Körper und Migration: Eine Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen in Text und Bild [1. Aufl.] 9783839426180

Whether someone is considered as belonging or »not from here« in the context of migration is often linked to the corpore

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German Pages 460 [456] Year 2014

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Körper und Migration: Eine Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen in Text und Bild [1. Aufl.]
 9783839426180

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Henrike Terhart Körper und Migration

Kultur und soziale Praxis

Henrike Terhart (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Interkulturelle Erziehungswissenschaft, Qualitative Sozialforschung und sozialwissenschaftliche Körpertheorien.

Henrike Terhart

Körper und Migration Eine Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen in Text und Bild

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2618-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung. Die soziale Ordnung des Körperlichen im Kontext von Migration | 11 1

Körper als sozialwissenschaftlicher Gegenstand | 19

1.1 1.2 2

Körper und Sozialität | 33

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

3

Körper, Leib und exzentrische Positionalität bei Helmuth Plessner | 34 Geste und symbolische Interaktion bei George H. Mead | 41 Habitus, Inkorporierung und körperliche Erkenntnis bei Pierre Bourdieu | 47 Inszenierung, Imagepflege und Stigma bei Erving Goffman | 52 Theatralität, Performatives und Inszenierung | 57 Körperlichkeit als Dimension von Sozialität – zweiter Zwischenstand | 63

Körper und Migration | 67

3.1 3.2 3.3

4

Zur Entstehung des Gegenstandes | 22 Die Dialektik des Körperlichen – erster Zwischenstand | 30

Zur Rassifizierung des ,anderen Körpers‘ | 70 ,Der Körper der jungen Migrantin‘ – ein wirkmächtiges Konstrukt | 77 Der ,andere Frauenkörper‘ im gesellschaftlichen Fokus – dritter Zwischenstand | 108

Körper als empirischer Forschungsgegenstand in der Qualitativen Sozialforschung. Triangulation von Text und Bild | 111

4.1 4.2

Perspektiventriangulation | 112 Text und Bild als Forschungsmaterial in der Qualitativen Sozialforschung | 113

4.3 4.4 4.5 4.6

5

Text und Bild. Gewinnung des Forschungsmaterials | 135

5.1 5.2 5.3 6

Das biografisch-narrative Interview zum Thema Körper | 136 Die Erstellung fotografischer Selbstporträts | 139 Forschen als soziale Praxis – fünfter Zwischenstand | 141

Text und Bild. Auswertung des Forschungsmaterials | 143

6.1 6.2 6.3

7

Ein symboltheoretischer Zugang für die Arbeit mit Text und Bild | 119 Der Symbolische Interaktionismus. Methodologische Grundlage für die Analyse von Text und Bild | 123 Methodologische Implikationen der Grounded Theory | 126 Zur Empirischen Untersuchung von Körperlichkeit – vierter Zwischenstand | 129

Visuelle Migrationsforschung | 148 Interviewanalyse nach der Methodik der Grounded Theory | 160 Eine systematische Triangulation von Foto- und Interviewanalyse – sechster Zwischenstand | 165

Körperinszenierungen junger Frauen im Kontext von Migration. Darstellung der Ergebnisse | 167

7.1

Körperlichkeit als kulturell-geschlechtlich markierter ,Emanzipationsprozess‘ – Fallstudie Meiling | 170 7.2 Oszillierende Aushandlung eigener Körperlichkeit als Ressource und Risiko – Fallstudie Nikita | 190 7.3 Körperlichkeit als am sozialen Umfeld orientierte Privatangelegenheit – Fallstudie Jasemin | 210 7.4 Abgrenzen von kollektiven Zuschreibungen an den eigenen Körper – Fallstudie Hülya | 225 7.5 Zwischen Erfüllung und Ablehnung von Körpernormen im ,nationalen‘ Vergleich – Fallstudie Mishgan | 242 7.6 Körperliche Selbstbehauptung und körperliches Erleiden in der Migration – Fallstudie Jale Öztürk | 261 7.7 Sich flexibel in (ethnisierenden) Deutungsmustern des Körperlichen bewegen – Fallstudie Leya | 278 7.8 Körperlichkeit als leidvoller Entwicklungsprozess in der Migration – Fallstudie Gia | 301 7.9 Körperlichkeit im Spannungsgefüge essentialisierender Zuschreibungen und ihrer Auflösung – Fallstudie Mona | 318 7.10 Kulturell markierte sowie universalisierte Normen weiblicher Körperpräsentation – Fallstudie Christiana | 336

7.11 Übernahme und Ablehnung von Vorstellungenen ,eigener‘ und ,anderer‘ Körperlichkeit – Fallstudie Mina | 351 7.12 Kritische Auseinandersetzung in einem hierarchisch angelegten KörperKultur-Vergleich – Fallstudie Djalila | 373 7.13 Körperlichkeit als Möglichkeitsraum im Kontext von Migration. Darstellung des theoretischen Modells | 394 8  Eine Studie zu Körper und Migration. Reflexive Schlussbetrachtung und Ausblick | 409



Literatur | 419

„Why all the fuss about the body? […] In a sense, of course the ,body‘ is a wrong topic. It is no topic or, perhaps, almost all topics“ (CAROLYN BYNUM 1995, 2).

„Als ich begann, dieses Buch zu schreiben, habe ich versucht, über die Materialität des Körpers nachzudenken, mußte dann aber feststellen, daß mich der Gedanke der Materialität unablässig in andere Bereiche hineinzog. Ich versuchte, mich so zu disziplinieren, daß ich beim Gegenstand blieb, entdeckte aber, daß ich Körper nicht als eigene Objekte des Denkens fixieren konnte. Die Körper tendierten nicht nur dazu, eine Welt jenseits ihrer selbst anzudeuten, sondern diese Bewegung über ihre eigenen Grenzen hinaus, eine Bewegung der Grenze selbst, schien von ganz zentraler Bedeutung für das zu sein, was Körper ,sind‘ [...]. Unweigerlich kam mir der Gedanke, daß diese hartnäckige Gegenwehr, mit der sich der Gegenstand seiner Fixierung widersetzt, für die Sache, um die es ging, wesentlich sein könnte“ (JUDITH BUTLER 2011, 13).

Einleitung Die soziale Ordnung des Körperlichen im Kontext von Migration

In einem Beschluss vom 30. Oktober 20121 entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, dass in Deutschland keine Ausweiskontrollen aufgrund der Hautfarbe vorgenommen werden dürfen. Auslöser war die Klage eines Schwarzen Studenten aus Kassel, der auf einer Zugfahrt nach Frankfurt am Main von zwei Polizisten der Bundespolizei kontrolliert worden war und sich als Opfer eines ,racial profiling‘ in seinen Rechten verletzt sah. Im Verfahren gab einer der Polizisten an, dass er während Ausweiskontrollen durchaus gezielt Personen ansprechen würde, die auf ihn ,ausländisch‘ wirken würden. Die Hautfarbe sei für ihn ein mögliches Merkmal dafür. Das Oberverwaltungsgericht gab dem in erster Instanz unterlegenen Kläger Recht und machte in seinem Urteil deutlich, dass polizeiliche Ausweiskontrollen entsprechend des Gleichbehandlungsgrundsatzes des deutschen Grundgesetzes sowie bestehender Antidiskriminierungsgesetze nicht durch die Hautfarbe begründet werden dürfen. Wurde das Urteil unter anderem von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie Amnesty International begrüßt, äußerte sich der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft gegenüber der Nachrichtenagentur dpa zu dem Urteil kritisch: „Man sieht wieder einmal, die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der Praxis aus" (vgl. Süddeutsche Zeitung, 30.10.12). Körper spielen in den gesellschaftlichen Debatten um Migration und den damit einhergehenden Fragen, wer wann und unter welchen Umständen zu einer Gesellschaft dazugehört, und bei wem Zugehörigkeit immer wieder in Frage gestellt wird, eine zentrale Rolle. In einer durch Migration gekennzeichneten Gesellschaft wie Deutschland verknüpfen sich dabei biologistische Vorstellungen über vermeintlich ,einheimische‘ und ,fremde‘ Dispositionen (festgemacht beispielsweise an der 1

Aktenzeichen 7 A 10532/12.OVG

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Hautfarbe) mit Annahmen über kulturspezifische (körperliche) Handlungsweisen, die als Begründung für nationale, kulturelle und/oder ethnische Zugehörigkeit herangezogen werden. Die Frage nach Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit ist dabei als Teil grundlegender Normierungsprozesse zu verstehen, in denen das Normale und das davon Abweichende fortlaufend (re-)produziert werden. Denn Normalität ist nicht nur eine Beschreibung dessen, was regelmäßig auftritt, sondern auch eine Präskription dessen, was geschehen soll: „Normalität ist Beschreibung und Vorschrift einer Ordnung“ (Dausien/Mecheril 2006, 162). Sie legt fest, was Norm ist und was davon abweicht. Wenn nun – bezogen auf Körper – danach gefragt wird, was im Zusammenhang mit Migration denn nun als ,das Normale‘ verstanden wird, zeigt sich schnell, dass Normalität zwar ein wirkmächtiges Konstrukt darstellt, als ein implizites Wissen allerdings kaum klar bestimmt werden kann. Im Kontext von Migration werden „ethno- und nationalkulturelle Markierungen“ (Bommes 1996, 209) vorgenommen, die sich in einer „Imagination des prototypischen Mitglieds“ (Mecheril 2003, 157) verdichten: „Es fällt nicht nur schwer, den Prototyp näher zu kennzeichnen – wie bei einem Gott ist dies gar nicht möglich, weil jeder Versuch, ihn zu bezeichnen, zu beschreiben, bloß allzu offenkundig, irdische Vergröberungen hervorbrächte. Dennoch gibt es ihn, ,den Deutschen‘ etwa, zweifellos. Es gibt ihn in den Praxen, die ihn hervorbringen, dem Interesse, das den Abweichungen gilt und den institutionalisierten Mechanismen der Besonderung, die etwa deutlich machen, dass das ,Europa ohne Grenzen‘ ein grenzenloses eben nur für normal europäisch aussehende Europäerinnen ist“ (Dausien/Mecheril 2006, 166, Herv. i. O.).

In ihrer Sichtbarkeit eröffnen Körper eine besondere Dynamik. Die Materialität des Körpers macht ihn zu einem Beweisstück für die vermeintliche ,Natürlichkeit‘ bestehender Unterscheidungen und damit einhergehender gesellschaftlicher Ordnungen. Begünstigt durch das im 20. Jahrhundert in Deutschland weitgehend angewendete Abstammungsprinzip (ius sanguinis) als Grundlage für die deutsche Staatsangehörigkeit, bildet die Illusion der Ursprünglichkeit des Körperlichen und damit einhergehende Vorstellungen einer ,Blutsverwandtschaft‘ die Basis für die Legitimation der Unterteilung in ,Einheimische‘ und „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) und damit einhergehende Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe. Zudem führt die Auseinandersetzung mit Körper im Kontext von Migration dazu, die Wirkweisen sozialer Ordnungen als unmittelbares leibliches Erleben in den Blick zu nehmen. Die Unterteilung in „Wir und die Anderen“ (Beck-Gernsheim 2004) wird somit nicht nur durch die unterschiedlichen Körper und den Umgang

E INLEITUNG

| 13

mit ihnen mitbestimmt, sondern auch durch das leibliche Empfinden von Ein- und Ausgrenzung.2 Aus dieser Perspektive erscheint es verwunderlich, dass die Bedeutung von Körper(n) für die Auseinandersetzung mit Migration in der aktuellen Forschung zu Interkulturalität und Migration in Deutschland bisher nur unzureichend berücksichtigt wurde.3 Dabei ist der Körper nicht nur ein zentrales „Medium der Zuschreibung und Klassifizierung“ von Menschen, sondern auch ein „Instrument, das eingesetzt werden kann“ (Horst 2009, 78), um diesen Zuschreibungen entgegenzutreten. Das damit einhergehende Potenzial des Körperlichen für die Auseinandersetzung mit Migration ist in der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung noch nicht ausreichend systematisch untersucht worden. Gerade wissenschaftliche Arbeiten zum Selbstverständnis eigener Körperlichkeit fehlen in diesem Zusammenhang weitgehend. Bezogen auf die Forschung zu Perspektiven und Lebenssituationen von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund sprechen die Erziehungswissenschaftlerinnen Ursula Boos-Nünning und Yasemin Karakaşoğlu daher von einem „bislang vernachlässigten Thema“ (Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, 294): „Das Fehlen von aktuellen Daten und Aussagen zum Körperbewusstsein bei Mädchen mit Migrationshintergrund erstaunt zunächst, handelt es sich doch dabei um einen wichtigen Teil des Selbstkonzeptes und somit auch der Identitätsbildung“ (ebd., 274). Angenommen wird, dass sich die Diskrepanz zwischen der Annahme einer hohen alltagsweltlichen Relevanz von Körper(n) im Kontext von Migration und kaum bestehender empirischer Forschung zu diesem Themenkomplex auf die – durchaus berechtigte – Sorge zurückführen lässt, durch die Auseinandersetzung mit Körper und Migration einer essentialistischen Perspektive Vorschub zu leisten. In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch ausdrücklich nicht darum, eine Art ,deutsche‘, ,türkische‘ oder ,chinesische‘ Körperlichkeit aufzudecken und zu untersuchen. Vielmehr werden die Konstruktionsprozesse betrachtet, die das Körperliche im Kontext von Migration zu Markern sozialer (Nicht-)Zugehörigkeit werden lassen. Das mögliche Potenzial des Körperlichen für die Bearbeitung bestehender sozialer Ordnungen soll dabei Berücksichtigung finden.

2

Auch wenn im Folgenden von Körper, Körperlichem und Körperlichkeit geprochen wird, ist die Dimension des empfindenden Leibes immer eingeschlossen, da die Trennung zwischen Köper und Leib nur theoretisch besteht (vgl. dazu Kapitel 1).

3

Demgegenüber scheint das Thema Körper in autobiografischen Darstellungen oder Lyrik migrierter Personen durchaus Thema zu sein und nimmt teilweise eine zentrale Stellung ein (vgl. etwas Özdamar 1998 oder Tawada 1993, 2004).

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Ausgangspunkt meiner Studie bildet die Frage, ob und wenn ja in welcher Weise Migration – als Erfahrung und Zuschreibung – Einfluss auf die Körperlichkeit von Menschen nimmt. Im Rahmen dieses Forschungsinteresses sollen Aspekte der aktuellen sozialwissenschaftlichen Körperdebatte für die Interkulturelle Pädagogik sowie für die Migrationsforschung allgemein fruchtbar gemacht werden. Dabei gehe ich davon aus, dass Fragen zu Körper(n) im Kontext von Migration insbesondere am Konstrukt ,des Körpers der jungen Migrantin‘ verhandelt werden. Als Kristallisationspunkt der Migrationsdebatten stellt der weibliche Körper einen Schauplatz der Verhandlungen von Zugehörigkeit dar. Grundlage bilden gesellschaftlich tradierte Vorstellungen über die ,andere Frau‘ und die sich vermeintlich an ihrem Körper manifestierenden ‚anderen‘ Familien- und Geschlechterverhältnisse. Auf Grundlage dieser Vorstellungen bildet ,der Körper der Migrantin‘ in oftmals entpersonalisiert und homogenisiert dargestellter Weise einen beliebten Anlass für sprachliche und visuelle Berichterstattungen zu den Themen Migration, Integration und Interkulturalität generell. Vor diesem Hintergrund habe ich junge Frauen mit Migrationserfahrungen in das Zentrum meiner empirischen Untersuchung gerückt – nicht zuletzt, um solchen Repräsentationen die Heterogenität, Unvergleichbarkeit und Ambivalenz konkreter Lebenslagen, Perspektiven und Erfahrungen entgegenzusetzen (zur Begründungswürdigkeit dieser Entscheidung und zu der Begründung selbst vgl. Kapitel 3.2). Mithilfe biografischer Interviews zum Thema Körper sowie fotografischer Selbstporträts frage ich nach sprachlichen und gestischen Körperinszenierungen junger Frauen, für die aufgrund eigener Migration oder durch die alltägliche Erfahrung, als Migrantin beziehungsweise Tochter von Eingewanderten markiert zu werden, das Thema Migration biografische Relevanz besitzt. Grundlage für das in der vorliegenden Studie entwickelte empirische Vorgehen einer Triangulation von Text- und Bildanalyse bildet die Grounded Theory (vgl. Strauss 1998). Aufgrund des explorativen Charakters der leitenden Fragestellung erscheint die mit diesem Forschungsstil einhergehende Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand als ein besonderer Gewinn. Disziplinär lässt sich die Studie einer sozialwissenschaftlich orientierten Erziehungswissenschaft zuordnen.4 Grundlage der vorliegenden Untersuchung ist die

4

Eine Abgrenzung der Erziehungswissenschaft von den Sozialwissenschaften halte ich nicht für zielführend. Der Gegenstand dieser Studie ist sowohl in der Erziehungswissenschaft, in der Soziologie und in der Philosophie sowie zum Teil in der Politikwissenschaft verortet. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich für eine transdisziplinäre Perspektive plädieren, die Argumenten und Zuschreibungen wie die einer vermeintlichen Anwendungsorientierung und Parteilichkeit auf der erziehungswissenschaftlichen und einer neutral-distanzierten Perspektive auf der sozialwissenschaftlichen Seite entgegen steht.

E INLEITUNG

| 15

Überzeugung, dass Körper ein erziehungswissenschaftliches Thema darstellen und in pädagogischen Zusammenhängen eine zentrale Rolle spielen (vgl. dazu Kapitel 1). Ich bearbeite mit der vorliegenden Untersuchung jedoch kein konkretes Problem pädagogischer Praxis (beispielsweise im Rahmen frühkindlicher Körpererziehung, körperlicher ,Haltungen‘ und Raumregie von Lehrkräften im Unterricht oder auch sexualpädagogischer Angebote). Diese Studie stellt vielmehr einen Beitrag zu einer grundlegenden Forschung zum Themenkomplex „Körper und Sozialität im Kontext von Migration“ für die Erziehungswissenschaft dar, um auf diese Weise Anregungen für neue Perspektiven und Fragen in Wissenschaft und Praxis zu eröffnen. Das Buch umfasst acht Kapitel. Am Ende eines jeden Kapitels werden die Ergebnisse in Form eines Zwischenstands zusammengefasst. In Kapitel eins wird eine Einschätzung der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Körperdebatte vorgenommen. In einem kurzen Abriss wird vorgestellt, wie das Thema Körper zum Gegenstand der modernen Geisteswissenschaften wurde und welche spezifisch erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen dabei relevant sind. Mit dem Ziel einer Heranführung an die Körperthematik wird in einem ersten Zwischenstand das für die Studie verwendete dialektische Konzept von Körper zwischen Materialität und Sozialität vorgestellt. Der Schwerpunkt des zweiten Kapitels liegt auf der Sozialität des Körperlichen. Unter Rückgriff auf die Arbeiten von Helmuth Plessner, George H. Mead, Pierre Bourdieu und Erving Goffman sowie neuere Überlegungen zum Performativen wird eine Analyse des Verhältnisses von Körper und Sozialität durchgeführt. Im zweiten Zwischenstand wird die auf diesen Grundlagen in synoptischer Absicht entwickelte körpertheoretische Position der Studie zusammengefasst und das in der empirischen Untersuchung verwendete Konzept von Körperlichkeit als (spürende) Wahrnehmung sowie als Umgang mit und Präsentation des eigenen Körpers vorgestellt. In Kapitel drei werden die bisher erarbeiteten Annahmen über Körper auf das Phänomen der Migration bezogen und untersucht, wie soziale Ordnungen im Kontext von Migration über das Körperliche hergestellt und aufrechterhalten werden. Nach einer kurzen Rekapitulation der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen

Vielmehr lassen sich theoretische Strömungen und Forschungsparadigmen ausmachen, die über Disziplinengrenzen hinweg wirksam werden. Mit dem Verweis auf die starke Ausdifferenzierung der benannten Disziplinen und der damit einhergehenden Inter-, beziehungsweise Transdisziplinarität meine ich jedoch nicht, dass Diskussionen verschiedener Perspektiven innerhalb der Erziehungswissenschaft nun überflüssig wären. Ziel sollte vielmehr die Öffnung gegenüber anderen Fächern bei einem gleichzeitigen intradisziplinären Austausch sein.

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Verhandlung des Themas Migration wird auf den für diese Studie zentralen Aspekt der Rassifizierung des ,anderen Körpers‘ eingegangen. Anschließend wird die Herstellung ,des Körpers der jungen Migrantin‘ als ein Kristallisationspunkt der medialen, wissenschaftlichen und pädagogischen Auseinandersetzungen mit Migration aufgezeigt. Die Sichtung von Forschungsarbeiten zu den Themenfeldern Gesundheit(sversorgung), Krankheit und Migration, einer interkulturell sensiblen Sportund Sexualpädaogik sowie von Kleidung als kulturellem Codesystem führt zum dritten Zwischenstand als dem Ausgangspunkt meiner empirischen Untersuchung: es scheint dabei, als ob ,der Körper der jungen Migrantin‘ über verschiedene Bereiche hinweg als ein Problem angesehen wird, für das es entsprechende professionelle ,Lösungen‘ zu finden gilt. Kapitel vier führt in den empirischen Teil der Studie ein. Wird Körper zum empirischen Forschungsgegenstand erklärt, so stellen sich spezifische methodologische Herausforderungen, die an dieser Stelle diskutiert werden. Das Vorgehen einer Triangulation von sprachlichen und gestisch-mimischen Körperinszenierungen in Form von Text und Bild wird dargelegt und methodologisch verankert. Der vierte Zwischenstand greift das für diese Untersuchung gewählte Verständnis einer Triangulation von Text und Bild als aufeinander bezogene und sich jeweils ergänzende Zugangsweisen zum Körper(lichen) auf und verweist auf die Grenzen der empirischen Erforschung des Körperlichen. In Kapitel fünf und sechs wird auf dieser Grundlage das konkrete Vorgehen bei der Materialgewinnung und -auswertung vorgestellt. Ausgehend von der Annahme von Forschung als einer sozialen Praxis wird dabei insbesondere in Bezug auf die Fotoanalyse nach den Möglichkeiten einer visuellen Migrationsforschung gefragt. Kapitel sieben umfasst die Dokumentation des Forschungsprozesses sowie die Darstellung des theoretischen Models von Körperlichkeit als Möglichkeitsraum, der im Kontext von Migration durch spezifische Dimensionen ausdiffernziert wird. Mit dem Ziel der Nachvollziehbarkeit des zirkulär angelegten Forschungsprozesses nach dem Vorgehen der Grounded Theory wird dabei der theoretisch begründeten Stichprobenzusammensetzung sowie der systematischen Triangulation von Bildund Textanalyse besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In der abschließenden Schlussbetrachtung in Kapitel acht werden die Ergebnisse, das methodische Vorgehen sowie meine Rolle im Forschungsprozess aufeinander bezogen und zusammenfassend reflektiert. Das vorliegende Buch ist als Beitrag zu einer empirisch begründeten Theoriebildung zu verstehen, die neue Perspektiven auf das Verhältnis von Körper und Migration jenseits bestehender eindimensionaler Zuschreibungen eröffnet. Die dem Buch zugrunde liegende Studie wurde als Dissertation von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Mai 2013 angenommen.

E INLEITUNG

| 17

Mein großer Dank gilt den Frauen, die mir ihr Vertrauen geschenkt und sich zur Teilnahme an der diesem Buch zugrunde liegenden empirischen Studie bereit erklärt haben. Für die Betreuung und anregende Zusammenarbeit bedanke ich mich herzlich bei Prof. Dr. Hans-Joachim Roth und Prof’in Dr. Julia Reuter sowie bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus Doktorandenkolloquien und Forschungsarbeitsgruppen.

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somit auch potenziell widerständig gegen soziale Erwartungen agieren kann, ist demgegenüber weniger erforscht. (vgl. ebd.) Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Entwicklungen erscheint es mittlerweile kaum mehr als ungewöhnlich wenn das Forschungsinteresse am Körper in den Mittelpunkt sozialwissenschaftlicher Studien und Veröffentlichungen gestellt und als Ausgangspunkt für Forschungsfragen gewählt wird. Bei aller inhaltlichen Berechtigung für diese Entwicklungen sollte die Körperdebatte dabei auch als ein Versuch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verstanden werden, ein neues Forschungsfeld (für sich) zu etablieren und durch den Bezug auf Körper eigene Forschungsthemen zu untermauern (vgl. Shilling 2007, 7ff.).

1.1 Z UR E NTSTEHUNG

DES

G EGENSTANDES

Im Folgenden wird auf Überlegungen einzelner für die aktuelle sozialwissenschaftliche Körperdebatte bedeutsamer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinwiesen und ein skizzenhafter Überblick darüber geben, wie der Körper zum Gegenstand moderner geisteswissenschaftlicher beziehungsweise sozialwissenschaftlicher Analysen wurde. Die Auswahl ist selektiv und wird durch die Annahme begründet, dass die vorgestellten Überlegungen jeweils neuartige Perspektiven in die Auseinandersetzung mit Körper eingeführt haben. Ziel der Skizze ist es aufzuzeigen, welcher theoretischen Entwicklungen es bedurfte, damit die Forschungsfrage nach dem Einfluss des sozialen Phänomens der Migration auf Körper heute überhaupt in dieser Weise gestellt werden kann. Als zentral für die Frage nach der Bedeutung von Körper in den Geisteswissenschaften sind die Arbeiten des französischen Gelehrten René Descartes (15961650) anzusehen. Lässt sich die Gegenüberstellung von Körper und Bewusstsein für die Zeit des Mittelalters nicht ohne weiteres festmachen (vgl. Bynum 1995; Lorenz 2000, 107ff., 126ff.)2, so fand Descartes Unterteilung zwischen dem natürlichen Körper einerseits und dem kulturellen Bewusstsein andererseits ab dem 17. Jahrhundert zunehmend Berücksichtigung und prägt(e) seitdem die europäische Denktradition. Einher geht sein in der modernen Wissenschaft etablierter GeistKörper-Dualismus mit einer hierarchischen Höherstellung des Geistes, da der Mensch allein durch sein Denken in der Lage sei, sich seine Existenz zu vergegenwärtigen und sich auf diese Weise von anderen Lebewesen abzuheben. Der Körper fungiert in dieser Vorstellung als Träger oder Behältnis des Geistes und erhält im Zuge dessen den Status einer Maschine (vgl. Habersack 2010, 39ff.; zur Übersicht

2

Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema Körper im Mittelalter findet sich bei Le Goff/Truong 2007.

K ÖRPER ALS SOZIALWISSENSCHAFTLICHER G EGENSTAND

| 23

über Körpervorstellungen in der frühen Neuzeit als Grundlage für Descartes Ausführungen Lorenz 2000, 135). Die damit einhergehende Vorstellung eines durch das Bewusstsein gesteuerten Körpers hat(te) weitreichende Konsequenzen für die Vorstellung von Individuum und Gesellschaft und bildet die Grundlage vieler für unser heutiges Verständnis gesellschaftskonstituierender Mechanismen. Denn auf diese Weise besteht die Möglichkeit, dem oder der Einzelnen die Verantwortung für sein beziehungsweise ihr Handeln zuzusprechen und der Körper kann „sozial als Vollzugsorgan der Person behandelt und sanktioniert werden“ (Hahn 2010, 133). Erste Überlegungen zu einer sozialen – und somit kulturellen Kodierung – des Körpers, wodurch die Festlegung des Körpers allein auf die Sphäre der Natur in Frage gestellt wird, finden sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts. In den viel zitierten Ausführungen des französischen Ethnologen Marcel Mauss zu den sogenannten Techniken des Körpers (1934) setzt dieser zwar den cartesianischen Dualismus voraus, seine Annahme, dass Menschen ihren Körper den gesellschaftlichen Traditionen entsprechend einsetzen, bildet jedoch zugleich die Grundlage für die Infragestellung eines ausschließlich biologisch-mechanisch determinierten Körpers. Anhand der Körpertechniken des Schwimmens, Grabens, Gehens und Marschierens führt er in seine Beobachtungen kulturell geformter Körperpraktiken ein. Den größten Einfluss auf den Körper sieht Mauss allerdings durch die geschlechtsspezifische Erziehung gegeben: Ausgehend von den Techniken der Geburt verdeutlicht er die gesellschaftliche Bedingtheit des Körpers als erstem und natürlichem Instrument des Menschen (vgl. Mauss 1975). Mit Mauss Annahme kultureller (anerzogener und nachgeahmter) Körperpraktiken werden Fragen nach der sozialen Bedingtheit des Körpers und somit auch seiner Geschichtlichkeit aufgeworfen. Die Geschichtlichkeit des Körperlichen findet sich ebenfalls in Norbert Elias Abhandlungen zum menschlichen Zivilisationsprozess. Elias zeigt auf, wie der Körper durch Mechanismen körperlicher Fremd- und Selbstdisziplinierungen geformt wird. Die sich durch eine Kontrolle des Körpers vollziehende Vergesellschaftung des Menschen wird von ihm als Form und im Rahmen von Prozessen gesellschaftlichen Wandels verstanden (vgl. Elias 1939/1989, zu Elias impliziter Körpertheorie Gugutzer 2004, 50ff.). Wichtige Überlegungen zur Historizität des Körpers finden sich zudem bei dem französischen Historiker Marc Bloch, der ebenfalls ab den 1930er Jahren die gesellschaftliche Bedingtheit des Körperlichen im Rahmen grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen wie Hygiene- und Ernährungsgewohnheiten sowie Sexualpraktiken thematisiert. Mit seinem Hinweis, dass Geschichtswissenschaft an den „Abenteuern des Körpers“ (Bloch zit. n. Le Goff 2008, XIV) ansetzen solle,

24 | K ÖRPER UND M IGRATION

verweist auch Bloch früh auf die Bedeutung des Körperlichen für das Verständnis (historischer) gesellschaftlicher Entwicklungen.3 Als eine konsequente Weiterführung der Überlegungen zur sozialen Bedingtheit des Körpers lassen sich die explizit kulturvergleichend angelegte Arbeiten der amerikanischen Sozialanthropologin Mary Douglas verstehen.4 In ihren ethnografischen Untersuchungen zu Ritual, Tabu und Körpersymbolik aus den 1970er Jahren verweist Douglas auf symbolische und somit sozial ausgehandelte Bedeutungen von Körper in verschiedenen Gesellschaftssystemen (Stammes- vs. Industriegesellschaften) und argumentiert, dass gesellschaftlich relevante Ordnungssysteme (zum Beispiel sauber vs. schmutzig) immer auch körperlich (re-)produziert werden, denn [d]er Körper als soziales Gebilde steuert die Art und Weise, wie der Körper als physisches Gebilde wahrgenommen wird; und andererseits wird in der (durch soziale Kategorien modifizierten) physischen Wahrnehmung des Körpers eine bestimmte Gesellschaftsauffassung manifestiert (Douglas 1974, 99).

Für Douglas bilden soziale Kategorien gesellschaftliche „Klassifikationsgitter“ (ebd. 123), die auch die Wahrnehmung des Körpers beeinflussen. Zugleich können durch die Analyse der Körperwahrnehmung wiederum Informationen über die Verhältnisse in einer Gesellschaft gewonnen werden. Der menschliche Körper erhält mit Douglas den Status eines gesellschaftlichen Symbolsystems, das durch soziale (dichotome) Kategorien hergestellt wird und diese zugleich manifestiert (ebd.). Die mit dieser Argumentation einhergehende umfassende Infragestellung der Idee vom Körper als einer natürlichen Einheit hat aufgrund ihrer in mehrfacher Hinsicht destabilisierenden Wirkung weitreichende Konsequenzen für das Bild von Gesellschaft. Körper als scheinbar natürliche Gegebenheit sowie die „Vorstellung vom Körper als einem einheitlichen System“ (Hahn 2010, 133) selbst werden in Frage gestellt. Auf dieser Grundlage wurde der Blick auf die sozialen Kontrollmechanismen des Körperlichen gelenkt.

3

Laut Ulrich Raulff lässt sich kaum klären, inwieweit Marc Bloch die Überlegungen zu den Körpertechniken seines Freundes Marcel Mauss bekannt waren (1995, 378). Ihre Überlegungen fallen jedoch in die gleiche Zeit. Auf breiter Ebene wird das Körperliche in den Geschichtswissenschaften jedoch erst seit den späten 1980er Jahren als historisches und soziales Thema begriffen und knüpft damit an die allgemein aufkommende sozial- und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Körper und Gesellschaft an (vgl. Sarasin 2001, 13ff.).

4

Douglas hat das Vorwort der Neuausgabe von Marcel Mauss’ The Gift (1990) verfasst, sodass davon auszugehen ist, dass Douglas im Hinblick auf die genannten Autoren zumindest mit den Arbeiten von Mauss vertraut war.

K ÖRPER ALS SOZIALWISSENSCHAFTLICHER G EGENSTAND

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Als der vermutlich bekannteste Autor zum Thema der Kontrolle des Körpers zum Zweck der Etablierung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Strukturen kann Michel Foucault gelten, der sich ab den 1960er Jahren in seinen historischen Analysen immer wieder mit Fragen nach der Bedeutung des Körpers für die Entwicklung einer sozialer Kontrolle von außen hin zu einer zunehmenden Selbstkontrolle und damit einhergehenden Praktiken einer auf den Körper abzielenden „Biopolitik“ (Foucault 1977, 2006) auseinander gesetzt hat. Aufgegriffen und vorangetrieben wurde die Frage nach den sozialen Kontrollmechanismen des Körperlichen insbesondere in der Frauen- und Geschlechterforschung. Wurde der weibliche Körper nach einer Einschätzung von Michael Meuser im frühen Feminismus der 1970er Jahre auf zweierlei Weise zum Thema, nämlich „als primäres Objekt patriarchaler Unterdrückung wie als Ort von Befreiungshoffnungen“ (Meuser 2004, 202), so hat seitdem insbesondere die in der Geschlechterforschung vorherrschende konstruktivistische Perspektive Einfluss auf die Körperdebatte genommen. Zentrale Grundlage für diese Entwicklungen bildet das 1975 von Gayle Rubin eingeführte Begriffspaar sex/gender (vgl. Rubin 1975, 159), da mit dem Begriff „gender“ als sozialem Geschlecht eine umfassende und über die Geschlechterforschung hinaus rezipierte soziale Wendung von Geschlechtervorstellungen stattfand. Das Konzept eines geschlechtlich eindeutig bestimmten biologischen Körpers (sex) wurde durch Rubins Konzept jedoch nicht in Frage gestellt und bildete weiterhin die Begründung für die (soziale) Geschlechtszugehörigkeit. Durch die zunehmend an Bedeutung gewinnende (de-)konstruktivistisch orientierte Forschung seit Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Vorstellung eines biologischen Geschlechtskörpers und das damit einhergehende System der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit allerdings zunehmend hinterfragt und der soziale Konstruktionscharakter von Geschlecht gewann an Bedeutung. Zentrale Vertreterin dieser theoretischen Strömung ist die Philosophin Judith Butler, die in ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter (1991) die Annahme vertritt, dass nicht nur das soziale, sondern ebenfalls die Vorstellung eines biologischen Geschlechts sozial konstruiert sei und diskursiv erzeugt werde. Die Reaktionen auf Butlers Thesen waren beachtlich. In einer daran anschließenden kontroversen Debatte wurde gegenüber Butlers Ausführungen angemahnt, auf diese Weise den Körper als physische Gegebenheit aus dem Blick zu verlieren, indem er sich quasi als soziale beziehungsweise kulturelle Konstruktion auflöse (vgl. z.B Grosz 1995, Schilling 2007, 10). Als „sprachlich erzeugte Fiktion“ (Honneth 1994, 70) würde die Materialität des Körperlichen hinter der Textfläche tendenziell zum Verschwinden gebracht und auf diese Weise als Effekt diskursiver Zeichenpraktiken zum Teil als ein passives Konstrukt erscheinen (vgl. Fleig 2000, 8). Im Zuge dieser Kritik wurde die Bedeutung leiblicher Wahrnehmung und ein nicht allein durch kognitive Prozesse zu erklärendes ,Körperwissen‘ ins Feld geführt. Denn durch die Annahme, sich dem Konstrukt Körper lediglich als diskursiv

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erzeugte Performativität nähern zu können, würde der zeitlich-prozessuale Aspekt in den Mittelpunkt rücken und der Körper als räumliches Phänomen verloren gehen: „Der Verweis auf den Körper als räumliches Phänomen zeigt ein grundlegendes Dilemma, in das die konstruktivistische Auflösung von sex in gender geraten ist. Das berechtigte Anliegen, die gesellschaftlichen Setzungen zu markieren, die immer schon mit den Bezug auf ein angeblich natürliches Körpergeschlecht verbunden sind, führt […] bei Butler […] zu einer Abwendung vom Körper als materieller Gegebenheit. Der Körper als lebendiger Körper gerät aus dem Blick“ (Jäger 2004, 36).

Im Rahmen des Vorwurfs der Entkörperlichung von Frauen (und Männern) durch Butlers Annahmen entwickelte die Historikerin Barbara Duden den (polemischen) Ausdruck der „Frau ohne Unterleib“ (1994), um die Konsequenzen der Vorstellung eines diskursiv erzeugten Körpers zu problematisieren. Über das Wort „Körper“ schreibt Duden: „Das Wort ist inflationär geworden. Was derzeit dabei mitschwingt, ist kaum ein Überbleibsel von Fleisch und Blut, sondern etwas Grausiges: ,fleischliche Materialität‘“ (Duden 2004, 16).5 Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der These der sprachlichen Erzeugung von Körper wurden somit Stimmen laut, die darauf verwiesen, dass in konkreten Situationen stattfindendes Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Bewegungsverhalten die Grundlage jeglicher Interaktion bildet (vgl. Loenhoff 1999, 77). In ihrem Buch Körper von Gewicht (1995) reagierte Butler auf die ihr entgegen gebrachte Kritik, den Körper nicht als spürendes Wahrnehmungsmedium, sondern als diskursiv geformte Materialität zu verstehen. Sie betont noch einmal, dass durch ihre These von der Unmöglichkeit, authentische, natürliche geschlechtliche Körpererfahrungen machen zu können, nicht die Materialität und Bedeutung des Körpers geleugnet werden würde (vgl. insbesondere das Vorwort zur deutschen Ausgabe Körper von Gewicht von 1995). Vielmehr werden ihrer Ansicht nach soziale Zuschreibungen mithilfe performativer Praktiken durch ständige Wiederholungen in den Körper einschrieben.6

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Und weiter schreibt Duden, dass derzeitige „Körperstudien“ ihre Argumentationen oftmals weniger auf das Verstehen körperlichen Empfindungen einer Person, denn auf kühldistanzierte Beobachtungen des Körpers beziehen. Nimmt man die Kritik Dudens ernst, so ergibt sich für empirische Untersuchung die Frage nach dem Zugang zu diesen leiblichen Empfindungen.

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Butleranhängerinnen und -anhänger sehen in der Kritik einer Leugnung körperlicher Existenz in ihrer Theorie eine der größten Fehlinterpretationen von Butlers Werk. Dekonstruktion bedeutet demnach nicht die Negation des analysierten Themas sondern die In-

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Dabei „wird die Faktizität der materiellen oder natürlichen Dimension des Körpers nicht geleugnet, aber sie wird anders gedacht: als unterschieden von dem Prozeß, durch den der Körper zum Träger kultureller Bedeutungen wird. Sowohl Beauvoir wie Merleau-Ponty verstehen den Körper als aktiven Prozeß der Verkörperung bestimmter kultureller und geschichtlicher Möglichkeiten, als komplizierten Aneignungsprozeß“ (Butler 2002, 303).

Die innerhalb und mit Vertreterinnen und Vertretern der Geschlechterforschung geführten körpertheoretischen Debatten können als wichtiger Motor für die geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Körper generell angesehen werden, denn die in Bezug auf geschlechtliche Zugehörigkeit vorgenommene Kritik an einer Naturalisierung des Körpers wurde auch hinsichtlich anderer Differenzsetzungen und damit einhergehender Vorstellungen körperlicher Normalität und ihrer Abweichungen diskutiert. Deutlich wird dabei, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Körper als einem materiell – und somit endlich gegebenen – und zugleich sozialen Phänomen eindeutigen Antworten entzieht. Sind Körper nun feste Bezugspunkte oder lösen sie sich in der sprachlichen Matrix auf? Lässt sich Körper in erster Linie durch Bewusstsein, eher durch soziale Bedingungen oder vielleicht doch nur in ganz anderer Weise verstehen? Die Vorstellung, dass der eigene Körper, den man anfassen kann und mit beziehungsweise durch den man spürt, ein reiner „Diskurseffekt“ (Sarasin 2001, 12) sei, irritiert. Dennoch erscheint es überzeugend, dass die Sozialität des Menschen nicht vor dem Körper halt macht und vorgesellschaftliche Körpererfahrungen demnach nicht möglich sind. Bezogen auf die Erziehungswissenschaft und die pädagogische Praxis ergeben sich aus dieser Perspektive vielfältige Fragestellungen, die jedoch zum Großteil weiterhin als unbearbeitet gelten können. Kann in der Erziehungswissenschaft wie den Sozialwissenschaften allgemein seit den 1980er Jahren von einer Wiederentdeckung des Körpers gesprochen werden, so handelt es sich trotz einer Zunahme solcher theoretischen Reflexionen um ein Nischenthema. Innerhalb dieser Nische lässt sich aufgrund der Vielfalt von möglichen Anknüpfungspunkten erziehungswissenschaftlicher, pädagogischer und auch didaktischer Fragestellungen zu dem Thema Körper kaum eine umfassende Systematik erstellen. Aufgrund der Ausrichtung der vorliegenden Studie soll im Folgenden eine Auswahl von Arbeiten benannt werden, in denen das Thema Körper im Rahmen grundlegender erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen berücksichtigt wird. Zu nennen ist zunächst die Auseinandersetzung mit Körper(n) im Rahmen der erziehungswissenschaftlichen Sozialisationsforschung, wie sie im Hinblick auf die

fragestellung von scheinbaren Gegebenheiten (vgl. Tuider 2003, 49; Macha/Fahrenwald 2003, 35).

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körperliche Dimension (intergenerationalen) mimetischen Handelns ausgearbeitet wurde. Der Ausgangspunkt dieser Forschungsperspektive besteht in der Annahme, dass die Bedeutungen körperlicher Aufführungen von frühester Kindheit an mimetisch erlernt werden. Mimetisches Handeln ist dabei nicht als reine Nachahmung, sondern als ein aktives Sich-in-Beziehung-setzen-zur-Welt zu verstehen. Dieser Akt wird als ein genuin körperlicher Vorgang verstanden, der zwischen dem Begehren nach Zugehörigkeit durch die Übernahme von sozialen Handlungen und dem Wunsch nach der Erzeugung von Differenz und Eigenständigkeit pendelt. In diesem Sinne sind soziale Handlungen niemals vollkommen identisch, sondern beziehen sich vielmehr aufeinander und ähneln sich (vgl. Wulf 2005, 8f.). Ausgearbeitet wurde diese Perspektive im Konzept einer Pädagogik des Performativen, die ihren Fokus auf den Vollzug pädagogischen Handelns in der Interaktion legt (vgl. Wulf/Zirfas 2007). Nicht das in der pädagogischen Situation Repräsentierte an sich, sondern der Umgang mit Repräsentationen und die Praktiken des Repräsentierens stehen im Mittelpunkt dieser Perspektive: „Eine performative Sichtweise verwirft eine allgemeine und totale Methode und Lesart von Realität zugunsten einer relativierenden, den Kontexten angepassten Interpretation, die eine Pluralität von ideomatischen Gesten und kontextuierenden Phänomenologien zeitigt“ (Wulf/Zirfas 2007, 9). Das in der Auseinandersetzung mit Körper und Sozialisation zum Ausdruck kommende Potenzial menschlicher Entwicklung ist zudem auch in explizit bildungstheoretischer Absicht aufgegriffen worden. Die Arbeiten zur körperlichleiblichen Dimension von Bildungsprozessen verorten sich nicht selten in Abgrenzung zu einem auf kognitive Prozesse ausgerichteten Bildungsbegriff, wie er meist in der gegenwärtig einflussreichen quantitativen Bildungsforschung zu finden ist. Ansätze einer körperbezogenen Perspektive auf Bildung stellen diese Engführung in Frage und verstehen Bildung als im weitesten Sinne „Veränderung der Welt- und Selbstreferenzen von Menschen“ (Marotzki 1999, 58) in einem bewusst auch körperlich-leiblichen Sinne. Bildungsprozesse werden auf diese Weise zu umfassenden Transformationen, die in Freiräumen für sinnliche Erfahrungen angeregt werden können. Anliegen ist es, das damit einhergehende „Lernen nicht auf innere Bewusstseinsvorgänge oder mentale Übungen solipsistischer Individuen zu reduzieren, sondern [...] vom körperlich-mentalen Agieren gesellschaftlicher Akteure in materiell eingebetteten, lokal situierten Praktiken“ (Alkemeyer 2006, 121) auszugehen. Die erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Körpers für die pädagogische Praxis schließt an diese Überlegungen an. Pädagogische Tätigkeit als zielgerichtetes Handeln ist – wie jedes andere soziale Handeln auch – von körperlichen Bezügen durchwoben. Diese zeigen sich insbesondere in für konkrete pädagogische Situationen zentrale Spannungsverhältnisse von Zwang

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versus Freiheit sowie Nähe versus Distanz (vgl. exemplarisch Helsper 2007). Denn die in der Pädagogik zwischen Zwang und Freiheit stattfindende soziale Disziplinierung der oder des Einzelnen zum Zwecke der Befähigung selbstständiger gesellschaftlicher Teilhabe muss immer auch als Körper(selbst)disziplinierung gedacht werden: Die körperliche Bedingtheit von klein auf gesteuerter sozialer Handlungen, die Einbindung in institutionalisierte und somit regelhafte Kontexte sowie ein damit einhergehendes rollenkonformes Interaktionsverhalten inklusive eines adäquaten Umgangs mit Aggression, Sexualität usw. sind dabei offensichtlich. Da sich pädagogisches Handeln einerseits durch die Vermittlung sozialen Wissens legitimiert, das die Grundlage für soziale Anpassung bildet und andererseits die Autonomie des oder der Einzelnen stärken soll, kann das Ziel allein in einer immer wieder neu auszuhandelnden Balance von Zwang und Freiheit bestehen, die auch in ihrer körperlichen Dimension für alle Beteiligten zu erfassen und reflektieren ist. Im Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz kommt dem Körper in der pädagogischen Tätigkeit der Erziehenden eine zentrale Bedeutung zu: Das Gelingen der Herstellung einer Beziehung ist auf Nähe angewiesen und zugleich bedarf es einer Distanz, um Lösungswege für ein bestehendes Problem aufzeigen zu können (ebd., 24ff.). Die Frage nach Nähe und Distanz ist dabei nicht allein als Fähigkeit der gedanklichen Abgrenzung von Pädagoginnen und Pädagogen zum Zweck der Psychohygiene zu verstehen, sondern auch ganz konkret auf die Gestaltung einer angemessenen körperlichen Beziehung zwischen den Beteiligten (als Schutz für den Klienten oder die Klientin) zu beziehen.7 Umso verwunderlicher ist es, dass die körperliche Dimension pädagogischen Handelns als sozialem Handeln zwischen sich wechselseitig wahrnehmenden „leiblichen Wesen“ (Meyer-Drawe 2006, 76) oftmals nicht hinreichend reflektiert wird: „in pädagogischen Interaktionen mischt Leib mit, selbst wenn er sich häufig in einer Art heimlicher Mechanik verbirgt“ (ebd.). Begünstigt werden kann diese „heimliche Mechanik“ des Körperlichen durch die meist institutionalisierten Kontexte pädagogischer Praxis, wie Antje Langer in ihrer ethnografischen Untersuchung zur Bedeutung von Körper im Kontext Schule aufzeigt:

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Diese Dimension hat durch den seit Ende der 1990er Jahre öffentlich gewordenen sexuellen Missbrauch von Schülerinnen und Schülern durch Lehkräfte der Odenwaldschule noch einmal an Bedeutung gewonnen. Auffällig ist, dass in diesem Zusammenhang der Themenkomplex „Körper und Pädagogik“ zwar vereinzelt angesprochen, jedoch nicht systematisch körpertheoretisch bearbeitet wird (vgl. Hartwig/Hensen 2003 sowie die Sammelbände Baldus/Utz 2011; Andresen/Heitmeyer 2012). Eine Ausnahme bildet der Beitrag von Veronika Magyar-Haas, die in der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Scham, Macht und Normierung unter Rückgriff auf Helmuth Plessner auf das Verhältnis von Leib und Scham eingeht (vgl. Magyar-Haas 2012).

30 | K ÖRPER UND M IGRATION „Insgesamt zeigt sich, dass Schule und ihr Verhältnis zu den in ihr agierenden Körpern, welche sie zugleich mitgestaltet, kaum wahrgenommen und diskutiert werden. Diese Beobachtung trifft auch für andere pädagogische Institutionen zu. Das Verhältnis von Körper und (sozialem) Raum wird dabei fast ebenso wenig thematisiert, wie das von Körper und Kultur oder Migration. Körper werden in der Regel als individuelle gedacht und so gesellschaftlichen – vor allem aber institutionellen – Zusammenhängen entzogen“ (Langer 2008, 19).

Gerade in institutionalisierten Zusammenhängen wird die soziale Dimension des Körperlichen sichtbar und zeigt sich in ihrer sozial ein- beziehungsweise ausschließenden Funktion. Zugrunde liegende „Körper-Raum-Regime“ (ebd. 269) organisieren in institutionalisierten Kontexten ein angemessenes körperliches Verhalten. Die damit einhergehende Disziplinierung des Körpers in pädagogischer Praxis wird laut Langer allerdings tabuisiert. Als Grund dafür benennt sie die Abschaffung körperlicher Züchtigung, die nicht nur dazu geführt habe, dass das Verhältnis von Erziehung und Strafe – wenn überhaupt – ein Thema historischer Betrachtungen ist, sondern auch zum Verschwinden des Körpers als einem pädagogischen Thema beigetragen habe (ebd. 271). Anhand von Arbeiten zu den Themen Sozialisation, Bildung und Lernen sowie den Spannungsverhältnissen im Prozess pädagogischen Handelns wird deutlich, in welcher Weise die aufgezeigten Entwicklungen einer sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Körper im Rahmen grundlegender erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen bearbeitet werden (können); eine Systematik bestehender Themenschwerpunkte liegt gegenwärtig jedoch noch nicht vor. Gleichwohl wird deutlich, dass das Thema Körper vielfältige Möglichkeiten der Ausdifferenzierung von Fragestellungen und Forschungszugängen eröffnet, um das wechselseitige Verhältnis von Körper und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu untersuchen und Anregungen für die pädagogische Praxis zu formulieren.

1.2 D IE D IALEKTIK DES K ÖRPERLICHEN – ERSTER Z WISCHENSTAND In dieser Studie wird die Position vertreten, dass Körper als sozialwissenschaftliches Thema nur untersucht werden kann, indem zwei Perspektiven parallel gedacht werden: Körper ist eine materielle Gegebenheit und soziale Konstruktion zugleich. Körper lässt sich nicht durch eine der Perspektiven allein bestimmen und erst in ihrem dialektischen Zusammenspiel kann ein Eindruck davon entstehen, was wir als unseren Körper annehmen und also sind.

30 | K ÖRPER UND M IGRATION „Insgesamt zeigt sich, dass Schule und ihr Verhältnis zu den in ihr agierenden Körpern, welche sie zugleich mitgestaltet, kaum wahrgenommen und diskutiert werden. Diese Beobachtung trifft auch für andere pädagogische Institutionen zu. Das Verhältnis von Körper und (sozialem) Raum wird dabei fast ebenso wenig thematisiert, wie das von Körper und Kultur oder Migration. Körper werden in der Regel als individuelle gedacht und so gesellschaftlichen – vor allem aber institutionellen – Zusammenhängen entzogen“ (Langer 2008, 19).

Gerade in institutionalisierten Zusammenhängen wird die soziale Dimension des Körperlichen sichtbar und zeigt sich in ihrer sozial ein- beziehungsweise ausschließenden Funktion. Zugrunde liegende „Körper-Raum-Regime“ (ebd. 269) organisieren in institutionalisierten Kontexten ein angemessenes körperliches Verhalten. Die damit einhergehende Disziplinierung des Körpers in pädagogischer Praxis wird laut Langer allerdings tabuisiert. Als Grund dafür benennt sie die Abschaffung körperlicher Züchtigung, die nicht nur dazu geführt habe, dass das Verhältnis von Erziehung und Strafe – wenn überhaupt – ein Thema historischer Betrachtungen ist, sondern auch zum Verschwinden des Körpers als einem pädagogischen Thema beigetragen habe (ebd. 271). Anhand von Arbeiten zu den Themen Sozialisation, Bildung und Lernen sowie den Spannungsverhältnissen im Prozess pädagogischen Handelns wird deutlich, in welcher Weise die aufgezeigten Entwicklungen einer sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Körper im Rahmen grundlegender erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen bearbeitet werden (können); eine Systematik bestehender Themenschwerpunkte liegt gegenwärtig jedoch noch nicht vor. Gleichwohl wird deutlich, dass das Thema Körper vielfältige Möglichkeiten der Ausdifferenzierung von Fragestellungen und Forschungszugängen eröffnet, um das wechselseitige Verhältnis von Körper und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu untersuchen und Anregungen für die pädagogische Praxis zu formulieren.

1.2 D IE D IALEKTIK DES K ÖRPERLICHEN – ERSTER Z WISCHENSTAND In dieser Studie wird die Position vertreten, dass Körper als sozialwissenschaftliches Thema nur untersucht werden kann, indem zwei Perspektiven parallel gedacht werden: Körper ist eine materielle Gegebenheit und soziale Konstruktion zugleich. Körper lässt sich nicht durch eine der Perspektiven allein bestimmen und erst in ihrem dialektischen Zusammenspiel kann ein Eindruck davon entstehen, was wir als unseren Körper annehmen und also sind.

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„Körper sterben und wir mit ihnen. Aber das Wahrnehmen, Vorstellen und Handeln von Menschen in konkreten historischen Situationen formt den Körper in einer je spezifischen Weise als soziale Tatsache: Sie ,prägen‘ der Natur, die wir sind, eine gesellschaftliche ,Form‘ auf oder ,schreiben‘ ihr einen kulturellen ,Text‘ ein. Entscheidend sind hier nicht die Metaphern, die dieses Verhältnis zwischen Natur und Kultur einkreisen – entscheidend ist, dass dieses Verhältnis letztlich unfassbar bleibt und keine systematische, für alle Zeiten und Kulturen festlegbare Grenze die Natur unseres Körpers von seiner kulturellen Kodierung oder Formung trennt“ (Sarasin 2001, 12).

Das Denken über Körper verweigert sich somit nicht nur einfachen Definitionen, sondern stellt zugleich einige der zentralen Dualismen der Moderne in Frage. So kann der ,natürliche‘ Körper dem Bewusstsein nicht mehr ohne weiteres gegenüber gestellt werden. Die soziale Bedingtheit des Körpers ist in den Fokus gerückt und widerlegt – zum Teil verbunden mit der Betonung spürender Leiberfahrungen – die Idee eines höher gestellten Bewusstseins das über den Körper herrscht. Die oftmals gerade am Körper festgemachten binären Vorstellungen von Natur und Kultur, Individuum und Gesellschaft, Mann und Frau sowie Innen und Außen scheinen sich bei einer eingehenden Auseinandersetzung mit Körper aufzulösen. Die Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway8 verwendet in der Auseinandersetzung mit diesen zumeist unhinterfragten Gegenüberstellungen den Begriff der Diffraktion. Diese Bezeichnung für die Brechung des Lichts wird zur Metapher für ihre Perspektive der Auflösung von dichotomen Ordnungen. Anders als Reflexionen des Lichts produziert Diffraktion nicht ,das Gleiche‘, sondern führt zu vielfältigen und flexiblen Bezugnahmen, die sich nicht durch überdauernde Systematisierungen fassen lassen. Mit dem Ziel, Polarisierungen aufzulösen wo Übergänge bestehen, verdeutlicht sie die Gleichzeitigkeit von diskursiver Bedingtheit sowie materieller Verankerung des Körpers (vgl. Haraway 1995). Jascha Rohr schreibt zu den Überlegungen von Haraway: „Er [der Begriff Diffraktion, H.T.] ist eine Metapher dafür, wie sich Körper und Bedeutungen unaufhörlich innerhalb ihres Netzes verschieben und somit immer neue vielfältige Möglichkeiten eröffnen, ohne jedoch vollständig aus ihren materiellen und gesellschaftlichen Kontexten herauszufallen“ (Rohr 2004, 44). Auch wenn der Körper weder eine natürlich gegebene Ressource als Grundlage für Kultur und Gesellschaft noch eine kohärente Struktur darstellt, so verbürgt er die soziale Ordnung in beeindruckender Weise. Denn Körper fungiert nicht als bloße

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In ihrer Figur des Cyborg löst Haraway die Vorstellung von Mensch und Maschine auf. Als „Zusammensetzungen aus dem Organischen, Technischen, Mythischen, Textuellen und Politischen“ (Haraway 1995, 24) implodieren die Bezüge im Cyborg ineinander.

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konditionierte Materialität, sondern das inkorporierte Wissen wird ständig überlagert und neu strukturiert (vgl. Bublitz 2006, 346). Ausgehend von dieser Perspektive stellen sich für diese Studie zwei Fragen: Zum Ersten, wie das Verhältnis von Körper und Sozialität theoretisch gefasst werden kann, welche Mechanismen rekonstruiert werden können und welche Muster der Bezugnahme aufeinander erkennbar sind. Und zum Zweiten, ob und in welcher Weise Migration als Erfahrung und Zuschreibung Einfluss auf dieses Verhältnis nimmt. Auf die erste Frage wird im folgenden Kapitel zu Körper und Sozialität eingegangen. Für die Beantwortung der zweiten Frage wurde im Kapitel drei eine Sichtung der Bereiche vorgenommen, in denen das Thema Körper in Bezug auf Migration thematisiert wird. Die anschließend dargestellte empirische Untersuchung baut auf der Rekonstruktion dieser medialen, wissenschaftlichen und pädagogischen Perspektiven auf Körper im Kontext von Migration auf.

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hen von George Herbert Mead lassen sich die Arbeiten der in diesem Kapitel bearbeiteten Autoren dem sozialwissenschaftlichen Kanon der gegenwartigen Körperdebatte zurechnen: Helmuth Plessner, Pierre Bourdieu und Erving Goffman. Diese Autoren werden in der Regel als Vertreter unterschiedlicher paradigmatischer Wissenschaftsrichtungen gegeneinander abgegrenzt. In synoptischer Absicht soll der Fokus im Folgenden auf die Anschlussfähigkeit und gegenseitige Ergänzung ihrer Ausführungen zu Körper gelegt werden. Es handelt sich somit explizit nicht um die Darstellung einer chronologischen Entwicklung von zunehmend überzeugenderen Aussagen. Im Folgenden werden, ausgehend von der körperleiblichen Fundierung menschlicher Existenz in ihrer Unabgeschlossenheit bei Plessner, Meads Überlegungen zur körperlichen Verankerung von Interaktion angeschlossen, die wiederum mithilfe von Bourdieu im Rahmen der (Re-)Produktion sozialer Strukturen ausgearbeitet werden. Die daran anknüpfbaren Ausführungen von Goffman zu den Strategien und Techniken im Rahmen sozialer Aufführungen zwischen Individuen und Gruppen werden in Überlegungen zu Konzepten menschlicher Inszenierungen und performativer Praktiken weitergeführt. Die auf diese Weise entwickelte theoretische Perspektive bildet eine Grundlage für die empirische Untersuchung der vorliegenden Arbeit.2

2.1 K ÖRPER , L EIB UND EXZENTRISCHE P OSITIONALITÄT BEI H ELMUTH P LESSNER Der deutsche Philosoph und Naturwissenschaftler Helmuth Plessner (1892-1985) gilt als Vertreter der in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstandenen Denkrichtung der Philosophischen Anthropologie (vgl. Fischer 2008, Krüger/Lindemann 2006).3 Für Plessner hat die anthropologische Reflexion nicht die Entwicklung zeitloser Gesetzlichkeiten des Wesens des Menschen zur Aufgabe, sondern die „Funktion eines beständigen Korrektivs“ (Plessner 1939, 812).4 Wie im

2

Aufgrund des zirkulär angelegten Forschungsdesigns der Untersuchung ist dieses Kapitel in seiner endgültigen Form theoretische Grundlage und zugleich auch als ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem empirischen Material zu verstehen.

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In der Regel werden Scheler, Plessner und Gehlen als Hauptvertreter genannt. Die damit einhergehende Vorstellung, die drei Autoren verträten einen Denkansatz, ist wiederholt kritisiert worden. Zur Diskussion der Philosophischen Anthropologie als einem „ortlosen“ Denkansatz vgl. Fischer 2008, 479.

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Und an anderer Stelle schreibt Plessner: „Die eigentümliche Verbundenheit mit der praktischen Situation schließlich verbietet der Philosophischen Anthropologie, den Menschen, wenn auch in der Fülle ,aller‘ seiner Seinsdimensionen, auf das hin, was er

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Weiteren deutlich wird, sind Plessners Ausführungen daher auch nicht als Anthropologie im klassischen Verständnis, sondern „im Sinne einer Theorie personaler Vergesellschaftungsprozesse“ zu verstehen, in der „die bloße Unterscheidung zwischen Menschen und anderem, reflexiv zum Gegenstand gemacht“ wird (Lindemann 2006, 46). Da für ihn die „,Grundfigur des menschlichen Daseins‘ nicht vorrangig durch die Momente des Selbstbewusstseins oder der Sprache gekennzeichnet ist, sondern schwerpunktmäßig ,im Banne des Körpers‘ (vgl. Plessner 1941/2003, 211) steht“ (Kubitza 2005, 16), erscheinen seine Ausführungen für eine Untersuchung der körperlichen Dimension von Sozialität ertragreich. Plessners Überlegungen wenden sich somit gegen jenen „philologischen Imperialismus, dem zufolge alles, was Sinn hat, auch sprachlich soll ausgedrückt werden können“ (Habermas 1981b, 140). Plessner entwickelte viele seiner grundlegenden Überlegungen im Rahmen seiner Stufensystematik des Organischen. Zunächst existieren Menschen als physische Körper und unterscheiden sich darin nicht von anderen Körpern wie beispielsweise einem Stein. Als geschlossenes und lebendiges Ding liegt beim Menschen – wie auch beim Tier – allerdings eine Doppelaspektivität von Leib und Körper vor.5 Als

,eigentlich‘ sein kann und soll, zu formulieren oder definieren. [...] ,Der‘ Mensch (seiner Species nach) bildet zwar ihre Leitkategorie, aber nicht zum Zweck einer bloßen Klassifikation, sondern der Sicherung einer Unergründlichkeit, welche den Ernst der Verantwortung vor ,allen‘ Möglichkeiten ausmacht, in denen er sich verstehen und also sein kann“ (Plessner 1937/2003, 39). 5

Sprachgeschichtlich stammt das Wort „Leib“ vom althochdeutschen Wort lìb ab, welches die Bedeutung Leben oder auch Lebensweise hat. Im christlichen Sprachgebrauch wurde der Begriff zur Bezeichnung des menschlichen beseelten Leibes. Der Begriff „Körper“ hat seine Wurzeln im lateinischen corpus, hat sich seit dem 13. Jahrhundert in allen germanischen und römischen Sprachen in diversen Formen erhalten und bezeichnet einen unbeseelten (toten) menschlichen Körper, den seelenlosen Tierkörper oder auch physikalische beziehungsweise mathematische Körper (vgl. Macha 1989, 63 zit. n. Schaufler 2002, 36; ausführlich bei Lorenz 2000, 32ff.). Neben dem historisch älteren Begriff des Leibes konnte sich laut Gernot Böhme der Körperbegriff erst im Zuge der Verbreitung der cartesianischen Philosophie ab den 18 Jh. etablieren. Im 20. Jh. wurde der Leibbegriff durch die Philosophie wieder entdeckt, um gerade einen Ausdruck zu haben, den man dem cartesianischen Konzept von Körper (als Maschine) entgegen setzen konnte. Bei allen Differenzen scheint nach Böhme den verschiedenen Leibphilosophien gemein, dass ein Unterschied zwischen Selbsterfahrung und Fremderfahrung besteht. Der Begriff „Körper“ soll dabei für die Perspektive der Fremderfahrung stehen, also als ein (eigener) Blick auf den Körper als einen Gegenstand. Der Begriff „Leib“ steht für unsere Physis, die uns durch Selbsterfahrung, durch das ei-

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zwei Seinslagen eines Grundsachverhalts (vgl. Plessner 1928/2003, 303ff.) ist das geschlossene lebendige Ding sein Körper selbst und in ihm. Beide Seinslagen sind nicht ineinander überführbar. „Leib und Körper fallen, obwohl sie keine materiell voneinander trennbaren Systeme ausmachen, sondern ein und dasselbe, nicht zusammen. Der Doppelaspekt ist radikal“ (Plessner 1928/2003, 367). Die Beziehung dieser durch ein Nebeneinander gekennzeichneten Einheit beschreibt Plessner als „Oszillation“ (ebd., 303) und betont so die damit einhergehende Unabgeschlossenheit und ein potenzielles Anderswerden des lebendigen Dings. Das für das lebendige Ding als geschlossener Form angenommene positionale Zentrum kann somit keine fixe Größe darstellen, denn „positionale Mitte gibt es nur im Vollzug“ (ebd., 362). In dieser zentrischen Positionalität als Existenz im ,Hier-Jetzt‘ als spürender Leib und sich zu seinem Umfeld verhaltender Körper ist dabei dem Tier „sein selber Sein verborgen“ (ebd. 360). Demgegenüber ist dem Menschen seine Grundverfasstheit bewusst: „er lebt und erlebt nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben“ (ebd. 364). In der Fähigkeit des Menschen, seine doppelte Verwiesenheit zu erkennen – sich als Körperding betrachten zu können und zugleich leiblich gebunden zu sein –, schreibt Plessner dem Menschen seine Ex-Zentrizität zu. Indem sich der Mensch zu dem, was er ist, erst machen muss, wird die antinomische Seinshaftigkeit des Menschen aufgezeigt (vgl. ebd. 348): „Exzentrische Lebensform und Ergänzungsbe-

gene Empfinden zugänglich ist. Die „leibliche Strukturierung eines Seins in Welt“ (Meyer-Drawe 1990, 67) entzieht sich somit der Unterscheindung zwischen res extensa und res cognitas. Ein Unterschied zwischen Fremd- und Selbsterfahrung der eigenen physischen Existenz liegt im Grad der Betroffenheit, da wir uns von unserem Leib nicht lösen können, wovon jedoch bei dem Terminus Körper zumindest ein Stück weit ausgegangen wird (vgl. Böhme 2003, 12). Als Möglichkeit der Überwindung eines dualistischen Denkens von Geist und Körper wurde jedoch auch immer wieder angemerkt, dass diese Zweiteilung durch die Unterteilung zwischen Körper und Leib auf die körperliche Ebene verschoben wird. Die damit unter anderem verbundene Ausspielung des vermeintlich authentischen (natürlichen) Leibes gegen den manipulierbaren (kulturellen) Körper setzt sich laut Maren Lorenz seit den Arbeiten des Phänomenologen Edmund Husserl in verschiedenen Ansätzen fort (vgl. Lorenz 2000, 33). Daher ist es zentral, die Unterteilung zwischen Körper und Leib als eine rein theoretische Überlegung zu vollziehen, denn weder eine Hierarchisierung der beiden Aspekte noch ein Blick einzig auf den Körper beziehungsweise Leib führt zu einer umfassenden Auseinandersetzung. Entsprechend der Kritik an eines durch die sprachliche Unterteilung auf physischer Ebene reproduzierten Körper-Geist-Dualismus wird für diese Studie die Auffassung vertreten, dass die aneinander gekoppelten körperlichen wie leiblichen Erfahrungen gesellschaftlich-kulturell geformt sind.

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dürftigkeit bilden ein und denselben Tatbestand“ (ebd., 285). Das exzentrische Wesen Mensch beschreibt Plessner als „bedürftig, hälftenhaft, nackt“ (ebd. 391) und „nicht im Gleichgewicht“ (ebd. 385). Durch die Schaffung außernatürlicher und somit kultürlicher Dinge von „Gewicht“ versucht der Mensch, ein Gleichgewicht herzustellen (vgl. dazu das anthropologische Grundgesetz der „natürlichen Künstlichkeit“ des Menschen bei Plessner 1928/2003, 282ff.). „Die konstitutive Gleichgewichtslosigkeit seiner besonderen Positionalitätsart – und nicht erst die Störung eines ursprünglich normal, harmonisch gewesenen und wieder harmonisch werden könnenden Lebenssystems ist der ,Anlass‘ zur Kultur“ (vgl. Plessner 1928/2003, 391). Die in der exzentrischen Positionalität und dem sich daraus ergebenden kultürlichen Schaffen angelegte soziale Ergänzungsbedürftigkeit wird im neben der Außen- und Innenwelt6 bestehenden Begriff der Mitwelt als einer „Sphäre des Einander“ (vgl. Plessner 1928/2003, 378) weiter ausgeführt. „Mitwelt ist die vom Menschen als Sphäre anderer Menschen erfasste Form der eigenen Position. Man muss infolgedessen sagen, daß durch die exzentrische Positionsform die Mitwelt gebildet und zugleich ihre Realität (der exzentrischen Positionalität, H.T.) gewährleistet wird“ (ebd., 375). In ihrer Exzentrizität wird die Positionalität des Menschen „gleichursprünglich“ zur Außen-, Innen- und Mitwelt geöffnet (vgl. Fischer 2008, 539). Die Frage nach den (biologischen) Grundlagen für die Entstehung eines Bewusstseins von und zwischen Menschen stellt sich aus dieser Perspektive nicht, denn in der exzentrischen Positionalität des Menschen ist diejenige Anderer zwangsläufig immer schon gegeben (vgl. Köllner 2006, 286). Die konstitutive Doppelaspektivität menschlicher Existenz oder vielmehr die „Übergangsmetapher der ,Verschränkung‘“, wie Plessner dieses Phänomen in den Arbeiten nach seinem Hauptwerk „Die Stufen des Organischen und der Mensch“ (1928) bezeichnet (vgl. Kubitza 2005, 105, 115ff.), kann potenziell reflektiert werden, wird jedoch nicht ständig durch Reflexion begleitet. Das Prinzip exzentrischer Positionalität kennzeichnet sich vielmehr durch das leibliche Sein des Menschen in der Welt, „dem die grundsätzliche Möglichkeit eines Rückzugs ,in‘ sich gegeben ist, ohne dabei allerdings eine Eingebundenheit in die Sphäre des Sozialen überwinden zu können“ (ebd., 52). Der Akt der Bewusstwerdung ist nicht aus einer „monologischen Stellung“ (ebd., 103) heraus gedacht. Denn gerade durch die grundlegende Unabgeschlossenheit der eigenen Existenz ist deren Bewusstwerdung immer ein sozialer Akt im Austausch mit Anderen/m: „Die Möglichkeit der

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Die Außenwelt bringt Plessner mit dem Bewusstsein (der umgebenden Dingwelt), die Innenwelt mit der Seele (als einer Skala des Selbstseins) in Verbindung (vgl. Plessner 1928/2993, 365ff.).

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Abgrenzung des Menschen von anderen/m kann nur als Herstellung von Distanz und niemals als ,Entkopplung‘ erscheinen. Es entsteht allein ein „subjektive[r] Spielraum innerhalb des Grundverhältnisses wechselseitiger Verbundenheit und Durchdringung“ (ebd., 104). Durch die Ausführungen wird deutlich, dass die in der Rezeption von Plessners Arbeiten nicht selten zu findende klare Abgrenzung von ,Körper-Haben‘ und ,LeibSein‘ der Komplexität seines Denkens nicht gerecht wird.7,8 Die Annahme der Verschränkung von Körper und Leib als einer von Plessners „ambiguos und paradox strukturierten Denkfiguren“ (ebd. 102) verdeutlicht gerade seine nicht dualistische, einer offenen Dialektik verpflichtete Denkweise. Mithilfe des Prinzips der Verschränkung richtet Plessner den Fokus dabei nicht auf das eine oder andere, sondern gerade auf die Grenze als Übergang von nicht Trennbarem, das zugleich niemals ineinander aufgehen kann: Das Konzept der Grenze bildet ein Gebiet, das kein „real aufweisbares Zwischen“ (Plessner 1928/200, 151) darstellt (zum Wesen der Grenze vgl. ebd. 149ff., vgl. dazu auch Mitscherlich 2007, 92-102)9. Aus dieser Perspektive vollzieht sich Menschsein als im Übergang befindliche Existenz.10 Die

7

Die damit teilweise einhergehende Annahme, die soziale Bedingtheit des Menschen sei allein auf die Distanzierung im Körper-Haben bezogen, da leibliches Spüren ein gewissermaßen größere natürliche Ursprünglichkeit besitze, ist nicht zu halten. Der Blick der Anderen und die Auseinandersetzung damit beeinflusst unser Selbstverständnis auf beiden Ebenen (vgl. Böhme 2003, 29).

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Es stellt sich die Frage, ob Plessner mit seinem Versuch, durch begriffliche Neuschöpfungen dualistische Denkstrukturen aufzulösen, aufgrund des Problems „auf eine Sprache angewiesen zu sein, die das, was in Zweifel gezogen wird, nämlich der Dualismus, permanent beglaubigt“ (Meyer-Drawe 2010, 215) diese nie wirklich überwinden konnte.

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Plessner entwickelt in seinem Aufsatz Über einige Motive der Philosophischen Anthropologie (1956) die Idee einer über bestehende Fachdisziplinen hinweg verlaufenden „Grenzforschung“. An dieser Stelle setzt auch seine Auseinandersetzung mit den menschlichen Ausdrucksweisen des Lachens und Weinens an, „an welche die in Physiologie des Körpers und Psychologie des Bewußtseins aufgespaltene Forschung nicht herankonnte, weil ihr der Zwischenbereich zwischen Außen und Innen, d.h. die Grenzzone, in welcher der Mensch als Ganzer lebt, grundsätzlich verschlossen war“ (Plessner 1956/2003: 124).

10 Ausgehend von der Idee der Grenze oder des Übergangs erscheinen Formulierungen wie des Körpers als Mitte in einem synthetisierenden Sinne irreführend, da Antje Stache in ihrer Arbeit zum Boxen gerade die Position des Körperlichen zwischen Dichotomien der Unmittelbarkeit und Vermittlung, Passivität und Aktivität, Selbst- und Fremdbestimmung benennen möchte (vgl. Stache 2010, 27f.).

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körperleibliche menschliche Existenz zwischen Innen-, Außen und Mitwelt wird somit durch das soziale und gegenständliche Umfeld mitbestimmt und entzieht sich einer klaren Trennung von Subjekt- und Objektvorstellungen. An dieser Stelle kann die Frage gestellt werden, ob man Plessner womöglich als einen „Avantgardisten eines so genannten ,postmodernen‘ Denkens“ (vgl. Kubitza 2005, 16) verstehen sollte und sich seine Arbeiten mit Überlegungen eines stärker fragmentarisierten Subjektbegriffs verknüpfen lassen (vgl. zu möglichen Anknüpfungspunkten de Mul 1991). Ausgangspunkt des in diesem Zusammenhang relevanten und seit den 1990er Jahren in zunehmendem Maße sozialwissenschaftlich bearbeiteten Themenkomplexes „Körper und Identität“11 bildet in der Regel die Annahme, dass Körper und/oder Leib in der gegenwärtigen Identitätsdebatte (weiterhin) marginalisiert werden (vgl. Schillings 1993; Haneberg 1995; Rohr 2004; Kubitza 2005; Gugutzer 2002, 2005). Zu Recht wird an den (klassischen und aktuelleren) Identitätstheorien und ihren theoretischen Grundlagen kritisiert, dass sie den Körper beziehungsweise Leib als Basisgröße der Identitätsentwicklung nicht hinreichend einbeziehen: „Befragt man die […] aktuellen identitätstheoretischen Entwürfe auf ihre Einbeziehung leiblicher Erfahrungen […], so scheinen sich diese dem Vorwurf einer Marginalisierung […, des Aspekts, H.T.] auf den ersten Blick dadurch leicht zu entziehen, indem sie auf Diskursfelder wie etwas [sic!] dasjenige der ,Geschlechtsidentität‘ verweisen. Demgegenüber gilt es allerdings zu konstatieren, dass allgemeine identitätstheoretische Bezugnahmen auf den Aspekt Leiblichkeit meist kaum über bloße Andeutungen hinausgehen“ (Kubitza 2005, 77).

Es kann somit davon ausgegangen werden, dass Identität überwiegend als kognitive Struktur gedacht wird. Wird der Körper dennoch einmal thematisiert, so scheint er in das Konstrukt von Identität nicht konstitutiv eingebunden. Allerdings sollte im Rahmen der nachvollziehbaren Kritik an einer identitätstheoretischen Engführung auf mentale Vorgänge klar sein, dass die Bezugnahme auf Körper beziehungsweise Leib keine Grundlage für die (Re-)Aktivierung von Identitätsvorstellungen als etwas dauerhaft Stabiles bildet. Denn mit Plessner kann aufgrund des Körper/LeibVerhältnisses in der exzentrischen Positionalität gerade nicht von einem stabilen und autonomen Subjektentwurf ausgegangen werden. Im Menschsein als Existenz

11 Innerhalb der vielfältigen Verknüpfungen von Körper mit Aspekten wie Geschlecht, Kommunikation, Medien, den verschiedenen Lebensphasen usw. kommt dem KörperIdentitäts-Verhältnis eine besondere Popularität zu. Barbara Duden merkt zu diesem theoretischen Vorgehen kritisch an, dass der Eindruck erweckt würde, als könnten die Begriffe „Identität“ und „Körper“ erst klar getrennt und dann wieder zusammengeführt werden (vgl. Duden 2004, 16).

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auf der Grenze kann das Körper-Leib-Verhältnis als Verschränkung im Übergang nicht als fester und sicherer Ort gedacht werden. Trotz Verbindungspunkten zu hybriden Identitätsvorstellungen (vgl. z.B „Identitätsbalancen“ bei Krappmann 1993; „Bastelexistenzen“ bei Hitzler/Honer 1994;12 und „Patchworkidentitäten“ bei Keupp u.a. 2008) erscheint Plessner in seinen Ausführungen allerdings kaum als postmoderner Vordenker. Seine Selbstpositionierung in Abgrenzung zur Idee „definitiver Schließung des sozialen Möglichkeitshorizontes“ (Makropoulos 1995, 100) einerseits, aber auch zur Vorstellung „der radikalisierten Entgegensetzung von Wirklichkeit und Möglichkeit“ (ebd.) andererseits weist in seinem Konzept exzentrischer Positionalität als einem Ansatz der klassischen Moderne kritisch über diese hinaus. Heike Kämpf sieht in Plessners Exzentrizitätsbegriff gar das Potenzial, die postmoderne Konzeption der Fragmentarisierung des Subjekts abzulösen, da dieser die „identitätslogische Bestimmbarkeit“ unterlaufe: „Diese Exzentrizitätsstruktur ermöglicht zugleich gegen die Idee der Zersplitterung einer Einheit des Subjekts zu denken, die allerdings Widersprüche in sich aufnehmen kann“ (Kämpf 2001, 116). Wie Thorsten Kubitza in seiner eingehenden Analyse von Plessners Werk im Hinblick auf identitätstheoretische Konzeptionen formuliert, lassen sich Plessners Ausführungen demnach als differenztheoretische Konzeption mit „identitätskritische(m) Potenzial“ verstehen (Kubitza 2005, 101): „exzentrische Positionalität kennzeichnet eine ,strukturelle Nichtidentität‘, die in der Position durch künstlichen Vollzug geschlossen, vital überbrückt und kompensiert, zum lebendigen Ausgleich gebracht werden muss, die durch immer wieder neue Geschichte und Geschichten ,verkörpert‘ wird“ (Fischer 2008, 539). Plessners Subjekt ist ein auf der Grenze zwischen Leib und Körper und somit in sich offen gedachtes Konzept, das vielfältige sozialitätstheoretische Fragen aufwirft. Ihren Ausgang finden sie in der Kritik der Idee „eines angeblich fraglosen Eigenwesens des Menschen“ (Plessner, 1937/2003, 46), welcher er die Vorstellung einer „Unergründlichkeit und Unsicherheit“ (ebd.) menschlicher Existenz entgegenstellt. Durch die im Folgenden vorgestellten Ausführungen George Herbert Meads zeigt sich, dass beide Autoren ausgehend von der Vorstellung einer nichtdualistischen Einheit von Körper und Geist das Konzept des Selbst als einen „Verhältnisbegriff“ (Arnold 2005, 85) formulieren, indem sie die „,Dialektik‘ der Vermitteltheit des menschlichen Lebens“ (Rehberg 1985, 71) betonen. Wie Plessner nimmt auch Mead eine sozialanthropologische Perspektive ein. Dabei lassen sich Meads interaktionstheoretischen Überlegungen zur „Geste“ auf Mikroebene durchaus an die im Körper-Leib-Verhältnis fundierte Sozialität bei Plessner anknüpfen.

12 Das von Ronald Hitzler und Anne Honer entwickelte Konzept der Bastelexistenz bezieht sich explizit auf Plessner, zur Kritik vgl. Kubitza 2005, 51f..

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Grundlage bildet die Annahme einer „Reziprozität der Perspektiven“ (Habermas 1981c, 139), wobei Mead durch seine interaktionstheoretische Perspektive Plessners etwas abstrakt anmutende Idee von Sozialität intersubjektiv verankert. Die in der vorliegenden Studie entwickelte Perspektive wird auf diese Weise noch einmal deutlicher in sozialen Interaktionsprozessen verortet.13

2.2 G ESTE UND SYMBOLISCHE I NTERAKTION BEI G EORGE H. M EAD Der interaktionstheoretische Ansatz des amerikanischen Sozialpsychologen George Herbert Mead (1863-1931) schlägt vielfältige Brücken zu soziologischen und anthropologischen Fragestellungen. Seine Überlegungen sind in unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen worden und sind maßgeblich in die Methodologie des Symbolischen Interaktionismus eingeflossen14 (vgl. Kapitel 4.4). Meads Arbeiten gehören im Vergleich zu den in diesem Kapitel herangezogenen drei weiteren Autoren allerdings nicht zum Kanon sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema Körper. Ganz im Gegenteil wird Mead durchaus zu den Vertretern gezählt, die gerade keine körperliche beziehungsweise leibliche Fundierung menschlicher Existenz vornehmen, sondern einen kognitiven Schwerpunkt auf lautsprachliche Kommunikation bei der Analyse menschlicher Existenz vornehmen (vgl. Kubitza 2005, 67ff.; Gugutzer 2002; 32ff.15). In Abgrenzung dazu werden Meads Überlegungen im Folgenden auf ihr Potenzial für die Auseinandersetzung mit Körper und Sozialität untersucht. Nach Mead konstituieren sich Individuen durch symbolische Bedeutungen, die sie in der Interaktion mit Anderen aushandeln. Ausgangspunkt sind die Handlungen

13 Jürgen Habermas bezeichnet Mead und Plessner als „Geistesverwandte“ (Habermas 1981c, 139). Zum Verhältnis von Meads und Plessners „Persönlichkeitsmodellen“ vgl. Rehberg 1985, 71ff.. 14 Dabei publizierte Mead kein einziges Buch, vielmehr fanden seine Überlegungen in veröffentlichten und unveröffentlichten Aufsätzen sowie insbesondere in Mitschriften seiner Vorlesungen Verbreitung. Am bekanntesten wurde das unter Meads Namen durch seinen Schüler Charles W. Morris zusammengestellte Buch „Geist, Identität und Gesellschaft“ (1934/2008) (vgl. Joas 2000, XII). 15 Robert Gugutzer selbst weist auf die Fundierung von Meads Überlegungen in nichtvokalen Gesten hin und erkennt ein Potenzial für körpertheoretische Überlegung, kommt jedoch dann überraschenderweise zu dem Schluss, dass Mead Körper kategorial aus dem Prozess der Identitätsbildung ausschließe (ebd. 34f.). Die Frage nach der Berücksichtigung leiblicher Empfindungen bei Mead wird allerdings zu diskutieren sein.

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Grundlage bildet die Annahme einer „Reziprozität der Perspektiven“ (Habermas 1981c, 139), wobei Mead durch seine interaktionstheoretische Perspektive Plessners etwas abstrakt anmutende Idee von Sozialität intersubjektiv verankert. Die in der vorliegenden Studie entwickelte Perspektive wird auf diese Weise noch einmal deutlicher in sozialen Interaktionsprozessen verortet.13

2.2 G ESTE UND SYMBOLISCHE I NTERAKTION BEI G EORGE H. M EAD Der interaktionstheoretische Ansatz des amerikanischen Sozialpsychologen George Herbert Mead (1863-1931) schlägt vielfältige Brücken zu soziologischen und anthropologischen Fragestellungen. Seine Überlegungen sind in unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen worden und sind maßgeblich in die Methodologie des Symbolischen Interaktionismus eingeflossen14 (vgl. Kapitel 4.4). Meads Arbeiten gehören im Vergleich zu den in diesem Kapitel herangezogenen drei weiteren Autoren allerdings nicht zum Kanon sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema Körper. Ganz im Gegenteil wird Mead durchaus zu den Vertretern gezählt, die gerade keine körperliche beziehungsweise leibliche Fundierung menschlicher Existenz vornehmen, sondern einen kognitiven Schwerpunkt auf lautsprachliche Kommunikation bei der Analyse menschlicher Existenz vornehmen (vgl. Kubitza 2005, 67ff.; Gugutzer 2002; 32ff.15). In Abgrenzung dazu werden Meads Überlegungen im Folgenden auf ihr Potenzial für die Auseinandersetzung mit Körper und Sozialität untersucht. Nach Mead konstituieren sich Individuen durch symbolische Bedeutungen, die sie in der Interaktion mit Anderen aushandeln. Ausgangspunkt sind die Handlungen

13 Jürgen Habermas bezeichnet Mead und Plessner als „Geistesverwandte“ (Habermas 1981c, 139). Zum Verhältnis von Meads und Plessners „Persönlichkeitsmodellen“ vgl. Rehberg 1985, 71ff.. 14 Dabei publizierte Mead kein einziges Buch, vielmehr fanden seine Überlegungen in veröffentlichten und unveröffentlichten Aufsätzen sowie insbesondere in Mitschriften seiner Vorlesungen Verbreitung. Am bekanntesten wurde das unter Meads Namen durch seinen Schüler Charles W. Morris zusammengestellte Buch „Geist, Identität und Gesellschaft“ (1934/2008) (vgl. Joas 2000, XII). 15 Robert Gugutzer selbst weist auf die Fundierung von Meads Überlegungen in nichtvokalen Gesten hin und erkennt ein Potenzial für körpertheoretische Überlegung, kommt jedoch dann überraschenderweise zu dem Schluss, dass Mead Körper kategorial aus dem Prozess der Identitätsbildung ausschließe (ebd. 34f.). Die Frage nach der Berücksichtigung leiblicher Empfindungen bei Mead wird allerdings zu diskutieren sein.

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beziehungsweise Gesten mit denen Menschen sich selbst und Anderen etwas anzeigen.16 Neben den symbolischen Gesten bestehen dabei auch nichtsymbolische Gesten als reflexhafte durch Instinkt geleitete Handlungen, wie sie auch bei Tieren zu finden sind. Doch auch „ein Mensch kann einen anderen schlagen, bevor er es will; ein Mensch kann nach einem lauten Geräusch hinter seinem Rücken aufspringen und davon laufen, bevor er noch weiß, was er tut. Wenn er es bewusst tut, drückt die Geste nicht nur diesen Sachverhalt gegenüber dem Beobachter aus, sie drückt auch den Gedanken dieses Individuums aus“ (Mead 1934/2008, 84).

Zentral für die Interaktion ist bei Mead die Verknüpfung von Handlung und Bewusstsein. Symbolische Bedeutung ist dann möglich, wenn die Möglichkeit der Verzögerung des Handelns durch ein reflexives Bewusstsein vorhanden ist und zum Einsatz kommt. Auf diese Weise können die eigenen sowie die Absichten des Gegenübers gedeutet werden. Zu signifikanten symbolischen Handlungen kommt es, wenn die Geste in der ausführenden Person dieselbe Reaktion auslöst wie bei der Person, an welche die Geste gerichtet ist. Grundlage für signifikante symbolische Interaktion bildet demnach die Fähigkeit, sich in den Interaktionspartner oder die partnerin, in seine oder ihre jeweilige soziale Rolle hinein zu versetzen. In der gegenseitigen Verschränkung der Rollenübernahmen der Interaktionspartnerinnen beziehungsweise -partnern kommt es zur Verständigung. Es entstehen gemeinsame Bedeutungen, die als Produkt sozialer Situationen somit weder alleiniges Ergebnis der Handlung des Interaktionspartners, der Interaktionspartnerin sowie des eigenen Handelns- und Handlungsbewusstseins sind. Gelingende Interaktion entsteht aus dem „Bewußtsein des Zusammenhangs eigener Handlungen und antizipierbarer Reaktionen des Anderen“ (Joas 2000, 105). Menschliche Intersubjektivität als Inter-Aktion zwischen den beteiligten Handelnden bildet bei Mead den Kern menschlicher Existenz und widerspricht der Vorstellung vorgeschalteter Individuen, die sich zu einer Gesellschaft zusammenschließen. Vielmehr bildet die Entwicklung von Gesellschaft überhaupt erst die Grundlage für die Entwicklung der Vorstellung von Individualität und somit der Idee von Identitäten ihrer Mitglieder. Aufgrund der Erfahrungen, die der Einzelne in seiner aktiven Rolle in der Interaktion mit Anderen macht, entwickelt sich nach Mead erst ein Bewusstsein des Selbst. Das Konzept des Selbst beruht demnach nicht auf einem vorsozialen ursprünglichen ,Sosein‘, sondern setzt sich aus der theoretischen Unterteilung in I und me als korrespondierenden Seiten des Selbst zu-

16 Zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Symbolbegriff sei auf das im Weiteren folgende Kapitel 4.3 verwiesen.

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sammen. Die Identifikation mit der Sicht der Anderen auf sich selbst führt zum me. Das I ist wiederum als „Reaktion des Organismus“ (Mead 1934/2008, 218) auf die Haltungen Anderer zu verstehen. Kann me als „empirical self“ wahrgenommen werden, so bleibt das responsive I dem Bewusstsein verschlossen. Das handelnde I – in seinen zuweilen kreativen und spontanen Facetten – kann sich seine Reaktionen nicht vergegenwärtigen, während es reagiert (vgl. Mead 1912/1980, 239). Die Vorstellung des Zusammenspiels von I und me zeigt sich laut Mead in Form der Ich-Identität. Meads Ausführungen verdeutlichen somit die interaktive Verwobenheit der Konstituierung eines Selbst und einer damit einhergehenden Vorstellung der eigenen Identität. Im unaufhörlichen Zusammenspiel zwischen me und I als Grundlage der Entwicklung des Selbst wird deutlich, dass Identität als Vorstellung vom Selbst keine statische Größe darstellt. In einem nicht endenden Prozess bringen äußere Einflüsse in Verknüpfung mit dem handelnden I verschiedene me‘s hervor, die wiederum das Selbst und die Vorstellung davon als Ich-Identität beeinflussen (vgl. Mead 1913/1980; 1934/2008, 216-221). Durch die Antizipation sozialer Erwartungen in der direkten Interaktion entwickelt sich – verdeutlicht an der kindlichen Entwicklung des Spiels von play hin zu game17 – das Konzept der „generalisierten Anderen“ als „Summe der generellen Haltungen, die man in einer konkreten Situation von allen Handelnden erwarten kann“ (Abels 2009, 200). Eine bedeutsame Form dieser antizipierten Handlungserwartung zeigt sich im Prozess der Institutionalisierung. Dabei ist „eine Institution letztendlich nichts anderes als eine Organisation von Haltungen, die wir alle in uns tragen; die organisierten Haltungen der Anderen, die das Verhalten kontrollieren und bestimmen“ (Mead 1934/2008, 255). In Ablehnung einer als Gegensatz strukturierten Beziehung zwischen reflexivem Bewusstsein und den physischen Grundlagen des Verhaltens erscheint es aus dieser Perspektive nicht möglich, „den sozialen Ursprung der Identität abzutrennen von der Dimension des Körperlichen: sowohl der organischen Reifungsprozesse wie das Verhältnis des Subjekts zu seinem Körper“ (Joas 2000, 94).18 In der Berücksichtigung des Körpers als Grundlage und Produkt von Interaktionsprozessen erscheint dieser somit nicht als biologisch konstanter Gegenpart zur soziokulturellen Entwicklung des Selbst. Vielmehr ist der Körper Teil der Entwicklung des Selbst und somit in seiner Materialität unweigerlich sozial. Am Beispiel des Aufbaus eines ,me‘ bei Taubstummen verdeutlicht Mead die Idee, dass die Lautgebärde nicht die einzige Möglichkeit der Entwicklung einer Identität darstellt, wenn er angibt: „Jede

17 Mit play ist die spielerische Rollenübernahme konkreter Anderer (der Mutter, dem Vater usw.) gemeint, game meint die Rollenübernahme allgemeiner und somit abstrakterer Vorstellungen „generalisierter Anderer“ (zum Beispiel Erwachsener). 18 Drittens wären an dieser Stelle leibliche Empfindungen zu nennen.

