Urologie und Nationalsozialismus: Eine Studie zu Medizin und Politik als Ressourcen füreinander 3515108491, 9783515108492

Die Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus lässt sich als eine Geschichte des Austauschs von Ressourcen zwischen

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German Pages 220 [224] Year 2014

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. FORSCHUNGSSTAND UND LEITENDE
FRAGESTELLUNGEN
2.1 FORSCHUNGSSTAND
2.2 LEITENDE FRAGESTELLUNGEN
3. METHODEN UND QUELLEN
3.1 METHODEN
3.2 QUELLEN
4. FACHGESELLSCHAFTEN UND FACHVERTRETER
4.1 INSTITUTIONELLE DIMENSION
4.2 KARRIEREN VON UROLOGEN IM NATIONALSOZIALISMUS
4.3 PROFESSIONALISIERUNG DER UROLOGIE IN DEUTSCHLAND
5. ORIENTIERUNG AN DER NATIONALSOZIALISTISCHEN
GESUNDHEITSPOLITIK
5.1 BIOLOGISMUS ALS EINE GRUNDLAGE VON
VOLKSGESUNDHEITS-, RASSEN- UND BEVÖLKERUNGSPOLITIK
5.2 FORSCHUNG ZUR UND PRAXIS DER STERILISATION UND KASTRATION
VON MÄNNERN IM NATIONALSOZIALISMUS
5.3 DIE ERFORSCHUNG VON „ERBKRANKHEITEN“ ALS BEGÜNSTIGTE
NORMALWISSENSCHAFT
5.4 BEREITSTELLUNG RHETORISCHER RESSOURCEN
6. DIE GESCHICHTE DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR UROLOGIE IN DER UNMITTELBAREN NACHKRIEGSZEIT:
KONTINUITÄTEN UND BRÜCHE
6.1 PERSONELLE KONTINUITÄTEN UND DIE WIEDERGRÜNDUNG DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR UROLOGIE
6.2 FORTSCHREITENDE PROFESSIONALISIERUNG
DER DEUTSCHEN UROLOGIE IN DER NACHKRIEGSZEIT
6.3 GESCHICHTSSCHREIBUNG DER UROLOGIE IN DEUTSCHLAND
7. DISKUSSION
8. ZUSAMMENFASSUNG
9. LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
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Urologie und Nationalsozialismus: Eine Studie zu Medizin und Politik als Ressourcen füreinander
 3515108491, 9783515108492

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Matthis Krischel Urologie und Nationalsozialismus

schriften zur urologiegeschichte Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) von Friedrich Moll und Dirk Schultheiss. Band 1

Dr. Friedrich H. Moll, M. A., FEBU Curator Museum, Bibliothek und Archiv zur Geschichte der Urologie, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf Vorsitzender AK Geschichte, Akademie Deutscher Urologen Urologische Klinik Kliniken der Stadt Köln gGmbH Neufelder Str. 32 51067 Köln

Prof. Dr. med. Dirk Schultheiss Archivar, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf Urologische Belegabteilung, Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen und Gemeinschaftspraxis für Dermatologie und Urologie Friedrichstr. 21 35392 Gießen

MAT THIS KRISCHEL

Urologie und Nationalsozialismus Eine Studie zu Medizin und Politik als Ressourcen füreinander

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Von links nach rechts: Eduard Pflaumer, Ricardo Ercole und Otto Ringleb am Grab Maximilian Nitzes in Eisenach 1937, aus dem Stadtarchiv Eisenach Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Satz: DTP + TEXT Eva Burri Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10849-2 (Print)

VORWORT DER HERAUSGEBER Ein ‚Tunnelblick‘ und die mangelnde Interdisziplinarität vieler medizinischer Spezialgebiete werden seit Jahren bemängelt. Daher hat es sich die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) seit langem zur Aufgabe gemacht, Forschungsvorhaben zu fördern, die dem wissenschafts- und medizinhistorischen Austausch zwischen der Urologie und weiteren humanwissenschaftlichen Fachgebieten dienen. Ein Ausdruck dieser Aktivität der Fachgesellschaft sind ihr Museum, ihre Bibliothek und ihr Archiv zur Geschichte der Urologie sowie nicht zuletzt der Arbeitskreis „Geschichte der Urologie“ der Akademie Deutscher Urologen. Es ist die Überzeugung des Vorstandes der DGU sowie der Herausgeber dieser Buchreihe, dass die professionelle Auseinandersetzung mit der Geschichte einer medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft eine unverzichtbare Ergänzung ihres ansonsten naturwissenschaftlich- technisch geprägten Tätigkeitsbereichs darstellt. Sie wirkt als geisteswissenschaftliches Korrektiv und hilft das Selbstverständnis der Fachvertreter zu konstituieren. Die DGU bringt historische Projekte institutionsübergreifend in Forschung und Lehre auf den Weg, aus denen Impulse für weitere Forschungsfragen im Zusammenwirken der einzelnen Disziplinen entstehen sollen. Es soll die Perspektive eröffnet werden, dass die Urologiegeschichte als Teil der „Medical humanities“ einen integrativen Bestandteil von Medizin-, Kultur- und Sozialgeschichte darstellt. Gleichzeitig dient die Urologiegeschichte als Fachbeispiel für die Wechselwirkungen von Wissenschaft, Kultur, Gesellschaft, Politik und Medizin. Die Reihe der DGU möchte zu diesem Zweck die urologische Klinik und Praxis zur kritischen Reflexion ihres Handelns anregen und hat ihren Schwerpunkt in der Rekonstruktion und Analyse urologischer und medizinischer Denkstile, von Wissenskulturen, Praktiken und Wissensordnungen. Monographien, Sammelbände und Editionen gerade auch aus anderen Fachdisziplinen als der Urologie sind besonders willkommen, insbesondere aus dem humanwissenschaftlichen Bereich. Ein besonderes Anliegen der DGU ist es, durch eine vertiefte historische Betrachtung eine Deutung der Gegenwart von Medizin und Urologie sichtbar werden zu lassen und einen Brückenschlag von der Vergangenheit zur Epikrise der Herausforderungen der Gegenwart zu bilden. Zuletzt will die Reihe den vertieften Dialog der an der Urologiegeschichte Interessierten im Allgemeinen fördern und den wissenschaftlichen Austausch mit Wissenschaftshistorikern im Besonderen unterstützen. Sie möchte gerade jungen Wissenschaftlern ein Forum bieten, ihre Forschungen in entsprechendem Rahmen zu publizieren. Die hier nun als erster Band vorliegende Arbeit zur Geschichte der Urologischen Fachgesellschaften im Nationalsozialismus ist das Ergebnis einer längeren Forschungsarbeit, die in der Zwischenzeit mehrere Preise erhielt.

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Vorwort der Herausgeber

Das Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus durchlief bekanntlich mehrere Phasen, aber die Erinnerung von Institutionen und Verbänden ist noch immer schwierig und mit Tabus behaftet. Die institutionelle Scham, die Schonung der eigenen Lehrer und Weggefährten, die Scheu vor „Nestbeschmutzung“ liess die Aufarbeitung ähnlich wie bei anderen Fachgesellschaften oder Bundesbehörden lange nicht in Angriff nehmen. Die vorgelegte Dissertation zeigt aber, dass eine Aufarbeitung auch „jetzt noch“ dringend notwendig und geboten ist. Dies schuldet die Deutsche Gesellschaft für Urologie vor allem den Kollegen, die damals wegen ihrer Religion oder politischen Ansichten diffamiert, aus der Deutschen Gesellchaft für Urologie ausgeschlossen, in das Exil gedrängt, verhaftet oder getötet wurden. Das Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden. Diese Dissertation ist ein weiterer Baustein, die eigene Geschichte während des „Dritten Reiches“ zu beleuchten. Friedrich Moll und Dirk Schultheiss Köln und Gießen, August 2014

INHALTSVERZEICHNIS Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Leitende Fragestellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 31

3. Methoden und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 47

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.1 Institutionelle Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 113 5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik . . . . . . . . 5.1 Biologismus als eine Grundlage von Volksgesundheits-, Rassenund Bevölkerungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Erforschung von „Erbkrankheiten“ als begünstigte Normalwissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Bereitstellung rhetorischer Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Kontinuitäten und Brüche . . . . . . . . 6.1 Personelle Kontinuitäten und die Wiedergründung der Deutschen Gesellschaft für Urologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Fortschreitende Professionalisierung der deutschen Urologie in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Geschichtsschreibung der Urologie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . .

124 125 128 140 143 150 151 161 163

7. Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS BUG DGfU DGU DOG GRU GTE GVeN NS NSDAP NSDÄB SA SS ZfU

Berliner Urologische Gesellschaft Deutsche Gesellschaft für Urologie (Vorkriegsgesellschaft) Deutsche Gesellschaft für Urologie (Nachkriegsgesellschaft) Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund Sturmabteilung Schutzstaffel Zeitschrift für Urologie

1. EINLEITUNG Diese Arbeit hat das Verhältnis von Medizin und Politik zum Thema, untersucht an der Fallstudie des medizinischen Faches Urologie, seiner Fachvertreter und Fachgesellschaften unter den politischen Bedingungen in Deutschland in der Mitte des 20. Jahrhunderts, d. h. während des Nationalsozialismus und in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Beschäftigung mit dem Thema erwuchs aus einem Forschungsprojekt, in dem seit dem Jahr 2009 gemeinsam Mediziner und Medizinhistoriker die Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus erforschen. Als Zwischenergebnis dieses Forschungsprojektes konnte 2011 ein zweibändiges Werk mit dem Titel Urologen im Nationalsozialismus vorgelegt werden. Die nun vorliegende Monographie geht darüber hinaus, indem sie zentrale Akteure und die von ihnen gebildeten Gesellschaften unter zentralen Fragestellungen untersucht. Diese Fragestellungen lauten: Wie kann das Verhältnis von Medizin und Politik verstanden werden, in dem die Mehrheit der deutschen Urologen sich gegen einen beträchtlichen Teil ihrer Patienten und Kollegen wandte und ihr berufliches Handeln an neuen Idealen wie Volksgesundheit und Steigerung von Arbeitsleistung und Wehrhaftigkeit orientierte? Welche Gründe hatten diese Ärzte für ihr Handeln, also welche Hoffnungen auf Belohnungen für politisches Wohlverhalten konnten sie sich machen und welche Nachteile im Fall von Zuwiderhandlung mussten sie befürchten? Wie groß waren die Handlungsspielräume, die es den Akteuren erlaubten, sich im breiten Spektrum zwischen politischem Wohlverhalten und Widerstand zu positionieren? Im Fokus dieser Arbeit stehen die von 1906 an bestehende Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGfU), die nach 1933 kaum noch in Erscheinung trat, die im Winter 1934/35 gegründete Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen (GRU), deren Mitgliedschaft nur „arischen“ Ärzten offenstand, und schließlich die seit 1948 tagende Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) als bis heute bestehende (Nachkriegs-)Fachgesellschaft der deutschen Urologen. Neben den Fachgesellschaften selbst werden vor allem die Ärzte betrachtet, die sich in diesen Verbänden zusammenschlossen und ihre Geschicke Maßgeblich bestimmten. Mit der Urologie wird ein kleiner Ausschnitt der Ärzteschaft – zwischen 1 % und 2 % der 1933 in Deutschland tätigen Ärzte – untersucht. Ein Vorteil der Untersuchung des kleinen Fachgebiets ist, dass die Gruppe der Protagonisten im Nationalsozialismus so überschaubar ist, dass deren Biographien und Veröffentlichungen sowie das zu ihnen in Archiven erhaltene Material detailliert bearbeitet werden konnte. Gleichzeitig hat die Urologie einen chirurgischen und einen internistischen Teil, setzt stets weiterentwickelte Instrumente und Bildgebung ein und befindet sich in den 1930er und 1940er Jahren in einem andauernden Aushandlungsprozess um die Stellung des Faches in Forschung und Lehre, so dass zahlreiche Bezüge in verschiedene Bereiche der Medizin gegeben sind. Indem als Interpretation für das Verhalten von Urologen im Nationalsozialismus das Modell des Austauschs von Res-

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1. Einleitung

sourcen zwischen Medizin und Politik ausgearbeitet wird, entsteht ein potentiell auch auf andere Fächer und andere Zeiträume anwendbares Erklärungsmuster zum Verhältnis von Medizin und Politik. In der Medizingeschichte hat diese Arbeit zwei wichtige Bezugspunkte. Der erste ist die Geschichte der Urologie als medizinischer Spezialdisziplin. Hierzu finden Leser eine detaillierte Geschichte der Protagonisten des Faches in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, welche besonders Fragen nach Institutionen, Fachentwicklung und medizinischer Forschung betont. Der zweite Bezugspunkt ist die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus. Hier soll diese Studie einen Beitrag zur Erforschung der Entwicklung einzelner Fächer und Fachgesellschaften bieten, die in den letzten Jahren ein fruchtbares Feld innerhalb der Forschung zur Medizin im Nationalsozialismus darstellt. Zudem besteht die Hoffnung, dass das Modell von Medizin und Politik als Ressourcen füreinander über diesen konkreten Rahmen hinaus fruchtbar genutzt werden kann. Der avisierte Leserkreis schließt damit sowohl Ärzte, insbesondere Urologen, Medizinhistoriker und hoffentlich auch eine an der Medizingeschichte und dem politischen Wirken ärztlichen Handelns interessierte breitere Öffentlichkeit ein. Die Situation in Österreich wird nicht ausdrücklich untersucht. Dennoch gibt es durch die gemeinsame deutsch-österreichische DGfU sowie durch den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938, seit dem die nationalsozialistischen Gesetze auch dort Geltung hatten, zahlreiche Berührungspunkte. Diesen ist jeweils ein Stück weit nachgegangen worden, so dass an der Geschichte der Urologie in Österreich interessierte Leser in dieser Arbeit Anregungen für weitere Forschung finden werden. Im Anschluss an diese Einleitung werden zunächst die leitenden Fragestellungen auf der Grundlage des Forschungsstandes zur Geschichte der Urologie und der Medizin im Nationalsozialismus entwickelt. Zentral sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten des Wiener Wissenschaftshistorikers Mitchell Ash, die abgewandelt auf das Verhältnis von Medizin und Politik angewandt werden, sowie des Gießener Medizinhistorikers Volker Roelcke zur Frage nach Handlungsoptionen für Ärzte im Nationalsozialismus. Im darauf folgenden Kapitel wird auf die ideen- und sozialhistorischen methodischen Grundlagen dieser Arbeit eingegangen und es werden die Quellen beschrieben, auf die sie sich stützt. Besonderen Wert haben dabei die archivalischen Quellen zur Geschichte der Fachgesellschaft und zu den Protagonisten des Faches. In drei darauf folgenden Kapiteln werden zunächst die Institutionen- und Personengeschichte der deutschen Urologie thematisiert, darauf folgt eine Analyse des Einflusses der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik auf medizinische Forschung und Praxis in der Urologie und schließlich wird die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen im Fach in der unmittelbaren Nachkriegszeit gestellt. Im Kapitel „Fachgesellschaften und Fachvertreter“ gehe ich nach einer kurzen Erläuterung zur 1906 gegründeten DGfU auf die Genese und das Parallelbestehen der GRU ein. Hier, wie im Exkurs zur Berliner Urologischen Gesellschaft, steht die Beschreibung und Analyse des Prozesses der (Selbst-)Gleichschaltung im Mittelpunkt. Die Ausrichtung der GRU wird anhand der von ihr veranstalteten Kongresse

1. Einleitung

11

und des Wandels des Zeitschriftenwesens veranschaulicht. Im nächsten Abschnitt werden in einem Exkurs die Ausschaltung und Vertreibung jüdischer und jüdischstämmiger Urologen thematisiert und dann die Karrieren von sechs ausgewählten Fachvertretern, die im Nationalsozialismus zur Führungsclique des Faches gehörten, beschrieben. Im Anschluss wird die fortschreitende Professionalisierung der Urologie als medizinisches Fach in den 1930er und 1940er Jahren erläutert. Im Kapitel „Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik“ stelle ich zunächst deren Grundpfeiler dar und gehe dann auf die drei Aspekte ein, in denen sie sich in der Urologie im Nationalsozialismus manifestiert. Dies ist zuerst die von Urologen geleistete Forschung zur Sterilisation und Kastration von Männern, die im Kontext der Erbgesundheits- und Bevölkerungspolitik dargestellt wird. Darauf folgt ein Abschnitt, in dem die erbpathologische Forschung in der Urologie dargestellt und als begünstigte Normalwissenschaft verstanden wird. Schließlich wird die rhetorische Unterstützung des NS-Regimes durch Wortwahl, Ergebenheitsadressen und Orientierung an Gesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik in urologischen Zeitschriften und auf den Kongressen thematisiert. Das sechste Kapitel hat den Umgang der Nachkriegs-DGU mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit zum Inhalt. Dabei beschreibe ich zuerst die Neugründung der Gesellschaft und die dabei aktiv konstruierten sowie implizit tradierten Bezüge zur DGfU und GRU. Darauf erfolgt am Fallbeispiel zweier prominenter, in den 1930er Jahren aus Deutschland vertriebener Fachvertreter eine Analyse des Verhältnisses der DGU zu den ausgegrenzten Mitgliedern der DGfU. Zuletzt wird die Fünfzigjahrfeier der DGU 1957 in den Blick genommen, da die dort festgeschriebene Geschichtsinterpretation bis in die 1980er Jahre die offizielle Lesart bleiben sollte. Deshalb bildet dieses Jahr den Endpunkt meiner Untersuchung. Im resümierenden Diskussionskapitel beziehe ich die Ergebnisse aus den Kapiteln 4, 5 und 6 auf die leitenden Fragestellungen und konzeptualisiere die Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus als einen Austausch von Ressourcen zwischen Medizin und Politik. Zudem stelle ich fest, dass für diejenigen Urologen, die nicht von vornherein zu einer der verfolgten Gruppen gehörten, in den 1930er Jahren deutliche Handlungsspielräume bestanden, welche jedoch von der Mehrheit deutlich zuungunsten eines großen Anteils ihrer Patienten und Kollegen ausgenutzt wurden. Zum Entstehen dieses Buches, das auf meiner 2013 an der Universität Ulm verteidigten Dissertation basiert, haben viele Personen beigetragen. Ich danke Heiner Fangerau für die Betreuung des Promotionsvorhabens, das Gewähren von Freiräumen zur Arbeit daran und zahllose konstruktive Anregungen, der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Person des Curators ihres Museums Friedrich Moll und ihres Archivars Dirk Schultheiss für medizinisch-urologischen und fachhistorischen Sachverstand und den Zugang zu Museum, Archiv und Bibliothek der Gesellschaft, den Bibliothekarinnen des Ulmer Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Olga Polianski und Stefanie Schütz, für die unermüdliche Versorgung mit Literatur, und allen meinen Kollegen aus Ulm und aus dem Forschungsprojekt zur Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus für zahlreiche fruchtbare Diskussionen. In der Abschlussphase dieser Arbeit haben neben den be-

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1. Einleitung

reits genannten Personen Maria-Ilona Krischel, Johannes Spatz, Ruth Bitai und Jürgen Schreiber wichtige Rückmeldungen gegeben, dafür bin ich ihnen dankbar. Die verbleibenden Fehler sind meine eigenen. Die Beschäftigung mit dem Thema dieser Arbeit sowie die Veröffentlichung wurden großzügig von der Deutschen Gesellschaft für Urologie, die Präsentation von Arbeitsergebnissen darüber hinaus vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und von der American Urological Association gefördert. Ihnen gilt ebenfalls mein Dank. So nicht anders angegeben, stammen Übersetzungen nichtdeutschsprachiger Quellen von mir selbst.

2. FORSCHUNGSSTAND UND LEITENDE FRAGESTELLUNGEN 2.1 FORSCHUNGSSTAND Die Medizin im Nationalsozialismus hat sich, insbesondere in den letzten 20 Jahren, zu einem intensiv beforschten Feld innerhalb der Medizingeschichte entwickelt. Die zu dem Themenkomplex erschienene Literatur ist mittlerweile so reichhaltig, dass es selbst für Experten kaum noch möglich ist, mit allen Titeln vertraut zu sein. Zusammen mit der Ausweitung des Feldes und der Literatur sind verschiedene annotierte Bibliographien erschienen, die einen Einstieg etwa in die Themen „Euthanasie“1 oder Rassenhygiene2 bieten. Einen hervorragenden, aktuellen Überblick über die Facetten der Forschung zur Medizin im Nationalsozialismus und über die dazu erschienene Literatur bietet der 2011 herausgegebene Band Medizin im Nationalsozialismus. Bilanz und Perspektiven der Forschung.3 Die Autoren haben darin fünf große Komplexe als die Forschungslandschaft bestimmend identifiziert: Eugenik und Rassenanthropologie, das Gesundheitswesen, die medizinische Forschung und Praxis sowie die Frage nach Brüchen und Kontinuitäten nach 1945. In kurzen Kapiteln haben sie Überblicke über die Forschung gegeben und die erschienene Literatur mit großer Sachkenntnis eingeordnet, so dass ich unter Hinweis auf dieses Werk auf den Versuch einer flächendeckenden Literaturübersicht verzichte. Stattdessen möchte ich im Folgenden anhand einer Auswahl von Titeln die Entwicklung der Historiographie zur Medizin im Nationalsozialismus nachzeichnen. Aus der daraus entwickelten Perspektive wird die individuelle Sichtweise auf das Feld und auf als besonders wichtig eingeschätzte Werke deutlich. In der Rezeption der Medizin im Nationalsozialismus durch Medizinhistoriker hat Robert Jütte fünf Phasen beschrieben.4 Im Gegensatz zu ihm mache ich nur drei Phasen aus: Im ersten Abschnitt, der bis etwa 1980 andauerte, befasste sich die Medizingeschichte kaum mit dem Thema, in den 1980er und 1990er Jahre rückte das Thema in den Fokus der Forschung, wurde international und besonders in Deutschland etabliert. Seit etwa dem Jahr 2000 ist die Medizin im Nationalsozialismus ein aktiv bearbeitetes Forschungsfeld in der Medizingeschichte und bildet in Deutschland einen Eckpfeiler der Forschung und Lehre des Faches. Zwar war bereits kurz nach dem Nürnberger Ärzteprozess 1946–1947 ein von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke herausgegebener Band mit Originalquel1 2 3 4

Vgl. Koch, Euthanasie, Sterbehilfe. Vgl. Beck, Sozialdarwinismus, Rassenhygiene, Zwangssterilisation und Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens. Jütte, Medizin und Nationalsozialismus. Vgl. Jütte, „Rezeptions- und kontroverse Diskursgeschichte der NS-Medizin nach 1945“.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

len und Gerichtsprotokollen unter dem Titel Wissenschaft ohne Menschlichkeit: Medizinische und Eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg5 erschienen, jedoch dauerte es über zehn Jahre, bis das Buch unter dem Titel Medizin ohne Menschlichkeit6 als Taschenbuch herausgegeben wurde und so einen weiteren Leserkreis erreichen konnte. Im Nürnberger Ärzteprozess waren 23 Personen – 22 Männer und eine Frau – wegen der medizinischen Verbrechen im Nationalsozialismus, insbesondere der Ermordung von Menschen mit Behinderungen und Forschungen an Menschen ohne deren Einwilligung, angeklagt worden. Vertreten waren neben Ärzten auch Partei- und Regierungsbürokraten. Nach beinahe 140 Prozesstagen sprachen die Richter 7 Angeklagte frei, verurteilten 9 zum Tode und 7 zu Gefängnisstrafen von zehn Jahren bis lebenslänglich. Keiner der Verurteilten blieb jedoch länger als acht Jahre in Haft. Die nach dem Nürnberger Ärzteprozess etablierte Interpretation der Geschichte, gemäß der nur eine kleine Minderheit der Ärzte in Deutschland und Österreich gegen persönliche und Standesethik verstoßen und sich an den medizinischen Verbrechen beteiligt hätte, blieb jahrzehntelang prägend für die Selbsthistorisierung der Ärzteschaft.7 So konnte etwa noch 1972 die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde behaupten, „daß die damalige Vertretung der Psychiater, trotz ihrer scheinbar weitreichenden Befugnisse, ex officio niemals Aktionen wie die ‚Euthanasie‘ gedeckt, befürwortet oder gefördert hat. Auch deswegen sind die wiederholten Versuche, das Fehlverhalten oder die Verbrechen einzelner Psychiater dieser Zeit ‚der deutschen Psychiatrie‘ anzulasten, als objektiv unbegründet zurückzuweisen.“8

Um eine solche Interpretation kritisch hinterfragen zu können, beschäftigten sich in den 1970er Jahren vereinzelt erste Medizinhistoriker wie etwa Rolf Winau mit der Medizin im „Dritten Reich“.9 Erst zu Beginn der 1980er Jahre rückte die Aufarbeitung der medizinischen Strukturen und Verbrechen während des „Dritten Reiches“ in den Fokus der professionellen Medizingeschichte. Als entscheidendes Ereignis gilt in diesem Zusammenhang der Gesundheitstag 1980 in Berlin, auf dem das Thema öffentlich diskutiert wurde.10 Einen immer noch wichtigen Beitrag aus dieser Etablierungsphase stellt etwa der von Rudolf Kudlien herausgegebene Sammelband Ärzte im Nationalsozialismus11 dar, in dem zum ersten Mal die Rolle der Ärzte thematisiert wurde, von denen viele das Regime und die Gesundheitsbürokratie gestützt hatten, viele andere aber auch verfolgt worden waren. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde die Rolle der Ärzteschaft weiter erforscht und prominent in den Büchern des 5 6 7 8 9 10 11

Mitscherlich und Mielke, Wissenschaft ohne Menschlichkeit. Mielke und Mitscherlich, Medizin ohne Menschlichkeit. Vgl. Freyhofer, The Nuremberg Medical Trial. Ehrhardt, 130 Jahre Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde, 15. Vgl. Hafner und Winau, „‚Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens‘. Eine Untersuchung zu der Schrift von Karl Binding und Alfred Hoche“. Vgl. Baader und Schultz, Medizin und Nationalsozialismus. Kudlien, Ärzte im Nationalsozialismus.

2.1 Forschungsstand

15

US-Amerikaners Robert Lifton12 und des Kanadiers Michael Kater13 diskutiert. Während Lifton sich insbesondere mit den Voraussetzungen beschäftigte, die eine Mitarbeit der Mediziner an der massenweisen Ermordung von Menschen mit Behinderungen möglich gemacht hatte, stellt Katers Werk eine breitere, bis heute wegweisende Analyse der Einbindung der Ärzteschaft in die nationalsozialistische Gesundheitspolitik dar, in der die sozio-ökonomische Gründe im Vordergrund stehen. Am Ende der 1980er Jahre war sowohl in der Ärzteschaft als auch in der Öffentlichkeit das Thema Medizin im Nationalsozialismus so etabliert, dass im Deutschen Ärzteverlag ein von Johanna Bleker und Norbert Jachertz herausgegebener Übersichtsband14 erscheinen konnte. In dem bis heute wichtigen Werk skizzierten einige der Pioniere des Feldes den Forschungsstand und die bis dahin erreichten Ergebnisse. Die Themen „Euthanasie“, Menschenversuche in Konzentrationslagern, Rassenhygiene, Zwangssterilisation, „Ausschaltung“ jüdischer und politisch missliebiger Ärzte sowie Anpassung und ärztliche Standespolitik im Nationalsozialismus sind alle in dem Band vertreten. So markiert der Band die Umrisse des Forschungsfeldes, das sich bis heute mit diesen Themen beschäftigt. Die Frage nach dem Zusammenhang einer biologistisch geprägten, sozialdarwinistisch orientierten Weltanschauung und der nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik wurde in dem genannten Band von Gunter Mann diskutiert15 und wurde seitdem insbesondere im Zusammenhang mit der Ideengeschichte der Eugenik bzw. Rassenhygiene und deren Verbindungen zu nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen und Morden thematisiert. Für den deutschen Kontext legten Peter Weingart, Jürgen Kroll und Kurt Bayertz zu Beginn der 1990er Jahre ein anhaltend relevantes Werk16 vor; einen wichtigen Beitrag zur Einordnung der deutschen Geschichte in den internationalen Kontext leistete einige Jahre später Stefan Kühl.17 Die Autoren machten dabei deutlich, dass die Eugenik im frühen 20. Jahrhundert eine sowohl wissenschaftlich als auch sozial breit akzeptierte Bewegung dargestellt hatte, die von einer gebildeten Mittel- und Oberschicht gefördert und betrieben und aus Angst vor einer durch zivilisatorische Errungenschaften gestützten Degeneration angetrieben worden war. Obwohl Eugenik auch unabhängig von wissenschaftlichem Rassismus denkbar gewesen war, waren die beiden Gedankengebäude jedoch durchaus vereinbar gewesen, so dass es insbesondere in Deutschland „Rassenanthropologen“ leicht gehabt hatten, Anschluss an den medizinisch geprägten eugenischen Diskurs zu finden (vgl. hierzu den Abschnitt „Biologismus als eine Grundlage von Volksgesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik“ in Kapitel 5). Seit den frühen 2000er Jahren ist die Medizin im Nationalsozialismus in den deutschsprachigen Lehrbüchern zur Medizingeschichte und insbesondere zu denen 12 13 14 15 16 17

Vgl. Lifton, Nazi Doctors. Vgl. Kater, Ärzte als Hitlers Helfer. Vgl. Bleker und Jachertz, Medizin im „Dritten Reich“. Vgl. Mann, „Biologismus – Vorstufen und Elemente einer Medizin im Nationalsozialismus“. Vgl. Weingart, Kroll und Bayertz, Rasse, Blut und Gene. Vgl. Kühl, Die Internationale der Rassisten.

16

2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

des Querschnittsfaches „Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin“ (GTE) breit repräsentiert. Während in der ersten Auflage von Wolfgang Eckarts Geschichte der Medizin18 aus dem Jahr 1990 unter der Subkapitel-Überschrift „Neue Leitwissenschaften und Leitideologien in der deutschen Medizin bis 1945“ noch die Themen „Rassenhygiene“, „Medizin und öffentliche Gesundheitsideologie unter der nationalsozialistischen Diktatur“ und „Leistungsmedizin – Naturheilkunde – Experimente“ auf 6 Seiten behandelt wurden, die in der sechsten Auflage von 200819 immerhin auf 13 Seiten angewachsen sind, wurde dem Thema etwa in einer 2008 in der Reihe „C. H. Beck Wissen“ erschienenen, auf ein breites Publikum ausgerichteten Einführung20 ein eigenes Kapitel eingeräumt. Mittlerweile existiert nicht nur die schon angesprochene, von Robert Jütte herausgegebene kommentierte Bibliographie, sondern auch ein als Zusammenfassung des Forschungsstandes konzipierter Band von Wolfgang Eckart.21 Zum Verhältnis von Medizingeschichte und -ethik Insbesondere für das Fach GTE scheint die Medizin im Nationalsozialismus von hoher Relevanz zu sein. Die Ärztliche Approbationsordnung aus dem Jahr 2002 nennt als eines der sieben Ziele der ärztlichen Ausbildung, sie solle „die geistigen, historischen und ethischen Grundlagen ärztlichen Verhaltens auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes vermitteln.“22 Mit der neunten Novelle der Ärztlichen Approbationsordnung vom 1. Oktober 2003 wurde das Querschnittsfach GTE geschaffen, um diese Vermittlung sicherzustellen. In einem Beitrag im Ärzteblatt identifizierten die Autoren im neu entstandenen Querschnittsfach zu erlernendes Wissen, Haltungen und praktische Fähigkeiten. Zum Wissen zählten sie dabei unter anderem „das Selbstverständnis von Ärzten in Vergangenheit und Gegenwart, die historischen, ethischen und zum Teil auch juristischen Grundlagen der Arzt-Patienten-Beziehung sowie die sich verändernden Wechselbeziehungen zwischen Medizin und Gesellschaft.“

Als zu erlernende ärztliche Haltung wird unter anderem der „Respekt vor Patientenautonomie“ und als zu erlernende praktische Fähigkeiten werden unter anderem „die Wahrnehmung, Begründung und Weiterentwicklung des eigenen moralischen Standpunktes und die Reflexion über die Geschichtlichkeit und Eingebundenheit des Wissens in das jeweilige Weltbild […], [d]ie kritische Analyse von Quellen und Daten [und] die Unterscheidung von fachlichen und moralischen Aspekten der ärztlichen Tätigkeit“23

18 19 20 21 22 23

Eckart, Geschichte der Medizin. Vgl. Eckart, Geschichte der Medizin. Vgl. Leven, Geschichte der Medizin. Vgl. Eckart, Medizin in der NS-Diktatur. Bundesministerium für Gesundheit, „Approbationsordnung für Ärzte“. Stöckel u. a., „Geschichte, Theorie und Ethik. Innovation im Medizinstudium.“, A330–4.

2.1 Forschungsstand

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genannt. Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass das Thema Medizin im Nationalsozialismus nicht nur gut geeignet ist, um die Lehrinhalte zu vermitteln, sondern seine anhaltende Relevanz und seine Aspekte sicherlich auch zu deren Formulierung beigetragen haben. Dies scheint nicht nur für die Lehrinhalte, sondern auch für das Fach GTE zu gelten, wie unten an Veröffentlichungen gezeigt wird, die ausdrücklich Bezug auf das vergleichsweise junge Querschnittsfach nehmen. Im Jahr 1997, als der „hochschulpolitische Ruf nach einer institutionellen Vereinigung von Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin immer lauter vernehmbar“ geworden war, warnte der Medizinhistoriker Stefan Schulz, dass bei der Auswahl historischer Fallbeispiele für medizinethische Erläuterungen „oft weniger die historische Qualität, sondern vielmehr die Brauchbarkeit der Versatzstücke im Vordergrund“24 stehe. Schulz sah insbesondere die Gefahr, dass nur leicht zugängliche historische Literatur eingesetzt und Problematisierungen der Geschichte, der Geschichtsschreibung und damit auch der daraus gezogenen Folgen vernachlässigt würden. In einem Beitrag im selben Band stellte Hans-Peter Kröner die „Bedeutung der NS-Geschichte für die medizinische Ethik“25 bis in die 1980er Jahre hinein dar. Der Autor wies auf die herausragende Rolle des Nürnberger Kodexes für die medizinische (Forschungs-) Ethik und als Grundlage der Deklaration von Helsinki hin. Er kritisierte jedoch die Interpretation der medizinischen Verbrechen im Nationalsozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg als in vielen Fällen ahistorisch und als vernachlässigend dem Handeln der individuellen Akteure gegenüber – immerhin 90.000 Ärzte in Deutschland. Kröner identifizierte zwei Hauptpositionen: Auf der einen Seite stand für ihn der Göttinger Physiologe Friedrich Hermann Rein, der die medizinischen Experimente in Konzentrationslagern als „Werke ‚perverser und sadistischer Psychopathen‘“26 bezeichnet hatte, die durch „die auch heute noch fortschreitende entpersönlichende Kollektivierung des Menschenlebens“27 ermöglicht worden seien. Demgegenüber beschrieb Kröner die Charakterisierung der KZ-Versuche durch Alexander Mitscherlich, der auf Reins Beitrag geantwortet hatte, als „Ergebnis einer Entwicklung der naturwissenschaftlichen Medizin, die nur noch den Objektcharakter des Menschen betone“.28 Kröner kritisierte sowohl Rein als auch Mitscherlich; den ersten deutlich stärker, indem er darauf hinwies, dass Rein durch sein Erklärungsmuster die „Schuld gänzlich verschwinden [ließe], indem er sie einerseits personalisierte und gleichzeitig pathologisierte, andererseits jedoch den Geschichtsablauf zu einem unpersönlichen abstrakten Prozeß erklärte.“29 Kröner kritisierte hier vor allem, dass Rein die 24 25 26 27 28 29

Schulz, „Der Umgang mit Geschichte in aktuellen Lehrbüchern der Ethik in der Medizin“, 31, Hervorhebungen im Original. Kröner, „Bedeutung der NS-Geschichte für die medizinische Ethik“. Ebd., 156. Rein, Wissenschaft und Unmenschlichkeit. Bemerkungen zu drei charakteristischen Veröffentlichungen. Göttinger Universitäts-Zeitung 2 (17/18), 4 (1947), zitiert nach Kröner, „Bedeutung der NS-Geschichte für die medizinische Ethik“. Ebd., 157. Ebd.

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Medizinverbrechen als Taten einzelner, pathologisch böser Ärzte beschrieben und dabei die – mindestens implizite – Billigung der nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik durch die schweigende Mehrheit der Ärzteschaft vernachlässigt habe. Reins Interpretation, die auch durch den Nürnberger Ärzteprozess ermöglicht worden war (s. o.), blieb bis in die 1980er Jahre hinein die in der deutschen Ärzteschaft vorherrschende. Kröner hielt eine solche Interpretation der Medizin im Nationalsozialismus nicht für geeignet, aus ihr moralische Lehren zu ziehen: „Eine solche Sicht der NS-Geschichte konnte keine Bedeutung für die Medizinethik gewinnen: Psychopathen wird es immer geben. Über die Verwerflichkeit ihres Tuns gibt es nichts zu streiten.“30 Als zweite Hauptposition machte Kröner die szientismus- und biologismuskritische Position aus, die er neben Mitscherlich auch bei Viktor von Weizsäcker ausmachte. Dieser hatte von einem „‚Geist der Medizin‘ gesprochen ‚der den Menschen nur als Objekt nimmt‘, und der in Nürnberg unsichtbar auf der Anklagebank gesessen habe“.31 Von Weizsäcker hatte die naturwissenschaftliche Medizin – und implizit die damit verknüpfte biologistische Rassenhygiene – als eine „Art von Medizin“ bezeichnet, „die in sich selbst keine Hemmungen gegen unsittliches Handeln enthält, darum fanden [Ärzte im Nationalsozialismus] auch in dieser Art Medizin keinen Schutz und keine Warnung gegen mögliche unsittliche Handlungen. Man muß es dann dem Richter überlassen, ob dieser Sachverhalt, den ich als Tatbestand ansehen muß, zur Entlastung beitragen kann oder nicht.“32 Insbesondere von Weizsäckers Nachsatz, gemäß dem die Sozialisation in einer naturwissenschaftlich begründeten Medizin potentiell – zumindest juristisch – die Schuld der an Versuchen an Menschen ohne deren Einwilligung in Konzentrationslagern beteiligten Ärzte mindern könne, wurde von Kröner abgelehnt, weil deren Handlungen so als Ergebnis von Zeitumständen und nicht von individuellen Entscheidungen erschienen.33 Das naturwissenschaftskritische Argument erlebt zurzeit eine Renaissance. Am pointiertesten wurde es wohl 1989 in dem bereits genannten Band Medizin im Dritten Reich von Gunter Mann formuliert (s. o.), jedoch gab es auch außerhalb der Medizingeschichte in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren eine Diskussion um den Nationalsozialismus als „pathologische Entwicklungsform der Moderne“.34 In dieser Diskussion trat Detlev Peukert prominent für die These ein, dessen Werk wiederum durch Volker Roelcke auf die Medizingeschichte angewendet worden ist.35 Als gemeinsame Schwäche der beiden großen Erklärungsansätze für das Zulassenkönnen der medizinischen Verbrechen durch die deutsche Ärzteschaft im „Drit30 31 32 33 34 35

Ebd., 158. Ebd., 157. von Weizsäcker, Gesammelte Schriften in zehn Bänden, 133–4. Das Verhältnis von Weizsäckers zur Medizin im Nationalsozialismus problematisiert Böhme, „Den Fall Victor von Weizsäcker ernst nehmen – zur Topik der Bioethik“. Wildt, Geschichte des Nationalsozialismus, 108, vgl. auch die dort genannte Literatur. Vgl. Roelcke, „Medizin im Nationalsozialismus – radikale Manifestation latenter Potentiale modernder Gesellschaften? Historische Kenntnisse, aktuelle Implikationen“.

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ten Reich“ machte Kröner die Vernachlässigung „der idiographischen Beschreibungen wirklicher Akteure in ihren Ambivalenzen und allfälligen Gefährdungen“ aus, die bedingt sei durch die „Abstraktion des Nationalsozialismus“ und der in ihm handelnden „historischen Subjekte“, die nicht mehr als Menschen mit persönlichen, professionellen und sozialen Präferenzen, Ängsten und Motivationen, sondern als „Dämonen, Psychopathen [und] Typen einer allgemeinen historischen Tendenz“36 dargestellt worden seien. Als Konsequenz forderte Kröner, die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus als die von Menschen zu „verstehen, die unter benennbaren Bedingungen handelten, die nicht als Marionetten metahistorischer Prozesse […] gedacht werden“.37 So, fuhr der Autor fort, „können uns diese Geschichten einen Einblick in die ‚conditio humana‘ geben, […] können ein Verständnis wecken für die Verführbarkeit des Menschen, von seinen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten, von dem schmalen Grad [sic] zwischen bürgerlicher Angepaßtheit und entfesselter Unmenschlichkeit.“38

Ziel einer solchen Geschichte der Medizin im „Dritten Reich“, ihrer Verbrechen und Verbrecher sei ein Wissen um deren Opfer „als Teil eines lebendigen Zeitbewusstseins, das gegenwärtige – und auch zukünftige! – Gefährdungen unserer humanen Positionen umfaßt (Mitscherlich)“ und etwa „ein gesundes Mißtrauen gegenüber Unfehlbarkeits- und Omnipotenzansprüchen der Wissenschaft, gegenüber dem Kult des Machbaren und vor allem der ethischen Selbstkontrolle der Wissenschaft“ sowie „das gesellschaftliche Bedürfnis nach Kontrolle bestimmter Anwendungen [und] Anteilnahme an den Entscheidungsprozessen“39 zur Folge haben könne. Somit ist die Geschichte der Medizin, die diesen Anforderungen gerecht wird, auch von politischer und ethischer Relevanz. Historisches Wissen um Brüche der Ethik und Verbrechen in der Vergangenheit führt freilich nicht zwangsläufig zu Wohlverhalten in Gegenwart und Zukunft. So hat etwa Florian Bruns gezeigt, dass die Anpassung an die neuen politischen Gegebenheiten Vertretern der Medizingeschichte, ärztliche Rechts- und Standeskunde und Medizinethik im Nationalsozialismus nicht schwerer gefallen war als Vertretern anderer medizinischer Disziplinen.40 Ein Beispiel dafür ist der Arzt Joseph Gottlieb, Mitglied der NSDAP und SS seit 1933, der ab 1940 Assistent bei Paul Diepgen am Berliner medizinhistorischen Institut war, wo er sich 1942 mit einer Arbeit zur Geschichte des Vitalismus habilitierte. Im Januar 1943 wurde er zum Dozenten für Medizingeschichte an der Universität Graz ernannt, wo sich zu dieser Zeit auch die SS-ärztliche Akademie befand. Gottlieb lehrte sowohl an der Universität als auch an der Akademie. Hinweise auf seine politisch gefärbte Medizingeschichtsschreibung sind etwa seine Charakterisierung Para36 37 38 39 40

Kröner, „Bedeutung der NS-Geschichte für die medizinische Ethik“, 164. Ebd., 170. Ebd., 171. Ebd. Der folgende Abschnitt folgt in wesentlichen Teilen Krischel, „Bruns, Florian: Medizinethik im Nationalsozialismus. Entwicklungen und Protagonisten in Berlin (1939–1945), Stuttgart: Steiner 2009 (Rezension)“.

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celsus’ als „‚Kämpfer gegen das Judentum‘ und als ‚Antisemit nicht nur aus konfessionellen Gründen, sondern aus rassischem Instinkt‘“41und seine Schriftenreihe Ewiges Arzttum, zu deren erstem Band Heinrich Himmler das Vorwort verfasste. An Gottliebs Werdegang wird zudem die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nach 1945 deutlich: 1956 hatte er einen Lehrauftrag und 1960 eine außerplanmäßige Professur an der Universität des Saarlandes erhalten. Erst als 1964 seine Schriften aus der NSZeit öffentlich thematisiert wurden, musste er von seinen Posten zurücktreten. 1939 wurde das neue Pflichtfach „Ärztliche Rechts- und Standeskunde“ in das Medizinstudium eingeführt, um „die nationalsozialistische Gesundheitsideologie in das Medizinstudium zu integrieren [und] eine nach deren Grundsätzen geschulte Ärztegeneration auszubilden“.42 Das Fach wurde häufig von Gerichtsmedizinern vertreten, nur an einer Minderheit der deutschen und österreichischen Universitäten gab es gesonderte Lehraufträge für NS-Gesundheitsbürokraten. Bruns hat anschaulich die Wandelbarkeit von historischer Interpretation, Standesnormen und Ethik illustriert. Standeskunde und Medizingeschichte, die unter den Nationalsozialisten Pflichtfächer geworden waren, dienten der „Selbstvergewisserung und Pflege ärztlicher Ideale“ in einer Zeit der „Radikalisierung nationalsozialistischer Medizinethik“.43 Hieraus wird deutlich, dass Medizingeschichte zwar durchaus für die Medizinethik nutzbar zu machen ist, dass jedoch die ethischen Schlussfolgerungen, die aus der Geschichte gezogen werden, immer auch zeitabhängige Interpretationen sind. Während Stefan Schulz 1997 noch angemahnt hatte, die medizinhistorische und -ethische Interpretation historischer Episoden nicht in Personalunion vorzunehmen,44 insbesondere wohl, weil er wenigen Personen gleichermaßen historischen wie ethischen Sachverstand zugetraut hatte, hat sich seine Position neun Jahre später verändert. Ein Grund dafür mag eben in der Etablierung des interdisziplinären Querschnittsfaches „Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin“ liegen. Die Medizin im „Dritten Reich“ ist in Einführungen und Lehrbüchern zum diesem Fach breit vertreten. Beispiele dafür sind etwa ein 2006 im Suhrkamp-Verlag erschienener Band,45 in dem sich nicht nur ein eigenes Kapitel „Rassenhygiene in Deutschland und Medizin im Nationalsozialismus“ findet, sondern auf das Thema auch in den anderen medizinhistorisch, -theoretisch und -ethisch orientierten Kapiteln immer wieder eingegangen worden ist. Auch in dem 2007 erschienenen Lehrbuch Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin finden sich zwei Kapitel, in denen die „Utopien der Menschenzüchtung: Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert“ sowie die „Medizin im Nationalsozialismus“ thematisiert worden sind,46 in einem weiteren, 2008 erschienenen Lehrbuch47 findet sich ein Kapitel „Medizin im 41 42 43 44 45 46 47

Bruns, Medizinethik Im Nationalsozialismus, 66. Ebd., 106. Ebd., 173. Vgl. Schulz, „Der Umgang mit Geschichte in aktuellen Lehrbüchern der Ethik in der Medizin“, 17. Vgl. Schulz u. a., Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Vgl. Noack u. a., Querschnitt Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Vgl. Bruchhausen und Schott, Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin.

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Nationalsozialismus“; ebenso wie in einem im selben Jahr erschienenen, von Ortrun Riha verfassten Lehrbuch.48 In dem Suhrkamp-Band sind auch drei einführende Kapitel zur Medizinethik, -geschichte und -theorie enthalten. In dem Kapitel „Moral, Ethik, Medizinethik“ hat Klaus Steigleder als „[p]rominente Themen der Medizinethik […] die Beziehung zwischen Arzt und Patient, die Rahmenbedingungen ärztlichen Handelns, der medizinischen Versorgung allgemein und des Gesundheitswesens sowie die medizinische Forschung“49 benannt. Diesen Themen ist nicht nur gemein, dass sie von anhaltender Relevanz für die Medizin und Medizinethik sind, sondern auch, dass sie an Fallbeispielen aus der Geschichte der Medizin im „Dritten Reich“ problematisiert werden können. Wie eine solche historische Problematisierung ethisch nutzbar gemacht werden kann, hat Stefan Schulz in dem Kapitel „Medizingeschichte(n)“ beschrieben. Auch wenn der Autor eine pauschale Vereinnahmung der Medizingeschichte „als ‚beste Schule ärztlicher Ethik‘ (Sudhoff 1906), als ‚bestes Fundament für den Aufbau der ärztlichen Ethik und die Orientierung in schwierigen Standesfragen‘ (Diepgen, 1920)“50 kritisch hinterfragt hat, sieht er doch die Möglichkeit, sie insbesondere in der deskriptiven Ethik und als „Modell des ‚zukunftsfähigen Erinnerns‘“ einzusetzen. Unter der Annahme, dass „ethische Probleme der Gegenwart sowie individuelle moralisch relevante Haltungen einzelner Menschen zumindest auch Produkte historischer Prozesse sein könnten“, könne die Geschichte zur deskriptiven Ethik beitragen, wenn sie „auf die ihr mögliche Art und Weise Transparenz und Verständlichkeit im Hinblick auf die Entstehung der aktuellen moralischen Problemfelder“51 schaffe. Durch die historische Analyse von „Erfahrungen der Vergangenheit“, die heute auch moralische Intuitionen prägen können, wird also ein „zukunftsfähiges Erinnern“ möglich, d. h., aus negativen Erfahrungen und ethischen Bewertungen der Medizin im Nationalsozialismus kann ein „Imperativ der Zukunftsgestaltung“52 gewonnen werden, Medizin heute anders zu betreiben. Vor dem Hintergrund dieser zentralen Bedeutung des Themas für das Fach GTE nimmt es nicht wunder, dass die Herausgeber eines 2012 erschienenen Bandes die Medizin im Nationalsozialismus als ein „Achsenthema des Querschnittsfaches“ bezeichnet und der Medizingeschichte seit den „1980er Jahren in der Bundesrepublik eine erinnerungspolitische Aufwertung durch die Aufarbeitung der von den Ärzten im NS-Staat begangenen Verbrechen“53 bescheinigt haben. Während diese Arbeit eine historische ist und ich mich weitestgehend expliziter moralischer Urteile zu enthalten gedenke, hat sie aber in diesem Sinn doch eine medizinethische Seite. So wird durch das Benennen von geschehenem Unrecht dem Leser die Möglichkeit gegeben, daraus einen Imperativ des Nicht-Unrecht48 49 50 51 52 53

Vgl. Riha, Grundwissen Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin. Steigleder, „Moral, Ethik, Medizinethik“, 24. Schulz, „Medizingeschichte(n)“, 48. Ebd., 51, Hervorhebungen im Original. Ebd., 54. Polianski und Fangerau, „Zwischen Mythos und Evidenz? Legitimationsdruck und Theoretisierungszwang in der Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin“, 21.

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Tuns abzuleiten. Insbesondere werde ich aber diskutieren, inwiefern Handlungen einzelner Akteure – in dieser Arbeit insbesondere Ärzte in den 1930er bis 1950er Jahren – sowie ihrer Fachgesellschaften auch Produkte sozialer, politischer, kultureller und historischer Prozesse sein können. Die Frage nach der relativen Macht dieser äußeren Faktoren und persönlicher Entscheidungen wird eine der leitenden Fragestellungen dieser Arbeit sein. Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus: Ein Überblick Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 kam es in weiten Teilen der Politik und Gesellschaft zu Umbrüchen, in denen Rhetorik und Handeln radikalisiert wurden. In vielen Fällen bereits vorher gehegte Vorurteile gegen Minderheiten und politische Gegner der nationalsozialistischen Bewegung machten sie zu Zielen diskriminierender, ausschließender und z. T. mörderischer Aktionen von Einzelnen, Partei- oder Staatsorganisationen, die immer weiter auch gesetzlich legitimiert wurden. Dies gilt geradezu musterhaft für die Medizin, wie an verschiedenen Stellen gezeigt worden ist.54 Im Folgenden soll eine kurze Zusammenfassung des Forschungsstandes zur Medizin im Nationalsozialismus gegeben werden. Dabei werden vier Themenfelder als zentral skizziert: erstens die Ermordung von Menschen mit Behinderungen in den dezentralen und zentralen „Euthanasie“-Aktionen, zweitens die medizinischen Versuche an Menschen ohne deren Einwilligung, drittens die Erhebung der Rassenhygiene zur Staatsdoktrin und die Legitimation von damit zusammenhängenden Maßnahmen wie etwa Eheverboten und der Zwangssterilisation, und viertens die Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung der Ärzteschaft. Diese ermöglichte nicht nur die Durchsetzung der Maßnahmen der ersten drei Felder, sondern auch die Diskriminierung und Vertreibung jüdischer, jüdischstämmiger und politisch missliebiger Ärzte. Diese vier zentralen Themenfelder und die darin einzuordnenden historischen Vorgänge sind miteinander verwoben und fußen auf einigen wesentlichen Ideen, die das (Selbst-)Verständnis der Ärzteschaft und ihre Verpflichtungen betreffen. Verpflichtet nämlich sollte der deutsche Arzt nicht länger dem Wohl des individuellen Patienten sein, sondern der Volksgesundheit. Der Begriff des Volkes wiederum war eng mit rassischen und rassistischen Theorien verbunden, die es erlaubten, viele Minderheiten, darunter etwa „Juden“ oder „Zigeuner“ auszuschließen. Gemeinsam mit einer starken Einbindung der Rassenhygiene als deutsche Spielart der auch international weit verbreiteten Eugenik bekam die „Erbgesundheit“ ein großes Gewicht in der Gesundheitspolitik, so dass Menschen mit – tatsächlich oder angeblich – erblichen Krankheiten auch aus der Gruppe derer ausgeschlossen wurden, denen der Arzt verpflichtet sein sollte. Nur durch eine solche Unterscheidung in Menschen, die im Fokus der ärztlichen Bemühungen stehen sollten, den sog. Volksgenossen, und denen, die nicht oder nicht mehr Teil dieser Gruppe waren, lassen 54

Vgl. Kudlien, Ärzte im Nationalsozialismus; Bleker und Jachertz, Medizin im „Dritten Reich“; Jütte, Medizin und Nationalsozialismus.

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sich auch die Argumente für medizinische Versuche an Personen ohne deren Einwilligung nachzeichnen. Diesen Personen wurde offensichtlich zusammen mit der Gruppenzugehörigkeit auch der Status als moralisches Subjekt aberkannt. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges verschärfte sich die Situation noch mehr.55 Von nationalsozialistischer Gesundheitspolitik zu sprechen, bedeutet damit auch immer gleichzeitig von Rassen- und Bevölkerungspolitik zu sprechen. Volker Roelcke hat darauf hingewiesen, dass sich durch die gleichzeitige Etablierung der „Erbgesundheitsbürokratie“ und Vertreibung missliebiger Mediziner die Karrierechancen von Ärzten nach 1933 deutlich verbesserten. Er hält es für denkbar, dass dies ein Grund für den hohen Grad der Zustimmung der Ärzteschaft dem neuen Regime gegenüber war. Gleichzeitig veränderte sich auch der Inhalt der medizinischen Forschung: Erblichkeit von Krankheiten rückte in ihren Fokus und wurde als Erklärung gegenüber soziologischen und psychodynamischen Begründungen bevorzugt.56 Zu diesen breiten Forschungsschneisen kommen in den letzten Jahren auch Fragen der Patientengeschichte. So wurden Fragen der Patientenversorgung an der „Heimatfront“ und „im Felde“,57 wie auch unter den prekären Bedingungen der Zwangsarbeit58 und der Konzentrationslager59 angeschnitten. Für die Geschichte von medizinischen Fachgesellschaften ist die Frage nach Prozessen und Motivationen der institutionellen Gleichschaltung von besonderer Relevanz. Der Ärztevereins- und Hartmannbund begannen die (Selbst-)Gleichschaltung der deutschen Ärzteschaft bereits im März 1933.60 Im Juni desselben Jahres legten die beiden Bünde den Entwurf einer Reichsärzteordnung vor, die gleichzeitig für die „berufsständische[] Eingliederung eines Berufszweiges [der Ärzteschaft] in den Staat“61 wie für die Durchsetzung zentraler Ziele der Ärzteschaft sorgen sollte. Dazu gehörten insbesondere die Abschaffung der Kurierfreiheit, die Ärzten ein Monopol in der Gesundheitsversorgung sicherte, die Herauslösung der Ärzte aus der Gewerbeordnung, die sie von der Gewerbesteuer befreite, und die Errichtung einer Reichsärztekammer.62 Während diese Ziele erst mit der Reichsärzteordnung von 1935 umgesetzt wurden, war es bereits im August 1933 zur Gründung der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands gekommen, die den seit der Weimarer Republik politisch einflussreichen Krankenkassen gegenüber mit einer Stimme die Interessen der Kassenärzte vertreten sollte. Die Orientierung an der „Volksgesundheit“ anstatt am individuellen Patientenwohl findet sich auch in der Reichsärzteordnung festgeschrieben, indem sie etwa Ärzte von der Schweigepflicht entband, „wenn ein 55 56 57 58 59 60 61 62

Vgl. Süß, Der „Volkskörper“ im Krieg. Vgl. Roelcke, „Medicine during the Nazi Period: Historical Facts and some Implications for Teaching Medical Ethics and Professionalism“, 2010, 18. Vgl. etwa Rohrbach, Augenheilkunde im Nationalsozialismus. Vgl. Frewer und Siedbürger, Medizin und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Vgl. Hahn u. a., Medizin im Nationalsozialismus und das System der Konzentrationslager; Winau, „Medizinische Experimente in den Konzentrationslagern“. Vgl. Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“. Ebd., 173. Vgl. ebd., 174.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

solches Geheimnis zur Erfüllung einer Rechtspflicht oder einer sittlichen Pflicht oder sonst zu einem nach gesundem Volksempfinden berechtigten Zweck offenbart“63 würde und die Ärzteschaft aufforderte, „zum Wohle von Volk und Reich für die Erhaltung und Hebung der Gesundheit, des Erbgutes und der Rasse des deutschen Volkes zu wirken.“64 An dieser Stelle wird auch die enge Verzahnung von Gesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik deutlich, deren gemeinsame Förderung Aufgabe der Ärzteschaft war. Martin Rüther hat den hohen Organisationsgrad von Ärzten in NS-Parteiorganisationen insbesondere durch das große Interesse der Ärzte an einem Zustandekommen von Kassenärztlicher Vereinigung und Reichsärzteordnung erklärt. Als Argument dafür hat er insbesondere einen Rückgang der Bewerberzahlen für NS-Organisationen nach 1935 angeführt. Neben wirtschaftlichen Interessen, die sicherlich eine wichtige Rolle spielten, können jedoch auch noch andere Gemeinsamkeiten eines großen Anteils der Ärzteschaft und der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik gefunden werden. Dazu gehört insbesondere die Betonung der „Rassenhygiene“ als Mittel der Wahl zur Umsetzung der Volksgesundheit. Unter verschiedenen Namen war die Eugenik von vielen Ärzten als Mitgliedern eines gebildeten Bürgertums seit Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert worden, und unter konservativen Kräften waren auch Zwangsmaßnahmen bereits vor 1933 diskutiert und gefordert worden.65 Auch der Zuwachs an sozialem Status, den der Arztberuf im Nationalsozialismus erfuhr, mag bei einigen Standesvertretern Sympathien den neuen Machthabern gegenüber geweckt haben. Der NS-Ärztefunktionär Paul Sperrling beschrieb die Führungsriege der Ärzteschaft nach dem Krieg insbesondere als unpolitische Technokraten. Er schrieb: „Das Institut der geschäftsführenden Ärzte hatte seine Standfestigkeit bewiesen, man brauchte nämlich vielfach die gleichen Spezialisten unter Ebert, Hindenburg, Hitler, Heuß und Lübke. Sie waren letzten Endes zumeist ziemlich unpolitisch und hielten nur als Fachleute die Maschinerie der Verwaltung in Gang, ob das Signal auf rosa, braun oder schwarz-rot-gold stand.“66

Diese Sichtweise scheint naiv, denn zu den ersten Handlungen, die die gleichgeschalteten ärztlichen Standesorganisationen betrieben, gehörte die Vertreibung der von den Nationalsozialisten als unerwünscht bestimmten Gruppen aus ihren eigenen Reihen, unabhängig von fachlichem Wissen und Können. Zu diesen Gruppen gehörten insbesondere „nicht-arische“, sozialistische und kommunistische Mediziner. Als „nichtarisch“ galt im Zweifelsfall, wer nicht beweisen konnte, dass seine vier Großeltern „arisch“ gewesen waren, und insbesondere, wer jüdische Eltern oder Großeltern hatte. Das religiöse Bekenntnis zum Christentum – es war schon im Kaiserreich und der Weimarer Republik nicht unüblich, dass sich in mosaischem Glauben aufgewachsene Deutsche evangelisch oder katholisch taufen ließen, teils als Bekenntnis zur 63 64 65 66

§ 13 RÄO, zitiert nach ebd., 175. § 19 RÄO, zitiert nach ebd., 174. Vgl. Weiss, „Wilhelm Schallmayer and the Logic of German Eugenics“. Sperrling, Pg. Aesculap. Beitrag zur Geschichte der autoritär verwalteten Ärzteschaft. Unveröffentlichtes masch. Manuskript (1965), zitiert nach Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“, 145.

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„Mehrheitsgesellschaft“ oder aus Karrieregründen, teils aus persönlicher religiöser Präferenz – machte in der nationalsozialistischen Klassifikation keinen Unterschied. Im Jahr 1933 praktizierten in Deutschland zwischen 8.000 und 9.000 Ärzte, die als jüdisch klassifiziert wurden. Gemessen an der Gesamtzahl von 52.000 Ärzten macht dies einen Anteil von 15–17 % aus. Der Anteil variierte stark, sowohl nach Fachrichtungen (beispielsweise in der Kinderheilkunde, Dermatologie und Urologie deutlich höher, in der Chirurgie deutlich niedriger) als auch je nach ländlicher oder städtischer Wohnlage.67 Michael Hubenstorf hat bemerkt, dass dieser Trend in besonderem Maße für die beiden wichtigsten deutschsprachigen Wissenschaftsstandorte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Berlin und Wien, galt. So hat er bemerkt, dass in Berlin 52 % der Kassenärzte und 43 % der Hochschullehrer im Bereich Medizin und in Wien 68 % der Ärzte und 51 % der Hochschullehrer nach nationalsozialistischer Gesetzgebung als Juden klassifiziert wurden. Zudem hat er festgestellt, dass vor allem neuere Spezialfächer wie etwa die Neurologie und Neuropathologie, Kinderheilkunde, Sozialhygiene, innere Medizin und (in Berlin) Urologie von als jüdisch klassifizierten Ärzten vertreten wurden, die ab 1933 bzw. 1938 aus ihren Positionen gedrängt wurden. In jedem dieser Fälle waren mehr als die Hälfte und bis zu 100 % der Fachvertreter betroffen.68 Zu den Maßnahmen gegen jüdische Ärzte gehörten zum einen die Appelle etwa des Vorsitzenden des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB) Gerhard Wagner an die Ärzteverbände und Fachgesellschaften, die in aller Regel zu einer schnellen Verdrängung von Juden aus Vorständen und Herausgeberschaften führten, sowie an die allgemeine Bevölkerung, jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und Geschäfte zu meiden. Jedoch wurden auch bereits etablierte antisemitische Klischees aufgegriffen und gepflegt, wie etwa von „an Hypnose, Psychoanalyse und Sexualwissenschaft“ beteiligten, moralisch unzuverlässigen Ärzten, die deshalb „für weibliche Patienten nicht vertrauenswürdig“ seien. So wurde etwa propagiert: „Eine deutsche Frau, ein deutsches Mädchen geht nicht zum jüdischen Arzt!“69 Da jedoch Propaganda allein nicht auszureichen schien, begann die NS-Führung bereits kurz nach der Machtübernahme 1933 per Gesetz den „beruflich freie[n] und ethisch hochstehende[n] deutschen Ärztestand – frei von jüdischem Einfluß in seinen Reihen“70 zu schaffen, den sie bereits 1930 gefordert hatte. Teilweise wurden diese Gesetze ökonomisch begründet: Es wurde argumentiert, Juden seien an den Universitäten und insbesondere an den medizinischen Fakultäten ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung gegenüber überrepräsentiert. Deshalb sollten gemäß dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933 an jeder Fakultät jährlich nicht mehr als 1,5 % „nicht-arische Deutsche“ aufgenommen werden. Ein Indiz dafür, dass das ökonomische Argument vor allem deshalb ausgewählt wurde, weil es den Nationalsozialisten gelegen kam, kann darin gesehen wer67 68 69 70

Vgl. ebd., 152. Vgl. Hubenstorf, „Ende einer Tradition und Fortsetzung als Provinz. Die Medizinischen Fakultäten der Universitäten Berlin und Wien 1925–1950“, 41–2. Kümmel, „Die Ausschaltung rassisch und politisch mißliebiger Ärzte“, 31. Ebd., 32.

