoden der Arbeitsbewertung dar, wie sie von der Arbeitswissenschaft entwickelt worden sind. Bei diesen Methoden werden zum Zwecke der Einstufung der einzelnen Tätigkeiten die mit ihrer Ausführung verbundenen Anforderungen festgestellt, analysiert und bewertet, wodurch eine relative Gerechtigkeit hinsichtlich der Einstufung betrieblicher Tätigkeiten erzielt wird. Bei qualifizierteren Angestelltentätigkeiten bereitet die Arbeitsbewertung allerdings erhebliche Schwierigkeiten, denn die Übertragung der ursprünglich f ü r fertigungstechnische Arbeiten entwickelten Bewertungsmethoden ist nicht ohne wei7'

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teres möglich. Im Gegensatz zu manuellen Tätigkeiten, deren Ablauf sichtbar und damit dem Arbeitsstudienmann unmittelbar zugänglich ist, entziehen sich qualifizierte Tätigkeiten weitgehend der Fremdbeobachtung und bedürfen überdies anderer Bewertungsmaßstäbe. In Anbetracht der Tatsache, daß manuelle Arbeiten zunehmend von Maschinen übernommen werden und die Arbeiter statt dessen Überwachungs- und Wartungsaufgaben zu erfüllen haben, kommt den derzeitigen Bestrebungen, geeignete Bewertungsverfahren zu entwickeln67, große Bedeutung zu. Für die Höhe des leistungsgerechten Lohnes ist neben der Einstufung einer Arbeitsverrichtung die tatsächlich erzielte Arbeitsleistung maßgeblich. In welcher Weise sie berücksichtigt und im Lohn bzw. Gehalt abgegolten wird, das hängt von dem angewandten Lohnsystem ab. Die Wahl eines geeigneten Lohnsystems ist deshalb von grundlegender Bedeutung für die gerechte Entlohnung. Bei der Entscheidung darüber sind die betrieblichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Es gibt Fälle, in denen allein der Zeitlohn anwendbar und angebracht ist, und wiederum gibt es Arbeitsverrichtungen, auf die am besten ein Leistungslohn angewandt wird, je nach den Umständen als Einzel- oder Gruppenlohn. Außer durch Akkordlöhne versucht man heute - wegen der vom Arbeiter unbeeinflußbaren Zeiten - dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit zunehmend auch durch Prämienlöhne zu entsprechen. Eine Prämie wird im allgemeinen dann gewährt, wenn eine bestimmte Normalleistung qualitativ oder quantitativ überschritten wird. Auch unter den „Sozialprämien", die gewöhnlich außerhalb der Arbeitsleistung begründete soziale Verhältnisse der Mitarbeiter berücksichtigen, gibt es solche mit Leistungsprämiencharakter, wobei dann meist solche Leistungen abgegolten werden, die sich bestehenden Leistungsmaßstäben entziehen (ζ. B. Anerkennungsprämien für das Anlernen neuer Mitarbeiter, für das " Vgl. ζ. B. Dirks, H., „Ein neues Bewertungsverfahren für Angestellte", in: Personal, 21. Jhg. 1969, Heft 3, S. 72 ff.

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Ausbilden von Lehrlingen, für das Erproben neuer Arbeitsverrichtungen). Um eine leistungsgerechte Entlohnung zu ermöglichen, muß das verwendete Lohnsystem an den betrieblichen Gegebenheiten ausgerichtet sein. Uberbetriebliche Regelungen können den Erfordernissen nur annähernd entsprechen. Die zwischen den Tarifpartnern ausgehandelten Tarife erfassen notwendigerweise schematisch größere Gruppen von Arbeitnehmern und können deshalb der Einzelleistung nicht gerecht werden. 3102 Bedarfsgerechte

Entlohnung

Neben der Differenzierung der Entgelte nach Leistungsgesichtspunkten erfordert der gerechte Lohn auch eine solche nach Bedarfsgesichtspunkten. Es geht dabei darum, dem einzelnen Mitarbeiter eine Einkommenshöhe zu verschaffen, die ihm eine Lebensführung im Rahmen des zeitüblichen Standards gewährleistet. Das Entgelt soll nicht nur die Höhe eines Mindesteinkommens haben, das schlecht und recht zur Befriedigung der normalen laufenden Lebensbedürfnisse ausreicht, sondern es soll so hoch sein, daß es dem Mitarbeiter die Möglichkeit gibt, auch noch angemessene Ersparnisse zur Vorsorge für Notzeiten und zur Ansammlung von Vermögen abzuzweigen. Damit wird der Einzelne auch in die Lage versetzt, einen persönlichen Beitrag zur Verbesserung seiner Existenz und deren Absicherung gegen Krankheit, Alter und wirtschaftliche Wechsellagen zu leisten. Er wird dadurch freier sein und braucht sich nicht mehr allein als Objekt staatlicher und betrieblicher Fürsorge zu fühlen. Auch wenn im Einzelfalle ein Mitarbeiter zur Entfaltung solcher persönlicher Initiative nicht gewillt ist, so muß der gerechte Lohn ihm wenigstens diese Möglichkeit offenhalten. In Anbetracht der sozialen Verpflichtung des Betriebes sollte also die Leistung nicht alleiniger Maßstab für die Bemessung des Lohnes sein, vielmehr sollten ergänzend - im Sinne einer „Bedarfsgerechtigkeit" - auch die sozialen Verhältnisse der

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Mitarbeiter in Form einer sozial motivierten Lohnkomponente berücksichtigt werden. Dominierender Bestimmungsfaktor für Lohn und Gehalt muß aber doch die Leistung sein, weil sie für die Produktivität des Betriebes entscheidend ist und weil die Lohngerechtigkeit auch im Bewußtsein der Arbeitnehmer überwiegend im Sinne von Leistungsgerechtigkeit verwurzelt ist. Es kann nicht im Interesse des Betriebes liegen, daß dieses Leistungsbewußtsein durch eine die sozialen Faktoren überbewertende Lohn- und Gehaltspolitik geschwächt wird. Während der Leistungsanteil des Lohnes mit der geleisteten Arbeit verhältnisgleich sein sollte, dürfen für die Bestimmung der sozialen Komponente des Entgelts nur die individuellen sozialen Faktoren maßgebend sein. Es widerspräche der mit den sozialen Zuschlägen verfolgten Absicht, wollte man sie in Abhängigkeit von der erbrachten Arbeitsleistung berechnen. Schematisch dargestellt würde sich das Gesamtentgelt in Abhängigkeit von der Leistung nach folgendem Bild zusammensetzen: durch Leistung b e s t i m m t e r Anteil des Entgelts

{

Gesamtentgelt

Leistung a

b f c

d u r c h soziale F a k t o r e n b e s t i m m t e r Anteil des Entgelts

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

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3103 Lohnpolitische Vertrauensbasis Zugleich mit dem Bemühen um eine gerechte Entlohnung müssen von der Betriebsleitung Anstrengungen unternommen werden, die Mitarbeiter durch Wort und Tat von der Ernsthaftigkeit dieser Bemühungen zu überzeugen. Wichtigste Voraussetzung dazu ist absolute Offenheit über die Grundsätze der betrieblichen Lohn- und Gehaltspolitik, über die Maßstäbe der Bewertung der Arbeit und die angewandten Methoden bei der Leistungsmessung und Lohnberechnung. Geheimnistuerei erzeugt zwangsläufig Argwohn und Mißtrauen gegenüber dem lohnpolitischen Vorgehen der Unternehmensleitung. Nur von einem entsprechend informierten Mitarbeiter kann erwartet werden, daß er die lohnpolitischen Maßnahmen auch versteht und - vorausgesetzt, daß seine Interessen darin in angemessener Weise berücksichtigt sind Verständnis für sie aufbringt. So wird es ihm begreiflich, inwieweit er bei seinen Forderungen nach höherem Lohn bzw. Gehalt auch den Belangen des Betriebes gerecht zu werden hat, daß ein Teil der durch seine Mitarbeit geschaffenen Werte zur Erhaltung des Betriebes und damit auch zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Steigerung der Produktivität im Betriebe verbleiben muß, wenn dieser auch künftig die Mittel für die Versorgung der Betriebsangehörigen bereitzustellen in der Lage sein soll. Besondere Schwierigkeiten kann das Schaffen und Aufrechterhalten der lohnpolitischen Vertrauensbasis dann bereiten, wenn das lohnpolitische Verhalten des Betriebes einem zwischenbetrieblichen Vergleich unterworfen wird und die dabei zutage tretenden Abweichungen begründet werden müssen. Es ist der Regelfall, daß verschiedene Betriebe für ein und dieselbe Tätigkeit unterschiedliche Effektivlöhne zahlen, denn es gehört zum Wesen unseres Wirtschaftssystems, daß Löhne und Gehälter in den zwischenbetrieblichen Wettbewerb einbezogen sind, ihre Höhe deshalb von der Stellung der einzelnen Betriebe im Markte abhängt.

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Innerhalb gewisser Grenzen ist so das Prinzip der Lohngerechtigkeit - überbetrieblich gesehen - auf kurze Sicht außer Kraft gesetzt. Auf lange Sicht hingegen findet über den Markt ein Niveauausgleich statt: Betriebe, die zu niedrige Löhne zahlen, werden nicht in der Lage sein, ihre Mitarbeiter zu halten oder gar neue anzuwerben, sich deshalb vor die Alternative gestellt sehen, die Löhne anzuheben oder die Produktion aufzugeben. Aber auch Betriebe, die - gemessen am Durchschnitt - überhöhte Löhne und Gehälter zahlen, laufen Gefahr, ihre Existenz aufs Spiel zu setzen, wenn sie ihre Vorrangstellung auf dem Markt nicht halten können und durch nach unten hin unelastische Löhne in Kostendruck geraten. Natürlich ist es betriebs- und branchenverschieden, bei welcher Höhe der Lohn für eine und dieselbe Tätigkeit noch wirtschaftlich vertretbar ist. Wo höhere Gewinne erwirtschaftet werden, ist den Arbeitnehmern zu Recht eine bessere Entlohnung als die tarifvertraglich vereinbarte zu gewähren. Die Tariflöhne dürfen für jeden Betrieb nur Mindesdöhne sein, da bei Tarifverhandlungen als Basis der für die Unternehmen noch tragbaren Lohnhöhe die Kosten- und Ertragslage eines ungünstig arbeitenden (Grenz-)Betriebes herangezogen wird, so daß jeder Betrieb, der sich in einer besseren Lage befindet, zur Zahlung höherer Löhne imstande sein wird. Es ist allerdings kaum anzunehmen, daß das Bemühen um soziale Gerechtigkeit das entscheidende Motiv für die Bewilligung übertariflicher Löhne und Gehälter sei. Ausschlaggebend sind vielmehr in der Mehrzahl der Fälle das Interesse der Unternehmensleitungen an der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Arbeitsfriedens (wenn die Mitarbeiter eine an sich gerechtfertigte übertarifliche Bezahlung nachdrücklich fordern), sowie das Streben nach Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt. Eine so bestimmte Lohnpolitik der Unternehmen wird kaum als dem Wesen sozialer Betriebsführung entsprechend angesehen werden können. Von einem sozial eingestellten Arbeit-

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geber wird zu Recht erwartet, daß er mögliche Lohn- und Gehaltserhöhungen bewußt, zunächst um seiner Mitarbeiter willen vornimmt, während andere Motive nachgeordnet sein sollten. Er sollte sein Bestreben, die Mitarbeiter am Fortschritt des Betriebes teilhaben zu lassen, auch deutlich zu erkennen geben; denn auf diese Weise vermittelt er seinen Mitarbeitern das Gefühl und die Gewißheit, daß er auch an sie denkt. Erhalten die Mitarbeiter hingegen den Eindruck, das Unternehmerverhalten sei vornehmlich vom Eigennutz bestimmt und als berechtigt empfundene Lohn- und Gehaltssteigerungen seien deshalb nur durch Druckausübung zu erreichen, so wird es nur schwer zu einer echten Betriebsgemeinschaft kommen. 311 Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer 3110 Die

Ausgangssituation

Soziale Betriebsführung führt auch zu der Auffassung, daß nicht allein das Kapital bzw. die Kapitaleigner Anspruch auf den vom Betrieb erwirtschafteten Gewinn haben. Weder das Kapital noch die Arbeit allein erbringen den Ertrag, sondern nur das Zusammenwirken von Kapital und Arbeit, weshalb es naheliegt, auch die im Betrieb Tätigen am Gewinn teilnehmen zu lassen, und zwar nicht nur einen kleinen Kreis leitender Angestellter, sondern alle Betriebsangehörigen. Konsequente Folgerung dieser Einsicht für die betriebliche Praxis ist die Gewinnbeteiligung oder - noch weiterreichend - die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer. Strenggenommen ist der Begriff Gewinnbeteiligung nicht die adäquate Bezeichnung für das, was er ausdrücken soll. Wenn wir ihn dennoch benutzen, so deshalb, weil er der im Sprachgebrauch übliche Oberbegriff für die Vielzahl mitunter sehr verschiedener Beteiligungssysteme ist, die von der Kostenersparnis- bzw. Leistungsbeteiligung über die Produktions- und Umsatzbeteiligung bis zur Unternehmensgewinn-, Dividendenund Substanzbeteiligung reichen.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ist schon viel längere Zeit Gegenstand von Erörterungen, Forderungen und Experimenten, als man gemeinhin annimmt. So wurde bereits 1791 die Textilfabrik Agathof, Gebrüder Ahnesorge, KasselBettenhausen, von ihren Inhabern in eine Stiftung mit einer sozialen Zwecken dienenden Gewinnbeteiligung umgewandelt 68 . Längere Zeit blieb dies ein Einzelfall. Ihren ersten größeren Aufschwung nahm die Gewinnbeteiligung nach der Revolution von 1848, als sozialkritisches Gedankengut - angeregt durch die Schriften von Marx und Engels - in diese Richtung zu wirken begann. Bis Ende des vorigen Jahrhunderts hatten dann in Deutschland rd. 50 Industriefirmen irgendeine Form der Gewinnbeteiligung eingeführt 69 . Einen höheren Bekanntheitsgrad erlangten dabei u. a. die folgenden Unternehmen: Neue Berliner Messingwerke AG, vorm. W. Borchert jun., Berlin, Heinrich Freese, Jalousie- und Holzpflasterfabrik, Berlin, Hallesche Maschinenfabrik und Eisengießerei, Halle, Carl Zeiß, Optische Werkstätte, Jena. Dennoch blieb die praktische Bedeutung der Gewinnbeteiligung sehr gering; man kam über Experimente kaum hinaus. Eine zweite Welle der Gewinnbeteiligung bahnte sich nach dem Ersten Weltkriege an. Man plante sogar, die Gewinnbeteiligung gesetzlich zu verankern. Doch die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen bereiteten diesen Bestrebungen (zunächst) ein Ende. Nach dem Zweiten Weltkriege lebte die Diskussion um die Gewinnbeteiligung um so heftiger auf. Man wollte die Arbeitnehmer am Aufschwung der Wirtschaft beteiligen. Wesentliche 88 Vgl. N e u m a y e r , W . W . , „Direkt M -GewinnbeteiIigung durch Leistungslohn und Plankostenrechnung, in: ZfB, erweitertes Sonderheft: Die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer, Wiesbaden 1951, S. 22. M Eine chronologische Aufzählung jener deutschen Industriefirmen, die bis 1928 eine Form der Gewinnbeteiligung eingeführt h a t t e n , findet sich bei N e u m a y e r , W . W . , a. a. O . , S. 22 ff.

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Impulse gingen von der rasch zunehmenden Verbreitung der Vorstellungen von „betrieblicher Partnerschaft" (G. Fischer) und vom „Mitunternehmertum" (Spindler) aus. Ihre besondere Aktualität erlangte die Diskussion um die Gewinnbeteiligung aber in erster Linie durch die überbetrieblich orientierten Bestrebungen, im Wege der Gewinnbeteiligung eine Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand herbeizuführen. Inzwischen ist bereits ein größerer Teil der Unternehmer grundsätzlich geneigt, auf die Forderungen der Arbeitnehmer nach Gewinnbeteiligung einzugehen, wenngleich noch erhebliche Unterschiede in den Auffassungen darüber bestehen, in welcher Form und in welchem Umfange diese Beteiligung zu verwirklichen sei. 3111 Ziele der

Gewinnbeteiligung

So mannigfaltig und differenziert die Beteiligungssysteme sind, so vielfältig sind auch die Wirkungen, die mit einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn beabsichtigt sein können. Die Zielvorstellungen sind teils vorwiegend sozialpolitischer, teils aber auch betriebspolitischer Natur: 1. sozialpolitische Ziele: Verwirklichung des Prinzips der Lohngerechtigkeit, Abbau der Spannungen aus dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, Verbesserung des Betriebsklimas und Festigung der Betriebsgemeinschaft, Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. 2. betriebspolitische Ziele: Verknüpfung des Prinzips der Lohngerechtigkeit mit dem der Vorsicht, Stärkere Bindung der Mitarbeiter an den Betrieb und somit Einschränkung unerwünschter Fluktuation, Anreiz zu größerer Leistungsbereitschaft, zum Mitdenken und Mitverantworten und somit mittelbare Förderung der betrieblichen Produktivität und Wirtschaftlichkeit.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Das Prinzip der Lohngerechtigkeit spielt bei der Einführung von Gewinnbeteiligungssystemen die zentrale Rolle. Vielfach werden denn auch Grundlohn bzw. Grundgehalt und Gewinnbeteiligung zusammen als der „gerechte Lohn" bezeichnet70. Unter lohnpolitischen Aspekten erweist sich die Gewinnbeteiligung als geeignet, das Prinzip der Gerechtigkeit unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Prinzips der Vorsicht zu verwirklichen. Auf Grund des Prinzips der Vorsicht sucht der Betrieb zu vermeiden, sich tarifvertraglich auf Löhne und Gehälter festlegen zu lassen, die so hoch sind, daß er sie allenfalls in Zeiten besonderer Prosperität zu zahlen in der Lage ist. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß tariflich fixierte Löhne und Gehälter - für den Fall, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse es gebieten - nur in Ausnahmefällen wieder abgebaut werden können. Nur nach oben hin ist eine Anpassung der Löhne an veränderte Wirtschaftsverhältnisse möglich. Somit stellt der derzeit gültige Lohn eine Untergrenze für das künftig zu zahlende Entgelt dar. Um nicht infolge dieser mangelnden Elastizität der Lohnund Gehaltskosten in Zeiten schlechteren Geschäftsganges in Schwierigkeiten zu geraten, wird der Betrieb aus dem Prinzip der Vorsicht heraus bestrebt sein müssen, sich einen lohnpolitischen Handlungsspielraum zu bewahren. Dies kann er erreichen, indem er sich bei längerfristigen Lohn- und Gehaltsvereinbarungen nur auf eine solche Höhe festlegen läßt, die auf längere Sicht auch bei schwankenden Wirtschaftslagen noch tragbar ist, aber darüber hinaus - wann immer die wirtschaftliche Situation es erlaubt - die Mitarbeiter am Erfolg teilhaben läßt, um so auch dem Prinzip der Lohngerechtigkeit zu entsprechen. Das Entgelt der Mitarbeiter erhält so ein elastisches Element, das an die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung und an die mit ihr verbundenen Ertragssteigerungen des Betriebes gekoppelt ist. ' · Vgl. Fischer, G., „Die Betriebsführung, Bd. 1: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre", 10. Aufl. Heidelberg 1964, S. 249.

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Ansätze zu einer solchen Politik finden sich in der Praxis sehr häufig auch dort, wo eine echte Gewinnbeteiligung nicht gegeben ist: um genügend flexibel zu sein, nehmen manche Betriebe eine Spaltung der Abschluß- oder Weihnachtsgratifikationen vor, und zwar in einen fixen Anteil auf gewohnheitsrechtlicher Basis und einen variablen Anteil, dessen Höhe von der jeweiligen Ertragslage abhängig ist. 3112 Betriebswirtschaftliche

und soziale

Grundsatzfragen

Wenn heute auch die Frage, ob die Arbeitnehmer am Gewinn zu beteiligen seien, mehr oder weniger eindeutig bejaht wird, so wirft doch die Durchführung der Gewinnbeteiligung eine ganze Reihe betriebswirtschaftlicher und sozialer Grundsatzfragen auf, in denen zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite, teilweise aber auch innerhalb dieser beiden Parteien, noch keine Ubereinstimmung der Meinungen erzielt werden konnte. Strittig ist nach wie vor, ob mit der Gewinnbeteiligung im Eventualfälle auch eine Werlustbeteiligung verbunden sein soll. (Hierbei ist abzusehen von dem Fall, daß die Belegschaft kapitalmäßig beteiligt ist, d. h. eine Einlage im Betriebe besitzt; denn Eigentum am Kapital bedeutet immer auch Teilnahme am Risiko des Kapitalverlustes.) Die Befürworter einer Verlustbeteiligung befinden sich in erster Linie auf seiten der Unternehmer. Zur Begründung ihrer Haltung führen sie insbesondere an: Wenn die Arbeitnehmer ihre Forderung nach Beteiligung damit begründen, daß das Betriebsergebnis durch das Zusammenwirken aller eingesetzten Produktionsfaktoren zustande kommt, so ist es nur folgerichtig, daß die Arbeitnehmer auch für den Fall des Entstehens eines negativen Ergebnisses einstehen, denn auch in diesem Falle haben sie ja mitgewirkt. Wenn man aber dem Eigenkapital des Unternehmers allein das Risiko des Verlustes aufbürden wolle, so stehe ihm konsequenterweise auch die alleinige Chance des Gewinnes zu.

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Von der Arbeitnehmerseite und auch seitens einiger betriebswirtschaftlicher Autoren wird eine Verlustbeteiligung grundsätzlich abgelehnt. Als Begründung wird insbesondere auf den Umstand hingewiesen, daß keineswegs das Kapital allein Verlustrisiken zu tragen habe; vielmehr stünde dem Kapitalrisiko das Risiko des Arbeitsplatzverlustes gegenüber, dem der Arbeitnehmer in Verlustzeiten ausgesetzt ist71. Daneben wird gegen eine Verlustbeteiligung der Arbeitnehmer eingewandt, daß das Entstehen von Gewinn oder Verlust ganz entscheidend von der Bewertung der Vermögensteile und von den Schwankungen der Marktpreise beeinflußt sei, worauf die Arbeitnehmer keinerlei Einfluß nehmen können. Unter Berücksichtigung des schicksalhaften Risikos, in Zeiten schlechten Geschäftsganges den Arbeitsplatz zu verlieren, und in Anbetracht des Ausschlusses der Arbeitnehmer von der Geschäftsführung und -Verwaltung wäre es in der Tat unbillig, den Arbeitnehmern eine Verlustbeteiligung zuzumuten. Anders liegt der Sachverhalt dann, wenn den Forderungen der Gewerkschaften nach Beteiligung der Arbeitnehmer an der betrieblichen Willensbildung entsprochen wird. In diesem Falle ist es als zwingend notwendig anzusehen, daß die Arbeitnehmer in dem Maße, wie sie durch Mitbestimmung direkt die Führung und somit die Geschicke des Betriebes beeinflussen, auch Mitverantwortung übernehmen, insbesondere also auch evtl. entstehende Verluste mittragen 72 . In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, wie eine derartige Verlustbeteiligung in für die Arbeitnehmer tragbarer Form zu realisieren sei. Es geht nicht an, von den Arbeitnehmern nach der Feststellung eines negativen Ergebnisses am Ende des Geschäftsjahres einen Teil des bereits ausgezahlten Entgelts zurückzufordern. Bei voller Lohn- und Gehaltszah71

Vgl. Fischer, G., a. a. 0 . , S. 249. L ä ß t m a n eine Verlustbeteiligung zu, so ist es richtiger, von Ergebnisbeteiligung anstatt von Gewinnbeteiligung zu sprechen, d e n n der Begriff „Ergebnis" ist neutral u n d sowohl auf Gewinne (positive Ergebnisse) als auch auf Verluste (negative Ergebnisse) a n z u w e n d e n . 7i

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lung läßt sich eine Verlustbeteiligung nur dann realisieren, wenn der Betrieb zunächst in Zeiten guter Gewinnlage aus dem Arbeitnehmeranteil des Gewinnes eine Rücklage bildet, aus der in Verlustperioden der von den Arbeitnehmern zu tragende Verlustanteil gedeckt werden kann. Ein weiteres Problem entsteht bei der Zurechnung des Ergebnisses auf die beteiligten Produktionsfaktoren. Es gibt keine betriebswirtschaftlichen Methoden oder Techniken, die es erlauben, den produktiven Beitrag der einzelnen Produktionsfaktoren genau zu ermitteln. Man kommt deshalb nicht umhin, den Schlüssel für die Aufteilung des Ergebnisses zwischen Kapital und Arbeit im Wege der Betriebsvereinbarung zu suchen. (Die Unmöglichkeit objektiver Zurechnung kann jedoch als grundsätzlicher Einwand gegen eine Gewinnbeteiligung nicht geltend gemacht werden.) Der Verteilungsschlüssel wird im allgemeinen durch eine Verhältniszahl repräsentiert. In der Praxis kommen hauptsächlich die folgenden drei Schlüssel zur Anwendung 73 : 1. Verhältnis des betriebsnotwendigen Kapitals zur Summe von Jahreslohn und -gehalt 2. Verhältnis des betriebsnotwendigen Kapitals zum Umsatz 3. Verhältnis von Abschreibungen auf Betriebsanlagen plus normale Zinsen auf das Kapital (als „Kapitallohn") zur Lohn- und Gehaltssumme (als „Arbeitslohn"). Jeder dieser Schlüssel hat seine eigene Problematik 74 . So ζ. B. würde sich bei den ersten beiden Schlüsseln die Aufteilung ändern, wenn eine andere Periodenlänge als ein Jahr zugrunde gelegt wird, weil die Lohn- und Gehaltssumme und auch der Umsatz, nicht aber das Kapital, zeitabhängige Größen sind. Beim dritten Schlüssel wird der Kapitalleistung nicht voll Rechnung getragen, weil das mit der Investition des Kapitals verbundene Risiko unberücksichtigt bleibt. " Vgl. Völker, R., „Wesen und Ziel betrieblicher Partnerschaft". Hilden 1966, S. 29. « Vgl. ebenda, S. 29 ff.