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Gebärde, durch die ein Individuum seinerseits ebenso angeregt werden kann, wie sie andere anregt, und die daher bei ihm selbst in der Weise eine Reaktion hervorrufen kann, wie sie dies sonst bei anderen macht, dient als Mechanismus für den Aufbau einer Ich-Identität“ (Mead 1912/1980, 239). Die „potenziell bedeutungstragende Lautgebärde“ stellt für Mead wohl den zentralen aber nicht einzigen Mechanismus menschlicher Sozialität dar (vgl. Joas 2000, 108). Das Händeschütteln als Grußform in westlichen Gesellschaften ist ein Beispiel für eine symbolische signifikante Geste (vgl. Weymann 2001, 99). Trotz Hinweisen auf die Bedeutung des Körperlichen in seiner sozialen Gebundenheit für die Entwicklung einer Ich-Identität und somit des Selbst wurde und wird in der Rezeption von Meads Interaktionstheorie der Schwerpunkt jedoch in der Regel auf die kognitive Entwicklung der Lautsprache als zentrales Mittel von Interaktion gelegt. Als Grund für die in der Rezeption vorgenommene Vernachlässigung der körperlichen Dimension bei Mead vermutet Hans Joas die Reduktion des Handlungsbegriffs auf den der Interaktion.19 Dabei ist Meads Theorie der Intersubjektivität keinesfalls allein auf sprachliche Verständigung fokussiert, sondern in Form einer „praktischen Intersubjektivität“ (Joas) als „einer sich im gemeinsamen Handeln zu Lebenszwecken ausformenden Struktur, in die die Leiblichkeit und die äußere Natur zwanglos eingehen. Sprachliche Intersubjektivität wird bei Mead aus der körpernäheren Struktur der Gebärdenkommunikation rekonstruiert und im kooperativen Handeln fundiert“ (Joas 2000, 19). Entgegen der Gefahr einer „sprachtheoretische(n) Verdünnung des Bedeutungsbegriffs“ (Joas 2000, 12) kann sich die Entstehung von signifikanter Bedeutung, wenn „das Symbol in der eigenen Identität das gleiche wie im anderen Individuum auslöst“ (Mead 1934/2008, 191) neben der Sprache der Worte auch auf die „Sprache der Gesten, vielleicht auch auf die Sprache des Mienenspiels“ beziehen (ebd., 189).20 „Offensichtlich hätten die Körper- und Lautgebärden ohne die ursprüngliche Situation einer sozialen Interaktion niemals ihre Zeichenfunktion erreichen können. Erst durch seine Beziehung auf andere Individuen ist ein Ausdruck von einem bloßen Ausfluß nervöser Erregung zu

19 Als weiteren vernachlässigten Punkt benennt Joas die durch Mead bearbeiteten gesellschaftspolitischen Fragestellungen (vgl. Joas 2000, S. IX). 20 Insbesondere in der Rezeption Meads symbolvermittelter Interaktion durch Jürgen Habermas wird eine Fokussierung auf Sprache deutlich (vgl. Habermas 1981b, 7-118). Grundlage für Habermas Integration von Durkheims Religions- und Moraltheorie in Meads Ansatz ist die Einschränkung symbolvermittelter Interaktion auf signalsprachlicher Kommunikation. Durch den herausgehobenen Stellenwert der Lautsprache bleiben andere Formen kommunikativer Handlung unberücksichtigt (vgl. Joas 2000, XIX).

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einer Bedeutung geworden, und diese Bedeutung bestand eben im Wert einer Handlung für ein anderes Individuum“ (Mead 1909/1980, 207).

Interaktional eingebundene Handlungen bilden dabei vermutlich eine ständige Mischung aus (signifikanten) symbolischen und reflexhaften Gesten. Die Unterteilung ist jedoch nicht mechanisch entlang der Unterscheidung zwischen vokalen (sprachlichen) Handlungen und anderen Arten von Gesten zu ziehen. So werden in der direkten Interaktion zudem nicht selten vokale und nicht vokale Gesten aufeinander bezogen, wie es beispielsweise bei einem Schulterzucken des Gegenübers als Reaktion auf das Stellen einer Frage der Fall ist. Es wird somit davon ausgegangen, dass auch nichtvokale symbolische Gesten zumindest potenziell „im Gesten setzenden Wesen die gleichen Reaktionen implizit auslösen, die sie explizit bei anderen Individuen auslösen oder auslösen sollen“ (Mead 1934/2008, 86) und somit signifikant sein. Deutlich wird dies an Meads Beispiel einer Person, die ihre Faust vor dem Gesicht einer anderen Person schüttelt: „Man nimmt an, daß es nicht nur möglichen Angriff bedeutet, sondern daß dieser Mensch eine Idee hat. Wenn nun eine solche Geste die dahinterstehende Idee ausdrückt und diese Idee im anderen Menschen auslöst, so haben wir ein signifikantes Symbol [, und so] erkennen wir ein Symbol, das einer Bedeutung in der Erfahrung des ersten Menschen entspricht und diese Bedeutung auch im zweiten Menschen hervorruft. An dem Punkt, an dem die Geste diesen Zustand erreicht, wird sie zu dem was wir ,Sprache‘ nennen. Sie ist nun ein signifikantes Symbol und bezeichnet eine bestimmte Bedeutung“ (ebd., 84f.).

Aus dieser Perspektive erscheint die Rezeption von Meads Interaktionstheorie als einer einzig auf die Lautsprache bezogenen Theorie verkürzt. Dies bedeutet nicht, die herausragende Bedeutung sprachlicher Interaktion in Meads Überlegungen zu bestreiten, vielmehr sollen nur eben auch die nicht im lautsprachlichen Sinne verstandenen Gesten im Rahmen symbolischer Bedeutungsaushandlung ihre Berücksichtigung finden. Die Bezugnahme auf den Körper kann als ein Ansatzpunkt für die Auseinandersetzung handlungstheoretischer Positionen mit dem Vorwurf eines „aktivistischen Verhältnisses zur Welt“ (Joas 1992, 246) fungieren. Denn wird der Körper nicht vollständig als ein durch die bewusste Intentionalität gesteuertes Instrument gedacht, so eröffnen sich Möglichkeiten der „passiven Intentionalität“ (ebd.) wie beim Wunsch einzuschlafen oder auch der Nichtintentionalität, wie im Lachen und Weinen. Körper wird so einem der zentralen Themen der Handlungstheorie (vgl. ebd, 246-251). Mithilfe der interaktionstheoretischen Überlegungen Meads konnte die zum Teil abstrakte Vorstellung von Sozialität bei Plessner intersubjektiv konkretisiert wer-

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den. Die Aufrechterhaltung der körperlichen Fundierung menschlicher Existenz in seiner sozialen Bedingtheit wird durch den Austausch von Gesten verankert. Beide Autoren gehen von einer sozialen Fundierung menschlicher Existenz aus und lösen in dieser Annahme die Unterteilung zwischen Bewusstsein und Verhalten auf. Wie Plessner geht Mead davon aus, dass sich intersubjektiv hergestellter Sinn nicht nur aus der Lautsprache, sondern auch aus nichtsprachlichen Aspekten bildet. Deutlich wird, dass sich Meads Überlegungen somit durchaus auf Körper beziehen lassen können. Allerdings wird die körperliche Existenz anders als bei Plessner weniger in ihrer empfindenden leiblichen Dimension berücksichtigt. Körperliches Spüren spielt demnach keine Rolle in Meads Interaktionstheorie, auch wenn in der Verknüpfung beziehungsweise Auflösung der Unterteilung von Bewusstsein und Körper durchaus das Potenzial für diese Perspektive gegeben wäre. Bezogen auf den Körper gibt Meads Interaktionstheorie aufgrund ihrer Fundierung im Austausch (symbolisch signifikanter) Gesten allerdings nur bedingt Aufschluss über die Mechanismen der Verfestigung und Reproduktion symbolischer Bedeutungen, wie sie für Interaktion in Gruppen beziehungsweise Gesellschaften angenommen werden und auch schon in Plessners Kulturbegriff angelegt sind. Meads Annahme habitualisierter Bedeutungen als Reiz-Reaktions-Verknüpfungen (vgl. Mead 1910/1980, 215) erscheint nur als Andeutung der Möglichkeit verfestigter symbolischer Bedeutungen. Auf „das Problem der ,Veralltäglichung‘ und DauerStabilisierung von interaktiv ,gefundenen‘ Ordnungsarrangements“ (Rehberg 1985, 78) geht er nicht näher ein. Zudem erscheint Meads Idee „generalisierter Anderer“ in diesem Zusammenhang deshalb nicht weiterführend, da darin weiterhin von einer Idee von Normen auf Grundlage der Übereinstimmung aller Beteiligten ausgegangen wird (vgl. Rehberg 1985, 78f.). Um die Mechanismen der Aufrechterhaltung sozialer Strukturen durch den Körper besser zu verstehen, sollen im Folgenden die Ausführungen Pierre Bourdieus zu Inkorporierung herangezogen werden. Seine Überlegungen zu körperlichen Prozessen der Verfestigung und Reproduktion sozialer Bedeutungen bieten Hinweise auf die stabilisierende Funktion, die dem Körper im Zusammenhang mit Sozialität zukommt. Die grundlegende Möglichkeit der Anknüpfbarkeit von Mead und Bourdieu ergibt sich dabei aus der sozialen Verankerung von Bewusstsein und Handlung (mind and agency) und der Fundierung ihrer Überlegungen in der körperliche Dimension des Sozialen (vgl. Aboulafia 1999, 157).21

21 Für weitere an dieser Stelle nicht im Fokus stehende Anknüpfungspunkte vgl. Aboulafia 1999, 153f.

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2.3 H ABITUS , I NKORPORIERUNG UND KÖRPERLICHE E RKENNTNIS BEI P IERRE B OURDIEU Durch die Einbeziehung der Überlegungen Pierre Bourdieus (1930-2002) in diese Studie wird der Blick darauf gerichtet, dass Interaktion unweigerlich in soziale Strukturen eingebunden ist. Welche Handlungen für eine bestimmte Person angemessen erscheinen oder aber sozialen Sanktionen unterworfen werden, ist von der „Relation zwischen den Charakteristika des Feldes [...] und denjenigen des Akteurs“ (Bourdieu 1987a, 153) abhängig, und wird von klein auf erlernt und verinnerlicht. In der absoluten und relational zu Anderen bestehenden sozialen Positionierung des beziehungsweise der Einzelnen entwickelt sich die soziale Welt, welche von Bourdieu als sozialer Raum gedacht wird. Dabei „ist der soziale Raum durch die gegenseitige Exklusion oder Distinktion der ihn konstituierenden Positionen definiert“ (Bourdieu 2001, 172).22 Für das Verständnis dieser sozialen Distinktionsprozesse ist Bourdieus Habituskonzept von zentraler Bedeutung. Mit dem Begriff des Habitus (lat.: Verhalten, Haltung) beleuchtet Bourdieu die internalisierten Rahmungen der sozial verankerten menschlichen Existenz: „[A]ls System der organischen und mentalen Dispositionen und der unbewußten DenkWahrnehmungs- und Handlungsschemata bedingt der Habitus die Erzeugung all jener Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, die der so wohlbegründeten Illusion als Schöpfung von unvorhersehbarer Neuartigkeit und spontaner Improvisation erscheinen, wenngleich sie beobachtbaren Regelmäßigkeiten entsprechen; er selbst nämlich wurde durch und innerhalb von Bedingungen erzeugt, die durch eben diese Regelmäßigkeiten bestimmt sind“ (Bourdieu 1970, 40).

Der bereits von anderen Wissenschaftlern zuvor (in)direkt verwendete Terminus Habitus entwickelte mit Bourdieu eine enorme Breitenwirkung in den Sozial- und Kulturwissenschaften (vgl. beispielsweise Shusterman 1999; Friebertshäuser/Rieger-Ladich/Wigger 2006; von Bismarck/Kaufmann/Wuggenig 2008). Im Prozess der Herausbildung und Aufrechterhaltung des Habitus kommt dabei dem Körper eine zentrale Rolle zu. Der Körper bildet den eigentlichem Durchgangs-

22 „Der Raum als Kategorie eignet sich deshalb besonders zur Vergegenwärtigung der sozialen Welt, weil mit ihm grundlegende Ordnungsweisen fest assoziiert sind, zum Beispiel oben und unten, nah und fern, rechts und links etc. Diese Ordnungsweisen können zur Kennzeichnung aller denkbaren Prozesse und Sachverhalte verwendet werden, auch und insbesondere für soziale Beziehungen und Verhältnisse“ (Barlösius 2006, 120).

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punkt des Habitus, da dieser durch körperliche Entäußerung nach außen und an nachfolgende Generationen weitergetragen wird (vgl. Raab 2008, 80). „Bourdieus Schlüsselkonzept der Inkorporierung bzw. Einverleibung der Praxisstrukturen wird in der Literatur oft merkwürdig körperlos (miß-)verstanden. Bourdieu hingegen faßt die Verinnerlichungsprozesse konsequent und konkret als Einbau kollektiver Schemata und Dispositionen in den Menschenkörper als ,eingefleischte‘ kreative Gewohnheiten“ (Fröhlich 1999, 1).

Ausgehend von der Annahme, dass „der Körper die unwiderlegbarste Objektivierung des Klassengeschmacks“ (Bourdieu 1982, 307) darstellt, führt Bourdieu die jeweiligen spezifischen Ausformungen des Habitus auf den Zugang zu verschiedenen Formen von Kapital zurück. Neben dem ökonomischen (Geld) benennt Bourdieu das kulturelle (Bücher als materielles, Abschlüsse als institutionalisiertes und Fähigkeiten zum Beispiel bei der Gesprächsführung als inkorporiertes kulturelles Kapital), soziale (Kontakte, Netzwerke) und später auch das symbolische (Prestige, Status) Kapital. Kapital bildet somit „akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter ,inkorporierter‘ Form“ (Bourdieu 1983, 183). Die jeweilige Besitzkonstellation der Kapitalformen bestimmt dabei die soziale Position einer Person in einem sozialen Feld. Der sich daraus ergebende Habitus kann als sozialer Mechanismus verstanden werden, der gesellschaftliche Ungleichheiten herstellt, verdeutlicht, reproduziert und festschreibt, aber auch bearbeitet.23 Die mit dem Habituskonzept vorgenommene Bezugnahme von Körper und gesellschaftlichen Strukturen aufeinander verdeutlicht, dass die direkte körperliche Interaktion immer schon an soziale Erfahrungen oder Vorstellungen anknüpft und somit nie unvoreingenommen passiert. Das nicht unweigerlich bewusstseinsbedingte „Gewahrwerden des Anderen an vorgegebenen Typisierungen“ (Berger/Luckmann 1969/2007, 33) ordnet dabei die Erfahrungen vor, auf deren Grundlage das Gegenüber überhaupt erfasst werden kann. Durch die kapitalbasierte Verankerung des Habituskonzepts als Inkorporierung sozialer Strukturen eröffnet sich der Blick auf die Herstellung, Aufrechterhaltung und Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse. Existenz und Konstellation von Kapital ermöglicht im Austausch mit dem Feld unterschiedliche Chancen sozialer

23 Der Vorwurf, Bourdieus Habitus-Konzept sei deterministisch und daher nicht in der Lage sozialen Wandel abzubilden, wurde von ihm im Aufsatz Antworten auf Einwände aufgegriffen. Darin verweist er darauf, dass sich der Habitus als eine Geschichte in einem unaufhörlichen Wandel befindet, sich in seiner Ausprägung auf den jeweiligen Zustand eines Feldes bezieht und demnach die Position im sozialen Raum nur eine relative Stabilität besitzt (vgl. Bourdieu 1989).

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Teilhabe und die Bildung neuen Kapitals. Dies führt zu der Vorstellung eines sozialen Raums, der nur in seinen Dynamiken gedacht werden kann. In seinem Werk Die feinen Unterschiede (1987a), das auf einer Untersuchung in Frankreich in den 1960er Jahren beruht, setzt sich Bourdieu unter anderem eingehend mit der körperlichen Erscheinung von Menschen in „Dimension“ und „Form“ auseinander, „worin sich auf tausenderlei Art ein ganzes Verhältnis zum Körper niederschlägt, mit anderen Worten, eine ganz bestimmte, die tiefsitzenden Dispositionen und Einstellungen des Habitus offenbarende Weise, mit dem Körper umzugehen, ihn zu pflegen und zu ernähren“ (Bourdieu 1987a, 307). Aus dieser Perspektive verwundert es kaum, dass Bourdieu in seiner differenzierten Untersuchung der Analyse von Ernährungs-, Pflege- und Kleidungsverhalten, Körpersprache sowie dem Gebrauch des Körpers in Arbeitszusammenhängen und der Freizeit eine besondere Bedeutung zumisst. Er erkennt darin die (Re-)Produktion distinktiver sozialer Zugehörigkeitspraxen (für sich und Andere): „Der Körper ist nicht nur Träger, sondern auch Produzent von Zeichen, die in ihrem sichtbar-stofflichen Moment durch die Beziehung zum Körper geprägt sind“ (ebd. 310). Als „gemeinhin [...] natürlichster Ausdruck der innersten Natur“ angesehen, trägt der Körper „kein einziges bloß ,physisches Mal‘“ (ebd.), da das Bild vom eigenen Körper „durch die Anwendung eines sozialen Klassifikationssystems erreicht [wird, H.T], dessen Prinzip sich in nichts von dem der gesellschaftlichen Produkte unterscheidet, auf die es angewendet wird“ (ebd., 311). Nach Bourdieu „zeichnet sich damit ein Raum jeweils klassenspezifischer Körper ab, der bis auf einige biologische Zufälligkeiten in seiner spezifischen Logik tendenziell die Strukturen des sozialen Raumes reproduziert“ (ebd., 310). Körper wird so zu einem Referenzpunkt für Sozialität, denn die Annahme der grundlegenden Angewiesenheit auf Andere formt sich in den jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen aus. Als zentrales Distinktionsinstrument und -merkmal ermöglicht der Körper(leib) „praktische Souveränität“ (Meyer-Drawe 2006, 90) und soziale Festschreibung zugleich, denn „unsere habituelle Leiblichkeit trägt unsere aktuelle. Wir hantieren stets im Rahmen eines Leibes, der lernt und gelernt hat, zugehörig ist oder nicht“ (ebd.). Die große Bedeutung des Körperlichen für sein Habituskonzept versucht Bourdieu in seinen Arbeiten wiederholt begrifflich zu fassen. Mit dem von ihm verwendeten Begriff der „körperlichen Hexis“ (ebd., 311, 739) als griechische Übersetzung des lateinischen Begriffs „Habitus“ unternimmt er eine Unterteilung zwischen Habitus als verinnerlichter und Hexis als äußerer körperlicher Dimension von sozial erlerntem und weitergetragenem Wissen und Handeln. Die Hexis fungiert auf diese Weise als „ständige unauslösliche Gedächtnisstütze, in der sich auf sichtbare und fühlbare Weise all die möglichen Gedanken und Handlungen, all die praktischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eingeschrieben finden, die einen Habitus definie-

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ren“ (Bourdieu 1997, 187). Die Hexis als „realisierte, einverleibte, zur dauerhaften Disposition, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit Fühlens und Denkens gewordene politische Mythologie“ (Bourdieu 1987b, 129)24 erscheint als Übergang zwischen Habitus und Feld. Es stellt sich jedoch die Frage, ob durch den Begriff der Hexis nicht das weitaus bekanntere Konzept des Habitus zu einer eigenartig nichtkörperlichen Struktur wird. Gegenüber der damit verbundenen Gefahr der Verzerrung der körperlichen Fundierung des Habitusbegriffs erscheint ein möglicher Gewinn der sprachlichen Differenzierung von Hexis und Habitus daher eher gering. Vielmehr sollten die inhaltlichen Überlegungen zur Hexis mit den Annahmen zum Habitus verknüpft und auf diese Weise ein vielschichtiges Konzept mit hohem Erklärungswert geschaffen werden. Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Thema Körper findet sich zudem in dem von Bourdieu eingeführte Ausdruck des „körperlichen Kapitals“ (Bourdieu 1987a, 329) beziehungsweise des in Anführungszeichen gesetzten „,KörperKapitals‘“ (ebd., 345). Bezogen auf die von ihm am Beispiel der Schönheit aufgeführte Verbindung der Annahme anlagebedingter körperliche Merkmale – als „Naturgabe“ – und der sozial erwünschten Arbeit am Körper als „Verdienst“ (ebd., 329) zeigt sich jedoch eine Schwierigkeit der Anwendung des Kapitalbegriffs auf den Körper. Denn die in diesem Beispiel benannte Annahme angeborener Schönheit als Naturgabe wiederspricht dem allgemeinen Begriffsverständnis von Kapital bei Bourdieu, als durch Zeitinvestition erworbene profitable Vermögensbestände und Kompetenzen (vgl. Otte 2007, 12). Und auch die Weitergabe von Körperkapital an die Nachfahren hat zumindest auch eine biologische Dimension. Wird der Körper jedoch als Verdienst angesehen, ist eine Bearbeitung des Körperlichen zum Zweck der Profitsteigerung im weitesten Sinne durchaus möglich. Durch Körpermodifizierung als Arbeit am Körper können körperliche Vermögensbestände – als Erfüllung gängiger Schönheitsvorstellungen etwa durch Haare färben, Zahnkorrekturen, plastische Chirurgie – und Kompetenzen – durch Erarbeitung anerkannter körperlicher Fähigkeiten – erworben werden. Aus dieser Perspektive kann Körperkapital durchaus auch in andere Kapitalformen überführt werden. Zusammenfassend scheint es jedoch so, als ob der Begriff des Körperkapitals dem Körper in seiner besonderen Stellung (vgl. Kapitel 1.2) nicht in Gänze gerecht wird. Erscheinen die expliziten Auseinandersetzung mit dem Körperlichen in Form von Hexis und Körperkapital teilweise als Additionen zu bereits bestehenden Konzepten, so bilden Bourdieus praxeologische Überlegungen die umfassenste Berücksichtigung des Körperlichen – und zwar, indem er die Trennung zwischen Subjekt und Objekt auflöst. Diese Perspektive einer körperlichen Erkenntnis ist in Bourdi-

24 Als Beispiele für politische Ordnungen nennt Bourdieu die Unterscheidung zwischen Mann und Frau, alt und jung, Privatem und Öffentlichem, Chef und Untergebener/m.

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eus Buch Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft (1987b) bereits angelegte und wird von ihm in seiner späten Arbeit Mediationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft (2001) konkretisiert. Im vierten Kapitel des Buches nimmt er ausgehend von der Frage, wie sich Handelnde im praktischen Austausch an ihr Umfeld anpassen und dieses verändern, den Versuch der Aufhebung einer Unterteilung von „Ding und Bewusstsein“ (Bourdieu 2001, 175) vor. Körperliche Erkenntnis erscheint als eine „Logik der Praxis“ (Bourdieu 1987b, 147-179), „die sich von der subjektivistischen Vorstellung eines intentionalen Bewusstseins wie auch von der objektivistischen Annahme eines unbewussten Geistes gleichermaßen distanziert“ (Bockrath/Boschert/Franke 2008, 10). Körperliche Erkenntnis geht über die bewusste rationale Vorstellung von Erkenntnis (als kognitivem Wissen) hinaus und fokussiert vielmehr den Prozess der Hervorbringung im jeweiligen Feld. Der empfindende Körper erscheint als Subjekt und Objekt von Erkenntnisbildung. Auf Grundlage von feldspezifischer Kapitalakkumulation vereint der inkorporierte Habitus in sich die Herstellung und die Aufrechterhaltung von sozialem Sinn. Der Habitus als „sozial geschaffene Fähigkeit, die soziale Wirklichkeit zu schaffen [..., ist] die eines sozial geschaffenen Körpers, der sozial geschaffene und im Verlauf einer räumlichen und zeitlich situierten Erfahrung erworbene Gestaltungsprinzipien in die Praxis umsetzt“ (Bourdieu 2001, 175). „Weil der Körper (in unterschiedlichem Ausmaß) exponiert ist, weil er in der Welt ins Spiel, in Gefahr gebracht wird, dem Risiko der Empfindung, der Verletzung, des Leids, manchmal des Todes ausgesetzt, also gezwungen ist, die Welt ernst zu nehmen (und nichts ist ernsthafter als Empfindungen – sie berühren uns bis ins Innerste unserer organischen Ausstattung hinein), ist er in der Lage, Dispositionen zu erwerben, die ihrerseits eine Öffnung zur Welt darstellen, d.h. zu den Strukturen der sozialen Welt, deren leibgewordene Gestalt sie sind“ (ebd., 180).

Bourdieus Idee eines sich in der absoluten und relationalen Position im sozialen Raum entwickelnden Habitus als einer praktischen und somit körperlichen Fähigkeit eröffnet durchaus Anknüpfungspunkte zu den bereits bearbeiteten Autoren. Alle drei Autoren gehen nicht von einer vorsozialen Entwicklung des Selbst aus, sondern von einer „sozial geschaffenen Fähigkeit, soziale Wirklichkeit zu schaffen“ (ebd.). Nicht die Auflösung des individuellen Subjekts ist das Ziel ihrer Überlegungen, sondern die konsequente Fundierung seiner Existenz im Sozialen. Der Körper bildet dabei keine durch das Bewusstsein beherrschte ,Masse‘, sondern eine mit diesem verwobene Grundlage menschlichen Handelns, deren Verhältnis sich nicht in einem hierarchischen Abhängigkeitsverhältnis fassen lässt. Dabei wird die in Meads Arbeiten zu findende Annahme körperlicher Aushandlungen sozialer Bedeutungen bei Bourdieu noch einmal konsequenter gefasst. Denn gerade in seinen spä-

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teren Arbeiten zeigt sich im praktischen Sinn ein expliziter Handlungsbezug als Verbindung zwischen Habitus und Feld. In diesem Zusammenhang wird mit Bourdieu für diese Studie die körperliche Dimension von Sozialität um die Annahme der körperlichen (Re-)Produktion bestehender gesellschaftlicher Strukturen und somit auch Hierarchie- und Herrschaftsverhältnisse erweitert. Durch die Bezugnahme auf Erving Goffman soll die bisherige theoretische Perspektive nun im Rahmen der Prozesse und Mechanismen der Selbstdarstellung gegenüber sich und Anderen in ihrer Körperlichkeit zum Thema gemacht werden. Für diese Studie trägt Goffman dazu bei, Sozialität in Form von körperlichen Aufführungen zu verstehen, durch deren Analyse sich die auf Gesten beruhenden Interaktionen in ihrer Inkorporierung sozialer Strukturen fassen lassen.

2.4 I NSZENIERUNG , I MAGEPFLEGE BEI E RVING G OFFMAN

UND

S TIGMA

Der amerikanische Soziologe Erving Goffman (1922-1982) befasst sich in seinem umfassenden Werk mit dem grundlegenden soziologischen Thema der Interaktion und insbesondere den damit verbundenen Herausforderungen für Individuen in Institutionen. Nicht nur in der Soziologie, sondern gerade auch in den Nachbardisziplinen wurden seine Arbeiten zur sozialen Bedingtheit von Selbst, Identität und sozialen Rollen vielfach aufgegriffen (vgl. dazu ausführlich zum Beispiel Habermas 1981a; Hettlage/Lenz 1991; Hitzler 1992, 1998; Abels 1998). Festgemacht an dem Phänomen gesellschaftlicher Einrichtungen als verhältnismäßig geschlossene Systeme, verdeutlicht Goffman in seinem Buch Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (1959) seine Vorstellung des Lebens als Zusammenleben mit Anderen in einer durch Andere vordefinierten Welt. Die eigene Existenz wird demnach zur Aufgabe, die der Mensch aktiv vollziehen muss, er stellt „bewusst oder unbewusst eine Situation dar, und eine Konzeption seiner selbst ist wichtiger Bestandteil dieser Darstellung“ (Goffman 1959/2008, 221). Der „Glaube an die eigene Rolle“ (ebd., 19) bezieht sich dabei jedoch nicht nur auf Andere, sondern auch auf sich selbst.25 Das Bild der Bühne verdeutlicht die Annahme von Menschen als sozialen Akteuren, die ihre Rolle(n) für sich und Andere in der Interaktion mit Anderen übernehmen und aushandeln. Durch dieses Handeln werden (Interaktions)Ordungen erzeugt, erhalten und weiterentwickelt. Goffman befasst sich demnach mit einer Form dramaturgischen Handelns, welches Jürgen Habermas in seiner Auseinandersetzung mit Goffman wie folgt beschreibt:

25 Für gewöhnlich kann von einem Schwanken zwischen den beiden Extremen der Selbsttäuschung und einer zynischen Haltung ausgegangen werden.

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teren Arbeiten zeigt sich im praktischen Sinn ein expliziter Handlungsbezug als Verbindung zwischen Habitus und Feld. In diesem Zusammenhang wird mit Bourdieu für diese Studie die körperliche Dimension von Sozialität um die Annahme der körperlichen (Re-)Produktion bestehender gesellschaftlicher Strukturen und somit auch Hierarchie- und Herrschaftsverhältnisse erweitert. Durch die Bezugnahme auf Erving Goffman soll die bisherige theoretische Perspektive nun im Rahmen der Prozesse und Mechanismen der Selbstdarstellung gegenüber sich und Anderen in ihrer Körperlichkeit zum Thema gemacht werden. Für diese Studie trägt Goffman dazu bei, Sozialität in Form von körperlichen Aufführungen zu verstehen, durch deren Analyse sich die auf Gesten beruhenden Interaktionen in ihrer Inkorporierung sozialer Strukturen fassen lassen.

2.4 I NSZENIERUNG , I MAGEPFLEGE BEI E RVING G OFFMAN

UND

S TIGMA

Der amerikanische Soziologe Erving Goffman (1922-1982) befasst sich in seinem umfassenden Werk mit dem grundlegenden soziologischen Thema der Interaktion und insbesondere den damit verbundenen Herausforderungen für Individuen in Institutionen. Nicht nur in der Soziologie, sondern gerade auch in den Nachbardisziplinen wurden seine Arbeiten zur sozialen Bedingtheit von Selbst, Identität und sozialen Rollen vielfach aufgegriffen (vgl. dazu ausführlich zum Beispiel Habermas 1981a; Hettlage/Lenz 1991; Hitzler 1992, 1998; Abels 1998). Festgemacht an dem Phänomen gesellschaftlicher Einrichtungen als verhältnismäßig geschlossene Systeme, verdeutlicht Goffman in seinem Buch Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (1959) seine Vorstellung des Lebens als Zusammenleben mit Anderen in einer durch Andere vordefinierten Welt. Die eigene Existenz wird demnach zur Aufgabe, die der Mensch aktiv vollziehen muss, er stellt „bewusst oder unbewusst eine Situation dar, und eine Konzeption seiner selbst ist wichtiger Bestandteil dieser Darstellung“ (Goffman 1959/2008, 221). Der „Glaube an die eigene Rolle“ (ebd., 19) bezieht sich dabei jedoch nicht nur auf Andere, sondern auch auf sich selbst.25 Das Bild der Bühne verdeutlicht die Annahme von Menschen als sozialen Akteuren, die ihre Rolle(n) für sich und Andere in der Interaktion mit Anderen übernehmen und aushandeln. Durch dieses Handeln werden (Interaktions)Ordungen erzeugt, erhalten und weiterentwickelt. Goffman befasst sich demnach mit einer Form dramaturgischen Handelns, welches Jürgen Habermas in seiner Auseinandersetzung mit Goffman wie folgt beschreibt:

25 Für gewöhnlich kann von einem Schwanken zwischen den beiden Extremen der Selbsttäuschung und einer zynischen Haltung ausgegangen werden.

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„Der Begriff des dramaturgischen Handelns bezieht sich primär weder auf den einsamen Aktor noch auf das Mitglied einer sozialen Gruppe, sondern auf Interaktionsteilnehmer, die füreinander ein Publikum bilden, vor dessen Augen sie sich darstellen. Der Aktor ruft in seinem Publikum ein bestimmtes Bild, einen Eindruck von sich selbst hervor, indem er seine Subjektivität mehr oder weniger gezielt enthüllt. Jeder Handelnde kann den öffentlichen Zugang zur Sphäre seiner eigenen Absichten, Gedanken, Einstellungen, Wünsche, Gefühle usw., zu der nur er einen privilegierten Zugang hat, kontrollieren. Im dramaturgischen Handeln machen sich die Beteiligten diesen Umstand zunutze und steuern ihre Interaktion über Regulierung des gegenseitigen Zugangs zur jeweils eigenen Subjektivität. Der zentrale Begriff der Selbstpräsentation bedeutet deshalb nicht ein spontanes Ausdrucksverhalten, sondern die zuschauerbezogene Stilisierung des Ausdrucks eigener Erlebnisse“ (Habermas 1981a, 128).

Neben der Etikettierung von Goffmans Werk als symbolisch-interaktionistischer Rollentheorie – in welcher unter anderem die Überlegungen Meads zur Rollenübernahme deutlich werden – lassen sich zudem implizit anthropologische Implikationen erkennen. Nach Goffman besteht die Aufgabe des Menschen darin, die Welt zu verstehen und sich verständlich zu machen, denn als aus der unmittelbaren Naturverhaftung herausgetretenes Wesen wird er nicht durch seine Instinkte geleitet, sondern ist interpretationsbedürftig und -fähig (vgl. Hitzler 1992, 453).26 Goffmans Blickwinkel zeigt, dass – will man etwas über Menschen erfahren – ihre gegenseitigen Präsentationen in ihren jeweiligen sozialen Rollen untersucht werden müssen. Die Struktur des Selbst kann aus dieser Perspektive nur unter den Gesichtspunkten der Darstellung verstanden werden (vgl. Goffman 1959/2008, 230). Das dargestellte Selbst als eine „Art von Bild“ (ebd., 231), das sich eine Person von sich und Anderen macht, ergibt sich aus der Gesamtszene der Handlungen, die durch Ereignisse erzeugt werden, die die Handlungen für Andere interpretierbar machen. Die Auseinandersetzung mit der Vorstellung des Selbst führt somit dazu, weniger die Vorstellung der oder des Einzelnen als vielmehr die Ebene sozialen Strukturen in ihrer zum Teil institutionellen Verankerung in den Blick zu nehmen (vgl. ebd.). Auf diese Weise wird das menschliche Vermögen sowie der Zwang deutlich, sich den Anderen (symbolisch) durch Rollenübernahme(n) zu vermitteln, „da er sich nicht ,natürlich‘ verhalten kann, sich vielmehr ,künstlich‘ verhalten muß, diese Künstlichkeit wiederum jedoch Teil seiner Natur ist. Der Mensch ruht nicht ,in‘ sich, sondern treibt heraus aus seinem Zentrum und findet sich als ,Jemand‘ erst bzw. nur

26 Deutlich wird, dass die damit einhergehende Akzentuierung weniger den durch ähnliche Sozialisation entwickelten Konsens (durch geteilte symbolische Bedeutungen) der Akteure wie bei Mead, sondern vielmehr die „sozialen Zumutungen und vorgegebenen Handlungsversatzstücke, mit denen der Akteur mehr oder weniger (bei Goffman meist mehr) raffiniert umgeht“ betont (vgl. Steinert 1977, 84 zit. nach Abels 1998, 164).

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über die Erfahrung der anderen und des anderen wieder“ (vgl. Hitzler 1998, 95). Die Übernahme von Rolle(n) ermöglicht es, eine Vorstellung vom eigenen wie anderen Selbst zu entwickeln: „Die Eigenschaften des Einzelnen als Darsteller sind nicht nur ein Effekt bestimmter Darstellungen; sie sind ihrem Wesen nach psychologisch und scheinen doch aus einer engen Interaktion mit den Bedingungen der Inszenierung zu entstehen“ (Goffman 1959/2008, 232). Bedeutsam ist dafür der erfolgreiche Umgang mit der gewählten Fassade, als dem Teil der Darstellung, „der regelmäßig in einer allgemeinen und vorherbestimmten Art dazu dient, die Situation für das Publikum der Vorstellung zu bestimmen“ (ebd., 23-30). Für diese typischen Darstellungsweisen gilt, dass sie – auch wenn die soziale Rolle spezialisiert und einzigartig ist – Tendenzen festlegen, die für ähnliche Rollen ebenso anzuwenden sind. Aufgrund der möglichen Mehrfachverwendung sozialer Fassaden verringert sich die Spannbreite der eigenen wie der Präsentationsmöglichkeiten des Gegenübers und es bedarf lediglich der Vertrautheit mit einem „handlichen Vokabular von Fassaden“ (ebd., 27), um sich in verschiedenen Situationen zu orientieren. Goffman unterteilt die Fassade noch einmal in die entsprechende Umgebung – das Bühnenbild beispielsweise in Form von Wohnungseinrichtungen oder Paraden27 – und die persönliche Fassade. Die persönliche Fassade setzt sich laut Goffman zusammen aus am Körper getragenen Statussymbolen wie Orden, durch Kleidung, Geschlecht, Alter, ,Rasse‘, Körpergröße und physische Erscheinung sowie Haltung, Sprechweise, Mimik, Gestik usw.. Unterteilen lassen sich diese Merkmale der persönlichen Fassade wiederum in die Aspekte, die eher dem Verhalten oder aber der Erscheinung zugesprochen werden.28 Durch die Erwartung einer gewissen Kohärenz zwischen Bühnenbild, Erscheinung und Verhalten bildet diese den (nicht im wertenden Sinne gemeinten) Idealtypus, der den Blick laut Goffman wiederum gerade auf die Ausnahmen richtet (vgl. Goffman 1959/2008, 23ff.). Mithilfe von Techniken der Imagepflege (1955) wird daher eine konsistente Selbstdarstellung angestrebt, die widersprüchliche Aspekte zugunsten einer einheitlichen Darstellung kaschieren. Der Begriff „Image“ bezeichnet dabei den positiven sozialen Wert, den Menschen durch bestimmte Verhaltesstrategien für ein durch „sozial anerkannte(r) Eigenschaften umschriebenes Selbstbild“ (ebd., 10) erwerben, welches von Anderen übernommen werden kann. Dabei ist das Image immer nur eine „Anleihe von der Gesellschaft“ (ebd., 15). Verhält sich jemand nicht seinem

27 Das im geografischen Sinne unbewegliche Bühnenbild bildet die Regel. Die Situationen, in denen das Bühnenbild den Darstellerinnen und Darstellern folgt, ist eher ungewöhnlich wie zum Beispiel bei Leichenzügen oder Festparaden (Goffman 1959/2008, 23f.). 28 Dabei sagt die äußere Erscheinung laut Goffman etwas über den sozialen Status aus, das Verhalten gibt Aufschluss über die Rolle, die jemand einzunehmen beabsichtigt.

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Image entsprechend, indem Informationen zutage treten, die nicht in die verfolgte Strategie integriert werden können (falsches Image) oder gar keine von Anderen zu erwartenden Verhaltensstrategien vorhanden sind (kein Image), so wird ihm oder ihr sein Image entzogen (vgl. ebd.). Goffman geht jedoch davon aus, dass in der Regel versucht wird, durch das Zusammenspiel von Verteidigungsstrategien auf Seiten des Darstellers und Schutzmaßnahmen auf Seiten des Publikums Images und somit soziale Situationen aufrecht zu erhalten. Dabei werden Images durch legitimierte und institutionalisierte Interaktionsstrategien gestützt (vgl. ebd., 34ff.). Imagelosigkeit beziehungsweise Imageinkonsistenz ist demnach also durchaus möglich. Eher werden aber wohl dem Image nicht entsprechende und demnach nicht präsentationsfähige Anteile nicht auf die soziale Bühne gebracht. Anzunehmen ist, dass die Entscheidung zur Nichtaufführung insbesondere für Menschen gilt, die aufgrund bestimmter äußerer Merkmale, ihres Verhaltens oder ihrer Lebensweise nicht den gesellschaftlichen Normalitätserwartungen entsprechen. Goffman unterteilt dabei möglichen Normabweichungen in drei Typen von Stigmata29: Erstens physische Abweichungen, zweitens die Annahme individueller Charakterfehler abgeleitet aus dem Auftreten zum Beispiel psychischer Störungen, Arbeitslosigkeit oder Gefängnishaft sowie drittens phylo-genetische30 Stigmata wie ethnische nationale und religiöse Zugehörigkeit. Durch die Auseinandersetzung mit Stigmata wird „die Situation des Individuums, das von vollständiger sozialer Akzeptierung ausgeschlossen ist“ (Goffman 1967, 7) zum Thema. „Ein Individuum, das leicht in den gewöhnlichen sozialen Verkehr hätte aufgenommen werden können, besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, daß wir uns bei der Begegnung mit diesem Individuum von ihm abwenden, wodurch der Anspruch, den seine anderen Eigenschaften an uns stellen, gebrochen wird. Es hat ein Stigma, das heißt, es ist in unerwünschter Weise anders, als wir es antizipiert hatten. Uns und

29 Der aus dem Griechischen stammende Begriff des Stigmas verweist ursprünglich auf körperliche Merkmale, die auf einen ungewöhnlichen oder schlechten moralischen Zustand der Person hindeuten (zum Beispiel in Form von Brandmalen für Versklavte oder Verurteilte). Im Christentum werden dem Begriff die metaphorischen Inhalte der körperlichen Zeichen göttlicher Gnade sowie der medizinischen Anspielung auf physiologische Unstimmigkeiten hinzugefügt (vgl. Goffman 1967, 9). 30 Phylogenese bezeichnet die biologische Entwicklung der Menschheit allgemein wie auch einzelner Stammes- oder Verwandtschaftsgruppen. Bezogen auf die von Goffman genannten Beispiele bleibt allerdings unklar, wie sich nationale oder religiöse Zugehörigkeit auf die biologische Entwicklung auswirkt.

56 | K ÖRPER UND M IGRATION diejenigen, die von den jeweils in Frage stehenden Erwartungen nicht negativ abweichen, werde ich die Normalen nennen“ (ebd., 13).

Auch wenn Stigmata sehr unterschiedlich, mit geringeren und schwerwiegenderen Auswirkungen, eher im öffentlichen oder vertrauten Raum sanktioniert sowie für jedermann erkennbar oder nur in intimen Situationen von Bedeutung sein können, gehen sie einher mit (der Sorge vor) Diskriminierungen. Nicht selten kann bestehende oder zunehmende Vertrautheit dazu führen, dass das Stigma für Andere an Bedeutung verliert, allerdings ist festzuhalten, das „Vertrautheit Verachtung nicht reduzieren muss“ (ebd., 69). Insbesondere sichtbare Auffälligkeiten können aufgrund ihrer (vermeintlich) hohen Evidenz der Abweichung von besonderer Bedeutung sein (vgl. zur Ausdifferenzierung von Visibilität ebd., 64ff.). Je unmittelbarer wahrnehmbar das Stigma für Andere ist, desto eher wird es sich um eine bereits diskreditierte Person handeln. Eine diskreditierbare Person kann ihr Stigma zwar (erst einmal) verheimlichen, lebt jedoch in der ständigen Sorge, dass es von Anderen entdeckt wird. Zwischen den Polen „Verheimlichung und Enthüllung“ (ebd., 67) stehen den Stigmatisierten Techniken des Stigma-Managements als einer Technik der Imagepflege zur Verfügung, wobei in Abhängigkeit von der jeweiligen sozialen Situation das Kontinuum zwischen totaler Geheimhaltung und Enthüllung genutzt werden kann. Es wird angenommen, dass Interaktionsteilnehmerinnen und -teilnehmer sehr genau auf die eigene wie die Präsentation des Gegenübers achten und unaufhörlich an ihrem Image arbeiten. Festzuhalten ist, dass es sich bei Stigmatisierten und Stigmatisierenden weniger um Personen denn um Perspektiven handelt (vgl. ebd., 170). Ein Stigma gibt es nicht an sich, sondern es wird im jeweiligen sozialen Kontext als solches hergestellt und erfasst. Goffmans Überlegungen bieten vielfältige Anknüpfungspunkte an die bisher vorgestellten Ausführungen. Wie bei Plessner erscheint das menschliche Leben als eine Aufgabe, die es aktiv zu vollziehen gilt. Die in Goffmans Ausführungen bestehende Nähe zu Meads körperfundierten interaktionstheoretischen Überlegungen auf Mikroebene wird dabei immer wieder deutlich. Mit Bourdieu wird davon ausgegangen, dass Menschen ihren Habitus verinnerlichen und auch auf körperlicher Ebene weitertragen. Es wäre jedoch unangemessen davon auszugehen, dass der Mensch bestehenden sozialen Strukturen quasi ungeschützt ausgeliefert ist und diese einfach nur reproduziert. Vielmehr stellt der Mensch als sozialer Akteur seinen Habitus aktiv und auch immer im Rahmen des jeweiligen feldspezifischen Veränderungspotenzials her. An dieser Stelle setzen Goffmans Überlegungen zu Inszenierungspraktiken an. Dabei kann das Bild des ,situationsflexiblen Schauspielers‘ beziehungsweise der ,Schauspielerin‘ nur in einem Raster sozialer Differenzen und Zugehö-

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rigkeiten gedacht werden. Der Habitus bildet als stillschweigende inkorporierte Normativität die Grundlage für die Darstellungen des Alltags. Im Sinne der Theatermetapher gesprochen entscheidet der kapitalbasierte Habitus darüber, welche Bühne einem offen steht, denn nicht alle Aufführungen sind jedem zu jeder Zeit möglich. Im Anschluss an die körperbezogene Rezeption von Arbeiten der vier Autoren Plessner, Mead, Bourdieu und Goffman werden nun seit den 1990er Jahren verstärkt in Erscheinung getretene Überlegungen aufgegriffen, die in programmatischer Absicht auch unter der Bezeichnung des „performative turn“ (Fischer-Lichte 2003a) gefasst werden. Es handelt sich dabei um eine Sammlung sehr unterschiedliche Ansätze und Überlegungen, die das Moment des Vollzugs in den Mittelpunkt stellen und sich an die bisherige Argumentation anschließen lassen.

2.5 T HEATRALITÄT , P ERFORMATIVES

UND I NSZENIERUNG

Aufgrund der Feststellung, dass ein Großteil der folgenden Überlegungen aus einer theatralitätstheoretischen Perspektive vorgenommen werden, soll vorab kurz auf das Motiv des Theaters als sozialtheoretisches „Gerüst“ (Goffman 1959/2008, 232) eingegangen werden. Das Bild des europäischen Theaters wird seit seiner Entstehung in der Antike (6. Jahrhundert v. Chr.) für die Darstellung sozialer Welt(en) herangezogen (Willems 1998, 53). Vergleichbar werden die mitunter deutlich divergierenden Verwendungsweisen der Theatermetapher durch die darin angelegte Hervorhebung von Prozessualität (vgl. Fischer-Lichte 2002, 293). Soziale Wirklichkeit wird wahrgenommen als theatrale Wirklichkeit, hervorgerufen durch die Darstellung einzelner oder gesellschaftlicher Gruppen, die sich auf diese Weise zum Erscheinen für sich und Andere bringen (vgl. Fischer-Lichte 1998, 89; Zirfas 2004, 111). Auch oder gerade für die Transformation moderner Mediengesellschaften erscheint das Theatralitätsmodell mit seinen in Gesamtheit und in je wechselnder Konstellation auftretenden Bestandteilen Inszenierung, Verkörperung, Performance und Wahrnehmung als eine hilfreiches Analyseinstrument des Alltags (vgl. Fischer-Lichte 1998, 86). Das Theatralitätsmodell betont dabei die Verwiesenheit des Menschen auf Andere, da eine Aufführung ein Gegenüber, ein (imaginatives) Publikum impliziert. Für diese Prozesse der theatralen Inszenierung sozialer Aufführungen sind die historischen, kulturellen und sozialen Formen von Körperlichkeit als Arten der Körperverwendung in kommunikativen Prozessen von grundlegender Bedeutung (vgl. Klein 2005, 75):

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rigkeiten gedacht werden. Der Habitus bildet als stillschweigende inkorporierte Normativität die Grundlage für die Darstellungen des Alltags. Im Sinne der Theatermetapher gesprochen entscheidet der kapitalbasierte Habitus darüber, welche Bühne einem offen steht, denn nicht alle Aufführungen sind jedem zu jeder Zeit möglich. Im Anschluss an die körperbezogene Rezeption von Arbeiten der vier Autoren Plessner, Mead, Bourdieu und Goffman werden nun seit den 1990er Jahren verstärkt in Erscheinung getretene Überlegungen aufgegriffen, die in programmatischer Absicht auch unter der Bezeichnung des „performative turn“ (Fischer-Lichte 2003a) gefasst werden. Es handelt sich dabei um eine Sammlung sehr unterschiedliche Ansätze und Überlegungen, die das Moment des Vollzugs in den Mittelpunkt stellen und sich an die bisherige Argumentation anschließen lassen.

2.5 T HEATRALITÄT , P ERFORMATIVES

UND I NSZENIERUNG

Aufgrund der Feststellung, dass ein Großteil der folgenden Überlegungen aus einer theatralitätstheoretischen Perspektive vorgenommen werden, soll vorab kurz auf das Motiv des Theaters als sozialtheoretisches „Gerüst“ (Goffman 1959/2008, 232) eingegangen werden. Das Bild des europäischen Theaters wird seit seiner Entstehung in der Antike (6. Jahrhundert v. Chr.) für die Darstellung sozialer Welt(en) herangezogen (Willems 1998, 53). Vergleichbar werden die mitunter deutlich divergierenden Verwendungsweisen der Theatermetapher durch die darin angelegte Hervorhebung von Prozessualität (vgl. Fischer-Lichte 2002, 293). Soziale Wirklichkeit wird wahrgenommen als theatrale Wirklichkeit, hervorgerufen durch die Darstellung einzelner oder gesellschaftlicher Gruppen, die sich auf diese Weise zum Erscheinen für sich und Andere bringen (vgl. Fischer-Lichte 1998, 89; Zirfas 2004, 111). Auch oder gerade für die Transformation moderner Mediengesellschaften erscheint das Theatralitätsmodell mit seinen in Gesamtheit und in je wechselnder Konstellation auftretenden Bestandteilen Inszenierung, Verkörperung, Performance und Wahrnehmung als eine hilfreiches Analyseinstrument des Alltags (vgl. Fischer-Lichte 1998, 86). Das Theatralitätsmodell betont dabei die Verwiesenheit des Menschen auf Andere, da eine Aufführung ein Gegenüber, ein (imaginatives) Publikum impliziert. Für diese Prozesse der theatralen Inszenierung sozialer Aufführungen sind die historischen, kulturellen und sozialen Formen von Körperlichkeit als Arten der Körperverwendung in kommunikativen Prozessen von grundlegender Bedeutung (vgl. Klein 2005, 75):

58 | K ÖRPER UND M IGRATION „Zivilisierungsprozesse führen zu einem Habitusensemble, dessen körperliche ,Dimension‘ Theatralität bedeutet (z.B. als „fleischgewordene Etiquette des Ausdrucks), bedingt (z.B. als Ressource strategischen und expressiv-modulatorischen Handelns) und motiviert (z.B. durch Gefühle der Scham, der Verlegenheit, des Stolzes usw.)“ (Willems 1998, 43).

Im Rahmen des kulturerzeugenden Prinzips theatralitätstheoretischer Ansätze wird in der Regel die Auseinandersetzung mit Performances „als Vorgang einer Darstellung durch Körper und Stimme von körperlich anwesenden Zuschauern“ (FischerLichte 1998, 86) zum Thema. Die sozial- beziehungsweise kulturwissenschaftliche Verwendung des Begriffs performance31 zielt „dabei vor allem auf den Akt der Darstellung, den Moment der Aufführung und die Präsenz von Akteuren“ (Schuhmacher 2002, 384) ab. Grundlage bildet die Annahme der Konstituierung sozialer Wirklichkeit durch (sich wiederholende) wirklichkeitsgenerierende Praktiken. Zusammen mit den sprachwissenschaftlichen Begriffen „performativ“ und „Performanz“ und den zunächst in der Genderforschung verwendeten Begriff der Performativität kann der kunst- und theaterwissenschaftliche Begriff performance als Teil einer sich in den Sozialwissenschaften etablierten Perspektive angesehen werden. „Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass sie sich weniger um Tiefer- bzw. Dahinterliegendes als um das phänomenale Geschehen, weniger um die Struktur und die Funktionen als um den Prozess, weniger um Text oder Symbol als eben um die Herstellung von Wirklichkeit bemühen“ (Wulf/Zirfas 2007, 10). Die Beziehung zwischen diesen Begrifflichkeiten ist dabei nicht eindeutig bestimmt. In dieser begrifflichen Vagheit pendelt der Begriff der Performanz als umbrella term in den deutschsprachigen Kultur- und Sozialwissenschaften zwischen der Frage nach funktionalen Gelingensbedingungen von Sprechakten sowie phänomenalen Verkörperungsbedingungen und vereint daher ganz unterschiedliche Aspekte von Interaktion unter sich: „Performanz kann sich ebenso auf das ernsthafte Ausführen von Sprechakten, das inszenierende Aufführen von theatralen oder rituellen Handlungen, das materiale Verkörpern von Botschaften im ,Akt des Schreibens‘ oder auf die Konstitution von Imaginationen im ,Akt des Lesens‘ beziehen“ (Wirth 2002, 9). Bereits die Vielfalt der fachlichen Perspektiven von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Ethnologie, Literaturwissenschaft und Philosophie, die sich ab den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt mit Konzepten des Performativen auseinandersetzten (vgl. Fischer-Lichte 2002, 289f.) verweist auf die

31 Seinen Ursprung hat der Begriff performance im mittelenglischen parfournen (später parfourmen), welches auf die altfranzösischen Ausdrücke pafourir-par (gründlich) und fournir (ausstatten) zurückgeht, wonach der Begriff nach Victor Turner weniger die Formgebung als die prozessuale Vollendung beziehungsweise Aufführung hervorhebt (vgl. Turner 2002, 195).

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große Heterogenität dieses Ansatzes. Dabei werden die definitorischen Unklarheiten mitunter auch als Potenzial dieser Begriffe verstanden, mit denen man laut Eckhard Schuhmacher „nur arbeiten kann, wenn man sie nicht einseitig als Wert festschreibt, sie nicht zu feststehenden kulturellen Paradigmen, zu grundlegenden Leitbegriffen ausweitet“ (Schuhmacher 2002, 402). Im Rahmen dieser Studie wird Performatives auf die Herstellung von sozialen Bedeutungen durch gestisch-körperliche und sprachliche Aufführungen des Körpers bezogen. Denn offensichtlich ist, dass sich die Inszenierung der eigenen Körperlichkeit auf sprachlicher und nonverbaler Ebene vollzieht, und sich nicht immer scharf voneinander trennen lässt. Umfassend herausgearbeitet wurde diese Verknüpfung gestischer und sprachlicher Handlungsvollzüge32 zur Herstellung sozialer Bedeutung für die Kategorie Geschlecht. Demnach findet die Herstellung von Zugehörigkeit zu sozialen Kategorien durch die Wiederholung performativer – nonverbaler und verbaler – Handlungen statt. Geschlecht wird auf diese Weise nicht als feststehende Größe angesehen, sondern als etwas was Menschen tun. Durch sich ständig wiederholende Geschlechts-Performances im Großen wie Kleinen wird Geschlecht im Rahmen einer heterosexuellen Norm von Zweigeschlechtlichkeit entsprechend bestehender Vorstellungen über Weiblichkeit und Männlichkeit aufgeführt (vgl. Butler 1997). Doch nicht nur in Bezug auf die Kategorie Geschlecht, sondern auch auf andere als ,natürliche‘ oder ,innerliche‘ dem Menschen zugeordnete Phänomene wie sexuelle Orientierung, nationale oder ethnische Zugehörigkeit oder religiöser Glaube und Einstellungen führt die Perspektive des Performativen zu einem neuen Verständnis. Denn der Ursprung der Zugehörigkeitskategorien wird durch die Annahme der Hervorbringung durch soziale Aufführungen veräußerlicht (vgl. Krämer 2001, 45f.), da „eine Aufführung, ein Ritual oder eine Verhaltensweise nicht etwas Vorgegebenes abbilden, sei es nun ein bestimmter Text, eine biologische Entität oder gar Identität. Vielmehr wird Bedeutung erst im Augenblick des Äußerns, Aufführens oder sich Verhaltens hervorgebracht. […] Damit rücken menschliche Handlungsweisen in das Zentrum der Aufmerksamkeit – und mit ihnen die Art und Weise, wie diese Handlungsweisen in spezifischen historischen und kulturellen Kontexten Bedeutung generieren“ (Martschukat/Patzold 2003, 10f.).

32 Im sprachwissenschaftlichen Verwendungsbereich ist allen voran die Sprechakttheorie des englischen Philosophen John L. Austin zu nennen. Austin vertritt die Annahme, dass sprachliche Äußerungen nicht nur beschreibend sondern wirklichkeitskonstituierend – performativ – sein können. Im vollziehenden Charakter (to perform) performativer Äußerungen werden soziale Tatsachen geschaffen und verändert (vgl. Austin 1986).

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Wird soziale Wirklichkeit als eine Form sich wiederholender und darin transformierender Aufführungen verstanden, so wird der Blick unweigerlich auf den Raum gelenkt, in dem diese Performances stattfinden. Die in neueren sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu Raum vorgenommene Aufhebung der Trennung zwischen Materiellem und Sozialem (vgl. Löw 2012, 15) eröffnet die Möglichkeit, Raum nicht als eine starre Gegebenheit zu verstehen: „,Raum‘ ist demnach keine eigenständige Entität, sondern Kultur und Natur sind in einer Funktionsbeziehung miteinander verbunden, wodurch Räumlichkeit allererst hervorgebracht wird“ (Günzel 2007, 15). Raum wird auf diese Weise zu einem relationalen, „prozessualen Begriff“ (Löw 2012, 15), der nicht mehr nur allein „Bedingung, sondern auch ein Ergebnis menschlichen Handelns ist“ (Würmann u.a. 2007, 10). In dieser Perspektive wird Raum selbst Teil sozialer Praxis, die sich in Austauschprozessen vollzieht (vgl. Binder 2009, 65). Mit Blick auf den Körper können sich diese Überlegungen zum einen auf die Konstitution von sozialem Raum durch körperliche Aufführungen und zum anderen auf Körper als einem sozialen Raum selbst beziehen. Für beide Perspektiven gilt, dass mit diesem Raumverständnis einige der bereits in diesem Kapitel herausgearbeiteten Sichtweisen auf Körper verknüpft werden können: Körper – als Raum und im Raum – erscheint als ein offenes, prozesshaftes Phänomen, dass nicht entlang von Unterteilungen zwischen Innen und Außen, zwischen Materie und Sozialem bestimmt werden kann. Bezogen auf die körperlichen Dimension von Sozialität trägt der Blick auf performative raumkonstituierende Körperpraktiken dazu bei, Kultur als etwas zu verstehen, dass nicht allein in Form von Artefakten und Text vorliegt. Die Vorstellung eines strukturierten Zusammenhangs einzelner Elemente, denen eine bestimmte vorab festgelegte kodierte Bedeutung zugeschrieben werden kann, wird somit abgelehnt. Denn Körpern, Bewegungen, Gesten und Lauten der Akteurinnen und Akteure kommen in Aufführungen nicht als solchen Bedeutung zu. Will man sie in ihrer Symbolik begreifen, so kann ihnen nur im Kontext der performativen Prozesse, in denen sie Verwendung finden, Bedeutung zugewiesen werden (vgl. Fischer-Lichte 2003b, 16). Da der Körper nicht allein sprachlich kodiert ist, zeigt Claudia Benthien am Beispiel der Haut auf, dass die Metapher vom Körper als Text eine Verkürzung darstellt. Laut Benthien bestehe ein deutlicher Unterschied darin, ob die Haut ein Text ist oder ob es in einem Text um Haut geht. Denn die „produktive Uneindeutigkeit“ (Benthien 1999, 18) der Haut wie des Körpers allgemein lässt sich zwar über den Text kenntlich machen, sie geht jedoch nicht in diesem auf. Berücksichtigt Performatives insbesondere den Prozess der sozialen Aufführung, so intendiert der seit den 1970er Jahren verstärkt von der Theaterwissenschaft durch

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die Sozial- und Kulturwissenschaften übernommene Inszenierungsbegriff 33 laut Erika Fischer-Lichte „den besonderen Modus der Herstellung von Aufführungen“ (2003a, 36, Hervorh., H.T.). Der Inszenierungsbegriff bietet Potenzial für die Erklärung der Gleichzeitigkeit von überdauernden sozialen Strukturen und sozialem Wandel. Durch wiederholte Aufführungen kommt es zu einer Fortführung und Verfestigung von Normen. Zugleich entwickeln sich gesellschaftliche Praktiken durch ihre an Zeit und Raum gebundenen jeweiligen Inszenierungen fortwährend weiter (vgl. Wulf 2005, 7f.). Ähnlich den von performance abgeleiteten Begriffen wird die Verwendung des Inszenierungsbegriffs – als Formgebung sozialer Aufführungen – von einigen Autorinnen und Autoren als eine grundlegende Wende von vermeintlich sprach- und textbasierten Gesellschaften hin zu einer im hohen Maße durch Aufführungen, Inszenierungen und Rituale geprägten Verständigung angesehen (vgl. Martschukat/Partholt 2003, 2). Im Zuge dessen finden sich seit den 1990er Jahren Beschreibungen des gesellschaftlichen Zustandes als einer „Kultur der Performance“ (Fischer-Lichte 2003a, 36) oder auch „Inszenierungsgesellschaft“ (Willems 1998), die den grundlegenden Charakter dieser neuen Perspektive verdeutlichen sollen. Auf diese Weise wird nicht nur die ästhetischen Dimension sozialen Miteinanders betont, sondern der Inszenierungsbegriff avanciert zu einer anthropologischen Kategorie. Inszenierung im weitesten Sinne „fängt überall da an, wo etwas für ein wenigstens potentielles Publikum so herausgestellt wird, daß es für sie eine Zeit lang zu einem bedeutsamen, aber sachlich ungreifbaren Ereignis werden kann. Wo die Grenze aber jeweils liegt (an der die Inszenierung anfängt bzw. aufhört, H.T.), hängt immer von denen ab, denen an dieser Grenze etwas liegt – von den Menschen, die sich öffentlich unterschiedlich präsentieren und es mit unterschiedlichen öffentlichen Präsentationen zu tun haben“ (Seel 2001, 61f. zit. n. Fischer-Lichte 2003a, 45f.).

Kaum möglich erscheint es daher, allgemeine Kriterien für Inszenierungen aufzustellen, denn die Grenze zu möglicher Nicht-Inszenierung wird immer neu gezogen; ist eventuell überhaupt nicht zu bestimmen. Eine Handlung kann Inszenierung und zugleich Nicht-Inszenierung sein, abhängig davon wie sie in den Augen der Handelnden und Zuschauer erscheint (vgl. Fischer-Lichte 2003a, 44). Mit der eröffneten Perspektive kann allerdings davon ausgegangen werden, dass Inszenierungen und Re-Inszenierungen als Neuinszenierungen der Inszenierungen ununterbrochen

33 Es handelt sich um einen recht jungen Begriff, der in den 1820er Jahren aus dem französischen Wort misenscène abgeleitet wurde. Zu Beginn wurde mit diesem technischen Begriff das Handeln von Personen und Material zum Ganzen der Darstellung einer dramatischen Dichtung bezeichnet (vgl. Fischer-Lichte 2003a , 41 und Fischer-Lichte 1998).

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im Alltag stattfinden und wir uns wie selbstverständlich in einem System von Vorder- und Hinterbühnen bewegen. „Wir alle zielen vermittels unserer Selbst-Darstellung darauf ab, von den anderen auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden, vor den anderen in einem bestimmten Licht zu erscheinen. Und die anderen machen im Prinzip dasselbe, und so machen wir uns sozial einander erträglich, denn: ,Sicherheit erwächst durch einander bestätigende Vorstellungen‘ (Soeffner 1989, 157)“ (Hitzler 1992, 457).

Es wird deutlich, dass die aus dem Begriff performance abgeleiteten Konzepte und der Inszenierungsbegriff eine explizit körperliche Perspektive auf Sozialität eröffnen. Der Begriff der Körperinszenierung findet dann Verwendung, wenn die körperliche Dimension der Inszenierung in den Mittelpunkt gestellt wird. Die auf körperlicher Ebene vollzogene (Re-)Präsentation gesellschaftlicher Strukturen verbindet sich mit der Herstellung sozialer Wirklichkeit durch die Materialität sozialen Handelns. Körperliche Praktiken stehen im Mittelpunkt der Einschreibung wie Erzeugung gesellschaftlicher Strukturen, denn zum einen werden soziale Zugehörigkeiten und die damit einhergehenden Hierarchisierungen inkorporiert. Zum anderen tritt der Körper durch soziales Handeln sowie dessen Wahrnehmung in Erscheinung. Inszenierungen im Alltag zeigen sich dabei in sozialen Aufführungen entlang zentraler sozialer Differenzlinien, die Status und gesellschaftliche Teilhabe strukturieren. Demnach sind die Möglichkeiten für Inszenierungen immer auch durch den sozialen Raum mitbestimmt, den sie zugleich konstituieren. Körperinszenierungen bilden somit „soziale und kulturelle Praktiken, mit denen sich eine Person mit ihrem eigenen Körper in ein Verhältnis zur Welt setzt“ (Friebertshäuser/ Langer/Richter 2004, 33). Den mittlerweile zu dem Thema des Körpers als Medium für Selbstdarstellung erschienenen Arbeiten ist laut Robert Gugutzer gemein, dass eine theatrale Perspektive auf Gesellschaft eingenommen wird, welche diese körperlichen Praktiken untersucht (vgl. Gugutzer 2006, 18f.). Dabei werden die sichtbaren inszenierten Praktiken immer wieder in einen engen Zusammenhang mit leiblich-spürendem Erleben gestellt. Denn bezogen auf die theoretische Unterscheidung zwischen Körper und Leib wäre es verkürzt, das Interesse an Inszenierungen allein auf den körperlichen Aspekt zu beziehen. Anne Fleig betont in der Einführung zu dem Sammelband Körper-Inszenierungen (2000) die in diesem Begriff (und seiner Schreibweise) enthaltene Darstellung der kulturellen Prozesshaftigkeit in ihrer leibgebundenen Gegenwärtigkeit. Weder die radikale Dekonstruktion des Körperlichen noch das bloße Beharren auf körperlichen Erfahrungen bietet für sich genommen eine ertragreiche Grundlage für theoretische Weiterentwicklungen.

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2.6 K ÖRPERLICHKEIT ALS D IMENSION ZWEITER Z WISCHENSTAND

VON

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S OZIALITÄT –

Aus dem Zusammenschluss und dem gegenseitigen Abgleich der in diesem Kapitel vorgestellten theoretischen Ansätze von Plessner, Mead, Bourdieu, Goffman sowie der Arbeiten zu Performanz und Inszenierung ergibt sich die theoretische Perspektive der vorliegenden Arbeit. Es wird nicht davon ausgegangen, dass die im Folgenden vorgestellten Kernaussagen in gleichem Maße bei allen genannten Autoren zu finden sind. Vielmehr hat die ergänzend angelegte selektive Auseinandersetzung mit den Überlegungen zu Körper dazu beigetragen, eben diese Perspektive formulieren zu können. Die Auseinandersetzung mit der körperlichen Dimension von Sozialität bietet dabei immer wieder auch Anknüpfungspunkte für sozialanthropologische Überlegungen, die von den rezipierten Autoren explizit oder implizit thematisiert werden. Dabei erscheint der Schwerpunkt allerdings weniger auf überdauernden Gesetzmäßigkeiten des Menschlichen zu liegen, als – mit Plessner gesprochen – auf der Reflexion menschlicher Existenz im Sinne eines auch gesellschaftskritischen Korrektivs sozialer Wirklichkeit. Die Spezifika des Forschungsgegenstandes führen zu einer mehrdimensionalen Konzeptualisierung, die folgende Punkte umfasst: • Menschliche Existenz wird als Aufgabe verstanden, die der Mensch aktiv vollziehen muss. Aus dieser Perspektive geht es nicht um ein Selbst als stabilem ,Kern‘, den es aufrechtzuhalten gilt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass der Mensch sein Selbst und die Vorstellung davon immer wieder neu und im Abgleich mit seiner Umwelt ausbalanciert. • Für diese Studie wird die Vorstellung eines Körper-Geist-Dualismus abgelehnt. Durch die theoretische Auseinandersetzung wurde deutlich, dass sich beide Aspekte menschlicher Existenz bedingen und nicht voneinander zu trennen sind. Vielmehr bildet die Verwiesenheit beider aufeinander das, was das Selbst als einen ,Verhältnisbegriff‘ bestimmt. Im Zuge dessen lässt sich auch die Unterscheidung zwischen dem Bewusstsein als etwas kulturell Erschaffenem und Körper als natürlicher Gegebenheit nicht aufrechterhalten. Daher wird in der vorliegenden Studie auch kein auf Bewusstsein oder körperlichem Erleben beruhender Subjektentwurf gewählt. Soziale Wirklichkeit ist nicht allein das Ergebnis kognitiver Leistungen, sondern gewinnt ihre Wirklichkeitsqualität gerade auch durch körperliche Praxen und Routinen (vgl. Hahn/Meuser 2002, 14.).34

34 Hans Joas führt aus, dass der Körper in der Lage ist, verschiedene „Wahrnehmungs- und Handlungsweisen miteinander zu kombinieren. „Wenn der Anblick eines Gegenstandes für die praktische Vergewisserung über seinen Charakter nicht genügt, hilft eine Berüh-

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• Die soziale Verankerung von Körper eröffnet den Blick auf seine Unabgeschlossenheit gegenüber dem sozialen Raum. Der Körper in seiner Materialität ist nicht statisch gegeben, sondern wird in der Aushandlung mit Anderen zum Bedeutungsträger und Bedeutungsproduzent. Er bildet zwar die Grundlage für die Existenz des oder der einzelnen und ist in der modernen Vorstellung als ,geschlossenes Ding‘ somit maßgeblich an der Vorstellung von Individualität beteiligt. Seine vermeintliche ,Natur‘ ist aber nicht unmittelbar wahrnehmbar, sondern zeigt sich nun in seiner sozialen Vermitteltheit im jeweiligen Feld. In konkreten interaktiven und abstrakten gesellschaftlichen Aushandlungen symbolischer Bedeutungen wird Körper zwischen Erschaffung, Aufrechterhaltung und Verschiebung gesellschaftlicher Strukturen sozial hergestellt. Sozialer Raum und Körperraum durchweben sich gleichsam gegenseitig. • Für diese Herstellungsprozesse von Körper erscheint es bedeutsam, wie sich Menschen körperlich gegenübertreten. Als soziale Inszenierungspraxen verstanden, führen wir uns und Anderen unseren Körper gegenseitig auf und konstituieren auf diese Weise den sozialen Raum mit. Die Rekonstruktion inkorporierter sozialer Strukturen lässt sich demnach über die Analyse von Körperdarstellungen vornehmen. • Werden Inszenierungen des Körperlichen35 als soziales Distinktionsmittel verstanden wird deutlich, dass diese nur in Raster sozialer Differenzsetzungen und Zugehörigkeitsvorstellungen gedacht werden können. Die durch und mit dem

rung als Einsatz des Tastsinns vielleicht weiter. Es ist deshalb nicht nötig, die analytische Reichweite einer Wahrnehmungsweise ganz auszuschöpfen, sondern es ist möglich, durch flexibles Zusammenwirken verschiedener Sinnesorgane und experimentelle Verknüpfungen von Handlungsweisen ein für die praktischen Zwecke des Handelns befriedigendes Resultat zu erreichen. Wenn diese Argumente zutreffen, dann ergibt sich die Überlegenheit der menschlichen Wahrnehmung gegenüber den Versuchen ihrer Simulation nicht durch eine ,höhere‘ Beschaffenheit des Geistes, die von solchen Programmen nicht erreicht werden können, sondern durch die Fundierung der Wahrnehmung in der Körperlichkeit des Menschen“ (Joas 1992, 234). 35 Bezogen auf die theoretische Unterscheidung zwischen Körper und Leib geht die für diese Studie getroffene Entscheidung, eine auf die körperliche Präsentation gegenüber sich und Anderen bezogene Perspektive zu wählen, nicht mit einer Schwerpunktsetzung auf Körper – ohne Leib – einher. Denn gerade im Verhältnis dieser beiden nicht voneinander zu trennenden Aspekte findet das leibliche Spüren als nicht ablösbarer Teil von Körperdarstellungen Berücksichtigung. Wenn also in dieser Studie von Körper gesprochen wird, so wird dieser im seiner durch das Körper-Leib-Verhältnis bestehenden Offenheit und Unabgeschlossenheit gedacht.

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Körper vorgenommene Entäußerung habitualisierter sozialer Erfahrungen wird zur Grundlage gesellschaftlicher Positionierung. Aus dieser Perspektive kann Körper zu einer Ressource aber auch zu einem Risiko für Interaktion und somit das Selbst werden. • Gerade in der Bezugnahme auf Leiblichkeit liegt die Möglichkeit der Widerständigkeit gegenüber der Idee einer trotz aller körperlichen Inszenierungstätigkeit nie vollständigen Verfügungsgewalt über den Körper – weder durch das Individuum noch durch die Gesellschaft. Dabei sollten die körperlich-leiblichen Anteile allerdings nicht als vorsoziale oder authentischere Aspekte menschlicher Existenz missverstanden werden: „In der Ausrichtung aller an allen wird Individualität am Körper sichtbar als eine, die standardisierten Mustern folgt – und sich dennoch abhebt. Der Körper ist also nicht die schlichte Verkörperung sozialer Normen, die auf dem Hintergrund eines normativen Gerüsts entzifferbar wären, sondern gewissermaßen selbst kreativer Akt im Prozess der Normalisierung“ (Bublitz 2006, 354).

In diesem Sinne wird eine unauflösliche Verwobenheit von Körper als einerseits Produkt und andererseits Produzent sozialer Wirklichkeit angenommen (vgl. zu einer Systematik möglicher Forschungsschwerpunkte zu den beiden Perspektiven Gugutzer 2006, 14-20). Diese beiden nur theoretisch zu trennenden Perspektiven werden in der vorliegenden Studie mit dem Begriff der Körperlichkeit ein- und aufeinander bezogen. Mit dem Wissen um Körper als einer physischen Entität wird unter Körperlichkeit – als dem Körperhaften des Menschen – dreierlei verstanden: • erstens, die Wahrnehmung des eigenen Körpers einerseits im Sinne einer in Distanz zu sich vorgenommenen Betrachtung des eigenen Körpers und andererseits durch die spürende Wahrnehmung als Leiblichkeit, • zweitens ,der Umgang mit dem eigenen Körper sowie • drittens, die körperlichen Präsentation gegenüber und im Austausch mit Anderen. Alle drei Ebenen von Körperlichkeit sind miteinander verknüpft und lassen sich nur analytisch trennen. Ein empirischer Zugang zu Körperlichkeit lässt sich dabei allein durch in sozialen Aufführungen vollzogene Körperinszenierungen vornehmen. Demnach sind alle für die empirische Untersuchung gewonnenen Daten als Produkte von Interaktion aller am Forschungsprozess Beteiligten zu verstehen. Grundlage für die gemeinsam ausgehandelten Darstellungen sind wiederum Erfahrungen, die in der Interaktion mit Anderen und innerhalb institutioneller Rahmen gesammelt wurden.

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In der vorliegenden Studie wird im Folgenden die Auseinandersetzung mit der körperlichen Dimension von Sozialität unter den Bedingungen von Migration betrachtet. Es stellt sich die Frage, inwiefern und in welcher Weise Migration als soziales Phänomen Einfluss auf Körperlichkeit nimmt. Denn in einer durch Migration gekennzeichneten Gesellschaft wie Deutschland finden die Aushandlungen symbolischer Bedeutungen auch unter dem Einfluss von Ein- und Auswanderung statt. Bezogen auf die körperliche Dimension von Sozialität wird dabei vermutet, dass in Bezug auf Einwanderung Körperlichkeit in der Auseinandersetzung mit dem Anderen und dem Eigenen bei Menschen mit Migrationshintergrund zu einer ,anderen Körperlichkeit‘ gemacht wird. Denn gerade über das Körperliche werden soziale Zuschreibungen naturalisiert und als ,biologische Andersartigkeit der Anderen‘ festgeschrieben. Der in diesem Zusammenhang zu untersuchende Umgang in Form möglicher Handlungsstrategien ist nicht allein durch kognitive Prozesse zu erklären, sondern muss auch in seiner körperlichen Dimension miteinbezogen werden. Dabei stellt die „Aneignung von Wissen über Gesellschaften, in die man nicht hineingeboren ist“ keine interaktionstheoretische „Sonderfrage“ mehr da, wie dies von Peter Berger und Thomas Luckmann Ende der 1960er Jahre konstatiert wurde (1969/2007, 141). Vielmehr geht es darum, zu einem Verständnis für immer auch körperlich bedingte Alltagsinteraktionen in Form gegenseitiger sozialer Aufführungen in einer durch Migration gekennzeichneten Gesellschaft beizutragen.

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Erkennen zugrunde liegende symbolische Ordnung kann als physiognomischer Code bezeichnet werden“ (Mecheril 2004, 52). Dieser Code systematisiert körperliche Erscheinungsformen, was die scheinbar „selbstverständliche Auslegung etwa geschmacklicher Anzeichen, präferierter Werte oder körperlicher Merkmale als Mitgliedschaftssignale, als Zeichen der (Nicht)Zugehörigkeit“ (ebd.) zur Folge hat. Diese soziale Ordnung des Körperlichen ist von „Imaginationen, Mythen und Rassismen“ (ebd.) durchzogen.

3.1 Z UR R ASSIFIZIERUNG

DES , ANDEREN

K ÖRPERS ‘

Einher mit der selbstverständlichen Bezugnahme auf und damit einhergehenden (Wieder)Herstellung von körperlichen Merkmalen als Begründung für natio-ethnokulturelle (Nicht-)Zugehörigkeit spielen Rassifizierungen als „Formierung von Rasse“ (Omi/Winant 1994) eine bedeutsame Rolle. Rassifizierung kann verstanden werden „als Prozess kognitiver Abrichtung, in dessen Verlauf Zeichen auf Körper übertragen und diese entsprechend bewertet werden. [...] In den uns bekannten Rassifizierungsdynamiken ist das Zeichen ,Hautfarbe‘ prominent. [...] Das unsichtbarste und folglich historisch wirkmächtigste Zeichen in der Geschichte der Rassifizierung ist das Blut“ (Wollrad 2010, 145).

Rassifizierung verweist auf die wissenschaftlich nicht haltbare Unterteilung von Menschen in verschiedene ,Rassen‘. Es ist zu beobachten, dass der Begriff „,Rasse‘“5 bezogen auf Menschen im deutschsprachigen Raum nicht mehr verwendeten beziehungsweise unter Verweis auf seinen Konstruktionscharakter wie in der vorliegenden Studie in Anführungszeichen gesetzten wird. Demgegenüber ist der Begriff race in der angloamerikanischen Diskussion weiterhin präsent und wird meist entweder in Entsprechung von Ethnie verwendet (vgl. Krüger-Potratz 2005, 204) und/oder weiterhin mit Zugehörigkeit durch physisch sichtbare und/oder gene-

5

Die Kritik an der sprachlichen Verwendung bezieht sich nicht nur allein auf den Begriff der ,Rasse‘, sondern zum Teil auch auf Begriffe wie Rassismus, Antirassismus, rassistische Diskriminierung usw. als Legitimierungen in der Verneinung (vgl. Krüger-Potratz 2005, 208). Der Begriff der Rassifizierung wird aus dieser Perspektive ebenfalls fragwürdig, scheint mir jedoch eine Möglichkeit, diese wirkmächtige Differenzierungspraxis in ihrer Konstruiertheit anzusprechen. Allerdings läßt sich auch die Position finden, dass der Ausdruck ,Rasse‘ nicht verboten, sondern gerade in seinem auch risikoreichen Gebrauch zum Thema gemacht werden sollte (vgl. Omi/Winant 1994).

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tische Übereinstimmungen in Verbindung gebracht (vgl. zum Beispiel die Gegenüberstellung von Ethnic Group und Race in Cornell/Hartmann 1998, 35).6 Im engen Zusammenhang mit dieser Vorstellung einer naturgegebenen Differenzierung zwischen menschlichen Gruppen stehen Entwicklungen einer westlichen Biologie, Medizin und Ethnologie des 18. und 19. Jahrhunderts, die die Vorstellung einer Verknüpfung körperlich-anatomischer Merkmale mit charakterlichen und intellektuellen Fähigkeiten legitimierte und mit hervorbrachte.7 Diese als Begründung für den europäischen Kolonialismus herangezogenen beziehungsweise in diesem Zusammenhang entstandenen ,wissenschaftlichen‘ Erkenntnisse sind dabei durchaus als eine dem aufkommenden Leistungsprinzip der Aufklärung entsprechende kognitive Hierarchisierungsmöglichkeit zu verstehen (vgl. Müller/Zifonun 2010, 18). Der Körper in seiner Sichtbarkeit bildete dabei die Grundlage für Argumentationen rassifizierender Unterscheidung zwischen Menschen und die daran gekoppelte Argumentation zur Verteilung von Privilegien. Als eine Form von Rassifizierung kann die von Ende des 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts reichende Ausstellungspraxis von Menschen anderer ,Völker‘ in Europa und Nordamerika angesehen werden. Diese sogenannten ,Völkerschauen‘ waren zum Teil aufwändige Großveranstaltungen, wie beispielsweise die des Hamburger Tierhändlers Carl Hagenbeck (vgl. Thode-Arora 1989). Menschen aus anderen Gebieten der Erde wurden zudem auf Jahrmärkten, in Zoos und auf Zirkusveranstaltungen in europäischen Ländern und den USA ausgestellt. Solche Zurschaustellungen von Menschen hatten das Ziel, aus der Illusion von Authentizität ,exotischer Andersheit‘ kommerziellen Gewinn zu schlagen.8 Die Ausstellung von Menschen kann somit nur bedingt im direkten Zusammenhang mit Kolonialpropaganda gesehen werden, da diese eher die Erfolge der Kolonialisierung als eine Zivilisierung der ,Wilden‘ und somit gerade nicht das ,exotische Andere‘ hätte aufzeigen müssen (vgl. Dreesbach 2012). 1901 kam es daher auch zum Verbot

6

Wird der ,Rassebegriff‘ genetisch-körperlich konnotiert so wird er wiederum oftmals gerade von ethnischer Zugehörigkeit als auf kulturellen Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschieden beruhende Unterteilung abgegrenzt (vgl. Cornell/Hartmann 2010).

7

Ein Beispiel ist die sogenannte Phrenologie, die einen Zusammenhang zwischen Kopfund Gehirnform sowie Charaktereigenschaften herstellte. Anfang des 19. Jahrhunderts, durch den Deutschen Franz Joseph Gall begründet, fand diese Form der Korrelationsfiktion nicht nur im Rahmen eines rassistisch begründeten Vergleichs Anwendung, sondern auch im Hinblick auf das Stigma einer Behinderung oder auch einem begangenen Verbrechen (vgl. dazu Gould 1988).

8

Interessant erscheint die Geschichte des Togolesen Nayo Bruce, der 1896 nach Deutschland kam und unter eigener Leitung 20 Jahre mit seiner Familie durch Europa tourte (vgl. Brändle 2007).

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der Anwerbung von Menschen zum Zweck der Zurschaustellung in den meisten deutschen Kolonialgebieten. Begründet wurde dies durch die Sicherung des Arbeitsmarktes in den Kolonien sowie durch den Schutz der „Eingeborenen“ und der Sorge vor möglichen „Rassendurchmischungen“ (Sippel 1995). Implizit lassen sich die diesen Ausstellungspraktiken zugrunde liegende Festschreibung und Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen aber unverkennbar mit dem System des Kolonialismus in Verbindung bringen. Trugen solche Ausstellungen nach ihrem Selbstverständnis bestehende menschliche Ordnungen zur Schau, so lassen sie sich vielmehr als Teil eines Prozesses der Erzeugung dieser Ordnung verstehen (vgl. Mitchell 2002, 150). Durch die klare Markierung der Betrachtenden und derer, die betrachtet werden, bilden diese Ausstellungen eine Stütze des kolonialen Diskurses und trugen damit zur Legitimierung rassistischer Machtansprüche kolonialer Expansion bei. 9 Für die in diesem Zusammenhang bedeutsamen phänotypischen Systematisierungen10 spielte zudem die zunehmende Verbreitung der Fotografie in dieser Zeit eine wichtige Rolle. Die Visualität fotografischer ,Dokumentation‘ trug entscheidend zu der aus heutiger Sicht pseudowissenschaftlichen Herstellung von ,Rassen‘ bei (vgl. Gernig 2001) und prägt seitdem die Vorstellung von ,typischem‘ Aussehen der Bevölkerungen verschiedener (nationalstaatlicher) geografischer Gebiete beziehungsweise von Angehörigen verschiedener ethnisch bestimmter Gruppen. Das ,Wiedererkennen‘ eines ,typischen‘ Äußeren als einer „Imagination des prototypischen Mitglieds“ (Mecheril 2003, 157) kann wiederum als scheinbar biologische und daher natürliche Begründung zur Legitimation von Unterscheidungen herangezogen werden, denn:11 „[d]as für Rassismus typische binäre Repräsentationssystem markiert ständig die Differenz zwischen Zugehörigkeit und Andersheit und versucht, sie zu festigen und zu naturalisieren. Ein grundlegendes Mittel, um dies zu erreichen, ist, das Selbst genetisch bestimmt zu betrachten, anstatt als kulturell vermittelt – ein Selbst, das Gestalt annimmt in dem, was uns als

9

Völkerschauen und ähnliche Veranstaltungen wurden zudem von Wissenschaftlern genutzt, um Vermessungen am bequem vor Ort zu erreichenden ,lebendem Studienmaterial‘ vorzunehmen (anhand des Beispiels Freiburg vgl. Armbruster 2011, 69).

10 Der Begriff des Phänotyps stammt aus der Genetik und meint das Erscheinungsbild eines Organismus, welches aus dem Zusammenwirken von Erbanlagen und Umweltbedingungen entsteht. 11 Diesen Prozess der Begründung nennt man Zirkelschluss. Das zu Beweisende wird als Grundlage für die Beweisführung bereits vorausgesetzt.

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das ,Natürlichste‘ und Unmittelbarste erscheint: im Körper“ (vgl. Goldberg 1993 zit. n. Solomos 2001, 158).

Die zugrunde liegende Vorstellung, dass über ein bestimmtes Aussehen automatisch auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten biologischen Gruppe geschlossen werden kann, ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Für eine Klassifikation in ,Rassen‘ als homogene Populationen lässt sich keine genetische Entsprechung finden. Damit einher geht der Befund, dass äußere Merkmale und genetische Variation keinesfalls übereinstimmen müssen: „Im einzelnen können zwischen den menschlichen Populationen, einschließlich kleineren Gruppen, genetische Unterschiede festgestellt werden. Diese Unterschiede vergrößern sich im allgemeinen mit der geografischen Entfernung, doch die grundlegende genetische Variation zwischen Populationen ist viel weniger ausgeprägt. Das bedeutet, daß die genetische Diversität beim Menschen gleitend ist und keine größere Diskontinuität zwischen den Populationen anzeigt. Befunde, die diese Schlussfolgerungen stützen, widersprechen der traditionellen Klassifikation in ,Rassen‘ und machen jedes typologische Vorgehen völlig unangemessen. Darüber hinaus hat die Analyse von Genen, die in verschiedenen Versionen (Allelen) auftreten, gezeigt, daß die genetische Variation zwischen den Individuen innerhalb jeder Gruppe groß ist, während im Vergleich dazu die Variation zwischen den Gruppen verhältnismäßig klein ist“ (UNESCO-Erklärung „Stellungnahme zur Rassenfrage“ 1995).12

Eine offene biologische Differenzierung zwischen verschiedenen menschlichen ,Rassen‘ ist insbesondere seit der politischen Situation nach 1945 und dem Wissen um die rassistische Menschenverfolgung und -vernichtung durch die Nationalsozialisten gegenwärtig kaum noch möglich. Vor diesem Hintergrund kann die „kulturalistische Wende“ (vgl. Terkessidis 1998, 99) im rassistischen Wissen13 ab den 1970er Jahren als neues Paradigma bezeichnet werden. Konzepte wie die eines „differentialistischen Rassismus“ (Taguieff 1991, 246ff.), einem „Rassismus ohne Rassen“ beziehungsweise „Neo-Rassismus“ (Balibar 1992) oder eben eines „kultu-

12 Bereits 1950 wurde durch die UNESCO empfohlen, aufgrund der durch das Konzept der ,menschlichen Rassen‘ hervorgerufenen Vorstellung vermeintlicher biologischer Gemeinsamkeiten ihrer Mitglieder, den Begriff der ethnischen Gruppen einzuführen (vgl. UNESCO-Erklärung The Race Question 1950). 13 Der Begriff „Rassismus“ wurde in den 1930er Jahren im Rahmen der Beschreibung nationalsozialistischer Judenverfolgung gebräuchlich (vgl. Fredrickson 2004, 13). Seinen Ursprung findet Rassismus in seiner prototypischen Form als „Produkt des Westens“ (vgl. ebd., 14) im 14. und 15 Jh. und bezog sich ursprünglich eher auf religiöse als auf vermeintlich naturwissenschaftliche Zusammenhänge.

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rellen Rassismus“ (Hall 1989, 917) versuchen diese Entwicklungen zu fassen. Dabei lässt sich dieser neue Rassismus kennzeichnen als ein Paradigma, durch das erstens der vormals zentrale Terminus ,Rasse‘ durch den der ,Kultur‘ abgelöst wird, das zweitens Differenzen statt hierarchisierende Ungleichheiten thematisiert und das drittens die Annahme vertritt, dass der Kontakt zwischen Mitgliedern unterschiedlicher ,Kulturen‘ zwangsläufig zu Missverständnissen und Problemen führen müsse und somit zu vermeiden sei (vgl. Çinar 1999, 59). „Ideologisch gehört der gegenwärtige Rassismus, der sich bei uns [in Frankreich 14 , H.T] um den Komplex der Immigration herum ausgebildet hat, in den Zusammenhang eines ,Rassismus ohne Rassen‘ [...]: eines Rassismus, dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; eines Rassismus, der – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über anderer postuliert, sondern sich darauf ,beschränkt‘, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten“ (vgl. Balibar 1992, 28).

In dieser Transformation rassistischer Argumentation werden kulturelle Differenzen wie zuvor die Vorstellung von unterschiedlichen genetischen Ausstattungen verdinglicht und als wesenseigene Unterschiede zwischen den Kulturen festgeschrieben (vgl. Fredrickson 2004, 144). Die Annahme der nun weitgehend kulturellen Begründung rassistischer Theorien ist laut Balibar somit letztendlich genauso essentialistisch wie ein biologistisch begründeter Rassismus. Denn die dem kulturellen Rassismus inhärente Argumentation, dass alle Menschen zwar in biologischem Sinne gleichwertig aber eben aufgrund ihrer kulturellen Zugehörigkeit zu verschieden seien, als dass ein konfliktfreies Zusammenleben möglich wäre, führt zu Segregation. Die auf den ersten Blick im neuen Rassismus aufgehobene Hierarchisierung wird nun unter anderem durch die Idee der Differenz kultureller Leistungsfähigkeit vorgenommen. Im Rahmen des ,freien Wettbewerbs der Kulturen‘ über deren jeweilige gesellschaftliche beziehungsweise globale Positionierung entsteht auf diese Wesie eine Hierarchie unter anderen Vorzeichen. Nicht die genetische Höher- und Minderwertigkeit , sondern die Annahme unterschiedlicher ökonomischer Leistungsfähigkeit einzelner Gruppen rückt dadurch in den Fokus (vgl. Balibar 1992, 34ff.).

14 Diese neue Form des Rassismus sieht Balibar neben Frankreich vor allen Dingen in den angelsächsischen Ländern. Zuvor stellt er seine Überlegungen jedoch in den Kontext von europäischer Kolonialisierung und Entkolonialisierung, sodass sich seine Überlegungen auch auf Deutschland beziehen lassen.

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Entgegen der skizzierten Annahme der Ablösung eines biologischen durch einen kulturell argumentierenden Rassismus wird in dieser Studie die Position vertreten, dass der biologische sogenannte alte Rassismus (der Moderne) und der kulturelle neue Rassismus (der Postmoderne) immer schon parallel existierten. Rassismus wird nämlich gerade dann zu einem umfassenden Hierarchisierungsinstrument, wenn er kulturalistisch und biologistisch zugleich argumentiert. Und so finden sich auch in der ,Phase‘ des alten Rassismus Beispiele für die Argumentation kultureller zum Beispiel religiös bedingter Andersartigkeit – beispielsweise in der Rassenideologie des NS-Regimes –, genau wie auch heute – beispielsweise durch Thilo Sarrazin vertreten – weiterhin biologistisch argumentiert wird.15 Die in den 1990er Jahren bekannt gewordene Studie Brandsätze (1992) zum Alltagsrassismus autochthoner Deutscher von Siegfried Jäger u.a. konstatiert zum Verhältnis von genetischem und kulturellem Rassismus in den geführten Interviews: „diese beiden Rassismen tauchen hier aber eigenartig verschlungen und vermengt auf“ und kommt daher zu dem Schluss, dass diese „Trennung zumindest für den Alltagsdiskurs auch theoretisch nicht zu halten ist. Diese Unterscheidung ist, so meine These schon allein deshalb schief oder auch ganz falsch, weil für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft das Soziale ohnedies naturalisiert ist und insofern alles Soziale und Kulturelle biologistisch-natürlich gesehen wird (z.B. der Staat als organisch). Selbst wahrgenommene Veränderungen werden eher im Sinne natürlich-biologischer Entwicklungen interpretiert als Ergebnis menschlicher Tätigkeit“ (Jäger 1992, 221, o. Hervorh.; vgl. darin zudem konkrete Beispiele aus den Interviews auf den Seiten 220-226).

Trotz der nicht haltbaren Aussage einzelner menschlicher ,Rassen‘ kann die „symbolische Ordnung von Rasse“ (Arndt 2009) als einer Vorstellung biologischer Andersartigkeit demnach keinesfalls ad acta gelegt werden. Vielmehr muss von einem Zugleich von Kontinuität und Veränderung im rassistischen Denken ausgegangen werden, das zu seiner flexiblen Stabilität führt (vgl. Fredrickson 2004, 16). Ausgegangen wird demnach nicht von verschiedenen Formen von Rassismus als vielmehr von zwei sich gegenseitig stützenden Argumentationsebenen einer Perspektive. In der Verschränkung der Argumentation kulturalistischer und – wenn auch nicht immer offen ausgesprochen so doch ,irgendwie‘ angenommener – biologischer Andersartigkeit kann die Theorie der Differenz ihre Wirkung (in Alltagsinteraktionen

15 In der Kontroverse um sein Buch Deutschland schafft sich ab hat Thilo Sarraszin seine Argumentation biologisch begründeter Unterschiede unter anderem in Form des „Judengens“ aufgrund von Protesten zwar teilweise relativiert, die Idee einer Naturalisierung kultureller Unterschiede zum Beispiel in Form von niedrigerer intellektueller Leistungsfähigkeit bestimmter ,Ethnien‘ bleibt jedoch ungebrochen (vgl. Sarrazin 2010, 100).