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den, dass durch eine Zusatzverordnung desselben Gesetzes zeitweise auch die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium auf 10 % limitiert war, obwohl sie weder als Ärztinnen noch auch Studierende überdurchschnittlich stark vertreten waren. Beamtete Mediziner, einschließlich Professoren und unbesoldeten Honorarprofessoren, wurden auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 aus ihren Positionen gedrängt. Das Gesetz bot mehrere Ansatzpunkte: Nach § 3, Absatz 1 waren „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind […] in den Ruhestand zu versetzen; soweit es sich um Ehrenbeamte handelt, sind sie aus dem Amtsverhältnis zu entlassen.“ Dies galt, gemäß Absatz 2, zunächst „nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind.“ Es ist jedoch anzumerken, dass der „Frontkämpferstatus“ sehr kritisch überprüft wurde und etwa Ärzte, die zwar im Kriegsdienst gewesen, jedoch abseits der Front in einem Reservelazarett Dienst getan hatten, ihn nicht zuerkannt bekamen. Die „Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes“ vom 11. April 1933 klärte, was unter „nicht arischer Abstammung“ zu verstehen war. In Absatz 2.1 hieß es dort: „Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat.“ In Zweifelsfällen hatte laut Absatz 2.3 ein „beim Reichsministerium des Inneren bestellte[r] Sachverständige[r] für Rassenforschung“ zu entscheiden. Diese breite, nationalsozialistische Definition von „nicht arisch“ bzw. „jüdisch“ war verantwortlich für die große Anzahl der auf Grund des Gesetzes entlassenen Personen. Personen, die selbst in diese breite Kategorie nicht einzuordnen waren, konnten nach § 4 desselben Gesetzes auch noch entlassen werden, wenn sie „nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß [sie] jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ würden. Dies betraf insbesondere sozialistische und kommunistische Ärzte. Für diejenigen Mediziner und Medizinstudierenden, welche nicht vom System ausgegrenzt wurden und bereit waren, sich zumindest nicht offensiv dagegen zu stellen, gab es nach 1933 tatsächlich einige Vorteile: Die Zahl der in Deutschland tätigen Ärzte stagnierte zwar von 1932 bis 1935 bei etwa 52.300, gleichzeitig erlebte Deutschland jedoch die erste Ausreisewelle jüdischer Mediziner, so dass viele Stellen neu besetzt werden mussten. Bis 1939 stieg die Zahl der Ärzte auf 59.500 und bis 1942 sogar auf 64.500.71 Insbesondere der letzte Anstieg dürfte aber auf eine verkürzte, auch qualitativ eingeschränkte Ausbildung während des Krieges zurückzuführen sein, denn an der Front wurden Sanitätsoffiziere gebraucht. Dies spiegelt sich auch am relativen Anteil der Medizinstudierenden an der Gesamtstudierendenschaft wider, der von 25,1 % im Jahr 1933 über 52,7 % im Jahr 1939 auf schließlich 58,7 % im Jahr 1943 anstieg. Bereits ab 1933 waren die Fächer Luftfahrtmedizin und Kampfgasschutz zu Pflichtkursen des Medizinstudiums gewor71

Vgl. Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“, 154–6.

2.1 Forschungsstand

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den, was ein Hinweis darauf ist, dass bereits zu diesem Zeitpunkt für den Kriegsdienst qualifizierte Ärzte ausgebildet werden sollten.72 Ärzte, die als Bewahrer von Volksgesundheit und Arbeitskraft, aber auch als potentielle Feldärzte wichtige Rollen als Stützen der nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik spielen sollten, wurden ab 1933 finanziell deutlich besser gestellt. Eine Untersuchung und Interpretation dieses Umstandes sowie der erheblichen Bandbreite der Einkommen im Fach Urologie folgt in Kapitel 4. Medizinische Fachgesellschaften im Nationalsozialismus Etwa seit dem Jahr 2000 wird die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus auch in der Form von Kollektiv- oder Institutionenbiographien geschrieben. Ein Grund dafür mag sein, dass die Medizin im Nationalsozialismus mittlerweile ein so anerkannter Teil der Disziplin Medizingeschichte geworden ist, dass eine Übersichtsarbeit, die auch die Geschichte von Universitäten, medizinischen Akademien73 oder städtischer74 sowie privater75 Krankenhäuser in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einschließt, dem Nationalsozialismus einen angemessenen Raum einräumen muss, so sie nicht riskieren will, für dieses Versäumnis gescholten zu werden. So hat etwa Robert Jütte in einer Rezension des Bandes zum 100-jährigen Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Urologie im Ärzteblatt bemerkt: „Der Rückblick auf das hundertjährige Bestehen einer Fachgesellschaft hätte eine ausgezeichnete Gelegenheit geboten, dieses dunkle Kapitel [gemeint ist die Geschichte der Fachgesellschaft im Nationalsozialismus und insbesondere die Vertreibung der jüdischen und jüdischstämmigen Mitglieder] gebührend aufzuarbeiten.“76

Auch einige eigens der Geschichte bestimmter medizinischer Institutionen im Nationalsozialismus gewidmete Bände sind in dieser Zeit erschienen. Insbesondere erwähnenswert sind hier die Arbeiten zu den Universitäten Tübingen,77 Jena78 und Heidelberg,79 sowie zu den medizinischen Fakultäten in Bonn,80 Gießen,81 Berlin82 und Düsseldorf.83 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. ebd., 159. Vgl. Halling und Vögele, 100 Jahre Hochschulmedizin in Düsseldorf 1907–2007. Vgl. Moll und Frank, Kölner Krankenhaus-Geschichten. Vgl. Fartwsi, Die Entwicklung der Klinik Golzheim (1926–2006). Jütte, „Urologie: Solide Technikgeschichte“. Vgl. Wiesing u. a., Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus. Vgl. Hoßfeld, John und Lemuth, „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus. Vgl. Eckart, Sellin und Wolgast, Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Vgl. Forsbach, Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Vgl. Klein, Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Vgl. Schleiermacher und Schagen, Die Charité im Dritten Reich. Koppitz, Halling und Fangerau, „Nazifizierung und Entnazifizierung am Beispiel der Medizinischen Akademie Düsseldorf“.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

Auch medizinische Fachgesellschaften beginnen sich mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.84 Der erste Autor, der das Thema in deutscher Sprache für eine Fachgesellschaft umfassend bearbeitet hat, ist Eduard Seidler, der im Jahr 2000 eine Studie über die im Nationalsozialismus entrechteten, geflohenen und ermordeten Kinderärzte vorgelegt hat.85 Das Buch gilt bis heute als Vorbild für die Aufarbeitung der Geschichte einer medizinischen Fachrichtung. Aus der Tatsache, dass aber auch dieses Buch erst erschienen ist, als die Medizin im Nationalsozialismus als Thema bereits fest etabliert war, wird deutlich, dass bis dahin in medizinischen Fachgesellschaften offensichtlich kein Bewusstsein für den Stellenwert einer Vergangenheitsbeschreibung und -verarbeitung existiert hatte, wenn es nicht in vielen Fällen sogar Widerstand dagegen gegeben hatte. Ein zentrales Ergebnis von Seidlers Studie ist, dass 1933 jeder zweite Kinderarzt in Deutschland gemäß den NS-Rassengesetzen als „Nicht-Arier“ galt. Dies weist darauf hin, dass die Anteile der ausgegrenzten und verfolgten Personen in den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen höchst unterschiedlich waren. Eine weitere Fachrichtung mit einem deutlich überdurchschnittlichen Anteil als jüdisch klassifizierter Ärzte bildete die Dermatologie. Zur Geschichte der Dermatologie im Nationalsozialismus liegen zwei Monographien vor: Zunächst ist in englischer Sprache die von Wolfgang Weyers erschienen, in der der Autor die Geschichte der Dermatologie und Dermatopathologie breit in die Geschichte des Nationalsozialismus eingeordnet hat.86 Sven Eppinger ist detailliert auf das Schicksal der jüdischen Dermatologen Deutschlands im Nationalsozialismus87 eingegangen. Seine Arbeit ist kollektivbiographisch ausgerichtet und nimmt Vertreibung, Emigration und Schicksale in den Zielländern in den Blick. Dabei hat Eppinger festgestellt, dass etwa der Hälfte der von ihm untersuchten Personen die Emigration gelungen war. Recht umfassend hat Jens Martin Rohrbach die Geschichte der Augenheilkunde im Nationalsozialismus88 beschrieben. Neben der exemplarischen Aufarbeitung einzelner Schicksale verfolgter Mediziner besticht die Arbeit besonders durch die ausgewogene Analyse des Faches im „Dritten Reich“. Diese umfasst sowohl hochschul- und fachpolitische Fragen wie die Besetzung von Lehrstühlen, den Umgang der Fachgesellschaft mit ihren jüdischen Mitgliedern und internationale wissenschaftliche Kontakte sowie die ophthalmologische Praxis im Krieg, an der „Heimatfront“ und in Konzentrationslagern. Außerdem hat er nach der Verstrickung von Ophthalmologen in Menschenversuche, den Auswirkungen der Rassenhygiene auf die Augenheilkunde und Zwangsarbeitern in Augenkliniken gefragt. Während die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in den 1970er Jahren ihre Rolle als Fachgesellschaft sowie die ihrer Mitglieder im Nationalsozialismus recht unkritisch gesehen hatte (s. o.), 84 85 86 87 88

Vgl. Jütte, „Die Vertreibung jüdischer und staatsfeindlicher Ärztinnen und Ärzte“, 87–8. Vgl. Seidler, Jüdische Kinderärzte 1933–1945. Vgl. Weyers, Death of Medicine in Nazi Germany. Eppinger, Das Schicksal der jüdischen Dermatologen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus. Rohrbach, Augenheilkunde im Nationalsozialismus.

2.1 Forschungsstand

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hat die Forschung zur Rolle der Psychiatrie im Nationalsozialismus sowie die Erkenntnis, dass psychiatrische Patienten als Opfer der Patientenmorde im Rahmen der „Kindereuthanasie“, der „Aktion T4“ und der dezentralen „Euthanasie“ besonders im Fokus der nationalsozialistischen Patientenmorde standen, zu einem Umdenken geführt. Während eine Monographie zur Rolle der psychiatrisch-psychotherapeutisch-neurologischen Fachgesellschaft (noch) nicht vorliegt, hat diese ihre NS-Vergangenheit in einer Ausstellung und Gedenkveranstaltung sowie einem Beitrag in der mit ihr affiliierten medizinischen Zeitschrift im Jahr 2010 breit thematisiert.89 Ein Jahr darauf sind ein Band erschienen, der die Gedenkveranstaltung dokumentiert90, und die reich mit Fußnoten versehene und damit einem bibliographischen Aufsatz gleichende Rede des Präsidenten der Gesellschaft. Sie wurde vom „Vorstand der DGPPN am 23. November 2010 als Dokument der Gesellschaft einstimmig verabschiedet“ und ist über die Internetseite der DGPPN verfügbar.91 Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie hat 2011 einen Band vorgelegt, der sich auf die Karrieren der Präsidenten der Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 sowie auf die vertriebenen Mitglieder konzentriert. Anhand dieser Biographien wird die politische Dimension der Besetzung von Positionen im Nationalsozialismus sowie die Kontinuität vieler Karrieren im Nachkriegsdeutschland deutlich.92 Ausgangspunkt für die Erforschung der Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus war das einhundertste Jubiläum der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Urologie im Jahr 2006. Aus diesem Anlass hat der Arbeitskreis Geschichte der Urologie einen Sammelband93 veröffentlicht, in dem sich Urologen zum ersten Mal kritisch mit der Vergangenheit des eigenen Faches und der Fachgesellschaften im „Dritten Reich“ auseinandersetzten. Der Berliner Medizinhistoriker Rolf Winau war ursprünglich als Mitarbeiter in dem Projekt avisiert. Durch seinen Tod im Jahr vor der Drucklegung kam es bedauerlicherweise nicht dazu, dass Medizinhistoriker mit besonderer Expertise für die Medizin im „Dritten Reich“ in die Gestaltung des Bandes miteinbezogen wurden,94 so dass eine Einordnung der Vorgänge in der Urologie wie etwa die Vertreibung als „nicht-arisch“ klassifizierter Urologen und die Anpassung führender Persönlichkeiten an die nationalsozialistische Gesundheitspolitik zu diesem Zeitpunkt nicht in einen breiteren historischen Kontext gestellt wurden. Zwar ist das begangene Unrecht an den vertriebenen Ärzten benannt und deutlich gemacht geworden, dass sich die verbliebenen Urologen und ihr Fach in einem Prozess einer „geschmeidigen Anpassung“ in die Politik des nationalsozialistischen Regimes eingefügt hatten, aber die quantitative Dimension der Vertreibung, die 89 90 91

92 93 94

Vgl. Roelcke, „Psychiatrie im Nationalsozialismus. Historische Kenntnisse, Implikationen für aktuelle ethische Debatten“. Vgl. Schneider, Psychiatrie im Nationalsozialismus. Schneider, „Psychiatrie im Nationalsozialismus – Erinnerung und Verantwortung – Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde“, http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/presseservice-kongresse/2010/kongress2010-gedenkveranstaltung-rede-schneider.pdf (30.11.2012). Vgl. Sachs u. a., Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, 1933–1945. Vgl. Arbeitskreis Geschichte der Urologie, Urologie in Deutschland. Persönliche Mitteilung von Friedrich Moll (1.2.2011).

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

einzelnen Schicksale der in die Emigration oder den Tod getriebenen Personen und das Maß, in dem die neue Fachelite politisches Wohlverhalten gegen fachpolitische und persönliche Vorteile eingetauscht hatte, war noch nicht bekannt. Um diesem Desiderat abzuhelfen, trat die DGU im Frühjahr 2009 an medizinhistorische Institute heran, um ein kooperatives Forschungsprojekt zu beginnen.95 Zwischen den Jahren 2009 und 2011 arbeiteten dann Mediziner und Medizinhistoriker aus Deutschland, Österreich und den USA gemeinsam an der Geschichte der Urologie und ihrer Fachvertreter im Nationalsozialismus. Schlaglichter wurden dabei insbesondere auf die Lebenswege bedeutender, von den Nationalsozialisten als „nicht-arisch“ klassifizierte und dann diskriminierte und vertriebene Ärzte gelegt, wobei Einzelbiographien zu bekannten Fachvertretern wie Leopold Casper,96 Alexander von Lichtenberg,97 Paul Rosenstein,98 und James Israel,99 aber auch Sammelbiographien zu in Berlin,100 Hamburg101 und Wien102 tätigen Urologen erschienen. Von besonderer Bedeutung sind eine Sammlung von Kurzbiographien von 241 im Nationalsozialismus verfolgten Urologen103 sowie Arbeiten zur Emigration,104 insbesondere in die USA.105 Auch zur Gleichschaltung des Faches106 und zu den sich daraus ergebenden berufspolitischen Veränderungen107 in Deutschland108 und Österreich109 sowie zu 95 Vgl. Krischel u. a., „Forschungsperspektiven zur Geschichte der Urologie in Deutschland, 1933–1945“. 96 Vgl. Moll, Rathert und Fangerau, „Urologie und Nationalsozialismus am Beispiel von Leopold Casper (1859–1959)“. 97 Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“; sowie Krischel und Moll, „Alexander von Lichtenberg (1880–1949): Scholar, Physician, Migrant“. 98 Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Paul Rosenstein 1875–1964 – zerrissene Biographie eines jüdischern Urologen“. 99 Vgl. Schultheiss, „The urologist James Israel through the eye of the artist Max Liebermann: a story of two masters in Berlin“. 100 Vgl. Moll, „Zerrissene Leben: Das Schicksal jüdischer Urologen zwischen ‚Ausschaltung‘, Emigration und Wiedergutmachung“. 101 Vgl. Bellmann, „Hamburger jüdische Urologen“. 102 Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“. 103 Vgl. Bellmann, „Kurzbiographien der jüdischen und aus dem Judentum stammenden Urologen“, 2011. 104 Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“. 105 Vgl. Moll und Engel, „Zur Emigration von Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“. 106 Vgl. Krischel, Moll und Fangerau, „Die 1907 gegründete ‚Deutsche Gesellschaft für Urologie‘ und die ‚Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen‘ im Nationalsozialismus“. 107 Vgl. Fangerau, „Urologie im Nationalsozialismus – Eine medizinische Fachgesellschaft zwischen Professionalisierung und Vertreibung“. 108 Vgl. Moll, Krischel und Fangerau, „Urology in Germany, Nazism and World War II“; sowie Krischel, „Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung der deutschen Urologie im Nationalsozialismus“; und Krischel, Moll und Fangerau, „German Urology under National Socialism“. 109 Vgl. Hubenstorf, „Urologie und Nationalsozialismus in Österreich“.

2.2 Leitende Fragestellungen

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den Karrieren von im Nationalsozialismus führenden Urologen110 sind Untersuchungen erschienen. Schließlich gibt es noch Arbeiten zur medizinischen Praxis des Faches im „Dritten Reich“, einschließlich der Sexualwissenschaft,111 Geschlechtskrankenfürsorge112 und Sterilisation und Kastration.113 Die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der deutschen Urologie nach 1945 ist aufgeworfen,114 verdient aber noch weitere Bearbeitung. Viele der bis 2011 vorliegenden Ergebnisse sind in einem zweibändigen Werk unter dem Titel Urologen im Nationalsozialismus: Zwischen Anpassung und Vertreibung versammelt. Absichtlich stehen dabei die Urologen als handelnde Personen und in Opferrollen gedrängte Subjekte im Mittelpunkt der Analyse.115 Auch die Rolle der Fachgesellschaft als für ihre Mitglieder identitätsstiftende Institution116 wird darin angesprochen (vgl. dazu auch Kapitel 4). Im Anschluss an und in der Zuspitzung der bereits bearbeiteten Fragen soll in dieser Arbeit fokussiert die politische Dimension einer Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus weiter erforscht werden. Um diese pointiert aufzuzeigen, werden zunächst zwei leitende Fragestellungen vorgestellt. 2.2 LEITENDE FRAGESTELLUNGEN Aus der komplexen Gemengelage der Medizin im „Dritten Reich“ hat der Gießener Medizinhistoriker Volker Roelcke gefolgert, dass die Ziele und Handlungen der Mediziner im Nationalsozialismus nur in ihrem Kontext adäquat verstanden werden können. Dieser schließt erstens die spezifischen, vom politischen System geschaffenen Herausforderungen und Möglichkeiten, und zweitens die explizit und implizit mit den Begriffen Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Dienste von Nation und Rasse verknüpften Werte ein.117 Um jedoch das Verhalten von Individuen zu erklären, reicht die Kenntnis des Kontextes nicht aus. Ein Arzt konnte sich um Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer anderen Parteiorganisation bewerben oder dies nicht tun. Mitgliedschaft war sicherlich der Karriere förderlich, aber selbst dann gab es zwischen NS-Kraftfahrkorps und Allgemeiner SS noch große Unter110 Vgl. Krischel, „Karrieren führender Urologen im Nationalsozialismus“. 111 Vgl. Schultheiss, „Die Zerschlagung der Sexualwissenschaft – Auswirkungen auf die Fachentwicklung der Andrologie und Sexualmedizin“. 112 Vgl. Scholz, „‚Ein Volk mit Geburtenstillstand oder Geburtenrückgang geht unter‘ – Geschlechtskrankenfürsorge im Nationalsozialismus“. 113 Vgl. Krischel und Moll, „Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern im Nationalsozialismus“. 114 Vgl. Halling, „Urologie in Ost und West nach 1945 – Kontinuitäten und Brüche“. 115 Vgl. Krischel u. a., Urologen im Nationalsozialismus. Band 1: Zwischen Anpassung und Vertreibung; Krischel u. a., Urologen im Nationalsozialismus. Band 2: Biografien und Materialien. 116 Vgl. Fangerau, „Urologie im Nationalsozialismus – Eine medizinische Fachgesellschaft zwischen Professionalisierung und Vertreibung“. 117 Vgl. Roelcke, „Medicine during the Nazi Period: Historical Facts and some Implications for Teaching Medical Ethics and Professionalism“, 19.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

schiede. Selbst Kritik an nationalsozialistischer Gesundheitspolitik war – wenn der Kritiker nicht selbst zu einer der verfolgten Gruppen gehörte – möglich und musste keine unmittelbaren Folgen haben. Solche Opposition ist aber nur in wenigen Fällen überliefert. Beispiele dafür sind etwa die häufige Weigerung von Hausärzten, ihre potentiell als „erbkrank“ zu klassifizierenden Patienten zu melden, die Astrid Ley einerseits dadurch erklärt, dass es auf die in freier Praxis niedergelassenen Ärzte vergleichbar wenig Druck gab, der „sie unmittelbar hätte veranlassen können, entgegen eigenen Grundsätzen zu agieren“, andererseits aber auch dadurch, dass „die ökonomische Abhängigkeit freier Praktiker von ihren Klienten und das bei solchen Ärzten vergleichsweise intensiv ausgeprägte Vertrauensverhältnis zu den Patienten durchaus gewichtige Argumente gegen eine Beteiligung an der Erfassung ‚Erbkranker‘ waren.“118 Daraus zieht sie den Schluss: „[d]aß sich die niedergelassene Ärzteschaft der Anzeigepflicht weitgehend entzog, [dies] zeugt von der Möglichkeit, individuelle Handlungsfreiheiten trotz totalitärer Handlungsvorgaben zu bewahren.“119 Ein weiteres Beispiel ist der Psychiater Gottfried Ewald, der „zwar ein Befürworter der Sterilisationsgesetzgebung [war], aber das Angebot zu einer Tätigkeit als ‚Gutachter‘ für den Selektionsprozess im Rahmen des ‚Euthanasie-Programms‘“120 ablehnte. Obwohl er sich offen und z. T. Regierungsstellen gegenüber gegen die Patiententötungen aussprach, hatte er keine negativen Folgen zu tragen.121 Auch wenn eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer Parteiorganisation in vielen Fällen der Karriere nützlich war, gibt es auch in den 1930er Jahren Beispiele für Berufungen parteiloser Wissenschaftler auf Lehrstühle, wie etwa die des Anatomen Ferdinand Wagenseil 1937 in Gießen.122 Sehr selten finden sich sogar Wissenschaftler, die, obwohl sie selbst (noch) nicht zum Kreis der Ausgeschlossenen gehörten, aus Solidarität mit den verfolgten Kollegen ihre Stellung aufgaben, wie etwa der Göttinger Physiker und Nobelpreisträger James Franck.123 In der Urologie finden sich nur wenige Beispiele verhaltener Kritik an den neuen Machthabern. Hier sind insbesondere Willibald Heyn und Bernd Klose zu nennen, auf die später eingegangen wird (vgl. dazu Kapitel 7). Trotzdem scheint klar, dass es für Ärzte im Nationalsozialismus durchaus Handlungsspielräume gab, sich dem System mehr oder weniger anzupassen. Ohne Zweifel gab es einen politischen Druck, etwa der NSDAP beizutreten, jedoch war ein Standhalten nicht strafbewehrt. Neben tatsächlicher Begeisterung für den Nationalsozialismus oder politisch opportunen Aspekten der Gesundheitspolitik waren 118 Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft, 132. 119 Ebd., 133. 120 Roelcke, „Psychiatrie im Nationalsozialismus. Historische Kenntnisse, Implikationen für aktuelle ethische Debatten“, 1320. 121 Vgl. auch Stobäus, „Euthanasie im Nationalsozialismus: Gottfried Ewald und der Protest gegen die ‚Aktion T4‘“. 122 Vgl. Roelcke, „Medicine during the Nazi Period: Historical Facts and some Implications for Teaching Medical Ethics and Professionalism“, 20. 123 Vgl. Lemmerich, Aufrecht im Sturm der Zeit.

2.2 Leitende Fragestellungen

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es wohl Karrieregründe, also die Hoffnung auf gesellschaftliche und berufliche Vorteile, welche viele Ärzte letztendlich in Systemnähe brachten. Nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf institutioneller Ebene lassen sich Handlungsspielräume nachzeichnen. So hat Martin Rüther darauf hingewiesen, dass während etwa die Berliner Kassenärztliche Vereinigung bei der Ausschaltung ihrer jüdischen und politisch missliebigen Mitglieder sehr eifrig zur Sache ging, die Kassenärztlichen Vereinigungen von Bochum, Bremen, Essen, Gelsenkirchen, Hagen und Kiel „von dem ihnen eingeräumten Ausschlußrecht zum guten Teil keinen Gebrauch gemacht“124 hatten. Für die nationalsozialistische Gesundheitsbürokratie hat Jens Rohrbach festgestellt: „Nach der ‚Machtergreifung‘ wurden einige missliebige Dezernenten entlassen. Da der Kreis qualifizierter Mediziner begrenzt war, war ein Verbleib im nationalsozialistischen Gesundheitswesen aber auch ohne NSDAP-Parteibuch bei organisatorischem Geschick und entsprechender Loyalität durchaus möglich und eher die Regel als die Ausnahme. […] Die leitenden Positionen bei den Parteiamtlichen Stellen wurden jedoch mit NSDAP-Mitgliedern besetzt. Auch im staatlichen Bereich war ein Aufstieg in der Gesundheitsbürokratie ohne Parteibuch kaum möglich.“125

Wenn eine Mitgliedschaft in der NSDAP (naheliegender Weise) Voraussetzung für die Besetzung einer „parteiamtlichen Stelle“ war, konnte es im öffentlichen Dienst und an den Universitäten sicherlich auch den Ausschlag im Sinne des einen oder anderen Kandidaten geben, war jedoch keine Conditio sine qua non. Es ist gezeigt worden, dass die deutsche Ärzteschaft eine hohe Affinität zu NS-Organisationen aufwies. So waren 44,8 % der Ärzte Mitglieder der NSDAP, wobei die zahlreicheren Männer eine Quote von 49,9 % und Frauen eine von 19,9 % erreichten. Im Vergleich mit Lehrern und Juristen, die nie einen Organisationsgrad von mehr als 25 % erreichten, wird das Ausmaß dieser Zahlen besonders deutlich. Ebenso überdurchschnittlich für akademische Berufe war der Grad der Organisation von Ärzten in der Sturmabteilung (SA) mit 21,3 % und der Schutzstaffel (SS) mit 4,12 % im Jahr 1936.126 Gleichzeitig bedeuten diese Zahlen aber auch, dass die Mehrheit der Ärzte in Deutschland nicht Mitglied einer großen NS-Organisation war. Da es für viele Ärzte, die nicht von vornherein zu einer verfolgten Gruppe gehörten, offensichtlich möglich war, Parteiorganisationen beizutreten oder ihnen fernzubleiben, ihre jüdischen Kollegen aus Gesellschaften auszuschließen oder weiter teilhaben zu lassen, (möglicherweise) „erbkranke“ Patienten zu melden oder über ihren Verdacht zu schweigen und sich an Programmen wie der geplanten Ermordung von Menschen mit Behinderungen zu beteiligen oder die Teilnahme abzulehnen, ohne um Leib und Leben, möglicherweise aber um Einnahmen und Beförderungen fürchten zu müssen, stellt sich die Frage, wie groß die Handlungsspielräume von Ärzten im „Dritten Reich“ tatsächlich waren und wie einzelne Akteure 124 Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“, 150. 125 Rohrbach, Augenheilkunde im Nationalsozialismus, 141–3. 126 Vgl. Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“, 166–7.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

diese Spielräume in konkreten Fällen ausnutzten.127 Dies soll in dieser Arbeit eine zentrale Fragestellung sein, die immer wieder im Detail aufgeworfen, überprüft und, soweit möglich, beantwortet wird. Wenn Ärzte so stark in die nationalsozialistische Rassen-, Gesundheits- und Bevölkerungspolitik involviert waren und durch das Mittragen und Ausgestalten seiner Politiken entscheidend auch das nationalsozialistische Regime stützten, stellen sich die Fragen nach der Art der Zusammenarbeit und den Gründen dafür. Wie bereits ausgeführt, stellten Mediziner unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1980er Jahre hinein das Verhältnis von Nationalsozialismus und Medizin als eines dar, in dem die fachlich und moralisch „gute Medizin“ vom „schlechten Nationalsozialismus“ missbraucht wurde, um sowohl moralisch als auch wissenschaftlich schadhafte Forschung und Praxis zu betreiben. Die Verbrechen von Medizinern wurden als die Taten einzelner, pathologisch unmoralischer Ärzte dargestellt. Diese Sichtweise muss wohl zumindest als verkürzend gelten. Deshalb stellt sich spätestens seit den 1990er Jahren die Frage nach der Natur des Verhältnisses von Naturwissenschaft, Technik und Medizin und den diese Disziplinen vertretenden Funktionseliten, die häufig auch Sozialeliten waren, und dem Nationalsozialismus, insbesondere der Staats- und Parteibürokratie, sowie der Wissenschaft, Technik, Medizin und Bildungswesen betreffenden Gesetzgebung. Im Jahr 1992 hat die Deutsche Gesellschaft für die Geschichte der Medizin, Naturwissenschaften und Technik in Jena getagt und die Geschichte der Disziplinen im „Dritten Reich“ thematisiert. Als wichtigen Startpunkt der Diskussion um dieses Verhältnis verstehe ich einen Beitrag des Wissenschaftshistorikers Herbert Mehrtens, der in dem Band zu dieser Tagung erschienen ist. Darin hat er gefordert, die „Wissenschaftsgeschichte [müsse] sich als politische Geschichte des Wissenschaftssystems verstehen“.128 Der Autor hat beschrieben, dass Menschen „[i]n der gesellschaftlichen Produktion […] bestimmte, notwendige, von ihrem individuellen Willen weitgehend unabhängige […] Kooperationsverhältnisse [eingehen], die dem Entwicklungsstand ihrer sozialen Institutionen entsprechen.“129 Auch eine Diktatur wie der Nationalsozialismus sei auf Kooperation angewiesen gewesen, jedoch hat Mehrtens dafür den Begriff Kollaborationsverhältnis gewählt, „mit dem politisch-moralischen Anklang, daß die Alternative zur Kollaboration die Resistenz, der Widerstand ist, wenn auch nicht unbedingt allein im pathetischen Sinne einer Widerstandsbewegung.“130 Implizit verweist der Begriff „Kollaboration“ jedoch immer noch auf eine sich unterordnende Mitarbeit der Wissenschaft an den staatlich bestimmten politischen Zielen, auch wenn Mehrtens bemerkt hat, dass die Experten dem System etwas zu bieten hatten, und ein solches Kollaborationsver-

127 Vgl. Roelcke, „Psychiatrie im Nationalsozialismus. Historische Kenntnisse, Implikationen für aktuelle ethische Debatten“. 128 Mehrtens, „Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie“, 21. 129 Ebd., 15. 130 Ebd., 16.

2.2 Leitende Fragestellungen

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hältnis als „zweiseitiges Machtverhältnis“ verstanden hat, „das uns historische Fragen stellt“.131 Sehr überzeugend ist es dann, von einer Beziehung zwischen Wissenschaft bzw. Medizin und Politik zu sprechen, in der beide Seiten als Ressourcen füreinander dienen bzw. einander Ressourcen zur Verfügung stellen können.132 Der von dem Historiker Mitchell Ash entwickelte Ressourcenbegriff ist dabei ausdrücklich nicht auf Geld oder leicht abzählbare Mittel beschränkt, sondern umfasst etwa unter den von der Wissenschaft begehrten Dingen auch Positionen und Sozialprestige, während die Politik sich von der Wissenschaft im Gegenzug besonders qualifiziertes Personal, Wissen und rhetorische Verstärkung erhofft. Ash weist insbesondere darauf hin, „daß solche Ressourcenensembles im Prinzip gegenseitig mobilisierbar sind“ und die analytische Stärke besitzen, „daß Wissenschaftler dabei nicht nur als Opfer der jeweiligen Verhältnisse, sondern ihrem Elitenstatus entsprechend als bewußt, zuweilen recht selbstbewußt handelnde Subjekte verstanden werden können.“133 Ash hat diese These entwickelt, um die verschiedenen Wissenschaftswandel im Deutschland des 20. Jahrhunderts zu analysieren und mit den politischen Umbrüchen in Beziehung zu setzen, die mit dem Ende des Kaiserreiches 1918, der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933, dem Ende des nationalsozialistischen Regimes 1945 und dem Ende der DDR 1989 verknüpft sind. Auf den Kritikpunkt, sein Ressourcenbegriff sei zu weit gefasst, hat Ash – meiner Ansicht nach recht überzeugend – reagiert, indem er darauf hingewiesen hat, dass zwar „prinzipiell alles Mögliche zur Ressource werden [kann], doch bedeutet das keineswegs, dass zu jeder Zeit alles Ressource ist.“ Vielmehr werde erst im Aushandlungsprozess zwischen Wissenschaft und Politik deutlich, welche Dinge, Dienstleistungen oder Argumente in der konkreten Situation nützlich und tauschbar werden. Als weiteren Vorteil hat Ash genannt, dass eine prinzipielle Gleichbehandlung von Ressourcen dabei helfen kann, „ein allzu rigides Auseinanderhalten von vermeintlich wissenschafts- ‚externen‘ und wissenschafts-‚internen‘ Faktoren aufzuweichen“ und stattdessen „flexibler und realitätsnäher von Allianzen als Vernetzungen von Akteuren zu reden, die einander doch nicht so fremd waren“.134 Während sowohl Mehrtens als auch Ash von „Wissenschaft“ sprechen, sind ihre Ansätze auf meine Fragestellung der Medizin im Nationalsozialismus übertragbar. Insbesondere das Szenario des bewussten, gegenseitigen Ressourcenaustausches erscheint hierfür sehr fruchtbar, ermöglicht es doch etwa den deutlich überdurchschnittlichen Organisationsgrad der Ärzteschaft in den NS-Parteiorganisationen, die Stärkung des Arztberufes im Deutschland der 1930er Jahre durch die Einführung der Reichsärzteordnung und das starke Wachstum der Amtsärzteschaft und Medizinalbürokratie erklären zu können. Neben Geld und Positionen lassen sich leicht Beispiele für abstraktere Ressourcen finden, die zum gegenseitigen Vor131 132 133 134

Ebd., 14–5. Vgl. Ash, „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“. Ebd., 33 (Hervorhebungen im Original). Ash, „Wissenschaftswandlungen und politische Umbrüche im 20. Jahrhundert – was hatten sie miteinander zu tun?“, 26.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

teil ausgetauscht wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Ausrichtung der medizinischen Forschung, die in vielen Fällen auf konkrete Ziele der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik fokussiert wurde, wie beispielsweise die Forschung zu effizienten Sterilisationstechniken, wie sie eine rasche, massenweise Umsetzung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ab 1934 erforderte. In anderen Fällen orientierte sich die Forschung mittelbar an der neuen Politik, wie etwa die verstärkte Forschung zur Erblichkeit bestimmter Erkrankungen, die sich etwa in der Augenheilkunde135 und auch in der Urologie nachweisen lässt.136 Für Neurologen und Psychiater im Nationalsozialismus hat Hans-Walter Schmuhl Ashs Ansatz 2011 erfolgreich angewandt.137 Da Ashs Ansatz gut für die Medizingeschichte nutzbar gemacht werden kann, werde ich in der Folge von Medizin und Politik als Ressourcen füreinander sprechen. Dass in der historischen Analyse der Neuausrichtung der medizinischen Forschung im Nationalsozialismus nicht immer klar wird, von welcher Seite die Initiative ausging und zu wessen Vorteil sie überwiegend war, macht eine nähere Erläuterung der Begriffe Medizin und Politik nötig. Ash hat dabei angeboten, den Begriff Politik entsprechend der anglophonen Lesart in der Politikwissenschaft in drei Ebenen zu unterteilen: erstens in eine „so genannte ‚große‘ Politik der Regierungsverhältnisse und Staatsformen“, zweitens in eine „Politik im engeren Sinne, wie sie in der Rede von der Sozial- oder Kulturpolitik verwendet wird“ und für die im Englischen der Begriff „policy“ verwendet wird, und drittens in eine „Politik im kleinen, ob dies die soziokulturelle Gestaltung von politischen oder sozialen Milieus […] oder die Machtverhältnisse innerhalb von Institutionen der verschiedensten Art“ seien. Insbesondere hat Ash darauf hingewiesen, dass Universitäten, Forschungsinstitutionen und Disziplinen durchaus als politische „Machtzentren“ zu begreifen seien und deren interne Politik auf der dritten Ebene zusammen mit der „Wissenschafts- und Forschungspolitik auf der zweiten Ebene“ es erlaube, von einer „Wissenschaftsinnenpolitik“138 zu sprechen. Hieraus wird deutlich, dass eine medizinische Fachgesellschaft, die sich auch als Lobbyorganisation ihres Faches und ihrer Mitglieder dem Staat und anderen „Mitspielern“ des Gesundheitssystems gegenüber versteht, als ein politisches Machtzentrum verstanden werden muss. Wenn ich also im Folgenden von Politik spreche, dann meist im Sinne einer an den Begriff der „Wissenschaftsinnenpolitik“ angelehnten Medizinalinnenpolitik, die sich zwischen den Ebenen des Administrativen und der Ebene des Vereinspolitischen bewegt. Wenn ich ausdrücklich die „policy“-Ebene meine, werde ich von „nationalsozialistischer Gesundheitspolitik“ 135 Vgl. Rohrbach, Augenheilkunde im Nationalsozialismus. 136 Vgl. Krischel, „Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung der deutschen Urologie im Nationalsozialismus“. 137 Vgl. Schmuhl, „‘Resources for each other.’ The society of German neurologists and psychiatrists and the Nazi ‘health leadership’“. 138 Ash, „Wissenschaftswandlungen und politische Umbrüche im 20. Jahrhundert – was hatten sie miteinander zu tun?“, 21–2.

2.2 Leitende Fragestellungen

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oder „Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik“ sprechen, dabei aber stets bedenken, dass deren Ausgestaltung auch entscheidend von Individuen und Gruppen mit persönlichen und internen Motiven und Dynamiken abhing. Die Ebene der großen Politik, die Regimewechsel von 1933 und 1945, bildet den Hintergrund, vor dem die geschilderten Handlungen stattfinden. Die Frage nach dem Einfluss dieser großen Umbrüche steht dabei nicht im Zentrum, und erst am Ende dieser Arbeit soll untersucht werden, ob und wie sie beantwortet werden kann, ganz im Sinne Ashs, der darauf hingewiesen hat, dass die „Frage, ob die Wandlungen auf institutioneller Ebene allesamt top-down, d. h. infolge allgemeinoder wissenschaftspolitischer Maßnahmen der jeweiligen neuen Regimes oder aus anderen Gründen geschehen sind“,139 nicht prinzipiell, sondern immer nur empirisch zu beantworten sei. Die Frage, was unter Medizin zu verstehen sei, ist gleichsam nicht ganz einfach zu beantworten. In dieser Arbeit will ich darunter die Aspekte verstehen, die ich am Fallbeispiel der Urologie, ihrer Fachgesellschaften und Fachvertreter untersuchen kann. Dazu gehören neben Heilkunst und Heilkunde, also den handwerklichen und akademischen Aspekten der Krankenbehandlung und medizinischen Forschung, auch die berufspolitischen Aspekte der Professionalisierung, Fachdifferenzierung sowie vereinspolitische Aspekte der Gründung, des Fortbestehens und des Selbstverständnisses der Fachgesellschaften. Hieraus wird deutlich, dass ich die Begriffe Medizin und Politik als überlappende Großbegriffe verwende. Dies halte ich deshalb für gerechtfertigt, weil es erstens sinnvoll erscheint, von bestimmten Vorgängen, etwa der Vorstandsumgestaltung einer medizinischen Fachgesellschaft oder der Neugestaltung einer Forschungsagenda nach 1933, gleichzeitig als politischen und medizinischen Vorgängen zu sprechen. Zweitens machen diese überlappenden Begriffe die Rede vom Ressourcenaustausch weder überflüssig noch nichtssagend, denn ohne Zweifel werden nicht nur politische gegen medizinische Ressourcen getauscht, sondern auch innerhalb der politischen bzw. medizinischen Domäne findet jeweils ein reger Austausch von Argumenten, Positionen, Loyalitäten, Gefälligkeiten etc. statt. Drittens schließlich helfen ein Überlappen der beiden untersuchten Bereiche und gelegentliche Schwierigkeiten der konkreten Zuordnung zum einen oder anderen Oberbegriff beide Bereiche grundsätzlich als gleichwertig und gleichrangig zu betrachten. Unter Berücksichtigung dieser beiden leitenden Fragestellungen sollen auch einige Impulse aufgenommen werden, die etwa Heinz-Peter Schmiedebach für die Erforschung der Medizin im Nationalsozialismus ausgemacht hat.140 Unter den dort angesprochenen Punkten soll diese Arbeit auf die Vernetzung universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen eingehen, wobei ich zeigen werde, dass letztere insbesondere in Form von nicht an Universitäten angeschlossene Krankenhäuser für das sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rapide entwickelnde Fach Urologie sehr wichtig waren. Auch die Frage, wie sich die Forschung im Fach so139 Ebd., 29. 140 Vgl. Schmiedebach, „Kollaborationsverhältnisse, Ressourcenmobilisierung und der ‚Missbrauch der Medizin‘“.

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2. Forschungsstand und leitende Fragestellungen

wohl im Hinblick auf die Ziele der neuen Gesundheitspolitik als auch in ihrer Folge, etwa durch die Vertreibung eines Drittels der im Fach tätigen Mediziner, einschließlich weltweit anerkannter Forscher, veränderte, ist von hoher Relevanz. Während die Perspektive der indirekten Opfer der Forschung wohl unscharf bleiben muss, soll auf das entstandene Leid direkter Opfer, etwa in der Sterilisationspraxis, hingewiesen werden. Anhand von Abschnitten aus den Lebensgeschichten einiger vertriebener Fachvertreter können Emigrantenschicksale beispielhaft beleuchtet werden. Schließlich sollen auch Legitimationsstrategien untersucht werden, die es den Akteuren und den Fachgesellschaften erlaubten, während und nach Ende des „Dritten Reiches“ ihr Handeln zu begründen. Unter Beachtung dieser für die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus aktuellen und relevanten Fragestellungen und der Vorarbeiten zur Geschichte der Urologie im „Dritten Reich“ ergeben sich weiterhin offene bzw. präzisierungsbedürftige Fragestellungen, welche mit Bezug auf urologisch tätige Ärzte bearbeitet werden. Die Vertreter dieses Faches wurden anhand von drei Klassen von Kriterien bestimmt:141 Das wichtigste Kriterium ist dabei die Selbstidentifikation. Diese lässt sich besonders gut durch die Selbstauskunft in den Fragebögen zum Reichsmedizinalkalender bestimmen, in dem die gesamte deutsche Ärzteschaft verzeichnet war. Besonders relevant ist, dass Fachgebiete durch Piktogramme wiedergegeben wurden, im Falle der Urologie durch ein Zystoskop. Die Selbstauskunft ist deshalb ein besonders aussagekräftiges Kriterium, weil die Anzahl der sich als Urologen bezeichnenden Ärzte von 1933 bis 1937 um sieben Achtel abnahm. Grund hierfür war unter anderem die Vertreibung der jüdischen Urologen, die 1933 nach vorläufigen Forschungsergebnissen fast ein Drittel ausmachte. Als Kriterium zweiter Ordnung gilt eine Führungsrolle in urologischer Forschung und Praxis. Dazu zählen eine Mitgliedschaft in Vorstandsgremien der Deutschen Gesellschaft für Urologie, der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen und lokaler urologischer Gesellschaften (also der Berliner oder Wiener Urologischen Gesellschaft) sowie eine Rolle als Herausgeber urologischer Fachzeitschriften. Diese Mitgliedschaften weisen zum einen darauf hin, dass die Personen unter Vertretern des Fachs eine hohe Reputation genossen, andererseits sie selbst auch ein großes Interesse an der Standespolitik und Fachentwicklung hatten und einen nennenswerten persönlichen Beitrag dazu leisten wollten. Als weiteres Merkmal zweiter Ordnung soll eine herausgehobene akademische Stellung mit eindeutig urologischem Bezug (Professur oder Privatdozentur) oder die Leitung einer urologischen Klinik oder Station gelten. Einfache Mitgliedschaften in urologischen Gesellschaften, das Veröffentlichen von Artikeln in Fachzeitschriften, das Vorstellen von Beiträgen auf oder die Teilnahme an Tagungen sind als Kriterium dritter Ordnung ausgemacht. Darüber hinaus zählt dazu auch eine erkennbare Ausrichtung der ärztlichen Praxis auf urologische Behandlungen. Dieses Kriterium trifft auf eine deutlich größere Gruppe von Personen zu als die der zweiten Ordnung. 141 Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“.

2.2 Leitende Fragestellungen

39

Insbesondere vor der Einführung des Facharztes für Urologie im Jahr 1924, aber auch noch danach, werden viele Urologen unter den Begriffen „Facharzt für Harnleiden“ in Kombination zu „Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten“ oder als „Facharzt für Chirurgie“ geführt. Dies weist auf unscharfe Grenzen der Urologie gegenüber den genannten Fächern hin. Grund dafür ist zum einen, dass die Urologie zum Teil aus ebendiesen Fächern hervorgegangen ist, zum anderen überschneidet sich ihr Behandlungsgebiet weiterhin mit den Behandlungsgebieten der Quellfächer. Daraus ergibt sich auch, dass es sich bei den ausgeführten Punkten lediglich um Einschlusskriterien, nicht um Ausschlusskriterien, handelt. In vielen Fällen ist jedoch zu erwarten, dass mehrere Merkmale gleichzeitig zutreffen. Anhand dieser Kriterien lassen sich für die 1930er Jahre in Deutschland 866 urologisch tätige Ärzte ausmachen. Bei einer Anzahl von 52.000 Ärzten in Deutschland 1933 ergibt dies einen Anteil von 1,7 %.142 Dieser Prozentsatz ist etwas niedriger als im Jahr 2010, für welches das Bundesarztregister einen Anteil von 2,2 % ausweist (3.042 von 138.472 Kassenärzten).143 Diese für die 1930er Jahre überschaubare Gruppe und insbesondere deren proportional kleine Führungsschicht sollen in dieser Arbeit untersucht werden. Dabei soll dargestellt werden, wie sich diese Gruppe von Ärzten in den 1930er bis 1950er Jahren verhielt, wieweit sie sich etwa in die nationalsozialistischen Partei- und Regierungsorganisationen involvierte, wie sie ihre Fachgesellschaft dem politischen Regimewechsel anpasste und in welchem Maß ihre Forschung, Hochschullehre und medizinische Praxis durch die veränderte politische Großwetterlage und administrative Medizinalpolitik geprägt wurde. Dabei werde ich aufzeigen, welche Handlungsspielräume für diese Gruppe bestanden und wie sie von den verschiedenen Mitgliedern ausgenutzt wurden. Insbesondere die Frage, in welchem Verhältnis harter oder subtiler Druck auf der einen Seite und Anreize und Karrierechancen auf der anderen Seite standen, wird mich dabei beschäftigen. Schließlich sollen die Frage nach dem Umgang mit der eigenen Vergangenheit im „Dritten Reich“ unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 1950er Jahre sowie die persönlichen und intellektuellen Kontinuitäten und Brüche in dieser Zeit untersucht werden. Den Schlusspunkt der Untersuchung bilden dabei das 50. Gründungsjubiläum der Deutschen Gesellschaft für Urologie im Jahr 1957 und die dazu erschienenen selbsthistorisierenden Arbeiten.

142 Vgl. ebd., 44–5. 143 Statistische Informationen aus dem Bundesarztregister, Stand 31.12.2010, http://daris.kbv.de/ daris/doccontent.dll?LibraryName=EXTDARIS^DMSSLAVE&SystemType=2&LogonId=a5 261389a5c9e48036f87dc5e852a2b6&DocId=003763614&Page=1 (31.1.2012).

3. METHODEN UND QUELLEN 3.1 METHODEN Die Fragestellungen dieser Arbeit berühren Bereiche der Ideen- und Sozialgeschichte, also das Handeln von Personen, Personengruppen und Institutionen im Spannungsfeld von Medizin und Politik sowie die Reichweite ihrer Handlungsoptionen in diesem Spannungsfeld. Dabei meint Sozialgeschichte hier die Geschichte einer bestimmten Gruppe von Menschen innerhalb der Gesellschaft. Ziel ist die Beschreibung sozialer Strukturen, in diesem Fall der Deutschen Gesellschaft für Urologie bis 1933 (DGfU), der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen (GRU) und der nach 1945 wiedergegründeten Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Ich frage nach den Gründen für das Handeln der Mitglieder dieser Gesellschaften, mit einem besonderen Augenmerk auf dem Handeln in den Umbruchjahren 1933 und 1945 sowie die Wahrnehmung der eigenen Geschichte bis in die 1950er Jahre. Gemeinsam mit diesem sozialhistorischen verfolge ich einen ideengeschichtlichen Ansatz, von dem aus ich das wissenschaftlich-medizinische und politische Handeln der Akteure und Gruppen durch ihre Unterstützung oder Ablehnung von Ideen und Maßnahmen der nationalsozialistischen Gesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik ausmache. Dazu zählt etwa die Orientierung an der Volksgesundheit sowie deren praktische Umsetzung, etwa in der Sterilisationspolitik. Auch die Fachentwicklung der Urologie in Deutschland werde ich aus dem Blickwinkel der Ideengeschichte betrachten. Im Sinne Mirko Grmeks sehe ich dabei die Sozial- und Ideengeschichte nicht als einander ausschließende, sondern einander ergänzende Ansätze der Geschichtsschreibung an, die in ihrer Kombination helfen können, die komplexe Gemengelage aus persönlichen, beruflichen, fachpolitischen und großpolitischen Motivationen und Handlungen nachzuvollziehen.1 Ein Beispiel dafür ist etwa die Vertreibung „nicht-arischer“ Ärzte zunächst aus den Führungsebenen der medizinischen Fachgesellschaft und sukzessive aus allen professionellen Aktivitäten und dem Beruf, die einerseits ideenhistorisch als Umsetzung der Rassenpolitik, andererseits als Teil der Vereins- und damit der Sozialgeschichte analysiert werden soll.

1

Vgl. Grmek, „Einführung“.

3.1 Methoden

41

Ideengeschichte Die Ideengeschichte wird hier als „Geschichte des Denkens im Kontext, in Schulen, Traditionen, Denkstilen und Diskursen“2 verstanden. In diesem Zusammenhang werden Fragen nach der Herkunft, Übertragung und Umsetzung von Ideen gestellt. Auch die Frage, welche Person oder Personengruppen aus welchen Gründen bestimmte Ideen vertreten haben, wird dabei behandelt. Besonders bedeutsam ist dabei, dass Ideen zwischen verschiedenen Feldern ausgetauscht werden, dass dabei gelegentlich das gleiche Wort eine andere Idee beschreibt und dass sich bei solchen Übernahmen Ideen wandeln können. Dabei haben vielfach beliebte literarische Topoi, wissenschaftliche Entdeckungen, ökonomische und politische Bedingungen Einfluss auf die Ideen und die Moden, denen sie unterliegen.3 In dieser Arbeit wird der Austausch von Ideen zwischen den Feldern Medizin und Politik die Hauptrolle spielen. Entscheidend wird dabei auch die Frage der Umsetzung von aus dem einen Feld stammenden Ideen im jeweils anderen Feld sein. Neben Medizin und Politik werden jedoch gelegentlich auch andere Bereiche thematisiert, etwa die Ökonomie, die zur Legitimierung eugenischer Maßnahmen häufig bemüht wurde. Hieraus wird deutlich, dass ich die von einigen Kritikern vorgenommene Charakterisierung der Ideengeschichte als blind gegenüber dem Wandel von Ideen und Begriffen ablehne. Vielmehr vertrete ich die Meinung, dass die Frage nach Kontinuitäten, Wandel und Brüchen von Ideen grundsätzlich empirisch beantwortet werden muss. In dieser Arbeit betrachte ich einen ideenhistorisch sehr kurzen Zeitraum. Der Kernzeitraum meiner Untersuchung umfasst die Jahre zwischen 1933 und 1945. Wenn es um die Kontinuitäten und Brüche in der deutschsprachigen Urologie geht, wird er bis zum Erscheinen der Literatur zum 50. Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) 1958 ausgedehnt werden, und wenn ich die Vorgeschichte der DGU und Urologie vor der Zeit des Nationalsozialismus in den Blick nehme, werde ich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehen. In diesen kurzen Zeitraum fallen jedoch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und dem Ende des „Tausendjährigen Reiches“ nach zwölf Jahren 1945 zwei entscheidende politische und soziale Zäsuren. Eine zentrale Aufgabe dieser Arbeit wird es sein, zu überprüfen, ob diese Veränderungen des Kontextes auch zu einem anderen Umgang mit Ideen führten, oder ob Denkmuster die Systemumbrüche überstanden. Es geht also darum, „die Beziehungen zwischen sozioökonomischen Bedingungen einer Kultur, der gesellschaftlichen Stellung der Ärzte, den wissenschaftlichen Ideen und den tatsächlichen Gegebenheiten der Medizinischen Praxis“4 als medizinische Ideengeschichte aufzuzeigen, wie Eckart und Jütte das Programm des Medizinhistorikers Mirko Grmek charakterisiert haben. Obwohl ich den Begriff „Ideengeschichte“ anstatt des Begriffs „Konzeptgeschichte“ gewählt habe, darf 2 3 4

Eckart und Jütte, Medizingeschichte, 148. Vgl. Wiener, „Preface“, VII. Eckart und Jütte, Medizingeschichte, 152.

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3. Methoden und Quellen

doch zumindest Karl Rothschuhs Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart nicht unerwähnt bleiben. Darin hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „[d]er Anteil von Erfahrungen und Denken an solchen Konzepten […] von der historischen Situation und vom soziokulturellen Geistesklima eines Zeitalters abhängig“5 ist. Den Vorzug habe ich Grmeks Ansatz deshalb gegeben, weil dieser explizit eine Brücke zwischen Ideen- und Sozialgeschichte schlägt. Er selbst hat die Ziele und Grundlagen seiner Arbeit beschrieben als eine „Gesamtbetrachtung der Vergangenheit des kultivierten Menschen […] die unterschiedlichsten Einflüsse, die auf die Entwicklung medizinischen Denkens eingewirkt haben, zu bestimmen […] und ebenso die Auswirkung dieses Denkens auf die anderen Wissenszweige und das menschliche Verhalten [zu bestimmen]. Daher waren die Beziehungen einerseits zwischen den allgemeinen sozio-ökonomischen Bedingungen und der sozialen Situation des Arztes und andererseits den wissenschaftlichen Ideen, den Überzeugungen und der Praxis, die die Ausübung der Heilkunst inspiriert, zu berücksichtigen.“6

Grmek selbst hat dabei die Wurzeln dieses Ansatzes bei dem deutschen Medizinhistoriker des 18. Jahrhunderts Kurt Sprengel gesehen, der in der Einführung seiner Medizingeschichte von 1792 bis 1803 erklärt hatte: „So wie der Ursprung, Fortgang und Verfall der Wissenschaften überhaupt nur aus dem Gange der Cultur erklärt werden kann; eben so muss die Historie der Medicine, so viel möglich, aus der Geschichte der Cultur hergeleitet werden. […] Die Geschichte der Cultur des menschlichen Geistes überhaupt scheint den wahren pragmatischen Gesichtspunct der Geschichte der Wissenschaften und besonders der Arzneikunde anzugeben.“7

Eine solche, nicht eng auf die Geschichte des ärztlichen Standes ausgerichtete Medizingeschichte kann, im Sinne Henry Sigerists, fruchtbar mit der Allgemeingeschichte außerhalb medizinischer Fakultäten zusammenarbeiten und setzt innerwissenschaftliche und sozio-kulturelle Erklärungsansätze gleichberechtigt nebeneinander ein. Den die Wissenschaftsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägenden Konflikt zwischen diesen beiden Erklärungsansätzen hat Grmek als „Scheinproblem“ bezeichnet, denn „[i]hre extremen, schwer zu verteidigenden Erscheinungsformen ausgenommen, ergänzen die zwei Ansätze einander, anstatt einander zu widersprechen.“8 Die Medizintechnikgeschichte wird nicht im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, außer in den Fällen, in denen sie Indikatoren für sich wandelnde Ideen oder Ausdruck sozialen Bewusstseins ist. Deshalb wird etwa die Geschichte der Zystoskopie, die in der Geschichte der Urologie gelegentlich viel Raum einnimmt, hier nicht besprochen. Andererseits werden die Entwicklung und Verbreitung von Operationstechniken zur Sterilisation und Kastration des Mannes beschrieben und diskutiert, da sie entscheidend durch den Aufschwung der Rassenhygiene begründet sind und einen zentralen Aspekt der Teilnahme der Ärzteschaft an der nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik darstellen. 5 6 7 8

Rothschuh, Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart, XIII. Grmek, „Einführung“, 26–7. Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneykunde, Bd. 1, A4, r+v. Grmek, „Einführung“, 24.

3.1 Methoden

43

Die Art, in der ich ideenhistorische Medizingeschichte verstehe und anwende, steht der Wissenschaftsgeschichte nahe. Insbesondere wenn, wie in dieser Arbeit, nicht Landärzte oder erprobte klinische Praxis im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehen, sondern vielmehr forschende Mediziner, wissenschaftliche Veröffentlichungen und medizinische Fachverbände sowie deren Berufspolitik betrachtet werden, lassen sich die meisten wissenschaftshistorischen Ansätze übernehmen. Besonders da in den letzten Jahrzehnten auch das implizite Wissen („tacit knowledge“) in der Wissenschafts- und Medizingeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat, lassen sich auch Aspekte der „ärztlichen Kunst“ oder der abgeschauten und angelernten Technik, die etwa in der Chirurgie eine wichtige Rolle spielen, adäquat würdigen.9 Wenn die Rassen- und Erbgesundheitspolitik behandelt wird, die in Form der „Rassenhygiene“ einen Stützpfeiler der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik bildete, werde ich diese als „angewandte Wissenschaft“ verstehen, die gleichsam auf wissenschaftlichen, ideologischen, politischen und sozialen Faktoren beruhte.10 Dabei werden theoretische Grundlagen, die konkrete Anwendung dieser Grundlagen, etwa auf Fälle von mutmaßlich erblichen Erkrankungen des Urogenitalsystems, sowie die Forschung und Praxis der Sterilisations- und Kastrationsoperationen am Mann betrachtet. Sozialgeschichte Unter dem Begriff der Sozialgeschichte möchte ich im Folgenden das fassen, was Wolfgang Eckart und Robert Jütte als „Teilbereichsgeschichte“ der Medizingeschichte bezeichnet und von einem umfassend sozialhistorischen Ansatz unterschieden haben. Oben habe ich bereits darauf hingewiesen, dass eine moderne Ideengeschichte auch soziale Faktoren einschließt und deshalb eine scharfe Abgrenzung von Ideen- und Sozialgeschichte kaum mehr möglich ist. Trotzdem erscheint es angemessen, die Grundlagen der sozialhistorischen Aspekte, die Teil dieser Arbeit sind, zu beschreiben, insbesondere, da die Sozialgeschichte der Medizin bis in die 1980er Jahre in Deutschland häufig hinter Hagiographien und Heldengeschichten großer Entdeckungen zurückstand.11 Eckart und Jütte verstehen unter Sozialgeschichte der Medizin speziell die Form der Geschichtsschreibung, die sich mit der „Erforschung und Beschreibung sozialer Strukturen nach Gruppen, Ständen, Schichten oder Klassen in vergangenen Gesellschaften, […] mit der Größe, Lage, und Bedeutung dieser Gruppen sowie mit 9 10 11

Für ein aktuelles Beispiel, in dem auf die Bedeutung des „tacit knowledge“ und das auch in der Urologie sehr wichtige „Sehen lernen“ eingegangen wird, vgl. Heiberg Engel, „Tacit knowledge and visual expertise in medical diagnostic reasoning“. Vgl. Weingart, „Eugenik – eine angewandte Wissenschaft: Utopien der Menschenzüchtung zwischen Wissenschaftsentwicklung und Politik; Verwissenschaftlichung als Delegitimierung von Werten am Beispiel von Rassentheorien und Eugenik“. Vgl. Eckart und Jütte, Medizingeschichte, 156.

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3. Methoden und Quellen

der Geschichte sozialer Prozesse beschäftigt“.12 So verstanden, ist die Sozialgeschichte der Medizin Teil der Gesellschafts- und Politikgeschichte, da sie „kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedingungen“13 sowie an Gesundheit, Krankheit, Prävention und Heilung beteiligte Gruppen, also im Prinzip alle Teile der Gesellschaft, einbezieht. Die Autoren verorten das Forschungsfeld der Medizin im Nationalsozialismus im Kontext der sozial- und politikhistorisch orientierten Medizingeschichte. Da in dieser Arbeit das Verhältnis der Urologie zu nationalsozialistischer Gesundheitspolitik beschrieben wird, werden die Vertreter dieser beiden Einrichtungen im Mittelpunkt stehen. Somit werden in dieser Arbeit für mich drei gesellschaftliche Gruppen von herausragender Bedeutung sein: praktizierende Ärzte, Medizinalbürokraten und Politiker. Dabei ist zu erwarten, dass diese drei Gruppen sich gelegentlich überschneiden. Daneben wird jedoch auch die Perspektive der von der nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik betroffenen Menschen, darunter etwa aus dem Beruf gedrängte Ärzte oder Sterilisationsopfer, dargestellt. Weil sowohl individuell als auch in Gruppen organisiert handelnde Personen untersucht werden, kommen individual- und kollektivbiographische Arbeitstechniken zum Einsatz. Dazu habe ich die Lebensläufe einiger Schlüsselpersonen erarbeitet, um den Einfluss ihrer Biographien auf ihr Handeln abschätzen zu können. Weite Teile dieser Arbeit lassen sich als eine institutionelle Biographie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (Vorkriegsgesellschaft) und der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen beschreiben. Sowohl bei Personen als auch bei den Institutionen soll besonderes Augenmerk auf die Umbruchphasen von 1933 und 1945 gelegt werden. Zentral sind hier die Fragen, welche personellen, institutionellen und ideologischen Kontinuitäten und Brüche hier zu beobachten sind. Neben dieser großpolitischen Geschichte der deutschen Urologie soll gerade auch die kleinere, fachpolitische Geschichte bearbeitet werden. Hier stehen Fragen der Fachentwicklung, Professionalisierung und der Emanzipation der Urologie von der Chirurgie im Mittelpunkt. Eine zentrale These dieser Arbeit ist, dass die Fachvertreter der Urologie sich dem nationalsozialistischen Regime auch deshalb andienten, weil sie hofften, so eine Stärkung ihres Faches zu erreichen. Während die soziale Konstruktion von medizinischer Praxis und Theorie nicht das Hauptthema dieser Arbeit darstellt, bildet sie eine Grundannahme. In einem Beitrag zur Historiographie des Sozialkonstruktivismus in der Medizingeschichte hat Ludmilla Jordanova acht Denkstile des Sozialkonstruktivismus vorgestellt. Besonders relevant sind dabei für mich die Wissenssoziologie, die allgemein auf Luckmann und Berger und als Wissenschaftssoziologie auf Bloor zurückgeht. Während die übermäßig starke Ausprägung dieses Forschungsprogrammes, wie es insbesondere im „strong programme“ der Edinburgher Schule der Wissenschaftsforschung betrieben wurde, mittlerweile überholt scheint, ist die Lehre vom KoKonstruktivismus von Wissenschaft und Gesellschaft mittlerweile weithin aner12 13

Ebd., 14. Vgl. ebd., 15.