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Den auf den Faktor Arbeit entfallenden Anteil gilt es schließlich noch auf die einzelnen Mitarbeiter aufzuteilen, wobei die individuellen Gewinnanteile in der Regel nach dem Jahreslohn bzw. -gehalt, nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und nach sozialen Gesichtspunkten differenziert werden. Neben der unmittelbaren und individuellen Beteiligung gibt es auch die mittelbare und kollektive Beteiligung. In diesem Falle werden ζ. B. Einrichtungen zugunsten der Kinder der Belegschaft oder zur Verbesserung von Kantinen und Aufenthaltsräumen geschaffen; es erfolgen Zuweisungen an Hilfskassen, Unterstützungsfonds und Altersversicherungen, oder die Gewinnanteile kommen dem betrieblichen Wohnungswesen zugute. Derartige Formen kollektiver Beteiligung sind nur dann angebracht, wenn jedes Belegschaftsmitglied in den Genuß der auf solche Weise geförderten Einrichtungen kommen kann. Ein Leistungsansporn darf von derart allgemeiner Verwendung der Gewinnanteile jedoch nicht erwartet werden. Überdies lehrt die Erfahrung, daß bei den Arbeitnehmern das Interesse an unmittelbarer und individueller Beteiligung überwiegt. Für diese Haltung dürften die folgenden Gründe ausschlaggebend sein: 1. Der individuelle Gewinnanteil wird als zusätzlicher Lohn zur Bestreitung des laufenden Lebensunterhalts oder zum Erwerb langlebiger Konsumgüter benötigt. Dieses Motiv dürfte besonders bei sozial schlechtergestellten Arbeitnehmerhaushalten im Vordergrunde stehen. 2. Der Einzelne möchte über die Art und Weise der Verwendung seines Anteils allein entscheiden, so wie er das bei seinem Lohn bzw. Gehalt auch tut. Diese Haltung kann psychologisch motiviert sein, etwa weil der Betreffende im Mehrheitsbeschluß über die Wahl der Anlageform eine gewisse Bevormundung sieht; sie kann aber auch rein ökonomisch begründet sein, etwa weil er eine seinen individuellen Präferenzen in bezug auf Sicherheit, Ge-

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winnchancen und Liquidierbarkeit angemessene Form der Anlage verwirklichen möchte. 3. Besonders in Arbeitnehmerkreisen herrscht auch heute noch die Vorstellung, daß erst der unmittelbare Besitz Werte verkörpere. Man zieht deshalb dem Erwerb einer Forderung oder eines Mitgliedschaftsrechtes, die beide Werte nur in abstrakter Weise darstellen, den Empfang von Bargeld vor. Unkenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge und ein latentes Mißtrauen in Wirtschaft und Währung bestärken eine solche Haltung. Diese Motive stellen sich als besonderes Erschwernis bei den Bestrebungen dar, durch die Einführung von Beteiligungssystemen eine planvolle Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand anzubahnen. Nur vor dem Hintergrund dieser Widerstände läßt sich in etwa erklären, warum ζ. B. die Erfahrungen mit der Ausgabe von Belegschaftsaktien insgesamt gesehen bisher wenig ermutigend waren. Ehe sich die Situation grundlegend wandeln kann, dürfte noch ein großes Stück Erziehungsund Aufklärungsarbeit zu leisten sein, auch - und sogar zu einem wesentlichen Teil - von den Betrieben. Auch in der Frage, ob die Gewinnbeteiligung auf freiwilliger Basis gewährt werden soll, oder ob sie den Charakter eines rechtlichen Anspruchs auf einen vertraglich zugesicherten Ertragsanteil haben soll, sind die Meinungen geteilt. Gegen eine vertragliche Verankerung wird ζ. B. eingewandt 75 , dem Unternehmer müsse eine gewisse Freiheit und Freiwilligkeit bezüglich der Bestimmung von Art und Höhe der Gewinnbeteiligung verbleiben. Wenn die Gewinnbeteiligung als wohlerworbenes Recht betrachtet werde, so würde sich bei ein- oder gar mehrmaligem Fortfall derselben (wegen mangelnder oder sinkender Rentabilität oder aus anderen triftigen Gründen) leicht eine Störung des sozialen Friedens einstellen. " Vgl. Kalveram, W., „Einige grundsätzliche Fragen zur Gewinnbeteiligung", in: ZfB, erweitertes Sonderheft: Die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer, Wiesbaden 1951, S. 91. 8

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Überzeugen kann dieses Argument nicht. Bei entsprechender Ausgestaltung des anzuwendenden Beteiligungssystems wird in jedem Falle - unabhängig davon, ob die Beteiligung auf freiwilliger Basis oder auf vertraglicher Verpflichtung beruht - der Gewinnanteil der Arbeitnehmer mit der Rentabilität des Betriebes gekoppelt und somit ausreichend flexibel sein. Kann nun den Arbeitnehmern in Zeiten schlechter Gewinnlage kein Anteil zugewiesen werden, so werden sie im Falle freiwilliger Gewinnzuwendung die Ursache dafür vornehmlich in einem Sinken der Gönner- und Geberlaune ihres Arbeitgebers suchen. Das Entstehen eines sozialen Konfliktes ist dann durchaus gegeben. Ist hingegen der Anspruch der Arbeitnehmer vertraglich gesichert, so ist die Gefahr eines sozialen Konfliktes viel geringer, weil die Entscheidung darüber, ob sich ein Gewinnanteil für sie ergibt oder nicht, jetzt nicht mehr vom Wohlwollen des Unternehmers abhängt, sondern von einem objektiv feststellbaren ökonomischen Tatbestand. Zwar ist es nicht zweckmäßig, die Fragen der Gewinnbeteiligung für alle Betriebe eines Wirtschaftszweiges einheitlich zu regeln, doch kann das Gewinnbeteiligungsrecht - abgesehen vom selteneren Fall der Einzelvereinbarung - durch die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in die Betriebsordnung fundiert werden. Diese kann so gefaßt werden, daß alle Besonderheiten des Betriebes berücksichtigt werden. Sie wird dann bei Abschluß von Arbeitsverträgen deren Bestandteil und gibt jedem Belegschaftsmitglied einen individuellen Rechtsanspruch auf die Teilnahme am Gewinn. 3113 Formen der

Gewinnbeteiligung

Die Formen der Gewinnbeteiligung sind äußerst mannigfaltig und differenziert, aber gerade darin liegt ihre Stärke. Durch eine entsprechende Ausgestaltung lassen sich die Belange des Betriebes, die sich aus der Branchenzugehörigkeit, dem Standort, der Produktionsstruktur, dem Lohn- und Gehaltssystem, dem betrieblichen Sozialaufwand und der Struktur

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der Belegschaft ergeben, berücksichtigen, um so ein gleichsam auf den Betrieb zugeschnittenes Beteiligungssystem zu schaffen. Äußeres Unterscheidungsmerkmal der unterschiedlichen Beteiligungssysteme ist die Bezugsgröße, nach der die Höhe der Beteiligung der Belegschaft bestimmt wird. Die folgenden Größen kommen als Bezugsgröße in Frage: 1. die Quantität der Leistung (mengenmäßige Güterausbringung), 2. die Arbeitsproduktivität, 3. die Kostenersparnis, 4. der Umsatz oder der Rohertrag, 5. die Wertschöpfung (der um die Vorleistungen anderer Betriebe berichtigte Rohertrag), 6. der Nettoertrag, 7. der (bilanziell ausgewiesene) Unternehmensgewinn, 8. der Ausschüttungsgewinn, 9. der Substanzgewinn (investierter Gewinnanteil, der den Vermögenszuwachs des Betriebes bildet), 10. der Kapitalbestand des Betriebes. Je nach der gewählten Bezugsgröße und je nach den mit der Beteiligung verfolgten Zielen (nach Zahl, Art und Rang) haben die Beteiligungssysteme unterschiedliche Gestalt. Die Zahl der Möglichkeiten ist dabei Legion. Beschränken wir uns auf die Haupttypen der Gewinnbeteiligung, so können wir eine Untergliederung in drei Gruppen vornehmen76: 1. die Kostenersparnis- bzw. Leistungsbeteiligung, 2. die Produktions- bzw. Umsatzbeteiligung, 3. die Betriebs- bzw. Unternehmensgewinnbeteiligung und die Dividendenbeteiligung. Zu 1.: Bei der Kostenersparnisoder Leistungsbeteiligung ist Bezugsgröße die Kostenersparnis. Die Hauptzielsetzung dieser Systeme besteht in der Leistungssteigerung: Von den Mit76 Vgl. zum folgenden: Losacker, K., „Möglichkeiten und Grenzen betrieblicher Erfolgsbeteiligung", in: Gehring, H. (Hrsg.), .Erfolgsbeteiligung des Arbeitnehmers?', Karlsruhe 1969, S. 55 ff.

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arbeitern wird erwartet, daß sie die Kosten in ihren Arbeitsbereichen so gering wie möglich halten, ζ. B. durch Materialersparnis, Ausschußverminderung, geringere Fehlzeiten, sorgfältigere Behandlung von Werkzeugen und Maschinen, bessere Arbeitsmethoden, höhere Produktqualität usw. Die Anwendung eines derartigen Kostenersparnissystems setzt das Vorhandensein eines gut ausgebauten betrieblichen Rechnungswesens voraus, das eine genügend feine Aufgliederung der Kosten zuläßt. Kostenersparnissysteme besitzen den Nachteil, nur auf relativ kurze Sicht für den Arbeitnehmer interessant zu sein. Nach einiger Zeit wird es ihm immer schwieriger, weitere Kosten einzusparen, so daß er kaum mehr Vorteile aus einem solchen Beteiligungssystem ziehen kann. Nahezu zwangsläufig wird sich deshalb bei ihm Unzufriedenheit einstellen. Ein weiterer Nachteil dieser Systeme besteht darin, daß sie nicht in Verbindung mit der Rentabilität des Betriebes stehen. In Perioden schwacher oder gar fehlender Rentabilität kann der Betrieb durch den Zwang zur Zahlung von Kostenersparnisbeteiligungen leicht in noch größere Schwierigkeiten geraten. Zu 2.: Bei der Produktions- bzw. Umsatzbeteiligung wird die Bezugsgröße durch die Menge der erzeugten Güter bzw. durch den erzielten Umsatz dargestellt. Eine unmittelbare Koppelung der Beteiligung an die Leistung ist hier nicht mehr gegeben. Beispielsweise kann sich ein höherer Ausstoß durch verstärkten Arbeitskräfteeinsatz statt durch verstärkte Leistung der bisher vorhandenen Arbeitskräfte ergeben haben. Außerdem kann der Mehrausstoß durch überproportionalen Kostenanstieg (ζ. B. mehr Ausschuß) erkauft sein. Schließlich können in den Umsatzerlösen auch solche außerordentlicher oder betriebsfremder Natur enthalten sein. Wie bei der Kostenersparnisbeteiligung, so geht der Betrieb auch mit der Einführung einer Produktions- bzw. Umsatzbeteiligung das Risiko ein, in ertragsschwachen Perioden in Schwierigkeiten zu geraten.

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Zu 3.: Die besonders wichtigen und zahlreichen Beteiligungssysteme der dritten Gruppe knüpfen alle am Gewinn an. Ihre Anwendung ist deshalb nur in solchen Betrieben möglich, die Gewinnerzielung anstreben, nicht aber ζ. B. in öffentlichen Betrieben, wenn sie nach dem Prinzip der Kostendeckung arbeiten. Die Betriebsgewinnbeteiligung bezieht sich nur auf das Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit; neutrale Aufwendungen und Erträge haben keinen Einfluß. Bei der Unternebmensgewinnbeteiligung orientiert man sich entweder an der Handels- oder an der Steuerbilanz. Die Handelsbilanz ist vor allem deshalb problematisch, weil der Gewinn hier durch eine entsprechende Bewertung der Vermögensteile manipuliert sein kann. Der Gewinn wird im allgemeinen vor seiner Aufschlüsselung auf die beiden Produktionsfaktoren noch einer Korrektur unterzogen: Es wird ein Betrag für die Verzinsung des Eigenkapitals und das Kapitalrisiko abgezogen, sowie ein weiterer Betrag, in dem die Verantwortung und Leistung des Unternehmers in Form eines Unternehmerlohnes berücksichtigt ist. Daneben kann die Gewinnermittlung korrigiert werden, indem aus Steuergründen vorgenommene Abschreibungs- und Bewertungsmaßnahmen den realen Gegebenheiten angeglichen werden. Im Falle der Dividendenbeteiligung richtet sich die Beteiligung nach dem Teil des Gewinns, der an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Bei der Substanzbeteiligung ist, im Gegensatz zur Dividendenbeteiligung, Bezugsgröße jener Teil des Gewinnes, der wieder im Unternehmen investiert worden ist, sich also in einer Erhöhung der Substanz niedergeschlagen hat. Außer der Beteiligungsform auf der Grundlage des Betriebsgewinnes ist allen Beteiligungssystemen dieser dritten Gruppe eigen, daß nicht nur die innerbetrieblichen Arbeitsleistungserfolge, sondern auch jene Gewinn- und Verlustkomponenten zum Tragen kommen, die von Konjunkturschwankungen und strukturellen Veränderungen auf den Absatz- und Beschaffungs-

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markten, von Veränderungen im Finanzbereich des Betriebes und von den Leistungen der Unternehmensführung ausgehen und auf die die Arbeitnehmer keinen Einfluß haben. Bei der Dividenden- und Substanzbeteiligung spielt außerdem noch die Ausschüttungs- und Investitionspolitik des Unternehmens eine bestimmende Rolle. Als besonderer Vorteil der auf dem Gewinn aufbauenden Beteiligungssysteme ist das geringe Risiko anzusehen, das der Betrieb mit ihrer Einführung eingeht: wird kein Gewinn erwirtschaftet, so ist auch keine Beteiligung zu zahlen. Außerdem wird durch die Verknüpfung von Arbeitnehmerbeteiligung und Gewinn demonstriert, daß Arbeit und Kapital in bezug auf den betrieblichen Erfolg eine Einheit bilden. Eine Untersuchung über die Verteilung der Häufigkeit der verschiedenen Gewinnbeteiligungssysteme ergab, daß von 111 untersuchten Betrieben 50 Betriebe eine Betriebs- und Unternehmensgewinnbeteiligung, 34 Betriebe eine Dividendenbeteiligung, 20 Betriebe eine Produktions- und Umsatzbeteiligung und 7 Betriebe eine Kostenersparnisbeteiligung hatten. Für den Erfolg von Gewinnbeteiligungssystemen müssen, zusammenfassend, folgende Voraussetzungen gegeben sein: 1. Die Einführung eines Gewinnbeteiligungssystems kann nicht am Anfang, sondern erst am Ende eines Programms für soziale Betriebsführung stehen; die Gewinnbeteiligung sollte gleichsam eine Krönung der Beziehungen zwischen Unternehmung und Belegschaft darstellen. 2. Die Einführung einer Gewinnbeteiligung setzt voraus, daß das Unternehmen, gemessen an der Branche, mindestens durchschnittliche Löhne zahlt. Erst wenn dies der Fall ist, kann die Einführung einer Gewinnbeteiligung ins Auge gefaßt werden, weil sonst vermutet werden kann,

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daß der Unternehmer mit der Gewinnbeteiligung das Lohnniveau niedrig halten und einen Teil seines Risikos auf seine Mitarbeiter abwälzen möchte. 3. Die Gewinnerwartungen des Betriebes sollten auf lange Siebt günstig sein, um laufend Zuweisungen an die Arbeitnehmer vornehmen zu können. Andernfalls könnte auf Seiten der Mitarbeiter der Eindruck entstehen, der Unternehmer habe sich durch die Einführung der Gewinnbeteiligung nur ihr lohnpolitisches Stillhalten erkaufen wollen. 4. Das anzuwendende Beteiligungssystem sollte den individuellen Bedürfnissen des Betriebes angepaßt sein und in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern ausgearbeitet werden. 5. Den Mitarbeitern muß die Möglichkeit gegeben sein, die Einhaltung der getroffenen Vereinbarung über die Gewinnbeteiligung zu kontrollieren. Will sich die Unternehmung von ihren Mitarbeitern nicht in die Karten sehen lassen, so wird dem beiderseitigen Interesse ζ. B. durch die Einschaltung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Genüge getan, die die Kontrolle über die Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen treuhänderisch für die Belegschaft wahrnimmt.

3114 Grundsätzliches zur Gewinnverteilung Im Zusammenhang mit der Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ist es notwendig, auf die Verwendung des Gewinnes, die Differenz zwischen Ertrag und Aufwand, näher einzugehen. Der Gewinn, ewiger Zankapfel im Streit zwischen Gewerkschaften und Unternehmern, der den Gewerkschaften nicht nur die Argumente für ständige Lohnerhöhungen, sondern auch für die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer liefert, ist nicht nur ein Entgelt für Kapitaleinsatz und Übernahme des der Marktwirtschaft immanenten Risikos, sondern auch ein Entgelt für die unternehmerische Leistung: für gutes Disponieren,

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richtige Einschätzung der Marktlage und ihrer Entwicklung. Ein Unternehmen ist stets nur so gut wie seine Führung ist. Der vom Unternehmer in Zusammenarbeit mit allen Betriebsangehörigen erzielte Gewinn hat in der Marktwirtschaft, auch in der sozialen, eine bestimmte, unentbehrliche Funktion: die Erhaltung des Betriebes. Ohne Gewinnerzielung ist die Existenz des Betriebes nicht zu sichern, weil der Betrieb über die Deckung des Aufwandes hinaus ein Mehr benötigt, nicht nur für das nötige Wachstum, sondern für zwei andere, vorrangige Zwecke: für die Dividendenzahlung und zur Vorsorge für den Betrieb an sich, der der zweite Anwärter auf Gewinnzuteilung ist. Er ist aber derjenige, der meist vergessen wird. Es geht in dem ewigen Streit um die Gewinnverteilung immer nur um den Anteil der Aktionäre und den der Arbeitnehmer, obwohl letztere ihren Lohn und eine Reihe von sozialen Leistungen erhalten. Sie sollen sicherlich auch am Gewinn beteiligt werden, aber doch nicht an erster Stelle. Diese nimmt der Aktionär ein, der sonst keine Zuwendungen vom Betriebe erhält, obwohl er es ist, der die Gründung der Unternehmung überhaupt erst möglich gemacht hat und immer wieder herhalten muß, wenn Kapital - wozu auch immer benötigt wird und es sonst nicht erhältlich ist. Der Aktionär muß anlagewillig erhalten werden, was nur durch eine ausreichende Dividende, gemessen am Ertrag anderer Anlagen, vor allem von Obligationen und Hypotheken, erreicht werden kann. Nun sind die Dividenden der Aktiengesellschaften gegenwärtig alles andere als hoch. Gemessen wird die Höhe der Dividende am Börsenkurs (price earnings ratio). Scheint die Dividende ζ. B. von 20 °/o sehr hoch, ist die Dividendenkennzahl doch nur 4, wenn der Kurs 5 0 0 beträgt; und diesen Kurs erreicht die Aktie sicher, wenn die Dividende 20°/o ausmacht. Ist 4 DM Dividende je Aktie etwa hoch, wenn die Effektivverzinsung von Obligationen 7 V 2 - 8 °/o beträgt? Gewiß garantiert die Aktie in hohem Maße die Substanzerhaltung,

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was die Obligation nicht kann, vielleicht auch Gewinne aus der Kursdifferenz. Das alles aber hält sich in marktbedingten Grenzen, so daß niemand behaupten kann, daß der Aktionär mit seiner Dividende überbewertet ist. Von der Couponsteuer von 25 °/o sei hier ganz abgesehen. Der zweite Anwärter auf den Gewinn ist zweifellos der Betrieb an sich. Von ihm, seiiier Ausstattung und seiner Fähigkeit zur Ertragserzielung hängt alles ab, die Existenz des Betriebes und die Erhaltung der Arbeitsplätze. Er dient also beiden: dem Aktionär und dem Arbeitnehmer. Den Betrieb leistungsfähig zu erhalten, wenn möglich auch zu erweitern; dies ist mindestens ebenso wichtig wie die Ausschüttung von Dividende, so daß oft genug der Aktionär zugunsten des Betriebes an sich Opfer bringen muß. Der Gewinn - nach Steuer - gehört also zunächst dem Aktionär und dem Betrieb an sich, das sollte bei dem Streit um die Gewinnhöhe und die Gewinnanteile endlich voll anerkannt werden. Fraglich ist die Höhe des Gewinnanteils, der dem Betrieb an sich zugemessen werden sollte. Die Teilung 50 : 5 0 zwischen Dividende und Betriebsanteil scheint durchaus gerechtfertigt, mindestens eine gute Übung zu sein. In anderen westlichen Ländern ist der Anteil des Betriebes an sich teils höher, teils niedriger, nie aber wird er übersehen, einfach, weil er unentbehrlich ist. Wer alles verteilt und für die Betriebsausstattung und für all die Wechselfälle, denen der Betrieb in der Marktwirtschaft nun einmal ausgesetzt ist, nicht entsprechend vorsorgt, handelt nicht nur leichtfertig, sondern geradezu unverantwortlich. Der Gewinnanteil des Betriebes an sich hat die Form von Rücklagen, und zwar der Rücklagen in jeder Form, gesetzlicher und freier, also offener Rücklagen, dazu stiller Rücklagen, wenngleich die Bildung der letzteren durch das Aktiengesetz 1965 sehr erschwert, aber doch nicht unmöglich gemacht ist. Sieht man also die Gewinnerzielung (die leistungs- und marktbedingt ist) und die Gewinnfunktion (als Voraussetzung

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der Betriebserhaltung und der Sicherung der Arbeitsplätze), dazu die Gewinnverwendung (an Aktionäre und den Betrieb an sich) richtig, so sollte es keinen Streit um Gewinne und ihre Verteilung geben. An dritter Stelle hat der Arbeitnehmer Anspruch auf einen Gewinnanteil, wenn die Gewinnlage des Betriebes es zuläßt. Hier ist ein „Wenn" gegeben, beim Aktionär und dem Betrieb an sich gibt es in einer Marktwirtschaft kein „Wenn", nur ein „Muß", um des Betriebes willen, der eine Versorgungsfunktion zu erfüllen hat. Wenn alle drei Anwärter auf den Gewinn zum Zuge kommen, entsteht wieder das Problem der Höhe des einzelnen Anteils. Es ist alles eine Frage des Maßes. Das richtige Maß zu finden, die Grenzen zu erkennen, ist Voraussetzung für richtiges Verhalten, so schwierig auch beides ist. Aus diesem Grunde ist die Ertragsbeteiligung der Arbeit ein offenes Problem, weniger der dispositiven als der ausführenden Arbeit. Bei der richtigen Gewinnverteilung an die drei Anwärter sind 3 Kräfte zu koordinieren, und das ist das zweite unabdingbare Gesetz im Betriebe: das Gesetz der richtigen Abstimmung zwischen den drei betrieblichen Grundkräften: der Arbeit, dem Kapital und dem Betrieb an sich. Das erste betriebswirtschaftliche Gesetz - das des organischen Wachstums des Betriebes, der mindestens im Trend der Branche wachsen muß, soll er nicht zu bestehen aufhören - verlangt einen Gleichklang zwischen den an den Betrieb gestellten Ansprüchen und den Verpflichtungen, die dem Betrieb gegenüber übernommen werden. Das zweite Gesetz stellt die Notwendigkeit einer gerechten, betriebsbedingten, optimalen Abstimmung der drei wichtigsten betrieblichen Faktoren fest. Aber diese drei Faktoren weichen in ihren Zielen zum Teil erheblich voneinander ab, und es scheint manchmal, als ob eine Übereinstimmung überhaupt nicht möglich sei. Trotzdem muß versucht werden, im Rahmen des Unternehmens eine allen gerecht werdende Lösung zu finden, entsprechend den fest-

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gestellten Gesetzmäßigkeiten und den natürlichen Grenzen, die von allen Seiten gleicherweise beachtet werden müssen. Verlangt die Arbeit zu viel für sich, wird der Betrieb an Kapitalschwund zugrunde gehen, weil weder Eigenfinanzierung (durch Einlagen) genügend Anreiz, noch Selbstfinanzierung (aus unverteilten Gewinnen) ausreichende Möglichkeiten erhalten. Verlangt der Kapitalgeber zu viel (an Dividende), werden weder die Arbeit noch der Betrieb (notwendiges organisches Wachsen aus unverteilten Gewinnen) das ihnen Zukommende erhalten. Egoismus einer jeden Seite ist für den Betrieb existenzgefährdend. Die Maßstäbe, nach denen die drei Faktoren ihre Ansprüche bewerten, sind nicht die gleichen. Von der Seite der Arbeit werden eine möglichst hohe Entlohnung, hohe soziale Leistungen und eine starke Stellung der Arbeitnehmerseite als primäre Ziele angesehen; es interessiert die substantielle Erhaltung des Betriebes nur soweit, als die Sicherheit des Arbeitsplatzes daran geknüpft ist; die erzielte Rendite jedoch interessiert überhaupt nicht (es sei denn, die Arbeitnehmer seien am Betriebsergebnis beteiligt). Die Vertreter des Kapitals streben nach etwas völlig anderem: Für sie ist die Rentabilität des eingesetzten Kapitals - ausgedrückt durch die Höhe der ausgezahlten Gewinne in Form von Dividenden o. ä. - das primäre Ziel. Sicherlich kann ihnen das Interesse an der Betriebserhaltung und einer sozialen Betriebsgestaltung nicht abgesprochen werden, doch erscheint dies für sie nur mehr oder weniger als Mittel der langfristigen Gewinnerzielung und evtl. der Kapitalerhaltung. Wiederum andere Ziele verfolgt der Betrieb als solcher·. Für ihn sind vor allem zwei Dinge wichtig: Eine Sicherung der Existenz in der Zukunft, auch für den Fall der Depression oder strukturelle Wandlungen des Marktes und - wenigstens in der jetzigen Zeit - eine gewisse Anziehungskraft auf die so dringend benötigten Fach- und Führungskräfte. Das erste, die Sicherung der Betriebserhaltung, wird bis zu einem gewissen

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Grade durch eine gute Rücklagenpolitik, die durchaus den primären Interessen des Kapitals entgegengesetzt sein kann, erreicht werden, das zweite, die Anziehungskraft für gute Arbeitskräfte, durch eine soziale Betriebsgestaltung und Pflege der „human relations". Vor allem bei Fragen der Löhne und Gehälter (also ob Ergebnislohn oder nicht, usw.), der Arbeitszeiten, der Höhe der freiwilligen sozialen Aufwendungen usw. werden die Gegensätze von Arbeit und Betrieb sehr stark hervortreten. Hier eine für alle Teile annehmbare Lösung zu finden und die Interessen aller Gruppen weitgehend zu koordinieren, ist von ausschlaggebender Bedeutung für das Unternehmen als Ganzes. Es ist dies das „magische Dreieck" im Betriebe: die Interessen der Arbeit, des Kapitals und des Betriebes an sich. Jedem der drei Faktoren das ihm Zukommende zu geben, aber eben nur gerade so viel, ist eine überaus schwierige Aufgabe der Unternehmensführung. Es besteht im Betriebe ein ihm immanentes, bestimmtes notwendiges Verhältnis aller drei, aber es gibt kein magisches Auge, das die richtige Einstellung aller drei anzeigt, kein magisches Verhältnis der drei Faktoren, das die optimale Leistungsfähigkeit des Betriebes gewährleistet. Es müßten gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen ihnen festgestellt werden, so daß eine rein rechnerische Lösung möglich wäre: kein Aushandeln mehr der Löhne, kein Streit um die Dividende und um die Höhe der offenen und stillen Rücklagen. Wenn auch eine gesetzmäßige Feststellung ihrer Zusammenhänge und Abhängigkeiten und deren zahlenmäßige Auswirkung wegen der vielen Variablen und der sich wandelnden Situationen sicherlich nicht möglich ist, ist doch schon das Bewußtsein ihres Zusammenhanges und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit, dazu die Analyse der einzelnen Bestimmungsfaktoren in ihrer Eigenheit und ihrem Zusammenwirken mit den beiden anderen, von großer Bedeutung. Wenigstens müßten Egoismus und Überbewertung jedes einzelnen der drei

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Faktoren gebremst und ein Denken im Gesamtzusammenhang erzielt werden können. In der letzten Zeit sind Vorschläge gemacht worden, den Gewinn (nach Ertragsteuern) auf die drei Beteiligten im Verhältnis V s : V s : V3 z u verteilen. Uns scheint dieses Verhältnis ungerechtfertigt zu sein, vor allem dann, wenn vom Betriebe so viel für Löhne, Gehälter und soziale Leistungen aufgewandt werden muß, die Arbeitszeiten immer kürzer und die Intensität und Güte der Arbeit immer geringer werden. Den Maßstab zur Beurteilung der Ansprüche des Faktors Arbeit bildet die Entwicklung der Produktivität des Betriebes (im Verhältnis zur Lohnentwicklung). Es gibt nur eine Alternative: entweder angemessene Löhne und Arbeitszeiten und Gewinnbeteiligung oder aber hohe Löhne und kurze Arbeitszeiten und keine Gewinnbeteiligung. Man darf die Kerze des Betriebes nicht an zwei Enden anzünden. Wird der Anteil der Arbeit (Lohn und Gewinnbeteiligung) zu hoch, muß sich das überdies auf die Preise auswirken (und der Arbeiter gewinnt dann trotz nomineller Lohnerhöhung nichts). Darüber hinaus müssen überhöhte Löhne den Umsatz, vor allem den Export, beeinflussen und auf die Dauer zur Schrumpfung der Unternehmung führen. Außerdem müßte die Investitionsneigung der Anteilseigner zurückgehen, mit demselben Ergebnis der Betriebsschrumpfung. Auch der Betrieb an sich würde nicht das erhalten, was er zur Erhaltung und zum Wachstum braucht. Es gibt ein bestimmtes gegenseitiges Beziehungsverhältnis aller drei Beteiligten, das keiner zu seinen Gunsten verändern darf. Es ist jedenfalls offensichtlich, daß hier für die Unternehmensführung ein Koordinierungsproblem ersten Ranges vorliegt. Diese Koordinierung muß zu einer sozialen Einheit führen. Nordsieck jedoch sieht nur einen Teil der Koordinierung, wenn er meint: „Über Koordination ist in diesem soziologischen Zeitalter manches geschrieben worden. Das Wesentlichste habe