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bis hin zur Einwanderungspolitik) entfalten. Zentral – und daher ist auch von einem Rassismus zu sprechen – ist dabei, dass beide Ebenen in ihrer Argumentationslogik zu einer Essentialisierung kommen müssen: Ansonsten wären ,die Anderen‘ nicht dauerhaft und unveränderbar, sondern vielleicht eher situativ anders, und es würde gar nicht erst zu Angst vor einer Vermischung ,der Kulturen‘ sowie einer Untergrabung der eigenen durch eine andere Kultur kommen (vgl. Priester 1997, 26). Wird diese Argumentation auf das Theme Körper in der Migrationsgesellschaft bezogen, so zeigt sich die große Bedeutung dieses Themenkomplexes. Denn auf Körper kann eine biologistische und/oder kulturalistische Argumentation von Andersartigkeit angewendet werden. Die äußere Erscheinung wird zur sichtbaren Evidenz einer scheinbar biologisch verankerten Andersartigkeit und zugleich kann an den Körperpraktiken sowie am Verhalten kulturelle Differenz essentialisiert werden.16 Imke Schmincke benennt in ihrer Untersuchung zu marginalisierten Stadträumen und Körpern am Beispiel Hamburg die Hautfarbe Schwarz als ein „Körperzeichen“, das für die Befragten direkt auf das Handeln mit Drogen verweist, denn „Körper [sind] nicht einfach auffällig, weil sie bestimmte Merkmale aufweisen, sondern umgekehrt: die Wahrnehmung von Körpermerkmalen verweist auf ein dieser [Wahrnehmung, H.T.] ,vorgelagertes‘ Schema. Sie werden in der Beobachtung zu ,Eigenschaften‘ des Körpers und mit sozialen Eigenschaften verknüpft. Körperzeichen transportieren also in doppelter Weise soziale Bedeutungen“ (Schmincke 2009, 214).

Nicht trotz, sondern gerade aufgrund ihrer sozialen Konstruktion und der damit verbundenen situationsspezifischen Anpassungsfähigkeit, können Zugehörigkeitskonzepte wie Nation, Ethnizität, Kultur – und die darin zum Teil weiterbestehenden rassifizierenden Differenzierungen – ihre beachtliche normative Kraft entwickeln. Im Sinne der als Thomas-Theorem berühmt gewordenen Formulierung “If men define situations as real, they are real in their consequences” (Thomas/Thomas 1928, 572) geht die Annahme der sozialen Konstruktion dieser kollektiven Zugehörigkeitsvorstellungen nämlich keinesfalls mit der Illusion einher, diese könnten nicht zu überaus realen Erfahrungen von Ausgrenzung führen. Migrationsprozesse bilden in diesem Zusammenhang eine Grundlage für die Verfestigung und zugleich auch Infragestellung der „Einheitssemantik“ (Fuchs 1992, 82) nationaler, ethnischer und kultureller Zugehörigkeitsvorstellungen.

16 Deutlich wird die Rassifizierung von Körpern dabei insbesondere durch auf physische Merkmale ethnisch bestimmter Gruppen bezogene Schimpfwörter, die einen Großteil der Schimpfwörter für Ethnien (Ethnophaulismus) ausmachen und oftmals im Zusammenhang mit (Ein)Wanderung auftauchen (vgl. Allen 1983).

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Bei der Verhandlung national, ethnisch und/oder kulturell konnotierter (Nicht-) Zugehörigkeit spielt der Körper als scheinbar unauflösliches Argument für Andersartigkeit – entsprechend der jeweiligen zeitlichen und sozialen Einbindung – eine bedeutsame Rolle. Die große Wirksamkeit des Körperlichen bei der Herstellung und Aufrechterhaltung von Vorstellungen des Anderen und des Eigenen gründet dabei in seiner scheinbaren Natürlichkeit. Ohne Zweifel bestehen körperliche Unterschiede zwischen Menschen (Hautfarbe, Physiognomie, Gesten usw.). Die zugrunde liegende genetische Variation ist im Durchschnitt jedoch weit weniger entlang nationalstaatlicher Grenzen oder bestimmter kultureller Räume strukturiert als dies gemeinhin angenommen wird. Zudem kann das Problem auch nicht darin bestehen, dass Menschen unterschiedlich aussehen und andere körperliche Praktiken zeigen. Das Problem liegt vielmehr in mit bestimmten körperlichen Merkmalen verbundenen und historisch tradierten sozialen Konstruktionen von Gruppen und einer damit einhergehenden Höher- beziehungsweise Minderwertigkeit. In Anbetracht der Tatsache, dass Körper nicht unvoreingenommen ,einfach so‘ wahrgenommen werden können, wird davon ausgegangen, dass soziale Differenzierungen gerade über den Körper aufgerufen und verhandelt werden. Bezogen auf natioethno-kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen begründet sich die Essentialisierung der Differenz in der Kombination kulturalisierender und rassifizierender Zuschreibungen – eine Tatsache die insbesondere für die anschließende empirische Untersuchung unter Einbeziehung aller daran Beteiligten von Bedeutung sein wird.

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DER JUNGEN M IGRANTIN ‘ EIN WIRKMÄCHTIGES K ONSTRUKT



Das Forschungsinteresse an der körperlichen Dimension von Sozialität im Kontext von Migration eröffnet vielfältige Möglichkeiten der thematischen Schwerpunktsetzung und des empirischen Untersuchungsdesigns. In der vorliegenden Studie wird der Fokus auf die empirische Untersuchung von Körperlichkeit junger Frauen gelegt, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Diese Bezugnahme ist besonders angesichts zweier migrationswissenschaftlicher Argumentationslinien erklärungsbedürftig: zum einen aufgrund der Annahme, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft an einer Untersuchung beteiligt werden könnten beziehungsweise sollten, wenn es um die Analyse migrationsgesellschaftlicher Strukturen und Prozesse geht (vgl. bereits Hoffmann-Nowotny 1973, 152). Zum anderen wird mit dem Blick auf migrierte Personen und deren Nachkommen der Fokus auf Deutschland als Einwanderungsland gerichtet. Deutschland als Ausreiseland sowie als Ort der Durchreise, eine Perspektive, wie sie insbesondere transnationale Ansät-

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Bei der Verhandlung national, ethnisch und/oder kulturell konnotierter (Nicht-) Zugehörigkeit spielt der Körper als scheinbar unauflösliches Argument für Andersartigkeit – entsprechend der jeweiligen zeitlichen und sozialen Einbindung – eine bedeutsame Rolle. Die große Wirksamkeit des Körperlichen bei der Herstellung und Aufrechterhaltung von Vorstellungen des Anderen und des Eigenen gründet dabei in seiner scheinbaren Natürlichkeit. Ohne Zweifel bestehen körperliche Unterschiede zwischen Menschen (Hautfarbe, Physiognomie, Gesten usw.). Die zugrunde liegende genetische Variation ist im Durchschnitt jedoch weit weniger entlang nationalstaatlicher Grenzen oder bestimmter kultureller Räume strukturiert als dies gemeinhin angenommen wird. Zudem kann das Problem auch nicht darin bestehen, dass Menschen unterschiedlich aussehen und andere körperliche Praktiken zeigen. Das Problem liegt vielmehr in mit bestimmten körperlichen Merkmalen verbundenen und historisch tradierten sozialen Konstruktionen von Gruppen und einer damit einhergehenden Höher- beziehungsweise Minderwertigkeit. In Anbetracht der Tatsache, dass Körper nicht unvoreingenommen ,einfach so‘ wahrgenommen werden können, wird davon ausgegangen, dass soziale Differenzierungen gerade über den Körper aufgerufen und verhandelt werden. Bezogen auf natioethno-kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen begründet sich die Essentialisierung der Differenz in der Kombination kulturalisierender und rassifizierender Zuschreibungen – eine Tatsache die insbesondere für die anschließende empirische Untersuchung unter Einbeziehung aller daran Beteiligten von Bedeutung sein wird.

3.2 ,D ER K ÖRPER

DER JUNGEN M IGRANTIN ‘ EIN WIRKMÄCHTIGES K ONSTRUKT



Das Forschungsinteresse an der körperlichen Dimension von Sozialität im Kontext von Migration eröffnet vielfältige Möglichkeiten der thematischen Schwerpunktsetzung und des empirischen Untersuchungsdesigns. In der vorliegenden Studie wird der Fokus auf die empirische Untersuchung von Körperlichkeit junger Frauen gelegt, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Diese Bezugnahme ist besonders angesichts zweier migrationswissenschaftlicher Argumentationslinien erklärungsbedürftig: zum einen aufgrund der Annahme, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft an einer Untersuchung beteiligt werden könnten beziehungsweise sollten, wenn es um die Analyse migrationsgesellschaftlicher Strukturen und Prozesse geht (vgl. bereits Hoffmann-Nowotny 1973, 152). Zum anderen wird mit dem Blick auf migrierte Personen und deren Nachkommen der Fokus auf Deutschland als Einwanderungsland gerichtet. Deutschland als Ausreiseland sowie als Ort der Durchreise, eine Perspektive, wie sie insbesondere transnationale Ansät-

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ze verfolgen (vgl. exemplarisch Pries, 2010; Glick Schiller/Faist 2010), wird durch die Fragestellung nicht explizit aufgegriffen. Der Entscheidung für diese Schwerpunktsetzung liegt die Annahme zugrunde, dass sich an die ,Gruppe‘ junger Frauen mit Migrationshintergrund in der öffentlichen und somit mehrheitsgesellschaftlich dominierten Auseinandersetzung mit Migration in Deutschland besondere – gerade auch auf das Thema Körper bezogene – Vorstellungen von und Zuschreibungen als „Migrationsandere(n)“ (Mecheril 2004, 47) heften: Im Bild der jungen Migrantin verdichten sich einige der im deutschen Migrationsdiskurs dominanten Argumentationsmuster. Nicht nur die Rolle der Frau, auch die Frage nach dem Generationenverhältnis zwischen den Jüngeren oftmals ohne eigene Migrationserfahrungen und den Generationen älterer Migrantinnen und Migranten, werden in ihrer Verschränkung virulent. Einher mit der Wahl des Gegenstandes der Untersuchung verläuft das Forschungsinteresse somit entlang der sozialen Unterscheidungskriterien der weiblichen Geschlechtszugehörigkeit, des jungen Erwachsenenalters sowie eigener oder elterlicher Migrationserfahrung. Die dadurch angesprochenen sozialen Differenzsetzungen zu Alter, Geschlecht und der Frage nach Migrationserfahrungen werden dabei nicht als einzelne, in sich statische Gegebenheiten verstanden, die es zu addieren gilt, um Identitäten oder gesellschaftliche Stellungen zu ermitteln (vgl. Walgenbach 2005, 44-57). Vielmehr wird von der im Rahmen der Intersektionalitätsund Interdependenzforschung theoretisch herausgearbeiteten Annahme einer Verwobenheit verschiedener sozial bedeutsamer Differenzkategorien und damit einhergehender spezifischer sozialer Positionierungen ausgegangen (vgl. zum Beispiel Walgenbach u.a. 2007; Lutz/Herera Vivar/Supik 2010). Aus dieser Perspektive birgt die vorgenommene Setzung der Untersuchungsgruppe also durchaus die Gefahr, eine in den öffentlichen Auseinandersetzungen um Migration auf eine bestimmte Weise hervorgebrachte Gruppe im Rahmen von Forschung weiter festzuschreiben. Denn das Sprechen über junge Migrantinnen – wie über andere durch sozial relevante Kategorien definierte Gruppen auch – führt immer auch zu einer gewissen Homogenisierung der Einzelnen, die aufgrund einzelner Aspekte mit diesem Etikett versehen werden, um anschließend von Ähnlichkeiten ihrer Lebenssituation auszugehen (vgl. grundlegend Tajfel 1982). Im Wissen um diese Gefahr möchte ich die dominanten Bilder zu jungen Migrantinnen dennoch zum kritischen Ausgangspunkt meiner Untersuchung machen und meinen Blick auf die darin bestehenden Möglichkeiten einer Überschreitung und eines Umschreibens solcher Bilder richten. Ich frage in dieser Studie danach, ob und wie die Erfahrung, dieser Gruppe anzugehören, beziehungsweise ihr zugeordnet zu werden, Einfluss darauf nimmt, wie sich Personen in ihrer Körperlichkeit verstehen und inszenieren. Es wird ausdrücklich nicht davon ausgegangen, dass junge Frauen, die oder deren Eltern migriert sind, eine durch ihre womöglich ande-

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ren und/oder weiteren kulturellen Bezüge im essentialistischen Sinne ,andere Körperlichkeit‘ aufweisen. Bezogen auf den Schwerpunkt „Migration“ – als Erfahrung und Zuschreibung – wurde bei der Suche nach Untersuchungsteilnehmerinnen keine Spezifizierung nach der Herkunft (der Eltern) vorgenommen. Denn die Auseinandersetzung mit einem bestimmten Herkunftsland, einer ethnischen Klassifikation oder ein Kulturvergleich steht nicht im Mittelpunkt meines Forschungsinteresses. Dass der ,soziale Wert‘ der Herkunft im globalen Gefüge auf die Erfahrungen als Migrantin entscheidenden Einfluss nimmt, ist vielfach am Vergleich (des Umgangs mit) der Einwanderung aus Europa beziehungsweise Nordamerika und außereuropäischen Ländern aufgezeigt worden (vgl. Müller 1995, 101; Lünenborg/Fritsche/Bach 2011, 67f.; grundlegend Hall 1992). Dennoch möchte ich in dieser Untersuchung den Versuch unternehmen, weniger eine im engeren Sinne interkulturell vergleichende Perspektive einzunehmen, sondern das Thema „Körper“ unter den Bedingungen von Migration zu behandeln. Im Fokus steht die mit der Mobilität einhergehende Erfahrung des Lebens (der Eltern) in verschiedenen Gesellschaften zum einen sowie als „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) in Deutschland zum anderen. Der folgende Überblick über den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs über junge Frauen mit Migrationserfahrungen in Deutschland bildet die Grundlage für die im Anschluss vorgestellte empirische Untersuchung zu Körperinszenierungen junger Migrantinnen. 3.2.1 Vorstellungen über die Lebenssituation junger Migrantinnen in Deutschland – mediale, wissenschaftliche und pädagogische Perspektiven Im Bild der jungen Migrantin verdichten sich vergeschlechtlichte, ethnisierende und (altersbedingte) generationale Vorstellungen, die in ihrer Verschränkung nicht selten mit spezifischen sozialen Zuschreibungen wie einem niedrigen Bildungsabschluss, starker (islamischer) Religiosität oder auch einer erhöhten Kontrolle durch die Familie einhergehen. Damit verbunden wird in der Öffentlichkeit immer wieder die Vorstellung deutlich, dass Mädchen und junge Frauen mit (nichteuropäischem) Migrationshintergrund Opfer seien. Ein Opferstatus, der sich durch ihre kulturelle Zugehörigkeit aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Position in der familialen Generationenfolge ergeben würde. Als Auslöser und Resultat dieser Perspektive kann der Blick der Öffentlichkeit und über einen langen Zeitraum auch der Wissenschaft auf Migrantinnen und ihre leidvollen Biografien angesehen werden (vgl. zu dieser Einschätzung Otyakmaz 1995, 14; Treibel 2008, 149; als Beispiel für eine solche Perspektive Bründel/Hurrelmann 1995). Seit Ende der 1990er Jahre wird dieser „Opferdiskurs“ (Treibel 2008, 147) – zumindest in der Wissenschaft – jedoch zu-

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nehmend durch eine stärkere Berücksichtigung der Akteurinnenperspektive abgelöst. Den Facettenreichtum, der mit der (De-)Konstruktion des ,Migrantinseins‘ einhergeht zeigt Minna-Kristiina Ruokonen-Engler in ihrer Studie zu Frauenmigration exemplarisch anhand der Gegenüberstellung der Selbstpositionierung von zwei zugewanderten Frauen auf. Wird die Bezeichnung „Migrantin“ von der einen Interviewten als Ausgrenzungspraxis erfahren, so handelt es sich für die andere Frau dabei um eine politische Selbstpositionierung. Für letztere weist die Bezeichnung auf eine an den Migrantinnenstatus geknüpfte spezifische Lebenslage hin, welche es zu benennen gelte17 (vgl. Ruokonen-Engler 2012, 44). Zentral für die Auseinandersetzung mit Migration (und somit auch Gegenstand wissenschaftlicher Analysen) sind die medialen Darstellungen von Migrantinnen (zur Relevanz der Medien für die Herstellung gesellschaftlicher Öffentlichkeit vgl. zum Beispiel Imhof et al. 2004, zur Bedeutung medialer Berichterstattung für Selbst- und Fremdwahrnehmung gesellschaftlicher Gruppen vgl. Klaus/Lünenborg 2004). Dabei wird der Status von Medien in der vorliegenden Studie weniger als Spiegel gesellschaftlicher Normen, denn als Ritualisierung gesellschaftlicher Rituale im Sinne Erving Goffmans (1981) verstanden. Anhand seiner Analyse der Darstellung von Geschlechterbeziehungen in amerikanischen Werbebildern zeigt er mediale „Hyper-Ritualisierung“ gesellschaftlicher Stereotypisierungen auf. „Im großen und ganzen kreieren die Reklame-Designer nicht die ritualisierten Ausdrucksweisen, mit denen sie arbeiten. Sie benützen [sic!] offenbar das gleiche Repertoire von Darstellungen, das gleiche rituelle Idiom, dessen wir alle uns bedienen, die wir an sozialen Situationen partizipieren – und zu dem gleichen Zweck: nämlich, die flüchtig wahrgenommene Aktion verständlich zu machen. Allenfalls konventionalisieren die Reklameleute unsere Konventionen, sie stilisieren, was bereits eine Stilisierung ist, und machen leichtfertigen Gebrauch von etwas, was bereits weitgehend von den Kontrollen durch seinen Kontext abgeschnitten ist“ (Goffman 1981, 328).

Mediale Inszenierung bildet somit keine künstliche Nachstellung des vermeintlich Natürlichen, sondern die Künstlichkeit des vermeintlich Natürlichen wird noch einmal in stilisierter Form wiedergegeben und auf diese Weise reinsziniert. Die sozialen Ritualen inhärenten Merkmale der Standardisierung, Vereinfachung und Stilisierung werden in medialen (Werbe)Bildern in erhöhtem Maß aufgegriffen.18 Me-

17 Das zweite Beispiel wurde von Ruokonen-Engler der Studie Intellektuelle Migrantinnen – Subjetivitäten im Zeitalter von Globalisierung (1999) von Encaranación Gutiérrez Rodríguez entnommen. 18 Kulturelle Stereotype in der deutschsprachigen Werbung finden sich in Form der ,italienischen Mamma‘ oder der Frau mit französischem Akzent, die im deutschen Fern-

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diale Diskurse und gesellschaftliche Öffentlichkeit lassen sich dabei kaum voneinander trennen und werden im Folgenden als eng miteinander verwoben verstanden. Dabei können Phänomene der Hyper-Ritualisierung über die Werbung hinaus auch auf andere Formen medialer Darstellung übertragen werden. Bezogen auf die mediale Darstellung von Migrantinnen in den Medien (Fernsehen, Printmedien, Radio, Internet) zeigt sich ein recht homogenes Bild. Werden Migrantinnen überhaupt zum Thema19, dann in einer Weise, die durch eine Reihe wiederkehrender Stereotype gekennzeichnet ist (zur Übersicht entsprechender Studien zwischen 1996-2008 vgl. Lünenborg/Fritsche/Bach 2011, 29f.). In Rückblick auf ihre Arbeit für eine interkulturelle Öffnung der deutschen Medien unter anderem während ihrer langjährige Tätigkeit im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks kommt Arzu Toker zu dem Schluss, dass wenn Migrantinnen überhaupt in den Medien auftauchen, sie entweder als Objekt oder als Opfer dargestellt werden. Im Hinblick auf die zahlreichen weiblichen Arbeitsmigrantinnen in den 1960er und 1970er Jahren, die ihre Familien in den Anwerbeländern verließen, um für deren Unterhalt (mit) zu sorgen, zeigt sie anhand einzelner Film-, Serienund Dokumentarbeispielen aus dem Fernsehen auf, wie wenig der Selbstständigkeit dieser Frauen Rechnung getragen wurde. Übernahmen Italienerinnen ab den 1960er Jahren in im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Filmen den Part der sinnlichen Sexbombe, so wurden Türkinnen laut Toker seit jeher als unterdrücktes und hilfloses Wesen dargestellt. Als Grund für die sich bis Mitte der 1990er Jahre kaum oder nur sehr langsam verändernden Einbeziehung und Darstellung von Ausländerinnen in den deutschen Medien nennt Toker nicht nur die durch Männer beherrschten Machtstrukturen der Sender, sondern auch die Haltung vieler autochthoner Frauen,

sehen um eine Flasche „von die Bier, die so schön hat geprickelt in mein Bauchnabel“ bittet. Dabei geht es jedoch keinesfalls um migrationsbezogene Fragestellungen, denn kulturelle Klischees werden in der Regel genutzt, um die Assoziationen entfernter anderer Ländern und Kulturen zu erwecken und nicht die in Deutschland Lebenden mit Migrationshintergrund zu thematisieren. Demgegenüber ist der Bereich der den migrationsgesellschaftlichen Alltag berücksichtigenden Werbung so gut wie nicht vorhanden und auch das sogenanntes Ethnomarketing, welches sich speziell auf die Zielgruppe derer mit Migrationshintergrund bezieht und dem somit ggf. als erstes daran gelegen wäre, migrationsgesellschaftliche Themen aufzugreifen, ist anders als beispielsweise in Amerika erst seit Ende der 1990er Jahre überhaupt ein Thema in Deutschland und hat sich seitdem kaum entwickelt (vgl. Schmidt-Fink 2007). 19 In ihrer repräsentativen Studie zur Darstellung von Migrantinnen und Migranten im WDR-Fernsehen von 2005 kommen Krüger und Simon zu dem Ergebnis, dass nur in einem Drittel der ohnehin geringen Anzahl migrationsbezogener Beiträge Frauen mit Migrationshintergrund berücksichtigt werden (vgl. Krüger/Simon 2005, 113).

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die Migrantinnen eine emanzipierte Haltung absprechen (vgl. Toker 1996). Zehn Jahre später zeigt sich laut der Analyse von Schahrzad Farrokhzad ein ähnliches Bild. Die mediale Darstellung von Migrantinnen pendelt zwischen den stark körperlich aufgeladenen Bildern der sinnlichen Exotin einerseits und der verschleierten Unterdrückten andererseits. Beeinflusst durch den Anschlag auf das World Trade Center kommt zudem noch einer neuer Typ hinzu: Die islamistische Fundamentalistin (vgl. Farrokhzad 2006). Einher mit der nach den Anschlägen des elften September 2001 ausgelösten „integrationspolitische[n] Zäsur“ (Neumann 2002, 282) wurden nun zwar Migrantinnen als Akteurinnen dargestellt, allerdings in einer gefährlichen und zerstörerischen Weise. War das Thema Kriminalität in der Berichterstattung über Migration und insbesondere bezogen auf männliche Migranten seit jeher eines der zentralen Themen (vgl. Spindler 2006, Spies 2010), so verschärfte sich die Debatte im Hinblick auf religiös motivierte terroristische Straftaten noch einmal deutlich. Eine Studie von Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche und Annika Bach von 2011 kommt anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse von knapp 1300 Zeitungsartikeln zu einer demgegenüber bereits differenzierten Systematisierung von sechs Typen medialer Darstellung von Frauen mit Migrationshintergrund in den deutschen Printmedien. Überregionale (Frankfurter Allgemeine Zeitung, TAZ) und regionale Zeitungen (Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Kölner Stadtanzeiger) sowie die Boulevardpresse (Bild) wurden für jeweils vier Monate über einen Zeitraum von vier Jahren berücksichtigt. Durch die Analyse können folgende Typen bei der Berichterstattung über Migrantinnen unterschieden werden: Die Prominente, die Erfolgreiche, die Nachbarin, das Opfer, die Integrationsbedürftige und die Unerwünschte (vgl. Lünenborg/Fritsche/Bach 2011, 81-101). Im Rahmen einer gewissen Bandbreite an Darstellungsweisen bildet der Typus des Opfers mit knapp 29 Prozent gefolgt von der Prominenten (25 Prozent) dabei weiterhin die am stärksten verbreitete Form der Darstellung. Laut der Studie werden insbesondere Frauen aus der Türkei20 sowie aus Osteuropa als Opfertypus dargestellt (vgl. ebd., 89). Verweisen die Befunde zum einen auf eine zunehmende Ausdifferenzierung medialer Darstellungen von Migrantinnen, so finden zum anderen weiterhin vornehmlich die alten Stereotype Verwendung. Dieser Befund zeigt sich auch in einer Untersuchung von Stanislawa Paulus zu Darstellungen muslimischer Frauen in

20 Die Türkei wird in den untersuchten Artikeln im Zusammenhang mit Migrantinnen als Opfern am häufigsten erwähnt (ebd., 89). Ohnehin steht die Türkei auch aufgrund der zahlenmäßig größten Gruppe der Einwanderinnen und Einwanderer in Deutschland an erster Stelle des öffentlichen Interesses. In einer Analyse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Migrantinnen ab Mitte der 1970er Jahre bis Ende der 1990er wird deutlich: „,Migrantin sein‘ bedeutet ,türkisch sein‘“ (Huth-Hildebrandt 2002, 53-61).

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Fernsehdokumentationen von 2000-2006, denn trotz eines auf den ersten Blick heterogenen Bildes vielfältiger Darstellungsweisen liegt diesen eine wirkmächtige Referenz zugrunde. Hintergrundfolie bildet das „implikationsreiche Motiv der Kopftuch tragenden Muslima, die als Sinnbild eines Modernitätsdefizits und einer damit verbundenen unüberbrückbaren Differenz zur Mehrheitsgesellschaft gesetzt wird. In diesem Motiv verdichtet sich die Gegenüberstellung von Moderne und Traditionalismus, die als ein alles durchdringender Gegensatz die medialen Darstellungen von Muslimen insgesamt prägt. Mit ihm werden Themen der religiösen und kulturellen Differenz, patriarchale Geschlechterverhältnisse, Unterdrückung und Gewalt implizit wie explizit aufgerufen und miteinander verschränkt“ (Paulus 2007).

Es tauchen in den Medien somit durchaus muslimische Frauen auf, die diesem Klischee nicht entsprechen, allerdings erhalten sie den Status von Positivbeispielen im Sinne einer zu begrüßenden Ausnahme von der ,eigentlichen‘ im Zitat beschriebenen Muslima als Regel. Es kann also angenommen werden, dass ein Teil der differenzierteren Berichterstattung weiterhin implizit auf wenige überdauernde Stereotype rekurriert. Auffällig an den Analyse medialer Darstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund ist, dass Bilder wenn überhaupt als Beispiele zur Veranschaulichung herangezogen. Nur vereinzelt finden sich systematische Analysen visueller Darstellungen von Migranten und Migrantinnen in den Medien. Die bereits erwähnte Studie von Lünenborg, Fitsche und Bach (2011) bildet eine der Ausnahmen. Die von den Autorinnen durchgeführte quantitative Analyse der visuellen Darstellung von Migrantinnen in den Zeitungsartikeln (die Zuschreibung „Migrantin(nen)“ wird dem dazugehörigen Text entnommen) bezieht sich auf die Frage, was beziehungsweise wer in welcher Häufigkeit und Konstellation auf den Abbildungen zu Artikeln über Migrantinnen zu sehen ist. Die Analyse der konkreten Darstellungen spielt dabei keine Rolle. Die Untersuchung von 733 Bildern zeigt auf, dass erstens nur wenige Migrantinnen in den untersuchten Printmedien auf Bildern abgebildet werden und zweitens, wenn sie doch abgebildet werden, die Frauen oftmals alleine oder zusammen mit anderen Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen sind. Eine ,Normalisierung‘ im Sinne eines Sichtbarwerdens von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam können die Autorinnen auf Bildebene daher nicht erkennen (vgl. 62-66). In einer Untersuchung von Ansgar Koch (2009) wurden in einem ersten Schritt 706 Fotografien aus der Süddeutschen Zeitung, der Welt und der TAZ aus insgesamt 27 Wochen im Zeitraum von 1991 bis 2004 gesammelt. Die Fotografien waren Teil von Artikeln, die auf Textebene einen Bezug zum Thema Migration aufwiesen. Im Weiteren wurden die 258 Bilder näher betrachtet,

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auf denen Migrantinnen und/oder Migranten abgebildet sind. Dabei zeigte sich, dass die Art der visuellen Darstellungen eng an die zu der Zeit jeweils aktuellen „diskursiven Stränge“ der öffentlichen Debatten um Migration geknüpft ist. Deutlich wird auch in dieser Untersuchung, dass seit Ende der 1990er Jahre eine zunehmende Diversifizierung der visuellen Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund zu verzeichnen ist. Parallel dazu lässt sich nach dem elften September 2001 allerdings zunehmend eine bedrohlich aufgeladene Darstellung von mit dem Islam konnotierter Symbolik erkennen. Im Anschluss analysierte Koch anhand von Einzelbildern, welche die in der Inhaltsanalyse aufgezeigten jeweils zeitspezifischen Tendenzen aufzeigen, zentrale Bildstereotype. Als negative Bildstereotype macht er die Darstellung großer anonymer Menschenmengen aus, die insbesondere in Zeiten verschärfter Diskussionen um die Ausgestaltung des Asylrechts wie zu Beginn der 1990er Jahre zu finden sind. Als typisch für diese Darstellungen können Bezüge angesehen werden, die sich der Symbolik unkontrollierter Wassermassen (vgl. auch Gerhard 1994, 54) und immer wieder auch der des zu vollen Bootes bedienen (vgl. auch Pagenstecher 2008; Nacro o.J. zur Darstellung von Migrantinnen und Migranten aus afrikanischen Ländern). Als zweites negatives Bildstereotyp wird die Darstellung einer kopftuchtragenden Frau benannt, das im Zentrum der Kulturalisierung und religiösen Aufladung des Migrationsdiskurses steht. Interessant ist, dass die Darstellung einer beziehungsweise mehrerer Frauen bekleidet mit dem ,visuellen Anker‘ Kopftuch meist nicht im Zusammenhang mit dem Inhalt des Artikels steht, da es darin gar nicht um die konkrete(n) Frau(en) auf dem Bild geht. Vielmehr wird das Kopftuch und seine Trägerin als universales visuelles Symbol für das Thema Migration herangezogen, sodass von einer entindividualisierten und exotisierenden visuellen Darstellungsweise gesprochen werden kann (vgl. Koch 2009, 71f.). Als positive Bildstereotype bezeichnet Koch demgegenüber zum einen den Bezug auf gelebte Normalität, zum Beispiel in Form der doppelten Staatsbürgerschaft und zum anderen die „ökonomischen Bereicherung“ Deutschlands durch Migration. Die Darstellung des „Gewinns“ durch Migration verdeutlicht Koch anhand der Fotografie einer attraktiven jungen Frau vor einem Computer; zu sehen ist eine der ersten Green-Card-Inhaberinnen in Niedersachsen das aus dem Zeitraum des „migrationspolitischen Frühling[s]“ zwischen 2000 und Sommer 2001 stammt (vgl. ebd, 74ff.). Die Analysen der medialen Berichterstattungen über Migrantinnen in Text und Bild zeigen, dass die Darstellung nicht selten zu einer Besonderung21 von Migrantinnen und Migranten führt. Als eine beispielhafte Pauschalisierung kann die Annahme angesehen werden, dass für Menschen mit Migrationshintergrund die Fami-

21 Der Begriff der Besonderung wird im Sinne des englischen Begriffs des Othering (vgl. Spivak 1985) verwendet und auch als „VerAnderung“ übersetzt (vgl. Reuter 2002, 20).

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lie qua Kultur eine zentrale Bedeutung hat. Als ein durchaus auch positiv besetztes Stereotyp werden Vorstellungen eines unumstößlichen Zusammenhalts der Familienmitglieder und des intergenerationalen Beisammenseins bemüht. Insbesondere in Bezug auf Frauen aus der Türkei oder arabischen Ländern überwiegt jedoch das Bild der Repression der einzelnen und insbesondere der jungen weiblichen Familienmitglieder durch den patriarchal strukturierten ,Familienclan‘ und seine restriktiven Erziehungsvorstellungen. Kulturbedingte Konflikte zwischen Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund scheinen aus dieser Perspektive den Normalfall zu bilden. Gestützt auf wissenschaftliche Befunde bestand lange Zeit die vorherrschende Meinung, dass die Familie die Integration der jüngeren Generationen verhindere, um die traditionellen Werte der Herkunftskultur aufrecht zu erhalten. Der sich so unweigerlich ergebende Loyalitätskonflikt der Heranwachsenden zwischen Aufnahmegesellschaft und Familie führe zur Zerreißprobe ,zwischen den Kulturen‘. Diese als sogenannte Migrations-Stress-Theorien bezeichneten Ansätze stellen das Riskante in den Vordergrund und schließen darüber auf nahezu unausweichliche Probleme bei Heranwachsenden mit Migrationshintergrund (vgl. King/Koller 2006, 18). Und so heißt es in einer der ersten deutschsprachigen Studien zu Migrantenfamilien von 1970: „Die Vormundschaft [der Familie, H.T.] sind einerseits erhöhte Widerstandskraft gegenüber Umweltveränderungen, andererseits retardierte Anpassungsfähigkeit an neue Situationen“ (Bingemer/Meistermann-Seeger/Neubert 1970, 145). Insbesondere die Lebenssituation der Töchter in Migrantenfamilien wurde – nachdem die Forschung diese Gruppe Ende der 1970er Jahre ,entdeckt‘ hatte – als besonders problematisch angesehen. Ausgehend von der Kulturkonflikthypothese wurde ein stark defizitorientierter Blick auf Migrantinnen geworfen (BoosNünning/Karakaşoğlu 2005, 13). Unter Berufung auf vielfältige wissenschaftliche Untersuchungen konnte seitdem ein differenzierteres Bild entwickelt werden. Es zeigt sich eine große Heterogenität von Familien, in denen die, beziehungsweise einige der Mitglieder über Migrationserfahrungen verfügen. Die Lebenssituation junger Frauen mit Migrationshintergrund ist somit keinesfalls homogen. Entgegen einer latenten Viktimisierung und daran geknüpften Fremd- und Selbstzuschreibungsprozessen junger Frauen mit Migrationshintergrund wird angeregt, den Blick auf die Ressourcen dieser ,Gruppe‘ zu lenken. Wiederholt haben Studien gezeigt, dass Migrantinnen konstruktiv mit der durch Migration beeinflussten Lebenssituation umgehen und ihre Potenziale nutzen (vgl. zum Beispiel Hummrich 2009; Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005; Farrokhzad 2007). Dabei geht die Kritik am Opferdiskurs über Migrantinnen nicht mit einer pauschalen Annahme einher, Migrantinnen die Rolle eines Opfers per se abzusprechen. Unter Zurückweisung der politischen Instrumentalisierung belastender Lebenslagen von Migrantinnen – zum Beispiel bei der Durchsetzung restriktiv-selektiver Zu-

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wanderungsgesetze (vgl. Prasad 2008, 41-48) –, sollte bestehendes Leid nicht im Sinne falsch verstandener Toleranzbekundungen übersehen werden. Die Diskussionen über oftmals reißerisch unter den Etiketten ,Zwangsheirat‘ und ,Ehrenmord‘ diskutierten Gewaltübergriffe gegen Frauen mit Migrationshintergrund greift dabei allerdings zu kurz. Denn kulturell und/oder religiös legitimierte Gewalt an Frauen durch Männer gleicher Herkunft bildet nur eine Form von Gewalt (zur Übersicht zu Gewalt gegen Migrantinnen anhand der Beispiele Menschenhandel, sexualisierte Gewalt und Zwangsverheiratung vgl. ebd., 7-17; zum Verhältnis von Gesundheit und Gewalt bei Frauen mit und ohne Migrationshintergrund vgl. Schröttle/Khelaifat 2008). Ohne Pauschalurteile über eine kulturell bedingte unweigerlich vorhandene Unterdrückung von Frauen mit Migrationshintergrund zu fällen, muss allerdings auch kulturell und/oder religiös legitimierte Gewalt gegen Migrantinnen – wie jede andere Art von Gewalt auch – kritisierbar sein und nach Möglichkeiten der Eindämmung gesucht werden.22 Problematisch erscheint hingegen eine undifferenzierte Kulturalisierung von Migrantenfamilien und ihrer ,normalen‘ Familienprobleme und Generationenkonflikte. Dabei lassen sich als kulturspezifisch definierte Phänomene und Prozesse in Migrantenfamilien häufig nicht auf die kulturelle Zugehörigkeit, sondern auf die Erfahrung der Migration und die Zugehörigkeit zu denen mit Migrationshintergrund beziehen; wie es für das Thema der Zweisprachigkeit sowie ausländerrechtliche Bestimmungen gilt (vgl. Krüger-Potratz 2004). In ihrer Studie zu Geschlechterarrangements im intergenerativen und interkulturellen Vergleich kommen Farrokhzad u.a. (2011) zu dem Schluss, dass sich die Vielzahl von familialen Lebensformen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund keinesfalls einzig entlang dieser Unterscheidungsdimension systematisieren lässt. Vielmehr zeigte sich, dass sich bezogen auf Geschlechtsvorstellungen die Unterteilung nach konservativen, bedingt egalitären und egalitären Geschlechterarrangements innerhalb der befragten Familien in der Tendenz eher im intergenerationalen Vergleich variierte, wobei sich der konservative Typ eher bei den Älteren, der egalitäre Typ eher bei den Jüngeren mit und ohne Migrationshintergrund finden lässt (vgl. ebd. 79ff.). Be-

22 Die 2006 durch Necla Keleks Buch Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland ausgelöste Debatte unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigt die starke Emotionalität der Auseinandersetzung über die Rolle der Frau im Islam in Deutschland auf (vgl. dazu den von 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterzeichneten Aufruf Gerechtigkeit für Muslime in der ZEIT vom 02.02.2006 und den von der ZEIT nicht veröffentlichten Gegenaufruf Gerechtigkeit für demokratische Islamkritikerinnen! von Hartmut Krauss sowie Beiträge dazu von Castro Varela/Dhawan 2006 und Auernheimer 2006).

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fragt nach den „interkulturellen Einflüssen“ auf ihre Geschlechterbilder und -praxen, wurde deutlich, dass die Jüngeren mit Migrationshintergrund selbst oftmals keine Relevanz der Migrationserfahrung (in ihrer Familie) ausmachen konnten. Einige schließen einen Einfluss von Migrationserfahrungen (in ihrer Familie) auf ihre Geschlechterbilder zudem komplett aus, für sie steht vielmehr die Individualität ihrer Einstellungen und Handlungen im Vordergrund. Die Befragten, die einen Bezug herstellen, tun dies in interkulturellen Vergleichen inklusive abwertender und idealisierender Selbst- und Fremdbilder oder aber in einer bewusst bikulturellen Weise (vgl. ebd. 114f.). Im Hinblick auf das Thema Bildung verweist Merle Hummrich in ihrer Untersuchung zu Bildungsbiografien bildungserfolgreicher junger Migrantinnen (2009) auf die durch den Bildungsaufstieg der Töchter neu auszubalancierende Beziehungsgestaltung in der Familie. Kann die hohe Bildungsaspiration der Eltern gerade als häufiger Grund für die Migration angesehen werden, so können sich durch den sozialen Aufstieg der Töchter spezifische Herausforderungen ergeben: „In den Migrationsbiografien [der jungen Frauen, H.T.] geht es darum, eine individuelle Balance zu finden zwischen der mit Erfüllung der Aspiration verbundenen Entfremdung vom Herkunftskontext und der Bindung an ihn, der die Chance emotionaler Handlungssicherheit impliziert“ (ebd., 205). Hummrichs Ergebnisse können als migrationsspezifisches Phänomen bezeichnet werden. Denn auch die Befunde von Birgit Leyendecker, dass in Migrantenfamilien ein mit dem Bildungserfolg der Kinder möglicher sozioökonomischer Aufstieg als eine Besserstellung der gesamten Familie angesehen wird (vgl. Leyendecker 2011, 278f.)23 kann in Anbetracht der Befunde von Bernhard Nauck, dass Migration gerade Familialismus fördere (vgl. Nauck 1997, 341), nicht automatisch durch einen erhöhten kulturbedingten Kollektivismus erklärt werden (vgl. Boos-Nünning 1998, Apitzsch 1990). Deutlich wird allerdings, dass Bildungserfolg nicht automatisch ein Merkmal der Unabhängigkeit von der Familie, sondern gerade ein verbindendes Moment darstellen kann. Da Migration und insbesondere die Arbeitsmigration zwischen Ende der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre nach Deutschland als Phänomen sozialer Unterschichtung

23 In der Untersuchung wurden Eltern ohne Migrationshintergrund mit mittlerem und höherem Bildungsabschluss befragt. Es zeigte sich, dass der erwünschte Bildungserfolg der Kinder weniger mit der Familie als mit dem Wunsch nach persönlicher Zufriedenheit und der Förderung individueller Kompetenzen ihrer Kinder in Verbindung gebracht wird (Leyendecker 2011, 278f.). Interessant wäre gewesen, wenn Leyendecker in Anbetracht der bundesweit im Durchschnitt niedrigeren Bildungs- und Berufsabschlüsse von Migrantinnen und Migranten Eltern mit Migrationshintergrund nicht mit autochthone Eltern mit mittlerem oder höherem sondern mit niedrigerem Bildungsabschluss verglichen hätte um auf diese Weise den Einfluss der Schichtspezifität zu ,kontrollieren‘.

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zu verstehen ist, erscheint die Diskrepanz zwischen den Bildungsabschlüssen der Eltern- und der Kinder- beziehungsweise der Enkelgeneration zwar als ein mit der Migrationserfahrung verbundenes aber eben kein explizit kulturelles Phänomen.24 Insbesondere auf Grundlage vielfältiger Untersuchungen von Nauck u.a. konnte gezeigt werden, dass Migrantenfamilien mehr voneinander wissen und mehr miteinander reden als autochthone Familien (vgl. Nauck 1997, 2000): „Die Generationenbeziehungen sind keineswegs nur durch Zerrüttung oder schwerwiegende Konflikte charakterisiert, sondern durch ein hohes Maß an Unterstützung und gegenseitigen Respekt“ (Herwartz-Emden 2000, 19). Die repräsentative Studie Viele Welten leben von Ursula Boss-Nünning und Yasemin Karakaşoğlu (2005) zeigt auf, dass Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund bei Konflikten in der Familie kaum individualistische Durchsetzungsstrategien wählen, und auch die Abgrenzung von der Herkunftsfamilie bildet kein verbreitetes Handlungsmuster.25 Deutlich wird aber auch, dass die Befragten überwiegend mit der Erziehung durch ihre Eltern zufrieden sind. Der Befund, dass sich Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu autochthonen Mädchen und Frauen nicht oder seltener aus dem Familienkontext lösen, sollte daher nicht unweigerlich als Reaktion auf autoritäre Kontrolle durch die Familie, sondern als eine von den Frauen gewählte Lebensform verstanden und als ein mögliches Modell von Adoleszenz anerkannt werden (vgl. Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, 134; Rohr 2001, 120). Wird die Frage nach der Auseinandersetzung mit Migration auf den Bereich der pädagogischen Praxis bezogen, so ist zunächst festzuhalten, dass in diesem Rahmen meist Kategorisierungen von Menschen vorgenommen werden, um sie anschließend der richtigen pädagogischen Maßnahme zuzuführen oder womöglich ein neues Angebot zu entwickeln (vgl. Mecheril/Melter 2012, 263). Das Etikett „Migrationshintergrund“ bildet ein wichtiges Merkmal für diese pädagogischen Zuordnungspraxen. In diesem Zusammenhang wird Migration nicht selten als ein ,Problem‘ definiert, dem es zu begegnen gilt. In der Auseinandersetzung mit Interkulturalität hegen Pädagoginnen und Pädagogen laut Annita Kalpaka nicht selten das Bedürfnis, mehr über die ,andere Kultur‘ zu erfahren, um Angehörige dieser Kultur auf diese Weise besser zu ,verstehen‘ und ihnen angemessen begegnen zu können (vgl. Kalpaka 2005, 387f.). Ohne die Bedeutung von solchem (Fach)Wissen abstreiten zu wollen, gehört zu dem was als interkulturelle Kompetenz von Pädago-

24 Im Jahr 2010 lag das Armutsrisiko für Menschen mit Migrationshintergrund mit 26 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Autochthonen (12 Prozent). Bei ausländischen Personen lag das Risiko mit 32 Prozent dabei noch einmal höher (vgl. Statistisches Bundesamt 2011). 25 Die errechneten Abstufungen nach den untersuchten Herkünften finden sich auf Seite 103-133.

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ginnen und Pädagogen bezeichnet werden kann, jedoch weitaus mehr. Einen Zugang dazu bietet eine Studie zu Rassismuserfahrungen von Jugendlichen in der Sozialen Arbeit von Claus Melter, der die Einschätzung vertritt, dass in einer Jugendhilfe – die ihrer Klientel gerecht werden will – Wissensbestände und Kommunikationskompetenzen zum Thema Rassismus auf Seiten der Pädagogen ausgebaut werden müssen (vgl. Melter, 2006, 324ff.). Melter kommt durch die jeweils einzelne und gemeinsame Befragung von Jugendlichen und ihren pädagogischen Betreuungspersonen zu dem Schluss, dass die Rassismuserfahrungen der Jugendlichen von pädagogischer Seite oftmals nicht hinreichend berücksichtigt werden. Er spricht in diesem Zusammenhang von sekundärem Rassismus als der „Abwehrhaltung von PädagogInnen, sich mit dem Thema Rassismus auseinander zu setzen, die Bagatellisierung und Infragestellung berichteter Rassismuserfahrungen sowie ihr Erleben und ihre Interpretation, dass Rassismusvorwürfe unangemessen instrumentalisiert werden“ (Melter 2006, 311). Ein interkulturell sensibles pädagogisches Handeln pendelt somit zwischen der anspruchsvollen Aufgabe, der spezifischen strukturell bedingten Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund Rechnung zu tragen, zugleich aber einer Gefahr der Fortschreibung der Besonderung von Migrantinnen und Migranten entgegen zu wirken. Seit ihren ausländerpädagogischen Anfängen sieht sich die interkulturelle Pädagogik mit dieser Herausforderung konfrontiert und wurde in diesem Zusammenhang vielfach kritisiert (vgl. Radtke 1995; Hamburger 1999). Das Ziel pädagogischer Arbeit in einer Migrationsgesellschaft inklusive explizit interkulturell ausgerichteter pädagogischer Konzepte besteht in dem Balanceakt, migrationsgesellschaftliche Lebensbedingungen (Rassismuserfahrungen, Sprachfähigkeiten usw.) der jeweiligen Klientel zu berücksichtigen ohne diese im Sinne einer ,kulturellen Andersartigkeit‘ von Migrantinnen und Migranten und ihrer Familien festzuschreiben und im Sinne eines sekundären Rassismus zu verschärfen. Es lässt sich festhalten, dass sich Familie – auch unter den Bedingungen von Migration – nicht auf eine Funktion reduzieren lässt. Schlimmstenfalls und unabhängig von Migration kann die Familie ein Risiko für die Entwicklung ihrer jüngeren Mitglieder darstellen; in der Regel stellt die Familie jedoch zunächst Ressourcen bereit. Diese Ressourcen sind durch soziale Lage, bestehende soziale Beziehungen und die jeweilige Familiengeschichte sehr heterogen (vgl. Farrokhzad 2007, Kapitel sechs). Es wird deutlich, dass bei Migrantenfamilien die familiale Bindung hilfreich sein kann, migrationsbedingte Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung der Mitglieder zu verarbeiten. Denn die sich zunehmend in Deutschland durchsetzenden Vorstellungen von Familienleben als eine stabile in seiner jeweiligen Ausformung jedoch flexible Beziehungsstruktur (Alleinerziehende, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien usw.) wird bei Familien, deren Mitglieder migriert sind, meist nicht angewendet. Durch die Kulturalisierung von Migrantenfamilien

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werden sie mit Traditionalismus und patriarchalen Strukturen assoziiert, die zur Unterdrückung der insbesondere weiblichen Familienmitglieder führen. Ihre Mitglieder werden als Marionetten ihrer natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit angesehen (vgl. kritisch dazu Leiprecht 2001, 31). Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft wird demgegenüber ein wesentlich größerer Handlungsspielraum für die Gestaltung von (Familien-)Leben zugebilligt. 3.2.2 Zur Herstellung ,des Körpers der jungen Migrantin‘ Das Konstrukt ,des Körpers der jungen Migrantin‘ kann in diesem Zusammenhang als ein Kristallisationspunkt der öffentlichen Debatten um Migration gelten. Körperinszenierung junger Migrantinnen werden oft auf unterschwellige Weise zum Gradmesser migrationsgesellschaftlichen Zusammenlebens und Vorstellungen von Integration26 generell (vgl. Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, 272f.). Basis für die Fokussierung auf den Körper junger Frauen mit Migrationshintergrund bildet der grundlegende Mechanismus der nationalstaatlich organisierten Moderne, gesellschaftliche Themen anhand des weiblichen Körpers zu verhandeln und zu manifestieren. Frauen werden zu „symbolischen Trägern der Gemeinschaftsidentität und -ehre“ (Yuval-Davis 2001, 78) gemacht. Indem der weibliche Körper und das gesellschaftliche Selbstverständnis aneinander gekoppelt werden, wird der Frauenkörper zu einem Symbol für den Status gesellschaftlicher Zugehörigkeit. 27 Als „marker of collective boudaries and differences“ (Anthias/Yuval-Davis 1989, 11) sind Frauen(körper) demnach nicht nur für die biologische, sondern auch für die kulturelle ,Reproduktion‘ einer Gesellschaft verantwortlich (vgl. Rommelspacher 2002, 113) und bilden auf diese Weise Projektionsflächen für gesellschaftliche Hegemonieansprüche und somit vielfältige Anknüpfungspunkte für einen biologisch und/oder kulturell argumentierenden Rassismus.

26 Integration ist der Begriff, unter dem migrationsgesellschaftliche Themen in der Öffentlichkeit verhandelt werden. Seine Bedeutung wird durchaus unterschiedlich definiert und kann stärker assimilatorische oder separative Tendenzen aufweisen. Mit dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Begriff der Inklusion wird der Vorstellung der Integration von etwas anderem in ein bestehendes System von der Idee der ohnehin bestehenden Diversität des Systems abgegrenzt. 27 Für die Verkörperung der Nation in Form des weiblichen Körpers finden sich zahlreiche Beispiele, wie beispielsweise die Ausdrücke Mutter Russland, Mutter Irland oder Mutter Indien. In Frankreich wird vom eigenen Land als La Patrie gesprochen während in Zypern das Bild einer weinenden Frau das Symbol der griechisch-zypriotischen Gemeinschaft nach der türkischen Invasion 1974 darstellte (vgl. Yuval-Davis 2001, 78).

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Als ein Beispiel für die Verknüpfung von weiblichem Körper und Gesellschaft sind die europäischen Vorstellungen über den orientalischen Harem anzusehen. In einer Analyse von Reiseberichten europäischer und in der Regel bürgerlicher Frauen und Männern sowie von Bildmaterial ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg verweist Karin Hörner unter Bezug auf Edward Saids Konzept des Orientalismus auf den zentralen Stellenwert der Darstellungen von Frauen für die Darstellung ,des Orientalischen‘ generell. Anhand der Analyse wird deutlich, wie eng die Vorstellungen über die orientalische Frau mit der Annahme verbunden sind, die jeweilige Gesellschaft zu verstehen und erklären zu können. Hörner kommt daher zu dem Schluss, dass in den untersuchten Darstellungen „[d]as Wesen der [orientalischen, HT] Frau und das Wesen des Orients [sind] in den Kernbereichen austauschbar“ (Hörner 2001, 179) sind. Die gegenseitig stabilisierende Funktion der Vorstellungen über den weiblichen Körper und die Nation, zeigt auf, dass die Kritik an bestehenden Vorstellungen über den weiblichen Körper immer auch als eine Form der Destabilisierung gesellschaftlicher Strukturen wahrgenommen wird. In einer international vergleichenden Analyse von Romanen, Erzählungen und Autobiografien der Gegenwart von Autorinnen zur weiblichen Körpersozialisation kommt Renate Nestvogel zu dem Ergebnis, dass bei aller kulturellen Varianz dessen, was als ein attraktiver Frauenkörper angesehen wird sowie was jeweils akzeptierte Körperempfindungen und Verhaltensweisen sind, Frauenkörper eine ähnliche soziale Funktion erfüllen: Die Deutungsmacht über den weiblichen Körper gibt Aufschluss über grundlegende Herrschaftsverhältnisse in Gesellschaften. Die damit einhergehenden Mechanismen der Kontrolle des weiblichen Körpers sind nur in ihrer Verwobenheit von Fremd- und Selbstzwang zu verstehen (vgl. Nestvogel 2000, 59ff.). Ziel dabei ist es, den Körper in die jeweils sozial erwünschte Form zu bringen oder entsprechend darzustellen, um den Körper als „Verdienst“ (Bourdieu 1987a, 329; vgl. auch Kapitel 2.3 in dieser Studie) und auf diese Weise als Kapital einzusetzen. Der weibliche Körper erhält infolgedessen den Status einer Trophäe. Durch ihn wird die jeweilige soziale Position einer Frau beziehungsweise des Mannes, den sie begleitet, der Familie, der sie angehört – sowie der Zustand einer Gesellschaft generell – aufgezeigt. Stark geschlechtlich bestimmte Körpernormen spielen in dem damit einhergehenden aktiven und passiven Prozess der Inkorporierung sozialer Strukturen eine bedeutsame Rolle. Denn die Darstellung des weiblichen Körpers in Text und Bild wurde und wird entlang einer spezifischen Norm der Geschlechterkonstellation vorgenommen, die sich nicht in der Aussage eines dominanten männlichen Blicks auf den passiven weiblichen Körper erschöpft.28 Die Annahme der Internalisierung gesellschaftlicher Normen

28 In der Einleitung des Bildbandes Wie Frauen sich sehen. Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten (1998) beschreibt Frances Borzello die künstlerische Auseinandersetzung mit

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bezieht sich insbesondere auch auf die eigene Körperlichkeit, als der Art und Weise wie der Körper (spürend) erfahren wird. In der Disziplinierung des eigenen Körpers werden bestehende Vorstellungen davon, wie die einer jeweiligen Gruppe zugeordnete Körper zu sein und auszusehen haben, hervorgebracht und aufrechterhalten (vgl.dazu Foucault 1976, insbesondere 173-181). In seinem bekannten Essay über die sozialen Bedingungen des Sehens (1972) schreibt der amerikanische Journalist John Berger dazu: „Men act and women appear. Men look at women. Women watch themselves beeing looked at. This determins not only most relations between men and women but also the relation of women to themselves. [...] Thus she turns herself into an object – and most particularly an object of vision“ (Berger 1972, 47). Werden über den weiblichen Körper bedeutsame gesellschaftliche Themen (re-) präsentiert, so erscheint der ,Migrantinnenkörper‘ als zentrales Symbol in den Debatten um Integration. Grundlagen bilden gesellschaftlich tradierte Vorstellungen über den ,anderen‘, gar ,fremden‘ weiblichen Körper. Das Zeigen vermeintlicher Andersheit wird dabei oftmals am Köper festgemacht. In der bereits zitierten Studie von Lünenborg, Fritsche und Bach kommen die Autorinnen für die insgesamt am stärksten beachtete Gruppe der Migrantinnen muslimischen Glaubens in Bezug auf den Körper daher zu der Annahme: „in den deutschen Medien wird das komplexe und vielfältige Thema Islam vor allem am Körper der Muslimin diskursiv verhandelt“ (Lüneborg/Fritsche/Bach 2011, 35). Die Autorinnen zeigen auf, dass in den Darstellungen oftmals auf die körperliche Unfreiheit und Bedrohung, basierend auf expliziten oder impliziten Bezugnahmen auf die kulturell-religiöse Zugehörigkeit von Frauen mit Migrationshintergrund, eingegangen wird (vgl. ebd., 87ff.).29 Neben dem Bild der unterdrückten ,anderen Frau‘ lässt sich zudem ein weiteres zentrales und stark körperlich aufgeladenes Bild ausmachen, und zwar das der ,exotischen‘ Attraktivität der ,anderen Frau‘. Anknüpfend an Denkmuster europäischer Kolonialisierung und durch die Gegenüberstellung von Natur und Kultur entstandenen Vorstellungen eines naturnahen Lebens in den Kolonien, wurden indigene Frauen für männliche Kolonisten oftmals zur „Projektionsfläche für ihre sexuellen Phantasien von Freiheit und Exotik“ (Walgenbach 2005, 23). Damit einhergehende Stigmatisierungen der Sexualität der schwarzen Frau als „aggressiv, sex-

dem eigenen weiblichen Körper als eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen gesellschaftlichen Vorgaben weiblicher Körperlichkeit. Künstlerinnen wurden lange Zeit nur eine marginalisierte Position, eine Art „Parallelwelt“ zur eigentlichen männlichen Kunstwelt zugesprochen und ihr Frausein bildete einen wichtigen Aspekt bei der Beurteilung und Deutung ihrer Arbeit (1998, 17-35). 29 Autochthone Frauen muslimischen Glaubens die ein Kopftuch tragen, werden in diesen Diskussionen meist nicht berücksichtigt.

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hungrig, deviant, exotisch, animalisch, hemmungslos, promiskuitiv, geheimnisvoll etc.“ (vgl. Walgenbach 1998, 222) wurden als Gegenstück zum Konstrukt der ,jungfräulichen‘ und ,reinen Natur‘ der weißen Frau gebildet. Aktuelle mediale Darstellungen knüpfen an diesem tradierten Wissen einer vermeintlich sexuellen Verfügbarkeit der ,anderen Frau‘ und insbesondere ihres Körpers an. Die Darstellung der ,anderen Frau‘ als bereit stehende sexuelle Ware zeigt sich insbesondere in – durchaus auf den ersten Blick kritisch angelegten – Berichterstattungen über Menschenhandel und Prostitution. Durch eine Sprache, die oftmals „schlüpfrig“ den „Freierjargron“ (Huhnke 1996, 133) simuliert, und durch voyeuristische visuelle Darstellungen wenig bekleideter Frauen (vgl. Howe/Krüger 1996, 167, 174) werden Vorstellungen der Verfügbarkeit der ,anderen Frau‘ aufrechterhalten.30 Ausgehend von der Annahme, dass Migrantinnen in der öffentlichen (medialen) Diskussionen oftmals in einer spezifisch markierten körperlichen Weise erscheinen, soll in dieser empirischen Untersuchung die Perspektive von Frauen mit Migrationshintergrund auf ihren eigenen Körper in seiner sozialen Eingebundenheit analysiert werden. Es wird viel über die Körper von Migrantinnen gesprochen, sodass es lohnenswert erscheint, die Perspektive von jungen Frauen – in ihrem Umgang mit bestehenden Bildern über ihre Körper – systematisch zu rekonstruieren. Auffällig ist, dass für dieses Vorhaben kaum auf empirische Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden kann. Bekannt sind einzig zwei deutschsprachige quantitative Studien, die sich mit Körperlichem befassen und den Aspekt der Migration beziehungsweise die ethnische Zugehörigkeit der Teilnehmerinnen berücksichtigen. Mithilfe eines skalierten Fragenkataloges wurden in der Studie von Brettschneider und Brandl-Bredenbeck aus dem Jahr 1997 knapp 4000 Jugendliche aus Deutschland und den USA unter anderem zu ihrem Körperkonzept befragt. Thematisch behandelt die Umfrage die Verbindung von Sportkultur und jugendlichem Selbstkonzept von weißen und schwarzen US-amerikanischen Jugendlichen sowie von in Deutschland lebenden autochthonen Jugendlichen sowie Jugendlichen türkischer Herkunft. Es wurden Einstellungen zu körperlicher Fitness, Attraktivität, Körperhygiene und Krankheit abgefragt. Die Studie zeigt neben geschlechtsspezifischen und landesspezifischen Unterschieden auch interethnische Besonderheiten auf. Zeigt sich insgesamt eine positivere Beurteilung des eigenen Körpers bei den US-amerikanischen Jugendlichen (vgl. Brandl-Bredenbeck 1999, 150-154), so lässt sich bei den in Deutschland befragten Mädchen die Tendenz erkennen, dass Mädchen türkischer Herkunft im Vergleich zu autochthonen Mädchen entweder eine

30 Die Komplexität dieser Thematik zeigt sich anhand der einerseits zu begrüßenden Abkehr von der Vorstellung, dass Prostituierte immer Opfer sein müssen und dem andererseits dadurch reaktivierten Bild der promiskuitiven ,anderen Frau‘, welches von einigen Frauen wiederum zu Vermarktungszwecken aufgegriffen wird.

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höhere oder niedrigere Körperzufriedenheit aufweisen. Die Mädchen deutscher Herkunft finden sich hingegen bei der Beantwortung der Fragen „Im Vergleich zu anderen sehen ich gut aus“ und „Ich finde meinen Körper schön“ überwiegend im mittleren Bereich der sechsstufigen Antwortskala (vgl. Brettschneider/BrandlBredenbeck 1997, 236). Wird bei der positiven Körperbeurteilung der amerikanischen Jugendlichen der Einfluss eines „American way of positive thinking“ sowie die Orientierung an einer besonderen Fokussierung auf Körperkapital im „Feld Amerika“ vermutet (vgl. Brandl-Bredenbeck 1999, 154), so wird dem benannten Unterschied im Antwortverhalten der in Deutschland Befragten nicht weiter nachgegangen. In der bereits erwähnten Studie Viele Welten leben. Zur Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund (Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005) wurden mithilfe von Fragebögen knapp 1000 in Deutschland lebende Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund zu elf Themen befragt. Im Kapitel Körperlust werden die Themenbereiche „Körper“ und „Sexualität“ zusammengefasst. Die zentrale Frage des Kapitels lautet, welchen Einfluss natio-ethnokulturelle Bezüge auf den Umgang mit dem eigenen Körper und der Sexualität haben. Der Themenkomplex „Körperbewusstsein“ wird dabei noch einmal in die Themen „Körperbild“ mit Fragen zum körperbezogenen Selbstkonzept und Fragen zur „Körperpflege“ unterteilt (vgl. ebd. 556f.). In der Beantwortung der Fragen zeigen sich Unterschiede zwischen den Befragten der untersuchten Herkunftsgruppen, wobei insbesondere Mädchen und junge Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien eine positive Einstellung zu ihrem Körper haben (54 Prozent). In der Gruppe der Aussiedlerinnen stimmen hingegen nur 33 Prozent der Befragten der Aussage zu, eine „(sehr) positive“ Einstellung zu ihrem Körper zu haben (vgl. ebd., 277). Die Befragten mit griechischem, türkischem und italienischem Migrationshintergrund finden sich mit ihrem Antwortverhalten zwischen diesen beiden Gruppen. Grundsätzlich scheint die Bedeutung der Körperpflege besonders bei denjenigen Mädchen und jungen Frauen hoch, die auch über ein positives Körperbild verfügen (vgl. ebd., 277f.). Im Ganzen wirkt das Thema Körper in der umfangreichen Studie jedoch weiterhin eher randständig, was auch daran liegen mag, dass für dieses Thema nicht beziehungsweise kaum auf bestehende Untersuchungen zurückgegriffen werden kann (vgl. ebd. 274). Somit ist überhaupt die Benennung des Themenkomplexes „Körper und Migration“ – in diesem Fall bezogen auf Körperbewusstsein und Sexualität junger Migrantinnen – bereits als eine Besonderheit anzusehen. In Anbetracht der durch die Analyse der Darstellung von Migrantinnen in den Medien vorgenommenen Einschätzung stark körperbezogener stereotyper Berichterstattungen erscheint dieser Befund umso verwunderlicher.

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Allerdings eröffnet die Perspektive auf die körperliche Dimension von Sozialität in der Migrationsgesellschaft und junger Migrantinnen im Besonderen einen recht weiten Fokus, sodass vermutet werden kann, dass Körper womöglich in stärker eingegrenzten Themenfeldern Berücksichtigung findet. Bei der Recherche nach solchen für diese Untersuchung womöglich relevanten körpernahen Themenbereichen wurden drei Schwerpunkte gesetzt. Im Folgenden werden Studien vorgestellt, die sich im Hinblick auf Frauen (und Mädchen) mit Migrationshintergrund auf folgende Themen beziehen: Gesundheit und Gesundheitsvorsorge, Sport- und Sexualpädagogik und Kleidung als Symbol ethnisch-kultureller Zugehörigkeit. Ziel ist es, unter Berücksichtigung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und Themenfelder, die an der Herstellung ,des Körpers der jungen Migrantin‘ beteiligt sind, ein Verständnis für die soziale Ordnung des Körperlichen im Kontext von Migration zu schaffen. Gesundheit(sversorgung), Krankheit und Migration Die Frage nach Gesundheit und Krankheit im Kontext von Einwanderung wird interdisziplinär bearbeitet. Als frauenspezifisch können dabei die ab Mitte der 1960er Jahre aufkommenden Untersuchungen zur gynäkologischen Versorgung von Migrantinnen angesehen werden. Nach einer Analyse von Christine Huth-Hildebrandt (2002) beziehen sich diese Studien im Schwerpunkt auf die Themen der Beckenanomalie sowie den Geburtsvorgang und verweisen diesbezüglich zumeist auf Unterschiede zwischen autochthonen und eingewanderten Frauen. Dabei wurden wiederholt biologische Unterschiede bei der Messung des Beckens angenommen, welches – im Vergleich zu ,deutschen Frauen‘ – bei Migrantinnen aus Südeuropa für die Geburt zu eng sei (vgl. zur Übersicht und zur Widerlegung dieser Aussage Huth-Hildebrandt 2002, 105ff.). Kulturelle Besonderheiten wiederum wurden in einigen Studien als Grundlage für eine mentalitätsspezifische Undiszipliniertheit der ,südeuropäischen Frau‘ während des Geburtsvorgangs genannt. Zudem wurde von einer Verunsicherung durch die Geburt in einem modernen Krankenhaus ausgegangen, in dem die Frauen „den Verlust der Geborgenheit in der heimatlichen Sippe“ erführen, was in Kombination mit dem „Gefühl der Vereinsamung in der Fremde“ zu erhöhter „Angst und Verkrampfung“ bei der Geburt führen würde (HohlwegMajert/Sievers/Wittlinger 1977, 33 zit. n. Huth-Hildenbrandt 2002, 199). Veröffentlichungen, die auf diese oder ähnliche Weise zur Konstruktion gesundheitlicher Risiken bei der Geburt im Kontext von Migration beitragen finden sich bis Ende der 1970er Jahre. Der Blick auf Risiken durch und Probleme mit dem ,anderen Körper‘ hat dabei eine lange Tradition. Deutlich wird dies an den Praktiken der Reglementierung der Einreise in europäische beziehungsweise westliche Länder, die durch staatlich an-

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geordnete gesundheitliche Untersuchungen begleitet wurde und wird. In diesem Sinne wurden die rechtlichen Bestimmungen für die Regelung der Einreise nach Großbritannien Anfang des 20. Jahrhunderts durch restriktive gesundheitsbezogene Kriterien ergänzt. Grundlage bildete eine öffentliche Diskussion über die durch die Zuwanderung gefürchtete „Degeneration“ der „britischen Rasse“ (Shilling 2003, 52). Die systematischen Gesundheitsuntersuchungen von Menschen, die sich zu einer zumindest zeitweisen Verlegung ihres Lebensmittelpunktes entschlossen hatten, begleitete auch die durch die deutsche Bundesregierung vornehmlich in den 1960er Jahren angeworbenen Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Erste Gesundheitsuntersuchungen wurden meist in den Herkunftsländern durchgeführt und ermöglichten es, eine Selektion bereits vor der Einreise nach Deutschland vorzunehmen. Neben dem Nachweis der gesundheitlichen Arbeitseignung bildeten die Untersuchungen zudem eine seuchenpolizeiliche Maßnahme gegen die Einführung „infektiöser oder parasitärer Erkrankungen“ (Yano 2001, 66f.) in die Bundesrepublik Deutschland.31 Eine für Frauen aus dem asiatischen Raum vorgesehene und unter dem Namen ,virginity testing‘ bekannt gewordene Gesundheitsuntersuchung wurde Ende der 1970er Jahren für kurze Zeit in Großbritannien praktiziert. Die Untersuchung würde bei einigen Frauen durchgeführt, die als Grund für die Einreise nach Großbritannien ihre bevorstehende Hochzeit mit einem dort lebenden Mann gleicher Herkunft angaben. Ziel war es, durch die medizinische Überprüfung einer Unversehrtheit des Hymens den Wahrheitsgehalt des angegebenen Grundes für die Einreise einschätzen zu können (vgl. Jones 1977). Im Zusammenhang mit der Zunahme von HIV-infizierten und an Aids erkrankten Menschen ab den 1980er Jahren verschärfte sich die Diskussion um die Gesundheitskontrolle von schwarzen Migrantinnen und Migranten bei der Einreise drastisch. Die zunehmende Verbreitung von Aids in vielen afrikanischen Ländern führte zu Forderungen strengerer gesundheitlicher Kontrollen bei Einreisenden aus diesen Ländern nach Europa (vgl. Watney 1988).32 Die vorgestellten Praktiken bilden dabei die Grundlage für die gegenwärtig gesetzlich vorgeschriebene Messung von Infektionskrankheiten (§36, Abs. 4 des Infektionsschutzgesetzes) bei Asylsuchenden in Deutschland:

31 Am Institut für Geschichte und Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen wird noch bis Frühjahr 2013 das DFG geförderte Projekt Medizinische Selektion bei der Anwerbung von Arbeitsmigranten ("Gastarbeitern"): Praxis und Funktion von Gesundheitsuntersuchungen unter dem Einfluss wirtschaftlicher und politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland, 1955-1973 durchgeführt. 32 Vgl. zu aktuellen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Menschen mit HIV und AIDS weltweit http://www.aidshilfe.de/de/shop/schnellfinder-2010 [09/2013].

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„In deutlicher Kontinuität mit den in der Vergangenheit befürchteten Ansteckungsgefahren [durch Fremde, H.T.] befindet sich [...] – zunehmend vermengt mit und überdeckt von ausländerpolitischen Gesichtspunkten – der seuchenpolizeiliche Diskurs, mit dem etwa das ,Screening‘, die zwangsweise (Reihen-)Untersuchung, der Asylbewerber in Deutschland begründet wird“ (Marschalck/Wiedl 2001, 15).

Könnte argumentiert werden, dass es sich dabei um Gesundheitsuntersuchungen handelt, die durchaus zum Vorteil der oder des Einzelnen sind und zu einer angemessenen Versorgung führen können, so verweist die Tatsache, dass Rehabilitationsmaßnahmen zum Erhalt oder zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage von Asylsuchenden nicht im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen sind darauf, dass diese Untersuchungen wohl in erster Linie einem anderen Ziel dienen (vgl. Gesundheitsamt Bremen 2011, 19f.).33 Der Fokus der Untersuchungen liegt eben nicht auf Gesundheits(erhalt), sondern auf Krankheit als Grund für Ausschluss.34 Die anhand der Beispiele zur gesundheitlichen Kontrolle von Migrantinnen und Migranten deutlich werdende defizitorientierte Ausrichtung zeigt sich in Praxis und Forschung zum Thema Migration und Gesundheit generell und über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus (vgl. zum Beispiel Fassin 2001; Sargent/Larchanche 2007). Deutlich wird, dass die „gegenwärtige Forschung zum Thema Migration, Krankheit und Gesundheit vorwiegend geprägt ist von einer auf Krankheit gerichteten Perspektive“ (Marschalck/Wiedl 2001, 17). Aufgrund der Fokussierung auf die Gruppe der krank gewordenen Migrantinnen und Migranten bestehe die Gefahr, ein verzerrtes Bild zu zeichnen, da Gesundheit beziehungsweise Ressourcen von Menschen mit Migrationshintergrund vergleichsweise selten thematisiert werden (vgl. ebd.). Laut Theda Borde werden in der Gesundheitsforschung jedoch nicht nur bestehende Ressourcen von Migrantinnen und Migranten nicht hinreichend berücksichtigt. Zudem werden auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen als kritische Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden und die Gesundheit migrierter Menschen oftmals aus den Analysen ausgeschlossen (vgl. Borde 2007). Bezogen auf psychische Erkrankungen hält die Enquêtekommission zu frauengerechter Gesundheitsversorgung des nordrheinwestfälischen Landtags 2004 fest, dass Migrantinnen generell nicht kränker seien als Frauen ohne Migrationshintergrund. Aufgrund der mit

33 Trotz fehlender Befunde darüber, dass von Asylbewerbern gesundheitliche Risiken für die deutsche Bevölkerung ausgehen (vgl. Mohammadzadeh 1993, 26f.), ist weiterhin eine seuchenhygienische Perspektive zu erkennen. 34 Genau anders herum wird hingegen bei psychischen Belastungen durch Traumatisierungen als Duldungsgrund verfahren: die gesundheitliche Versehrtheit ist der Grund für die Aussetzung der Abschiebung, was zu einer paradoxen Situation bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen führt.

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Migration assoziierten Stressfaktoren eines niedrigeren sozioökonomischen Status, eines unsicheren Aufenthaltsstatus sowie von traumatisierenden Erfahrungen als Auslöser für die und/oder als Begleiterscheinungen der Migration besteht allerdings ein erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken. In Kombination mit möglichen Verständigungsproblemen und einem Mangel an entsprechend geschultem Fachpersonal bei der gesundheitlichen Betreuung kann im Vergleich zu autochthonen Frauen davon ausgegangen werden, dass Migrantinnen im Hinblick auf Gesundheit auf spezifische Weise benachteiligt sind (vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 2004, 231). Als grundsätzlich begrüßenswert erscheint daher die Auseinandersetzung mit den Fragen, auf welche Weise das Gesundheitssystem den Bedürfnissen von Migrantinnen gerecht werden kann und welche Kompetenzen seitens der im Gesundheitssektor tätigen Professionellen für die Behandlung und Beratung notwendig sind (vgl. zur Übersicht Hegemann/Salman 2001; die Buchreihe Migration – Gesundheit – Kommunikation 2005a,b und 2007a,b; Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2003; Heinrich-Böll-Stiftung 2009).35 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine migrationsspezifische Thematisierung gesundheitlicher Versorgung zu einer psychischen, körperlichen und psychosomatischen Besonderung dieser Gruppe führen kann. Als Beispiel wäre die Diskussion um die „sogenannte[n] Somatisierungsneigung von Migranten“ (Berg 1999, 90) als Ausdruck psychischen Leids in Form körperlicher Beschwerden zu nennen. Trotz Befunden, dass Somatisierung universell ist und sich nur hinsichtlich der kulturell bevorzugten Muster unterscheidet, scheint sich hartnäckig das weitverbreitete Stereotyp zu halten, dass nicht-westliche Personen ihr Leid eher somatisieren als westliche Personen (vgl. de Jong 2007, 348).36 Eine damit einhergehende Naturalisierung kultureller Unterschiede und eine tendenzielle Hierachisierung von Somatisierung nichtwestlicher gegenüber der als intellektuell anspruchsvoller angesehenen

35 Weitgehend Einigkeit besteht mittlerweile hinsichtlich der Verneinung eines kausalen Zusammenhangs von Migration und dem Auftreten psychischer Krankheit, jedoch ohne den Einfluss möglicher migrationsspezifischer Belastungen zu negieren (vgl. Koch 2003, 43). 36 Festzuhalten ist, dass als kulturspezifisch betrachtete Verhaltensweisen weder homogen noch statisch sind, sondern durch äußere Einflüsse Veränderungen unterliegen. Neben kulturellen Einflüssen stellen Geschlecht, Alter, Bildungsstand und sozioökonomischer Status Einflussfaktoren für subjektives Krankheitsempfinden und Somatisierungsneigung dar (vgl. Weiss 2003, 76; Berg 1999, 86).

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Psychologisierung von Leid bei Personen aus westlichen Ländern birgt die Gefahr der Essentialisierung.37 Wichtig erscheint es daher, spezifische Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund zu schaffen, indem die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern gegeben ist sowie interkulturellen Symptomvarianten von Krankheiten und kulturspezifischen „Körper-Organ-Metaphoriken“ (Machleidt 2009, 31) Berücksichtigung finden. Zudem sollten bei im Gesundheitswesen Tätigen Kenntnisse über strukturelle migrationsspezifische Belastungen vorhanden und ein Wissen über die unter den Bedingungen der Migration stattfindenden biografischen Restrukturierungen in die Behandlung miteinbezogen werden. Diese anspruchsvollen Aufgaben sollten dabei immer auch vor dem Hintergrund und als Chancen für die Vermeidung von ethnozentrischen Haltungen diskutiert werden (vgl. Collatz 1999; Zeiler/Zarifoglu 1997). Denn vermutet werden kann, dass eine gesellschaftliche Akzeptanz der Migration positiven Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit von Migrantinnen und Migranten nimmt. Hingegen wirkt sich fehlende gesellschaftliche Anerkennung ungünstig darauf aus (Borde 2007). Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Studie von Azra PourgholamErnst, die das Gesundheitserleben migrierter Frauen in Deutschland auf Grundlage des salutogenetischen Modells untersucht (vgl. Pourgholam-Ernst 2009). Im Zentrum dieser Herangehensweise steht die Annahme, dass das Gesundheitserleben der untersuchten Frauen abhängig ist von der „globale[n] Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat“, dass die sich im Verlauf des Lebens ergebenen inneren und äußeren Stimuli „strukturiert, vorhersehbar und erklärbar“ sind, einem für die Anforderungen dieser Stimuli entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen und die damit einhergehenden Anstrengungen als sinnvoll erlebt werden (vgl. Antonovsky 1997, 36, o. Hervorh.). Aus dieser gesundheitsorientierten Perspektive ist somit die Handlungsfähigkeit im Rahmen der jeweiligen Lebensbedingungen zentral, wobei Migration als ein bedeutsamer Einflussfaktor darauf gelten kann. In diesem Zusammenhang wird der Fokus von feststehenden kulturellen Unterschieden hin auf die Migration (als Erfahrung und Zuschreibung) und den damit einhergehenden biografischen Restrukturierungsanforderungen gerichtet. Dabei ist Migration nicht per se als gesundheitsschädigend anzusehen, sondern kann auch in

37 Ausgegangen werden kann zudem von einer durch die Art der Behandlung begünstigten oder hervorgerufenen Somatisierung bei Migrantinnen und Migranten im Sinne eines „Einverständnis im Missverständnis“ (Landtag Nordrhein-Westfalen 2004, 239) zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin (vgl. auch Branik/Mulhaxha 2000, 189).

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Abhängigkeit vom Kohärenzgefühl und den äußeren Bedingungen gesundheitsförderlich sein. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt eine Studie aus dem Jahr 2000 mit 244 Abiturientinnen und Abiturienten mit und ohne Migrationshintergrund zu möglichen Risiken für Verhaltensauffälligkeiten. Sie zeigt, dass sich Verhaltensauffälligkeiten auf familiäre und sozioökonomische, hingegen nicht auf kulturelle Faktoren zurückführen lassen. Als Risikofaktoren wurden insbesondere chronische Erkrankungen sowie Erfahrungen von Verfolgung und Diskriminierung ausgemacht, wobei autochthone Jugendliche signifikant häufiger von chronischen Erkrankungen berichteten, in der Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund hingegen signifikant häufiger Verfolgungs- und Diskriminierungserfahrungen angegeben wurden. Die Autorinnen und Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass für Jugendliche aus migrierten Familien nicht die möglichen kulturellen Unterschiede eine besondere Belastung darstellen, sondern vielmehr die Erfahrung gesellschaftlicher Marginalisierung ein gesundheitliches Risiko bilden (Freitag/Lenz/Lehmkuhl 2000; zu Diskriminierung als Gesundheitsrisiko vgl. Prasad 2009). Zusammenfassend wird deutlich, dass in der Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit trotz zunehmend differenzierter Positionen eine Tradition der Besonderung des ,anderen Körpers‘ zu verzeichnen ist, die im Zusammenhang mit Krankheit von einer anderen spürenden Wahrnehmung des Körpers und der Darstellung körperlicher Empfindungen in der Interaktion zwischen medizinischem Personal und Patient/Patientin mit Migrationshintergrund ausgeht. Aus dieser Perspektive stellt der ,andere Körper‘ ein Problem dar, das von Seiten des Gesundheitssystems zusätzlicher Lösungsstrategien bedarf. Interkulturell sensibler Sportunterricht und und interkulturelle Sexualpädagogik Im Folgenden werden zwei pädagogische Bereiche betrachtet, die – im Rahmen einer ansonsten weitgehenden Randständigkeit des Themas Körper in der Erziehungswissenschaft – einen Bezug zu Körperlichkeit vermuten lassen: die Sportund die Sexualpädagogik. Ursula Boos-Nünning und Yasemin Karakaşoğlu gehen davon aus, dass die Beschäftigung mit Körper- und Sexualitätskonzepten insbesondere über die Sportwissenschaft Eingang in die Migrationsforschung fand (vgl. Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, 272). Ein Grund dafür könnte sein, dass das Thema der interkulturellen Verständigung im Sport Tradition hat, da im internationalen Leistungssport und auch im Bereich des Freizeitsports interkulturelles Miteinander propagiert wird (vgl. Gebauer 1996). Ausgehend von der Annahme, dass im Sport mögliche „verkörperte Ungleichzeitigkeiten und Diversifizierungen in unausweichlichen, engen

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sozialen Kontakt“ (Blecking 2010, 199) geraten, wird von einer nicht zu vermeidenden Auseinandersetzung aller Beteiligten miteinander ausgegangen. Die Frage für Sportwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist nun, ob diese Auseinandersetzung über den Körper im Sport ein migrationsgesellschaftliches Miteinander fördert – oder eben nicht. Die Idee der durch Sport begünstigten Entwicklung von Toleranz und interkultureller Verständigung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland wurde gerade zu Beginn einer interkulturell sensibilisierten Sportwissenschaft in einem durchaus assimilatorischen Sinne als Motor für die gesellschaftliche Eingliederung von Migrantinnen und Migranten verstanden (vgl. zum Beispiel Frogner 1984). Neuere Arbeiten betonen demgegenüber die Universalität des Sports als eine Möglichkeit, interkulturelle Lernprozesse anzuregen. Durch den sportlichen körperlichen Kontakt könnte Distanz abgebaut und im gemeinsamen Spiel Anregungen für den Prozess der Reflexion eigener und anderer Wahrnehmungs- und Handlungsmuster geschaffen werden (vgl. Dietrich 1994). Demgegenüber lassen sich aber auch Positionen finden, die davon ausgehen, dass kulturspezifisch unterschiedliche Körperkonzepte gerade nicht zur Anregung eines Verständigungsprozesses führen, sondern erst einmal Fremdheitserfahrungen und Abgrenzung hervorrufen. Sport als ein zwar globales, jedoch nicht universales Phänomen (vgl. Mihçiyazgan 1996, 106) kann demnach zu rassistischen Zuschreibungen führen, wenn „körperliche Kennzeichen als Indikatoren für die Natur ethnischer Gruppen ausgegeben werden“ (Gebauer 1996, 82). Wird Sport demnach als ein Handlungssystem verstanden, das zur „Naturalisierung von Sozialem drängt“ (ebd. 84), so bestehen besondere Herausforderungen für eine interkulturelle Sportpädagogik. Denn erst durch die Anerkennung der im Sport (re-)produzierten interkulturellen Fremdheit können pädagogische Angebote mit dem Ziel einer „regulierten Auseinandersetzung mit der körperlichen Fremdheit“ (vgl. Bröskamp 1994, 193) entwickelt werden. Trotz durchaus unterschiedlicher theoretischer Ausgangspunkte wird in der Sportwissenschaft das Potenzial für die Initiierung interkultureller Lernprozesse im Sport gesehen. Denn gerade der Sportunterricht ist im Vergleich zu anderen Fächern dazu geeignet, „nichteurozentrische Bildungsinhalte“ aufzunehmen, wenn er an den „alltäglichen Körperverwendungsweisen“ (ebd., 195) der Heranwachsenden anknüpft. Die daran anschließende Entwicklung migrationssensibler sportpädagogischer Konzepte ist daher nur konsequent. Ein Problem stellt sich bei diesem Vorgehen allerdings im Zusammenhang mit kulturell oder religiös begründeten Einschränkungen bei der Beteiligung an Sportangeboten beziehungsweise dem koedukativen Sportunterricht von Kindern mit Migrationshintergrund (vgl. KarakaşoğluAydın 2000). Denn durch ein Fernbleiben vom Sportunterricht kommt es erst gar nicht zu einer gemeinsamen Situation, in der interkulturelles Lernen stattfinden

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könnte. Abgesehen von der zu diesen spezifischen Einzelfällen noch einmal gesondert geführten Diskussion (vgl. dazu Mihçiyazgan 1996), wird jedoch die Möglichkeit gesehen, gerade über das körperliche Handeln im Sport einen Zugang zu schaffen, mögliche kulturelle Unterschiede zu thematisieren und kulturalisierende Vorurteile zu bearbeiten. Im Bereich der Sportpädagogik sind demnach Bestrebungen der Berücksichtigung einer auch durch Migration gekennzeichneten Schülerschaft zu verzeichnen. Auf fachdidaktischer Ebene ergeben sich in diesem Zusammenhang beispielsweise Fragen danach, ob eher kooperative oder kompetitive Spiele zu wählen sind (vgl. Dietrich 2000, 355f.). Eine konsequent migrationsgesellschaftlich ausgerichtete sportdidaktische Konzeption ist laut einer Einschätzung von Knut Dietrich von 2000 jedoch nur in Ansätzen erkennbar (ebd., 356; vgl. dazu die didaktischen Leitideen zum Umgang mit Fremdheit im Sport in Gieß-Stüber 2008, 240ff.). Auch für den Bereich der Sexualpädagogik finden sich Arbeiten zum Thema Migration und Interkulturalität. Ließen sich zum Thema „Sexualität“ über lange Zeit kaum wissenschaftliche Untersuchungen finden, so existier(t)en umso mehr – und insbesondere auf den Islam bezogene – Alltagstheorien (vgl. Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, 281). Neuere Befunde zeigen, dass sich – genau wie in der Mehrheitsgesellschaft auch – die Vorstellung einheitlicher Sexualvorstellungen entlang nationaler oder religiöser Grenzen für die Gruppe der „Migrationsanderen“ (Mecheril 2004, 47) nicht aufrechterhalten lässt. In einer von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) bei dem für die Sinus-Studien bekannten Forschungsinstitut Sinus Sociovision in Auftrag gegebene Studie zu Sexualität und Sexualaufklärung vierzehn bis siebzehnjähriger Migrantinnen und Migranten (vgl. BzgA 2010) wird deutlich, dass zu den Themen Sexualität, Partnerschaft, Liebe und Aufklärung vielfältige Meinungen bestehen. „Die Einstellung zu Familie und Partnerschaft einerseits und der Umgang mit Sexualität und dem eigenen Körper andererseits unterscheiden sich bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund sehr stark nach Milieus – wie in der autochthonen Bevölkerung auch. Beides hat etwas mit dem Bildungsgrad zu tun, aber auch mit dem soziokulturellen Hintergrund des jeweiligen Milieus“ (vgl. BzgA 2010, 31).

Der Befund einer starken milieuspezifischen Orientierung widerspricht gängigen Stereotypen zur Bedeutung von Sexualität für Migrantinnen und Migranten und insbesondere in Bezug auf muslimische Frauen, „[d]enn gerade zum Sexualbereich von Migranten, insbesondere jenen mit moslemischem Hintergrund, gibt es offensichtlich so etwas wie einen öffentlichen Commonsense dahinge-

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hend, was denn wohl ‚typisch‘ ist. Patriarchal-frauenfeindliche Familienstrukturen, sexuelle Tabus, arrangierte Ehen, ‚verkaufte Bräute‘, für die das Gebot der Jungfräulichkeit absolut zwingend ist, rein auf männliche Bedürfnisbefriedigung ausgerichtete Moral sind einige der wohl häufigsten Klischees, die das Bild in der Mehrheitsgesellschaft prägen" (Aktaş 2000, 157).

Als ein in diesem Zusammenhang zentrales Thema kann die Virginitätsnorm – also der nicht vollzogene vaginale Geschlechtsverkehr als Voraussetzung für die Ehe – angesehen werden. Zum einen, da Studien belegen, dass die Ablehnung vorehelichen Geschlechtsverkehrs bei Migrantinnen eine größere Rolle spielt als bei Autochthonen (vgl. Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, 281): So geben 27 Prozent der knapp tausend befragten Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund in der Studie Viele Welten leben an, dass ihnen die Einhaltung der Norm sehr wichtig sei. Zum anderen, weil die Vorstellungen der mehrheitsgesellschaftlichen Öffentlichkeit von einem starren Verhaltensmuster bei muslimischen Migrantinnen ausgeht. Dabei zeigen sich durchaus deutliche Unterschiede entsprechend den in der Studie von Boos-Nünning und Karakaşoğlu berücksichtigten Hintergründen. Demnach spielt für einen überwiegenden Teil der befragten Mädchen mit griechischem Migrationshintergrund und aus Aussiedlerfamilien die Norm der Virginität keine Rolle. In gleicher Weise antworten 60 Prozent der Befragten mit italienischem und jugoslawischem Hintergrund, allerdings akzeptieren in diesen beiden Gruppen auch jeweils 25 Prozent diese Vorschrift. Die höchste Akzeptanz zeigt sich bei den Befragten mit türkischem Hintergrund: 59 Prozent lehnen vorehelichen Geschlechtsverkehr ab, für 22 Prozent ist die Virginitätsnorm wiederum nicht bedeutsam (ebd., 283). Diese deutlichen Unterschiede zeigen auf, dass die Haltung zum vorehelichen Geschlechtsverkehr durchaus variiert und auch nicht allein durch die religiöse Zugehörigkeit zum Islam zu erklären ist, da ein Viertel der befragten Mädchen und jungen Frauen mit italienischer Herkunft und ausschließlich christlichen Konfessionen die Norm ebenfalls akzeptieren. Unter den Befragten muslimischen Glaubens aus der Türkei und Jugoslawien zeigte sich außerdem, dass bosnische Muslimas mit 45 Prozent, aber nur 22 Prozent der türkischstämmigen Muslimas vorehelichem Geschlechtsverkehr zustimmen. Die Verteilung der Beurteilung der Virginitätsnorm innerhalb der Gruppe der Mädchen und Frauen mit türkischem Migrationshintergrund ist dabei noch einmal durch die Schulbildung und das Alter beeinflusst: je höher die Schulbindung und das Alter, desto weniger Bedeutung hat der Verzicht auf vorehelichen Geschlechtsverkehr (ebd. 283ff.). Insgesamt sind die Themen Sexualität, familiale Sexualerziehung und Sexualaufklärung in der Migrationsgesellschaft Deutschland jedoch weiterhin nicht hinreichend empirisch erforscht (vgl. bisher Heidarpur-Ghazwini 1986; von Salisch 1990; Weißköppel 2001; Kondzialka 2005; Çagliyan 2006; Müller 2006). Durch

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die in der Praxis gesammelten Erfahrungen des Bedarfs spezifischer interkultureller Ansätze finden sich mittlerweile einige Überlegungen zu einem angemessenen sexualpädagogischen Umgang mit einer kulturell pluralen Schülerschaft beziehungsweise einer sozialpädagogischen Klientel (vgl. Heidarpur-Ghazwini, 1990; Marburger 1999; Mihçiyazgan 1993; Renz 2000; Wronzka 2000; zu Forderungen für eine interkulturelle Mädchenarbeit Milutin 2000; Timmermanns/Tuider 2008; Wronska/Kunz 2008). Die Entwicklung grundlegender theoretischer Konzepte steht demgegenüber noch aus. Der knappe Einblick in die Bereiche der interkulturellen Sexualpädagogik und der Sportpädagogik zeigt auf, dass von Seiten der Wissenschaft wie auch der Praxis Potenziale für die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Körper und Migration“ gesehen werden. Allerdings besteht in diesen Zusammenhängen auch in besonderer Weise die Gefahr, körperlich fundierter und somit biologistisch legitimierter Ethnisierung Vorschub zu leisten (vgl. Alkemeyer/Bröskamp 1996, 27ff.). Notwendig erscheint es daher, gerade auch für diese Bereiche, die oftmals implizite Annahme, dass die kulturelle Zugehörigkeit von Migrantinnen und Migranten das Problem darstelle, zu erkennen und zu reflektieren. Wenn Interkulturalität als lästige Behinderung der normalen pädagogischen Arbeit verstanden wird, kann eine gleichberechtigte Auseinandersetzung zwischen der pädagogischen Institution und den betreffenden Mädchen und Frauen (sowie ihren Familien) kaum stattfinden. Kleidung als Symbol nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit Für die Bearbeitung des Themas „Körperlichkeit“ spielt das Thema der Kleidung eine wichtige Rolle. Kleidung wird als ein der körperlichen Präsentation zugehöriges Element angesehen, das in besonderer Weise die Möglichkeit gesellschaftlicher Distinktion und die Darstellung sozialer Gruppenzugehörigkeit ermöglicht (vgl. Bourdieu 1987a, 322ff.). Allerdings ist die Forschungslage bezogen auf migrationsgesellschaftliche Zusammenhänge dünn – eine Ausnahme bildet religiöse Kleidung und insbesondere das Kleidungsstück Kopftuch. In einer 2001 vorgelegten Studie von Sabine Zinn-Thomas zu Migrationsprozessen im Hunsrück aus Sicht der einheimischen Bevölkerung38 wird in einer Gegenüberstellung der Aussagen zu den dort ehemals stationierten Angehörigen der

38 Zwischen 2000 und 2004 wurden 92 teilstandardisierte Interviews durchgeführt, davon 64 Personen ohne Migrationshintergrund, die sich noch einmal in Personen der dort lebenden Bevölkerung, ansässigen Geschäftsleuten und Expertinnen und Experten (Lehrerinnen und Lehrer, Geistliche, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiten) untergliederten.