3.1 Methoden

45

kannt (s. u.). Daraus leite ich ein vergleichbares Verhältnis für die Bereiche Medizin und Politik ab. Stärker noch als diesen Wurzeln sehe ich meine Arbeit der Tradition verpflichtet, die nach dem Einfluss von Interessen auf die Theorie und Praxis der Medizin fragt und die Jordanova auf den US-amerikanischen Wissenschaftssoziologen Robert Merton zurückgeführt hat. Dabei können Interessen hier so vielfältig sein wie religiöse oder politische Gruppenzugehörigkeit, das Streben nach Professionalisierung, Macht, Geld und Autorität und soziale Netzwerke sowie Patronagebeziehungen. Als Desiderate dieser Ausprägung hat die Autorin insbesondere die Abgrenzung zwischen Individual- und Kollektivinteressen benannt sowie eine genaue Fallbeschreibung der komplexen Verhältnisse, unter denen Interessen wahrgenommen, geformt und durchgesetzt werden.14 Durch die Untersuchung des Verhältnisses der Deutschen Gesellschaft für Urologie, der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen und der Mitglieder dieser Gesellschaften zur nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik und der Partei- und Staatsbürokratie des „Dritten Reiches“ soll eine solche Fallstudie vorgelegt werden. Jordanova hat darauf hingewiesen, dass eine einseitige Konzentration auf einzelne Interessen potentiell zu mechanistischen Erklärungen führen kann. Um diesem Problem zu begegnen, hat sie zum einen angeregt, zu bedenken, dass Individuen und Gruppen verschiedene, sich zum Teil widersprechende, aktualisierte und potentielle Interessen haben. Zum anderen hat sie auf den Wert von vergleichender Biographik hingewiesen, die helfen kann die Individualität und Idiosynkrasie einzelner Akteure aufzuzeigen. Schließlich seien auch noch Kontext und chronologische Eigenheiten zu bedenken.15 Neben der Geschichte der Fachgesellschaften soll in dieser Arbeit auch individuelles Handeln einzelner aktiver Mitglieder dieser Fachgesellschaften untersuchen werden. Zu diesem Zweck werden deren Biographien erarbeitet, so dass ihr Verhalten sowohl mit Bezug auf die Biographie wie auch auf die Stellung der Akteure innerhalb der Fachgesellschaft analysiert werden kann. Durch den Vergleich der Handlungen der verschiedenen Akteure und das Ausloten von Handlungsspielräumen im Sinne Volker Roelckes hoffe ich, eine mechanistisch-deterministische Interpretation zu vermeiden.16 Der sozialkonstruktivistische Ansatz wird Anwendung finden, um im Kontext der Rassenhygiene die „Entzeitlichung“ von erblichen oder angeblich erblichen Krankheiten und die daraus folgende Zuschreibung von Krankheit zu problematisieren oder auf die Besonderheiten des Sprachduktus des „Schrifttums“ ab 1933 hinzuweisen. Obwohl hierfür sicherlich die kritische Diskursanalyse nach Foucault bemüht werden könnte, werden mir Theorien etwas geringerer Reichweite ausreichen.17 14 15 16 17

Vgl. Jordanova, „The Social Construction of Medical Knowledge“, 341–4. Vgl. ebd., 348–51. Vgl. Roelcke, „Medicine during the Nazi Period: Historical Facts and some Implications for Teaching Medical Ethics and Professionalism“. Vgl. etwa Klemperer, LTI.

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3. Methoden und Quellen

Roger Cooter hat im Kontext der Sozialgeschichte der Medizin auf die insbesondere seit den 1980er Jahren angestoßene, kritische Diskussion zur Geschichte selbst als sozial konstruiert hingewiesen. Nach Ansicht dieser Kritiker sei die Geschichte nichts anderes als eine Erfindung der Historiker, die sich mit Abbildern und Repräsentationen einer Vergangenheit beschäftigten, zu der sie keinen direkten Zugang haben könnten. Somit sei historische „Wahrheit“ und Geschichtsschreibung ebenso kontingent und subjektiv wie naturwissenschaftliche „Wahrheiten“, die schon vorher in den Fokus der Wissens- und Wissenschaftssoziologie gerückt waren. Diejenigen Autoren, die gegen diese postmoderne Kritik an der Geschichte selbst zu ihrer Verteidigung angetreten sind, hat Cooter als vereint durch gemeinsame Sympathien für einen rationalistischen Zugang zur Geschichtsschreibung und die Idee der Suche nach weitestmöglich objektiven Wahrheiten charakterisiert.18 Auch wenn Cooter auf dieser Grundlage schon um 1990 ein Ende einer Sozialgeschichte mit politischem Selbstverständnis und Gewissen, etwa im Sinne des britischen Historikers Paul Thompson, festgestellt hat,19 erscheint doch selbst 20 Jahre danach gerade Thompsons Vermächtnis nicht vergessen. So sind seine Arbeiten etwa im Bereich der „oral history“ weiter sehr lebendig und werden etwa von der britischen Oral History Society und ihren Mitgliedern breit vertreten und eingesetzt.20 Somit erscheint Cooters Kritik an der Sozialgeschichte der Medizin aus der Rückschau als überholt. Aus der Auflösung der Dichotomie zwischen internalistischer und externalistischer Wissenschafts- und Medizingeschichtsschreibung, die zu der heute verbreiteten Erkenntnis der gegenseitigen Ko-Konstruktion des Medizinischen und des Sozialen geführt hat, hat Cooter die, wie er selbst bemerkt, provokante Aussage abgeleitet, man könne heute nicht mehr von „dem Politischen“, „dem Medizinischen“ oder „dem Sozialen“ sprechen, weil sich die Kategorien nicht mehr voneinander abgrenzen ließen. Daher ließe sich das komplexe und verschiedenartige Phänomen, das wir „Medizin“ nennen, nicht mehr als im „Politischen“ oder „Sozialen“ enthalten beschreiben, als dass diese beiden Bereiche selbst in der Medizin enthalten seien. Als Ausweg aus diesem Abgrenzungsproblem hat Cooter angeboten, Medizin durch die materielle Organisation der Dinge und Ressourcen, die wir zu ihr zählen und die ihr Wirkmacht verleihen, zu bestimmen. Dazu zählt er Technologien, Expertise, Texte, Architektur und soziale Beziehungen, etwa zwischen Ärzten, Patienten, Familien, dem Staat, Pharmafirmen, dem Rechtssystem etc. Aus diesen sozialen Beziehungen wiederum erwachse schließlich das Politische der Medizin.21 Sowohl der Ressourcenbegriff als auch die Bestimmung der Zugehörigkeit einer Ressource oder sozialen Beziehung zur Domäne des Politischen, Sozialen oder Medizinischen sind gut vereinbar mit der in dieser Arbeit leitenden Theorie von

18 19 20 21

Vgl. Cooter, „‚Framing‘ the End of the Social History of Medicine“, 315–6. Vgl. etwa Thompson, The Voice of the Past. Vgl. etwa Ritchie, The Oxford Handbook of Oral History. Vgl. Cooter, „‚Framing‘ the End of the Social History of Medicine“, 327–8.

3.2 Quellen

47

Medizin und Politik als füreinander mobilisierbare Ressourcen.22 Cooters Bestimmung durch Relevanz im jeweiligen Kontext erlaubt es, eine Ressource je nach ihrer Rolle als Teil des politischen oder medizinischen oder teilweise beider Bereiche anzusehen. Dass dabei einerseits der Kontext selbst als jeweils einer dieser Domänen zugehörig gedacht werden muss, ohne diese Zugehörigkeit letztbegründen zu können, und dass diese Einordnung durch den Historiker im Vertrauen auf die Aussagekraft der historischen Quellen getroffen werden muss, verstehe ich nicht als gravierenden Nachteil. Denn auch wenn die Frage nach der Möglichkeit einer „objektiven“ Rekonstruktion der Vergangenheit hier nicht thematisiert werden soll, halte ich es zumindest für denkbar, dass ein Historiker eine Quelle nach kritischer Analyse aus ihrer Zeit heraus verstehen und in diesem Sinne in sein Narrativ einbetten kann. 3.2 QUELLEN In dieser Arbeit werden drei Arten von Quellen ausgewertet: archivalische Primärquellen, gedruckte Primärquellen und Sekundärquellen. Gemäß Paul Kirns Definition historischer Quellen als „Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann“23 stehen Texte dabei an erster Stelle. Auch wenn im Rahmen der Kultur- und Alltagsgeschichte sowie der „oral history“ andere Gattungen von Quellen im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend an Einfluss gewonnen haben, sind Texte, insbesondere in der Ideengeschichte, weiterhin die wichtigste Quellengattung. Dies gilt auch für diese Arbeit, und in allen drei genannten Kategorien nehmen Texte die zentrale Stellung ein. Daneben werde ich gelegentlich auch Diagramme, Fotografien und mündliche Überlieferungen in die Analyse einbeziehen. Sekundärquellen Bevor ich auf die verwendeten Primärquellen eingehe, sollen hier die Sekundärquellen vorgestellt werden, auf die diese Arbeit Bezug nimmt. Unter denen sind zwei Arten zu unterscheiden: zum einen diejenigen zur Geschichte der Medizin und der medizinischen Fachgesellschaften im Nationalsozialismus; zum anderen diejenigen zur Geschichte der Urologie. In der Darstellung des Forschungsstandes bin ich auf die Literatur zur Medizin im „Dritten Reich“ eingegangen. Die Literatur zur Geschichte der Urologie ist weitaus überschaubarer. Es gibt einige wenige Werke mit dem Anspruch, die Geschichte des Faches umfassend darzustellen, wie etwa Leonard Murphys The History of Urology24 aus dem Jahr 1972 und John Hermans 22 23 24

Vgl. Ash, „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“. Kirn, Einführung in die Geschichtswissenschaft, 30. Desnos und Murphy, The history of urology.

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3. Methoden und Quellen

Urology, a view through the retrospectroscope25 aus dem Jahr 1973. Beide Werke gehen jedoch nicht über das frühe 20. Jahrhundert hinaus, so dass die Geschichte des Fachs im Nationalsozialismus nicht vorkommt. Später erschienene Bände, die thematisch auf Deutschland oder Europa ausgerichtet sind, gehen auf das Thema nur gelegentlich ein. So finden sich in einem 1979 von Wolfgang Mauermeyer und Fritz Schultze-Seemann, zu diesem Zeitpunkt Präsident bzw. Archivar der DGU, herausgegebenen Band der Präsidentenreden des 1. bis 30. Kongresses der DGU auch die Reden und offiziellen Fotos der Kongresse von 1936 und 1937.26 Es ist bemerkenswert, dass auf dem in dem Band abgedruckten Foto Otto Ringlebs dessen NSDAP-Parteiabzeichen deutlich sichtbar ist. Nach dem Bericht eines Augenzeugen wurde dieses jedoch „aus den sehr großen (2,0 × 1,40 m) Fahnen der Präsidenten von 1907–1988, die in der Eingangshalle zum 50. Kongress in Hamburg von der Decke hingen“ wegretuschiert, da die für die Ausstellung Verantwortlichen befürchteten, dies könne „zu Diskussionen führen, [welche die] wissenschaftlichen Inhalte überlagern würden.“27 Die 1986 von Fritz Schultze-Seemann zum 80. Jubiläum der Gesellschaft verfasste Monographie28 stellt einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Fachgesellschaft dar. Sie enthält ein 25 Seiten starkes Kapitel zu der Zeit zwischen 1933 und 1945. Der Autor hat die Vertreibung der jüdischen Kollegen als Unrecht benannt, ohne jedoch nach den dafür Verantwortlichen zu fragen. Er hat sich ausdrücklich als Schüler Karl Heuschs ausgewiesen, und so verwundert es wenig, dass er weitestgehend dessen wirkmächtiger, zum 50. Jubiläum der Gesellschaft verfassten Deutung der Vereinsgeschichte gefolgt ist, nach der der DGU, ebenso wie der gesamten Medizin, von außen die Gleichschaltung aufgezwungen worden sei, einschließlich der Vertreibung der jüdischen Mitglieder (vgl. dazu Kapitel 6). Schultze-Seemann hat das Ringen der Urologie um fachliche Unabhängigkeit von der Chirurgie als zentrales Thema der 1930er Jahre und der ersten 50 Jahre der Gesellschaft überhaupt beschrieben. Er hat auf die Berufung Ringlebs auf einen Lehrstuhl 1937 und Heuschs Habilitation 1942 als wichtige Meilensteine hingewiesen, jedoch nicht gefragt nach deren politischen Affiliationen, die es ihnen ermöglicht oder wenigstens erleichtert hatten, diese Stellungen einzunehmen. Genau hat Schultze-Seemann bereits die Mehrfachstruktur der Fachgesellschaften beschrieben, die sich aus dem Fortbestehen der DGfU, der Gründung der GRU und dem Erstarken der Österreichischen Gesellschaft für Urologie nach der Umbenennung der Wiener Urologischen Gesellschaft ergeben hatte. Diese Konzentration des Autors auf die institutionelle Ebene geht jedoch zu Lasten der Inhalte der Forschung und Berufspraxis in den 1930er und 1940er Jahren, die von ihm nicht thematisiert worden sind. Dies ist vermutlich auch geschehen, um die Protagonisten dieser Zeit, mit denen SchultzeSeemann z. T. persönlich bekannt war, nicht mit kritischen Themen, wie etwa der Zwangssterilisation, in Verbindung zu bringen. 25 26 27 28

Herman, Urology, a view through the retrospectroscope. Vgl. Mauermayer und Schultze-Seemann, Deutsche Gesellschaft für Urologie. Korrespondenz mit Peter Rathert (9.2.2013). Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986.

3.2 Quellen

49

In der meist von und für hauptberufliche Ärzte geschriebenen Geschichte der Urologie gehören Biographien zu den häufigeren Texten. Dazu zählen etwa die Bio-Bibliographien Alexander von Lichtenbergs29 und Otto Ringlebs,30 die als medizinische Dissertationen an der FU Berlin entstanden, und ein im Jahr 2002 erschienener Sammelband Wegbereiter der Urologie: 10 Biographien31, der eine herausragende Rolle einnimmt, weil darin mit James Israel, Leopold Casper und Alexander von Lichtenberg Leben und Werk dreier jüdischer bzw. jüdischstämmiger deutscher Urologen prominent durch die DGU gewürdigt wurden. Der Beginn dieser neuen Phase des Interesses an den jüdischen und jüdischstämmigen Gründern des Faches lässt sich in den späten 1990er Jahren ausmachen. Ihren ersten sichtbaren Niederschlag fand sie in der Benennung einer wichtigen wissenschaftlichen Auszeichnung der DGU als „Alexander-von-Lichtenberg-Preis“ ab dem Jahr 2000.32 Seitdem wurden die Biographien einiger jüdischer Fachvertreter exemplarisch aufgearbeitet, darunter Alexander von Lichtenberg,33 Leopold Casper,34 Paul Rosenstein,35 zudem existieren Sammelbiographien zu aus Berlin,36 Hamburg37 Wien,38 und Leipzig39 Vertriebenen. Schließlich hat Julia Bellmann eine Sammlung von Kurzbiographien von mehr als 240 jüdischen und jüdischstämmigen Urologen und Urologinnen vorgelegt40 und ihre Schicksale im Nationalsozialismus quantitativ ausgewertet.41 Nach dem Erscheinen des anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der DGU vom Arbeitskreis Geschichte der Urologie herausgegebenen Bandes Urologie in Deutschland. Bilanz und Perspektiven42 im Jahr 2007, in dem begangenes Unrecht zwar benannt, aber nicht im Detail erforscht wurde, begann im Jahr 2009 ein Forschungsprojekt zur Aufklärung der Geschichte der Fachgesellschaft und ihrer Mit29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Vgl. Westermann, „Alexander von Lichtenberg: Biobibliographie eines Urologen“. Vgl. Klug, „Otto Ringleb: Biobibliographie eines Urologen“. Schultheiss u. a., Wegbereiter der Urologie. Vgl. http://www.alexander-von-lichtenberg-preis.de/ (22.11.2012). Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“. Vgl. Moll, Rathert und Fangerau, „Urologie und Nationalsozialismus am Beispiel von Leopold Casper (1859–1959)“. Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Paul Rosenstein 1875–1964 – zerrissene Biographie eines jüdischern Urologen“. Vgl. Moll, „Zerrissene Leben: Das Schicksal jüdischer Urologen zwischen ‚Ausschaltung‘, Emigration und Wiedergutmachung“. Vgl. Bellmann, „Hamburger jüdische Urologen“. Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“. Vgl. Bellmann, „Jüdische Urologen während des Nationalsozialismus – 5 Biografien aus Leipzig“. Vgl. Bellmann, „Kurzbiographien der jüdischen und aus dem Judentum stammenden Urologen“. Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“. Arbeitskreis Geschichte der Urologie, Urologie in Deutschland.

50

3. Methoden und Quellen

glieder im Nationalsozialismus. Die im Rahmen dieses Projektes erschienene Literatur, auf die ich oben bereits hingewiesen habe, sind entscheidende Vorarbeiten und zugleich wichtige Sekundärquellen dieser Arbeit. Die Primärquellen jener und der vorliegenden Arbeiten überschneiden sich in Teilen. Primärquellen Zu den Primärquellen, auf die sich diese Arbeit stützt, gehören insbesondere die urologischen Fachzeitschriften aus den 1930er bis 1950er Jahren, in denen neben rein medizinischen auch fachpolitische Themen diskutiert wurden. Klar an erster Stelle ist hier die Zeitschrift für Urologie (ZfU) zu nennen. Bis 1929 und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erschienen die Kongressvorträge für gewöhnlich als Verhandlungsberichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, welche bis 1959 als Sonderbände der ZfU, danach als eigene Reihe herausgegeben wurden. Für die beiden „reichsdeutschen“ Kongresse wurden solche Bände nicht veröffentlicht. Da viele der Kongressbeiträge stattdessen in der ZfU erschienen, ist diese für die 1930er Jahre noch wichtiger. Gleichzeitig geben die Verhandlungsberichte jedoch Auskunft über die Wiedergründung der Deutschen Gesellschaft für Urologie nach dem Kriege und den Umgang mit der eigenen Vergangenheit in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Die ZfU wurde von 1930 bis 1950 seriell ausgewertet. Dieser Zeitraum wurde gewählt, um insbesondere die beiden Umbruchphasen von 1933 und 1945 einzubeziehen. Analysiert wurden formale Kriterien, wie etwa die Veränderungen der Herausgebergremien, aber auch die Inhalte der Zeitschrift, etwa das stark gestiegene Interesse an der Vasektomieoperation nach 1933 und an Kriegschirurgie ab 1939. Neben diesen klinisch-medizinischen Aspekten gilt meine Aufmerksamkeit jedoch gerade den fachpolitischen Veröffentlichungen, die sich mit der Position des Faches in der sich verändernden gesundheitspolitischen Landschaft, dem Verhältnis von Staat und Medizin, von Urologie und Chirurgie und der Eröffnung neuer Klinken, beschäftigten. Ferner wurden die Zeitschrift für Urologische Chirurgie, das Zentralblatt für Chirurgie und Der Chirurg von 1930 bis 1950 in die Analyse einbezogen. In allen genannten Zeitschriften finden sich sowohl Originalartikel als auch Besprechungen von Büchern und Beiträgen aus anderen Zeitschriften. Der Chirurg und das Zentralblatt für Chirurgie waren in den 1930er Jahren für Urologen ebenso bedeutsam wie die namentlich urologischen Zeitschriften. Durch die enge institutionelle Bindung der Urologie an die Chirurgie, sowohl in Ausbildung als auch in klinischer Praxis, ist zu erwarten, dass fast ausnahmslos alle chirurgisch arbeitenden Urologen entweder unter der Bezeichnung „Chirurg und Urologe“ oder auch nur „Chirurg“ firmierten. Für die Nachkriegskongresse waren wieder Verhandlungsberichte der DGU erschienen. Hier sind insbesondere die Grußworte und Vorsitzendenreden im Hinblick auf die Fragestellung relevant, ob und wie auf die jüngste Vergangenheit der Gesellschaft Bezug genommen wurde. Von besonderer Bedeutung ist hier der 1958 er-

3.2 Quellen

51

schienene Band zum Kongress in Wien 1957. Zum 50-jährigen Jubiläum der DGU erschienen hier zwei Beiträge Karl Heuschs und Ferdinand Mays. Insbesondere Heuschs Beitrag43 sollte die Geschichtsdeutung der deutschen Urologen bis zu seinem Tod in den 1980er Jahren anhaltend prägen. Deshalb stellt sein Beitrag eine entscheidende historiographische Zäsur und einen Schlusspunkt meiner Analyse dar. Von ähnlichem Gewicht wie Artikel der urologischen Fachzeitschriften sind Lehrbücher aus den 1930er Jahren. Zur Sterilisation und Kastration erschienen Kapitel wie beispielsweise die Operationsanleitung des Münchener Chirurgen Erich Lexer unter dem Titel „Durchschneidung des Samenleiters (Vas deferens), Vasotomie“.44 Von Bedeutung ist auch das von Hans Naujoks und Hans Boeminghaus verfasste Lehrbuch von 1934.45 Dieses früh erschienene, von führenden Gynäkologen und Urologen verfasste Buch fand weite Verbreitung in Deutschland und wurde in der zweiten Auflage des von Erich Lexer verfassten Kapitels zur „Unfruchtbarmachung des Mannes und zur Entmannung“ in der kommentierten Auflage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GVeN) als Referenz angegeben.46 Neben drei Zeitschriftenartikeln war dort nur noch ein weiteres Lehrbuch angegeben, welches gemeinsam von dem Chirurgen Karl Heinrich Bauer und dem Gynäkologen Felix von Mikulicz-Radecki verfasst worden war.47 Im direkten Vergleich der beiden Lehrbücher fällt auf, dass das von Naujoks und Boeminghaus herausgegebene nicht nur deutlich eher erschienen war, nämlich gerade als mit Inkrafttreten des GVeN eine große Nachfrage nach einem solchen Lehrbuch entstanden war, sondern auch, dass es wesentlich unkritischer mit der Indikationsstellung und potentiellen negativen Folgen der Operationen umging. Eine Zustimmung Naujoks‘ und Boeminghaus‘ zur eugenischen Indikation der Sterilisation wird aus ihrem Buch deutlich (vgl. Kapitel 5). Andere wichtige, gedruckte Primärquellen sind Autobiographien der aus Deutschland vertriebenen Urologen Leopold Casper48 und Paul Rosenstein.49 Sie erschienen nur wenige Jahre vor Heuschs Beitrag und bieten die kritische, zu diesem Zeitpunkt bekannte „Gegenüberlieferung“ zur offiziellen Geschichtsdarstellung der Fachgesellschaft. Natürlich sind Autobiographien nie als eine objektive Überlieferung zu verstehen, sie geben jedoch mindestens über die Meinung ihres Autors zur Zeit ihrer Veröffentlichung (wenn auch nicht unbedingt Jahre oder Jahrzehnte vorher) gute Auskunft. Andere zeitgenössische Autobiographien, insbesondere von in Berlin oder im Berliner Umfeld tätigen Ärzten wie Theodor Brugsch50 und Werner Forßmann,51 wurden einbezogen. 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Vgl. Heusch, „Überblick über die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie“. Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, 219. Vgl. Naujoks und Boeminghaus, Die Technik der Sterilisation und Kastration. Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 319–26. Vgl. Bauer und von Mikulicz-Radecki, Die Praxis der Sterilisierungsoperationen. Vgl. Casper, Skizzen aus der Vergangenheit. Vgl. Rosenstein, Narben bleiben zurück. Vgl. Brugsch, Arzt seit fünf Jahrzehnten. Vgl. Forßmann, Selbstversuch.

52

3. Methoden und Quellen

Archivalische Quellen Im Rahmen der Forschung zu dieser Arbeit habe ich zahlreiche Archive aufgesucht und dort Akten zu den Fachgesellschaften und Personen eingesehen. Wichtige Bestände fanden sich im Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Düsseldorf und in der Provenienz des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg in Form von Akten über die Eintragung der DGfU ins Vereinsregister aus dem Jahr 1929 und Korrespondenz zwischen den Vertretern der Gesellschaft und dem Amtsgericht in den 1930er und 1940er Jahren.52 Obwohl die Überlieferung von Schriftquellen im Archiv der DGU nicht sehr umfangreich ist, gibt es dort einen Bestand von Fotografien und anderen Bildern. In einem Aktenkonvolut aus dem Nachlass Karl Heuschs fanden sich u. a. das von ihm verfasste Einladungsschreiben zur GRU aus dem Jahr 1935 sowie Korrespondenz zwischen der Nachkriegs-DGU und vertriebenen Kollegen.53 Die Akte zur Eintragung der DGfU ins Vereinsregister ist deshalb so wertvoll, weil sie den untersuchten Zeitraum der 1930er bis 1950er Jahre umspannt. Die DGfU bestand seit 1907, bemühte sich jedoch erst, als dies 1929 rechtlich notwendig wurde, um die Eintragung ins Vereinsregister am Amtsgericht Berlin-Charlottenburg. Diese erfolgte schließlich am 8. April 1930. Den Antrag hatten der Kassenführer Alfred Rothschild und der Schriftführer Arthur Lewin (beide aus Berlin) unterzeichnet. Aus der Korrespondenz der 1930er Jahre lässt sich der (Selbst-) Gleichschaltungsprozess der Gesellschaft gut nachzeichnen, ebenso wie das Parallelbestehen der DGfU und GRU in dieser Zeit.54 Das letzte Dokument der Akte stammt aus dem Jahr 1955 und bestätigt, dass die unterdessen wiedergegründete DGU seit 1948 in München als Verein geführt wird. Ebenfalls von sehr großem Wert sind die Dokumente zu den einzelnen Protagonisten der deutschen und österreichischen Urologie, aus denen sich ihre Biographien, aber auch Details zur Berufspolitik und Fachentwicklung herausarbeiten lassen. Dazu habe ich vor allem die Männer in den Blickpunkt genommen, die zwischen 1933 und 1945 (und z. T. noch deutlich darüber hinaus) leitende Stellungen in der deutschen und deutschsprachigen Urologie einnahmen.55 Ihre Personalakten sowie Dokumente zum wissenschaftlichen Werdegang finden sich in der Regel in den Archiven von Universitäten oder sind an Landesarchive abgegeben worden. Insgesamt wurden nach diesen Kriterien sechs Personen ausgewählt, deren Bio- und Ergographien auf der Basis von archivalischen Primärquellen erarbeitet worden sind. Dabei handelt es sich um die Gründer der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen (GRU), Otto Ringleb (1875–1946), Ludwig Kielleuthner (1876– 52 53 54 55

Vgl. Akten betreffend deutsche Gesellschaft für Urologie, Landesarchiv Berlin, B Rep. 042, Nr. 26939. Vgl. Aktenkonvolut Heusch, Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, ohne Signatur. Vgl. Krischel, Moll und Fangerau, „Die 1907 gegründete ‚Deutsche Gesellschaft für Urologie‘ und die ‚Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen‘ im Nationalsozialismus“. Vgl. Krischel, „Karrieren führender Urologen im Nationalsozialismus“.

3.2 Quellen

53

1972) und Karl Heusch (1894–1986), um den Kongresspräsidenten von 1937, Eduard Pflaumer (1872–1957) sowie die zu unterschiedlichen Zeiten designierten Präsidenten für den dritten Kongress der GRU, Hans Boeminghaus (1893–1979) und Hans Rubritius (1876–1943). Die Akten zu den Personen lagern an unterschiedlichen Orten: die Personalakte Ringlebs im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin,56 die Ludwig Kielleuthners im Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München,57 zu Heusch finden sich Personalakten im Archiv der HumboldtUniversität58 (für seine Berliner Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges) und im Stadtarchiv Aachen59 (zu seiner Tätigkeit dort nach 1945), zu Pflaumer im Archiv der Universität Erlangen,60 zu Boeminghaus im Staatsarchiv Marburg61 und zu Rubritius im Wiener Stadt- und Landesarchiv.62 Für diejenigen Personen, die Mitglieder der NSDAP und bestimmter anderer nationalsozialistischer Organisationen waren, finden sich Akten im Bundesarchiv Berlin, so etwa für die SS-Mitglieder Otto Ringleb63 und Hans-Boeminghaus.64 Im Geheimen Staatsarchiv – Preußischer Kulturbesitz ließen sich Dokumente zur SS-Mitgliedschaft Ringlebs65 und zur Parteimitgliedschaft Rubritius‘66 finden. In einigen Fällen hat es den Anschein, potentiell belastende Dokumente seien aus Akten entfernt worden, etwa aus Boeminghaus‘ Marburger Personalakte oder dem im Archiv der DGU überlieferten Aktenkonvolut von Karl Heusch. Es lässt sich jedoch nicht mehr nachvollziehen, ob dies noch während des Krieges, kurz danach (etwa als es um eine Wiederanstellung ging) oder noch später geschehen sein könnte.

56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Personalakte Otto Ringleb, UK R 151, Bd. 1. Vgl. Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München, Personalakte Ludwig Kielleuthner, Sign. E-II-1978. Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, UK H 291, Bd. 1. Vgl. Stadtarchiv Aachen, Personalakte, Vertraulich, 158, Heusch, Prof. Dr. Karl, Chefarzt a. D. Vgl. Archiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Personalakte Eduard Pflaumer. Vgl. Staatsarchiv Marburg, Personalakte Hans Boeminghaus, Best. 305a, Acc. 1976/19, alte Sign. BA8. Vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Personalakten des Prof. Dr. Hans Rubritius, SIGN. 1.3.2.202.A5. Ich danke Friederike Butta-Bieck für ihre freundliche Hilfe bei der Recherche in den Wiener Archiven. Vgl. Bundesarchiv Berlin, ehem. BDC RS Ringleb, Otto. Bundesarchiv Berlin, ehem BDC, SSO Ringlen, Otto. Vgl. Bundesarchiv Berlin, BDC SSO Boeminghaus, Hans. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Sign. SS 34B, Ring-Rinner. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Sign. PK 0083.

4. FACHGESELLSCHAFTEN UND FACHVERTRETER 4.1 INSTITUTIONELLE DIMENSION In diesem Abschnitt soll die Vereinsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie (Vorkriegsgesellschaft) und der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen beschrieben werden.1 Hier steht die Gleichschaltung der DGfU im Mittelpunkt, die sich anhand des Vereinsregisters aus der Provenienz des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg gut nachvollziehen lässt. Heiner Fangerau hat darauf hingewiesen, dass insbesondere zur Geschichte der Gleichschaltung medizinischer Fachgesellschaften 1933 und ihrer Entnazifizierung nach 1945 noch Forschungsdesiderate bestehen. Als Vorteile der Fokussierung auf Fachgesellschaften hat er dabei herausgestellt, dass sich so eine Gruppe von Akteuren mit „definierte[m] medizinischen und wissenschaftlichen Handlungsprofil“ erschließt, die zudem über miteinander geteiltes „disziplinär konstruiertes Selbstverständnis [und ähnliche] Motive“2 verfügt. Dies gilt umso mehr für Prozesse der Disziplinenbildung und Professionalisierung, die für die Urologie in den 1930er und 1940er Jahren noch nicht abgeschlossen waren. Unter den vier Kategorien (Selbstkonstitution, Anerkennung, Verantwortung, Kollegialität), die Fangerau als „heuristische Leitlinien“ angeboten hat, um „die Geschichte eines Faches im Spiegel seiner Fachgesellschaft zu rekonstruieren“,3 erscheinen mir in diesem Fall insbesondere die Anerkennung, als im Gegenzug für Unterstützung der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik als von staatlicher Seite gewährte Ressource sowie die Kollegialität, die etwa einem Drittel der Urologen, die nach 1933 nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten konnten oder sogar aus ihrer Heimat oder gar dem Leben gedrängt wurden, versagt wurden, als besonders wegweisend. Diese sollen deshalb im Folgenden thematisiert werden. Die Gleichschaltung der deutschen Ärzteschaft und ihrer Standesinstitutionen wurde oftmals keineswegs von außen erzwungen, sondern vielmehr aus der Ärzteschaft heraus betrieben. Zu einzelnen Universitäten,4 Akademien,5 Fakultä1

2 3 4 5

Dieser Abschnitt folgt in wesentlichen Teilen: Krischel, Moll und Fangerau, „Die 1907 gegründete ‚Deutsche Gesellschaft für Urologie‘ und die ‚Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen‘ im Nationalsozialismus“; sowie Krischel, „Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung der deutschen Urologie im Nationalsozialismus“. Fangerau, „Urologie im Nationalsozialismus – Eine medizinische Fachgesellschaft zwischen Professionalisierung und Vertreibung“, 17. Ebd., 18. Vgl. Hoßfeld, John und Lemuth, „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus; Eckart, Sellin und Wolgast, Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Vgl. Koppitz, Halling und Fangerau, „Nazifizierung und Entnazifizierung am Beispiel der Medizinischen Akademie Düsseldorf“.

4.1 Institutionelle Dimension

55

ten6 und Kliniken7 sind in den letzten Jahren Studien entstanden, bzw. die Prozesse der Nazifizierung sind in historischen Arbeiten erfasst worden. Auch medizinische Fachgesellschaften beginnen sich mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.8 An diesen Studien lässt sich ein Umdenken der Fachgesellschaften erkennen. Besonders die Arbeiten zur Geschichte der Kinderheilkunde9 und Dermatolo10 gie sind gute Referenzpunkte für die Aufarbeitung der Geschichte der Urologie, da die genannten Fächer vor 1933 einen großen Anteil jüdischer und jüdischstämmiger Ärzte gemeinsam hatten, so dass es dort wie in der Urologie zur Vertreibung eines großen Teils der Mitglieder der Fachgesellschaften kam. Der moderne historiographische Anspruch an eine solche Untersuchung fordert sowohl begangenes Unrecht zu benennen als auch die Lebensleistung der Entrechteten, Vertriebenen und Ermordeten zu würdigen.11 Daher sollen in diesem und im nächsten Abschnitt „Opfer“ und „Täter“ der Gleichschaltung in dem Sinne symmetrisch behandelt werden, dass unter den Medizinern sowohl auf diejenigen eingegangen wird, die aus ihren Stellungen, ihrer Heimat und sogar aus dem Leben gedrängt wurden, wie auch auf diejenigen, welche im breiten Spannungsfeld zwischen Anpassung und Begeisterung mit dem nationalsozialistischen System kooperierten. Der Anteil der Mitglieder in der NSDAP unter den nicht als jüdisch klassifizierten urologisch arbeitenden Ärzten entsprach sicherlich mindestens dem Reichsdurchschnitt, der unter Medizinern mit 45 % den höchsten Stand unter vergleichbaren Berufsgruppen wie beispielsweise Rechtsanwälten oder Lehrern erreichte.12 Exemplarisch für Oberschlesien haben Birgit Methfessel und Albrecht Scholz herausgearbeitet, dass männliche Ärzte deutlich häufiger Parteimitglieder waren als Frauen.13 Auch dies spricht dafür, dass in der männlich geprägten Urologie der Anteil der Parteimitglieder überdurchschnittlich hoch war. Die Mitgliedschaft in Partei, SA und SS war für viele Ärzte jedoch neben einer ideologischen auch eine Karriereentscheidung. So haben Methfessel und Scholz gezeigt, dass der Anteil der Mitglieder unter den Oberärzten am höchsten war, gefolgt von leitenden Ärzten, Chefärzten und schließlich Assistenzärzten. Im Folgenden werde ich zeigen, dass auch unter den Urologen eine Mitgliedschaft in NSDAP und SS der Karriere nützlich sein konnte.14 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Forsbach, Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“; Klein, Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit; Schleiermacher und Schagen, Die Charité im Dritten Reich. Vgl. Fartwsi, Die Entwicklung der Klinik Golzheim (1926–2006). Vgl. dazu Kapitel 2. Vgl. Seidler, Jüdische Kinderärzte 1933–1945. Vgl. Eppinger, Das Schicksal der jüdischen Dermatologen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus. Vgl. Fangerau und Krischel, „Der Wert des Lebens und das Schweigen der Opfer: Zum Umgang mit den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung in der Medizinhistoriographie“. Vgl. Kater, Ärzte als Hitlers Helfer. Vgl. Scholz und Methfessel, „Ärzte in der NSDAP“. Vgl. dazu den Abschnitt „Aufstieg der im Nationalsozialismus führenden Urologen“ unten.

56

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Für die deutsche Urologie lässt sich feststellen, dass sie sich der nationalsozialistischen Sprache, Ideologie und Gesundheitspolitik bewusst annäherte, indem sie die jüdischen und jüdischstämmigen Mediziner vertrieb, auf ihren Kongressen bewusst deutschnational auftrat und den Wert des Faches für die Volksgesundheit betonte. Im Gegenzug erhoffte sich und erhielt die Urologie in den 1930er Jahren wachsende Unabhängigkeit von der Chirurgie, dezidiert urologische Kliniken und universitäre Positionen. Aus diesen Gründen erscheint es angemessen, von einer Beziehung zwischen Medizin und Politik zu sprechen, in der beide Seiten als Ressourcen füreinander dienten, und bei der die Medizin von der Politik Geld, Positionen und Sozialprestige erhielt, während die Politik von der Medizin im Gegenzug Personal, Wissen und rhetorische Verstärkung erwarb.15 So waren die allermeisten nichtjüdischen Vorstandsmitglieder der DGfU und die Führungsspitze der GRU durchaus bereit, sich in den Dienst des Regimes und der neuen Gesundheitspolitik zu stellen und etwa ihr Handeln an der Volksgesundheit statt am Wohl des einzelnen Patienten auszurichten. Gleichzeitig erwartete sie als Gegenleistung eine Stärkung der eigenen Positionen sowie des Fachgebietes Urologie. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht zufällig, dass Otto Ringleb 1937 den ersten ordentlichen Lehrstuhl für Urologie erhielt, zudem an der prestigeträchtigen Berliner Universität, und Karl Heusch sich 1942 bei Ringleb im Fach Urologie habilitieren konnte. Dies ist insofern ungewöhnlich, als die meisten Habilitationen urologisch tätiger Ärzte im Fach Chirurgie oder in Chirurgie und Urologie gestattet wurden. Es hat den Anschein, dass die Urologie in Deutschland fachpolitisch durchaus davon profitiert hat, sich in den Dienst des NS-Regimes gestellt zu haben. Die Situation der Urologie in Deutschland zu Beginn der 1930er Jahre, einschließlich ihres Strebens nach fachlicher Unabhängigkeit von der Chirurgie, ihrer engen, bis 1933 kaum für trennbar gehaltenen Beziehung zu Österreich sowie der relativ hohen Anzahl jüdischer und jüdischstämmiger Ärzte auch in den Führungsund Herausgebergremien, lässt sich am besten aus der Geschichte der 1906 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Urologie verstehen. Die 1906 gegründete Deutsche Gesellschaft für Urologie Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Medizin durch Ausdifferenzierung und die Bildung von Spezialfächern gekennzeichnet.16 So verwundert es nicht, dass auch die urologisch tätigen Ärzte Frankreichs sich 1896 in Paris zur „Association Française d’Urologie“ zusammenschlossen, die US-Amerikaner 1902 die „American Urologic Association“ gründeten und zwei Jahre auf die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1906 die der „Société International d’Urologie“ 15 16

Vgl. Ash, „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“. Vgl. Riedl, Die Auseinandersetzungen um die Spezialisierung in der Medizin von 1862 bis 1925.

4.1 Institutionelle Dimension

57

wiederum in Paris folgte.17 In dieser 1906 gegründeten DGfU, die zu ihrem ersten Kongress 1907 unter Anton Ritter von Frisch (1849–1917) in Wien zusammenkam, hatten jüdische Mediziner wichtige Rollen eingenommen. Diese Deutsche Gesellschaft für Urologie war eigentlich eine deutsch-österreichische. Dies wird deutlich aus der paritätischen Besetzung der Posten des Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Schriftführers durch jeweils einen Deutschen und einen Österreicher bei der Gründung der Gesellschaft bei der konstituierenden Sitzung der Gesellschaft 1906 in Stuttgart. Als Vorsitzende waren hier Anton Ritter von Frisch aus Wien und Carl Posner aus Berlin, als stellvertretende Vorsitzende Leopold Casper aus Berlin und Otto Zuckerkandl aus Wien, als Schriftführer Georg Kapsammer aus Wien und Hans Wossidlo aus Berlin bestimmt worden. Einzig die Position des Kassenführers wurde – möglicherweise um einen eindeutig Verantwortlichen zu haben – nur mit einer Person, Loewenhardt aus Breslau, besetzt.18 Auch als Kongressorte wechselten sich Wien und Berlin zwischen 1907 und 1928 stets ab. Der letzte Kongress der DGfU fand 1929 unter dem Kongresspräsidenten Ludwig Kielleuthner in München statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gesellschaft 576 Mitglieder.19 Für 1931 war Hans Rubritius (1876–1943) als Präsident des nächsten Kongresses in Wien vorgesehen gewesen. Auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse wurde der Kongress zunächst auf 1932, dann auf 1933 verschoben.20 Die recht starke Repräsentation jüdischer Ärzte in der Führungsriege der DGfU lässt sich daraus erklären, dass Wien und Berlin, die Zentren der deutschsprachigen Urologie, aus der sich diese Führungsriege rekrutierte, beide einen überdurchschnittlich großen Anteil jüdischer Mediziner beherbergten. So hat etwa Michael Hubenstorf bemerkt, dass in Berlin 52 % der Kassenärzte und 43 % der Hochschullehrer im Bereich Medizin und in Wien 68 % der Ärzte und 51 % der Hochschullehrer nach nationalsozialistischer Gesetzgebung als Juden klassifiziert wurden.21 Unter den 8 Präsidenten der DGfU waren 5 jüdischen Glaubens oder hatten jüdische Vorfahren: Otto Zuckerkandl, Leopold Casper, Carl Posner, Viktor Blum und Alexander von Lichtenberg. Dabei ist bemerkenswert, dass mindestens 2 von ihnen, der Wiener Viktor Blum und der ursprünglich aus Budapest stammende und in Berlin tätige Alexander von Lichtenberg, ihrem Selbstverständnis nach Katholiken waren. So arbeitete von Lichtenberg am katholischen St. Hedwig-Krankenhaus und wurde in der Personalakte der Berliner Universität als römisch-katholisch geführt.22 Blum trat noch vor dem Abschluss seines Medizinstudiums aus der jüdi17 18 19 20 21 22

Vgl. Moll und Konert, „Von Frankfurt nach Stuttgart und Wien – der lange Weg zur Gründung der ‚Deutschen Gesellschaft für Urologie‘“, 3–4. Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 19–28. Vgl. Schultze-Seemann, „75 Jahre Deutsche Gesellschaft für Urologie“, XX. Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 32–90. Vgl. Hubenstorf, „Ende einer Tradition und Fortsetzung als Provinz. Die Medizinischen Fakultäten der Universitäten Berlin und Wien 1925–1950“, 41–2. Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“.

58

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

schen Kultusgemeinde aus und ließ sich später römisch-katholisch taufen.23 Beide wurden von den Nationalsozialisten als „nicht-arisch“ klassifiziert, aus ihren Positionen entlassen und emigrierten in der Folge. Obwohl die DGfU schon seit 1906 bestand, hatte sie sich erst 1929 um die Eintragung ins Vereinsregister am Amtsgericht Berlin-Charlottenburg bemüht (vgl. Abbildung 2) und wurde am 8. April 1930 eingetragen (vgl. Abbildung 3). Grund dafür scheint ein neues preußisches Gesetz gewesen zu sein, dass die Eintragung forderte. Den Antrag hatten der Kassenführer Alfred Rothschild (1866–1942) und der Schriftführer Arthur Lewin (1866–1939), beide aus Berlin, unterzeichnet. Ein Jahr darauf, am 26. April 1930, erschien im Amtsblatt für den Landespolizeibezirk Berlin unter der Überschrift „Vereinsregistersachen“ die Meldung über die Eintragung der „Deutschen Gesellschaft für Urologie, Sitz Berlin“ am Amtsgericht Berlin-Mitte. Sowohl Rothschild als auch Lewin waren Assistenten Maximilian Nitzes24 und Gründungsmitglieder der Berliner Urologischen Gesellschaft25 gewesen. Rothschild war bereits 1923 in Erscheinung getreten, als er sich für die Einführung des Facharztes für Urologie eingesetzt hatte.26 Während Lewin im Dezember 1938 nach Palästina emigrierte, wo er ein halbes Jahr später starb, wohnte Rothschild von 1937 bis Oktober 1942 in Potsdam. Dann wurde er ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er nach zwei Monaten starb.27 Tabelle 1: Kongressorte und -präsidenten der DGfU28

I. Kongress (1907)

Wien

Anton Ritter von Frisch (1849–1917)

III. Kongress (1911)

Wien

Otto Zuckerkandl

II. Kongress (1909)

IV. Kongress (1913) V. Kongress (1921)

VI. Kongress (1924)

VII. Kongress (1926)

VIII. Kongress (1928) IX. Kongress (1929)

23 24 25 26 27 28

Berlin Berlin Wien

Berlin Wien

Berlin

München

Otto Zuckerkandl (1861–1921) Leopold Casper (1859–1959)

Friedrich Voelcker (1872–1955) Carl Posner (1854–1928)

Viktor Blum (1879–1954)

Alexander von Lichtenberg (1880–1949) Ludwig Kielleuthner (1876–1972)

Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“, 131. Vgl. Wenske, „Die Herausbildung urologischer Krankenabteilungen in Berlin“, 17. Vgl. Dietrich, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–2006“. Vgl. Rothschild, „Die Urologie und die Regelung der Facharztfrage“. Vgl. Bellmann, „Kurzbiographien der jüdischen und aus dem Judentum stammenden Urologen“, 57, 76. Vgl. Mauermayer und Schultze-Seemann, Deutsche Gesellschaft für Urologie.

4.1 Institutionelle Dimension

Abbildung 1: Brief Rothschilds und Lewins an das Amtsgericht Berlin Mitte vom 5. Dezember 1929 (Vorderseite)29 29

Landesarchiv Berlin, B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 2 r+v.

59

60

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 1: Brief Rothschilds und Lewins an das Amtsgericht Berlin Mitte vom 5. Dezember 1929 (Rückseite)

4.1 Institutionelle Dimension

61

Abbildung 2: Öffentlicher Anzeiger zum 18. Stück des Amtsblatts für den Landespolizeibezirk Berlin, Berlin, 26. April 193030

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Einsetzen der Diskriminierung durch die „Nürnberger Rassengesetze“ verfiel die DGfU schnell in den Gleichschritt. So musste bereits 1933 der geschäftsführende Vorstand der alten Gesellschaft, Arthur Lewin und Alfred Rothschild, seine Ämter niederlegen. 1934 wurden Bernhard Klose Schriftführer und Willibald Heyn Kassenführer, während der Österreicher Hans Rubritius Vorsitzender der Gesellschaft blieb.31 Im Juli desselben Jahres wurde auf Initiative Ludwig Kielleuthners die Gründung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen beschlossen, aus der die Österreicher zunächst als Mitglieder ausgeschlossen waren.32 In dem Einladungsschreiben Karl Heuschs, des Schriftführers der GRU, (ca. 1935) werden als Motive für die Gründung der neuen Gesellschaft „die Belange der Volksgesundheit und des selbstgewählten Faches“ genannt, welche eine „festgeschlossene Front der Fachurologen Deutschlands“ erforderten. Hieraus wird die Programmatik der neuen Gesellschaft deutlich: Einerseits wollte sie sich eindeutig in den Dienst der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, einschließlich ihrer bevölkerungspolitischen Dimension, stellen, andererseits hoffte sie im Gegenzug auf eine Stärkung des Faches Urologie. Neben Urologen waren auch Spezialisten anderer Fachgebiete, darunter ausdrücklich Chi30 31 32

Landesarchiv, Berlin B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 39v Vgl. Rathert und Moll, „Urologie in Deutschland im Spiegel der Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1907–2007“, 39. Vgl. Ringleb, „Eröffnungsrede“, 141.

62

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 3: Brief Vahlteichs an das Amtsgericht Charlottenburg vom 27. Oktober 193433 33

Landesarchiv Berlin, B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 45.

4.1 Institutionelle Dimension

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rurgen, Gynäkologen, Dermatologen und Internisten, zum Beitritt eingeladen. Durch diese Auflistung werden die unmittelbaren Nachbarfächer der Urologie im Verständnis Heuschs deutlich. Gleichzeitig kann diese Nennung von vier Fachgebieten als Spitze gegen die Chirurgie gedeutet werden, von der die Mitglieder der GRU ihr Fach emanzipieren wollten, indem sie die Urologie als allen vieren benachbart darstellten. Der Bezug auf Maximilian Nitze als Gründervater der deutschen Urologie findet sich in der GRU und insbesondere bei ihrem ersten Präsidenten Otto Ringleb häufig, da Ringleb Privatassistent bei Nitze gewesen war und so eine Position als natürlicher Nachfolger einfordern konnte. Als Miterfinder und Verbreiter des Zystoskops nimmt Nitze immer noch eine wichtige Stellung in der Geschichtsschreibung der Urologie ein, insbesondere in der von Medizinern selbst verfassten.34 Im Oktober 1934 teilte die DGfU dem Amtsgericht Charlottenburg mit, dass die „bisherigen Vorstandsmitglieder [Lewin und Rothschild] ihre Ämter niedergelegt“ hätten und Bernhard Klose als Schriftführer und Willibald Heyn (beide Berlin) als Kassenführer an deren Stelle getreten seien (vgl. Abbildung 4). In dem Schreiben wurde die Anzahl der Mitglieder der Gesellschaft mit „noch etwa 240“35 angegeben. Dies steht in einem starken Kontrast zu 1929, als die Gesellschaft noch ca. 579 Mitglieder, darunter zahlreiche aus dem Ausland, gehabt hatte.

Abbildung 4: Entwicklung der Mitgliederzahlen der DGfU, 1929–1939

Im April 1938, einen Monat nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, teilt die DGfU auf Anfrage des Amtsgerichts mit, „[d]ie Geschäfte der Deutschen Gesellschaft für Urologie haben bis jetzt noch geruht. Ein Teil der Mitglieder, so auch der derzeitige 1. Vorsitzende, Herr Professor Rubritius, wohnen im früheren Lande Österreich. Durch den vollzogenen Anschluß wird in absehbarer Zeit eine Neuordnung der bestehenden urologischen Gesellschaften notwendig werden.“36 Beide Briefe sind mit „Vahlteich“ unterzeichnet. Dabei handelt es sich um 34 35 36

Vgl. etwa Reuther, „Maximilian Nitze (1848–1906)“. Landesarchiv Berlin B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 45. Landesarchiv Berlin B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 51.

64

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Johanna Vahlteich,37 eine Mitarbeiterin Victor Salles, welcher beim Springer-Verlag in Berlin für den Bereich Medizin zuständig war und die Geschäfte der DGfU ab 1934 führte.38 Im Juni 1939 schrieb Ludwig Kielleuthner an das Amtsgericht: „Bei der Generalversammlung [der DGfU 1929 in München] wurde Herr Professor Dr. Hans Rubritius, Wien, IX. Porzellangasse 43 zum Vorsitzenden der deutschen Gesellschaft für Urologie gewählt. Da seit dieser Zeit kein Kongreß dieser Gesellschaft abgehalten wurde, ist Herr Professor Dr. Hans Rubritius immer noch Vorsitzender dieser Gesellschaft. Ich bitte daher, den Genannten in das Vereinsregister als Vorsitzenden der deutschen Gesellschaft für Urologie einzutragen.“39

Noch im selben Monat wandte sich Rubritius selbst als Vorsitzender der DGfU zum ersten Mal an das Amtsgericht und bestätigte Heyn und Klose als Schrift- und Kassenführer.40 Im Oktober 1939 hatte die DGfU noch 131 Mitglieder (vgl. Abbildung 5) und ein Vereinsvermögen von RM 22.200.41 Das letzte Schreiben Rubritius‘ an das Amtsgericht stammt aus dem September 1942, weniger als ein Jahr vor seinem Tod. In dem Schreiben gibt er „[a]ls derzeitiger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Urologie“42 an, dass auf Grund des Krieges keine Kongresse stattfinden könnten und daher der Vorstand bisweilen im Amt bliebe. Mit dem Tode Rubritius‘ im Jahr 1943 trat die DGfU bis nach dem Kriege nicht mehr in Erscheinung. Erst als die Deutsche Gesellschaft für Urologie nach dem Krieg neu gegründet werden sollte, wurde die alte Gesellschaft aufgelöst (vgl. Kapitel 6). Die Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen Obwohl jüdische und jüdischstämmige Mitglieder bereits früh aus den Führungsgremien der DGfU vertrieben worden waren, erfolgte nicht einmal zwei Jahre später die Gründung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen (GRU), wohl insbesondere um sich von den Österreichern abzugrenzen. So kam es ab 1935 zu einem Parallelbestehen der beiden Gesellschaften. Ab dem Ende der 1930er Jahre, insbesondere nach dem „Anschluss“ Österreichs und der Entrechtung der dortigen jüdischen Bevölkerung, lassen sich Versuche einer Vereinigung der beiden Gesellschaften nachweisen, die auf Grund des Beginns des Zweiten Weltkrieges und der daraus folgenden Einschränkung der Kongresstätigkeit schließlich nicht weiter verfolgt wurden. Bereits Mitte der 30er Jahre wurde die GRU gegründet. Aus dem Einladungsschreiben Heuschs (vgl. Abbildung 6) geht hervor, dass ihre Gründung im Winter 37 38 39 40 41 42

Vgl. Götze, Der Springer-Verlag, Bd. 2, 9. Vgl. ebd., Bd. 2, 332. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 54. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 56. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 63a. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042 Nr. 26939, Bl. 67.

4.1 Institutionelle Dimension

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Abbildung 5: Einladungsschreiben Karl Heuschs an potentielle Mitglieder der GRU, ca. 1935, Aktenkonvolut Heusch, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

1934/1935 beschlossen wurde und auf Initiative Ludwig Kielleuthners (1876–1972) erfolgte. Otto Ringleb (1875–1946) wurde zum ersten Vorsitzenden, Kielleuthner zum zweiten Vorsitzenden und Karl Heusch (1894–1986) zum Schriftführer bestimmt. Es ist denkbar, dass Kielleuthner insbesondere deshalb als Initiator der GRU genannt wurde, um eine Kontinuität zwischen den verschiedenen urologischen Fachgesellschaften herzustellen. Bemerkenswert ist die Parallelität der beiden deutschen urologischen Fachgesellschaften, denn mit dem Aufbau der GRU hörte die DGfU, wie bereits beschrieben, nicht auf zu existieren. Der Grund für die Gründung der GRU scheint gewesen zu sein, dass in Österreich vor dem Anschluss 1938 jüdische Urologen weiter stark in der Führung des Faches vertreten blieben und eine Zusammenarbeit der nationalsozialistisch eingestellten deutschen Urologen mit ihnen kaum denkbar erschien (s. u.). So hat etwa Michael Hubenstorf gezeigt, dass bis 1935 mehr als 80 % (41 von 50) der österreichischen Urologen in Wien praktiziert hatten und von denen fast die Hälfte (20) im Jahr 1941 dort nicht mehr tätig war.43 Friederike Butta-Bieck hat 27 österreichische Urologen als jüdisch oder jüdischstämmig identifiziert, was für das Land einen Anteil von 54 % bedeuten würde.44 Der Vorsitzende der GRU Ringleb richtete den ersten Kongress der Gesellschaft 1936 in Eisenach aus, wohl weil sich dort Maximilian Nitzes Grab befindet. Vorsitzender des zweiten Kongresses, der nur ein Jahr später am selben Ort stattfand, war Eduard Pflaumer. Ein dritter Kongress, der mehrmals anberaumt und abgesagt wurde, sollte zunächst von Boeminghaus, später von Rubritius ausgerichtet werden. Die Gründung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen kann einerseits als Akt der (Selbst-)Gleichschaltung auf der institutionellen Ebene der Urologie verstanden werden. Andererseits hofften die beteiligten Mediziner von Staats- und Parteiorganisationen persönlich, fachlich und fachpolitisch für ihr Entgegenkommen belohnt zu werden. Diesen Prozess haben Peter Rathert und Friedrich Moll bereits 2007 treffend als „geschmeidige Anpassung“45 bezeichnet. Den Urologen, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland und zwischen 1938 und 1945 in Österreich in die Führungspositionen des Faches aufstiegen, konnte dies nur mit Billigung, wenn nicht gar mit aktiver Unterstützung der nationalsozialistischen Partei- und Regierungsbürokratie gelingen. In Kapitel 4 werden einige ausgesuchte Karrierewege nachgezeichnet. Dabei fällt ins Auge, dass viele der untersuchten Personen Mitglieder der NSDAP, fördernde oder sogar aktive Mitglieder der SS waren. Während der Phase der Trennung der deutschen und österreichischen Urologie wurde im November 1935 die Wiener Urologische Gesellschaft in Österreichische

43 44 45

Vgl. Hubenstorf, „Urologie und Nationalsozialismus in Österreich“, 151. Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“, 134. Rathert und Moll, „Urologie in Deutschland im Spiegel der Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1907–2007“, 39.

4.1 Institutionelle Dimension

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Gesellschaft für Urologie umbenannt.46 Die Trennung war laut Ringleb im Sommer 1934 beschlossen worden.47 Gründe dafür nennt er nicht, es scheint jedoch, dass nachdem die Nationalsozialisten unter den deutschen Urologen ihre jüdischen Fachkollegen erfolgreich aus der Führungsebene der DGfU und der Zeitschrift für Urologie gedrängt hatten, nicht auf derselben Ebene mit den jüdischen Kollegen aus Österreich verkehren wollten, die bis zum „Anschluss“ Österreichs 1938 noch nicht von der deutschen Gesetzgebung betroffen waren. Auf diese Weise konnten die deutschen Urologen vermeiden, Vorstandsposten und Kongressausrichtungen mit ihren in vielen Fällen jüdischen, österreichischen Kollegen zu teilen. Während Österreicher als Gäste auf den beiden reichsdeutschen Kongressen zugegen waren, blieb ihnen die Mitgliedschaft in der neuen Gesellschaft zunächst verwehrt. Peter Paul Figdor hat darauf hingewiesen, dass ab 1939, also nach dem „Anschluss“ Österreichs, die Gesellschaft vorübergehend wieder Wiener Urologische Gesellschaft hieß.48 Exkurs: Die Berliner Urologische Gesellschaft Die Berliner Urologische Gesellschaft (BUG) war seit ihrer Gründung 1912 die einzige lokale urologische Gesellschaft in Deutschland und sollte dies auch bis in die 1950er Jahre bleiben.49 Neben der in Wien war sie zudem eine von nur zwei lokalen Gesellschaften im deutschsprachigen Raum, womit ihr eine besondere Bedeutung zukam.50 Ihr früher Gleichschaltungsprozess ist gut dokumentiert51 und mag als Vorbild für die Gleichschaltung der nationalen Gesellschaft gedient haben, zumal zwei der entscheidenden Protagonisten der deutschen Urologie im Nationalsozialismus, Otto Ringleb und Karl Heusch, in Berlin wohnten und arbeiteten. Im Rückblick schrieb Werner Forßmann (1904–1979) über diesen Gleichschaltungsprozess: „Merkwürdigerweise war in der Urologie der Anteil jüdischer Fachärzte besonders hoch. Deshalb brachen auch nach 1933 alle urologischen Wissenschaftlichen Gesellschaften in Deutschland zusammen. Mit großer Mühe bauten Ringleb und Heusch zunächst die Berliner Urologische Gesellschaft wieder auf und gründeten danach die Deutsche Gesellschaft für Urologie neu […].“52

46 47 48 49 50 51 52

Ein Vermerk findet sich in der Zeitschrift für Urologische Chirurgie 42 (1937), 241. Vgl. Ringleb, „Rede am Grabe M. Nitzes. Vgl. Figdor, „Koloman Haslinger (1889–1944)“. Vgl. Dietrich, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–2006“. Zu ihrer Geschichte vgl. Schmitz, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–1961“; Durnick, „Die Geschichte der Berliner Urologischen Gesellschaft von 1955–2000“. Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 94–8. Forßmann, Selbstversuch, 165.

68

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Die Situation lässt sich detaillierter rekonstruieren. Bereits 1933 musste Paul Rosenstein sein Amt als Vorsitzender der BUG aufgeben. Er beauftragte zunächst Bernd Klose mit der Führung der Geschäfte, wie dieser auf der nächsten Sitzung der Gesellschaft im November 1934 mitteilte. Bald darauf habe Karl Heusch Klose mitgeteilt, „daß er [Heusch] vom Ministerium des Inneren beauftragt sei, die Berliner Urologische Gesellschaft neu zu gestalten.“53 Obwohl dieser Auftrag nicht direkt nachzuvollziehen ist, scheint es wahrscheinlich, dass Heusch ihn durch seine Beziehung zum späteren Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti erhielt, die er seit 1930 pflegte. Auf der Sitzung wurde eine neue Satzung der BUG beschlossen, aus der eine Hinwendung der Gesellschaft zu nationalsozialistischen Prinzipien deutlich wird. So heißt es etwa in § 1 der „Zweite[n] Satzung der Berliner Urologischen Gesellschaft vom 28.11.1934“ die Gesellschaft solle u. a. zu „bevölkerungspolitischen und rasse-hygienischen Fragen […] künftighin Stellung nehmen können.“54 Die Mitgliedschaft wurde auf „in Deutschland approbierte“ Ärzte beschränkt und „[ü] ber die Aufnahme respektive Ablehnung [entschied] der Vorstand ohne Begründung.“55 Gemäß der ursprünglichen Satzung hatte die Mitgliedschaft allen approbierten Ärzten offengestanden und war durch ein Zweidrittelvotum der Anwesenden einer Sitzung beschlossen worden.56 Weiterhin sah die neue Satzung gemäß § 6 vor, dass ihr Vorsitzender und die übrigen Vorstandsmitglieder „der Bestätigung durch den Leiter der Medizinalabteilung im Ministerium des Inneren, resp. durch dessen Stellvertreter“ bedurften, „dem auch jederzeit das Abberufungsrecht dem Vorsitzenden gegenüber zusteht. In diesem Fall wird der Nachfolger von der abberufenden Stelle ernannt.“57 Hieraus wird deutlich, dass die BUG das „Führerprinzip“ etablierte. Zudem wurden mit „bevölkerungspolitischen und rassehygienischen Fragen“ zwei Eckpfeiler der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik explizit als Aufgaben der BUG genannt. Auf der Sitzung im November 1934, die noch von Klose als geschäftsführendem Vorstand einberufen worden war, wurde zunächst die neue Satzung angenommen und dann Otto Ringleb zum Vorsitzenden der Gesellschaft gewählt.58 Die Gründe für Kloses Abberufung sind nicht ausdrücklich genannt, jedoch ist er nicht als Nationalsozialist in Erscheinung getreten. Vielmehr hatte er bei der Bestattung des 1933 durch Suizid aus dem Leben geschiedenen jüdischen Berliner Urologen Eugen Joseph59 die BUG repräsentiert und in ihrem Namen einen Kranz an dessen Sarg niedergelegt.60 Solche Akte der Anteilnahme sind sehr selten dokumentiert.