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ich noch nirgends deutlich ausgesprochen gefunden: Mittelpunkt jeglicher Koordinationsbestrebungen im Betriebe kann nie der Mensch sein. Der Betrieb ist zwar eine Gemeinschaft, aber nicht eine Gemeinschaft schlechthin, sondern eine Aufgabengemeinschaft. Mittelpunkt jeglicher Koordination im Betriebe kann daher stets nur die Aufgabe sein." Hier irrt Nordsieck. Gewiß steht im Mittelpunkt des Betriebes die „Aufgabe", im Industriebetrieb das „Betriebsprodukt". Aber gerade um des Betriebsproduktes, der Aufgabe willen, kommt es auf den Menschen an, dessen Geist und Willen und Fähigkeiten durch das Kapital nicht ersetzt werden können, auch nicht im Verein mit dem dritten Produktionsfaktor: der Organisation. Den Menschen betriebsbewußt, leistungsfähig und kooperationswillig zu machen, ist wichtiger als alles andere. Der Mensch allein macht den Betrieb „groß oder klein", denn er setzt die Ziele und entscheidet über die Wege und beurteilt die Erfolge. Nur über den Menschen kommt der Betrieb voran. So rückt sich der Mensch von selbst in den Mittelpunkt des Betriebes, wenn dort auch zunächst die „Aufgabe", das „Betriebsprodukt", zu stehen scheint. Den Menschen für die Aufgabe geeignet zu machen und den Geeigneten an die rechte Stelle zu setzen, darauf kommt es letzten Endes an: es ist des Menschen Geist, der sich seinen Betrieb formt! Es genügt nicht, den Arbeiter oder Angestellten lediglich als Ausführenden einer Aufgabe anzusehen, durch die er mit anderen Mitarbeitern verbunden ist. Es muß - will der Betrieb als soziale Einheit bestehen bleiben - der Einzelne als Glied in einer sozialen Gruppe - dem Betrieb - angesehen werden. Nur hierdurch kann ein Ausgleich der zwischen und innerhalb der einzelnen Ebenen bestehenden menschlichen Spannungen erreicht werden. Um jeden Preis muß zwischen Unternehmer und Belegschaft ein gutes Verhältnis erreicht werden, würdig eines Kulturvolkes. Die Mitarbeiter sind nicht Menschenmaterial, nicht nur

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Zahlen, sondern denkende, fühlende, handelnde Menschen, deren Würde unveräußerlich ist. Es kommt darauf an, aus dem Betriebe einen Raum des Rechtes und der Freiheit, der Humanität und der Menschenwürde zu machen. 3115 Kapitalbeteiligung

(Miteigentum)

Die Formen der Teilnahme am Ertrage ohne gleichzeitige Beteiligung am Kapital der Unternehmung gehen an der gesellschaftspolitisch bedeutsamen Aufgabe vorüber, den Mitarbeiter auch zum Miteigentümer an seinem Betriebe zu machen. Die Dringlichkeit dieser Aufgabe wird deutlich, wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, daß sich der Besitz am Produktivkapital unserer Wirtschaft auf einen verschwindend geringen Prozentsatz der Bevölkerung konzentriert und daß der Trend zur Konzentration unvermindert anhält. Neben dieser gesellschaftspolitischen Aufgabe dient das Miteigentum der Erreichung betriebswirtschaftlicher Ziele, die im wesentlichen jenen der Gewinnbeteiligung entsprechen. Darüber hinaus werden aber auch noch die Begründung einer Interessengemeinschaft zwischen Unternehmer und Belegschaft und die Schaffung einer realen Grundlage für das Mitbestimmungsrecht der Belegschaft angestrebt. Bei der Kapitalbeteiligung sind die Mitarbeiter auch am Gewinn beteiligt. Während jedoch bei den zuvor behandelten Formen der Gewinnbeteiligung der Anspruch auf die Teilnahme am Gewinn aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrührt, beruht er bei der Kapitalbeteiligung auf dem Kapitalbesitz. Auch ein weiterer qualitativer Unterschied ist gegeben: Die Gewinnbeteiligungssysteme stellen lediglich eine Beziehung zwischen Unternehmer und Belegschaft dar; bei den Kapitalbeteiligungssystemen ist dagegen das einzelne Belegschaftsmitglied selbst Unternehmer (Mitunternehmer). Die Mitarbeiter erlangen dadurch einen stärkeren Einfluß auf das Betriebsgeschehen. Andererseits sind sie aber auch mit Unternehmer-

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risiken behaftet, insbesondere tragen sie als Kapitaleigner das Risiko des Verlustes mit. Gewisse Schwierigkeiten ergeben sich bei der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer aus der Rechtsform der Unternehmung. Praktisch ist das Mitunternehmertum auf Unternehmungen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft beschränkt, da nur bei diesen die notwendige Mobilität der Anteile gegeben ist. Die Form der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer kann sehr verschieden sein. Vielfach werden Teile von vorausgegangenen Leistungs- oder Gewinnbeteiligungen nicht in Geld, sondern in Anteilsrechten (ζ. B. Aktien) vergütet. Es handelt sich dann um eine besondere Form der Gewinnbeteiligung: Die Gewinne werden zunächst in Form von Kapitalanteilen ausgeschüttet, und die in den folgenden Perioden auszuzahlenden Gewinne richten sich dann nach der Höhe der Kapitalanteile. Auf diese Weise wird ein allmähliches Hineinwachsen in das Miteigentum erreicht, und gleichzeitig werden dem Betriebe die notwendigen Finanzmittel gesichert. Um das System schneller wirksam werden zu lassen, kann auch ein bestimmter Kapitalanteil den Betriebsangehörigen zunächst „leihweise" überlassen werden mit der Verpflichtung, die darauf entfallenden Ertragsanteile (ζ. B. Dividenden) zur Rückzahlung zu verwenden. Ein weiterer Entstehungsgrund für eine Kapitalbeteiligung kann in der Vornahme von Schenkungen liegen, ζ. B. anläßlich von Firmen- oder Mitarbeiterjubiläen. Es kann auch dem einzelnen Mitarbeiter die Möglichkeit eingeräumt werden, nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit von sich aus Kleinaktien oder Zertifikate des Unternehmens zu günstigen Bedingungen durch die Hingabe von Ersparnissen zu erwerben. Bei dieser Form der Kapitalbeteiligung muß sich die Unternehmung bewußt sein, daß bei den derzeitigen Lebenshaltungskosten und Steuersätzen nur ein kleiner Teil der Betriebsangehörigen diese Möglichkeit wahrzunehmen in der Lage ist. Bei den Spargeldern der Arbeit-

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nehmer handelt es sich zu einem großen Teil um solche Gelder, die für spätere größere Anschaffungen zurückgelegt werden, also von vornherein konsumorientiert sind, oder es handelt sich um „Notgroschen" für schlechte Zeiten. Bedenkt man daneben, daß die Betriebsangehörigen das mit dem Besitz von Wertpapieren verbundene Risiko oftmals nicht richtig einzuschätzen vermögen, so würde die Unternehmung ihren Mitarbeitern einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie ihnen eine Anlage dieser Gelder in Aktien empfehlen wollte. Es ist deshalb sinnvoller, wenn die Mittel für eine Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer aus dem Unternehmen selbst geschöpft werden, wie dies bei den vorgenannten Entstehungsursachen geschieht, oder wenn eine Kombination aus Gewinnbeteiligungsanteilen und Eigenleistungen der Arbeitnehmer gewählt wird. Neben der direkten Kapitalbeteiligung, wo das einzelne Belegschaftsmitglied unmittelbar beteiligt ist, ist auch die indirekte Kapitalbeteiligung möglich, wobei zwischen dem einzelnen Belegschaftsmitglied und dem Unternehmen eine Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit (ζ. B. ein Verein oder eine Stiftung) steht, deren Kapitalgeber und Eigentümer die Betriebsangehörigen sind. Diese Institution ist am Unternehmenskapital direkt beteiligt und nimmt dementsprechend am Gewinn teil. Im Vergleich zu anderen Kapitaleignern kann ihre Beteiligung am Gewinn mit gleichem oder beschränktem Risiko geschehen. Die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer hat besonders in den USA größere Bedeutung erlangt. Vor allem die indirekte Kapitalbeteiligung durch Gründung von Fonds ist weit verbreitet. Sie soll gegenwärtig bei knapp 7 °/o aller amerikanischen Unternehmungen praktiziert werden. Bekanntestes Beispiel ist der „trust fonds" der Firma Sears Roebuck & Co., der 1958 bereits 27 °/o des Aktienkapitals der Firma hielt77. An 77 Vgl. Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (Hrsg.), Bericht über die vom RK"W veranstaltete Studienreise zum „Studium der Ergebnisbeteiligung und der Eigentumsbildung der Arbeitnehmer in den USA", als Manuskript vervielfältigt 1964, S. 14 und 38.

9 Mellerowicz, Soziale Funktionen

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Stelle eines „trust plan" ist bei einer beträchtlichen Anzahl von Aktiengesellschaften auch ein „stock purchase plan" eingeführt, der den deutschen Maßnahmen zur Ausgabe von Belegschaftsaktien entspricht. In Deutschland hat die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer bisher noch keine stärkere Resonanz gefunden. Die bekanntesten Versuche in dieser Richtung sind das „Betriebs- und Sozialstatut" der Union Werke AG, Nachf. Hermann Naegele, der „Mitunternehmer-Vertrag" der Paul Spindler Werke KG, das mit einem Sparplan verknüpfte „Ergebnislohnsystem" der Duisburger Kupferhütte und die Ausgabe von „Belegschaftsaktien" bei annähernd 20 Aktiengesellschaften, ζ. B. Fried. Krupp AG (bereits 1922), Siemens & Halske AG, Siemens Schuckert Werke AG, Farbenfabriken Bayer AG, Badische Anilin- und Soda-Fabrik AG, Demag AG, Mannesmann AG 78 . Das Ausbleiben eindeutiger Erfolge - auch bei den jüngsten Versuchen - läßt die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer in Deutschland als eines der umstrittensten sozialpolitischen Probleme offen. 312 Freiwillige Sozialleistungen 3120 Begriff und Problematik der Freiwilligkeit sozialer Leistungen Freiwillige soziale Leistungen umfassen jenen Teil des betrieblichen Sozialaufwandes, der über das gesetzliche und tarifvertragliche Mindestmaß hinaus gewährt wird. Man bezeichnet die freiwilligen Sozialleistungen deshalb vielfach auch als zusätzliche Sozialleistungen. Freiwillige soziale Leistungen können sowohl ohne als auch mit rechtlicher Verpflichtung gewährt werden. Es fallen darunter: ' · Vgl. Peterssen, K., „Die Belegschaftsaktie", in: Betriebswirtschaftliche Sdiriften, Heft 24, Berlin 1968, S. 6 und 18 ff.

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1. Leistungen, für die der Betrieb im Rahmen von Betriebsoder Einzelvereinbarungen einen Anspruch eingeräumt hat, 2. Leistungen, die auf Grund gewohnheitsrechtlicher Verpflichtung erfolgen und 3. Leistungen, die der Betrieb ohne jegliche Verpflichtung gewährt. Von mancher Seite wird das Kriterium der Freiwilligkeit im Sinne von frei von jeglicher rechtlichen Verpflichtung zur Leistung interpretiert. Dementsprechend sieht man das Bestehen eines vertraglichen oder gewohnheitsrechtlichen Anspruchs auf soziale Leistungen als nicht innerhalb der Freiwilligkeit liegend an und läßt demzufolge nur jene sozialen Leistungen als freiwillige Leistungen gelten, die unabhängig von jeglichem Rechtsanspruch gewährt werden. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden, weil davon ausgegangen werden muß, daß der Betrieb nur in bezug auf den gesetzlichen und tarifvertraglichen Sozialaufwand einem Zwang ausgesetzt ist, während es ihm bei allen dieses vorgeschriebene Mindestmaß übersteigenden sozialen Leistungen letztlich freisteht, eine rechtliche Verpflichtung einzugehen oder nicht, womit also die Freiwilligkeit der Leistung gegeben ist. Freiwillige soziale Leistungen zeichnen sich vor den gesetzlichen und tarifvertraglichen insbesondere dadurch aus, daß sie Teil betrieblicher Sozialpolitik sind; denn der Betrieb hat hinsichtlich der Bestimmung ihrer Art, ihres Umfanges und ihrer rechtlichen Fundierung die Möglichkeit individueller Gestaltung. Angesichts des ständigen Anwachsens des freiwilligen Sozialaufwandes wird jedoch die mit der Aufwanderhöhung einhergehende zunehmende rechtliche Festlegung der Verpflichtung zur Gewährung solcher Leistungen recht problematisch, weil sie den unternehmenspolitischen Handlungsspielraum zu sehr einengt. 9*

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Unter den freiwilligen sozialen Leistungen wird der Anteil der durch Betriebsvereinbarung und Gewohnheitsrecht begründeten Leistungen immer größer; teils, weil dem Verlangen der Empfänger dieser Leistungen nach vertraglicher Sicherung ihres Anspruches entsprochen wird, teils durch die Arbeitsrechtsprechung, die heute nach dem Grundsatz verfährt, daß durch wiederholte Leistungen ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch der Empfänger entsteht. Die Ausstattung sozialer Leistungen mit einem Rechtsanspruch muß zwangsläufig eine Minderung der Flexibilität betrieblichen Handelns zur Folge haben, besonders dann, wenn der Anspruch auf eine bestimmte Leistungshöhe gerichtet ist. Besteht für den Betrieb die Gefahr, daß aus einer sich wiederholenden Gewährung sozialer Leistungen ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch erwächst, so sind zur Abwehr derartiger Ansprüche Vorbehalte auszusprechen. Aber trotz weitestgehender Vorbehalte ist die Vornahme willkürlicher Kürzungen oder gar Streichungen praktisch nicht möglich. Die Rechtsprechung stellt jedoch stets darauf ab, auch bei Bestehen eines Rechtsanspruches eine Änderung dann zuzulassen, wenn sich die Aufrechterhaltung der Leistung in bisheriger Höhe als unzumutbar erweist. Gleiches gilt bezüglich betrieblich vereinbarter Leistungen; auch hier ist bei stark geminderter Ertragslage unter Umständen ein Abbau einzelner Sozialleistungen möglich. Eine weit mehr einschneidende und vom einzelnen Betrieb nicht unmittelbar beeinflußbare Tendenz zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit bei freiwilligen sozialen Leistungen droht dem Betriebe von außen. Sie geht von den Gewerkschaften aus, die bisherige freiwillige Sozialleistungen durch Gesetz oder Tarifvertrag überbetrieblich regeln möchten. Im Mittelpunkt stehen hier hauptsächlich solche freiwilligen Sozialleistungen, die sich mit solchen des Staates berühren, wie ζ. B. die betriebliche Altersversorgung, zusätzliche Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversorgung.

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Für die Unternehmungen bedeutet jede Umwandlung freiwilliger Sozialleistungen in gesetzliche oder tarifvertragliche einen überaus bedenklichen Verlust an Handlungsspielraum. Sie werden überdies einer dauernden festen finanziellen Belastung ausgesetzt, der sie sich nicht entziehen können. Damit entsteht ein Risiko, das in Zeiten schlechter Ertragslage die gesamte Unternehmung und damit auch die Arbeitsplätze gefährden kann. Werden nun freiwillige soziale Leistungen zu weitgehend - und die Tendenz dazu ist deutlich sichtbar - in gesetzliche oder tarifvertragliche umgewandelt, ist der Vorteil für die Arbeitnehmer immer nur ein scheinbarer, weil mit einer Gefährdung ihres Betriebes nicht nur der Anspruch auf soziale Leistungen, sondern auch der Arbeitsplatz selbst nicht mehr gesichert ist. 3121

Ziele und Bedeutung

freiwilliger

Sozialleistungen

Freiwillige soziale Leistungen haben den Charakter eines Mittels zur Erreichung bestimmter Unternehmensziele, die entweder sozialpolitischer oder betriebspolitischer Natur sind und gleichen oder unterschiedlichen Rang haben können. Zumeist werden mehrere Zwecke gleichzeitig verfolgt. Aus der Art und dem Inhalt einer gewährten Leistung läßt sich oft nicht einmal das damit verfolgte betriebliche Ziel erkennen, wenn man nicht auch die näheren Umstände kennt. Die Hilfe bei der Wohnungsbeschaffung ζ. B. kann aus rein sozialer Einstellung geschehen, wenn sie einem durchaus ersetzbaren Mitarbeiter gewährt wird. Anders ist es bei einem für den Betrieb sehr wichtigen Spezialisten; hier darf ein wirtschaftliches Interesse angenommen werden. Die Bestimmungsfaktoren und die mit der Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen verbundenen Zielsetzungen wurden unter Punkt 30 bereits in allgemeiner Form dargestellt. Demnach braucht an dieser Stelle auf die Ziele im einzelnen nicht mehr näher eingegangen zu werden. Es genügt eine kurze zusammenfassende Darstellung möglicher Zielsetzungen. (Bewußt

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wird hierbei eine von der Darstellung unter 30 leicht abweichende Wiedergabe möglicher Zielsetzungen gewählt, um die Problematik der Abgrenzung und der Aufschlüsselung komplexer Ziele deutlich zu machen.) 1. Sozialpolitische Zielsetzungen79 a) Anerkennung des Eigenwertes des Menschen, b) Schaffung und Erhaltung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, c) Verbesserungen des Lebensstandards der Mitarbeiter und Schutz gegen Wechselfälle des Lebens, d) Hebung des geistigen Niveaus der Mitarbeiter. 2. Betriebspolitische Zielsetzungen a) Steigerung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, b) Anreiz und Erhaltung der Leistungswilligkeit, c) Schaffung eines festen Mitarbeiterstammes und Vermeidung unerwünschter Fluktuation, d) Erleichterung bei der Anwerbung neuer Arbeitskräfte, e) Abschirmung gegen äußere Eingriffe in die Unternehmerrechte, f) Verbesserung des Betriebsklimas und Erhaltung des Arbeitsfriedens, g) Verbesserung und Erhaltung des Ansehens des Unternehmens in der Öffentlichkeit. Unabhängig davon, welche Ziele ein Betrieb mit der Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen im einzelnen anstrebt, sind sie in gewissen Zeitabständen zu überprüfen. Die Entwicklung im sozialen Sektor - von welchen Stellen auch immer angetrieben - schreitet fast noch schneller fort als in anderen Betriebsbereichen, und das hat folgende Konsequenzen: a) Es entstehen Verschiebungen in der Dringlichkeit und somit in der Rangfolge der Ziele; das bedeutet, daß das Hauptaugenmerk jetzt auf andere Ziele als bisher ge'» Vgl.

s. 87 ff.

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richtet werden muß und eine Verlagerung der sozialen Aktivität einzuleiten ist. b) Manche Ziele, insbesondere kurz- und mittelfristig angelegte Teilziele, werden im Laufe der Zeit erreicht. Andere werden - aus welchen Gründen auch immer vor ihrer endgültigen Erreichung aufgegeben. In vielen Fällen hat sich die Lage auch grundlegend geändert, so insbesondere die Einkommenslage der Arbeitnehmer; eine soziale Hilfsmaßnahme ist dann unnötig. In allen Fällen gilt es, die bislang auf diese Ziele verwendeten Aktivitäten abzubrechen, um sie evtl. für die Verwirklichung anderer sozialer Zwecke verwenden zu können. c) Es entstehen neue Aufgaben und damit neue Ziele, die in das bisherige Zielbündel art- und rangmäßig einzuordnen sind. Die Maßnahmen zu ihrer Bewältigung sind danach festzulegen und abzustimmen. Die Bedeutung freiwilliger sozialer Leistungen hat einen wesentlichen Wandel durchgemacht. Die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse der Lohnabhängigen ist in unserem Lande gegenwärtig dank einer leistungsfähigen, die Vollbeschäftigung garantierenden Wirtschaft und (zeit-)vergleichsweise hoher Löhne und Gehälter gesichert. Dazu kommen noch die sozialen Leistungen des Staates, so daß die auf Befriedigung dieser Bedürfnisse gerichteten Ziele freiwilliger Sozialleistungen als erreicht gelten können. Dennoch ist, insgesamt gesehen, die Bedeutung freiwilliger Sozialleistungen nicht gering zu achten, und zwar deswegen, weil lediglich eine Verschiebung der Schwerpunkte sozialpolitischer Ziele eingetreten ist. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist sogar noch gestiegen, weil die freiwilligen Sozialleistungen zu einem vielfach angewandten Wettbewerbsinstrument geworden sind. Hierzu sei noch folgendes gesagt: Statistiken der Entwicklung des freiwilligen Sozialaufwandes machen deutlich, daß besonders die Aufwendungen für betriebliche Altersversorgung, Gratifikationen und Direktzuwendun-

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

gen zunehmende Tendenz aufweisen, während sich deutlich eine Schrumpfung der Aufwendungen für Belegschaftseinrichtungen aller Art, insbesondere für Wohnungs- und Verpflegungshilfe, abzeichnet. Noch vor knapp zwei Jahrzehnten haben die kollektiven Versorgungseinrichtungen der Betriebe einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprochen. Mit steigendem Lebensstandard wurden die Arbeitnehmer in die Lage versetzt, diese Bedürfnisse zum großen Teil aus eigener Kraft zu befriedigen, und mit Hilfe von Gratifikationen und sonstigen Direktzuwendungen wird die Fähigkeit zur Selbsthilfe noch gesteigert. Es ist damit zu rechnen, daß dieser Trend zur Verlagerung der Schwerpunkte weiter anhält. Hinzukommen wird, daß die Aufwendungen für die berufliche Ausbildung und Weiterbildung in Zukunft ein größeres Gewicht erlangen und evtl. eines Tages sogar den eigentlichen Schwerpunkt der freiwilligen Sozialleistungen ausmachen werden. Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung freiwilliger Sozialleistungen steht in enger Verbindung mit jenen betriebspolitischen Zielen, die darauf gerichtet sind, dem Betrieb das erforderliche Arbeitskräftepotential zu verschaffen und zu erhalten, weil die Schwierigkeiten der Personalbeschaffung durch Erhöhung des freiwilligen Sozialaufwandes auf marktkonforme Weise gelöst werden können. Es ist bemerkenswert, daß die ungewöhnlich starke Verknappung des Angebots auf den meisten Sektoren des Arbeitsmarktes zu einer „sozialen Konkurrenz" zwischen den Unternehmen geführt hat, zu einem Konkurrenzkampf also, dessen Waffen (neben Lohn und Gehalt) die freiwilligen Sozialleistungen sind. Begünstigter Dritter in diesem Wettbewerb sind schließlich die umworbenen Arbeitskräfte, obgleich hierzu bemerkt werden muß, daß einige der eingesetzten Mittel und angewandten Methoden den Arbeitnehmern auch Nachteile bringen können, die von den Unternehmen - bewußt oder unbewußt - in Kauf genommen werden. Im Bestreben, ihre Arbeitskräfte an den Betrieb zu binden, nutzen manche Unter-

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nehmensleitungen die Bedürftigkeit oder eine zeitweilige Notlage von Mitarbeitern für ihre Zwecke aus, indem sie durch freiwillige Sozialleistungen, wie ζ. B. Darlehnsgewährung oder Stellung von Werkswohnungen, die Freizügigkeit der Betroffenen einschränken. Angesichts des direkten Vorteils solcher Leistungen kommen die solcherart Begünstigten in vielen Fällen gar nicht auf den Gedanken, daß sich indirekt daraus auch Nachteile - wenn auch meist erst auf längere Sicht - ergeben können, oder sie können die Bedeutung der Nachteile nicht richtig einschätzen. Nicht von ungefähr versuchen die Gewerkschaften, den Tendenzen zur Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen, die nicht nur mit Vorteilen für den Arbeitnehmer verbunden sind, entgegenzuwirken. 3122 Gliederung der freiwilligen

Sozialleistungen

Die Durchleuchtung der strukturellen Zusammensetzung des Bündels freiwilliger Sozialleistungen eines Betriebes ist für viele Zwecke wichtig und muß diesen entsprechen, ζ. B. den Erfordernissen des Rechnungswesens, der Planung und Kontrolle, der Organisation, den sozialen betriebspolitischen Zielsetzungen usw. Demgemäß sind auch die Kriterien für eine Einteilung der freiwilligen Sozialleistungen sehr vielfältig. Hier sollen nur die gebräuchlichsten dargestellt werden: 1. Die Leistungsform Der Leistungsform nach sind folgende Hauptgruppen freiwilliger Sozialleistungen zu unterscheiden 80 : a) Geldleistungen (ζ. B. Gratifikationen, Beihilfen), b) Sachleistungen (ζ. B. Jubiläums- und Abschiedsgeschenke, Verpflegung, verbilligte Betriebserzeugnisse), c) Nutzungsleistungen (ζ. B. Werkswohnungen, Gemeinschaftsräume, Sportanlagen), d) Dienstleistungen (ζ. B. ärztliche Betreuung, Beratung durch die Werksfürsorge), •· Nach Nietzer, H., „Die Kostennatur betrieblicher Sozialleistungen", München 1963, S. 34 ff.

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e) kombinierte Leistungen (ζ. B. Kindergarten, Kantine, Betriebsbücherei). 2. Der Empfängerkreis Nach den Empfängern können die Leistungen gegliedert werden: in Leistungen a) an Belegschaftsmitglieder, b) an ehemalige Belegschaftsmitglieder oder a) an die gesamte Belegschaft, b) an eine Teilgruppe der Belegschaft, c) an einzelne Belegschaftsmitglieder. 3. Die Häufigkeit der Leistung a) laufende Leistungen (ζ. B. Werkskantine, Zuschüsse zur Altersversorgung), b) periodische Leistungen (ζ. B. Weihnachtsgratifikationen), c) gelegentliche Leistungen (ζ. B. Jubiläumsgeschenke, Darlehen). 4. Die Dringlichkeit Die freiwilligen sozialen Leistungen können nach einer Dringlichkeitsskala eingeteilt werden, wobei noch zwischen sozialpolitischer und betriebspolitischer Dringlichkeit oder Notwendigkeit unterschieden werden kann. 5. Die Bemessungsgrundlage für die Höhe des Aufwandes: Leistungen, deren Höhe a) sich an Lohn und Gehalt orientiert, b) ertragsabhängig ist, c) leistungsabhängig ist, d) sich nach der Zahl der Belegschaftsmitglieder richtet. 6. Der Kostencharakter der Leistungen Bei dieser Einteilung kann es nicht darum gehen, die freiwilligen Sozialleistungen in kostenverursachende und nichtkostenverursachende Leistungen einzuteilen, denn die Gewäh-

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rung freiwilliger Sozialleistungen ist immer mit - wenn fallweise auch sehr geringen - Aufwendungen verbunden. Hier geht es vielmehr um den Kostencharakter der freiwilligen Sozialleistungen, insbesondere also um die Unterscheidung zwischen a) Leistungen mit fixem und b) solchen mit variablem Kostencharakter. 7. Die Art der Leistung Eine Einteilung der freiwilligen Sozialleistungen nach ihrer Art würde zu einer Aufzählung führen, die wegen der Mannigfaltigkeit der verschiedenen Leistungsarten kaum erschöpfend sein könnte. Um dennoch einen Überblick zu bekommen, sollen die verschiedenen Leistungsarten nach dem Leistungszweck bzw. dem Leistungsinhalt in Gruppen zusammengefaßt werden. Wir können danach die folgenden Gruppen von Leistungsarten unterscheiden: a) Altersversorgung b) Gratifikationen c) Fürsorge- und Gesundheitsdienst d) Verpflegungshilfe e) Wohnungshilfe f) kulturelle Förderung und Freizeitgestaltung g) Ausbildung und Fortbildung. Die Gliederung nach den Arten freiwilliger Sozialleistungen ist besonders unter sozialpolitischen Gesichtspunkten zweckmäßig, weil sie am sozialen Ziel der Leistungen orientiert ist und die Leistungen in solche Gruppen einteilt, deren innere Zusammengehörigkeit sich aus der sozialpolitischen Wirkung ergibt. 3123 Arten freiwilliger

Sozialleistungen

Bei der Behandlung der wichtigsten Leistungsarten mit primär materiellem Charakter soll das Schwergewicht auf die betriebliche Altersversorgung gelegt werden, weil sie sich durch folgende Merkmale auszeichnet:

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsfülirung

a) sie nimmt in der Präferenzskala der Arbeitnehmer allgemein die Spitzenstellung vor allen anderen Arten freiwilliger Sozialleistungen ein b) sie verursacht im Durchschnitt höhere Aufwendungen als jede andere Art freiwilliger Sozialleistungen c) sie weist eine deutlichere Systematik auf als andere Arten und läßt daher auch in höherem Maße allgemeingültige Aussagen zu. 1.