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US-Armee und den seitdem dort lebenden Russlanddeutschen deutlich, dass von den Einheimischen „(o)ffensichtliche Unterschiede“ insbesondere am Aussehen beziehungsweise an der Kleidung „der Fremden“ (Zinn-Thomas 2011, 195ff.) festgemacht werden. Die älteren Bewohner der Region geben in Interviews an, dass die im Hunsrück stationierten amerikanischen Besatzer dadurch auffielen, dass sie bei ihrer Kleidung nicht zwischen Wochentag und Sonntag unterschieden und in der Wahl ihrer Kleidung etwas „flippig“ erschienen. Die Kleidung der Amerikaner war aber durchaus ein begehrtes Statussymbol und wurde von den Autochthonen aufgetragen. Im Unterschied zu den stationierten Angehörigen des US-Militärs wird für die Russlanddeutschen das Tragen von Trainingsanzügen und geschmacklosen Farbkombinationen benannt. Ihre Kleidung wird als „altmodisch“ und „billig“ beschrieben. Dabei bezieht sich billig zum einen auf die Annahme, dass die Kleidung mehrheitlich kostengünstig im Discounter eingekauft wurde. Zum anderen wurde damit in den Interviews die knappe oder enge Kleidung von Mädchen und jungen Frauen bezeichnet. Zinn-Thomas weist darauf hin, dass gerade in der „Verallgemeinerung und Bewertung der Frauen“ der „Zeichencharakter der Kleidung“ (ebd., 169) zum Ausdruck kommt, wenn von den Befragten angegeben werde: „Die jüngeren russlanddeutschen Frauen wurden als ,oft so ein bisschen ins Polnische, so ein bisschen überkandidelt zurecht gemacht‘ wahrgenommen. ,Zu figurbetont, zu geschminkt, zu bunt und zu gestylt. So bisschen ins Billige rein. So würde kein deutsches Mädel rumlaufen‘. Hingegen würden die älteren Frauen ,rumlaufen wie in Russland, mit Söckchen, mit langen Kleidern und mit Kopftüchern mit Farbe gemustert. Jede Mark die sie für Klamotten ausgeben, ist denen eine Mark zu viel. Die waren das so in Russland gewöhnt‘“ (ebd.).

Der Kleidungstil junger weiblicher Russlanddeutscher wird als knapp und bunt bezeichnet und mit dem Verweis auf Polen als ein typisch ,osteuropäischer Stil‘ markiert. Durch den Vergleich mit dem Stil deutscher Frauen wird die so charakterisierte Kleidung abgewertet und im Rahmen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Stereotype verortet. Auffällig ist, dass das Äußere der vormals im Hunsrück stationierten Amerikaner in den Interviews durchaus als individuell beschrieben und auf verschiedene Typen wie „mexikanisch aussehende Typen“ oder „die Schwarzen“ verwiesen wird. Demgegenüber werden die Aussiedler als ein Kollektiv angesehen, das aufgrund der Kleidung als „Fußvolk, einfache Leute, die Frauen haben alle Kopftücher um“ (ebd., 197) beschrieben wird. Gegenüber den nur am Rande in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu findenden Aussagen zum Thema Migration und Kleidung im Allgemeinen kann das Kopftuch mit Abstand als das am stärksten thematisierte Kleidungsstück und als eines der zentralen Themen im Migrationsdiskurs bezeichnet werden. In den seit Mitte der 1990er Jahren in Deutschland unter dem Schlagwort „Kopftuch-Debatte“

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zum Großteil hoch emotional geführten Auseinandersetzungen verknüpfen sich eine Vielzahl grundlegender gesellschaftlicher Entscheidungen: die Rolle des Islam in Deutschland, das Verhältnis von Staat und Religion, Vorstellungen über ein angemessen gestaltetes Geschlechterverhältnis, sowie die staatlichen Möglichkeiten des Einflusses darauf und auf die Erziehung von Kindern in der Familie spielen dabei eine Rolle (vgl. Bielefeldt 2004). In anderen europäischen Ländern finden sich ähnliche Debatten, die unter anderem im Rahmen des durch die EU-Kommission geförderten Forschungsprojektes VEIL (Values, Equality and Differences in Liberal Democracies. Debates about Muslim Headscarves in Europe) von 2006 bis 2009 untersucht wurde (vgl. VEIL Projekthomepage). Die internationale Studie zeigt, dass in den in die Untersuchung einbezogenen Ländern in den jeweiligen Kopftuchdebatten die Werte ,Geschlechtergleichheit‘, ,Säkularismus‘ und ,Integration‘ instrumentalisiert werden, um nationalstaatliche Zugehörigkeit zu definieren. Interessant daran ist, dass die genannten Wertekonzepte allerdings sowohl von den Kritikern als auch von den Befürwortern des Kopftuchverbots als Begründung für ihre Position herangezogen werden (vgl. Berghahn/Rostock 2009, 12). 39 Von den Gegnern wird das Kopftuch in den Debatten oftmals mit patriarchalen Strukturen in der Familie sowie einer stark religiösen, womöglich fundamentalistischen Neigung in Verbindung gebracht. Laut Birgit Rommelspacher ist die Position, den Islam als „genuin fremd und frauenunterdrückerisch“ (Rommelspacher 2002, 114) anzusehen keinesfalls neu, wurde sie schon zur Zeit der Kreuzzüge und später von den europäischen Kolonialmächten vertreten. Die als emanzipatorisch deklarierten Forderungen für die kolonialisierten Frauen durch die männlichen Kolonisatoren kann dabei als ein Baustein in der Legitimierung der Kolonialisierung angesehen werden. Denn der vermeintliche Einsatz für das Recht der Frauen auf Entschleierung ging oftmals mit der Legitimierung geschlechtlicher Ungleichbehandlung in den Kolonien und dem jeweiligen Herkunftsland der Kolonisatoren einher. Wurde beispielsweise das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung geahndet, so stand dies für die Kolonisatoren nicht im Widerspruch dazu, Frauen generell das Wahlrecht abzusprechen.40 Die Entschleierung scheint somit mit einem eigenen

39 Am 11.04.2011 ist in Frankreich ein Gesetz in Kraft getreten, das das Tragen eines Nikab (Niqab) oder einer Burka in der Öffentlichkeit verbietet. Diese Formen der Bedeckung wurden vom damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit der Unterdrückung der Frauen in einem fundamentalistischen Islam in Verbindung gebracht. Im selben Jahr wurde das Burkaverbot in Belgien und 2012 in den Niederlanden eingeführt. 40 In der Verknüpfung vermeintlich feministischer Forderungen mit nationalkulturellen Herrschaftsansprüchen als einer Form „kolonialen Feminismus“ (Ahmed 1992) zeigt sich die im Orientalismus oder auch Afrikanismus bestehende Überzeugung einer per se bestehenden Rückständigkeit der Kolonialisierten. Bezogen auf die Kolonialisierung Alge-

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Interesse an der Sichtbarwerdung der ,anderen Frau‘ für die Kolonisatoren einher zu gehen. Die darin zum Ausdruck kommende Instrumentalisierung des Kampfes für Frauenrechte wird auch in den gegenwärtigen Migrationsdebatten über die Bestimmung der Rolle der Frau aufgegriffen, indem die dem ,Anderen‘ zugeschriebenen negativen Merkmale als positive Merkmale auf das Selbst zurück geworfen werden: „In der Gegenüberstellung von ,westlicher‘ Freiheit und ,islamischer‘ Unterdrückung wird die Welt auf einfache Weise in gegensätzliche Pole eingeteilt und dabei die Spannung einer jeweils widersprüchlichen Gegenwart aufgehoben. Dabei wird im westlichen Selbstbild das Risiko des Scheiterns negiert, während den Muslimen das Potenzial der Transformation abgesprochen wird“ (Rommelspacher 2010, 19).

Gegenüber Kritikern des Kopftuches wird wiederum das Argument stark gemacht, die Verschleierung des weiblichen Körpers gerade als eine Form der Selbstbestimmung und des Schutzes vor (männlichen) Blicken anzusehen (vgl. exemplarisch von Braun/Mathes 2007). Zwischen diesen Polen lassen sich wiederum eine Vielzahl verschiedener Standpunkte ausmachen, von denen aus meist Meinungen über Frauen mit Kopftuch in die Diskussion eingebracht werden. Die betreffenden Frauen werden zu ,Fremdkörpern‘ stilisiert, denn vielen Vertreterinnen und Vertretern des Kopftuchverbots sowie des -gebots ist gemein, dass sie „Zuschreibungen an ,einheimischen’ und ,fremden‘ Frauen vornehmen“ (Sing 2007, 179) und auf diese Weise die Frauen in klar voneinander unterschiedenen „Kultur-Räumen“ (ebd.) verorten: „Eine eigene unabhängige Meinung der Frauen [mit Kopftuch, H.T.] hat in diesen Zuschreibungspraktiken wenig Platz. Als Objekte ihrer Umwelt werden anhand ihrer Körper die gesellschaftlichen und religiösen Kontroversen von GegnerInnen und VerfechterInnen des Tragens eines Kopftuches ausgetragen. Aus dieser von vornerein an Fremdbestimmung ausgerichteten Perspektive wird der subjektive Sinn des Kopftuches für dessen Trägerinnen sekundär“ (vgl. Sing 2007, 192).

Dabei zeigen Studien zu diesem Thema deutlich, dass das Tragen eines Kopftuchs sehr individuelle Gründe haben kann und nicht automatisch mit der Vorstellung einhergeht, die eigene Religiosität in allen Bereichen des Lebens zur zentralen Instanz zu machen. Die Bandbreite dessen, was als „islamischer Lebensstil“ (Ka-

riens durch Frankreich finden sich vielfältige Beispiele bei Lazreg 1994, zum Beispiel Seite 135.

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rakaşoğlu-Aydın 2000) angesehen wird, ist groß. Als kultureller Code ist das Kopftuch mehrfach determiniert und kann sich auf sehr unterschiedliche Aspekte beziehen. Es kann als Symbol für die eigene Religiosität, für Vorstellungen zum Geschlechterverhältnis und zur kulturellen Zugehörigkeit aber auch als politisches Statement genutzt werden (vgl. Rommelspacher 2002, 113f.). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Kopftuch zudem zu verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedliche Bedeutungen zukamen (vgl. Lerner 1995, 174-181), kann diesem Kleidungsstück kein genereller Sinn zugesprochen werden. Das Kopftuchtragen sollte daher nicht per se als rückständig und von außen auferlegt verstanden, sondern durchaus auch in seinem Individualisierungspotenzial anerkannt werden (vgl. Roth 1999, 226f.). Denn durch Arbeiten wie die von Yasemin Karakaşoğlu-Aydın (2000) oder Sigrid Nökel (2002) wird deutlich, dass die befragten jungen Frauen in der Entscheidung ein Kopftuch zu tragen gerade einen selbstbestimmten Akt sehen. Insbesondere im Hinblick auf die Befunde, dass das Tragen eines Kopftuches in Deutschland die Wahrscheinlichkeit erhöht, Diskriminierungen ausgesetzt zu sein (vgl. Frings 2010; Terkessidis 2004, 168-171), wird ein Kopftuch zu einer bewussten Entscheidung. Es bedarf demnach einer differenzierten Auseinandersetzung über die Gründe des Tragens eines Kopftuches bei jungen Frauen, um gerade den Frauen Unterstützung anzubieten, die ein Kopftuch eben nicht im Sinne eines selbstbestimmten Aktes, sondern aufgrund eines von außen auferlegten Zwangs tragen.

3.3 D ER , ANDERE F RAUENKÖRPER ‘ IM GESELLSCHAFTLICHEN F OKUS – DRITTER Z WISCHENSTAND Migration ist ein vielfältiges soziales Phänomen, das in der jeweils spezifischen Konstellation mit anderen sozialen Faktoren Einfluss auf das Selbstverständnis vom Anderen und vom Eigenen nimmt. Wird das menschliche Leben im Sinne Goffmans als eine Aufgabe verstanden, so bildet auch Migration – als Erfahrung und Zuschreibung – eine Herausforderung für die Einzelnen sowie die Gesellschaft. Dabei geht es weder um Idealisierung noch um Verdammung eines sozialen Phänomens in seiner jeweiligen historischen und somit sozialen Ausformung. Prinzipiell scheint es angebracht – entgegen reduktionistischer Perspektiven – Ressourcen wie Belastungsfaktoren in die Debatte um das Aufwachsen und Leben mit einem Migrationshintergrund in Deutschland miteinzubeziehen. Dabei ist es wichtig, keine allein an der sozialen Differenzlinie der Migrationserfahrung entlang orientierte Perspektive einzunehmen, da auf diese Weise der Blick auf individuelle biografische Entwicklungsstrategien von Menschen mit Migrationshintergrund verstellt

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rakaşoğlu-Aydın 2000) angesehen wird, ist groß. Als kultureller Code ist das Kopftuch mehrfach determiniert und kann sich auf sehr unterschiedliche Aspekte beziehen. Es kann als Symbol für die eigene Religiosität, für Vorstellungen zum Geschlechterverhältnis und zur kulturellen Zugehörigkeit aber auch als politisches Statement genutzt werden (vgl. Rommelspacher 2002, 113f.). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Kopftuch zudem zu verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedliche Bedeutungen zukamen (vgl. Lerner 1995, 174-181), kann diesem Kleidungsstück kein genereller Sinn zugesprochen werden. Das Kopftuchtragen sollte daher nicht per se als rückständig und von außen auferlegt verstanden, sondern durchaus auch in seinem Individualisierungspotenzial anerkannt werden (vgl. Roth 1999, 226f.). Denn durch Arbeiten wie die von Yasemin Karakaşoğlu-Aydın (2000) oder Sigrid Nökel (2002) wird deutlich, dass die befragten jungen Frauen in der Entscheidung ein Kopftuch zu tragen gerade einen selbstbestimmten Akt sehen. Insbesondere im Hinblick auf die Befunde, dass das Tragen eines Kopftuches in Deutschland die Wahrscheinlichkeit erhöht, Diskriminierungen ausgesetzt zu sein (vgl. Frings 2010; Terkessidis 2004, 168-171), wird ein Kopftuch zu einer bewussten Entscheidung. Es bedarf demnach einer differenzierten Auseinandersetzung über die Gründe des Tragens eines Kopftuches bei jungen Frauen, um gerade den Frauen Unterstützung anzubieten, die ein Kopftuch eben nicht im Sinne eines selbstbestimmten Aktes, sondern aufgrund eines von außen auferlegten Zwangs tragen.

3.3 D ER , ANDERE F RAUENKÖRPER ‘ IM GESELLSCHAFTLICHEN F OKUS – DRITTER Z WISCHENSTAND Migration ist ein vielfältiges soziales Phänomen, das in der jeweils spezifischen Konstellation mit anderen sozialen Faktoren Einfluss auf das Selbstverständnis vom Anderen und vom Eigenen nimmt. Wird das menschliche Leben im Sinne Goffmans als eine Aufgabe verstanden, so bildet auch Migration – als Erfahrung und Zuschreibung – eine Herausforderung für die Einzelnen sowie die Gesellschaft. Dabei geht es weder um Idealisierung noch um Verdammung eines sozialen Phänomens in seiner jeweiligen historischen und somit sozialen Ausformung. Prinzipiell scheint es angebracht – entgegen reduktionistischer Perspektiven – Ressourcen wie Belastungsfaktoren in die Debatte um das Aufwachsen und Leben mit einem Migrationshintergrund in Deutschland miteinzubeziehen. Dabei ist es wichtig, keine allein an der sozialen Differenzlinie der Migrationserfahrung entlang orientierte Perspektive einzunehmen, da auf diese Weise der Blick auf individuelle biografische Entwicklungsstrategien von Menschen mit Migrationshintergrund verstellt

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wird (vgl. Breckner 2005, 55; Hummrich 2006, 86ff.). Neben weiterhin bestehenden Skandalisierungen sind dabei zunehmend Tendenzen einer Abkehr von einer Defizitorientierung im Zusammenhang mit der Beurteilung des Aufwachsens mit einem Migrationshintergrund zu verzeichnen, die als Prozess von Normalisierung zu verstehen sind. Wird nun von Sozialität als Interaktion in gesellschaftlichen Strukturen ausgegangen, so wird in der vorliegenden Studie das Phänomen der Migration beziehungsweise des Migrationshintergrundes als einem sozialen Distinktionsmittel zum Thema. Das in diesem Zusammenhang im Alltag herangezogene Kollektivkonzept Nationalität aber auch Vorstellungen ethnischer und kultureller Zugehörigkeit geraten so in den Blick. Aufgrund der essentialistischen Tradition dieser Konzepte als Annahme von natürlich gegebenen – eben auch körperlichen – Unterschieden scheint die Auseinandersetzung mit dem Thema Körper im Kontext von Migration demnach nicht nur interessant sondern auch risikoreich. Die Gefahr – und darin liegt vermutlich auch der Grund für die bisher kaum vorgenommene Thematisierung von Körper und Migration – besteht in der Reaktivierung des naturalisierenden Erbes dieser Konzepte. Die gegenwärtige Situation einer wissenschaftlichen Nichtthematisierung erscheint meines Erachtens jedoch ebenfalls als unbefriedigend, da gerade im Alltag ein als ,anders‘ wahrgenommenes Aussehen und körperliches Verhalten zur Bestätigung naturalisierter Andersartigkeit herangezogen werden. Die vorgenommenen Einblicke in die körperbezogen Bereiche Gesundheit(svorsorge), Sport- und Sexualpädagogik und das kulturelle Codesystem der Kleidung zeigen, dass eine Tendenz besteht, den ,anderen Körper‘ als ein Problem anzusehen, für das es eine Lösung zu suchen gilt. Konnte gezeigt werden, dass der Körper der Migrantin in den Medien und der Wissenschaft nicht mehr völlig homogen dargestellt wird, so scheint es dennoch ein weiterhin nur eingeschränktes und an Vorstellungen kultureller Andersartigkeit anknüpfendes Repertoire gesellschaftlicher Vorstellungen zu geben. Der ,andere Frauenkörper‘ wird im Kontext von Migration zu einem Symbol, das im Zentrum der Verhandlung um gesellschaftliche Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit steht und somit eng an die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und den Zugang zu Ressourcen geknüpft ist. Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Körper und Sozialität in Bezug auf Migration wird in den folgenden Kapiteln eine empirische Untersuchung zu Körperinszenierungen junger Frauen im Kontext von Migration durchgeführt. Zuvor werden die methodologischen Grundlagen sowie das gewählte methodische Vorgehen dargelegt.

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Zugangsweisen und vor allem auch in ihren Zielsetzungen“ (Flick 2002, 394) gekennzeichnet sind (vgl. für einen Überblick Bennewitz 2010). Gemein ist den qualitativen Forschungszugängen ihre Eignung für Forschungsthemen, zu denen kaum oder nur wenig Informationen vorliegen. Offenheit gegenüber dem Forschungsmaterial und die damit einhergehende Möglichkeit, theoretische Aussagen weiterzuentwickeln, bilden das Potenzial qualitativer Forschung, das für diese Untersuchung nutzbar gemacht werden soll (vgl. Kelle 2008). Für die empirische Untersuchung dieser Studie werden biografische Interviews zum Thema Körper mit fotografischen Selbstporträts verknüpft. Ziel ist es, durch die Kombination verschiedener Datensorten und damit einhergehenden Auswertungsansätzen die Perspektive auf den Forschungsgegenstand Körper im Kontext von Migration zu erweitern. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass eine Perspektivenerweiterung nur dann möglich ist, wenn es gelingt, für Bild- und Textanalyse eine methodologische Grundlage zu schaffen, auf der die in ihrer Materialität divergierenden Zugänge aufeinander bezogen werden können. Im Folgenden werde ich daher auf die gewählten Datensorten Text und Bild in ihrer jeweiligen materiellen Eigenlogik eingehen, um im Anschluss mit einem symboltheoretischen Ansatz eine Möglichkeit vorzustellen, wie die in Text und Bild gewonnenen Körperinszenierungen als symbolische Artefakte im Rahmen einer Studie miteinander in Beziehung gesetzt werden können.

4.1 P ERSPEKTIVENTRIANGULATION Die „Einnahme unterschiedlicher Perspektiven […] bei der Beantwortung von Forschungsfragen“ (Flick 2008, 12) erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Dabei erstreckt sich das Interesse auf die Verknüpfung von qualitativen mit standardisierten Zugängen, wie auch auf die Kombination innerhalb qualitativer und quantitativer Forschung. Von einer Triangulation wird laut Uwe Flick gesprochen, wenn die eingenommenen Perspektiven weitgehend gleichberechtigt gewichtet werden und durch ihre Kombination ein größerer Erkenntnisgewinn möglich wird (vgl. Flick 2003, 2008). Der aus der Erdoberflächen-Vermessung übernommene Begriff der Triangulierung bezeichnet die Betrachtung eines Forschungsgegenstandes von mindestens zwei Punkten aus und wurde durch Donald T. Campbell und Donald W. Fiske (1959) in die sozialwissenschaftliche Methodendiskussion eingeführt. Verbreitung fanden die Überlegungen durch Norman Denzins Konzept der Systematisierung triangulierender Vorgehensweisen (1970): Denzin unterscheidet zwischen der Triangulation von Daten, Forschern, theoretischen Grundlagen und methodischen Auswertungszugängen, wobei die Methodentriangulation im Zentrum des In-

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teresses steht. Den Gewinn der Triangulation von Methoden sah Denzin dabei in deren gegenseitiger Überprüfbarkeit. Seine „Idee des Gegeneinanderausspielens von Methoden mit dem Ziel damit Hypothesen zu testen“ (Flick 2008, 20) sollte zur Validität, Reliabilität und Objektivität der Interpretationsergebnisse beitragen. Die damit verbundene Annahme, ein Phänomen durch verschiedene Methoden in gleicher Weise erfassen zu können, brachte Denzin vielfach Kritik ein. Aus interaktionistischer Perspektive wurde darauf hingewiesen, dass Methoden den Gegenstand aus ihrer jeweiligen Sicht erst entstehen lassen und somit weniger die Überprüfung, sondern vielmehr die Erweiterung des Blicks auf das zu untersuchende Phänomen möglich sei (vgl. Fielding/Fielding 1986). Laut Flick entwickelte Denzin sein Konzept daraufhin zu einer „Strategie auf dem Weg zu einem tieferen Verständnis des untersuchten Gegenstandes und damit als Schritt auf dem Weg zu mehr Erkenntnis“ (Flick 2008, 20) weiter. Im Rahmen der Diskussion um die Möglichkeiten triangulierender Vorgehensweisen soll in der vorliegenden Studie der Begriff der Perspektiventriangulation von Uwe Flick für die Kombination methodischer Zugängen und damit einhergehenden Auswertungsverfahren genutzt werden. Der Begriff der Perspektive verdeutlicht die Gebundenheit des ,Blicks der Methode‘ an seine theoretische Grundlage, wodurch eine Kombination von Methoden für die Datengewinnung und/oder auswertung (Methodentriangulation) in der Regel mit einer Kombination methodologischer Paradigmen (Theorietriangulation) einhergeht (vgl. Flick 2003, 161f.). In der empirischen Untersuchung der vorliegenden Studie wird das durch die Triangulation eröffnete „kaleidoskopartige Bild“ (Köckeis-Stangl 1982) weiblicher Körperlichkeit im Kontext von Migration mittels einer Kombination sprachlichreflexiver und performativer, gestisch-mimischer Körperinszenierungen hergestellt. Mithilfe von Verschriftlichung sowie der Fotografien entstehen soziale Artefakte in Form von Text und Bild, die sich durch ihre Darstellungsweise von Körperinszenierungen unterscheiden.

4.2 T EXT UND B ILD ALS F ORSCHUNGSMATERIAL Q UALITATIVEN S OZIALFORSCHUNG

IN DER

In Rahmen der von Richard Rorty (1967) vorgeschlagenen Gliederung wissenschaftlicher Entwicklungen anhand von Wendungen (turns), gilt der linguistic turn als eine der umfassendsten und einflussreichsten Wendungen in den Kultur- und Sozialwissenschaften (vgl. Rorty 1992). Der Ausdruck beschreibt eine im 20. Jahrhundert entstandene umfassende Ausrichtung von einer vormals medienneutralen Bewusstseinstheorie auf das Medium der Sprache und ihrer Logik (vgl. Voßkamp/Weingart 2005, 7). Die Aufmerksamkeit für Sprache und ihre Struktur bildete

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teresses steht. Den Gewinn der Triangulation von Methoden sah Denzin dabei in deren gegenseitiger Überprüfbarkeit. Seine „Idee des Gegeneinanderausspielens von Methoden mit dem Ziel damit Hypothesen zu testen“ (Flick 2008, 20) sollte zur Validität, Reliabilität und Objektivität der Interpretationsergebnisse beitragen. Die damit verbundene Annahme, ein Phänomen durch verschiedene Methoden in gleicher Weise erfassen zu können, brachte Denzin vielfach Kritik ein. Aus interaktionistischer Perspektive wurde darauf hingewiesen, dass Methoden den Gegenstand aus ihrer jeweiligen Sicht erst entstehen lassen und somit weniger die Überprüfung, sondern vielmehr die Erweiterung des Blicks auf das zu untersuchende Phänomen möglich sei (vgl. Fielding/Fielding 1986). Laut Flick entwickelte Denzin sein Konzept daraufhin zu einer „Strategie auf dem Weg zu einem tieferen Verständnis des untersuchten Gegenstandes und damit als Schritt auf dem Weg zu mehr Erkenntnis“ (Flick 2008, 20) weiter. Im Rahmen der Diskussion um die Möglichkeiten triangulierender Vorgehensweisen soll in der vorliegenden Studie der Begriff der Perspektiventriangulation von Uwe Flick für die Kombination methodischer Zugängen und damit einhergehenden Auswertungsverfahren genutzt werden. Der Begriff der Perspektive verdeutlicht die Gebundenheit des ,Blicks der Methode‘ an seine theoretische Grundlage, wodurch eine Kombination von Methoden für die Datengewinnung und/oder auswertung (Methodentriangulation) in der Regel mit einer Kombination methodologischer Paradigmen (Theorietriangulation) einhergeht (vgl. Flick 2003, 161f.). In der empirischen Untersuchung der vorliegenden Studie wird das durch die Triangulation eröffnete „kaleidoskopartige Bild“ (Köckeis-Stangl 1982) weiblicher Körperlichkeit im Kontext von Migration mittels einer Kombination sprachlichreflexiver und performativer, gestisch-mimischer Körperinszenierungen hergestellt. Mithilfe von Verschriftlichung sowie der Fotografien entstehen soziale Artefakte in Form von Text und Bild, die sich durch ihre Darstellungsweise von Körperinszenierungen unterscheiden.

4.2 T EXT UND B ILD ALS F ORSCHUNGSMATERIAL Q UALITATIVEN S OZIALFORSCHUNG

IN DER

In Rahmen der von Richard Rorty (1967) vorgeschlagenen Gliederung wissenschaftlicher Entwicklungen anhand von Wendungen (turns), gilt der linguistic turn als eine der umfassendsten und einflussreichsten Wendungen in den Kultur- und Sozialwissenschaften (vgl. Rorty 1992). Der Ausdruck beschreibt eine im 20. Jahrhundert entstandene umfassende Ausrichtung von einer vormals medienneutralen Bewusstseinstheorie auf das Medium der Sprache und ihrer Logik (vgl. Voßkamp/Weingart 2005, 7). Die Aufmerksamkeit für Sprache und ihre Struktur bildete

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sich auch in der Qualitativen Sozialforschung ab, da linguistische Konzepte die Entwicklung weiter Teile qualitativer Forschungsmethoden beeinflussten. Im Zuge der grundlegenden Vorstellung von Kultur als Text wurden sprachanalytische Analyseinstrumente auf jedwedes Material übertragen. So fand die Vorstellung von „Welt als Text“ (Garz/Kraimer 1994) etwa insbesondere durch den Ethnografen Clifford Geertz Verbreitung. In der deutschsprachigen Diskussion wurde diese Idee durch die Vertreter der Objektiven Hermeneutik aufgegriffen, die die Welt als geordnete Verweisungszusammenhänge zu verstehen suchen. Dabei sind „alle in den Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften relevanten Daten als Text anzusehen, die Bedeutungen bzw. Sinnstrukturen konstituieren“ (Leber/Oevermann 1994, 384). Die Grundannahme der Objektiven Hermeneutik, alles als Text anzusehen was Bedeutung hat, wird wiederum mit der Annahme begründet, dass letztlich alle Bedeutungsfunktionen sprachlich konstituiert seien (ebd., 385). Die sich im Zeichen des linguistic turn vollziehende unaufhörliche Verfeinerung und Ausdifferenzierung des qualitativen Paradigmas begünstigte dabei eine sich in den letzten 25 Jahren herausgebildete „Textfixierung“ (vgl. Bohnsack 2007, 32) qualitativer Methoden. Gemeint ist damit, dass im Grunde nur Material in Textform einen Gültigkeitsanspruch besitzt. Es wird deutlich, „dass soziale Wirklichkeit, wenn sie wissenschaftliche Relevanz gewinnen will, in Form von Beobachtungssätzen oder „Protokollsätzen“, also in Form von Texten vorliegen muss. […] Jegliche Beobachtung, die wissenschaftlich relevant werden soll, muss also durch das Nadelöhr des Textes hindurch“ (Bohnsack 2007, 22).

Durch die Fokussierung auf Sprache erhielt die damit einhergehende lineare Darstellungslogik großen Einfluss auf die der Qualitativen Sozialforschung zuzurechnenden Analyseverfahren. Insbesondere zeigt sich diese Entwicklung an der sequenziellen Struktur von an Sprache und Text ausgerichteten Ansätzen, bei denen der Text Sequenz für Sequenz in seinem sprachlich geäußerten Aufbau durchgearbeitet wird. Als prominenteste Beispiele sind die strukturnarrativen Analyseverfahren biografisch-narrativer Interviews, die Objektive Hermeneutik sowie die ethnomethodologische Konversationsanalyse zu nennen. Als eine der „heiligsten Regeln“ (Nassehi/Saake 2002, 78) dieser in der Qualitativen Sozialforschung einflussreichen Ansätze werden Textteile als niedergeschriebene ,natürliche‘ oder im Rahmen einer Datengewinnung entstandene Gesprächseinheiten entsprechend der Gestalt des Textes in ihrer zeitlichen Abfolge interpretiert. Forschung als Symbolanalyse bezieht sich demnach in erster Linie auf symbolische Bedeutungen im Feld der Sprache. Nichtsprachliche Symbolsysteme treten auf diese Weise hinter das Medium Text zurück, da dieses meist als bedeutender für die kulturelle Paradigmatik

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und für das kulturelle Gedächtnis von (westlichen) Gesellschaften angesehen wurde und wird (vgl. Raab 2008, 13ff.). Die in den letzten Jahren zu verzeichnende Hinwendung zu performativen, nichtsprachlichen Phänomenen sozialer Wirklichkeit in den Sozialwissenschaften (vgl. Kapitel 2.5) hat jedoch zu Diskussionen darüber geführt, mit welchen empirischen Zugängen sich Themen des nichtsprachlichen Ausdrucks wie beispielsweise Ritual, Körper, Raum oder nonverbale Interaktion erfassen lassen (vgl. Friebertshäuser/von Felden/Schäffer 2007, 7). Im Rahmen dieser Überlegungen wird auch die durch den linguistic turn begünstigte weitgehende „Bildabstinenz“ (vgl. Niesyto/Marotzki 2006, 7) in der Qualitativen Sozialforschung zunehmend in Frage gestellt. Denn mit den in unterschiedlichen Disziplinen vorgenommenen Diagnosen eines „imagic turn“ (Fellmann 1991, 26), „pictorial turn“ (Mitchell 1992, 89) oder „iconic turn“ (Boehm 1994, 13) 1 geht die Kritk an einer (alleinigen) Erklärung der Welt durch sprachliche Prozesse einher. Hinter der Postulierung einer solch tiefgreifenden und die Dominanz von Sprache in Frage stellenden wissenschaftlichen Wende verbergen sich unterschiedlichste (nationale beziehungsweise sprachraumspezifische) Ansätze, vornehmlich aus den Disziplinen beziehungsweise Forschungsbereichen der Kunst- und Bildwissenschaft, den Kultur- und Sozialwissenschaften, der Anthropologie, der Ethnografie und der Philosophie. Der in diesen unterschiedlichen Zusammenhängen verwendete Bildbegriff ist dabei als durchaus diverse Denkfigur zu verstehen. Im deutschen Sprachraum beziehen sich die Diskussionen dieser visuellen Wende seit den 1970er Jahren im Schwerpunkt auf die Kunstwissenschaft: Bestrebungen der Etablierung einer Bildwissenschaft (SachsHombach 2002) oder auch einer Bildanthropologie (Belting 2002) sind dafür Beispiele. Im internationalen Vergleich sind jedoch die von den angloamerikanischen Ländern ausgehenden Ansätze, welche sich unter dem Begriff der Visual (Cultural) Studies subsumieren lassen, weitaus einflussreicher. Den Cultural Studies zugeord-

1

Hinter diesen oftmals in Aufzählung verwendeten Bezeichnungen verbergen sich dezidiert voneinander abgegrenzte Positionen. Versucht Mitchell Ikonologie mit Ideologiekritik zu verbinden und so die Verbindung von Bildern und ihrer Wahrnehmung und den sozialen Bedingungen in ihrer gegenseitigen Bezugnahme zu erfassen, bezieht sich Boehm auf einen engeren und exklusiveren Bildbegriff, welcher sich weniger mit der bildlichen Eingebundenheit in soziokulturelle Strukturen, sondern mit grundlegenden anthropologischen Fragen bildphilosophischer Art beschäftigt. Auffällig ist dabei insbesondere der andere Umgang mit bildlichem Kontextwissen, welches bei Mitchell quasi den Kern der Bildanalyse ausmacht, wohingegen bei Boehm eher von einer Dekontextualisierung bildlichen Ausdrucks gesprochen werden kann (vgl. auch Schnettler/Pötzsch 2007, 474f.). Fellmann betont demgegenüber die magische, nicht unweigerlich sprachlich zu erfassende Dimension von Bildern.

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net, legen diese stärker kultur- als kunstwissenschaftlich ausgerichteten Ansätze in ihrer Vielfalt einen Schwerpunkt auf die Untersuchung visuell manifestierter Ideologien und Machtverhältnisse (vgl. Raab 2008, 102, zur Übersicht vgl. Smith 2008; Evans/Hall 2010; Mirzoeff 2002). Für diese Studie und in Bezug auf die Frage nach der Verwendung von visuellem Material in der Qualitativen Sozialforschung wird davon ausgegangen, dass Bilder einen allgemeinen, nicht auf Ähnlichkeit beruhenden repräsentationalen Charakter haben: „Bilder stehen für etwas und können potentiell etwas vermitteln und bewirken“ (Steinbrenner/Winko 1997, 19ff.). Bezieht man sich auf den Bildbegriff im engeren Sinne in Form materieller Bilder2, so lassen sich diese nach Klaus SachsHombach in einer ersten Annäherung als „flächige und zumeist klar begrenzte physische Objekte charakterisieren, die in der Regel innerhalb eines kommunikativen Aktes zur anschaulichen Darstellung realer, fiktiver oder abstrakter Gegenstände bzw. Sachverhalte dienen“ (Sachs-Hombach 2003, o.S.).3 Zentrales Merkmal – gerade auch gegenüber der Sprache und dem Text – ist ihre nicht-lineare Zweidimensionalität, in der Bilder ihre Informationen simultan, ,mit einem Mal‘ präsentieren.4 Dabei geben Bilder nicht nur Sichtbares beziehungsweise bereits Bekanntes wieder,

2

Weiterhin findet der Bildbegriff oftmals im Zusammenhang mit mentalen ,inneren‘ Bildern, Sprachbildern in Form von Metaphern oder auch ethischen Bildern wie in der Vorstellungen eines bestimmten Menschenbildes Verwendung.

3

In der philosophischen Bilddiskussion sind dafür insbesondere zwei oftmals gegenübergestellte Positionen bedeutsam. Der semiotische Bildbegriff betont die Gemeinsamkeiten zwischen bildhaften und sprachlichen Zeichen und benennt Unterschiede auf syntaktischer Ebene (vgl. zum Beispiel Blanke 1998). Der wahrnehmungstheoretische Bildbegriff verknüpft den Bildstatus mit der Bildwahrnehmung und betont die materiallen Besonderheiten bildlicher Darstellungen (vgl. Boehm 1994, Wiesing 2007). Durch die Definition von Bildern als „wahrnehmungsnahen Zeichen“ fordert Sachs-Hombach zu einer Verbindung beider Strömungen auf (2003, o.S.).

4

Durchaus bestehen Überlegungen, auf welche Weise Bilder sich sequenziert erschließen lassen. Die Rekonstruktion der (chronologischen) Aufschichtung eines Bildes wird dabei oftmals über die durch das Bild hervorgerufenen Sehbewegungen ermöglicht (vgl. dazu den Übersichtartikel von Peez 2004, zur Arbeit mit „ikonischen Pfaden“ zur Rekonstruktion der „inneren Zeitlichkeit“ des Bildes auf Grundlage der Objektiven Hermeneutik siehe Loer 1994; Ritter 2003). Bernhard Haupert macht den Vorschlag, ein Bild wie einen Text von oben nach unten, von rechts nach links zu lesen (Haupert 1994). Roswitha Breckner unterteilt Fotografien in einzelne Segmente. Die Reihenfolge der Betrachtung der Segmente ergibt sich durch die im ersten Bildeindruck festgehaltene Aufmerksamkeitsrichtung und die formale Bildbeschreibung (vgl. Breckner 2010, 66).

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sondern machen erst erfahrbar, was ohne sie nicht bestehen würde. Denn auch bei den Bildern, die gerade den Zweck haben etwas wiederzugeben, entsteht keine neutrale Kopie, sondern eine symbolische Repräsentation des Abgebildeten (vgl. Raab 2008, 46). Unter dem Einfluss der sich ausweitenden geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Bild und Visualität, nahm auch in der Erziehungswissenschaft das Interesse an materiellen Bildern als Datenmaterial für die Bearbeitung fachspezifischer Fragestellungen zu. Die in der Erziehungswissenschaft durchaus bestehende Tradition der Verwendung von Bildern, etwa in didaktischen Zusammenhängen aber auch als historische Quellen, sollte dabei nicht in Vergessenheit geraten (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, 114). Allerdings haben sich die gegenwärtigen methodologisch-methodischen Diskussionen über die Bildanalyse weniger aus dieser Tradition heraus entwickelt, sondern sind eher Teil des allgemein zunehmenden Interesses an Visualität und Bildlichkeit in den Sozial- und Kulturwissenschaften. In der Erziehungswissenschaft werden neben (historischen) Kunstwerken (vgl. Mollenhauer 2003) und Kinderzeichnungen (vgl. Kuhn 2003; Neuß 2005) als visuelle Quellen vornehmlich Fotografien und Videoaufzeichnungen in Forschungsstudien miteinbezogen. Es finden sich medienpädagogische Projekte mit Jugendlichen, die ihren Alltag mit der Video- und Fotokamera darstellen (vgl. etwa Holzwarth 2006), videobasierte Unterrichts- und Kursforschung (vgl. zum Beispiel Wagner-Willi 2004; Nolda 2007), Analysen historischer Fotografien aus Erziehungsheimen im Nationalsozialismus (vgl. Schmidtke 2007) sowie Arbeiten zu Blickbeziehungen in Generationenverhältnissen (vgl. Pilarczyk 2003) – um eine Auswahl zu nennen. Dabei weist die Arbeit mit Fotografien noch einmal einige Besonderheiten auf, auf die im Folgenden eingegangen wird. Die Fotografie lässt sich als Bild im engeren Sinne dem materiellen Bildbegriff zuordnen (vgl. Steinbrenner/Winko 1997). Zentrale Themen der mittlerweile 150jährigen Geschichte der Fotografie bilden Überlegungen zu ihrer ästhetischen Dimension und die sich daran anschließende Frage nach Fotografie als Kunstform. Weitere Schwerpunkte bestehen in der Auseinandersetzung über das Verhältnis von Fotografie und Realität und somit der Diskussion über ihren dokumentarischen Gehalt (vgl. Solomon-Godeau 2003; Hall 2003; Dörfler 2000; Schmitt 2000). Die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert im Zuge der technischen Weiterentwicklung stetig zunehmende Produktion und Rezeption von privaten Fotografien führte dazu, dass das Fotografieren ab den 1960er Jahren zu einem Massenphänomen wurde, das – vorangetrieben durch die Digitalisierung der Fotografie – heute zu einer alltäglichen Beschäftigung geworden ist. Die Amateurfotografie als sozialwissenschaftlicher Zugang und Gegenstand wurde 1965 erstmals durch Pierre Bourdieu u.a. genutzt. In einer von der amerikanischen Firma Kodak finanzierten Studie ana-

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lysierten die Autoren alltagsfotografische Praxis und Produkte. Durch die Studie konnte gezeigt werden, dass sich in der Produktion wie auch in der Rezeption von Fotografien in Form spezifischer Sehkonventionen habituell verankerte soziale Regelbezüge vollziehen: „Die Normen, welche die photographische Aneignung der Welt entsprechend dem Gegensatz zwischen Photographierbarem und Nicht-Photographierbarem organisieren, sind untrennbar mit dem System impliziter Werte verknüpft, die einer Klasse, einer Berufsgruppe oder einer Künstlervereinigung eigentümlich sind“ (Bourdieu 1981, 18).5

In diesem Sinne eröffnen Fotografien als soziale Artefakte ihr Potenzial für die erziehungswissenschaftliche Forschung und bilden zusammen mit der Film- und Videoanalyse mittlerweile die zentrale Form der Verwendung visuellen Datenmaterials. Dabei wird davon ausgegangen, dass durch Fotografien andere Informationen erfasst werden können als durch Sprache und Text: „Wenn Fotos für die empirische Erziehungswissenschaft nutzbar gemacht werden können, setzt das voraus, daß das zu Erforschende nicht in unsichtbaren Strukturen besteht, sondern sich in konkreten Handlungen, Dingen und deren Arrangements ablesen läßt, und daß sich die fotografischen Abbildungen grundsätzlich als Inszenierung von sozialen Prozessen verstehen und symbolisch interpretieren lassen“ (Fuhs 2003, 267).

Finden Fotografien in der Qualitativen Sozialforschung als eigenständiges Material Berücksichtigung, so stellen sie eine Form sozialer Wirklichkeit dar. Fotografien werden in diesem Zusammenhang daher in der Regel nicht als Dokumentationen im klassischen Sinne verstanden, auch wenn sie in ihrer konkreten Singularität (vgl. Michel 2004, 69) auch über eine abbildende Dimension verfügen können.6 Diese

5

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Fotografie als „illegitime Kunst“ (1965) nicht zu den erhabenen, an Kapital gebundenen Kulturpraktiken zu zählen sei, da sie weder Schulung noch Bildung voraussetze und somit in einem deutlichen Gegensatz zu Musik, Literatur, Theater und Malerei stehe.

6

Diese Tatsache führt bei der Abbildung von Personen zu einer forschungspraktischen Herausforderung, da anders als bei Texten die Anonymisierung besondere Schwierigkeiten birgt. So gehört die Anonymisierung von Forschungsmaterial zu einem der ethischen Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens. Für Fotos bedeutet dies jedoch, dass entweder das ganze Gesicht oder mindestens die Augenpartie unkenntlich gemacht werden muss. Dieser Vorgang führt dazu, dass wichtige Informationen des Fotos, wie der Gesichtsausdruck oder die Blickrichtung, verloren gehen, und so die ebenfalls bedeutsame Nachvollziehbarkeit der Interpretationsprozesse weniger gut zu gewährleisten ist.

K ÖRPER ALS F ORSCHUNGSGEGENSTAND IN DER Q UALITATIVEN S OZIALFORSCHUNG

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(kritische) Realitätsreferenz bei Fotografien legt den Schluss nahe, dass bei ihrer Analyse nicht allein auf kunstwissenschaftliche Analyseinstrumente zurückgegriffen werden sollte (vgl. Schmidtke 2007, 130). Zufälligkeit – gerade bei Laienfotografien – , ein starker Gegenstandsbezug sowie der Einfluss massenmedial geprägter Bildkonventionen sind daher bei der Arbeit mit Fotografien – und im Vergleich zu Gemälden oder Zeichnungen – zu berücksichtigen (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, 64ff.). In der Annahme, durch die Gewinnung von sprachlichen und gestischmimischen Körperinszenierungen die Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu erweitern, wird von einer grundlegenden Differenz zwischen Text und Bild ausgegangen. Als gemeinsame Grundlage für eine systematische Bezugnahme der Text- und Bildanalyse aufeinander wird in der vorliegenden Studie davon ausgegangen, dass sich Körperlichkeit immer auch auf einer symbolischen Ebene und somit über den Einzelfall hinaus zeigt.

4.3 E IN MIT

SYMBOLTHEORETISCHER UND B ILD

Z UGANG

FÜR DIE

A RBEIT

T EXT

Mit seiner „wohl unvergleichliche[n] Prominenz in der europäischen Denkgeschichte“ (Bilstein 2003, 36) geht der Begriff „Symbol“ auf das griechische Verb sym-ballein zurück. Wortgeschichtlich setzt sich der Begriff aus den Wörtern „Zusammenführen“ (sym) und „Werfen“ (ballein) zusammen und wird als Zusammenwerfen, Zusammenfügen, Zusammenbringen übersetzt (ebd.). Der Symbolbegriff wurde ursprünglich als Bezeichnung komplementärer Teile eines zuvor Ganzen angesehen.7 Mittlerweile wird der Begriff in vielfältiger wie widersprüchlicher Weise genutzt, was zu einer kaum zu überschauenden Fülle an Interpretationen und definitorischen Versuchen, inklusive der (Nicht-)Abgrenzungen des Symbols von anderen Konzepten wie beispielsweise dem Zeichen 8 , in verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen führte (vgl. eine collagenartige Übersicht über Definitionen des Symbolischen bei Hülst 1999; zur historischen Entwicklung vgl. Berndt/Brecht 2005).

7

Im Vorfeld einer räumlichen Trennung zweiter Personen wurden beispielsweise die beiden Hälfen eines Rings zu Symbolen, die während der Trennung von beiden Personen verwahrt und bei einem Wiedersehen zusammengefügt wurden.

8

Deutlich wird die definitorische Vielfalt anhand der unabhängig voneinander entwickelten Ansätze Charles S. Pierce und Ferdinand de Saussures. Wurden die Begriffe „Symbol“ und „Zeichen“ bei Pierce synonym verwendet (Symbol als eine Form des Zeichens), geht Saussure von einer Differenz zwischen Symbol und konventionellem Zeichen aus.

K ÖRPER ALS F ORSCHUNGSGEGENSTAND IN DER Q UALITATIVEN S OZIALFORSCHUNG

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(kritische) Realitätsreferenz bei Fotografien legt den Schluss nahe, dass bei ihrer Analyse nicht allein auf kunstwissenschaftliche Analyseinstrumente zurückgegriffen werden sollte (vgl. Schmidtke 2007, 130). Zufälligkeit – gerade bei Laienfotografien – , ein starker Gegenstandsbezug sowie der Einfluss massenmedial geprägter Bildkonventionen sind daher bei der Arbeit mit Fotografien – und im Vergleich zu Gemälden oder Zeichnungen – zu berücksichtigen (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, 64ff.). In der Annahme, durch die Gewinnung von sprachlichen und gestischmimischen Körperinszenierungen die Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu erweitern, wird von einer grundlegenden Differenz zwischen Text und Bild ausgegangen. Als gemeinsame Grundlage für eine systematische Bezugnahme der Text- und Bildanalyse aufeinander wird in der vorliegenden Studie davon ausgegangen, dass sich Körperlichkeit immer auch auf einer symbolischen Ebene und somit über den Einzelfall hinaus zeigt.

4.3 E IN MIT

SYMBOLTHEORETISCHER UND B ILD

Z UGANG

FÜR DIE

A RBEIT

T EXT

Mit seiner „wohl unvergleichliche[n] Prominenz in der europäischen Denkgeschichte“ (Bilstein 2003, 36) geht der Begriff „Symbol“ auf das griechische Verb sym-ballein zurück. Wortgeschichtlich setzt sich der Begriff aus den Wörtern „Zusammenführen“ (sym) und „Werfen“ (ballein) zusammen und wird als Zusammenwerfen, Zusammenfügen, Zusammenbringen übersetzt (ebd.). Der Symbolbegriff wurde ursprünglich als Bezeichnung komplementärer Teile eines zuvor Ganzen angesehen.7 Mittlerweile wird der Begriff in vielfältiger wie widersprüchlicher Weise genutzt, was zu einer kaum zu überschauenden Fülle an Interpretationen und definitorischen Versuchen, inklusive der (Nicht-)Abgrenzungen des Symbols von anderen Konzepten wie beispielsweise dem Zeichen 8 , in verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen führte (vgl. eine collagenartige Übersicht über Definitionen des Symbolischen bei Hülst 1999; zur historischen Entwicklung vgl. Berndt/Brecht 2005).

7

Im Vorfeld einer räumlichen Trennung zweiter Personen wurden beispielsweise die beiden Hälfen eines Rings zu Symbolen, die während der Trennung von beiden Personen verwahrt und bei einem Wiedersehen zusammengefügt wurden.

8

Deutlich wird die definitorische Vielfalt anhand der unabhängig voneinander entwickelten Ansätze Charles S. Pierce und Ferdinand de Saussures. Wurden die Begriffe „Symbol“ und „Zeichen“ bei Pierce synonym verwendet (Symbol als eine Form des Zeichens), geht Saussure von einer Differenz zwischen Symbol und konventionellem Zeichen aus.

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An dieser Stelle werden daher nur ausgewählte, für die Triangulation von Text und Bild relevant erscheinende Aspekte zum Symbolischen herausgegriffen. Einer definitorischen Eingrenzung Göran Hermeréns folgend, dient ein Symbol dazu, den Betrachter an etwas anderes denken zu lassen als an das Abgebildete. Dafür muss der Betrachter die Symbole (er)kennen, damit er sie als solche verstehen kann (vgl. Hermerén 1969, 78 zit. n. van Straten 1997, 57). Was nun ein Symbol ist, beziehungsweise als ein solches verstanden wird, ist demnach abhängig von dem Kontext, d.h. in erster Linie von der betrachtenden Person, aber auch von der Umgebung, in der ein Symbol erscheint. Vielseitig und zugleich vielfach universell verfügen Symbole als zentrales Merkmal menschlichen Daseins daher über keine unumstößliche semantische Eindeutigkeit und beruhen nicht unweigerlich auf Ähnlichkeit (vgl. Neuß, 2001, 138). Bedeutsam für einen solch weit gefassten Symbolbegriff sind die Arbeiten des Philosophen Ernst Cassirer: „Kennzeichnend für das menschliche Symbol ist nicht seine Einförmigkeit, sondern seine Vielseitigkeit und Wandelbarkeit. Es ist nicht starr und unbeweglich, sondern beweglich“ (vgl. Cassirer 1944/1990, 65). Von diesem Symbolverständnis grenzt Cassirer das Zeichen im logischen oder semiotischen Sinne ab, denn „[e]in Zeichen oder Signal ist mit dem Ding auf das es sich bezieht, fest und eindeutig verbunden. Jedes einzelne konkrete Zeichen verweist auf ein bestimmtes, einzelnes Ding“ (ebd., 64). Grundlage für diese Unterscheidung bildet bei Cassirer der Vergleich mit tierischem Verhalten, das – verdeutlicht an den pawlowschen Hundeexperimenten – durchaus Elemente komplexer Zeichen- und Signalsysteme beinhaltet. Dabei handelt es sich nach Cassirer jedoch um die Verwendung von Signalen, die als Teil der „physikalischen Seinswelt“ (ebd., 58) einen physikalischen oder substanziellen Gehalt (ein Klingelton) aufweisen, wohingegen Symbole als Teil der menschlichen Bedeutungswelt einen Funktionswert haben. Diese Funktionswerte menschlicher Symbolisierungsfähigkeit werden in ihrer Variabilität zwischen Produktion und Reproduktion sozialer Bedeutungen ausgehandelt. Auffällig sind bei der Beschäftigung mit Cassirers Symbolbegriff die Ähnlichkeiten zu George H. Meads9 Annahme einer auf Grundlage menschlicher Bewusstseinsfähigkeit möglichen interaktionalen Aushandlung symbolischer Bedeutung (vgl. Kapitel 2.2). Legt Cassirer den Schwerpunkt jedoch tendenziell eher auf die Möglichkeiten der Neu- und Umdefinition von Bedeutungen, betont Mead demgegenüber stärker ihre soziale Determiniertheit und somit den reproduktiven Charakter sozialer Aushandlungen. Für diese Studie wird daher von einer ,relativen Freiheit‘ symbolischer Aushandlungen ausgegangen, um die Möglichkeiten des Bedeu-

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Trotz Ähnlichkeiten in ihren Aussagen beziehen sich Ernst Cassirer und der zehn Jahre ältere George H. Mead nicht aufeinander.

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tungswandels im Rahmen bestehender sozialer und somit kultureller Symbolsysteme zu verdeutlichen. Die mit der (Re-)Produktion einhergehende „Unruhe des Symbolischen selber, seine chronische ,Unerfülltheit‘“ (Mersch 2005, 37) zeigt sich nach Dieter Mersch in drei miteinander verbundenen Paradoxien des Symbolischen: Das Paradox der Referenz verweist auf die durch Symbole mögliche Vergegenwärtigung von etwas Nichtgegenwärtigem. Symbole werden verwendet, um etwas darzustellen, was sie nicht sind, aber „sie vermögen das ,Nicht‘ nicht mitzubezeichnen“ (ebd.). Zentral dafür ist die Materialität im Akt der Verkörperung des Symbolischen. Das Symbol zeigt sich demnach in einer eigentümlichen Balance oder „Unauslotbarkeit“ zwischen Materialität und Bedeutung und verweist auf die „Untilgbarkeit der Körper und ihrer Materialitäten“ (Paradox der Materialität). Bedeutung und Materialität vereinen sich auf instabile Weise im Ereignis der Setzung von Materialität als Grundlage für symbolische Bedeutung. Das Paradox der Performanz knüpft an den Aspekt der Verkörperungen des Symbolischen als „Zum-Erscheinen-Bringen“ an. Das Ereignis der Setzung einer Materialität als Akt der Performanz vollzieht sich dabei jedoch in paradoxer Weise in der letztlichen „Undarstellbarkeit des Ereignisses“ (vgl. Mersch 2005, 37, 48ff.). In den drei benannten Paradoxien des Symbolischen zeigt sich eine ab dem 19 Jh. zu erkennende Verschiebung des Fokus von der Bedeutung auf den Bedeutungskontext des Symbolischen, der die „ontologische Fundierung des Repräsentationsparadigmas durchbricht“ (Berndt 2005, 12, 21). Die Ent-Essentialisierung des Symbolbegriffs geht mit einer Berücksichtigung von Darstellung beziehungsweise Theatralität und somit mit der Betonung symbolischer Performativität einher (vgl. ebd.). Eine für diese Forschungsstudie interessante Möglichkeit der Systematisierung des Symbolbegriffs bietet die amerikanische Philosophin und Cassirer-Schülerin Susanne K. Langer (1895-1985). Ausgehend von der Annahme einer Symbolisierungsfähigkeit als anthropologische Konstante und Vorrausetzung geistiger Tätigkeit, unterscheidet sie zwischen „diskursivem Symbolismus“ und „präsentativem Symbolismus“ (Langer 1965). Beispiele für die erstgenannte Form bilden Sprache, Schrift und Text, wohingegen sich die präsentative Symbolisierungsweise eher in Bildern, Kunstwerken, Träumen oder im Tanz zeigt. Durch diese Strukturierung wird keine Entwicklung, sondern die gleichwertige Existenz zweier unterschiedlicher symbolischer Modi angenommen, deren Unterscheidung selbst nicht an das Medium, sondern an die Form als eine „spezifische[n] Logik der Bedeutungsbildung“ geknüpft wird (Breckner 2010, 31). Oftmals treten diese Formen der Logik nicht in Reinform auf, sondern können eher als Schwerpunktsetzungen verstanden werden. Nach Langer ist „jegliche symbolische Form in Prozesse der körperleiblichen und emotionsgebundenen Wahrnehmung und Gestaltung eingebettet und

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zugleich Bestandteil der geistigen Welt“ (ebd., 32). Im Modus präsentativer Symbolisierung werden visuelle Formen (Linien, Farben, Proportionen usw.) in komplexer Weise kombiniert. Die Art der Kombination unterscheidet sich dabei von diskursiven Symbolisierungen durch die nicht vorhandene Linearität der Bestandteile des Visuellen (vgl. Langer 1965, 99). Können durch sprachliche Äußerungen Sachverhalte ausgedrückt werden, die als lineare, sukzessive Aneinanderreihung sinnhafter Bedeutungseinheiten zu einem größeren Sinngebilde bestehen, so zeichnen sich demgegenüber Träume, Kunstwerke und auch Bilder durch ihre integrale Simultanität aus. Bilder setzen sich zwar auch aus symbolischen Elementen als Bestandteilen des Gegenstandes zusammen, allerdings weisen diese Einzelelemente in der Logik präsentativer Symbolisierung keine unabhängigen Bedeutungen auf. Bilder lassen sich nicht in ihre Grundeinheiten aufbrechen, um das kleinste unabhängige Symbol in seiner kontextfreien Bedeutung zu identifizieren.10 „Die Photographie hat daher kein Vokabular“ und wenn es keine „Wörter der Bilder“ gibt, so kann es nach Langer auch kein „Wörterbuch der Bedeutungen von Linien, Schatten oder anderen Elementen bildnerischer Technik geben“ (ebd., 101). Scheint die Wahl der begrifflichen Unterscheidung zwischen ,diskursiv‘ und ,präsentativ‘ den von Langer beschriebenen Phänomenen aufgrund der Annahme, dass es auch visuelle Diskurse geben kann, nicht hinreichend gerecht zu werden, so sind ihre inhaltlichen Überlegungen für die vorliegende Studie ertragreich. Denn Langer erkennt zum einen die materiellen Eigenheiten der Bedeutungsgenerierung von sprachlichen und anderen Prozessen an, fundiert sie zum anderen jedoch in einer gemeinsamen symboltheoretischen Grundlage. In der mit dieser Perspektive einhergehenden Gleichzeitigkeit von Unterschieden und Gemeinsamkeiten entwickelt sich eine spannungsreiche Grundlage für die Arbeit mit Text und Bild als andersartigen aber gleichwertigen symbolisch aufgeladenen Artefakten. Für die Gewinnung und Auswertung von Interviews und fotografischen Selbstporträts wird somit von materialimmanenten Eigenarten ausgegangen, die das Potenzial für verschiedene – als gleichwertige und somit potenziell Erkenntnis erweiternde – Ergebnisse bergen. Hinsichtlich der grundlegenden und materialunabhängigen Frage nach der Entstehung und Entwicklung symbolischer Bedeutungen gibt der Symbolische Interaktionismus als eine zentrale Grundlage für Ansätze qualitativer Forschung wichtige Hinweise.

10 Auch wenn die Indexikalität von Sprache auf die Kontextabhängigkeit und somit auf den konkreten Zeichengebrauch und das Verhältnis zu anderen Begriffen verweist, werden Wörtern und ihren Buchstaben bestimmte Bedeutungen zugeschrieben (vgl. zu Indexikalität Kruse 2009, 2f.).

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4.4 D ER S YMBOLISCHE I NTERAKTIONISMUS . M ETHODOLOGISCHE G RUNDLAGE FÜR DIE A NALYSE VON T EXT UND B ILD Eine der zentralen methodologischen Grundlagen qualitativer Forschung bildet der Symbolische Interaktionismus. Diese wesentlich durch Vertreter des amerikanischen Pragmatismus11 wie William James, Charles S. Pierce, John Dewey und insbesondere George Herbert Mead beeinflusste soziologische und sozialpsychologische Perspektive wurde von Herbert Blumer zu einer Methodologie ausgearbeitet und unter der Bezeichnung des Symbolischen Interaktionismus12 kanonisiert (vgl. Denzin 2008, 136). Grundannahme dieses Denkansatzes ist, dass Menschen sich gegenüber Objekten auf der Grundlage der Bedeutungen verhalten, die diese Objekte für sie haben. Unter Objekten wird all das verstanden, was der Mensch in seiner Umwelt wahrnehmen kann. Dazu zählen Gegenstände, Menschen und ihre Handlungen, Institutionen und Situationen. Die symbolischen Bedeutungen von Objekten werden dabei aus der sozialen Interaktion mit anderen abgeleitet. Ihr Gebrauch erfolgt in einem Interpretationsprozess, d.h. die entwickelten Handlungsweisen werden aufeinander bezogen und angepasst. Menschliches Handeln ist demnach keinesfalls starr, sondern wird auf Grundlage der ausgehandelten symbolischen Bedeutungen aufrechterhalten beziehungsweise weiterentwickelt (vgl. Blumer 1998). Symbolischer Interaktionismus bezeichnet demnach ein „wechselseitiges, aufeinander bezogenes Verhalten von Personen und Gruppen unter Verwendung gemeinsamer Symbole, wobei eine Ausrichtung an den Erwartungen der Handlungspartner aneinander erfolgt“ (Lamnek 2005, 38). Insbesondere dem Denken George Herbert Meads kommt eine bedeutende Rolle bei der Grundlegung der Methodologie des Symbolischen Interaktionismus durch Blumer zu (vgl. einführend zu Mead Kapitel 2.2). In Blumers Programmatik des Symbolischen Interaktionismus wird die an Mead anknüpfende Kritik an Theorien deutlich, „die das Individuum als bloßen Spielball äußerer oder innerer Kräfte auffassen, und seine Gegenkonzeption, die das gemeinsame, aktiv problemlösende

11 Hans Joas beschreibt die innere Heterogenität des amerikanischen Pragmatismus als „ein Geflecht von Denkern und Forschern unterschiedlichen Gewichts, die aber über einen hinreichend großen Vorrat gemeinsamer Motive und Theoreme verfügen und so stark in wechselseitiger Beeinflussung sich entwickelten, dass wir sie als Schule bezeichnen können“ (Joas 1985, 13). 12 Auch wenn Blumer im Rahmen seiner Etikettierungsleistung den Begriff des Symbolischen an prominenter Stelle verwendet, bezeichnet Dirk Hülst die Bezugnahme des Symbolischen Interaktionismus als recht laxe Auslegung der Auseinandersetzung mit dem Symbolbegriff (vgl. Hülst 1999, 20).

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Handeln von Individuen mit einer sozial konstituierten Ich-Identität in den Mittelpunkt stellt“ (Joas 2000, S. 12). Durch seine programmatischen Ausarbeitungen trägt Blumer einerseits zur Verbreitung Meads Überlegungen bei. Andererseits erfährt Meads komplexes Denksystem im Zuge dessen aber auch Verkürzungen. Auffällig erscheint insbesondere, dass trotz der zentralen Stellung von Gesten bei Mead der Symbolische Interaktionismus als methodologische Grundlage qualitativer Forschung oftmals allein auf die Lautsprache bezogen wird (vgl. zum Beispiel Denzin 2008, 137; in kritischer Abgrenzung Joas 2000, 12; Holzwarth/Niesyto 2008). Unbestritten basiert Sprache, als komplexes, zugleich zeichenhaftes und symbolisches System auf der Verständigung über Bedeutungszuschreibungen. Allerdings lässt sich eine Verengung des Fokus von Interaktionshandlungen allein auf sprachliche Kommunikation auf diese Weise nicht rechtfertigen. Im Hinblick auf die Verwendung von Text- und Bildmaterial soll daher noch einmal explizit die Bedeutung nonverbaler – in diesem Fall visuell erfassbarer – Aspekte für das gemeinsame Aushandeln symbolischer Bedeutungen hervorgehoben werden. Eine Systematisierung erfährt diese Position anhand der von Heinz Reinders benannten methodischen Konsequenzen des Prinzips der Offenheit, der Prozesshaftigkeit und des kommunikativen Charakters einer dem Symbolischen Interaktionismus verpflichteten Forschung (vgl. Reinders 2005, 27; Lamnek, 2005). Anhand der Übertragung dieser drei Prinzipien auf visuelles Material soll die Hypothese konkretisiert werden, dass der Symbolische Interaktionismus die Grundlage für sprachlich gewonnenes und visuelles Material sein kann. Dem Prinzip der Offenheit entsprechend sollte visuelles Material wie Textmaterial nicht als wahr oder falsch, erwartbar oder unerwartbar sowie relevant oder irrelevant eingestuft werden (vgl. Reinders 2005, 28f.). „Diese Form der Offenheit hat nichts mit Willkürlichkeit oder unstrukturierter Vorgehensweise zu tun. Offenheit meint auch nicht, dass unvoreingenommen oder ahnungslos mit […] [der Gewinnung von Daten, H.T.] begonnen werden kann. Da jeder Mensch eigene Vorstellungen mit sich herum trägt, wie die Welt beschaffen ist, ist Unvoreingenommenheit nicht möglich. Es ist aber möglich, sich selbst die eigenen Vorannahmen bewusst zu machen“ (Reinders 2005, 39).

Wie bei der Analyse von Textmaterial, kann auch die Arbeit mit Bildmaterial das Verstehen sozialer Wirklichkeit zum Ziel haben. Grundlage bildet die mehr oder weniger gut nachvollziehbare und überzeugende Interpretation. Als Teil des Forschungsprozesses ist der oder die ForscherIn mit ihren jeweiligen (theoretischen) Annahmen als Teil des Forschungsprozesses anzusehen. Durchaus besteht in der Bewusstwerdung der eigenen Position die Möglichkeit einer ergebnisoffenen Her-

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angehensweise, die Raum für die Entwicklung von vorerst verschiedenen Interpretationspfaden gibt, welche sich im Verlauf zu Hypothesen verdichten. Die grundlegende Annahme der potenziellen Vieldeutigkeit und Prozesshaftigkeit symbolischer Bedeutungen trifft auf Bild und Text zu, auch wenn insbesondere Bilder aufgrund ihrer simultanen Struktur in ihrem Bedeutungspotenzial als offen und vieldeutig wahrgenommen werden (vgl. Bohnsack 2007, Wichert 2006, 36). Lässt sich das Prinzip der Offenheit durchaus auch auf die Arbeit mit Bildern anwenden, so erscheint das Prinzip der Prozesshaftigkeit auf den ersten Blick problematischer und kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen. Zum ersten können sprachliche und insbesondere biografisch strukturierte Darstellungen aufgrund ihres linear-retrospektiven Charakters Bedeutungsveränderungen einer sich wandelnden sozialen Realität aus gegenwärtiger Sicht der Befragten nachzeichnen (vgl. Reinders 2005, 30f.). Bei Bildern ist diese Form der Prozesshaftigkeit nicht gegeben. Bezieht man das Prinzip der Prozesshaftigkeit allerdings auf die soziale Wirklichkeit, so sind Bedeutungen – egal ob sprachlicher oder visueller Art – nicht unweigerlich als konstant und in ihrer Entwicklung als abgeschlossen anzusehen, sondern können sich vielmehr fortwährend weiterentwickeln. Zudem stellt sich die grundlegende Frage, ob Prozesse immer linear verlaufen müssen. Denn Wahrnehmungsprozesse können auch in anderer Weise strukturiert werden, sodass eher von einem Prozess des Nebeneinanders oder auch Wiederkehrenden zu sprechen ist. Bezogen auf die forschende Person bezieht sich Prozesshaftigkeit wiederum auf den zirkulären Prozess von Fragestellung, Datengewinnung und Datenauswertung (vgl. ebd., 38f.). Diese Verwobenheit relevanter Phasen im Forschungsprozess ist allerdings materialunabhängig und erhält oftmals erst in der Dokumentation ihre lineare Struktur. Wird des Weiteren davon ausgegangen, dass „Bedeutungszuschreibungen symbolisch via Kommunikation hergestellt werden, ist der adäquate Weg, diese nachzuvollziehen, jener der Kommunikation selbst“ (ebd., 32, Hervh., H.T.). Bilden nach Mead Gesten die Grundlage für Interaktion, erscheint die Fokussierung auf Lautsprache somit als eine Verengung. Denn wenn die erhobenen Informationen in dem Medium gewonnen werden sollen, in welchem sie sich in der sozialen Realität konstituieren, so erscheint die Verwendung von Bildmaterial für die Nachvollziehbarkeit menschlichen Zusammenlebens durch die Sozialforschung in Zeiten eines enormen medialen Bildangebots geradezu als ein Muss. Insbesondere im Hinblick auf Körperlichkeit tragen Bilder zentrale Bedeutungen, denn gerade in ihnen vollzieht sich die Artikulation und Verständigung nicht nur im Medium der Sprache, sondern insbesondere in visuell erfassbaren nichtsprachlichen Darstellungen. Findet symbolische Interaktion zunehmend in einer medial vermittelten visuellen sozialen Wirklichkeit statt, so dürfen die Sozialwissenschaften die zunehmende Bedeutung

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(audio)visueller Medien nicht übersehen. Soziale Wirklichkeit wird durch Sprache und Text und visuelle Medien und ihre Bilder mitgeformt (vgl. Raab 2008, 14). Es wird demnach davon ausgegangen, dass der Ansatz des Symbolischen Interaktionismus als gemeinsame Grundlage für die Forschung mit sprachbasiertem und visuellem Material geeignet ist. Daran anknüpfend werde ich im Folgenden näher auf die sich unter anderem auf den Symbolischen Interaktionismus beziehenden Ansatz der Grounded Theory eingehen und die für diese Studie leitenden methodologischen Implikationen vorstellen.

4.5 M ETHODOLOGISCHE I MPLIKATIONEN DER G ROUNDED T HEORY Grounded Theory bezeichnet einen von Barney Glaser und Anselm L. Strauss in den 1960er Jahren entwickelten Forschungsstil, der sich als eine Sammlung bestimmter methodologischer „Leitlinien und Faustregeln“ (vgl. Strauss 1998, 23) verstehen lässt: „Diese [Faustregeln, H. T] sollten als Verfahrenshilfen, die sich in unseren Forschungen als nützlich erwiesen haben, betrachtet werden. Studieren Sie die Faustregeln, wenden Sie sie an, aber modifizieren Sie sie entsprechend den Erfordernissen Ihrer Forschungsarbeit“ (ebd., 33). Zu den Leitlinien der Grounded Theory befragt, nannte Anselm Strauss in einem Interview mit Heiner Legewie und Barbara Schervier-Legewie (1994) neben dem grundsätzlich zirkulären Aufbau des Forschungsprozesses (Theoretical Sampling) die Art des Kodierens sowie den ständigen Vergleich zwischen den aufgefundenen Phänomenen und deren Kontexten mithilfe des Verfassens von theoretischen Notizen (Memos) (vgl. Legewie/Schervier-Legewie 2004). Ziel des hermeneutischen Verfahrens der Grounded Theory ist es, in einem Verstehensprozess eine Theorie zu formulieren, in welcher sich die Komplexität sozialer Wirklichkeit widerspiegelt. In Abgrenzung zu deskriptiven und auch zu hypothetiko-deduktiven Verfahren ist mit dieser Forschungshaltung der Anspruch einer in den Daten verankerten Theoriegewinnung verbunden (vgl. Strübing 2008a, 280). „Theorie soll so nicht als genialischer Wurf am Ende eines Forschungsprozesses, sondern inkrementell über die gesamte Dauer der Forschung erarbeitet werden“ (ebd., 287). Ausgangspunkt bildet ein Untersuchungsbereich, für den es in der Regel noch nicht möglich ist, differenzierte Hypothesen zu formulieren. Aus diesem Grund eignet sich die Grounded Theory in besonderer Weise für explorative Untersuchungen mit „eine eher „allgemein gehaltenen alltagsweltbezogenen empirischen Fragestellung“ (Breuer 2009, 51), die erst im Forschungsverlauf eine Konkretisierung erfährt (vgl. Strauss/Corbin 1996, 23ff.). Diese Offenheit gegenüber dem Forschungsfeld bedeutet dabei nicht, dass die Forscherin oder der Forscher keine Vorannah-

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(audio)visueller Medien nicht übersehen. Soziale Wirklichkeit wird durch Sprache und Text und visuelle Medien und ihre Bilder mitgeformt (vgl. Raab 2008, 14). Es wird demnach davon ausgegangen, dass der Ansatz des Symbolischen Interaktionismus als gemeinsame Grundlage für die Forschung mit sprachbasiertem und visuellem Material geeignet ist. Daran anknüpfend werde ich im Folgenden näher auf die sich unter anderem auf den Symbolischen Interaktionismus beziehenden Ansatz der Grounded Theory eingehen und die für diese Studie leitenden methodologischen Implikationen vorstellen.

4.5 M ETHODOLOGISCHE I MPLIKATIONEN DER G ROUNDED T HEORY Grounded Theory bezeichnet einen von Barney Glaser und Anselm L. Strauss in den 1960er Jahren entwickelten Forschungsstil, der sich als eine Sammlung bestimmter methodologischer „Leitlinien und Faustregeln“ (vgl. Strauss 1998, 23) verstehen lässt: „Diese [Faustregeln, H. T] sollten als Verfahrenshilfen, die sich in unseren Forschungen als nützlich erwiesen haben, betrachtet werden. Studieren Sie die Faustregeln, wenden Sie sie an, aber modifizieren Sie sie entsprechend den Erfordernissen Ihrer Forschungsarbeit“ (ebd., 33). Zu den Leitlinien der Grounded Theory befragt, nannte Anselm Strauss in einem Interview mit Heiner Legewie und Barbara Schervier-Legewie (1994) neben dem grundsätzlich zirkulären Aufbau des Forschungsprozesses (Theoretical Sampling) die Art des Kodierens sowie den ständigen Vergleich zwischen den aufgefundenen Phänomenen und deren Kontexten mithilfe des Verfassens von theoretischen Notizen (Memos) (vgl. Legewie/Schervier-Legewie 2004). Ziel des hermeneutischen Verfahrens der Grounded Theory ist es, in einem Verstehensprozess eine Theorie zu formulieren, in welcher sich die Komplexität sozialer Wirklichkeit widerspiegelt. In Abgrenzung zu deskriptiven und auch zu hypothetiko-deduktiven Verfahren ist mit dieser Forschungshaltung der Anspruch einer in den Daten verankerten Theoriegewinnung verbunden (vgl. Strübing 2008a, 280). „Theorie soll so nicht als genialischer Wurf am Ende eines Forschungsprozesses, sondern inkrementell über die gesamte Dauer der Forschung erarbeitet werden“ (ebd., 287). Ausgangspunkt bildet ein Untersuchungsbereich, für den es in der Regel noch nicht möglich ist, differenzierte Hypothesen zu formulieren. Aus diesem Grund eignet sich die Grounded Theory in besonderer Weise für explorative Untersuchungen mit „eine eher „allgemein gehaltenen alltagsweltbezogenen empirischen Fragestellung“ (Breuer 2009, 51), die erst im Forschungsverlauf eine Konkretisierung erfährt (vgl. Strauss/Corbin 1996, 23ff.). Diese Offenheit gegenüber dem Forschungsfeld bedeutet dabei nicht, dass die Forscherin oder der Forscher keine Vorannah-

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men mitbringen würde und soll – denn diese bilden gerade die Grundlage der Interpretationen. Vielmehr wird in einer „Balance zwischen Offenheit und Theoriegeladenheit“ (Strobl 2000, 3) eine „Aufmerksamkeitsrichtung“ (Kelle 1994, 326) gewählt, die nicht in Form deduktiver Hypothesen an das Material herangetragen wird, sondern in heuristischer Absicht zur theoretischen Sensibilität 13 beiträgt. Denn gerade durch Kontextwissen, also Fachwissen, Forschungserfahrung und persönliche Alltagserfahrungen (vgl. Strauss 1998, 36) „verfügt die Untersucherin über das Wissen über relevante gegenstandsbezogene Konzepte, zu berücksichtigende Bedingungen und Dimensionen des Untersuchungsmaterials, über potenziell wichtige Fragestellungen, eine präzise und differenzierte Beschreibungssprache, die Sensibilität für eventuell relevante Phänomene und die Kenntnis von zu vermeidenden Untersuchungsfehlern“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 325).

Durch die Kodierung des Materials wird bereits zu Beginn eine Theoretisierung der Analyse vorgenommen, die im Vergleich mit weiterem Forschungsmaterial zu Kategorien verdichtet wird. Aus dem komparativ entwickelten System von Kategorien werden eine beziehungsweise mehrere Schlüsselkategorie(n) entwickelt, die für möglichst viele Kategorien anschlussfähig sind und den Kern des theoretischen Modells darstellen (vgl. zum konkreten Auswertungsprozedere Kapitel 7). Über den gesamten Prozess werden mithilfe von sogenannten Memos14 theoretische Bezüge festgehalten und in das Modell eingearbeitet. Die damit einhergehende Theoretisierung bildet auch die Grundlage für die Entscheidung, welches Forschungsmaterial in die Analyse miteinbezogen werden soll. Bereits gewonnene Analyseergebnisse werden ständig mit neuem Material hinsichtlich Ähnlichkeit und Unterschieden verglichen. Durch dieses als Theoretical Sampling bezeichnete Vorgehen bei der Auswahl des Forschungsmaterials wird demnach nicht vorab festgelegt, welche Fälle (Personen, Situationen, Gruppen, Institutionen, Dokumente) bedeutsam sind; vielmehr erfolgt die Zusammensetzung der Daten in einem Hin und Her zwischen Datengewinnung und -auswertung. Grundlage für die Zusammenstellung von Fällen „als eigenständige[n] Untersuchungseinheiten“ (Strauss 1998, 12, aus dem

13 „Theoretische Sensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen“ (Strauss/Corbin 1996, 25), als „Art und Weise, über Daten in theoretischen Begriffen zu reflektieren“ (Strauss 1998, 36). 14 Memos können kleine Notizzettel sein, die an den Text geheftet werden beziehungsweise bei computergestütztem Kodieren in den gängigen Programmen als Funktion angewählt werden können.

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Vorwort von Bruno Hildenbrand) bildet die angenommene theoretische Relevanz der Fälle für die im Forschungsverlauf konkretisierte Fragestellung. Für das der vorliegenden Studie zugrundeliegende Forschungsinteresse an dem Verhältnis von Körperlichkeit und Migration werden die in der Interaktion mit mir in Interviews und durch fotografische Selbstporträts gewonnenen Daten einer Person als ein Fall definiert (vgl. zum Verständnis von ,Fall‘ in dieser Arbeit Kapitel 7). Nach der Analyse der ersten Fälle wird festgelegt, welche weiteren Fälle in die Analyse miteinbezogen werden sollen. Zum einen besteht dabei die Möglichkeit, die bisherigen Untersuchungsergebnisse zu verdichten (minimale Kontrastierung), da von einer Ähnlichkeit ausgegangen wird. Zum anderen können die Ergebnisse jedoch auch als Grundlage dienen, kontrastierende Fälle in die Untersuchung miteinzubeziehen (maximale Kontrastierung) (vgl. Kelle/Kluge 1999, 44ff.), um die theoretische Reichweite der Untersuchung auszuloten (vgl. Strübing 2008a, 286). Ob es sich letztendlich um eine inhaltlich, auf das Forschungsthema bezogene minimale oder maximale Kontrastierung handelt, kann allerdings vorab nur vermutet werden und zeigt sich erst in der Analyse der Daten. Beim Theoretical Sampling handelt es sich somit um die im Interpretationsverlauf bewusst vorgenommene Zusammenstellung einer Gruppe von Vergleichsfällen, die sich wie folgt beschreiben lässt: „bestimmte Eigenschaften eines sozialen Phänomens [in diesem Fall der sich darstellenden Person, H.T.] werden konstant gehalten, während andere nach bestimmten Kriterien systematisch variiert werden“ (Kelle 1994, 298). Entgegen einer positivistischen Objektivitätsvorstellung wird bei diesem Vorgehen somit die Annahme einer „objektiven Realität der Perspektiven“ (Strübing 2008a, 293) vertreten. Mit dem Ziel der Repräsentanz – nicht der Repräsentativität – der analysierten Daten soll die empirische Untersuchung der vorliegenden Studie in einem systematischen Verstehensprozess differenzierte Erkenntnisse zur körperlichen Dimension von Sozialität in der Migrationsgesellschaft eröffnen. Die „Daten als Repräsentanz einer Realität ,under construction‘“ (ebd.) eröffnen dabei den Blick für die Konstruktionen der Akteure im Feld und die der Forscherin: „So gesehen sind Daten kein ,Rohmaterial‘, mit dem die Forschung beginnt, sondern die Repräsentation einer dynamischen Beziehung zwischen Forschungsfrage, Feld und Forschern, die im Verlauf der analytischen Arbeit herausgebildet wird“ (ebd.). Durch die ineinander greifenden Phasen der Datengewinnung und Datenauswertung nehmen die hinzukommenden Daten über den gesamten Prozess Einfluss auf die Theoriegenerierung. Das Theoriekonzept bleibt demnach bis zu seiner theoretischen Sättigung15, als dem

15 Letztlich kann solch eine absolut klare und abschließende Aussage hinsichtlich des theoretischen Models jedoch kaum getroffen werden. Laut Franz Breuer besteht ein forschungslogisch nicht aufzuhebender, andauernder provisorischer Zustand der Falsifizierbarkeit, sodass vielmehr von einem mehr oder weniger hohen Grad an theoretischer Sät-

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Zeitpunkt, an dem neues Material keine weiteren Erkenntnisse mehr bringt, im Fluss und unterliegt Veränderungen. Seit ihrer Entwicklung wurden unter Berufung auf die Grounded Theory viele Ausdifferenzierungen und Weiterentwicklungen vorgenommen. Damit einhergehende zum Teil dogmatisch geführte Diskussionen über das eigentliche, ,wahre‘ Vorgehen der Grounded Theory blieben nicht aus und stehen nicht zuletzt im Zusammenhang mit den sich seit Ende der 1980er Jahre abzeichnenden Differenzierungen im Forschungsvorgehen der beiden Begründer selbst (vgl. Glaser 2004; Breuer 2009; Strübing 2007, 2008b; Mey/Mruck 2007). Dabei standen gerade die ersten Arbeiten von Glaser und Strauss aufgrund des Anscheins der Annahme eines theoriefreien Emergierens von Ergebnissen aus dem Datenmaterial wiederholt in der Kritik. Während sich Strauss von dieser – von Udo Kelle und Susann Kluge als „induktionistisches Selbstmissverständnis“ (Kelle/Kluge 2010, 18) bezeichneten – Haltung distanziert, lässt sich diese Tendenz in den Arbeiten von Glaser weiterhin finden. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Entwicklung von scheinbaren Ad-hoc Ergebnissen forschungspraktisch nicht umsetzbar ist und wohl eher als ein forschungspolitischer Abgrenzungsversuch von einer hypothetico-deduktiven Perspektive verstanden werden muss (ebd., 18ff.). Im Rahmen der fortwährenden Weiterentwicklung der Methodik der Grounded Theory wurde diese Annahme durch das Konzept der theoretischen Sensibilität von beiden Begründern aufgegriffen, da es die theoriebildende Gestaltung sozialer Wirklichkeit betont, welche im Interaktionsprozess zwischen forschender Person und Gegenstand vollzogen wird (vgl. Strauss 1998, 12, aus dem Vorwort von Bruno Hildenbrand).

4.6 Z UR E MPIRISCHEN U NTERSUCHUNG VON K ÖRPERLICHKEIT – VIERTER Z WISCHENSTAND Wird Körperlichkeit zum Gegenstand empirischer Forschung gemacht, so eröffnen sich spezifische Herausforderungen. Grundlage für die Entscheidung, eine Triangulation von sprachlichen und gestischen Körperinszenierungen vorzunehmen, bildet die Überzeugung, dass Bild und Text andere jeweils wichtige Forschungszugänge ermöglicht. Gegenwärtige Kulturdiagnosen, die eine radikale Wende hin zu Bildern liefern, ermöglichen somit nur eine unzureichende Analyse. Vielmehr wird davon

tigung zu sprechen ist. Ähnlich dem offenen Eintreten in den Forschungsprozess ist auch dessen Ende durch eine gewisse „epistemologische Offenheit“ (vgl. Breuer 2009, 110ff.) gekennzeichnet. Zudem spielen für den praktischen Forschungsverlauf wichtige Aspekte wie finanzielle und zeitliche Ressourcen eine bedeutsame Rolle.

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Zeitpunkt, an dem neues Material keine weiteren Erkenntnisse mehr bringt, im Fluss und unterliegt Veränderungen. Seit ihrer Entwicklung wurden unter Berufung auf die Grounded Theory viele Ausdifferenzierungen und Weiterentwicklungen vorgenommen. Damit einhergehende zum Teil dogmatisch geführte Diskussionen über das eigentliche, ,wahre‘ Vorgehen der Grounded Theory blieben nicht aus und stehen nicht zuletzt im Zusammenhang mit den sich seit Ende der 1980er Jahre abzeichnenden Differenzierungen im Forschungsvorgehen der beiden Begründer selbst (vgl. Glaser 2004; Breuer 2009; Strübing 2007, 2008b; Mey/Mruck 2007). Dabei standen gerade die ersten Arbeiten von Glaser und Strauss aufgrund des Anscheins der Annahme eines theoriefreien Emergierens von Ergebnissen aus dem Datenmaterial wiederholt in der Kritik. Während sich Strauss von dieser – von Udo Kelle und Susann Kluge als „induktionistisches Selbstmissverständnis“ (Kelle/Kluge 2010, 18) bezeichneten – Haltung distanziert, lässt sich diese Tendenz in den Arbeiten von Glaser weiterhin finden. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Entwicklung von scheinbaren Ad-hoc Ergebnissen forschungspraktisch nicht umsetzbar ist und wohl eher als ein forschungspolitischer Abgrenzungsversuch von einer hypothetico-deduktiven Perspektive verstanden werden muss (ebd., 18ff.). Im Rahmen der fortwährenden Weiterentwicklung der Methodik der Grounded Theory wurde diese Annahme durch das Konzept der theoretischen Sensibilität von beiden Begründern aufgegriffen, da es die theoriebildende Gestaltung sozialer Wirklichkeit betont, welche im Interaktionsprozess zwischen forschender Person und Gegenstand vollzogen wird (vgl. Strauss 1998, 12, aus dem Vorwort von Bruno Hildenbrand).

4.6 Z UR E MPIRISCHEN U NTERSUCHUNG VON K ÖRPERLICHKEIT – VIERTER Z WISCHENSTAND Wird Körperlichkeit zum Gegenstand empirischer Forschung gemacht, so eröffnen sich spezifische Herausforderungen. Grundlage für die Entscheidung, eine Triangulation von sprachlichen und gestischen Körperinszenierungen vorzunehmen, bildet die Überzeugung, dass Bild und Text andere jeweils wichtige Forschungszugänge ermöglicht. Gegenwärtige Kulturdiagnosen, die eine radikale Wende hin zu Bildern liefern, ermöglichen somit nur eine unzureichende Analyse. Vielmehr wird davon

tigung zu sprechen ist. Ähnlich dem offenen Eintreten in den Forschungsprozess ist auch dessen Ende durch eine gewisse „epistemologische Offenheit“ (vgl. Breuer 2009, 110ff.) gekennzeichnet. Zudem spielen für den praktischen Forschungsverlauf wichtige Aspekte wie finanzielle und zeitliche Ressourcen eine bedeutsame Rolle.

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ausgegangen, dass Bilder neben der Sprache (wieder) den ihrer alltäglichen Bedeutung entsprechenden Status erhalten. Auf diese Weise können Bilder eine andere, aber eben immer auch nur ihre Perspektive auf den Gegenstand eröffnen, sodass Körperlichkeit mithilfe von Fotografien im Vergleich zu Texten nicht auf ,bessere‘ Weise erforscht werden kann. Zudem gehen die Meinungen darüber auseinander, ob visuelles Material überhaupt einen adäquaten Zugang zu gestisch-mimischen Körperinszenierungen und somit auch körperlichen Handlungsvollzügen ermöglicht oder ob die Visualisierung des Körpers diesen Zugang gerade verdrängt. Dietmar Kamper schreibt, dass gerade in der Bildabstraktion von Körpern, die vordergründig als Emanzipation von den Zwängen des Zivilisationsprozesses betrachtet werden kann, die von Michel Foucault beschriebenen subtilen Unterdrückungsmechanismen des Körpers stattfinden. Denn Bilder haben gegenüber dem Körperlichen eine „genuin vernichtende Tendenz“ (Kamper 1999, 21), sodass Kamper die „Schnittstelle zwischen Bildern und Körpern als eine des Schmerzes“ (ebd., 24) definiert.16 Hinzu kommt, dass in der Auseinandersetzung mit visuellen Forschungszugängen immer wieder deutlich wird, dass die Herangehensweisen der Verständigung über oder durch das Bild in der qualitativen Forschung nicht getrennt werden, sondern stillschweigend davon ausgegangen wird, dass nur über das Bild gesprochen oder geschrieben werden kann. Die Verständigung durch das Bild wird in der Qualitativen Sozialforschung nicht oder nur selten berücksichtigt (vgl. Bohnsack 2007, 24).17 Die Auseinandersetzung mit Bildern zu Forschungszwecken findet demnach fast unweigerlich in sprachlichen Auseinandersetzungen über Bilder statt. Diese Tatsache beschreibt Gillian Rose als ein Paradoxon „which is that while it advocates the unique abilities of visual material to convey information or affect in ways

16 Eine ganz andere Position zum Verhältnis von Bild und Körper vertritt der Kunstwissenschaftler Horst Bredekamp, wenn er sagt, dass Bilder und Körper bis zu einem bestimmten Grad ein Verhältnis wechselseitiger Identität eingehen (Bredekamp 2010, 197), sodass nicht von eine Repräsentation, sondern von einer Substitution gesprochen werden sollte. 17 Ein Beispiel für den Versuch einer Verständigung ,durch das Bild‘ besteht in der Methode der Kameraethnografie. Dabei wird das entstandene Filmmaterial mithilfe kameratechnischer Möglichkeiten visuell analysiert. In der Kameraethnografie wird aus dem „dichten Beschreiben“ das „dichte Zeigen“, um Visuelles durch Visuelles zu erklären (Mohn 2007). Ein weiteres Beispiel der nonverbalen Auswertung und Darstellung von Ergebnissen bildet die Methode des Fotoessays, in dem die Fotografien des Forschers, der Forscherin in der Analyse unkommentiert räumlich zueinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Banks 2001, 145ff.; als Beispiel einer Interpretation durch kontrastive Bildanordnung vgl. Berger/Mohr 1975).

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that words find hard or impossible, those visual materials still need some written context to make their effects evident” (Rose 2001, 255). Trotz der berechtigten Einwände, die die Grenzen des eigenen empirischen Zugangs aufzeigen, erscheint es weiterhin ertragreich, Interviews zum Thema Körper mit fotografischen Selbstporträts zu kombinieren. Forscherinnen und Forscher befinden sich immer in dem Dilemma, zum Zwecke der Nachvollziehbarkeit auf ,geronnene Daten‘ wie Transkriptionen, Bilder, Beschreibungen usw. zurückgreifen zu müssen, um Erfahrenes einer systematischen Analyse zugängig zu machen. Das gewonnene oder vorgefundene Material in Form sozialer Artefakte sollte dabei als Ergebnis spezifischer sozialer Situationen unter Berücksichtigung des jeweiligen Entstehungs- und Verwendungskontextes analysiert werden. Grundsätzlich verdeutlicht die Verwendung von Bildern zu Forschungszwecken noch einmal in besonderer Weise die Vieldeutigkeit jedweden Forschungsmaterials und die lediglich aus der jeweiligen methodischen Perspektive heraus möglichen interpretativen Annäherungen an den Forschungsgegenstand. Bezogen auf das Thema Körperlichkeit kann es sich bei Text- und Bildmaterial nur um Annäherungen an ein dialektisches Phänomen handeln, dem empirische Forschung – genau wie die theoretische Reflexion – nie ganz habhaft werden kann.18 Doch nicht nur in Bezug auf den Forschungsgegenstand Körper ergeben sich besondere Herausforderungen, sondern auch in Bezug auf den durch das Forschungsinteresse bestehenden Fokus auf Migration. Kann die auf Sprache und Text basierende qualitative Forschung zu Migration in der Erziehungswissenschaft wie in den Sozialwissenschaften allgemein als ein etabliertes Feld angesehen werden, so lassen sich für systematische empirische Untersuchungen mit visuellem Material nur wenige Beispiele finden. Einen Überblick über die Bandbreite an möglichen Forschungsansätzen ermöglicht der umfangreiche Einführungsartikel Visualising Migration and Social Division: Insights From Social Sciences and the Visual Arts von Susan Ball und Chris Gilligan im gleichnamigen Themenheft des Forums Qualitative Sozialforschung von 2010 (vgl. Ball/Gilligan 2010). Nach aktueller Einschätzung von Ball und Gilligan ist eine visuelle Migrationsforschung erst im Entstehen begriffen; aufgrund der zunehmenden und vielfältigen Forschungsaktivitäten sei jedoch davon auszugehen, dass sich dieser Bereich rasch ausdifferenzieren werde. Als ein Beispiel für diesbezügliche Forschungsaktivitäten lassen sich die Arbeiten von Roswitha Breckner nennen, die sich im Rahmen der Entwicklung des Ansatzes der Segmentanalyse von Fotografien unter anderem mit dem Thema Migration auseinandersetzt. Breckner untersucht dabei die visuelle mediale Darstellung von

18 An dieser Stelle lässt sich die Frage anschließen, ob womöglich Kunstformen wie der Tanz oder die bildende Kunst adäquatere Zugänge zu der Thematik ermöglichen.

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Fremden im öffentlichen Bildraum (vgl. Breckner 2010, 2011). Zudem haben Winfried Marotzki und Host Niesyto in dem von ihnen herausgegebenen Buch Bildinterpretation und Bildverstehen. Methodische Ansätze aus sozialwissenschaftlicher, kunst- und medienpädagogischer Perspektive (2006) die Autorinnen und Autoren gebeten, ihr methodisches Vorgehen anhand von Fotografien von Kindern vorzunehmen, die aus einem medienpädagogischen Projekt mit Kindern mit Migrationshintergrund stammten. Auf diese Weise spielt das Thema Migration in den vorgestellten Analysen ein Rolle, wurde jedoch nicht in methodologischer oder methodischer Hinsicht reflektiert (Marotzkie/Niesyto 2006). Gesine Kulcke befasst sich mit Prozessen der Identitätsbildung bei älteren Migrantinnen, indem sie von den Frauen erstellte Fotografien ihrer Wohnungen mithilfe des Ansatzes von Alfred Holzbrecher analysiert (Kulcke 2009). Das Buch Visual Research Methods. Image, Society and Representation, herausgegeben von Gregory C. Stanczak (2007), enthält drei Beiträge in denen das Thema „Migration“ Berücksichtigung findet: Eine photo-elicitation Studie über Stadtkindheit, eine Fotostudie über EinwandererCommunities in den USA (Clark–Ibáñez 2007; Gold 2007) sowie eine VideoStudie über Mütter mit Migrationshintergrund in Italien (vgl. Hernandez-Albujar 2007). Als historisches Beispiel für eine visuelle Migrationsforschung ist demgegenüber die Arbeit A Seventh Man. A Book of Images and Words about the Experience of Migrant Workers in Europe (1975) von John Berger und Jean Mohr zu nennen. Die Autoren setzen sich zwar explizit mit ihrer Methode der Kombination von Text und Fotografien auseinander, die Bilder sind jedoch in eine Anordnung zueinander gebracht, die auf eine zugrundeliegende Systematik verweist (Berger/Mohr 1975).19 Auffällig an den benannten Arbeiten ist, dass die in der empirischen Migrationsforschung bestehenden ethischen Überlegungen zu einer Forschung, welche die spezifischen Machtkonstellationen in einer zumeist interkulturellen Forschungssituation reflektiert, keine oder kaum Berücksichtigung finden (vgl. zu diesen Überlegungenfür die Textanalyse Bommes 1996; Herwartz-Emden/Westphal 2002; Beck-Gernsheim 2004; Kruse 2009). In den folgenden zwei Kapiteln wird das Vorgehen bei der Gewinnung und Auswertung sprachlicher und gestischer Körperinszenierungen junger Frauen mit Migrationshintergrund vorgestellt. Aufgrund der herausgearbeiteten Argumentation spezifischer Symbolisierungsweisen in Text und Bild wird für die Analyse die Verwendung jeweils materialspezifischer Auswertungsmethoden vorgeschlagen. Methodologische Grundlage für diese Perspektiventriangulation bilden der Symbo-

19 Im Bereich der künstlerischen fotografischen und fotojournalistischen Auseinandersetzung mit Migration findet sich eine Vielzahl von Fotobänden. Beispiele sind die Bände Communities without Borders: Images and Voices from the World of Migration (Bacon/Harper/Muñoz 2006) oder Land ohne Eltern (Diefenbach 2012).