53 54 55 56 57 58 59 60

Klose, „Eröffnungsansprache“. Schmitz, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–1961“, 40. Ebd. Vgl. ebd., 30. Ebd., 42–3. Vgl. ebd., 15. Vgl. Moll, „Zerrissene Leben: Das Schicksal jüdischer Urologen zwischen ‚Ausschaltung‘, Emigration und Wiedergutmachung“. Vgl. Klose, „Eröffnungsansprache“.

4.1 Institutionelle Dimension

69

Während die BUG in den 1920er Jahren bis zu 8 Sitzungen im Jahr abgehalten hatte, traf sie zwischen 1933 und 1938 insgesamt nur noch 8 Mal zu wissenschaftlichen Sitzungen zusammen. Danach wurden die Treffen immer seltener, und das letzte Treffen vor dem Ende des Krieges fand im Oktober 1943 statt.61 Gründe dafür sind sicherlich, dass ein großer Teil der ehemaligen Mitglieder der Gesellschaft aus dem Beruf, der Stadt oder dem Leben gedrängt worden waren. Hinweise darauf sind etwa, dass während die BUG etwa 1932 noch 165 Mitglieder hatte, sich zur Rekonstituierung der Gesellschaft nach dem Kriegsende 1955 nur 43 Mitglieder einfanden, und auch zwei Jahre später ihre Anzahl nur 72 betrug.62 Auch eine Betrachtung der Präsidenten der BUG von ihrer Gründung bis 1933 zeigt, dass jüdische und jüdischstämmige Ärzte in ihr deutlich präsent waren. Dazu zählten mit Carl Posner, Leopold Casper, Arthur Lewin, Eugen Joseph, Alexander von Lichtenberg und Paul Rosenstein 7 von 10 Männern, die den Vorsitz der BUG innehatten. Tabelle 2: Vorsitzende der BUG von 1912 bis 194563

1912

Carl Posner (1854–1928)

1914

Hans Wossidlo (1854–1918)

1913 1915–1918 1919

1920/1921 1922/1923 1924/1925 1926/1927 1928/1929 1930/1931 1932/1933 1933

Ab 1934

Leopold Casper (1859–1959) Unterbrechung der Tätigkeit der Gesellschaft durch den Ersten Weltkrieg Oskar Rumpel (1872–1954) Carl Posner

Leopold Casper

Arthur Lewin (1866–1939) Otto Ringleb (1875–1946)

Eugen Joseph (1879–1933)

Alexander von Lichtenberg (1880–1949) Paul Rosenstein (1875–1964)

Unterbrechung der Tätigkeit der Gesellschaft infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten Otto Ringleb

Ein weiterer Grund für die verhältnismäßige Untätigkeit der Berliner Gesellschaft ab 1933 mag gewesen sein, dass die nun in Berlin führenden Urologen gleichzeitig 61 62 63

Vgl. Dietrich, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–2006“, 1104–5. Vgl. Schmitz, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–1961“, 51. Vgl. Durnick, „Die Geschichte der Berliner Urologischen Gesellschaft von 1955–2000“, B13– B16.

70

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

wichtige Rollen in der GRU einnahmen und ihre Energie auf deren Aktivitäten lenkten. Trotzdem behielt die Zeitschrift für Urologie, die im Untertitel bis 1936 „Organ der Deutschen Gesellschaft für Urologie und der Berliner Urologischen Gesellschaft“ geheißen hatte, den Bezug zur BUG bei, als sie ab 1937 den Untertitel „Organ der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen und der Berliner Urologischen Gesellschaft“ führte. Kongresse der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen Als die GRU 1936 in Eisenach zu ihrem ersten Kongress zusammentrat, versammelte man sich dort zuerst am Grab Maximilian Nitzes (vgl. Abbildungen 6, 7).64 Otto Ringleb, der von 1902 bis zu Nitzes Tod 1906 bei ihm Privatassistent gewesen war, hielt eine Rede, in der er auf die Bedeutung Nitzes und seines „Blasenrohrs“, d. h. Zystoskops, für die Urologie einging.65 Ringleb stellte dabei Nitze als einen Säulenheiligen der Urologie und ein zu Lebzeiten verkanntes Genie dar, das „bei den Chirurgen seiner Zeit keine Liebe fand“.66 In der Folge verglich Ringleb das Zystoskop mit dem Helmholtz’schen Augenspiegel67 und setzte die Entwicklung der beiden Instrumente für ihre jeweiligen Fächer miteinander in Beziehung. So rückte er Nitze implizit in die Nähe Hermann von Helmholtz’, einem der anerkanntesten Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Seit Nitzes Tod hatte sich Ringleb als dessen letzter Assistent und Meisterschüler inszeniert und etwa seine 1910 gedruckte und 1912 als Habilitationsschrift anerkannte Arbeit Das Kystoskop mit der Widmung „Der Erinnerung an Max Nitze gewidmet“ versehen.68 Indem Ringleb Nitze als einen Gründervater der Urologie und sich als dessen Schüler präsentierte, legitimierte er seinen Anspruch auf die Führungsrolle der deutschen Urologie. Aus dem Vortragsprogramm der ersten Tagung der GRU lässt sich deutlich das Spannungsfeld zwischen Anpassung an das nationalsozialistische Regime und Bestrebungen zur Fortentwicklung des Faches erkennen, das ihre Aktivitäten kennzeichnete. In seinem Begrüßungsvortrag forderte Ringleb eine Unabhängigkeit der Urologie von der Chirurgie in Praxis und Lehre und begründete dies damit, dass die Urologie zwar, wie etwa auch die Gynäkologie, einen chirurgischen Anteil habe, jedoch die „Eingriffe[] von innen her, die also mit Tastgeräten allein (Katheterung, Behandlungen der Harnröhrenengen, das Steineknacken) oder mit dem Sichtgerät, dem Cystoskop“69 fachkonstituierend seien. Auch hier wird die aktiv durch die Wahl des Tagungsortes konstruierte Kontinuität von Nitze über dessen direkten

64 65 66 67 68 69

Vgl. Reuter, „Maximilian Nitze (1848–1906)“. Vgl. Ringleb, „Rede am Grabe M. Nitzes“. Ebd., 137. Zu dessen Geschichte vgl. etwa Sherman, „The history of the ophthalmoscope“. Ringleb, Das Kystoskop. Eine Studie seiner optischen und mechanischen Einrichtung und seiner Geschichte. Ringleb, „Begrüßung“.

4.1 Institutionelle Dimension

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Abbildung 6: Urologen beim GRU-Kongress in Eisenach 1936, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

Schüler Ringleb zur durch die Endoskopie konstituierten Urologie deutlich. Ringleb beschloss den Vortrag indem er seine Fachkollegen aufforderte: „Sprechen und schreiben Sie deutsch! […] Wenn sich jeder Urologe Mühe gibt, an der Sprache in den Vorträgen und Veröffentlichungen zu arbeiten und zu feilen, so wird unser Fachschrifttum mit der Zeit gepflegter erscheinen. Vor allem aber folgen wir hier den Richtlinien unseres großen Führers, dessen Wege wir mitgehen, wohin auch immer, und dessen Werke jeder von uns tatkräftig zu unterstützen hat. So wollen wir ihm auch treue Gefolgschaft geloben und mitarbeiten am Heil der uns anvertrauten Kranken, zum Wohl unseres Vaterlandes. Mit dem Rufe: Unser Führer Adolf Hitler ‚Sieg Heil!‘ eröffne ich hiermit die I. Tagung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen!“70

In den weiteren Kongressbeiträgen zeigt sich, dass sich „Deutschtümelei“ und Orientierung an der Volksgesundheit keineswegs auf reine Rhetorik beschränkten, sondern die wissenschaftlichen Arbeiten tatsächlich prägten. In seinem Vortrag „Urologie und Volksgesundheit“ stellte Karl Heusch die Rolle einer professionalisierten Urologie für die Volksgesundheit heraus. Er wies darauf hin, dass Deutschland im internationalen Vergleich an 14. Stelle stünde, was die urologischen Professuren (Heusch sprach fälschlich von Lehrstühlen) pro Einwohner angehe und wies auf den bereits erfolgten und potentiellen Nutzen einer verbesserten und professionali70

Ebd.

72

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 7: Bericht aus der Eisenacher Tagespost vom 11. Oktober 1937 über den zweiten Kongress der GRU, aus dem Stadtarchiv Eisenach

sierten urologischen Ausbildung für die Volksgesundheit hin. Zudem nannte er eine ganze Reihe von Kongressvorträgen zu entsprechenden Themen, darunter die „noch unbesiegte[] Volksseuche Gonorrhöe“ und insbesondere die „Wiederherstellung der Potentia generandi beim Manne“, die von dem Greifswalder Arzt Richter in dessen Vortag „Gonorrhöe und Ehe“ thematisiert wurde, schwangerschaftserhaltende Ureter- und Nierenoperationen, erbliche Krankheiten des „Harnstromgebiets“ (Gruber-Göttingen) und „die reichsgesetzlichen Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (Boeminghaus-Marburg, Schultze-Berlin) sowie die Erhaltung von Arbeitskräften bei Gesundheit (Haeberle-Berlin).71 Auf den letzten Punkt ging Heusch besonders ein und stellte die rhetorischen Fragen: „Wieviel Millionen könnten an Rentenverfahren, an Rentenzahlungen, an nutzlosen Behandlungskosten, an Krankengeldern und Ähnlichem jährlich gespart, wieviel sinnlose Schmerzen und Leiden könnten aus der Welt geschafft, wieviele [sic!] Simulanten und unwürdige Nutznießer der öffentlichen Gesundheitspflege könnten entlarvt werden; auf der anderen Seite: wieviel mehr Soldaten- und Arbeiterbataillone könnten in unserem Vaterland antreten, kurz, wie sehr könnte die Lebensleistung des gesamten deutschen Volkes gesteigert werden, bei einer Planung der Urologie in Deutschland, die ihren Aufgaben und Möglichkeiten angemessen wäre?“72

Daraus wird deutlich, dass klassische Ziele des ärztlichen Handelns wie etwa das Vermeiden von Schmerzen und Leid gleichberechtigt neben neue Ziele wie das 71 72

Heusch, „Urologie und Volksgesundheit“, 828–9. Ebd., 829.

4.1 Institutionelle Dimension

73

Ausheben von Soldaten- und Arbeiterbataillonen gestellt wurden. Diese Stärkung der Volksgesundheit könnte zum einen durch verbesserte Gesundheitsfürsorge und Prävention73 erreicht werden. Zum anderen sollten durch das Ermöglichen und Erhalten erwünschten Nachwuchses und das Vermeiden von unerwünschtem Nachwuchs die Quantität und Qualität des Volkes erhöht und verbessert werden.74 Diese Orientierung an der Volksgesundheit wird auch in einer Reihe von Beiträgen Hans Haeblers, seines Zeichens „beratender Urologe bei Reichs- und Staatsbehörden“ aus Berlin, deutlich. Er hatte bereits 1935 den Beitrag „Zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit urologisch Kranker für soziale Versicherungsbehörden“75 in der Zeitschrift für Urologie veröffentlicht. Auf der ersten Tagung der GRU hielt er einen Vortrag zum Thema „Urologie und soziale Versicherungsträger“,76 auf der zweiten Tagung der GRU einen zur „Arbeits- und Berufsfähigkeit urologisch Kranker“,77 und 1939 veröffentlichte er einen Beitrag mit dem Titel „UrologischKranke, beurteilt nach ihrer Leistungsfähigkeit“78 wiederum in der Zeitschrift für Urologie. Diese Beiträge werden in Kapitel 5 unter dem Thema Volksgesundheit als Grundlage der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik diskutiert. Nachdem Ringleb nach dem ersten Kongress der GRU im Herbst 1936 auf einen Lehrstuhl für Urologie an der Berliner Universität berufen worden war, stellte sich das Programm des zweiten GRU-Kongresses, der nur ein Jahr später ebenfalls in Eisenach stattfand (vgl. Abbildung 9), inhaltlich weniger stark ideologisch geprägt dar. Die Rhetorik blieb trotzdem streng nationalsozialistisch. So bemerkte der Kongresspräsident Eduard Pflaumer in seiner Eröffnungsansprache: „Ich hoffe, unsere Tagung wird Ihnen beweisen, daß die Urologie in Deutschland trotz mancher Schwierigkeiten ihre alte Höhe gewahrt hat. Wir sind auch überzeugt, daß unsere ausländischen Freunde unser liebes Deutschland heute besser, schöner und fester als je zuvor finden werden. Daß dem so ist, verdanken wir allein unserem Führer Adolf Hitler. Ich bitte Sie, ihm Dank, Treue und Verehrung zu bekunden, indem Sie sich erheben und dadurch mit folgendem Telegramm einverstanden erklären: ‚Die auf der Wartburg tagende Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen entbietet dem hehren Führer des Vaterlandes dankbaren Gruß und das Gelöbnis freudiger Gefolgschaft und Arbeit.‘“79

Bei den Schwierigkeiten, die Pflaumer ansprach, handelt es sich zweifellos um die Vertreibung eines Drittels der Urologen aus Deutschland, die allermeisten davon aufgrund ihrer jüdischen Religion oder Herkunft. Unter den vor 1933 führenden Persönlichkeiten des Faches, die häufig in Berlin und Wien tätig gewesen waren, war dieser Anteil eher noch höher. 73 74 75 76 77 78 79

Zur nationalsozialistischen Präventionspolitik vgl. etwa Proctor, The Nazi War on Cancer. Zu pro- und antinatalistischer NS-Gesundheitspolitik vgl. Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Haebler, „Zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit urologisch Kranker für soziale Versicherungsbehörden“. Veröffentlicht als Haebler, „Urologie und soziale Versicherungsträger“,. Veröffentlicht als Haebler, „Arbeits- und Berufsfähigkeit urologisch Kranker“. Haebler, „Urologisch-Kranke, beurteilt nach ihrer Leistungsfähigkeit“. Pflaumer, „Eröffnungsansprache“.

74

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 8: Bronzetafel der Argentinischen Gesellschaft für Urologie, Foto von J. Keyn (2009), mit freundlicher Genehmigung

Auf derselben Tagung überbrachte im Namen der Argentinischen Gesellschaft für Urologie der von dort stammende Urologe Ricardo Ercole eine Maximilian Nitze gewidmete Bronzetafel, die an dessen Grab aufgestellt wurde (vgl. Abbildung 10). Pflaumer dankte der „befreundeten Gesellschaft und ihrem Vorsitzenden für die Ehrung Nitzes und [freute sich], Deutschland den Ausdruck freundschaftlicher Gefühle seitens einer großen Nation übermitteln zu dürfen, die […] auch in schwerster Bedrängnis die Freundschaft gehalten hat, indem sie als einziger Staat Amerikas Deutschland nicht den Krieg erklärte.“80

Obwohl die Nichtkriegserklärung Argentiniens an Deutschland im Ersten Weltkrieg vielleicht als Grund ausgereicht hätte, scheint die Präsentation der Bronzeta80

Ebd., 149.

4.1 Institutionelle Dimension

75

fel vielleicht auch eine persönliche Verneigung vor dem Kongresspräsidenten Pflaumer gewesen zu sein. Dieser hatte zwischen 1899 und 1912 mit einigen Unterbrechungen in Buenos Aires gewohnt und gearbeitet, zunächst am Deutschen Hospital dort, und, nachdem er das argentinische Staatsexamen abgelegt hatte, als Spezialarzt für Chirurgie.81 Weiter ging Pflaumer in seiner Eröffnungsrede auf das Verhältnis von Chirurgie und Urologie ein, indem er einen Artikel aus dem Ärzteblatt kommentierte, der sich für die Einheit der „große[n] Mutter Chirurgie“ und gegen Sonderrechte, Pflichtvorlesungen und Prüfungsfächer für kleinere Spezialfächer aussprach, unter denen ausdrücklich auch die Urologie genannt worden war. Als Reaktion forderte Pflaumer für die Urologie mehr Gewicht und Unabhängigkeit ein. Er argumentierte, sie müsse in der ärztlichen Ausbildung „obligatorisches Lehr- und Prüfungsfach“ und in Forschung und Lehre nicht von Allgemeinchirurgen, sondern von Urologen vertreten werden (vgl. dazu Kapitel 4.3). Hans Rubritius, zu diesem Zeitpunkt offiziell auch Präsident der DGfU meldete sich nach Pflaumers Eröffnungsansprache zu Wort und richtete „in [s]einer Eigenschaft als Präsident der österreichischen urologischen Gesellschaft“ ein Grußwort an die Versammelten. Er fuhr fort: „Da es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist, die alte Deutsche Gesellschaft für Urologie wieder aufleben zu lassen, so hat sich die Österreichische Urologische Gesellschaft entschlossen, in den letzten Junitagen des Jahres 1938 ihren ersten Kongreß in Wien zu veranstalten.“82

Dazu lud er die Mitglieder der GRU nach Wien ein. Aufgrund des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde dieser avisierte erste Kongress der Österreichischen Urologischen Gesellschaft abgesagt, während für den Oktober desselben Jahres ein „Kongreß der Gesellschaft deutscher Urologen“ unter der Präsidentschaft Hans Boeminghaus‘ wiederum in Eisenach und für 1939 ein Kongress der „alten deutschen Gesellschaft für Urologie“ in Wien angekündigt wurde.83 Der Kongress 1938 in Eisenach wurde bald darauf abgesagt und der in Wien im März 1939 als dritte Tagung der GRU im September 1939 angekündigt, kurz darauf auf Oktober verschoben und mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges „auf unbestimmte Zeit verschoben“.84 Diese Episode illustriert das teils komplizierte Parallelbestehen der DGfU und der GRU. Mit dem „Anschluss“ Österreichs galten die „Nürnberger Rassengesetze“ auch dort, was schlagartig zu einer Entrechtung der dort wohnenden jüdischen und jüdischstämmigen Einwohner führte. Somit war der Weg für eine Wiedervereinigung der „arischen“ Urologen Deutschlands und Österreichs offen. Aus dem Einlageblatt aus der Zeitschrift für Urologie aus dem Jahr 1938 wird implizit ein Aushandlungsprozess zwischen den deutschen Mitgliedern der GRU und Rubritius als Repräsentant 81 82 83 84

Vgl. Krischel, „Karrieren führender Urologen im Nationalsozialismus“, 106. Rubritius, „Aussprache“. Einlageblatt aus der Zeitschrift für Urologie (1938), reproduziert in Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 108. Ebd., 110.

76

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

der DGfU deutlich. So heißt es dort, dass sich die „Verhandlungen mit den Rechtsvertretern der alten deutschen Gesellschaft für Urologie“ hingezogen hätten, nun aber dem „Zusammenschluss […] nichts mehr im Wege“ stehe. Auch dass ein „Kongreß der Gesellschaft deutscher Urologen“, also weder der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen noch ausdrücklich der Deutschen Gesellschaft für Urologie angesetzt wurde, ist ein Hinweis auf einen nicht ganz einfachen Aushandlungsprozess. Zudem ist es bezeichnend, dass der zunächst als Kongresspräsident designierte Hans Boeminghaus 1939 hinter Rubritius zurückstehen sollte, sich nach dem Ende des Krieges (und dem Tode Rubritius‘) jedoch berufen fühlte, den ersten Nachkriegskongress der DGU in Düsseldorf einzuberufen. Dies sind Hinweise auf personelle und institutionelle Kontinuität zwischen den deutschen urologischen Fachgesellschaften. Zeitschriften Auch auf der Ebene der Zeitschriften kam es ab 1933 zu Veränderungen. Bereits 1933 mussten Arthur Lewin, Paul Rosenstein, Leopold Casper und Eugen Joseph das Herausgebergremium bzw. die Redaktion der Zeitschrift für Urologie verlassen. In die Schriftleitung wurden Hans Boeminghaus, Eduard Pflaumer und Ludwig Rehn neu berufen, während Hans Rubritius, Victor Schmieden und Ludwig Kielleuthner von Herausgebern zu Schriftleitern wurden. Dies führte insgesamt zu einer Stärkung chirurgisch orientierter Ärzte in der Schriftleitung. Als ausländische Mitherausgeber verblieben neben den Österreichern nur noch Fedorow-Leningrad, Fronstein-Moskau und Illyes-Budapest.85 Mit dem Jahreswechsel 1936/1937 änderte die Zeitschrift für Urologie ihren Untertitel von „Organ der Deutschen Gesellschaft für Urologie“ in „Organ der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen“. Bemerkenswert ist, dass selbst zu diesem Zeitpunkt die österreichischen Herausgeber noch im Amt blieben, einschließlich der von dort stammenden Juden. Während die Verdrängung der jüdischen Mitglieder aus den Vorstandsposten kaum öffentlich diskutiert wurde, war sie in den Herausgebergremien deutlich sichtbar. So erschien etwa in der Zeitschrift für Urologie im Jahr 1933 die folgende Mitteilung: „Herr Prof. J o s e p h scheidet durch die Neuordnung der medizinischen Presse mit dem 1. Juli 1933 aus der Zeitschrift für Urologie aus. Wir bedauern sein Ausscheiden aufs Tiefste, denn er war uns ein treuer Mitarbeiter, dem es mitzuverdanken ist, daß die Zeitschrift das wissenschaftliche Niveau erreicht hat, dessen sie sich allgemein erfreut. Seine steten sachkundigen Anregungen und sein unentwegtes Bemühen, die Zeitschrift mit wissenschaftlichem Material zu versehen, hat unsere vollste Anerkennung gefunden. Indem wir ihm unseren herzlichen Dank aussprechen, hoffen wir, daß er uns als Mitarbeiter und Förderer der von ihm so erfolgreich bearbeiteten Urologie treu bleiben wird. An seiner Stelle tritt Herr Prof. B o e m i n g h a u s in die Redaktion ein. Redaktion und Verlag der Zeitschrift für Urologie“86 85 86

Vgl. ebd., 92–3. o. A., „Mitteilung“, Sperrung im Original.

4.1 Institutionelle Dimension

77

Der Hinweis auf die „Neuordnung der medizinischen Presse“ ist ein verhältnismäßig deutlicher Hinweis auf die nationalsozialistische Gesetzgebung, die es Joseph als „Nicht-Arier“ verbot, die ZfU weiterhin herauszugeben. Ebenfalls zum Jahrgang 1933 trat Karl Scheele (1884–1966) aus der Redaktion aus und in das deutlich größere Herausgebergremium ein. In der ZfU wurde als Grund angegeben, dass „ihn seine umfassenden Tätigkeiten in seinem Wirkungskreis, dem Krankenhaus Huyssens-Stiftung in Essen, ganz in Anspruch“ nähmen. Scheele scheint nicht zu einer im Nationalsozialismus verfolgten Gruppe gehört zu haben und war 1949 Mitglied der wiedergegründeten DGU.87 Somit war die Redaktion der ZfU zum Jahrgang 1933 nicht nur in „Schriftleitung“ umbenannt, sondern auch völlig neu besetzt. Dies ist als Teil der Gleichschaltung des Faches Urologie zu verstehen, denn die deutschen „nicht-arischen“ Ärzte waren damit ausgeschlossen. Die Veränderung der Herausgebergremien ist den Abbildungen 9, 10 und 11 zu entnehmen, welche die Titelseiten der Zeitschrift für Urologie aus den Jahren 1930, 1933 und 1936 zeigen. Die Zeitschrift Ikonographia urologica war bereits seit 1911 geplant gewesen, um neben den streng wissenschaftlichen Zeitschriften ein Medium zu schaffen, in dem „jeder Urologe oder andere Arzt, der eine bemerkenswerte urologische Beobachtung gemacht hatte, dem aber Zeit oder Lust fehlte, um darüber eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, oder dem diese Einzelbeobachtung als nicht genügend für einen größeren Aufsatz erschien“ eine Veröffentlichung zu ermöglichen, damit „auch Einzelbeobachtungen nicht der Wissenschaft verlorengehen“88 sollten. Die Ikonographia urologica wurde in den Jahrgängen 1928 bis 1932 herausgegeben und das erste Heft lag zum Kongress 1929 vor. Es erschien bei Stilke in Berlin und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass zystoskopische Abbildungen in Farbe gedruckt wurden. Die Herausgeber waren Viktor Blum, Friedrich Necker, Carl Posner und Alfred Rothschild. Gründe für die Einstellung der Ikonographia urologica mögen zum einen finanzieller Natur gewesen sein, das jüdisch geprägte Herausgebergremium hat aber vermutlich auch eine Rolle gespielt.

87 88

Vgl. o. A., „Verzeichnis der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Urologie [1950]“ (vgl. auch Anhang 2). Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 74–5.

78

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 9: Zeitschrift für Urologie, 1930, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

4.1 Institutionelle Dimension

79

Abbildung 10: Zeitschrift für Urologie, 1933 mit geänderten Herausgebern und Schriftleitung, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

80

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 11: Zeitschrift für Urologie, 1937 als Organ der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

81

4.2 KARRIEREN VON UROLOGEN IM NATIONALSOZIALISMUS Ein Themenkomplex, der auf den Kongressen der GRU nicht offen angesprochen wurde, ist die personelle Situation der Urologie in Deutschland nach 1933. Nachdem jüdische und jüdischstämmige Ärzte sukzessive aus Leitungspositionen und der Praxis gedrängt worden waren, konnten und mussten deren Positionen mit neuen Personen besetzt werden. Dass Antisemitismus und der Zugang zu bisher von jüdischen Ärzten besetzten Positionen für einen Teil der „reichsdeutschen Urologen“ Motive für ihr Handeln waren, wird etwa aus einem Lebenslauf deutlich, den Otto Ringleb im September 1937, eine Woche nach seiner Aufnahme in die SS, schrieb. Aus den folgenden Worten werden seine Feindbilder deutlich: „Meine akademische Laufbahn war zunächst gehemmt, so fleißig ich auch wissenschaftlich tätig war, durch die Ausstrahlung des Hasses der Juden und des Widerstandes der Chirurgen gegen die Urologie. […] Über den Kampf mit den Berliner Arzt-Juden könnte ich ein Buch schreiben. Ich hatte es nicht nur am Geldbeutel erfahren, was die Ablehnung dieser Leute bedeutet, sondern soviel Gemeinheiten und Hass von dieser Gesellschaft auch im wissenschaftlichen Schrifttum kennengelernt, dass zu einer Begründung der hier zur Verfügung stehende Raum nicht ausreichen würde.“89

Durch die Vertreibung der größten Kapazitäten der Urologie wie etwa die Leopold Caspers, Alexander von Lichtenbergs und Paul Rosensteins aus Berlin, wurden deren Positionen frei und konnten von Männern wie Otto Ringleb, Hans Boeminghaus und Karl Heusch besetzt werden. Neben politischem Einfluss gewannen die verbleibenden Urologen auch dadurch mehr Gewicht, dass weniger Kollegen für die Krankenversorgung zur Verfügung standen und die verbleibenden Urologen größere Forderungen stellen konnten. So war mutmaßlich einer der Gründe, aus denen der Leiter Chirurgie an der Berliner Charité Ferdinand Sauerbruch (1875– 1951) der Einrichtung des ersten Ordinariats für Urologie 1937 und seiner Besetzung mit Otto Ringleb zustimmte, dass er „nach dem Weggang von Lichtenberg[s] dessen ‚wertvolle Patienten‘ an die Charité […] binden“90 wollte. Neben personellen und fachpolitischen Veränderungen verschob sich jedoch auch die Ausrichtung der Urologie. So hat Fritz Schultze-Seemann darauf hingewiesen, dass insbesondere in Berlin, aber auch im Rest Deutschlands, „Endoskopiker und Venerologen ganz besonders betroffen“ durch den Antisemitismus waren und ihre Positionen aufgeben mussten, „so daß fortan wieder die Urochirurgen an Übergewicht gewinnen konnten.“91 Im Folgenden soll zunächst auf die systematische Ausschaltung und Vertreibung jüdischer Mediziner eingegangen werden, um danach die Karrierewege einiger ausgewählter Urologen zu beschreiben, die zwischen 1933 und 1945 – und in einigen Fällen noch deutlich darüber hinaus – die Geschicke der deutschen Urologie lenkten. 89 90 91

Bundesarchiv Berlin, Ringleb Otto: Lebenslauf vom 16. September 1937; BDC SSO, Ringleb, Otto. Rathert und Moll, „Urologie in Deutschland im Spiegel der Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1907–2007“, 40. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 92.

82

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Exkurs: Ausschaltung und Vertreibung jüdischer und jüdischstämmiger Urologen Die Vertreibung missliebiger Ärzte und Wissenschaftler erfolgte auf mehreren Wegen:92 zum einen auf der Basis von Gesetzen, welche die Nationalsozialisten sehr schnell nach ihrer Machtübernahme erließen, zum anderen durch vorauseilenden Gehorsam von Universitäten, Kliniken und Gesellschaften.93 Beamtete Mediziner, einschließlich Professoren und unbesoldeten Honorarprofessoren, wurden auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus ihren Positionen gedrängt, welches die Entlassung „nicht-arischer“ Beamter vorsah (vgl. Kapitel 2.1). Die breite, nationalsozialistische Definition von „nicht arisch“ bzw. „jüdisch“ war verantwortlich für die große Anzahl der auf Grund dieses Gesetzes entlassenen Personen. Darunter waren auch Mediziner wie Alexander von Lichtenberg94 oder Viktor Blum,95 die römisch-katholischer Konfession waren, jedoch aus jüdischen Familien stammten. Mit der Verordnung des Reichsarbeitsministeriums über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen vom 22. April 1933 wurde „die Tätigkeit von Kassenärzten nichtarischer Abstammung sowie von Kassenärzten, die sich im kommunistischen Sinne betätigt haben“ für beendet erklärt. Ab August 1933 war es „arischen“ Ärzten verboten, mit ihren „nicht-arischen“ Kollegen zu kooperieren. Dies bedeutete nicht nur, dass sie sich nicht von ihnen vertreten und keine Praxisgemeinschaften unterhalten durften, sondern auch, dass sie keine Überweisungen mehr vornehmen und solche nur im Notfall annehmen durften. Im September 1933 beschloss der Verband privater Krankenkassen, die Regelung analog der gesetzlichen Krankenkasse anzuwenden, mit der Ausnahme, dass jüdischen Patienten die Behandlungskosten durch jüdische Ärzte weiterhin ersetzt wurden.96 Mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ wurden für höhere Schulen und die Fakultäten von Universitäten Höchstquoten für den Anteil jüdischer Studierender und ihre Aufnahme festgesetzt. So sollte ihr Anteil an keiner Schule oder Fakultät 5 % überschreiten und es durften nicht mehr als 1,5 % eines neuen Jahrgangs „nicht-arisch“ sein. Besonders betroffen waren hier die medizinischen Fakultäten in Städten mit einem überdurchschnittlich hohen jüdischen Bevölkerungsanteil, wie etwa Berlin oder Frankfurt. Mit der Reichsärzteordnung vom 13. Dezember 1935 wurde geregelt, dass nur „Arier“ die Approbation erhalten konnten. Durch das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 mussten Kulturschaffende der Reichskulturkammer beitreten, um etwa weiter als Autoren und Herausgeber arbeiten zu dürfen. Da ein „Ariernachweis“ Voraussetzung für die 92 93 94 95 96

Für eine Übersicht der aktuellen Literatur vgl. Jütte, Medizin und Nationalsozialismus, 83–93. Zum folgenden Abschnitt vgl. Kümmel, „Die Ausschaltung rassisch und politisch mißliebiger Ärzte“. Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“. Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“. Vgl. Kümmel, „Die Ausschaltung rassisch und politisch mißliebiger Ärzte“, 71.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

83

Mitgliedschaft war, wurden Juden so vom Kulturbetrieb und der Presse, einschließlich der medizinischen und wissenschaftlichen Presse, ausgeschlossen. Unter dem Titel „Nürnberger Rassengesetze“ vom 15. September 1935 werden das „Gesetz zum Schutz der deutschen Ehre und des deutschen Blutes“ sowie das „Reichsbürgergesetz“ gefasst. Das erste verbot nicht nur die Heirat und Beziehungen zwischen „Ariern“ und Juden, sondern sah auch vor, dass in jüdischen Haushalten und Arztpraxen, keine weiblichen „Arierinnen“ unter 45 Jahren arbeiten durften. Gemäß dem zweiten wurden Juden von Reichsbürgern zu „Staatsangehörigen“ deklassiert. Mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. August 1938 wurde schließlich den jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Von den trotz aller Widrigkeiten bis dahin noch im Beruf stehenden 3.152 jüdischen Ärzten in Deutschland (etwas mehr als ein Drittel der vor 1933 tätigen), durften 709 als „jüdische Krankenbehandler“ weiterhin Juden und ihre eigenen Familien behandeln.97 Eine Übersicht über die Maßnahmen gegen „nicht-arische“ Ärzte zwischen 1933 und 1938 findet sich in Tabelle 3. Neben diesen gesetzlich geregelten Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmaßnahmen gab es einen durch die NSDAP und ihre Organisationen durchgeführten und staatlich gutgeheißenen Terror. Dieser begann noch vor dem Erlass des ersten antisemitischen Gesetzes mit dem „Judenboykott“ des 1. April 1933, bei dem SAMänner vor jüdischen Geschäften, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien die Bevölkerung vor deren Besuch „warnten“, d. h., sie durch Plakate, Ansprache, und Androhung von Gewalt daran hinderten. Eine mediale Hetzkampagne griff auf antisemitische Klischees zurück und beschrieb etwa jüdische Ärzte als „Frauenschänder und Mörder“ (vgl. Abbildung 13).98 Zwar hatte es auch in der Weimarer Republik antisemitische Klischees, Karikaturen und Ressentiments gegeben, wie etwa eine Karikatur des Urologen und Hamburger Stadtarztes Moritz Fürst (1865–1942) aus dem Jahr 1907 zeigt (vgl. Abbildung 12), jedoch war nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität des Antisemitismus bereits in der Frühphase des „Dritten Reiches“ zweifellos eine andere. Während die Karikatur von 1907 Fürst als geldgierig darstellte, sprach die Überschrift des „Stürmers“ von „Judenärzte[n]“ als „Frauenschänder und Mörder“. In der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 kam es zur Ermordung von mehr als 400 Juden und zur Verwüstung zahlloser Synagogen, Friedhöfe und Geschäfte. Darauf folgte mit dem Zwang, in sog. „Judenhäuser“ umzuziehen die erste Phase der Ghettoisierung. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges eskalierten die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands und der eroberten Gebiete immer weiter. Ab diesem Zeitpunkt kann nicht mehr von Ausgrenzung und Vertreibung gesprochen werden, sondern nur noch von Mord.99

97 98 99

Vgl. ebd., 75–6. Vgl. die Abbildung aus dem „Stürmer“ Vgl. etwa Longerich, Holocaust.

84

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 12: Karikatur des Arztes Moritz Fürst (1865–1942) aus „Dur’s Erlass“ (1907)100

Abbildung 13: „Judenärzte. Frauenschänder und Mörder. Das Raubtier“, Der Stürmer (1933) 100 Reproduziert in Bellmann, „Hamburger jüdische Urologen“, 970.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

85

Tabelle 3: Maßnahmen gegen „nicht-arische“ Ärzte in Deutschland zwischen 1933 und 1938

März 1933 April 1933

Gleichschaltung der Ärzteverbände, Beginn des Ausschlusses jüdischer Mitglieder Belagerung jüdischer Geschäfte durch die SA

Beamte werden auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen Ärzten wird die Kassenzulassung entzogen

August 1933 September 1933



September 1935



November 1938

Studenten werden exmatrikuliert, höchstens 1,5 % Juden pro Jahrgang aufgenommen „Arische“ Ärzte dürfen nicht mehr mit ihren jüdischen Kollegen kooperieren, an sie überweisen

Private Krankenkassen übernehmen die Behandlung durch jüdische Ärzte nur noch bei jüdischen Patienten Autoren und Herausgeber müssen Mitglieder der „Reichskulturkammer“ werden

„Nürnberger Rassengesetze“: Heirat und Beziehungen zwischen „Ariern“ und Juden verboten, Juden dürfen keine „arischen“ Frauen unter 45 Jahren beschäftigen, Juden werden zu „Staatsangehörigen“ deklassiert „Reichskristallnacht“: über 400 Menschen ermordet, Synagogen, Friedhöfe, Geschäfte zerstört

Jüdische Ärzte verlieren Approbation, 907 „Krankenbehandler“ verbleiben Deportation in „Judenhäuser“

Einen Hinweis darauf, als wie erfolgreich die Nationalsozialisten den vorauseilenden Gehorsam der Ärzteschaft bei der Vertreibung von „Nicht-Ariern“ einschätzten, gibt die Aussage des Vorsitzenden des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB), Gerhard Wagner (1888–1939), der bereits am 2. April 1933 angab: „[D]ie Entfernung von Juden und Marxisten aus den Vorständen und Ausschüssen habe sich ohne Schwierigkeiten erreichen lassen und sei im allgemeinen durchgeführt“.101 Urologen waren auch sonst im gleichen Maß wie andere Ärzte von der nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik betroffen. Die immer weiter eskalierenden Maßnahmen gegen „nicht-arische“ Mediziner sind an 101 Walder, „Bericht über die Sitzung des Geschäftsausschusses des Deutschen Ärztevereinsbundes am 2. April 1933“.

86

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

anderer Stelle gut dokumentiert.102 Urologisch tätige Ärzte betrafen sie aber deshalb in besonderem Maße, weil sich unter ihnen überdurchschnittlich viele jüdische und jüdischstämmige Personen befanden. Als Urologen hat Julia Bellmann diejenigen Ärzte aufgefasst, die sich in den Reichsmedizinalkalender (RMK) der Jahre 1933, 1935 oder 1937 und den jeweiligen Nachträgen selbst so beschrieben hatten.103 Auch wenn diese Methode deshalb nicht ganz unproblematisch ist, weil sie einige urologisch arbeitende Ärzte wie etwa den Mitherausgeber der Zeitschrift für Urologie und Vorsitzenden der Berliner Urologischen Gesellschaft Paul Rosenstein (1875–1964) nicht berücksichtigt, ist die Selbstidentifikation doch ein gut handhabbares Mittel und für eine quantitative Analyse geeignet. Auf diese Weise hat Bellmann eine Gruppe von insgesamt 866 Urologen ausgemacht, was bei einer Gesamtzahl von ca. 50.000 Ärzten in Deutschland einem Anteil von 1,7 % entspricht. An anderer Stelle hat Bellmann fünf weitere Ärzte, die sich zwar im RMK nicht selbst als Urologen bezeichnet hatten, jedoch durch ihre Tätigkeit deutlich als Urologen zu erkennen sind, in die Analyse einbezogen.104

Abbildung 14: Urologen in Deutschland (1933–1937), insgesamt 866105

102 Vgl. Hubenstorf, „Von der ‚freien Arztwahl‘ zur Reichsärzteordnung. Ärztliche Standespolitik zwischen Liberalismus und Nationalsozialismus“. 103 Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“, 44. 104 Vgl. Bellmann, „Urologen im Nationalsozialismus“. 105 Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“, 45.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

87

Der RMK ist auch deshalb eine so wichtige Quelle, weil in der Ausgabe von 1937 die „nicht-arischen“ Ärzte durch einen Doppelpunkt vor ihrem Namen gekennzeichnet werden mussten. So hat Bellmann unter den 866 Urologen 241„NichtArier“ identifiziert, was einem Anteil von 28 % entspricht, während sie für 5 % der Urologen keine Aussage über ihren Status hat machen können. Damit lag der Anteil der „nicht-arischen“ Urologen deutlich über dem Durchschnitt der Ärzteschaft, für die dieser bei 16 % lag.106 Es haben sich keine Hinweise darauf gefunden, dass als „arisch“ klassifizierte Urologen aus politischen Gründen verfolgt wurden. Für die Dermatologen hat Sven Eppinger, ebenfalls auf Basis des RMK, einen Anteil von 27,4 % (569 von 2.078) „Nicht-Ariern“ angegeben,107 für die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde hat Eduard Seidler einen Anteil von 35,7 % (212 von 708) angegeben,108 für die gesamte Pädiatrie 48,8 % (611 von 1253).109 Hieraus wird klar, dass die Urologie bis 1933 ein deutlich durch jüdische und jüdischstämmige Ärzte geprägtes Fach war, mit einem noch größeren Anteil als die Dermatologie und, nach den bisher vorliegenden Daten, auf dem zweiten Rang hinter der Pädiatrie, was den relativen Anteil „nicht-arischer“ Ärzte angeht. Michael Hubenstorf hat herausgestellt, dass sich in den jüngeren und daher noch nicht stark etablierten Fächern in den Lehrkörpern der Universitäten Wien und Berlin überdurchschnittlich viele jüdische Ärzte fanden.110 Bei der Betrachtung der jüdisch geprägten Fächer fällt zudem auf, dass die in vielen von ihnen tätigen Ärzte unterdurchschnittlich gut bezahlt wurden. Aus den Zahlen für Kassenärzte in Braunschweig im Jahr 1943 geht etwa hervor, dass Fachärzte mit 19.300 Mark im Schnitt deutlich mehr verdienten als Allgemeinmediziner mit 12.350 Mark. Internisten mit 14.000 Mark, Kinderärzte mit 13.400 Mark und Dermatologen mit 12.600 Mark lagen jedoch nur knapp über den Allgemeinmedizinern, während Neurologen mit 9.250 Mark und Urologen mit 7.800 sogar stark darunter lagen.111 Gleichzeitig fällt auf, dass die Chirurgen mit 24.100 Mark die Gehaltsliste anführten (vgl. Abbildung 15). Entgegen den Zahlen aus Braunschweig ist bekannt, dass Eduard Pflaumer, der als Klinikleiter und Uro-Chirurg in Nürnberg arbeitete, seinen Verdienst für dieses Jahr mit 69.921 Mark angab. Zwischen 1932 und 1943 schwankte sein Einkommen zwischen 61.000 und 84.000 RM, was einen ungefähren Eindruck von der Gehaltsklasse der Spitzenoperateure verschaffen mag.112 Daraus wird die enorme Bandbreite des ärztlichen Einkommens, selbst innerhalb eines Faches, deutlich. Obwohl die Braunschweiger Zahlen möglicherweise nicht repräsentativ sind und insbesondere für das kleine Fach Urologie wohl auf einer sehr geringen Anzahl 106 Vgl. Noack u. a., Querschnitt Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, 129. 107 Vgl. Eppinger, Das Schicksal der jüdischen Dermatologen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus, 273. 108 Vgl. Seidler, Jüdische Kinderärzte 1933–1945, 29. 109 Vgl. ebd., 15. 110 Vgl. Hubenstorf, „Ende einer Tradition und Fortsetzung als Provinz. Die Medizinischen Fakultäten der Universitäten Berlin und Wien 1925–1950“. 111 Vgl. Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“, 164. 112 Vgl. Archiv der Universität Erlangen, Military Government of Germany, Fragebogen, Personalakte Eduard Pflaumer.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 15: Einkommen Braunschweiger Kassenärzte nach Fachrichtungen (1943)113

von Ärzten beruhen, und obwohl die Einkommensverhältnisse zu Beginn der 1930er Jahre etwas anderes gewesen sein mögen, wird deutlich, dass Fächer wie Kinderheilkunde, Dermatologie und Urologie nicht sehr gut bezahlt waren. Dies ist zum Teil durch das geringe Sozialprestige dieser Spezialfächer zu erklären, insbesondere wohl für die Fächer Dermatologie und Urologie, deren Vertreter sich häufig mit Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane, darunter den „nicht salonfähigen“ Geschlechtskrankheiten, beschäftigten. In diesen nicht nur jüngeren, sondern auch schlechter bezahlten Fächern war der Konkurrenzdruck sicherlich geringer, so dass sich dort eher jüdische und jüdischstämmige Ärzte etablieren konnten. Im Vergleich der Urologie mit der Augenheilkunde fällt auf, dass die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) (analog zu den Anteilen der Hochschullehrer in Berlin und Wien, vgl. Hubenstorf oben) einen deutlich geringeren Anteil jüdischer und jüdischstämmiger Ärzte hatte. So hat Rohrbach festgestellt: „Unter den inländischen DOG-Mitgliedern waren 1934 etwa 60 (11 %) jüdisch […]. Zehn Mitglieder (2 %) galten im Sinne des Gesetzes als ‚Mischlinge‘ […].“114 Im Gegensatz zu den Urologen, die mit der Gründung der GRU den verbleibenden „nichtarischen“ deutschen sowie den ausländischen, insbesondere österreichischen, Kollegen, den Zugang zu ihrer Fachgesellschaft verwehrten, setzten die Augenärzte nicht auf den faktischen Ausschluss dieser Mitglieder. Rohrbach hat dazu bemerkt: „Von den 29 identifizierten jüdischen DOG-Mitglieden von 1934 schieden fünf bis 1936, zehn bis 1938 und acht weitere bis 1940 aus der wissenschaftlichen Fachgesellschaft aus […]. Damit verließen 79 % der jüdischen Mitglieder die DOG. […] Andererseits wurden sechs der 29 identifizierten jüdischen Mitglieder von 1934 (=21 %) auch 1940 noch als Mitglieder geführt 113 Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“, 164. 114 Rohrbach, Augenheilkunde im Nationalsozialismus, 122.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

89

Abbildung 16: Schicksale der als „nicht-arisch“ klassifizierten Urologen in Deutschland115

[…]. Damit ist erkennbar, dass die DOG im Gegensatz zu anderen ärztlichen Verbänden sehr wahrscheinlich keine ‚aktive Säuberung‘ von jüdischen Mitgliedern durchführte […].“116

Es fällt auf, dass unter den von Bellmann identifizierten 241 „nicht-arischen“ Urologen die meisten (213 = 88 %) im RMK ein zweites Fach angegeben hatten. Gynäkologie und innere Medizin wurden jeweils 1 Mal genannt, Chirurgie 26 Mal, die überwiegende Mehrheit (185 = 77 %) nannte als zweites Fach die Dermatologie. Dies ist ein Hinweis auf die dermato-venerologische Prägung der hier repräsentierten Ärzte.117 Die Schicksale von 209 der identifizierten 241 jüdischen Urologen konnten von Bellmann aufgeklärt werden. Der Mehrheit gelang die Flucht in eine häufig ungewisse Zukunft im Ausland (129), insgesamt 40 verstarben in Deutschland, davon mindestens 10 durch Suizid, 36 wurden in Ghettos oder Konzentrationslager deportiert, von ihnen überlebte nur 1. 5 überlebten in Deutschland, weil sie als „Mischlinge“ mit „arischen“ Frauen verheiratet waren und Kinder hatten.118 Die Biographien einiger vertriebener Urologen sind in den letzten Jahren exemplarisch aufgearbeitet worden. Dazu gehören nicht nur die Eliten des Faches, etwa James Israel,119 Leopold Casper,120 Alexander von Lichtenberg121 und Paul 115 Vgl. ebd., 46. 116 Ebd., 125–6. 117 Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“, 45. 118 Vgl. ebd. 119 Vgl. Schultheiss u. a., Wegbereiter der Urologie. 120 Vgl. Moll, Rathert und Fangerau, „Urologie und Nationalsozialismus am Beispiel von Leopold Casper (1859–1959)“. 121 Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“.

90

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Rosenstein122 aus Berlin oder Viktor Blum123 aus Wien. Auch weniger bekannte Personen wurden bearbeitet. So gibt es eine Biographie von Dora Teleky, der ersten und einer von wenigen Frauen, die Mitglied der DGfU waren.124 Kollektivbiographien zu Berliner,125 Hamburger126 und Leipziger127 Urologen sind erschienen, in denen auch die oft noch schwierigeren Situationen niedergelassener Ärzte angesprochen werden. Im Folgenden sollen diese Biographien nicht in Gänze wiedergegeben werden, vielmehr soll auf sie Bezug genommen werden, um beispielhaft zu zeigen, wie es den Verfolgten nach 1933 erging. Bellmann hat darauf hingewiesen, dass vor allem jüngere Ärzte, die bereits ab 1933 nicht mehr praktizieren konnten, den Schritt in die Emigration wagten. Wollten sie in den Zielländern weiterhin als Ärzte tätig sein, mussten sie in vielen Fällen lokale Prüfungen zur Zulassung ablegen, weshalb viele, wie etwa der Berliner Leopold Casper oder der Hamburger Moritz Fürst, nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten konnten. Während Casper jedoch über großes, internationales Renommee und ein Vermögen verfügte, das ihm nach Zwischenstationen in Südfrankreich und Martinique trotz einiger Widerstände schließlich die Einreise in die USA und einen vergleichsweise ruhigen Lebensabend in New York City erlaubte,128 war die Situation für Fürst noch schwieriger. Nachdem er zwölf Jahre als Schularzt und später als niedergelassener Arzt in Hamburg tätig gewesen war, emigrierten er und seine Familie 1939 über die Niederlande nach Südafrika. Bis zu seinem Tod 1942 dort war er finanziell von seinen Kindern abhängig.129 Nur in seltenen Fällen war die Emigration so erfolgreich wie für den Wiener Viktor Blum. Nach dem „Anschluss“ Österreichs war er aus seiner klinischen Position am Sophienspital und seiner außerordentlichen Professur an der Wiener Universität entlassen worden, hatte jedoch offenbar bereits nach einer Alternative gesucht. Im Januar 1939 reiste er mit seiner Familie in die USA und trat eine Stelle an der Loyola University in Chicago an, die er bis 1953 behielt.130 Unter den Emigrationszielen deutscher jüdischer Urologen nehmen die USA (55), Palästina (27) und Großbritannien (12) die wichtigsten Rollen ein.131 Friederike Butta-Bieck hat für Wiener jüdische Urologen gezeigt, dass auch dort für die 24 Emigranten die USA (12) und Großbritannien (3) die wichtigsten Ziele gewesen waren.132 Aus diesen Ergebnissen ergibt sich das Desiderat, die Schicksale der in 122 Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Paul Rosenstein 1875–1964 – zerrissene Biographie eines jüdischern Urologen“. 123 Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“. 124 Vgl. Bellmann, „Dora Teleky – Ein frühes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Urologie“. 125 Vgl. Moll, „Zerrissene Leben: Das Schicksal jüdischer Urologen zwischen ‚Ausschaltung‘, Emigration und Wiedergutmachung“. 126 Vgl. Bellmann, „Hamburger jüdische Urologen“. 127 Vgl. Bellmann, „Jüdische Urologen während des Nationalsozialismus – 5 Biografien aus Leipzig“. 128 Vgl. Moll, Rathert und Fangerau, „Urologie und Nationalsozialismus am Beispiel von Leopold Casper (1859–1959)“. 129 Vgl. Bellmann, „Hamburger jüdische Urologen“. 130 Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘– Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“. 131 Vgl. Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“. 132 Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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diese populären Länder immigrierten Ärzte nachzuverfolgen. Erkenntnisse über die Anerkennung des medizinischen Staatsexamens und der Facharztausbildung sowie zu eventuell bestehenden Emigrantennetzwerken könnten besonders dazu beitragen, die Migrationsprozesse besser zu verstehen. Viele andere konnten oder wollten nicht im Ausland eine neue Existenz aufbauen. Unter den 40 in Deutschland verstorbenen Urologen sind mindestens 10 Suizide belegt, wie etwa der des Berliners Eugen Joseph, der seit 1913 Leiter der urologischen Abteilung der chirurgischen Klinik in der Ziegelstraße und seit 1921 außerordentlicher Professor für „Urologie und Chirurgie“ an der Berliner Universität gewesen war. Nachdem er im Jahr 1933 seine Lehrbefugnis und seine klinische Position verloren hatte, schied er am 24. Dezember des Jahres aus dem Leben. Seine Frau Lilly und seine Tochter Marianne wurden 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.133 Der Berliner Felix Opfer (1865–1943) hatte seit mehr als 30 Jahren eine Praxis in der Friedrichstraße unterhalten, als ihm die Approbation 1938 entzogen wurde. Er musste seine Wohnung und Praxis aufgeben und in eine ihm zugewiesene Wohnung umziehen. Dort richtete er, nachdem er eine Lizenz erhalten hatte, als „Krankenbehandler“ Juden zu behandeln, erneut eine Praxis ein. Auch als seine Tochter und Enkelin 1939 nach London emigrierten, blieb Opfer in Berlin. 1942 wurden Felix Opfer und seine Frau Doris nach Theresienstadt deportiert, wo sie ermordet wurden.134 Ähnlich erging es Alfred Rothschild (1866–1942) aus Berlin, Gründungsmitglied der BUG und bis 1933 Kassenwart der DGfU. Er zog bereits 1937 von Berlin nach Potsdam und wurde im Oktober 1942 von dort nach Theresienstadt deportiert, wo er nach zwei Monaten starb.135 Aufstieg der im Nationalsozialismus führenden Urologen Infolge der Vertreibung eines Drittels der deutschen Urologen aus dem Beruf ergaben sich für Ärzte, die bereit waren die nationalsozialistische Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik zu stützen, günstige Gelegenheiten, Karriere zu machen.136 Im folgenden Abschnitt sollen exemplarisch die Biographien von sechs Männern beschrieben werden, die nach 1933 nicht aus dem Beruf gedrängt wurden, sondern vielmehr zu den zentralen Personen des Faches im „Dritten Reich“ wurden. Dabei handelt es sich um die Gründer der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen (GRU), Otto Ringleb (1875–1946), Ludwig Kielleuthner (1876–1972) und Karl Heusch (1894–1986), sowie um den Kongresspräsidenten von 1937, Eduard Pflaumer (1872–1957), und die zu unterschiedlichen Zeiten designierten Präsiden133 Vgl. Moll, „Zerrissene Leben: Das Schicksal jüdischer Urologen zwischen ‚Ausschaltung‘, Emigration und Wiedergutmachung“, 61–5. 134 Vgl. Hahn und Schwoch, Anpassung und Ausschaltung, 171. 135 Vgl. Bellmann, „Kurzbiographien der jüdischen und aus dem Judentum stammenden Urologen“, 2011, 76. 136 Dieser Abschnitt folgt in wesentlichen Teilen Krischel, „Karrieren führender Urologen im Nationalsozialismus“.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 17: Lebensdaten und Lebensspannen von im Nationalsozialismus führenden Urologen

ten für den dritten Kongress der GRU, Hans Boeminghaus (1893–1979) und Hans Rubritius (1876–1943) (vgl. Abbildung 17). Bereits aus dieser Liste wird die Kontinuität zwischen den verschiedenen urologischen Fachgesellschaften in Deutschland ersichtlich, denn Kielleuthner war 1929 in München der letzte Kongresspräsident der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGfU), während Boeminghaus, der noch vor dem „Anschluss“ Österreichs als dritter Präsident der GRU vorgesehen war, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Präsident des ersten Nachkriegskongresses 1948 in Düsseldorf wurde. Hans Rubritius war auf dem Kongress 1929 gewählt worden, den nächsten Kongress der DGfU in Wien auszurichten. Dieses Treffen wurde jedoch zuerst auf Grund der wirtschaftlichen Lage und später der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wiederholt verschoben. Auch dass Rubritius, der bis zu seinem Tod 1943 Präsident der nicht tagenden DGfU blieb, anscheinend nach 1938 ganz natürlich als designierter Vorsitzender der GRU gehandelt wurde, drückt diese Kontinuität aus. Diese ist zum einen durch den kleinen, nach der Verdrängung der jüdischen Urologen weiter geschrumpften Kreis von in Frage kommenden Personen, zum anderen aber auch durch eine bewusst konstruierte Verbindung zwischen den Gesellschaften zu erklären. Zu den einzelnen Personen existieren zum Teil bereits Biographien wie etwa die Bio-Bibliographie Ringlebs137 oder biographische bzw. bibliographische Skizzen wie zu Karl Heusch138 und Hans Boeminghaus,139 die auf deren Vergangenheit im Nationalsozialismus Bezug nehmen. Andere wurden erst im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus auf ihre Haltung im und zum „Dritten Reich“ untersucht. Dies betrifft etwa Ludwig Kielleuthner,140 Hans Rubritius und Eduard Pflaumer. Bei der Betrachtung der im Nationalsozialismus führenden Urologen fällt auf, dass 5 der 6 untersuchten Personen Mitglieder der NSDAP, SA oder SS waren. 137 138 139 140

Vgl. Klug, „Otto Ringleb: Biobibliographie eines Urologen“. Vgl. Kühl, Leitende Aachener Klinikärzte und ihre Rolle im „Dritten Reich“, 109–13. Vgl. Vienne, „Der Mann als medizinisches Wissensobjekt“. Vgl. Krischel u. a., „Forschungsperspektiven zur Geschichte der Urologie in Deutschland, 1933–1945“.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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Während Karl Heusch bereits seit 1930 Mitglied des NS-Ärztebundes war, traten die anderen erst nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten deren Organen bei. Es scheint, als hätten sie sich bewusst und in der Hoffnung auf politische oder fachliche Vorteile der nationalsozialistischen Bewegung angepasst oder angeschlossen, sich für nationalsozialistische Gesundheitspolitik eingesetzt und sich an der Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen beteiligt. Während die sechs beschriebenen Ärzte bis heute in der Geschichte der Urologie als Pioniere der Fachunabhängigkeit gelten und als ehemalige Kongresspräsidenten bekannt sind, war ihre zum Teil maßgebliche Beteiligung an begangenem Unrecht bisher weitgehend unbekannt. Im Folgenden werden die Urologen Eduard Pflaumer, Otto Ringleb, Ludwig Kielleuthner, Karl Heusch, Hans Boeminghaus und Hans Rubritius vorgestellt. Eduard Pflaumer Eduard Pflaumer (vgl. Abbildung 18) wurde 1872 in Göggingen bei Augsburg geboren. Nach dem Abitur in Augsburg studierte er in München, Genf und Erlangen Medizin, wo er 1895 promoviert wurde. Seine Approbation erhielt er im Jahr darauf. Nach einer Tätigkeit an der chirurgischen Privatklinik Carl Kochs in Nürnberg ging er von 1897 bis 1899 nach Berlin, wo er an den Krankenhäusern am Urban bei Werner Körte (1853–1937) und Bethanien bei Edmund Rose (1836–1914) Assistent war. Von dort holte ihn Friedrich Trendelenburg (1844–1924) an das Deutsche Hospital in Buenos Aires, wo er vier Jahre arbeitete. Dann legte er an der dortigen Universität das argentinische Staatsexamen ab und war bis 1912 in Buenos Aires als Spezialarzt für Chirurgie tätig. Während dieser Zeit hat er „drei über halbjährige Reisen nach Deutschland zum Zweck wissenschaftlicher Fortbildung unternommen und bei denselben Gelegenheit gehabt, [sich] bei Prof. Nitze und Dr. Jacob, sowie bei Prof. Israel in Berlin speziell in Urologie und urologischer Chirurgie auszubilden.“141

1913 kehrte Pflaumer nach Deutschland zurück. Im Ersten Weltkrieg tat er zweieinhalb Jahre Dienst als Chirurg. Mit seiner Arbeit „Zystoskopische Beobachtungen zur Physiologie der Harnleiter und der Nieren“ habilitierte er sich 1918 in Erlangen. Im selben Jahr wurde Pflaumer Privatdozent für Urologie an der Universität Erlangen, wo er 1922 außerordentlicher Professor wurde.142 Bis 1936 war er Oberarzt der Urologischen Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen. 1937, zum Erreichen des 65. Lebensjahrs, verließ er diese Stelle und wurde Vorstand der Urologischen Klinik im Krankenhaus Nürnberg, die „laut Kontrakt im Städt. Krankenhaus untergebracht, aber selbständig und nicht wie die anderen Kliniken der Stadt Nürnberg gehörig oder ihr unterstellt“143 war. 141 Archiv der Universität Erlangen, Curriculum Vitae, unterzeichnet Erlangen 21. Mai 18. Dr. Eduard Pflaumer, Personalakte Eduard Pflaumer. 142 Vgl. Archiv der Universität Erlangen, Personalakte Eduard Pflaumer. 143 Archiv der Universität Erlangen, Military Government of Germany, Fragebogen, Personalakte Eduard Pflaumer, Unterstreichung im Original.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 18: Eduard Pflaumer, ca. 1937, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

Der Völkische Beobachter, die Parteizeitung der NSDAP, berichtete am 24. Februar 1937 unter dem Titel „Die neue urologische Klinik in Nürnberg“: „Die Klink bedeute, so betonte [Pflaumer] dabei einführend, etwas neues nicht nur für Nürnberg selbst, sondern für das ganze Reich, in dem sie bahnbrechend wirke auf dem Gebiete der Urologie. Professor Pflaumer faßte seine interessante Darstellung in der Forderung zusammen, dass eigentlich in jedem größeren deutschen Krankenhaus eine derartige Klinik vorhanden sein müsse, um diese ungemein wertvolle Arbeit an der Volksgesundheit durchführen zu können. Darüber hinaus sei aber auch die Schaffung von Lehrstätten notwendig, um die Fachärzte auf dem Gebiete der Urologie zu erhalten.“144 Aus Pflaumers Äußerungen werden einige fachpolitische Leitlinien deutlich, die sich seit der Gründung der GRU deutlich nachzeichnen lassen, darunter die rhetorische und inhaltliche Orientierung an der Volksgesundheit einerseits und die Forderung nach mehr fachlicher Unabhängigkeit in universitärer Ausbildung und klinischer Praxis andererseits. Dabei war Pflaumer, im Vergleich zu vielen seiner Kollegen in vergleichbaren Positionen, geradezu zurückhaltend, was sein Engagement in NS-Organisationen angeht. Er war nicht Mitglied der NSDAP, jedoch von 1933 bis 1934 Mitglied der SA. Dazu gab er im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens an, als Mitglied des 144 o. A., „Die neue urologische Klinik in Nürnberg“.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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rechts-konservativen, jedoch nicht nationalsozialistischen Stahlhelms 1933 automatisch und ungefragt an die SA angeschlossen worden zu sein. Auf Antrag sei er 1934 aus der SA entlassen worden. Von 1933 bis 1937 war er förderndes Mitglied der SS (Mitglieds-Nr. 192 088) und ab 1934 des NS-Lehrerbundes (später: NSDozentenbundes, Mitglieds-Nr. 276 255). Nach seiner Emeritierung als Hochschullehrer 1937 gab er jedoch beide Mitgliedschaften auf.145 Dies wurde im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens als Hinweis darauf gedeutet, dass Pflaumer kein überzeugter Nationalsozialist gewesen war, sondern diese Mitgliedschaften nur so lange unterhalten hatte, wie sie für seine Karriere nützlich gewesen waren. Andererseits scheute sich Pflaumer aber auch im Privatleben nicht, vom Nationalsozialismus zu profitieren. Im Oktober 1936 bezog er mit seiner Frau ein Haus, das ihm im Jahr darauf „von dem Besitzer, Herrn Stefan Hirschmann in Tel-Aviv, durch von ihm beauftragte allgem. Deutsche Treuhand-A. G. zum Kauf angeboten [wurde]. [Hirschmann erklärte sich] mit Kaufpreis und Bezahlung sofort einverstanden; der Verkauf fand am 3. Juni 1937 statt.“146 Bei dem Haus handelte es sich offensichtlich um das eines aus Deutschland geflohenen Juden.147 Nach dem Krieg blieb Pflaumer, der 1937 auch Präsident des zweiten Kongresses der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen gewesen war, gemäß seinem Vertrag bis zum 75. Geburtstag Leiter der Urologischen Klinik in Nürnberg. Er starb 1957.148 Otto Ringleb In der Historiographie der Urologie wird Otto Ringleb (vgl. Abbildung 19) häufig als erster Ordinarius des Faches an einer deutschen Hochschule149 oder als Streiter für die Fachunabhängigkeit150 der Urologie genannt. Sein aktives Eintreten für den Nationalsozialismus, die NS-Gesundheitspolitik und die Vertreibung jüdischer und jüdischstämmiger Mediziner dagegen sind bisher nur ganz am Rande thematisiert worden,151 obwohl Ringleb etwa in Theodor Brugschs Autobiographie in der Rolle des überzeugten Nationalsozialisten beinahe karikaturartig dargestellt wurde.152