Altersversorgung

Ursprünglich gründete sich der Entschluß zur Schaffung betrieblicher Einrichtungen zur Altersversorgung auf die moralische Fürsorgepflicht und den Fürsorgewillen des Unternehmers. Man wollte erreichen, daß Mitarbeiter, die durch langjährige Dienste zum Erfolg des Unternehmens beigetragen haben, nach Beendigung des Arbeitslebens über die erforderlichen Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer gewohnten Lebensführung verfügen und von der Sorge befreit sein sollten, im Falle ihres Todes die Angehörigen unversorgt zurückzulassen. Die hierfür erforderlichen Mittel aus eigener Kraft aufzubringen, scheiterte in der Vergangenheit u. a. an zwei Inflationen, und gegenwärtig gefährdet der kontinuierliche Kaufkraftschwund des Geldes solche Pläne. Hauptsächlich Angestellte der höheren Einkommensgruppen, deren Ansprüche an die Sozialversicherung - wenn solche überhaupt bestehen - in einem Mißverhältnis zu ihrem Einkommen stehen, sind vielfach - wegen der progressiven Einkommensteuer und dem schleichenden Verfall des Geldwertes - nicht in der Lage, angemessene Rücklagen zu bilden. Die soziale Notwendigkeit betrieblicher Altersversorgung ist damit offensichtlich. Heute verfolgen die Unternehmen mit der betrieblichen Altersversorgung vorrangig das Ziel einer stärkeren Bindung der Mitarbeiter an den Betrieb, also eine größere Betriebstreue; denn ein versorgungsberechtigter Mitarbeiter wird sich einen Arbeitsplatzwechsel reiflich überlegen, wenn er dadurch seiner

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Versorgungsansprüche verlustig geht, und zwar selbst dann, wenn er durch den Eintritt in eine andere Firma zunächst einen finanziellen Vorteil erlangen könnte. Tatsächlich ist das Interesse der Arbeitnehmer an zusätzlicher Altersversorgung durch den Betrieb allgemein so stark ausgeprägt, daß es mitunter schwierig ist, neue Mitarbeiter anzuwerben, wenn keine entsprechende Versorgung geboten werden kann. Dies gilt besonders für Führungskräfte 81 . Überdies können steuerliche Überlegungen für die Einführung einer Altersversorgung mit ausschlaggebend sein. Der Betrieb kann durch eine entsprechende Wahl der Versorgungsmaßnahmen gewisse Steuerersparnisse oder zumindest eine langfristige Verlagerung von Steuerzahlungen erreichen82. Die Möglichkeiten, zwischen denen der Betrieb bei der Einrichtung einer Altersversorgung wählen kann, sind sehr vielgestaltig und lassen darum eine Anpassung an seine individuellen Bedürfnisse zu. Bei der Wahl der Leistungsform gibt es die Möglichkeit der Renten- und die der Kapitalleistung. Für gewöhnlich empfiehlt es sich, Rentenleistungen vorzuziehen, wenn die Leistungen mehr als ein Sterbegeld sein sollen. Bei der Zahlung eines Kapitalbetrages besteht die Gefahr, daß dieser Betrag zu rasch aufgebraucht ist, namentlich wenn die Empfänger mit der selbständigen Verwaltung größerer Geldbeträge nicht vertraut sind. Rentenleistungen umgehen nicht nur diese Gefahr, sondern lassen sich auch viel besser dem tatsächlichen Bedarf des Pensionärs anpassen: Von der Länge seines Lebensabends hängt die Höhe der ihm zufließenden Versorgungsleistungen ab. Als Renten kommen in Frage a) Altersrente, b) Invalidenrente, c) Hinterbliebenenrente (Witwen- und Waisenrente). " Vgl. dazu: Hoffmann, R., „Moderne Möglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung", München 1969, S. 11. Sl Vgl. ebenda, S. 94 ff.

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Bei der Wahl der zweckmäßigsten Versorgungseinrichtung sind hauptsächlich die folgenden Überlegungen anzustellen: a) In welcher Höhe kann und will der Betrieb Mittel für die Altersversorgung bereitstellen? b) Sollen auch die Mitarbeiter zu Leistungen für die Altersversorgung herangezogen werden? c) Ist der Betrieb in der Lage, das Risiko vorzeitigen Fälligwerdens von Versorgungsansprüchen zu tragen? d) Inwieweit sollen die für die Altersversorgung bereitzustellenden Mittel dem Betriebe für Finanzierungszwecke zugänglich sein? e) Wie groß ist die Zahl der Mitarbeiter, die in den Genuß der Versorgungsleistungen gelangen sollen? f) In welcher Form sollen steuerliche Vorteile genutzt werden? Je nachdem, wie die Antworten auf diese Fragen aussehen, wird die Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Versorgungseinrichtung zu treffen sein. Es ist auch möglich, daß der Betrieb die Versorgung verschiedener Gruppen von Mitarbeitern, ζ. B. Arbeitern, Tarifangestellten, leitenden Angestellten, verschiedenen Einrichtungen überträgt. Es gibt grundsätzlich fünf Möglichkeiten der Einrichtung einer betrieblichen Altersversorgung88: a) Betriebliche Versorgungszusagen, b) Gründung einer Pensionskasse, c) Gründung einer Unterstützungskasse, d) Abschluß von Versicherungsverträgen mit Versicherungsunternehmen, e) Höherversicherung in der Sozialversicherung. Z« a): Betriebliche Versorgungszusagen Bei dieser Form betrieblicher Altersversorgung ist Träger der Versorgungsverpflichtung der Betrieb. Die Mittel dafür sind " Vgl. Mellerowicz, K., Kommentierung zu $ 159 AktG 1965, Bd. II, Aktiengesetz, Großkommentar, 3. Aufl., Berlin 1970.

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ausschließlich vom Arbeitgeber aufzubringen, wobei zwei Formen der Finanzierung zu unterscheiden sind: das deckungslose Verfahren und die Pensionsrückstellungen. Beim deckungslosen Verfahren entsteht der Aufwand für eine Versorgungsleistung erst bei der Fälligkeit. Eine Vorausfinanzierung durch Bildung von Rückstellungen findet nicht statt; vielmehr werden die fälligen Versorgungsleistungen aus dem Jahresertrag bewirkt. Damit verstößt aber das deckungslose Verfahren gegen das Prinzip der periodengerechten Abgrenzung des Aufwandes; ferner auch gegen das Prinzip kaufmännischer Vorsicht, denn der Betrieb kann sich nicht darauf verlassen, daß die künftige wirtschaftliche Lage es ihm erlaubt, die Pensionen aus den laufenden Erträgen zu bezahlen. Pensionsrückstellungen sind das geeignete Mittel, den Betrieb gegen eine künftige Überforderung aus Versorgungsverpflichtungen abzusichern und auch die am häufigsten anzutreffende Form der Finanzierung betrieblicher Altersversorgung. Die Rückstellungen können auf zweierlei Weise vorgenommen werden: Erstens kann zu Beginn der Rentenzahlung eine einmalige Rückstellung in Höhe des Barwertes der zukünftigen Leistung gebildet werden. Man spricht dann vom Kapitaldeckungsverfahren. Diese „Einmalrückstellung" ist steuerlich grundsätzlich nicht zulässig; sie darf nur dann erfolgen, wenn der Versorgungsanspruch ohne Anwartschaft mit der Versorgungszusage zeitlich zusammenfällt. Zweitens kann man die für die Versorgungsleistungen erforderlichen Mittel unter sukzessiver Bildung von Rückstellungen während der aktiven Dienstzeit des Versorgungsberechtigten ansammeln. Diese Methode, als Anwartschaftsdeckungsverfahren bekannt, ist die allgemein übliche. Die Höhe der jeweiligen Rückstellung richtet sich nach dem Barwert des

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Versorgungsanspruchs und ist nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu errechnen. In diese Rechnung gehen ein: a) die Höhe der späteren Rente, b) das Alter des Versorgungsberechtigten, c) der Rechnungszinsfuß (zur Ermittlung des Barwertes). Die Rückstellung muß bei gegebener Rente um so höher vorgenommen werden, je höher das Eintrittsalter des Versorgungsberechtigten und je geringer der Rechnungszinsfuß ist. Als Mindestzinsfuß ist seitens der Steuer ein solcher von 5,5 °/o vorgeschrieben, wenn die Rückstellungen als Betriebsausgaben anerkannt werden sollen. Die Erteilung betrieblicher Versorgungszusagen hat anderen Versorgungseinrichtungen gegenüber den Vorteil, daß die angesammelten Pensionsrückstellungen dem Betriebe bis zu ihrer Fälligkeit zu Finanzierungszwecken zur Verfügung stehen. Es handelt sich bei diesen Rückstellungen um Fremdkapital, das aber insofern eine Sonderstellung einnimmt, als es dem Betrieb nicht durch Kündigung entzogen werden, sondern sich nur durch fällig werdende Versorgungsleistungen vermindern kann. Zu b): Pensionskassen Pensionskassen unterliegen der Versicherungsaufsicht und sind daher in Form eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) oder als Aktiengesellschaft zu betreiben, wobei für den Betrieb wohl ausschließlich die Vereinsform in Frage kommt. Träger der Pensionskasse kann ein einzelner Betrieb oder können auch mehrere Betriebe sein. Die Gründung einer Pensionskasse ist nur dann sinnvoll, wenn es sich um eine größere Anzahl von Versorgungsanwärtern handelt; 250 Anwärter werden als das Minimum angesehen 84 . Die Pensionskasse gewährt den Anwärtern einen Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen. Die Mittel werden im 81

Vgl. H o f f m a n n , R., a. a. O . , S. 13

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allgemeinen vom Betriebe aufgebracht; eine Beteiligung der Arbeitnehmer ist jedoch möglich. Wegen der strengen Vorschriften der Versicherungsaufsichtsbehörde kann das Vermögen der Pensionskasse nur beschränkt als Finanzierungsquelle des Betriebes dienen, da es nur mündelsicher angelegt werden darf. Ζu c): Unterstützungskassen Sie unterscheiden sich von den Pensionskassen in mancherlei Hinsicht. Sie gewähren ihren Mitgliedern keinen Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen und sind deshalb auch keine Versicherungsunternehmen, weshalb sie auch nicht den Vorschriften der Versicherungsaufsicht unterworfen sind. Die Unterstützungskassen können in der Rechtsform des eingetragenen Vereins, der GmbH oder der Stiftung betrieben werden, wobei die letzten beiden Rechtsformen bevorzugt werden. Die Gründung einer solchen Kasse ist nur dann zweckmäßig, wenn mindestens 30-35 Personen als zukünftige Unterstützungsempfänger vorhanden sind 85 , ein Grund dafür, warum als Träger mehrere Unternehmen beteiligt sein können. Die Finanzierung der Unterstützungskasse erfolgt durch Zuwendungen des Unternehmens, deren Höhe und Zahlungsweise nicht festgelegt wird, und aus den Erträgen des angelegten Kassenvermögens. Die Leistungsanwärter dürfen zu Beiträgen nicht herangezogen werden. Das Vermögen der Unterstützungskasse steht dem Betriebe für Finanzierungszwecke im Rahmen der satzungsmäßigen Bestimmungen der Kasse zur Verfügung. Im Vergleich zu den Pensionskassen haben jedoch die Unterstützungskassen im allgemeinen ein niedrigeres Kapital, da steuerliche Vorschriften eine Höchstgrenze für die Zuwendungen an diese Kasse setzen. Der besondere Vorteil der Unterstützungskasse für den Betrieb besteht in der Möglichkeit, die Zuwendungen an die «5 Vgl. H o f f m a n n , R . , a. a. O . , S. 13 10

Mellerowicz, Soziale Funktionen

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Kasse der Ertragslage des Betriebes anzupassen, und darin, daß die Versorgungsanwärter keinen Rechtsanspruch auf Leistungen der Kasse haben. Für den Betrieb liegen darin Vorteile, für die Anwärter dagegen Nachteile. Zu d): Abschluß von Versicherungsverträgen Versicherungen zur Altersversorgung können als Pensionsversicherung oder als Kapitalversicherung abgeschlossen werden. Letztere ist die bevorzugte Form, weil sie sich beim vorzeitigen Ausscheiden eines versicherten Mitarbeiters am leichtesten abwickeln läßt. Nachteile gegenüber der Pensionsversicherung entstehen dabei nicht, weil sich ja die aus der Kapitalversicherung fällig werdenden Leistungen auch zum Kauf von Renten verwenden lassen. Außerdem kann die Kapitalversicherung durch eine Invaliditätsversicherung ergänzt werden, aus der im Falle des Eintritts vorzeitiger Invalidität bis zum Fälligwerden der Kapitalleistung Renten gezahlt werden. Die Vertragsform hängt von der Zahl der zu versorgenden Mitarbeiter ab: sind es nur wenige, so kommt stets nur die Individualversicherung in Frage; handelt es sich um eine größere Anzahl, so kann auch ein Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen werden, wobei zwar die Beiträge etwas geringer, dafür aber auch zusätzliche, vom Bundesaufsichtsamt erlassene Vorschriften einzuhalten sind. Neben der Direktversicherung, die als häufigste Form der Altersversorgung leitender Angestellter bekannt ist, gibt es noch die Rückdeckungsversicherung, durch welche der Betrieb einen Deckungsschutz für die im Wege der Erteilung betrieblicher Versorgungszusagen eingegangenen Verpflichtungen erhält. Das Verfügungsrecht über die Versicherungsverträge steht grundsätzlich dem Versicherungsnehmer zu. Im Falle der Rückdeckungsversicherung ist das der Betrieb; auch bei der Direktversicherung ist der Betrieb Versicherungsnehmer und somit Verfügungsberechtigter, sofern er die Versicherungsbeiträge

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allein aufbringt. Hingegen ist dieses Recht beschränkt, wenn die Versicherten einen Teil der Beiträge selbst zahlen. Im Falle der (von der Sozialversicherungspflicht) befreienden Lebensversicherung tritt der Versicherte als Versicherungsnehmer auf und hat demzufolge die alleinigen Verfügungsrechte über den Versicherungsvertrag, selbst dann, wenn der Betrieb dem Versicherten die vollen Beiträge zur Verfügung stellen sollte. Der Vorteil betrieblicher Altersversorgung durch Abschluß von Versicherungsverträgen besteht darin, daß der Betrieb über die Zahlung der Versicherungsbeiträge hinaus keinerlei Risiken trägt. Die Ansprüche der versicherten Mitarbeiter sind nur gegen die Versicherungsgesellschaft gerichtet. Eine Beleihung der Versicherungsverträge, d. h. eine Nutzbarmachung der für die Altersversorgung bei der Versicherungsgesellschaft angesammelten Mittel für den Betrieb, ist nur dann möglich, wenn der Betrieb das volle Verfügungsrecht über die Versicherungsbeiträge hat. Hierin liegt ein Nachteil dieser Versorgungseinrichtung. Zu e): Höherversicherung in der Sozialversicherung Diese Form betrieblicher Altersversorgung basiert auf dem Recht aller Sozialversicherten, in gewissem Umfange neben ihrem Pflichtbeitrag oder Freiwilligenbeitrag einen zusätzlichen Beitrag zur Höherversicherung zu entrichten 86 . Indem der Betrieb den Mitarbeitern Beitragszuschüsse zur Verfügung stellt, ermöglicht er ihnen die Inanspruchnahme dieser Rechte und verhilft ihnen so zu einem dereinst höheren Versorgungsanspruch gegenüber der Sozialversicherung. Das Verfahren ist denkbar einfach, wird zuweilen auch von einigen kleineren Betrieben praktiziert, hat darüber hinaus jedoch keine wesentliche Bedeutung erlangt. Vorteile besitzt es insofern, als der Betrieb weitgehende Handlungsfreiheit in der Bemessung der Höhe und der Häufigkeit der Beitragszuschüsse s s Dazu müssen gemäß Reidisversicherungsordnung ($ 1033 Abs. 1, Satz 1 RVO) bzw. Angestelltenversicherungsgesetz (5 10 Abs. 1, Satz 1 AnVG) bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

10'

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hat. Eine Möglichkeit, die vom Betrieb aufgebrachten Mittel in irgendeiner Form dem Betrieb wieder nutzbar zu machen, besteht bei dieser Form der betrieblichen Altersversorgung nicht, da der Betrieb keinerlei Verfügungsrecht über die Sozialversicherungsverträge hat. Gegen alle hier genannten Formen betrieblicher Altersversorgung wird seitens der Gewerkschaften der durchaus berechtigte Einwand gemacht, daß die Mobilität der Versorgungsanwärter eine Einschränkung erfahre, wenn sie bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Betriebe um den Verlust ihrer Versorgungsansprüche fürchten müssen. Zweifellos haben die Unternehmen hier ein gewisses „Druckmittel" zur Verfügung, das sie nicht gern aus der Hand geben möchten; eröffnet es ihnen doch die Möglichkeit, die Fluktuation zu bekämpfen und selektiv jene Mitarbeiter zu belohnen, die dem Betrieb auf lange Zeit die Treue halten. Dennoch gibt es bereits eine ganze Reihe Unternehmen, die auf dieses Druckmittel verzichten. Auf der 32. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung im Mai 1970 wurden die Ergebnisse einer Umfrage bei 732 Unternehmen vorgetragen, wonach sich u. a. ergeben hat, daß in 25 °/o der Fälle, in denen Unternehmen über Altersversorgungspläne verfügen, die Versorgungsanwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden aufrechterhalten bleibt 87 . Auf derselben Tagung wurden noch eine Reihe weiterer interessanter Angaben zur betrieblichen Altersversorgung gemacht, so ζ. B. a) Die Aktiengesellschaften haben im Jahre 1968 rd. 2,5 Mrd. DM für die betriebliche Altersversorgung „festgelegt" und bezahlt. b) Großunternehmen zahlen im Durchschnitt ihren Mitarbeitern geringere Ruhegelder als kleinere Unternehmen; die höchsten Betriebsrenten findet man in Unternehmen mit 200 bis 500 Beschäftigten. " Vgl. Miihlbradt, W., „Zusatzversorgung - kein sozialer ,Klimbim'", in: Die Welt, Nr. 105 v. 8. 5. 1970.

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In jüngster Zeit machen sich in der Altersversorgung viel weitergehende Tendenzen bemerkbar, aber durchaus nicht in der Richtung der Selbstfürsorge und der freiwilligen Betriebsfürsorge. Dabei wird das Sozialkapital der Betriebe meist unterschätzt, betrug es doch Ende 1965 etwa 35 Mrd. DM. Es verteilte sich (nach Heißmann) auf Pensionsrückstellungen 20,1 Mrd. DM Pensionskassen 8,5 Mrd. DM Unterstützungskassen 4,5 Mrd. DM Direktversicherung 1,5 Mrd. DM. Hinzu käme, um einen Gesamtüberblick über die Kapitalansammlung zum Zwecke der Alterssicherung zu geben: Deckungskapital der öffentlich-rechtlichen Zusatzversorgungskassen 8 Mrd. DM Rücklagenkapital der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten 26 Mrd. DM Kapitalanlagen der Lebensversicherungsunternehmen 29 Mrd. DM. Die Gesamtaufwendungen des Jahres 1965 schätzt Heißmann auf 3,74 Mrd. DM. Davon enfallen auf Ruhegeldverpflichtungen 2,5 Mrd. DM (1,65 Mrd. Zuführungen; 0,9 Mrd. Rentenzahlungen) Pensionskassen 0,47 Mrd. DM Unterstützungskassen 0,45 Mrd. DM (Zahlungen und Zuführungen) Direktversicherungen 0,15 Mrd. DM freiwillige Sozialversicherungen 0,15 Mrd. DM Von 18,2 Mio. in der Wirtschaft unselbständig Tätigen sind (nach Schätzungen Heißmanns) 60 °/o durch eine betriebliche Alterversorgung gesichert, wobei die zusätzlichen Sozialaufwendungen und die Aufwendungen für die zusätzliche Altersversorgung mit zunehmender Unternehmensgröße steigen. Aber es gibt dabei noch immer ungeklärte Fragen, so über die Rechtsnatur der betrieblichen Ruhegelder. Ist das Ruhegeld

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ein zurückgehaltener und angesammelter Teil des Arbeitsentgelts oder ist es reine Versorgungsleistung des Arbeitgebers? Das Bundesarbeitsgericht in Kassel stellt sich nicht eindeutig auf einen der beiden Standpunkte, vielmehr sieht es sowohl den Entgeltscharakter als auch den Versorgungsgedanken im Ruhegeld enthalten, je nach den Umständen könne das eine oder das andere Element vorherrschen. Damit hängen auch Bedenken gegen bestimmte Formen des Ruhegeldes zusammen, vor allem gegen solche mit einer Anrechnungs- oder mit einer Höchstbegrenzungsklausel. Versorgungsordnungen mit einer Anrechnungsklausel gewähren eine Gesamtversorgung in Prozenten des letzten Arbeitseinkommens, aber nur unter Anrechnung der Sozialversicherungsrente. In anderen Fällen ist in die Ruhegeldordnung eine Höchstbegrenzungsklausel eingebaut. Danach darf der in Prozenten des letzten Arbeitseinkommens festgelegte Gesamtbetrag (aus dem Sozialversicherungs- und dem betrieblichen Versorgungsbetrag bestehend) nicht überschritten werden. Ist das der Fall, wird der betriebliche Versorgungsteil um den überschreitenden Betrag gekürzt. In beiden Fällen werden aber auch vorbetriebliche Teile der Sozialversicherungsrente angerechnet, die der letzte Arbeitgeber nicht mitfinanziert hat. Anrechnungs- und Höchstbegrenzungsklauseln sind daher nicht in jedem Falle unbedenklich, wenn sie auch rechtlich zulässig sind. Bedenklich sind sie vor allem dann, wenn sie zu einer Aufzehrung der betrieblichen Rente führen, was dann eintreten kann, wenn die betriebliche Rente nach dem letzten Arbeitseinkommen errechnet und konstant gehalten wird, während die Sozialversicherungsrente dynamisiert ist. Soweit bekannt, hat es in diesen Fällen die Praxis zu einer Auszehrung nicht kommen lassen, die beiden Klauseln wurden also nur zum Teil oder gar nicht angewandt. Nach Auffassung zahlreicher Sozialpolitiker enthalten die bestehenden betrieblichen Versorgungssysteme noch drei neuralgische Funkte:

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1. die Gefährdung des Versorgungsanspruchs bei Insolvenz des Betriebes, 2. die Nichtübertragbarkeit des erworbenen Versorgungsanspruchs bei Wechsel der Stellung, 3. die Nichtanpassung der Versorgungsbezüge an die Lohnund Preisentwicklung. Zu 1.: Bei Insolvenz des Betriebes können auch die Versorgungsverpflichtungen nicht erfüllt werden, und die Versorgungsforderungen, so gerechtfertigt sie auch sein mögen, erweisen sich als uneinbringlich. Es sollte daher nach Formen gesucht werden, die eine Insolvenzsicherung des Anspruchs des Arbeitnehmers ermöglichen. Gruppenversicherungsverträge würden dies ermöglichen; sie würden dem Arbeitnehmer einen direkten Anspruch und damit eine Insolvenzsicherung gewähren. Zu 2.: Bei Stellungswechsel verfällt bei Bestehen einer entsprechenden Klausel in der Versorgungsordnung auch der erworbene Versorgungsanspruch. Damit wird die im Grundgesetz gewährleistete Freizügigkeit des Arbeitnehmers eingeschränkt. Aber die Arbeitgeber erheben natürlich Bedenken gegen die Übertragbarkeit von Versorgungsansprüchen. Eines der wichtigsten Motive für die Gewährung von Ruhegeldansprüchen ist ja gerade die dadurch erreichbare Bindung an den Betrieb. Auch bei Beamten ist Grundsatz, daß Pensionsansprüche verfallen, wenn das Beamtenverhältnis vor Pensionierung aufgegeben wird. Dem Unternehmer kann es kaum versagt werden, entsprechende, die Betriebstreue honorierende Arbeitsverträge zu schließen. Zu 3.: Die Geldentwertung läßt ein weiteres Problem bei Versorgungsansprüchen entstehen. Preissteigerungen mindern absolut, Lohn- und Gehaltserhöhungen relativ den Wert der Ruhegelder. Müssen die Arbeitgeber, aus ihrer Fürsorgepflicht heraus, die Versorgungsbezüge den Lohn- und Preissteigerun-

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gen anpassen? Das würde eine Dynamisierung der Versorgungsbezüge bedeuten, mit allen Folgen für die Ertragsbelastung des Betriebes, zugleich aber ein Verlassen des Prinzips des Nominalismus bei Geldansprüchen aus Verträgen. Trotzdem spricht vieles für die Anpassung der Versorgungsbezüge an Lohn- und Preissteigerungen, soll die Altersversorgung ihre betriebliche soziale Bedeutung behalten. Von Sozialpolitikern wird in bezug auf die betriebliche Altersversorgung oft noch eine Forderung gestellt: sie auf alle Arbeitnehmer auszudehnen. Dann aber würden die Arbeitgeber dazu gesetzlich gezwungen werden müssen. Das wäre eine neue, und für viele, vor allem kleine und mittlere Betriebe, sicher nicht tragbare Belastung. Wenn heute 60 °/o aller Arbeitnehmer Versorgungszusagen besitzen, mögen sie in Art und Höhe auch verschieden sein, so sagt das genug über die soziale Einstellung des neuzeitlichen Unternehmers. Bei vielen Betrieben ginge aber die neue Belastung über ihre wirtschaftliche Kraft. Was der eine Betrieb kann, kann der andere noch lange nicht; die Gewinnlage ist überaus verschieden; aber auch die Arbeits- und Lohnintensität ist verschieden. Ein Betrieb mit 8 °/o Lohnanteil ist hier in einer viel günstigeren Lage als einer mit 6 0 % . Eine gesetzliche Verpflichtung müßte aber für alle gleich sein. Sie kann nicht durch zu viele Ausnahmen ihre Bedeutung einbüßen. Nein, diese Forderung einzelner Sozialpolitiker geht zu weit. Die betriebliche Altersversorgung muß Betriebsangelegenheit bleiben; die Initiative muß bei der Wirtschaft liegen, sie wird die Form und die Höhe der Altersversorgung wählen, die ihrer Eigenart und ihrer Ertragslage am besten entspricht. 2.