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lische Interaktionismus und die Grounded Theory. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die Frage gelegt, welche methodischen Konsequenzen sich aus dem Interesse am Thema Migration und der spezifischen Konstellation der am Forschungsprozess beteiligten Personen ergibt. Für dieses Vorhaben werden bestehende Überlegungen zu einer qualitativen Migrationsforschung auf die Arbeit mit Text und Fotografie angewendet und weiterentwickelt.

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dieses fotografische Selbstporträts angeregt. Es wird angenommen, dass sich durch diese Art der Kombination ein ähnlicher Effekt der reflektierenden Distanzierung wie im Photo-Elicitation-Interview einstellt. Allerdings geht es dabei nicht um eine sprachliche, sondern um eine visuelle Reflexion. Denn durch die Möglichkeit, die fotografischen Selbstporträts direkt nach ihrer Erstellung sowie am Ende der gesamten Fotoerhebung noch einmal gemeinsam zu betrachten, können habitualisierte Körperdarstellungen als etwas allzeit Präsentes und gerade dadurch Verborgenes in den Blick genommen werden. Auf diese Weise schlagen sich die visuellen Reflexionen, welche sich bei den Untersuchungsteilnehmerinnen im Akt des Betrachtens vollziehen, in ihrer Auswahl der letztlich für die Untersuchung zur Verfügung gestellten Fotografien nieder. Deutlich wird dabei, dass die in Kapitel vier dieses Buches vorgenommene Trennung zwischen den durch Text und Bild in die Untersuchung einbezogenen Körperdarstellungen in der konkreten Situation künstlicher Art ist. Denn während des Interviews wird zweifellos auch auf nonverbaler Ebene kommuniziert, genau wie die Fotoerhebung mit sprachlichen Äußerungen einhergeht. Aufgrund der bestehenden Komplexität der Forschungssituation und der Schwierigkeit, die Analyse im Forschungsprozess nachvollziehbar darzustellen, liegt der Fokus im Interview jedoch auf dem gesprochenen Wort – auch wenn Gesten im Transkript festgehalten werden und sprachliche Äußerungen während der Erstellung der Fotografien aufgenommen und transkribiert werden. Im Folgenden werden beide Methoden der Datengewinnung vorgestellt.

5.1 D AS ZUM

BIOGRAFISCH - NARRATIVE I NTERVIEW

T HEMA K ÖRPER

Für diese Untersuchung wurden biografisch-narrative Interviews mit einem Fokus auf das Thema Körper geführt. Durch die Aufforderung, die eigene Lebensgeschichte zu erzählen und dabei insbesondere auf den eigenen Körper einzugehen, wird dem bestehenden Forschungsinteresse am Thema Körper Rechnung getragen.3 Aufgrund von Literaturrecherche sowie eigenen Erfahrungen bei der Interviewführung zum Thema Körper wird angenommen, dass es sich dabei nicht um ein sprachlich ohne weiteres zugängliches Thema handelt und problemlos eine eigene

3

Es handelt sich somit um ein biografisches Interview, welches sich nicht auf das ganze Leben oder einen Lebensabschnitt bezieht, sondern die Erzählung der eigenen Lebensgeschichte auf ein bestimmtes Thema eingrenzt. Aus den im weiteren Text genannten Gründen wird angenommen, dass ohne eine solche Einschränkung keine oder nur wenige Äußerungen zum Thema Körper für die Analyse zur Verfügung stehen würden.

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,Körpergeschichte‘ präsentiert werden kann. Entsprechend der von Karl-Heinrich Bette diagnostizierten Körperdistanzierung bei einer gleichzeitigen Überbetonung des Körpers in modernen Gesellschaften (vgl. Bette 2005) fehlt auf der einen Seite eine Sprache für eigene Körperempfindungen. Auf der anderen Seite werden wiederum bestehende Körper(lichkeits)floskeln benutzt, die in der medialen Darstellung zu Gesundheit und Wellness Verwendung finden und womöglich den Zugang zu individuellen Darstellungen versperren. Mit der gewählten Erzählaufforderung ist die Annahme verbunden, dass der Rückblick auf die eigene Lebensgeschichte Anreize für die sprachliche Darstellung eigener Körperlichkeit ermöglicht und auf diese Weise zu einer schrittweisen Annäherung an die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper führt. Die biografische Präsentation wird demnach als ,Gerüst‘ angesehen, mithilfe dessen der eigene Körper zum Thema gemacht werden kann. Dabei eröffnet die biografische Strukturierung eine Möglichkeit einer spezifischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, denn: „biografische Darstellungen haben [...] einen „ermöglichenden und restriktiven Charakter. Sie bieten einerseits eine normative Orientierung, die einzelne Subjekte entlastet und ihnen Gestaltungsräume für die Konstruktion und Darstellung ihrer Identität eröffnet. Sie wirken andererseits normierend. Sie begrenzen faktische und virtuelle Handlungs- und Gestaltungsräume, schreiben vor und schließen aus“ (Dausien/Mecheril 2006, 161).

Ziel des ersten Teils des biografisch-narrativen Interviews ist das Anregen einer längeren Stegreiferzählung, die zunächst nicht durch die interviewende Person unterbrochen wird. Die Interviewsituation orientiert sich demnach zunächst „an den Relevanzen des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin und deren alltagsweltlichen Konstruktionen“ (Loch/Rosenthal 2002, 221). Die interviewte Person erhält den Freiraum zur Gestaltung der Präsentation ihrer Erfahrungen (vgl. ebd.). Im Rahmen der erzählgenerierenden Ausrichtung dieser Interviewmethode wird davon ausgegangen, dass die Zugzwänge des Erzählens als Ordnungsprinzipien zu einer nachvollziehbaren, verdichteten und verständlichen biografischen Darstellung beitragen (vgl. Flick 2002, 150f.).4

4

Die Annahme des Detaillierungs-, Gestaltschließungs- und Kondensierungs-Zwangs kann durchaus in kritischer Absicht daraufhin befragt werden, ob diese Erzähl-,Zwänge‘ auch eventuell entgegen dem Interesse der erzählenden Person wirken. So wurde nach dem biografischen Interview von einigen Probandinnen geäußert, dass sie selbst ganz überrascht sein, wie viel und was sie so alles erzählt hätten. An dieser Stelle wurde noch einmal nachgefragt, ob ein Unbehagen bestehen und auf welche Stellen es sich beziehen

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Nach der durch die Erzählaufforderung angeregten Erzählung als dem ersten der drei Teile des Interviews (vgl. Schütze 1983, 285f.) schließen sich die immanenten Nachfragen an. Die Fragen orientieren sich an zuvor angesprochenen Themen mit dem Ziel, das Erzählpotenzial weiter auszuschöpfen. Nachgefragt wird nach Stellen mangelnder Plausibilität sowie bei Leerstellen, Raffungen und Brüchen in der Erzählung. Für den Aufbau dieser Nachfragen ist es wichtig, dass sie erzählgenerierend angelegt sind, um weitere Aussagen zu Themen zu sammeln, die für die interviewende Person bedeutsam erscheinen. Der dritte Teil beinhaltet exmanente und somit die Erzählung verlassende Nachfragen. An dieser Stelle können Aspekte angesprochen werden, die von der interviewten Person nicht selbst thematisiert wurden, die aber aus der jeweiligen Forschungsperspektive wichtig sein könnten. In dieser Phase kann die Erklärungs- und Abstraktionsfähigkeit des Informanten als „Experte und Theoretiker seiner selbst“ (ebd., 285) genutzt werden, indem seine Deutungen und Bilanzierung im Hinblick auf seine Lebensgeschichte ermittelt werden. In der Untersuchung dieser Studie beziehen sich die exmanenten Nachfragen auf Situationen, in denen eine besondere Bedeutung des eigenen Körpers, körperliches Unwohlsein sowie Wohlsein, der Umgang mit dem eigenen Körper, körperliche Kontrolle und Kontrollverlust sowie das Verhältnisses zwischen der Wahrnehmung des eigenen Körpers und der (sozialen) Umwelt unter besonderer Berücksichtigung von Vorstellungen körperlicher ,Normalität‘ und ,Abweichung‘ angesprochen wird. Wird im ersten Teil des Interviews eine größtmögliche Offenheit angestrebt, so ermöglichen die exmanenten Nachfragen zumindest eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Interviews herzustellen – insbesondere da im Rahmen dieser Untersuchung die Stegreiferzählungen von den Biografinnen sehr unterschiedlich gestaltet wurden. Neben längeren, chronologischen Darstellungen wurden – oftmals unter Hinweis auf das schwierige Thema „Körper“ – zum Teil sehr kurze Erzählungen vorgenommen und recht schnell Interviewfragen erbeten. Das biografisch-narrative Interview zum Thema Körper wird als kommunikativer Prozess verstanden, der durch alle Beteiligten ausgehandelt und hergestellt wird. Aus dieser Perspektive rückt das Verhältnis von interviewender und interviewter Person als Repräsentanten sozialer Gruppen sowie deren machtvolle Beziehungen in den Blick (Flick 2002, 310f.). Die Narrationen werden als „wirklichkeitskonstruktives und sinnstiftendes sprachliches Handeln“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004, 167) angesehen: Selbstdarstellung und Selbstherstellung fallen in der lebensgeschichtlichen Darstellung zusammen. Folglich wird die „biographische Selbstpräsentation“ (Rosenthal 1995, 13) der interviewten Person in die Analyse

würde. In zwei Fällen wurde jeweils eine allgemeine nicht im direkten Zusammenhang mit dem zu untersuchenden Phänomen genannte Information auf Wunsch gestrichen.

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miteinbezogen und als Möglichkeit verstanden, individuelle und damit verknüpfte gesellschaftliche Zusammenhänge zu rekonstruieren. Mithilfe eines biografisch strukturierten Zugangs sollen die subjektiven Sinnkonstruktionen einer Analyse zugänglich gemacht werden. Veränderungen von Gefühlszuständen und Vorstellungen des eigenen Selbst als auch Entwicklungen gesellschaftlicher und sozialer Art können im Interview präsentiert und reflektiert werden. Die gewonnenen Daten eignen sich dabei in besonderer Weise zur Interpretation der Präsentation individueller Entwicklungen sowie sozialer Phänomene in ihrer Prozesshaftigkeit (vgl. Jakob 2003, 447; Schütze 1983, 284; Riemann 1987, 20ff.). Dabei wird innerhalb und im Austausch mit anderen Ansätzen diskutiert, inwiefern sich der Anspruch eines Zugangs größtmöglicher Offenheit mit der durch den Intervieweinstieg vorgenommenen biografischen Strukturierung der Äußerungen in Einklang bringen lässt. Der mit dem Zugang einhergehende erhebliche Einfluss auf die Darstellung und somit auch den Inhalt des Interviews wird gerade aus einer Perspektive, die klassischen Identitätsvorstellungen kritisch gegenüber steht, als eine Form der Erzeugung von Homologie angesehen. Denn die lebensgeschichtlich strukturierte Darstellung dessen, was wir als Individuum verstehen, bildet keine anthropologische Konstante, sondern eine Form der sozialen Inszenierung des eigenen Selbst in der Moderne.5 Bezogen auf die Anregung biografischer Erzählungen als auf eine gewisse innere Konsistenz angelegte Selbstdarstellung (vgl. Straub 2000), muss also danach gefragt werden, ob womöglich Brüche, Uneindeutigkeiten oder Paradoxien durch diese Interviewform in den Hintergrund rücken.

5.2 D IE E RSTELLUNG FOTOGRAFISCHER S ELBSTPORTRÄTS Zuem wurden die beteiligten Frauen gebeten, fotografische Selbstporträts von sich zu erstellen. Die zur Verfügung gestellte Kamera konnte durch einen Selbstauslöser betätigt werden. Verbunden mit einem Laptop, konnten die Frauen das Display der Kamera auf dem Monitor des Laptops sehen. Mit diesem technischen Aufbau wur-

5

Die Frage nach einer kulturellen Gebundenheit biografischer Strukturierungen ist in der Biografieforschung zu interkulturellen und migrationsgesellschaftlichen Themen meines Erachtens bisher nicht hinreichend bearbeitet worden. Auf Grundlage der von Peter Alheit herausgearbeiteten Formate autobiografischer Darstellungen für die Zeiträume um 1800, 1900 und Anfang des 21. Jahrhunderts lässt sich jedoch festhalten, dass es sich dabei um kein anthropologisches Phänomen handelt. Die moderne Biografie ist ein Produkt der europäischen Moderne, was auf die zeitliche und räumliche Gebundenheit des Konzepts verweist (vgl. Alheit 2008, 30).

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miteinbezogen und als Möglichkeit verstanden, individuelle und damit verknüpfte gesellschaftliche Zusammenhänge zu rekonstruieren. Mithilfe eines biografisch strukturierten Zugangs sollen die subjektiven Sinnkonstruktionen einer Analyse zugänglich gemacht werden. Veränderungen von Gefühlszuständen und Vorstellungen des eigenen Selbst als auch Entwicklungen gesellschaftlicher und sozialer Art können im Interview präsentiert und reflektiert werden. Die gewonnenen Daten eignen sich dabei in besonderer Weise zur Interpretation der Präsentation individueller Entwicklungen sowie sozialer Phänomene in ihrer Prozesshaftigkeit (vgl. Jakob 2003, 447; Schütze 1983, 284; Riemann 1987, 20ff.). Dabei wird innerhalb und im Austausch mit anderen Ansätzen diskutiert, inwiefern sich der Anspruch eines Zugangs größtmöglicher Offenheit mit der durch den Intervieweinstieg vorgenommenen biografischen Strukturierung der Äußerungen in Einklang bringen lässt. Der mit dem Zugang einhergehende erhebliche Einfluss auf die Darstellung und somit auch den Inhalt des Interviews wird gerade aus einer Perspektive, die klassischen Identitätsvorstellungen kritisch gegenüber steht, als eine Form der Erzeugung von Homologie angesehen. Denn die lebensgeschichtlich strukturierte Darstellung dessen, was wir als Individuum verstehen, bildet keine anthropologische Konstante, sondern eine Form der sozialen Inszenierung des eigenen Selbst in der Moderne.5 Bezogen auf die Anregung biografischer Erzählungen als auf eine gewisse innere Konsistenz angelegte Selbstdarstellung (vgl. Straub 2000), muss also danach gefragt werden, ob womöglich Brüche, Uneindeutigkeiten oder Paradoxien durch diese Interviewform in den Hintergrund rücken.

5.2 D IE E RSTELLUNG FOTOGRAFISCHER S ELBSTPORTRÄTS Zuem wurden die beteiligten Frauen gebeten, fotografische Selbstporträts von sich zu erstellen. Die zur Verfügung gestellte Kamera konnte durch einen Selbstauslöser betätigt werden. Verbunden mit einem Laptop, konnten die Frauen das Display der Kamera auf dem Monitor des Laptops sehen. Mit diesem technischen Aufbau wur-

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Die Frage nach einer kulturellen Gebundenheit biografischer Strukturierungen ist in der Biografieforschung zu interkulturellen und migrationsgesellschaftlichen Themen meines Erachtens bisher nicht hinreichend bearbeitet worden. Auf Grundlage der von Peter Alheit herausgearbeiteten Formate autobiografischer Darstellungen für die Zeiträume um 1800, 1900 und Anfang des 21. Jahrhunderts lässt sich jedoch festhalten, dass es sich dabei um kein anthropologisches Phänomen handelt. Die moderne Biografie ist ein Produkt der europäischen Moderne, was auf die zeitliche und räumliche Gebundenheit des Konzepts verweist (vgl. Alheit 2008, 30).

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de die Idee verfolgt, dass sich die Frauen verhältnismäßig kontrolliert fotografieren, und „über ihre fotografische Inszenierung quasi selbst Regie führen können“ (Klika/Kleynen 2007, 125): Bildausschnitt, Kamerawinkel und Lichtwirkung aber auch ihre eigene Haltung und die Position im Bild konnte von den Frauen gewählt und am Monitor überprüft werden. Auf diese Weise konnten sie Fotografien von sich erstellen, die ihren Vorstellungen entsprachen. Wurden die Fotografien bei den Frauen zuhause oder in durch sie organisierten Räumichkeiten erstellt, wurden sie vorab gebeten, für die Fotografien nach einem Ort zu schauen, an dem sie sich vor einem möglichst neutralen Hintergrund fotografien können. Für die bei Treffen in der Universität erstellten Fotografien wurde ebenfalls ein möglichst neutraler Hintergrund gesucht. Dieses Vorgehen wurde durch ein Fotoprojekt inspiriert, das 1979 im Stadtteil Handsworth in Birmingham, England durchgeführt wurde.6 Durch einen neutralen Hintergrund soll der Fokus weniger auf die Umgebung als auf die körperliche Darstellung selbst gelenkt, und der Inszenierungscharakter sozialer Interaktion explizit gemacht werden (vgl. Kapitel 2 in diesem Buch). Anders als im Handsworth Self Portrait Projekt waren die Fotografien allerdingsn nicht durch einen bestimmten Ort – den Stadtteil – kontextualisiert. Aus diesem Grund wurde den Frauen vorgeschlagen für sie typische Körperhaltungen einzunehmen, die sie mit verschiedenen sozialen Situationen in Verbindung bringen (vgl. zur Arbeit mit situativen Einstiegsimpulsen für fotografische Selbstporträts Klika/Kleynen 2007). Als Anregung wurden den Frauen nacheinander folgende Fragen gestellt, Was ist eine typische Körperhaltung für Dich in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule (retrospektiv), bei der Arbeit, mit Freunden/Freundinnen, mit der Familie und mit dem/der PartnerIn?7 Wie zu erwarten gestallte sich das Vorgehen in der Umsetzung als durchaus unterschiedlich. Einge der Frauen erstellten zu jedem situativen Einstiegsimpuls eine Fotografie und es schien, als würden sie die imaginierten Situationen gewissermaßen „abarbeiten“. Andere wiederum probierten verschiedene Haltungen aus, verglichen die Fotografien miteinander und wählten im Verlauf oder am Schluss die Fo-

6

Das Handsworth Self Portrait Projekt wurde mit dem Ziel durchgeführt, für die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils Handsworth eine Möglichkeit zu eröffnen sich entsprechend ihrer Vorstellungen – und entgegen der zur damaligen Zeit bestehenden ,dokumentarischen‘ Darstellungen von Handsworth als einem ,Problemviertel‘ – darzustellen. Zu diesem Zweck wurde eine Fotobox auf der Straße aufgestellt, in der sich Interessierte mithilfe eines Selbstauslösers vor einem neutralen Hintergrnd fotografien konnten (vgl. Homepage Connecting Histories UK).

7

Aufgrund des zuvor geführten Interviews bestand die Möglichkeit, die situativen Einstiegsimpulse inimaginierte Situationen im öffentlichen, halböffentlichen und privaten Raum entsprechend der jeweiligen Darstellungen der Frauen anzupassen.

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tografien aus, die sie mir zur Verfügung stellen wollten. Eine Frau wollte keine Selbstporträts machen und stellte mir zwei Fotografien aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung. Die Anonymisierung der visuellen Forschungsdaten stelle im Sine einer ethisch verantwortungsvollen Forschung eine besondere Herausforderung dar.8 In der Literatur finden sich zumeist Darstellungen, in denen entweder keine Anonymisierung des Fotomaterials vorgenommen (vgl. beispielhaft Holzwarth 2006, 184, 194) oder in denen das Gesicht oder die Augenpartie durch eine höhere Auflösung der Pixel unkenntlich gemacht wurde (vgl. beispielhaft Langer 2007, 146f.). Für die in dieser Arbeit abgedruckten Fotografien wurden die Gesichter ebenfalls „verpixelt“. Um die Nachvollziehbarkeit als ein Gütekriterium qualitativer Sozialforschung (vgl. Steinke 2008) für den Leser/die Leserin dieser Arbeit zu gewährleisten, wurde zudem eine Zeichnung des Gesichts erstellt, indem das Gesicht vergrößert ausgedruckt und mithilfe von Architektenpapier abgepaust wurde. Die auf diese Weise entstandenen Zeichnungen können somit als forschungspraktische Hilfskonstruktionen verstanden werden.9

5.3 F ORSCHEN ALS SOZIALE P RAXIS – FÜNFTER Z WISCHENSTAND Die Entscheidung darüber, was als Forschungsmaterial in einer Untersuchung herangezogen beziehungsweise gewonnen wird, ist entscheidend für die Perspektive(n), die auf den jeweiligen Forschungsgegenstand geworfen wird bzw. werden. In der vorliegenden Studie sollen mithilfe biografisch-narrativer Interviews zum Thema „Körper“ Veränderungen von Gefühlszuständen und Vorstellungen des eigenen körperlichen Selbst im Kontext gesellschaftlicher und sozialer Entwicklungen einbezogen werden. Die durch die Fotografien festgehaltenen gestisch-mimischen Körperinszenierungen sind demgegenüber als Repräsentationen der Art und Weise zu verstehen, wie sich Menschen mit ihrem eigenen Körper in einen Bezug zur Welt setzen. Wird nun das wissenschaftliche Forschen selbst als eine soziale Praxis

8

In einer von der DGfE herausgegebenen Stellungnahme wird zur Problematik der Anonymisierung von Bildern festgehalten: „Bei Bildanalysen ist ebenfalls darauf zu achten, dass der nicht für das Verstehen des Falles und der Analyse relevante Kontext auf das Notwendige reduziert wird. Wo Bildausschnitte für die Argumentation ausreichen, sollen diese verwendet werden“ (DGfE-Vorstand 2006, 34).

9

Einzig in den Forschungsgruppen, in denen ich mein Material diskutiert habe sowie im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen wurden nicht anonymisierte Fotografien verwendet.

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tografien aus, die sie mir zur Verfügung stellen wollten. Eine Frau wollte keine Selbstporträts machen und stellte mir zwei Fotografien aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung. Die Anonymisierung der visuellen Forschungsdaten stelle im Sine einer ethisch verantwortungsvollen Forschung eine besondere Herausforderung dar.8 In der Literatur finden sich zumeist Darstellungen, in denen entweder keine Anonymisierung des Fotomaterials vorgenommen (vgl. beispielhaft Holzwarth 2006, 184, 194) oder in denen das Gesicht oder die Augenpartie durch eine höhere Auflösung der Pixel unkenntlich gemacht wurde (vgl. beispielhaft Langer 2007, 146f.). Für die in dieser Arbeit abgedruckten Fotografien wurden die Gesichter ebenfalls „verpixelt“. Um die Nachvollziehbarkeit als ein Gütekriterium qualitativer Sozialforschung (vgl. Steinke 2008) für den Leser/die Leserin dieser Arbeit zu gewährleisten, wurde zudem eine Zeichnung des Gesichts erstellt, indem das Gesicht vergrößert ausgedruckt und mithilfe von Architektenpapier abgepaust wurde. Die auf diese Weise entstandenen Zeichnungen können somit als forschungspraktische Hilfskonstruktionen verstanden werden.9

5.3 F ORSCHEN ALS SOZIALE P RAXIS – FÜNFTER Z WISCHENSTAND Die Entscheidung darüber, was als Forschungsmaterial in einer Untersuchung herangezogen beziehungsweise gewonnen wird, ist entscheidend für die Perspektive(n), die auf den jeweiligen Forschungsgegenstand geworfen wird bzw. werden. In der vorliegenden Studie sollen mithilfe biografisch-narrativer Interviews zum Thema „Körper“ Veränderungen von Gefühlszuständen und Vorstellungen des eigenen körperlichen Selbst im Kontext gesellschaftlicher und sozialer Entwicklungen einbezogen werden. Die durch die Fotografien festgehaltenen gestisch-mimischen Körperinszenierungen sind demgegenüber als Repräsentationen der Art und Weise zu verstehen, wie sich Menschen mit ihrem eigenen Körper in einen Bezug zur Welt setzen. Wird nun das wissenschaftliche Forschen selbst als eine soziale Praxis

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In einer von der DGfE herausgegebenen Stellungnahme wird zur Problematik der Anonymisierung von Bildern festgehalten: „Bei Bildanalysen ist ebenfalls darauf zu achten, dass der nicht für das Verstehen des Falles und der Analyse relevante Kontext auf das Notwendige reduziert wird. Wo Bildausschnitte für die Argumentation ausreichen, sollen diese verwendet werden“ (DGfE-Vorstand 2006, 34).

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Einzig in den Forschungsgruppen, in denen ich mein Material diskutiert habe sowie im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen wurden nicht anonymisierte Fotografien verwendet.

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angesehen, so stellen die Interviewsituationen genau wie das Erstellen fotografischer Selbstporträts Interaktionsgeschehen dar, die durch alle (konkreten und im Falle der Fotografien zudem imaginierten) Beteiligten die Situation mitbestimmen. Die Generierung von Forschungsmaterial in Text und Bild wird – entsprechend der interaktionstheoretischen Perspektive dieser Studie – demnach auf die eigene wissenschaftliche Forschungspraxis angewandt. Die Annahme von Forschungsmaterial als „Repräsentation einer dynamischen Beziehung zwischen Forschungsfrage, Feld und Forschern, die im Verlauf der analytischen Arbeit herausgebildet wird“ (Strübing 2008a, 293), wurde demnach für das eigene wissenschaftliche Handeln anerkannt und bei der Entscheidung für ein methodisches Vorgehen berücksichtigt. Der bewusst inszenatorische Charakter biografisch-narrativer Interviews und fotogtafischer Selbstporträts zu imaginierten situativen Einstiegimpulsen ist in diesem Sinne als ein Vorschlag zu verstehen, den forschenden Blick auf die ,sozialen Aufführungen‘ zu lenken.

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6.1 V ISUELLE M IGRATIONSFORSCHUNG Handelt es sich bei der visuellen Qualitativen Sozialforschung um einen Ansatz, der zwar momentan einen gewissen Aufschwung erlebt, jedoch im Vergleich zur Textanalyse eher als randständig bezeichnet werden kann, so stellt der Forschungsbereich, den ich hier als visuelle Migrationsforschung bezeichnen möchte, einen Nischenbereich innerhalb der Qualitativen Sozialforschung dar (vgl. dazu den Überblick in Kapitel 4.6). Auffällig dabei ist, dass sich in Veröffentlichungen aus dem Bereich der empirischen Migrationsforschung, die mit visuellem Material arbeiten, keine Hinweise finden lassen, wie das Forschungsinteresse an Migration auch auf methodologisch-methodischer Ebene Berücksichtigung finden kann. Eine solche Berücksichtigung würde etwa bedeuten, die Annahme eines unweigerlich subjektiven Blicks auf Bilder mit der Frage nach den sozialen Positionen aller am Forschungsprozess Beteiligten zu verknüpfen. Für die textbasierte qualitative Sozialforschung zu Fragen nach Interkulturalität und Migration bestehen solche Überlegungen demgegenüber durchaus (vgl. beispielsweise Herwartz-Emden/Westphal 2002). 6.1.1 Der Umgang mit Kontextwissen und die Frage nach dem eigenen Sprechen Ausgangspunkt der Überlegungen zu einer visuellen Migrationsforschung bildet die Annahme, dass das soziale Phänomen „Migration“ und damit einhergehende Vorstellungen über die Lebenssituation junger Frauen, die selbst, oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, eben nicht nur sprachlich, sondern auch visuell verhandelt wird (vgl. dazu Kapitel 3.2 in diesem Buch). Auf Basis einer in Kapitel 4 vorgestellten symboltheoretischen Fundierung ist für eine visuelle Migrationsforschung die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Umgang mit Kontextwissen von Bildern von zentraler Bedeutung. Die damit angesprochene grundsätzliche Frage, was als Kontext einer Fotografie zu verstehen ist, und wann dieser in welcher Weise im Rahmen einer Qualitativen Sozialforschung mit Fotografien einbezogen werden sollte, wird in der Forschung durchaus unterschiedlich beantwortet (vgl. Niesyto 2006, 278). In der vorliegenden Studie wird folgende Systematisierung vorgeschlagen: In einem weiten Sinne stellt Bildkontext alles Wissen dar, mit dem die Fotografie als solche erkannt und gedeutet werden kann. Damit ist zum Beispiel das Bewusstsein für gesellschaftliche Diskurse und Distinktionspraxen, aber auch die eigene Perspektivität gemeint.5 In einem engeren Verständnis kann

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Der Verbindung zur Fähigkeit der Theoretischen Sensibilität (vgl. Strauss/Corbin 1996, 25ff.; Strauss 1998; 36) ist nicht zufällig.

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sich der Begriff „Bildkontext“ auf alle die Informationen beziehen, die nicht dem Bild zu entnehmen sind, jedoch in einem direkten Zusammenhang mit ihm stehen. Dazu zählt Wissen über den Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Fotografie. Bei einer triangulierend angelegten Untersuchung kann es sich dabei auch um durch Interviews, teilnehmende Beobachtung usw. gesammelte Informationen handeln. Die Frage, ob Kontextwissen im weiten Sinn bei der Bildanalyse einzubeziehen ist, stellt sich meines Erachtens nicht, da dies letztlich die Grundlage für jedwede Deutung von Material bildet und somit unumgänglich ist. Wichtig erscheint es dabei allerdings, die jeweiligen Bezüge kenntlich zu machen. Insbesondere postkoloniale Überlegungen zur visuellen Darstellung des/der ,Anderen’ (vgl. Kapitel 3.1 in diesem Buch sowie Reuter/Terhart 2013) spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle und können die Reflexion der eigenen Forschung kritisch unterstützen (vgl. beispielsweise das Kapitel Visual Colonialism/Visual Transculture in Mirzoeff 2002). Im Hinblick auf die Bezugnahme auf das ,engere Kontextwissen‘ gilt aufgrund der materialen Eigenlogik des Bildlichen wiederum zu beachten: Bei einer (frühzeitigen) Verwendung von Kontextwissen besteht die Gefahr, Bildeindrücke vorschnell darunter zu subsumieren und auf diese Weise den Eigensinn des Bildes nicht zu erfassen. Eine Überbetonung des Kontextwissens kann zudem dazu führen, dass das Bild nur noch an diesem überprüft wird. Eine voreilige Vernachlässigung weiterer möglicher bildimmanenter Interpretationsansätze wäre die Folge (vgl. Bohnsack 2006, 46). Andererseits kann die Berücksichtigung von Kontextwissen die Mehrdeutigkeit von Sehweisen zumindest ein Stück weit einschränken und so dem Problem der Überinterpretation – gerade bei Bildproduzierenden ohne großes technisches beziehungsweise kompositorisches fotografisches Fachwissen – entgegen wirken. Für diese Studie wird daher ein schrittweises Einbeziehen von Kontextwissen für die Analyse fotografischer Selbstporträts vorgeschlagen. Zum einen soll auf diese Weise der präsentative Symbolismus von Bildern berücksichtigt6, und zum anderen die Perspektivität der Bildinterpretation offen gelegt und bewusst in den Analyseprozess miteinbezogen werden. Denn im Hinblick auf das dieser Studie zu Grunde liegende Forschungsinteresse stellt sich die Frage, wie die Perspektive auf Migration Eingang in die Methodik der Untersuchung finden kann. Migration stellt keinen sichtbaren Gegenstand, sondern ein relationales soziales Phänomen dar. Vorstellungen von natio-ethno-kulturell markierten ,prototypischen‘ Erscheinungen

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Bei einer Triangulation mit anderem Datenmaterial als Bildern würde sich an dieser Stelle zudem die Frage stellen, ob nicht der Mehrwert, der gerade in der Perspektivenerweiterung auf den Forschungsgegenstand vermutete wird, durch eine von Beginn an vorgenommene Bezugnahme der Daten aufeinander geschmälert würde.

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und Handlungsweisen bestimmen nicht selten darüber, wer in einer Migrationsgesellschaft als ,anders‘ markiert oder als ,normal‘ angesehen wird. Diese von „Imaginationen, Mythen und Rassismen“ (Mecheril 2004, 52) durchzogene soziale Ordnung des Körperlichen entscheidet darüber, ob eine Person im jeweiligen Kontext als zugehörig oder nicht zugehörig eingestuft wird. Ausgehend von einer schrittweisen Kontextualisierung der Bildinterpretation als einer bewussten Abkehr von der Vorstellung objektiver Bildbeschreibungen stellt sich die Frage nach dem Sprechen über Fotografien in der empirischen Migrationsforschung. Im Sprechen über die Fotografien kommt es – ausgehend von den Alltagskonstruktionen sozialer Akteure als „Konstruktionen ersten Grades“ (Schütz 1971, 7, 68, 71f.) – im Rahmen der Interpretation von Bildern durch die Forschenden als „Konstruktionen zweiten Grades“ (ebd.) zu einer Umwandlung von Visuellem in Sprache. Bei der Arbeit mit Fotografien und dem dabei zu unternehmenden Versuch, etwas zur Sprache zu bringen, was vorher keine Sprache war, wird der Prozess des für die Qualitative Sozialforschung generell bedeutsamen Findens oder Erzeugens von Begriffen noch einmal in besonderer Weise deutlich. Als hilfreich für die Auseinandersetzung mit der Verwendung von Sprache bei der Analyse von Bildmaterial haben sich im Forschungsprozess die vielfältigen methodologischmethodischen Überlegungen zum ethnografischen Schreiben auf Grundlage teilnehmender Beobachtung erwiesen (vgl. zur Krise der ethnografischen Repräsentation Berg/Fuchs 1993). Für die Frage nach Sprache und Sprechen in der Arbeit mit den fotografischen Selbstporträts wird daher auf Stefan Hirschauers Überlegungen zur „Schweigsamkeit des Sozialen“ (2001) beim ethnografischen Schreiben zurückgegriffen. Bezogen auf die Versprachlichung von Beobachtungen nennt Hirschauer verschiedene „Grenzen der Verbalisierbarkeit“ (ebd., S. 437ff.), wobei er noch einmal zwischen dem Stimmlosen, Unaussprechlichen, Sprachlosen, Unbeschreiblichen, Vorsprachlichen, Sprachunfähigen und dem sich wortlos Zeigenden unterscheidet (vgl. ebd.). Bezogen auf visuelles Material und die Frage, was ich über die fotografischen Selbstporträts sagen kann und möchte, erscheint die „Grenze des Unaussprechlichen“ von besonderer Bedeutung. Denn das Unaussprechliche ist der (visuellen) Wahrnehmung zwar zugänglich, bleibt jedoch einer einfachen Thematisierung durch Sprache verschlossen (vgl. ebd., S. 438). An der Grenze des Unaussprechlichen gelingt es der forschenden Person laut Hirschauer nicht, Dinge zur Sprache zu bringen ohne sie moralisch – und demnach wertend – zu kommentieren (vgl. ebd., S. 439). In der Konsequenz müssen die Möglichkeiten dessen ausgelotet werden, was durch den/die ForscherIn noch versprachlicht werden kann und was in Abgrenzung dazu eben nicht mehr gesagt wird beziehungsweise was diese( r) nicht sagen möchte. Durch das Unaussprechliche eröffnet sich für den Rezipienten/die Rezipientin von Forschungsdokumentationen „Räume für seine [und ihre] Imaginationen“ (ebd., S. 439). Grundlage dafür sind – anders als bei einer

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Dethematisierung – bewusste sprachliche Auslassungen, deren Grenzen von der forschenden Person benannt werden müssen. Die Entscheidung für solche Auslassungen ist dabei an die jeweilige Forschungsfrage und die damit eingenommene theoretische Perspektive geknüpft. Für die Arbeit mit den fotografischen Selbstporträts der jungen Frauen im Kontext von Migration durch mich als junge, weibliche Forscherin und Angehörige der Mehrheitsgesellschaft stellt sich damit die Frage, auf welche Weise diese Grenzen ausgelotet und markiert werden können. Denn die Frage danach, was ich über die Fotografien sagen oder eben nicht sagen will, schließt immer auch die Gefahr des Othering, der Besonderung von Menschen mit Migrationshintergrund mit ein. Die Versprachlichung und ihre möglichen Grenzen hängen in der visuellen Migrationsforschung eng mit der Gefahr zusammen, durch vermeintlich harmlose ,Beschreibungen‘ der auf dem Foto dargestellten Person an rassifizierende oder zumindest „rassismusrelevante Repräsentationen“ (Machold 2010, 167) anzuschließen und diese zu verfestigen. Andererseits kann die Nichtbenennung von als gesellschaftlich bedeutsam angesehenen Subjektpositionen wie der Zuschreibung zur Gruppe der Migrantinnen und Migranten zu ihrer ebenfalls problematischen Verharmlosung und scheinbaren Bedeutungslosigkeit führen (vgl. ebd.). Auf Grundlage dieser Überlegungen wurde die Entscheidung getroffen, das Forschungsinteresse am Thema „Migration“ nicht über die Bildbeschreibungen, sondern durch ein schrittweises Einbeziehen von Kontextwissen in die Fotoanalyse einzuführen. Wohlweißlich der damit einhergehenden Problematik der Eröffnung von ,Imaginationsräumen‘ bei Leserinnen und Lesern, erscheint es für mich – als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft und ohne Migrationserfahrung, die die unmarkierte Norm verkörpert – kaum möglich, ein anderes Vorgehen als das des bewussten (Nicht)Sprechens in der Arbeit mit den fotografischen Selbstporträts der Frauen zu wählen. Wenn ich in ,Beschreibungen‘ der auf den Fotografien abgebildeten jungen Frauen also Auslassungen vornehme, handelt es sich nicht um eine Dethematisierung von Bildinhalten. Vielmehr wird bewusst darauf verzichtet, einen Bezug auf das Thema „Migration“ über Beschreibungen der auf den Fotografien zu sehenden Körper der Frauen herzustellen, die Gefahr laufen können, rassifizierende phänotypische Klassifikationsvorstellungen zu stützen. Im Folgenden wird das auf diese Weise begründete Vorgehen einer Analyse fotografischer Selbstporträts vorgestellt. Dabei wird die dreigliedrige Struktur der ikonografisch-ikonologischen Grundstruktur bestehender Fotoanalyseverfahren der Qualitativen Sozialforschung unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach dem Kontextwissen für eine sozialwissenschaftliche Bildanalyse im Rahmen von Migrationsforschung weiterentwickelt. Durch die im Forschungsprozess anhand des Materials entwickelte Methodik wurde deutlich, dass nicht unweigerlich jeder Schritt für jede Einzelbildanalyse in gleicher Weise ertragreich sein muss. Die Ar-

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beitsschritte bieten vielmehr eine Systematik heuristischer Ansatzpunkte für die eingehende Auseinandersetzung mit dem gewonnenen Material. 6.1.2 Fotografieanalyse in neun Schritten 1. Auswahl einer Fotografie für die Einzelbildinterpretation zwischen erstem Eindruck und formaler Systematisierung des fotografischen Fallkorpus Die Erstellung der fotografischen Selbstporträts wurde durch mich mit der Bitte eingeleitet, dass die Untersuchungsteilnehmerin mir am Ende jeweils eine Fotografie einer typischen Körperhaltung in sieben von mir vorgegebenen Situationen zur Verfügung stellt. Einige Frauen fotografierten sich zu den imaginierten Situationen nur einmal, andere nutzten die Möglichkeit, mehrere Versuche vorzunehmen und sich entweder direkt oder am Ende zu entscheiden, welche Fotografien Verwendung finden sollen. Aus dem so entstandenen fotografischen Fallkorpus wurde von mir eine Fotografie für die Einzelbildinterpretation ausgewählt. Für diesen Arbeitsschritt wurde auf die Unterstützung von Arbeitsgruppen zurückgegriffen, da das nicht vorhandene Wissen über die auf Fotografien abgebildeten Personen der Kolleginnen und Kollegen ein besonderes Potenzial darstellte. Aufgrund des recht kleinen fotografischen Fallkorpus, ließ sich das von Pilarczyk und Mietzner hinsichtlich der seriellen Analyse größerer Fotografiebestände vorgeschlagene Vorgehen nur bedingt auf die vorliegende Studie anwenden. Daher wurden die Bilder nicht nach den vorab formulierten Kriterien des Entstehungskontextes, der Autorenschaft und des Verwendungskontextes systematisiert, um im Anschluss auch unter assoziativen Gesichtspunkten ein Bild zu wählen, welches den Bestand inhaltlich und formal repräsentiert (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, 136; vgl. Pilarczyk 2006, 227). Vielmehr bildet in der vorliegenden Studie das Erstverstehen beziehungsweise Nichtverstehen des Bildes (vgl. Niesyto 2006, 281) den Ausgangspunkt für die Bildauswahl. Dieser erste assoziative Bildeindruck bildet die Grundlage für das Erkennen der von Roland Barthes als punctum beschriebenen „empfindlichen Stellen“ einer Fotografie. Gemeint ist damit „jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft)“ (Barthes 1980, 36) und welches sich nicht wissenschaftlich systematisieren und nicht immer in Worte fassen lässt. Im erweiterten Sinne Roland Barthes punctums7 als einem die Aufmerksamkeit erregenden Aspekt im Bild, wer-

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Barthes Konzept des punctums wird an dieser Stelle in einem erweiterten Sinne verwendet, da er davon ausgeht, dass nicht alle Bilder über Detasils verfügen, die eine „empfindliche Stelle“ darstellen und demnach theoretisch auch eine Bilderreihe einer Untersuchungsteilnehmerin keine Aufmerksamkeit beim Betrachten erregt. Für diese Studie wird

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den folgende Fragen gestellt: Was weckt meine Aufmerksamkeit? Was irritiert, bewegt oder stößt mich vielleicht auch ab? Dabei erscheint es hilfreich, den Auswahlprozess durch Forschungsarbeitsgruppen zu begleiten und so auch auf Eindrücke von Personen zurück greifen zu können, die über keine weiteren Informationen zu den Bildern verfügen. Durch die Erfahrung, dass die assoziative Betrachtung mehrerer Fotografien auch immer im Vergleich zwischen diesen vollzogen wird, kann dieser assoziative Auswahlprozess im Spannungsfeld zwischen Typischem und Besonderen als ,unsystematischer Systematisierungsprozess‘ bezeichnet werden. Die Einzelbildinterpretation wird auf diese Weise in die Arbeit mit allen für den jeweiligen Fall zur Verfügung stehenden Fotografien eingebettet: Zu Beginn als Pool für die Auswahl, bilden die Fotografien am Ende durch die Rückbindung der Analyse an den fotografischen Fallkorpus die Kontrastfolie für die Einzelbildinterpretation als dem vom punctum unterschiedenen studium und somit der eingehenden Bildbetrachtung (vgl. Barthes 1980). 2. Soziale Verortung durch externe Kontextualisierung als Ausgangspunkt für die Einzelbildinterpretation Entsprechend der Ausführungen zum Verhältnis von Bild und Kontext wird im zweiten Schritt eine externe Kontextualisierung – im Sinne eines weiten Bildkontexts – vorgenommen. Externes Kontextwissen bezeichnet nach Jon Prosser und Dona Schwartz unter Rückgriff auf Howard Becker die Angabe der Forschungsdisziplin, des theoretischen Rahmens des Forschungsprojektes sowie der Beziehungen sozialer Zugehörigkeiten zwischen bildproduzierender und bildbetrachtender Person (vgl. Prosser/Schwartz 1998, 125f.; Becker 1998). Bezogen auf das vorliegende Material fotografischer Selbstporträts und dem bestehenden Forschungsinteresse wurden diese Punkte zu folgenden im zweiten Analyseschritt einbezogenen Angaben weiterentwickelt: • • • •

gesellschaftlicher Kontext (Ort/Zeit) Forschungsdisziplin Forschungsinteresse und theoretische Perspektive Hinweise auf die soziale Position der abgebildeten und der betrachtenden Person.

Im Sinne der methodologischen Implikation der Grounded Theory wurde ausgehend von einem weit gefassten Forschungsinteresse der theoretische Rahmen im Verlauf der Untersuchung konkretisiert, sodass auch die Bildinterpretation mehrere zirkuläre Durchgänge durchlief. Als grundlegend forschungsleitende Aufmerksamdavon ausgegangen, dass die Fotografien als soziale Artefakte für die Fragestellung grundsätzlich von Interesse sind.

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keitsrichtung wurde entsprechend der Ausführungen zur körperlichen Dimension von Sozialität (vgl. Kapitel 2) und zu Körper und Migration (vgl. Kapitel 3) der Blick auf die Person in ihrer unweigerlich sozialen Darstellung und damit einhergehenden gesellschaftlichen Positionierung gerichtet. Die zugrundeliegende Fragestellung nach der körperlichen Dimension von Sozialität im Kontext von Migration bildet den Rahmen für die Bildanalyse und kann diesbezüglich durchaus als bewusste theoretische Engführung verstanden werden. So wird das Forschungsinteresse an migrationsgesellschaftlichem Zusammenleben erst durch eine gesellschaftliche Verortung des Bildes überhaupt zum Thema. Denn bei Vorstellungen natioethno-kultureller Zugehörigkeit handelt es sich unweigerlich um relationale Zuschreibungen, sodass eine diesbezügliche Bildanalyse nur auf Grundlage der Berücksichtigung vorherrschender körperbezogener Normalitätsvorstellungen stattfinden kann. Die soziale Verortung des Bildes – nicht erst am Ende der Einzelbildinterpretation – sowie des gesamten Prozesses der Bildanalyse bildet die Grundlage für ein interessengeleitetes empirisches Vorgehen. Nur unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Diskurse über Migration und der darin enthaltenen machtvollen Zuschreibungen und Normvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft kann m. E. dem in der Migrationsforschung bisher unzureichend berücksichtigten sozialen Phänomen Körper im Rahmen von Bildanalysen Rechnung getragen werden. Durch die Benennung der theoretischen Perspektive als sensibilisierende Konzepte für die Bildbetrachtung wird entgegen der irreführenden Annahme argumentiert, die Fotografie ließe sich durch eine detaillierte Beschreibung in einer objektiven Weise erfassen. Die wirklichkeitskonstituierende und auch definierende Funktion von der nun folgenden vorikonografischen Beschreibung soll auf diese Weise Berücksichtigung finden. 3. Vorikonografische Bildbeschreibung – verlangsamtes Sehen als Auseinandersetzung mit dem Bild Im dritten Schritt wird in einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Bild der Versuch unternommen, die wahrgenommenen Bildinhalte in einer sprachlichen Beschreibung zu fassen. Die vorikonografische Beschreibung der ausgewählten Fotografie bezieht sich dabei auf die Motivwelt des Bildes in ihrer planimetrischen (zweidimensionalen) und perspektivisch-räumlichen (dreidimensionalen) Erscheinung. Alle sichtbaren Einzelheiten der Fotografie werden benannt und detailliert beschrieben, kompositorische Elemente wie Form, Fläche, Linie, Farbe sowie Licht und Schattenstrukturen werden berücksichtigt. Der Bildausschnitt und der Aufnahmewinkel werden bestimmt.8 8

Gerahmt durch die Vorgabe der imaginierten Situationen sowie den technischen Aufbau wird eine gewisse Standardisierung der Erhebung herbeigeführt. In der Komposition frei,

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Grundlage für diese Beschreibungen bildet zunächst der lebensweltliche Bezug der Interpretin als „praktische Erfahrung“ (Panofsky 1955/1996, 45), welche für die vorikonografische Beschreibung unerlässlich wie ausreichend ist, jedoch nichts über deren Korrektheit aussagt. Das „systematische verlangsamte Sehen“ (Pilarczyk/Mietzner 2005, 137) wirkt vorschnellen Festlegungen entgegen, denn weder die In-Beziehung-Setzung noch die Interpretation einzelner Bildelemente wird in diesem Schritt angestrebt (vgl. ebd.). Vielmehr wird durch die aufzählende Benennung der Bildinhalte die Grundlage für die weitere Arbeit mit der Fotografie geschaffen. Im Sinne der Nachvollziehbarkeit als bedeutsames Gütekriterium qualitativer Forschung wird in einem ersten Wahrnehmungsprozess die sprachliche Ausgangslage (Sprache finden, Wörter bilden) für die folgenden Auswertungsschritte

wurden alle Fotografien von den Frauen im Hochformat in einer zentralen und primär frontalen Ausrichtung der Person in der Halbtotale erstellt (eine Ausnahme bildet Meiling) und weisen somit Aspekte klassischer Ganzkörperporträts auf. Ein Erklärungsansatz für diese kompositorische Gleichförmigkeit bildet die durch den Umgang mit den zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten sichtbar werdenden weitgehenden Unkenntnis fotografischer Gestaltungsmöglichkeiten. Es schien, als ob die Kamera nur vereinzelt von den Frauen aktiv angeeignet wurde, indem beispielsweise der Position der Kamera besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dabei wirkte keine der beteiligten Frauen zurückhaltend oder ängstlich gegenüber der technischen Ausrüstung. Mit dem Massenmedium Fotografie vertraut, handelte es sich vermutlich vielmehr bei allen Frauen um Freizeitfotografinnen beziehungsweise Knipserinnen. Die Klassifizierung als Knipserfotografie ist keinesfalls abwertend gemeint, da es sich hierbei um eine „spezifische, lebensgeschichtlich ausgerichtete fotografische Praxis“ (Pilarczyk/Mietzner 2005, 83) handelt. Durch mein Interesse am Thema „Körper“ wurde die Aufmerksamkeit zudem vermutlich ganz auf die jeweilige Körperhaltung und vielleicht weniger auf die Komposition des Bildes gelegt. Als Konsequenz kann an dieser Stelle durchaus selbstkritisch angemerkt werden, dass eine kurze Einführung in technische Möglichkeiten sowie die damit einhergehenden gestalterischen Wirkweisen womöglich mehr kompositorische Varianz hervorgerufen hätte. Hinzu kommt, dass die zu Beginn dieses Dissertationsvorhabens zusammengestellte technische Ausrüstung von einfacher Qualität war. Die Option des über eine Fernbedienung zu steuernden Selbstauslösers konnte über eine Videokamera mit Fotofunktion realisiert werden, welche jedoch beispielsweise nicht über einen Blitz verfügte. Die Kosten für eine Fotoausrüstung mit dieser Funktion erschienen mir zum Zeitpunkt des Projektbeginns als sehr hoch, im Nachhinein würde ich sagen, dass sich diese Investition durchaus gelohnt hätte. Bedanken möchte ich mich beim Mediennetzwerk der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln für die Unterstützung bei der Entwicklung des technischen Aufbaus.

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entwickelt. Durch die Entscheidung sprachliche Bildbeschreibungen anzufertigen, kommt es zu Festschreibungen, die zu reflektieren sind. Für die Untersuchung der vorliegenden Studie stellte sich dabei insbesondere die Frage, wie Beschreibungen des Äußeren angefertigt werden können, ohne an rassifizierende beziehungsweise rassismusrelevante Sprachpraxen anzuknüpfen. 4. Sehweisen präsentativer Bildsymbolik Anknüpfend an die Bildbeschreibung werden im Sinne der ikonografischen Analyse die benannten Motive hinsichtlich ihres präsentativen Symbolismus befragt (vgl. Langer in Kapitel 4.3). Die erfassten Symbole werden dabei vorerst nicht aufeinander bezogen, sodass in diesem Schritt mögliche Interpretationsansätze vorerst nebeneinander bestehen bleiben. Im Sinne einer Identifizierung „spezifischer, sich in Bildern, Anekdoten, Allegorien manifestierender Themen oder Konzepte“ (Panofsky 1955/1996, 39) werden unter Rückgriff auf kulturelles (symbolisches) Wissen verschiedene Sehweisen benannt. Dabei besteht für Symbolanalyse im Rahmen zunehmender gesellschaftlicher Pluralität die Unsicherheit, Symbolisches gar nicht erst als solches zu erkennen sowie die damit verbundenen Bedeutungen nur unzureichend zu erfassen. Grundsätzlich gilt, dass die Bezüge zwischen Untersuchungsteilnehmerinnen und Forscherin niemals ganz übereinstimmen. Es wird davon ausgegangen, dass sich diese Unsicherheit im Rahmen einer grundsätzlichen Kulturalität symbolischer Bedeutungen noch einmal in interkulturellen Forschungssituationen verstärkt. Dabei führt die für diese Studie gewählte migrationstheoretische Perspektive nicht zur Auflösung des Problems. Allerdings kann im Vergleich zu einer in erster Linie kulturvergleichend ausgerichteten Studie der migrationsgesellschaftliche Referenzrahmen als bedeutungsvoll angesehen werden, denn die Analyse des präsentiativen Symbolismus der interaktional ausgehandelten Körperinszenierungen findet im Kontext der deutschen Migrationsgesellschaft statt. Hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der Analysen präsentativer Symbolisierungen stellt sich die Frage nach möglichen visuellen Bezugssystemen.9 Aufgrund der Annahme von in der Gegenwart stark durch Zeit-

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Panofsky verweist auf folgende „Korrektivprinzipien“ (Bialostocki 1979, 49): (1) Die Beobachtungen im Rahmen der vorikonografischen Beschreibung werden durch die Berücksichtigung der jeweiligen (historischen) Ausdrucksweisen von Gegenständen und Ereignissen durch Formen (Stilgeschichte) korrigiert. (2) Für die ikonografische Analyse ist die Bezugnahme auf die jeweilige (historische) Ausdrucksweise von Themen und Vorstellungen durch Gegenstände und Ereignisse bedeutsam (Typengeschichte). (3) Die ikonologische Analyse wird durch die Hinzunahme des Wissens um jeweilige (historische) Ausdrucksweisen „wesentliche[r] Tendenzen des menschlichen Geistes durch be-

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schriften und Werbung, Fernsehen, Film und Internet geprägter körperbezogener Seh- wie Darstellungskonventionen wird für die Untersuchung der Selbstkörperfotografie insbesondere auf Forschungsergebnisse zu medialer Körperdarstellungen und den darin zum Tragen kommenden visuellen und sprachlichen Diskurse zurückgegriffen (vgl. Kapitel 3.2.1 zur medialen Darstellung von Migrantinnen). 5. Zum konkreten Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Fotografie (Interne Kontextualisierung) In Schritt fünf wird versucht, möglichst viele Informationen über den Grund für die Entstehung der Fotografie, die konkrete Erstellung sowie den Verwendungskontext beziehungsweise die Verwendungskontexte als „engerem Kontextwissen“ zu sammeln. Die Ausführungen zum internen Kontextwissen von Jon Prosser und Dona Schwartz unter Bezugnahme auf Clem Alderman führen im Bezug auf das vorgestellte Projekt zu folgender Fragen: Wie wurde der Kontakt zur Fotografin/Fotografierten hergestellt, wo wurde das Bild gemacht, wer war anwesend und welche Abmachungen wurden hinsichtlich der Verwendung der Fotografien getroffen? (vgl. Alderman 1998; Prosser/Schwartz 1998).10 Die Situation der Datengewinnung mit mir als Forscherin ohne Migrationshintergrund und den beforschten Frauen, die sich durch einen Aufruf an Frauen mit Migrationshintergrund angesprochen fühlten, bietet in der Untersuchung zu Körperinszenierungen im Kontext von Migration eine interessante Perspektive. Wird davon ausgegangen, dass migrationsbezogene Selbst- wie Fremdzuschreibungen (intendiert wie implizit) Einfluss auf Körperlichkeit nehmen, so kann die spezifische Konstellation in der Situation der Erstellung des Materials bewusst genutzt werden. Als Repräsentantin der autochthonen Bevölkerung wahrgenommen, strukturiert meine Anwesenheit den Kontext der Körperinszenierungen als vertraute mehrheitsgesellschaftliche und zugleich nicht alltägliche Forschungssituation mit. Die damit einhergehende Frage nach dem fotografischen Darstellungsinteresse der Fotografierten/Fotografin erscheint in diesem Zusammenhang so bedeutsam, dass im folgenden Punkt gesondert darauf eingegangen wird. Zuvor wird die Fotografie auf Basis des bestehenden Kontextwissens entsprechend möglicher Bildgenres klassifiziert.

stimmte Themen und Vorstellungen“ (Symbolgeschichte) befragt und ggf. modifiziert (vgl. Panofsky 1955/1996, 50). 10 Nach Clem Alderman würde bei Projekten, in denen der/die ForscherIn das Fotomaterial selbst produziert, zudem die Darstellung der Beziehung zwischen FotografIn und fotografierter Person hinzukommen. Da diese beiden Positionen in der Untersuchung der vorliegenden Studie jedoch zusammenfallen, gehe ich in diesem Schritt nicht darauf ein.

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6. Darstellungsinteresse und Adressatenspezifität der Fotografierten/Fotografin Durch den Zusammenfall der Fotografin mit der Fotografierten in einer Person erscheint die Rekonstruktion des sich durch beide Rollen ergebenden Darstellungsinteresses von Bedeutung. Dabei muss aufgrund der Doppelrolle in dieser Untersuchung keine Rekonstruktion der Durchkreuzung der Intention der abbildenden durch die Intention der abgebildeten Person (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, 138) vorgenommen werden. Das für die Forschungsfrage bedeutsame Darstellungsinteresse der beteiligten Frauen lässt sich somit in einem Zusammenspiel des jeweils fotografierenden und fotografierten Habitus erfassen. Dabei kann die Intention aufgrund des Forschungsdesigns hinsichtlich ihrer Adressatenspezifität auf drei Ebenen betrachtet werden: • bezogen auf sich selbst (durch die Selbstbetrachtung über den Monitor), • bezogen auf die Forscherin in der Erhebungssituation, • bezogen auf die durch die Forscherin vorgeschlagenen imaginierten sozialen Situationen. Durch das Forschungsdesign wird somit der bei Pilarczyk und Mietzner als ikonografische Interpretation bezeichnete Arbeitsschritt der Rekonstruktion des bewusst intendierten Ausdruckspotenzials hinsichtlich des Entstehungszusammenhangs (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005, 138) um die Selbstbetrachtungs- und die imaginierte Ebene ergänzt. Auf Ebene der Selbstbetrachtung führt die Möglichkeit, während der Erstellung der Fotografie das Display der Kamera über einen Monitor zu sehen, zu der Frage, inwiefern es sich um eine ,durch die Augen‘ der Teilnehmerin vorgenommene fotografische Selbstobjektivierung handelt, welche die Unterteilung in fotografierendes Subjekt und fotografiertes Objekt auflöst. Demgegenüber kann die Ebene der imaginierten Situationen als eine Form der Hilfskonstruktion angesehen werden; zum einen im Hinblick auf die Teilnehmerinnen, da in Vortests deutlich wurde, dass es nur schwer möglich ist, situationsunabhängige typische Körperhaltungen einzunehmen. Zum anderen entsteht auf diese Weise ein in der Fallkontrastierung vergleichbarer Materialkorpus. Der Entstehungshintergrund der Fotografien findet durch die Bezugnahme auf die konkrete Forschungssituation und damit auch die imaginierte Situation Berücksichtigung. Grundsätzlich wurde deutlich, dass aufgrund der in dieser Untersuchung verwendeten Laienfotografien nur von einem bedingten Wissen über fotografischen Bildgestaltungsmitteln und deren Anwendung ausgegangen werden kann, sodass die Möglichkeiten der Bildauswahl durch die Teilnehmerinnen die Zufälligkeit der fotografischen Selbstkörperpräsentationen einschränkt. Die nicht zu klärende Frage nach dem Verhältnis von bewusster Intention und Zufall der Präsentation auf allen

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drei Ebenen – gegenüber sich selbst, der Forscherin und in der imaginierten Situation – rückt durch die Auswahl eines als präsentationsfähig erachtet Fotokorpus allerdings in den Hintergrund. 7. Ikonologische Hypothesenbildung Die Entwicklung ikonologischer Hypothesen orientiert sich an der ikonologischen Interpretation Panofskys. In diesem sich der „wesentlichen Bedeutung“ des Bildes nähernden Arbeitsschritt werden unter Berücksichtigung geschichtlicher, gesellschaftlicher und politischer Bedingungen nachträgliche Interpretationen vorgenommen. Die Tatsache, dass sich diese Aufgabe letztlich nie ganz systematisieren lässt, wird durch den Ausdruck der „synthetischen Intuition“ (Panofsky 1955/1996, 48) aufgegriffen. Die zuvor auf theoretischer Grundlage herausgearbeiteten Formen, Motive, Bilder, Anekdoten und Allegorien werden als Manifestationen zugrunde liegender Prinzipien im Sinne Ernst Cassirers weit gefasstem Symbolverständnis als „symbolische Werte“ interpretiert. Diese symbolischen Werte müssen von der fotografierenden Person nicht intendiert sein und können dem vermuteten intendierten Bildsinn durchaus entgegenstehen (vgl. bezogen auf den Maler, die Malerin ebd., 41). Mögliche Widersprüche zwischen dem Versuch der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses und dem Bildeindruck können somit aufgegriffen werden. Als ein Zeitdokument erscheint das fotografische Bild im ikonologischen Arbeitsschritt als eine Verdichtung grundlegender Prinzipien soziokultureller Zugehörigkeit. Vom Bild ausgehend werden durch eine solche Kontextualisierung über dieses hinausgehende interaktionale Aussagen möglich, sodass gerade in diesem Schritt die spezifisch sozial- beziehungsweise erziehungswissenschaftliche Perspektive Berücksichtigung finden kann. Die Fragestellung nach dem Einfluss von Migration auf Körperlichkeit bildet dabei die Grundlage für die Aufmerksamkeitsrichtungen und die theoretischen Bezüge. 8. Rückbindung an den fotografischen Fallkorpus Nach Abschluss der Einzelbildanalyse wird in diesem Schritt noch einmal der Blick auf den fotografischen Fallkorpus gerichtet, um die entwickelte(n) Hypothese(n) an die übrigen zur Verfügung stehenden Fotografien rückzubinden. Die Hypothesen dienen somit als Suchheuristiken für die Betrachtung der in der Regel sechs weiteren Fotografien. Dabei kann es aufgrund der in Schritt eins beschriebenen Bildauswahl vorkommen, dass sich die Ergebnisse der Einzelbildinterpretation nicht ohne weiteres in Beziehung setzen lassen. Aufgrund der unterschiedlichen Intensität der Einzelbildinterpretation auf der einen und der assoziativen Betrachtung der weiteren Fotografien auf der anderen Seite, kann der fotografische Fallkorpus einzig dazu dienen, gegebenenfalls zur Schärfung gewählter Begrifflichkeiten aus der Ein-

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zelbildinterpretation beizutragen. Durch den Vergleich mit den weiteren Fotografien aus einer Fotoreihe können auf Grundlage von Ähnlichkeiten und Unterschieden zudem womöglich Rückschlüsse auf den Umgang mit der Erhebungssituation gezogen werden. Auf diese Weise bildet der fotografische Fallkorpus zum Ende hin noch einmal die Kontrastfolie für die abschließende verdichte Aussage zum Bild. 9. Verdichtete Aussage zum Bild Abschließend werden die Ergebnisse der umfangreichen Analyse in einer verdichteten Aussage gebündelt. Diese verdichtete Aussage wird mit den Ergebnissen der Interviewanalyse auf Fallebene in Beziehung gesetzt, um ein Körperinszenierungsmuster herauszuarbeiten. Im Forschungsprozess wird dieser Arbeitsschritt zunehmend fallkontrastierend vorgenommen.

6.2 I NTERVIEWANALYSE NACH DER G ROUNDED T HEORY

DER

M ETHODIK

Die Grundlage der in der vorliegenden Studie vorgenommenen Textanalysen bilden die durch biografische Interviews zum Thema Körper gewonnenen sprachlichen und anschließend verschriftlichten Darstellungen junger Frauen mit Migrationshintergrund. In der Regel schließt an die Durchführung biografischer Interviews eine sequenzielle Auswertung an. Dabei wird der sich aus den aufeinander aufbauenden Sequenzen der Erzählung entwickelnden „Gestalt des Textes“ eine besondere Bedeutung zugemessen. Der Aufbau des Textes eröffnet nicht nur den Zugang zum Präsentationsinteresse der interviewten Person, sondern auch zu deren subjektiven Sinnkonstruktionen und/oder latenten überindividuellen gesellschaftlichen Sinnstrukturen. Grundlage bildet die Annahme, dass die interviewte und die interviewende Person ein gemeinsames Interesse daran haben, sich im Sinne einer „ordentlichen Geschichte“ (vgl. Bourdieu 1990) verständlich zu machen und zu verstehen. Kritisch lässt sich zu diesem methodischen Vorgehen die Frage stellen, ob nicht bereits die Aufforderung, eine geschlossene und für die Zuhörerin oder den Zuhörer plausible Lebensgeschichte zu präsentieren, dazu beiträgt, das Unabgeschlossene, Parallele und Offene in den Hintergrund zu drängen. Durch ein anschließendes primär sequenzielles Analyseverfahren wird der Fokus weiterhin auf die Konstanten der Lebensgeschichte gelegt, sodass womöglich die Darstellung von gegensätzlichen, parallel nebeneinander verlaufenden Erzählelementen zu wenig Berücksichtigung erfährt.11 Denn die zu Beginn des Forschungsprozesses vorge11 Bourdieu bezeichnet in seinem Aufsatz Biografische Illusion „[d]en Versuch zu unternehmen, ein Leben als eine einzigartige und für sich selbst ausreichende Abfolge aufei-

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zelbildinterpretation beizutragen. Durch den Vergleich mit den weiteren Fotografien aus einer Fotoreihe können auf Grundlage von Ähnlichkeiten und Unterschieden zudem womöglich Rückschlüsse auf den Umgang mit der Erhebungssituation gezogen werden. Auf diese Weise bildet der fotografische Fallkorpus zum Ende hin noch einmal die Kontrastfolie für die abschließende verdichte Aussage zum Bild. 9. Verdichtete Aussage zum Bild Abschließend werden die Ergebnisse der umfangreichen Analyse in einer verdichteten Aussage gebündelt. Diese verdichtete Aussage wird mit den Ergebnissen der Interviewanalyse auf Fallebene in Beziehung gesetzt, um ein Körperinszenierungsmuster herauszuarbeiten. Im Forschungsprozess wird dieser Arbeitsschritt zunehmend fallkontrastierend vorgenommen.

6.2 I NTERVIEWANALYSE NACH DER G ROUNDED T HEORY

DER

M ETHODIK

Die Grundlage der in der vorliegenden Studie vorgenommenen Textanalysen bilden die durch biografische Interviews zum Thema Körper gewonnenen sprachlichen und anschließend verschriftlichten Darstellungen junger Frauen mit Migrationshintergrund. In der Regel schließt an die Durchführung biografischer Interviews eine sequenzielle Auswertung an. Dabei wird der sich aus den aufeinander aufbauenden Sequenzen der Erzählung entwickelnden „Gestalt des Textes“ eine besondere Bedeutung zugemessen. Der Aufbau des Textes eröffnet nicht nur den Zugang zum Präsentationsinteresse der interviewten Person, sondern auch zu deren subjektiven Sinnkonstruktionen und/oder latenten überindividuellen gesellschaftlichen Sinnstrukturen. Grundlage bildet die Annahme, dass die interviewte und die interviewende Person ein gemeinsames Interesse daran haben, sich im Sinne einer „ordentlichen Geschichte“ (vgl. Bourdieu 1990) verständlich zu machen und zu verstehen. Kritisch lässt sich zu diesem methodischen Vorgehen die Frage stellen, ob nicht bereits die Aufforderung, eine geschlossene und für die Zuhörerin oder den Zuhörer plausible Lebensgeschichte zu präsentieren, dazu beiträgt, das Unabgeschlossene, Parallele und Offene in den Hintergrund zu drängen. Durch ein anschließendes primär sequenzielles Analyseverfahren wird der Fokus weiterhin auf die Konstanten der Lebensgeschichte gelegt, sodass womöglich die Darstellung von gegensätzlichen, parallel nebeneinander verlaufenden Erzählelementen zu wenig Berücksichtigung erfährt.11 Denn die zu Beginn des Forschungsprozesses vorge11 Bourdieu bezeichnet in seinem Aufsatz Biografische Illusion „[d]en Versuch zu unternehmen, ein Leben als eine einzigartige und für sich selbst ausreichende Abfolge aufei-

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nommene methodische (Über)Betonung der Komplexität lebensgeschichtlicher Erzählungen sequenzieller Auswertungsverfahren scheint im Verlauf oftmals hinter einer schlussendlich angestrebten Bestimmung eines Strukturtyps oder eines latenten Sinnzusammenhangs zurückzutreten. Mit dem Ziel, den Fokus weniger stark auf die den gesamten Einzelfall übergreifenden großen Zusammenhänge zu richten und auf diese Weise stärker parallel bestehende, sich auf den ersten Blick womöglich ausschließende Aspekte zu berücksichtigen, wird in der vorliegenden Studie eine kategoriale Auswertung der biografischen Interviews vorgenommen.12 Im Folgenden stelle ich das Vorgehen der Kodierungsarbeit am Interviewmaterial nach der Methodik der Grounded Theory vor (zu den methodologischen Implikationen der Grounded Theory vgl. Kapitel 4.5). Die damit einhergehende zirkulärkomparative Kodierarbeit kann dabei als „hypothetisches Schlussfolgern“ (Charles S. Pierce) auf Grundlage von bestehendem theoretischem und alltagsweltlichem Vorwissen verstanden werden. Ein für einen Textabschnitt vergebener Kode soll die Dateneinheit repräsentieren – „auf den Punkt“ bringen (vgl. Kelle/Kluge 1999, 58f.) – und sich durch eine Balance zwischen Gegenstandsbezug und Theoriebezug auszeichnen. Anselm Strauss dazu: „Das Kodieren ist theoretisch, es dient also nicht bloß der Klassifikation oder Beschreibung der Phänomene. Es werden theoretische Konzepte gebildet, die einen Erklärungswert für die untersuchten Phänomene besitzen“ (Legewie/Schervier-Legewie 2004, 14). Die im Prozess zunehmend abstrahierende Kodierarbeit als „Herzstück“ (Breuer 2009, 69) der Grounded Theorie Methodik kann als „Strategie des Hin und Her, Vor und Zurück zwischen Datenerhebung, Konzeptbildung, Modellentwurf und Modellprüfung sowie der Reflexion des Erkenntnisweges“ (ebd.) eingesetzt werden. Über die gesamte Auswertung hindurch besteht bei einem diesem Forschungsstil verpflichteten Vorgehen die Aufgabe des Vergleichs von vorgenommenen Kodierungen innerhalb eines Falls sowie zwischen verschiedenen Fällen. Gependelt wird dabei in der Regel zwischen der Entwicklung neuer Kategorien (Abduktion) und der Zuordnung einer Dateneinheit zu einer bereits bekannten Kategorie (Subsumtion) (vgl. Kelle/Kluge 1999, 58). Grundsätzlich geht es beim Kodieren nach der Methodik der Grounded Theory „um begrifflich-konzeptuelle bzw. theoretische Identifikations-, Konstruktions- und Benennungsarbeit. Kodieren wird als eine kreative gedankliche und sprachliche Aktivität verstanden, bei der auf Grundlage empirischer Materialien einzelfallübergreifende, verallgemeinernde, typisierende Konzepte destilliert und benannt werden. Dadurch wird Wesentliches (aus

nander folgender Ereignisse zu begreifen, ohne andere Bindungen als die an ein Subjekt“ (Bourdieu 1990, 80) als absurd. 12 Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Kategorienbegriff vgl. Muckel 2007, 211ff.

162 | K ÖRPER UND M IGRATION dem Material, dem Phänomenbereich) extrahiert und auf einen theoretischen Begriff gebracht. Die Konzepte sollen aussichtsreiche Kandidaten für die Bildung von Erklärungsargumenten abgeben – was sich im Laufe der nachfolgenden Bearbeitung, beim Fortgang der Kodierung, der Kategorienentwicklung, bei weiterer gezielter Datensammlung sowie bei der Bildung theoretischer Modelle allerdings erst beweist“ (Breuer 2009, 70f.).

In der zahlreichen Literatur zum Vorgehen im Sinne der Methodik der Grounded Theory – wie in den Ausführungen der Begründer selbst – werden für den Prozess des Kodierens auf den verschiedenen Abstraktionsniveaus durchaus unterschiedliche Begriffe verwendet (vgl. Breuer 2009, 74ff.; Muckel 2007, 216f.). Für diese Studie wird folgende Systematik vorgeschlagen: Die Benennung von Kodes für Textpassagen als erste begriffliche Annäherung an das Material führt zu der Entwicklung von Konzepten. Eine „Klassifikation von Konzepten“ (Strauss/Corbin 1996, 43) führt zu einem abstrakteren Konzept – einer Kategorie. „Kategorien entstehen im Laufe des Prozesses der konzeptualisierenden Analyse der Daten. Sie werden weniger im eigentlichen Sinne zu einem bestimmten Zeitpunkt der Datenanalyse definiert“ (Muckel 2007, 217). In diesem Prozess wird das Material mithilfe der Strukturierung von Kategorien zu Ober- und Unterkategorien und der Strategie der Dimensionalisierung von Kategorien geordnet. Dieser Prozess dient der Entwicklung einer beziehungsweise einiger weniger Schlüsselkategorie(en). In diesem zirkulären Prozess der Auswertung werden die Arbeitsformen des offenen, achsialen und selektiven Kodierens angewendet (vgl. Strass/Corbin 1996). Dabei verläuft der Prozess tendenziell vom offenen über das achsiale zum selektiven Kodieren, wobei die Formen ineinander übergehen und im Verlauf auf zuvor gebildete Kodierformen zurückgegriffen werden kann: Als offenes Kodieren wird „[d]er Prozess des Aufbrechens, Untersuchens, Vergleichens, Konzeptualisierens und Kategorisierens von Daten“ (Strauss/Corbin 1996, 43) verstanden. Ausgehend vom bestehenden Forschungsinteresse wird eine wiederholte und eingehende Durchsicht des Materials vorgenommen. Dabei werden immer wieder Fragen an den Text gestellt. Die allgemeinste Frage lautet: „Welcher Art von Studie sind diese Daten angemessen?“ (Strauss 1998, 60). Diese Fragestellung hilft gerade zu Beginn der Arbeit, das bestehende Forschungsinteresse zu einer spezifischeren Forschungsfrage hin zu verdichten. Textabschnitte, die für den Untersuchungsbereich relevant sind, werden mit Kodes versehen. Dabei besteht die Möglichkeit, direkt in den Daten gefundene Begriffe zu wählen (In-vivo-Codes) oder eigene (theoriegeleitete) Kodenamen zu vergeben (vgl. Strauss/Corbin 1996, 50). Oftmals sind mehrere Lesarten eines Abschnitts möglich, sodass mehrere Kodes vergeben werden können. Taucht im Verlauf des Kodierens ein Textabschnitt auf, der einem bereits bestehenden Kode zu-

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geordnet werden kann, so kann dieser erneut genutzt werden. In diesem Prozess werden für einzelne Textstellen vergebene Kodes auf Grundlage der gegenseitigen In-Beziehung-Setzung theoretisch konzeptualisiert. Durch die eingehende Beschäftigung mit den kodierten Textstellen, den daraus entwickelten Konzepten und deren Beziehungen untereinander werden in einem Suchprozess immer wieder verschiedene Ordnungsmöglichkeiten ausprobiert. Die Konzepte werden zu Ober- und Unterkategorien verdichtet und es werden Dimensionalisierungen der Kategorien vorgenommen. In diesem Ordnungsprozess machen weniger die klassischen soziodemografischen Unterscheidungskategorien wie Geschlecht, Bildungsstand, Nationalität, Alter usw. das „dimensionale Spektrum“ aus, sondern die für die inhaltliche Fragestellung relevanten Kategorien (vgl. Strauss 1998, 62). Von Beginn an wird der gesamte Prozess der Analyse durch die Rückbindung an theoretische Hintergrundannahmen begleitet, die in Form von Anmerkungen und Fragen mithilfe von schriftlichen Analyseprotokollen, den sogenannten Memos, festgehalten werden (vgl. Strauss/Corbin 1996, 169ff.). Auf diese Weise wird direkt zu Beginn die Vernetzung der Daten mit wissenschaftlichem Wissen vorgenommen, wodurch das Potenzial von möglicherweise für die Forschungsfrage interessanten Aspekten „nicht so sehr im Dokument selbst“, sondern „in der Qualität der Beziehung zwischen Datum [Material, H.T.] und forschendem Geist“ (Strauss 1998, 58) besteht. Die ersten offenen Kodierungen haben die Funktion eines „Sprungbretts“ (vgl. ebd., 100), um den recht schnellen Sprung weg von der deskriptiven Benennung in Form paraphrasierter Kodes hin zu der theoretischen Aufladung des Materials zu ermöglichen. In einem fließenden Übergang liegt der Fokus beim achsiale Kodieren auf der Aufgabe, die mithilfe des offenen Kodierens entwickelten empirisch gestützten Kategorien zu ordnen und auf diese Weise theoretisch zu verdichten. Unterstützung bei diesem Vorgang bietet das von Strauss und Corbin empfohlene handlungstheoretische Kodierparadigma als einem abstrakten, empirisch gehaltlosen theoretischen Modell.13 Auf diese Weise können die im Material gefundenen Phänomene strukturiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Strauss/Corbin 1996 75ff.; Strauss 1998, 56f.). Bezogen auf ein in den Daten gefundenes Phänomen fragt das handlungstheoretische Paradigma danach, • welche ursächlichen Bedingungen gegeben sind, • welcher soziale (Interaktions)Kontext besteht, • ggf. welche intervenierenden Bedingungen zu berücksichtigen sind,

13 Neben dem Kodierparadigma kann die Strukturierung des Material auch durch die von Glaser vorgeschlagenen Kodierfamilien vorgenommen werden (vgl. Glaser 2004).

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• welche Taktiken und Strategien Verwendung finden, und • was die Konsequenzen des Phänomens sind. Das Wissen über die Beziehungen zwischen den Kategorien wird auf diese Weise intensiviert und es entwickelt sich ein Netz von theoretisch konzeptualisierten Begrifflichkeiten. Indem die gefundenen Kategorien gebündelt und durch die Unterteilung in Ober- und Subkategorien geordnet werden, bilden sich in dem Netzwerk „Achse(n)“, die als ein Gerüst für die entstehende Theorie angesehen werden können. Aufgrund der ineinander verschränkten Phasen der Datenerhebung und Auswertung kann das für den ersten Fall entwickelte Kategorienschema anhand der im weiteren Verlauf gewählten Fälle ausgearbeitet und modifiziert werden (vgl. Kelle/Kluge 1999, 73). Anders als beim offenen Kodieren wird in diesem Prozess zunehmend zielgerichteter kodiert, ohne die Offenheit für mögliche neue Phänomene zu verlieren. Im Schritt des selektiven Kodierens wird „systematisch und konzentriert nach der Schlüsselkategorie kodiert“ (Strauss 1998, 63), indem das bereits erarbeitete Netzwerk von Kategorien durch die Berücksichtigung von weiterem Datenmaterial eine „empirische Auffüllung“ (ebd., 67) erfährt. Ziel ist es, die durch das achsiale Kodieren herausgearbeiteten Ober- oder Hauptkategorien nun miteinander in Beziehung zu setzen und nach der Kern- oder Schlüsselkategorie als dem zentralen Phänomen der Analyse zu suchen. Eine Oberkategorie eignet sich dann als Schlüsselkategorie, wenn die meisten anderen Kategorien einen Bezug zu ihr haben, sie also möglichst einen Großteil des Materials ,aufschließt‘. Auf diese Weise kann um sie herum ein aussagekräftiges Begriffsnetz – das theoretische Modell – entstehen. Im Hinblick auf dieses Modell unterscheiden Glaser und Strauss noch einmal zwischen materialer und formaler Theorie. Die materiale Theorie hat eine begrenzte Reichweite und ermöglicht Aussagen zu einem spezifischen Forschungsinteresse in einem konkreten Feld. Allgemeinere Aussagen werden in formalen Theorien festgehalten und bedürfen feldübergreifender Untersuchungen (vgl. Glaser/Strauss 2008, 42ff.). In der vorliegenden Studie wird demnach eine materiale Theorie begrenzter Reichweite zum Einfluss von Migration auf Körperlichkeit am Beispiel junger Frauen mit Migrationshintergrund entwickelt.

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6.3 E INE SYSTEMATISCHE T RIANGULATION VON F OTO - UND I NTERVIEWANALYSE – SECHSTER Z WISCHENSTAND Wurde die Gewinnung von sprachlichen und visuellen Körperpräsentationen mit dem Ziel begründet, die Perspektive auf die soziale Ordnung des Körperlichen im Kontext von Migration zu erweitern (vgl. dazu Kapitel 4.1), wird an dieser Stelle das konkrete Vorgehen einer systematischen Zusammenführung des Materials zum Thema. Dabei muss die grundlegende Entscheidung getroffen werden, ob eher fallimmanent oder materialimmanent gearbeitet werden soll. Bei einem primär materialimmanenten Vorgehen werden fallübergreifend alle Fotografien sowie alle Interviews separat ausgewertet. Die Ergebnisse jeweils einer Foto- und einer Interviewstudie werden anschließend miteinander in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise bleibt das Material in seiner materialimmanenten Eigenlogik länger autonom. Ein stärker fallimmanent ausgerichtetes Vorgehen verknüpft hingegen zunächst die Interpretationen der fotografischen Selbstporträts mit der Interviewanalyse der Darstellungen einer Frau. Erst in einem zweiten Schritt werden diese personenbezogenen vorläufigen Ergebnisse zwischen den einzelnen Fällen miteinander in Beziehung gesetzt und zu einem umfassenden Kategoriensystem ausgearbeitet, das die Grundlage für das theoretische Modell begrenzter Reichweite bildet. Bei diesem Vorgehen wird der einzelne Fall – ein Stück weit entgegen der Logik der Grounded Theory Methodik – zu Beginn relativ stark gewichtet. Im weiteren Verlauf nimmt jedoch die Kontrastierung zwischen den Interpretationen der Daten eines Falls bei der Entwicklung eines Kategoriensystems eine zunehmende Bedeutung ein. Für diese Untersuchung wird ein fallimmanentes Vorgehen gewählt, indem die Ergebnisse der Foto- und der Interviewanalyse bereits im Forschungsverlauf trianguliert werden. Auf Grundlage der auf diese Weise entstandenen Ergebnisse wird anschließend im Sinne des Theoretical Samplings der nächste Fall ausgewählt. Die folgenden Interpretationen werden dabei an die bisher vorgenommenen Analysen zurückgebunden, sodass die Kodierarbeit im Verlauf zunehmend fallübergreifend ausgerichtet ist. Dieses Vorgehen soll dazu beitragen, vorschnellen Übertragungen der Analyseergebnisse auf das je andere Material entgegenzuwirken und zugleich das Potenzial der fallimmanenten Bezugnahme der Materialien aufeinander nutzbar zu machen. Vordergründigen Übereinstimmungen wird ein Suchprozess entgegengesetzt, der die jeweiligen Besonderheiten des Materials in seiner (symbolischen) Eigenlogik berücksichtigt. Die im Verlauf vorgenommene Bezugnahme der durch die Bild- und Textanalyse entwickelten Forschungshypothesen bildet die Grundlage der fallkontrastiv entwickelten Körperinszenierungsmuster auf Fallebene. Eine auf diese Weise systematisierte Triangulation nimmt Einfluss auf den gesamten Analyseverlauf. Durch die Entscheidung der gegenseitigen Bezugnahme von Foto- und Interviewinterpretation auf Fallebene wird der Forschungsprozess

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auf der einen Seite geordnet; er büßt auf der anderen Seite jedoch auch einen Teil der Offenheit der explorativ angelegten Grounded Theory ein. Um das Potenzial der Bezugnahme von Interview und fotografischen Selbstporträts eines Falls aufeinander nutzen zu können, wurde die Entscheidung getroffen, Körperinszenierungsmuster auf Fallebene zu entwicklen und diese entsprechend der chronologischen Einbindung der einzelenen Fälle zu dokumentieren. Ein solches Vorgehen ist in der Methodik der Grounded Theory nicht angelegt, da den Datensorten in ihrer Materialität keine besondere Bedeutung zukommt.14 Wird jedoch – wie in dieser Studie – die Materialität visueller und sprachlicher Darstellungen von Körperlichkeit als bedeutsam erachtet, ergibt sich durch eine je materialangemessene Analyse eine hohe Komplexität. Um weiterhin die Nachvollziehbarkeit der Analyse zu gewährleisten, wurde eine nach Fällen geordnete Darstellungsweise gewählt, die im Prozess des Theoretical Samplings durch einen zunehmenden Fallvergleich gekennzeichnet ist.

Schlüsselkategorie in ihren Dimensionen

Körperinszenierungsmuster

Foto

Interview

Abbildung 3: Schaubild zur Struktur des Forschungsprozesses

14 Dies zeigt sich schon daran, dass Strauss und Corbin in dem Einführungsbuch Grundlagen Qualitativer Sozialforschung (1996) kaum auf das der Analyse zugrunde liegende Material eingehen.

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7.1 K ÖRPERLICHKEIT ALS KULTURELL - GESCHLECHTLICH MARKIERTER ,E MANZIPATIONSPROZESS ‘ – F ALLSTUDIE M EILING Kurzporträt Meiling3 ist zur Zeit des Interviews 32 Jahre alt und studiert an einer deutschen Universität. Sechs Jahre zuvor ist sie zum Studium nach Deutschland gekommen. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder leben in China. In China geboren und aufgewachsen, absolviert Meiling dort zuvor ein Lehramtsstudium und arbeitet für drei Jahre als Lehrerin. Ihren Mann, der ebenfalls für ein Studium aus China nach Deutschland gekommen ist, lernt sie in Deutschland kennen. Sie leben zusammen in Deutschland, für Meiling steht jedoch außer Frage, dass sie aufgrund ihrer Familie und damit einhergehenden Pflichten irgendwann nach China zurückkehren wird. 7.1.1 Fotografieanalyse Auf Basis eines aus sieben Fotografien bestehenden Fallkorpus wird ein Bild für die ausführliche Einzelbildinterpretation ausgewählt. Alle Fotografien im Querformat zeigen eine Person, die vor einem unauffälligen Hintergrund steht. Die Person nimmt auf allen Fotografien unterschiedliche Körperhaltungen ein, wobei das erste Bild aufgrund des gewählten weiten Bildausschnitts in Kombination mit den durch den Bildrand angeschnittenen Füßen der abgebildeten Person mein Interesse weckt. Warum ist die Person, welche durch den Ausschnitt im Bild fast klein und verloren wirkt, nicht ganz abgebildet? In Kombination mit dem deutlichen Lachen, das die Person auf dem Bild zeigt, scheint sie – anders als in den anderen Fotografien – direkten Kontakt mit der Betrachterin, dem Betrachter aufzunehmen. Diese Kontaktaufnahme irritiert mich und bildet die Grundlage für die eingehende Einzelbildinterpretation (Bildauswahl).

3

Die Pseudonyme wurden von den Frauen selbst gewählt und notiert. Bei mit der Namenswahl verbundenen Assoziationen, werden diese im Folgenden durch Fußnoten ausgeführt. Die Recherche zu dem Namen Meiling ergab, dass es sich dabei vermutlich um eine verwestlichte Schreibweise des weiblichen chinesischen Namens Mei Ling handelt.

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Abbildung 4: Fotoreihe zu den imaginierten sozialen Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit (Uni), mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Meiling Externe Kontextualisierung Als externes Kontextwissen wird das Wissen um die Entstehung der Fotografie im Jahr 2009 in Deutschland im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes zum Themenkomplex „Körper und Migration“ einbezogen. Für die Untersuchung wurden von mir junge Frauen gesucht, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland migriert sind. Das Foto zeigt eine Teilnehmerin, die sich auf diese Suchanfrage meldete. Die folgende von mir als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft vorgenommene Analyse soll dazu genutzt werden, Aussagen über die Körperdarstellung der Frau im Bild zu machen.4 Meine Aufmerksamkeit ist dabei auf den interaktionalen Gehalt der Fotografie gerichtet. Grundlage bildet die in Kapitel „Körper und Sozialität“ ausgearbeitete Position, dass sich soziale Erfahrungen eines Menschen in Form inkorporierter Strukturen zeigen. Diese Verkörperlichungen sollen mithilfe visueller Darstellungen rekonstruiert werden (zum Verhältnis von Bild und Körper vgl. Kapitel 4.6).

4

Die in der folgenden Dokumentation des Forschungsprozesses eingenommene IchPerspektive soll nicht verschweigen, dass das Material immer wieder und in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen diskutiert wurde und ich auf diese Weise viele gute Anregungen erhalten habe, für die ich mich an dieser Stelle noch einmal bedanken möchte.

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Die vorikonografische Beschreibung auf dreidimensionaler Ebene5 lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das Foto im Queerformat zeigt die Untersuchungsteilnehmerin, die auf einem hellgrauen Boden aus Teppich oder Kunsstoff vor einer hellen Wand steht.6 Die Frau ist frontal zur Kamera ausgerichtet und befindet sich auf der leicht nach links verschobenen Mittelvertikalen des Bildes. Der Bildmittelpunkt befindet sich an der rechten Seite ihrer Taille7. Bis auf den vorderen Teil der Füße, welche am unteren Bildrand ,abgeschnitten‘ sind, ist die gesamte Frau zu sehen. Ihr linkes Bein ist leicht nach vorne angewinkelt, ihr rechtes Bein ist durchgedrückt. Die sichtbaren Teile der Füße stehen eng beieinander und sind leicht nach links ausgerichtet. Ihr linker Oberarm liegt seitlich am Oberkörper an, ihr Unterarm ist in einem geöffneten rechten Winkel nach vorne Richtung Kamera gebeugt, sie hält einen dunklen eckigen kleinen Gegenstand in ihrer Hand. Der rechte Arm und die rechte Hand hängen neben ihrem Oberkörper herab. Dabei weist der leicht gekrümmte Zeigefinger und der Daumen Richtung Boden, die dahinter sichtbaren restlichen drei Finger sind Richtung Handinnenfläche eingeknickt und scheinen den Daumen leicht zu berühren. Die Frau schaut in Richtung Kamera und lacht deutlich mit offenem Mund; ihre Zähne sind sichtbar und ihre Augen leicht zusammengekniffen. Ihre Augenbrauen sind kaum zu erkennen, scheinen aber nach oben gezogen zu sein. Ihr langes, glattes, dunkles Haar ist in einem rechten Seitenscheitel geteilt und fällt offen bis über ihre Schultern herab. Die Frau trägt eine randlose, ovale Brille. Über einem schwarzen Langarm-Shirt trägt sie einen weiter geschnittenen, grobmaschigen, violetten Strickpullover mit kurzem Arm und einem Wasserfallkragen, der ihr über die Hüften reicht und in der Taille mit einem breiten schwarzen Ledergürtel zusammengehalten wird. Sie trägt eine enge, schwarze Hose, die in eng anliegende, schwarze Lederstiefel mit hohem Schaft und halbhohem Absatz gesteckt ist. Um den Hals trägt die Frau eine kurze Kette mit einem Anhänger in länglicher Form, der auf der Fotografie jedoch nicht genau zu erkennen ist.

5

Im Forschungsprozess wurden zudem zweidimensionale Skizzen angefertigt die an dieser Stelle nicht gezeigt werden können. Solche planimetrischen Skizzen eignen sich dazu, den Schritt des „sehenden Sehens“ gegenüber dem „wiedererkennenden Sehen“ (Imdahl 1996) zu unterstützen.

6

Auf der Wand ist an der rechten Seite eine vertikal verlaufende Leiste zu erkennen, die am oberen Bildrand im rechten Winkel nach rechts abknickt. Links neben der vertikalen Leiste sind zwei keinere helle Quadrate (aus Papier) zu erkennen. Links neben der Person ist ein weiteres deutlich größeres Rechteck zu sehen

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Um den Einfluss des Blicks der Forscherin auf die Bildbeschreibung kenntlich zu machen, wurde bei der Bildbeschreibung eine aus der Betrachterinnenperspektive vorgenommene Links/Rechts-Ordnung gewählt.

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Durch die dominanten Bildlinien entsteht der Eindruck einer rechtwinkligen Bildkomposition. Die dunkel gekleidete Person vor einem hellen Hintergrund verstärkt das Figur-Umraum-Verhältnis (vgl. Arnheim 1978, 223ff.). Der Lichteinfall weist aufgrund des Farbverlaufs der Hintergrundwand sowie der Reflexionen auf ihrem Gesicht und ihren Händen auf eine größere Lichtquelle auf der linken Seite hin. Das Foto wurde im Querformat aufgenommen, die Kameraposition führt zu einer leichten Untersicht auf die Person. Die Kamera zeigt einen Bildausschnitt, auf dem die Frau und viel Umraum zu sehen ist, sodass von einer weiten Halbtotale gesprochen werden kann. Der Anschnitt der Füße als einem Merkmal einer Detailaufnahme führt jedoch dazu, dass an dieser Stelle keine eindeutige Aussage zum Bildausschnitt möglich ist. Die leichte Wölbung in der Fußleiste wie auch der vertikalen Leiste rechts von der Person könnte auf ein Weitwinkelobjektiv der Kamera verweisen.