145 Vgl. Archiv der Universität Erlangen, Military Government of Germany, Fragebogen, Personalakte Eduard Pflaumer. 146 Archiv der Universität Erlangen, Military Government of Germany, Fragebogen, Personalakte Eduard Pflaumer. 147 Vgl. dazu Stengel und Friedrich-Ebert-Stiftung, Vor der Vernichtung. 148 Vgl. Kremling, „Eduard Pflaumer (1872–1957). Ein Wegbereiter der Urologie“. 149 Vgl. Dietrich, „Die Berliner Urologische Gesellschaft von 1912–2006“. 150 Vgl. Schönberger und Lück, „Geschichte der Urologie an der Charité Berlin“. 151 Etwa in Klug, „Otto Ringleb: Biobibliographie eines Urologen“. 152 Vgl. Brugsch, Arzt seit fünf Jahrzehnten.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 19: Otto Ringleb mit Parteiabzeichen der NSDAP, ca. 1936, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

Otto Ringleb wurde 1875 in Arneburg (Altmark) geboren.153 Zwischen 1897 und 1902 studierte er in Jena, Halle und Heidelberg Medizin und war während des Studiums Mitglied der Corps „Guestphalia Jena“ und „Borussia Halle“. Nach der Promotion in Halle wurde er bis 1906 Assistent bei Maximilian Nitze in Berlin. 1912 habilitierte er sich bei Otto Hildebrand (1858–1927) an der chirurgischen Klinik der Charité mit einem bereits 1910 erschienenen Lehrbuch Das Kystoskop154 für Chirurgie. Nach einer Studienreise zu Peter Freyer (1851–1921) nach London übernahm er die Leitung der neu eingerichteten Urologischen Poliklinik der Charité. Ringleb wurde 1912 Mitglied der DGfU und war im selben Jahr einer der Begründer der Berliner Urologischen Gesellschaft, deren Vorsitzender er von 1925 bis 1927 und nach der Verdrängung der jüdischen Mitglieder wieder ab 1935 war. 1918 wurde Ringleb zum Titular- und 1921 zum außerordentlichen Professor an der Berliner Universität ernannt. 1936 wurde er der erste Kongresspräsident der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen. 153 Die biographischen Daten stammen, so nicht anders angegeben, aus Klug, „Otto Ringleb: Biobibliographie eines Urologen“. 154 Ringleb, Das Kystoskop. Eine Studie seiner optischen und mechanischen Einrichtung und seiner Geschichte.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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Ab Januar 1935 war Ringleb förderndes Mitglied der SS (MitgliedsNr. 918 428).155 Anfang des Jahres 1937 bewarb er sich um die Mitgliedschaft in der SS156 und wurde im September des Jahres als Sturmbannführer (entspricht dem Rang Major in der Wehrmacht) aufgenommen (Mitglieds-Nr. 284 656).157 Im Dezember 1937 wurde Ringleb zum Ordinarius für Urologie berufen. Damit erreichte er ein Ziel, das seit der Gründung der DGfU viele Urologen geteilt hatten. Seinen Antisemitismus brachte er in dem Lebenslauf zum Ausdruck, den er dem Aufnahmeantrag in die Allgemeine SS beilegte und in dem er von seinem „Kampf mit den Berliner Arzt-Juden“ spricht (s. o.). Vor dem Ende des Krieges wurde Ringleb noch dreimal befördert: im September 1938 zum Obersturmbannführer (entspricht Oberstleutnant), im Januar 1942 zum Standartenführer (entspricht Oberst) und im Juni 1944 zum Oberführer, dem höchsten Nichtgeneralsrang der SS (Abbildung 20). In dem Beförderungsantrag vom 11. Mai 1944 wurde Ringleb nicht nur als „einer der bedeutendsten Pioniere auf dem medizinisch-wissenschaftlichen Gebiet der Urologie“, sondern auch als Mensch beschrieben, der sich „schon in der Kampfzeit zum Nationalsozialismus bekannt [und später] seine Erfahrungen und sein fachliches Können der SS stets zur Verfügung gestellt“158 hatte. In der Autobiographie Theodor Brugschs (1878–1963) aus dem Jahr 1957 wird Ringleb als eine Art abschreckendes Beispiel geschildert. Brugsch schrieb: „Gewonnen wurden manche Ärzte auch, weil die Uniform sie lockte. Und wenn sie in den Jahren nach 1939 keine militärische Uniform trugen, so war es vielleicht ein noch größerer Reiz für manche von ihnen, eine SS-Uniform tragen zu können. Das konnte man recht deutlich an Professor R. erkennen. Plötzlich erschien er in der Privatklinik in SS-Uniform mit einem hohen militärischen Rangabzeichen, an seinem Kraftwagen flatterte der SS-Wimpel. Als ich ihn ironisch fragte, ob er bei der SS gedient hätte, erwiderte er mir, ihm sei diese Uniform von einem sehr hohen SS-Mann dafür verliehen worden, daß er ihn – wohl auch operativ – behandelt habe; jetzt dürfe er die Uniform als Zugehöriger der SS tragen. Darauf war er außerordentlich stolz. Ich habe die Eitelkeit nicht verstehen können, zumal ich R. schon seit der Zeit kannte, als Professor O. Hildebrand, damals Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité, ihn im Einverständnis mit der Fakultät als Professor extraordinarius in die urologische Abteilung berufen hatte. R. hatte sich in Berlin zu einem tüchtigen Urologen entwickelt, wurde jedoch in ärztlichen Kreisen hinter Professor Joseph, den etatmäßigen Professor der Urologie an der Bierschen Klinik in der Ziegelstraße, gestellt. Dieser so geschätzte Urologe war aber Jude, und das ist vielleicht der Grund gewesen, daß er bei der geheimen Abstimmung in der Fakultätssitzung 1925 gegen R. durchfiel.“159

Die Rede ist hier von dem 1933 aus dem Leben geschiedenen Eugen Joseph (s. o.). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Ringleb von der US-Militärregierung einige Wochen interniert, weil ihm vorgeworfen wurde, „er habe im Lager

155 Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Personalakte Otto Ringleb, UK R 151, Bd. 1, Bl. 4. 156 Vgl. Bundesarchiv Berlin, ehem. BDC, RS Ringleb, Otto. 157 Vgl. Bundesarchiv Berlin, ehem. BDC, SSO Ringleb, Otto. 158 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Sign. SS 34B, Ring-Rinner. 159 Brugsch, Arzt seit fünf Jahrzehnten, 285.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 20: Beförderungsantrag der SS für Ringleb von 11. Mai 1944160 160 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Sign. SS 34B, Ring-Rinner.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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Sachsenhausen und auch anderswo Versuche zur Kältechirurgie der Blase an politischen und militärischen Gefangenen vorgenommen.“161 Ringleb stritt die Vorwürfe ab. In einem Brief an die amerikanische Militärregierung schrieb er: „Es hat dort jemand die unwahre Behauptung aufgestellt, ich hätte in Sachsenhausen im Konzentrationslager behandelt und wäre dort gewesen. Ich habe ein Beinleiden und habe meine sämtlichen Arztbesuche im Auto gemacht, das durch meinen Schoför geführt wurde. Dieser Schoför sowie meine Sekretärin, die alle meine Krankenbesuche kannte, können unter Eid aussagen, daß sie niemals von einem solchen Besuche in Sachsenhausen gehört haben, und ich bin jederzeit bereit, an Eides Statt zu versichern, daß ich niemals dort war. Es ist zu offensichtlich, daß man durch diese falsche Behauptung mich nur in Beziehung bringen will zu den schmutzigen Dingen, die sich dort ereignet haben sollen.“162

Ringleb konnte nicht nachgewiesen werden, dass er im Konzentrationslager Versuche durchgeführt hätte und er wurde aus dem Kriegsgefangenenlager entlassen. Dazu schrieb Brugsch: „Professor R. war wohl nur wenige Jahre lang stolz auf seine Uniform eines Standartenführers (ich glaube, das war sein Rang). Dann kam der Zusammenbruch. Man ließ ihn in Ruhe, bis die vier Alliierten Berlin besetzten. R.s Privatklinik lag in Schöneberg, im amerikanischen Sektor, er mußte einen Fragebogen ausfüllen, und es dauerte nicht lange, bis er von der amerikanischen Besatzung in Gewahrsam genommen wurde, wo er verelendete. Erst nachdem ich mich für ihn eingesetzt hatte, wurde er freigelassen. Ich habe ihn noch im letzten Monat seines Lebens behandelt, bis er, müde und verzweifelt, starb, verzweifelt vor allem, weil sein Schwiegersohn und seine Tochter (der Schwiegersohn war Ordinarius der Gynäkologie in G. gewesen)163 freiwillig aus dem Leben geschieden waren.“164

Ringleb starb 1946 in Berlin. Akten zu den Vorwürfen gegen ihn konnten bisher nicht ausfindig gemacht werden. Ludwig Kielleuthner Ludwig Kielleuthner (vgl. Abbildung 21) wurde 1876 in München geboren.165 Nach dem Abitur dort studierte er in Kiel, Erlangen und München Medizin. Nach dem Abschluss des Studiums ging er nach Wien, wo er zunächst bei Karl Landsteiner (1868–1943), dann als chirurgischer Assistent bei Julius Hochenegg (1849– 1940) und Otto Zuckerkandl (1861–1921) tätig war. Zu dieser Zeit gab er am jüdischen Wiener Rothschild-Spital Zystoskopiekurse.

161 162 163 164 165

Klug, „Otto Ringleb: Biobibliographie eines Urologen“, 40–1. Zitiert nach ebd., 41. Es handelt sich um Margarethe und Günther Schulze aus Greifswald, vgl. dazu ebd., 40. Brugsch, Arzt seit fünf Jahrzehnten, 286. Die biographischen Daten stammen, so nicht anders angegeben, aus Stolze, „In memoriam Ludwig Kielleuthner“.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 21: Ludwig Kielleuthner, ca. 1929, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

Nach einer Studienreise, die ihn zu Félix Guyon166 und Joaquín Albarran167 nach Paris, Peter Freyer168 nach London und James Israel nach Berlin geführt hatte, kehrte er nach München zurück. Im Februar 1912 beantragte er an der medizinischen Fakultät der Münchener Universität die Zulassung zur Habilitation im Fach Urologie. Dem Gesuch wurde entsprochen. In einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten an den Senat der Königlichen Universität München, vom 2. Januar 1913 heißt es: „Im Namen Seiner Majestät des Königs. Seine Königliche Hoheit Prinz Ludwig, des Königreich Bayerns Verweser, haben zu genehmigen geruht, dass der praktische Arzt Dr. Ludwig Kielleuthner in München als Privatdozent für Urologie […] in die medizinische Fakultät unserer Universität aufgenommen [wird].“169

Dieser Vorgang ist insofern bedeutsam, als Habilitationen später bis zu der Heuschs im Jahr 1942 in Deutschland nicht mehr allein für Urologie, sondern für Urologie und Chirurgie oder nur Chirurgie gestattet wurden. Friederike Butta-Bieck hat darauf hingewiesen, dass Viktor Blum in Wien bereits 1911 für das Fach Urologie habi166 167 168 169

Vgl. Loukas, Linganna und Jordan, „Jean Casimir Félix Guyon – Urologist and anatomist“. Vgl. Casey und Thornhill, „Joaquin Maria Albarran Y Dominguez“. Vgl. Görgen, „Sir Peter Freyer – Strittiger Pionier der britischen Urologie“. Archiv der Ludwig-Maximilian-Universität, Personalakte Ludwig Kielleuthner, Sign. E-II1978.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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litiert worden war.170 Zwar räumte die Wiener Universität den Spezialfächern mehr Raum ein als deutsche Universitäten, trotzdem können die beiden frühen Habilitationen für das Fach Urologie als Indizien dafür angesehen werden, dass in dieser frühen Phase der Fachentwicklung die Bezeichnung noch nicht „(fach-)politisiert“ war. Später übernahm Kielleuthner die Leitung der Privatklinik Josephinum in München und blieb dort bis 1963. Im Jahr 1929 leitete er mit dem neunten Kongress der DGfU den ersten, der nicht in Berlin oder Wien stattfand. Im Einladungsschreiben zur Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen von Karl Heusch wurde Kielleuthner als zweiter Vorsitzender der neuen Fachgesellschaft genannt. In einer Stellungnahme der Dozentenschaft der Universität München aus dem Juli 1939 heißt es über Kielleuthner: „Wissenschaftlich hat sich K. hauptsächlich auf dem Gebiet der Urologie beschäftigt […]. Charakterlich ist K. völlig einwandfrei und wegen seiner stets gezeigten Liebenswürdigkeit beliebt. Weltanschaulich-politisch: Vor der Machtergreifung hat er keiner Partei angehört. Er war Korpsstudent, im Weltkrieg Chefarzt einer Sanitätskompanie. Seit 1935 ist er im NSKK [Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps]. Er ist sicher Nationalsozialist.“171

Trotzdem gibt es keine Hinweise darauf, dass Kielleuthner stark in die nationalsozialistische Gesundheitspolitik, Partei- oder Staatsorganisationen eingebunden war. Er war weder Mitglied der NSDAP noch der SS oder SA. In seiner Stellung als Leiter einer Privatklinik war er nicht darauf angewiesen, sich durch politisches Wohlverhalten zu profilieren, und seine Stellung als zweiter Vorsitzender der GRU kann als Konstruktion einer Kontinuität von der DGfU zur GRU interpretiert werden. Möglicherweise war er einer der wenigen Urologen, denen ein früher, freundschaftlicher Kontakt zu jüdischen Mentoren und Kollegen eine gewisse Skepsis dem nationalsozialistischen Regime gegenüber eingebracht hatte. Karl Heusch Karl Heusch (vgl. Abbildung 22) wurde 1894 in Aachen geboren, wo er 1914 am Realgymnasium das Abitur ablegte. Im selben Jahr begann Heusch das Medizinstudium, meldete sich jedoch gleich als Kriegsfreiwilliger. 1915 nahm er an der Schlacht von Gallipoli teil und tat danach zwei weitere Jahre Dienst als Sanitätsleutnant in der Türkei. Nach dem Ende des Krieges legte er 1919 in Bonn das Physikum und 1921 in Köln das Staatsexamen ab, wo er auch mit der Arbeit „Die Bedingungen der kindlichen Pylorusstenose“ promovierte. Im Dezember desselben Jahres erhielt Heusch die Approbation und wurde, nach kurzer Tätigkeit an den Aachener Krankenanstalten, Assistent der I. Chirurgischen Universitätsklinik der Charité in Berlin. Drei Jahre später ging er zu Otto Ringleb an die urologische Abteilung, wo er zunächst Assistent, später Oberarzt war. Im August 1933 wurde 170 Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“, 131. 171 Archiv der Ludwig-Maximilian-Universität München, Personalakte Ludwig Kielleuthner, Sign. E-II-1978.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 22: Karl Heusch, ca. 1940, Personalakte, 158, Heusch, Prof. Dr. Karl, Chefarzt a. D., Stadtarchiv Aachen

Heusch dirigierender Arzt der urologischen Abteilung des Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhauses, im April 1934 wurde er Dozent an der Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, wo er 1935 und 1938 auch internationale Fortbildungskurse im Fach Urologie leitete.172 Als „begabtester“ und „Lieblingsschüler“173 Ringlebs konnte sich Heusch 1942 bei seinem Lehrer an der Charité für das Fach Urologie habilitieren (vgl. Abbildung 23), was seit Kielleuthner im Jahr 1913 in Deutschland nicht mehr vorgekommen war. Bereits seit 1930 war Heusch Mitglied des NS-Ärztebundes und Mitarbeiter des späteren „Reichsgesundheitsführers“ Leonardo Conti gewesen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Heusch 1933 Mitglied der NSDAP (Mitglieds-Nr. 2 865 995) und förderndes Mitglied der SS (Mitglieds-Nr. 264 323).174 Ich folge Richard Kühls Interpretation, gemäß der sich Heusch „vor allem aus kar172 Bis hierher stammen die biographischen Daten aus dem Lebenslauf Heuschs in seiner Personalakte der Charité, Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, UK H 291, Bd. 1. 173 Forßmann und Boeminghaus, „Karl Heusch zum 65. Geburtstag“. 174 Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, UK H 291, Bd. 1, Bl. 5–6.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

Abbildung 23: Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin Heuschs Habilitationsurkunde, UK H 291, Bd. 2, Bl. 5,

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

rierestrategischen Gründen“ vor 1933 „mit Bekenntnissen über seine NS-Nähe noch zurück“175 hielt. Zum einen genoss die NSDAP in dieser Zeit bei Hochschullehrern nicht den besten Ruf, zum anderen gab es in der Urologie in Deutschland allgemein und insbesondere in Berlin viele Ärzte jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft. An der Charité musste Heusch Anfang der 1930er Jahre täglich mit jüdischen Kollegen Umgang gehabt haben. Ab 1933 machte Heusch nicht nur als Urologe, sondern auch in staatlichen und NS-Organisationen sowie gesellschaftlich Karriere. Ab 1933 wurde er nebenamtlich Arzt der Preußischen Staatstheater und diensttuender Arzt des Stabes „Ministerpräsident Göring“ bei Staatsempfängen und 1936 Sportarzt bei den Olympischen Spielen in Berlin. Auch innerhalb der Medizin und Urologie bekleidete Heusch ab der Mitte der 1930er Jahre wichtige Positionen: So wurde er 1935 Schriftführer der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen sowie Obergutachter bei der Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und Mitglied der Prüfungsausschüsse für Facharzt- und Honorarfragen der Reichsärztekammer für das Fach Urologie. Zwei Jahre später wurde er stellvertretender Vorsitzender der Berliner Urologischen Gesellschaft und Mitherausgeber der Zeitschrift für Urologie. Ebenfalls 1935 wurde Heusch Reserve-Sanitätsoffizier der Wehrmacht und 1936 zum Oberarzt und 1939 zum Stabsarzt befördert. Schließlich arbeitete er ab 1935 im Amt für Volksgesundheit der NSDAP mit.176 Es ist sicherlich kein Zufall, dass Heusch gleichzeitig sowohl in nationalsozialistischen als auch in fachpolitischen Organisationen Karriere machte. Vielmehr erscheint es, als sei er für seine Arbeit im Sinne der NS-Ideologie und Gesundheitspolitik belohnt worden, indem er Ehrenposten wie den des Theater- oder Olympiaarztes und fachpolitisch entscheidende Positionen wie im Facharztausschuss bei der Reichsärztekammer erhielt. Unterlagen aus der Akademie für ärztliche Fortbildung sind nicht überliefert, aber etwa sein Vortrag „Urologie und Volksgesundheit“,177 gehalten beim ersten Kongress der GRU in Eisenach 1936, zeigt eine deutliche Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik (s. u.). Auch Heuschs Habilitation 1942 muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Heusch zum Kriegsdienst einberufen und tat als Chirurg Dienst an der Westfront. Nach der Zerstörung seiner Berliner Klinik ging er nach Karlsbad, um dort eine urologische Abteilung aufzubauen.178 Der Ort hatte vor dem Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn gehört, war danach Teil der Tschechoslowakei und mit dem Münchener Abkommen Teil des Deutschen Reiches geworden. Während seiner Zeit dort wurde Heusch 1943 als Sturmbannführer in die Allgemeine SS aufgenommen.179 175 Kühl, Leitende Aachener Klinikärzte und ihre Rolle im „Dritten Reich“, 111. 176 Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, UK H 291, Bd. 1, Bl. 5–6. 177 Heusch, „Urologie und Volksgesundheit“. 178 Vgl. Kühl, Leitende Aachener Klinikärzte und ihre Rolle im „Dritten Reich“, 112. 179 Vgl. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin, UK H 291, Bd. 1, Bl. 1.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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Nach dem Ende des Krieges kehrte Heusch zunächst nach Berlin zurück, nicht jedoch, ohne sich in Karlsbad noch von einem ehemaligen Patienten ein politisches Unbedenklichkeitszeugnis ausstellen zu lassen, das ihn als kompetenten Arzt und Mitglied „einer alten, rheinischen, katholischen Familie [ausweist, das] sich immer offen zu seiner katholischen Ueberzeugung bekannt“ habe. Über seine politische Gesinnung sagt es jedoch nichts aus. In dem Schreiben heißt es: „Herr Dozent Dr. med. habil Karl Maria Martin H e u s c h, geboren am 6.7.1894 zu Aachen, war in der Zeit vom 10.9.1943 bis 1.8.1945 als Chefarzt der urologischen Abteilung am Krankenhaus der Stadt Berlin zu Karlsbad tätig. Er hat hier in kurzer Zeit den ihm vorausgehenden Ruf eines hervorragenden Facharztes auf dem Spezialgebiet der Urologie nur bestätigt und gefestigt und durch seine gründlichen Fachkenntnisse, seine sicheren Diagnosen sowie besonders durch seine glückliche Hand bei schwierigen Operationen sich das vollste Vertrauen weiter Kreise der Karlsbader Bevölkerung erworben. Mich persönlich hat er durch eine mit bewundernswerter Geschicklichkeit und bestem Erfolge durchgeführte transurethrale Operation von einem lästigen und gefährlichen Blasenleiden befreit und mich zu unendlichem Danke verpflichtet. Er entstammt einer alten, rheinischen, katholischen Familie, hat sich immer offen zu seiner katholischen Ueberzeugung bekannt, auch in dem andersgläubigen Milieu seiner Wirkungsstaette und sich als Katholik öffentlich betätigt.

Durch das unglückliche Kriegsende seiner Praxis beraubt, steht er nunmehr in schwerer Zeit vor einem neuen Anfange. Ich kann den bewährten Arzt und aufrechten Katholiken dem Wohlwollen und der tätigen Förderung des hochwürdigen Klerus, der Orden und Kongregationen sowie aller Katholiken mit bestem Gewissen wärmstens empfehlen und wünsche nur, dass er recht vielen so helfen könnte, wie er mir geholfen hat.“180

Nachdem er von 1946 bis 1947 Chefarzt der urologischen Abteilung des SiemensKrankenhauses in Berlin-Jungfernheide gewesen war, ging Heusch „aus politischen Gründen bald nach Aachen“.181 Heusch bot in seiner Heimatstadt an, am dortigen städtischen Krankenhaus eine urologische Abteilung aufzubauen und erhielt auf Grund seines fachlich herausragenden Rufs und der Unterstützung des Aachener Amtsarztes Constantin Beaucamp den Auftrag dazu. Im Dezember 1947 wurde Heusch Chefarzt in Aachen.182 Für seine Vergangenheit scheint man sich in Aachen kaum interessiert zu haben. Im Entnazifizierungsverfahren 1948 wurde er im britischen Sektor in die Kategorie IV (leicht belastet) und als ins Beamtenverhältnis berufungsfähig eingestuft. Aus den Unterlagen geht hervor, dass Heusch seine Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS und im NS-Ärztebund vor 1936 verschwieg.183 Heusch blieb nach 1945 einer der bedeutenden Urologen Deutschlands. 1953 wurde er Präsident des DGU-Kongresses in Aachen und 1963 wurde er durch die

180 Stadtarchiv Aachen, Stadt Aachen, Personalakte, Vertraulich, 158, Heusch, Prof. Dr. Karl, Chefarzt a. D., Bl. 7–8, Sperrung im Original. 181 Wenske, „Die Herausbildung urologischer Krankenabteilungen in Berlin“, 158. 182 Vgl. Kühl, Leitende Aachener Klinikärzte und ihre Rolle im„Dritten Reich“, 113. 183 Vgl. Stadtarchiv Aachen, Stadt Aachen, Personalakte, Vertraulich, 158, Heusch, Prof. Dr. Karl, Chefarzt a. D., Bl. 37.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

nordrhein-westfälische Landesregierung zum Professor berufen,184 wohl in Vorbereitung auf die Gründung der medizinischen Fakultät der Rheinisch- Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Durch seinen Beitrag zur Fünfzigjahrfeier der DGU 1957 trug er maßgeblich zum für die nächsten 50 Jahre andauernden Geschichtsverständnis der Urologie im Nationalsozialismus bei.185 Ebenso wie seine eigene politische Einstellung spielte er dabei den Einfluss der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik auf die Gesellschaft herunter (vgl. dazu Kapitel 6). Im Jahr seiner Präsidentschaft 1953 war es an Heusch, dem nach Brasilien vertriebenen Paul Rosenstein die Ehrenmitgliedschaft in der DGU anzutragen. Rosenstein, der die Ehrung annahm, kommentierte den Umgang Heuschs mit der Vergangenheit in einem persönlichen Schreiben an diesen wie folgt: „Aber ich sehe, die Tendenz zum Vergessen des Geschehenen ist bei so vielen anderen vorhanden, worunter ich auch Sie, sehr verehrter Herr College, rechnen moechte.“186 Heuschs Verhalten im und später zum Nationalsozialismus ist in der Form der emphatischen Begeisterung für die NS-Gesundheitspolitik und fast problemlosen Anpassung an die gewandelten Umstände in der späteren Bundesrepublik beispielhaft für viele Urologen in Deutschland. Hans Boeminghaus Hans Boeminghaus (vgl. Abbildung 24) wurde am 4. April 1893 in Duisburg als Sohn eines Kaufmanns geboren und besuchte dort die Volksschule und das Gymnasium.187 Sein Medizinstudium in Freiburg, Bonn und Heidelberg wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, in dem er von 1914 bis 1918 Wehrdienst leistete. 1919 legte er in Heidelberg das Staatsexamen ab und wurde mit der Arbeit „Fall von metastatischer, eitriger Iridocyklitis nach Influenza“ zum Dr. med. promoviert. Von 1920 bis 1926 war Boeminghaus Assistent an der Chirurgischen Universitätsklinik in Halle bei Friedrich Voelcker (1872–1955), wo er sich 1924 mit der Arbeit „Pharmakologische Untersuchungen über die periphere Innervation der Blase“ für das Fach Chirurgie habilitierte. 1928 ging Boeminghaus nach Marburg, wo er 1933 außerordentlicher Professor für Chirurgie wurde und von 1933 bis 1937 die chirurgische Poliklinik leitete.188 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat er 1933 in die NSDAP (Mitglieds-Nr. 3 217 024) und die SS (Mitglieds-Nr. 180 216) ein.189 In seiner Marburger Zeit veröffentlichte Boeminghaus ein Lehrbuch und sieben wissenschaftliche Beiträge in allgemeinmedizinischen, chirurgischen und urologischen Zeit184 185 186 187

Vgl. Mauermayer und Schultze-Seemann, Deutsche Gesellschaft für Urologie. Vgl. Heusch, „Überblick über die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie“. Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Brief Rosensteins an Heusch (1955), o. Sign.. Teile der Biographie Boeminghausʼ sind erschienen in Krischel, „Hans Boeminghaus und die urologische Sterilisationsforschung“. 188 Vgl. Aumüller u. a., Die Marburger Medizinische Fakultät im „Dritten Reich“. 189 Vgl. Bundesarchiv Berlin, BDC SSO Boeminghaus, Hans.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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Abbildung 24: Hans Boeminghaus, ca. 1948, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung.

schriften zur Sterilisation des Mannes (vgl. Tabelle 4).190 Seine Personalakte aus dieser Zeit ist im Staatsarchiv Marburg erhalten.191 Sie ist jedoch auffällig dünn und enthält keine Hinweise auf seine Forschung, was die Vermutung nahelegt, dass sie „gesäubert“ wurde. Mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GVeN) wurden Erbbiologie und Eugenik in medizinischen Zeitschriften allgegenwärtig. Der Artikel „Zur Technik der Sterilisation beim Mann“, der 1933 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erschien, gehört zu den frühesten Artikeln zur Operationstechnik. In dem Artikel nahm Boeminghaus auf das Gesetz indirekt Bezug, indem er darauf hinwies, dass „es sich aber in Zukunft bei diesen Eingriffen auch um Maßnahmen handelt, die eventuell gegen den Willen des zu Sterilisierenden vorgenommen werden“.192 Zur Sterilisation von Männern schlug er die Vasektomie vor.

190 Zu Boeminghaus’ Veröffentlichungen zur Sterilisation des Mannes vgl. Vienne, „Der Mann als medizinisches Wissensobjekt“. 191 Vgl. Staatsarchiv Marburg, Best. 305a, Acc. 1976/19, alte Sign. BA8. 192 Boeminghaus, „Zur Technik der Sterilisation beim Mann“, Hervorhebung im Original.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter Tabelle 4: Veröffentlichung Hans Boeminghaus‘ zur Sterilisation des Mannes in medizinischen Zeitschriften in den 1930er Jahren

Jahr

Zeitschrift

Titel

1934

Zeitschrift für Urologie

Zur Physiologie der Samenblase und der Spermien

1933

1935

1937

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Zur Technik der Sterilisation beim Mann

Zentralblatt für Chirurgie Nochmals zur Sterilisation des Mannes

Zentralblatt für Chirurgie Zur Sterilisationsoperation, Begründung der Spermientötenden Instillation in den Samenleiter Zentralblatt für Chirurgie Zur Durchspühlung des Samenleiters bei der Sterilisierungsoperation Zeitschrift für Urologie

Die Sterilisierung des Mannes

Zentralblatt für Chirurgie Dauer der Zeugungsfähigkeit nach der Vasektomie

Im Vorwort des 1934 erschienenen Lehrbuches Die Technik der Sterilisation und Kastration von Hans Naujoks und Hans Boeminghaus ist der Hinweis auf die Zwangssterilisation explizit. Die Verfasser schrieben: „In Ausführung des Gesetzes ‚Zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ werden die Eingriffe zur Unfruchtbarmachung sowohl des Mannes wie der Frau zweifellos in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen.“193 Weiter heißt es: „Die Indikationsstellung lag außerhalb unseres Aufgabenkreises und fand daher keine Erörterung.“ Bei dem Buch handelt es sich um eines der ersten und wohl um das verbreitetste Lehrbuch zur Kastration und Sterilisation in Deutschland in den 1930er Jahren. Die Autoren waren, als das Buch erschien, beide Professoren in Marburg. Hans Naujoks sterilisierte an der Universitäts-Frauenklinik dort zahlreiche Frauen ohne ihre Einwilligung und veröffentlichte Beiträge zur Sterilisationstechnik.194 Die eugenische Indikation wurde in Boeminghaus‘ Teil an vielen Stellen thematisiert. So begann er damit, die angeblich von der altorientalischen Königin Semiramis empfohlene „Kastration von kränklichen und elenden Männern […], um auf diese Weise eine schwache Nachkommenschaft zu verhüten“, als eine Tat „von hoher staatsmännischer Klugheit“195 zu preisen. Später diskutierte er eine nach der Sterilisation anhaltende, vorübergehende Zeugungsfähigkeit sterilisierter Männer und empfahl, „[d]ort, wo die Sterilisation den Zweck 193 Naujoks und Boeminghaus, Die Technik der Sterilisation und Kastration, 3. 194 Vgl. Franken, „‚… dass ich kein rabiater Nationalsozialist bin‘. NS-Medizin an Kölner Universitätskliniken am Beispiel von Hans C. Naujoks (1892–1959), Direktor der Universitäts-Frauenklinik.“ 195 Naujoks und Boeminghaus, Die Technik der Sterilisation und Kastration, 7.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

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hat, Erbminderwertige von der Fortpflanzung auszuschließen“,196 eine Quarantänezeit oder ein Durchspülen der Samenwege. Nachdem Kritiker dieses Durchspülen als den Patienten unnötig belastend abgelehnt hatten, machte Boeminghaus sich im Zentralblatt für Chirurgie 1935 noch einmal für eine Instillation mit spermizider Rivanollösung (1:1000) stark. Die schleimhautreizende Wirkung bezeichnete er dabei als „nicht unerwünscht, da, wie man weiß, die Samenblasen sich daraufhin kontrahieren und ihren Inhalt ausstoßen.“ Die Einwände der Kritiker, das Durchspülen belaste die Patienten stark, ließ Boeminghaus nicht gelten, denn „der Gesetzgeber hat ein Recht zu verlangen, daß von ärztlicher Seite alles geschieht, um diese Möglichkeiten [vorübergehende Fruchtbarkeit Sterilisierter nach der Operation] mit Sicherheit zu verhüten“. Hier bezog Boeminghaus also klar Position für die Volksgesundheit und gegen die Patienten.197 1937 verließ Boeminghaus Marburg. Nachdem er ein Jahr lang die chirurgische und gynäkologische Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Frankfurt an der Oder geleitet hatte, wurde er 1939 Leiter der neugegründeten chirurgisch-urologischen Klinik am Krankenhaus Berlin-Westend und außerplanmäßiger Professor in Berlin. Noch im Dezember 1943 setzte er sich bei Max de Crinis, zu diesem Zeitpunkt Referent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, für die Schaffung urologischer Lehrstühle an deutschen Universitäten ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging Boeminghaus 1947 an die Klinik Golzheim in Düsseldorf, die er in der Nachfolge Peter Janssens bis 1963 leitete. Ab 1949 lehrte er zudem an der Medizinischen Akademie Düsseldorf. 1966 trat Boeminghaus in den Ruhestand und starb 1979 in Düsseldorf. Er gehörte sicherlich zu den bedeutenden deutschen Urologen seiner Generation. Boeminghaus war sowohl vor als auch nach dem Ende des Krieges Herausgeber der Zeitschrift für Urologie und Präsident des ersten Nachkriegskongresses der DGU 1948 sowie noch einmal 1951. Somit steht seine Karriere beispielhaft für die Kontinuitäten in der deutschen Urologie nach 1945. Hans Rubritius Hans Rubritius (vgl. Abbildung 25) wurde 1876 in Klattau (damals Böhmen und somit Teil Österreich-Ungarns, heute Tschechien) geboren.198 In Prag legte er das Abitur ab, studierte dort an der deutschen Universität Medizin und wurde 1901 zum Doktor der gesamten Heilkunde promoviert. Von 1902 bis 1912 war er Assistent bei Anton Wölfler (1850–1917) an der chirurgischen Universitätsklinik der deutschen Universität in Prag und leitete diese von 1910 bis 1912 kommissarisch.199 Nach 196 Ebd., 17. 197 Vgl. Boeminghaus, „Zur Sterilisationsoperation. Begründung der Spermientötenden Instillation der Samenleiter“. 198 Ich danke Friederike Butta-Bieck für ihre freundliche Hilfe bei der Recherche in den Wiener Archiven. 199 Vgl. Figdor, „Hans Rubritius“, 174–176.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 25: Hans Rubritius, ca. 1940200

seiner Habilitation im Fach Chirurgie vertrat er von 1910 bis 1911 den chirurgischen Lehrstuhl der deutschen Universität in Prag und ging 1912 auf eine „ärztliche Studienreise nach Paris, London, Hamburg, Kopenhagen und Berlin, wo vor allem die Stätten besucht wurden, an denen die Urologie durch bedeutende Männer vertreten war (Albarran, Freyer, Kümmell, Rosving, Israel, Casper u. a.).“201 Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, in dem Rubritius bereits 1914 in russische Kriegsgefangenschaft geraten und dort bis 1918 verblieben war, wurde er 1919 Nachfolger Anton von Frischs (1849–1917) als Leiter der urologischen Abteilung der Wiener Poliklinik. Ein Jahr darauf wurde Rubritius zum außerordentlichen Professor ernannt. Im Jahr 1921 wurde er stellvertretender Direktor und von 1931 bis 1940 Direktor der Wiener Städtischen Allgemeinen Poliklinik.202 In den 1930er Jahren war Rubritius, ebenso wie Viktor Blum, mehrmals Präsident der Wiener Urologischen Gesellschaft, die unter seinem Vorsitz 1935 zeitweise in Österreichische Gesellschaft für Urologie umbenannt wurde.203 200 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Personalakten des Prof. Dr. Hans Rubritius, SIGN. 1.3.2.202.A5. 201 Handschriften-Sammlung des Instituts für Geschichte der Medizin Wien, Lebenslauf und Wissenschaftliche Arbeiten (maschinenschriftlich und unterzeichnet: Wien, 29. November 1940 Rubritius), 442/1–2. 202 Vgl. Universitätsarchiv Wien, Nekrolog für Hans Rubritius, Sign. 9305.85. 203 Vgl. Figdor, „Hans Rubritius“, 175–6.

4.2 Karrieren von Urologen im Nationalsozialismus

111

Bereits 1929 war Rubritius zum Präsidenten für den nächsten Kongress der DGfU 1931 gewählt worden. Der Kongress wurde zunächst um ein halbes Jahr, dann um zwei Jahre verschoben und schließlich abgesagt.204 Durch die Gründung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen kam es zu keinen Kongressen der DGfU mehr, deren Präsident Rubritius jedoch bis zu seinem Tod 1943 blieb. Nach dem „Anschluss“ Österreichs sollte er auch noch einmal Präsident des dritten GRUKongresses in Wien werden, der jedoch auf Grund des Beginns des Zweiten Weltkriegs nicht stattfand. Aus der angestrebten personellen Kontinuität des avisierten Kongresspräsidenten Rubritius lässt sich auf eine von den verbliebenen Mitgliedern empfundene Kontinuität zwischen DGfU und GRU schließen. Peter Paul Figdor hat unter Bezug auf Fritz Schultze-Seemann darauf hingewiesen, dass „Rubritius der am längsten dienende urologische Präsident [war], dem es aber nie gelang, einen Kongress auszurichten.“205 Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde Rubritius im September 1938 Mitglied der SA, wo er den Rang eines Sturmführers (entspricht Leutnant in der Wehrmacht) in der Marine-Standarte 12 erhielt.206 Im Februar 1940 stellte er einen Aufnahmeantrag in die NSDAP und wurde zum 1. April aufgenommen (vgl. Abbildung 26). In politischen Beurteilungen zeigten sich die Parteiorganisationen allgemein zufrieden mit Rubritius. Ein Gutachten des Sicherheitsdienstes der SS aus dem November 1940 bescheinigte ihm: „Dr. R u b r i t i u s gehörte seiner politischen Einstellung nach ins nationale Lager, obwohl er auch vielfach liberalistische Ansichten vertrat. Als belastend wird ihm vorgehalten, dass er hauptsächlich jüdische Assistenten hatte und die Poliklinik eine Domäne der Juden darstellte. In der Systemzeit war er Obmann des Vereins Deutscher Ärzte. Ihm wurde nach dem Umbruch mit Rücksicht auf seine Grundeinstellung, obwohl er in der Systemzeit keinerlei Kampfgeist bewies, die Parteianwärterschaft zuerkannt. In persönlicher Hinsicht wird er als anständiger Mensch geschildert und genießt fachlich einen guten Ruf.“207

Insbesondere die Bemerkung über jüdische Ärzte an der Poliklinik und implizit an der urologischen Abteilung zeugt zum einen von einer gewissen Unkenntnis der medizinischen Landschaft Wiens seitens des Sicherheitsdienstes, zum anderen ist sie aber auch ein Hinweis darauf, dass Rubritius zumindest vor 1938 mit seinen jüdischen Kollegen und Assistenten gut zusammengearbeitet hatte. Im Jahr seines Todes 1943 stellte ihm die NSDAP-Gauleitung Wien ein weiteres positives Gutachten aus.208 Rubritius starb 1943 in Wien an einer Magenperforation. 204 Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 84. 205 Figdor, „Hans Rubritius“, 175. 206 Vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Personalakte des Prof. Dr. Hans Rubritius, Sign. 1.3.2.202.A5. 207 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Schreiben Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, SD-Leitabschnitt Wien an die Gemeindeverwaltung des Reichsgaus Wien, Personalamt, vom 14.11.1940, Sign. 1.3.2.202.A5, Sperrung im Original. 208 Vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Beurteilung der NSDAP-Gauleitung vom 2. April 1943, Sign. 1.3.2.202.A5.

112

4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Abbildung 26: Aufnahmeantrag Rubritius‘ in die NSDAP209

Motivationen für die Mitgliedschaft in Parteigliederungen Unter den betrachteten Personen fällt auf, dass zwei reguläre Mitglieder und drei weitere fördernde Mitglieder der SS waren. Richard Evans hat darauf hingewiesen, dass diese zumindest bis Mitte der 1930er Jahre einen wichtigen Anteil an der Finanzierung der SS trugen. Während der Großteil der Gelder von Wirtschaftsvertretern kam, die sich und ihre Unternehmen absichern oder dem Regime andienen wollten, gab es auch individuelle fördernde Mitglieder. Evans hat festgestellt, dass eine fördernde Mitgliedschaft keine bloße Geste war. Vielmehr wurde sie von den Fördernden angestrebt, um sich vor Eingriffen durch übereifrige Mitglieder der NSBewegung zu schützen.210 Somit ließe sich insbesondere die fördernde Mitgliedschaft in der SS auch als ein Austausch von Loyalität und Geld gegen eine gewisse politische Sicherheit auffassen. Dies mag für Urologen, die häufig an Kliniken mit einem vormals großen Anteil jüdischer Ärzte arbeiteten, besonders attraktiv gewesen sein. Ab August 1934 wurden keine weiteren fördernden Mitglieder geworben (Ringleb wurde trotzdem 1935 eines) und die Finanzierung der SS erfolgte in der Folge nicht mehr aus Spenden, sondern aus Mitteln der NSDAP und „geraubten jüdischen Geldern“.211 209 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Sign. PK 0083. 210 Vgl. Evans, The Third Reich in Power, 1933–1939, 51. 211 Hoser, „Historisches Lexikon Bayerns – Schutzstaffel (SS), 1925–1945“.

4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland

113

Im Vergleich zu anderen Mitgliedschaften in Parteiorganisationen, wie etwa im NS-Kraftfahrkorps, muss eine fördernde Mitgliedschaft als deutlicheres Zeichen der Loyalitätsbekundung gelten. Für die Führungsebene der deutschen Urologie lässt sich also eindeutig eine Affinität zum Nationalsozialismus feststellen. So hat Michael Kater drei Gruppen politisch aktiver Ärzte im Nationalsozialismus unterschieden: Die Mitglieder der ersten Gruppe waren „nur insofern politisch engagiert, als die Verwaltung ihres Berufsstandes politisiert war“, die Mitglieder der zweiten Gruppe waren „an der Bürokratie der NSDAP im weitesten Sinne“, also an Parteiorganisationen, beteiligt und die Mitglieder der dritten Gruppe „übte[n] in irgendeiner Form Regierungsmacht aus.“212 Durch ihre Mitgliedschaft in der Führungsriege der politisierten Fachgesellschaft fallen alle sechs hier beschriebenen Ärzte in Katers erste Kategorie, durch ihre Mitgliedschaften in Parteiorganisationen alle bis auf Kielleuthner auch in die zweite, und Karl Heusch durch seine weitreichenden Kontakte zur nationalsozialistischen Gesundheitsbürokratie sogar noch in die dritte. Darüber hinaus lassen sich bei den hier untersuchten Personen drei spezifische Motivationen für ihre Nähe zum nationalsozialistischen Regime ausmachen. Zum einen scheint es überzeugte Nationalsozialisten und Antisemiten wie Otto Ringleb und Hans Rubritius zu geben, die sich durch das Ausscheiden der jüdischen Kollegen mehr Stellen und einen besseren Verdienst versprachen. Zum zweiten war die Stärkung der Rolle der Ärzteschaft im Staat, insbesondere als Hüter der Volksgesundheit und Administrator rassenhygienischer Maßnahmen, für viele Urologen offensichtlich attraktiv, wie sich etwa an Hans Boeminghaus und Karl Heusch zeigt. Eine dritte Gruppe scheint vor allem eine Stärkung des Faches, etwa gegenüber der Chirurgie, durch institutionelle, klinische und akademische Eigenständigkeit im Sinn gehabt zu haben und war aus diesen Gründen bereit, sich mit dem Nationalsozialismus gemein zu machen. 4.3 PROFESSIONALISIERUNG DER UROLOGIE IN DEUTSCHLAND Im folgenden Abschnitt wird die fortschreitende Professionalisierung der deutschen Urologie in den 1930er und 1940er Jahren beschrieben. Die Thematik ist knapp durch Jürgen Konert bearbeitet worden, der die Fächer Chirurgie, innere Medizin, Dermatologie und Gynäkologie als die Quellfächer der Urologie genannt hat.213 Während die Urologie etwa bei Hans-Heinz Eulners Untersuchung214 zur Spezialisierung der Medizin im 19. Jahrhundert nicht vorkommt, in Heinrich Riedls Studie215 zur Aus212 Kater, Ärzte als Hitlers Helfer, 113. 213 Vgl. Konert, „Voraussetzungen für die Etablierung einer medizinischen Fachdisziplin und die Bedeutung der wissenschaftlichen Fachgesellschaften in diesem Prozess“. 214 Vgl. Eulner, Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. 215 Vgl. Riedl, Die Auseinandersetzungen um die Spezialisierung in der Medizin von 1862 bis 1925, 110.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

einandersetzung um die Spezialisierung in der Medizin von 1862 bis 1925 nur ganz am Rande erwähnt wird, und Wolfgang Eckart nur die „chirurgische Urologie“216 als Tochter der Chirurgie bezeichnet hat, hat George Weisz zumindest auf die Anerkennung der Urologie als eigenständiges Fachgebiet zum Bremer Ärztetag 1924 hingewiesen.217 Ursprünglich war eine gemeinsame Spezialisierung auf „Haut-, Harn- und Geschlechtskrankheiten“ avisiert gewesen, die jedoch nach der Wortmeldung Alfred Rothschilds in zwei Facharztbezeichnungen, eben für Dermatologie auf der einen und Urologie auf der anderen Seite, aufgeteilt wurde. In seinem Beitrag im Ärztlichen Vereinsblatt für Deutschland stellte Rothschild heraus: „Aber gerade in der Praxis zeigt sich alle Tage dem Eingeweihten das dringende Bedürfnis, dass das weite und tiefe und schwierige Gebiet der Physiologie und Pathologie, der Diagnose und Therapie der Krankheiten der Harnorgane mit ihren feinen Technizismen weder wissenschaftlich, noch lehrmässig, noch praktisch, auch vom Gesichtspunkt der besonderen Krankenpflege aus, als blosses Anhängsel teils der Chirurgie, teils der Dermatologie, genügend gepflegt werden kann.“218

Somit positionierte Rothschild die Urologie einerseits als Spezialisierung auf ein Organsystem, andererseits in der Tradition der Chirurgie und Dermato-Venerologie. Gleichzeitig mutmaßte er, dass es insbesondere die „reichsdeutschen, ordentlichen Universitätsprofessoren der Chirurgie“ seien, „die sich der ‚Urologie‘ als selbständiges Fach und der Gründung selbständiger urologischer Krankenanstalten wiedersetzen […].“ Ihre Anerkennung 1924 deutet bereits darauf hin, dass sich die Urologie zu diesem Zeitpunkt mitten in einem Professionalisierungsprozess befand, dessen Beginn sich mit der Gründung der DGfU 1906 ansetzen lässt. Einer der ersten Männer in Deutschland, die ausdrücklich ein in Forschung und Lehre eigenständiges Fach Urologie forderten, war Leopold Casper in seiner Eröffnungsansprache des fünften Kongresses der DGfU in Berlin 1913.219 Casper beschrieb darin die Urologie als in der inneren Medizin und Chirurgie wurzelnd und stellte drei zentrale Forderungen auf: „1. Von der Urologie muß der allgemeine Praktiker so viel wissen und können, daß er imstande ist, im Notfalle seinen Pflegebefohlenen Hilfe zu bringen. 2. Es muß Ärzte geben, die das Fach voll und ganz beherrschen, die in allen, auch den feinsten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sattelfest sind, so daß sie auch schwierigen Fällen gerecht zu werden vermögen. 3. Es muß Einrichtungen geben, die den Ausbau und die Weiterentwicklung des Faches gewährleisten.“220

Als praktische Konsequenzen forderte Casper, urologische Lehrstühle und Abteilungen an Universitäten zu etablieren und flächendeckend Urologie als Wahlfach 216 217 218 219

Eckart, Geschichte der Medizin, 223. Vgl. Weisz, Divide And Conquer, 118, insbesondere Fußnoten 97 und 98. Rothschild, „Die Urologie und die Regelung der Facharztfrage“. Vgl. dazu auch Rathert und Moll, „Urologie in Deutschland im Spiegel der Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1907–2007“. 220 Casper, „Die Urologie als Wissenschaft und Lehrfach“, 61–2.

4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland

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anzubieten. Um diese Forderung zu untermauern, nannte er zahlreiche internationale Beispiele für eigenständige urologische Kliniken.221 Er antizipierte jedoch bereits den Widerstand der Chirurgen, die eine „Zersplitterung“ ihres Faches befürchten könnten. Diesen Einwand aufnehmend schlug Casper vor, die urologische Ausbildung erst an eine „völlige Ausbildung in der inneren Medizin und Chirurgie“222 anzuschließen. Casper schloss mit einem kämpferischen Aufruf an seine Kollegen: „Deshalb, meine Herren, lassen Sie uns in dem als gerecht erkannten Kampfe für die Selbständigkeit der Urologie nicht erlahmen! […] Die Urologie hat Wurzeln geschlagen. Sorgen wir mit unserm Anteil dafür, daß ihre Bodenständigkeit durch fördernde Arbeit, durch ernstes Schaffen immer mehr an Kraft gewinne!“223

In dieselbe Kerbe schlug 1928 Alexander von Lichtenberg als Vorsitzender des achten Kongresses der DGfU, wiederum in Berlin. In seinem Vortrag „Urologie als klinisches Fach“ wies er auf die günstigere institutionelle Stellung der Urologie im Ausland und die gleichzeitig hohe wissenschaftliche Wertschätzung für die deutsche Urologie hin. Als ihre Wurzeln begriff er die zystoskopische Diagnostik und die urologische Chirurgie. Nachdem von Lichtenberg ausführlich die urologischen Erkrankungen als Volkskrankheiten beschrieben hatte, forderte er die Schaffung von Möglichkeiten zur „stationären Krankenbeobachtung“, die bisher nur „im Städtischen Krankenhaus Siloah in Hannover, im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Dortmund, im Krankenhaus des Roten Kreuzes in Frankfurt, im AugusteViktoria-Krankenhaus in Berlin-Lichtenberg und durch das besondere Entgegenkommen der Borromäerinnen im St. Hedwigkrankenhaus in Berlin“224 gegeben seien. Das Fehlen weiterer urologischer Abteilungen bezeichnete er als „eine Lücke in der Deutschen Gesundheitspflege, auf die man nachdrücklich hinweisen muß.“ Daraus folgerte er: „Nicht zu verkennen auch die Gefahr, worauf ich zu Anfang hingewiesen habe, daß die Urologie in Deutschland mit dem Ausland nicht mehr Schritt halten kann, daß sie bei uns verkümmert. Und mit ihr verkümmert ein nicht unterschätzbarer Teil der Volksgesundheit.“225

Bemerkenswert ist hier von Lichtenbergs Verweis auf die „Volksgesundheit“, der sich in ähnlicher Weise vielmals bei seinen Kollegen in den 1930er Jahren finden sollte. Schließlich forderte er, die Urologen müssten sich von den allgemeinen Chirurgen absetzen und „die klinische Pflege der Urologie in Spezialabteilungen fördern.“226 Leopold Casper und Alexander von Lichtenberg gelten heute als Pioniere der Fachentwicklung der Urologie. So hat Bernd Schönberger Casper als „Zeit seines Lebens Berufspolitiker“ beschrieben und bemerkt: „Da er vorher keine chirurgische Prägung erlebt hatte, konnte er, ohne in Konflikte zu geraten, uneingeschränkt 221 222 223 224 225 226

Vgl. ebd., 66–7. Ebd., 68. Ebd., 69. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“, 118. von Lichtenberg, „Urologie als klinisches Fach“, 118. Ebd., 119.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

für die Eigenständigkeit seines urologischen Fachgebietes kämpfen.“227 Rathert und Rathert haben in ähnlicher Weise auf Alexander von Lichtenberg hingewiesen. Sie haben aufgezeigt, dass mit der Schaffung des ersten Ordinariats für Urologie 1937 in Berlin „eine Forderung erfüllt [wurde], die insbesondere Alexander von Lichtenberg […] erhoben und begründet hatte.“228 Jedoch haben sie auch auf die zynische Weise hingewiesen, in der dies möglich geworden war, denn erst „[u]nter dem Druck der Fakultät an der Charité, die bisher von den jüdischen Urologen behandelten Patienten an die Hochschule zu binden, gibt endlich F. Sauerbruch seinen Widerstand auf und stimmt der Gründung des 1. Lehrstuhls für Urologie in Deutschland zu. So wirkte auch die Vertreibung von Lichtenbergs noch fördernd auf die Entwicklung der Urologie in Deutschland.“229

Fortschreitende Professionalisierung der deutschen Urologie im Nationalsozialismus Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Nazifizierung der urologischen Fachgesellschaften in Deutschland lassen sich klar die Absichten der führenden Männer des Faches erkennen, mehr Eigenständigkeit für die Urologie zu gewinnen. Bereits im oben zitierten Einladungsschreiben zur Mitgliedschaft in der GRU hatte Karl Heusch „sämtliche Urologen Deutschlands [aufgefordert], ausnahmslos ihre Beitrittserklärung […] zu vollziehen“. Dies begründete er damit, dass nicht nur die „Belange der Volksgesundheit“, sondern auch „des selbstgewählten Faches heute eine festgeschlossene Front der Fachurologen Deutschlands“ erforderten. Hier wird deutlich, dass Heusch und den Mitunterzeichnern (Otto Ringleb und Ludwig Kielleuthner) daran gelegen war, die GRU als berufspolitische Interessenvertretung zu etablieren. Außerdem lud Heusch auch die in Nachbargebieten tätigen Ärzte zur Mitgliedschaft ein. Es fällt auf, dass er hier von Nachbardisziplinen anstatt Quelldisziplinen sprach. Als Quelle der Urologie ließ er nur die Einführung der Zystoskopie durch Max Nitze gelten. Er schrieb: „Die Deutsche Urologie, begründet durch das unvergängliche Werk Max Nitzes, kämpft um ihre Geltung in Deutschland und damit um die Ergebnisse einer geistigen Großtat, ohne die sich heute neuzeitliche Urologie in aller Welt nicht denken läßt.“

Neben der Referenz auf Nitze, die seit dessen Tod und bis heute in der Urologie populär ist und von Ringleb als dessen letztem Assistenten besonders gepflegt wurde, ist hier erneut die Rede vom Kampf der deutschen Urologie „um ihre Geltung“. 230 227 Schönberger, „Leopold Casper (1859–1959); Lehrmeister einer neuen Urologengeneration in Deutschland“, 98. 228 Rathert und Rathert, „Alexander von Lichtenberg (1880–1949): Legitimation der Urologie durch klinische Forschung“, 136. 229 Ebd., 144. 230 Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Einladungsschreiben zur Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen, Aktenkonvolut Heusch, Düsseldorf, Unterstreichung im Original.

4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland

117

Im Jahr 1935 erschienen in der Zeitschrift für Urologie zwei Beiträge, in denen sich Otto Ringleb und Hans Rubritius zu Fragen der Fachentwicklung und Professionalisierung der Urologie in Deutschland und Österreich äußerten. In dem Beitrag „Urologie als Sonderfach“, ursprünglich gehalten als Vortrag beim ersten Treffen der BUG seit 1933 im Februar 1935, finden sich bei Otto Ringleb viele derselben Argumente, die er auch als Vorsitzender der DGfU ein Jahr später vorbringen sollte. Dazu gehören der Rekurs auf Maximilian Nitze als Miterfinder und Verbreiter des Zystoskops und Ringlebs besonderen Status als dessen Assistent und Erben, die Betonung der endoskopischen Diagnostik als fachkonstituierend, der Vergleich des Zystoskops mit dem Graefe’schen Augenspiegel und das Einfordern der fachlichen Unabhängigkeit von der Chirurgie (s. u.).231 Anders als in Ringlebs späterem Beitrag fehlen jedoch Hinweise auf die Volksgesundheit und explizite Verbeugungen vor dem Nationalsozialismus und seinen Partei- und Regierungsorganisationen. Insbesondere im Vergleich mit Rubritius’ Beitrag „In welche Bahnen sollen wir die weitere Entwicklung unseres Faches lenken?“ fällt jedoch auf, dass Ringleb in seiner Erörterung der Geschichte der Urologie nicht einen jüdischen Kollegen erwähnte und sie somit aus der Geschichte „herausschrieb“. Rubritius begann seinen Beitrag, ursprünglich als Vortrag gehalten bei der Wiener Urologischen Gesellschaft im Januar 1935, mit einer Rückschau auf die wichtigsten Entwicklungen der Urologie seit den 1880er Jahren und benannte als diese die „Cystoskopie (1887), die Chromocystoskopie (1903), die Pyelographie (1905), die endovesikale Koagulation (1913), die intravenöse Urotropintherapie (1924), die Ausscheidungsurographie (1929) und die transurethrale Resektion des Blasenhalses (1932)“.232 Unter den Autoritäten, die er als Erfinder oder Einführer dieser Techniken benannte, kamen unter den europäischen Autoritäten Leopold Casper, Alexander von Lichtenberg, Otto Zuckerkandl, James Israel und Eugen Joseph zu ihrem Recht. Rubritius machte einen Konflikt zwischen „Urologen alter Schule“, die endoskopisch arbeiteten, und modernen, chirurgisch orientierten Urologen aus, der potentiell zu einer Spaltung des Faches führen könne. Als einendes Charakteristikum der Urologie erkannte er die Beschäftigung mit den Harnorganen, die er als „ein innig gefügtes System von Organen [bezeichnete], welche sich physiologisch sowohl als noch viel mehr in ihrem pathologischen Geschehen gegenseitig weitgehend beeinflussen.“233 Abschließend forderte er eine geregelte Ausbildung, in der nach Abschluss des Studiums zunächst drei Jahre Chirurgie und dann weitere drei Jahre Urologie zu absolvieren seien. In dem Ringen der Urologen um Anerkennung ihres Faches als eigenständig und von der Chirurgie unabhängig bezogen Ringleb und Heusch auf der ersten Tagung der GRU 1936 in Eisenach kämpferisch Position.234 So wies etwa Otto Ring-

231 232 233 234

Vgl. Ringleb, „Urologie als Sonderfach“. Rubritius, „In welche Bahnen sollen wir die weitere Entwicklung unseres Faches lenken?“, 4. Ebd., 6. Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 99–101.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

leb als Vorsitzender des Kongresses darauf hin, dass die Wahl Eisenachs anstatt einer „chirurgischen Klinik, etwa in Berlin“ als Tagungsort getroffen wurde, um „nach außenhin eine Lücke in Deutschland auf[zu]zeigen: die Urologie wird an der Hochschule nur in Deutschland unter allen Kulturländern nicht als selbständiges Fach anerkannt. Und zwar waren es stets die Fakultäten, die unter dem Einfluß maßgebender Chirurgen standen und weite Beziehungen in die Ministerien hatten, die eine Verselbständigung unseres Faches verhinderten.“235

Ringleb räumte ein: „Selbstverständlich fällt bei uns ein Teil chirurgischer Maßnahmen, die von außen her gemacht werden, in das Gebiet der Chirurgie“, betonte dann jedoch: „Viel schwieriger“ und daher konstituierend für das Fach seien die „Eingriffe von innen her, die also mit den Tastgeräten allein (Katheterung, Behandlung der Harnröhrenengen, das Steineknacken) oder mit dem Sichtgerät, dem Cystoskop, ausgeführt werden“,236 weil das Erlernen der Handhabung dieser Instrumente und insbesondere die Interpretation zystoskopischer Bilder Kernkompetenzen der Urologen seien. In den Argumenten folgte Karl Heuschs Beitrag „Urologie und Volksgesundheit“ weitgehend von Lichtenbergs Präsidentenansprache von 1928, jedoch mit zahlreichen Bezügen auf nationalsozialistisches Gedankengut. Er machte das „Verhältnis des Chirurgen zum Urologen“ für die schwierige Stellung des Faches in Deutschland verantwortlich und fuhr fort: „Viele Chirurgen scheinen zu glauben, daß ihnen ein Aufblühen der Urologie einen Teil ihres Faches nehmen könnte. Sie halten irrtümlich die Urologie für einen Teil der Chirurgie. Ganz abgesehen davon, daß Fragen der Volksgesundheit niemals vom Standpunkte des Prestiges angefaßt werden dürfen, ist auch aus der vorhin ausführlich erfolgten Begriffserklärung der Urologie [als Wissenschaft vom Harn, dem Harnstrom und dem Harnstromgebiet, und die Kunst, diese Dinge zu erforschen und zu verändern] der Irrtum auf Seiten solcher Chirurgen klar erkennbar.“237

In diesem Abschnitt wird deutlich, wie geschickt Heusch das hohe Ziel der Volksgesundheit auch rhetorisch einsetzte. Er führte weiter aus, dass zwar Urologen, wie auch Vertreter anderer Fachrichtungen, gelegentlich „zum Messer greifen“ müssten, jedoch ließen es die „vielfältigen Aufgaben der meist überbeschäftigten Chirurgen gar nicht zu, auf dem großen, nichtoperativen Teil der Urologie, der etwa drei Viertel des Gesamtgebietes umfaßt“ ausreichend ausgebildet und geübt zu sein. Heusch erkannte an, dass insbesondere die operative Urologie auf die Chirurgie zurückgehe, beklagte jedoch, dass „[d]araufhin spätere, für das urologische Fach weniger bedeutende Chirurgen in wirklich großzügiger, um nicht zu sagen überheblicher Weise eine Art Beschlagnahmrecht über die gesamte Urologie begründet“238 hätten. Um die im internationalen Vergleich schwache institutionelle Position der deutschen Urologie zu illustrieren, zitierte Heusch Zahlen aus dem Minerva Jahrbuch 235 236 237 238

Ringleb, „Eröffnungsrede“, 141. Ebd., 142. Heusch, „Urologie und Volksgesundheit“, 826. Ebd.