Gratifikationen

Gratifikationen sind Sonderzuwendungen an die Arbeitnehmer aus besonderem Anlaß. Solche Anlässe können ζ. B. sein: Weihnachten, Ostern, Firmenjubiläen, Dienstjubiläen. Es handelt sich bei Gratifikationen meist um Geldzuwendungen, aber

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auch Sachzuwendungen kommen in Frage. Im allgemeinen haben Gratifikationen nicht den Charakter einmaliger Geschenke; sie zeichnen sich vielmehr durch eine gewisse Regelmäßigkeit aus, indem sie meist als Anerkennung des Betriebes für die Leistung in einem bestimmten Zeitraum gewährt werden. O b überhaupt, in welcher Form und in welcher Höhe Gratifikationen gezahlt werden, das hängt vom Ermessen des Arbeitgebers ab. Zu beachten ist jedoch, daß nach dreimaliger Zahlung einer bestimmten Gratifikation in ununterbrochener Folge ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers entsteht. "Wird bei jeder Zahlung ein entsprechender Vorbehalt ausgesprochen, so ist das Entstehen eines derartigen Anspruches abwendbar. J e nach der Art der Gratifikation können verschiedene Bemessungsgrundlagen für die Gewährung angewandt werden: 1. die Leistung des Mitarbeiters, gemessen an seinem Lohn bzw. Gehalt, 2. der Status des Mitarbeiters, ausgedrückt durch seinen Rang in der Betriebshierarchie, ζ. B. ungelernter Arbeiter, Facharbeiter, Meister oder Vorarbeiter, Abteilungsleiter usw. 3. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit (maßgeblich bei Jubiläumsgratifikationen), 4. die Bedürftigkeit, ausgedrückt durch soziale Faktoren wie ζ. B. Alter, Familienstand, Zahl der Kinder. In steuerlicher Hinsicht bedeuten Gratifikationen für das Unternehmen Betriebsausgaben; für den in ihren Genuß Gelangenden stellen sie lohnsteuerpflichtiges Einkommen dar, sind jedoch in gewissem Umfange steuerfrei (Jubiläumsgratifikationen) oder indirekt steuerbegünstigt (im Dezember jeden Jahres ein zusätzlicher steuerfreier Betrag von 100 DM). Einmalige Geschenke aus besonderem Anlaß (ζ. B. bestandener Lehrabschlußprüfung) sind lohnsteuerfrei.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

3.

Gesundheitspflege Diese Gruppe freiwilliger sozialer Leistungen umfaßt alle Aufwendungen für die Betriebsfürsorge, für den werksärztlichen Dienst, Betriebskrankenanstalten, Erholungseinrichtungen und -maßnahmen und zusätzliche Unfallverhütungsmaßnahmen. Wie wichtig die sozialen Maßnahmen auf diesen Gebieten sind, ersieht man schon allein aus den immer weiter ansteigenden Krankheitsziffern, insbesondere wegen der erschreckenden Zunahme sog. Zivilisationskrankheiten (Neurosen, Infarkte usw.), und aus dem Anwachsen der Fälle von Frühinvalidität. Die Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitspflege bilden deshalb einen Kernpunkt unternehmerischer Fürsorgepflicht und zielen darauf ab, die Gesundheit der Arbeitnehmer um ihrer selbst willen zu schützen, zu erhalten und gegebenenfalls wiederherzustellen. Darüber hinaus sind sie trotz erfahrungsgemäß hohen Kostenaufwandes geeignet, die Kosten des Betriebes, insgesamt gesehen, zu vermindern, indem sie nachteilige Folgen vermeiden helfen, die sich sonst infolge von Krankheits- und Unfällen ergeben, so ζ. B.88 a) Zahlung höherer tariflicher Krankengeldzuschüsse, b) Sonderunterstützung in Notfällen, c) geringerer Leistungsgrad des Arbeitnehmers, d) Produktionsverzögerungen und Terminüberschreitungen, e) Stückkostenerhöhung durch personalausfallbedingten Beschäftigungsgradrückgang, f) Anlern- und Einarbeitungskosten für Ersatzkräfte, g) Anwerbungs- und Einstellungskosten für Ersatzkräfte. Die betriebliche Gesundheitspflege im engeren Sinne umfaßt den Werksarzt sowie dessen ärztliche Einrichtungen und Hilfspersonen, Erste-Hilfe-Stationen und dergleichen. Die Aufgaben des werksärztlichen Dienstes liegen in erster Linie auf den M Nach den Richtlinien für die werksärztliche Tätigkeit, aufgestellt vom Arbeitsausschuß der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und der werksärztlichen Arbeitsgemeinschaft und dem Deutschen Gewerkschaftsbund gemäß J 10 der Vereinbarung über den werksärztlichen Dienst vom 10. 6.1950.

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

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Gebieten der Gesundheitsvorsorge, der vorbeugenden Maßnahmen, der Frühdiagnose und der Erste-Hilfe-Leistung. Um welche Leistungen es sich bei der Erfüllung der gesundheitspflegerischen Aufgaben handeln kann, das soll die folgende Übersicht verdeutlichen, die (annähernd) die Struktur werksärztlicher Leistungen eines Unternehmens der Automobilbranche widergibt 89 . 1. Maßnahmen, durch die bei der Auswahl und Zuteilung des Arbeitsplatzes medizinischen Gesichtspunkten Rechnung getragen wird: a) Neueinstellungsuntersuchung, b) Veranlassung von Arbeitsplatzwechsel wegen Krankheit und Leistungsschwäche, c) Rehabilitationsverfahren, d) Untersuchung von längerdauernd Erkrankten bei Wiederaufnahme der Arbeit. 2. Gesundheitsvorsorge (arbeitsmedizinische Vorsorgemaßnahmen): a) Durchführung von durch Gesetz oder Verordnung vorgeschriebenen Untersuchungen a t ) Unter dem Aspekt der Arbeitshygiene notwendige Untersuchungen, ζ. B. von Küchenpersonal, a2) Unter dem Aspekt der Arbeitssicherheit notwendige Untersuchungen, ζ. B. von Bleiarbeitern, strahlenexponierten Personen b) Durchführung anderer (nicht vorgeschriebener) Untersuchungen b t ) Untersuchung besonders gefährdeter Gruppen (ζ. B. von Arbeitern, die mit toxischen Substanzen umzugehen haben), b2) Untersuchung von Gruppen mit speziellen Arbeitsanforderungen, ζ. B. Kranführer, Versuchsfahrer, · · Nadi Wenzel, C., „Der Werksarzt - Notwendigkeit und Nutzen", Köln o. J., S. 17 ff.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

b3) Individuelle Untersuchungen bei arbeitsbezogenen Gesundheitsstörungen, b4) Umgebungsuntersuchungen bei Tuberkuloseerkrankungen, b5) Turnusmäßige Untersuchungen der Mitglieder des Management. c) Überwachung der Einhaltung des Jugendschutzgesetzes und des Mutterschutzgesetzes d) Verschiedene Vorbeugungsmaßnahmen dj) Impfungen bei Geschäftsreisen ins Ausland, d2) Impfungen gegen Grippeerkrankungen. 3.

Erste-Hilfewesen a) Versorgung von Unfallverletzten b) Erstbehandlung akuter Erkrankungen

4. Arbeitshygiene und Arbeitsschutz Regelmäßige Betriebs- und Arbeitsplatzbesichtigungen zum Zwecke optimaler Gestaltung der Arbeitsumgebung und ihrer Überwachung. Die Tätigkeit des Werksarztes kann haupt- oder nebenberuflich geschehen. Angaben des Bundesgesundheitsministeriums zufolge waren im September 1964 in der Industrie insgesamt 417 Werksärzte hauptberuflich und ca. 950 nebenberuflich tätig; wobei die Mehrzahl der hauptberuflich tätigen Werksärzte in Großbetrieben mit über 1000 Beschäftigten anzutreffen ist90. Eine Faustregel besagt, daß für etwa 2500 bis 3000 Werksangehörige ein hauptberuflicher Werksarzt erforderlich ist91. Der betrieblichen Erholungsfürsorge kommt heute nicht dieselbe Bedeutung zu wie dem werksärztlichen Dienst. Dennoch kann sie in hohem Maße der Erhaltung bzw. Wiedergewinnung der menschlichen Arbeitskraft förderlich sein. Nicht wenige ·• Nadl ο. V., „Sozialpolitische Rundschau", in: Sozialer Fortschritt, unabhängige Zeitschrift für Sozialpolitik, IS. Jhg. 1966, S. 22. " Vgl. Jacobi, F., „Personalpolitik heute und morgen", Düsseldorf und Wien 1963, S. 76.

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Betriebe unterhalten werkseigene Erholungseinrichtungen, wie ζ. B. Urlaubsheime, Erholungsheime und Sanatorien, oder führen anderweitige Erholungsmaßnahmen durch, indem sie zugunsten ihrer Belegschaft befristete Verträge mit Hotels, Pensionen oder Kurheimen abschließen oder Zuschüsse für Erholungs- und Kuraufenthalte leisten. Die zusätzlichen Vnfallverhütungsmaßnahmen zählen zu den wichtigsten Formen betrieblicher Gesundheitspflege im weitesten Sinne. Ein Mindestmaß betrieblicher Betätigung auf dem Gebiet der Unfallverhütung wird zwar bereits von den Berufsgenossenschaften vorgeschrieben, es bleibt jedoch der Initiative des Betriebes überlassen, die Unfallrisiken durch zusätzliche Maßnahmen noch weiter einzudämmen. Solche zusätzlichen Leistungen sind in erster Linie im Interesse der unfallgefährdeten Mitarbeiter, aber auch im wirtschaftlichen Interesse des Betriebes wichtig, denn ein Betriebsunfall kann zu empfindlichen Störungen und Verlusten im Produktionsablauf führen. Einen ersten Hinweis darauf, wo die Maßnahmen zur Unfallversicherung anzusetzen haben, vermittelt die Erfahrung, daß rd. 90 °/o der Unfälle im Betriebe auf menschliches Versagen und menschliche Unzulänglichkeiten zurückzuführen sind. Die betriebliche Unfallverhütung hat sich deshalb besonders mit der Erforschung der Gefahrenquellen und Unfallursachen im menschlichen Bereich zu befassen. Dabei können die Unfallgefahren heraufbeschwörenden Umstände charakterlich begründet sein (ζ. B. Leichtsinn, Gedankenlosigkeit, leichte Ablenkbarkeit, Stimmungsanfälligkeit, übertriebene Ängstlichkeit oder falsch verstandener Mut) oder sich aus der temporären Verfassung des Arbeitenden ergeben (ζ. B. körperliche oder geistige Ermüdung, die zu einem Nachlassen der Konzentration und des Reaktionsvermögens führt). Vielfältiger noch sind die Unfallursachen im sachlichen Bereich, doch lassen sie sich - wenn sie erst einmal erkannt sind nachhaltiger abstellen als jene im menschlichen Bereich.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Die gebräuchlichsten Maßnahmen zur Unfallverhütung bestehen in der Ursachenforschung durch Sicherheitsingenieure oder -beauftragte, in der Aufklärung und Unterrichtung der Gefährdeten und in der Anregung ihres Interesses zur Mitarbeit durch das Aussetzen von Unfallverhütungsprämien, in zweckmäßiger Pausengestaltung zur Vorbeugung gegen Ubermüdungserscheinungen, in der Zurverfügungstellung von Schutzkleidung, der entsprechenden (ζ. B. farblichen) Kennzeichnung von Gefahrenquellen usw. Und was das Wichtigste ist: laufende Kontrolle. Die besten Sicherheitsvorkehrungen sind nur insoweit effektiv, als sie ihrer Bestimmung gemäß gehandhabt bzw. eingehalten werden. Die Erfahrung lehrt, daß weniger das grundsätzliche Fehlen von Sicherheitsvorkehrungen, als vielmehr ihre Geringschätzung durch die Arbeitenden den Ausschlag für Unfälle ergibt. 4.

Belegschaftsverpflegung

Motive, Einrichtung und Angebot der Belegschaftsverpflegung haben im Laufe der Zeit Veränderungen durchgemacht, die für den Wandel im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kennzeichnend sind. Waren die früheren Kantinen noch Ausdruck patriarchalischer Fürsorge für den Arbeiter, so wurden sie später in zunehmendem Maße zu einem Instrument betriebspolitischer Strategie, insbesondere zu einem Argument der Personalwerbung. Außerdem geht es heute bei der Belegschaftsverpflegung nicht mehr darum, daß die Mitarbeiter „satt" werden, sondern um die Erhaltung ihrer Leistungskraft und Gesundheit durch eine regelmäßige und zweckmäßige Ernährung. Die Notwendigkeit zur Einrichtung von Werksküchen und Kantinen liegt einesteils in der Vergrößerung der personellen Einzugsgebiete der Betriebe begründet, denn die heutzutage von den Mitarbeitern in Kauf genommenen Anfahrtswege zur Arbeitsstätte sind vielfach so dimensioniert, daß ein Einnehmen der Mahlzeit zu Hause zeitlich oder wirtschaftlich unmöglich

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

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ist. Anderenteils ist in vielen Fällen die Möglichkeit der häuslichen Zubereitung von Mahlzeiten durch die Berufstätigkeit der Frau beschränkt. Dennoch muß im Einzelfalle geprüft werden, ob die Unterhaltung einer Werksküche und Kantine für den Betrieb notwendig und sinnvoll ist, da sie einen erheblichen Aufwand verursacht. Die folgenden Faktoren sind in die diesbezüglichen Überlegungen einzuschließen92: 1. Zahl der Mitarbeiter, 2. Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte der Mitarbeiter, 3. Alter und Familienstand der Arbeitnehmer, 4. Arbeitszeitregelung im Betrieb, und zwar mit folgenden Varianten: a) eine durch den Produktionsablauf bedingte Arbeitszeit ohne Unterbrechung, bei der die Mittagspausen möglichst kurz sein müssen und für die Belegschaft schichtweise festzulegen sind, b) Zeitpunkt und Dauer der Mittagspausen können beliebig gestaltet werden, c) es wird im Schichtbetrieb gearbeitet; ζ. B. von 6 bis 14 Uhr und von 14-22 Uhr. Dann erübrigt sich eine Mittagspause. Von den Kleinbetrieben abgesehen, wird sich in der Mehrzahl der Betriebe mit festem Standort die Einrichtung einer Werksküche und Kantine als zweckmäßig erweisen. Dabei ist dann aber auch der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Verbraucheransprüche heute ausgesprochen hoch sind, d. h., daß es weniger auf die Zahl der dargebotenen Kalorien ankommt, als vielmehr auf den Abwechslungsreichtum im Speisezettel, auf ein möglichst breites tägliches Speisenangebot, auf die Aufmachung der Speiseräume und auf die optische Anrichtung der · ' Nach Merle, G . , „Der freiwillige soziale Aufwand in der Industrie", Berlin 1963, S. 79.

160

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Gerichte. Das Klima der Kantine wird in der Zukunft immer mehr durch die Eßkultur bestimmt sein. Rationalisierungsmöglichkeiten im Kantinenbereich ergeben sich vor allem durch die Einführung von Tiefkühlmeniis (möglicherweise kann so die Werksküche eingespart werden) und durch die Aufstellung von Automaten. Rationalisierung ist überall dort angebracht, wo nicht die Basis für eine gepflegte Eßkultur angegriffen wird, insbesondere also in der Küche sowie durch Selbstbedienung bei der Essenausgabe. In den Kantinenräumen selbst sollte die Individualisierung des Mittagstisches gepflegt und gefördert werden. Da die Werksverpflegung der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Mitarbeiter dienlich ist und so mittelbar auch den Interessen des Betriebes entgegenkommt, ist es angebracht, daß vom Betrieb ein angemessener Zuschuß zur Verpflegung gegeben wird, um damit den Werksangehörigen einen Anreiz zur Teilnahme zu geben. Der Zuschuß dürfte in etwa in der Höhe angemessen sein, wo er die den Materialeinsatz übersteigenden Kosten deckt, weil damit das Essen für den Mitarbeiter einen Preis erreichte, der demjenigen einer häuslichen Mahlzeit nahekommt. Wo die Unterhaltung einer Werksküche und Kantine sich als wenig sinnvoll oder als nicht durchführbar erweist, können andere Formen der Verpflegungshilfe an ihre Stelle treten 93 : 1. Zuschüsse zum Mittagessen in nahegelegenen Gaststätten, 2. Wärmeeinrichtungen für mitgebrachte Speisen („Henkelmann"), 3. Heißwasserspender für die Zubereitung von Getränken, 4. kostenlose Abgabe von Getränken (ζ. B. von Milch im Bergbau und in Gießereien), 5. Aufstellung von Lebensmittel- und Getränkeautomaten. Bei der Entscheidung über die Wahl der einen oder anderen Form der Verpflegungshilfe, alternativ zur Werksküche und » Vgl. Merle, G., a. a. O., S. 82.

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

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Kantine, sind betriebsindividuelle soziale Gründe, aber auch wirtschaftliche Grundsätze zu beachten. 5.

Wohnungshilfe Die durch den letzten Krieg verursachte Wohnraumnot führte zu einer verstärkten Initiative auf dem Gebiete des betrieblichen Wohnungswesens. Tatsächlich war die Gewährung betrieblicher Wohnungshilfe auch früher schon üblich; so wurde schon in den 20er Jahren Wohnungshilfe in Form von verbilligten Wohnungen und Eigenheimbauten mit späterer Übereignung an Betriebsangehörige gewährt. Damals standen vorwiegend soziale Motive im Vordergrunde, aber auch das Ziel, einen betriebsverbundenen Mitarbeiterstamm zu bilden. Die gleichen Motive gelten auch heute noch, doch hat das letztgenannte ein größeres Gewicht erlangt, weil die Anwerbung von Arbeitskräften heute vielfach nur noch dann gelingt, wenn der Betrieb bei der Beschaffung von Wohnraum Hilfe leistet. Als Formen der betrieblichen Wohnungshilfe kommen in Frage: a) der Bau von werkseigenen Wohnungen und Wohnheimen, b) die Beschaffung von werksgeförderten Wohnungen, c) die Förderung des Baues von Eigenheimen und des Erwerbs von Eigentumswohnungen, d) die Gewährung von Personalkrediten für die Wohnungsbeschaffung, e) sonstige Maßnahmen. Zw a): Bei den werkseigenen Wohnungen tritt der Betrieb als Bauherr auf. Freiwilliger Sozialaufwand ist in diesem Falle die Differenz zwischen der Kostenmiete und der - zumeist niedrigeren - Effektivmiete. Größere Betriebe bedienen sich vielfach eines eigenen, aber rechtlich selbständigen Wohnungsbauunternehmens. Die Einschaltung von gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen ist 11

Mellerowicz, Soziale Funktionen

162

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

ebenfalls möglich und hat auch eine Reihe von Vorteilen (ζ. B. Steuerfreiheit bei der Körperschaft-, der Vermögen-, der Gewerbe- und der Kapitalverkehrsteuer), engt jedoch andererseits den Dispositionsspielraum des Betriebes ein, weil die Bestimmungen des Gemeinnützigkeitsrechtes Verpflichtungen auferlegen94. Z.u b): Die werksgeförderten Wohnungen spielen unter den Maßnahmen der Wohnungshilfe eine bedeutsame Rolle. Durch die Gewährung von (in der Regel zinslosen) Darlehen sichert sich der Betrieb für eine bestimmte Zeit ein Belegungsrecht. Als Vertragspartner kommen dabei sowohl Organe der staatlichen Wohnungspolitik (Heimstätten) als auch gemeinnützige Wohnungsunternehmungen und private Bauherren in Betracht. Im Vordergrunde der betrieblichen Überlegungen hinsichtlich werksgeförderter Wohnungen stehen die Fragen günstiger Verkehrslage der Wohnungen zum Werk, der Leistungsfähigkeit des Wohnungsunternehmens und der Gestaltung der Darlehnsund Mietzinsbedingungen. Zu c): Der Eigenheimförderung sollte im Rahmen der betrieblichen Sozialpolitik besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, weil das Leben und Wirken im eigenen Haus und Garten Erholung und Zufriedenheit schafft und diese auf den Betrieb zurückstrahlen. Zur Eigenheimförderung zählen zunächst einmal alle Maßnahmen der allgemeinen Aufklärung und Unterrichtung bauwilliger Mitarbeiter. Darüber hinaus können im Einzelfalle folgende Förderungsmöglichkeiten eingesetzt werden98: 1. Verschaffung und Bereitstellung erschlossenen Baugeländes, 2. Einschaltung eines erfahrenen Sachbearbeiters zur individuellen Beratung der Bauwilligen, " Vgl. dazu: Frank, K., „Betriebliches Wohnungswesen nungspolitik'', Neuwied und Berlin 1967, S. 12 f. " Vgl. dazu: Frank, K., a. a. O., S. 23.

Betriebliche

'Woh-

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

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3. Bereitstellung von Firmendarlehen, 4. Hilfestellung bei der Beschaffung von Hypotheken, 5. Beschaffung von Landesbaudarlehen, Annuitätenbeihilfen, Bürgschaften usw., 6. Vorfinanzierung von Bausparverträgen, 7. Abgabe von Baustoffen zu Vorzugspreisen, 8. Bau von Kaufeigenheimen in Gruppensiedlungen durch eigene Wohnungsunternehmen und spätere Übergabe an die Mitarbeiter. Maßnahmen zur Förderung des Erwerbs von Eigentumswohnungen werden vor allem in jenen Gebieten einzuplanen sein, wo der verfügbare Boden knapp ist und deshalb die Mittel der Bauwilligen für die Finanzierung eines Eigenheimes zu beschränkt sind. Ζu d): Bei den Förderungsmaßnahmen mit Hilfe von Personalkrediten ist in erster Linie an die heute allgemein üblichen Baukostenzuschüsse zu denken, deren plötzliche Aufbringung für viele Arbeitnehmer ein Problem darstellt, obgleich sie die laufenden Belastungen aus dem Mietvertrag durchaus zu zahlen imstande sind. Die Gewährung eines Personalkredits durch den Betrieb kann in vielen Fällen eine gesunde Lösung sein. Ζu e): Zu den Formen der Wohnungshilfe gehören auch Mietbeihilfen und Mietzuschüsse, die der Betrieb seinen Mitarbeitern gewährt, die Übernahme von Umzugskosten, der Einsatz der Beziehungen, die der Betrieb zu Bauherren, Architekten und Hausbesitzern hat, das Inserieren um Wohnraum in Tageszeitungen usw. 3124 Betriebliche Bestimmungsfaktoren für Art und Umfang freiwilliger Sozialleistungen Es ist für den einzelnen Betrieb mitunter außerordentlich schwierig, aus der Fülle der möglichen freiwilligen Sozialleistungen eine solche Zusammenstellung vorzunehmen, die 11·

164

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

eine Erfüllung seiner Ziele in geeignetster Weise zuläßt. Aber nicht nur die Auswahl der zweckmäßigsten Leistungsarten, sondern vor allem auch die richtige Dosierung der einzelnen Sozialmaßnahmen gilt es zu treffen. Wenn einer Unternehmensleitung Erfahrungen anderer, auch vergleichbarer Betriebe zur Verfügung stehen, so können diese zwar der allgemeinen Orientierung dienen, doch lassen sich Maßnahmen, die sich in einem Betriebe als zweckmäßig erwiesen haben, niemals ohne weiteres mit ebensolchem Erfolg auf einen anderen übertragen, weil stets die besonderen betrieblichen Gegebenheiten und Eigenheiten die Wirksamkeit der freiwilligen Sozialleistungen beeinflussen. Folgende Faktoren sind bei der Bestimmung von Art und Umfang freiwilliger Sozialleistungen zu berücksichtigen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

der betriebliche Leistungsprozeß die Betriebsgröße der Standort die Betriebstradition die wirtschaftliche Lage des Betriebes die Personalstruktur die Vorstellungen der Belegschaft.

Zu 1.: Es hängt sehr wesentlich vom Ablauf des betrieblichen Leistungsprozesses ab, welche Aufgaben mit Hilfe freiwilliger sozialer Leistungen zu erfüllen sind und welche Maßnahmen zu deren Bewältigung ergriffen werden. Vor allem sind es die dem Arbeitsverfahren und der Arbeitsumwelt innewohnenden Gefahren für Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, denen mit gezielten Sozialmaßnahmen oder -einrichtungen begegnet werden muß. Es handelt sich also hauptsächlich um freiwillige Sozialleistungen auf dem Gebiete der Gesundheitspflege im weitesten Sinne und der Unfallvorsorge, ζ. B. a) Einrichtung einer Unfallstation, Ausgabe von Schutzkleidung, Bereitstellung von Schutzgeräten und Anbringung von Schutzvorrichtungen, wenn der Leistungs-

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

165

prozeß im Umgang mit gefährlichen Materialien oder Werkzeugen oder in gefährlicher Umgebung erfolgt; b) Maßnahmen zur Bekämpfung von Lärm, Hitze, Kälte, Nässe, Schmutz, Staub, giftigen Gasen usw., wenn die Arbeitsbedingungen derartige Unbilden einschließen; c) Maßnahmen und Einrichtungen zur Erholung und Erfrischung, zum Ausgleich einseitiger Arbeitsbelastung, zur Beseitigung von Monotonie usw.; d) Maßnahmen und Einrichtungen zur raschen Umschulung, zur Aus- und Weiterbildung, wenn die Arbeitsverfahren und Arbeitsmittel häufigem Wechsel unterliegen. Einer der wesentlichsten Gründe dafür, daß Betriebe gleicher Branchen vielfach sehr ähnliche Sozialmaßnahmen durchführen, liegt in der Tat in der Ähnlichkeit ihres Leistungsprozesses und seiner näheren Begleitumstände begründet. So bringen es ζ. B. die Schwere und die Gefahren unter Tage mit sich, daß der Bergbau ganz allgemein eine Spitzenstellung in der Gewährung sozialer Leistungen vor allen anderen Wirtschaftszweigen einnimmt. Während aber in diesem Wirtschaftsbereich der Leistungsprozeß auch im Verlauf größerer Zeitabschnitte nur geringen Veränderungen unterliegt und die mit ihm in Verbindung stehenden sozialen Probleme nach bewährten Methoden gelöst werden können, bringt in anderen Branchen der fortschreitende Automatisierungsgrad völlig neuartige soziale Aufgaben mit sich, weil er sich auf die Arbeitsverfahren, das Arbeitstempo und den Arbeitsrhythmus auswirkt und die Arbeitenden hohen psychischen Belastungen aussetzt. Das erfordert besondere Sozialmaßnahmen, um die Arbeitenden an den hohen Technisierungs- und Automatisierungsgrad zu gewöhnen und dessen nachteiligen Folgen für den Menschen entgegenzuwirken. Ζu 2.: Statistische Untersuchungen haben ergeben, daß mit zunehmender Betriebsgröße die Anzahl sozialer Maßnahmen und Einrichtungen zunimmt und die damit verbundene Höhe

166

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

des Sozialaufwarides nicht nur absolut, sondern auch relativ - etwa als pro-Kopf-Aufwand betrachtet - ansteigt9®. Obgleich dieses Gefälle zu einem Teil nur aus erhebungstechnischen Gründen und somit lediglich scheinbar vorhanden ist, weil kleine und mittlere Betriebe in ihrem Rechnungswesen manche Aufwandsarten (z.B. Krankengeld und bezahlte Ausfallzeiten) nur lückenhaft erfassen, so gibt es doch auch eine Reihe Gründe für das Vorhandensein wirklicher Differenzen. Daß Großbetriebe notwendigerweise höhere freiwillige Sozialleistungen erbringen als kleinere Unternehmen, hängt zusammen mit der betriebsgrößenbedingten Tendenz zur Starrheit und Schwerfälligkeit ihrer Organisation und mit der Hinwendung zu weitgehender Arbeitsteilung. Die Probleme, mit denen der Großbetrieb hier zu kämpfen hat, lassen sich selbst durch sorgfältigste Maßnahmen der Menschenführung und Menschenbehandlung niemals völlig lösen, es sei denn, man wollte ein Großunternehmen nach den organisatorischen Prinzipien eines Kleinbetriebes führen. Um aber dennoch einen gewissen Ausgleich herbeizuführen und die Nachteile des Großbetriebes gegenüber dem Kleinbetrieb zu kompensieren, werden den Mitarbeitern im Großbetrieb entsprechend mehr und höhere Sozialleistungen geboten. Dabei ist es für Großbetriebe von Vorteil, daß sie im allgemeinen finanzkräftiger sind als kleinere, und daß ihnen hinsichtlich der von ihnen geschaffenen Sozialeinrichtungen die Vorteile der Kapazitätsausnutzungs- und Größendegression zugute kommen. Zu 3.: Der Standort ist insofern für die Arten und die Höhe des freiwilligen Sozialaufwandes maßgeblich, als der Betrieb mit Hilfe sozialer Maßnahmen und Einrichtungen diejenigen Nachteile abzuschwächen oder gar aufzuheben bestrebt sein wird, die den Mitarbeitern dadurch erwachsen, daß sie gerade an diesem und nicht an einem günstiger gelegenen Ort beschäftigt sind. Die Unterschiede in den standortbedingten · · Vgl. Spiegelhalter, F., „Der unsichtbare Lohn", Neuwied-Berlin 1961, S. 20 ff.