Abbildung 5: anonymisiertes Foto „in der Fußgängerzone“ und Skizze des Gesichts im Fall Meiling

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Der symbolische Gehalt des Bildes wird in Bezug auf die Position der Person im Bild, das äußere Erscheinungsbild sowie ihre Gestik und Mimik hin befragt. Die Position der Frau in der Fotografie im Querformat ist recht mittig. Auffällig am Bildausschnitt sind die durch den unteren Bildrand abgeschnittenen Fußspitzen. Dabei ist der Anschnitt von Körperteilen in der Porträtfotografie nicht ungewöhnlich und wird durchaus bewusst eingesetzt, um Spannung im Bild aufzubauen. Allerdings geschieht dies in der Regel in Kombination mit einem Bildausschnitt, der die Person quasi über den Rand hinaus raumfüllend zeigt. Aufgrund des Anschnitts des unteren Teils der Füße in Kombination mit dem weiten querformatigen Bildausschnitt in der Halbtotale entsteht daher der Eindruck einer nicht intendierten Bildkomposition. Unabhängig von der Frage nach bewusster oder zufälliger Entstehung erweckt der Anschnitt der Füße zum einen die Assoziation bestehender Unsicherheit, denn die Haltung einer Person ohne Füße beziehungsweise Fußspitzen erscheint wenig standfest. Eine andere Sehweise verweist auf den Eindruck einer Bewegung der Frau auf die Kamera zu: in ihrer Dynamik scheint sie von der Kamera in der bestehenden Position und Einstellung nicht mehr ganz erfasst werden zu können. Die Frau ist ihrem äußeren Erscheinungsbild nach als trendbewusst zu bezeichnen. Die eng anliegende Hose ist in die Stiefel gesteckte. Kombiniert mit einem längeren durch einen Gürtel zusammen gehaltenen kurzärmligen, violettfarbenen Pullover über einem Langarmshirt entspricht ihr Outfit den 2009 aktuellen Trends der Frauenmode in Deutschland. Ihre Mimik ist gekennzeichnet durch ein deutliches Lächeln, das ihre Zähne und ihr Zahnfleisch zeigt. In Kombination mit den leicht zusammen gekniffenen Augen und dem Blick in die Kamera erscheint das Lachen sehr direkt und wirkt weder ironisch noch boshaft. So wirkt Lachen in der Regel angenehm auf andere, denn es zeigt an, dass keine Aggression von der betreffenden Person ausgeht (vgl. Goffman 1981, 190). Die lachende Frau auf der Fotografie wirkt demnach gut gelaunt, dem Gegenüber wohl gesonnen und offen. Das Lachen in die Kamera kann als ein typisches Verhalten beim Fotografiert angesehen werden. Man zeigt sich von seiner fröhlichen Seite, um auch im Nachhinein eine positive Erinnerung an die damalige Situation zu haben. Die Körperhaltung der Frau erscheint zudem als recht entspannt. Indem das linke Spielbein leicht angewinkelt ist und der linke Fuß an der Ferse angehoben zu sein scheint, entsteht der Eindruck, als würde sich die Frau jede Minute mit einem Schritt des linken Fußes nach vorne bewegen. Zugleich weisen die sehr nah beieinander aufgestellten Füße auf eine kleine Standfläche hin, wie sie oftmals in weiblich konnotierten medialen Darstellungen genutzt wird (vgl. Mühlen Achs 1998, 48f.) und vermutlich wenig Standfestigkeit ermöglicht. Auch die Haltung der herabhängenden linken Hand erscheint auf den ersten Blick als entspannt. Gedeutet im

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Sinne einer „sprechenden Hand“ (Pasquinelli 2007, 10ff.) erscheint die kommunikative Geste als ein Symbol für ein aus-sich-heraus-Zeigen, das durch den damit vorgenommenen Bezug auf den Boden und im weiteren Sinne auf den Umraum einen kommunikativen Gehalt aufweist. Interne Kontextualisierung Durch eine interne Kontextualisierung wird der konkrete Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Fotografie benannt. Bekannt ist, dass es sich auf dem Bild um eine Teilnehmerin eines Forschungsprojektes zu Körper und Migration handelt. Meiling meldete sich auf den Aushang, der für die Suche nach möglichen Teilnehmerinnen in verschiedenen Universitäten und pädagogischen Einrichtungen ausgehängt wurde. Das vereinbarte Treffen fand in der Universität statt. Nachdem wir ein biografisches Körperinterview geführt hatten, bat ich Meiling mithilfe einer Fernbedienung Fotos von sich zu erstellen. Dabei war es ihr möglich, das Display der Kamera über einen angeschlossenen Monitor zu sehen. Hinsichtlich der Kameraeinstellung bat ich sie, diese nach ihren Wünschen einzustellen beziehungsweise mich entsprechend zu instruieren. Ihr Interesse an den fotografietechnischen Möglichkeiten war jedoch gering. Ohne lange zu überlegen stellte sie sich vor die Kamera und betätigte den Selbstauslöser.8 Zuvor hatte ich sie gebeten typische Körperhaltungen in verschiedenen imaginierten Situationen einzunehmen, die ich ihr im Verlauf vorschlug.9 Dabei stand es ihr frei, mehrere Fotorafien zu einem situativen Einstiegsimpuls zu machen und anschließend ein Foto zu jeder Situation auszuwählen. Ich war während der Fotoaufnahmen anwesend und befand mich die meiste Zeit – von Meiling aus gese-

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Im Verlauf des Fotografierens nahm Meiling durchaus Einfluss auf den Bildausschnitt indem sie mir Anweisungen gab. So schien es ihr bei den Posen wichtig, dass ihre gesamten Beine vom Bildausschnitt erfasst werden, weshalb sie mich bat, den Kamerawinkel zu ändern: „((holt sich einen Stuhl)) dann würde ich so (6) kannst du etwas runter machen?“ (27/13).

9

Auf diese Weise fallen das Darstellungsinteresse der Abbildenden und der Abgebildeten in einer Person zusammen. Die Betrachtung geschieht auf Grundlage von Meilings Selbstbetrachtung ,mit ihren eigenen Augen‘. Die für die Rekonstruktion von Bildbedeutungen bedeutsame Beziehung zwischen Betrachterin, Fotografin und Fotografierter kann daher erstens als Selbstthematisierung in der Selbstbetrachtung, zweitens als Betrachtung in der imaginierten Situation im Freundeskreis und drittens in der Betrachtung durch mich als Anwesende gesehen werden. Für die Abgrenzung der drei Ebenen voneinander lassen sich nur in den wenigsten Fällen konkrete Anhaltspunkte finden. Grundsätzlich kann aber von einem fotografischen Selbstporträt in einer sozialen Situation gesprochen werden.

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hen – rechts hinter der Kamera. Meiling nahm während des Fotografierens Einfluss auf die Kameraposition. Als während einer Aufnahme in sitzender Position ihre Beine nicht zu erkennen waren, instruierte sie mich, den Kamerawinkel anzupassen: „((holt sich einen Stuhl)) dann würde ich so (6) kannst du etwas runter machen?“ (27/13). Das näher betrachtete Foto ist die erste von zwei Aufnahmen, die Meiling auf die Bitte hin erstellte, eine typische Körperhaltung in einer Fußgängerzone einzunehmen. Das auf dem Foto deutlich zu erkennende Lachen Meilings ist ihrer Angabe nach der Grund, warum sie sich nach zwei Versuchen für das vorliegende Foto entschied. Für die angesprochene weitere Verwendung im Rahmen einer Veröffentlichung wurde von Meiling die Möglichkeit der Anonymisierung ihres Gesichts durch „Verpixelung“ gewählt. Hinsichtlich des Versuchs der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses in ihrem fotografischen Selbstporträts wird angenommen, dass sie durch den Blick in die Kamera und den freudigen Gesichtsausdruck eine direkte Verbindung zwischen sich und der durch die Kamera definierten Betrachtungsposition herstellt. Mir scheint, dass das von Meiling gezeigte deutliche Lachen in einer Fußgängerzone einen ungewöhnlichen Gesichtsausdruck darstellen würde, den man vielleicht nur dann zeigt, wenn man auf eine gut bekannte Person trifft. Steht für Meiling hingegen die Erhebungssituation für die Fotoinszenierung im Vordergrund, so wird von ihr auf diese Weise ein positiver Kontakt zur Kamera (und mir) aufgenommen. In Kombination mit ihrer aufrechten Körperhaltung, den nach außen aus sich heraus weisenden Armhaltungen und ihren leicht versetzten Beinen zeigt sich Meiling in einer dynamischen Entspanntheit. Bezogen auf die angeschnittenen Füße kann aufgrund des geringen Interesses an der Kameraposition und damit einhergehenden Möglichkeiten der Bildwirkung davon ausgegangen werden, dass es sich um einen Zufall handelt. Dabei kann der vermutlich zufällig entstandene Eindruck einer Bewegung nach vorne auf die Kamera zu wiederum durchaus ihrem Interesse entsprochen haben, da sie bei anderen Aufnahmen, auf denen sie nicht ganz abgebildet war, um eine Anpassung des Kamerawinkels bat. Unabhängig von der Frage nach der Differenzierung zwischen der Kontaktaufnahme mit mir in der Erhebungssituation und der imaginierten Situation im öffentlichen Raum einer Fußgängerzone, scheint es Meiling mit dem durch den Monitor möglichen Blick auf sich selbst – als dritte Adressatenebene – ein Anliegen zu sein, sich als unmissverständlich offen und freundlich zu präsentieren. Sie scheint nicht nur bereit für eine Kontaktaufnahme durch Andere, sie stellt den Kontakt selbst aktiv her. Ausgehend von den bisherigen Überlegungen zum Selbstporträt Meilings werden im Folgenden die (ikonologischen) Forschungshypothesen gebildet. Die verschie-

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denen Elemente des Bildes werden in ihren Deutungen aufeinander bezogen und unter Rückgriff auf das herangezogene Kontextwissen verdichtet: • Die Fotografie erscheint als eine Selbstdarstellung einer modebewussten, jungen Frau, die durch Mimik, Körperhaltung und ihre Position im Bild einen offenen Umgang mit dem Gegenüber inszeniert. • Durch die deutliche Kontaktaufnahme mit der Kamera beziehungsweise der dahinterstehenden Person wird die Unterteilung in Beobachtungsposition und die Rolle der Beobachteten in Frage gestellt. Die Bewegung auf die Kamera und mich als Betrachterin zu wird so zugleich zu einer Bewegung aus dem Bild heraus. Meilings Darstellung bezieht die beobachtende Person demnach aktiv in das Bild mit ein. • Bezogen auf die Erhebungssituation zeigt Meiling, dass sie mir oder der gesamten in den Räumen einer Universität stattfindenden Fotoaktion gegenüber keine Unsicherheit empfindet, sondern vielmehr ein großes Vertrauen gegenüber der von mir angeleiteten Situation besteht. Es kann vermutet werden, dass der Kontext Uni das gemeinsame nicht ganz alltägliche Tun legitimiert. Inwieweit mein durch die Suchanfrage zum Ausdruck kommender Fokus auf Migration bei der fotografisch festghaltenen Körperinszenierung eine Rolle spielt ist kaum zu klären, es kann jedoch angenommen werden, dass das durchaus gängige Muster ,Mehrheitsangehörige beforscht Migrantin‘ als Hintergrundfolie mitwirkt. • Das dem Gegenüber (der Kamera und/oder mir) entgegen gebrachte Interesse ist in so unmissverständlicher Weise als freundlich zu bezeichnen, dass (fast) der Eindruck einer gewissen Unsicherheit entsteht. Diese Assoziation der Unsicherheit wird durch den Bildausschnitt und ihrer Position hervorgerufenen recht großen Bildraum unterstützt, in dem sie ein wenig verloren wirkt. Die bei der Betrachtung von mir empfundene deutliche Zuwendung durch Meiling definiert unseren Kontakt im Sinne einer Vereindeutigung einer – potenziell auch immer unsicheren – sozialen Situation. Der direkte Blickkontakt in die Kamera (zu mir, zu ihr, zu Passanten), das deutliche Lächeln und die nach vorne gerichtete Dynamik der Körperbewegung führen zum Eindruck eines nahezu stürmischen Kontaktaufbaus. In Kombination mit einem durch die ,verlorene‘ Position im Bildraum und die Unmissverständlichkeit des Kontaktangebots bestehenden leicht unsicheren Eindruck durch die Darstellung Meilings ergibt sich eine Spannung zwischen dem aktiven Hervortretens und damit einhergehenden Elementen von Unsicherheit. Mir scheint, als soll die beabsichtigte Kontaktaufnahme unbedingt gelingen.

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Durch den Rückgriff auf die sechs weiteren Fotografien lassen sich die Ergebnisse im Hinblick auf den Fallkorpus fotografisch kontextualisieren. Die in der Einzelbildanalyse rekonstruierte deutliche Kontaktaufnahme mit dem Gegenüber findet sich auf den anderen Fotografien nicht. Die weiteren sechs Fotografien zeigen demgegenüber stärker darstellerische Elemente und erwecken den Eindruck einer deutlicheren Bezugnahme auf die imaginierten Situationen. Im Vergleich dazu erscheint das für die Einzelbildinterpretation gewählte Selbstporträt weniger auf die imaginierte Situation im öffentlichen Raum als auf die konkrete Erhebungssituation bezogen zu sein. Die Fotografie stellt die erste von Meilings Aufnahmen dar und kann demnach als ein Einstiegsbild in die thematisch vorbestimmte Fotosituation mit mir gedeutet werden. Da Meiling im weiteren Verlauf durchaus die Möglichkeit wahrnimmt, die eigene oder die Kameraposition zu verändern, erscheinen die angeschnittenen Füße als vermutlich zunächst zufällige, aber in der Auswahl bewusste – oder zumindest in Kauf genommene – Darstellungsweise. Die näher betrachtete Fotografie erscheint gerade im Vergleich zum fotografischen Fallkorpus als eine Form des unmissverständlichen Beziehungsaufbaus. Meiling zeigt auf allen drei Interaktionsebenen (in der imaginierten Situation Fußgängerzone sowie mir und sich selbst gegenüber), dass sie eine auch in körperlicher Hinsicht kontaktfreudige Person ist. Im Kontext des durch mich vorgegebenen Fokus auf Migration kann ihr aktives Hervortreten als Beziehungsangebot beziehungsweise Kontaktoffenheit gegenüber mir als in der durch die Forschungsfrage noch einmal betonten Rolle einer Repräsentantin der Mehrheitsgesellschaft verstanden werden. 7.1.2 Interviewanalyse Im Folgenden wird die sprachliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper untersucht. Wie in allen weiteren Interviewanalysen strukturiert die Heuristik des Kodierparadigmas die Aussagen im Hinblick auf ihre Bedingungen, die interaktional gemachen Erfahrungen, die Darstellungsstrategie sowie die sich daraus ergebenden Körperinszenierungen. Darauf aufbauend werden die Ausführungen zu einer Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration verdichtet. Meilings Aussagen aus dem Interview konnten mithilfe des Kodierparadigmas in die folgenden fünf Körperthemen strukturiert werden: (1) von Körpernormen befreien als Migrationsnarrativ, (2) körperlose Erziehung, (3) Körper, Pubertät und Scham, (4) Körperlichkeit zwischen kultureller und geschlechtlicher Zugehörigkeit aushandeln sowie (5) Normen männlicher und weiblicher Attraktivität. Auf der Grundlage dieser thematischen Struktur wird die sprachliche Körperinszenierungsstrategie im Kontext von Migration für den Fall Meiling entwickelt.

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Von Körpernormen befreien als Migrationsnarrativ Meiling setzt sich bezogen auf ihren Körper im Interview wiederholt mit dem Thema der Selbstbestimmung im Kontext von Migration auseinander. Sie verhandelt diese im Rahmen von unterschiedlichen sozialen Erwartungen, die in ihren Augen an sie und ihren Körper in Deutschland und China heran getragen wurden und werden. Im Vergleich zu China benennt Meiling den Umgang mit Körperlichem in Deutschland als offener und beurteilt dies als positiv. Sie erläutert die ,chinesischen Körpernormen‘ insbesondere anhand ihrer Erfahrungen in der Familie. Zudem benennt sie die Erfahrung eines hohen sozialen Drucks bezogen auf ein geringes Körpergewicht sowie das Vermeiden von Aufmerksamkeit durch körperbetonte Kleidung, da ihr die damit verbundene Aufmerksamkeit in China unangenehm sei (6/25-6/26). Dieser Einschätzung gegenüber stellt sie die Wahrnehmung eines in Deutschland empfundenen freieren und selbstbestimmteren Umgangs mit dem Körper, den sie durch die Möglichkeit in die Sauna zu gehen und „FKK zu machen“ benennt. Meiling gibt an, dass sie dieser ,deutsche Körperumgang‘ in der Öffentlichkeit insbesondere in der ersten Zeit in Deutschland sehr beeindruckt habe (1/17-1/19). Sich selbst verortet sie in diesen von ihr vorgenommenen körperbezogenen Kulturvergleichen, im Folgenden als Körper-Kultur-Vergleiche bezeichnet, in einem Entwicklungsprozess mit dem Ziel einer von ihr als deutsch definierten Körperlichkeit. Sie verdeutlicht ihre bisherigen ,Fortschritte‘ in diesem Prozess anhand der Erfahrung, dass es in einem Gespräch mit einer chinesischen Person in China für sie zu Problemen gekommen sei, da sie den in Deutschland selbstverständlichen Augenkontakt vermisst habe, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Gesprächspartnerin oder des Gesprächspartners einschätzen zu können (11/7-11/15). Ein weiteres Beispiel für ihre Entwicklung bildet der Umgang mit ihrem Gewicht. Im Vergleich zu dem in China als belastend empfundenen sozialen Druck eines geringen Körpergewichts erscheint ihr das Thema in Deutschland weniger bedeutend. So gibt sie an durch ihr Leben im Deutschland „lockerer“ (4/1-4/5) mit ihrer Figur geworden zu sein und hält es mittlerweile für Unsinn weiterhin abnehmen zu wollen. Als Grund für diese Veränderung ihrer Einstellung zu ihrem eigenen Körpergewicht nennt sie die in ihren Augen in Deutschland bestehende Vorstellung eines eher ,kurvigen‘ weiblichen Schönheitsideals: „=ich habe auf jeden Fall nie gedacht wie heißt es schön eine Körper weil in China immer nur ich habe nur gedacht ja bin nicht schlank solange ich schlange bin schlanker bin dann bin ich schön oder schöner als die Leute die dicker aber die Anderen die andere Seite habe ich nie gedacht wie hier hier denke eine Frau muss so ein bisschen so Hüfte haben ein bisschen so und so ((fährt mit der Hand in Schlangenlinien die Kontur ihres Oberkörpers nach)) ja in China ist aber schlank schlank dann ist gut ((lacht kurz))“ (3/26-3/31).

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Auf Basis dieser dichotomen Einschätzung erscheinen Meilings Ausführungen als eine Form der Befreiung mit dem Ziel eines weniger durch soziale Vorgaben beeinflussten selbstbestimmteren Umgangs mit ihrem Körper. Sie stellt ihre Auseinandersetzung mit diesen divergierenden körperbezogenen Vorgaben als einen Emanzipationsprozess im westlich-aufklärerischen Sinne dar. Die mit Deutschland in Verbindung gebrachte Autonomie ihrer Körperlichkeit definiert sie als ein erstrebenswertes Ziel. Demgegenüber wird die empfundene Unmündigkeit repräsentiert durch familiale und partnerschaftliche Kontrolle als ,typisch chinesisch‘ definiert. Bezogen auf divergierende von ihr kulturspezifisch markierte soziale Erwartungen an ihre Körperlichkeit erscheint Meiling als jemand der ,alles richtig machen möchte‘. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr eine der Mehrheitsgesellschaft angehörige Interviewerin gegenüber sitzt, könnte womöglich zu dem Wunsch führen, in ihren Augen ,typisch deutsche‘ Normalitätsvorstellungen zu erfüllen. Unabhängig davon, ob Körper als sozial kontrolliert oder selbstbestimmt dargestellt wird, Körperlichkeit erscheint bei Meiling als eine Aufgabe. In Anlehnung an Goffmans Konzept der Aufrechterhaltung des Selbst wird Körper zu etwas, das es entsprechend sozialer Erwartungen zu erfüllen gilt (vgl. Kapitel 2.4). Basierend auf Meilings Gegenüberstellung von Körper in China und Deutschland beschreibt sie ihre Position, als würde sie „in zwei Welten“ (12/36-13/2) leben. Im Rahmen dieses im deutschen Migrationsdiskurses dominanten Bildes äußert Meiling den Wunsch, die von ihr in Deutschland ,erlernte‘ Körperlichkeit auch nach der Rückkehr nach China zu bewahren. Ein Ziel, das in ihren Augen aufgrund der Erwartungen ihrer Familie nicht leicht sein wird: „ich ich entscheide alles für mich selbst ich hoffe aber in China weiß man nicht weil man ist dann wieder sofort zurück in diese Beziehungen mit Familien alles und jeder hat Einfluss auf mich aber ich wünsche mir dass ich noch so bleibe ((lacht kurz))“ (9/35-10/2). Auffällig ist, dass Meilings Vorstellungen einer ,typisch deutschen‘ Körperlichkeit im Vergleich zu einer ,typisch chinesischen‘ Körperlichkeit nicht als Normen beziehungsweise Vorschriften wahrgenommen werden. Sie erscheint für Meiling vielmehr als eine Möglichkeit größerer Freiheit. Körperlose Erziehung Für ihre Ausführungen zu den mit China in Verbindung gebrachten Körpernormen beruft Meiling sich auf ihre persönlichen Erfahrungen und bezieht sich dabei größtenteils auf ihre Familie. Sie distanziert sich entsprechend ihrer hierarchischen Gegenüberstellung zwischen China und Deutschland in Bezug auf Körper von der Art des Umgangs mit Körper in ihrer Familie. So gibt Meiling an, dass es in ihrer Familie in der Regel nicht zu Körperkontakt kam und kommt und sie kaum Blickkontakt mit ihren Eltern habe, wenn sie diese in China besuche. Auch kann sie sich nicht erinnern, Körperkontakte zwischen ihren Eltern miterlebt zu haben. Sie erinnert sich

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daran, sich als Jugendliche daher durchaus die Frage gestellt zu haben, ob ihre Eltern überhaupt Sex miteinander hätten – eine Überlegung die sie heute belustigt (3/18-3/21). Bezogen auf den Körperkontakt zwischen sich und ihren Eltern sind die Erinnerungen an die letzte Umarmung durch ihre Eltern nur vage und reichen in ihre früheste Kindheit zurück (1/35-1/38). Die Mutter heute zu küssen oder zu umarmen ist für Meiling eine unmögliche Vorstellung (3/15-3/16). Bestehende Erinnerungen an Körperkontakt in ihrer Kindheit bezieht sie auf Erfahrungen körperlicher Züchtigung durch ihre Eltern (3/13). Die Schläge mit einem Gürtel als Reaktion auf das Erwischtwerden bei Doktorspielen im Kleinkindalter haben sich dabei besonders deutlich in ihrem Gedächtnis verankert (11/37-12/1). Aus heutiger Sicht beurteilt sie die Erkundung des eigenen Körpers kleiner Kinder als nicht verwerflich und stellt die durch ihre Eltern vorgenommene rigide Körpererziehung beziehungsweise Körperkontrolle in Frage (12/2). Deutlich wird, dass die im Körper-Kultur-Vergleich vorgenommenen chinesisch markierten Zuschreibungen durch die Erfahrungen in der eigenen Familie gespeist sind. Die Familie erscheint bei Meiling insbesondere in Kindheit und Jugend als der Ort, an dem kulturelle Normen (re-)produziert werden. Kultur als sich im Alltag vollziehendem Orientierungsmuster ist in Meilings Darstellung somit keine in Reinform anzutreffende Essenz, die sich aus den Familienerfahrungen extrahieren lässt. Familiale Erfahrungen und das, was als für eine Kultur typisch angenommen wird, lassen sich in ihrer Verwobenheit kaum voneinander trennen. Meiling distanziert sich von den in der Familie gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Körper sowie auch von den daraus abgeleiteten Vorstellungen eines ,typisch chinesischen‘ Umgangs mit Körper im Allgemeinen. Eine Differenzierung zwischen der Kritik an den Familienerfahrungen und den generalisierten Vorstellungen wird nicht vorgenommen und erscheint aus ihrer Perspektive auch nur schwer möglich. Körper, Pubertät und Scham Meiling gibt an, mit ihrem Aussehen in der Jugend nicht zufrieden gewesen zu sein und beschreibt ihr damaliges Körpergefühl als negativ (7/35-8/2). Als einen Grund nennt sie das in China vorherrschende Schönheitsideal eines sehr schlanken Körpers (zum Beispiel 3/31). Ihrer Erfahrung nach bestand für sie als Jugendliche keine Möglichkeit, sich diesem sozialen Druck eines geringen Körpergewichts zu entziehen (3/26-3/28). Einen weiteren Grund für ihr negatives Körpergefühl in der Jugend bildet laut Meiling das Gefühl der Scham aufgrund körperlicher Veränderungen in der Pubertät. So berichtet sie, das Wachsen ihre Brüste durch nach vorne gezogene Schultern versteckt zu haben (2/28-2/30). Das im Vergleich zu Gleichaltrigen späte Einsetzen der Periode führte in Meilings Augen zu einem ihr damals unangenehmen Unverständnis, wenn andere Mädchen über „Liebe“ (2/32-2/34) sprachen. Eine sittliche

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Kontrolle und der Schutz ihres Körpers durch Erwachsene führen zu einer Verstärkung ihrer Unsicherheit und der Schamgefühle in dieser Zeit: „ich kann mich einmal erinnern dass ich mit meiner Cousine zusammen zum Schwimmen gegangen und ihre Vater war auch dabei und im Schwimmingpoo::l war (.) keine Ahnung ein Junge ganz nah neben mir immer und dann plötzlich war dieser Vater oder er ist mein Onkel glaube ich war er böse auf ihn und er hat ihn geschimpft und er soll weg (.) weg von mir und ich weiß nicht was ist genau passiert das war sehr komisch und ich fühle mich auch sehr schlecht weil keine Ahnung meine Körper hat irgendeine Reaktion erregt und das ist eine Negative und das muss ganz negativ sein deshalb war er sehr böse auf ihn genau ja das war schon eine sehr unangenehme Gefühl ja und diese Situation kann ich heute noch erinnern“ (11/23-11/31).

Die „späte Reife“ bringt sie dabei wiederum mit der Erziehung durch die Eltern in Verbindung (vgl. Körpererziehung), die in ihren Augen versucht haben, die Phase der Kindheit bei ihr und ihrem Bruder möglichst zu verlängern (3/3-3/4). Die nicht vorgenommene beziehungsweise hinausgezögerte sexuelle Aufklärung durch die Eltern scheint die ohnehin verunsichernde Phase des Übergangs von einem kindlichen zu einem erwachsenen Körper und die damit verbundenen Körpergefühle und -erfahrungen für Meiling noch schwieriger gemacht zu haben. Körperlichkeit zwischen kulturell und geschlechtlich markierter Zugehörigkeit aushandeln Meilings als kulturspezifisch markierte Ausführungen zu den Verschiedenheiten im Umgang mit Körper werden dabei immer wieder in Verbindung gebracht zur Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern. So scheint ihr Mann, ebenfalls ein Austauschstudent aus China, in Meilings Ausführungen nicht nur männliche sondern zugleich auch als chinesisch definierte Kontrollansprüche gegenüber ihrem Körper zu repräsentieren. Aus der Zeit als Meiling und ihr Mann noch nicht lange in Deutschland jedoch bereits befreundet waren, berichtet sie von Besitzansprüchen und an sie heran getragene moralische Vorschriften ihres Mannes. Und auch wenn sie sein Verhalten kritisiert und es wiederholt als richtig beurteilt, die Kontrolle über ihren Körper zu haben, so sagt sie dennoch über den Einfluss ihres Mannes auf ihre Körperlichkeit: „einmal Deutschland einmal China so zwei zum Beispiel mit dem Körper auch ich fühl/ ich weiß das ist meiner aber ich auch das gehört auch nicht ganz mir das ist auch seiner ((lacht))“ (12/33-12/34). Zudem berichtet Meiling davon, dass ihr Mann einmal handgreiflich wurde als er erfuhr, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte. Ein Verhalten ihr gegenüber, das sie im Interview als unangemessen bewertet (5/20-5/26). Als Grund

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dafür, dass sie bisher noch nie in der Sauna war, nennt sie ebenfalls ihren Mann, der dies zu Beginn ihrer Beziehung und der Zeit in Deutschland nicht wollte (1/191/20). Zudem berichtet sie von einer Situation, in der ihr Mann sie durch eine in ihren Augen vorgenommene Fehleinschätzung gegenüber anderen in Deutschland lebenden Menschen mit chinesischem Migrationshintergrund in Verlegenheit gebracht hat: „in erstes Jahr war ich in Deutschland nur habe ich mit mein Mann damals war er noch nicht mein Mann wir sind aber befreundet und noch mit ein paar andere Chinesen zusammen nach Holland gefahren an die Meer und dann ich habe mich gewünscht ein Bikini zu haben aber er hat gesagt ja die anderen ziehen sich bestimmt keine Bikini deswegen habe ich meine Badeanz/ oder wie heiß es Schwimmenbadeanzüge angezogen und ich bin die einzige mit eine schwarze komplett ja das war sehr peinlich ((lacht)) genau und habe ich mit mein Mann ein bisschen nachher war ich sehr ärger auf ihn genau aber jetzt ist er auch ganz locker“ (1/221/29).

Mittlerweile – so Meiling – sei ihr Mann jedoch „auch ganz locker“ (1/29) geworden, wobei sich das „auch“ auf sie selbst wie auf die angenommenen Normalitätsvorstellungen in Deutschland beziehen kann. Verstanden im Sinne einer sozialen Erwünschtheit ihrer Äußerung mir gegenüber, könnte darin ein Hinweis auf eine kulturspezifische Abgrenzung zwischen einem traditionelleren Geschlechterverhältnis in China und einem egalitäreren Geschlechterverhältnis in Deutschland bestehen. Entgegen ihrer früheren Einstellung, dass die Wünsche ihres Mannes im Bezug auf ihren Körper wichtiger seien als ihre eigenen gibt Meiling an, nun selbst über ihren Körper zu entscheiden (4/28-4/33). Als Beispiel nennt sie Sex, bei dem aufgrund von Unsicherheiten bei ersten sexuellen Kontakten laut Meiling Männer auch manchmal „blöde Sachen“ (8/12) machen. Mittlerweile sei Sex für sie jedoch mit schönen Gefühlen verbunden (8/8-8/12), was womöglich auf eine (mit zunehmendem Alter) deutlichere Artikulation der eigenen Wünsche und Bedürfnisse hindeutet. In einem grundsätzlichen Sinne empfindet Meiling die Kontrolle ihres Körpers durch ihren Mann jedoch als weiterhin maßgeblich, indem ihr bestimmte Gefühle wie das Verlieben durch ihre Ehe untersagt seien (9/3-9/16). Durch die Kritik ihres Partners an ihrem moralischen Verhalten gibt Meiling an, sich manchmal schlecht und schuldig zu fühlen, auch wenn sie sich zugleich darüber ärgern würde (12/11-12/22). In Meilings Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit wird die enge Verwobenheit zwischen den sozialen Differenzierungen von Frau und Mann sowie China und Deutschland deutlich. Vorgenommene Kulturalisierung im System der Zweigeschlechtlichkeit sind gekoppelt an die in der Beziehung mit ihrem Mann bestehende Auseinandersetzung über kulturelle Regelsysteme, sodass eine in der Interaktion

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nicht auflösbare Verbindung natio-ethno-kultureller und vergeschlechtlichter Normvorstellungen besteht: Meiling verhandelt über und mit ihrem Körper die mit den miteinander verwobenen Zugehörigkeiten einhergehenden Normvorstellungen. Normen männlicher und weiblicher Attraktivität Meiling kommt zudem auf geschlechtsspezifische Schönheitsvorstellungen zu sprechen und stellt ausgehend von dem Hinweis, dass ihr kleiner Bruder sehr dünn sei fest, dass chinesische Männer generell eher klein wären (2/2-2/4). Demgegenüber gibt sie an, dass europäische Männer aufgrund ihrer durchschnittlich größeren Größe im Vergleich zu Asiaten für sie männlicher aussehen (2/9-2/11). Ausgehend von stereotypen männlichen Schönheitsvorstellungen von Größe und Kraft erscheinen chinesische Männer Meiling zuweilen als eher weiblich (2/3-2/4). Die Beschreibung des Aussehens einer Frau als männlich beziehungsweise eines Mannes als weiblich kann dabei als eine Abwertung in Form nicht erfüllter Normen verstanden werden. Europäische Männer erscheinen Meiling im Vergleich zu chinesischen Männern männlicher, eine Aussage, die sie zwar nicht noch einmal explizit bewertet, bei der jedoch davon ausgegangen werden kann, dass ein durch große Körpergröße und höheren Körperumfang männliches Aussehen bei einem Mann von ihr als positiv angesehen wird. Doch auch ihr Bild weiblicher Körpernormen ist kulturell markiert. So stellt Meiling den Vorgaben eines sehr dünnen Körpers von Frauen in China die Vorstellung eines in Deutschland bestehenden Interesses eines die „weiblichen Kurven“ betonenden Auftretens gegenüber. Wie zuvor erwähnt, positioniert sich Meiling in dieser Gegenüberstellung auf Seite von ihr als deutsch markierten Normvorstellungen. Allerdings ist dies für sie keine universelle Aussage, sondern steht im engen Zusammenhang mit dem Kontext. Aufmerksamkeit, die ihr von Anderen aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung entgegen gebracht wird, führt in Deutschland zu Freude, in China empfindet sie diese Aufmerksamkeit als weiterhin unangenehm: „ich finde auch schön wenn ich meine weibliche Seite ein bisschen betont und wenn die anderen Leute mich hinguckt dann freu mich auch nicht so wie in China wenn die Leute mich so guckt dann denke ich was für eine blöde Mann ist das“ (4/29-4/23). Meiling bewertet die (männliche) Aufmerksamkeit für ihren Körper durch Andere demnach kulturspezifisch unterschiedlich. Als Grund gibt sie an, dass die ihrem Äußeren entgegen gebrachte Aufmerksamkeit in China die Gefahr birgt, negativ oder herabwürdigend zu sein: „bei einer Familientreffen in China damals war ich noch nicht in Deutschland glaube ich und meine Cousine hat eine so Klamotten und sie sagt ja probier das an und da habe ich anprobiert und das ist eine ganz ganz feste so ganz enge und dann mein Brust ist so plötzlich so::: riesig ((formt mit den Händen zwei Halbschalen vor der Brust)) und dann meine Mutter mei-

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ne Tante alles war da und hat mich geguckt und hat gesagt ich fand damals sehr peinlich Mutter oder meine Tante hat gesagt ja wie Rose ist dein Rose als ein bisschen lächerlich oder genau das machte mir sehr unangenehm und glaube ich das ist auch ein Grund warum ich in China solche Klamotten vermeide anzuziehen weil das zieht mehr Aufmerksamkeit und die Umwelt reagiert auch negativ manchmal ja (4)“ (6/18-6/27).

In den von Meiling vorgenommenen Unterscheidungen kulturspezifischer Körpermerkmale und Schönheitsnormen von Männern und Frauen vertritt sie eine eindeutige Position. Im Vergleich der Vorstellungen eines typischen ,männlichen Aussehens‘ werden ,europäisch aussehende Männer‘ gegenüber ,chinesisch aussehenden Männern‘ als attraktiver eingeschätzt. Die vorherrschenden Vorstellungen über eine attraktive Körperpräsentation von Frauen in Deutschland werden denen in China vorgezogen. Eine grundsätzliche Hinterfragung der Vorstellungen geschlechtlicher Körperstereotype wird von ihr nicht vorgenommen; Ziel ist die Anpassung an westliche Idealvorstellungen. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Körper-Kultur-Vergleich im Abgleich von „zwei Welten“ Auch wenn Meiling im Interview wiederholt anmerkt, dass es ihr nicht leicht falle über ihren Körper zu sprechen, geht sie auf verschiedene Körperthemen ein. Auffällig ist dabei, dass sie ihre Ausführungen zum Thema Körper (und auch darüber hinaus) zum Großteil in einem statischen Vergleich zwischen China und Deutschland strukturiert. Mit Mitte 20 zum Studium aus China nach Deutschland gekommen, trifft sie klare Aussagen darüber, welche Formen der Körperpräsentation und des Körpereinsatzes in sozialer Interaktion für sie ,typisch chinesisch‘ und ,typisch deutsch‘ sind. Grundlage dafür bilden die von ihr wahrgenommenen unterschiedlichen sozialen Erwartungen an ihre Körperlichkeit in beiden Ländern. Diese von ihr im Sinne eines „kulturellen Unterschieds“ (1/12) vorgenommene ländervergleichende Strukturierung verweist auf einen „homogenitätsorientierten Kulturbegriff“ (vgl. Reckwitz 2091, 183). Meiling benennt zwei „Mono-Kulturen“(ebd.), die in ihren Augen nicht zusammen zu bringen sind. Vielmehr richten sie im Sinne „zweier Welten“ (12/29) oftmals unterschiedliche wenn nicht sogar gegensätzliche Erwartungen an ihre Körperlichkeit. Auf dieser Grundlage nimmt sie ihre Körper-KulturVergleiche vor. Meilings Strategie im Umgang mit diesen unterschiedlichen Erwartungen zeigt sich in der Darstellung einer Höherstellung der als deutsch beziehungsweise westlich markierten Köpervorstellungen. Denn durch die deutliche Abgrenzung zwischen von ihr als chinesisch und deutsch markierten Körpernormen ist nur ein entweder oder möglich. Als ein Grund dafür, warum ihr der ,Übergang‘ von der einen ,Welt China‘ in die andere ,Welt Deutschland‘ als erstrebenswert erscheint, kann

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die (un-)bewusste Annahme der sozialen Erwünschtheit solcher Aussagen in einem Interview in Deutschland genannt werden. Die im Vergleich vorgenommenen Bewertungen Meilings scheint sich dabei an der Trennung von als individualistisch definierten westlichen Gesellschaften und kollektivistischen Gesellschaften wie zum Beispiel China zu orientieren (vgl. zur Kulturdimension Individualismus/Kollektivismus in internationaler Zusammenarbeit Hofstede 1997, 66f, 90ff. und zur Kritik an dem zugrunde liegenden starren Kulturbegriff vgl. Leiprecht 2004). Mit dieser gängigen Unterteilung geht nicht selten eine Höherbewertung der individualistischen Haltung als einem moderneren Konzept einher10, eine Argumentation die womöglich Einfluss auf Meilings Abwertung der von ihr als chinesisch definierten Einflüsse auf ihre Körperlichkeit genommen hat.11 Als ein weiterer Grund für ihre kulturelle Hierarchisierung kann die von ihr vorgenommene Verknüpfung zwischen ihrer Familie und der chinesischen Kultur ,an sich‘ angenommen werden. Die auf den Körper bezogene (und wohl auch darüber hinausgehende) hierarchische Gegenüberstellung einer besseren und schlechteren Option ist eng mit der Kritik an den Erfahrungen in der Familie verbunden. Die Familie erscheint bei Meiling als ,Keimzelle‘ oder ,Spiegelbild‘ kultureller Körpervorstellungen, sodass sich ihre Kritik an der Körpererziehung ihrer Eltern als eine grundlegende Kritik am Umgang mit Körperlichkeit in China verbindet. Die Distanzierung von der Familie führt durch die von ihr vorgenommene Bezugnahme von Familie und Kultur dabei quasi ,automatisch‘ zu einer Distanzierung ihrer Vorstellung einer ,chinesischen Körperkultur‘. Aufgrund ihres statischen Kulturvergleichs und dem darauf beruhenden Ziel die in ihren Augen für Deutschland typische Körperlichkeit zu erlernen, scheint Meiling einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt zu sein. So gibt sie mir gegenüber an, diesen Prozess des ,Kulturübertritts‘ aufgrund weiterhin bestehender Kontakte nach China beziehungsweise zu Chinesinnen und Chinesen in Deutschland nicht vollständig vollzogen zu haben beziehungsweise vollziehen zu können, wenn sie sagt:

10 Gegenwärtig scheint es eine Zunahme von vornehmlich psychologischer und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung zu geben, die es sich zum Ziel gesetzt hat, der Frage nach genetischen Unterschieden zwischen Mitgliedern kollektivistischer und individualistischer Gesellschaften nachzugehen (zur Prävalenz psychischer Störungen vgl. Chiao/Blizinsky 2009; zur Frage wie sich das weltweit unterschiedliche wirtschaftliche Langzeitwachstum erklären lässt vgl. Gorodnichenko/Roland 2011), was die in Kapitel 3.1 benannte These unterstützt, dass im Hinblick auf nationale Unterschiede nicht nur kulturalistisch, sondern weiterhin auch biologistisch argumentiert wird. 11 Durchaus kann die binäre Gegenüberstellung zwischen den sozialen Erwartungen an ihre Körperlichkeit in China und Deutschland mit der Art des Aufrufs sowie mir als Interviewerin in Verbindung stehen und als eine Form sozialer Erwünschtheit gedeutet werden.

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„ja natürlich was ich hier in Deutschland gesehen oder gelernt (-) ich soll ähm selbstständig sein und das ist meiner und ich muss für mich selbst entscheiden machen aber in China da ist ein andere und ich bin ich China aufgewachsen und nur sechs Jahre hier und deswegen diese Konflikte zwischen beide Welten ist immer da und mit Körper glaube ich auch ja aber ich fühle mich heute schon viel freier als früher ich freu mich ((lacht))“ (12/36-13/2).

Doch auch eine Rückkehr nach China als eine Form der „Reintegration“ (9/28) erscheint ihr mittlerweile durchaus als eine Herausforderung. Im Sinne der von ihr eingenommenen Perspektive der Normerfüllung, stellt die eigene Position in einem ,Dazwischen‘ als Normalität oder auch die Entwicklung von etwas ,Neuem‘ oder ,Eigenem‘ keine Option dar. Meiling bezieht sich in ihren Ausführungen oft und in der Regel auch in eindeutiger und hierarchisierender Weise auf die kulturell markierte Körperwahrnehmung, den Körperumgang und die Körperpräsentation. Einher mit ihrer Argumentation einer Gegenüberstellung der in China empfundenen sozialen Kontrolle und der mit Deutschland verbundenen persönlichen Freiheit geht jedoch immer wieder auch die Vorstellung einer mit dem Älterwerden verbundenen zunehmenden körperlichen Selbstbestimmung. Neben der räumlichen wird somit eine zeitliche, prozessuale Dimension eröffnet, die Wahrnehmung, Umgang und Präsentation ihres Körpers verändert. Deutlich wird, dass ihre für sie unweigerlich mit ihrer Psyche verbundene Körperlichkeit (7/26-7/30) nichts statisches, sondern eine in zeitlich-räumlicher Hinsicht flexible Vorstellung ist, die von Meiling im sozialen Austausch und im Hinblick auf die bestehenden Körpernormen aktiv bearbeitet wird. 7.1.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse Durch die Bezugnahme von Fotografie- und Interviewanalyse aufeinander wird eine Kombination von Überschneidungen und Unterschiedlichem deutlich. Meilings Fotografie einer Körperhaltung im imaginierten öffentlichen Raum zeigt zum einen eine Form der Körperdarstellung, die der von ihr im Interview definierten ,deutschen‘ Präsentation des Körpers in Interaktionen entspricht. Damit für sie einhergehende Merkmale eines offenen Zugehens auf Andere, die Herstellung von Körperkontakt und ein direkter Blickkontakt werden von ihr in der Fotografie in nahezu überspitzter Weise dargestellt. Es verdichtet sich dabei der Eindruck einer Strategie der Anpassung an die Erwartungen an ihre Körperlichkeit in Deutschland. Grundlage bilden die im Interview definierten körperbezogenen Unterschiede zwischen China und Deutschland. Die damit einhergehende Übernahme eines von ihr als individualistisch bestimmten Subjektentwurfs und die Abwertung des stärker sozial bestimmt wahrgenommenen Umgangs mit Körper in China verweisen dabei auf die Art und Weise, wie in Deutschland über Migration gesprochen wird. Mei-

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lings Darstellung schließt dabei an die durchaus sozial erwünschte Höherbewertung einer als ,westlich‘ definierten Körperlichkeit an. Dies kann aber anscheinend für sie nur im Rahmen einer weitgehenden Ablösung von den Bezügen zum Herkunftsland geschehen. Aus diesem Grund erscheint es auch nicht verwunderlich, dass Meiling die mit Deutschland in Verbindung gebrachte Offenheit und Kontaktfreude nicht als eine soziale Erwartung, sondern gerade als individuelle Freiheit deutet. Durch die fotografische Darstellung des von Meiling als ,deutsch‘ markierten Körpereinsatzes in der Interaktion zeigt sie mir ihre in diesem Bereich bereits erworbenen Kompetenzen. Ihre fotografische Körperdarstellung kann im Rahmen des ihren Ausführung zugrunde liegenden statischen Kulturverständnisses für den Entstehungskontext Deutschland und das Zusammentreffen mit mir als einer in Deutschland sozialisierten Person als angemessen erscheinen. Die im Hervortreten des eigenen Körpers in der Interaktion enthaltenen Elemente einer unsicheren Zurücknahme der eigenen körperlichen Präsenz im Bild verweist entgegen Meilings sprachlichen Vereindeutigungen im Sinne Plessners jedoch auf die grundsätzliche Unabgeschlossenheit des Körperlichen als sozialen Balanceakt (vgl. Kapitel 2.1). Bezogen auf die von Meiling benannte Dichotomie „zweier Welten“, deren unterschiedliche Erwartungen an die eigene Körperlichkeit zu klaren kulturvergleichenden Definitionen des Körperlichen führen, schärft sich in der Triangulation mit der fotografischen Körperdarstellung der Blick für die soziale Offenheit und somit potenzielle Unsicherheit von Körperlichkeit. Auffällig ist, dass die aufgrund der Literaturanalyse vermutete Relevanz von positiver wie negativer Diskriminierung aufgrund eines als ,nicht deutsch‘ wahrgenommenen Aussehens in Meilings Körperinszenierung keine Rolle zu spielen scheint. Zum Zweck einer besseren Übersichtlichkeit soll das folgende Schaubild die Ergebnisse auf Fallebene zusammenfassen. Die aus dem Interview herausgearbeiteten körperbezogenen und mithilfe des Kodierparadigmas systematisierten Phänomene werden unter Berücksichtigung des Aspekts Migration miteinander in Beziehung gesetzt. Verknüpft mit den Ergebnissen der Fotoanalyse wurde auf diese Weise ein Körperinszenierungsmuster (Mitte) entwickelt, das für alle genannten Körperthemen anschlussfähig ist.12

12 Die Entwicklung eines Körperinszenierungsmusters auf Fallebene kann als ein Arbeitsschritt angesehen werden, der sich aus der Entscheidung für eine fallimmanente Triangulation von Bild- und Textmaterial ergibt. Es handelt sich dabei um ein Vorgehen, das eine im Rahmen der Methodik der Grounded Theory mögliche Anpassung an die jeweilige Forschungsfrage und das Material darstellt.

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Körper, Pubertät und Scham

von Körpernormen befreien als Migrationsnarrativ

zielgerichteter und zugleich ambivalenter kulturellgeschlechtlich markierter ,Emanzipationsprozess‘ im Körper-Kultur-Vergleich Normen männlicher und weiblicher Attraktivität

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körperlose Erziehung

Körperlichkeit zwischen kulturell und geschlechtlich markierter Zugehörigkeit aushandeln

Abbildung 6: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Meiling Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Ausgehend von der ersten Fallanalyse, wird in der Analyse des folgenden Falls danach gefragt, • ob diese Frau ihre sprachliche Körperpräsentation ebenfalls in kulturvergleichender Weise systematisiert? • (und wenn sie dies tut), ob dieser Vergleich in ähnlicher Weise dichotom/hierarchisch oder ganz anders strukturiert sein wird? • (wenn eine Gegenüberstellung vorgenommen wird), ob sie sich in ihrer Körperlichkeit ebenfalls in einem ,Dazwischen‘ definiert und eine eindeutige(re) Positionierung im Sinne eines ,entweder/oder‘-Verhältnisses anstrebt? • ob soziale Erwartungen oder auch sozio-kulturell bedingte Möglichkeiten ebenfalls als zentral für die eigene Körperlichkeit angesehen werden oder nicht? • ob sich die herausgearbeiteten Körperthemen wieder finden lassen? • ob das Thema der körperbezogenen positiven wie negativen Diskriminierung ebenfalls keine Rolle zu spielen scheint beziehungsweise nicht angesprochen wird oder aber zum Thema gemacht wird? Im folgenden Fall handelt es sich um eine Frau, die ebenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Deutschland migriert ist und so im Sinne einer minimalen Kontrastierung wie bei Meiling zumindest die Möglichkeit besteht, auf Grundlage eigener Erfahrungen des Lebens in verschiedenen Gesellschaften Körper-Kultur-Vergleiche vorzunehmen.

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7.2 O SZILLIERENDE A USHANDLUNG EIGENER K ÖRPERLICHKEIT ALS R ESSOURCE UND R ISIKO – F ALLSTUDIE N IKITA Kurzporträt Nikita13 wird Anfang der 1980er Jahre als zweite Tochter ihrer Eltern in Kasachstan geboren. Mit sechs zieht Nikita zusammen mit ihrer Familie nach Kirgistan. Drei Jahre später stirbt ihre Mutter. Mit der Unabhängigkeitserklärung Kirgistans von der Sowjetunion im Jahr 1991 kommt es Anfang der 1990er Jahre zu innenpolitischen Spannungen, die zu starken Abwanderungen dort lebender ethnischer Minderheiten führen. Vermutlich als Angehörige der russischen Minderheit migriert Nikita 1994 mit dreizehn Jahren mit ihrem Vater und ihrer Schwester im Rahmen eines Migrationsprogramms für jüdisch Gläubige (unter ihren Vorfahren waren Juden) nach Deutschland. Dort lebt die Familie zunächst in einem Übergangswohnheim und bezieht anschließend eine eigene Wohnung. Nikita besucht das Gymnasium und arbeitet nach der Hochschulreife einige Jahre in der Gastronomie. Sie lebt in dieser Zeit zudem für ein Jahr in Australien. Nach ihrer Rückkehr übernimmt sie eine Tätigkeit in einem Büro und absolviert eine berufsbegleitende kaufmännische Ausbildung. Im Rahmen dieser Tätigkeit nutzt Nikita ihre russischen Sprachkenntnisse. Sie lebt mit ihrem Freund zusammen. 7.2.1 Fotografieanalyse Auf allen sieben zur Verfügung stehenden Fotografien wirkt die abgebildete Person auf den ersten Eindruck recht expressiv, indem sie ,etwas zu machen‘ scheint. Ihre Arme sind oftmals in einer besonderen Geste eng an beziehungsweise vor den Oberkörper gehalten. Auf keiner der Fotografien schaut die Person in die Kamera, wobei ihre in verschiedene Richtungen weisenden Blicke die Aufmerksamkeit der Betrachterin wecken. Wohin blickt die Person? Blickt sie bewusst von der Kamera weg? Für die Einzelbildinterpretation wird bild eins als ein in dieser Hinsicht typisches Bild gewählt: es zeigt einen nicht zur Kamera gerichteten Blick in die linke Bildhälfte mit einer stark darstellenden Arm/Hand-Gestik, deren Bedeutung unklar ist (Bildauswahl).

13 Nikita ist eine russische Kurz- beziehungsweise Koseform der Namen Nikolaus, Nikolai u.ä.. Als weiblicher Vorname findet Nikita u.a. in Indien Verwendung.

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Abbildung 7: Fotoreihe zu den imaginierten sozialen Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Nikita Externe Konextualisierung Durch die externe Kontextualisierung wird das Bild als eine 2009 im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes zum Thema Körper und Migration in Deutschland aufgenommene Fotografie kenntlich. Für die Untersuchung wurden junge Frauen mit eigener Migrationserfahrung gesucht. Das Foto zeigt eine der Untersuchungsteilnehmerinnen, die sich von dieser Suchanfrage angesprochen fühlte. Im Zentrum der folgenden Bildanalyse steht die Auseinandersetzung mit der räumlichen Anordnung des Bildes, dem äußeren Erscheinungsbild sowie der Gestik und der Mimik der abgebildeten Person. Wird Körper als Produkt und Produzent von Sozialität verstanden (vgl. Kapitel zwei), kann durch die Analyse seiner bildlichen Repräsentation ein Blick auf die inkorporierten sozialen Erfahrungen der Person ermöglicht werden. In der vorikonografischen Bildbeschreibung wird durch ein verlangsamtes Sehen die Grundlage für die anschließenden Arbeitsschritte geschaffen. Auf dreidimensionaler Ebene ist eine Person zu erkennen, die auf einem Holzboden vor einer hellen Wand steht. Die junge Frau befindet sich in der rechten Bildhälfte der Fotografie im Hochformat. Der Bildmittelpunkt liegt etwas unterhalb ihrer linken Hüfte. Die gan-

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ze Person ist erkennbar. Ihre Beine sind etwas mehr als hüftbreit aufgestellt, ihre Füße sind parallel nach vorne gerichtet. Ihr rechter Arm hängt eng neben dem Oberkörper herab, in der Hand hält sie einen dunklen, kleinen eckigen Gegenstand. Ihr linker Arm liegt ebenfalls eng an der Seite des Oberkörpers an, ist jedoch am Ellenbogen in einem fast 180 Grad Winkel eingeknickt, sodass ihre linke Hand vor ihrer linken Schulter liegt. Ihre linke Hand ist leicht nach rechts, Richtung Kopf gebogen, ihre Finger sind am Mittelgelenk eingeknickt. Die rechte Gesichtshälfte der Person ist durch ihr kinnlang geschnittenes, gewelltes, dunkles Haar zur Hälfte verdeckt. Aufgrund der Unschärfe des Bildes ist die Augenpartie nicht genau zu erkennen, vermutlich sind ihre Augen und Augenbrauen dunkel, ihre Haut wirkt demgegenüber recht blass und sie scheint zumindest nicht stark geschminkt zu sein. Der Blick ist deutlich nach links gerichtet, der Mund ist geschlossen und gerade und wird zum Teil durch eine Haarsträhne überdeckt. Die Frau trägt einen dicken, dunklen Schal, eine Sweatshirt-Jacke mit schwarz-weißem Schachbrettmuster und eine dunkelblaue Jeans mit langem Bein. Ihre hellen, geschlossenen Schuhe haben eine feste dunkle Sohle. Die rechtwinklige Anordnung der dominanten Linien im Bild bildet eine klar strukturierte Bildaufteilung, die ihre Spannung durch die von der senkrechten Bildmittellinie (im goldenen Schnitt liegende) nach rechts verschobene Position der aufrecht stehenden Person erhält. Auf diese Weise entsteht ein symmetrischer, jedoch nicht statischer Bildeindruck. Die Fotografie ist recht dunkel, vermutlich unterbelichtet wodurch sich die Farbskala des Bildes weitgehend auf mehr oder weniger helle Grautöne beschränkt. Boden, Haar- und Hautfarbe bilden darin beigebräunliche Farbflächen. Durch einen leichten Schattenwurf kann von einer frontalen leicht nach rechts verschobenen größeren Lichtquelle ausgegangen werden. Die Fotografie wurde im Hochformat aufgenommen. Die Kameraposition verweist auf eine auf Bauchhöhe der Person aufgestellte leicht schräg stehende Kamera. Der Abstand zeigt ein Bild in der Halbtotale. Durch die minimale Wölbung im Bild, zu erkennen an der Fußleiste, wird von einer geringen Weitwinkeleinstellung ausgegangen. Die Unschärfe der Fotografie lässt vermuten, dass die Kamera aufgrund von unzureichenden Lichtverhältnissen nicht fokussieren konnte.

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Abbildung 8: anonymisiertes Foto „in der Fußgängerzone“ und Skizze des Gesichts im Fall Nikita Hinsichtlich des symbolischen Gehalts wird auf die Position der Person im Raum, ihr äußeres Erscheinungsbild sowie ihre Gestik und Mimik eingegangen. Auffällig ist, dass sich die aufrecht stehende Frau in der rechten Bildhälfte befindet, wodurch der Eindruck eines Leerraums in der linken Bildhälfte entsteht. Es stellt sich die Frage, ob Platz für etwas oder jemanden geschaffen wurde. Durch ihre Position scheint die Person dabei die vertikale Bildmittellinie nach rechts zu verschieben, was zu einem spannungsreichen Bildaufbau führt. Das äußere Erscheinungsbild der Frau ist durch eine eher unauffällige, „lässige“ Kleidung gekennzeichnet. Die Jacke mit Schachbrettmuster – als einem der mit dem Punk verwandten Musikrichtung SKA zugeordneten Stilelement – in Kombination mit Jeans und den an das Schuhmodell „Doc Martens“ erinnernden hellen Schuhen erweckt jugendkulturelle Assoziationen. Die Frau trägt bis auf einen schmalen Ring an der linken Hand keinen Schmuck und scheint zumindest nicht stark geschminkt zu sein. Ihre stufig geschnittenen, lockigen, kinnlangen Haare fallen ihr ins Gesicht und überdecken einen Großteil der rechten Gesichtshälfte. In Kombination mit dem nach links scheinbar hinter dem welligen Haar hervorschauenden Blick erhält der ansonsten neutrale Gesichtsausdruck etwas Geheim-

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nisvolles14. Da nur der Blick und nicht der Kopf nach links ausgerichtet wurde, erscheint der Seitenblick als eine verdeckte Betrachtung des Umraums. Denn ohne auffällige Veränderung der Kopfposition könnte auf diese Weise der zur Seite gerichtete Blick schnell abgewandt werden. Hinzu kommt, dass durch das ins Gesicht fallende Haar die Möglichkeit besteht, sich einer direkten Ansprache und somit auch Kontrolle zu entziehen (vgl. Goffman 1981, 275ff.). Der nach links gerichtete Blick könnte aus dieser Perspektive als eine Schutzreaktion durch den Entzug vor dem ,Blick der Kamera‘ gedeutet werden. Als Abwendung verstanden, kann der Blick ein Symbol für Unterordnung sein, da dem ,Blick der Kamera‘ nicht Stand gehalten wird (vgl. Goffman 1981, 245ff.). Bezogen auf die Körpergestik sind die Arme der Frau – womöglich gerade im Kontrast zu den Beinen – jeweils sehr eng an den Oberkörper angelegt und wirken, als würde die Person sie an sich pressen. Einen angespannten Eindruck erweckt dabei insbesondere die unbequem erscheinende Anwinkelung des linken Unterarms, welche eine gewisse Anstrengung erfordert und somit womöglich auf eine bewusste Entscheidung für diese Darstellungsform hinweist. Dabei stellt sich die Frage, warum solch eine Armhaltung eingenommen wurde beziehungsweise welchem Zweck sie dienen soll. Lässt sich die kompakte Haltung im Bereich des Oberkörpers als räumliche Anspruchslosigkeit begreifen, so ist die Position ihrer Beine und Füße durchaus standfest und raumeinnehmend, womöglich im Sinne einer Einforderung von Raum zu verstehen (vgl. Mühlen Achs 1998, 45ff., 68ff.).

Interne Kontextualisierung Durch die interne Kontextualisierung wird der konkrete Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Datengewinnung zu Forschungszwecken in die Analyse eingeführt. Der Kontakt zu der abgebildeten Frau Nikita wurde durch die Suche nach einer jungen Frau, die selbst nach Deutschland migriert ist im weiteren Bekanntenkreis hergestellt. Wir trafen uns in einem Café, um anschließend in einem leerstehenden Büroraum das Interview und die Fotoerhebung durchzuführen. Ich bat Nikita mithilfe einer Fernbedienung selbst Fotos von sich zu erstellen. Über einen angeschlossenen Monitor konnte Nikita das Display der Kamera sehen. Auslöser für die fotografischen Selbstporträts war der Vorschlag, typische Körperhaltungen in sieben vorgegebenen imaginierten sozialen Situationen einzunehmen. Nikita erstellte zu einigen Situationen mehrere Fotografien und suchte am Ende die Fotos aus, die sie zur Verfügung stellen wollte. Das untersuchte Foto ist die erste und einzige Aufnahme einer typischen Körperhaltung 14 Der abgewandte Blick kann zudem als erotisches Moment im Sinne medial hyperritualisierter Bilder von Weiblichkeit gedeutet werden (vgl. Mühlen Achs 1998, 72).

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in der Fußgängerzone. Während der Einnahme und Überprüfung der eigenen Haltung am links neben der Kamera aufgestellten Monitor erklärte Nikita, eine Handtasche mit Umhängegurt zu tragen, was sie bei der anschließenden Durchsicht noch einmal ironisch kommentierte: „ja das sieht man ja wohl wie ich die Tasche halte was denn sonst ne ((lacht))“ (22/12). Die Information, dass die wissenschaftliche Untersuchung veröffentlicht wird, schien Nikita nicht weiter zu stören. Sie reagierte mit einem belustigten Kommentar über ihre daraus möglicherweise erwachsende Prominenz, entschied sich aber dennoch dafür, dass ihr Gesicht „verpixelt“ werden solle. Im Folgenden wird nach dem Darstellungsinteresse Nikitas als Fotografin/Fotografierter gefragt. Der Blick auf die durch ,ihre Augen‘ vorgenommene Selbstdarstellung eröffnet dabei die Möglichkeit, Hinweise auf Nikitas Selbstverortung in der Erhebungs- und imaginierten Situation sowie gegenüber sich selbst zu erhalten – auch wenn diese Ebenen nicht immer eindeutig zu trennen sind. Nikitas fotografische Selbstdarstellung wird insbesondere durch ihr Position in der rechten Bildhälfte und ihren nach links gerichteten Blick stark kommunikativ aufgeladen. Der Grund für ihre von mir als neutral und vielleicht sogar genervt oder missmutig wahrgenommene Darstellung könnte auf ein Interesse hinweisen, der durch die Kamera markierten Betrachtungsposition keine allzu große Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, um womöglich eine besonders ,authentische‘ Darstellung einer typischen Körperhaltung in der Fußgängerzone zu bieten. Durch die sprachliche Kommentierung, eine Handtasche zu halten, verdeutlicht Nikita ihr Wissen um visuelle Codes weiblicher Körperinszenierung. Sie inszeniert sich in sprachlich vereindeutigter Weise, die – so die Vermutung – der Betrachterin etwas ,bieten‘ und ihr Interesse wecken soll. Als Mittel dafür wird kein direkter Kontaktaufbau vorgesehen, sondern es wurde die Darstellung einer wenn überhaupt scheinbar beiläufigen Aufmerksamkeit gewählt. Für Nikitas Selbstporträt einer typischen Körperhaltung im imaginierten öffentlichen Raum können folgende (ikonologischen) Forschungshypothesen festgehalten werden: • Nikita möchte auf die Anregung der imaginierten Situation in einer Fußgängerzone eine dieser Situation entsprechende und für mich interessante Körperhaltung präsentieren. Das Entsprechen meines Vorschlags kann dabei als Hilfsbereitschaft gedeutet werden, im Sinne einer sozialen Situation als eine aufeinander abgestimmte Bedeutungsaushandlung aber auch als eine ,Belohnung’ für meine ungeteilte Aufmersamkeit verstanden werden.

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• In ihrer vermutlich angestrebten Darstellung „lässigen“ Unbeteiligtseins erscheint ihre fotografische Körperinszenierung bei einer eingehenderen Betrachtung insbesondere durch die Kombination von Blickrichtung und der Position im Bild als ein Ausdruck von hoher sozialer Aufmerksamkeit. Sie scheint sehr genau auf ihr soziales (imaginiertes beziehungsweise durch die Kamera repräsentiertes) Gegenüber zu achten, ohne ihr Interesse allerdings zu offensichtlich erscheinen zu lassen. Ihre Auseinandersetzung mit den eigenen Fotografien sowie die daran geknüpften Kommentare lassen die Bedeutung der fotografischen Selbstporträts als einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit im Austausch mit Anderen für Nikita deutlich werden. • Die in ihrer Körperinszenierung zum Ausdruck kommende Einnahme von Raum ist keineswegs als eindeutig zu bezeichnen. In Kombination mit der Darstellung hoher sozialer Aufmerksamkeit erscheint die fotografische Körperinszenierung als durchaus vorsichtiges Ausprobieren beziehungsweise Herantasten an eine für die (imaginierte und konkrete) Situation angemessene Selbstdarstellung und verweist darin auf die soziale Verwiesenheit eigener Körperlichkeit Das Selbstporträt weist in seinem präsentativen Symbolismus demnach durchaus Spannungen bei der Bildbetrachtung auf. In der Inszenierung verbinden sich Raumeinnahme und Raumverzicht sowie Interesse und vermeintliches Desinteresse, wodurch sich der Eindruck einer überaus hohen Aufmerksamkeit für den sozialen Umraum – sei er nun imaginiert oder real – verfestigt. In Rückbindung an die weiteren sechs von Nikita ausgewählten Fotografien verstärkt sich noch einmal der Eindruck einer schon bei der ersten Betrachtung sowie in der Einzelbildinterpretation wahrgenommenen stark darstellerischen Komponente der Fotografien. Dabei können ihre Arm- und Handbewegungen als sprechende Gesten (vgl. Pasquinelli 2007, 10ff.) verstanden werden, die auf Grundlage einer bestimmten zum Teil auch noch einmal versprachlichten Idee der situationsspezifischen Darstellung eingesetzt werden. Die standfeste Beinposition des analysierten Bildes findet sich dabei in fast identischer Weise in drei weiteren Fotografien. In Fotografie zwei und sieben wird die Standfestigkeit aufgelöst, indem die Beine im Sitzen überschlagen werden beziehungsweise das linke Bein mit „verschämt angewinkeltem Knie“ (Goffman 1981, 184; vgl. auch Mühlen Achs 1998, 47ff.) nach innen eingeknickt wird. Die Fotografien verbindet ein in keinem Bild der Kamera eindeutig zugewandter Blick und könnten als ein Zeichen für Nikitas Versuch des möglichst intensiven Hineinversetzens in die jeweilige imaginierte Situation verstanden werden. In der konkreten Erhebungssituation weiß Nikita die Möglichkeit der Vielfalt mimischer Darstellungsweisen zu nutzen, was noch einmal den inszenatorischen Gehalt ihrer Fotografien betont. Grundlage bildet dabei die Fähigkeit,

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die eigene Präsentation steuern zu können und bewusst in Szene zu setzen, was ein Hinweis auf eine intensive und reflexive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der eigenen Körperinszenierung sein könnte. Nikitas fotografisch festgehaltene Körperdarstellung kann als eine stark inszenatorische facettenreich-ambivalente Körperinszenierung im Rahmen hoher sozialer Aufmerksamkeit (für sich und andere) gedeutet werden. 7.2.2 Interviewanalyse Aus Nikitas Interviewaussagen konnten mithilfe des Kodierparadigmas die folgenden fünf Körperthemen herausgearbeitet werden: (1) Migration als KörperRessource, (2) Migration als Körper-Risiko, (3) Anpassen an weibliche Körpernormen als Kriterium für vergeschlechtlicht-natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, (4) Körperarbeit als Arbeit an und mit dem Körper sowie (5) den Körper zwischen Abwertung und kokettierender Annäherung wahrnehmen. Migration als Körper-Ressource Nikita beschreibt ihre Kindheitserfahrungen in Kasachstan und Kirgistan bis zu ihrem Umzug nach Deutschland als positiv. Sie verwendet dafür die Vorstellungen über Kindheit in Deutschland als (negative) Kontrastfolie, auch wenn sie die zeitliche Dimension als verzerrenden Einflussfaktor ihres Vergleichs durchaus einbezieht (18/18-18/21). Die vergleichende Darstellung ermöglicht es Nikita, ihre Erfahrungen als etwas Besonders herauszustellen. Als Grundlage kann der Wunsch angesehen werden, sich von Anderen abzuheben und in seiner Individualität zu zeigen (vgl. zum sozialen Prozess der Entwicklung von Ich-Identität als Vorstellung des eigenen Selbst bei Mead, Kapitel 2.2). Nikita berichtet über ihre Kindheit als ein Leben unter einfachen aber idyllischen Bedingungen. Die Freiheiten ihrer Kindheit und das Aufwachsen in beziehungsweise nah an der Natur bilden für sie ein Potenzial für ihre körperliche Entwicklung. Körperliche Erfahrungen in der Kindheit werden in Bezug auf das Leben in Deutschland zu einem Herausstellungsmerkmal, wenn sie berichtet: „ähm aus der kurzen Zeit danach als wir in Kirgistan gelebt haben hab ich ganz prägende Erinnerungen bis heute noch da bin ich auch sehr stolz drauf ((lacht)) kann man auch schön in Deutschland rumerzählen und zwar im Winter war es in Kirgistan sehr kalt (-) also minus achtzehn Grad war schon so die Regel und wir hatten ein eigenes Haus und äh mein Vater meine Mutter haben uns immer Abends beziehungsweise früh morgens je nachdem auf den Hof gestellt haben uns ausgezogen (.) saukalt (.) und haben eiskaltes Wasser über uns drüber gegossen“ (2/1-2/7).

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Die Anekdote verweist auf eine Körpererziehung, die zu einer in Nikitas Augen abgehärteten Körperlichkeit beigetragen hat. Der Hinweis, diese Geschichte „schön in Deutschland rumerzählen“ zu können, deutet auf eine aus ihrer Sicht für Deutschland untypische Körperpraktik hin. Sie beschreibt ihre Kindheit wie „bei Oma in den Ferien“ (1//22), was ihren Erinnerungen an die ersten Lebensjahre in einem Dorf „mitten in der Steppe“ (1/24-1/25) Kasachstans eine nostalgische Note verleiht. Und auch wenn sie im Anschluss zwischen dem sechsten und dreizehnten Lebensjahr in der kirgisischen Hauptstadt lebt, so ist ihre Erinnerung an diese Zeit aus einer heutigen, westlichen Sicht auf Stadt durch das Bild eines einfachen aber schönen Landlebens geprägt. Erweitert wird ihre Darstellung um eine exotisierende Komponente, wenn Nikita zu Beginn ihrer biografischen Stegreiferzählung darauf hinweist, dass sie in Kirgisien als einem Land in Mittelasien „unter dem Nomadenvolk sozusagen“ (1/16-1/17) aufgewachsen sei. Das nomadische Leben kann dabei als Kontrast zur dominanten westlichen Norm der Sesshaftigkeit verstanden werden. Nikita nutzt die damit einhergehenden körperlichen Erfahrungen als Darstellungskapital für die Inszenierung einer besonderen durchaus positiv konnotierten ,anderen Körperlichkeit‘. Ihre körperlichen Erfahrungen in der Kindheit in Kasachstan und Kirgistan benennt sie als eine Ressource für ihre weitere Entwicklung. Dazu zählen das Zusammensein in Gruppen von Kindern im Freien (1/24-1/25), eine nicht allzu große Aufmerksamkeit der Erwachsenen für das Tun der Kinder und demnach nicht viele Beschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen (1/23-1/34), kein Interesse für Kleidung (1/34-1/35) sowie die Mitarbeit bei der Versorgung der Tiere und der Hausarbeit (2/37-3/11). Diese frühen Erfahrungen bilden für sie eine Körperressource – auch wenn sie angibt, dass ihr die Vorstellung einer kalten Dusche heute Unbehagen bereiten würde (2/15-2/16). Auf dieser von ihr hergestellten Grundlage eines Kulturvergleichs beschreibt sie ihre heutige Körperlichkeit in Deutschland als anders. Sie empfindet sich demgegenüber als robuster, als „jemand, der wirklich viel viel besser zupacken könnte“ (17/30-17/31). „ich glaube auch grundsätzlich halt ich mich was was ähm Körper und ähm (--) alles was damit zusammenhängt irgendwie ah mir fehlen die richtigen Worte also weniger verwöhnt das hört sich so abwertend an also so meine ich das noch nicht mal es heißt noch nicht mal dass es gut war aber ähm ja weniger verwöhnt ich denke ich für mich und meinen Körper kann sicherlich mehr ab als ähm (.) der der Durchschnitt der Frauen als ich sprech jetzt von Frauen wirklich in=in dem Bezug“ (18/9-18/14).

Ihre Ausführungen weisen Bezüge zu dem Konstrukt der kultivierten aber schwachen und verletzlichen ,weißen Frau‘ auf (vgl. zum Mythos ,weißer Weiblichkeit‘ Walgenbach 1998). In Abgrenzung dazu entwickelt Nikita eine andere in ihren Au-

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gen nicht westlich konnotierte Form weiblicher Körperlichkeit, die sich im Sinne einer der Kultiviertheit gegenüberstehenden Naturalisierung durch Kraft, Arbeitsund Widerstandsfähigkeit auszeichnet und auf diese Weise wiederum Assoziationen einer sowjetischer Arbeiterinnen-Propaganda aufruft (vgl. zur Propaganda des Bildes der ,sowjetischen Industriearbeiterin‘ in den 1940er Jahren Conze 2001; zum Bild der ,sowjetischen Frau‘ nach 1945 Behrends 2008). Damit verbunden könnten auch Assoziationen einer Gegenüberstellung einer komfortablen aber verweichlichenden städtischen zu einer einfachen aber gesunden ländlichen Lebensführung eine Rolle spielen.15 Nikitas Darstellung erscheint in der Konsequenz als Form einer selbst gewählten positiv konnotierten SelbstBesonderung. Ihre Auseinandersetzung mit Anderen als Grundlage für die Entwicklung der Vorstellungen des eigenen individuellen Selbst wird somit auch durch ihre Migrationserfahrung beeinflusst. Migration als Körper-Risiko Die durch die Migration von ihr empfundene ,andere Körperlichkeit‘ birgt für Nikita jedoch auch Schwierigkeiten. Denn ihrem Selbstbild von einer abgehärteten körperlichen Verfassung entgegen steht ein von ihr empfundenes Ringen um und die Nichterfüllung bestehender weiblicher (westlicher) Körpernormen: „ich weiß noch dass ich oft gesagt habe auch zu meinem jetzigen Freund noch ach guck mal diese ganzen Frauen die sind die sind so (.) fein irgendwie (-) ja und ich=ich fühlte mich (.) oft ähm also auch oft im Negativen so grobschlächtig irgendwie also so da fehlte halt diese Leichtigkeit Eleganz also ich fühlte mich schon irgendwie kraftvoll und kräftig und äh aber eben nicht=nicht so wie die anderen also so leicht irgendwie“ (18/4-18/8).

In dieser Passage bezieht sich Nikita in ihrer Einschätzung einer „feinen“, sich durch Leichtigkeit und Eleganz auszeichnenden weiblichen Körperpräsentation auf ,deutsche beziehungsweise westlich-europäische Frauen‘. Aus dieser Perspektive erscheint die im positiven Sinne „kraftvolle“ eigene Körperlichkeit als körperliche Grobschlächtigkeit. Ihre mit der Migrationserfahrung in Zusammenhang gebrachte Besonderheit, verstanden als eine positiv konnotierte Individualität, wird aus dieser Perspektive abgewertet. Denn durch das von ihr empfundene Anderssein fühlt sie sich zugleich auch von den Normalitätsvorstellungen einer filigranen weiblichen Körperlichkeit ausgeschlossen. Ihre in der Kindheit gesammelten Körpererfahrun-

15 Nikita hat mit ihrer Familie in Kirgistan zwar in der Hauptstadt gewohnt, allerdings kann ihre Darstellung einer Lebensweise ohne Strom und Supermärkte und mit Vieh im an das Haus angrenzenden Stall aus ihrer gegenwärtigen Perspektive wohl als ländlich bezeichnet werden.

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gen bilden somit nicht nur eine Ressource sondern auch ein Risiko. Nikita entwickelt das Bild einer leichten Eleganz westlicher Frauen, dem sie ihrer Meinung nach nicht entspricht und somit die Anforderungen an eine für sie durchaus attraktive Norm weiblicher Körperlichkeit nicht erfüllen kann. Anpassen an weibliche Körpernormen als Kriterium für vergeschlechticht-natioethno-kulturelle Zugehörigkeit Im Rahmen der Gegenüberstellung zwischen von ihr definierter westlicher und nichtwestlicher weiblicher Körperlichkeit setzt sich Nikita im Rückblick auf ihr Verhalten wiederholt mit dem Thema der Normierung weiblicher Körper auseinander. Als zentrale Themen nennt sie die Auseinandersetzung mit ihrem Körpergewicht und modischen Vorgaben einer weiblichen Körperpräsentation. Sie berichtet, in der ersten Zeit in Deutschland deutlich an Körpergewicht zugenommen zu haben. Als Grund nennt sie das für sie bisher unbekannte Überangebot an Essen und die Option, sich dieses – anders als in Kirgistan – einfach im Supermarkt kaufen zu können (5/1-5/3). Durch ihre Trennung von ihrem ersten längeren Freund zum Ende ihrer Schulzeit nimmt Nikita „aus Versehen“ (7/25) wiederum 15 Kilogramm ab. Sie berichtet, dass der Gewichtsverlust von ihrer Umgebung positiv bewertet wird und auch Nikita empfindet ihr Schlanksein als etwas Gutes. Als sie beginnt in der Gastronomie zu arbeiten, trägt die damit verbundene körperliche Anstrengung dazu bei, dass sie ihr Gewicht hält (8/15-8/17). Sie gibt an, sich in dieser Zeit schön gefühlt und es genossen zu haben, sich zu zeigen. Positive Reaktionen insbesondere von Männern bestärken ihren Wunsch, dünn zu sein und zu bleiben: „ich habe schon mal glaub ich irgendwie knapp an der Magersucht vorbei geschrappt also ich kann nicht sagen ich war magersüchtig aber nach diesem Erlebnis mit oh ich bin dünn und das und alle stehen auf mich=ich hab irgendwie viele Freunde viele Freundinnen und alle wollen ne und das möchte ich auf jeden Fall und noch mehr davon so ne das man auch sagt ach ja gut also’n Brötchen am Tag das ist auch völlig ok ne ähm reicht auch das war sicherlich auch nicht so nützlich für’n Körper (--)“ (15/41-16/5).

Nikita erkennt durchaus das Risikopotenzial ihres damaligen Essverhaltens für ihren Körper. Zudem gibt sie an, mit zunehmendem Alter weniger stark auf ihr Gewicht und Aussehen fixiert zu sein als in der Jugend. Das Schönheitsideal des schlanken Körpers stellt Nikita in der Konsequenz jedoch nicht an sich in Frage, sondern trauert dem damaligen Gewicht durchaus hinterher (9/19-9/20). Dünn und schön zu sein erscheint auf diese Weise als ein vergangener Luxus der Jugend; „wenn man sich die Fotos anguckt von früher als ich=ich glaube früher ist immer schöner in der Regel dann guckt man sich an und denkt whow (--) ach ich war schon irgendwann mal ne

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Granate ((beide lachen)) ja und dann habe ich meinen jetzigen Freund irgendwann kennen gelernt und dann wurde das fester dann sind wir irgendwann zusammengezogen mehr oder weniger aus Versehen ähm und dann wurde ich wieder dick ((lacht)) weil das Leben eben ruhiger wird ((lacht))“ (9/25-9/27).

Neben dem Schlanksein bildet eine Körperpräsentation entsprechend der modischen Vorgaben für Frauen ein erstrebenswertes Ziel für Nikita. Das Aufwachsen in Kasachstan und Kirgistan und der frühe Tod der Mutter erscheinen ihr als Hindernisse für ein angemessenes modisches Empfinden, das sich ihrer Meinung nach auch heute noch erkennen lässt. „das war für mich sehr schwierig in dieser Kultur weil wir haben nie ähm dadurch vielleicht das meine Mutter auch nicht da war als ich klein war diesen Bezug zu (--) ähm Mode oder Kleidungsstil oder ähm also es war bei uns alles sehr praktisch man hatte zwei Paar Schuhe einmal für den Sommer einmal für den Winter und man hatte lange Oberteile oder eben nicht so und das war für mich dann sehr sehr schwierig ich behaupte mal das ist immer noch sehr sehr schwierig also so ne gewisse Stilsicherheit wie so ne Frau das im Westen hat oder wie nennt man das=nen guten Geschmack guten Kleidergeschmack oder irgendeinen Bezug zu Mode das habe ich glaube bis heute noch nicht wirklich entwickelt ähm und das war damals halt besonders schlimm weil ähm gerade in der Schule Kinder sind ja grausam ne“ (7/4-7/13).

Nikita beschreibt den Umgang mit Kleidung vor der Migration nach Deutschland als pragmatisch. Sie äußert zudem die Vermutung, dass sie nach dem Tod der Mutter, als sie neun Jahre alt war, in ihrer Jugend kein Vorbild für Mode und Kleidungsstil hatte. Das Empfinden, nicht über „ne gewisse Stilsicherheit wie so ne Frau im Westen“ (7/9-7/10) zu verfügen, zeigt sich laut Nikita aufgrund des Gefühls anders zu sein, beziehungsweise auch von den anderen Kindern aufgrund ihres Aussehens gemieden zu werden, in einer bis heute vorhandenen Unsicherheit. So erinnert sie sich an den nach der Ankunft in Deutschland entstandenen Eindruck, anders auszusehen und aufgrund ihrer Kleidung und ihres Kleidungsstils von den anderen Kindern gehänselt zu werden: „die (Kinder, H.T.) sagen das einem auch wenn man scheiße aussieht ähm und da konnte ich einfach nicht da da wusste ich nicht ok ich möchte natürlich akzeptiert werden irgendwie mit den Coolen auch rumhängen aber irgendwie gehöre ich nicht dazu weil a) sehe ich irgendwie komisch aus b) ziehe ich mich anders an und ich würd ja gerne anders aber ich versteh gar nicht wie das funktioniert also so was muss ich machen um dahin zu kommen“ (7/15-7/19).

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Eine adäquate vestimentäre Körperpräsentation erscheint als ein Wissen, welches Nikita in ihren Augen aufgrund ihres Migrationshintergrundes nicht zur Verfügung steht. Sie berichtet, dass ihre Schulkameraden und auch sie selbst den Eindruck hatten, dass sie anders gekleidet sei, und deshalb abgelehnt wurde. Jedoch gibt sie an, dass sie als Kind gar nicht wusste, wie sie ihr Äußeres verändern kann, um von den Anderen akzeptiert zu werden. So beschreibt sie sich bis zum Ende der Schulzeit als eine Schülerin „am Rande“ (7/21). Durch ihre Tätigkeit in der Gastronomie lernt Nikita eine Freundin kennen, die sie als „unglaubliche (.) Tuse ich meine im positiven Sinne was Mode angeht“ (8/22-8/23) beschreibt. Durch diese Freundin erhält sie Unterstützung beim Einkaufen und sie gehen gemeinsam zum Friseur. Nikita gibt an, durch den Kontakt zu anderen Frauen und ihre Anpassung an gängige Vorstellungen weiblicher Körperpräsentation das Gefühl der Zugehörigkeit entwickelt zu haben: „ähm irgendwie fühlte ich mich dann so in diese Kreise der Frauen überhaupt dazu gehörig (.) dass man wurde als solche wahrgenommen das war ne ziemlich coole Erfahrung“ (8/288/29). Die äußere Veränderung und das Erlangen eines von Nikita als weiblich markierten Wissens um „Handtaschen und Bling Bling und was passt zu was“ (8/23-8/24) führt zu dem Empfinden, den angenommenen Vorstellungen gängiger westlicher weiblicher Körperpräsentation zu entsprechen und somit auch erst der Gruppe der Frauen wirklich anzugehören. Die Anpassung an weiblich markierte Körpernormen eröffnet Nikita die Erfahrung der Anerkennung als Frau durch sich und Andere. Erst durch die stereotype weibliche Körperpräsentation fühlt sie sich als Frau wahrgenommen (vgl. zur Konstruktion von Geschlecht Kapitel 1.1). Deutlich wird darin die soziale Herstellung von Geschlechtszugehörigkeit durch stereotype Körperdarstellungen, welche von Nikita nach dem Empfinden der Nichtzugehörigkeit als eine positive Erfahrung wahrgenommen wird. Sie reagiert auf das Gefühl der Abweichung von beziehungsweise Nichtzugehörigkeit zur Gruppe der ,deutschen Frauen‘ mit Anpassung. Die zugrunde liegenden geschlechtlichen Körpernormen werden von ihr weder zur damaligen noch zum Zeitpunkt des Interviews hinterfragt. Körperarbeit als Arbeit an und mit dem Körper Als grundlegend positiv bewertet Nikita die Arbeit an und mit dem Körper. Ihre Eltern waren in Kasachstan und Kirgistan als Sportlehrer beziehungsweise -lehrerin tätig, ihre Schwester begann früh mit dem Leistungssport und auch Nikita hat sich in ihrer Kindheit sportlich betätigt. Sie gibt an, mit anderen Kindern an Volleyballoder Badmintonturnieren teilgenommen zu haben, Laufen gegangen und geritten zu sein (3/40, 2/28, 2/23-2/34). In der als schwierig beschriebenen Anfangszeit in Deutschland wird der nahe des Wohnheims gelegene Reiterhof zu einem Ort, an dem sie Selbstwirksamkeit und Anerkennung erfahren kann, auch wenn sie die

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deutsche Sprache noch nicht beherrscht. Sie erhält in der ersten Zeit kostenloses Training durch einen dort tätigen „ostdeutschen Trainer“ (6/10), der ihr Talent fördert. Nach der Schulzeit treten die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit in ihren anstrengenden Jobs in der Gastronomie und der Altenpflege verstärkt in Erscheinung. Sie gibt an, körperliche Warnsignale „intuitiv“ (14/32-14/39) zu erfassen, diese aber nicht unbedingt zu berücksichtigen. In der Arbeit wird der Körper zu etwas, das man „benutzt“ (15/36) und „gebraucht“ (15/37). Ihre Körperpräsentation wurde laut Nikita durch die Arbeit als Kellnerin zudem selbstbewusster und hat dazu geführt eine „professionelle Maske“ (8/13-8/15) aufzubauen, die ihr hilft, sich Menschen zu zeigen. Aufgrund der Erfahrung der zentralen Stellung des Körperlichen für die soziale Positionierung gegenüber Anderen verwundert es nicht, dass Nikita ihren Körper wiederholt in der Funktion eines Instruments in Erscheinung treten lässt. Die Kontrolle über den eigenen Körper erscheint dabei wie ein Sieg des Geistes über den Körper (vgl. zum cartesianischen Körper-Geist-Dualismus Kapitel 1.1). Die Arbeit an und mit dem Körper bietet Nikita die Möglichkeit, Leistung zu erbringen oder das von Anderen erwartete Aussehen zu zeigen und so aktiv zur Entwicklung des eigenen Selbst beizutragen. Körper erscheint im Sinne Bourdieus als ein „Verdienst“, der als körperliches Kapital eingesetzt werden kann (vgl. zu Körperkapital bei Bourdieu Kapitel 2.3). Den Körper zwischen Abwertung und kokettierender Annäherung wahrnehmen Nikita pendelt wiederholt zwischen Abwertung und zum Teil kokettierender Annäherung an den eigenen Körper sowie der sozial bedeutsamen Frage nach seiner Attraktivität für sich und Andere. Am Beispiel der Nacktheit verdeutlicht sie ihren kritischen Blick und gibt an, dass sie ihren „Körper einfach nicht mag also nicht so sehr mag als dass ich jetzt vor jemandem stehen könnte also selbst mit einem Menschen der mich wirklich kennt mein=mein geliebter Freund oder was auch immer ähm kann ich es nicht ohne weiteres einfach zeigen exponieren=also ich fühl mich immer wohler wenn man mich jetzt nicht so ganz komplett anguckt auch so Saunabesuche oder so wie gesagt nicht weil ich mich schäme nackt zu sein oder so sondern weil ich denke (.) schön ist was anders so innerlich ähm unwohl sein“ (13/39 -14/4).