4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland

119

der gelehrten Welt239 (nach seiner Angabe von 1935), nach denen sich Deutschland, was die Anzahl der Hochschuldozenturen auf dem 14. Platz, weit abgeschlagen hinter den Spitzenreitern Ungarn, Österreich und den USA, befände. Während es in Ungarn pro 800.000 Einwohner 1 Hochschullehrer für Urologie, in Österreich pro 1 Million und in den USA pro 2,2 Millionen gäbe, käme Deutschland auf eine Quote von 13 Millionen Einwohnern pro Hochschullehrer. Auf Grund dieser Zahlen scheint es, als sei Heusch für Deutschland mit ca. 78 Millionen Einwohnern von 6 Urologen in Deutschland ausgegangen. Die von Heusch genannten Zahlen stammen wohl aus dem 31. Jahrgang des Minerva Jahrbuch der Gelehrten Welt von 1934, da der 32. Jahrgang erst 1936 erschien. Der im Mai 1934 erschienene Band listete „nicht-arische“ Hochschullehrer an deutschen Hochschulen nicht mehr, selbst wenn sie, wie der Berliner Alexander von Lichtenberg, zu diesem Zeitpunkt ihre Lehrbefugnis noch nicht verloren hatten. Erst nachdem diese jüdischen und jüdischstämmigen Ärzte aus dem Kalender herausgefallen waren, kam Heusch auf eine so geringe Anzahl Urologen in Deutschland, zumal viele auch urologisch arbeitende Ärzte andere Fachbezeichnungen angegeben hatten, selbst wenn sie Mitglieder des Herausgebergremiums der Zeitschrift für Urologie waren. Beispiele hierfür sind etwa der Marburger Hans Boeminghaus und Willy Anschütz aus Kiel, die Chirurgie angegeben hatten, oder der Frankfurter Franz Volhard, der innere Medizin angegeben hatte. Diese geringe Anzahl der von ihm gezählten Urologen deutete Heusch als negativ für die Volksgesundheit. Er schrieb: „Wir könnten diese betrüblichen Tatsachen in stillem Unmut verschmerzen, sofern sie nur einen Ehrenpunkt der deutschen Wissenschaft berührten. Wir müssen ja nicht unbedingt das tun, was andere taten. Aber die Pflichten gegen das Volk, die uns als Ärzte vorschweben, zwingen uns, über die Dinge nachzudenken, um hernach das Richtige zu tun. Die Teilverantwortung um die deutsche Volksgesundheit führt ja auch den Urologen an ganz bestimmte, nur von ihm zu lösende Aufgaben heran.“240

Auf diese von Heusch identifizierten Aufgabengebiete soll in Kapitel 5 eingegangen werden. Aus seinen Ausführungen dazu schloss er selbst, dass „die Urologie in Deutschland auf den Hochschulen, in den Forschungsstätten, in den Kliniken, [nicht] den Platz einnimmt, der ihr nach Verdiensten, nach Aufgaben und nach Wirkungsgebiet im Rahmen der Volksgesundheitspflege zukommt.“241 Er schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Wir deutschen Urologen stehen mit unserem geistigen handwerklichen Rüstzeug bereit zum Dienst an der Volksgesundheit. Wir erwarten die Befehle.“242 Auch ein Jahr später, bei der zweiten Tagung der GRU 1937, wiederum in Eisenach, hatte der Kongresspräsident Eduard Pflaumer über die Chirurgen zu klagen.

239 Lüdtke, Minerva Jahrbuch der gelehrten Welt, Einunddreissigster Jahrgang, Zweite Abteilung, Universitäten und Fachhochschulen. 240 Heusch, „Urologie und Volksgesundheit“, 828. 241 Ebd., 831. 242 Ebd., 832.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Im Jahr vorher hatten sie als Reaktion auf die Unabhängigkeitsbemühungen kleinerer Fächer erklärt: „Wir brauchen den Geist der Zusammenfassung, den Willen zum ganzheitlichen Denken. Das halte ich für eine bessere Gesundheitsführung als den kleinlichen Kampf um Sonderrechte, um Pflichtvorlesungen und neue Prüfungsfächer. […] Wer die Neurochirurgie, die Chirurgie der Lungentuberkulose, die Sportchirurgie, die Kieferchirurgie, die Urologie, die Orthopädie, die Unfallheilkunde roh und rücksichtslos vom Baume der großen Mutter Chirurgie absägen will, der wird bald genug einsehen müssen, daß er damit verhätschelte Lieblingskinder einer Operation unterzieht, die wir heute an Geistesschwachen und ähnlichen unglücklichen Kranken ausführen.“243

Gemeint ist in diesem Fall die Sterilisationsoperation. Pflaumer reagierte darauf, indem er erklärte, die Urologen wollten den Chirurgen kein Gebiet streitig machen, sondern vielmehr alle Ärzte in der Urologie weiterbilden, wozu eine bessere personelle und institutionelle Ausstattung notwendig sei. Seine Argumentation gleicht damit der Heuschs im Jahr vorher. Um die Urologie weiter von der Chirurgie zu distanzieren, bezeichnete er sie „zwar als naher Verwandter, aber nicht ein Kind der Chirurgie; sie wurzelt viel tiefer und weiter in allen Teilen der ärztlichen Wissenschaft, nicht zum wenigsten in der ‚Inneren Medizin‘.“244 Pflaumer schloss mit der Hoffnung auf „ersprießliche[] Zusammenarbeit zwischen allen Chirurgen einerseits und großen und kleinen Spezialfächern andererseits […].“ Dann würde „zum Wohle unseres Volkes jeder zu seinem Recht kommen, ohne daß einem ein Recht genommen wird. Unser Wahlspruch aber sei: Jeder für Alle, und Alle für Eines, unser Deutschland, durch Einen unseren Führer Adolf Hitler! Unser Führer Sieg Heil!“245 Hier setzte Pflaumer klar Loyalität für das nationalsozialistische Regime ein, um den Forderungen der GRU Nachdruck zu verleihen, auch wenn dies mit weniger rhetorischer Eleganz geschah als bei Heusch. Zu den Erfolgen der deutschen Urologie, die aus der Anpassung an nationalsozialistische Rhetorik und Politik resultierten, gehören zum einen universitäre Aspekte, darunter die Einrichtung des ersten Ordinariats für Urologie in Deutschland an der Berliner Universität 1937 und die Gewährung einer Habilitation rein für Urologie dort 1942. Daneben stand die Gründung einiger weitgehend von der Chirurgie unabhängiger urologischer Abteilungen an öffentlichen Krankenhäusern. Zwei dieser Gründungen erfolgten in Berlin, 1933 am Rudolf-Virchow-Krankenhaus und 1939 am Krankenhaus Westend; die dritte erfolgte 1937 als unabhängige urologische Klinik am Krankenhaus Nürnberg und eine vierte Gründung erfolgte 1938 in München, wo das Urologische Krankenhaus München als Teil der städtischen Krankenanstalten eröffnet wurde. Somit konnte die Anzahl solcher unabhängigen urologischen Abteilungen bzw. Kliniken in wenigen Jahren von fünf auf neun erhöht werden.

243 Pflaumer, „Eröffnungsansprache“, 150. 244 Ebd., 151. 245 Ebd.

4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland

121

Zur Gründung der urologischen Abteilung, die 1933 am Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus entstand, hat Slatomir Wenske bemerkt: „Die Urologische Abteilung, bis zum vorläufigen Ende 1945 unter der Leitung von Karl Heusch, wurde am 1. August 1933 eröffnet. Sie stellt damit die erste Abteilung dar, die auf kommunaler Ebene eröffnet wurde.“246 Zudem hat Wenske darauf hingewiesen, dass Heusch „politisch aktiv und Mitglied in mehreren NS-Organisationen war.“ Die Abteilung war gut ausgestattet. Wenske hat bemerkt: „Die Abteilung bestand aus zwei Pavillons mit je 65 Betten für Männer und Frauen. Operationen konnten in einem der vier Säle durchgeführt werden, und zwei Räume waren zum Zystoskopieren vorgesehen.“ Zudem hatte Heusch bereits 1935 über die „Elektroresektionen der Prostata, die mit dem McCarthy Instrumentarium der Firma Georg Wolf“ ausgeführt wurden, berichtet.247 Es scheint, als sollte die eigenständige urologische Abteilung bereits 1906 unter der Leitung von Maximilian Nitze eingerichtet werden. Da dieser jedoch in dem Jahr 58-jährig starb, kam es nicht dazu.248 Die Nürnberger Klinik entstand 1937, nachdem Eduard Pflaumer mit 65 Jahren von seiner Position als Leiter der chirurgischen Universitätsklinik in Erlangen zurückgetreten war. Wie oben bereits geschildert, berichtete im Februar des Jahres der Völkische Beobachter über die Gründung der Klinik, und Pflaumer – als designierter Vorsitzender der GRU – nutzte das Medium, um sich für die Gründung weiterer urologischer Kliniken auszusprechen. Im Jahr 1938 wurde in München ein Urologisches Krankenhaus als Teil der städtischen Kliniken eröffnet. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1941 bettete sein Chefarzt Ferdinand May (1898–1978) die Gründung des Krankenhauses in die Professionalisierung der Urologie ein, bezog sich aber auch ausdrücklich auf den Nationalsozialismus. Er schrieb: „Die Erkenntnis, daß die Urologie als selbstständiges und bedeutendes Fachgebiet zu betrachten ist, hat sich im letzten Jahrzehnt trotz der vielfach ablehnenden Haltung der Chirurgen durchgesetzt. Dieser Tatsache Rechnung tragend wurde im Jahr 1938, auf Anordnung des Oberbürgermeisters der Hauptstadt der Bewegung […] das Urologische Krankenhaus München eingerichtet und am 1. XII. 1938 eröffnet.“249

May sprach von einem seit 40 Jahren andauernden Kampf um „Entwicklung, Aufbau und Fortschritt“250 der Urologie und betonte den Wert des neuen Krankenhauses sowohl für die Patientenversorgung als auch als urologische Ausbildungsstätte. Der von ihm bemerkte Sinneswandel, was die Einrichtung unabhängiger urologischer Krankenanstalten anging, war ein Erfolg der Urologen, den sie sich auch durch ihr regimetreues Verhalten sicherten. May hatte zwar keinen Posten in der Führungsriege der GRU inne, aber er war seit 1937 Mitglied der NSDAP. 1949 wurde er Kongresspräsident der DGU (vgl. dazu Kapitel 6). 246 247 248 249 250

Wenske, „Die Herausbildung urologischer Krankenabteilungen in Berlin“, 92. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 23. May, „Zwei Jahre Urologisches Krankenhaus München“, 297. Ebd., 299.

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4. Fachgesellschaften und Fachvertreter

Zur Gründung der urologischen Abteilung am Berliner Krankenhaus Westend hat Wenske festgestellt: „Auf Initiative des Reichsärzteführers Leonardo Conti wurde 1939 am Westender Krankenhaus an Stelle der zweiten chirurgischen Abteilung die zweite städtische urologische Abteilung eröffnet. Der erste Leiter dieser Abteilung Hans Boeminghaus (1893–1979) gehört zu den bedeutenden Persönlichkeiten der deutschen Urologie.“251

Boeminghaus war im Jahr zuvor von Marburg nach Frankfurt an der Oder gewechselt. In allen drei Fällen sind die Personen, welche die Führungspositionen der neugeschaffenen Abteilungen einnahmen, Teil der inneren Führungsriege der GRU. Heusch war Schriftführer der Gesellschaft, Pflaumer der Vorsitzende des zweiten Kongresses 1937 und Boeminghaus zeitweise als Vorsitzender für den dritten Kongress vorgesehen. Alle drei konnten durch ihren Einsatz für die nationalsozialistische Gesundheitspolitik nicht nur die Urologie weiter professionalisieren, sondern auch persönlich Karriere machen. Den Zusammenhang zwischen staatlicher Gesundheitspolitik und NS-Parteigängertum illustriert auch Wenskes Hinweis auf die Initiative Contis zur Gründung der Abteilung in Berlin-Westend. Ebenso in die 1930er Jahre fiel die Einrichtung der ersten ordentlichen Professur für Urologie in Deutschland. Mit ihrer Schaffung an der Berliner Universität 1937 wurde ein Ziel erreicht, für das die deutschen Urologen seit geraumer Zeit gekämpft hatten. Der Lehrstuhl wurde mit Otto Ringleb besetzt, der bereits seit 1921 außerplanmäßiger Professor in Berlin war. Ringleb war im September 1937, drei Monate vor seiner Berufung auf den Lehrstuhl, als Sturmbannführer in die Allgemeine SS aufgenommen worden. Theodor Brugsch gab in seiner Autobiographie an, Ringleb hätte diesen Rang erhalten, weil er einen hohen SS-Mann behandelt hatte (s. o.). Auch wenn diese Aussage zwar nicht aus den erhaltenen Akten zu belegen ist, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass sich in der Führungsriege der SS in Berlin mindestens ein Mann mittleren oder fortgeschrittenen Alters mit einem Stein-, Prostata- oder anderen urologischen Leiden befand. Otto Ringleb als offener Nationalsozialist und einer der führenden Urologen des Deutschen Reiches wäre in diesem Fall eine offensichtliche Wahl gewesen, solch ein Leiden zu behandeln. Unabhängig davon mag jedoch auch Ringlebs offene zur Schau getragene Begeisterung für Führer, Volksgesundheit und Vaterland sowie seine Rolle bei der Gleichschaltung der deutschen Urologen allein Grund genug gewesen sein, ihn auf den Lehrstuhl zu berufen. Bei Ringleb konnte sich dann 1942 Karl Heusch für das Fach Urologie habilitieren. Dies ist ungewöhnlich, da die überwiegende Mehrheit der habilitierten Urologen in Deutschland für Chirurgie, gelegentlich für „Chirurgie und Urologie“ habilitiert war. Einzig von Ludwig Kielleuthner ist bekannt, dass er bereits 1912 die Habilitation für Urologie in München beantragt hatte und ein Jahr darauf als Privatdozent für Urologie in die medizinische Fakultät aufgenommen wurde (s. o.). Karl Heusch, der bereits vor 1933 Mitglied des NSDÄB und in den 1930er Jahren aktiver Nationalsozialist gewesen war, war als Ringlebs Schüler prädestiniert, um auf 251 Wenske, „Die Herausbildung urologischer Krankenabteilungen in Berlin“, 83.

4.3 Professionalisierung der Urologie in Deutschland

123

einen weiteren Lehrstuhl aufzurücken. Durch das Ende des „Dritten Reiches“ dauerte es bis 1963, bis Heusch im Zuge der Gründung der medizinischen Fakultät der RWTH Aachen zum Professor für Urologie berufen wurde (s. o.). Die Berufung Otto Ringlebs zum ordentlichen Professor und die Habilitation Karl Heuschs für das Fach Urologie stellen Meilensteine der Anerkennung der Urologie als eigenständiges Fach an deutschen Universitäten dar. Noch im Dezember 1943 holte Max de Crinis, Referent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, beim Dekan der medizinischen Fakultät der Berliner Universität Paul Rostock ein Gutachten über Hans Boeminghaus ein. Darin fragte de Crinis an, ob Boeminghaus eher für ein „nach dem Kriege freiwerdendes Ordinariat“252 für allgemeine Chirurgie oder Urologie geeignet sei. Somit war auch der dritte Mann der Führungsriege der Urologie im Nationalsozialismus, der sich noch in einem „berufungsfähigen“ Alter befand, für eine höhere Position vorgesehen. Hier zeigt sich, dass die Taktik der Führer der GRU, Loyalität dem nationalsozialistischen Staat und seiner Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik gegen fachliche und persönliche Vorteile einzutauschen, in vielen Fällen aufging.

252 Bundesarchiv Berlin, PK 13 DIN A4/AJ Boeminghaus, Hans.

5. ORIENTIERUNG AN DER NATIONALSOZIALISTISCHEN GESUNDHEITSPOLITIK In diesem Kapitel wird aufgezeigt, inwiefern sich urologisch tätige Ärzte in Deutschland ab 1933 in ihrer medizinischen Arbeit tatsächlich an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik orientierten. Gelegentlich wird dabei auch auf Österreich ab 1938 Bezug genommen. Zu Beginn wird auf die Rolle der Volksgesundheit für die Medizin im „Dritten Reich“ eingegangen. Während der Begriff auch vor 1933 und nach 1945 gebräuchlich war und später ein Nachleben unter Pseudonymen wie „Staatsmedizin“ oder „public health“ führte, ist die Orientierung der NSGesundheitspolitik an der Volksgesundheit insbesondere gekennzeichnet durch eine Abkehr der Verpflichtung des Arztes vom individuellen Patienten, hin zu einer durch „staatlich-politische Direktiven“ und biologistisch-genetisch orientierten „Volkskörper-Heilung“ bestimmten Medizin, in der, wenn „humane und vormals universelle moralische Normen ihre Geltung behalten, [diese] jedoch auf eine bestimmte Gruppe von Menschen beschränkt werden.“1 Zunächst werde ich auf zwei Anwendungsgebiete der an der Volksgesundheit orientierten Medizin eingehen. Dabei wird zuerst der Komplex der Sterilisationsund Kastrationsforschung und -praxis im Mittelpunkt stehen, der vor allem durch die Einführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zum 1. Januar 1934 für die Ärzteschaft von großer Bedeutung war.2 Während die Indikationsstellung in der Mehrzahl der Fälle Anstaltsärzten und Psychiatern oblag,3 beschäftigten sich mit der Sterilisationspraxis und Forschung zu Operationstechniken überwiegend Chirurgen, Gynäkologen und Urologen; auf die Rolle der letzten Gruppe soll hier im Folgenden eingegangen werden. Als zweiter Problemkomplex soll die ebenfalls durch die Orientierung an der Volksgesundheit beförderte Forschung zu „Erbkrankheiten“ thematisiert werden, die ab 1933 auch in der Urologie gedieh. Schließlich wird in einem letzten Abschnitt die Bereitstellung rhetorischer Ressourcen durch führende Urologen thematisiert, durch die diese dem Regime ihre Treue versicherten und dessen Gesundheitspolitik stützten. Wie tief nationalsozialistische Konzepte und Vokabular in die Gedankenwelt der deutschen Urologen eingedrungen waren, zeigt sich an einem Beispiel aus der Nachkriegszeit.4 Der Kampf der Urologie um Anerkennung als eigenständiges Fachgebiet innerhalb der Medizin ging in dieser Zeit weiter. In Stellungnahmen zum Verhältnis von Chirurgie und Urologie, in denen für die letztere Freiheit in Forschung und Lehre gefordert wurde, wie sie nur durch eigenständige Abteilungen, Habilitationen und (in Konsequenz) Lehrstühle gewährleistet werden könne, 1 2 3 4

Bruns, Medizinethik im Nationalsozialismus, 13, 16. Vgl. Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Vgl. Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Vgl. Halling, „Urologie in Ost und West nach 1945 – Kontinuitäten und Brüche“.

5.1 Biologismus als Grundlage von Volksgesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik 125

wurde sowohl vor als auch nach 1945 von der „großen Bedeutung [des] Faches für die Volksgesundheit“5 gesprochen. Die gleiche Formulierung findet sich auch in einem Memorandum der DGU an die Kultusministerien der Länder, die Fakultäten der medizinischen Hochschulen, die Ärztekammern (Facharztausschüsse) und das Präsidium des Deutschen Ärztetages vom 20. Oktober 1950, das sich derselben Frage widmete.6 5.1 BIOLOGISMUS ALS GRUNDLAGE VON VOLKSGESUNDHEITS-, RASSEN- UND BEVÖLKERUNGSPOLITIK 5.1 BIOLOGISMUS ALS EINE GRUNDLAGE VON VOLKSGESUNDHEITS-, RASSEN- UND BEVÖLKERUNGSPOLITIK Wenn in diesem Abschnitt von Biologismus (und Sozialdarwinismus) die Rede ist, dann wird bereits aus den Wortendungen klar, dass es sich bei diesen „-ismen“ um negativ besetzte Begriffe handelt.7 Gunter Mann hat im Biologismus „Vorstufen und Elemente einer Medizin im Nationalsozialismus“8 erkannt und Heinz Schott hat in derselben Tradition die „Biologisierung des Menschen“9 als eine Grundlage der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik verstanden. Dabei meint „Biologismus“ in diesem Sinne häufig einen biologischen Determinismus, der heute selbst von vielen Genetikern angegriffen wird.10 Zentral ist in diesem Zusammenhang der Begriff Volksgesundheit, der als Gesundheit des „Volkskörpers“ zu verstehen ist. In diesen Begriffen, wie sie im Nationalsozialismus verstanden wurden, treffen sich auf unheilvolle Weise zwei aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende Traditionen: die Eugenik und ein wertender Rassismus Gobineau’scher Prägung. Zur Geschichte der Eugenik gibt es beinahe unüberschaubar viel Literatur.11 Während die moderne Eugenik maßgeblich auf Francis Galton zurückgeht, wurde ihre deutsche Ausprägung nach Alfred Ploetz vornehmlich unter dem Begriff Rassenhygiene bekannt.12 Ploetz führte in den Diskurs auch die „Entartung“ ein, die durch eine „Hemmung der Auslese“ und durch eine Beschränkung der Nachkommenzahl höherer Gesellschaftsschichten, die sog. „differentielle Geburtenrate“, befördert würde. Damit war seine Rassenhygiene anschlussfähig an den „Sozialdar5 6 7

8 9 10 11 12

Stellungnahme des Außschusses der Deutschen Gesellschaft für Urologie nach einer Sitzung am 25. September 1949, reproduziert in Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, für Beispiele vor 1945, s. u. Reproduziert in ebd., 124–132. Zur Problematisierung des Begriffs „Sozialdarwinismus“ vgl. Krischel, „Perceived Hereditary Effect of World War I“; Halliday, „Social Darwinism: A Definition“; Claeys, „The ‘Survival of the Fittest’ and the Origins of Social Darwinism“; Hodgson, „Social Darwinism in Anglophone Academic Journals“. Mann, „Biologismus – Vorstufen und Elemente einer Medizin im Nationalsozialismus“. Schott, „Zur Biologisierung des Menschen“. Vgl. Lewontin, Biology As Ideology. Einen Überblick gibt der von Hans-Walter Schmuhl verfasste bibliographische Aufsatz in Jütte, Medizin und Nationalsozialismus, 24–38. Im Folgenden vgl. Labisch, Homo Hygienicus, 188–246; sowie Harms, Biologismus, 89–134.

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5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

winismus“, der einen scharfen „Kampf ums Dasein“ auch innerhalb entwickelter Gesellschaften forderte und die allgemeine Krankenversicherung, Sozialversicherung, aber gelegentlich auch den Wehrdienst, von dem „Untaugliche“ ausgeschlossen blieben, als dysgenisch ansah.13 Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg und unter den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der 1920er Jahre wurden vermehrt ökonomische Argumente für die Rassenhygiene vorgebracht. Alfons Labisch hat darauf hingewiesen, dass bereits in der Aufstiegsphase der NSDAP die „sozialen Kosten gesundheitlicher Mißstände reduziert und möglicherweise vorbeugend beseitigt“ werden sollten. Dies führte zu einer Ablösung des sozialhygienischen durch das rassenhygienische Paradigma und in der Folge zu einer Schwächung der „positiven, aber kostspieligen“14 zugunsten negativ-eugenischer Maßnahmen. In der Folge legte eine Kommission des Preußischen Landesgesundheitsrates im Sommer 1932 einen Entwurf für ein eugenisches Sterilisationsgesetz vor, nachdem sie bereits „Leitsätze der Eugenik“ angenommen hatte. Dieser Entwurf sah jedoch die Einwilligung des Betroffenen vor und schloss ausdrücklich eine „Tötung oder Vernachlässigung“ aus, „um die Zunahme erblicher Belastung des deutschen Volkes einzuschränken“.15 Somit wurde die „Vernichtung unwerten Lebens“, wie sie Karl Binding und Alfred Hoche bereits 1920 gefordert hatten, ausdrücklich abgelehnt.16 In der Weimarer Republik wurde das Gesetz jedoch nicht mehr verabschiedet; es bereitete jedoch den Boden und diente als Vorlage für das 1933 verabschiedete „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“.17 Der zweite prägende Aspekt der nationalsozialistischen Volksgesundheitspolitik ist ihr Rassismus, der auf die wertende, mit einem anthropologisch-wissenschaftlichen Anstrich versehene Rassentheorie aus der Schule Joseph Arthur de Gobineaus und die Ariertümelei Georges Vacher de Lapouges zurückgeht.18 Die Nationalsozialisten verknüpften aktiv die Eugenik mit dem Rassismus. So bemerkte Leonardo Conti, 1932 Reichstagsabgeordneter für die NSDAP und Vorsitzender der Berliner Abteilung des NSDÄB, dass eine erfolgreiche Eugenik sich an „Begriffen von Rasse und Volkstum“19 orientieren müsse. Eine erste Verknüpfung der Eugenik mit Rassentheorie war im deutschsprachigen Raum schon zum Ende des 19. Jahrhunderts durch die Prägung des Begriffs „Rassenhygiene“ durch Alfred Ploetz erfolgt. Seitdem beschäftigten auch zwei aus der sozialdarwinistischen Denkschule stammende Probleme die Rassenhygieniker: „die Fortpflanzungsauslese und [speziell] das Reproduktionsverhalten der Lebensuntüchtigen“.20 Viele Eugeniker fürchteten, dass unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft ein natürlicher Selektionsdruck nicht mehr wirke und so 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Krischel, „Perceived Hereditary Effect of World War I“. Labisch, Homo Hygienicus, 202. Ebd., 204. Vgl. Binding und Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Vgl. Weiss, „The Race Hygiene Movement in Germany“, 225. Vgl. Labisch, Homo Hygienicus, 195–6. Zitiert nach ebd., 205. Ebd., 198.

5.1 Biologismus als Grundlage von Volksgesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik 127

Menschen mit als negativ eingeschätzten Erbanlagen gleich viele oder sogar mehr Kinder zeugten als Menschen mit als positiv eingeschätzten Anlagen. Während die zweite Gruppe mit positiv-eugenischen Maßnahmen dazu ermuntert werden sollte, größere Familien zu haben, sollte die erste Gruppe durch negativ-eugenische Maßnahmen in ihrer Fortpflanzung gehemmt bzw. durch Eheverbote oder Asylierung davon abgehalten werden. Die Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GVeN) 1933 sahen dessen Befürworter als konsequente Fortsetzung dieser Tradition, da nun gegen „Unbelehrbare“ auch Zwangsmaßnahmen durchzusetzen waren. Insbesondere unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre gewannen auch ökonomische Argumente für negativeugenische Maßnahmen immer mehr an Gewicht. Alfons Labisch hat dazu bemerkt, dass „[s]tichhaltige sozialwissenschaftliche und gesundheitsökonomische Analysen“ in dieser Zeit „durch statistische Anhäufungen ersetzt“ wurden und schließlich „[d]as wirtschaftliche Argument obsiegte“.21 Schließlich wurde im Nationalsozialismus die „Rassenhygiene zur Richtschnur des öffentlichen Gesundheitswesens und der parteiamtlichen Gesundheitsfürsorge, [sie] stand im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Propaganda zur Bevölkerungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik“22, wie Hans-Walter Schmuhl bemerkt hat. Gründe dafür sind zum einen die Begeisterung der Nationalsozialisten im Allgemeinen und Hitlers im Speziellen für Volks- und Rassenpolitik,23 zum anderen die Bereitschaft führender deutscher Eugeniker, sich für die nationalsozialistische Rassenhygiene einzusetzen. Bereits 1931 hatte Fritz Lenz einen Einfluss des zweiten Bandes des Baur-Fischer-Lenz auf das Entstehen von Hitlers Mein Kampf festgestellt24 und, wie Labisch bemerkt hat, hatte sich Lenz, neben anderen Wissenschaftlern wie etwa Eugen Fischer und Ernst Rüdin, nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ den nun herrschenden „Ideologien, Politikern und Verwaltungsbeamten“ angedient und war so „vom protegierenden Regime benützt [worden], dessen Ideologie und Politik wissenschaftlich zu rechtfertigen. Damit wurden sie zu offiziellen Sinnstiftern des Regimes und seiner Handlungen – wenn nicht gar zu seinen diensteifrigen Handlangern.“25 Mit anderen Worten: Diese Wissenschaftler stellten dem nationalsozialistischen Regime Rhetorik, Glaubwürdigkeit und Wissenschaftlichkeit zur Verfügung und erhielten dafür im Gegenzug Förderung ihrer Forschung, Positionen und politischen Einfluss. Aus dieser Perspektive ist nur noch verschwommen auszumachen, wer wen in welchem Maße „benützte“.

21 22 23 24 25

Ebd., 203. Jütte, Medizin und Nationalsozialismus, 29. Vgl. Labisch, Homo Hygienicus, 219. Vgl. ebd., 209. Ebd., 190–1.

128

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

5.2 FORSCHUNG ZUR UND PRAXIS DER STERILISATION UND KASTRATION VON MÄNNERN IM NATIONALSOZIALISMUS26 Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 verlangte ab 1934 die Sterilisation von Menschen, die an angeblich erblichen Krankheiten litten. Bei der Umsetzung des Gesetzes wurde jedoch in hohem Maß eine soziale Indikation herangezogen.27 Insgesamt wurden in Deutschland (in den Grenzen von 1937) etwa 360.000 Menschen, im deutschen Einflussbereich insgesamt etwa 400.000 Menschen gegen ihren Willen sterilisiert, davon Frauen und Männer zu etwa gleichen Teilen.28 In Sammelbänden zur Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus,29 in den Standardwerken zur Zwangssterilisation in Deutschland30 und in Detailstudien zu dem Thema31 ist der Schwerpunkt häufig auf die juristischen Grundlagen, die Indikationsstellung und die Rolle der Anstalten und Psychiatrien gelegt worden, während die eigentlichen Operationen und ihre Folgen in vielen Fällen nur am Rande erwähnt worden sind. Hier sollen der für die Urologie wichtige Bereich der Forschung zur Sterilisation und Kastration, die dazu verwendeten Techniken sowie deren Risiken dargestellt werden. Für das Jahr 1935 gaben die nationalsozialistischen Behörden und zeitgenössische Veröffentlichungen eine Mortalität 0,5 % für Frauen und 0,1 % für Männer an. Gisela Bock hat jedoch darauf hingewiesen, dass diese Zahlen das Risiko deutlich herunterspielen, da insbesondere bereits vor der Operation geschwächte oder an indirekten, etwa psychischen Operationsfolgen, etwa durch Suizid, verstorbene Personen nicht eingerechnet wurden. Indem sie diese Faktoren mit betrachtet hat, hat sie auf insgesamt 4.500 Frauen und 500 Männer geschlossen, die an den Operationsfolgen starben.32 Auf jeweils 200.000 Frauen und Männer berechnet deutet dies auf eine Mortalität von 2,25 % für Frauen und 0,25 % für Männer hin. In der neueren Literatur wurden Bocks Zahlen jedoch kritisch hinterfragt. So zeigen Regionalstudien zur Zwangssterilisation in Köln, Göttingen, Marburg und Homburg eine Mortalität als direkte Operationsfolge von 0,3 % bis 0,98 % für Frauen.33 Diese Zahlen lassen jedoch den Tod als indirekte Folge der Sterilisation außer Acht, und es bleibt unklar, wie repräsentativ sie für Deutschland allgemein sind. Diese deutlich höhere Mortalität sowie die Tatsache, dass historisch die Verbindung von Frauen und Mutterrolle enger gedacht wurde als zwischen Männern und 26 27 28 29 30 31 32 33

Der folgende Abschnitt folgt in wesentlichen Teilen Krischel und Moll, „Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern im Nationalsozialismus“. Zum Entstehen des Gesetzes vgl. Benzenhöfer, Zur Genese des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses; zur sozialen Indikation vgl. Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Vgl. Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Etwa Kudlien, Ärzte im Nationalsozialismus; Bleker und Jachertz, Medizin im „Dritten Reich“. Neben Bock auch Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Für einen Überblick vgl. Jütte, Medizin und Nationalsozialismus, 201–13. Vgl. Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, 372–5. Vgl. Braß, Zwangssterilisation und „Euthanasie“ im Saarland 1935–1945.

5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern

129

Vaterrolle mögen Gründe dafür sein, dass in der Aufarbeitung der Zwangssterilisation Frauen bisher mehr Beachtung gefunden haben als Männer. So ist auch die Rolle der Gynäkologie im Nationalsozialismus34 besser dokumentiert als die der Urologie oder der sich erst in dieser Zeit vermehrt entwickelnden Forschung zur männlichen Zeugungsfähigkeit.35 Trotzdem hat die Historiographie in den letzten Jahren auch Männer als Wesen mit Geschlecht erkannt und sie mit Methoden der Geschlechterforschung betrachtet.36 Dies geht auch aus dem geänderten Untertitel des 2010 wiedererschienenen Standardwerks zur Zwangssterilisation von Gisela Bock hervor, der nun statt „Frauenpolitik“ die allgemeinere „Geschlechterpolitik“ thematisiert. Zur Sterilisation des Mannes war seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Vasektomie anerkannt und praktiziert worden.37 Dabei wurde diese zunächst als Therapie bei vergrößerter Prostata und dann als „Verjüngungsoperation“38 eingesetzt. Neben den Aspekt der Familienplanung, der schon seit der Einführung der Operation eine Rolle gespielt hatte, trat rasch auch die Sterilisation aus eugenischen Gründen, die teils freiwillig, und bereits seit 1907 teils unter Zwang durchgeführt wurde.39 Die Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen war bereits vor 1933 in Deutschland von Rassenhygienikern gefordert worden. Im Jahr 1932 wurde ein entsprechendes Gesetz in den Reichstag eingebracht, das jedoch zunächst keine Mehrheit fand (s. o.). Nach der Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1933 wurden Sterilisation und Operationstechniken in allgemeinmedizinischen, chirurgischen und urologischen Fachzeitschriften breit diskutiert. Dabei wurde das deutsche Sterilisationsgesetz sowohl im Ausland häufig positiv wahrgenommen als auch in Deutschland als ein Aufrücken in Richtung der Länder dargestellt, die bereits solche Gesetze besaßen.40 Im Folgenden sollen vor allem die bisher nur wenig beachtete Sterilisation des Mannes, die dazu verwendeten Techniken, die dazu betriebene Forschung sowie der medizinische Kontext, in dem die Sterilisationen erfolgten, aufgezeigt werden. Diese stellten einen erheblichen Anteil der praktischen Mithilfe der Urologen zur Umsetzung der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik dar. Für eine Analyse der in den 1930er Jahren bereitstehenden und produzierten Literatur zur Sterilisation des Mannes wurden der Kommentar zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von Arthur Gütt, Ernst Rüdin und Falk Ruttke (1. Auflage 1934, 2. Auflage 1936) sowie urologische, uro-chirurgische und chirurgische Zeitschriften ausgewertet. Diese wurden nach Originalartikeln und 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. Horban, Gynäkologie und Nationalsozialismus; Doetz, Alltag und Praxis der Zwangssterilisation. Vgl. Vienne, „Der Mann als medizinisches Wissensobjekt“. Vgl. exemplarisch etwa Hofer, Medizin, Altern, Männlichkeit; Dinges, „Was bringt die historische Forschung für die Diskussion zur Männergesundheit?“. Zu deren Geschichte vgl. Drake, Mills und Cranston, „On the chequered history of vasectomy“; Sheynkin, „History of Vasectomy“. Stoff, Ewige Jugend. Vgl. Gugliotta, „Dr. Sharp with his little knife“. Vgl. Kühl, Die Internationale der Rassisten.

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5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

Rezensionen zu den Themen Sterilisation und Kastration durchsucht. Dazu muss angemerkt werden, dass in den 1930er Jahren in wissenschaftlichen und medizinischen Zeitschriften Besprechungen eine wichtige Kategorie innerhalb der Zeitschriften waren. Besprochen wurden nicht nur Bücher, sondern auch Artikel aus Zeitschriften angrenzender Fachgebiete, so dass die überlieferten Besprechungen gute Indikatoren zur breiteren Wahrnehmung von Beiträgen im Fach sind. Auf das von Hans Boeminghaus und Hans Naujoks 1934 herausgegebene Lehrbuch zur Sterilisations- und Kastrationsoperation ist an anderer Stelle bereits hingewiesen worden.41 Die Techniken der Sterilisationsoperation An dieser Stelle möchte ich auf die verschiedenen Operationstechniken eingehen, die in den 1930er Jahren in der deutschen medizinischen Presse zur Sterilisation des Mannes diskutiert wurden. Im Kommentar zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (1. Auflage 1934, 2. Auflage 1936) finden sich jeweils von Ärzten verfasste Kapitel über die zur Unfruchtbarmachung und Kastration vorgesehenen Operationen bei Männern und Frauen. In beiden Auflagen findet sich ein vom Münchener Chirurgen Erich Lexer (1867–1937) verfasstes Kapitel mit dem Titel „Die Eingriffe zur Unfruchtbarmachung des Mannes und zur Entmannung“, das 1934 8 Seiten, davon 3 ganzseitige Abbildungen, und 1936 12 Seiten, davon 4 ganzseitige Abbildungen, umfasst.42 In der ersten Auflage empfahl Lexer zur Sterilisation des Mannes die „Durchschneidung des Samenleiters (Vas deferens), Vasotomie.“43 Diese Operation, ebenso wie die zur „Entmannung“ durch Entfernung des Hodens und Nebenhodens, wurde sachlich und aus rein chirurgischer Perspektive geschildert. Lexer gab an: „Zu beiden Operationen benötigt man keine allgemeine Betäubung, die örtliche genügt vollkommen. Man verwendet 1prozentige Novokainlösung mit Zusatz von Suprarenin oder andere Mittel. […] Bei beiden Operationen drohen, wenn sie von nicht chirurgisch geschulten Ärzten ausgeführt werden, die Gefahren der Nachblutung und der Wundinfektion. Sie lassen sich durch genaue Befolgung der heutigen Operationsregeln vermeiden.“44

Hinweise auf gute „handwerklich-ärztliche“ Praxis finden sich auch im Gesetzestext selbst. So heißt es in § 11: „Der zur Unfruchtbarmachung nötige chirurgische Eingriff darf nur in einer Krankenanstalt von einem für das Deutsche Reich approbierten Arzt ausgeführt werden.“ Der Gesetzeskommentar erläuterte dies weiter: „Sowohl bei staatlichen wie kommunalen Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten ist die Forderung zu stellen, daß sie über eine ausreichende chirurgische Einrichtung und einen chirurgisch 41 42 43 44

Vgl. Krischel, „Hans Boeminghaus und die urologische Sterilisationsforschung“. Zu Lexer vgl. Schmiedebach und Schwoch, „Geh. Med. Rat Prof. Dr. med. Erich A. M. Lexer“. Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, 219. Ebd., 222.

5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern

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geschulten Arzt verfügen […]. Als ‚chirurgisch geschult‘ wird ein Arzt anzusehen sein, wenn er als Facharzt für Chirurgie oder für Frauenheilkunde und Geburtshilfe oder für beide Spezialfächer anerkannt ist. Eine gesetzliche Regelung der Anerkennung als Facharzt ist nicht erfolgt, sondern die Anerkennung regelt sich nach Leitsätzen des Deutschen Ärztevereinsbundes zur Facharztfrage, die auf dem Ärztetag in Bremen 1924 beschlossen sind (s. Deutsches Ärzteblatt Nr. 1317 vom 11.8.1924 Spalte 261–64).“45

Da in den 1930er Jahren viele chirurgisch arbeitende Urologen Fachärzte für Chirurgie waren, und der Gesetzgeber außerdem auf die Selbstverwaltung der Ärzteschaft verwies, kann nicht etwa davon ausgegangen werden, dass es Zweck oder Folge des Gesetzes war, Urologen von der Sterilisationspraxis auszuschließen. In dem Beitrag Lexers zur zweiten Auflage des Gesetzeskommentars von 1936 lässt sich deutlich ablesen, dass die sichere Fortpflanzungsverhinderung des Mannes in der Zwischenzeit ein aktives Forschungsfeld war. Das Kapitel ist vor allem deshalb länger, weil sein Autor auf durchgeführte Studien und erschienene Literatur verwies. Zwar ist die Struktur des Beitrags gleich, und es werden einige Sätze oder Absätze im selben Wortlaut wiedergegeben, aber einige Ansichten des Verfassers hatten sich in der Zwischenzeit geändert. So schrieb er etwa: „Zur dauerhaften Unterbrechung der Samenleiter ist die einfache Vasotomie oder Durchschneidung des Vas deferens nicht zuverlässig genug. Ihr gegenüber ist die Vasoresektion oder Vasektomie, d. h. die Ausschneidung einer mindestens 5 cm betragenden Strecke auszuführen.“46

Unter den Alternativen, der Verknotung des Stumpfes des Samenleiters und der Entfernung eines Stückes, sprach Lexer sich für die zweite aus. Außerdem empfahl er, „daß der operierende Arzt sich für alle Fälle den Beweis der richtig durchgeführten Operation“ sichern sollte, nämlich durch eine „mikroskopische Untersuchung der auf jeder Seite herausgenommenen Stücke.“47 Im Folgenden stellte der Autor zwei weitere Operationstechniken vor: die Unterbrechung des Samenleiters „unterhalb der Leistenpforte“ und „innerhalb des Hodensacks“. Er wies darauf hin, dass in einigen Fällen „natürlich nur der Leistenschnitt in Frage [kommt], mit dem sowohl der Leistenhoden als der Bauchhoden leicht erreichbar ist.“48 Schließlich sprach sich Lexer auch für „das von Boeminghaus empfohlene Durchspülen der ableitenden Samenwege“49 mit einer Rivanollösung aus (s. u.). Das Kapitel endet mit einer kurzen Bibliographie, die neben zwei Lehrbüchern zur Sterilisation und Kastration50 auch auf Beiträge aus den Zeitschriften Archiv für klinische Chirurgie, Der Chirurg und dem Zentralblatt für Chirurgie verweist.51 Es scheint also, als sei

45 46 47 48 49 50 51

Ebd., 159–60. Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 319. Ebd. Ebd., 223. Ebd., 223–4. Vgl. Naujoks und Boeminghaus, Die Technik der Sterilisation und Kastration; Bauer und von Mikulicz-Radecki, Die Praxis der Sterilisierungsoperationen. Vgl. Bauer, „Über die Technik und Methodik der Sterilisation beim Mann“; Fromme, „Über Sexualoperationen“; Schörcher.

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5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

der Diskurs über die Operationen zur Sterilisation des Mannes hauptsächlich in chirurgischen Zeitschriften geführt worden. Für eine weitere Analyse wurden die Zeitschrift für Urologie, die Zeitschrift für Urologische Chirurgie, das Zentralblatt für Chirurgie und Der Chirurg einbezogen und nach Originalartikeln und Rezensionen zu den Themen Sterilisation und Kastration durchsucht. In allen genannten Zeitschriften finden sich sowohl Originalartikel als auch Besprechungen von Büchern und Beiträgen aus anderen Zeitschriften, die sich mit der Sterilisation des Mannes als auch der Frau auseinandersetzten. Aus den Rezensionen ist zu erkennen, dass der Diskurs zu Operationen an Frauen zu einem großen Teil in gynäkologischen Zeitschriften geführt wurde. Entsprechend war zu erwarten, dass in den urologischen, uro-chirurgischen und chirurgischen Zeitschriften die Operationen an Männern breit diskutiert wurden; dies lässt sich durch die Auswertung bestätigen (vgl. Tabelle 5). In der Zeitschrift für Urologie finden sich insgesamt 4 Originalartikel, davon 3 zu Operationen und der Operationstechnik an Männern, und 5 Rezensionen, davon 4 zu Männern. In der Zeitschrift für Urologische Chirurgie finden sich keine Originalarbeiten zur Sterilisations- oder Kastrationsoperation, es wurden aber 29 Beiträge zur Operation an Männern, 5 Beiträge zur Operation an Frauen, 3 Beiträge zur Operationstechnik allgemein und 1 zu rechtlichen Aspekten rezensiert. Die beiden Zeitschriften Der Chirurg und das Zentralblatt für Chirurgie waren in den 1930er Jahren, aus denen die untersuchten Veröffentlichungen fast ausnahmslos stammen, für Urologen ebenso bedeutsam wie die namentlich urologiTabelle 5: Anzahl der Originalartikel und Rezensionen zur Sterilisations- und Kastrationsoperation in den Zeitschriften Der Chirurg, Zentralblatt für Chirurgie, Zeitschrift für Urologie und Zeitschrift für Urologische Chirurgie

Der Chirurg

Zentralblatt für Chirurgie

Artikel/ Rezensionen zur OP an Frauen

Artikel/ Rezensionen zur OP an Männern

Artikel/ Rezensionen zur OP an beiden Geschlechtern

6/10

5/17

4/2

1/1

-/-

-/-

-/5

-/5

-/1

18/15

Zeitschrift für 3/4 Urologie

Zeitschrift für -/29 urologische Chirurgie

2/10

5/4

Artikel/ Rezensionen zur berufspolitischen, -rechtlichen oder ethischen Dimension 4/3 9/1

5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern

133

schen Zeitschriften. Durch die erwähnte enge institutionelle Bindung der Urologie an die Chirurgie, sowohl in Ausbildung als auch in klinischer Praxis, war zu erwarten, dass alle chirurgisch arbeitenden Urologen entweder unter der Bezeichnung „Chirurg und Urologe“ oder nur „Chirurg“ firmierten. So finden sich in der Zeitschrift Der Chirurg 19 Originalartikel zur Sterilisation oder Kastration, davon 6 zu Männern, 5 zu Frauen, 4 allgemeine und 4 zu rechtlichen oder berufspolitischen Dimensionen. Dazu kamen 32 Besprechungen, davon 10 zur Operation an Männern, 17 zu der an Frauen, 2 allgemeine und 3 zu rechtlichen Themen. Das Zentralblatt für Chirurgie schließlich scheint das Medium gewesen zu sein, in dem die Zwangssterilisation innerhalb der chirurgischen Fächer am intensivsten und gelegentlich sogar kontrovers diskutiert wurde. Hier finden sich 34 Originalien, davon 18 zur Operation an Männern, 2 zu der an Frauen, 5 allgemeine und 9 zu rechtlichen und berufspolitischen Themen. Dazu kamen noch einmal 30 Besprechungen, davon 15 zur Operation an Männern, 10 zu der an Frauen, 4 allgemeine und 1 zu rechtlichen Fragen. Neben rein technischen Fragen zur Operation wurde im Zentralblatt für Chirurgie auch die berufspolitische und -ethische Dimension der Sterilisation zumindest angerissen. So findet sich 1 Artikel zu „[m]enschliche[n] und technische[n] Fragen zur gesetzlichen Sterilisierung“52, dessen Autor sich kritisch mit der Gesetzgebung auseinandersetzte. Obwohl offene Kritik an der neuen Gesetzgebung selten erfolgte, wurde doch zumindest diskutiert, ob angeborene, aber leicht chirurgisch zu korrigierende körperliche Behinderungen eine Indikation zur Sterilisation sein sollten.53 Die hier gegen die Sterilisation vorgebrachten Argumente blieben aber an der Denkfigur der Volksgesundheit orientiert, da der „Wert“ der mit einer Behinderung geborenen, aber durch eine Operation arbeits- und kriegsdienstfähig gemachten Personen betont wurde. Insgesamt finden sich in den ausgewerteten Zeitschriften also 27 Originalartikel zur Sterilisationsoperation beim Mann. Dies ist im Vergleich zu anderen Zeitschriften und dem von zeitgenössischen Autoren häufig betonten niedrigen „Schwierigkeitsgrad“ der Operation eine große Anzahl und dürfte, zusammen mit den Rezensionen, einen Großteil des Diskurses zu dem Thema abbilden. Ein Desiderat stellt bisher noch die Erforschung der Wahrnehmung dieser Literatur in den weitverbreiteten medizinischen Zeitschriften wie etwa der Klinischen Wochenschrift, der Münchner Medizinischen Wochenschrift oder der Wiener Medizinischen Wochenschrift dar. Einer der Ärzte, die einen großen Anteil an der Forschung zur Sterilisation des Mannes beigetragen hatten, war Hans Boeminghaus. Seine Veröffentlichungen, darunter ein Lehrbuch und 7 Originalartikel zur Sterilisation, sind oben bereits thematisiert worden. Dabei entsprechen die Veröffentlichungen Boeminghausʼ zur Sterilisationsforschung in den 1930er Jahren stilistisch und inhaltlich denen vieler seiner Kollegen. Zwar schlossen sie an einige seiner Vorarbeiten, etwa zur Physiologie und Punktion des Samenleiters von vor 1933 an, entscheidend ist jedoch, dass sie kon52 53

Hilgenfeldt, „Menschliche und technische Fragen zur gesetzlichen Sterilisierung“. Vgl. Kreuz, „Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 62: Ist der angeborene Klumpfuß und die Hüftverrenkung ein schweres körperliches Erbleiden im Sinne des Gesetzes?“.

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5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

form waren mit der nationalsozialistischen Ausrichtung der Medizin an der Volksgesundheit statt am individuellen Patientenwohl. Nach 1945 war die Forschung zur Sterilisation beim Mann ein Ansatzpunkt für die sich in Deutschland etablierende Disziplin der Andrologie und weitere Forschungen zur männlichen Sterilität.54 In der zweiten Ausgabe des Kommentars zum GVeN findet sich der Hinweis auf die „Entfernung der Keimdrüsen […] beim Manne“. Diese durfte im Rahmen dieses Gesetzes nur mit Einwilligung des „Patienten“ erfolgen. Voraussetzung war, dass „ein Arzt sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Abwendung einer ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit“ durchführte. Gemäß Absatz 2 konnte der Eingriff durchgeführt werden, „um ihn [den „Patienten“] von einem entarteten Geschlechtstrieb zu befreien, der die Begehung weiterer Verfehlungen im Sinne der §§ 175–178, 183, 223 bis 226 des Strafgesetzbuches befürchten läßt. Die Anordnung der Entmannung im Strafverfahren oder im Sicherungsverfahren bleibt unberührt.“55 Die genannten Paragraphen schließen insbesondere „widernatürliche Unzucht“ (homosexuelle Handlungen), „Nötigung zur Unzucht, die Schändung, die Unzucht mit Kindern und die Notzucht, […] die Erregung öffentlichen Ärgernisses durch unzüchtige Handlungen […] und die zur Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebes begangenen Körperverletzungen“ ein. Dies entspricht den Gesetzesübertretungen, die auch im Gesetz gegen Gewohnheitsverbrecher die „Entmannung“ erlaubten. Die Frage der „Freiwilligkeit“ der Einwilligung wird im folgenden Text noch thematisiert werden. Auch die gesetzliche Gleichbehandlung von homosexuellen Handlungen zwischen freiwillig handelnden Erwachsenen und Vergewaltigung sowie sexuellen Handlungen mit Kindern erscheint aus heutiger Perspektive problematisch. Kastration Die Kastration gehört mit der Beschneidung, der Hydrozelenpunktion und der Entlastung von Flankenabszessen neben der Trepanation sicherlich zu den ältesten überlieferten operativen Eingriffen, wobei die Folgen des Eingriffes in Hinblick auf den Hormonausfall gewünscht waren. Die Ursprünge der Kastration verlieren sich im „Dunkel der Geschichte“, wie die meisten Autoren übereinstimmend festgestellt haben. Magische, kultische, religiöse, sittliche, ästhetische, machtpolitische, rassistische, medizinische und kriminalpräventive Motive werden über die Zeiträume angeführt.56 In der engeren urologiehistorischen Literatur hat der Eingriff verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden, eher ist er in gender-orientierten Analysen, Untersuchungen zur Rechtsgeschichte oder Aufarbeitung von der Verstrickung der Justiz in das nationalsozialistische Unrecht thematisiert worden.57 54 55 56 57

Vgl. Vienne, „Der Mann als medizinisches Wissensobjekt“. Gütt, Rüdin und Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 294. Zur Geschichte der Kastration vgl. etwa Taylor, Castration; Scholz, Der entmannte Eros. Ein seltenes Gegenbeispiel findet sich etwa bei Nieschlag, Behre und Nieschlag, Andrologie, 202–4.

5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern

135

Der Eingriff wurde in Europa, China und Afrika aus politischen oder religiösen Gründen vorgenommen. Die Kastration von Männern wurde in der gesamten Geschichte und vielen Kulturen durchgeführt: an Feinden zur Demütigung, und um ihnen leichter die Frauen nehmen zu können, und an Sklaven, besonders solchen, die einen Harem bewachen sollten. Erwachsene Kriegsgefangene oder Sklaven wurden überdies kastriert, um sie gefügsamer zu machen, da durch die starke Reduzierung des Testosterons die Aggressionsbereitschaft nachlässt. So soll die mythische assyrische Königin Semiramis, Gattin von Schamschiadad V., eine frühe Herrscherin gewesen sein, welche die Kastration gefangener Feinde um 800 bis 700 v. Chr. befahl. Hans Boeminghaus bezog sich in seinem gemeinsam mit Hans Naujoks herausgegebenen Lehrbuch auf diese mythische Königin und schrieb dort: „[E]s zeugt sicherlich von großer Staatsmännischer Klugheit, wenn man hört, dass die Königin Semiramis die Kastration von kränklichen und elenden Männern empfohlen habe, um auf diese Weise eine schwache Nachkommenschaft zu verhüten.“58 Hier deutete er die historische Anekdote in eine Legitimation der Rassenhygiene um. In der urologischen Literatur gewann der Themenkomplex an Bedeutung, nachdem in der Mitte des 19. Jahrhunderts die pathophysiologischen Zusammenhänge in den Blickpunkt der Forschung gerückt waren.59 Der Wiener Physiologe Eugen Steinach (1861–1944) begann schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert mit Tierexperimenten, um über testikuläre Transplantation mehr über die postulierte hormonelle Funktion der Gonaden und die Auswirkungen auf die sexuelle Differenzierung der Tiere zu erfahren. Weiterhin diente die Entfernung eines oder beider Hoden zur Behandlung der Hodentuberkulose, Syphilis des Hodens sowie der Hodentumoren. Bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten forderten Vereine und Verbände die Schaffung einer Kastrationsgesetzgebung, die als kostengünstiger Ersatz der lebenslangen Asylierung Krimineller, insbesondere von Sittlichkeitstätern, dienen sollte. Gerade die wirtschaftlich schwierige Situation der ausgehenden Weimarer Republik bot solchen Argumenten besondere Nahrung.60 Somit gestaltete sich die soziale Dimension der Indikation ähnlich wie bei der Sterilisation. Ebenso wie unter Rassenhygienikern die Diskussion um eine Zwangsregelung zur Sterilisation bereits in der Weimarer Republik aufgekommen war, wurde auch im Diskurs um „Sexualität und Kriminalität“ von einigen Autoren die zwangsweise Kastration gefordert. Während in der Weimarer Republik die zwangsweise Entmannung, der ein Schwinden von Libido und Potenz zugebilligt wurde, als gegen den Willen der Betroffenen vorgenommener operativer Eingriff nach § 224 StGB als schwere Körperverletzung noch ein Straftatbestand gewesen war, sollte sich dies nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten rasch ändern. Dass auf wissenschaftlicher Ebene zu diesem Themenkomplex 1933 noch keine gesicherten Erkenntnisse vor58 59 60

Naujoks und Boeminghaus, Die Technik der Sterilisation und Kastration, 7. Vgl. Schultheiss, „Eine kurze Geschichte des Testosterons“. Vgl. Kompisch, „‚Zur Verhinderung schwerster Sexualverbrechen‘.

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5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

lagen und bekannte Ergebnisse widersprüchlich waren, spielte keine entscheidende Rolle.61 Die zwangsweise Entmannung wurde am 24. November 1933 im „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und Maßregeln der Sicherung und Besserung“ verabschiedet. Nach § 41k konnte das Gericht die Strafe der Kastration bei über 21 Jahre alten, als „gefährlich eingestuften Sittlichkeitsverbrechern“ anordnen. Darunter konnten auch Homosexuelle fallen, wobei man sich bei diesen „Tätern“ nicht mit der die Fortpflanzung verhindernden Sterilisation zufriedengab, sondern gerade die angeblich den Sexualtrieb abtötende Kastration forderte. Im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Sexualforschung stand die Auseinandersetzung mit dem reproduktiven Verhalten der Bevölkerung und unter diesem Gesichtspunkt wurde somit auch die „Homosexuellenfrage“ diskutiert.62 In der Dissertation des späteren niedersächsischen Justizministers Hans Puvogel (1911–1999) aus dem Jahre 1937 beschrieb er Sterilisation und Kastration als zwei Werkzeuge der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Endziel sei es „durch geeignete Maßnahmen die wertvollen Erbströme unseres Volkes immer stärker fließen zu lassen, die minderwertigen hingegen nach und nach zum Erliegen zu bringen […]. Die Entmannung beraubt den Verbrecher seiner Zeugungsfähigkeit und verhindert auf diese Weise eine weitere Verseuchung des Volkes mit dieser Verbrechensneigung.“63 Die Maßregel der Entmannung stand in Konkurrenz zu der durch das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ eingeführten Maßregel der „Sicherungsverwahrung“.64 Neben der „Entmannung“ als gerichtlich angeordneter Strafe war mit Revision des GVeN vom 20. Juni 1935 auch die Voraussetzung zur freiwilligen Kastration geschaffen worden. Hierzu war ein amts- oder gerichtsärztliches Gutachten notwendig. Der Gutachter hatte festzustellen, dass die Entfernung der Keimdrüsen einen Mann von einem „entarteten Geschlechtstrieb“ befreien würde. Der dem § 14 eingefügte Absatz 2 erlaubte und regelte nunmehr die „kriminalpolitisch indizierte Kastration“. Indikationen waren „Neigung zu oder Verurteilungen wegen Homosexualität“, „sexuelle Nötigung“, „Kindesmißbrauch“, „Vergewaltigung“ oder „Exhibitionismus“.65 Notwendige Voraussetzung zur Operation war die Einwilligung des Betroffenen. Der Eingriff war nur zulässig, wenn bereits einschlägige Verurteilungen vorlagen oder befürchtet werden mussten. Mit einem Runderlass vom 23. Januar 1936 hatte der Gesetzgeber festgelegt, dass die Freiwilligkeit durch keinen, auch nicht mittelbaren Zwang beeinträchtigt werden dürfe. Dies setzte spätestens Heinrich Himmler mit Erlaß vom 20. Mai 1939 außer Kraft, in dem er kastrierten Männern eine frühzeitige Haftentlassung in Aussicht stellte. Ein Erlass des Reichssicher61 62 63 64 65

Vgl. Jellonnek, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Vgl. Bülow, „Der Umgang der nationalsozialistischen Justiz mit Homosexuellen“, 48. Puvogel, „Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“, 9–12. Vgl. Jellonnek, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz, 142, Fußnote 8. Vgl. Kompisch, „‚Zur Verhinderung schwerster Sexualverbrechen‘.

5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern

137

heitshauptamtes vom 12. Juli 1940 erlaubte eine entsprechende Entlassung von mehrfach verurteilten Männern aus Konzentrationslagern, wenn sie sich kastrieren ließen.66 In diesen Fällen sind Parallelen zur Sterilisationsgesetzgebung und -praxis augenscheinlich: Dort wurde Personen die Entlassung aus geschlossenen Psychiatrien in Aussicht gestellt, wenn sie durch eine Sterilisation die eigene Fortpflanzung ausschlossen und so die Asylierung überflüssig machten. Justiz- und Polizeiorganen war damit ein Druckmittel in die Hand gegeben, Männer zu veranlassen, in ihre Kastration einzuwilligen. Dies macht das Maß an „Freiwilligkeit“ deutlich, das in der größten Zahl der Fälle herrschte. Während die Ministerialbürokratie mit Juristen und Ärzten noch diskutierte, ob die Zwangskastration von Kriminellen durch einen Zusatz im Strafgesetz verfügt werden oder das Inkrafttreten des Gesetzes zur Behandlung von „Gemeinschaftsfremden“ abgewartet werden sollte, ermächtigte ein Geheimerlass des Wirtschaftsund Verwaltungshauptamtes der SS vom 14. Januar 1942 die Kommandanten der Konzentrationslager, die Unfruchtbarmachung in nicht gesetzlich geregelten Fällen befehlen zu können. Somit war die Zwangskastration legalisiert.67 Sterilisations- und Kastrationsversuche in Konzentrationslagern im Kontext der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik Insbesondere in den Kontext der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik einordnen lassen sich in Konzentrationslagern durchgeführte Versuche, die eine Sterilisation oder Kastration ohne chirurgische Eingriffe ermöglichen sollten. Nach dem für Deutschland siegreichen Ende des Zweiten Weltkriegs sollte „Siedlungsraum im Osten“ gewonnen werden, um dort deutschstämmige Bevölkerung anzusiedeln. Dazu war eine Verdrängung oder Beschränkung der Reproduktion der ursprünglich dort ansässigen Bevölkerung geplant, wobei die zweite Option den Vorteil mit sich gebracht hätte, weiterhin „ihre Arbeitskraft ausnutzen zu können.“68 Nachdem im Jahr 1940 im Tierversuch die sterilisierende Wirkung der ursprünglich aus Südamerika stammenden Pflanze Schweigrohr (botanisch: Dieffenbachia seguine) deutlich geworden war, schrieben unabhängig voneinander zwei Männer, der Dermatologe Adolf Pokorny und der Gauleiter Karl Gerland, an Heinrich Himmler, um ihn auf die Möglichkeit der medikamentösen Sterilisation aufmerksam zu machen. In seinem Brief aus dem Oktober 1941 schrieb Pokorny: „Getragen von dem Gedanken, daß der Feind nicht nur besiegt, sondern vernichtet werden muß, fühle ich mich verpflichtet, Ihnen […] folgendes zu unterbreiten: Dr. Madaus veröffentlichte das Ergebnis seiner Forschungen über medikamentöse Sterilisierung. […] Wenn es gelänge, auf Grund dieser Forschungen sobald als möglich ein Medikament herzustellen, das nach relativ kurzer Zeit eine unbemerkte Sterilisation beim Menschen erzeugt, so stände uns eine neue wirkungsvolle Waffe zur Verfügung. Allein der Gedanke, daß die 3 Millionen momentan in 66 67 68

Vgl. Jellonnek, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz, 139. Vgl. Grau, Lexikon zur Homosexuellenverfolgung 1933–1945. Winau, „Medizinische Experimente in den Konzentrationslagern“.