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

167

Sozialleistungen ergeben sich hauptsächlich daraus, ob der Betrieb in städtischer oder ländlicher Umgebung liegt. Für Betriebe in ländlicher Umgebung ergeben sich Ansatzpunkte für Sozialleistungen aus der ungenügenden verkehrsmäßigen Erschlossenheit ihres Einzugsgebietes, aus dem in kleineren Gemeinden sehr häufig unterentwickelten Schul-, Bildungs- und Gesundheitswesen (es fehlen höhere Schulen, Bibliotheken, Theater, Fachärzte, Krankenhäuser), aus unzureichenden sportlichen Betätigungsmöglichkeiten usw. Im Stadtgebiet ansässige Betriebe finden Möglichkeiten der sozialen Betätigung vor allem auf den Gebieten der Wohnungsbeschaffung und der Bereitstellung von Erholungsmöglichkeiten. Traditionelle, regionale und nationale Gegebenheiten des Standortes können ebenfalls von Einfluß auf den betrieblichen Sozialaufwand sein. Sie erfordern besonders dann sorgfältige Beachtung, wenn es um neuzugründende Betriebe oder Betriebsteile im Auslande geht. Neben den Betrieben mit festem Standort, deren Probleme wir soeben beschrieben haben, sind auch noch die nicht standortgebundenen Betriebe zu erwähnen, ζ. B. die Betriebe des Baugewerbes, deren Sozialleistungen oft sehr hoch sein müssen. Zu 4.: Es gibt unter den traditionsreichen Firmen eine ganze Reihe solcher, die schon seit erdenklichen Zeiten ganz bestimmte soziale Leistungen erbringen und dafür nicht nur betriebsintern, sondern auch über den Betrieb hinaus bekannt sind. Es handelt sich dabei vielfach um soziale Leistungen, die noch aus der Zeit der Gründerjahre stammen und in denen der Unternehmer seinerzeit seinen Mitarbeitern den Dank und die Anerkennung für ihre besonderen Leistungen in den schwierigen Jahren des Betriebsaufbaues ausgedrückt hat. In der Zwischenzeit sind diese Leistungen Bestandteil der Betriebstradition geworden und mit dem Stolz der Belegschaft auf große Leistungen ihres Werkes verknüpft.

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Weil die innere Verbundenheit des Arbeitnehmers mit seinem Betrieb durch solche aus der Tradition heraus gewachsene und mittlerweile zum Stil des Unternehmens gehörende Leistungen so nachhaltig bestärkt wird, dürfen sie bei einer notwendigen Neuorientierung der betrieblichen Sozialleistungen insgesamt nur im äußersten Falle aufgegeben werden. Zw 5.: Die wirtschaftliche Lage des Betriebes ist der wesentlichste Bestimmungsfaktor für die Höhe des freiwilligen Sozialaufwandes, mittelbar auch für die Arten der Sozialleistungen, weil deren Spektrum von den zur Verfügung stehenden Mitteln abhängig ist. Der freiwillige Sozialaufwand bedeutet für den Betrieb zunächst einmal ein Mehr an Kosten, und jeder Betrieb, den Gesetzen der Wirtschaftlichkeit unterworfen, ist gehalten, Kosten einzusparen. Von da her ist es zu verstehen, daß der Betrieb vorrangig solche sozialen Maßnahmen und Projekte fördern muß, die geeignet sind, seinen betriebspolitischen Zielsetzungen zu dienen. Aufgaben, die allein sozialen Zwecken dienen und Vorteile für den Betrieb nicht einmal mittelbar bringen, können - wenn überhaupt - von einem privaten Unternehmer nur in sehr geringem Umfange wahrgenommen werden. Mit jedem Aufwand muß ein entsprechender Ertrag erzielt werden können, der sich allerdings nicht sofort und nicht unmittelbar in Einnahmen niederzuschlagen braucht. Aus dem umfangreichen Katalog sozialpolitischer Betätigungsmöglichkeiten sind daher jene zu verwirklichen, die die im spezifischen Falle erstrebten Ziele auf wirtschaftlichste Weise erreichen helfen. Wie kostspielig die freiwilligen Sozialleistungen insgesamt sein dürfen, das hängt von der Ertragslage des Betriebes ab. Sie dürfen nicht so hoch bemessen sein, daß die Substanz des Betriebes angegriffen wird, und ihr zeitlicher Anfall darf die Liquidität zu keinem Zeitpunkt gefährden. Wenn manchmal gefordert wird, die Höhe des freiwilligen Sozialaufwandes der steigenden Leistungskraft der Unterneh-

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

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mung anzupassen, so ist dem nicht zu folgen. Die Einkommenssituation der Arbeitnehmer ist in unserer Zeit gemeinhin so günstig, daß sie viel seltener als früher auf soziale Hilfsmaßnahmen des Betriebes angewiesen sind. Trotzdem wird heute vielfach noch der Betrieb als eine Art Wohlfahrtseinrichtung angesehen, die einzuspringen hat, sobald sich Schwierigkeiten abzeichnen. Diese Unmündigkeit auf selten mancher Arbeitnehmer wird im Wege höherer freiwilliger Sozialleistungen nur noch verstärkt. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken und um den Betrieb von den sich zusehends vermehrenden betriebsfremden Aufgaben zu entlasten, ist es sinnvoller, anstatt höhere freiwillige Sozialleistungen zu erbringen, höhere Löhne zu bezahlen und Gewinnbeteiligungssysteme einzuführen, damit der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wird, für sich selbst zu denken und zu sorgen. Zu 6.: Keiner der bislang besprochenen Bestimmungsfaktoren für den betrieblichen Sozialaufwand ist so zwingend und so selbstverständlich wie die Personalstruktur. Wenn die freiwilligen Sozialaufwendungen ein Höchstmaß an Wirksamkeit erreichen sollen, so müssen sie den sich aus der Personalstruktur ergebenden Notwendigkeiten angepaßt werden. Die dabei zu berücksichtigenden Unterschiede beruhen u. a. auf folgenden Strukturmerkmalen: a) dem Geschlecht der Arbeitnehmer: Ein Unternehmen, das in seinen Werken nur männliche Arbeitskräfte beschäftigt (ζ. B. ein Gießereibetrieb), wird in seinen Sozialleistungen andere Akzente setzen müssen als ein solches, das auch oder ausschließlich weibliche Arbeitskräfte beschäftigt. b) der

Alterszusammensetzung:

Ist ζ. B. in einem Betrieb der Anteil an älteren Arbeitskräften sehr groß, so werden Sozialleistungen vor allem auf dem Gebiete des Gesundheitsdienstes, in Form von ärztlicher Be-

170

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

treuung, Zuschüssen zu Kuraufenthalten und Heilbehandlungen usw., notwendig sein. Es ist so, daß ältere Arbeitnehmer ganz allgemein größeren Wert auf Sozialleistungen legen als die jüngeren. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer Umfrage bei der Belegschaft der Firma DEMAG, wonach ein Drittel der Belegschaftsmitglieder in der Altersgruppe bis 25 Jahre die freiwilligen Sozialleistungen gegen einen höheren Lohn eintauschen möchte, während in der Altersgruppe von 25-50 Jahren nur ein Viertel und in der Altersgruppe über 50 Jahre sogar nur noch ein Fünftel der Arbeitnehmer auf die freiwilligen sozialen Leistungen zugunsten eines höheren Lohnes verzichten möchte. c) der Art der

Beschäftigungsverhältnisse:

Die Arbeiter waren bis in die jüngste Zeit den Angestellten gegenüber im Krankheitsfalle schlechter gestellt, so daß von betrieblicher Seite in manchem Falle hierfür Hilfsmaßnahmen notwendig waren. d) der regionalen und nationalen Herkunft der Mitarbeiter: Hier denkt man unwillkürlich an das Gastarbeiterproblem. Betriebe, deren Personalstruktur einen hohen Gastarbeiteranteil aufweist, werden beträchtlichen Sozialaufwand zur Milderung der Schwierigkeiten ihrer ausländischen Arbeitskräfte treiben, ζ. B. in Form von Wohnheimen und Eingewöhnungshilfen. e) der Dauer der Betriebszugehörigkeit: Von ihr hängt es vielfach ab, ob ein Mitarbeiter gewisse soziale Leistungen (schon) beanspruchen kann oder (noch) nicht. In manchen Wirtschaftszweigen, ζ. B. im Bergbau, ist die im Durchschnitt nur kurze Dauer der Betriebszugehörigkeit, mit anderen Worten: die hohe Fluktuation der Arbeitskräfte, der Grund dafür, daß bestimmte Sozialleistungen, die in anderen Branchen allgemein üblich sind, gar nicht erst eingeführt werden, stattdessen vielmehr entsprechend höhere Löhne gezahlt werden.

Befriedigung materieller Bedürfnisse der Mitarbeiter

171

Zu 7.: Es sollte als selbstverständlich gelten, daß die Vorstellungen der Belegschaft über die Form und die Schwerpunkte der von ihr gewünschten sozialen Leistungen durch eine Umfrage ermittelt und - sofern sich diese Vorstellungen mit den Zielsetzungen der Betriebsleitung in Übereinstimmung bringen lassen - nach Möglichkeit auch verwirklicht werden. In jüngster Vergangenheit sind des öfteren diesbezügliche Untersuchungen durchgeführt worden, und zwischenbetriebliche Vergleiche ihrer Ergebnisse haben deutlich werden lassen, daß die Wertschätzung sozialer Leistungen durch die Arbeitnehmer in groben Zügen ähnlich ist. Eine Erhebung bei der Mannesmann AG lieferte ζ. B. die folgenden Ergebnisse: Art der freiwilligen

Bewertung durch die Arbeitnehmer äußerst wichtig

wichtig

nicht so wichtig

überflüs

°/o 81

°/o 18

°/o 1

°/o

Pensionskasse und Altershilfen

73

26

1

Werkswohnungen

55

40

4

1

Betriebskrankenkasse

55

39

4

2

Erholungsheime

51

48

1

-

Möglichkeiten zur Weiterbildung

47

49

4

Lehrlings-, Ledigenund Altersheime

44

50

5

Rechtsberatung

40

55

5

Ferienprogramm

32

55

1

2

Werksküche, Kantine

25

57

13

5

ärztl. Betreuung u. Gesundheitsdienst

-

-

1 -

Sportplätze, Schwimmbad

23

60

15

2

Baudarlehen

19

54

22

5

Kulturabende

13

50

31

5

Möbelanschaffungsprogramm

13

47

30

10

Gemeinschaftsräume

12

50

30

8

172

Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

Die Ergebnisse der Untersuchung lassen erkennen, daß die gesundheitliche Betreuung und die betriebliche Altersversorgung in der Wertschätzung der Arbeitnehmer eine Spitzenstellung einnehmen. Auf soziale Leistungen, wie die Einrichtung von Gemeinschaftsräumen, Erleichterungen bei Möbelanschaffungen und die Veranstaltung von Kulturabenden wird offensichtlich wenig Wert gelegt. Zweifellos besteht heute bei den Betrieben alle Veranlassung, die freiwilligen sozialen Leistungen, die sich mit der Zeit zu einem schwierigen Problem entwickelt haben, zu überdenken. Die Zahl der Arten freiwilliger sozialer Leistungen ist - mit über 50 - sehr groß; die Kosten sind recht hoch, sie betragen im groben Durchschnitt (neben den gesetzlich vorgeschriebenen und den tariflich vereinbarten) etwa ein Drittel aller Lohnnebenkosten. Dabei gibt es solche, die längst überholt sind, weil bei den hohen Löhnen eine Hilfsbedürftigkeit nicht mehr besteht, ζ. B. Hausbrand, Beihilfen für Einkellerungskartoffeln u. v. a. Es kann darüber keine Meinungsverschiedenheit bestehen, daß solche sinnlos gewordenen freiwilligen Leistungen abgebaut werden müßten. Da die Betriebe aber von diesen Tradition gewordenen Leistungen nur ungern abgehen, sollten sie in anderer Form gewährt werden, so daß diese Beträge den Arbeitnehmern nicht verlorengehen. Nicht zweckmäßig wäre es, sie in Lohn und Gehalt oder in zusätzliche tarifliche Leistungen umzuwandeln. Damit verlören sie ihre betriebliche Individualität, würden alle Betriebe gleicherweise belasten und die Möglichkeit vermindern, in Einzelfällen wirkungsvoll zu helfen. Sinnvoll wäre es dagegen, besonders wichtige soziale Leistungen zu verstärken, so die betriebliche Altersversorgung, vor allem in den Fällen, wo die Renten relativ niedrig sind; ferner die Vermögensbildung, so etwa in Form von Baudarlehen, Erwerbsmöglichkeit von Belegschaftsaktien zu günstigen Bedingungen; sowie den Gesundheitsdienst im Betriebe.

Förderung immaterieller Interessen der Mitarbeiter

173

Der Sozialetat der Betriebe ist - vor allem in Anbetracht der so weitgehenden staatlichen Sozialfürsorge - bei weitem überzogen; ihn noch durch sinnlos gewordene Leistungen hochzuhalten, ist genauso wenig vertretbar wie das Bestehenlassen von steuerlichen Vergünstigungen, die ihre Berechtigung längst verloren haben. Für die eigene Familie sollte jeder selbst sorgen, nur in Notfällen ist fremde Hilfe zu gewähren. 32 Die "Wahrung u n d F ö r d e r u n g immaterieller Interessen der Mitarbeiter 320 Allgemeines Man kann davon ausgehen, daß es fast ausschließlich die materiellen Bedürfnisse sind, die den Menschen veranlassen, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Gewiß gibt es Ausnahmen von dieser Regel; mit fortschreitender Entideologisierung der Arbeit werden diese Ausnahmen aber immer seltener. Wohl kaum jemand ist heute berufstätig, weil er glaubt, was ihm gewisse Ideologien einzureden versuchen, nämlich, daß der Mensch zu arbeiten habe, um sich am Arbeitsplatz selbst zu verwirklichen. Es wäre auch unrealistisch anzunehmen, daß bei der allgemeinen Verbesserung des Lebensstandards die materiell begründete Berufstätigkeit mehr und mehr Ausnahmeerscheinung würde. Der materiellen Wünsche werden nicht weniger; es erfolgt lediglich eine Verlagerung zu höheren Ansprüchen. Sind so die materiellen Bedürfnisse maßgeblich dafür, daß der Mensch überhaupt arbeitet, so sind doch für seine Dispositionen bezüglich der Wahl des Berufes und der des Betriebes die materiellen Motive heute nicht mehr von so hohem Gewicht wie früher. Das gleiche gilt für die Bereitschaft zu besonderer Leistung. Als Folge des allgemein hohen Lohn- und Gehaltsniveaus rangieren heute materielle Erwägungen meist nicht

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mehr vor immateriellen. Der Arbeitnehmer kann auf ein überdurchschnittliches Arbeitseinkommen verzichten, um stattdessen ein Arbeitsverhältnis einzugehen, das ihm neben einem ausreichenden Einkommen auch noch einen seiner Vorstellung entsprechenden Arbeitsplatz bietet. Es ist verständlich, daß der arbeitende Mensch den aus der Verbesserung seiner materiellen Verhältnisse entstehenden Zugewinn an Handlungsfreiheit in dieser Weise ausnutzt. Schließlich verbringt er etwa die Hälfte seiner wachen Zeit im Betriebe. Unerfreuliche Bedingungen am Arbeitsplatz könnten durch ein angenehmes Leben, das die reichliche Entlohnung ermöglicht, kaum wettgemacht werden. Es ist so nur natürlich, daß man sich darauf besinnt, daß der Grad der Befriedigung materieller Bedürfnisse nicht alleiniger Maßstab für Zufriedenheit und Erfülltsein im Arbeitsleben ist. Um welche Art immaterieller (seelischer und geistiger) Interessen es sich handelt, die im Betriebe bzw. durch den Betrieb zu berücksichtigen sind, soll hier kurz dargelegt werden: Zunächst einmal erwartet der arbeitende Mensch eine - an sich selbstverständliche - menschenwürdige Behandlung, wie sie zum Ausdruck kommt in angemessenen Umgangsformen, in der Respektierung der Persönlichkeit des Arbeitenden, in der Gleichbehandlung und in der Gerechtigkeit bei Lob und Tadel, im Entgegenbringen von Vertrauen, in der Loyalität des Vorgesetzten, in entsprechender Unterrichtung, usw. Darüber hinaus hat der Großteil der Arbeitnehmer das Verlangen, die individuellen Fähigkeiten in der eigentlichen Berufstätigkeit einzusetzen und auszubauen, um hierin eine berufliche Bestätigung und Befriedigung zu finden. Das Interesse der Arbeitenden gilt deshalb dem beruflichen Fortkommen, das sie

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betrieblicherseits gefördert wissen möchten, und zwar einerseits durch eine systematische Fortentwicklung ihres beruflichen Wissens und Könnens und andererseits durch eine planvolle Schaffung von Aufstiegschancen im Betriebe. Schließlich besitzen die Arbeitnehmer - je nach Charakter und Temperament unterschiedlich stark - den Wunsch, am Betriebsgeschehen aktiv teilzunehmen. Sie wollen informiert sein über Pläne und Ziele (zumindest, soweit sie selbst davon unmittelbar betroffen sind), die Möglichkeit haben, von sich aus Vorschläge zu machen sowie Befugnisse und Verantwortung tragen, und sie verlangen in zunehmendem Maße eine Beteiligung an der betrieblichen Willensbildung (Mitbestimmung). Von den Unternehmen ist die zunehmende Bedeutung dieser immateriellen Interessen der Arbeitnehmer in ihrer Auswirkung nicht immer erkannt worden. Lange Zeit war offensichtlich die Auffassung vorherrschend, man könne durch eine weitere Steigerung der materiellen Leistungen die heraufziehenden Schwierigkeiten im sozialen Bereich aus der Welt schaffen und im übrigen den Betrieb in gleicher Weise wie bisher weiterführen. Inzwischen hat sich gezeigt, daß dieser Weg nicht gangbar ist, daß vielmehr nur eine Umorientierung des betrieblichen Denkens weiterführen kann. Kein Betrieb kann es sich heute mehr leisten, die immaterielle Sozialpolitik als nebensächlich abzutun und sie dementsprechend zu vernachlässigen. Die Wahrung und die Förderung immaterieller Interessen der Betriebsangehörigen ist in erster Linie eine Angelegenheit der Spitzen der Unternehmensleitung, von deren Führungsstil (und seinen Ausstrahlungen auf nachgeordnete Ebenen) und deren Führungsleistung die Erfüllung dieser sozialen Funktionen des Betriebes abhängig ist.

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321 Wahrung elementarer menschlicher Interessen der Mitarbeiter Kaum etwas anderes wirkt auf die Arbeitsfreude und den Leistungswillen der Mitarbeiter so lähmend wie das Gefühl, im Betriebe ein bloßes „Objekt" zu sein. In unserer Zeit, wo kritisches Bewußtsein und der Wunsch nach Persönlichkeitsentfaltung den Arbeitenden auszeichnen, erhalten die Formen der Menschenbehandlung und Menschenführung im Betriebe eine besondere Bedeutung. Wenn dem Betrieb heute mehr denn je daran gelegen ist, leistungs-, verantwortungsbereite und selbstbewußte Mitarbeiter zu haben, so ist eine erste Voraussetzung für die Erreichung dieses Zieles die Respektierung des Menschen im Arbeitenden durch eine Berücksichtigung elementarer menschlicher Interessen. Diese Interessen sind gerichtet auf 1. angenehme Arbeitsbedingungen, 2. Wahrung der Individualität, 3. Angemessenheit des Umgangstons und der Umgangsformen, 4. Gleichbehandlung und gerechte Behandlung, 5. Anerkennung und Bestätigung, 6. Entgegenbringung von Vertrauen, 7. persönliche Kontakte zur Leitung des Unternehmens. Z « 1.: In welchem Maße eine Tätigkeit als angenehm oder als lästig empfunden wird, das hängt entscheidend von den Bedingungen ab, unter denen sie zu verrichten ist. Der Wunsch nach angenehmen Arbeitsbedingungen betrifft zunächst die Gestaltung des Arbeitsplatzes und seiner unmittelbaren Umgebung. In der Regel wird bei der Arbeitsplatzgestaltung ein Kompromiß gefunden werden müssen zwischen der Forderung nach optimal sachlicher und der nach optimal menschengerechter Gestaltung. In der Vergangenheit wurde die dem Menschen angepaßte Arbeitsplatzgestaltung häufig zugunsten der sachlichtechnischen Zweckmäßigkeit vernachlässigt; nicht allein aus

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mangelndem Verständnis für die Interessen der Arbeitnehmer, sondern vielfach aus der fehlenden Kenntnis dessen, was einen menschenangepaßten Arbeitsplatz ausmacht. Inzwischen wurden, dank der erzielten Fortschritte auf den Gebieten der Arbeitswissenschaft, der Arbeitsphysiologie und Arbeitspsychologie, die bestehenden Erkenntnislücken ausgefüllt, und die Praxis richtet sich danach, weil sie um die Anziehungskraft weiß, die ein angenehmer Arbeitsplatz ausübt, und weil sie erkannt hat, daß ein menschengerecht gestalteter Arbeitsplatz eine wesentliche Voraussetzung für die Erzielung guter Arbeitsergebnisse ist. Außer durch den Arbeitsplatz werden die Arbeitsbedingungen noch durch eine Reihe weiterer Faktoren bestimmt, auf die eine soziale Betriebsführung ebenfalls Rücksicht zu nehmen hat, so auf die Arbeitszeitregelungen, zweckmäßige Einschaltung von Erholungspausen, evtl. erforderliche kurzzeitige Ablösung am Arbeitsplatz durch sog. „Springer", Probleme des Anlernens und der angemessenen Einarbeitungszeit, richtige Zusammensetzung von Arbeitsgruppen und -teams, usw. Ζu 2.: Es ist eine zum Teil unumgängliche Begleiterscheinung der vor allem im Großbetrieb anzutreffenden technisch-organisatorischen Perfektionierung, daß die Individualität des Menschen mehr und mehr preisgegeben wird. Problematisch ist zunächst einmal die vor allem auf den untersten Stufen besonders weitgetriebene Arbeitsteilung, die meist mit einer Minderung aller geistigen Anstrengungen verbunden ist. Das führt dazu, daß nur wenige und verhältnismäßig primitive Fähigkeiten des Arbeitenden angesprochen werden, nicht der ganze Mensch. Seine persönlichen Talente, Fähigkeiten und Interessen müssen dabei verkümmern. 12

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In der Betriebsorganisation findet eine Abkehr von der personenbezogenen Stellenbildung und eine Hinwendung zur sachbezogenen Stellenbildung statt, und die Arbeitsmittel, die Arbeitsgeschwindigkeiten und -rhythmen werden zunehmend normiert und standardisiert. Das erfordert schließlich einen „Einheitsmenschen", der auswechselbar ist. Jene Arbeitsmöglichkeiten, die dem Menschen eine Bewahrung und Entfaltung seiner individuellen Interessen und Fähigkeiten gestatten, sind in der Industrie seltener als früher. Beim gegenwärtigen Stand von Organisation und Technik benötigen die Betriebe meist nur eine geringe Anzahl von Individualisten, dafür aber ein Heer solcher Mitarbeiter, die fähig und bereit sind, sich dem Zwangsablauf der Arbeitsprozesse anzupassen. Die Verhältnisse dürften sich erst dann wieder entscheidend ändern, wenn die Automation soweit fortgeschritten ist, daß der Mensch nicht mehr in den Zwangsablauf der Arbeitsprozesse integriert ist. Den im Zuge der Automation Freigesetzten stehen dann vermutlich genügend Möglichkeiten der reicheren Entfaltung individueller Neigungen in neuentstehenden Berufen offen, sofern nur die Schwierigkeiten des Berufswechsels bewältigt werden können. Ein weiterer Grund für den Verlust der Individualität des arbeitenden Menschen liegt ganz einfach darin, daß mit dem Größerwerden eines Betriebes die Einzelpersönlichkeit mehr und mehr hinter das Kollektiv tritt. Die Berücksichtigung persönlicher Interessen und Belange ist im Großbetrieb nur noch auf höherer Stufe, etwa auf Abteilungsebene, möglich; im übrigen dominieren standardisierte Ordnungen, die Individualinteressen kaum zulassen. Zu 3.: Der im Betriebe herrschende Ton im Umgang zwischen Vorgesetzten und Untergebenen einerseits sowie zwischen Gleichgestellten andererseits könnte als bloße Äußerlichkeit abgetan werden, wenn er nicht ein untrügliches Zeichen für die Qualität der inneren Beziehungen der Menschen im Betriebe zueinander wäre. Für einen Außenstehenden genügt im allge-

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meinen ein kurzes Verweilen im Betriebe, um aus dem dort herrschenden Umgangston mit ziemlicher Sicherheit Rückschlüsse auf die Güte des Betriebsklimas ziehen zu können. Selbst eine nur kurzfristige Beobachtung kann ihm hierfür weit bessere Anhaltspunkte liefern als alle Beteuerungen der Unternehmensleitung, daß das Betriebsklima nichts zu wünschen übrig lasse. Freundlichkeit und Höflichkeit sind fundamentale Erfordernisse guter zwischenmenschlicher Beziehungen; sie sollten deshalb zu den natürlichsten Selbstverständlichkeiten zählen. Ein freundlicher Gruß, ein gutes Wort an den Mitarbeiter können bestimmend dafür sein, wie er an die Arbeit herangeht. Umgekehrt kann das unbeabsichtigte Ubersehen eines Grußes den Mitarbeiter kränken. In der Art und Weise des Umgangs mit Untergebenen spiegeln sich der Führungsstil und die innere Einstellung des Vorgesetzten wider. Auch heute noch behandeln viele Inhaber von Führungspositionen ihre Mitarbeiter herablassend und geringschätzig, vor allem in Zeiten entspannter Arbeitsmarktlage. ZM 4.: Die Forderung nach gleicher Behandlung (ohne Gleichmacherei) ist deshalb so nachdrücklich zu erheben, weil ihre Mißachtung Konfliktsituationen schafft und damit empfindliche Störungen des Betriebsklimas bewirkt. Ungleiche Behandlung äußert sich darin, daß einzelne Mitarbeiter vom Vorgesetzten ohne sachliche Begründung bevorzugt, mit persönlicher Gunst oder sogar mit Sonderrechten bedacht werden. Für die dadurch Benachteiligten können schwere seelische Konflikte die Folge sein, wenn sie erkennen müssen, daß sie beim geringsten Fehler getadelt werden, während ähnliche Fehlleistungen beim Bevorzugteren tolerant übersehen werden. Die häufigen Klagen von Arbeitnehmern über Benachteiligung seitens ihrer Vorgesetzten („nur weil ihm meine Nase nicht gefällt") dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. 12·

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Wo Mitarbeiter im gleichen Range unter gleichen Bedingungen arbeiten, hat der Vorgesetzte unbedingt nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung zu verfahren; am Arbeitsplatz darf es Präferenzen nicht geben. Natürlich muß jedem Mitarbeiter die Möglichkeit offenstehen, sich für eine gehobene Tätigkeit oder ein höheres Leistungsentgelt zu empfehlen; der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt jedoch, daß dafür objektive Maßstäbe geschaffen werden, die für jeden Gültigkeit haben. Andere Maßstäbe sind lediglich in den Fällen zu vertreten, in denen sich ein Vorgesetzter seine engsten Mitarbeiter auswählt. Hier ist es menschlich verständlich und sachlich vertretbar, wenn der Vorgesetzte sich nicht allein von rationalen Gesichtspunkten leiten läßt, sondern auch Sympathien nachgibt. Es darf dadurch aber nicht zu einer „Vetternwirtschaft" im Betriebe kommen. Zu 5.: Es sei noch einmal hervorgehoben, daß vielen Menschen der ideelle Erfolg ihres Schaffens mehr bedeutet als die finanzielle Abgeltung. Der Drang nach Anerkennung und Bestätigung ist stark ausgeprägt. Er ist zutiefst menschlich. Jeder möchte seinen eigenen Wert bestätigt sehen, und kaum jemand kann sich völlig freimachen von der Meinung anderer. Wem solche Unabhängigkeit dennoch gelingt, der benötigt ein hohes Maß Selbsterkenntnis und selbstkritischer Einschätzung, um nicht Gefahr zu laufen, entweder zu selbstbewußt oder zu unsicher zu werden. Persönliche Anerkennung ist durch nichts zu ersetzen, nicht durch Geld und nicht durch Titel oder Beförderung. Während die Führungsspitzen die Bestätigung ihrer Leistungen an den Erfolgen des Betriebes ablesen können, an der Steigerung der Umsätze, an der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit oder in der Verbesserung der Erzeugnisse, sind die Angehörigen der nachgeordneten Ebenen, die das Betriebsganze nicht zu überblicken vermögen, auf das angewiesen, was ihnen die Vorgesetzten über den Wert ihrer Leistung mitteilen. Jeder Vorgesetzte sollte daraus die Verpflichtung ableiten, sich be-