Auf die Frage, was ihr an ihrem Körper nicht gefällt, benennt Nikita viele Dinge, die sie nicht schön findet. Zugleich fällt es ihr jedoch schwer, schöne Stellen an ihrem Körper zu benennen (12/29-12/30). Dies ist ihrer Meinung nach auch der Grund, warum sie bisher noch kein Tattoo hat machen lassen, da sie meint, dass es

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keine Stelle an ihrem Körper gäbe, die schön genug für ein Tattoo sei und auch noch in Zukunft gut aussehen würde (12/33-12/37). Zugleich berichtet sie von positiven Rückmeldungen auf ihr Äußeres als junge Erwachsene, die sie als angenehm empfunden hat und die sie bestätigt, wenn sie sich als Anfang Zwanzigjährige als „Granate“ (9/24) bezeichnet. Nikita scheint im Interview auszuloten, wie sie sich gegenüber ihrem Körper positionieren soll, zumal die Beurteilung des eigenen Körpers als schön und attraktiv die Gefahr birgt, vom Gegenüber als eingebildet wahrgenommen zu werden. Die Kritik am eigenen Aussehen und die Auseinandersetzung mit möglichen Ansatzpunkten für die Verbesserung des eigenen Aussehens, beispielsweise durch Sport, sind hingegen eine bekannte und akzeptierte Form der körperbezogenen Selbstthematisierunug. Zudem eröffnet Nikita in Bezug auf ihre Attraktivität eine zeitliche Unterscheidung zwischen ihrem attraktiven Körper mit Anfang 20 und ihrem im Vergleich dazu in ihren Augen weniger attraktiveren Körper mit Ende 20. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: eine ,andere Kör perlichkeit‘ als Ressource und Risiko Ausgehend von ihrer Erfahrung der Migration nach Deutschland eröffnet Nikita einen Vergleich kulturspezifischer Körperlichkeit zwischen ,deutschen beziehungsweise westlichen‘ Frauen und sich selbst als einer Frau, die erst mit zwölf Jahren nach Deutschland migriert ist. Sie begründet diesen Vergleich durch die Annahme einer ,anderen‘ Art und Weise den eigenen Körper wahrzunehmen, mit ihm umzugehen und ihn zu zeigen (7/9-7/10, 18/4-18/14). Neben im Vergleich wahrgenommenen kulturell markierten Einflüssen auf die eigene Körperlichkeit spielen zudem zeitliche Entwicklungs- und Veränderungsprozesse des Körperlichen eine Rolle, sodass sie den Körper-Kultur-Vergleich in hypothetischer Form darstellt. Ihre ,andere Körperlichkeit‘ wird von ihr dabei als Ressource und als Risiko dargestellt. So bildet das Aufwachsen in Kasachstan/Kirgistan eine Ressource für ihre als kraftvoll wahrgenommene Körperlichkeit. Die von ihr exotisierten körperlichen Erfahrungen ihrer Kindheit setzt sie durchaus bewusst ein, um sich im positiven Sinne von einer ,deutschen‘ Körperlichkeit abzugrenzen. Zugleich vermutet Nikita in ihrer Migrationserfahrung allerdings auch einen zentralen Grund dafür, soziale Erwartungen an ihre Körperlichkeit als Frau in Deutschland nicht erfüllen zu können. Bezogen auf die von ihr definierte körperliche Normalität in Deutschland beziehungsweise im Westen nimmt sie ihre Körperlichkeit daher auch immer wieder als im negativen Sinne abweichend wahr. In der von Nikita als ambivalent erlebten Aushandlungen zwischen Individuum und Gesellschaft bildet der Körper einen zentralen Faktor und wird durch Migrationserfahrungen mitbestimmt. Die darin zum Tragen kommende Ambivalenz verdichtet Nikitas im Verweis auf die Anfang der 1960er Jahre entwickelte amerikanische Comicfigur des Hulk, einem durch ei-

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nen nuklearen Forschungsunfall entstandenen menschlichen Mutanten: „Hulk war eben auch nicht immer froh Hulk zu sein sondern ähm ich=ich glaube daher rührt das aber klar es ist immer so ein unterschwelliges Bedürfnis ähm (.) ach ich will jetzt auch mal so fein und mhm (--) ja (-)“ (19/11-19/13). Nikitas Bezug auf Hulk, einen übermenschlich großen, muskelbepackten, männlichen (Anti)Helden mit grüner Haut, der den Menschen hilft, aufgrund seines Aussehens und zum Teil unbändigen Verhaltens jedoch von diesen als bedrohlich empfunden und gejagt wird, bietet eine Interpretationsfolie für Nikitas Vorstellung ihrer ,abweichenden Körperlichkeit‘ und der damit verknüpften sozialen Positionierung. Die Migration eröffnet ihr die Möglichkeit des Vergleichs eines Lebens in Kasachstan/Kirgistan und Deutschland, der sich auf Wahrnehmung, Umgang und Präsentation ihres Körpers auswirkt. Als biografisch relevant bilden die Migrationserfahrungen und das damit einhergehende Wissen bedeutsame Referenzen für die Entwicklung ihrer Körperlichkeit. Nikita stellt ihre Körperlichkeit in einer ambivalenten, stark am sozialen Umraum ausgerichteten Weise dar. Attraktivität und körperliche Robustheit werden in einem Wechselspiel zwischen Anerkennung und Abwertung im Austausch mit mir als Gegenüber ausgehandelt. In der Konsequenz nimmt sie gegenüber den von ihr wahrgenommenen beziehungsweise konstruierten Formen kulturspezifischer Körperlichkeit keine Höherbewertung des einen oder anderen vor. Vielmehr ergibt sich eine Form des situationsspezifischen Wechselns zwischen mit der Migrationserfahrung verknüpften Erfahrungen von Konformität und Besonderheit, die jeweils mit angenehmen wie unangenehmen Empfindungen einhergehen. 7.2.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Ausgehend von der Bildinterpretation einer stark inszenatorisch-ambivalenten Körperdarstellung im Rahmen hoher sozialer Aufmerksamkeit scheint die Interviewanalyse dazu auf den ersten Blick in einem Ergänzungsverhältnis zu stehen. Die im Interview rekonstruierte ambivalente Positionierung zu der Migrationserfahrung als Ressource oder Risiko für die eigene Körperlichkeit sowie die nicht eindeutige Haltung gegenüber der eigenen Attraktivität stellen Ansatzpunkte dar. Die sich zwischen (Wunsch)Positionen bewegende sequenzielle Darstellung verschiedener Formen von Körperinszenierung werden von Nikita unter Bezug auf die Unterscheidungsdimensionen Stadt/Land, Mann/Frau, Kasachstan beziehungsweise Kirgistan/Deutschland mit ihrem Gegenüber fortlaufend ausgehandelt. Die wiederholt zwischen sich und ,westlichen Frauen‘ aufgespannte Dichotomie wird durch ihren Wunsch nach Konformität problematisiert und zugleich in ihrem Bedürfnis nach Individualität positiv dargestellt. Dabei scheint sich der Wunsch nach Konformität und Individualität jeweils auch aus der Migrationserfahrung zu speisen. In

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der Bildanalyse zeigt sich eine starke inszenatorische Aufmerksamkeit, die auf mich, den imaginierten sozialen Umraum der Fotosituation sowie auf die eigene Selbstdarstellung bezogen sein kann. Das Zugleich einer geringen mit einer gleichzeitigen Inanspruchnahme von Bildraum kann als eine ambivalente Positionierung im sozialen Raum gedeutet werden. In der grundlegenden Ausrichtung ,am Außen‘ verhandelt Nikita in der sprachlichen wie gestischen Körperpräsentation die Vorstellung ihrer Individualität in ihren gesellschaftlichen Bezügen. Durch den – sprachlich vereindeutigten – Gebrauch einer imaginierten Handtasche stellt sie ihr Wissen hinsichtlich bestehender Stereotypien weiblicher Körperinszenierung vor. Die Bezugnahme auf einen solch geschlechtsspezifisch konnotierten Artefakt wird kombiniert mit einer – unter Bezugnahme auf die sprachlichen Ausführungen – durchaus als kraftvoll-robust zu bezeichnenden Beinhaltung. Im Interview wie in der Fotografie wird Eindeutigkeit zugunsten von Uneindeutigkeit aufgehoben. Die im Interview entlang verschiedener Themen situativ organisierte Selbstverortung führt zu einem Pendeln zwischen verschiedenen Einschätzungen. Demgegenüber erscheint die simultan strukturierte Fotografie Unterschiedliches stärker zu vereinen, ohne es jedoch in Einheitlichkeit aufzulösen. Wie im Interview im Rückblick auf ihre Jugend beschrieben, befindet sich Nikita auf dem Foto in einer Position ,am Rande‘. Der Blick in den leeren Bildraum verweist auf etwas, das nicht in der Fotografie dargestellt ist, jedoch Bedeutung hat. Es wird angenommen, dass darin die soziale Bedingtheit durch das konkrete oder die generalisierten Gegenüber zum Tragen kommt. Die Migrationserfahrung eröffnet dabei die Möglichkeit des Vergleichs von Körperwahrnehmung, -umgang und -präsentation in verschiedenen gesellschaftlich-kulturellen Kontexten und ist somit bedeutsam für Nikitas Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Körperlichkeit als sozialem Aushandlungsprozess. In ihrer Darstellung wird auf anschauliche Weise deutlich, wie stark ihr Körper in Interaktionen eingebunden und sozial bedingt ist. Die Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit wird dabei zu einem Bereich, in dem die grundlegende Frage nach dem Verhältnis zwischen Individualität und sozialer Konformität von ihr verhandelt wird. Nikita präsentiert ihre Körperlichkeit als soziales Phänomen in seiner Unabgeschlossenheit. Auf Grundlage gesammelter Erfahrungen und in der Aushandlung mit empfundenen Erwartungen erscheint Körperlichkeit aus dieser Perspektive als eine Herausforderung. Dabei eröffnet das Material den Blick auf die prinzipielle Unbestimmtheit von Körperlichkeit (vgl. zur Dialektik des Körperlichen Kapitel 1.2). Ähnlich wie bei Meiling wird deutlich, dass auch Nikita sich – entsprechend gängiger Auseinandersetzungen mit Migration – in ihrer Körperpräsentation einer kulturvergleichenden Systematisierung bedient, auch wenn sie keine so umfassenden Definitionen vornimmt wie Meiling. Auch wird von Nikita keine Hierarchisierung der als kulturell markierten jeweiligen Erfahrungen in Kasachstan/Kirgisien

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und Deutschland vorgenommen. Nikita definiert sich anders als Meiling nicht in einem Dazwischen in einem in seiner Richtung normativ eindeutig bestimmten Prozess. Vielmehr greift sie der jeweiligen Situation angemessen auf kulturell markierte Bezüge zurück. Kasachstan und Kirgistan verbindet Nikita eindeutig mit ihrer Kindheit. Die damals gesammelten Erfahrungen werden im Rückblick für ihr Leben als Erwachsene situationsspezifisch als Ressource genutzt oder als Risiko erlebt. Dieser Zustand führt zu einer Balancierung der eigenen Körperlichkeit im Geflecht kulturell markierter Bedeutungen. Allerdings weniger im Sinne eines zu überwindenden Zwischen- oder Übergangszustands – wie bei Meiling – sondern als grundlegende Position. Als grundlegend erscheint auch bei Nikita die soziale Bedingtheit von Körperlichkeit, welche jedoch nicht wie bei Meiling als Aufgabe erscheint, die es in der zum Teil kritischen Auseinandersetzung mit sozialen Erwartungen zu lösen gilt. Vielmehr bestehen auf diese Weise verschiedene Bezugsmöglichkeiten, deren situative Beurteilung verschiedene Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Beide Frauen beziehen sich dabei explizit auf weibliche Körpernormen, die sie zu erfüllen versuchen ohne sie dabei zu hinterfragen. Einige der Körperthemen in Meilings Interview lassen sich auch in Nikitas Ausführungen wiederfinden, allerdings in anderer Gewichtung. Die Themen Körpererziehung, die schambehaftete Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper in der Jugendphase sowie die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifisch konnotieren Körpernormen spielen bei beiden Frauen eine Rolle, sind jedoch inhaltlich unterschiedlich. Bei beiden klingt die Annahme des unauflöslichen Zusammenhangs zwischen Körper und Psyche an. Zudem wird von beiden Frauen die räumliche Dimension des jeweiligen Lebensmittelpunktes mit der zeitlichen Dimension bedingt durch das eigene Älterwerden verknüpft. Das Thema der körperbezogenen Diskriminierung als „Migrationsandere“ (vgl. Mecheril 2004, 47) wird bei Nikita auf Nachfrage in Bezug auf die Reaktionen der neuen Mitschüler in Deutschland auf ihre Kleidung und ihren Kleidungstil aufgeführt. Darüber hinaus werden das Aussehen sowie (weitere) habitualisierte Körperpraktiken in diesem Zusammenhang wie bei Meiling nicht thematisiert. Deutlich zeigen die Interpretationen zu den beiden ersten Fällen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Körper durch die soziale Verwobenheit des Körperlichen nur im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Sozialität des Menschen behandelt werden kann. Die Bezugnahme auf die Präsentation des Körpers in sprachlicher und in performativ-gestischer Form eröffnet daher einen Zugang zu grundlegenden Themen interaktionaler Aushandlungsprozesse sowie dem Verhältnis zwischen Person und Gesellschaft und dem Umgang mit sozialen Positionierungen

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Körperarbeit als Arbeit an und mit dem Körper

Migration als KörperRisiko

Den Körper zwischen Abwertung und kokettierender Annäherung anpassen

interaktional ausgehandelte oszillierende Körperlichkeit im nichthierarchischem Körper-Kultur-Vergleich als Grundzustand

Migration als KörperRessource

Anpassen an weibliche Körpernormen als Kriterium für vergeschlechticht-natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit

Abbildung 9: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Nikita Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Durch die Kontrastierung der beiden ersten Fälle wird ein von beiden Frauen vorgenommener Körper-Kultur-Vergleich deutlich. Dabei zeigen sich im Vergleich dieser Strukturierungsweise jedoch Unterschiede – sodass von Subkategorien gesprochen werden kann. Präsentiert Nikita ihre eigene Körperlichkeit als nichthierarchisches Oszillieren zwischen den Bezügen zum Emigrations- und Immigrationsland als einem Dauerzustand mit positiven und negativen Begleiterscheinungen, so findet sich bei Meiling eine im weiter gefassten Sinne hierarchische Systematisierung zwischen ihren Vorstellungen von China und Deutschland, die sich das Ziel der Übernahme einer als deutsch definierten Körperlichkeit setzt. In Anbetracht dieser Gemeinsamkeit und Unterschiede zwischen den ersten beiden Fällen wird im Folgenden danach gefragt,: • ob für die Darstellung eigener Körperlichkeit in Bezug auf Migration in Form des Kulturvergleichs die bewusste Erinnerung an das Leben in verschiedenen Gesellschaften vorliegen muss oder ob diese Form der vergleichenden Darstellung unabhängig von der ,wirklichen’ Erfahrung ist? • ob im Rahmen eines Körper-Kultur-Vergleichs auch noch weitere subkategoriale Formen der Systematisierung möglich sind? • ob die Verortung entgegen eines Körper-Kultur-Vergleichs in einseitiger oder gar keiner Weise zum Thema werden kann, sodass es sich beim Körper-KulturVergleich bereits um eine Unterkategorie handelt?16

16 Wohl kaum zu beantworten ist die Frage nach der Kausalität zwischen der Art der Darstellung und der Frage nach der Hierarchisierung beziehungsweise Nichthierarchisierung

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• ob Körperlichkeit und kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen grundsätzlich in solch ein enges Verhältnis gebracht werden, wie dies in den ersten beiden Fällen deutlich wird? Im Folgenden soll daher im Sinne einer maximalen Kontrastierung der Versuch vorgenommen werden, Kontakt zu Frauen herzustellen, die nicht selbst beziehungsweise zu einem sehr frühen Zeitpunkt in ihrem Leben migriert sind, um zu schauen, ob die Systematisierung bestehender Bezüge anhand eines Vergleichs zwischen dem Herkunftsland (der Familie) und Deutschland vorgenommen wird. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, ob negative oder positive Erfahrungen aufgrund von sich auf das Aussehen beziehenden ,prototypischen Imaginationen‘ eines als ,fremd‘ angesehenen Äußeren weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn dieses Thema weiterhin nicht von den Frauen selbst angesprochen wird, soll der Versuch unternommen werden, mithilfe einer exmanenten Interviewfrage näheres zu diesbezüglichen Einstellungen der Frauen zu erfahren.

kulturell markierter Bezüge. Führt die in einem Körper-Kultur-Vergleich angelegte klare Zielsetzung wie bei Meiling dazu, dass sie die kulturell markierten Bezüge normativ beurteilt, oder bildet die Bewertung erst die Grundlage für die Definition eines im Hinblick auf die eigene Körperlichkeit bestehenden Ziels? Und ebenso bei Nikita: Ist die Pendelbewegung der Grund für die nichthierarchische Bewertung der als deutsch und kasachisch/kirgisisch markierten Bezüge, oder führt die nichthierarchische Strukturierung erst dazu, dass ein Oszillieren überhaupt möglich ist?

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7.3 K ÖRPERLICHKEIT ALS AM SOZIALEN U MFELD ORIENTIERTE P RIVATANGELEGENHEIT – F ALLSTUDIE J ASEMIN Kurzporträt Jasemin17 wird Ende der 1970er Jahre in Deutschland geboren. Ihr Vater kam als Arbeitsmigrant nach Deutschland, ihre Mutter zog als junge Frau nach der Heirat aus der Türkei nach Deutschland nach. Die Familie lebt lange Zeit in Deutschland und erst im fortgeschrittenen Alter migrieren die Eltern wieder zurück in die Türkei. Jasemin hat zwei Schwestern, die wie sie ebenfalls in Deutschland aufgewachsen sind und leben. Nach dem Abitur absolviert Jasemin eine kaufmännische Ausbildung. Seit der Geburt ihres ersten Kindes vor sechs Jahren ist Jasemin allerdings nicht mehr berufstätig. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, ist Mutter von zwei Kindern und lebt zusammen mit ihrem Mann mit ebenfalls türkischem Migrationshintergrund18 in einer deutschen Großstadt. 7.3.1 Fotografieanalyse Der zur Verfügung stehende Fotokorpus von sieben19 Fotografien zeigt eine im Zentrum befindliche Person in verschiedenen Positionen vor einem gekachelten aber ansonsten unauffälligen Hintergrund. Auf einer Fotografie steht die Person, auf den anderen sechs sitzt sie auf einem Stuhl und hat ihre Hände in den Schoß gelegt. Sitzt die Person, sind die Beine auf den Boden aufgestellt oder ausgestreckt. Nur auf Foto vier überschlägt sie ein Bein, wodurch die ,Bodenhaftung‘ deutlich geringer erscheint. Zugleich wird durch das überschlagene Bein die Haltung zum rechen Raum hin geöffnet. In der Gesamtkomposition erweckt Foto vier Assoziationen einer stolzen, ein wenig majestätisch erscheinenden Haltung. In Kombination mit einem zur linken Seite gerichteten Blick scheint die Frau auf diesem Bild allerdings vergleichsweise weniger „in sich zu ruhen“. Bild vier wird daher einer genaueren Betrachtung unterzogen (Bildauswahl).

17 Jasemin ist ein weiblicher Vorname, der in vielen Teilen der Welt gebräuchlich ist. 18 Diese Information ergibt sich nicht aus dem Interview sondern aus Gesprächsanteilen, die nicht aufgenommen wurden. 19 Für die imaginierte Situation mit dem Partner wurde dieselbe Fotografie gewählt wie für die imaginierte Situation in der Familie.

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Abbildung 10: Fotoreihe zu imaginierten sozialen Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Jasemin Externe Kontextualsierung Durch die externe Kontextualisierung ergibt sich die raum-zeitliche Verortung des Bildes in Deutschland im Jahr 2009 im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Themenkomplex „Körper und Migration“. Für die Teilnahme an der Studie wurde eine junge Frau gesucht, deren Eltern nach Deutschland migriert sind. Die Fotografie zeigt eine Person, die sich durch diese Suchanfrage angesprochen fühlte und bereit war, dass Fotografien von ihr verwendet werden. Mein Interesse bei der Bildbetrachtung bezieht sich entsprechend der sensibilisierenden Kozepte dieser Untersuchung (vgl. Kapitel zwei und drei) auf den interaktionalen Gehalt der fotografischen Körperpräsentation. Der Fokus wird dabei auf Bildkomposition, das äußere Erscheinungsbild sowie die Mimik und Gestik der abgebildeten Frau gelegt. Die vorikonografische Beschreibung: Die Fotografie auf dreidimensional-perspektivischer Ebene zeigt eine Person, die vor einem weiß gekachelten Hintergrund auf einem Kunststoffstuhl sitzt, der auf einem ebenfalls weiß gekachelten Boden steht. Am linken unteren Bildrand ist die vordere Kante der Sitzfläche sowie die Lehnen

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eines weiterern Kunststoffstuhls mit gestreiftem Sitzkissen zu erkennen, über das ein Kabel Richtung Boden verläuft. Die junge Frau sitzt frontal zur Kamera in der vertikalen Bildmittellinie des hochformatigen Bildes. Der Bildmittelpunkt befindet sich auf dem Handgelenk ihrer linken auf dem linken Oberschenkel abgelegten Hand. Das linke Bein ist über das rechte Bein geschlagen, sodass ihr linker Unterschenkel und Fuß leicht nach rechts eingedreht in der Luft hängen. Das rechte Bein ist frontal nach vorne ausgerichtet und der Fuß auf den Boden aufgestellt. Ihre Oberarme verlaufen entlang des aufrechten Oberkörpers, wobei die Ellenbogen leicht nach außen gebogen sind und der rechte Unterarm auf der Stuhllehne aufliegt. Die linke Hand liegt mit nach oben geöffneter Handinnenfläche auf dem überschlagenen linken Oberschenkel und hält mit dem angewinkelten Daumen einen flachen, eckigen, dunklen Gegenstand. Die rechte Hand ist aufgrund eine perspektivischen Überschneidung hinter dem überschlagenen Bein nicht zu sehen. Die Frau trägt einen schwarzen, aufgeknöpften Daunenmantel und darunter einen schwarzen Pullover oder ein Shirt mit Rollkragen. An den Beinen ist sie mit einer gerade geschnittenen, dunkelblauen Jeans mit langem Bein bekleidet, an den Füßen trägt sie schwarze Lederstiefel mit Absatz und silberner Schnalle am äußeren Knöchel. Die Person hat dunkelbraunes, fein gelocktes, langes Haar, das sie am Vorderkopf aus dem Gesicht trägt und auf die rechte Seite über ihre Schulter gelegt hat. Ihr Mund ist geschlossen, die Mundwinkel leicht nach oben gezogen. Ihr Blick richtet sich nach links vorne unten. Aufgrund ihrer dunklen Haare wird vermutet, dass die dunklen Wimpern und die dünnen ebenmäßigen (gezupften?) Augenbrauen zumindest nicht stark geschminkt sind. Durch den gefliesten Hintergrund ergibt sich eine umfassende rechtwinklige Rasterung des Bildraums, die durch die sich bei der Frau als Bildzentrum treffenden Diagonalen des überschlagenen linken Beines in die rechte untere Bildecke sowie den Blick in die linke untere Bildecke als imaginierte Bildlinien durchbrochen wird. Die Diagonalen bilden auf der rechteckigen Bildfläche Schrägen, die als das wahrscheinlich „grundlegendste und wirksamste Mittel zur Erzeugung einer gerichteten Spannung“ (Arnheim 1978, 426) angesehen werden können. Die Diagonalen erwecken durch ihre – entlang der vertikalen Bildmittellinie – spiegelverkehrten Verläufe den Eindruck einer sich von der Bildmitte weg bewegenden Dynamik (Bildlinien). Das Bild zeigt starke Hell-Dunkel-Kontraste auf und ist in sich bis auf kleinere Bereiche wenig farbig. Einzig das Sitzkissen auf dem Stuhl im Vordergrund weist eine starke da komplementäre Farbgebung auf. Aufgrund der Farbverläufe auf den Wänden sowie dem Gesicht und der linken Hand der Person und Schattenwürfen auf der linken Bildhälfte kann von einem Lichteinfall von dem rechten oberen Drittel des rechten Bildrandes ausgegangen werden.

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Die Fotografie wurde im Hochformat aufgenommen. Die Position der Kamera führt zu einer leichten Untersicht auf die Person, die Verdeckungen, z. B. der rechten Hand durch das linke Knie und somit zum Eindruck von Raumtiefe der Fotografie in der Halbtotale hervorruft.

Abbildung 11: anonymisiertes Foto „im Café“ und Skizze des Gesichts im Fall Jasemin Auf der symbolischen Ebene werden die Position im Bild, die äußere Erscheinung sowie Gestik und Mimik der abgebildeten Person in den Blick genommen. Die sitzende Frau wird als zentrales Bildelement wahrgenommen. Sie befindet sich leicht nach rechts verschoben nahezu auf der vertikalen Bildmittellinie, der Bildmittelpunkt befindet sich an ihrer auf dem linken Oberschenkel abgelegten linken Hand. Wie Rudolf Arnheim an der Malerei anschaulich verdeutlicht, schafft die Betonung der Mitte eines Bildes ein stabilisierendes Gleichgewichtszentrum, wobei durch die zentrale Position eines Objekts dessen Bedeutsamkeit unterstrichen beziehungsweise seine Dominanz verdeutlicht wird (vgl. Arnheim 1996, 126ff.). Verstärkt wird der Eindruck einer starken Zentrierung durch die dunkle Kleidung und das dunkle Haar, welches vor einem hellen Hintergrund die Verteilung von Objekt und Umraum strukturiert (vgl. Arnheim 1978, 223ff.). Die Person befindet sich vor einem

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weiß gekachelten unauffälligen Hintergrund (Boden und Wand). Hinter der Person ist eine weiße geschlossene Tür zu sehen und in der linken unteren Bildecke wird ein Teil eines Kunststoffstuhls sichtbar. Verstärkt durch die leichte Untersicht scheint die Frau im Zentrum des Bildes zu ,thronen‘. Ihr Blick nach links unten und ihr nach rechts unten zeigender überschlagener linker Unterschenkel bilden zwei aus dem Zentrum nach unten herausführende Diagonalen. Diese Diagonalen bilden ein Gegengewicht zur starken Zentralität des Bildes und scheinen die Person im Zentrum zugleich in Form eines imaginierten ,Sockels‘ zu stützen. Das äußere Erscheinungsbild weist auf keinen auffälligen Kleidungsstil hin, die Farben ihrer Kleidung sind schwarz oder dunkelblau und ohne besondere Accessoires. Die Frau trägt keinen sichtbaren Schmuck. Die übereinander geschlagenen Beine sind als eine weit verbreitete Sitzhaltung zu verstehen, die mit wenig Bodenkontakt jedoch in diesem Fall mit zugleich durch das linke überschlagene Bein hervorgerufene Raumeinnahme einhergeht (vgl. Mühlen Achs 1998, 54f.). Das Übereinanderschlagen der Beine kann abhängig von der genauen Position des Beins sowie von weiteren Kontextfaktoren als eine angespannt-ängstliche wie auch eine durchaus entspannte Sitzhaltung angesehen werden. Die abgebildete Frau überschlägt ihr Bein dabei in einer raumeinnehmenden Weise, indem das linke Bein in den rechten Bildraum hineinragt. Ihre Hände sind auf Stuhllehne und Oberschenkel abgelegt und sie scheint sich im Stuhl zurück zu lehnen, was die Körperhaltung entspannt, zumindest nicht ängstlich oder unsicher wirken lässt. Auffällig wirkt der Gesichtsausdruck der Frau, deren geschlossener jedoch ein Lächeln andeutender Mund durch die Augenpartie konterkariert zu werden scheint. Ihre leicht hervorgetretenen Tränensäcke verweisen auf das einem Lächeln entsprechende leichte Zusammenkneifen der Augen. Die Augenbrauen scheinen dabei jedoch unverändert beziehungsweise leicht nach oben und nicht entsprechend der zusammengekniffenen Augen tendenziell nach unten gezogen.20 In dieser Unstimmigkeit könnte der Gesichtsausdruck eine gewisse Unsicherheit, Skepsis oder auch ein ,Genervtsein’ ausdrücken (vgl. Pasquinelli 2007, 29ff.). Der nach links unten abgewendete Blick erweckt den Eindruck des „Ausweichens vor drohender Kommunikation“ (Goffman 1981, 245) und eröffnet so die Sehweise einer gewissen Unsicherheit der Frau. Die Abwendung des Blicks von der Kamera könnte aber auch als eine Form des Desinteresses und der nicht zu großen Aufmerksamkeit für den ,Blick‘ der Kamera gedeutet werden.

20 Andererseits kann es sein, dass bei ihr zum Beispiel durch das Zupfen der Augenbrauen die Position der Augenbrauen generell hoch ist und auf diese Weise im Bild keine besondere Augenbrauenmimik zum Ausdruck kommt.

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Interne Kontextualisierung Durch eine interne Kontextualisierung wird nun der konkrete Entstehungs- und Verwendungskontext als einer Forschungssituation in die Betrachtung mit einbezogen. Das Foto wurde von der abgebildeten Frau Jasemin selbst mithilfe der in der linken Hand zu sehenden Fernbedienung aufgenommen. Auf der Suche nach einer jungen Frau, deren Eltern nach Deutschland migriert sind, wurde der Kontakt zu Jasemin über eine Bekannte hergestellt. Nach einem biografischen Interview zum Thema Körper bat ich Jasemin, mithilfe eines Selbstauslösers Fotografien von sich zu erstellen. Die Fotos sind somit als Auftragsarbeiten zu verstehen, für die ich verschiedene situative Einstiegsimpulse vorschlug. Die analysierte Fotografie zeigt eine typische Körperhaltung im Café als einer der imaginierten Situationen die von mir angeregt wurden. Während der Aufnahme war es Jasemin möglich, das Display der Kamera über einen angeschlossenen Monitor zu sehen der auf einem in der linken Bildecke erkennbaren Stuhl stand. Sie entschied sich für die erste Aufnahme. Die Fotografien wurden auf Jasemins Balkon aufgenommen. Aufgrund des nur begrenzten Raums auf dem Balkon bestanden nur wenig Möglichkeiten für die Position der Kamera. Nach einigem Ausprobieren entschied sich Jasemin für den zu sehenden Bildausschnitt. Die Information, dass die Untersuchung veröffentlicht wird, führte dazu dass Jasemin die „Verpixelung“ ihres Gesichts wünschte. Eine Abzeichnung ihres Gesichts erschien ihr unproblematisch. Ausgehend von der Bitte, eine typische Körperhaltung im Café einzunehmen, zeigt sich Jasemin in zentraler Position in sitzender Haltung frontal zur Kamera. Entsprechend einer Rekonstruktion des Darstellungsinteresses der Fotografin/Fotografierten Jasemin hinsichtlich ihrer Körperpräsentation hat sie sich für die Aufnahme zurückgelehnt, die Beine übergeschlagen und die Hände auf Stuhllehne und Oberschenkel abgelegt, sodass der Eindruck einer entspannt sitzenden Person entsteht. Ihr Blick weist an der Kamera vorbei womöglich auf den aufgestellten Monitor, was ein Hinweis auf die bestehende Verhaftung in der Erhebungssituation sein könnte. Dabei deutet sich ein gezwungen womöglich unsicheres Lächeln an, das verstanden als Reaktion auf den konkreten Kontext die Interpretation nahelegt, dass Jasemin durchaus gewillt ist, die von mir gestellte ,Aufgabe‘ zu erfüllen, jedoch eine gewisse Skepsis oder auch Unsicherheit hinsichtlich des Sinns der Aktion bei ihr besteht. So nimmt sie keinen Blickkontakt mit der Kamera auf und ignoriert diese, was – als Abwendung verstanden – als Verweigerung der Anerkennung des ,Blicks der Kamera‘ – und womöglich auch meines Blicks – gedeutet werden kann. Jasemin erscheint nicht als betrachtetes Objekt. Durch ihren vermutlich auf den Monitor und somit sich selbst gerichteten Blick als Form der Selbstobjektivation

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eröffnet sich die Möglichkeit, ihre betrachtende Subjektposition zu stärken. Jasemin zeigt sich flexibel und behält zugleich die Kontrolle über ihre Darstellung. Auf der über das Bild hinausgehenden (ikonologischen) Ebene können folgende Hypothesen festgehalten werden: • Die durch die Position Jasemins hervorgerufene Zentralität der Fotografie verweist in Kombination mit Aspekten einer entspannt, zurückgelehnten Körperhaltung mit überschlagenem Bein und dem gewählten Kamerawinkel auf eine in sich ruhende Selbstpräsentation. • Zugleich sind in ihrer Körperpräsentation jedoch auch abwehrend-unsichere Elemente enthalten: So entsteht durch Beinhaltung und Kamerawinkel der Eindruck von ,Beinbarrieren‘, die eine Distanz gegenüber der Kamera aufbauen. Wird der von der Kamera weg (Richtung Monitor) weisende Blick als Abkehr von der Kamera verstanden, wird der Eindruck von Unsicherheit noch einmal verstärkt. • Die sich im Zugleich von Selbstgewissheit und Unsicherheit ausrückende Gleichzeitigkeit von verschiedenen beziehungsweise gegenläufigen Eindrücken findet sich zudem in den Bilddiagonalen, die die Aufmerksamkeit der Betrachterin zum einen durch die Blickrichtung und zum anderen durch den linken überschlagenen Unterschenkel von der zentrischen Position der Person im Bild weg an den Rand führen und durch diese Blickbewegung das Bildzentrum zugleich betonen. In der fotografischen Rückbindung an die weiteren sechs Fotografien wird deutlich, dass sich alle Fotografien durch ihre zentrale Komposition auszeichnen. In der Einzelbildanalyse aufgezeigte als Distanzierungen wahrgenommene Elemente lassen sich in abgeschwächter Weise wiederfinden. Aus dieser Perspektive kann die leichte Körperdrehung entgegen der Blickrichtung auf dem ersten Bild, das Zurücklehnen des Oberkörpers beim Sitzen sowie die nach vorne gerichteten Beine und die der Kamera zugewandten Schuhsohlen als distanzierende Elemente gedeutet werden. Jedoch nimmt Jasemin auch in drei Fotografien (in der Schule, bei der Arbeit und mit Freunden/Freundinnen) direkten Blickkontakt mit der Kamera auf und der bei der Betrachtung der anderen Fotografien entstehende Eindruck des Zugleich von Selbstgewissheit und Unsicherheit entwickelt sie insbesondere bei der Betrachtung der Fotografie einer typischen Körperhaltung mit Freunden/Freundinnen nicht. Wenn auch nicht für alle, so doch für einige der von Jasemin erstellten Fotografien lässt sich ein Zugleich von Selbstsicherheit und Unsicherheit erfassen.

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Jasemins Selbstdarstellung verortete sich in einem durch die Begriffspaare „Zentralität und Herausweisen“, „Unsicherheit und Selbstsicherheit“ aufgespannten Feld und eröffnet so den Blick auf die simultane Darstellung von Unterschiedlichem. 7.3.2 Interviewanalyse Im Folgenden werden die mithilfe des Kodierparadigmas systematisierten Interviewaussagen im Fall Jasemin in Form von vier Körperthemen systematisiert. Diese Themen bilden die Grundlage für die Entwicklung ihrer sprachlichen Körperinszenierung: (1) zwischen Affirmation und Ablehnung der elterlichen Körpererziehung, (2) „eine gute Figur ermöglicht einem vieles“ – der jugendliche Körper als positive Erinnerung, (3) der Wert des Körpers – Würdigung des weiblichen Körpers durch Schwangerschaft und Geburt sowie (4) Besondertwerden durch körperlich markiertes ,Ausländersein‘. Zwischen Affirmation und Ablehnung der elterlichen Körpererziehung Jasemin weist die Aufforderung einer freien biografischen Stegreiferzählung mit einem Fokus auf das Thema Körper mit der Bitte zurück, doch Fragen gestellt zu bekommen (1/5 und im weiteren Verlauf zum Beispiel 4/8-4/9), macht dann aber den Vorschlag, bei der Körpererziehung durch ihre Eltern zu beginnen, was von der Interviewerin als ein möglicher Einstieg kommentiert wird. So beginnt Jasemin ihre Stegreiferzählung mit dem Verweis: „also der Hintergrund ist ja dass wir aus der Türkei kommen also meine Eltern sind ja aus der Türkei“ (1/18-1/19). Im Folgenden gibt Jasemin Einblick in ihre Vorstellungen über die Beziehung zwischen der Eltern- und Kindergeneration. Das Bestehen von Differenzen in den Vorstellungen von Eltern und Kindern bildet dabei für Jasemin eine grundlegende Normalität im Generationenverhältnis. Die türkische Herkunft der Eltern verknüpft Jasemin mit ihrer Aufforderung an sie und ihre beiden Schwestern, besonders „aufpassen [zu] müssen“ (2/1). Interessant daran erscheint, dass sie das Thema Körper in Bezug auf sich und ihre Schwestern mit dem der Kategorie des weiblichen Körpers beziehungsweise der weiblichen Geschlechtszugehörigkeit gleichsetzt, wenn sie sagt: „und ähm (.) uns wurde immer erzählt dass wir auf unserer Körper speziell (.) Mädchen das ist ja das selben Thema sehr aufpassen müssen“ (1/20-1/21). Die Vorstellung von Körper wird so zu einem geschlechtlich konnotierten Konzept, dem gerade deshalb eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Darauf aufzupassen kann einerseits auf dessen besonderen Wert zugleich aber auch auf offensichtlich bestehende Gefahren hinzuweisen, vor denen ,der Mädchenkörper‘ zu beschützen ist. Jasemin nennt den Begriff der „Reinheit“ (1/24), auf den der Verweis folgt, dass damit von den Eltern nicht direkt

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das Tragen eines Kopftuches gemeint gewesen sei, was dem Begriff eine religiöse Konnotation verleiht. Es folgen auch keine weiteren Ausführungen zum Thema Reinheit, vielmehr gibt Jasemin an, dass ihre Mutter wie sie kein Kopftuch trage, auch wenn ihr Vater dies befürworten würde (12/24-1/28). Das Kopftuch wird von Jasemin als etwas „speziell vom Körper her“ (1/30) angesehen. Zum Aufpassen auf den weiblichen Körper zählt ab dem Jugendalter der Kontakt mit Jungen, wobei Jasemin angibt, dass sie und ihre zwei Schwestern „natürlich keine Freunde haben durften“ (1/32-1/33), damit sie bei einem späteren Wunsch zu heiraten „nichts bereuen“ (2/3) würden. Die von Jasemin vermutlich angesprochene weibliche Jungfräulichkeit wird somit durch die Vorschriften der Eltern zu einem hohen Gut, Geschlechtsverkehr ist nach den Vorstellungen der Eltern der Ehe vorbehalten. Als weitere Aspekte elterlicher Körpererziehung nennt Jasemin die rituelle Waschung, die die Eltern vor dem fünfmal am Tag vollzogenen Gebet durchführen (4/34-5/2). Jasemin berichtet, dass sie als Mädchen zudem die nach jeder Periode durchzuführende rituelle Waschung beigebracht bekamen, die ihrer Meinung nach „ganz schnell“ geht aber eben „dazu gehört“ (5/5-5/6). Weiterhin verbindet sie mit den Erziehungsvorstellungen der Eltern die respektvoll körperliche Haltung gegenüber Älteren, indem ihre Eltern sie dazu anhielten sich nicht zu „lässig“ hinzusetzen, wenn ältere Personen anwesend waren (13/413/14). Hinsichtlich des Erlernens von körperlichen Fertigkeiten wie dem Radoder Autofahren sowie verschiedenen Ballsportarten berichtet Jasemin, dass der Vater ihr und ihren Schwestern dies schon früh beibrachte. Durch ihre Mutter erlernte sie hingegen eher Tätigkeiten im Haushalt. Im Vergleich zu anderen Familien mit Töchtern und Söhnen beschreibt Jasemin den Erziehungsstil ihrer Eltern als nicht geschlechtsspezifisch, was ihrer Meinung nach womöglich damit zusammenhängt, dass sie drei Schwestern sind (17/12-17/38). Die Benennung der verschiedenen Bereiche der Körpererziehung durch die Eltern ist dabei durchwoben von Hinweisen der Nichtbefolgung und der (heimlichen) Abgrenzung von den elterlichen Vorstellungen. So verweist Jasemin hinsichtlich des Verbotes als Teenager einen Freund zu haben, darauf, „ja aber im Endeffekt macht man natürlich nicht immer das was die Eltern ((lachend)) einem sagen ((beide lachen)) man lebt ja schließlich sein eigenes Leben nicht das von den Eltern“ 2/5-2/7). Auch die rituellen Waschungen führt Jasemin „eigentlich weniger“ (5/14) durch und wie ihre beiden Schwestern betet Jasemin nicht, „obwohl wir so erzogen worden sind ((lachend)) dass wir beten sollten“ (5/17-5/18). Hinsichtlich der Vorgaben sich „ordentlich“ hinzusetzen, wenn ältere Personen anwesend sind, gibt Jasemin an, „das ist mir so nicht unangenehm wenn ich darauf achten muss wie ich mich=also das ist jetzt nicht sehr schlimm für mich ((lacht)) sagen wir mal so (.)

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man akzeptiert halt einiges ((lacht)) auch wenn man das seinen Kindern vielleicht nicht so mitgibt ((lacht kurz))“ (13/27-13/29). Die unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Eltern und Töchtern wurden laut Jasemin nicht in der Auseinandersetzung mit den Eltern verhandelt oder von den Töchtern kritisiert und zurückgewiesen, sondern erst einmal (vordergründig) akzeptiert und dann entsprechend eigener Wünsche modifiziert. Die von ihr erinnerten Erziehungsvorstellungen ihrer Eltern haben für sie somit durchaus Bedeutung, sind jedoch eher als ein Bezugsmöglichkeit zu verstehen, die es von den Kindern anzupassen gilt. Als Grundlage für die Unterschiede zwischen dem, was ihre Eltern ihr beigebracht haben und wie sie nun ihr Leben lebt, nennt Jasemin die unterschiedlichen Lebensbedingungen ihrer Eltern und für sich selbst in Deutschland. So berichtet sie, dass ihr Vater ohne Deutschkenntnisse zum Arbeiten nach Deutschland kam, ihre damals siebzehnjährige Mutter in der Türkei heiratete und diese im Anschluss nach Deutschland nachzog. Die Deutschkenntnisse ihrer Eltern und insbesondere ihrer Mutter blieben laut Jasemin bis zur Rückkehr ihrer Eltern in die Türkei vor zwei Jahren „nicht so gut“ (16/11). Für Jasemin ein Grund, warum insbesondere ihre Mutter, die den Großteil ihres Lebens in Deutschland verbracht hat, in Deutschland kein selbstbewusstes (körperliches) Auftreten entwickeln konnte und sich nie wirklich wohl gefühlt habe (16/7-16/8). Sie verknüpft bestehende Sprachkenntnisse mit spürender Wahrnehmung und Präsentation des eigenen Körpers. Ohne ausreichende Sprachfähigkeiten als zentralem Mittel für gesellschaftliche Partizipation schient eine auch körperliche Vertretung der eigenen Position nur eingeschränkt möglich. Jasemin, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, das Abitur und eine Ausbildung absolvierte und einen sozialen Aufstieg vollzogen hat, beschreibt demgegenüber ihre eigene Situation als grundsätzlich anders, wenn sie zu dem Beispiel mögliche Verständnisschwierigkeiten angibt: „ah (. ) da sind Welten dazwischen also ich hab keine Angst und auch wenn ich etwas zum Beispiel nicht verstehe nicht sprachlich nicht verstehe sondern halt inhaltlich nicht versteh zum Beispiel da frag ich nach da hab ich gar kein Problem damit“ (16/23-16/25). Die Darstellung ihres Lebens scheint gegenüber dem Leben der Eltern in Deutschland als eine Form der Normalisierung. Die für Jasemin als eine sich unweigerlich auch durch Differenzen auszeichnende Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern wird von ihr auch im Zusammenhang mit den Migrationserfahrungen ihrer Eltern gesehen. Die Frage der gesellschaftlichen Zugehörigkeit, die Jasemin in Bezug auf ihre Eltern aufwirft, scheint in Bezug auf sie selbst keine Rolle zu spielen. Ihre Bezüge zum Thema „Sprache“ können als Hinweis auf ihre eigenen nationalen, ethnischen und/oder kulturellen Zugehörigkeitsvorstellungen gedeutet werden. Über diesen alltagspraktischen Aspekt von Sprache hinaus werden keine diesbezüglichen Darstellungen vorgenommen. Dies könnte auf eine Selbstverständlich-

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keit der eigenen Position hindeuteten, die womöglich mit der Weigerung der Problematisierung der eigenen Zugehörigkeit einhergeht. „eine gute Figur ermöglicht einem vieles“ – der jugendliche Körper als positive Erinnerung In der Auseinandersetzung mit dem Thema Körper kommt Jasemin auf das Thema einer guten Figur zu sprechen – ein Distinktionsmittel mit hoher sozialer Bedeutung. Sie berichtet früher „natürlich“ dünner gewesen zu sein als zum gegenwärtigen Zeitpunkt (2/25). Eine „gute Figur“ wird von Jasemin als Grund für bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt genannt (2/26-2/32), da ihr ihre „schöne Figur“ in ihrer Jugend zu vielen Jobangeboten in der Gastronomie verholfen habe und sie so auch „fit“ genug für diese körperlich anstrengenden Tätigkeit gewesen sei (5/135/16). Jasemin hat in dieser Zeit in einem Restaurant als Aushilfe gekellnert (6/116/13). Zudem vermutet sie, ihre Ausbildungsstelle auch aufgrund ihres Aussehens erhalten zu haben, da eine Freundin ihrem Ausbilder vorab berichtete, dass Jasemin hübsch sei und eine Ausbildungsstelle suchen würde (6/26-6/34). Zum Zeitpunkt des Interviews besteht der Wunsch, wieder diese „schöne Figur“ (7/18-7/20) zu haben, um alles anziehen zu können, was sie möchte (8/2-8/8), jedoch erscheint ihr die Anstrengung dafür momentan zu hoch. Durch eine zunehmend gemütlichere Haltung in Kombination mit einer weniger starken Fixierung auf das Äußerliche, wie sie es in ihrer Jugend beschreibt, fehle ihr der Antrieb ihr Gewicht zu reduzieren, so Jasemin. Erinnert sie sich, dass ihr im Teenageralter Dicksein als eine nicht vorstellbare Situation erschien, so gibt sie an, nun zu wissen wie schnell man zunehmen kann (5/26-5/35)). Sportliche Betätigung und Erinnerungen an das Austesten körperlicher Grenzen beim Schwimmen oder Joggen sind für Jasemin allerdings weiterhin positiv besetzt. (9/20-9/32). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt genießt sie jedoch das „gesellschaftliche Essen“ als soziales Zusammensein mit Familie und Freunden, was mit einer bequemen und gemütlichen Haltung gegenüber ihrem Körper(gewicht) einher geht (5/35-6/4). Die Erinnerungen an den jugendlichen Körper erscheinen als Nostalgie. Die damit verbundenen Normen körperlicher Attraktivität in Form eines jugendlichen und schlanken Körpers werden dabei nicht hinterfragt. Der Wert des Körpers – Würdigung des weiblichen Körpers durch Schwangerschaft und Geburt Im Zusammenhang mit Körper bilden für Jasemin die Erfahrung der Schwangerschaft und Geburt ihrer beiden Kinder einschneidende Erlebnisse. „Schwangerschaft äh da merkt man wie wichtig es ist eigentlich eine Frau zu sein und wie schön es ist eigentlich ein Frau zu sein“ (3/9-3/10). Die körperliche Erfahrung ein Baby im Bauch zu spüren ist für sie ein besonderes exklusiv weibliches Erlebnis,

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allerdings bedeutet dies natürlich auch, die Geburt und das damit einhergehende Gefühl des Verlusts von Körperkontrolle zu ertragen (3/18-3/19, 12/16). Die besondere Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt beinhaltet zudem auch „komische“ (3/29) Aspekte, sodass gerade die Geburten für Jasemin zu den schlimmsten und schönsten Erfahrungen zugleich geworden sind (12/22-13/27). Sie gibt an, durch diese Zeit, die „sehr viel mit Körper zu tun“ (12/23) hatte, ihren Körper erst so richtig schätzen gelernt zu haben, da dessen Bedeutung durch die „Produktion“ eines Menschen für sie zunimmt (3/22-3/24). Die große Bedeutung des Körperlichen in der Zeit der Schwangerschaft und der Geburt führt für Jasemin somit zu einer Aufwertung ihres weiblichen Körpers. Besondertwerden durch körperlich markiertes ,Ausländersein‘ Nach positiven oder negativen das Aussehen betreffenden Erfahrungen auf Grundlage bestehender Stereotype ,typischen’ Ausshens, berichtet Jasemin von Komplimenten für ihr schönes Haar und ihre schönen Augen (13/36-13/37). Zudem kommt sie auf verschiedene Ereignisse insbesondere in ihrer Kindheit und Jugend zu sprechen, in denen sie sich „allein vom Äußeren her“ als „Ausländerin“ (14/5-14/6) diskriminiert gefühlt habe. So kommt es in einem Nachbarschaftsstreit in ihrer Jugend zu einem körperlichen Angriff durch einen Nachbarn: „ja der hat mich angegriffen (--) ja aber nur weil ich Ausländer war wär ich jetzt deutsch gewesen oder hätte jetzt blonde Haare gewesen oder sonst irgendwas der hätte der hätte sich das nicht getraut“ (14/14-14/22). Ein nach der Logik des deutschen Migrationsdiskurses ,deutsches Aussehen‘, symbolisiert durch blonde Haare, beschreibt Jasemin als Garant für Respekt und als Schutz vor Übergriffen. Anhand einer Begegnung als Erwachsene berichtet Jasmin im Weiteren von besondernden Zuschreibungen in Form einer durch ihr Äußeres ausgelösten langsamen und überbetonten Ansprache durch eine ältere Frau, die Jasemin als „lustig“ (14/33-15/3) beschreibt. Sie gibt an, sich mittlerweile an solche „nicht richtig“ (15/6) negativen Erfahrungen gewöhnt zu haben und anders als in der Kindheit durch so etwas nicht mehr verletzt zu sein (15/21-15/25). In der Beurteilung der „nicht richtig“ negativen Erfahrungen banalisiert Jasemin alltagsrassistische Besonderungen ihrer Person zu etwas Unbedeutendem. In Anbetracht der Tatsache, dass Jasemin im gesamten Interview bezogen auf die eigene Person nur auf Nachfrage auf körperbezogene Vorstellungen oder Zuschreibungen natio-ethnokultureller Zugehörigkeit(en) eingeht, kann die Bagatellisierung von Erfahrungen als Strategie verstanden werden, ihr Leben nicht entlang dieser Kollektivvorstellungen zu strukturieren. Wird sie von außen mit diesen Zuschreibungen konfrontiert, stellt sie sich als jemand dar, der Alltagsrassismen nichts anhaben können; die sie gar mit Humor zu nehmen weiß. Ihre eigene Zugehörigkeit wird dabei nicht zum

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Thema: entweder, weil sie nicht in die bestehenden Muster passt, oder weil für sie die Zugehörigkeit durch ihr Leben in Deutschland eindeutig geklärt sind. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Körperlichkeit abseits von Vorstellungen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit Jasemin beginnt ihre Erzählung – vermutlich auch aufgrund meiner Suche nach einer jungen in Deutschland geborenen Frau mit Migrationshintergrund – mit dem Hinweis der türkischen Herkunft ihrer Eltern. Ihren Bezug zur Herkunft ihrer Eltern stellt sie anhand spezifischer Einflüsse auf die Erziehung durch die Eltern dar. Diese Einflüsse werden von Jasemin (an)erkannt, jedoch nicht als maßgebliche Bezugsgrößen für ihr Leben und wiederum die Erziehung ihrer Kinder benannt. Demgegenüber wird kein Bezug auf Deutschland als gesellschaftlich-kulturellem Raum vorgenommen, was verschiedene Deutungsansätze zulässt. Zum einen könnte darin ein Hinweis bestehen, dass sie sich mit ihrem Geburtsland Deutschland wie selbstverständlich verbunden fühlt und das Eigene schlichtweg nicht als ,kulturell‘ wahrnimmt. Weiterhin könnten die auf Eindeutigkeit hin ausgerichteten Differenzsetzungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit für Jasemin keine adäquate Form der Selbstdarstellung ermöglichen, da sie sich nicht eindeutig verorten kann oder möchte. Die Möglichkeit gegebenenfalls bestehende uneindeutige oder ambivalente Zugehörigkeitsvorstellungen zu thematisieren wird – anders als bei den beiden ersten Fällen – von ihr nicht genutzt, was womöglich den ersten Deutungsansatz stützt. Im Hinblick auf die Interviewsituation könnte Jasemins Darstellung mir als Interviewerin gegenüber – wobei ich mich von ihr wie selbstverständlich der Mehrheitsgesellschaft zugehörig definiert fühle – allerdings auch als eine bewusste Weigerung verstanden werden, sich in natio-ethno-kultureller Weise zu definieren. Diese Weigerung könnte im Zusammenhang mit den von Jasemin auf Nachfrage genannten kulturalisierenden oder rassistischen Fremdzuschreibungen stehen, die die Auseinandersetzung mit der Frage nach der eigenen Zugehörigkeit zu einem risikoreichen Unterfangen werden lassen. Durch Jasemins Darstellung der eigenen Körperlichkeit als stark individualisiert beziehungsweise auf ihre enge soziale Umgebung ausgerichtetes Phänomen verlieren „ethno- und nationalkulturelle Markierungen“ (Bommes, 1996, 209) an Bedeutung. Jasemins Selbstdarstellung erscheint vielmehr gesellschafts- und somit kulturunabhängig und in diesem Sinne in erster Linie selbstbestimmt. 7.3.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Durch die Kombination der Ergebnisse aus Fotoanalyse und Interview entsteht das Bild einer selbstbestimmten jungen Frau, die ihre Körperlichkeit als etwas Individuelles darstellt. Ihre Haltung gegenüber sich selbst und der Welt entwickelt sie

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nicht auf dem Weg der Konfrontation, sondern setzt ihre Vorstellungen auf Basis ihres eher introvertiert erscheinenden Selbstbewusstseins um. Im Interview wird deutlich, dass sich Jasemin in der Reflexion ihrer eigenen Körperlichkeit weniger in umfassenden gesellschaftlichen Zusammenhängen und der Auseinandersetzung mit diesen sieht. Ihre Position ist durch Selbstbestimmung sowie die Verbindung zu ihrem engen sozialen Umfeld geprägt. Die Verantwortung für ihren Körper und seine Verfassung sieht Jasemin klar bei sich. In den Fotografien zeigen sie sich – in ähnlicher Weise – als eine in sich ruhende Person, auch wenn in ihren Darstellungen Aspekte von Unsicherheit und Skepsis zu finden sind. Die Zentralität der Bilder in Kombination mit distanzierenden Elementen erweckt bei der Betrachtung daher den Eindruck als suche Jasemin Schutz in einer gewissen ,thronenden‘ Haltung. Die Bezugnahme auf sich bei einem gleichzeitig (scheinbar) entspannten Umgang mit bestehenden Körpernormen kann womöglich als ein Versuch verstanden werden, die eigene Position ohne den Verweis auf soziale und somit auch kulturelle Bezüge zu definieren. Durch die nicht vorhandene Bezugnahme auf Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit(en) kann ihre Körperdarstellung nicht zu einer Angriffs- oder Verhandlungsfläche dieser Kollektivvorstellungen werden. Die Betonung der Individualität ihrer Darstellung schützt Jasemin vor diesbezüglichen Festschreibungen. Deutlich wird, dass Jasemin ihre Körperlichkeit nicht wie Meiling und Nikita in einem Körper-Kultur-Vergleich präsentiert. Kulturelle Bezüge spielen eine nur untergeordnete Rolle und werden einzig im Hinblick auf die Körpererziehungsvorstellungen der Eltern und ihre türkische Herkunft thematisiert. Dabei distanziert sich Jasemin nicht in offen konträrer sondern eher in einer ,entspannten‘ Weise von den Wünschen ihrer Eltern und betont in diesem Zusammenhang die Option einer sich von den Vorstellungen der Eltern abgrenzenden Lebensführung. Auf Deutschland als kultureller Raum nimmt Jasemin keinen expliziten Bezug. Sie positioniert sich demnach im Interview weniger im Rückgriff auf natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsvorstellungen sondern in Bezug auf ihre Individualität und die Menschen in ihrer direkten Umgebung. Gegenüber dem über ihr soziales Umfeld hinausgehenden gesellschaftlichen Kontext nimmt sie – wenn überhaupt – eine pragmatische Haltung ein. Entsprechend der Frage, ob sich der Körper-Kultur-Vergleich auch bei Personen mit Migrationshintergrund zeigt, die nicht selbst migriert sind und sich an das Leben vor der Migration aktiv erinnern können, eröffnet Jasemins Körperinszenierung einen neuen Einblick. Der in den beiden ersten Fällen überaus deutlich thematisierte kulturelle Bezug in der Präsentation der eigenen Körperlichkeit ist bei ihr nahezu nicht vorhanden. Vielmehr wird die individuelle Dimension des eigenen Körpers herausgestellt und als bedeutsam angesehen. Hinsichtlich der Körperthemen lässt sich auch bei Jasemin das Thema der Körpererziehung durch die Eltern

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finden. Hinzu kommt das Thema der Schwangerschaft und Geburt, was für Meiling und Nikita (noch) keine Rolle spielt. Die bei Meiling und Nikita explizit angesprochene zeitliche Dimension von Körperlichkeit und ihrer Darstellung ist wiederum in den Ausführungen Jasemins nicht zu finden, auch wenn sie angibt, dass sich im Verlauf des Älterwerdens die Bedeutung des Aussehens abgenommen habe und sie insgesamt bequemer geworden sei (10/13-10/22). Das Thema der Körper-PsycheEinheit wird nicht explizit reflektiert. zwischen Affirmation und Ablehnung der elterlichen Körpererziehung

Besonderung durch körperlich markiertes „Ausländersein“

Körperlichkeit als abseits natio-ethno-kultureller Bezüge dargestellte am engen sozialen Umfeld orientierte Privatangelegenheit „eine gute Figur ermöglicht einem vieles“ – der jugendliche Körper als positive Erinnerung

der Wert des Körpers – Würdigung des weiblichen Körpers durch Schwangerschaft und Geburt

Abbildung 12: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Jasemin Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Jasemins Darstellung ihrer Körperlichkeit wird anders als die beiden ersten Fälle nicht kulturvergleichend angelegt. Hinsichtlich ihres Aufwachsens in Deutschland lässt sich an diesem Punkt der Untersuchung danach fragen, • ob das Auftreten einer ethnisch-kulturellen Verortung der eigenen Körperlichkeit an die Erfahrung der eigenen erinnerten Migration gebunden ist oder ob der Bezug zum Herkunftsland der Eltern auch zu Körper-Kultur-Vergleichen führen kann? • ob die Zugehörigkeit zur zweiten Generation eine Abkehr von – meist in vereindeutigendem Sinne gedachten – ethnisch-kulturellen Zugehörigkeitsvorstellungen begünstigt? • ob die Erfahrung der Ausgrenzung als Ausländerin zu einer Abkehr ethnischkultureller Zugehörigkeitsbeschreibungen führt? • ob es neben dem Bezug auf die eigene Individualität und das enge soziale Umfeld noch weitere Möglichkeiten der Verortung der eigenen Körperlichkeit abseits ethnisch-kultureller Bezüge gibt?

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7.4 A BGRENZEN

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Z USCHREIBUNGEN – F ALLSTUDIE H ÜLYA

VON KOLLEKTIVEN

AN DEN EIGENEN

K ÖRPER

Kurzporträt Hülya21 ist zum Zeitpunkt des Interviews Anfang dreißig und kam 1977 mit vier Monaten zusammen mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester aus der Türkei nach Deutschland. Der Vater lebte und arbeitete zu dieser Zeit bereits in Deutschland. Nach dem Besuch der Grundschule macht Hülya einen Realschulabschluss und anschließend die Fachhochschulreife. Sie absolviert eine Ausbildung zur Bürokauffrau und arbeitet im Anschluss bis zur Geburt der Tochter als Verwaltungsangestellte. Mit ihrem Mann – ebenfalls mit türkischem Migrationshintergrund22 – ist Hülya zum Zeitpunkt des Interviews seit fünf Jahren verheiratet und hat eine zweijährige Tochter. 7.4.1 Fotografieanalyse Die sieben vorliegenden Fotografien einer Person vor einem weitgehend gleichbleibenden Hintergrund wirken insgesamt recht statisch. Auf Bild eins steht die Person, auf den weiteren sechs Fotografien sitzt sie auf einem Stuhl (an einem Tisch). Im Vergleich fällt Bild eins durch die stehende Haltung der Person im Profil auf. Der Blick über die Schulter in beziehungsweise neben die Kamera wird durch die Körperhaltung zu einem bewussten Akt und weckt vielfältige – ggf. auch durch das ,von unten’ aufgenommene Bild – Assoziationen (,einen Blick über die Schulter riskieren‘, ,die kalte Schulter zeigen‘ usw.). Die Haltung der Arme und Hände wirkt demgegenüber geradezu schüchtern, sodass dieses Bild in seiner Spannung im Folgenden näher betrachtet werden soll (Bildauswahl).

21 Hülya ist ein verbreiteter türkischer weiblicher Vorname. 22 Da der Schwiegervater, mit dem Hülya Türkisch sprach, während des Treffens im Nebenraum war, um auf die Enkelin aufzupassen, ist davon auszugehen, dass Hülyas Mann selbst, oder bereits seine Eltern aus der Türkei nach Deutschland migriert sind.

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Abbildung 13: Fotoreihe zu den imaginierten sozialen Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Hülya Externe Konextualisierung Durch eine externe Kontextualisierung wird das ausgewählte Bild als eine in Deutschland im Jahr 2009 aufgenommene Fotografie eingeordnet, die im Folgenden auf ihren interaktionalen Gehalt hin untersucht werden soll. Als Teil eines Forschungsprojektes zum Themenkomplex „Körper und Migration“ habe ich eine junge Frau gesucht, deren Eltern nach Deutschland migriert sind. Das Foto zeigt eine Person, die sich durch diese Suchanfrage angesprochen fühlte und einverstanden war, dass ihre Fotografien im Rahmen der Untersuchung von mir verwendet werden. Die vorikonografische Bildbeschreibung zeigt auf dreidimensional-perspektivischer Ebene ein Foto im Hochformat, auf dem die Untersuchungsteilnehmerin zu sehen ist. Sie steht in der linken Seitenansicht zur Kamera auf einem hellgrauen, glatten Boden. Die helle Wand hinter ihr setzt sich überwiegend aus weiß lackierten Holzelementen zusammen, die durch vertikale und horizontale weiße Holzleisten und Kanten voreinander abgegrenzt beziehungsweise durchzogen sind und am linken Bildrand und in der linken Bildecke durch rosafarbene Wandstreifen begrenzt

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werden. Am linken Bildrand ist eine nach vorne laufende Wand erkennbar, die die Frau in einer Raumecke zeigt. Die Person befindet sich leicht rechts neben der vertikalen Bildmittelachse, der Bildmittelpunkt liegt auf ihrem von der Seite sichtbaren Gesäß. Nach oben und unten ist ähnlich viel Abstand zwischen Person und Bildrand. Ihr Körper ist im linken Profil zu sehen, ihr Kopf ist demgegenüber stärker Richtung Kamera ins Halbprofil gedreht. Ihre Füße sind leicht gegeneinander verschoben, sodass der hintere Fuß rechts hinter dem vorderen Fuß um eine halbe Fußlänge hervor schaut. Durch die planimetrische Betrachtung wird hervorgehoben, dass die schwarzen Schuhe/Socken und die schwarze Hose keine klaren Konturen der Füße und Beine erkennen lassen und in das ebenfalls schwarze, eng anliegende Oberteil mit kurzem Arm sowie das Haar übergehen. Darauf gut sichtbar verläuft der nackte linke Oberarm an der linken Seite des Oberkörpers entlang vor den Unterleib. Dort wird die linke Hand von der rechten hinter dem Körper hervorschauenden Hand mit leicht gespreizten Fingern am Handgelenk berührt. In der linken Hand hält die Frau in den nach unten gebogenen Fingern einen kleinen flachen dunklen Gegenstand. Das Gesicht wird von dunklen schulterlangen glatten Haaren gerahmt. An der oberen Stirn sind die Haare aus dem Gesicht genommen, einzelne kleinere Strähnen stehen von der Stirnpartie ab. Die Konturen des Haares sind fransig geschnitten und leicht nach außen gebogen, sodass durch die Kopfdrehung in das Halbprofil die Haarpartie der rechten Seite in einer Dreiecksform auf Schulterhöhe unter der rechten Gesichtshälfte hervorschaut. Die Frau hat dunkle Augenbrauen und Augen. Der Mund ist geschlossen und gerade. Sie richtet ihren Blick nach vorne unten rechts neben die Kamera. Neben den waagerechten (Fußleiste, horizontale Holzleisten der Rückwand, rechte Haarkante) und vertikalen (die Person selbst, s. Farbgebung sowie die vertikalen Holzleisten der Rückwand) Bildlinien können als weitere dominante Bildlinien parallel verlaufende Diagonalen (der linke Arm, das Dekolleté im Profil sowie die versetzten Füße) benannt werden. Aufgrund der Ausrichtung der Person nach rechts baut dieser diagonale Linienverlauf von rechts oben nach links unten auf den Boden eine gerichtete Spannung auf (vgl. Arnheim 1978, 426). Grund für die Wahrnehmung der ganzen Person als einer Vertikalen ist ihre ausschließlich schwarze Kleidung sowie ihr dunkles Haar vor einem hellen Hintergrund. Die Unterteilungen zwischen Haaren und Schulter, Oberkörper und Unterkörper sowie Hosenbeinen und Schuhen ist dabei nur zu vermuten, feinere Konturen scheinen unsichtbar zu sein. Die Spiegelungen auf der Holzverkleidung im Hintergrund weisen auf eine der Rückwand gegenüber liegende große Lichtquelle hin. Durch den Schattenwurf der Hände sowie der Person auf dem Boden kann von einer eher oberhalb beziehungsweise im oberen Bereich der Person vorhandenen hinter der Kamera liegenden Lichtquelle ausgegangen werden.

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Der Kameraabstand zeigt ein Bild in der Halbtotale mit einer leicht nach rechts abfallenden waagerechten Bildmittelgerade. Durch die Position der Kamera entsteht eine Untersicht auf die Person. Die Frau schaut demnach deutlich auf die Kamera herab, wobei ihr Blick zudem leicht an dieser vorbei zu gehen scheint. Das Bild im Hochformat zeigt ein Ganzkörperporträt im Profil, der Kopf wird im Halbprofil sichtbar.

Abbildung 14: anonymisiertes Foto „in der Fußgängerzone“ und Skizze des Gesichts im Fall Hülya Die Bildsymbolik wird in Bezug auf die Position der Person im Bild, ihre äußere Erscheinung sowie ihre Gestik und Mimik behandelt. Die Person bildet in ihrer leicht von der Bildmittelvertikalen nach rechts verschobenen Position das Zentrum des Bildes. Zugleich ist aufgrund ihrer seitlichen Position und insbesondere ihrer Stellung in der rechten Bildhälfte auf der linken Bildseite recht viel Umraum zu erkennen, sodass der Eindruck einer Bewegung der Person zum rechten – bezogen auf ihre Körperausrichtung ,vorderen‘ – Bildrand entsteht. Diese angenommene Gerichtetheit der Frau weckt Interesse an dem Raum, der sich rechts neben dem rechten Bildrand auftut. Ergänzt wird dieser Eindruck durch die im Hintergrund am

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oberen und unteren sowie linken Bildrand sichtbaren Leisten, durch die die Person nach rechts geöffnet gerahmt zu werden scheint. Das Äußere der Frau lässt insbesondere durch ihre neutrale Kleidung für mich keine Aussagen über einen bestimmten Modestil zu. Sie trägt keinen sichtbaren Schmuck und scheint nicht geschminkt zu sein, was aufgrund ihrer dunklen Haare jedoch nicht genau zu erkennen ist. Einzig ihre Frisur scheint durch einen fransig geschnittenen längeren „Bob“ sowie das aus dem Gesicht gestrichene Haar einen modischen Hinweis zu geben. Die auf planimetrischer Ebene sichtbar werdende von Kopf bis Fuß verlaufende schwarze Fläche lässt – betont durch den hellen Hintergrund – die geringe Farbigkeit der Fotografie deutlich hervortreten. Dabei bildet Schwarz zusammen mit Weiß als Hell-Dunkel-Schema das kulturunabhängig elementarste Farbbenennungssystem (vgl. Arnheim 1978, 326f.). Die Farbe Schwarz wird seit dem Mittelalter als sogenannte unbunte Farbe von den bunten Farben unterschieden (vgl. Haarmann 2005, 20f.) und weißt verschiedene symbolische Bedeutungen auf. Im Hinblick auf die Kleidungsfarbe schwarz nehmen neben individuellen Vorlieben (historisch-)kulturelle Kleidungsvorschriften Einfluss auf Wahl und Bewertung von Kleiderfarben und können so Hinweise auf das (un-)bewusste Präsentationsinteresse einer Person geben.23 Historische Bezüge verweisen auf gegenwärtig in westlichen Gesellschaften geläufige Konnotationen schwarzer Kleidung als elegante, feierliche und in diesem Sinne durchaus dramatische Kleidungsfarbe. Dabei kann schwarze Kleidung ein Hinweis auf Trauer und Trostlosigkeit sein. Dunkle, melancholische vielleicht sogar mystische Bedeutungen des Schwarzen schließen daran an. Weiterhin sind Assoziationen mit den dunklen Anzügen und Kostümen der Geschäftswelt als Zeichen für Seriosität sowie das sogenannte ,Existenzialisten-Schwarz‘ als Kleidungsfarbe von Intellektuellen und Künstlern denkbar.24 Unabhängig von der genauen kontextabhängigen Bedeutung lässt ausschließlich schwarze Kleidung den Auftritt einer Person für gewöhnlich nicht ängstlich erscheinen. In der Körperhaltung der Frau lassen sich einige als dynamisch zu deutende Elemente erfassen. Zu nennen wäre die mehr oder weniger stark vorgenommene Drehung einzelner Körperpartien, welche eine in sich nicht einheitliche Ausrich-

23 Aus historischer Sicht sind drei Funktionen schwarzer Kleidung zu nennen: als Identifikationssymbol der Aristokratie, von Vertretern der christlichen Amtskirche und des christlichen Rituals der Beisetzung (vgl. Haarmann 2005: 135). Diese Traditionen waren beziehungsweise sind in Europa besonders ausgeprägt, lassen sich jedoch nicht auf diesen Raum beschränken (ebd. 133f.). 24 Eine Sammlung von Antworten auf die Frage nach den Gründen für schwarze Kleidung bei Architekten liefert das Buch Why do architects wear black?, herausgegeben von Cordula Rau (2008).

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tung des Körpers zeigt. Dennoch ist grundsätzlich eine nach rechts vorne vorgenommene Orientierung des Körpers wahrzunehmen, wodurch die bildliche Assoziation einer von links nach rechts verlaufenden Vorwärtsbewegung entsteht. Die nach rechts gerichteten gegeneinander um eine halbe Fußlänge versetzten Füße scheinen eine Gehbewegung anzudeuten. Trotz dieser dynamischen Aspekte der Körperhaltung der Frau wird ein statischer Gesamteindruck hervorgerufen. Anknüpfungspunkte dafür sind die eine gewisse Stabilität verleihende Person als zentraler Gegenstand im Bild sowie die Haltung der Arme und der vor dem Schoß leicht übereinandergelegten Hände, die einem potenziellen Vorwärtsgehen hinderlich erscheinen – vielmehr scheint die Geste eine nach rechts gerichtete Bewegung förmlich zu stoppen. Die Handhaltung weckt zudem die Vorstellung einer Schutzhaltung, ebenso können mit ihr Unsicherheit und Passivität assoziiert werden, indem die Frau nicht so recht weiß, ,wohin mit ihren Händen‘. Die Armhaltung wirkt dabei nicht abweisend, dennoch wird durch die sich leicht berührenden Hände auch eine Bezugnahme auf sich selbst (vgl. Goffman 1981, 241) und damit einhergehend eine sich als leicht gegenüber ,dem Außen‘ abschließende Geste vermutet. Aus dieser Perspektive erscheint die Seitenansicht als Möglichkeit, weniger Ansichts- und somit vielleicht auch weniger Angriffsfläche zu bieten. Die Kombination der dynamischen und statischen Elemente der Körperhaltung löst weder einen besonders spannungsreichen noch einen entspannten Eindruck aus. Durch den über die Schulter ,geworfenen Blick‘ entsteht dabei der Anschein eines nicht besonders großen Interesses für die Kamera. Die bei näherer Betrachtung zu erkennende Tatsache, dass der Blick dabei nur in Richtung der Kamera, jedoch knapp an ihr vorbei zu gehen scheint, verstärkt zum einen den desinteressierten Eindruck noch einmal. Zum anderen wirkt diese Blickrichtung durchaus irritierend, da ich als Betrachterin nicht genau weiß, ob ich nun angeschaut werde oder nicht. Durch den nur knapp an der Kamera vorbei gerichteten Blick wird bei mir der Eindruck erweckt, als Betrachterin in der Schwebe gehalten zu werden. In diesem Sinne wird die Interaktionssituation durch Hülya bestimmt und ihre Darstellung wirkt weniger desinteressiert als abwartend.

Interne Kontextualisierung Die interne Kontextualisierung konkretisiert den Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Fotografie. Die im Rahmen eines Forschungsprojekts erstellte Fotografie wurde von der auf dem Foto zu sehenden Frau mithilfe einer Fernbedienung aufgenommen. Das Display der Kamera war währenddessen auf einem Monitor zu sehen, der rechts neben der Kamera aufgestellt war. Die beschriebene Fotografie wurde in Hülyas Wohnung aufgenommen. Hülya wurde gebeten, sich in typischen Körperhaltungen in verschiedenen vorgestellten sozialen Situationen zu fotografieren. Das Foto zeigt eine typische Körperhaltung

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Hülyas in der Fußgängerzone und stellt die zweite Aufnahme zu diesem situativen Einstiegsimpuls dar. Die erste Aufnahme hatte ihr nicht gefallen, woraufhin sie ihre pinkfarbene Jerseytunika gegen das kürzere eng anliegende schwarze TShirt austauschte. Der Frage nach der gewünschten Kameraposition und dem Kamerawinkel wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was als ein Indiz für nicht vorhandenes Wissen über die formal-ästhetischen Dimension als Einflussfaktoren auf die Selbstdarstellung zugunsten der Fokussierung der konkreten Körperhaltung gelten kann. Für die weitere Verwendung der Fotografien entschied sich Hülya für die „Verpixelung“ ihres Gesichts. Die auf die Bitte nach einer typischen Körperhaltung in der Fußgängerzone hin gewählte Präsentation erscheint durch den Wechsel des Oberteils in ihrer Intention sehr bewusst. Hülya kleidet sich ganz in schwarz und dreht sich nun seitlich zur Kamera. Die Rekonstruktion der mit Dynamik assoziierten (unbewussten) Gesten sowie die Berücksichtigung der ,Aufgabe‘ einer typischen Körperhaltung in der Fußgängerzone einzunehmen lässt vermuten, dass Hülya auf dieser Fotografie eine Vorwärtsbewegung darstellen wollte. Zudem erweckt die Darstellung insbesondere durch die Blickrichtung den Eindruck einer unbeteiligten Person, was einen weiteren Hinweis auf den situativen Einstiegsimpuls „Fußgängerzone“ geben könnte. Womöglich ist der Blick über die Schulter und an der Kamera vorbei (auf den Monitor) der Erhebungssituation geschuldet. Da die Fotografie von Hülya jedoch ausgewählt und auch bei der anschließenden Ansicht nicht verworfen wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die auf diese Weise entstandene Darstellung in ihrem Sinne gewesen sein wird. Durch die Seitenansicht in Kombination mit der Blickrichtung und der Kamerauntersicht wird die Assoziation der Redewendung ,die kalte Schulter zeigen‘ hervorgerufen. Dabei lässt sich die Selbstpräsentation in Bezug auf die Adressatenebenen des Bildes (situativer Einstiegsimpuls, Erhebungssituation, sich selbst gegenüber) kaum voneinander trennen. Auffällig erscheint dabei der knapp an der Kamera vorbei gehende Blick, der – gedeutet als eine Form der Interaktionskontrolle – die Kontaktmöglichkeiten für die Betrachterin in der Schwebe zu halten scheint. Auf diese Weise entsteht beim Gegenüber der Eindruck, zwar durch Hülya wahrgenommen zu werden. Es bleibt dabei jedoch unklar, ob eine Adressierung beziehungsweise Nichtadressierung stattfindet. Auf dieser Grundlage lassen sich folgende (ikonologische) Hypothesen für die Bildinterpretation ableiten: • Die auf den ersten Blick unbeteiligte Selbstdarstellung erweist sich auf den zweiten Blick als ambivalente Interaktion. Der an der Kamera vorbeigehende Blick

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wird dabei als Darstellung einer Nicht-Kontaktaufnahme und somit durchaus spezifischen Kontaktaufnahme gedeutet, was das Bild als eine Inszenierung von Unabhängigkeit erscheinen lässt. • In der Kombination von weder energisch noch entspannt wirkender Körperhaltung und neutraler Mimik erscheint die Körperpräsentation als Statement von Entspanntheit und Selbstbestimmung. Die unauffällige Kleidung, die nicht genauer zu erkennenden Schuhe und der Verzicht auf Accessoires unterstützen den zurückhaltenden und in dieser Schlichtheit selbstbewussten Auftritt. • Hülyas Körperinszenierung als Momentaufnahme betont in in ihrer simultanen Präsenz den Eindruck des ,so bin ich‘. Bezogen auf die Frage der Bedeutung des Verhältnisses der sozialen Positionierungen der Beteiligten kann angenommen werden, dass das in der Suchanfrage zum Ausruck kommende Interesse am Thema Migration womöglich von besonderer Bedeutung für ihre Darstellung des ,Soseins‘ und der damit einhergehenden Unabhängigkeit von ,äußeren‘ Einflüssen war. Der womöglich auf den Monitor gerichtete Blick als eine Bezugnahme auf sich unter Ausschluss des ,Blicks der Kamera‘ würde demnach zu einer Selbstvergewisserung. Zusammenfassend erscheint Hülyas Selbstporträt als eine durchaus selbstbewusste Darstellung, die in der Interaktion mit dem Gegenüber (in Form der Kameraperspektive) auch genau dies zum Ausdruck bringen soll. Dabei bildet jedoch gerade die Achtsamkeit für das Gegenüber die Grundlage ihrer vermeintlich unbeteiligten Haltung. Der Blick an der Kamera vorbei weckt bei der Betrachterin im ersten Eindruck die Aufmerksamkeit eines direkten Blicks, wird durch den Blick an der Kamera vorbei dann jedoch ,enttäuscht‘. Es kommt dabei keinesfalls der Eindruck eines betrachtenden Subjekts und eines betrachteten Objekts auf, da Hülya jederzeit den Blickkontakt aufnehmen könnte und auf diese Weise die Blickbeziehung kontrolliert. Durch das auf diese Weise erzeugte unbestimmte Verhältnis zwischen Hülya und der Kamera wirkt ihre fotografische Körperinszenierung auf mich uneindeutig. Durch die Rückbindung an die weiteren Selbstporträts Hülyas wird deutlich, dass der Blick auf keinem der Bilder in die Kamera, sondern entweder vermutlich auf den rechts neben der Kamera stehenden Monitor oder in eine gänzlich andere Richtung gerichtet ist. Die Präsentation von Nichtkontakt lässt das Thema der Kontrolle über die soziale Situation bedeutsam werden. Durch den Nichtkontakt in einer interaktiven Situation verweigert Hülya zum betrachteten Objekt zu werden. Eine mit dem Aufgreifen des Blicks der Kamera einhergehende Gefahr der Kontrolle ,von außen‘ wird somit verhindert. Hinzu kommt die Gemeinsamkeit, dass Hülya ihren

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eigenen Körper auf fast allen Fotografien berührt: Der Eindruck des starken Selbstbezugs wird somit im fotografischen Fallkorpus zu einem Leitmotiv. Zusammenfassend verweist die Fotoanalyse auf Hülyas Verweigerung eindeutiger Zuschreibungen durch andere mithilfe einer uneindeutigen Körperhaltung, einer verunsichernden Blickrichtung sowie eine auf den ersten Blick wenig preisgebende Kleidung. Grundlage für die Darstellung bildet eine hohe soziale Aufmerksamkeit, die zu einem von ihr gesteuerten Aushandlungsprozess über das Verhältnis von Kontaktaufnahme und Selbstbezug und somit das Einlassen auf ein Gegenüber führt. 7.4.2 Interviewanalyse Die Aussagen Hülyas im Interview ließen sich mithilfe des Kodierparadigmas anhand der folgenden vier Körperthemen ordnen: (1) Schwangerschaft als Möglichkeit und Gefahr für die Erfüllung von Körpernormen, (2) Attraktivität als soziale Erfahrung, (3) familialer weiblicher Kleidungsstil sowie (4) das Aussehen als Marker für natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen. Die dargestellten Themen bilden die Grundlage für die Interpretation einer interaktional hergestellten Körperinszenierung im Interview. Schwangerschaft als Möglichkeit und Gefahr für die Erfüllung von Körpernormen Die Erfahrung der Schwangerschaft und der Geburt ihres Kindes wird von Hülya als ein beindruckendes körperliches Erlebnis wahrgenommen. Sie berichtet über ihre Schwangerschaft als eine angenehme Zeit, in der sie sich mit Babybauch sehr schön fand (6/25-6/27). So habe sie sich „sehr äh besonders“ und „auserwählt“ (6/29-6/30) gefühlt. Sie gibt an, vor der Schwangerschaft durchaus unsicher gewesen zu sein, ob sie wirklich schwanger werden wolle und dachte dabei auch über die damit einhergehenden körperlichen Veränderungen nach (6/34-6/36). Die Geburt als schmerzhafte Körpererfahrung beschreibt sie als ein Erlebnis totaler Körperkontrolle. So hat sie „keinen Stress“ (5/30) gemacht wie andere Frauen, die sie als „wehleidig“ (5/31) bezeichnet: „also hab ich wirklich Ruhe bewahrt sag ich mal so bis das bis zum Schluss wo es dann nicht mehr ging / mhm / war ich bin ich dann auch wirklich sehr spät ins Krankenhaus gefahren und (--) sogar bei der Entbindung zum Beispiel jede ande/ also die meisten Frauen schreien sich so ((lachend)) sag ich mal so das hab ich zum Beispiel nicht gemacht ok das hat vielleicht weh getan ja aber (.) das war’n halt Schmerzen die man dann die man auch aushalten konnte also ich fand’s nicht so schlimm“ (5/35-6/5).

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Im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft verweist Hülya an mehreren Stellen auf die Zunahme von Gewicht, die sie selbst negativ bewertet (zum Beispiel 1/191/21). Reaktionen von anderen Frauen auf ihre Gewichtszunahme beschreibt sie als unangemessen (5/1-5/5). Gegenüber dieser als negativ wahrgenommenen körperlichen Veränderung bewertet sie die Vergrößerung ihrer Brüste zur Zeit des Stillens hingegen als positiv. Sie gibt an, ihre kleinen Brüste nicht „so toll“ (3/23) gefunden zu haben und vermutet, dass der Wunsch nach größeren Brüsten wohl bei jeder Frau mit kleinem Busen vorhanden sei (3/23-3/26). Deutlich wird, dass sie das Thema Schwangerschaft neben der besonderen körperlichen Erfahrung in Rahmen bestehender Körpernormen verhandelt, von denen sie sich durch Schwangerschaft und Geburt entfernt beziehungsweise denen sie näher kommt. Attraktivität als soziale Erfahrung Hülya gibt an, dass ihr ihr Körper bis auf ein paar Kilos nach der Schwangerschaft „eigentlich immer voll gut gefallen“ (3/14) habe. Sie fühle sich grundsätzlich in und mit ihrem Körper wohl und habe „keine Probleme“ (4/6) mit ihm. In ihrer Jugend sei sie allerdings von ihrer im Vergleich zu ihren Freundinnen überdurchschnittliche Körpergröße „genervt“ (1/4) gewesen. Entsprechend der in der Beziehung zwischen Frau und Mann bestehenden Norm, dass der Mann größer als die Frau sein soll, führte ihre Körpergröße in der Jugend zu Problemen bei der Partnerwahl. Hülya gibt an, dass ihr diese Regelung des Körperverhältnisses zwischen Frau und Mann heute nicht mehr wichtig sei (2/10-2/16). Die Rückmeldungen aus ihrem Bekanntenkreis auf ihre Körpergröße waren hingegen immer schon positiv (10/22-10/23). Ohnehin gibt Hülya an, dass die Reaktionen Anderer – und insbesondere das Interesse von Männern – eine wichtige Quelle für die Einschätzung der eigenen Attraktivität darstelle. Hülya vermutet, dass insbesondere ihre ehemals langen dunklen Haare zu ihrer Attraktivität für Andere beigetragen haben (6/2-6/4). Bereits als Kind erhielt sie für ihr dickes schwarzes Haar Komplimente (10/14-10/16). Ihr seit der Geburt ihres Kindes leicht gestiegenes Körpergewicht empfindet sie wiederum als negativ und gibt an, dass sie sich vorgenommen habe, mit Sport und Wellness (8/1-8/2; 4/29-4/30) wieder etwas mehr für ihren Körper zu tun. Deutlich wird, dass das Gefühl von Attraktivität für sich und für Andere im direkten Zusammenhang steht. Familialer weiblicher Kleidungsstil Das Thema Kleidung taucht in Hülyas Ausführungen an verschiedenen Stellen auf und wird so in einen engen Zusammenhang mit dem eigenen Körper gestellt. Sie gibt an, in ihrer Jugend immer das getragen zu haben, was ihr gefallen habe. Sie habe sich nicht von Trends und Marken beeinflussen lassen, da diese in ihren Augen ohnehin unerschwinglich waren (7/11-7/23). Hinsichtlich ihres Kleidungsstils

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benennt sie ihre Mutter und ihre große Schwester als Vorbilder. So habe sie sich wie ihre Mutter bereits als junges Mädchen nicht „freizügig“ (1/24) gekleidet und „zum Beispiel so Dekolleté oder so was“ (2/30) gezeigt. Als einzige Ausnahme nennt sie das Zeigen des Körpers beim Schwimmen („ich hab meinen Körper auch nie so gezeigt außer jetzt beim weiß ich nicht schwimmen oder so ne“, 2/27-2/28). Zudem kleide sie sich fast identisch wie ihre Schwester und gibt als Grund an, dass ihre Schwester, die gerne einkaufen gehe, ihr oftmals Kleidung mitbringe. Hülya berichtet, dass sie Shoppen in überfüllten Läden und zudem noch mit Kind oftmals alles stressig empfinde. Der Einfluss, den ihre Schwester so auf ihre äußere Erscheinung nehme, ist ihr bewusst, stellt jedoch kein Problem für sie da (8/28-8/38). Durch ihren Verweis auf ihre Mutter und Schwester in Bezug auf Kleidung stellt Hülya eine Art von familialen weiblichen Kleidungstil her, der sich durch nicht zu viel Freizügigkeit und ein nur begrenztes Interesse an Modetrends und Marken auszeichnet. Aussehen als Marker für natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen Auf die Frage nach möglichen Reaktionen auf ihren „dunklen Typ“ (9/13) berichtet Hülya davon, wiederholt auf ihre Herkunft angesprochen und mitunter für ihre guten Deutschkenntnisse gelobt worden zu sein. Dabei kritisiert sie insbesondere die Thematisierung ihrer Herkunft im Arbeitskontext, da diese in ihren Augen im Zusammenhang mit ihrer Aufgabe der Betreuung neuer Kundinnen und Kunden keine Rolle spiele (9/31-9/38). So berichtet sie, teilweise auch „genervt“ auf diesbezügliche Anfragen reagiert zu haben: „am liebsten würd ich dann sagen ja wenn ich nicht das könnte könnte ich ja gar nicht hier sitzen könnte ich ja gar nicht arbeiten was sollen die da mit jemandem der kein Deutsch sprechen kann ne das hat mich dann schon genervt zuma/ dann irgendwann äh kam wieder so’n ein ältere Mann dann ja sie sind sie Türkin=hab=ich=gesagt=ja ist das ein Problem für sie? ((lachend)) weil ich das nicht mehr hören konnte ich wurd dann schon ein bisschen aggressiv nein! sagt der (.) ja dann ist gut (-) das hat mich schon genervt ne“ (9/22-9/28).

Durch die Erfahrung, sich insbesondere aufgrund ihres Äußeren hinsichtlich ihrer nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit immer wieder erklären zu müssen, berichtet sie davon, dass sich ihre Kolleginnen und Kollegen über ihren diesbezüglichen Ärger amüsiert hätten. In diesem Zusammenhang erwähnt Hülya auch ihre deutsche Staatsangehörigkeit, deren Annahme sie – wie schon Jasemin – durch die damit verbundenen Vereinfachungen bei Behördengängen erklärt (9/28-9/30). Hülya berichtet zudem von der gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen entwickelten Idee, dass sie sich die Haare blond färben und ihren Pass auf ihren Schreibtisch kleben solle, um Fragen nach ihrer Herkunft von vornherein zu unter-

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binden (10/1-10/10). In dieser Idee kommt die Bedeutung ihres Aussehens als einem physiognomischen Code der Nichtzugehörigkeit zum Tragen. Sie berichtet, dass während ihrer Tätigkeit als Sachbearbeiterin wiederholt Vorstellungen bestimmter nationaler Zugehörigkeit und Sprachfähigkeiten an ihr Aussehen geknüpft wurden, vorgenommene Zusammenhänge, von denen Hülya sich kritisch distanziert. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Distanzierung als Schutz vor der Besonderung des eigenen Körpers Die von Hülya im Rahmen der erzählgenerierenden Fragen genannten Körperthemen sind breit gefächert und werden von ihr recht knapp behandelt. Den Einstieg in das daher vergleichsweise kurze Interview nimmt Hülya durch Hinweise auf die türkische Herkunft ihrer Eltern vor, indem sie angibt, dass der Vater seine Frau und die Töchter, als Hülya vier Monate alt war, nach Deutschland „hergeholt“ habe und sie „hier“ aufgewachsen sei (1/3-1/4). Sie gibt an, sich gut mit ihren Eltern zu verstehen, nennt zudem einige klassische Lebenslaufdaten und merkt dann an, dass ihr das Sprechen über ihren Körper nicht leicht falle, da sie sich nie so bewusst mit ihrem Körper beschäftigt habe.25 Im Interviewverlauf spricht Hülya verschiedene Körperthemen an, stellt dabei allerdings keine oder kaum gesellschaftliche Bezüge her. Einzig die weitgehend nicht körperbezogenen Aussagen zu ihrer Familie und ihre Beziehung zu ihren Eltern unterscheiden sich in Bezug auf die Textsorte und den Umfang von den anderen Teilen des Interviews: Sie sind deutlich argumentativer aufgebaut und zeichnen sich im Gegensatz zu den meist knappen Informationen durch Wiederholungen von Angaben aus. Gibt sie zu Beginn des Interviews Hinweise auf die Migration ihrer Eltern, führt Hülya erst auf Nachfrage im weiteren Interview aus: „und jetzt noch mal zurück zu deinem Einstieg du hast gesagt du bist mit vier Monat/ / mhm mein Vater hat uns dann hierher geholt ich war da vier Monate also ich bin in der Türkei geboren / ok und dann mhm (-) und ab dann hast du durchgängig in Deutschland ge/ / ja ja ich bin hier aufgewachsen fa:st hier geboren kann man sagen ((lacht kurz)) ich bin in der Türkei geboren also meine Mutter und meine Schwester äh waren dann in der Türkei und dann hat mein Vater uns dann hierher geholt“ (8/10-8/16).

25 „aber sonst jetzt so was jetzt wie beim Körper so wüsste ich jetzt=fällt mir jetzt ehrlich gesagt nicht ein ((lacht leise)) (--) ich hab mich auch jetzt so bis heute jetzt nicht so damit befasst so jetzt über meinen Körper zu reden deshalb fällt mir jetzt ehrlich gesagt nichts ein ((lacht leise))“ (3/3-3/6).

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Dabei scheint es Hülya im weiteren Verlauf des Interviews wichtig zu sein, Einblicke in das Erziehungsverhalten ihrer Eltern während ihrer Kindheit zu geben. Sie legt argumentativ dar, dass sich ihre Eltern für ihre schulischen Leistungen interessiert hätten, zu den Elternabenden gegangen seien und sie an Klassenfahrten teilgenommen habe. Durch ihre Vermutung, dass einige Lehrerinnen und Lehrer damals angenommen haben, sie dürfe dies als Mädchen türkischer Eltern nicht (10/3610/40) wird deutlich, dass Hülyas Darstellung eine Reaktion auf die in der öffentlichen Diskussion oftmals geäußerte Meinung bildet, Eltern mit Migrationserfahrung würden sich nicht hinreichend für die schulischen Leistungen ihrer Kinder interessieren: „es gibt ja auch Eltern hat sag ich mal, so die sich nicht um die Kinder so kümmern was die machen / mhm / und dann äh ist jetzt egal deutsch oder ne äh türkisch aber dann wenn das dann türkische Eltern waren klar hat man das dann direkt gesagt ja äh das sind weil das halt ne Türken sind ne die kommen nicht und ne aber (.) bei uns war das nicht so als mein Vater ist immer hat sich immer drum gekümmert wie gesagt auch wenn er es nicht so verstanden hat dann hab ich ihm das übersetzt und so ne aber äh deswegen konnten die das dann bei uns nicht so sagen ne das sind Türken die machen das nicht oder die gehen nicht oder die tun nicht ne konnten die bei uns nicht so sagen“ (11/4-11/12).

Hülya grenzt sich kritisch von den aufgeführten Stereotypen über türkische Migrantenfamilien ab. Entsprechend Hülyas auf ihre Individualität ausgerichtete Darstellung im gesamten Interview tut sie dies nicht in einer Weise, die diese Kollektivzuschreibung generell in Frage stellt, sondern gibt lediglich an, dass diese Annahmen eben nicht auf ihre Familie zutreffen würden. Bezogen auf die konkrete Interviewsituation könnte die Darstellung eines angemessenen elterlichen Interesses an ihren schulischen Leistungen gerade auch durch die Suchanfrage nach einer jungen Frau mit Migrationshintergrund ausgelöst worden sein. Aus dieser Perspektive erscheint auch die Angabe, bisher nicht über ihren Körper nachgedacht zu haben, als ein Hinweis darauf, dass sie keine migrationsbedingten Probleme mit ihrem Körper habe – und somit als ein Akt der Normalisierung. Hülya strukturiert ihre Ausführungen zu ihrem Körper nicht durch kulturelle und auch sonst kaum durch kollektive Bezüge und präsentiert sich in ihrer individuellen und selbstbestimmten Körperlichkeit. Die nicht vorhandenen soziokultureller Hinweise in ihrer Körperinszenierung eröffnen zwei Lesarten: Einerseits könnte es sich um eine Vermeidungsstrategie handeln, da Hülya eine Besonderung als Person mit türkischem Migrationshintergrund befürchtet. Anderseits könnte diese Form der gesellschaftlichen Kontextualisierung ihrer Körperlichkeit für sie aber auch einfach keine Bedeutung haben. Berücksichtigt man nun die von Hülya vor-

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genommene Abgrenzung von auf die türkische Herkunft ihrer Eltern bezogene Fremdzuschreibungen sowie meinen Eindruck, dass Hülya nicht zu viel von sich preisgeben möchte, so kann angenommen werden, dass es sich zumindest auch um eine Vermeidung nationaler, ethnischer und/oder kultureller Bezüge und damit potenziell einhergehender Festschreibungen handelt. 7.4.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Werden die Interpretationen zu den Selbstporträts und dem Interview im Fall Hülya aufeinander bezogen, so zeigen sich in der Rekonstruktion ihrer Selbstpositionierung einige Gemeinsamkeiten. Dazu zählt mein Eindruck, dass sich Hülya in der Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit und darüber hinaus nicht (von mir) festlegen lassen möchte. Grundlage bildet ihre hohe Aufmerksamkeit für den sozialen Umraum, die jedoch nicht in Form eines direkten und offenen Interesses erscheint, sondern eher in einer distanziert-vorsichtigen Art und Weise zu bestehen scheint. So baut Hülya in der Fotografie den Kontakt zu der Kamera nicht durch einen direkten Blickkontakt auf, sondern weckt die Aufmerksamkeit durch den knapp an der Kamera vorbeigehenden, desinteressiert wirkenden Blick. Es kann die Hypothese geäußert werden, dass Hülya nicht viel von sich preisgibt, um keine Ansatzpunkte für Beurteilungen durch Andere zu liefern und damit womöglich (kulturelle) Festschreibungen von außen zu begünstigen. Ihre im Interview anscheinend bewusst nicht sozial und somit auch kulturell verortete Selbstdarstellung kann als eine Reaktion auf Erfahrungen der Besonderung angesehen werden, wie dies insbesondere in der argumentativ aufgebauten Darstellung ihrer Familie und des Erziehungsverhaltens ihrer Eltern als ganz ,normal‘ deutlich wird. Dabei korrespondiert ihre weitgehend neutrale auf mich „cool“ wirkende sprachliche Selbstdarstellung mit ihrer ,keine Miene verziehenden‘ gestischen Körperinszenierung. Im Hinblick auf die durch die Triangulation angestrebte Perspektivenerweiterung zeigen sich gegenüber dem Interview in der Fotografie Spuren einer gewissen Unsicherheit. Die zaghaft schützende Handgeste und die Seitenansicht als eine wenig Angriffsfläche bietende Körperausrichtung sowie auch der knapp an der Kamera vorbei führende Blick können so als Zeichen einer durchaus vorsichtigen, aber vorhandenen sozialen Aufmerksamkeit gedeutet werden. Der Eindruck, dass Hülya sich in Text und Bild in ihrer Abgeklärtheit darstellen möchte, wirkt auf diese Weise weniger eindeutig. Wurde in den beiden ersten Fällen jeweils ein unterschiedlich strukturierter Körper-Kultur-Vergleich dargestellt, so systematisiert Hülya – wie Jasemin – ihre Darstellungen nicht in vergleichender Weise. Wie für Jasemin scheinen für Hülya nationale, ethnische und/oder kulturelle Bezüge in den sprachlichen Ausführungen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wurde bei Jasemin die türkische Herkunft der

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Eltern noch als ein kulturell markierter Anhaltspunkt für deren Erziehungsvorstellungen herangezogen, so finden sich bei Hülya keine solchen Verweise. Kulturelle Bezüge tauchen nur im Rahmen einer kritischen Abgrenzung von kulturalisierenden Zuschreibungen durch Andere auf: Zum einen in der Festschreibung auf ihre türkische Herkunft im Arbeitskontext – hervorgerufen durch Aussehen und Namen. Zum anderen und in impliziterer Weise durch die Argumentation, in ihrer Kindheit von ihren Eltern ,trotz‘ deren türkischer Herkunft in schulischen Belangen unterstützt worden zu sein. Die in den Interviews kaum vorhandenen kulturellen Bezüge der beiden in Deutschland geborenen beziehungsweise mit vier Monaten nach Deutschland migrierten Frauen der zweiten Migrantengeneration können womöglich als Indiz dafür gedeutet werden, dass ihnen diese Ebene der Selbstpositionierung entweder unbedeutend oder aber zu riskant erscheint. Zudem könnte es eine Rolle spielen, dass die Eltern von Jasemin und Hülya beide aus der Türkei migriert sind und die in Deutschland größte und meistbeforschte Einwanderungsgruppe türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten medial als die Problemgruppe in Erscheinung tritt. Zudem bilden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund unter den Migrantinnen und Migranten in Deutschland die Gruppe, welche sich mit großem Abstand am stärksten aufgrund der Herkunft (ihrer Eltern) diskriminiert fühlt (vgl. ARD/ZDF-Medienkommission 2011). Auf dieser Grundlage erscheint es nicht verwunderlich, dass Hülya und Jasemin sich nicht beziehungsweise kaum zu ethno-kultureller Zugehörigkeitsvorstellungen äußern. Das „Stigma“ (vgl. Goffman in Kapitel 2.4) der türkischen Herkunft wird durch eine Nichtbenennung natioethno-kultureller Bezüge ausgeklammert. Dabei unterscheiden sich die beiden ersten Fälle der selbst migrierten Frauen Meiling und Nikita im Vergleich zu Jasemin und Hülya nicht nur hinsichtlich der Verweise auf kulturelle Bezugsrahmen sondern auch im Hinblick auf die Differenzierung der körperbezogenen Reflexion. Auch wenn alle vier Frauen die sprachliche Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit als mehr oder weniger ungewohnt empfinden, so setzen sich Meiling und Nikita in den Interviews intensiv und in vielfältiger Weise mit dem Thema Körper auseinander. Grundlage dafür könnte womöglich eine aus der erlebten Migration gespeiste höhere Aufmerksamkeit für soziale Einflüsse auf die eigene Körperlichkeit bilden. Jasemin und Hülya hingegen berichten, dass Körperlichkeit für sie bisher kein Thema gewesen sei, mit dem sie sich tiefergehend auseinandergesetzt hätten. Verschiedene Erklärungsansätze sind in diesem Zusammenhang denkbar: Es kann die These aufgestellt werden, dass die eigene Migrationserfahrung von Meiling und Nikita und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit einem neuen symbolischen Orientierungssystem und das damit verbundene geringere Maß an körperbezogenen Selbstverständlichkeiten zu einer höheren Aufmerksamkeit für dieses Phänomen beiträgt. Ebenso könnte aber auch vermutet werden, dass die Erfahrung der Besonderung als „Migrationsande-

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rer“ (Mecheril 2004, 47) von Angehörigen der zweiten Migrationsgeneration in stärkerem Maße zu einer Verweigerung kultureller Bezüge als einer in der Regel vereinheitlichenden Praxis führt. Jasemin und Hülya sind in Deutschland geboren beziehungsweise als Säugling zugezogen und aufgewachsen, sie haben das deutsche Schul- und Ausbildungssystem durchlaufen und eine Familie gegründet. In ihren Ausführungen erscheinen kulturelle Bezüge zur Herkunft ihrer Eltern nur am Rande. Sie werden als solche erkannt, spielen in der Deutung des eigenen Lebens jedoch eine zumindest nicht thematisierte Rolle. Die Türkei wird von Jasemin im Rahmen von insbesondere in ihrer Kindheit vorgenommenen Urlaubsaufenthalten bei Verwandten erwähnt, es folgen jedoch keine weiteren Ausführungen (8/12-8/21, 16/10-16/15, 9/22-9/26). Hülya erwähnt keine expliziten Verwandtschaftsbeziehungen in die Türkei und berichtet im Hinblick auf den anstehenden Türkeiurlaub davon, dort in einem Hotel eine Wellnessbehandlung vornehmen zu lassen, wobei unklar bleibt, ob sie das Hotel zu diesem Zweck aufsucht, oder in einem Hotel wohnen wird (4/29-4/30). Bezogen auf die Erziehung durch ihre Eltern benennt Jasemin zwar Aspekte der Körpererziehung, die sie mit der türkischen Herkunft ihrer Eltern in Verbindung bringt. Ihre Bedeutung scheint jedoch in Jasemins Ausführungen nicht allzu groß. Der Bezug zu Deutschland als soziokulturellem Raum wird von beiden Frauen nicht hergestellt. Die dafür bestehenden Gründe lassen sich durch die Nichtthematisierung schwerlich anhand von Aussagen rekonstruieren, es wird aber die Vermutung eines multikausalen Ineinandergreifens einer schlichtweg bestehenden Selbstverständlichkeit des Lebens in Deutschland mit der insbesondere in Hülyas Ausführungen erkennbaren Verweigerung der Besonderung als „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) angenommen. Im Hinblick auf die Themen, in denen die eigene Körperlichkeit im Interview thematisiert wird, ist auch bei Hülya der Bezug auf die Familie, die Auseinandersetzungen mit dem eigenen Aussehen in der Jugend sowie wie bei Jasemin die Schwangerschaft und Geburt als besonderes körperliches Erlebnis benannt. Dabei haben alle Frauen bisher immer wieder auf Rückmeldungen und Kommentare Anderer als bedeutsam für die eigene Körperlichkeit Bezug genommen. Die zeitliche Dimension wird als Einflussfaktor auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers sowie den Umgang mit ihm und seine Präsentation dargestellt.