138

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik deutscher Gefangenschaft befindlichen Bolschewisten sterilisiert werden könnten, so daß sie als Arbeiter zur Verfügung stünden, aber von der Fortpflanzung ausgeschlossen wären, eröffnet weitgehendste Perspektiven.“69

Pokorny fuhr fort, einen Plan für die Nutzbarmachung vorzuschlagen. Dieser sah vor, Madaus weitere Publikationen zu verbieten („Feind hört mit!“), die Pflanze in Gewächshäusern zu züchten, „sofortige Versuche an Menschen (Verbrecher!)“ vorzunehmen und Forschungen zu beginnen, um den Wirkstoff zu isolieren und synthetisieren. Obwohl ein Forschungsprogramm in Konzentrationslagern begonnen wurde, stellte es sich wohl schon beim Versuch der Kultivierung der Pflanze im großen Maßstab als nicht erfolgreich heraus. Dennoch wurde Pokorny im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt. Zu seiner Verteidigung dort gab er an, dass er auf Grund seiner „besonderen Erfahrungen als Spezialist für Haut- und Geschlechtskrankheiten“ gewusst habe, dass die vorgeschlagene medikamentöse Sterilisation unwirksam wäre, und durch seinen Brief an Himmler andere Programme bremsen wollte.70 Obwohl Pokorny also als Dermatologe firmierte, zeigt sich hier, dass er durch seine Tätigkeit als Venerologe auch urologisch ausgebildet war, und diese Ausbildung wohl im Zusammenhang mit seinem Interesse an der Sterilisationsforschung stand. Nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ stellte ab 1938 bei Frauen ab 48 Jahren die Röntgenkastration eine Option dar, wohl weil sie trotz massiver Nebenwirkungen für weniger lebensbedrohlich als die offene Bauchoperation gehalten wurde. Aus denselben bevölkerungspolitischen Überlegungen, welche die Grundlage der Schweigrohrversuche gewesen waren, wurden zur gleichen Zeit Überlegungen darüber angestellt, ob durch Röntgenstrahlen auch eine große Zahl von Männern effektiv sterilisiert werden könnte und dies möglicherweise ohne ihr Wissen. Versuche dazu wurden 1942 bis 1943 in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau durch den Chirurgen und Medizinalbürokraten Horst Schumann und im Konzentrationslager Ravensbrück durchgeführt.71 Die Auswirkungen der Versuche beschrieb ein ehemaliger Häftling bei den Nürnberger Ärzteprozessen wie folgt: „Ich arbeitete 4 Wochen beim Straßenbau, als plötzlich abends der Blockschreiber rief: ‚Sämtliche arbeitsfähige Juden im Alter von 20 bis 24 Jahren haben sich zu melden.‘ Ich habe mich nicht gemeldet. […] Eine Woche später wurden wieder 20 Juden im Alter von 20–24 Jahren ausgewählt. Aber diesmal wurden sie alphabetisch ausgesucht. Ich war gleich einer der ersten. Wir wurden nach Birkenau in ein Frauenarbeitslager transportiert. Dort erschien ein hochgewachsener Arzt in einer grauen Luftwaffenuniform. Wir mußten uns ausziehen und die Geschlechtsteile wurden unter einen Apparat gebracht und für 15 Minuten unter dem Apparat gehalten. Der Apparat hat die Geschlechtsteile und Umgebung stark gewärmt, und nachher haben sich diese Teile schwärzlich gefärbt. Nach dieser Aktion mußten wir sofort wieder arbeiten. Im Verlaufe von einigen Tagen haben die Geschlechtsteile bei den meisten Kameraden geeitert, und sie hatten sehr große Schwierigkeiten beim gehen. Sie mußten aber trotzdem arbeiten, bis sie umfielen. Die Umgefallenen kamen zur Vergasung. […] 69 70 71

Zitiert nach Mielke und Mitscherlich, Medizin ohne Menschlichkeit, 237. Vgl. ebd., 238. Vgl. ebd., 343–5.

5.2 Forschung zur und Praxis der Sterilisation und Kastration von Männern

139

Wir kamen nach Auschwitz I in den Krankenbau, Block 20. Dort hat man uns operiert. Wir bekamen eine Spritze in den Rücken, worauf die untere Körperhälfte gefühllos wurde, während der obere Teil des Körpers vollkommen normal blieb. Beide Hoden wurden entfernt. Es erfolgte keine vorherige Untersuchung über Samenflüssigkeit. Ich habe den Vorgang im Spiegelglas einer chirurgischen Lampe beobachten können. Es wurde auch keine Einwilligung zur Operation eingeholt. Man hat nur gesagt: ‚Du gehst.‘ Daraufhin wurde man wortlos auf den Operationstisch geschickt. Der Leiter der Sterilisations- und Kastrationsexperimente in Auschwitz war ein Dr. Schumann.“72 Im Rahmen der Versuche stellte sich heraus, dass eine unbemerkte Sterilisation nicht möglich war, und dass eine Strahlendosis, die eine dauerhafte Sterilisation bewirkte, immer auch die Kastration zur Folge hatte. Daraus folgerte Viktor Brack, der als Oberdienstleiter in der Kanzlei des Führers die Versuche veranlasst hatte, dass „[d]ie operative Kastration, die, wie ich mich selbst überzeugt habe, nur 6–7 Minuten dauert, […] zuverlässiger und schneller zu bewerkstelligen [ist] als die Kastration mit Röntgenstrahlen.“73 Die Mitarbeit von Chirurgen, Urologen und Gynäkologen an der praktischen Seite der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik, also an der Erforschung, Verbesserung und Durchführung von Sterilisations- und Kastrationsoperationen, ist als systemangepasste Medizin zu verstehen. Zwar waren sowohl das Gedankengebäude der Eugenik als auch die chirurgischen Grundlagen bereits in der Weimarer Republik vorhanden, jedoch erst im Nationalsozialismus wurden in Deutschland Zwangsmaßnahmen zulässig. Dabei gingen, wie ich gezeigt habe, gesetzlicher Zwang und das Inaussichtstellen einer Entlassung aus der häufig mörderischen Umgebung von Gefängnissen, Konzentrationslagern oder Heil- und Pflegeanstalten häufig Hand in Hand. Um diese Praxis möglich zu machen, lieferten Ärzte, darunter auch Urologen wie Hans Boeminghaus, dem System nicht nur rhetorische Ressourcen, wissenschaftliche Legitimation und Anleitungen zur effektiven Operation, sondern legten auch selbst Hand an Patienten.

72 73

Ebd., 243–4. Brief Bracks an Himmler, zitiert nach ebd., 243.

140

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

5.3 DIE ERFORSCHUNG VON „ERBKRANKHEITEN“ ALS BEGÜNSTIGTE NORMALWISSENSCHAFT Aus der Fokussierung auf „Erbgesundheit“ im Nationalsozialismus erwuchs auch die Forschung zur Erblichkeit von Erkrankungen und Behinderungen. Im folgenden Abschnitt werde ich zunächst kurz auf die institutionelle Aufstellung der Erbpathologie in Deutschland eingehen und dann aufzeigen, wie diese ab 1933 stark wachsende Disziplin Bezüge zu fast allen medizinischen Fachrichtungen, einschließlich der Urologie, aufbaute. Die Historiker Peter Weingart, Jürgen Kroll und Kurt Bayertz haben darauf hingewiesen, dass die genetische Forschung in Deutschland bis in die 1920er Jahre nur schwach institutionalisiert war. Eine universitäre Anbindung gab es nur durch Erwin Baur, der seit 1911 Professor für Botanik an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin war. 1914 wurde Baur Leiter des ersten Instituts für Vererbungsforschung in Deutschland, das 1922 von Berlin-Friedrichshagen nach Berlin-Dahlem umzog.74 Genetik wurde ab den 1920er Jahren an drei Kaiser-Wilhelm-Instituten erforscht: am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Genetik in Berlin (ab 1927), für Züchtungsforschung in Müncheberg in Brandenburg (ab 1929) und erst ab 1937 für Tierzuchtforschung bei Rostock. Weingart, Kroll und Bayertz haben in der Institutionalisierung an Forschungsinstituten anstatt an Universitäten, die auch mit einer relativ kleinen Gruppe von Genetikern in Deutschland einhergegangen war, einen Grund dafür gesehen, dass die Entwicklung der Disziplin in Deutschland „stärker kontingenten Bedingungen unterlegen war, als dies bei einer breiteren Etablierung des Faches an den Universitäten der Fall gewesen wäre.“75 Als nach 1933 die institutionelle Stellung der Rassenhygiene in Deutschland gestärkt wurde, fanden sich ihre beiden Facetten, die Rassenanthropologie in der Prägung etwa Eugen Fischers oder Hans F. K. Günthers und die Erbpathologie etwa im Sinne Otmar von Verschuers, als miteinander in Konkurrenz um die neu zu schaffenden Positionen an den Universitäten wieder. Bereits seit September 1933 war „der Unterricht in Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familienkunde und Bevölkerungspolitik“ in den Abschlussklassen der Schulen verbindlich.76 Während an einigen bedeutenden Universitäten, etwa in Berlin, München und Prag, jeweils ein Lehrstuhl für Erbpathologie und einer für anthropologische Rassenkunde eingerichtet wurden, entstand an den meisten Hochschulen nur einer, der beide Aspekte abdecken sollte. An einigen Universitäten, etwa in Kiel und Königsberg, wurde dieser sowohl der medizinischen als auch der philosophischen Fakultät zugerechnet. In den meisten Fällen wurde jedoch ein Schwerpunkt entweder auf Rassenkunde oder auf Erbpathologie gelegt. Die Lehrstühle letzterer Ausrich74 75 76

Vgl. Fangerau, „Das Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionsliteratur 1921–1941“, 25. Weingart, Kroll und Bayertz, Rasse, Blut und Gene, 337. Vgl. ebd., 429.

5.3 Die Erforschung von „Erbkrankheiten“ als begünstigte Normalwissenschaft

141

tung waren an den medizinischen Fakultäten installiert. Ab 1936 wurde die Rassenhygiene Prüfungsfach an einigen Fakultäten (darunter Berlin, München, Leipzig, Königsberg und Frankfurt), ab 1939 wurde sie an allen Fakultäten verbindlich.77 Bis 1945 entstanden Lehrstühle, Extraordinariate oder Institute für Rassenhygiene an 18 deutschen und österreichischen medizinischen Fakultäten.78 Weingart, Kroll und Bayertz haben darauf hingewiesen, dass in der Praxis der erbpathologischen Forschung insbesondere „Erbkataster“ wichtig waren, durch die Erbgänge zumindest einiger Krankheiten (und wie man damals glaubte, gewisser Charakterzüge) in der Weise wissenschaftlich nachvollzogen werden konnten, dass auch Prognosen möglich waren.79 Dabei war es durchaus das Ziel der Forscher, eine „‚reine Erbprognose‘ (auch theoretische bzw. mendelistische)“ aufzustellen, denn diese „galt den Erbforschern als die ‚ideale‘ Vorgehensweise, da sie gesicherte Voraussagen des Auftretens einer Krankheit aufgrund der Mendelschen Erbgesetzmäßigkeiten erlaubt.“80 Bei einer so soliden Verankerung der Rassenhygiene in der Ärzteschaft und den medizinischen Fakultäten verwundert es nicht, dass die Forschung zu erblichen Krankheiten in der Medizin Aufschwung gewann. Auch in der Urologie finden sich dafür Beispiele. Das deutlichste ist eine Arbeit Georg Grubers (1884–1977) aus Göttingen, die zunächst als Referat auf der ersten Versammlung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen 1936 in Eisenach gehalten wurde und im nächsten Jahr in der Zeitschrift für Urologie erschien.81 Gruber war seit 1928 Ordinarius für Pathologie in Göttingen, seit 1933 Mitglied des Stahlhelms. Er blieb auch nach Überführung in die SA Mitglied, 1935 trat er in die NSDAP ein. Nach 1945 war Gruber als Medizinhistoriker in Göttingen tätig.82 In seinem Beitrag „Entwicklungsfragen im Rahmen der Urologie und Vererbungsfragen“ zeigte er anhand zweier urologischer Leiden, der „Spaltblase“ (Blasenekstrophie) und der „Cystenniere“, auf, wie aus Zwillingsversuchen und insbesondere der Untersuchung familiärer Häufungen von Erkrankungen Rückschlüsse auf deren „endogene“, also genetische, Ursachen gezogen werden könnten (vgl. Abbildung 27). Er zeigte auf, dass für die Epispadie und Hypospadie, eine Entwicklungsstörung der Harnröhre, die Erblichkeit gut dokumentiert sei. In ähnlicher Weise solle man an das Krankheitsbild „Cystenniere“ herangehen und auch dort versuchen, durch das Anfertigen von Stammbäumen Erbgänge zu rekonstruieren. Während sich Grubers Beitrag auf den ersten Blick als frei von Wertungen oder Politik darstellt, nahm er im letzten Absatz doch Bezug auf die Medizin im Nationalsozialismus, wenn er auf eine neue „Zusammenarbeit von ärztlichen Praktikern 77 78 79 80 81 82

Vgl. ebd., 429–30. Für eine Liste der Fakultäten und Fachvertreter vgl. ebd., 438–9. Vgl. auch Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, 189–90. Weingart, Kroll und Bayertz, Rasse, Blut und Gene, 486. Vgl. Gruber, „Entwicklungsstörungen im Rahmen der Urologie und Vererbungsfragen“. Eine differenzierte Biographie Grubers, die seine Arbeit zu Pathologie, Rassenhygiene, Medizingeschichte und -ethik beachtet, findet sich bei Mattulat, Medizinethik in historischer Perspektive.

142

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

Abbildung 27: Stammbaum zur Verdeutlichung eines Erbgangs83

83

Gruber, „Entwicklungsstörungen im Rahmen der Urologie und Vererbungsfragen“.

5.4 Bereitstellung rhetorischer Ressourcen

143

und von Forschern in scheinbar lebensfernen Arbeitsstuben“ drängte, da ein solcher Blick „auf den Bios des ganzen Menschen“ und die „Vielheit der Lebensträger des Volkes“ dazu geeignet sei, „das abwegige Erbgut zu erkennen, es richtig zu werten und einzuschätzen, und dort, wo es vorherrschend aufzutreten geneigt ist, seine Weitersaat einzudämmen!“ Er schloss mit einem klaren Bekenntnis zur neuen ärztlichen Ethik: „So wird sich unser ärztliches Mühen von der Beratung und Behandlung des leidenden Einzelnen allmählich erheben können zur Betreuung eines gesunden Volkes!“84 5.4 BEREITSTELLUNG RHETORISCHER RESSOURCEN Die Einladung Georg Grubers auf die erste Tagung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen kann neben einem genuin wissenschaftlichen Interesse der Gesellschaft an der Erblichkeit von Krankheiten und Fehlbildungen des Urogenitalsystems auch als programmatische Allianz von Erbpathologie und Urologie und damit als Allianz von Urologie und Medizin im „Dritten Reich“ gedeutet werden. Auf die Übernahme nationalsozialistischen „Neusprechs“ durch viele Fachvertreter, insbesondere Otto Ringleb und Karl Heusch, wurde oben bereits hingewiesen. Hier soll noch einmal exemplarisch auf einige Beiträge von Urologen hingewiesen werden, in denen sie das Verhältnis ihres Faches zu den neuen Machthabern ausloteten und sich ihnen andienten, indem sie nationalsozialistisches Vokabular und Denkmuster verwendeten und dem Regime so ihre Loyalität versicherten. Neben dem bereits in Kapitel 4 thematisierten Artikel Karl Heuschs zum Beitrag der Urologie zur Volksgesundheit finden sich in den 1930er Jahren noch verschiedene andere Veröffentlichungen, in denen Urologen den Wert ihres Faches für die Volksgesundheit betonten bzw. Maßnahmen vorschlugen, die diesen Wert weiter zu erhöhen geeignet wären. In einigen Fällen, wie etwa in Heuschs Beitrag, wurde deutlich darauf hingewiesen, dass eine Verbesserung der Volksgesundheit durch eine Stärkung der Urologie als medizinisches Spezial- und universitäres Lehrfach erreicht werden könnte. Hierin wird eine Kontinuität von Forderungen sichtbar, die in der deutschsprachigen Urologie seit den 1920er Jahren vorgetragen wurden. Auch wenn es in seinem Beitrag weder vordergründig um Fragen der Volksgesundheit ging, noch die Nähe zum Nationalsozialismus gesucht wurde, ist ein 1935 in der Zeitschrift für Urologie veröffentlichter Artikel von Hans Rubritius kennzeichnend für diese Kontinuität in der Übergangszeit. Rubritius, zu diesem Zeitpunkt gewählter Vorsitzender der ruhenden DGfU, hatte im Januar 1935 auf der Jahressitzung der Wiener Urologischen Gesellschaft zum Thema „In welche Bahnen sollen wir die weitere Entwicklung unseres Faches lenken?“85 gesprochen. Als Österreicher war er von der Entwicklung in Deutschland bisher nur mittelbar betroffen, und entgegen seiner späteren politischen Aktivität lässt sich dem Beitrag 84 85

Gruber, „Entwicklungsstörungen im Rahmen der Urologie und Vererbungsfragen“, 21. Rubritius, „In welche Bahnen sollen wir die weitere Entwicklung unseres Faches lenken?“.

144

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

aus dem Jahr 1935 kein expliziter oder etwa durch das Auslassen „nicht-arischer“ Mediziner nachweisbarer impliziter Antisemitismus entnehmen. Rubritius begann mit einer Aufzählung der „bedeutendsten Errungenschaften“ der Urologie und nannte als diese „die Cystoskopie (1887), die Chromocystoskopie (1903), die Pyelographie (1905), die endovesikale Koagulation (1913), die intravenöse Urotropintherapie (1924), die Ausscheidungsurographie (1929) und die transurethrale Resektion des Blasenhalses (1932)“.86 In der Folge fürchtete er eine Auseinanderentwicklung der chirurgischen und der endoskopischen Schulen innerhalb der Urologie. So bemerkte er: „In Deutschland wieder hat sich ein eigener Typus von Urologen entwickelt; diese sind einzig und allein bestrebt, chirurgische Urologie zu betreiben, nennen sich urologische Chirurgen und vernachlässigen die konservative Therapie beinahe vollständig.“87

Rubritius sprach sich gegen diese Einseitigkeit aus und forderte eine am Organsystem orientierte, geeinte Urologie, deren Vertreter sowohl konservative als auch chirurgische Therapien kennen und beherrschen sollten, um die jeweils angemessene auswählen zu können. Urologen müssten nach einer soliden chirurgischen Grundausbildung auf speziellen urologischen Abteilungen mindestens drei Jahre weitergebildet werden. Dies, bedauerte er, stoße jedoch gerade in Deutschland „in erster Linie auf den energischen Widerstand der Vorstände der chirurgischen Kliniken“.88 Aus diesen Äußerungen wird nicht nur die Kontinuität der Forderungen der deutschsprachigen Urologen nach der Anerkennung ihres Faches in den 1930er Jahren deutlich. Indem diese immer wieder verkündet wurden, machten die Urologen auch deutlich, welche Vorteile sie im Gegenzug für eventuell zu erbringende Zugeständnisse dem politischen System gegenüber anzunehmen bereit waren. Symptomatisch für die Orientierung der Urologie an der nationalsozialistischen Volksgesundheitspolitik steht eine Serie von Artikeln des Berliner Arztes Hans Haebler, seines Zeichens „Beratender Urologe bei Reichs- und Staatsbehörden“, die zwischen 1935 und 1939 in der Zeitschrift für Urologie erschien. Haebler war Facharzt für Chirurgie und Urologie, niedergelassener Arzt in Berlin und „stundenweise [bei der Reichsversicherungsanstalt] als Hilfsarzt“89 beschäftigt. Er war, zumindest bis 1938, nicht Mitglied der NSDAP, des NSDÄB oder einer anderen Parteigliederung.90 In diesen Beiträgen wird die zunächst extreme Radikalisierung der Rhetorik in der Medizin überdeutlich, die später wieder etwas zurückging. Gleichzeitig sind Volksgesundheit und auf Arbeitskraft und „Wehrhaftigkeit“ ausgerichtete Leistungsmedizin deutlich zu erkennen. Im letzten, früh im Jahr 1939 erschienenen Teil der Serie wurde auch der Wehrmedizin bereits Platz eingeräumt. Eine Übersicht über Haeblers Veröffentlichung in der Zeitschrift für Urologie findet sich in Tabelle 6. 86 87 88 89 90

Ebd., 4. Ebd., 6. Ebd., 9. Bundesarchiv Berlin, ehem. BDC, Haebler, Johannes. Reichsärztekartei. Bundesarchiv Berlin, Reichsärzteregister, Haebler, Johannes Georg. R9347.

5.4 Bereitstellung rhetorischer Ressourcen

145

Tabelle 6: Veröffentlichungen Hans Haeblers in der „Zeitschrift für Urologie“ in den 1930er Jahren

Jahr

Ausgabe, Seiten

Titel

1935

29, 329–339

Zur Beurteilung urologisch Kranker für soziale Versicherungsbehörden

1936

30, 832–841

Urologie und soziale Versicherungsträger

1937

31, 799–807

Arbeits- und Berufsfähigkeit urologisch Kranker

1939

33, 2–18

Urologisch Kranke, beurteilt nach ihrer Leistungsfähigkeit

Den Auftakt zu der Reihe machte der Beitrag „Zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit urologisch Kranker für soziale Versicherungsbehörden“ aus dem Jahr 1935. Nach einer historischen Einführung über die Sozial- und Krankenversicherungssysteme Deutschlands gab Haebler Hinweise dazu, welche urologischen Krankheitsbilder eine Erwerbsminderung rechtfertigten, und ging auf konkrete Fälle ein. Im Sinne der NS-Propaganda beklagte er, dass vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ „ein großer Teil der deutschen Bevölkerung aus Rentenschiebern und Rentenjägern bestand“. Er fuhr fort: „Daß es heute schon deutlich anders geworden ist und auch in dieser Beziehung wieder gesunder Boden zum Vorschein kommt, verdanken wir alle dem genialen, zielbewussten und mit unbeugsamer Energie durchgeführten Eingreifen unseres Führers und Reichskanzlers und wir deutschen Ärzte haben zu unserem Teil daran tatkräftig mitzuwirken, dass die neue Geisteshaltung des deutschen Menschen vertieft wird in dem Sinne, daß das Leben Arbeit, Mühe, Kampf bedeutet und nicht Existenz auf Kosten anderer durch Rentenbezug.“91

Hier zeigt sich deutlich eine Orientierung an einer leistungs- und arbeitskraftsteigernde Medizin. Die Formulierung „dass Leben […] Kampf bedeutet“ kann einerseits als Bezug auf einen sozialdarwinistischen Biologismus und den „Kampf ums Dasein“ verstanden werden, andererseits war dies auch bereits ein erster Schritt in Richtung einer rhetorischen Kriegsvorbereitung. Abgesehen von dieser rhetorischen Verneigung vor dem Nationalsozialismus riet Haebler jedoch eher zu einer ärztlich soliden Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Er unterstrich sogar: „Um allen Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, dass es selbstverständlich ist, berechtigten und objektiv begründeten Ansprüchen zum Erfolg zu verhelfen“.92 Eine deutliche Radikalisierung des Tons lässt sich im 1936 erschienenen Artikel „Urologie und soziale Versicherungsträger“ feststellen, der auf einem Referat 91 92

Haebler, „Zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit urologisch Kranker für soziale Versicherungsbehörden“, 332. Ebd., 323.

146

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

auf der ersten Tagung der GRU im selben Jahr basiert. Hier stellte Haebler fest: „Im neuen, nationalsozialistischen Staat ist der Träger der Arbeitskraft, die mit dem Menschen und seiner Würde untrennbar verbunden ist, wertvolles Glied der deutschen Volksgemeinschaft“.93 Wenn die Arbeitskraft eines Menschen tatsächlich mit „seiner Würde untrennbar verbunden“ sei, was würde dies für die Menschenwürde im Fall des Wegfallens seiner Arbeitskraft bedeuten? Aus dieser Perspektive leitete Haebler einen Imperativ für die Ärzteschaft zur Erhaltung und Hebung der Volksgesundheit und Arbeitskraft ab. Zur Möglichkeit, die Aufgabe zu bewältigen, bemerkte er: „Erfreulicherweise ist das Zusammenarbeiten von Ärzten und Krankenkassen nach der Machtergreifung vielfach ein ruhigeres und verträglicheres geworden, nachdem die nationalsozialistische Staatsführung diese Versicherungsträger, die in der vergangenen Zeit ein ausgesprochenes Bollwerk der Sozialdemokratie waren, von marxistisch-jüdischem Geist gesäubert […] hat.“94

Neben der Gleichschaltung der Krankenkassen und Ärzteverbände konnte Haebler auch der Einschränkung des Nutzerkreises medizinischer Dienstleistungen Positives abgewinnen. So schrieb er: „Die neue nationalsozialistische Ausrichtung geht dahin, keine übertriebene und zwecklose Heilfürsorge mehr – wie früher in der marxistischen Zeit – am untauglichen Objekt zu verschwenden.“95 Ferner warnte Haebler insbesondere vor Simulanten, die sich dem „harten Daseinkampf“ durch „Flucht in die Krankheit“ zu entziehen suchten.96 Trotzdem betonte er, dass „Urologen und in gleicher Weise wie die anderen Fachärzte des Reichsgebietes berechtigten und begründeten Ansprüchen von Angehörigen der deutschen Sozialversicherung zum Erfolge verhelfen werden“.97 Er fasste zusammen, der Zweck der Sozialversicherungen bestehe für „den einzelnen Sozialversicherten“ in der „Befreiung von seelischem und wirtschaftlichem Druck“, für „die Gesamtheit des deutschen Volkes“ jedoch darin, „daß Jahr um Jahr fortlaufend Millionen deutscher Volksgenossen gesundheitlich überwacht, Schäden rechtzeitig aufgedeckt, gemindert oder beseitigt werden und somit die Gesunderhaltung des deutschen Volkes, seiner Arbeitskraft und ganz besonders seiner Wehrfähigkeit erhalten und tatkräftig gefördert wird.“98

An dieser Stelle vertrat Haebler gleichzeitig klassische ärztliche Werte, solche der öffentlichen Gesundheitsversorgung und neue Werte einer nationalsozialistischen, an Leistung und Wehrfähigkeit orientierten, Gesundheitspolitik. Auch auf der zweiten Tagung der GRU 1937 war Haebler mit einem Vortrag vertreten, der im selben Jahr unter dem Titel „Arbeits- und Berufsfähigkeit urologisch Kranker“ erschien. Wie auch bei anderen Beiträgen der zweiten Tagung der GRU zu beobachten, sind die Formulierungen etwas weniger schrill. Zwar klagte 93 94 95 96 97 98

Haebler, „Urologie und soziale Versicherungsträger“, 834. Ebd., 835. Ebd., 837. Ebd., 838. Ebd., 840. Ebd.

5.4 Bereitstellung rhetorischer Ressourcen

147

der Autor wieder über die „trostlose Zeit der vollkommenen Ohnmacht der damaligen Ärzteschaft gegenüber den Willkürakten und dem Machtdünkel sozialdemokratischer Krankenkassen“99 in der Weimarer Republik, danach ging er jedoch „auf die Frage der Arbeits- und Berufsfähigkeit“ bei urologischen Krankheiten wie „Wanderniere, Steinkrankheit, Nierenbeckenentzündung, Geschwürsblase, Vorsteherdrüsenentzündung sowie […] Gonnorhöe“100 ein. Nur ganz zum Schluss wies er noch einmal auf die Stellung des Arztes im nationalsozialistischen Staat hin: „Der Führer und Reichskanzler hat im Wiederaufbau des deutschen Volkes den deutschen Arzt wieder zum gleichberechtigten und mitbestimmenden Faktor in allen Fragen der Volksgesundheit gemacht und ihm eine seiner Bedeutung entsprechende neue Stellung gegeben, wofür wir deutschen Ärzte verpflichtet sind, ihm durch die Tat zu danken.“101

Hier wurde der Austausch von Ressourcen zwischen Ärzteschaft und politischer Führung expliziert. Im Austausch für eine verbesserte soziale Stellung als „Wächter der Volksgesundheit“ hätten die Ärzte die Pflicht, die NS-Gesundheitspolitik mitzutragen. Der letzte Beitrag Haeblers erschien im ersten Heft des Jahrgangs 1939 unter dem Titel „Urologisch-Kranke beurteilt nach ihrer Leistungsfähigkeit“. Er ging hier auf verschiedene Krankheitsbilder ein, darunter „angeborene[] Mißbildungen“, Parasiten, Nierentuberkulose, „urologische Erkrankungen von Blase, Prostata und Harnröhre“ und Gonorrhö. Besonders beachtenswert sind seine Ausführungen zu: „Verletzungen der Niere und der ableitenden Harnwege […], bei denen es sich entweder um die in Kriegszeiten häufiger vorkommenden Stich-, Schnitt- und Schußverletzungen, also offene Nieren- und Blasenwunden oder um subkutane Nieren-, Harnleiter- und Blasenverletzungen (Quetschungen, Zerreißungen, Sprengungen usw.) ohne äußere Wunde handelt.“102

Unter anderem gab Haebler den Hinweis, dass „wir im Weltkriege als Bataillonsund Regimentsärzte unseren Soldaten eindringlich empfahlen, nämlich kurz vor Beginn eines Gefechtes oder einer Kampfhandlung nach Möglichkeit vollständig Blase und Darm zu entleeren“, um so ein Zerreißen der Organe unter „stumpfer Gewalt oder Geschoßwirkung“103 zu verhindern. Es ist zu erwarten, dass Militärärzten diese Hinweise geläufig waren. Vor diesem Hintergrund kann diese Unterweisung in Militärmedizin bereits als eine Vorbereitung der Leserschaft der Zeitschrift für Urologie auf den kommenden Krieg gedeutet werden, der zwar nicht vor September 1939 begonnen werden sollte, aber bereits zu Beginn des Jahres möglich erschien. Beinahe gebetsmühlenartig schloss Haebler den Artikel mit der Aussage, dass durch eine gute ärztliche Versorgung „nicht abzuschätzende Werte an Arbeitskraft und -fähigkeit, Wehrfähigkeit, also überhaupt an Leistungsfähigkeit innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches wiederhergestellt und erhalten werden.“104 99 100 101 102 103 104

Haebler, „Arbeits- und Berufsfähigkeit urologisch Kranker“, 801. Ebd. Ebd., 807. Haebler, „Urologisch Kanke, beurteilt nach ihrer Leistungsfähigkeit“, 5. Ebd., 6. Ebd., 18.

148

5. Orientierung an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik

Die Rhetorik in Österreich nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich Spätestens mit dem „Anschluss“ 1938 erreichte die nationalsozialistische Rhetorik auch Österreich. Auf der ersten Sitzung der nun wieder unter ihrem alten Namen tagenden Wiener Urologischen Gesellschaft 1939 begrüßte der Vorsitzende Koloman Haslinger (1889–1944) die Anwesenden mit den Worten: „Parteigenossen, Berufskameraden! Ich eröffne die erste Sitzung der ‚Wiener Urologischen Gesellschaft‘ und begrüße Sie herzlich im Großdeutschen Reiche Adolf Hitlers.“105 In seiner folgenden kurzen Zusammenfassung der Großtaten der Wiener Urologen fehlten, anders als in Rubritius’ Vortrag von 1934, die zahlreichen mittlerweile auch in Österreich als „nicht-arisch“ klassifizierten Personen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fachvertretern im Nationalsozialismus ließ Haslinger sie jedoch nicht nur aus, sondern diffamierte sie, indem er bemerkte: „Allmählich schlichen sich in diese [gemeint ist die Wiener] Urologengesellschaft – wie in andere medizinische Gesellschaften Wiens – Praktiken ein, die unserem deutschen Volkswesen fremd waren. Rassenfremde Elemente machten sich breit. Sie stritten in ihrer Art, verdrängten die bodenständigen Kollegen und arbeiteten ausschließlich für ihre geschäftlichen Interessen. Kein Wunder, wenn die arischen Kollegen sich immer mehr und mehr zurückzogen und kein Interesse an der Gesellschaft zeigten. Vor dem vollkommenen Niederbruche unseres Faches kam die befreiende Tat unseres Führers, der Österreich ins Reich heimführte.“106

Neben Forderungen der fachlichen Unabhängigkeit von der Chirurgie und der Nachwuchsgewinnung stellte Haslinger fest: „Die Wiener Urologische Gesellschaft ist ein Bestandteil der ‚Deutschen Gesellschaft für Urologie‘, die in ihrer alten Form wieder aufgerichtet werden soll. Es ist also unsere Pflicht, Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Urologie zu sein.“107

Aus dieser Aussage lässt sich deutlich entnehmen, dass zu diesem Zeitpunkt die Pläne für eine Wiedervereinigung der österreichischen und „reichsdeutschen“ Urologen in einer einzigen Fachgesellschaft bereits bestanden. Wohl auch deshalb tagte die Wiener Urologische Gesellschaft wieder unter diesem Namen und nicht, wie kurze Zeit lang, als Österreichische Urologische Gesellschaft. Der Autor schloss mit einem deutlichen Hinweis auf die Volksgesundheit. Er schrieb: „Meine Berufskameraden, wir leben im nationalsozialistischen Staate und haben diesem Staate gegenüber Verpflichtungen. Der Nationalsozialismus verlangt von uns Ärzten, daß wir den deutschen Volksgenossen als ein wertvolles Mitglied der Volksgemeinschaft betrachten, daß wir ihn nicht bloß mit seinem Leiden sehen, sondern, daß wir ihn auch als Menschen achten, seinen äußeren und inneren Wert kennen und ihn als rassenerhaltendes Element schätzen.“108

Getrübt wird diese Aufforderung zu Menschlichkeit und Mitgefühl einzig durch ihre Einschränkung auf „deutsche Volksgenossen“, während Haslinger gleichzeitig gegen Nationalismus, Rassismus und Diskriminierung keine Einwände erhob. Vor 105 106 107 108

Haslinger, „Ziele und Aufgaben der Wiener Urologischen Gesellschaft“, 304. Ebd., 305. Ebd., 308. Ebd., 309.

5.4 Bereitstellung rhetorischer Ressourcen

149

diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass Hubenstorf Haslinger als „unbestrittene[n] Führer der Wiener Urologie in der NS-Zeit“109 und seinen oben genannten Beitrag als „Schlüsseldokument der nationalsozialistischen Urologie in Österreich“110 charakterisiert hat.

109 Hubenstorf, „Urologie und Nationalsozialismus in Österreich“, 152. 110 Ebd., 153.

6. DIE GESCHICHTE DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR UROLOGIE IN DER UNMITTELBAREN NACHKRIEGSZEIT: KONTINUITÄTEN UND BRÜCHE Die Geschichte der deutschen Urologie in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist zuerst durch Fritz Schultze-Seemann1 und später durch Peter Rathert und Friedrich Moll2 sowie Thorsten Halling3 bearbeitet worden. Im Folgenden soll die Periode von 1945 bis in die 1950er Jahre in den Blick genommen werden, wobei das Jahr 1957 deshalb als Abschlusszeitpunkt der Untersuchung geeignet ist, weil zur Fünfzigjahrfeier des ersten Kongresses der Gesellschaft ein Rückblick auf fünf Jahrzehnte deutschsprachiger Urologie gegeben wurde. Insbesondere Karl Heusch sollte durch seinen Beitrag und seine kontinuierlich herausgehobene Stellung bis zu seinem Tod im Jahr 1986 die Deutungshoheit über die Geschichte der Fachgesellschaft, auch im Nationalsozialismus, behalten.4 Hier soll zunächst auf den Umgang der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) mit ihrer eigenen Geschichte in den Jahren von 1945 bis 1957 eingegangen werden. Dabei werden die Rekonstituierung der DGU 1949, die offizielle Auflösung der Vorkriegsgesellschaft (DGfU) 1955 und der Umgang mit dem Erbe der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen (GRU) in den Nachkriegsjahren thematisiert. Danach wird am Beispiel der Ernennungen der beiden emigrierten Ärzte Leopold Casper und Paul Rosenstein auf das Verhältnis zwischen der DGU und den vertriebenen Kollegen während der 1950er Jahre eingegangen. Zum Abschluss soll anhand der Fünfzigjahrfeier und der bei Festvorträgen dort etablierten Geschichtsdeutung auf die Langlebigkeit von einmal etabliertem institutionellem Geschichtsverständnis eingegangen werden. In allen drei Abschnitten stehen Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen zwischen den drei urologischen Fachgesellschaften der Kaiserzeit und Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und Nachkriegsdeutschlands im Mittelpunkt.5

1 2 3 4 5

Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 116–53. Vgl. Rathert und Moll, „Urologie in Deutschland im Spiegel der Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1907–2007“, 40–3. Vgl. Halling, „Urologie in Ost und West nach 1945 – Kontinuitäten und Brüche“. Vgl. Heusch, „Fünfzig Jahre ‚Deutsche Gesellschaft für Urologie‘“. Dieses Kapitel folgt in wesentlichen Teilen Krischel und Halling, „Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Kontinuitäten und Brüche (1945–1961)“.

6.1 Personelle Kontinuitäten und die Wiedergründung

151

6.1 PERSONELLE KONTINUITÄTEN UND DIE WIEDERGRÜNDUNG DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR UROLOGIE Das Kriegsende bedeutete für die DGU einen institutionellen Neubeginn, der mit auffälligen personellen Kontinuitäten zur GRU verbunden war. Wenige Jahre nach 1945 wurde die wissenschaftliche Arbeit in der Urologie wieder aufgenommen und die Fachgesellschaft wieder formiert. Die Zeitschrift für Urologie, die auf Grund der Kriegseinwirkungen ab Ende 1944 geruht hatte, erschien schon ab 1947 wieder. Bereits im September 1948 kamen die deutschen Urologen unter dem Vorsitz von Hans Boeminghaus in Düsseldorf zu ihrem ersten Nachkriegstreffen zusammen. Der zu dieser Tagung erschienene Verhandlungsbericht lässt kaum Unterschiede zu den bis 1933 und nach 1948 erschienenen erkennen. Einzig in Boeminghausʼ Begrüßung wurde auf nicht näher bestimmte „zeitbedingte Schwierigkeiten“ hingewiesen, sowie darauf, dass „organisatorische Fragen unserer Gesellschaft“ zunächst zurückgestellt werden müssten. Boeminghaus schloss mit den Worten: „Ich erhoffe von dieser ersten Tagung nach dem Kriege, daß sie den Anstoß gibt, an die alte, gute Tradition der Deutschen Gesellschaft für Urologie anzuknüpfen und sie fortzuführen.“6 Diese Formulierung verschleiert einerseits den 1935 durch die auch von Boeminghaus selbst mitgetragene Gründung der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen vollzogenen Traditionsbruch und andererseits die Entrechtung und Vertreibung zahlreicher Fachvertreter nach 1933. Während für viele Urologen ein Anknüpfen an die „alte, gute Tradition“ also gar nicht mehr möglich war, konnten die Funktionäre der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen – so auch der ehemalige SS-Obersturmführer Boeminghaus – nicht nur ihre Karrieren mit lediglich kurzen Unterbrechungen fortsetzen, sondern auch in der wiederbegründeten Deutschen Gesellschaft für Urologie an führenden Stellen wirken. Hierzu ist zu bemerken, dass Boeminghaus als Präsident der dann abgesagten Jahrestagung der GRU im Jahr 1938 in Eisenach und 1943 für einen Lehrstuhl entweder für Urologie oder Chirurgie vorgesehen war.7 Durch seine Präsidentschaft 1951 und die nachträgliche Aufwertung des Treffens von 1948 zum 12. Kongress der DGU ist Boeminghaus auch der einzige zweimalige Kongresspräsident in der gemeinsamen Geschichte von DGfU, GRU und DGU. Einige weitere prominente Urologen waren nach 1945 in Kriegsgefangenschaft gewesen, darunter der ehemalige SS-Oberführer Otto Ringleb (1875–1946) und der ehemalige SS-Sturmbannführer Karl Heusch (1894–1986), beide kamen jedoch nach kurzer Zeit wieder frei. Die Biographien Ringlebs und Boeminghaus’ sind insofern über die Urologie hinaus relevant, als dass beide vor 1933 im „Biographische[n] Lexikon der hervorragende[n] Ärzte der letzten fünfzig Jahre“ von Isidor Fischer vertreten waren und zu den lediglich 24 dort verzeichneten Ärzten zählten, die nach 1933 dem SS-Offizierskorps angehörten, Ringleb sogar als SS-Oberführer, dem höchsten Nichtgeneralsrang der SS.8 6 7 8

Boeminghaus, „Begrüssung durch den Vorsitzenden“. Bundesarchiv Berlin, Brief Max de Crinis an Paul Rostock (15.12.1943), PK 13 DIN A4/AJ Boeminghaus, Hans. Vgl. Voswinckel, Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Nachträge und Ergänzungen (Bde. III–IV). Aba-Kom, XIII.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Während Ringleb, der nach Kriegsende seinen Lehrstuhl an der Charité in Berlin verloren hatte, 1946 starb, kehrten Heusch und auch Boeminghaus beide kurz nach Berlin zurück, um dann aber nach Aachen bzw. Düsseldorf zu gehen und somit die Besatzungszone zu wechseln.9 Da beide aus dem Rheinland stammten, erscheinen persönliche Motive für diese Rückkehr plausibel. Allerdings hat etwa Sabine Schleiermacher darauf hingewiesen, dass die Entnazifizierung in der britischen Zone „weitaus pragmatischer“, d. h. weniger konsequent als in der US-amerikanischen gehandhabt wurde.10 Hinzu kommt, dass Heusch an einem städtischen Krankenhaus und Boeminghaus an einer Privatklinik ihre klinische Arbeit wieder aufnahmen, zunächst aber nicht mehr als Hochschullehrer in Erscheinung traten. Dies trifft auch auf zwei weitere wichtige Protagonisten der deutschen Urologie zwischen 1933 und 1945 zu, Ludwig Kielleuthner (1876–1972) und Eduard Pflaumer (1972–1957), die ihre Positionen als Leiter einer Privatklinik bzw. einer urologischen Klinik an einem städtischen Krankenhaus behielten.11 Zur offiziellen Wiederbegründung der DGU kam es zum nächsten Kongress der Gesellschaft, der 1949 unter der Leitung von Ferdinand May (1898–1978) in München stattfand. May, Schüler sowohl von Lichtenbergs als auch Kielleuthners und nur wenige Jahre jünger als Boeminghaus und Heusch, hatte keine Ämter in der GRU innegehabt. Auch er war allerdings ab 1937 Mitglied der NSDAP gewesen.12 1945 wurde er durch die amerikanische Militärregierung als Chefarzt des Städtischen Urologischen Krankenhauses in München entlassen, 1947 im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft und im Oktober desselben Jahres wieder in seine alte Position eingesetzt.13 Am Tag vor dem eigentlichen Kongressbeginn wurde eine „Gründungssitzung der Deutschen Gesellschaft für Urologie“ einberufen, in der May wiederum an die Tradition der „gemeinsam von deutschen, österreichischen und Schweizer Kollegen gegründet[en]“ alten Deutschen Gesellschaft für Urologie erinnerte. Daraufhin stellte er eine gemeinsam mit Kielleuthner, Boeminghaus und Kurt Tzschirntsch (1897–1957) ausgearbeitete Satzung der DGU vor. Tzschirntsch wurde als erster Schriftführer bestätigt, Johannes Keller (1899–1970) aus Dresden als zweiter Schriftführer14 und Theodor Schultheis aus Marburg (1908–1990) zum Kassenwart gewählt.15 Alle drei hatten an Treffen der GRU teilgenommen, dem damaligen Vorstand aber nicht angehört. Nur wenige Jahre jünger als Heusch und Boeminghaus, bedeutete ihre Wahl auch keinen Generationswechsel, sondern schloss lediglich den schon Mitte der 1930er Jahre eingeleiteten personellen Umbruch ab.

9 10 11 12 13 14 15

Vgl. Krischel, „Karrieren führender Urologen im Nationalsozialismus“. Vgl. Schleiermacher, „Die Universität nach dem Zweiten Weltkrieg: Institutionelle und persönliche Strategien im Umgang mit der Vergangenheit“, 32. Vgl. Krischel, „Karrieren führender Urologen im Nationalsozialismus“. Mitglieds-Nr. 5228306. Vgl. Universitätsarchiv München, Personalakte Ferdinand May, E-II-2413. Vgl. Moll, Schultheiss und Rathert, „Johannes Keller (1899–1970)“. Vgl. May, „Gründungssitzung der Deutschen Gesellschaft für Urologie“.

6.1 Personelle Kontinuitäten und die Wiedergründung

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Im Anschluss an die Gründungssitzung legte Willibald Heyn (1891–1953) eine „Kassenabrechnung der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie“ vor. Darin bemerkte er: „Eine offizielle Liquidierung der ehemaligen Gesellschaft ist niemals erfolgt, zum Teil wohl aus dem Grunde, weil die damaligen Machthaber sich vielleicht doch scheuten, das Vermögen des Vereins, das zu einem sehr erheblichen Teil aus ‚nichtarischen‘ Beiträgen stammte, an sich zu reißen. Praktisch bestand die Gesellschaft jedoch nicht mehr.“16

Heyns Aussage kann als implizite Kritik an der Führungsclique der GRU gedeutet werden, der er nicht angehört hatte. Weitere Indizien dafür sind die deutliche Sympathie, die Paul Rosenstein für ihn ausdrückte, sowie Heyns Versetzung von der III. Chirurgischen Universitätsklinik in Berlin-Moabit, von wo er als „Judenfreund“ vertrieben worden war, an ein städtisches Krankenhaus in Berlin-Lichtenberg. Die Episode zeigt, dass Heyn eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt hatte und dafür berufliche Nachteile hatte hinnehmen müssen.17 Heyn wurde vom Vorsitzenden May beauftragt, gemeinsam mit dem neuen Kassenwart Schultheis das Vermögen auf die DGU zu übertragen. Die neue Gesellschaft hatte offensichtlich keine Scheu, das „nicht-arische Vermögen“ zu übernehmen. Heyn hatte allerdings schon in seinem Bericht erklärt, es sei abzuwarten und „juristisch zu klären, ob die heute gegründete neue Gesellschaft das Vermögen übernehmen kann.“18 Entweder zog sich diese juristische Prüfung über Jahre hin, oder aber die Auflösung der alten Gesellschaft wurde aus bislang nicht nachzuvollziehenden Gründen nicht forciert betrieben. Erst aus dem Verhandlungsbericht des Hamburger Kongresses im Jahr 1955 unter dem Vorsitz von Peter Bischoff (1904–1976) geht hervor, dass die „alte Deutsche Gesellschaft für Urologie“ (DGfU) erst dort aufgelöst bzw. in die Nachkriegs-DGU überführt wurde. Dort heißt es: „Unter Vorsitz des Alterspräsidenten – Professors Dr. Kielleuthner – wurde zunächst die Beschlußfähigkeit der Versammlung der 15 anwesenden Mitglieder festgestellt und als einziger Punkt der Tagesordnung die Auflösung der überalterten Gesellschaft zur Debatte gestellt. Da sich keiner der 15 anwesenden Mitglieder zu Wort meldete, wurde der Antrag auf Auflösung der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie einstimmig angenommen. […].“19

Die Versammlung der Nachkriegs-DGU nahm dann den Antrag Kielleuthners an, „nachdem die bestehende DGfU […] die Nachfolgerin der sogenannten alten DGfU ist“, und beschloss, die alte Gesellschaft aus dem Vereinsregister streichen zu lassen.20 Das mittlerweile in D-Mark umgewandelte Vermögen der alten Gesellschaft, 1.225,37 DM Vereinsvermögen und 653,96 DM der Maximilian-Nitze-Stiftung, wurde als Kapitalgrundlage für den Maximilian-Nitze-Preis der DGU bestimmt.

16 17 18 19 20

Heyn, „Kassenabrechnung der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie“, XVI. Zu Heyn vgl. Laschke, Das Oskar-Ziethen-Krankenhaus, Berlin-Lichtenberg, 179–81. Heyn, „Kassenabrechnung der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie“, XVII. O. A., „Verhandlungsbericht“, 500. Ebd., 501.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Der Vorschlag Bernd Kloses „ob aus diesem Vermögen nicht auch notleidende ehemalige Mitglieder bedacht werden können“ wurde von Bischoff unter Verweis darauf, „daß die Satzung eine solche Verwendung nicht zuläßt“,21 zurückgewiesen. Mit diesen Beschlüssen stellen also u. a. dieselben Personen die DGU in die direkte Tradition der 1907 gegründeten DGfU, die als Initiatoren der GRU für den Traditionsbruch gesorgt hatten. Auch die für die deutsche Nachkriegsgesellschaft charakteristischen starken Verdrängungstendenzen im Umgang mit den während des Nationalsozialismus vertriebenen Kollegen kommen hier zum Ausdruck. Einerseits wurde nicht auf von Lichtenberg als Stifter des Nitze-Preises hingewiesen, andererseits wurde der Hinweis auf „notleidende ehemalige Mitglieder“, also eben diese im Exil lebenden Urologen, kühl mit Hinweis auf die Vereinssatzung abgelehnt. Neben der „von Lichtenberg-Schule“ prägten vor allem die Schüler Otto Ringlebs die Nachkriegsurologie in Deutschland und damit auch den Umgang mit der NS-Zeit. Aus jeder dieser „Schulen“ kamen jeweils fünf Nachkriegspräsidenten: Aus der Ringleb’schen waren dies Boeminghaus (1948, 1951), Heusch (1953), Bischoff (1955) und Zoedler (1975), aus der von Lichtenberg’schen waren dies May (1949), Alken (1961), Dettmar (1965), Büscher (1972) und Arnholdt (1977) (für die Jahre 1948 bis 1957, vgl. Tabelle 7).22 Obwohl der Begriff der „Schule“ in der Medizingeschichte nicht unumstritten ist, stellte und stellt er insbesondere für die chirurgisch arbeitenden Ärzte selbst eine wichtige Bezugskategorie dar.23 Tabelle 7: Kongresse der DGU, 1948–196124

Jahr

Ort

Präsident

XIII. Kongress (1949)

München

Ferdinand May (1898–1978)

XII. Kongress (1948)

XIV. Kongress (1951) XV. Kongress (1953)

XVI. Kongress (1955)

XVII. Kongress (1957)

21 22 23 24

Düsseldorf Düsseldorf Aachen

Hamburg Wien

Hans Boeminghaus (1893–1979) Hans Boeminghaus

Karl Heusch (1894–1986)

Peter Bischoff (1904–1976) Paul Deuticke (1901–1981)

Ebd. Zu den Präsidenten der DGU vgl. Rathert, Brandt und Moll, Urologie mit Herz und Verstand. Zum Begriff der Chirurgenschule vgl. Killian, Meister der Chirurgie und die Chirurgenschulen im gesamten deutschen Sprachraum, 2., neubearbeitete Auflage; für ein Beispiel aus der Geschichtsschreibung der Urologie vgl. Reuter, „Entwicklung der Endourologie“, 170–1. Vgl. Mauermayer und Schultze-Seemann, Deutsche Gesellschaft für Urologie.

6.1 Personelle Kontinuitäten und die Wiedergründung

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Umgang mit den vertriebenen Kollegen Von der rassenideologischen Verfolgung während des Nationalsozialismus waren auch zahlreiche Urologen betroffen, die entrechtet, vertrieben, ermordet oder in den Suizid gedrängt worden waren. Schon in der Begrüßungsrede des Münchener Kongresses 1949 war May auf den Tod seines „verehrten Lehrers Alexander von Lichtenberg“ und damit eines besonders prominenten vertriebenen Mitglieds eingegangen.25 Lichtenbergs Vertreibung sprach er dabei aber nur kurz an: „1937 siedelte von Lichtenberg unter Zwange der politischen Verhältnisse nach Budapest über, um 1939 einer Einladung des mexikanischen Wohlfahrtsministeriums folgend, nach Mexiko auszuwandern.“26 Diese stark verharmlosende Darstellung ist durchaus charakteristisch für die ärztliche Biographik nach 1945.27 Zu Beginn der 1950er Jahre bemühten sich die Vorstände der DGU um die Rehabilitation von Leopold Casper und Paul Rosenstein. Beide gehörten zu jenen prominenten jüdischen Ärzten, die vor 1933 zu den „hervorragende[n] Ärzte[n] der letzten fünfzig Jahre“ in Berlin gezählt hatten und nach 1933 vertrieben worden waren.28 Schon auf der Generalversammlung der DGU 1951 in Düsseldorf unter dem Vorsitz von Boeminghaus war „durch den Vorstand“ vorgeschlagen worden, neben den beiden Schweden Sven Hellerström (1901–1977) und Einar Ljunggren (1896–1986) auch „Herrn Professor Leopold Casper, New York“ zum Ehrenmitglied der Gesellschaft zu ernennen. Im Protokoll ist dazu vermerkt: „Der Vorsitzende gibt dann eine kurze Würdigung dieser Herren und ihrer Verdienste um die Urologie. Gegen die Ernennung dieser Kollegen zu Ehrenmitgliedern erhebt sich auf die Frage des Vorsitzenden kein Widerspruch. […] An Herrn Professor Casper, New York, geht ein entsprechendes Schreiben ab.“ Im nächsten Tagesordnungspunkt wurde Heusch zum Vorsitzenden für den nächsten Kongress in Aachen 1953 gewählt.29 Ihm oblag es somit den ehemaligen Mitgliedern Leopold Casper30 (vgl. Abbildung 28) und Paul Rosenstein (vgl. Abbildung 31) die Ehrenmitgliedschaft anzutragen.31 Wer aus dem Vorstand die Initiative zu diesen Ehrungen ergriff, ist ungeklärt. Paul Rosenstein nannte ausdrücklich Willibald Heyn als seinen Fürsprecher. Heusch wiederum ließ sich mit dem Absenden der Schreiben offenbar Zeit, denn die Antworten Caspers und Rosensteins stammen erst aus dem März bzw. Oktober 1953.

25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Alexander von Lichtenberg 1880–1949“. May, „Begrüssung durch den Vorsitzenden“, 3. Vgl. Voswinckel, „Damnatio memoriae: Kanonisierung, Willkür und Fälschung in der ärztlichen Biographik“, 263–6. Vgl. Voswinckel, Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Nachträge und Ergänzungen (Bde. III–IV). Aba-Kom. Vgl. o. A., „Generalverammlung“, 387. Vgl. Moll, Rathert und Fangerau, „Urologie und Nationalsozialismus am Beispiel von Leopold Casper (1859–1959)“. Vgl. Moll u. a., „Urologie und Nationalsozialismus: Paul Rosenstein 1875–1964 – zerrissene Biographie eines jüdischern Urologen“.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Abbildung 28: Leopold Casper, ca. 1920er Jahre, aus dem Privatbesitz M. Krischel

Die Antworten der beiden vertriebenen Ärzte waren unterschiedlich kritisch. Casper, zu diesem Zeitpunkt bereits 94 Jahre alt, sprach seine „dankbare Bewunderung“ aus „über das kritische Verständnis, die Fortschritte der vorbildlich kühnen Operationstechnik[,] die Errungenschaften der Untersuchungsmethoden, die aus den Artikeln hervorgehen“, ohne dabei die eigene Vertreibung und Entrechtung anzusprechen (vgl. Abbildung 29). Schon in seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Autobiographie Skizzen aus der Vergangenheit war er auf Jugend und Ausbildung in Berlin eingegangen, hatte die Arbeit und auch den Prozess der Emigration und des Fußfassens in der neuen Heimat detailliert beschrieben, war jedoch mit persönlicher Kritik an den ehemaligen Kollegen sparsam geblieben.32 Paul Rosenstein hingegen setzte sich mit der Vergangenheit und seinen ehemaligen Kollegen deutlich differenzierter auseinander (vgl. Abbildung 30). In seinem Antwortschreiben an Heusch schrieb er über die Ernennung zum Ehrenmitglied der DGU: „Sie werden es mir nachempfinden, wenn mich die Rehabilitation in so wuerdiger Form besonders bewegt hat: konnte ich es doch nie verwinden, dass man mich im Jahre 33 von meinem Posten als Vorsitzender der Berliner Urologischen Gesellschaft so brutal entfernt hat.“ 32

Vgl. Casper, Skizzen aus der Vergangenheit.

6.1 Personelle Kontinuitäten und die Wiedergründung

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Nach einer Würdigung seines langjährigen Freundes Willibald Heyns fuhr Rosenstein fort: „Aber ich sehe, die Tendenz zum Vergessen des Geschehenen ist bei so vielen anderen vorhanden, worunter ich auch Sie, sehr verehrter Herr College, rechnen moechte. Heyn hat mir Kenntnis von Ihrer Haltung gegeben; sie hat mich mit grossem Dankesgefühl erfuellt. Ich entsinne mich Ihrer noch durchaus und wuensche Ihnen einen verdienten Fortschritt und Anerkennung Ihrer wissenschaftlichen Arbeiten.“33

Aus dem Schreiben geht nicht hervor, was mit Heuschs „Haltung“ gemeint war. Es bleibt unklar, ob damit seine Zustimmung zur Ernennung Rosensteins zum Ehrenmitglied oder das Heyn gegenüber geäußerte Bedauern über die Vertreibung der „nicht-arischen“ Ärzte in den 1930er Jahren gemeint war. In seiner ein Jahr darauf erschienenen Autobiographie Narben bleiben Zurück setzte Rosenstein sich ebenso differenziert und gelegentlich kritisch mit den ehemaligen Kollegen auseinander. So schrieb er dort etwa über den Verlust der Position als Vorsitzender der Berliner Urologischen Gesellschaft: „Ich hatte als Vorsitzender der Urologischen Gesellschaft kaum mein Amt zur Verfügung gestellt – schon wartete ein Ehrgeizling und Liebediener darauf, das jüdische Erbe anzutreten, indem er sich eifrig zu den Geboten Hitlers bekannte.“34

Während er sich mit dem Verhalten vieler Ärzte nach 1933 also durchaus kritisch auseinandersetzte, berichtete er von einer Deutschlandreise 1951 positiv. Die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft durch die DGU beschrieb er als angemessene Rehabilitation: „Auch in den wissenschaftlichen Gesellschaften hat sich erfreulicherweise wieder die alte kollegiale und achtungsvolle Haltung gegenüber den ‚Nichtariern‘ durchgesetzt.

Ich habe dies im Jahre 1953 mit größter innerer Befriedigung erfahren. Der in Aachen tagende Kongreß der ‚Deutschen Gesellschaft für Urologie‘ hat mich […] für meine ‚hervorragenden Verdienste um die Urologische Wissenschaft zu ihrem Ehrenmitglied ernannt‘. Die schöne Geste der Rehabilitierung […] bedeutet für mich viel mehr als eine einfache Ehrung. Sie macht mich besonders stolz, da wohl kaum vorher einem jüdischen Mitglied diese Würdigung zuteil wurde. […] Ich hoffe, daß die kommenden Jahre die wissenschaftliche Ächtung seit 1933 vergessen lassen werden.“35

Diese „schöne Geste der Rehabilitierung“ blieb allerdings auf Rosenstein und Casper beschränkt. Auch retrospektive Würdigungen jüdischer Kollegen wie bei von Lichtenberg blieben zunächst Ausnahmen. Abgesehen vom Status der Prominenz war das Überleben an sich Vorrausetzung, damit der nationalsozialistischen Vertreibung nach 1945 nicht ein Vergessen oder auch eine Verleugnung folgte. Zu diesen im fachkulturellen Gedächtnis weitgehend vergessenen deutschen Urologen gehören die nach 1933 aus ihren Ämtern gedrängten Vorstandsmitglieder der DGfU, Arthur Lewin und Alfred Rothschild. 33 34 35

Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Brief Paul Rosensteins an Karl Heusch (13.10.1953), Akte Heusch, (ohne Signatur). Rosenstein, Narben bleiben zurück, 266. Ebd., 273.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Abbildung 29: Brief Leopold Caspers an Karl Heusch (2.3.1953), Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

Die Überlebenden Casper und Rosenstein wurden seit dem Verhandlungsbericht zum Aachener Kongress 1953 als Ehrenmitglieder der DGU geführt. Gleichzeitig wurden auch alle bis dahin verstorbenen, ehemaligen Ehrenmitglieder der DGfU als Ehrenmitglieder der DGU aufgelistet (jedoch nicht zur Summe der Mitglieder der DGU dazugerechnet). Dies betraf gleichermaßen im Nationalsozialismus verfolgte wie nichtverfolgte, deutsche, österreichische und ausländische Mitglieder.

6.1 Personelle Kontinuitäten und die Wiedergründung

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Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Brief Leopold Caspers an Karl Heusch (2.3.1953), Akte Karl Heusch, (ohne Signatur); Transkript: März 2/53 Sehr geehrter Herr College Den Verhandlungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Urologie, für deren Übersendung ich bestens danke, haben mir grosse Freude bereitet. Ich habe sie mit steigendem Interesse gelesen und kann nur meine dankbare Bewunderung aussprechen über das kritische Verständnis, die Fortschritte der vorbildlich kühnen Operationstechnik die Errungenschaften der Untersuchungsmethoden, die aus den Artikeln hervorleuchten. Dass ich in meinem Alter nicht mehr mittun kann, hindert nicht meine Anteilnahme. Meine Äusserungen dürfen Sie bekannt geben, wenn einige Mitglieder sie zu wissen wünschen. Mit dem Wunsch Ihres Wohlergehens und den besten Grüssen Ihr ergebener Leopold Casper.

Bei der Erstellung der Liste machte man sich offenbar nicht die Mühe, die letzten Adressen der mittlerweile verstorbenen, vertriebenen Kollegen zu ermitteln oder zu vermerken. So ist für Viktor Blum (1877–1954),36 der im Jahr vor der Drucklegung in Chicago gestorben war, die Adresse „Wien VIII, Alserstr. 43“ gelistet, für den 1949 in Mexiko gestorbenen Alexander von Lichtenberg findet sich „Berlin“. Diese beiden Adressen sind gleichlautend mit denen von der Mitgliederliste des Verhandlungsberichts zum Kongress 1929 in München (vgl. Anhang 1 und 2). Die Gründe für die Wiederaufnahme aller Ehrenmitglieder der DGfU in die Liste der Ehrenmitglieder der DGU sind wohl hauptsächlich darin zu finden, dass die Nachkriegsgesellschaft eine Traditionslinie zur 1906 gegründeten Gesellschaft betonen wollte.

36

Vgl. Butta-Bieck, „‚Juden sind nicht erwünscht‘ – Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich“.

160

6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Abbildung 30: Brief Paul Rosensteins an Karl Heusch (13.10.1953), Archiv der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Düsseldorf, mit freundlicher Genehmigung

6.2 Fortschreitende Professionalisierung der deutschen Urologie in der Nachkriegszeit 161

Abbildung 31: Paul Rosenstein (Mitte) mit seinen Mitarbeitern am Jüdischen Krankenhaus Berlin (frühe 1930er Jahre)37

6.2 FORTSCHREITENDE PROFESSIONALISIERUNG DER DEUTSCHEN UROLOGIE IN DER NACHKRIEGSZEIT Kontinuität pflegte die neue Gesellschaft auch im bereits seit der Jahrhundertwende geführten Kampf um die Anerkennung der Urologie als selbstständiges Fach, auf den oben bereits hingewiesen wurde. Durch die mit der Entlassung Ringlebs im Jahr 1945 verbundene Aufhebung des bis dahin ersten und einzigen deutschen Lehrstuhls für Urologie an der Charité in Berlin waren diese Bestrebungen zurückgeworfen worden, zudem leisteten die Chirurgen weiterhin Widerstand gegen eine Fachverselbstständigung der Urologie. Im Jahr 1950 hatte die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie ein Schreiben an ihre Fachvertreter an den Universitäten versandt, in dem sie den Ordinarien nahelegte, keinen Habilitationen nur für Urologie, sondern nur für „Chirurgie und Urologie“ zuzustimmen. Als Antwort formulierte Tzschirntsch ein neunseitiges Schreiben an die Kultusminister der Länder, die Fakultäten der medizinischen Hochschulen, die Facharztausschüsse der Ärztekammern und das Präsidium des Deutschen Ärztetages, in dem er, ganz ähnlich den entsprechenden Äußerungen von DGU-Funktionären in den 1930er Jahren, die Argumente für ein eigenständiges Fach Urologie darlegte.38 37 38

Reproduziert aus Doetinchem und Winau, Zerstörte Fortschritte. Reproduziert in Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 124–32.