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wußt auf das Anerkennungsbedürfnis seiner Mitarbeiter einzustellen, um durch eine gebührende Würdigung ihrer Leistungen und ihres Verhaltens ihr Selbstgefühl zu stärken. Zw 6.: Der arbeitende Mensch erwartet zu Recht, daß ihm von seinem Vorgesetzten Vertrauen entgegengebracht wird. Fühlt er sich ständig und in nahezu allem was er tut beaufsichtigt und kontrolliert, so muß er zwangsläufig den Eindruck bekommen, daß man ihm gegenüber mißtrauisch sei. Gewiß wird jedermann einsehen, daß die Durchführung gewisser Kontrollen unerläßlich und auch im Interesse der Kontrollierten ist; wie sollte sich sonst der Fleißige gegenüber dem Faulen, der Pünktliche gegenüber dem Unpünktlichen und der Korrekte gegenüber dem Nachlässigen hervorheben können. Ebenso leuchtet es ein, daß das Entgegenbringen von Vertrauen keine Vorleistung darstellen darf, sondern daß Vertrauen erst verdient werden muß. Hierüber gibt es im allgemeinen auch keine Diskussionen. Was vielmehr den Streitpunkt bildet, das ist die Art und Weise, wie die Arbeitenden kontrolliert und überwacht werden. Die dabei angewandten Methoden und Hilfsmittel sind in manchen Betrieben oft selbst heute noch rückständig. Weil vom arbeitenden Menschen Überwachung und Kontrolle grundsätzlich und in jeder Form als lästig empfunden werden dürften, gehört ein erhebliches Maß an psychologischem Einfühlungsvermögen dazu, die geeigneten Kontrollmethoden herauszufinden und sie so zu dosieren, daß nicht nur die Kontrollaufgabe zufriedenstellend gelöst, sondern auch gleichzeitig eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen wird. Zu 7.: Mit zunehmender Betriebsgröße werden die persönlichen Kontakte zwischen der obersten Leitung des Betriebes und der Belegschaft immer spärlicher. Im Kleinbetrieb wissen die Beschäftigten, „für wen sie arbeiten", und der Chef kennt jeden seiner Mitarbeiter mit Namen, weiß um seine Fähigkeiten und Schwächen und kennt evtl. sogar seine familiären Verhält-

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nisse. Persönliche Kontakte ergeben sich während der laufenden Arbeit. Anders im Großbetrieb: Seine Organisation schließt persönliche Kontakte während der laufenden Arbeit zwischen der obersten Führung und den ihr nicht unmittelbar unterstellten Mitarbeitern aus. Es gibt keine Möglichkeit, diesen Nachteil des Großunternehmens gegenüber dem Kleinbetrieb wettzumachen, man kann ihn aber teilweise mildern durch allgemeine Kontakte der Leitung zur Gesamtbelegschaft oder zu Gruppen, wozu sich Betriebs- bzw. Belegschaftsversammlungen und schriftliche Kontakte (Rundschreiben, Werkszeitung) eignen, sowie durch Aufnahme persönlicher Kontakte mit einzelnen Belegschaftsangehörigen, die sich vor allem beim Rundgang durch den Betrieb, anläßlich von Betriebsfeiern, von Lehrlingseinstellungen und Lehrlingsfreisprechungen und bei Ehrungen einzelner Mitarbeiter ergeben. Diese Art persönlicher Kontakte hat aber lediglich Symbolcharakter; sie stehen stellvertretend für den Wunsch der Leitung nach persönlichen Kontakten zu jedem einzelnen Mitarbeiter. 322 Förderung des beruflichen Fortkommens 3220 Betriebliche

Ausbildung und

Fortbildung

Aus- und Weiterbildung gehören zu den wichtigsten betrieblichen sozialen Funktionen und bilden einen wesentlichen Teil der Personalpolitik. Die Aus- und Weiterbildung muß sich auf alle Stufen der betrieblichen Hierarchie erstrecken: auf die untere, die mittlere und obere, insbesondere auch auf die obere, weil von der Führung des Betriebes alles abhängt, jeder Betrieb nur so gut ist wie seine Führung. Dazu kommt, daß infolge des technischen und wirtschaftlichen Wandels und der veränderten Stellung des Menschen im Betriebe die Führung des Betriebes gegenüber früher viel schwieriger geworden ist, die Anforderungen, die an die Führenden gestellt werden, viel höher geworden sind. Der Weiterbildung des Führungsnachwuchses

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und der Führung selbst soll deswegen an dieser Stelle besonderes Gewicht beigelegt werden. Der rasche technische Fortschritt führt zu veränderten Produktionsverfahren, er verändert aber auch die betriebliche Verwaltung durch Einsatz neuer Apparate, insbesondere von EDV-Anlagen. Hieraus ergeben sich sowohl in den technischen als auch in den Verwaltungsbereichen andere, meist höhere Anforderungen an die Beschäftigten. Das zwingt zu vermehrter Umschulung und Schulung, sowohl im Betriebe als auch außerhalb des Betriebes, die wiederum zweierlei Art sein kann: überbetrieblich (durch Fachverbände, Arbeitsgemeinschaften mehrerer Betriebe, Kammern) und außerbetrieblich (öffentliche und private Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung). Die Aus- und Fortbildung ist nicht nur ein soziales Anliegen, um die Stellung des Mitarbeiters zu festigen und zu erhöhen, sondern auch ein wirtschaftliches, um die Personalbeschaffung und den Personalbestand zu sichern, wobei die besonderen betrieblichen Belange in vollem Maße berücksichtigt werden können. Die betriebliche Aus- und Weiterbildung verlangt eine genaue Planung und gute Organisation, letztere etwa in folgendem Aufbau (s. S. 184): Die Aus- und Fortbildung kann auf folgende Weise erfolgen: a) durch technische und kaufmännische Lehrlingsausbildung b) durch Anlernen und Umlernen für neue Aufgaben c) durch besondere Schulung entwicklungsfähiger Mitarbeiter d) durch Mehrfachausbildung e) durch Einrichtungen zur Schulung des Führungsnachwuchses und der Führung. Zu a): Die technische und kaufmännische Lehrlingsausbildung geht vom zukünftigen Bedarf aus. Die Ziele sind in den beiden Bereichen nicht nur auf eine möglichst umfassende praktisch-fachliche, sondern auch auf charakterliche Bildung

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auszurichten. Sie ist die beste Garantie für einen guten Nachwuchs. Zu b): Das Anlernen und Umlernen für bestimmte Aufgaben erfaßt die bereits im Arbeitsprozeß stehenden Mitarbeiter. Auf diese Weise kann der Betrieb „stille Reserven" nutzbar machen. Eine intensivere Nutzung des Arbeitskräftepotentials ist immer vorteilhafter als die Vergrößerung durch Neueinstellungen. Die Möglichkeiten hängen hier von den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Betriebes ab. Zu c): Die Fortbildung und Schulung dient der beruflichen Weiterbildung. Es muß das Ziel des Betriebes sein, das Fortbildungsstreben der Mitarbeiter planmäßig zu lenken. Entscheidend ist die Auswahl der richtigen Schulungsteilnehmer, der Kurse und des Lehrpersonals. In erster Linie kommt hier die fachliche Fortbildung in Frage, ζ. B. in der Form der Vorarbeiter-, Meister-, Abteilungsleiterkurse und der Verkäuferschulung. Zu d): Die Mehrfachausbildung ist eine Fortsetzung der allgemeinen Fortbildung und Schulung. Sie besteht in einer oder mehreren zusätzlichen Ausbildungsgängen in horizontaler Richtung. In den USA wird diese Form der beruflichen Fortbildung, der „job rotation", große Bedeutung beigemessen, und sie reicht bis zur obersten Betriebsleitung. Die Mehrfachausbildung dient der Erhöhung der Einsatzelastizität und der Verringerung der Reserveleute, dazu der Vorsorge für plötzlich eintretende Notfälle und vorübergehende Ausfälle. Überdies stellt sie für den Betrieb eine personelle Kapazitätsreserve für kurzfristige Stellvertretung dar. Sie bietet freilich keine Dauerlösung personalpolitischer Probleme, wohl aber einen Beitrag zu ihrer Erleichterung. Zu e): Die Aus- und Fortbildung des Führungsnachwuchses ist für den Bestand des Unternehmens von besonderer Bedeutung, da die Führung des Betriebes eines Tages in seinen

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Händen liegen wird. Er wird es sein, der unter veränderten technischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen die Verantwortung für das Unternehmen zu tragen haben wird. Geschult werden müssen alle zur Führung befähigten und zur Führung vorgesehenen Nachwuchskräfte, aber auch die Führungskräfte selbst. Die Fortbildung muß ein fortwährender Prozeß sein; sie erfordert eine ständige Arbeit an sich selbst. Für die Schulung sind im Einzelfalle Art, Umfang und Methode festzulegen. Dauer, Form und Programmgestaltung sind von dem speziellen Ziel abhängig. Die Träger der Schulung können sowohl der Betrieb selbst als auch Institutionen außerhalb der Unternehmung sein. Die Weiterbildung aller Stufen des Personalbestandes ist unerläßlich. Während dies für die untere und mittlere Stufe heute fast selbstverständlich geworden ist, gilt diese Feststellung nicht für die Führung selbst. Hier besteht der gap in management, den die Amerikaner uns nachsagen. Für die Leitungskräfte eines Unternehmens besteht eine Forderung nach Fortbildung in Permanenz. Zu stark ist die Entwicklung auf allen technischen und wirtschaftlichen Gebieten, zu klein ist die betriebliche Erfahrungsbasis, vor allem bei kleinen Betrieben, und nur zu leicht wird man betriebsblind. Fremde Anregung, fremde Erfahrung und die Ergebnisse systematischer Forschung sind notwendige Ergänzungen in einer so dynamischen Zeit wie der gegenwärtigen. Jeder Betrieb hat daher „Bildungskapital" ebenso zu investieren wie „Sachkapital", sei es in eigenbetrieblichen oder durch Beteiligung an öffentlichen Einrichtungen. In der Gegenwart gewinnen öffentliche Veranstaltungen zur Schulung des „Führungsnachwuchses" ständig an Zahl, und zwar in allen Industrieländern, insbesondere aber in den USA und in England. Diese Bewegung dauert schon einige Jahre, so daß bereits Erfahrungen vorliegen, ohne daß sich eine Standardform entwickelt hätte, was allerdings auch nicht zu erwarten war, da die Aufgaben überaus mannigfaltig sind und die Verhältnisse, ja auch die Ausbildungsbedürfnisse, in den einzelnen

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Ländern sehr verschieden liegen. Gemeinsam ist allen nur eines: die Einsicht in die Notwendigkeit einer systematischen Weiterbildung. Die Praxis greift damit, daß sie Einrichtungen zur Ausbildung von Führungskräften schafft, nicht zum ersten Male in wirtschaftliche Lehr- und Forschungsfragen ein. Sie tat es bereits um die Jahrhundertwende, als auf ihre Initiative hin, und teils durch sie selbst, Handels-Hochschulen gegründet wurden, die heutigen Wirtschafts-Hochschulen und "Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten und Technischen Hochschulen. Damals war die Veranlassung dieselbe wie heute: die Notwendigkeit verbesserter Ausbildung in Fragen der Führung von Unternehmungen. Bis dahin waren Erfahrung und praktische Lehre allein die Grundlagen der Betriebsführung. Nun sind zwar praktische Lehre und Erfahrung sicher unentbehrlich, heute wie in aller Zukunft; aber sie reichten für die rationale Betriebsführung schon damals nicht aus, und heute erst recht nicht. Die praktische Lehre muß notwendig im Elementaren und Technischen stehenbleiben, und Erfahrung hätte nur dann vollen Wert und wäre ausreichend, wenn die Vergangenheit wiederkehren würde, aber die Vergangenheit kehrt nicht wieder. Die Zukunft ist heute immer anders als Vergangenheit und Gegenwart es sind. Das war nicht immer so. Bis um die Jahrhundertwende ging die Entwicklung so langsam vor sich, waren die jährlichen Veränderungen so klein, daß man mit großer Wahrscheinlichkeit sagen konnte, wie die Verhältnisse im nächsten Jahre sein würden. Heute dagegen sind Veränderung und Schwankung Kennzeichen der Wirtschaft. Wer aber Fabriken baut, Maschinen einsetzt, Entwicklung und Forschung betreibt, muß wenigstens die Lebensdauer der Apparaturen, also mindestens einen Zeitraum von 10 Jahren in seine Dispositionen einsetzen. Der Betrieb wird infolge zunehmenden Fixkapitals immer starrer, die Wirtschaft dagegen immer beweglicher, stärker veränderlich!

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Das Ergebnis der Lehr- und Forschungsarbeit dieser praktisch eingestellten Hochschulen - denn die Betriebswirtschaftslehre ist eine angewandte Wissenschaft - sind hochentwickelte Verfahren, insbesondere des Rechnungswesens (Buchhaltung und ihrer Organisation, Bilanzierung, Kalkulation, Statistik, Planung und Plankostenrechnung), der Organisation und der betrieblichen Kontrolle, der elektronischen Datenverarbeitung, der Finanzierung, des Einkaufs und des Vertriebes, dazu eine wirklichkeitsnahe Betriebsi^eone; eine Theorie der Kosten, des Wertes und des Preises und der mathematischen Entscheidungshilfen (Operations Research). Was bisher nicht gelungen ist, weder in den Universitäten noch in der Praxis, obwohl es für letztere von besonderer Bedeutung ist, weil sie damit täglich fertig werden muß, ist die Anwendung der Theorie in der betrieblichen Disposition: also die Entwicklung einer Unternehmenspolitik, damit die Verwissenschaftlichung der betrieblichen Leitungsarbeit. Bei den Führungsarbeiten im Betriebe - auf welcher betrieblichen Stufe auch immer: der oberen, mittleren oder unteren - treten zu den dispositiven Arbeiten in der ökonomischen Sphäre des Betriebes die dispositiven Arbeiten in der sozialen Sphäre. Sie beide sind die eigentlichen Leitungsaufgaben, deren systematische Durchdringung weder in der Praxis noch in der Theorie erreicht ist. Das Bedürfnis nach systematischer Durchdringung der Leitungsarbeit entsteht nun wiederum, wie einst um die Jahrhundertwende, überall zu gleicher Zeit und drängt nach Lösung, aus der Notwendigkeit der Zeit heraus: rationale Disposition im technisch-wirtschaftlichen Bereich und rationale betriebliche Menschenführung drängen heute nach Lösung aus der erhöhten wirtschaftlichen Verantwortung heraus: der erhöhten Verantwortung gegenüber dem Kapital (das ungeheuer gestiegen ist und noch weiter steigen wird) und gegenüber der Arbeit (die mit neuen Forderungen auftritt und einer erhöhten Pflege bedarf).

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Es ist dies die zweite Stufe betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten, die vor 70 Jahren der Welt zum ersten Male bewußt geworden sind. Zum zweiten Male klopft die wirtschaftliche Entwicklung an die Tore der Unternehmungen und der Hochschulen, um sie aufgeschlossen zu machen für das Aufbaustudium der schon 5, 10 oder 20 Jahre in der wirtschaftlichen Praxis stehenden Führungskräfte, der akademischen und der nichtakademischen. Und diese Arbeit der zweiten Stufe - bewußt stehend auf der ersten, die heute von den Universitäten und Technischen Hochschulen getragen wird - trifft uns an der Schwelle der zweiten sozialen Entwicklungsstufe, fast könnte man sagen Revolution. In einigen Jahrzehnten wird sie, rückblickend, sicherlich als Revolution bezeichnet werden. Man mag sie sehen wollen oder nicht, sie ist da und zwingt uns, die Aufgaben der betrieblichen Leitung - in ihrer heutigen erhöhten Verantwortung - in Angriff zu nehmen. Eine Unterlassung, aus welchem Grunde auch immer: aus Blindheit oder aus Bequemlichkeit oder aus zu großer Geschäftigkeit, müßte sich verhängnisvoll auswirken. Zusammenfassend noch einmal zum Warum, zum Was und zum Wie der Führungsschulung. Das Warum. Es ist die ungeheure Kompliziertheit und Dynamik der modernen Wirtschaft, weswegen eine Schulung der betrieblichen Führungskräfte unumgänglich ist. Die Erfahrung reicht nicht mehr aus, und die Universitäten haben nur die Grundschulung zur Aufgabe; das sind ganz andere Aufgaben als die der Schulung von Führungskräften. Dazu ermangeln ihre Hörer der genügenden praktischen Anschauung und der Übung in betrieblichen Führungsaufgaben; sie haben noch keine Verantwortung getragen und können sich in Führungsaufgaben noch gar nicht bewährt haben. Ihre Führungsbegabung kann noch gar nicht sichtbar geworden sein. Wollte man den Universitäten und ihren normalen Ausbildungsgängen diese Aufgaben auf-

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laden, würde man sie überfordern, ja ihnen die Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe unmöglich machen, die wirklich groß genug ist: ist es doch nicht nur die fachliche, sondern auch die allgemeine Bildung, die sie vermitteln müssen, denn nicht die Ausbildung von Spezialisten ist Ziel der Universitäten, sondern eine gründliche Fachbildung auf der Basis einer breiten allgemeinen Bildung. Das Aufbaustudium des Führungsnachwuchses ist etwas ganz anderes: auf der Grundlage des Hochschulstudiums oder einer gediegenen Lehre bei hochbegabten Nurpraktikern, nach einer längeren Zeit, mindestens 5jähriger, besser 10- bis 20jähriger praktischer Erfahrung und Bewährung, setzt das Aufbaustudium ein. Es verfolgt bewußt und planmäßig das besondere Ziel der Schulung in der Unternehmensleitung und auch nur dann, wenn es sich erwiesen hat, daß Führungsqualitäten vorhanden sind: Intelligenz, Charakter, Initiative, Fähigkeit im Organisieren und Koordinieren, im Planen und Kontrollieren, in der Behandlung der Menschen und im Tragen von Verantwortung, Verantwortung vor der Belegschaft, den Aktionären und der Öffentlichkeit. Nun sind Führerpersönlichkeiten mit solchen Qualitäten selten, und Initiativfähigkeit besitzen, wie Prof. Tritsch sagt, nur etwa 5 Prozent jeder Nation. Deutschland befindet sich nun in einer besonders schweren Lage, und zwar deswegen, weil hier infolge der Verluste in zwei Weltkriegen zwei ganze Generationen fehlen. Darum muß alle Kraft aufgewendet werden, um den Führungsnachwuchs zu schulen! Das Finden von Führungskräften darf nicht dem Zufall und seine Schulung nicht der Einseitigkeit und Unvollkommenheit der Selbstbildung überlassen bleiben. Das Schulen muß bewußt, systematisch und geplant vor sich gehen, muß sorgfältig organisiert werden. Was besonders drückt, ist die nahe Zukunft. Noch sind die Alten da. Aber wie lange? Zudem kommt es im Wirtschaftsleben immer nur auf die Zukunft an. Das war zwar schon

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immer so, heute aber gilt es mehr denn je, weil die Zukunft in der Wirtschaft so völlig anders sein wird, ihre Veränderungen so groß sein werden, daß sie an die Wirtschaftsleiter besonders hohe Anforderungen stellen werden. Die Ausbildung hat für die Zukunft zu erfolgen. Wer führen will, muß voraussehen, oder er wird zurückbleiben und seinem Betrieb nicht die volle Entwicklung sichern. Ich glaube, das ist genug Begründung für die Schulung des Führungsnachwuchses, der ja mit diesen Aufgaben fertig werden muß. Das Was. Es geht hier um alle Fragen der Betriebsführung, des Management. Vor allem für den Techniker, den Konstruktionsund Entwicklungsmann, gilt folgender Ausspruch von P. Drukker: „Die technische Begabung eines Chemikers oder eines Ingenieurs ist noch lange keine Führungsbefähigung; im Gegenteil: der Techniker, der eine leitende Stellung bezieht, wählt im Grunde einen neuen Beruf. Ihm droht Schiffbruch, wenn er sich dessen nicht bewußt ist." Je höher auf der Stufenleiter der wirtschaftlichen Hierarchie die Führungskraft steht, desto mehr entfernt sie sich vom rein Technischen und auch vom rein Wirtschaftlichen. Andere Dinge rücken an ihre Stelle, insbesondere Unternehmenspolitik, Koordinierung, Organisation, Planung und Kontrolle und Menschenführung. Das sind die fünf grundlegenden Funktionen der Betriebsleitung, aber verschieden ausgeprägt für die untere, mittlere und obere Betriebsführung. Die Schulung für die Ausübung dieser fünf grundlegenden Leitungsfunktionen beantwortet die Frage nach dem Was, dem Gegenstand der Nachwuchsschulung.

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Die Unternehmensführung wird heute zu einem besonderen Beruf, ohne daß man für diesen Beruf jemanden von vornherein bestimmen könnte. Entscheidend ist neben der Schulung die Befähigung und die praktische Bewährung. Es gibt keine Schulung für Generaldirektoren, aber es sollen Fähigkeiten entwickelt werden, die Generaldirektoren besitzen müssen. Das Wie. Zur Durchführung der Führungsschulung und zur Methode der Darbietung sei hier folgendes gesagt: In der Gestaltung der Schulung des Führungsnachwuchses ist größte Mannigfaltigkeit notwendig: in der Dauer der Kurse, in der Veranstaltungsform, der Programmgestaltung, in der Methode der Darbietung. Die Kurse dienen der Denkschulung und der Persönlichkeitsformung, nicht so sehr der Wissensvermittlung, die im allgemeinen vorausgesetzt wird. Das soll nicht heißen, daß allgemeine Diskussionen im Vordergrunde stehen, im Gegenteil: es geht hier um Unternehmenspolitik und betriebliche Formen der Organisation, der Planung, der Kontrolle, die alle überaus konkrete Dinge sind, die nur an konkreten Tatsachen, Zahlen, Kurven, Tabellen, an Fällen, an wirklichkeitsnahen Aufgaben dargelegt werden können. Sie eignen sich zur Denkschulung, zur Urteilsbildung, zum Treffen von Entscheidungen, zum Auffinden und Berichtigen von Fehlern viel besser als allgemeine Gespräche mit noch so schönen Gesetzmäßigkeiten und Grundsätzen. Darum ist hierbei der Erfahrungsaustausch so wichtig, das Diskutieren an ausgearbeiteten betrieblichen Aufgaben. Durch die Weiterbildung des Führungsnachwuchses und auch der Führung selbst soll die bestmögliche Lösung der gegenwärtigen und zukünftigen Führungsaufgaben gesichert werden. Wenn es nicht gelingt, eine genügende Anzahl geeigneter Menschen für die gegenwärtigen und zukünftigen Führungsaufgaben zu finden, wäre das Ende vorauszusehen; darum sagt eine alte chinesische Weisheit mit Recht: „Pflanzt du für Jahre,

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so pflanze Gras; pflanzt du für Jahrzehnte, so pflanze Bäume; pflanzt du aber für Jahrhunderte, so pflanze Menschen." Und ich möchte ergänzen: und rüste sie aus mit allen Hilfsmitteln menschlicher Erkenntnis, gib ihnen die bestmögliche Ausbildung und bereite sie auf das gewissenhafteste auf die zukünftigen Aufgaben vor, von denen die Führung von Betrieben gewiß nicht die leichteste ist. 3221 Förderung des beruflichen Aufstiegs im Betriebe Ein Unternehmen sollte seinen Mitarbeitern nicht nur Gelegenheit geben, ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verbessern, sondern ihnen dann auch die Chance bieten, dem gehobeneren Bildungs- und Ausbildungsniveau entsprechend aufzusteigen. Vom Bestehen solcher Chancen wird die Arbeitsfreude entscheidend beeinflußt, weil die meisten Arbeitnehmer beruflich vorwärtskommen wollen und die gegenwärtige Position nur als eine Art Zwischenstation auf dem Wege nach oben betrachten. Hinter dem Aufstiegswillen stehen freilich oft auch Wünsche nach bequemerem Arbeiten, höherem Verdienst, größerer Freiheit und Machtentfaltung, ohne daß damit auch das Bewußtsein verbunden ist, daß mit dem Aufstieg in eine höhere Position mehr Arbeit und insbesondere die Übernahme größerer Verantwortung verbunden ist. Grundsätzlich sollte jedem Mitarbeiter die Chance gegeben werden, im Betriebe aufzusteigen, um so eine seiner Begabung und seinem Können entsprechende Position zu erreichen. Ein Arbeitnehmer, der von seiner Zukunft im Betriebe nicht mehr als eine alljährliche Erhöhung des Tariflohnes zu erwarten hat, muß zwangsläufig unzufrieden werden und entweder abstumpfen und resignieren oder nach einer aussichtsreicheren Zukunft in einem anderen Betriebe Ausschau halten. Initiative und aktive Mitarbeit können von ihm kaum erwartet werden. Wenn hier nun aber auf die Notwendigkeit zur Förderung des beruflichen Aufstiegs im Betriebe hingewiesen wird, so darf dieser Hinweis nicht dahingehend mißverstanden werden, daß 13

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nun etwa alle Beschwernisse auf dem Wege zum beruflichen Aufstieg des Mitarbeiters zu beseitigen seien. Der Betrieb hat lediglich dafür Sorge zu tragen, daß sich dem Einzelnen die Chance des Aufstiegs eröffnet und ihm für sein Weiterkommen keine Fesseln angelegt werden (ζ. B. durch das egoistische Interesse eines Abteilungsleiters, der einen fähigen Mitarbeiter unbedingt halten möchte). Alles weitere ist dann Sache des Einzelnen; an ihm liegt es, ob er das erforderliche Maß an Begabung, Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft, Initiative und Beharrlichkeit aufbringt, um die sich darbietenden Chancen zu nutzen. Die Erzeugung und Erhaltung einer aufstiegsbedachten und leistungsstarken Einstellung bedingt zunächst ein sorgfältiges Abwägen des Für und Wider bei der Entscheidung darüber, inwieweit Führungskräfte aus dem Mitarbeiterstamm genommen und inwieweit solche von außen hereingeholt werden sollen. Es ist wichtig, dabei ein gesundes Gleichgewicht zu finden, d. h. einerseits neue Gedanken und Erfahrungen in das Unternehmen hineinzubringen und der Gefahr der Betriebsblindheit entgegenzuwirken, ohne sich auf der anderen Seite der Gefahr auszusetzen, daß tüchtige, aus dem Betriebe hervorgegangene Nachwuchskräfte abwandern, weil sie sich durch von außen Kommende immer wieder um die Chance des Aufstiegs gebracht sehen. Ein gesunder Wettbewerb sollte durchaus aufrecht erhalten werden. Vor allem bei einer zu starken Besetzung von Führungspositionen aus dem jeweils rangtieferen Mitarbeiterreservoir entsteht sehr leicht eine Tendenz zur „Verbeamtung", bei der sich jeder ausrechnen kann, wann er seinen Dienstjahren gemäß eine Beförderung erwarten kann. Grundlage für die Förderung des Weiterkommens im Betriebe ist eine langfristig angelegte Laufbahnplanungdie den Werdegang der einzelnen Nachwuchskräfte zu verfolgen und deren künftige Verwendung entsprechend den individuellen " Vgl. Mellerowicz, K., .Planung und Plankostenredinung, Bd. 1: Betriebliche Planung", 2. Aufl. Freiburg 1970, S. 490 ff.