162

6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Mitte der 1950er Jahre waren zwar noch keine Lehrstühle in der Bundesrepublik geschaffen worden, aber seit 1947 hatte Ferdinand Hüdepohl (1902–1980) einen Lehrauftrag an der Ostberliner Humboldt-Universität, 1951 erhielt er ein Extraordinariat39 und ab 1955 waren die Vorlesungen in Urologie dort verpflichtend. Trotz seiner Mitgliedschaft in der SS blieb er bis 1960 Professor an der Berliner Universität.40 Dann wechselte er an das Westberliner Franziskus-Krankenhaus.41 An der Universität des Saarlandes, damals noch unter französischer Verwaltung, existierte seit 1952 ein Lehrstuhl für Urologie, der von Carl-Erich Alken (1909–1986) besetzt wurde.42 In ihren Grußworten auf dem DGU-Kongress 1957 äußerten sich Richard Bieling (1888–1967), Ordinarius für Hygiene und Dekan der medizinischen Fakultät der Wiener Universität, sowie Hubert Kunz (1895–1979) als Vertreter des Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zum Verhältnis von Urologie und Chirurgie. Bieling bemerkte dabei: „[B]ei der Urologie, die sich ja zuerst einmal von der Chirurgie ableitet, sieht man wiederum, daß der jüngere Sproß eines stattlichen Stammes keineswegs Teil desselben bleibt, sondern sich harmonisch ausbildet zu einem selbständigen, eigenlebendigen Organismus.“43

Neben der chirurgischen Seite stellte er auch die Röntgendiagnostik und die Endoskopie als zunehmend wichtige Teile der Urologie heraus. Kunz überbrachte der DGU im Namen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die „besten Glückwünsche“ und fuhr fort: „Die großen Fortschritte, die die Urologie in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, beweisen es zur Genüge, daß die Gründung Ihrer Gesellschaft vor 50 Jahren ein sehr glücklicher und fruchtbringender Gedanke war. Wenn heute die Urologie, das legitime Kind der Chirurgie, ein selbständiges Fach mit vollem Recht geworden ist, so darf die Mutter, die Chirurgie, mit Stolz auf diese erfolgreiche Entwicklung ihres Sprößlings blicken und mit Freude und Befriedigung feststellen, daß die Verbindung zu diesem Kind noch eine sehr innige ist und hoffentlich auch in Zukunft bleiben wird.“44

Einerseits beharrten beide auf der Position der Chirurgen, die Urologie als „Kind der Chirurgie“ zu verstehen, anderseits sprach Kunz von der Urologie als „selbständige[m] Fach mit vollem Recht“, was als ein Indikator für ein Umdenken in der Frage der Habilitation verstanden werden kann. Tatsächlich sollte bereits im folgenden Jahr das erste planmäßige Extraordinariat für Urologie in der Bundesrepublik in München geschaffen und mit Ferdinand May besetzt werden. Zu diesem

39 40 41 42 43 44

Vgl. Konert, „Von einer Familientradition zum anerkannten Spezialfach“, 224. Vgl. Wenske, „Die Herausbildung urologischer Krankenabteilungen in Berlin“, 46, 61, 127–8. Zum Umgang mit nationalsozialistisch belasteten Medizinern in der DDR vgl. Ernst, Die beste Prophylaxe ist der Sozialismus. Vgl. Steudel und Armbruster, „‚Ich habe mein Leben für die Urologie verbracht‘ Carl-Erich Alken – Pionier der Urologie in Deutschland“; sowie Lutzeyer, „Entwicklung der deutschen Urologie an den Universitäten“. Bieling, „Begrüßungsansprache“. Kunz, „Begrüßungsansprache“.

6.3 Geschichtsschreibung der Urologie in Deutschland

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Zweck wurde die bereits bestehende städtische Klinik der medizinischen Fakultät zugeschlagen.45 6.3 GESCHICHTSSCHREIBUNG DER UROLOGIE IN DEUTSCHLAND In diesem Abschnitt soll die – in vielen Fällen von Ärzten selbst verfasste – Geschichtsschreibung der Urologie im Nationalsozialismus thematisiert werden. Entscheidend war dabei die Etablierung eines Geschichtsverständnisses auf der Fünfzigjahrfeier der Fachgesellschaft 1957, welches bis in die 1980er Jahre wirkmächtig bleiben sollte. Mit der Bearbeitung der Geschichte der Medizin im „Dritten Reich“ ab dieser Dekade begann die DGU langsam, sich kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Selbsthistorisierung auf der Fünfzigjahrfeier der DGU 1957 Der Kongress von 1957 tagte unter der Leitung von Paul Deuticke (1901–1981) in Wien. Dort hatte 50 Jahre zuvor auch der erste Kongress der DGfU stattgefunden. Zur Eröffnungssitzung sprachen zahlreiche Honoratioren, darunter Vertreter der österreichischen, Schweizer, internationalen, amerikanischen, argentinischen, tschechoslowakischen, griechischen, italienischen, japanischen, jugoslawischen, polnischen und schwedischen Gesellschaften für Urologie.46 Dies deutet auf die schon wieder recht gute Einbindung der deutschen Urologie in das internationale Wissenschaftsgeschehen nur zwölf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hin. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu bemerken, welche Staaten nicht vertreten waren: Weder französische noch sowjetische Urologen überbrachten offizielle Grußworte, die British Association of Urologic Surgeons (BAUS), selbst erst 1945 gegründet, sandte keinen Vertreter der Gesellschaft. Ihr Gründungsmitglied Clifford Morson (1881–1975) war als Präsident der Société Internationale dʼUrologie zwar anwesend, überbrachte jedoch nur in deren Namen, nicht für die BAUS, Grüße. Als Vertreter der American Urologic Association (AUA) trat der ehemalige Präsident der Sociedad Argentina de Urología (SAU), Alberto Garcia (1906–1981) auf, der gleichzeitig die argentinische Gesellschaft vertrat. Somit waren 2 der 4 Besatzungsmächte der Veranstaltung ganz ferngeblieben, 2 waren nur indirekt vertreten. Bei den Repräsentanten der ausländischen Gesellschaften zeigten sich auch gewisse bekannte Gesichter: Der zweite Repräsentant der argentinischen Fachgesellschaft Ricardo Ercole (1905–1989) hatte auf der zweiten Tagung der GRU 1937 in Eisenach eine an Maximilian Nitze erinnernde und von der SAU gestiftete Gedenktafel übergeben. Ein von Karl Heusch auf dem Wiener Kongress der DGU gehaltener Vortrag zur Geschichte der Urologie zwischen 1907 und 1957 verrät einiges über das Ge45 46

Vgl. Boehm und Spörl, Die Ludwig-Maximillians-Universität in ihren Fakultäten, 246. Vgl. o. A., Zeitschrift für Urologie, Sonderband, Verhandlungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Urologie vom 2. bis 7. September 1957 in Wien, 3–13.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

schichtsverständnis seines Autors und sollte für das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft bis in die 1980er Jahre hinein prägend wirken. An dieser Stelle ließ Heusch, der sich selbst als „Official-Chronist“ der DGU bezeichnete, jedoch vieles unerwähnt. Weder ging er auf die Entrechtung und Vertreibung eines Drittels der Urologen in Deutschland nach 1933 ein, noch erwähnte er, dass er selbst bereits vor der „Machtverschiebung“ Anhänger der Nationalsozialisten gewesen war.47 Insbesondere die Formulierung „Ringleb wurde von Oben her zum ‚Obmann‘ der Urologie im Reich bestimmt“ ist problematisch, denn sie lässt die Gleichschaltung der DGfU als einen rein von außen veranlassten Akt erscheinen. Bisher hat sich aus den Quellen nicht klären lassen, ob es so einen Impuls aus der Staats- oder Parteibürokratie gegeben hatte. Es scheint eher so, als hätten die parteitreuen Ärzte auch in der Urologie aktiv die neue politische Lage genutzt, um schnell in die Führungspositionen ihres Faches einzurücken. Auch Heuschs Behauptung, die „Maske der ‚Gesellschaft reichsdeutscher Urologen‘“ habe „die Behörden über das Weiterleben der schlummernden alten Gesellschaft“ hinweggetäuscht, muss kritisch hinterfragt werden. Aus den Akten des Vereinsregisters geht hervor, dass das Amtsgericht Berlin, wo die DGfU eingetragen war, im April 1933,48 im März 193549 und im März 193850 bei der Geschäftsstelle der Gesellschaft, der Hirschwaldschen Buchhandlung in Berlin, über den Status der Gesellschaft Anfragen stellte. Die Vertreibung des Schriftführers Arthur Lewin (1866–1939) und des Kassenwarts Alfred Rothschild (1866–1942) geschah nach der ersten Anfrage und war dem Amtsgericht im Oktober 1934 berichtet worden.51 Jedoch hörten die Anfragen nach der Ernennung von „arischen“ Vorstandsmitgliedern nicht auf. In diesem Fall kann berechtigt von „vorauseilendem Gehorsam“ gesprochen werden, zumal klar ist, dass Ringleb, wie Heusch, in den 1930er Jahren ein überzeugter Nationalsozialist war.52 Zu den Nachkriegsaktivitäten der DGU bemerkte Heusch: „1948 konnte Herr Boeminghaus endlich zum XII. Kongreß in Düsseldorf den ihm neben Rubritius schon seit 1938 zustehenden Präsidentenstuhl einnehmen.“ Hier wurde zum einen die Kontinuität zwischen GRU und DGU betont, da Boeminghaus 1938 kurzzeitig als Präsident des dritten Kongresses der GRU vorgesehen war, gleichzeitig etablierte Heusch hier die fortlaufende Zählung der Kongresse seit 1907 einschließlich der ursprünglich als 1. und 2. Kongress der Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen“ in Eisenach abgehaltenen Kongresse als 10. Und 11. Kongress der DGU. Ab dem Jahr 1961 sollten die Verhandlungsberichte in ihren Titeln diese Zählweise 47 48 49 50 51 52

Kühl, Leitende Aachener Klinikärzte und ihre Rolle im „Dritten Reich“, 109–14. Vgl. Landesarchiv Berlin, Brief der DGfU an das Amtsgericht Mitte (6.5.1933), B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 42. Landesarchiv Berlin, vgl. Brief der DGfU an das Amtsgericht Charlottenburg (25.3.1935), B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 49. Landesarchiv Berlin, vgl. Brief der DGfU an das Amtsgericht Charlottenburg (5.4.1938), B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 51. Landesarchiv Berlin, vgl. Brief der DGfU an das Amtsgericht Charlottenburg (27.10.1934), B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 45. Vgl. Krischel u. a., „Forschungsperspektiven zur Geschichte der Urologie in Deutschland, 1933–1945“.

6.3 Geschichtsschreibung der Urologie in Deutschland

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Abbildung 32: Allegorische Darstellung der deutschen Urologie53

offiziell machen.54 Besonders eindrucksvoll wird Heuschs Geschichtsverständnis durch ein Bild illustriert, das die deutsche Urologie als einen Baum darstellt, an dem die Kongresse und Veröffentlichungen der Gesellschaft als Blätter und Früchte wachsen. Die Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen stellte er dort als einen Ast an diesem Baum dar. Zur offiziellen Auflösung der Vorkriegs-DGU bemerkte Heusch: „Die alte, wiedererweckte ‚Deutsche Gesellschaft für Urologie‘ erwies sich ‚de jure‘ nicht mehr als lebensberechtigt; auf dem Hamburger Kongreß 1955 wurde sie in einer Sonder-Sitzung der alten Mitglieder unter Herrn Kielleuthners Alterspräsidium ehrenvoll und satzungsgerecht für tot erklärt. ‚De facto‘ lebte und lebt sie, wie eh und je, als ‚Ruhende‘ oder als ‚Maske‘: Heute aber im Prachtgewand der Jubilarin.“55 53 54 55

Heusch, „Fünfzig Jahre ‚Deutsche Gesellschaft für Urologie‘“, 20. Vgl. H. Dettmar, Zeitschrift für Urologie, Sonderband, Verhandlungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 19. Tagung vom 4. bis 6. September 1961 in Köln. Ebd., 19.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Er schloss mit recht allgemein gehaltener Kritik an der jüngeren Vergangenheit und Zuversicht für die Zukunft: „Der Ungeist nationalistischer Irrungen und kriegerischer Wirrungen konnte den im Erdreich der übernationalen wissenschaftlichen Ideen gesäten, gehegten und erstarkten Baum arg schütteln – auch einige Früchte vorzeitig zu Fall bringen: Entwurzeln konnte er ihn nicht!“56

Zwar waren die Beiträge jüdischer und jüdischstämmiger Urologen zur Entwicklung ihres Faches im Nationalsozialismus heruntergespielt und häufig gänzlich verschwiegen worden, Heusch nannte sie jedoch in seinem Festvortrag. Vor dem Hintergrund des großen Anteils dieser zwischen 1933 und 1945 verfolgten Mediziner an der Etablierung des Faches in den beiden „Hauptstädten der Urologie“ Wien und Berlin, sowie ihrer Repräsentation im Vorstand der DGfU und dem Herausgebergremium der Zeitschrift für Urologie konnten sie in einem Rückblick auf die institutionelle Geschichte des Faches allerdings auch kaum verschwiegen werden. Das an den Kollegen verübte Unrecht wurde allerdings ebenso wenig thematisiert wie die Beiträge der Urologie zur Sterilisationsforschung und -praxis. Geschichtsschreibung der DGU in der Bundesrepublik Den Umgang der Mitglieder der Nachkriegs-DGU mit der Geschichte ihrer Fachgesellschaft im Nationalsozialismus haben Rathert und Moll treffend als „Verdrängen und Vergessen“57 bezeichnet. Eine Aufarbeitung wurde durch die starken personellen und institutionellen Traditionslinien zwischen der GRU und der DGU erschwert. Nach 1945 gehörten dieselben Männer der Führung der DGU an, die auch in den 1930er Jahren die Geschicke der Fachgesellschaft bestimmt und zu großen Teilen der NSDAP angehört hatten. Dies ist ein für die gesamte deutsche Ärzteschaft typisches Phänomen.58 Eine Würdigung einiger weniger, prominenter Mitglieder der DGfU unter den Vertriebenen wie Alexander von Lichtenberg, Leopold Casper und Paul Rosenstein fand ab den 1950er Jahren statt. Auf die Ermordung und die Suizide vieler Urologen wurde hingegen ebenso wenig eingegangen wie auf die schwierigen Umstände, unter denen Emigrationen stattgefunden hatten. Obwohl die Ausreisen und Versuche, neue Existenzen aufzubauen, auch in den Fällen der drei genannten Fachvertreter nicht einfach gewesen waren, erging es ihnen wahrscheinlich trotzdem besser als vielen ihrer ehemals in Deutschland niedergelassenen Kollegen. Es muss angenommen werden, dass die selektiven Informationen über die relativ erfolgreichen Migranten dazu führten, ein zu positives Bild der Emigrantenschicksale zu zeichnen.59 Insgesamt fügen sich diese Befunde nahtlos ein in eine teilweise bis heute 56 57 58 59

Ebd., 21. Rathert und Moll, „Urologie in Deutschland im Spiegel der Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1907–2007“, 40. Vgl. Sachs u. a., Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, 1933–1945. Vgl. dazu Bellmann, „Lebenswege der jüdischen Urologen während der Zeit des Nationalsozialismus“.

6.3 Geschichtsschreibung der Urologie in Deutschland

167

festzustellende Verleugnung oder zumindest Vernachlässigung jüdischen Leids und die Fortführung der nationalsozialistischen „Damnatio memoriae“ jüdischen Lebens in Deutschland.60 Die zur Fünfzigjahrfeier der DGU durch ihren „Official-Chronisten“ Heusch etablierte Geschichtsinterpretation wurde bis in die 1980er Jahre hinein kaum hinterfragt, und bis heute sind die beiden „reichsdeutschen“ Kongresse Teil der fortlaufenden Zählung der Kongresse der DGU. Es kann als Verdienst des ehemaligen Archivars der DGU Fritz Schultze-Seemann gelten, das Thema erstmals vorsichtig in dem 1979 veröffentlichten Band der Eröffnungsreden der Präsidenten problematisiert zu haben. In dem gemeinsam mit Wolfgang Mauermeyer verfassten Geleitwort schrieb er: „Die Tradition unserer Gesellschaft mußte in den Jahren zwischen 1933 bis zum Kriegsende aus vorwiegend politischen Gründen unterbrochen werden. Statt dessen hat sich die ‚Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen‘ konstituiert, die einmal 1936 und einmal 1937 in Eisenach tagte. […] Nach reiflicher Überlegung haben wir uns aus medizinhistorischen Gründen entschlossen, auch diese Reden ungekürzt und ‚unbereinigt‘ zu veröffentlichen.“61

Vor dem Hintergrund, dass die Reden, besonders die Ringlebs, aber auch die Pflaumers, über die Nähe der GRU zur nationalsozialistischen Ideologie keinen Zweifel lassen, war diese Entscheidung Ende der 1970er Jahre eine mutige, denn sie gab allen an der Thematik Interessierten Zugriff auf sonst schwer zugängliche Primärquellen. Trotzdem relativierten Schultze-Seemann und Mauermeyer im nächsten Absatz die Reden: „Man könnte die dort zum Ausdruck kommende Verneigung vor dem ‚Führer‘ als Zeichen von Unterwürfigkeit, Kritiklosigkeit und Liebedienerei deuten, wenn man sie aus dem Wissen unserer Tage retrospektiv mit erhobenem Zeigefinger betrachtet. Man sollte aber bedenken, daß ein Überleben unserer Gesellschaft in einer Diktatur nur so möglich war, da bis 1933 viele führende Urologen jüdischen Glaubens waren.“62

Hier ebenso wie im Kapitel „Die Zeit von 1933 bis 1945“ in der von SchultzeSeemann verfassten Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie63 ist der ambivalente Umgang mit der NS-Zeit zu beobachten, bei dem bereits ein Anerkennen von geschehenem Unrecht erfolgte, jedoch eine Schuldzuweisung an die handelnden Akteure noch weitgehend vermieden wurde. Im Vorwort des Bandes nannte Schultze-Seemann den Ringleb-Schüler Karl Heusch und den von LichtenbergSchüler Ferdinand May als seine beiden akademischen Lehrer. Somit vereinte er das Erbe der beiden großen Schulen der deutschen Urologie, die ihre Wurzeln in den 1920er Jahren haben. Er ist deutlich beeinflusst durch Heuschs Deutung der Geschichte, jedoch steht dessen Tod kurz vor Drucklegung des Bandes beinahe symbolisch für den mittlerweile erfolgten Generationswechsel in der deutschen 60 61 62 63

Vgl. Voswinckel, „Damnatio memoriae: Kanonisierung, Willkür und Fälschung in der ärztlichen Biographik“, 249–70. Mauermayer und Schultze-Seemann, Deutsche Gesellschaft für Urologie, V. Ebd. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 91– 115.

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6. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie

Urologie. Alle persönlich betroffenen Personen waren mittlerweile gestorben. Weitere 20 Jahre später konnte die DGU in dem Band zu ihrer Hundertjahrfeier sich deutlich zu begangenem Unrecht bekennen.64 Aus diesem Bewusstsein entstand das dezidiert auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft im Nationalsozialismus abzielende Forschungsprojekt, dessen Zwischenergebnisse 2011 erschienen sind,65 und zu dem auch die vorliegende Arbeit gerechnet werden kann. Die für die Nachkriegszeit skizzierte Verflechtung der Urologie in beiden deutschen Staaten, eröffnet weitere Perspektiven für personelle, institutionelle und intellektuelle Kontinuitäten und Brüche für die Zeit nach 1945.

64 65

Vgl. Arbeitskreis Geschichte der Urologie, Urologie in Deutschland. Vgl. Krischel u. a., Urologen im Nationalsozialismus. Band 1: Zwischen Anpassung und Vertreibung; sowie Krischel u. a., Urologen im Nationalsozialismus. Band 2: Biografien und Materialien.

7. DISKUSSION In diesem Kapitel werde ich die Ergebnisse meiner Arbeit mit Bezug auf die leitenden Fragestellungen diskutieren. Dabei werde ich zuerst zeigen, dass zur Analyse der Urologie im Nationalsozialismus berechtigt von Medizin und Politik als Ressourcen füreinander gesprochen werden kann und dieses Analysemuster anderen Ansätzen vorzuziehen ist. Danach werde ich darlegen, dass es für urologisch tätige Ärzte durchaus ein breites Spektrum an Handlungsoptionen gab, sich der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik gegenüber zu verhalten, die jedoch von der Mehrheit zuungunsten von Patienten und rassistisch oder politisch verfolgten Kollegen ausgenutzt wurde. Zur Beurteilung des Verhältnisses von Medizin und Politik stehen verschiedene Analysemuster zur Verfügung, welche etwa aus der politischen oder Wissenschaftsgeschichte übernommen und auf die Medizin angewendet werden können. Bereits vor Mitchell Ashs Analyse von Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander1 hat der britische Historiker Timothy Mason ein System von „Angst, Belohnung, Zucht und Ordnung“ insbesondere zur Disziplinierung und Mobilisierung der Arbeiterklasse im „Dritten Reich“ beschrieben. In seinem aus dem Jahr 1982 stammenden Beitrag hat der Autor bereits darauf hingewiesen, dass das nationalsozialistische Regime vier Hauptkontrollinstrumente einsetzte: die „Unterwerfung durch terroristische Repression“, die „Bereitwilligkeit des Regimes, bei Unzufriedenheit und Unruhen Konzessionen zu machen“, die „Neutralisierung von Widerstandspotential durch Spaltung“ und „die Integration der Klasse in das Herrschaftssystem.“ Dabei hat er besonders betont, dass diese „vier Kategorien von Zwang, Lähmung, Bestechung und Befriedung zwischen 1933 und 1945 fast immer gleichzeitig angewandt“2 und durch dieses Zusammenwirken besonders wirksam wurden. Obwohl Masons Studie sich ausdrücklich auf die Arbeiterklasse bezieht und seine Analysen spezifisch diese betreffen, ist seine Betonung eines Systems von Bedrohungen und Anreizen ein guter Hinweis auf die generelle Gestalt des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Besonders seine Deutung von „materiellen Konzessionen“ als „makroökonomische Bestechung“, die insbesondere „in dem Zeitabschnitt, in dem [das nationalsozialistische Regime] am stärksten gefährdet war: in den Jahren der Vollbeschäftigung vor dem Krieg und während des ‚Sitzkrieges‘“3 eingesetzt wurden, bietet einen wichtigen Referenzpunkt. Die Neugestaltung des Verhältnisses von Krankenkassen und Ärzteschaft und die Einführung der Reichsärzteordnung4 können als eine solche makroökonomische Bestechung der Ärzte1 2 3 4

Ash, „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“. Mason, „Die Bändigung der Arbeiterklasse im nationalsozialistischen Deutschland“, 18. Ebd., 24. Vgl. Rüther, „‚Zucht und Ordnung in den eigenen Reihen‘ – Die Reichsärzteordnung vom 13. Dezember 1935 und ihre Auswirkungen auf die ärztliche Standespolitik (Teil I: Entstehung)“; Rüther, „Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933–1945“.

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7. Diskussion

schaft gedeutet werden, die, ebenso wie viele der Zugeständnisse an die Urologen, in den Vorkriegsjahren erfolgte und so dem Regime die Anhängerschaft der Ärzte sichern sollte. Während Mason die Präsenz von „mit Pöstchen und Uniform“ ausgestatteten Nationalsozialisten unter den Arbeitern als einen Faktor interpretiert hat, der zu einer Spaltung der Klasse beitrug und „zumindest potentiell eine Bedrohung für ihre weniger opportunistischen und weniger leichtgläubigen Kollegen“5 bedeutete, scheint die Sache in der Medizin etwas anders zu liegen. Durch den sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zu anderen Professionen wie etwa Lehrern oder Anwälten hohen Organisationsgrad der Ärzteschaft in der NSDAP und Parteiorganisationen6 kann hier weniger von einer Spaltung, sondern eher von sozialem Druck gesprochen werden. Davon unberührt bleibt jedoch die Tatsache, dass niemand zu einem Parteieintritt gezwungen wurde und Personen aus NS-Organisationen austreten konnten, ohne unmittelbar Folgen fürchten zu müssen (s. u.). Kaum auf die Urologen trifft dann Masons Kategorie der „Unterwerfung durch terroristische Repression“ zu. In Fällen, in denen Urologen nicht zu einer der von vornherein verfolgten Gruppen gehörten, sind keine Fälle bekannt, in denen sie konkret und direkt durch den Partei- oder Regierungsapparat unterdrückt wurden. Auch in Julia Bellmanns Untersuchung finden sich keine Hinweise auf politische Verfolgung, die nicht mit rassistischer zusammenfielen.7 In der Einleitung eines Bandes Selbstmobilisierung der Wissenschaft am Fallbeispiel der Technischen Hochschulen im Nationalsozialismus haben Noyan Dinçkal und Detlev Mares den bereits Mitte der 1990er Jahre von Herbert Mehrtens geprägten Begriff der „Selbstmobilisierung“ aufgenommen. Sie haben die Annäherung der Universitäten beschrieben als „meist rasches Arrangement mit der neuen politischen Situation, das auch durch die Verfolgung und Entlassung politisch missliebiger oder aus rassischen Gründen verfolgter Kollegen nicht grundsätzlich in Frage gestellt wurde.“8 Für die von ihnen untersuchten Technischen Hochschulen haben Dinçkal und Mares festgestellt, dass diese „[m]it ihren Schwerpunkten auf naturwissenschaftlich-technischen und ingenieurwissenschaftlichen Fächern […] von vornherein die besondere Aufmerksamkeit des Regimes“9 genossen. Dies gilt analog für die Medizin, die zur Hüterin von Erb- und Volksgesundheit herangezogen wurde. Die Analysekategorien der Autoren sind die Studierenden, das wissenschaftliche Personal mit der Unterscheidung zwischen Technikwissenschaftlern auf der einen und „Repräsentanten geisteswissenschaftlicher oder künstlerischer Fächer“10 auf der anderen Seite sowie der Vergleich verschiedener Hochschulen. 5 6 7 8 9 10

Mason, „Die Bändigung der Arbeiterklasse im nationalsozialistischen Deutschland“, 26–7. Vgl. Kater, Ärzte als Hitlers Helfer. Vgl. Bellmann, „Urologen im Nationalsozialismus“; Bellmann, „Kurzbiographien der jüdischen und aus dem Judentum stammenden Urologen“. Dinçkal und Mares, „Selbstmobilisierung und Forschungsnetzwerke. Überlegungen zur Geschichte der Technischen Hochschulen im ‚Dritten Reich‘“, 10. Ebd., 11. Ebd., 17.

7. Diskussion

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Auf die Geschichte der Urologen im Nationalsozialismus sind sie nur bedingt anwendbar, denn Studierende spielten in den Fachgesellschaften DGfU und GRU eine sehr untergeordnete Rolle, das Gleiche gilt für para- und nichtmedizinisches Personal. Die vergleichende Perspektive mit anderen Fachgesellschaften jedoch ist durchaus geeignet, Besonderheiten der Urologie aufzuzeigen. Unbestritten richtig und wichtig ist das Resümee der Autoren, welche auf recht weitgehende Handlungsoptionen hingewiesen, und Überzeugung und Opportunismus als die zwei Hauptmotive für die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts identifiziert haben.11 In dem untersuchten Fall der Urologie im Nationalsozialismus zeigt sich das gewählte Analysemuster von Medizin und Politik als Ressourcen füreinander als angemessen. Von einer „Indienstnahme“ oder einem „Missbrauch“12 der Urologie im Nationalsozialismus kann deshalb nicht gesprochen werden, weil sich eine zu große Zahl von Personen zu schnell und zu bereitwillig im Sinne der neuen Machthaber und ihrer Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik engagierte. Die Annahme der gegenseitigen Mobilisierung von Ressourcenensembles hat zudem den Vorteil, auf Gründe für die rasche und umfassende „Selbstmobilisierung“ der Urologie hinzuweisen. Ebenso wenig wie Ash die Begriffe „Wissenschaft“ und „Politik“ nicht als a priori umrissene Dinge verstanden wissen will,13 gilt dies auch für die Begriffe „Medizin“ und „Politik“. Sie müssen deshalb für die vorliegende Fallstudie zur Urologie im Nationalsozialismus bestimmt werden. Dabei meint Medizin in dieser Untersuchung die urologischen Fachgesellschaften und diejenigen Fachvertreter, die in ihnen organisiert waren, sowie deren berufliches Handeln. Dazu zählen ihre Forschung, Patientenbehandlung und ihr Engagement für das öffentliche Gesundheitswesen, das zwischen 1933 und 1945 häufig an Ideen wie Volksgesundheit und Rassenhygiene ausgerichtet war. Die Sphäre des Politischen umfasst im Sinne dieser Arbeit die staatlich oder durch Parteiorganisationen gesteuerte Gesundheitspolitik in einer breiten Definition, welche die Rassen- und Bevölkerungspolitik einschließt; sie geht jedoch auch darüber hinaus und umfasst die Sphäre der „großen Politik“. Es soll nicht als Schwäche der gewählten Methode verstanden werden, dass weite Teile der untersuchten Aktivitäten, die sich als „medizinische Standespolitik“ beschreiben lassen und die im Fall der Urologie etwa die Einrichtung von Lehrstühlen, die fachliche Unabhängigkeit von Kliniken oder die Besetzung von Positionen umfassen, nicht von vornherein klar in den einen oder anderen Bereich eingeordnet werden können. Vielmehr ist es eine besondere Stärke, denn der Ansatz erlaubt es, Ressourcen je nach Lage der konkreten zu analysierenden Situation entweder der einen oder anderen Sphäre zuzurechnen. Wichtig ist auch, dass diese Ressourcen „im Prinzip gegenseitig mobilisierbar“ sind, dies gilt insbesondere für „Verbindungen zu oder Allianzen mit amtlichen Instanzen, aber auch Ideologien“.14 11 12 13 14

Vgl. ebd., 20–1; dabei verweisen sie auf Grüttner, „Wissenschaft“, 144. Vgl. Ash, „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“, 32. Vgl. ebd. Ebd., 33.

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7. Diskussion

Das bedeutet, dass im konkreten Fall geprüft werden muss, von welcher Seite der Anstoß zu einem Ressourcenaustausch ausging und in welchem Verhältnis Druck und Fügsamkeit, Aussicht auf und Verlangen nach Belohnung zueinander stehen. Von den Beispielen, die Ash beim Systemwechsel in Deutschland 1933 genannt hat, und die analog ebenso für Österreich 1938 gelten, treffen beinahe alle für den Fall der Urologie zu. Dazu gehört der „politisch gewollte[] Verzicht auf personale Ressourcen – gemeint sind die Zwangsentlassungen von Wissenschaftlern“,15 von denen in der deutschen Urologie etwa 30 % der Ärzte betroffen waren und die an den Hochburgen der akademischen Urologie im deutschsprachigen Raum, den Universitäten Berlin und Wien, etwa drei Viertel der Hochschullehrer betrafen, wie im Kapitel „Fachgesellschaften und Fachvertreter“ ausgeführt worden ist.16 Die von Ash aufgeworfene Frage, ob es eine „einheitliche Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus überhaupt gegeben hat“,17 lässt sich durch diese Studie nicht abschließend beantworten. Für den Teilbereich der Urologie lassen sich jedoch einige in der medizinhistorischen Sekundärliteratur ausgemachte Schwerpunkte der Medizin im Nationalsozialismus deutlich erkennen. Dazu zählen etwa eine auf Volksgesundheit, Leistungssteigerung und Erbhygiene abzielende Ausrichtung.18 Andere gelegentlich genannte Problemkomplexe wie etwa die „Neue Deutsche Heilkunde“ und andere alternativmedizinische Ansätze spielten praktisch keine Rolle. Volker Roelcke hat auf verschiedene Gründe hingewiesen, aus denen Ärzte sich im Sinne der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik engagierten. Dazu hat er für junge Ärzte die Aussicht auf Stellen gezählt, für Ärzte in Einstiegspositionen die Aussicht auf eine schnelle Karriere und für etablierte Ärzte und Forscher darauf, ihren Einfluss in der Disziplin auszubauen, mehr Geld einzuwerben oder den Einfluss ihrer Expertise auf die Sozial- und Gesundheitspolitik auszudehnen.19 All diese Hoffnungen lassen sich leicht als eben jene „Ressourcen“ formulieren, die zwischen Politik und Medizin ausgetauscht wurden. Besonders gut anwendbar ist der Begriff auf den dritten Fall, in dem Ärzte politischen Einfluss erhielten und ihre Expertise zur Verfügung stellen konnten. Um ihre Ziele zu erreichen, traten überdurchschnittlich viele Ärzte der NSDAP oder einer Parteiorganisation bei. Roelcke hat darauf hingewiesen, dass dennoch dazu kein Zwang bestand und nicht nur eine Fortsetzung einer klinischen Karriere, sondern sogar die Berufung auf einen Lehrstuhl für Mediziner möglich war, die sich dem politischen System nicht ausdrücklich annähern wollten. Selbst implizite und – in engem Rahmen – explizite Kritik an der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik war möglich. Beispiele hierfür sind die von Astrid Ley dokumentierte 15 16 17 18 19

Ebd., 39. Vgl. auch Hubenstorf, „Ende einer Tradition und Fortsetzung als Provinz. Die Medizinischen Fakultäten der Universitäten Berlin und Wien 1925–1950“. Ash, „Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander“, 40. Vgl. etwa Fangerau, „Rassenhygiene in Deutschland und Medizin im Nationalsozialismus“. Vgl. Roelcke, „Medicine during the Nazi Period: Historical Facts and some Implications for Teaching Medical Ethics and Professionalism“, 20.

7. Diskussion

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Weigerung von Hausärzten, ihre potentiell als „erbkrank“ zu klassifizierenden Patienten den Behörden zu melden20 und der gelegentliche Widerstand gegen „Euthanasie“-Maßnahmen.21 Dies galt natürlich nur für diejenigen Ärzte, die nicht von vorneherein zu einer der diskriminierten Gruppen gehörten. Roelcke hat den Schluss gezogen, dass es also für die Mehrzahl der Ärzte ein breites Spektrum von Möglichkeiten gab, der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik zuwiderzuhandeln, so dass im Gegenzug davon gesprochen werden muss, dass die Mehrheit der Ärzte sich aktiv dazu entschlossen hatte, in Übereinstimmung mit ihr zu handeln.22 An anderer Stelle hat Roelcke darauf hingewiesen, dass das Verhalten von Medizinern im Nationalsozialismus „im Kontext der spezifischen Herausforderungen und auch Chancen gesehen werden [muss], die durch das politische System geschaffen wurden“.23 Als solche besonderen Chancen hat er deutliche Verbesserungen der „ökonomischen Rahmenbedingungen für ärztliche Tätigkeiten“ beschrieben; dazu zählen etwa „ab Mitte 1933 ein nicht unbeträchtliches Stellenreservoir für die zuvor arbeitslosen Jungärzte“ – geschaffen durch die Entlassung „nichtarischer“ und „sozialistischer“ Kollegen –, die in der Reichsärzteordnung vorgesehene Schwächung der Position nichtärztlicher Heiler und eine „Erhöhung des Durchschnittseinkommens der deutschen Ärzte von 1933 bis 1938 um insgesamt ca. 61 % […], ein im Vergleich etwa zu Rechtsanwälten deutlich überproportionaler Anstieg.“24 Dazu kamen erweiterte Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich der „Erbgesundheitspflege“ an Gesundheitsämtern und Erbgesundheitsgerichten und bei den „Datenerhebungen und Forschungen zur Epidemiologie und Genetik potentieller Erbkrankheiten“, so dass Roelcke festgestellt hat, „dass der neue Staat tatsächlich erhebliche materielle und symbolische Ressourcen für diesen Teil von Medizin und Biowissenschaften zur Verfügung stellte“.25 Dennoch hat er betont, dass es für Ärzte keinen Zwang gab, diese neuen Positionen zu füllen oder sich durch die Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen dafür zu empfehlen. Roelcke hat betont, dass, obwohl es einen solchen Zwang nicht gab, „viele Mediziner nur zu bereit [waren], mit den unterschiedlichen Instanzen des politischen Systems zu kooperieren“ und durch „diese auf Gegenseitigkeit beruhende Kooperation […] eine gemeinsame Autorität“26 von Medizin und (Gesundheits-)Politik zu schaffen. Im konkreten Fallbeispiel der Urologie im Nationalsozialismus war diese gemeinsame Autorität zum Teil in Personen gebündelt, die gleichzeitig als Repräsentanten ihrer Fachgesellschaft und der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Vgl. Roelcke, „Medicine during the Nazi Period: Historical Facts and some Implications for Teaching Medical Ethics and Professionalism“, 20–1. Vgl. ebd., 21. Roelcke, „Psychiatrie im Nationalsozialismus“, 1317. Ebd., 1319–20. Ebd., 1321. Ebd., 1324.

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auftraten. Beispielhaft dafür sind etwa Karl Heusch, der seit 1930 Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, seit 1933 Mitglied der NSDAP sowie ab 1935 Mitarbeiter beim Amt für Volksgesundheit der NSDAP und Schriftführer der GRU war. Seine Beiträge zum Thema Volksgesundheit lassen Heuschs Begeisterung für das Thema erkennen. Heusch machte ab 1933 auf vielen Gebieten Karriere: So wurde er noch im selben Jahr nebenamtlicher Arzt der Preußischen Staatstheater und bei Staatsempfängen des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring. Auch seine Tätigkeit als Sportarzt bei den Olympischen Spielen 1936 ist vor allem als Ehrenposten zu verstehen. Gleichzeitig bekleidete er aber auch wichtige Ämter der Medizinalbürokratie, wie etwa als Schriftführer der GRU, als Mitglied der Prüfungsausschüsse für Honorar- und Facharztfragen der Reichsärztekammer, als Obergutachter für die Durchführung des GVeN und als Mitarbeiter im Amt für Volksgesundheit der NSDAP. Somit ist es nur folgerichtig, dass Heusch im Jahr 1942 die Habilitation für das Fach Urologie gestattet wurde. Ein weiteres Beispiel ist Otto Ringleb. Ab 1934 war er Vorsitzender der BUG, 1935 erster Vorsitzender und 1936 Kongresspräsident der GRU. Zudem war er ab 1937 der erste Lehrstuhlinhaber für Urologie in Deutschland und gleichzeitig Obersturmbannführer in der Allgemeinen SS, wo er bis 1944 zum Oberführer, dem höchsten Nichtgeneralsrang der SS, aufstieg. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl Ringleb als auch Heusch durch ihre Positionen durchaus in der Lage waren, Akzente der staatlichen Gesundheitspolitik mitzugestalten, zumindest, soweit sie ihr Fach betrafen. Diejenigen Fachvertreter, die bereit waren, sich dem nationalsozialistischen Regime und seiner Gesundheitspolitik anzunähern, wurden in vielen Fällen dafür belohnt. Auch wenn nicht nachvollzogen werden kann, ob Ringleb tatsächlich als „Obmann“ der deutschen Urologie eingesetzt worden war, wie Heusch nach dem Kriege behauptete, hatte er deutlich die Führungsrolle des Faches innegehabt. In dem Einladungsschreiben Karl Heuschs an potentielle Mitglieder der GRU wurden als Motive für die Gründung der neuen Gesellschaft „die Belange der Volksgesundheit und des selbstgewählten Faches“ genannt, welche eine „festgeschlossene Front der Fachurologen Deutschlands“ erforderten. Hieraus wird die Programmatik der neuen Gesellschaft deutlich: Einerseits wollte sie sich eindeutig in den Dienst der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, einschließlich ihrer bevölkerungspolitischen Dimension, stellen, andererseits hoffte sie im Gegenzug auf eine Stärkung des Faches Urologie. Während die Mehrheit der Führungsriege der GRU sich begeistert dem politischen Regime annäherte, gab es jedoch auch Gegenbeispiele. Ludwig Kielleuthner, 1929 letzter Vorsitzender der DGfU, der einen Kongress ausrichten konnte, wurde zwar Mitglied des NS-Kraftfahrkorps und der NS-Volkswohlfahrt, nicht jedoch der NSDAP, SS oder SA. Dieses Verhalten kann somit als eine rein symbolische Verneigung vor den Machthabern verstanden werden. Kielleuthner war, nachdem er 1932 die Leitung der Münchener Privatklinik Josephinum angetreten hatte, nicht darauf angewiesen, sich politisch weiter zu profilieren. Gleichzeitig sind von Kielleuthner, der zu Beginn seiner Karriere auch Zystoskopierkurse am jüdischen Wiener Rothschild-Spital unterrichtet hatte, auch keine kritischen Äußerungen bekannt,

7. Diskussion

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und er wurde 1935 mit der Gründung der GRU ihr zweiter Vorsitzender, wahrscheinlich vor allem, um eine Kontinuität zur DGfU herzustellen. Am Beispiel Eduard Pflaumers lässt sich ein Rückzug aus NS-Organisationen zeigen, der für die Karriere folgenlos blieb. Pflaumer war von 1933 bis 1934 Mitglied der SA gewesen, nach 1945 gab er dazu an, als Mitglied des Stahlhelms automatisch in die SA aufgenommen worden und dann ausgetreten zu sein. Ab 1933 war er förderndes Mitglied der SS, ab 1934 des NS-Lehrerbundes (später: NS-Dozentenbundes). 1937 war er Vorsitzender der zweiten Kongresses der GRU gewesen und hatte im Völkischen Beobachter die neue urologische Klinik des Städtischen Krankenhauses Nürnberg als Segen für die Volksgesundheit gepriesen. Im selben Jahr wurde er 65 Jahre alt und gab zusammen mit seiner Position als Privatdozent an der Universität Erlangen auch die fördernde SS-Mitgliedschaft und die im NS-Dozentenbund auf. Unberührt davon blieb seine Stellung als Leiter der urologischen Abteilung am Städtischen Krankenhaus in Nürnberg, die er von 1937 vertragsgemäß bis zu seinem 75. Geburtstag 1947 behielt. Beispiele für Urologen, die sich dem Nationalsozialismus gänzlich fern fühlten sind nur selten zu finden. Zwei Kritiker scheinen die Berliner Willibald Heyn (1891–1953) und Bernd Klose (1869–1963) gewesen zu sein. Heyn (vgl. Abbildung 33) war bis 1933 „an der III. chirurgischen Universitätsklinik Moabit in Berlin tätig, wo er als ‚Judenfreund‘ vertrieben wurde“,27 bevor er an das KaiserinAuguste-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Lichtenberg wechselte. Im Jahr 1937 wurde er Direktor des Krankenhauses mit 100 Betten. Im Oktober 1939 befand sich Heyn nach dem Beginn des Krieges als Oberstabsarzt „im Felde“.28 Nach dem Ende des Krieges und der Schließung des Kaiserin-Auguste-Viktoria-Krankenhauses war er bis zu seinem Tod 1953 Chefarzt am Oskar-Ziethen-Krankenhaus, ebenfalls in Berlin-Lichtenberg. Heyn war sowohl 1929 Mitglied der DGfU29 als auch 1948 der DGU.30 Im Jahr 1934 übernahm er von Alfred Rothschild den Posten des Kassenführers der weiterbestehenden DGfU.31 Beim zweiten Kongress der GRU 1937 war er mit einem Vortrag vertreten,32 ob er Mitglied der Gesellschaft war, ist nicht bekannt, es erscheint jedoch wahrscheinlich. Sowohl Heyn als auch Klose vermieden 1939 in offiziellen Schreiben an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg den „deutschen Gruß“ und unterschrieben stattdessen mit „Berlin, den 6. Juli 1939 Dr. Klose“33 bzw. „Berlin (Karlshorst), den 26. August 1939 Dr. med. Willibald Heyn“.34 Dies kann als Zeichen der Missbilligung des Nationalsozialismus gedeutet werden. Damit deckt sich auch die freundliche Darstellung Heyns durch Paul Rosenstein. In 27 28 29 30 31 32 33 34

Wenske, „Die Herausbildung urologischer Krankenabteilungen in Berlin“, 152. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 63a. Vgl. o. A., „Verzeichnis der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Urologie [1930]“. Vgl. o. A., „Verzeichnis der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Urologie [1949]“. Landesarchiv Berlin, vgl. B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 45. Vgl. Schultze-Seemann, Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 1906 bis 1986, 104. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 58. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042, Nr. 26939, Bl. 62.

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7. Diskussion

Abbildung 33: Willibald Heyn, ca. 195035

seiner Autobiographie äußerte sich der aus Deutschland vertriebene Arzt freundschaftlich zu Heyn (vgl. Kapitel 6.2). In einem Nachruf aus dem Jahr 1953 nahm Heyns letzter Oberarzt Horst Rosolleck nicht direkt Bezug auf Heyns Handlungen oder Karriere im Nationalsozialismus, bemerkte jedoch, er habe sich nicht nur seinen Patienten gegenüber immer korrekt verhalten, sondern auch anderen „Rat und Hilfe gegeben, oftmals unter Einsatz [seiner] ganzen Persönlichkeit, für Dinge, die [ihm] an sich fernstehen konnten.“36 Auch dies kann als Hinweis für Heyns Einsatz für seine „nicht-arischen“ Kollegen gedeutet werden. Über Bernd Klose ist weniger bekannt. Er übernahm 1934 von Arthur Lewin das Amt des Schriftführers der DGfU. Ebenso übernahm er nach der Verdrängung Paul Rosensteins als Vorsitzender der Berliner Urologischen Gesellschaft von ihm zunächst dieses Amt. Klose leitete eine einzige Sitzung im November 1934, auf der eine neue Satzung verabschiedet und Otto Ringleb zum Vorsitzenden gewählt wurde (vgl. Kapitel 4.1). Während seines Vorsitzes nahm er an der Bestattung des im Dezember 1933 durch Suizid aus dem Leben gegangenen Eugen Joseph teil und legte im Namen der BUG einen Kranz an dessen Grab nieder. Ein solcher Akt der öffentlichen Anteilnahme an den Schicksalen der verfolgten Kollegen blieb in der 35 36

Laschke, Das Oskar-Ziethen-Krankenhaus, Berlin-Lichtenberg, 180. Rosolleck, „Willibald Heyn, *5.3.1891– † 10.9.1953“, 1906.

7. Diskussion

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deutschen Urologie eine absolute Ausnahme. Im Jahr 1929 war er Mitglied der DGfU, auf der ersten Mitgliederliste der Nachkriegs-DGU wird er als Ehrenmitglied geführt,37 wohl weil er kurze Zeit Vorsitzender der BUG gewesen war. In der GRU trat er nicht zu in Erscheinung, ob er Mitglied war, ist nicht bekannt. Nach der Wiedergründung der DGU trugen sowohl Heyn als auch Klose aktiv zur Rekonstruktion der Gesellschaft bei (vgl. Kapitel 4.3). So legte Heyn eine „Kassenabrechnung der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie“ vor und half dabei, das Vermögen der Vorkriegs- auf die Nachkriegsgesellschaft zu übertragen. Als einige Jahre später aus diesem Vermögen die Stiftung des Nitze-Preises der DGU gebildet wurde, fragte Klose an, „ob aus diesem Vermögen nicht auch notleidende ehemalige Mitglieder bedacht werden können“.38 Der Antrag wurde jedoch abgewiesen. Willibald Heyn und Bernd Klose zeigen beispielhaft, dass ein gewisses Maß an Widerstand gegen oder zumindest eine Weigerung zu persönlichem Engagement für den Nationalsozialismus möglich war. Beide mussten gewisse professionelle Nachteile in Kauf nehmen – Heyn die Versetzung von der prestigeträchtigeren III. chirurgischen Universitätsklinik an ein Krankenhaus der Regelversorgung und Klose seine Ablösung als Vorsitzender der Berliner Urologischen Gesellschaft – doch beide scheinen nicht persönlich verfolgt worden zu sein und konnten als Ärzte weiter praktizieren. Heyn stieg sogar innerhalb weniger Jahre zum Direktor seiner neuen Arbeitsstelle auf. Verzichtet hatten jedoch beide auf das Einnehmen einer Führungsrolle in der GRU, obwohl sie abseits ihrer politischen Überzeugungen dafür in Frage gekommen wären. Nach 1945 stellten sie sich der neuen Führungsriege der DGU zur Verfügung, obwohl diese in Gestalt von Hans Boeminghaus und Karl Heusch zunächst starke Traditionslinien zur GRU aufwies. Die Hinwendung der Mehrheit der deutschen Urologen zum Nationalsozialismus lässt sich deutlich an ihrer Hinwendung zur oder zumindest Akzeptanz der Rassen- und Gesundheitspolitik erkennen. Diese wird aus der Vertreibung von fast einem Drittel der Kollegen aus dem Fach nach 1933 ebenso deutlich wie aus der Forschung und Praxis der Sterilisation und Kastration im Rahmen der nationalsozialistischen Gesetze und in den rhetorischen Bekenntnissen zu Staat und „Führer“ und der von ihnen verordneten Orientierung an der Volksgesundheit anstatt am individuellen Patientenwohl. Insbesondere die Gründung der GRU im Frühjahr 1935 kann als ein Akt der Entsolidarisierung mit den „nicht arischen“ Urologen in Deutschland und Österreich beschrieben werden. Kritik etwa am Umgang mit den „nicht-arischen“ Kollegen war so selten, dass sich abseits der beiden Beispiele Heyn und Klose (s. o.) keine Hinweise darauf finden. Aktiver Widerstand ist gar nicht überliefert. Stattdessen wurde nach der körperlichen Vertreibung auch das Andenken an die verjagten Ärzte getilgt, indem sie aus der Geschichte des Faches „herausgeschrieben“ und ihre zahlreichen Beiträge zur Fachentwicklung, zu Instrumenten und Operationstechniken verschwiegen wurden. 37 38

Vgl. o. A., „Verzeichnis der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Urologie [1949]“. Heyn, „Kassenabrechnung der alten Deutschen Gesellschaft für Urologie“.

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7. Diskussion

Das Gleiche gilt für die Sterilisation von bis zu 200.000 angeblich „erbkranken“ Männern durch zahlreiche Chirurgen und zweifellos auch Urologen, vor allem in den Jahren 1934 bis 1938. Zwar gab es gelegentlich Stimmen, die eine möglichst humane Durchführung der Operation forderten (vgl. Kapitel 5.2), jedoch wurde das rassenhygienische Paradigma in den chirurgisch-urologischen Fachzeitschriften und auf den Kongressen der GRU nie in Frage gestellt. Ein aktiver Widerstand von Urologen gegen die Praxis der Zwangssterilisation ist nicht überliefert, auch wenn einige sich persönlich dazu entschieden haben mögen, daran nicht teilzunehmen. Urologen stellten der NS-Gesundheitsbürokratie sowohl ihre praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten als auch rhetorische Ressourcen zur Verfügung. Die Bekenntnisse zum „neuen Staat“ und Hitler persönlich zu Beginn der beiden Kongresse der GRU sowie zahlreiche Bezüge auf Volksgesundheit und Leistungsmedizin machten die Loyalität der deutschen Urologen zum Nationalsozialismus überdeutlich. Koloman Haslinger ließ nach dem „Anschluss“ Österreichs keinen Zweifel daran, dass auch die österreichischen Urologen diesem Weg folgen würden. Im Gegenzug wurden den Vertretern der GRU einige lang gehegte Wünsche erfüllt. Der wichtigste war sicherlich die Einrichtung des Ordinariats an der Berliner Universität 1937, der die Forderung der fachlichen Unabhängigkeit in Forschung und Lehre erfüllte. Dass an einem solchen Lehrstuhl eine Habilitation für das Fach 1942 erfolgen konnte, war nur folgerichtig. Zu den 5 bereits bestehenden, unabhängigen urologischen Stationen, die es vor 1933 in Deutschland gegeben hatte, kamen in den 1930er Jahren 4 hinzu. Bereits im August 1933 wurde eine am Berliner Virchow-Krankenhaus gegründet und mit Karl Heusch als Leiter besetzt, 1937 kam die Abteilung Eduard Pflaumers am Städtischen Krankenhaus in Nürnberg dazu, 1938 das Urologische Krankenhaus München unter der Leitung Ferdinand Mays, und 1939 wurde eine weitere Station in Berlin, am Krankenhaus Westend, eingerichtet, mit deren Leitung Hans Boeminghaus betraut wurde. Es ist auffällig, dass drei Positionen von Funktionären der GRU besetzt wurden, die dem System zu erkennen gegeben hatten, dass sie bereit waren, sich mit ihm einzulassen. Erst nach Erhalt dieser neuen Stellung gab Pflaumer seine Mitgliedschaften in Parteiorganisationen auf. May hatte keine Führungsrolle in der GRU, er war aber seit 1937 Mitglied der NSDAP und wurde 1949 Kongresspräsident der DGU. An diesen Beispielen wird der Austausch von Loyalität gegen Positionen als Leiter von neu geschaffenen Fachabteilungen überdeutlich. In der Lesart Heuschs nutzten diese neuen, unabhängigen Abteilungen gleichzeitig „der Volksgesundheit“ und dem „selbstgewählten Fach“ Urologie. Abgesehen von Hans Rubritius und Otto Ringleb, die 1943 bzw. 1946 gestorben waren, gingen die Karrieren der Mitglieder der Führungsriege der GRU mit relativ kleinen Unterbrechungen nach 1945 weiter. Ludwig Kielleuthner und Eduard Pflaumer, die an einer Privatklinik bzw. einem städtischen Krankenhaus arbeiteten, behielten ihre Stellen. Karl Heusch und Hans Boeminghaus verließen kurz nach Kriegsende Berlin, gingen in die britische Besatzungszone und nahmen dort die Arbeit an einem städtischen Krankenhaus bzw. einer Privatklinik auf. So entgingen sie einer genaueren Überprüfung ihrer Vergangenheit, wie sie für die Berufung auf einen Lehrstuhl in der unmittelbaren Nachkriegszeit nötig gewesen wäre. Wäh-

7. Diskussion

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rend die Stellung der Urologie an deutschen Universitäten mit der Entlassung Ringlebs 1945 einen Rückschlag erlitten hatte, der erst mehr als ein Jahrzehnt später aufgeholt wurde, gingen die Karrieren der einzelnen Fachvertreter bald weiter. Auch die urologische Fachgesellschaft traf sich ab 1947 unter dem Namen Deutsche Gesellschaft für Urologie wieder und gab die ZfU heraus. Über die institutionelle Verbändelung mit dem Nationalsozialismus wurde nach 1945 nicht gesprochen. Der 1946 verstorbene Otto Ringleb konnte, soweit nötig, als Sündenbock herhalten, wurde jedoch eher als „Bewahrer“ der Urologie in der „unruhigen Zeit“ stilisiert. Die vertriebenen jüdischen Mitglieder wurden jedoch nach 1945 wieder in die Fachgeschichtsschreibung eingeschlossen. Dies belegen etwa Ferdinand Mays Würdigung des verstorbenen Alexander von Lichtenberg 1949 sowie die Aufnahme von Leopold Casper und Paul Rosenstein als Ehrenmitglieder 1953. Auch in den Rückblicken auf 50 Jahre Fachentwicklung, die 1957 entstanden, wurden medizinische Verbrechen im Nationalsozialismus ausgeblendet, die jüdischen und jüdischstämmigen Größen des Faches jedoch berücksichtigt. Diese Inklusion kann als Konstruktion einer Traditionslinie zwischen der DGfU und der DGU gedeutet werden. Die personellen Kontinuitäten der deutschen Urologie, die nach 1945 eine kritische Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit verhindert hatten, lebten in Gestalt von Karl Heusch bis in die 1980er Jahre fort. Erst in den 1990er und 2000er Jahren wurde, im Trend einer allgemeinen Thematisierung der Medizin im Nationalsozialismus, auch die Geschichte der urologischen Fachgesellschaften kritisch hinterfragt. In der Betrachtung der drei Fachgesellschaften DGfU, GRU und DGU sowie in den von ihnen verfolgten berufspolitischen Zielen lässt sich deutliche Beständigkeit erkennen. Dazu gehört das Streben nach fachlicher Unabhängigkeit der Urologie in Forschung, Lehre und Krankenbehandlung. Die Einführung des Facharztes für Urologie 1924, die Einrichtung des ersten, wenn auch kurzlebigen Lehrstuhls 1937 und die Anerkennung der Urologie durch ihre Nachbardisziplinen im Fachbereichsabkommen von 196439 fallen in die Zeit der Weimarer Republik, des „Dritten Reichs“ und die Zeit der Bundesrepublik. Die schrittweise Durchsetzung der Ziele der deutschen Urologen durch ihre drei Fachgesellschaften DGfU, GRU und DGU steht beispielhaft für die in vielen Bereichen der Medizin und Politik vorherrschenden Kontinuitäten in Deutschland.

39

Vgl. Schalkhäuser und Sökerland, „Berufsverband der deutschen Urologen e. V. – 50 Jahre“, 309.

8. ZUSAMMENFASSUNG Die Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus lässt sich als eine Geschichte des Austauschs von Ressourcen zwischen Medizin und Politik beschreiben. Im Gegenzug für ihr politisches Wohlverhalten erhielten einzelne Ärzte Positionen an Universitäten, Krankenhäusern und in der Gesundheitsverwaltung. Das Engagement der Fachgesellschaft im Sinne der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik wurde mit einer Stärkung der institutionellen Stellung der Urologie, vor allem der Chirurgie gegenüber, belohnt. Gleichzeitig hatten einzelne Ärzte die Optionen, sich mehr, weniger oder auch gar nicht im Sinne der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik zu engagieren, beispielsweise an der Sterilisation angeblich „erbkranker“ Patienten und der Vertreibung ihrer „nicht-arischen“ Kollegen mitzuwirken oder nicht mitzuwirken. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Auswertung von gedruckten und archivalischen Primärquellen. Die erste Gruppe schließt zeitgenössische Lehrbücher und medizinische Fachzeitschriften ein. In diesen Quellen sind die offiziellen Äußerungen von in Berufspolitik und Forschung engagierten Urologen dokumentiert. Die zweite Gruppe enthält Akten zur Entwicklung der urologischen Fachgesellschaften sowie zu den Protagonisten der deutschen Urologie zwischen 1933 und 1945. Aus ihnen werden persönliche und institutionelle Motivationen deutlich. In beiden Fällen ist auch die unmittelbare Nachkriegszeit bearbeitet worden, um die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik aufzuzeigen. Diese Perspektive der Untersuchung ist eine ideen- und sozialhistorische, es kommen individual- und institutionenbiographische Ansätze zum Einsatz. Die Ergebnisse werden dabei auf die Geschichtsschreibung der Medizin im Nationalsozialismus und auf die leitenden Fragestellungen nach dem Verhältnis von Medizin und Politik sowie den Handlungsoptionen der Akteure bezogen. Aus den Vorständen der Deutschen Gesellschaft für Urologie, in der seit 1906 jüdische und jüdischstämmige Mediziner aus Österreich und Deutschland wichtige Führungsrollen eingenommen hatten, und aus der Berliner Urologischen Gesellschaft wurden die „nicht-arischen“ Mitglieder bereits 1933 ausgeschlossen. Insgesamt fast ein Drittel der Urologen in Deutschland wurden Opfer der antisemitischen Verfolgung. Im Winter 1934/1935 wurde die Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen gegründet, aus der die jüdischen und jüdischstämmigen Kollegen faktisch ausgeschlossen waren. Durch die Begeisterung der Führungsebene der GRU, die das Programm der Kongresse der Gesellschaft an Ideen wie Volksgesundheit und Erbhygiene ausrichtete und Ergebenheitsadressen an Adolf Hitler versandte, entsteht das Bild einer deutlich nationalsozialistisch geprägten Fachgesellschaft. Innerhalb dieser Führungsriege lassen sich einzelne Personen ausmachen, die bereits früh Nationalsozialisten waren, wie etwa Karl Heusch, die sich eindeutig antisemitisch äußerten, wie etwa Otto Ringleb, oder die sich stark im Sinne der Rassenhygiene en-

8. Zusammenfassung

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gagierten, wie etwa Hans Boeminghaus. Andere wie Ludwig Kielleuthner und Eduard Pflaumer hofften wohl vor allem durch ihr Wohlverhalten einige teils jahrzehntelang gehegte Ziele der deutschen Urologie, etwa nach fachlicher Unabhängigkeit in Krankenbehandlung und universitärer Forschung und Lehre, durchsetzen zu können. In vielen Fällen gelang ihnen dies: In den 1930er Jahren erhöhte sich die Anzahl unabhängiger urologischer Abteilungen in Deutschland von 5 auf 8; mit der Leitung dieser neuen Abteilungen wurden im Sinne des Nationalsozialismus engagierte Mitglieder der GRU betraut. Die Schaffung eines Lehrstuhls für Urologie an der Berliner Universität und die Aussicht auf die Gründung weiterer nach einem (siegreichen) Ende des Zweiten Weltkrieges zeigten den Mitgliedern der GRU, dass ihre Bemühungen durch das Regime wahrgenommen und belohnt wurden. Die personellen und institutionellen Kontinuitäten nach 1945 verhinderten zunächst eine kritische Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit; die durch Karl Heusch 1957 angebotene Interpretation der Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus wurde zur offiziellen Lesart und bis in die 1980er Jahre kaum hinterfragt. Seit den 2000er Jahren sind sich die Urologen des begangenen Unrechts bewusst und arbeiten gemeinsam mit Medizinhistorikern an einer Aufarbeitung dieses Kapitels der Geschichte ihres Faches.

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ANHANG

ANHANG 1: MITGLIEDERLISTE DER DGFU, STAND 1929

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ANHANG 2: MITGLIEDERLISTE DER DGU, STAND 1949

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Die Geschichte der Urologie im Nationalsozialismus lässt sich als eine Geschichte des Austauschs von Ressourcen zwischen Medizin und Politik beschreiben. Im Gegenzug für ihr politisches Wohlverhalten erhielten einzelne Ärzte Positionen an Universitäten, Krankenhäusern und in der Gesundheitsverwaltung. Das Engagement der Fachgesellschaft im Sinne der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik wurde mit einer Stärkung der institutionellen Stellung der Urologie belohnt. Im Fokus der Arbeit stehen die verschiedenen urologischen Fachgesellschaften in Deutschland, darunter die 1906 gegründete Deutsche Gesellschaft für Urologie, die 1934/1935 gegründete Gesellschaft Reichsdeutscher Urologen und die Nachkriegsfachgesellschaft, deren Entwicklung bis in die 1950er Jahre verfolgt wird. Für die Zeit des Nationalsozialismus untersucht Matthis Krischel die Orientierung von ärztlicher Forschung und Praxis in der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik, die sich zugleich als Rassen- und Bevölkerungspolitik darstellte. Für die Nachkriegszeit beleuchtet der Autor den Umgang der Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit sowie personelle und institutionelle Kontinuitäten und Brüche.

ISBN 978-3-515-10849-2

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