F ö r d e r u n g immaterieller Interessen der Mitarbeiter

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Fähigkeiten und Neigungen soweit wie möglich im voraus zu regeln hat. Die Laufbahnplanung kann in folgende Schritte untergliedert werden 98 : 1. Nach dem bisherigen Werdegang der Nachwuchskraft und den darüber vorliegenden Beurteilungen wird vorläufig festgelegt, für welchen Aufgabenbereich der Betreffende geeignet erscheint und bis zu welcher Führungsebene er voraussichtlich vordringen kann. 2. Hiervon ausgehend, wird seine vorläufige Laufbahn geplant, wobei sämtliche Förderungsetappen bis zur Erreichung dieser Führungsebene einbezogen werden. 3. Es wird die innerhalb dieser vorläufigen Laufbahn nächstfolgende Verwendung verbindlich festgelegt. Als erschwerend wirkt sich bei der Laufbahnplanung aus, daß es kaum hinreichend genaue Prognosen über die langfristige Entwicklung eines Menschen gibt, so daß es auch kaum möglich ist, Nachwuchskräfte für längere Zeit im voraus für ganz bestimmte Positionen einzuplanen. Hinzu kommt, daß die Fluktuation von Führungsstelleninhabern und -anwärtern jederzeit den Plan umstoßen kann. Eine minutiöse und auf lange Sicht angelegte Laufbahnplanung wäre auch nicht in jedem Falle zweckmäßig, da sie die Gefahr in sich birgt, insgesamt an Flexibilität zu verlieren, und weil sie dadurch, daß sie bestimmte Nachwuchskräfte langfristig für bestimmte Stellen vorsieht, bei ihnen das Gefühl erzeugen könnte, die Stelle so gut wie sicher zu haben und nur noch auf das Abtreten des Vorgängers warten zu müssen, worunter sowohl die fachliche als auch die charakterliche Entwicklung leiden könnte. Die eigentlichen Probleme liegen aber weniger in einer zu starren als in einer zu lässig gehandhabten Laufbahnplanung. Manche Unternehmen stellen Nachwuchskräfte ein, ohne klare " Vgl. Bertelsmann, G., „Personalplanung und Führungsnachwuchs", Sonderheft der Schriftenreihe „Datenverarbeitung in Wirtschaft und Verwaltung", hrsg. von der Anker-Werke AG, Bielefeld, 1969, S. 136. 13*

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Vorstellungen über ihre künftige Verwendung zu haben. Sie erweisen sich dadurch aber einen schlechten Dienst, wenn sie ζ. B. sog. Trainees mit dem Versprechen auf unbegrenzte Aufstiegsmöglichkeiten einstellen und ihnen nach Ablauf der vorgesehenen Ausbildungs- und Bewährungszeit keine geeignete Stellung anbieten können. Sie müssen nicht nur damit rechnen, daß ein Teil der so enttäuschten Nachwuchskräfte abwandert und damit die Kosten für die Ausbildung abzuschreiben sind, sondern auch damit, daß jene, die sich durch weitere Versprechen noch einige Zeit hinhalten lassen, eine mögliche Quelle ständiger Unruhe sind, solange ihnen nur Tätigkeitsbereiche zugewiesen sind, deren Anforderungen ihrem Können nicht entsprechen. Noch schwererwiegend aber ist der Verlust der Führung an Glaubwürdigkeit, weil sich dann das Betriebsklima verschlechtert, was meist auch rasch nach außen dringt und neue Bewerber abzuschrecken geeignet ist. Oftmals wird versucht, die Mängel in der Laufbahnplanung, die sich im zeitweiligen Übergehen von Nachwuchskräften äußern, durch Gehaltsangleichungen oder durch sog. Statussymbole (ζ. B. Rangstufen, Verleihung von Sonderrechten oder Titeln) zu mildern. Derartige Aufstiegssurrogate sind jedoch niemals ein vollwertiger Ersatz, denn Aufstieg bedeutet Standortverbesserung im Sozialgefüge, verbunden mit Vermehrung oder Erweiterung der Funktionen. Ein Aufstieg ist demnach nur ein scheinbarer, wenn er keine Vergrößerung des Handlungsbereichs mit sich bringt, sondern nur in Form eines höheren Gehalts oder einer Art Auszeichnung stattfindet. 323 Förderang aktiver Teilnahme der Mitarbeiter am Betriebsgeschehen 3230

Verstärkte

Information

Die Zeiten, in denen man die abhängig Arbeitenden über betriebliche Planungen und Geschehnisse bewußt im unklaren ließ, dürften endgültig der Vergangenheit angehören. Die Be-

Förderung immaterieller Interessen der Mitarbeiter

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strebungen müssen heute genau entgegengesetzte Richtung haben: Durch eine breitgestreute Information muß den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben werden, sich mit den Vorgängen im Betriebe vertraut zu machen. Damit wird ihr Interesse an der Arbeit größer; sie sehen ihre eigene Arbeit im Rahmen des Ganzen. Das Informationsbedürfnis ist vor allem bei jenen Mitarbeitern stark ausgeprägt, die in ihrer beruflichen Tätigkeit mehr als einen Gelderwerb sehen und weiterkommen wollen. Bei Mitarbeiterkreisen mit einem geringeren Informationsbedürfnis sollte die Leitung des Betriebes alles tun, um das Interesse dafür zu wecken. Das Mitwissen trägt zur Stärkung der Persönlichkeit bei, es ist die Vorstufe für das Mitdenken, Mitwirken und Mitverantworten. Welche Informationen den einzelnen Mitarbeitern zu vermitteln sind, hängt zunächst von ihrem Arbeitsgebiet und darüber hinaus von ihrer Stellung in der Unternehmenshierarchie ab. Naturgemäß kann und muß das Informationsangebot um so vielfältiger, gleichzeitig aber auch konzentrierter, anspruchsvoller und mehr auf gesamtbetriebliche Fragen ausgerichtet sein, je höher der Rang und der Bildungsgrad des zu informierenden Mitarbeiters ist. Die Information der Mitarbeiter der untersten Ebene ist begrenzter, angepaßt an ihre Aufnahmefähigkeit und ihren Interessenkreis. Sie hat vornehmlich die Aufgabe, der geistigen Verengung, die durch die Arbeitszerlegung und die Monotonie der modernen Arbeit verursacht ist, entgegenzuwirken und das Blickfeld des Einzelnen zu erweitern, damit er den Zusammenhang zwischen seiner spezialisierten Arbeit und der gesamten Arbeit seiner Abteilung und seines Betriebes erkennen kann. Für die Mitarbeiter der unteren und der mittleren Ebene sollte sich das Informationsangebot aber auch auf die Darstellung von Globalzusammenhängen erstrecken, damit sie die Arbeitslage und die Marktsituation ihres Betriebes auch im überbetrieblichen Zusammenhange begreifen. Von einem Mit-

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arbeiter, der um diese Zusammenhänge nicht weiß, kann auch nicht erwartet werden, daß er Verständnis für die Maßnahmen seines unmittelbaren Vorgesetzten und der Unternehmensleitung hat. Damit würde zwangsläufig die Kluft zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft, zwischen Führenden lind Geführten erhalten bleiben. Die Information der Mitarbeiter in gehobener Führungsposition dient weiteren Zwecken. Sie verfolgt vor allem die Absicht, die Führungskräfte durch die Vermittlung eines tieferen Einblicks in die betrieblichen Gegebenheiten und verfolgten Ziele stärker ins Vertrauen zu ziehen, ihren Leistungswillen zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zielkonform zu verhalten. Von einer Führungskraft, die nichts oder nur wenig über die erstrebten Ziele, über die Gewinn- und Vermögenslage und die Ideen der Unternehmensspitze weiß, kann schlechterdings nicht erwartet werden, daß sie sich voll für das Unternehmen einsetzt. Sie wird sich nie ganz mit dem Unternehmen identifizieren können, weil ihr dieses unbegreifbar bleibt. Überdies besteht die Gefahr, daß sie nur sehr zögernd an das Treffen von Entscheidungen herangeht, weil sie ja die Unternehmensziele nicht kennt und deshalb die Auswirkungen von Anordnungen auf die Gesamtziele nicht abschätzen kann. Geheimniskrämerei, in vielen Betrieben anzutreffen, ist kein guter Nährboden für die Entwicklung eines verantwortungsfreudigen und selbstbewußten Management. Volle Information darf nicht das Privileg einer kleinen Spitzengruppe sein. Das dieser Forderung entgegenstehende Argument, daß mit der Vergrößerung des Kreises der Mitwissenden die Gefahr des Bekanntwerdens von vertraulichen Informationen gegeben sei, ist nur bedingt richtig. Gerade dort, wo der Kreis bevorrechtigter „Geheimnisträger" nur klein ist, ist die Versuchung zur Weitergabe vertraulicher Informationen besonders groß, weil man dadurch die Bedeutung seiner Stellung im Betriebe zeigen kann. Mitunter liegt die Ursache für die Nichtinformation in

Förderung immaterieller Interessen der Mitarbeiter

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der Befürchtung, die eigene Machtstellung durch die Weitergabe bestimmter Informationen zu schmälern. Freilich ist ein Zuviel an Informationen ebenso schädlich wie ein Zuwenig. Der Grundsatz der Qualität, d. h. der gezielten, differenzierten und wohldosierten Information steht vor dem der Quantität, wenn nicht die Gefahr entstehen soll, durch ein Zuviel an Information die Übersicht zu erschweren. In bezug auf die Mittel zur Information ist die große Mannigfaltigkeit hervorzuheben. Unter dem Aspekt sozialer Betriebsführung ist die mündliche Unterrichtung besonders wichtig, weil sie für die meisten Menschen am eindrucksvollsten ist und so die nachhaltigste Wirkung hat. Unter den schriftlichen Mitteln der Information hat die Werkzeitung größere Verbreitung gefunden. Die Schwierigkeit bei der Anwendung dieses Informationsmittels besteht darin, die verschiedenen Beiträge so zu differenzieren und abzustimmen, daß möglichst den Interessen aller Gruppen Rechnung getragen wird. Als gutes Informationsinstrument eignen sich auch Rundschreiben, vor allem zur raschen Unterrichtung bestimmter Mitarbeiterkreise über aktuelle Fragen. Hierin sind sie der Werkzeitschrift überlegen. 3231 Aktivierung

des

Vorschlagswesens

Das betriebliche Vorschlagswesen stellt eine schon seit langem erkannte und häufig bestätigte Möglichkeit dar, die Mitarbeiter für eine aktive Teilnahme am Betriebsgeschehen zu gewinnen. Die Teilnahme erstreckt sich dabei hauptsächlich auf den eigenen Erfahrungsbereich des einzelnen Mitarbeiters. Ein gut organisiertes Vorschlagswesen ist geeignet, Interesse und Initiative des Mitarbeiters anzusprechen, ihn zum Mitdenken anzuregen und seine Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Es dient somit nicht nur der Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungen des Betriebes schlechthin, sondern auch der Stärkung des Persönlichkeitswertes der Mitarbeiter.

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Für Führungskräfte, namentlich für jene des Top Management, gilt die Entfaltung von Initiative, die auf Verbesserungen und Fortschritte zielt, als selbstverständlich, sie ist der eigentliche Inhalt ihrer Arbeit. Die große Masse der Betriebsangehörigen dagegen hat mehr oder weniger ausführende Funktion, und es ist keinesfalls selbstverständlich, daß von ihnen Ideen entwickelt und Vorschläge gemacht werden, die über das hinausgehen, was von ihnen im Rahmen ihrer normalen Funktion verlangt wird. Dazu bedarf es vielmehr der Anregung durch das betriebliche Vorschlagswesen. Angesichts des scharfen Wettbewerbs, in dem die Unternehmen heute stehen, ist es schon allein aus betriebspolitischen Gründen erforderlich, das gesamte in einem Betrieb verfügbare geistige Potential auszuschöpfen, also auch die schöpferischen Kräfte jener Mitarbeiter zu mobilisieren, die in der Hauptsache mit ausführenden Arbeiten betraut sind, oder die in ihrer normalen Tätigkeit an einen engeren Arbeitsbereich gebunden sind, als ihrem Entfaltungsdrang entspricht. Ein gut funktionierendes betriebliches Vorschlagswesen setzt etwas Vierfaches voraus": 1. Sämtliche Mitarbeiter müssen wissen, daß jeder Verbesserungsvorschlag begrüßt und beachtet wird. Aus diesem Grunde ist es zweckmäßig, von Zeit zu Zeit Werbeaktionen für das Vorschlagswesen durchzuführen, wobei aber die Frage der materiellen Belohnung brauchbarer Vorschläge nicht im Vordergrunde stehen, sondern als selbstverständliche Gegenleistung seitens des Betriebes behandelt werden sollte. 2. Die Führungskräfte müssen dahingehend ausgebildet und erzogen sein, daß sie konstruktive Kritik und Vorschläge als erstrebenswertes Mitdenken anerkennen und förderns um zu vermeiden, daß brauchbare Ideen etwa aus Scheu M Vgl. dazu: Haussier, H., Greiner, Ph., „Mitarbeiterführung im Betrieb", Bad Wörishofen 1969, S. 64.

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oder aus einer gewissen Bescheidenheit heraus nicht in Vorschläge umgesetzt werden. 3. Die Begutachtung eingehrachter Vorschläge und die Erteilung eines Beurteilungsbescheides an den Vorschlagenden muß zügig geschehen. Können gewisse Vorschläge nicht verwirklicht werden, so muß eine Begründung dafür gegeben werden. 4. Das Einbringen brauchbarer Vorschläge muß belohnt werden, und zwar ist die ideelle Wertung (ζ. B. in der Form der Nennung des Einsenders in der Werkzeitung, des Anerkennungsschreibens oder der Meldung an die oberste Leitung) ebenso wichtig wie die materielle Abgeltung der schöpferischen Idee. Als materielle Belohnung kommen neben Geldprämien auch Sachprämien, Lohnerhöhungen, zusätzlicher Urlaub usw. in Betracht. Der Großteil der durch das Vorschlagswesen hervorgebrachten Ideen bezieht sich naturgemäß auf die unmittelbaren Arbeitsbereiche der Vorschlagenden. Häufig sind es Vorschläge zur Verbesserung der Gebrauchsfähigkeit der Erzeugnisse, zur Verbesserung der Sicherheit oder Funktionseignung von Werkzeugen und Vorrichtungen, zur wirtschaftlicheren Gestaltung von Arbeitsprozessen, zur Einsparung von Hilfsstoffen, Betriebsstoffen und Energie, zur Verbesserung der Organisation usw. Es sind aber auch Vorschläge zur Verbesserung der menschlichen Beziehungen im Betriebe allgemein, zur Lösung sozialer Probleme usw. anzuregen. 3232 Übertragung von Befugnissen und Verantwortung Die Delegation von Befugnissen und Verantwortung ist ein Führungsprinzip, das sowohl dem Bedürfnis des Einzelnen nach freier Entfaltungsmöglichkeit am Arbeitsplatz als auch der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt. Seine Anwendung bedeutet die Abkehr vom Untergebenenverhältnis alter Prägung, wie es im autoritären Führungsprinzip zum Ausdruck kam, und eine Erfüllung der sozialorientierten Forderung nach

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Entfaltung der Persönlichkeit des arbeitenden Menschen. Dieses Führungsprinzip besitzt damit eine über den einzelnen Betrieb hinausreichende gesellschaftspolitische Bedeutung, weil es geeignet ist, den verantwortungsbewußten Staatsbürger heranzubilden, ohne den eine funktionsfähige und krisenfeste Demokratie nicht auskommen kann. Die Delegation von Befugnissen und Verantwortung spricht einen ganz bestimmten Typ von Menschen an, jenen, der vorwärtsstrebt und eigenverantwortlich denkt und handeln will. Auf ihn übt dieses Führungsprinzip eine besondere Anziehungskraft aus, und dem Betrieb, der den Konkurrenzkampf bestehen will, muß daran gelegen sein, selbständig handelnde und entscheidende Mitarbeiter zu besitzen. Durch die Delegation von Verantwortung gewinnt das Unternehmen die Möglichkeit, sich das Initiativpotential der Mitarbeiter, ihre geistigen Fähigkeiten, ihren Unternehmungsgeist und ihre Aktivität zunutze zu machen. Zugleich werden die delegierenden Vorgesetzten entlastet; sie werden frei für die eigentlichen planenden und disponierenden Aufgaben. Die Übertragung von Befugnissen und Verantwortung hat in unseren Betrieben noch nicht das wünschenswerte Ausmaß erreicht. In den USA dagegen ist die Entwicklung auf diesem Gebiete schon weiter fortgeschritten: amerikanische Manager, auch jene der unteren Ebenen, haben im allgemeinen mehr Befugnisse und können weit größere finanzielle Verpflichtungen eingehen als europäische in vergleichbarer Position. Dies mag der Grund dafür sein, daß sie vielfach ein stark ausgeprägtes Selbstbewußtsein an den Tag legen. Zweifellos erzeugt das Bewußtsein, einen Posten mit vergleichsweise hoher Verantwortung innezuhaben, ein Gefühl des Stolzes auf diesen Posten und auf die eigenen Fähigkeiten, in die so hohes Vertrauen gesetzt wird. Die Gründe für die teilweise noch unzureichende Verwirklichung des Führens durch Delegation sind sowohl auf Seiten der Vorgesetzten als auch auf Seiten der Mitarbeiter zu suchen.

Förderung immaterieller Interessen der Mitarbeiter

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Delegieren von Befugnissen und Verantwortung verlangt einen Typ von Vorgesetzten, der bereit und fähig ist, den neuen Führungsstil in seinem Funktionsbereich zu verwirklichen. Manche Vorgesetzte halten aber immer noch an althergebrachten Führungsprinzipien fest. Soweit sie physisch und psychisch nur irgendwie dazu in der Lage sind, befassen sie sich mit jedem Vorgang selbst, auch mit dem nebensächlichsten. Sie verlangen, daß alles über ihren Schreibtisch zu laufen habe. Übertragung von Befugnissen und Verantwortung setzt auf der anderen Seite einen Mitarbeiter voraus, der zu eigenverantwortlichem Handeln fähig und bereit ist. Viele Menschen scheuen aber das Risiko, das mit der Eigeninitiative verbunden ist. Ein Mitarbeiter, dem die notwendige Selbstsicherheit fehlt, wird in unangenehmen Fällen versuchen, die auf ihn übertragene Verantwortung wieder dem Vorgesetzten zuzuschieben (Rückdelegieren von Verantwortung). Es ist nur natürlich, daß das Führungsprinzip durch Delegieren nicht von heute auf morgen mit vollem Erfolg praktiziert werden kann. Führende und Geführte müssen erst einen Erziehungsprozeß durchlaufen, in dessen Verlauf sie sich innerlich auf die persönlichen Anforderungen dieses Führungsprinzips einstellen. Während durch Delegation von Befugnissen eine individuelle Form aktiver Beteiligung der Mitarbeiter am Betriebsgeschehen begründet wird und sich die dabei erteilten Vollmachten allein auf einen abgegrenzten Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Mitarbeiters erstrecken, handelt es sich bei der Mitbestimmung um eine kollektive Form aktiver Beteiligung der Mitarbeiter am betrieblichen Willensbildungsprozeß, der grundsätzlich keine derart engen Grenzen gezogen sind. Darüber hinaus besteht noch ein weiterer, sehr wesentlicher Unterschied: Wenn ein Unternehmer Befugnisse delegiert, so behält er dennoch die letzte Entscheidung im Betriebe, denn der von ihm Bevollmächtigte handelt lediglich als sein verlängerter Arm. Räumt er dagegen seiner Belegschaft Mitbestimmungs-

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Gestaltungsmöglichkeiten sozialer Betriebsführung

rechte ein, so gibt er einen Teil seiner unternehmerischen Rechte auf 100 . Ein Weg, die Mitarbeiter an die neuen Aufgaben zu gewöhnen und die geeignete Form der Mitbestimmung aus dem Betriebe heraus organisch zu entwickeln, besteht in der Einführung einer betrieblichen Partnerschaft, die ihrerseits so flexibel zu gestalten ist, daß sie im Zuge ihrer Bewährung nach und nach ausgedehnt werden kann. 3233 Partnerscbaftlicbe

Bestrebungen

Die betrieblichen Partnerschaftsbestrebungen, die faktisch und literarisch vor allem mit den Namen Gert Spindler und Guido Fischer eng verbunden sind, beruhen auf dem bereits in § 49 Betriebsverfassungsgesetz dargelegten Kooperationsgrundsatz. Betriebliche Partnerschaft setzt sowohl bei der Unternehmensleitung als auch bei den Mitarbeitern eine geistige Grundhaltung voraus, die nicht mehr von Nützlichkeitserwägungen allein, sondern auch von gegenseitiger menschlicher Achtung geprägt und „auf eine positive, subjekthafte Persönlichkeitsbildung des arbeitenden Menschen abgestellt" 101 ist. Diese Grundhaltung muß ein Ideenbestandteil der betrieblichen Organisationsmaßnahmen sein, um schließlich bei allen Beteiligten eine neue geistige Einstellung zum gemeinsamen Ziel der betrieblichen Leistung zu erzeugen. Ihren sichtbaren Niederschlag finden die partnerschaftlichen Bestrebungen in der Errichtung besonderer Partnerschaftsorgane und im Abschluß eines Partnerschaftsvertrages, wobei jeder Betrieb aus seiner Struktur heraus die ihm gemäße Form finden muß. Im Falle des Spindler'schen Partnerschaftsmodells besteht folgender Organisationsmodus: Aus jeder lOköpfigen Arbeitsgruppe geht ein „Verbindungsmann" hervor; je 10 Verbin1M 101

Vgl. Abschnitt 210: Mitbestimmung der Arbeitnehmer, S. J2 ff. Fischer, G „ a. a. O., S. 223.

N o t w e n d i g k e i t der Industrialisierung

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dungsmänner entsenden ein Ausschußmitglied in den „Mitarbeiterausschuß". In dem von Spindler geführten Betrieb mit 2000 Beschäftigten ergeben sich demnach 20 Mitglieder für den Mitarbeiterausschuß, der noch durch den Betriebsratsvorsitzenden sowie die zuständigen Betriebsleiter vervollständigt wird. Eine ähnliche F o r m der Einrichtung von Partnerschaftsorganen schlägt Fischer vor 1 0 2 . D i e Gestaltung des Inhalts des Partnerschaftsi/erfnzges läßt erkennen, ob es der Unternehmensleitung tatsächlich und ernsthaft d a r u m geht, die Mitarbeiter als gleichberechtigte Partner zu betrachten und als solche zu behandeln, oder ob das Reden von der Partnerschaft nur eine hohle ideologische Phrase ist, hinter der allein das Interesse steht, ruhige, stabile und effektive Bedingungen f ü r eine egoistische Betriebsführung zu erhalten. Der Geist des Partnerschaftsvertrages wird besonders in jenen Vertragsbestandteilen sichtbar, die die Frage der Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer und der Mitbestimmung zum Gegenstand haben. Nicht ohne G r u n d ist m a n seitens der Gewerkschaften gegenüber all jenen Partnerschaftsangeboten äußerst zurückhaltend, die vorrangig darauf angelegt sind, die „geheiligten" Rechte des Unternehmers zu zementieren.

4 Die Organisation der sozialen Betätigung des Betriebes 40 Notwendigkeit der Institutionalisierung der betrieblichen sozialen Funktionen J e d e Betätigung im Betriebe, auch die zur Erfüllung der betrieblichen sozialen Funktionen, bedarf zu ihrer rationalen Durchführung der Organisation, also des Aufbaues der einzelnen Instanzen und der O r d n u n g des Vollzuges der einzelnen Funktionen. »« Vgl. Fischer, G„ a. a. O., S. 226.

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Organisation der sozialen Betätigung des Betriebes

Der Aufbau der einzelnen Instanzen ist, vor allem in Großbetrieben, recht kompliziert, und zwar deswegen, weil die sozialen Funktionen überaus mannigfaltig sind, die verschiedensten Gebiete betreffen, sie sich aber auch auf verschiedenen Ebenen abspielen, ob sie auf betriebsfreiwilligen Entschlüssen oder aber auf tarifvertraglichen oder gesetzlichen Grundlagen beruhen. Ja, sie können sogar überbetrieblichen Charakter besitzen, wie etwa der angestrebte Bundeswirtschaftsrat und die Landes- und Bezirkswirtschaftsräte. Alle Funktionen müssen - soweit das möglich ist - institutionalisiert sein, damit ihre Durchführung gesichert und stets eine Instanz vorhanden ist, die die Verantwortung für richtige Durchführung zu tragen hat. Für unsere Betrachtung hier sind besonders wichtig 1. Die Organisation zur Durchführung der betrieblichen Sozialpolitik. 2. Die arbeitsrechtlichen Regelungen, soweit sie organisatorische Fragen betreffen. 4 1 Organisation zur Durchführung der betrieblichen Sozialpolitik Die betriebliche Sozialpolitik wird häufig - zumindest in der Praxis - als Bestandteil der Personalpolitik angesehen, und zwar deshalb, weil die Aufgaben beider in der Regel von der Personalleitung wahrgenommen werden. Dagegen besteht weniger ein formaler, als ein sachlicher Einwand: Die betriebliche Sozialpolitik verfolgt ihrem Wesen nach andere Ziele als die Personalpolitik; ebenso sind beide nach völlig verschiedenen Grundsätzen ausgerichtet. Während die Sozialpolitik den Menschen im Betrieb sieht und versucht, seinen persönlichen Nöten und seinen sozialen Konflikten verständnisvoll zu begegnen, sie nach Möglichkeit zu mildern, betrachtet die Personalpolitik lediglich den - zur Erfüllung bestimmter Zweckaufgaben nun einmal notwendigen - Mitarbeiter, rein sachlich ausgedrückt: den „Produktionsfaktor Arbeit".

Organisation der betrieblichen Sozialpolitik

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Im Laufe der Zeit hat aber eine „Vermenschlichung" der sonst so sachlichen Personalpolitik stattgefunden. Soziale Gesichtspunkte werden ζ. B. bei Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen berücksichtigt; ebenso in der Lohnpolitik, ζ. B. durch Berücksichtigung des Alters und der Familienverhältnisse, abweichend vom Leistungsprinzip. Das Soziale beeinflußt so die zweckbegründeten personalpolitischen Erwägungen. Die Entwicklung ist aber so, daß das Soziale die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betriebe zu übersteigen droht. Es greift an die Substanz der Betriebe, die doch die Existenzgrundlage aller, nicht nur der Unternehmer, sind und die deshalb organisch wachsen müssen. Die Durchsetzung personalpolitischer Zielsetzungen wird nur zu oft durch die gleichzeitige Berücksichtigung sozialpolitischer Erfordernisse erschwert - und umgekehrt. Deshalb sollte das Soziale, Menschliche von der notwendigerweise sachlich orientierten Personal- (ebenso der Lohn-)Politik organisatorisch getrennt werden. Es ist nur die Frage, wieweit eine Trennung heute noch praktisch möglich ist, allein schon wegen der für die Personalpolitik so wichtigen, dem Einfluß des Betriebes entzogenen gesetzlichen und tariflichen Regelungen sozialer Art. So, wie die betriebliche Sozialpolitik sich heute häufig darbietet, ist sie lediglich ein Werkzeug der Personalpolitik, das hauptsächlich ihren Zielen - Gewinnung und Erhaltung von Arbeitskräften - zu dienen hat. Die Notwendigkeit und Berechtigung dazu kann bei rein wirtschaftlicher Betrachtung nicht bestritten werden, zumal die „soziale Konkurrenz" eine Realität ist. Dies darf aber nur ein Nebeneffekt der im übrigen nach eigenen Grundsätzen und Zielen ausgerichteten Sozialpolitik sein. Wenn eine organisatorische Verknüpfung in einer Hand, der Personalleitung, dem Wesen und den Aufgaben der Personalund der Sozialpolitik gerecht werden soll, dann nur in paralleler Kooperation zweier Abteilungen, etwa in der folgenden Form:

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