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Aussehen als Marker für natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen

Nichtbezugnahme auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen für die eigene Körperlichkeit als Abgrenzung vor kulturellen Zusc Zuschreibungen durch Andere Attraktivität als soziale Erfahrung

familialer weiblicher Kleidungstil

Schwangerschaft als Möglichkeit und Gefahr für die Erfüllung von Körpernormen

Abbildung 15: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Hülya Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Durch die Einbeziehung des Falls Hülya zeigt sich die Tendenz, dass sich die Darstellung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration entlang der Unterscheidung zwischen selbst erlebter Migration und der Migration der Eltern strukturiert. Es stellen sich die weiterführenden Fragen, • ob die Migration der Eltern neben der weitgehenden Nichtbezugnahme auf nationale, ethnische und/oder kulturelle Markierungen auch in einer ganz anderen Weise für die Darstellung eigener Körperlichkeit genutzt werden kann? • ob sich neben Körper-Kultur-Vergleich und Nichtbezugnahme auf natio-ethnokulturelle Zugehörigkeit noch weitere Darstellungsformen finden lassen? • ob weitere Frauen, die selbst migriert sind eine besonders intensive Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit in Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext zeigen? Durch die Kontrastierung der Analysen der vier bisherigen Fälle ergeben sich für die theoretisch begründete Wahl des folgenden Falles zu diesem Zeitpunkt verschiedene Möglichkeiten. Es ließen sich in den Präsentationen der eigenen Körperlichkeit verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit der Migration (der Eltern) finden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht der Eindruck einer Unterscheidung zwischen Körper-Kultur-Vergleichen und einem Nichtbezug auf nationale, ethnische und/oder kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen. Entsprechend der Ausgangssituation wurde im Weiteren nach einer jungen Frau gesucht, die selbst oder deren Eltern migriert sind.

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7.5 Z WISCHEN E RFÜLLUNG UND A BLEHNUNG VON K ÖRPERNORMEN IM , NATIONALEN ‘ V ERGLEICH – F ALLSTUDIE M ISHGAN Kurzporträt Mishgan26 wird Ende der 1970er Jahre in Deutschland geboren. Sie hat (jeweils zwei) ältere und jüngere Geschwister, mit denen sie zusammen bei ihren Eltern aufwächst. Ihre Mutter ist deutscher Herkunft, ihr Vater ist mit zwölf Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Als Misghan elf Jahre alt ist, beginnt eine länger währende Scheidungsphase ihrer Eltern, in der sie weiterhin mit ihren Geschwistern bei ihrer Mutter lebt. Mit vierzehn Jahren zieht sie aufgrund von Konflikten mit der Mutter von zu Hause aus. Sie lebt zunächst in ein Heim und zieht mit siebzehn in eine eigene Wohnung. Mit achtzehn absolviert sie das Abitur und arbeitet anschließend ein Jahr im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Gesundheitswesen. Nach einer kürzeren Beschäftigung wechselt sie zu ihrem jetzigen Arbeitgeber. Seit Herbst 2006 studiert Mishgan ein sozialwissenschaftliches Fach und möchte anschließend wieder Vollzeit bei ihrem Arbeitgeber tätig werden. Sie ist mit einem Deutschen (ohne Migrationshintergrund) verheiratet und hat zwei Töchter. 7.5.1 Fotografieanalyse Basierend auf den spontanen Ersteindrücken zu den insgesamt sieben zur Verfügung stehenden Fotografien einer Person in unterschiedlichen Haltungen vor einem gleichbleibenden Hintergrund, erweckt insbesondere Bild fünf meine Aufmerksamkeit. Der Kontrast von formalem Umraum und emotional aufgeladener Pose erscheint ungewöhnlich; die kniende Position eröffnet die Möglichkeit für vielfältige Deutungen. Auf den ersten Blick entsteht durch Handhaltung und Mimik der Eindruck einer Art Trancezustand, wobei die Berührung des eigenen Gesichts als eine Liebkosung gesehen werden kann. Der darin wahrgenommene Selbstbezug erscheint im Vergleich zu den stark in der Interaktion mit anderen befindlichen Körperdarstellungen so auffällig, dass dieses Bild einer weiteren Analyse unterzogen werden soll (Bildauswahl).

26 Mishgan oder auch Mischgan ist ein weiblicher und männlicher Vorname, der unter anderem in Afghanistan Verwendung findet.

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Abbildung 16: Fotoreihe zu den imaginierten sozialen Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Mishgan Externe Kontextualisierung Durch die externe Kontextualisierung wird die Bildanalyse in einem sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes zu Körper und Migration verortet. Im Fokus der Bildinterpretation stehen die formalen und symbolischen Bedeutungen der Fotografie bezogen auf ihren interaktionalen Gehalt. Für die Untersuchung wurde eine junge Frau gesucht, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Das Bild zeigt eine Teilnehmerin der Untersuchung, die sich durch diese Suchanfrage angesprochen fühlte. In der durch mich als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft (und wie die Befragte, eine junge Akademikerin) vorgenommenen Bildanalyse wird die Fotografie als soziales Artefakt angesehen, das durch seine Analyse Rückschlüsse auf inkorporierte soziale Erfahrungen ermöglicht. Die nun folgende vorikonografische Bildbeschreibung bildet in einem verlangsamten Sehen die Auseinandersetzung mit der Fotografie in ihrer räumlichen Dreidimensionalität Das Foto im Hochformat lässt sich in einen Hintergrund sowie eine frontal auf einem Boden kniende Person, die Untersuchungsteilnehmerin, im Vor-

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dergrund unterteilen. Der Hintergrund besteht aus einer hellgrauen Regalwandkombination, deren untere Hälfte geschlossen und deren obere Hälfte mit zwei Regalbrettern unterteilt ist. Das Regal ist nahe den beiden Bildlängsseiten in der Vertikalen durch zwei sichtbare Zwischenwände unterteilt. Das mittlere Regal ist ohne Inhalt. Von der linken und rechten an den seitlichen Bildrändern zu erkennenden Regaleinheit ist jeweils ein schmaler Streifen zu erkennen. Sie enthalten Bücher, Ordner und Ablagekästen. Alle Bücher verfügen über eine weißgrundige Buchstabenkombination auf dem unteren Buchrücken. Die untere Leiste der Regalwand schließt bündig mit dem dunkelgrauen Kunststoff- oder Teppichboden ab. Die Frau kniet frontal zur Kamera auf dem Boden, wobei ihr Körper leicht nach rechts ausgerichtet ist. Der Bildmittelpunkt liegt dabei auf ihren sich vor der Brust kreuzenden Armen. Ihre Unterschenkel und Füße sind nicht zu sehen. Ihre Oberschenkel und ihr Oberkörper sind senkrecht aufgerichtet. Ihre Schultern sind nach oben vorne gezogen, ihre Oberarme seitlich an den Oberkörper gedrückt. Die Unterarme werden in einem 135 Grad Winkel nach oben vor den Oberkörper gehoben und an den Handgelenken überkreuzt, sodass sich die Handrücken der Kamera zuwenden. Dabei ist die rechte Hand nach oben ausgestreckt, Daumen, Zeige- und Ringfinger sind abgespreizt, der Ring- und der kleine Finger sind von der Kamera weg Richtung Handinnenfläche gebogen. Ihre linke Hand knickt am Handgelenk nach vorne Richtung Kamera ab und hält einen dunklen flachen Gegenstand, der in einer Diagonalen von links unten nach rechts oben verläuft. Die rechte ausgestreckte Hand verdeckt einen Teil des dahinter liegenden Gesichts, wobei das linke Auge durch Zeige- und Ringfinger von unten umrahmt wird. Der Kopf liegt zwischen den hochgezogenen Schultern und der vor das Gesicht gehaltenen linken Hand. Die Augen sind geschlossen, der halb sichtbare Mund leicht gespitzt. Die in einem Seitenscheitel getragenen mittelbraunen, leicht welligen, schulterlangen Haare fallen dabei auf die Schultern. Die geschlossenen Lider erscheinen im Vergleich zur übrigen Hautfarbe in einem bronzefarbenen Ton, sodass wie bei der rötlichen Lippenfarbe von der Verwendung von Make-up ausgegangen werden kann. Am Mittelfinger der nach links zeigenden Hand trägt die Frau einen größeren Ring mit glitzernden Steinen in Violett- und Gelbtönen. An dem nach rechts weisenden Armgelenk trägt sie ein goldfarbenes Armband in Ösenoptik. An dem dahinter liegenden Armgelenk ist ein kleines Stück eines dunklen Bandes, eventuell ein Uhrarmband, sichtbar. Die Frau trägt einen dunklen, gerade geschnittenen Rock, der zumindest überknielang ist, da der Saum nicht zu erkennen ist, sowie einen türkisfarbenen eng anliegenden Pullover mit dreiviertellangen Ärmeln. Dominante Bildlinien bilden neben der rechtwinkligen Anordnung des Regals im Hintergrund die ebenfalls nahezu rechtwinklige, kompakte Körperform der Person sowie ihre sich dazu diagonal überkreuzenden Arme. Die Arm- und Handgestik

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erweckt in ihrer überkreuzten Linienführung den Eindruck einer aus der Mitte herausweisenden Gerichtetheit. Die farbliche Gestaltung setzt sich aus den dunklen Flächen des Bodens, des Rockes und der Haare der Person, dem größtenteils hellen Hintergrund sowie der mittig angeordneten türkisfarbenen Fläche des Pullovers zusammen. Die an den Rändern sichtbaren bunten Flächen heben diese klare, farblich zentrierte Farbaufteilung jedoch etwas auf und verlagern den Blick vom knalligen Zentrum weg hin zu den bunten oberen Bildrändern. Der nicht vorhandene Schattenwurf der Person weist auf eine starke Ausleuchtung des Raumes hin. Die dunkleren Unterseiten der Regalbretter lassen eine oberhalb hinter der Kamera befindliche großflächige Lichtquelle vermuten. Die Kameraposition zeigt eine Untersicht auf die kniende Person, was auf eine niedrigen Standort der Kamera hinweist. Der Hintergrund der Fotografie in der Halbtotale scheint dabei minimal nach rechts unten ,abzukippen‘, was wiederum auf eine leichte Weitwinkeleinstellung hindeuten könnte.

Abbildung 17: anonymisiertes Foto „mit der Familie“ und Skizze des Gesichts im Fall Mishgan

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Auf bildsymbolischer Ebene werden Sehweisen zur Position der Person im Bildraum, dem äußeren Erscheinungsbild sowie der Gestik und Mimik der Abgebildeten entwickelt. Das Bild ist entlang der vertikalen Bildmittellinie fast symmetrisch aufgebaut. Durch die Kameraeinstellung bildet die kniende und die Arme verschränkt haltende Person in ihrer rechteckigen Form (im Rahmen des Hochformats des Bildes) das Stabilität erzeugende Zentrum des Bildes. Oberkörper und Kopfbereich ziehen durch Farbgebung, Gestik und Mimik meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Hintergrund verweist durch die inventarisierten Bücher auf der linken sowie der Ordner und Ablageflächen auf der rechten Seite auf eine Bibliothek oder ein Büro und demnach auf keinen privaten Raum. Die leere Regaleinheit in der Mitte unterstreicht dabei noch einmal den Eindruck eines klar strukturierten und unpersönlichen Umfelds. Die Frau trägt zwei auffällige Schmuckstücke in Form eines farbig glitzernden Rings am Ringfinger sowie eines Armbands am Gelenk der anderen Hand, die aufgrund ihres Designs oder ihrer Position keinen konventionellen Symbolwert aufweisen. In Kombination mit dem geschminkten Gesicht sowie dem längeren Rock und dem eng anliegenden, ausgeschnittenen Oberteil zeigt das Foto eine Frau in einer weiblich markierten Körperinszenierung. Die kniende Körperhaltung weckt dabei Assoziationen einer Haltung der Buße, Bittstellung oder des Leids. Ebenso könnte ein Kniefall ein Symbol für Ehrfurcht sein. Die Kreuzhaltung der Arme könnte wiederum auf eine Schutzhaltung hinweisen. In der Darstellung historischer Gemälde kam überkreuzten, in verschiedene Richtungen weisenden Armen zudem oftmals die Bedeutung von Falschheit oder – nach unten gewendet – auch Entkräftung zu (vgl. Pasquinelli 2007, 103ff.). Aufgrund der nach oben gerichteten Arm- und Handhaltung erscheint die Körperhaltung auf diesem Bild jedoch keineswegs kraftlos. Der mit dieser traditionellen Deutung einhergehende Hinweis auf den durch die Arme vorgenommenen Verweis aus dem Zentrum heraus nach außen erscheint jedoch einer Berücksichtigung wert. Denn durch die geschlossenen Augen wirkt ebenfalls die Mimik nach innen gekehrt, es wird kein Kontakt zum Gegenüber – zur Außenwelt – aufgenommen. Die Person könnte durchaus träumen und sich somit gedanklich gar nicht in der abgebildeten Situation, sondern ,ganz woanders‘ befinden. Durch die hochgezogenen Schultern sowie die leicht geschlossene linke Hand erscheint es, als ob der Kopf gestützt beziehungsweise geschützt wird, was eher auf eine schlafende Pose hindeuten würde. Gegen die Annahme einer Darstellung des Schlafens sprechen jedoch die aufrechte, kniende Haltung und die ausgestreckte rechte Hand mit den abgespreizten Fingern.

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Interne Kontextualisierung Im Rahmen eines Forschungsprojektes als Entstehungs- und Verwendungskontext wurde mithilfe eines Flyers eine Frau im jungen Erwachsenenalter gesucht, welche entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland migriert sind. Die auf der Fotografie abgebildete Frau Mishgan meldete sich daraufhin bei mir und nahm sich nach der Durchführung eines Interviews mithilfe einer fernbedienbaren Kamera – zu erkennen in der rechten Hand – in meinem Büro der Universität Köln selbst auf. Dabei war es ihr möglich, das Display der Kamera über einen an die Kamera angeschlossenen Monitor zu sehen. Auf diese Weise entstanden recht viele Fotografien typischer Körperhaltungen in sieben von mir vorgeschlagenen Situationen. Während der Aufnahmen oder am Schluss wählte Mishgan ein Foto zu jeder imaginierten Situation aus, sodass am Ende eine Reihe von sieben Fotografien zur Verfügung stand. Auf diesem Foto zeigt sie eine typische Körperhaltung mit der Familie. Sie kommentierte die Fotoerstellung mit den Worten, ihre Töchter zu umarmen: „stell dir vor du bist mit deiner Familie zusammen? / jetzt noch so ((lacht kurz und legt die Arme um ihren Oberkörper)) ja das ist so typisch wir knutschen uns immer ab / wie möchtest du das alleine darstellen? / ja ne (.) also weil die sind ja noch klein also wenn ich stehe obwohl wenn ich so knie dann brauch ich mich nicht bücken (33/14-33/20).

Das die Fotoerstellung begleitende Gespräch verdeutlicht, dass Mishgan verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, eine typische Körperhaltung mit der Familie – für sie das Zusammensein mit ihren Kindern – nicht nur einzunehmen, sondern dieses Zusammensein symbolisch zu repräsentieren. Dabei verweist sie explizit auf mich als Publikum, für das sie – damit es nicht langweilig wird – ihre Körperhaltungen immer wieder variieren möchte (33/22-33/27).27 Für die Veröffentlichung der Untersuchung war es Mishgan wichtig, dass die Fotografien anonymisiert werden. Im Versuch der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses Mishgans erscheint das Niederknien vor den imaginierten eigenen Kindern in seinem symbolischen Gehalt als ein Akt des Miteinanders ,auf Augenhöhe‘. Die darin zum Ausdruck kommende Vorstellung von Mutterschaft – als ein sich Einlassen auf Kinder und ihre Bedürfnisse – wird noch einmal durch die Arm- und Handbewegung als schützende Geste 27 Mishgan setzt sich während der Erstellung im Gespräch mit mir eingehend mit den Selbstporträts auseinander. Für das Selbstporträt in der Fußgängerzone nutzt Mishgan insgesamt sechs Anläufe, bevor sie mit der Fotografie zufrieden ist.

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der Zuneigung verstärkt. Die Körperinszenierung kann in den jeweiligen Einzelaspekten der knienden Position, ihrer Arm- und Handhaltung, der nach oben vorne gebogenen Schultern sowie der Mimik meinem Eindruck nach als überaus innig beschrieben werden. Mishgan verdeutlicht durch diese intime Darstellung ihre emotionale Beziehung zu ihren Kindern und lässt Rückschlüsse auf den körperlichen Umgang zwischen Mutter und Kindern zu. Auf dieser Grundlage können folgende (ikonologische) Hypothesen gebildet werden: • Die Inszenierung einer typischen Körperhaltung mit der Familie symbolisiert sich im liebevollen Umarmen der Kinder. In der Mutter-Kind-Darstellung als einem in der Kunst traditionellen und erziehungswissenschaftlich relevanten Bildthema (vgl. Mollenhauer 2003) verdichtet sich die emotionale Bindung der Mutter zu ihren Töchtern in der Idee einer gleichberechtigten Eltern-Kind-Beziehung und der Selbstverständlichkeit körperlicher Nähe. • Auf Bildebene und unabhängig von der sprachlichen Kommentierung entsteht bei der Betrachtung bei mir der Eindruck, dass Mishgan sich auf dem Bild selbst umarmt, denn wirklich halten könnte sie ihre Kinder durch die eng an den Körper gedrückten Arme nicht. In dieser Sehweise wirken die hochgezogenen Schultern sowie die leicht gehöhlte rechte Hand wie eine Umschließung des eigenen Kopfes. Mishgans Darstellung deutet aus dieser Perspektive auf einen starken Selbstbezug beziehungsweise die Wiederherstellung der Einheit zwischen Mutter und Kind(ern). Die Unterscheidung zwischen Innen und Außen, Eigenem und Anderem ist in dieser Perspektive in teilweiser Auflösung begriffen. • Die Annahme einer grundsätzlich intimen – nach innen gekehrten – Situation wird durch die diagonal gekreuzte Arm- und Handhaltung in Frage gestellt. Als Zentrum der liebevollen Umarmung verweisen die Arme und Hände zugleich aus sich heraus in die oberen Bildecken. Die Dynamik der Gerichtetheit von diagonalen Bildlinien (vgl. Arnheim 1978, 426f.) wird durch die dort sichtbaren farbigen Objekte noch einmal verstärkt.28 Auf diese Weise wird die auf den ersten Blick eindeutig nach innen gerichtete, abschließende und exklusive Körperhaltung durch Aspekte einer nach außen herausweisenden Dynamik differenziert. Zum einen könnte an dieser Stelle der Verweis der Antinomie von Nähe und Distanz als pädagogisches Spannungsverhältnis angeschlossen werden (vgl. Helsper 2007, 24ff.). Ebenfalls möglich erscheint auch die Annahme der Inszenierung ei-

28 Dabei soll der Verweis auf Bücher und Ordner an dieser Stelle inhaltlich nicht überbewertet werden (s. interne Kontextualisierung), ggf. kann festgehalten werden, dass sich Mishgan ,zwischen‘ den Büchern und Ordnern zumindest ganz wohl fühlt und diese sie nicht verunsichern.

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ner gesellschaftlich akzeptierten beziehungsweise geforderten liebevollen Mütterlichkeit, die von Mishgan dargestellt und zugleich in einer gewissen bildlichen Dramatik ironisch gewendet wird.29 Die Bewegungen im Bild würden aus dieser Perspektive als Verweise aus dem exklusiven System ,Familie‘ heraus gedeutet werden, beziehungsweise seine ihm innewohnenden Transformationsmöglichkeiten aufzeigen. Festzuhalten ist, dass das Selbstporträt Mishgans zugleich einen Innen- und Außenbezug als Orientierung am Eigenen und Anderen aufweist. Wie diese Gegenüberstellungen in ihrer ambivalent-ironischen Bezugnahme aufeinander zu deuten sind, lässt sich dabei nur bedingt klären. Durch die Rückbindung der Einzelbildinterpretation an den fotografischen Fallkorpus Mishgans wird die Vielfalt einer stark darstellerischen Gestik und Mimik deutlich. Der Bezug des in der Einzelbildinterpretation aufgezeigten gleichzeitigen Gegensatzpaares einer nach innen gerichteten abgeschlossenen und zugleich nach außen geöffneten, aus dem Zentrum herausweisenden Körperpräsentation lässt sich ohne genauere Bildanalysen nicht ohne weiteres in den weiteren sechs Fotografien erkennen. Deutlich wird jedoch, dass bis auf Bild eins alle Bilder über Diagonalen verfügen, die zudem oftmals Teil einer kompositorischen Dreiecksform sind, die ähnlich eines Berges auf ihrer „Grundlinie ruht“ (Arnheim 1978, 93). Solch eine Dreiecksform erweckt Stabilität. Zugleich wird durch die „ruhende“ Position aber auch eine über die beiden weiteren Seiten des Dreiecks nach außen beziehungsweise oben weisende Dynamik wahrgenommen (vgl. Arnheim 1978, 441). Die wiederholt auftauchende Dreiecksform erscheint als stabile und dynamische Form zugleich. Durch die Gleichzeitigkeit von Innenbezug und einem Verweis nach außen erzeugen die Fotografien Mishgans bei mir einen dynamischen Eindruck mit hohem Inszenierungswert. 7.5.2 Interviewanalyse Aus dem ausführlichen Interview mit Mishgan lassen sich mithilfe des Kodierparadigmas fünf Körperthemen herausarbeiten und strukturieren. Die Themen sind: (1) ,Dicksein‘ als sozialer Herstellungsprozess, (2) Mutterschaft als Risiko und Res-

29 Die Verbindung zwischen dem bei der Betrachtung entstehenden Gefühl der Authentizität bezüglich der Beziehung zu ihren Kindern bei einer gleichzeitig ironischen Wendung der Selbstinszenierung kann als souverän beschrieben werden.

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source für die eigene Körperlichkeit, (3) unzureichende Unterstützung beim Umgang mit körperlichen Entwicklungen in der Pubertät, (4) Körpergewichtskontrolle als Selbstkontrolle sowie (5) ein ,anderes Aussehen‘ als Stigma der Nichtzugehörigkeit. ,Dicksein‘ als sozialer Herstellungsprozess Mishgan beginnt ihre biografische Stegreiferzählung mit dem Hinweis, bereits als kleines Kind gesagt bekommen zu haben, dass sie – im Vergleich zu ihren Geschwistern – „schon zu dick auf die Welt gekommen“ (1/7-1/8) sei. Sie gibt an, dass ihr – mit Ausnahme ihres Vaters – der Vorwurf gemacht wurde, zu dick zu sein. Mit fünf oder sechs Jahren wurde sie daher für sechs Wochen in eine „Abnehmkur“ (1/13-1/15) geschickt. Insbesondere ihre Mutter und die Verwandten von Seiten der „deutschen Familie“ (2/32-3/6) thematisieren ihr Gewicht als zu hoch, und zwar „halt so unterschwellig also das sind halt oftmals kleine Bemerkungen die rechts und links fallen oder wie auch über einen gesprochen wird in deiner eigenen Gegenwart ne ist ein sehr komische Angelegenheit und es ja wie gesagt immer so Defizit ja es wird dir immer so als ja du bist halt nicht vollwertig“ (4/13-4/16).

Zudem sind Mishgan die negativen Reaktionen beim Arzt und in der Schule in Erinnerung geblieben. Die wöchentlichen Termine zum Wiegen beim Arzt empfand sie als Bloßstellung. Sie erinnert sich, in Unterhose über den Flur laufen zu müssen und bei einer Gewichtszunahme „niedergemacht“ (3/11-3/13) worden zu sein. In der Schule wurde ihr Gewicht von der Lehrerschaft auf unterschiedliche Weise zum Thema gemacht. Motivierte sie ihre Sportlehrerin in der fünften Klasse, bei allem mitzumachen, auch wenn sie nicht so schnell wie die anderen Kinder sei, so wurde sie von ihrem Englischlehrer, der zugleich auch Sport unterrichtete, aufgrund ihres Gewichts „gepiesackt“ (14/13-14/14): „der hat wirklich so Kommentare in der Klasse auch rausgehauen also äh wer so dick ist ist auch zu doof zum Denken und so Geschichten“ (14/16-14/17). Während einer Sportveranstaltung der Schule wurde sie von diesem Lehrer vor allen Anwesenden bloßgestellt, als sie beim Laufen als Letzte ins Ziel kam: „dann hat der das Megafon genommen also weiterführende Schule kannst du dir ja vorstellen wie viele hundert Kinder da standen und schrie durchs Megafon und da kommt die letzten Läuferin Mishgan aus der Klasse fünf a (.) und da bin ich wirklich weinend ins Ziel“ (14/25-14/28). Die Erinnerung an den Protest ihrer Schulkameraden über das Verhalten des Lehrers schildert Mishgan als wohltuend, allerdings änderte der Lehrer sein Verhalten nicht. Sie berichtet, dass er

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in der Oberstufe ihr Sportlehrer wurde und ihr nie eine bessere Note als eine drei gegeben habe, obwohl sie in dieser Zeit intensiv Sport trieb (14/35-14/39).30 Ganz anders beschreibt Mishgan demgegenüber die Einstellung ihres aus Afghanistan stammenden Vaters zu ihrem Gewicht: Sein entspannter Umgang damit führte bei Mishgan dazu, die Kritik an ihrem Körpergewicht als etwas ,Deutsches‘ anzusehen. Afghanistan wird für Mishgan auf diese Weise zu einem positiven Bezugspunkt für ihre Körperlichkeit, da sie der angenommenen Schönheitsnorm in Afghanistan – das sie aufgrund anhaltender kriegerischer Auseinandersetzungen bisher nicht besuchen konnte – eher zu entsprechen scheint als den Vorstellungen eines schönen Frauenkörpers in Deutschland. Diese Vorstellung wird dabei zu einem Argument der Kritik an den in Deutschland erfahrenen Diskriminierungen aufgrund ihres Körpergewichts. In der „afghanischen Welt“ (3/17) beschreibt sich Mishgan im Hinblick auf ihr Gewicht als das „Idealbild einer afghanischen Frau“ (3/17-3/18): „dadurch dass ich halt recht also weibliche Rundungen habe auch ein bisschen mehr ist das ja auch einfach in so’nem Land ähm verbindet man ja auch mollige Frauen mit Reichtum ne ist das noch mal ein ganz anderer Umgang“ (3/213/23). Aus dieser Perspektive wird das Stigma zu einem Vorteil. Als Beleg führt Mishgan an, mit acht Jahren in der „ich sag jetzt mal afghanische[n] Community“ (2/33)31 in Deutschland die ersten Heiratsangebote bekommen zu haben, welche sie natürlich abgelehnt habe (3/23-3/27). Deutlich wird, dass Mishgan den Vergleich zwischen dem bei der Mutter und dem Vater wahrgenommenen Umgang mit ihrem Gewicht als durchaus kulturspezifisch definiert: „für den (Vater, H.T.) war das auch nie schlimm dass ich irgendwie speckiger war oder molliger ne das der hat mich halt so geliebt wie ich war was halt/ ich glaub für meine Mutter schwieriger war zu akzeptieren so ja man fällt halt aus der Norm und das muss man ja auch vor der Gesellschaft irgendwie rechtfertigen oder halt da dann schützend vors Kind stellen“ (3/35-4/1).

Durch die Darstellung Mishgans wird deutlich, dass sie von jeher als zu dick angesehen und ihr Körper dementsprechend als abweichend definiert wurde. Dabei erscheint Mishgan die Kritik an ihrem als zu dick markierten Körper im Vergleich zu ihrem aus Afghanistan stammenden Vater und der ,afghanischen Community‘ ein spezifisch ,deutsches‘ Phänomen zu sein. Auf diese Weise wird ihr Körper zum Ausgangspunkt für eine massive Entwertung ihrer Person durch Andere.

30 Mishgan kann sehr genau benennen, dass sie in dieser Zeit 56 Kilogramm wog. 31 Ich werde die von Mishgan verwendete Formulierung „afghanische Community“ im Folgenden als Zitat beibehalten, um den Kreis von Bekannten ihres Vaters mit afghanischer Herkunft zu benennen.

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Mutterschaft als Risiko und Ressource für die eigene Körperlichkeit Die Geburt der ersten Tochter beschreibt Mishgan als ihr schönstes Körpererlebnis. „Wie so ein göttliches Gefühl [...] eins zu sein mit der Natur“ (19/38-19/39) beschreibt sie ihre Empfindungen bei der Entbindung. In der Beziehung zu ihren Kindern und ihrem Mann verweist sie auf einen unkomplizierten Körperumgang. Die volle Akzeptanz ihrer Kinder empfindet Mishgan als Unterstützung bei der Herausforderung, ihren Körper so anzunehmen wie er ist: „und heute machen’s meine Kinder das ist ganz lustig / was machen die? / ja mich bestärken ok also meine Älteste sagt immer Mama du bist nicht dick also sobald irgendwie das Wort dick fällt kommt=Mama du bist nicht dick / das Wort fällt wenn du das sagst oder andere? / meistens kommt es von mir ja also es ist gar nicht äh “ (6/166/22).

Durch die Tatsache beide Töchter nicht stillen zu können macht Mishgan als Mutter allerdings erneut die Erfahrung, bestehenden Körpernormvorstellungen nicht zu genügen. Der eigene Körper wird zum Gegner, „wo dann natürlich noch so der Frust äh auf deine Brust kommt“ (10/11): „du denkst so eh ich bin keine vollwertige Frau ne dann kann ich meine Kinder nicht stillen wenn ich jetzt irgendwo anders wäre wo es keine Ersatznahrung gäbe würde die mir hier verhungern mhm genau das kam dann auch noch so belastend dazu aber es war nach der zweiten Schwangerschaft wesentlich schlimmer weil mir halt auch sämtliche Ärzte gesagt haben ach bei nach der ersten Schwangerschaft ist das normal da kann das passieren da passiert das vielen Frauen nach der zwe/ das wird in der zweiten besser / mhm / und dann saß ich in der zweiten wieder da das war richtig schlimm und da war auch das Dicksein gar nicht so schlimm einfach so als Mutter nicht zu genügen das war wesentlich schlimmer / mhm / also man ist ja nicht vollwertig vor allen du wirst dann ja auch wieder bombardiert mit diesen Sachen die stillende Mutter und Still-BH und Sonstiges und ähm hast dann da auch (.) und vor allem wenn man selber ne Mutter dann geworden bist du siehst auf einmal auch nur noch Mütter die das alle können oder dann erzählt die eigene Mutter oder besser gesagt die Schwiegermutter war das in dem Fall wie toll sie stillen konnte und dann kriegst du erst recht so’nen Hals trinkst irgendwie fünf Liter Stilltee am Tag damit endlich mal was passiert ne also das war richtig frustig da hab ich lang für gebraucht überhaupt drüber reden zu können und ja damit selber fertig zu werden ja das fand ich schlimm also da hat wieder wieder einmal der Körper versagt (.) nicht genügt“ (10/12-10/29).

Wie in der Auseinandersetzung mit ihrem Körpergewicht zwischen Wunsch nach Normerfüllung und der Kritik am Schlankheitswahn ist auch die Erfüllung der mit der Mutterrolle verbundenen Normen, wie das Stillen auf der einen, und die Kritik

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am „Reinreden“ (20/20) in weibliche Körperlichkeit auf der anderen Seite bedeutsam. Mishgan versucht sich von den bewusst wahrgenommenen und abgelehnten gesellschaftlichen – ,deutschen‘ – Körpernormen zu lösen und zugleich sind diese für sie – als Mitglied dieser Gesellschaft – bedeutungsvoll. Der Wunsch nach der Loslösung von bestehenden Vorgaben eines ,normalen Körpers‘ wird somit immer von der Norm ausgehend definiert. Als zutiefst soziales Phänomen wird Körperlichkeit zu einem Feld der Aushandlung der eigenen Position in und der Haltung gegenüber der Gesellschaft. Unzureichende Unterstützung beim Verstehen körperlicher Entwicklungsprozesse in der Pubertät Auch bei Mishgan sind die Erinnerungen an die körperlichen Entwicklungen in der Pubertät mit Unsicherheit und Scham verbunden. Sie gibt an, wenig Unterstützung und Informationen zu den Prozessen ihrer körperlichen Geschlechtsreife erhalten zu haben. Ihre Einschätzung, die körperlichen Veränderungen in der Pubertät gar nicht so genau wahrgenommen zu haben, verknüpft Mischgan mit der Erinnerung, dass ihre zu dem Zeitpunkt beruflich stark eingebundene Mutter sich nicht besonders für ihre „weibliche Entwicklung“ (5/14) interessiert habe. Den Umgang ihrer Mutter mit diesem Thema beschreibt sie als „sehr unsensibel“ (5/18-5/19), beispielsweise indem sie ihr an die Brust griff, um zu kontrollieren, ob sie einen BH brauche. An die Aussagen ihrer Mutter zum Thema Verhütung erinnert sich Mishgan wie folgt: „ihr wisst ja ich will nicht Oma werden es gibt Süßmuttütchen ne und dann hast du diese Info weißt nicht was du machen sollst“ (5/23-5/24). Als ,autodidaktisch‘ bezeichnet Mishgan auch den Umgang mit der weiblichen Periode, die sie das erste Mal im Sportunterricht bekam und nicht wusste was zu tun ist. Sie fuhr nach Hause und da auch ihre ältere Schwester ihr nicht wirklich weiterhalf, war Mishgan bei der Frage, was man bei der monatlichen Blutung eigentlich macht, auf sich gestellt (5/25-5/28). In dieser Darstellung wird deutlich, dass Mishgan ihre Verunsicherung durch die körperlichen Entwicklungen in der Pubertät in einen Zusammenhang mit der nicht vorhandenen Unterstützung ihrer Mutter stellt. Die Weitergabe von körperbezogenem Wissen zwischen Mutter und Tochter findet nicht statt und wird auch nicht von anderen Personen übernommen, was zu einer Verstärkung diesbezüglich ohnehin bestehender Unsicherheiten führt. Körpergewichtskontrolle als Selbstkontrolle Trotz Fremdzuschreibungen Anderer von klein auf gibt Mishgan an, erst mit elf Jahren durch eine Fotografie oder einen Film „wirklich selber wahrgenommen“ (1/18) zu haben, dass sie anders als die Anderen aussehe und „zu dick“ (1/26) sei. Sie berichtet davon, seitdem viele Diäten durchgeführt zu haben, um ihr Gewicht zu kontrollieren (1/24-1/26). Bis zum Alter von 24 Jahren erinnert sich Mishgan, ext-

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rem auf ihr Gewicht geachtet zu haben. In dieser Zeit nimmt sie sehr stark ab. Die Reaktionen auf ihr Dünnsein sind zum Ende hin jedoch nicht positiv, da sie nun ausgemergelt und „schrecklich“ (1/30) aussieht: „also für mich war dann wirklich schrecklich dieses Erlebnis dann gesagt zu bekommen jetzt bist du hässlich das war dann auch so der Knackpunkt so ich gesagt hab ich kann ja nie:: genügen egal was ich mache jetzt bin ich schon so schlank wie ihr mich haben wollt und auf einmal bin ich hässlich was soll ich denn jetzt machen“ (7/9-7/12).

Mishgan berichtet, zum Zeitpunkt des Interviews achtzehn Jahre lang „diätet“ (1/22) zu haben und somit in der Situation (des Wunsches) einer bewusst herbeigeführten Gewichtsreduktion gewesen zu sein. Damit einher ging eine nie ganz regelmäßig einsetzende Periode, die zum Teil über längere Zeiträume auch ausblieb (5/30-5/32). Die Bedeutung ihres Körpers und Aussehens in dieser Zeit beschreibt Mishgan als enorm: „gerade wenn man auch diätet du stehst morgens mit dem Gedanken auf und gehst abends mit dem Gedanken ins Bett (.) es ist einfach so du bist nonstop ob du jetzt Kalorien zählst oder ne im Endeffekt dreht sich dein Leben nur noch ums Essen ne und um Sport und darum wie du aussiehst und äh wie dich die anderen akzeptieren ne und du vergisst im Grunde die ganzen anderen wesentlichen Dinge weil das auf einmal so einen riesigen Raum einnimmt“ (9/31-9/36).

Zugleich distanziert sich Mishgan aber auch von den gesellschaftlich propagierten und für sie so lange handlungsleitenden Schlankheitsvorstellungen. Die Unterstellungen gegenüber „Dicken“ als faul, dumm, unbeweglich und unglücklich (24/1424/15) weist sie zurück. Die bestehenden Schönheitsvorstellungen werden von ihr als ein Indiz der gesellschaftlich geforderten Selbstkontrolle angesehen. Trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer hohen Reflexionsbereitschaft bewegt sich Mishgan in Bezug auf die soziale (Selbst)Anforderung des Schlankseins in der Ambivalenz zwischen Befolgung und Ablehnung: „vielleicht bin ich deswegen jemand der so viel organisiert und sich selber sehr stark organisiert weil mich dieser Kontrollverlust über meinen Körper immer wieder begleitet oder permanent begleitet oder auch nur das Gefühl keine Kontrolle zu haben (.) es stimmt ja nicht ich hab ja Kontrolle über meinen Körper auch wenn ich Sport mache oder wenn ich hier sitze aber es ist immer so’n Beigeschmack so’n schaler Beigeschmack das man eben nicht die Kontrolle hat ansonsten wär man ja (.) der Norm entsprechend“ (18/5-18/11).

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Die durch die Kontrolle des eigenen Gewichts erfahrenen Qualen werden von Mishgan als sozialer Lernprozess geschildert, wenn sie sagt: „ich weiß auch nicht ich hab einfach wirklich gelernt meinen Körper zu quälen würd ich jetzt sagen also wenn ich der Körper gewesen wäre das hätte ich nicht schön gefunden“ (11/3912/1). Da sie der Körper ist, von dem sie spricht, kann die sprachliche Abspaltung des Körpers von sich als eine Schutzfunktion begriffen werden, sich von dem durch die Normabweichung ,Dicksein‘ erfahrenen Leid zu distanzieren. In positiv konnotierter Weise greift Mishgan das Thema der Kontrolle in der Vorstellung einer bei Kindern weniger durch gesellschaftliche Vorgaben eingeschränkten, noch unabhängigen Körperlichkeit auf.32 Im Rückblick auf ihre Kindheit gibt sie an, über eine Kontrolle über sich verfügt zu haben, die es ihr ermöglichte, sich den ,von Außen‘ an sie heran getragenen Wünsche und Vorgaben zu verweigern; eine Situation, die sie in ihren Augen nie wieder erreichen wird: „ich werde nicht mehr an den Punkt kommen wo ich als Kind war und sagen würde da war ich total mutig selbstbewusst n Draufgänger ja ne und habe all diesen dieses Ganze dieses ganze Gepäck nicht dabei da würd ich gerne wieder hinkommen da hatte ich Kontrolle über meinen Körper auch Kontrolle über mich selber auch über meine Gefühlswelt würde ich glatt sagen aber an den Punkt werde ich nicht mehr kommen weil eben ne / das Päckchen ist dabei / genau diese Unsicherheit ne auch dies diese Unsicherheit abgelehnt werden zu können ne also das kommt ja in ganz vielen kleinen Geschichten dann immer vor“ (18/12-18/20).

,Anderes Aussehen‘ als Stigma der Nichtzugehörigkeit Mishgan berichtet von sich aus, dass ihr von ihr selbst als „ausländisch“ (15/5) bezeichnetes Aussehen immer wieder zum Anlass für Rückschlüsse auf ihre ethnische Zugehörigkeit und damit zusammenhängende Sprachkompetenzen genommen wird (23/11-23/15): „alles schon da gewesen außer wo man von blond und blauäugig ausgeht aber alle Regionen schon mal da gewesen“ (23/17-23/18). Ausgehend von ihrem Äußeren werden nicht nur Vermutungen über ihre ethnische Zugehörigkeit, sondern auch über ihre vermeintliche islamische Orientierung angestellt (23/21-23/22). Zudem berichtet sie von Zuschreibungen als einer von Männern unterdrückten Frau, die in patriarchalen Familienverhältnissen aufgewachsen sei und womöglich auch Gewalt in der Familie erfahren habe (24/924/11). Besonders interessant erscheinen ihr in diesem Zusammenhang als Erwachsene an sie herangetragene „skurrile[n] Sexphantasien“ (24/11). Das besondere Interesse von Männern, “wenn man orientalisch aussieht“ (15/9), kommentiert Mish-

32 Die pädagogische Idee, das Kind in seiner ,natürlichen‘ Entwicklung und zum Schutz vor schlechten Einflüssen von ,der Gesellschaft‘ fernzuhalten, ist insbesondere mit der Erziehungstheorie Jean-Jaques Rousseaus verbunden (vgl. Rousseau erstmals 1762 /1971).

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gan damit, nicht gewusst zu haben, dass sie „schweinisch“ (24/12-24/13) aussehen würde. Kann das letzte Beispiel im Rahmen einer Exotisierung des weiblichen ,anderen Körpers‘ aufgefasst werden, so spiegeln sich in den zuvor genannten Beispielen die gängigen negativen Vorurteile über ,die Ausländer‘ aus arabischen Ländern oder der Türkei mit automatisch zugesprochener Zugehörigkeit zum Islam in Deutschland wieder. Mishgan beurteilt die ausgehend von ihrem Äußeren an sie herangetragenen Vorstellungen als abstrus. An dieser Stelle bezieht Mishgan zudem meine Person direkt in ihre Darstellung mit ein, indem sie die Vermutung aufstellt, dass bei mir eine ,schwedische Herkunft‘ vermutet werden könnte. Mishgan verweist mit diesem Beispiel darauf, dass die Verknüpfung von Aussehen und Herkunft bzw. Nationalität „immer so gemacht“ (23/24) werden. Grundlage bildet laut Mishgan der Mechanismus, Individuen anhand eines (vermuteten) Merkmals als Mitglieder einer Gruppe zu sehen. Das Aussehen und damit einhergehende stereotype Vorstellungen spielen ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: zwischen Erfüllung und Ablehnung von Körpernormierungen im interkulturell vorgenommenen Vergleich Mishgans Darstellung ihrer Körperlichkeit ist geprägt von der Auseinandersetzung mit der Kontrolle ihres Körpergewichts. Bereits von Geburt an wird ihr Körper als zu dick markiert, was sie sehr deutlich kritisiert, und gleichzeitig erkennt, dass sie sich dem auf sie ausgeübten normativen Druck nur schwer entziehen kann. Die Aushandlung ihrer Position findet dabei auch in der Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen in Deutschland und ihren Vorstellungen über die afghanische Herkunft ihres Vaters statt. Allerdings wird ihr Bild einer negativen Sanktionierung von Dicksein als „typisch deutsch“ (3/6) nicht nur durch die Vorstellung der afghanischen Wurzeln ihres Vaters sondern auch durch die Eindrücke von einer Geschäftsreise in die USA gestützt: „in Amerika das hat keine Sau interessiert wie du ausgesehen hast ob du dick dünn groß klein ausländisch also so wie man in W (Großstadt) hier oft erlebt [...] die Erfahrung habe ich in Amerika gemacht die war echt toll da hab ich gedacht ,whow da können sich die Deutschen was von abschneiden‘“ (14/6-14/7; 14/11-14/12).

Durch Mishgans Bezugnahme auf die USA wird die ,Exklusivität‘ des deutschafghanischen Vergleichs abgemildert und der kritische Blick auf ,deutsche Etikettierungspraktiken‘ verstärkt. Diese erscheinen durch Mishgans Bezug auf die USA

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auch nicht in einem Vergleich zwischen westlichen Ländern und dem Herkunftsland ihres Vaters, sondern als ein spezifisch ,deutsches‘ Phänomen. Bezogen auf ihr Körpergewicht werden Afghanistan und auch die USA zu positiven Kontrastfolien. Es kann die Vermutung angestellt werden, dass in Mishgans Vorstellung womöglich jeder andere (vorgestellte) Ort im Vergleich mit den in Deutschland gesammelten Erfahrungen als besserer Ort im Umgang mit Menschen unterschiedlichen Gewichts fungieren könnte. Über das Thema ,Dicksein‘ hinaus fallen die Bezüge Mishgans zum Herkunftsland ihres Vaters gering aus. Durch den Hinweis, dass ihr Vater ihre Ehe mit einem Deutschen nicht billigt und ihren Mann sowie ihre Kinder bisher nicht kennen lernen wollte (16/24-16/33), kann vermutet werden, dass der Kontakt mit dem Vater nicht besonders häufig ist und keine Treffen mit Angehörigen der ,afghanischen Community‘ stattfinden. Der durch den Vater eröffnete Bezug zu Afghanistan ermöglicht vielmehr die potenzielle Chance, das Spektrum der Zugehörigkeitsoptionen zu erweitern und sich so kritisch mit körperlichen Diskriminierungserfahrungen in Deutschland auseinander zu setzen. Neben Reaktionen auf ihr Gewicht nennt sie zudem ihr von Anderen wiederholt als ,nichtzugehörig‘ klassifiziertes Aussehen. Verwoben mit den sozialen Unterscheidungsdimensionen Geschlecht, religiöse Orientierung und sexuelle Vorlieben gehen die benannten Erfahrungen der Besonderung über direkt an das Körperliche gebundene Aspekte hinaus und beziehen sich ganz allgemein auf eine in verschiedenen Zusammenhängen und auf unterschiedlichen Ebenen bestehende Struktur von Diskriminierungserfahrungen. Den roten Faden im Interview mit Mishgan bildet jedoch die – auch kulturell markierte – Aushandlung der eigenen Position zwischen dem Kampf gegen das eigene Gewicht bei gleichzeitiger Kritik an den diesem Kampf zugrunde liegenden gesellschaftlichen Schönheitsvorstellungen. Im Sinne eines Stigma-Managements (vgl. Goffman, Kapitel 2.4 in diesem Buch) wird die eigene Zugehörigkeitsvorstellung durch die Herkunft des Vaters erweitert. Daran anknüpfend schafft sich Mishgan einen imaginierten Ort als Chance, mit Diskriminierungen umzugehen. Die Relevanz der als deutsch markierten Diskriminierungserfahrungen nimmt ab. Die damit einhergehende soziale (Selbst)Aufwertung kann als eine Möglichkeit der Entspannung im Umgang mit der als ambivalent erlebten eigenen Körperlichkeit angesehen werden. Die Bedeutung, die Andere und ihre Bewertungen für Mishgans Körperlichkeit haben, wird sehr deutlich. Dabei scheinen ihr Vater, ihre Kinder und andeutungsweise auch ihr Mann eine positive und annehmende Haltung gegenüber Mishgan einzunehmen.

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7.5.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Durch die Analyse der von Mishgan erstellten Fotografie(n) wird ein Zugleich eines nach außen abschließenden Innenbezugs und eines Außenbezugs in seiner Dynamik deutlich. Diese Bilddynamik eröffnet einen nicht abgeschlossenen, in Bewegung befindlichen Eindruck. Im Vergleich dazu weist die sprachliche Körperdarstellung ebenfalls eine Mischung von Stabilität und Bewegung auf. So verortet sich Mishgan immer wieder in ambivalenter Weise zwischen dem Wunsch der Erfüllung bestehender Körpernormen und der zugleich geäußerten Kritik daran. Soziale Erwartungen an ihren Körper sind von ihr (emotional) internalisiert worden, auch wenn sie diese (kognitiv) ablehnt. In diesem Spannungsverhältnis löst sie ihre als belastend empfundene Abhängigkeit von den als deutsch markierten Normalitätsdefinitionen auf, indem sie einen im Kontrast zu Deutschland weniger diskriminierenden ,Ort’ für sich entwickelt. Durch diesen ,anderen Ort‘ kann die erfahrene und empfundene Kritik als relativ und somit im geringeren Maße selbstwertgefährdend eingeordnet werden. Zugleich wird durch die Bezugnahme auf den anderen weniger diskriminierenden ,Ort‘ die eigene Position in Deutschland bestärkt, indem von dort aus Vorstellungen weniger starrer Körpernormen entwickelt werden. Bild und Text sind in ihrem jeweiligen symbolischen Modus stark darstellend angelegt und beindrucken mich durch ihre Intensität. In der auch als Belastung empfundenen Abhängigkeit vom Umfeld bei gleichzeitigem Kampf um die Aufrechterhaltung ihrer (körperlichen) Autonomie, erscheinen Mishgans Körperinszenierungen als balancierte Positionen innerhalb verschiedenen sozialen Aushandlungen von Körper. Begleitet wird dieser Balanceprozess des Körperlichen durch die von Mishgan vorgenommene natio-ethno-kulturelle Selbstpositionierung und die damit einhergehenden Abgrenzungsmöglichkeiten von der als deutsch markierten Stigmatisierung ihres Körpers. Die Interpretation der Daten zum Fall Mishgan durchbricht die durch die bisherigen vier Fälle aufgestellte Hypothese von Körper-Kultur-Vergleichen auf Grundlage bewusst wahrgenommener Lebenserfahrungen in verschiedenen Ländern. Denn Mishgan stellt auch ohne selbst migriert zu sein über die Herkunft des Vaters quasi imaginierte Vergleiche auf. Durch den Blick auf Körperlichkeit werden Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit in ihrer sozialen Konstruktion deutlich. Das ihr selbst unbekannte Herkunftsland ihres Vaters – es gibt keine Hinweise darauf, dass sie die Sprache spricht – wird im Bezug auf ihr Gewicht als durchaus positive Kontrastfolie herangezogen, um einen Vergleich zwischen Deutschland und Afghanistan herzustellen. Bestehende Kritik an den Erfahrungen in Deutschland wird jedoch nicht nur im Vergleich zu Afghanistan sondern auch zu den durch eine Reise bekannten USA gebildet. In diesen Bezügen erscheint die deutsche Gesellschaft hinsichtlich des Umgangs mit körperlicher Er-

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scheinung maximal intolerant. Die Vergleiche mit anderen Ländern bieten die Grundlage für die Kritik an den in Deutschland erfahrenen Stigmatisierungen – in Mishgans Fall als eine Frau deren Aussehen wiederholt als ,nichtzugehörig‘ und deren Gewicht als zu dick wahrgenommen wird. Als erste der Teilnehmerinnen macht Mishgan von sich aus das eigene Aussehen als ein von Anderen als natio-ethnokulturell ,anders‘ markiertes Aussehen zum Thema. Auf diese Weise wird deutlich: Die Systematisierung eines Körper-KulturVergleichs vs. der Nichtbezugnahme auf kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen verläuft im Hinblick auf die eigene Körperlichkeit nicht entlang der tatsächlichen Erfahrung des Lebens in verschiedenen Ländern und somit der Zugehörigkeit zur ersten oder zweiten Migrationsgeneration, sondern entlang der Frage, ob kulturelle Bezugnahmen aktiv vorgenommen werden oder eben nicht. Entsprechend eines „subjektiven Glauben[s] an eine Abstammungsgemeinschaft“ (Weber 1921/2005, 307; vgl. außerdem Kapitel 3 in diesem Buch) können konkrete Erfahrungen wie auch die Vorstellungen über die Verbindung mit einer Kultur die Basis für die eigene Körperinszenierung bilden. Thematisch stellt Mishgan ihre Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit ebenfalls in Zusammenhang mit Körpererziehung sowie Unsicherheiten im Hinblick auf Aussehen und körperliche Veränderungen in der Jugend, dem Kampf gegen das Körpergewicht und – wie bei Jasemin und Hülya – der Auseinandersetzung mit Schwangerschaft und Mutterschaft dar.

Körpergewichtskontrolle als Selbstkontrolle

,Dicksein’ als sozialer Herstellungsprozess

zwischen Erfüllung und zwi Ablehnung von Körpernormierungen im Vergleich zwischen Deutschland und dem anderen weniger diskriminierenden Ort ,anderes Aussehen’ als Stigma der Nichtzugehörigkeit

Unzureichende Unterstützung beim Verstehen körperlicher Entwicklungen in der Pubertät

Mutterschaft als Risiko und Ressource für die eigene Körperlichkeit

Abbildung 18: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Mishgan Weiterführende Fragestellungen für das Theoretical Sampling Durch die in Mishgans Körperinszenierung deutlich werdende Bedeutung des Glaubens an ethnisch-kulturelle Zugehörigkeiten eröffnet sich unter Rückgriff auf

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die anderen Fälle im hypothetischen Umkehrschluss der Dimensionalisierung die Frage, ob die eigene bewusst erlebte Migration im Bezug auf die eigene Körperlichkeit unweigerlich zu (hierarchischen) kulturellen Mehrfachbezugnahmen führt, oder ob nicht auch an dieser Stelle im Sinne eines ,Zugehörigkeitsglaubens‘ keine beziehungsweise eindeutige ethnisch-kulturellen Bezüge für die eigene Körperlichkeit hergestellt werden können? Daher wird im Folgenden wieder nach Teilnehmerinnen gesucht, die selbst migriert sind, um neben den für die Fälle Meiling und Nikita entwickelten Körperinszenierungsmustern weitere mögliche Subkategorien zu erfassen.

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7.6 K ÖRPERLICHE S ELBSTBEHAUPTUNG UND KÖRPERLICHES E RLEIDEN IN DER M IGRATION – F ALLSTUDIE J ALE Ö ZTÜRK Kurzporträt Jale Öztürk33 ist in der Türkei geboren und lebt zum Zeitpunkt des Interviews seit neun Monaten in Deutschland. Sie ist zweiunddreißig Jahre alt und hat zwei Schwestern und drei Brüder, von denen ein Bruder mit seiner Familie in Holland lebt. Die Eltern und ihre weiteren Geschwister leben in der Türkei. Ein Bruder ist Lehrer, die drei anderen Geschwister studieren. Der Kontakt zu ihrer Familie scheint schwierig, sie bezeichnet sich selbst als das ,Problemkind‘ der Familie. Frau Öztürk ist mit einem in Deutschland lebenden Mann türkischer Herkunft34 verheiratet. Frau Öztürk besucht einen Integrationskurs in Vollzeit, der von einem freien Träger des Sozialwesens angeboten wird. In der Türkei hat sie zuvor als Köchin in verschiedenen Hotels gearbeitet. 7.6.1 Fotografieanalyse Aus einem fotografischen Fallkorpus von sieben Fotografien einer Person vor demselben Hintergrund wird das letzte Foto der Reihe ausgewählt. Auf mich wirkt insbesondere diese Aufnahme wie eine stolze nahezu ,majestätische‘ Präsentation. Der aufgerichtete Oberkörper sowie die ,statuenhafte‘ Körperhaltung und Mimik erwecken den Eindruck einer besonderen Darstellung. Bei der Betrachtung entsteht der Eindruck, als ob die sichtbare Person auf die betrachtende Person ,herabblicken’ würde. Dabei bleibt offen, ob diese ersten Bildeindrücke das Ergebnis der Darstellung einer eher freundlichen oder eher abweisenden Haltung der fotografierten Person sind (Bildauswahl).

33 Der ursprünglich aus dem Persischen stammende Name „Jale“ ist in der Türkei recht häufig. Zudem gibt es diesen Namen als weiblichen Vornamen im Friesischen und als männlichen Vornamen im Englischen. Der Name Öztürk ist ein in der Türkei verbreiteter männlicher Vorname und ein Nachname, der ins Deutsche übersetzt „Ur-Türke“ bedeutet. Auf meine Bitte ein Pseudonym zu nennen, gab Jale Öztürk als einzige einen Vorund Nachnamen an, sodass im Folgenden den gesamten Namen verwenden wird. 34 Diese Information ergibt sich nicht aus dem transkribierten Material sondern aus nicht aufgenommenen Gesprächsanteilen.

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Abbildung 19: Fotoreihe zu den imaginierten sozialen Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Jale Öztürk Interne Kontextualisierung Das Foto wurde 2009 im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes zum Themenkomplex „Körper und Migration“ in Deutschland aufgenommen. Auf dem Bild zu sehen ist eine der Teilnehmerinnen der Untersuchung, die sich auf die Suchanfrage nach einer jungen Frau mit eigenen Migrationserfahrungen hin meldete. Für die Untersuchung werden Bildkomposition und -symbolik hinsichtlich ihrer nonverbalen interaktionalen Bedeutungen analysiert. Grundlage für die durch mich als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft durchgeführten Interpretationen bildet die Auseinandersetzung mit Körper und Sozialität und den damit verbundenen körperlichen Normalitätsvorstellungen, die auch im Hinblick auf Migration (re-)produziert werden. In der vorikonografischen Bildbeschreibung lässt sich die Fotografie im Hochformat auf dreidimensionaler Ebene in einen Hintergrund und eine stehende Person – als einer Untersuchungsteilnehmerin – unterteilen. Der Hintergrund ist weiß, am rechten oberen Bildrand ist ein apricotfarbener Streifen – vermutlich ein in Falten geworfener Vorhang – zu erkennen. Durch eine graue Fußleiste abgetrennt ist ein mittelblauer, mit in vertikalen Linien verlaufenden, gelben Punkten gemusterter

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Teppichfußboden zu sehen. Die stehende Frau hat ihren Körper leicht nach rechts ausgerichtet, der Bildmittelpunkt liegt auf ihrer Scham. Ihr linker Fuß zeigt mit einer leichten Rechtsausrichtung nach vorne und ist vor den rechten Fuß gestellt. Der rechte Fuß ist stärker nach rechts ausgerichtet und steht in einem 45 Grad Winkel eng hinter dem linken Fuß. Entsprechend der Fußhaltung wird das rechte vom linken Bein in großen Teilen verdeckt. Der Oberkörper ist aufrecht, der rechte Arm sowie die rechte Hand hängen seitlich am Oberkörper herab. Die Handinnenfläche zeigt Richtung Bein, die Finger der rechten Hand sind geschlossen und unterschiedlich stark nach innen gebogen. Am Ringfinger ist ein goldfarbener Ring zu erkennen. Der linke Oberarm befindet sich seitlich neben dem Oberkörper, der Unterarm ist am Ellenbogen in einem 90 Grad Winkel nach vorne rechts abgeknickt. Die Frau hält einen dunklen, flachen Gegenstand zwischen Daumen und Fingern. Durch den gestreckten Oberkörper sind Hals und Kopf leicht nach hinten gelegt und die Person schaut Richtung Kamera über diese hinweg. Die leicht hervorgetretenen Tränensäcke können ein Hinweis auf das leichte Zusammenkneifen der Augen sein. Ihr Mund ist geschlossen, die Mundwinkel scheinen minimal nach oben gezogen. Ihre Haare sind dunkel und gewellt. Sie reichen der Frau bis über die Schultern und sind aus dem Gesicht gestrichen. Ihre Augenbrauen sind ebenfalls dunkel und so in ihrem gleichmäßigen Schwung sichtbar. Über ihrer grau-beigen überhüftlangen Jacke – einem Parka – mit seitlichen Hüft- und Brusttaschen und aufgestelltem Kragen trägt sie ein apfelgrünes Shirt mit einem mittelhohen Ausschnitt. Zwischen den leicht geöffneten Jackenseiten ist eine ovale Gürtelschnalle mit einer dunkel abgesetzten, floralen Ornamentik auf hellem Grund zu sehen. Die Frau trägt eine mittelblaue Jeans mit leicht ausgestellten, langen Beinen, die an den Oberschenkeln und Knien leicht ausgewaschen ist. Unter den Hosenbeinen schauen geschlossene, braune Schuhe ohne Schnürung und mit fester Sohle hervor. Hinsichtlich seiner kompositorischen Linienführung verfügt das Bild über eine Betonung der Vertikalen, hervorgerufen durch das Muster des Bodens, den sichtbaren Vorhangstreifen auf der rechten Seite sowie die Person selbst, die aufrecht steht und die Vertikale betont. Einzig die Fußbodenleiste, die untere Kante des Parkas sowie der linke angewinkelte Arm setzen waagerechte Akzente. Aufgrund der hintereinander stehenden Füße lassen sich weiterhin von den Füßen in einem sich leicht öffnenden Winkel Linien nach oben bis zur Hüfte ausmachen, die sich in umgekehrter Weise vom Kopf aus bis zur Hüfte nach unten ziehen, sodass bei der Körperhaltung von einer rautenförmigen Körperform gesprochen werden kann. Die Farbgebung der Fotografie kann aufgrund der Sichtbarkeit der Grundfarben Grün, Gelb und Blau sowie dem apricotfarbenen Vorhang und den braunen Schuhen und weiteren Braun und Grauabstufungen als bunt jedoch nicht knallig bezeichnet werden. Auf Ebene der empfundenen Farbwärme beziehungsweise -kälte lassen sich die Farben Mittelblau, Apfelgrün und Beige den kalten eher zurücktretenden Far-

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ben, der apricotfarbene Vorhang und die braunen Schuhkappen den als ,warm’ wahrgenommenen und eher nach vorne tretenden Farben zuordnen (vgl. Arnheim 1978, 367f.). In Kombination mit einer wenig ausgeprägten Hell-DunkelKontrastierung in der Farbskala wirkt das Bild in farblicher Hinsicht ausgeglichen bis harmonisch, jedoch durch seine Farbigkeit nicht monoton. Durch den nach links (hinten) verlaufenden unscharfen Schattenwurf der Beine sowie die nach links wie nach unten verlaufenden Schatten des Vorhangs ist eine größere diffuse Lichtquelle an der oberen rechten Seite vor dem Vorhang des Bildes zu vermuten. Es dürfte sich dabei um ein ungefähr auf der vertikalen Bildmittellinie liegendes Fenster handeln, das den in der rechten hinteren Ecke des Bodens vorhandenen Schattenwurf erklären könnte. Auch die gute Ausleuchtung des Bildes, die bis auf den durch die Jacke im Schatten liegenden Schoß keine dunklen Flächen aufweist, verstärkt die Annahme eines Fensters als große Lichtquelle. Die Kameraposition befindet sich – deutlich durch die Untersicht auf die Person – unterhalb der Frau. Die Kamera zeigt ein Bild in der Halbtotale. An der Fußbodenleiste ist eine leicht nach rechts unten verlaufende Wölbung zu erkennen, die auf eine Weitwinkeleinstellung der Kamera hindeutet.

Abbildung 20: anonymisiertes Foto „mit dem Partner“ und Skizze des Gesichts im Fall Jale Öztürk

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Auf Symbolebene weist die Position der Person im Raum eine deutliche Zentrierung auf. Durch die leichte Drehung nach rechts ist die Frau etwas links von der vertikalen Bildmittellinie angeordnet. Durch den Bildausschnitt ist um sie herum recht viel Umraum zu sehen. Aufgrund der noch gut zu erkennenden Details und der Fokussierung auf die Person und nicht die Szene an sich kann jedoch von einem Hochformat in der Halbtotale gesprochen werden. Dabei ist die Frau in einer leichten Untersicht aufgenommen, wodurch die zur Kamera erhöht stehende Person einen erhabenen Eindruck auf mich macht. Das Äußere der Person wird durch die Kleidung, bestehend aus einem beigefarbenen hüftlangen Parka, einer leicht ausgewaschenen Bootcut-Jeans sowie braunen geschlossenen Lederschuhen oder -stiefeln mit fester Sohle bestimmt. Das Outfit erweckt den Anschein eines eher praktikablen jedoch keinesfalls unmodischen Stils. Vielmehr entsteht der Eindruck eines modischen Outdoor-Stils. Der Eindruck des ,natürlichen Typs‘ wird durch das offen getragene Haar, keine sichtbare Schminke sowie die bis auf die Gürtelschnalle und den Ring nicht vorhandenen Accessoires noch einmal unterstrichen. Die nicht genau zu erkennende Gürtelschnalle betont dabei in ihrer floralen Ornamentik diesen Eindruck. Der goldene schlichte Ring am Ringfinger der rechten (aus Sicht der Person linken Hand) könnte – abhängig von nationalen beziehungsweise religiösen Traditionen – als Symbol für die Verlobung oder Ehe stehen.35 Bei der Körperhaltung fällt insbesondere die Haltung der Füße und Beine ins Auge. Die Füße stehen sehr nah beieinander, sodass wenig Bodenfläche eingenommen wird und auf eine geringe Standfestigkeit in dieser Haltung schließen lässt. Die Stellung der Füße erinnert dabei an die III. Position im klassischen Ballett, auch wenn in dieser Position der vordere Fuß noch deutlicher nach links außen gedreht wird.36 Bezogen auf die Fotografie wird dabei von einer körperlichen Zitation einer an den Tanz anschließenden traditionellen Inszenierungsweisen aus dem Bereich der Frauenmode (Fotografie, Zeichnungen, Schauen, Werbung) ausgegangen. Insbesondere durch die leichte Rechtsdrehung entsteht auf diese Weise eine – im Vergleich zur frontalen Haltung mit parallel nebeneinander aufgestellten Füßen – aus Kameraperspektive schmale Silhouette, die in säulenförmiger Weise durch die sich überschneidenden Beine das Becken betont. In Kombination mit dem aufrecht gestreckten leicht nach hinten gelegten Oberkörper und dem zurückgenom-

35 Weltweit wird der Ehering überwiegend an der linken Hand getragen, wobei es durchaus auch innerhalb eines Landes regionale beziehungsweise religiöse Unterschiede geben kann. 36 Zum ersten Mal publiziert wurden die fünf Grundpositionen der Füße, welche auch heute noch im klassischen Ballett gelehrt werden, im 1700 erschienenen Buch Chorégraphie des Tanzlehrers Raoul-Auger Feuillet (vgl. Koegler/Kieser 2006: 36f.).

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menen Kopf erweckt die Haltung einen statischen Eindruck.37 Die Frau scheint sich auf dem Foto im wahrsten Sinne des Wortes zu präsentieren und dies tut sie in einer stolzen, wenngleich etwas steifen Weise. Die Assoziation der Säule führt zudem zu der Interpretation geringer Bilddynamik, die bei der Betrachtung mit dem Eindruck einer gewissen Bewegungsunfähigkeit einhergeht. Ihr zur Kamera über diese hinweg schauender Blick erscheint für mich dabei wie ein Blick ,in die Ferne‘ auf etwas im metaphorischen Sinne Größeres oder Höheres. Dies tut sie keinesfalls verängstigt, sondern – unterstützt durch die Untersicht – mit einer entsprechenden Ernsthaftigkeit des geschlossenen Mundes, dessen etwas angehobenen Mundwinkel und leicht zusammengekniffenen Augen dazu führen, dass die Darstellung nicht überheblich wirkt. Interne Kontextualisierung Zur weiteren Bearbeitung der bisher eröffneten Sehweisen auf kompositorischer wie symbolischer Ebene werden im Folgenden die bereits bekannten Hintergrundinformationen um weitere interne Kontextfaktoren ergänzt. Der Kontakt zu der abgebildeten Jale Öztürk wurde durch meine Vorstellung in einem Integrationskurs geknüpft. Auf der Suche nach Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, die selbst aus einem anderen Land nach Deutschland migriert sind und Interesse an der Teilnahme an einem Forschungsprojekt zum Thema Körper haben, erklärte sich Frau Öztürk bereit, ein Interview zu führen und an der Fotoerhebung teilzunehmen. Die untersuchte Fotografie wurde von ihr mithilfe einer durch eine fernbedienbare Kamera (Fernbedienung sichtbar in der linken Hand) selbst erstellt. Durch einen an die Kamera angeschlossenen Monitor konnte Frau Öztürk das Display der Kamera während des Fotografierens sehen. Mit der Bitte um die Darstellung typischer Körperhaltung in verschiedenen vorgegeben Situationen konnte Jale Öztürk die Fotografien betrachten und bei Missfallen wiederholen. Das näher betrachtete Foto zeigt sie in der Situation einer typischen Körperhaltung mit ihrem Partner. Sie war direkt mit dem ersten Versuch einverstanden und wollte keine weiteren Fotografien erstellen. Die im Vergleich zum Interview weniger auf sprachlichem Austausch basierende Fotoerhebung verlief dabei ohne größere Erklärungen durch die anwesende Übersetzerin. Der Hinweis auf die Veröffentlichung der Untersuchung und die Möglichkeit der Anonymisierung des Bildes schien für Frau Öztürk nicht besonders relevant, da sie meinte, dass sie ja gar nicht viel von sich berichtet habe.

37 Die statische Haltung weckt Assoziationen an Aufnahmen aus der Anfangszeit der Porträtfotografie ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Aufnahmetechnik ein längeres Stillhalten vorschrieb.

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Im Versuch der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses der Fotografin/Fotografierten Jale Öztürk erinnert die Kombination ihrer Position im Bild mit ihrer Gestik und Mimik an ästhetisch stilisierte Inszenierungen eines herrschaftlichen ganzfigürlichen Porträts (vgl. dazu Porträts von Königen in Marin 2005). Frau Öztürk präsentiert sich abgesehen von Beinen und Füßen, die leicht nach rechts gedreht sind, ,mit erhobenem Kopf‘ frontal zur Kamera. Hinsichtlich der Frage, wem sie sich so zeigen möchte, erscheint diese Inszenierung auf Ebene der Darstellung gegenüber sich selbst, als eine Form der Selbstvergewisserung, eine starke und stolze Frau zu sein, vielleicht aber auch des Wunsches, so sein zu wollen. Bezogen auf die konkrete Erhebungssituation und somit in Beziehung zu mir kann das Foto als Darstellung eines (mindestens) ebenbürtigen Gegenübers erscheinen. Bezogen auf die imaginierte Situation mit ihrem Ehemann könnten die Assoziationen zu konventionellen weiblichen Modedarstellungen der Bein- und Fußhaltung eine Rolle spielen, insbesondere erscheint aber der Eindruck eines aufrechten ,Im-Leben-Stehens‘ in der Betrachtung zentral. Auf dieser Grundlage können folgende (ikonologischen) Hypothesen aufgestellt werden: • Die Fotografie in ihrer ausgewogenen Komposition und Farbgebung erweckt in Kombination mit Körperhaltung und Mimik eine würdevolle Selbstpräsentation. • Der stolze Eindruck geht dabei mit einer geringen Dynamik in der Bildwirkung einher. Die Beinhaltung, der gestreckte Oberkörper, der erhobene Kopf und die ernste Mimik mit dem über die Kamera hinausweisenden Blick wirken statisch. Die insbesondere durch die Bein- und Fußhaltung hervorgerufene Assoziation einer Säule erscheint in ihrer Symmetrie und geringen Standfläche wenig aktiv und erweckt den Eindruck eingeschränkter Bewegungsfähigkeit, die die Frage nach den Handlungsoptionen Frau Öztürks aufwirft. • Der aufrechte zurück gebogene Oberkörper und Kopf, die ernsthafte Mimik und der zwar Richtung Kamera jedoch knapp darüber hinweg weisende Blick erscheinen in der Betrachtung nicht als eine (direkte) Kontaktaufnahme. Bezogen auf die modische Aufmachung als ,Naturtyp‘, der eher in Verbindung mit Aktivität und Unkompliziertheit gebracht wird, erscheint die würdevoll steife Haltung überraschend formell. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Frau Öztürks fotografische Selbstinszenierung mit ihrem Partner zu einem würdevollen, stolzen Auftritt bei gleichzeitiger Statik und eingeschränkter Bewegungsfähigkeit verdichten lässt. In einer auf verschiedenen Ebenen bestehenden sozialen Situation erscheint Jale Öztürk weniger als Teil einer interaktionalen Wechselbeziehung mit dem Gegenüber sondern

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sie stellt sich in ihrer Präsentation zur Schau. Dabei wird sie jedoch nicht zum betrachteten Objekt, sondern es entsteht der Eindruck als habe die betrachtende Person ,die Ehre‘, sie anschauen zu dürfen. In einem kursorischen Rückgriff auf die sechs weiteren Fotografien lässt sich die verdichtete Sehweise einer stolz anmutenden Körperinszenierung durchaus wiederfinden. So wirken die anderen stärker dynamischen Fotografien ebenfalls würdevoll auf mich. Dazu trägt auch die ernsthafte Mimik Frau Öztürks auf den Fotografien bei, die in der Betrachtung einen selbstbewussten aber auch unnahbaren Eindruck erweckt. Bei der Betrachtung entsteht das Gefühl einer überaus autonomen fotografischen Selbstinszenierung. Der in einigen Fotografien mit der Kamera aufgenommene Blickkontakt (Foto eins, zwei, vier und fünf) mutet ernsthaft an, wodurch bei der Betrachterin zwar das Gefühl des Kontakts, jedoch nicht des wirklichen Beziehungsaufbaus mit Jale Öztürk entsteht. Auf allen Fotografien steht das Zeigen der eigenen Person im Vordergrund, ohne dass der Eindruck entsteht, die Betrachtung führe zu einer Objektivierung Jale Öztürks. Geht man nun davon aus, dass sich Autonomie durch selbstbestimmtes Handeln auszeichnet, so erscheint die in der Einzelbildanalyse entwickelte Sehweise einer Handlungsunfähigkeit irritierend. Zudem wirken die anderen Fotografien – insbesondere durch das Ausführen von Handlungen – im Verhältnis dynamischer (Bild drei und vier). Dadurch könnte zum einen ein Hinweis auf eine Differenz zwischen dem vermuteten Darstellungsinteresse Jale Öztürks und der Bildwirkung bestehen. Weiterhin könnte in der typischen Körperhaltung mit ihrem Mann aber auch eine besondere Ambivalenz zum Ausdruck kommen, welche im Vergleich in den anderen imaginierten Situationen so nicht besteht. Durch die Analyse der Fotoreihe von Jale Öztürk kann von einer selbstbewussten und autonomen Körperinszenierung gesprochen werden, in der das Thema der eigenen Handlungs(un)fähigkeit bedeutsam ist. Der kommunikative Gehalt der fotografischen Selbstdarstellung ist dabei weniger interaktional im Sinne eines Austausches zu verstehen sondern zeigt sich primär als eine bewusstes sich Zeigen. 7.6.2 Interviewanalyse Jale Öztürk erklärte sich nach meiner Vorstellung in einem Integrationskurs bereit, ein Interview auf Deutsch mit mir zu führen. Zu Beginn des vereinbarten Treffens war die Kursleiterin anwesend, um bei etwaigen Unklarheiten zu helfen. Es stellte sich dabei heraus, dass das Interview wie geplant nicht auf Deutsch stattfinden konnte, da Frau Öztürk Schwierigkeiten hatte, sich ihren Vorstellungen entsprechend auszudrücken und daher nach kurzer Zeit ins Türkische wechselte. Aufgrund

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nicht vorhandener Türkischkenntnisse bei der Interviewerin sprang die Leiterin des Integrationskurses spontan als Übersetzerin ein. Aus diesem Grund bestanden keine Absprachen hinsichtlich des Übersetzungsprozederes, sodass das Vorgehen in der Situation entwickelt werden musste. Durch die anschließende Übersetzung der türkischen Passagen des Interviews ins Deutsche wurde für mich erst deutlich, in welcher Weise die Übersetzerin, die Interviewerin und die Interviewte in gegenseitiger Abstimmung aufeinander Einfluss auf die Interviewsituation genommen haben.38 Die Analyse gliedert die im Interview gemachten Aussagen von Jale Öztürk in die drei Körperthemen (1) körperliche Diskreditierbarkeit, (2) Psycho-Somatik: Verknüpfen biografischer (Gewalt-)Erlebnisse und Körperlichkeit sowie (3) elegantes Auftreten als soziale Selbstpositionierung. Körperliche Diskreditierbarkeit Zentrales Thema in dem Interview mit Frau Öztürk ist ihre juckende Hautkrankheit, die eine Woche nach dem Umzug von der Türkei nach Deutschland auftrat (12/1312/14) und seitdem in den letzten neun Monaten nicht mehr weggegangen ist. Die dadurch erlebten Einschränkungen in der Art ihren Körper zu präsentieren, empfindet Jale Öztürk als sehr belastend. Durch die Versuche, die damit verbundenen sichtbaren Anzeichen zu verstecken, erscheint sie durch die Krankheit als eine potenziell diskreditierbare Person (vgl. Goffman, Kapitel 2.4 in diesem Buch). Denn durch das Kratzen an der insbesondere in der Nacht juckenden Haut fügt Frau Öztürk sich selbst Wunden zu „und somit verletze ich mich“ (4/9). Als Reaktion auf diese belastende Situation gibt Frau Öztürk an, ihr Interesse an schöner Kleidung und Körperpflege verloren zu haben (18/34-19/3). Sie berichtet, seitdem „immer die gleichen Sachen“ (1/26-1/27) anzuziehen. Zuvor habe sie oftmals Röcke getragen, nun ziehe sie nun noch Hosen an und werde beim Anblick von Röcken sehr traurig (3/16-3/18). Laut Jale Öztürk sei ihr äußeres Erscheinungsbild nun wesentlich zurückhaltender. Sie gibt an, ihren Körper nicht mehr in dem Maße zu pflegen, sie benutze kein Make-up mehr und trage unauffällige derbe Kleidung, die sie in der Türkei niemals angezogen hätte (17/7-17/10): „da ich mir nichts anziehen konnte schminke ich mich auch nicht ich pflege mich auch nicht so wie früher=früher habe ich jeden Tag eine andere Nagellackfarbe auf meine Nägel aufgetragen heute mache ich aber nichts“ (3/1-3/4). Auch ihre Freude an schönen Nachthemden sei erloschen und sie trage nur noch Nachtwäsche aus Baumwolle (22/29-22/35).

38 Für die Übersetzung des Interviews vom Türkischen ins Deutsche danke ich Erol Hacısalihoglu (Marmara Universität Istanbul), für die finanzielle Unterstützung der Übersetzung danke ich meinem Erstgutachter Prof. Dr. Hans-Joachim Roth.

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Ihr abgeschwächtes Interesse an ihrem Äußeren kann dabei als Strategie angesehen werden, die Auswirkungen der Hautkrankheit einzuschränken. Hingegen zeigt die Problematisierung ihrer durch die Hautkrankheit veränderten Körperlichkeit wie sehr sie dadurch belastet wird. Dazu konträr und womöglich auch als eigene Reaktion auf die Darstellung des großen Einflusses der Krankheit auf ihr Leben zu verstehen, gibt sie an zwei Stellen allerdings an, ja keine „Lepra oder Pest“ (25/33, 27/25) zu haben. Dies könnte als eine Form der (Selbst)Beruhigung im Hinblick auf die Erkrankung gedeutet werden. Aufgrund der oftmals direkteren Sichtbarkeit von Hautkrankheiten beziehungsweise den Kratzstellen könnte darin somit ein Versuch bestehen, die Angst Anderer vor einer Ansteckungsgefahr abzumildern. Durch ihre Krankheit, so Jale Öztürk, interessiere sie sich nicht mehr wie andere Menschen – für die Themen Arbeit, Geld und Ausgehen. Vielmehr träume sie davon, „dass ich wieder Röcke tragen kann dass ich wieder Nagellack auftragen kann ich vermisse es gepflegt zu sein“ (22/9-22/10). Deutlich wird, dass aufgrund ihrer körperlichen Beschwerden und ihrer Reaktionen darauf ihr kranker Körper in den Mittelpunkt ihres Lebens gerutscht ist. Vorherige Selbstverständlichkeiten ihrer Körperlichkeit erscheinen für sie nun unerreichbar. Psycho-Somatik: Verknüpfen biografischer (Gewalt-)Erlebnisse und Körperlichkeit Aufgrund eines mittlerweile seit neun Monaten andauernden Juckreizes ihrer Haut habe sie zwei Ärztinnen konsultiert, so Frau Öztürk. Beide haben ihr nicht helfen können und würden keine (ausschließlich) körperliche, sondern eher eine psychische Ursache für ihre Beschwerden (27/25-27/26) vermuten. Deutlich wird, dass nicht nur das Jucken an sich, sondern die Tatsache, dass die Gründe dafür schwer zu klären sind, eine große Belastung für sie darstellen. Sie berichtet, oftmals schlecht gelaunt und aggressiv zu sein: „wenn ich weiß was ich habe dann werde ich nicht so aggressiv diese vage Situation hat mich völlig demotiviert“ (4/15-4/16). Die Vermutung der Ärztinnen einer psychosomatischen Ursache für den Juckreiz der Haut korrespondiert mit der Angabe von Frau Öztürk, dass sie psychisch belastet sei (1/13-1/14). Sie vermutet, „keine normale Interviewte“ zu sein, da sie „Probleme habe“ (8/41) und teilt der Übersetzerin mit, sich dafür bei mir, der Interviewerin, entschuldigen zu wollen (22/19-22/23), was die Übersetzerin jedoch abwendet. Als Begründung für ihre sich nun körperlich äußernden Probleme deutet Jale Öztürk Erfahrungen in ihrem Leben an, die als Ursachen für ihre psychischen Probleme in Frage kommen würden. Sie berichtet, ihr Leben lang „Probleme mit Gewalt“ (28/24), „Probleme über die sie nicht erzählen kann“ (28/24-28/25) gehabt zu haben. Sie äußert, dass, wenn sie im Interview die „Wahrheit“ sagen würde, „wahrscheinlich ein großer Skandal“ (5/35-5/36) die Folge wäre. An anderer Stelle berichtet sie von anhaltenden Problemen mit ihrer Familie, in der sie das „schwarze

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Schaf“ (6/24-6/26) sei. Diese von Frau Öztürk angedeuteten (Gewalt)Probleme (mit ihrer Familie), ihre Auseinandersetzung mit der Migration sowie das Auftreten belastender Hautprobleme zwei Wochen nach der Migration eröffnen das Bild einer in sich komplexen Situation, in der die Migration einen Aspekt bildet. Werden die Hautprobleme im psychosomatischen Sinne als eine Entäußerung bestehender Belastungen verstanden, so lassen sich Aussagen über den Einfluss der Migration darauf nur schwerlich treffen. Elegantes Auftreten als soziale Selbstpositionierung Durch den Rückblick auf ihren Körperumgang vor ihrer Migration nach Deutschland wird deutlich, dass Jale Öztürk großen Wert auf ihr Äußeres gelegt hat und vermutlich immer noch legt. Das äußere Erscheinungsbild gebe ihrer Meinung nach Hinweise auf die Person und sei demnach von Bedeutung für seine soziale Position. Eleganz und Sauberkeit sind dabei für Frau Öztürk besonders bedeutsam. So berichtet sie bei der Arbeit als Köchin in der Türkei ausschließlich Hose, Jacke, Hut und Handschuhe in Weiß getragen zu haben. Auch in der Freizeit war Sauberkeit für sie von großer Bedeutung. So lieh sie ihren Freundinnen nie ihre Kleidung, sondern kaufte das Kleidungsstück, wenn es sein musste, noch einmal für diese nach (18/35-18/37). Nach der Arbeit zog sich Jale Öztürk ihrer Angabe nach „sehr schick“ (10/30) an. Dabei spricht sie selbst an, dass ihr Rückblick auf ihr Äußeres durch die gegenwärtig unangenehme körperliche Situation geprägt ist, wenn sie sagt: „ich zog mich sehr sehr schön an (.) wenn ich mich jetzt so sehe kommt mir es sehr schön vor (.) es war damals vielleicht nicht so gut aber im Vergleich zu meiner jetzigen Situation war es sehr schön“ (10/30-10/33). Jeans stellten für Jale Öztürk in der Türkei keine adäquate Bekleidung dar, da sie „schlampig“ (11/1, 1/4-1/5) auf sie wirkten. Sie bevorzugte ihren Angaben nach gebügelte Stoffhosen aus Leinen, trug jedoch auch oft Röcke. Zudem wählte sie gerne Kleidungsstücke die ihr Dekolleté zeigen (11/15-11/18). Dabei vermutet sie, durch ihr gepflegtes Äußeres andere Menschen „sicher positiv beeinflusst“ (19/119/5) zu haben, da diese durch sie angeregt wurden, sich ebenfalls zu pflegen, zu schminken und auf ihre Kleidung zu achten. Im Rückblick fasst sie ihr äußeres Erscheinungsbild wie folgt zusammen: „ich ziehe mich schön an ich bin sehr gepflegt schön meine Haut ist sehr rein meine Haare sind so schön wie Seide“ (15/3115/33).39

39 Meine Frage, ob Frau Öztürk sich an Situationen erinnern könne, in denen ihr Körper besonders wichtig gewesen wäre, wird von der Übersetzerin durch das Beispiel Kleidung erläutert. Allerdings wird nicht angenommen, dass Frau Öztürks widerholte Bezugnahme auf das Thema Kleidung allein durch diese Engführung in der Übersetzung begründet werden kann (vgl. 10/9-15).

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Diese Selbstbeschreibung bezieht sich zum einen auf Kommentare anderer Personen über ihr Aussehen in der Zeit vor ihrer Hauterkrankung. Zum Großteil nennt Frau Öztürk diese Selbstbeschreibung jedoch auf Grundlege von beindruckten Blicken Anderer (16/2-16/4) die ihr gut tun: „ja wenn sie mich positiv angucken macht das mich glücklich besser gesagt ich werde glücklich es geht mir seelisch auch gut fühle ich mich sauber gut auszusehen ist mir wichtig sehr wichtig immer noch sehr wichtig ich habe nicht aufgegeben“ (16/17-16/20). Auf der anderen Seite berichtet Jale Öztürk auch davon, durch „böse Blicke“ (16/7-16/12) negativ beeinflusst worden zu sein. Deutlich wird, dass sie ihr Aussehen stark durch die Reaktionen Anderer definiert. Die Veränderung ihrer Körperpräsentation seit ihrer Zeit in Deutschland und somit dem Auftreten der Hautprobleme verdeutlicht sie am Beispiel der Wahl ihrer Schuhe: früher habe sie zum Ausgehen Schuhe mit hohen Absätzen und tagsüber Sandalen getragen. Zu den Schuhen, die sie zum Interview trägt, sagt sie: „jetzt ziehe ich militärische Stiefel an so etwas könnte mir vor zwei Jahren niemand anziehen war unmöglich“ (17/7-17/10). Der im Kommentar über die hohen Schuhe enthaltene Hinweis auf das Interesse an einer weiblich konnotierten Körperpräsentation wird von Frau Öztürk noch einmal konkret angesprochen wenn sie berichtet: „ich habe immer daran geglaubt eine Frau soll sich wie eine Frau kleiden und veranlassen dass sie angeguckt wird“ (18/6-18/10) und zugleich einschränkend angibt, dass sie nicht weiß, ob diese Einstellung gut oder schlecht sei. Die Vorstellung einer sich über die Blicke Anderer definierenden (weiblichen) Körperlichkeit zeigt sich auch in den Ausführungen zum engen Verhältnis von Aussehen und Selbstbewusstsein: „dein Aussehen verstärkt dein Selbstvertrauen ja als türkische Gesellschaft denken wir dass das Aussehen nicht so wichtig ist ich weiß es nicht ob es eine allgemeine Einsicht ist man sagt dass das Aussehen nicht so wichtig ist sondern innere Werte sind wichtiger bla bla bla ich glaube dass alles Palaver ist meiner Meinung nach ist das Aussehen wichtig“ (19/5-19/9).

Jale Öztürk kritisiert die in ihren Augen verlogene Annahme, dass bei einem Menschen in erster Linie die „innere Werte“ zählen und, dass das Aussehen keine beziehungsweise kaum eine Rolle spiele. Ihrer Erfahrung nach ist das Aussehen für einen Menschen von enormer Bedeutung, denn es nimmt entscheidenden Einfluss darauf, wie andere Menschen und somit auch jemand selbst sich sieht. Aus dieser vergleichenden Perspektive erscheinen ihre Hautkrankheit und die damit einhergehenden Kratzspuren auf ihrer Haut umso belastender. Bildet das Aussehen solch eine wichtige Komponente, so stellt die Krankheit und ihre Reaktion des geringeren Interesses an ihrem Aussehen eine enorme Einschränkung für ihr Leben dar.

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Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Migration als Katalysator für Veränderungsprozesse der eigenen Körperlichkeit Grund für Frau Öztürks Migration nach Deutschland ist der Wunsch, nach einer bereits länger andauernden Fernbeziehung (mindestens fünf Jahre) mit ihrem in Deutschland lebenden Ehemann zusammenzuleben. Dabei bleibt unklar, wann die beiden geheiratet haben und ob ihr Mann ebenfalls türkischer Herkunft ist – im Hinblick auf die Verständigungsmöglichkeiten ist dies jedoch zu vermuten. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt sie seit neun Monaten in Deutschland und auch wenn sie keine konkrete Kritik an Deutschland übt, so gibt sie an, sich in diesem Land nicht wohl zu fühlen: „und jetzt hier ja Deutschland ist schön“ [...] ja aber ich fühle mich begraben“ (13/17-13/19). Die Entscheidung für ihre Migration erscheint im Interview als ein längerer Prozess, indem sie die Möglichkeiten abgewogen hat, auf welche Weise die für sie unbefriedigende Situation der Fernbeziehung beendet werden könne. Die eigenständig getroffene Entscheidung der Migration wird in Jale Öztürks Darstellung – gerade auch in der Beziehung zu ihrem Mann – allerdings zu einer Form von Niederlage. Nicht Jales Mann ist für sie, sondern sie musste für ihn in ein anderes Land ohne weitere soziale Kontakte ziehen: „obwohl ich freiwillig gekommen bin beschwere ich mich immer ich akzeptiere das immer noch nicht ich wünschte dass mein Ehemann für mich gekommen wäre dass ich für ihn gekommen bin habe ich mir eingeredet als ob es mein Problem wäre“ (29/7-29/10). In der durch die Migration bedingten stärkeren Abhängigkeit von ihrem Mann der bereits seit längerem in Deutschland lebt (und vielleicht auch in Deutschland geborgen ist) und arbeitet, scheint sich Jale Öztürk nicht wohl zu fühlen. Sie gibt an, für das Zusammensein mit ihrem Mann vieles aufgegeben zu haben und nun allein zu sein. So habe sie sich kein neues Leben in Deutschland aufgebaut, sondern sich ihrem Mann angepasst, was ihrer Meinung nach nicht ihrer Persönlichkeit entspreche (9/6-9/10). Ohne Familie und Freundeskreis fühlt sich Frau Öztürk in Deutschland einsam, auf die Frage nach bestehenden sozialen Kontakten in Deutschland gibt sie an, selten auszugehen, auch wenn ihr Mann sie ständig dazu ermutige (21/11-21/12). Als Gründe für ihre belastende Lebenssituation lassen sich im Interview verschiedene vermutlich miteinander verknüpfte Aspekte ausmachen, die zu einem Gefühl der Isolation und der eingeschränkten Freiheit führen. Ihre juckende Hautkrankheit nimmt Einfluss auf ihr leibliches Erleben und ihre körerliche Präsentation. Ihr im Vergleich zu früher auf den ersten Blick geringeres Interesse an ihrem Körper kann als eine Möglichkeit verstanden werden, die Auswirkungen des Juckreizes auf ihr Leben zu verringern. Allerdings weist Jale Öztürk einschränkend darauf hin, dass sich ihre negativen Gefühle nicht erst in Deutschland entwickelt, sondern in den letzten Jahren in der Türkei bereits bestanden und sich durch die Migration verstärkt hätten. Ihr Umzug

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nach Deutschland ist somit eingebunden in ein Netz von im Interview nur angedeuteten privaten Problemen. „(E)igentlich war ich dort [in der Türkei, H.T.] in den letzten Zeiten nicht anders als hier (.) das war ein Gefühl das ich in den letzten paar Jahren gespürt habe in Deutschland wurde es stärker“ (13/30-13/23). Bereits 2001 war Frau Öztürk für drei Monate in Deutschland und gibt an, sich in dieser Zeit sehr wohl gefühlt zu haben (14/15-14/17). Über die letzten neun Monate weiß Frau Öztürk jedoch nichts Positives zu berichten, wenn sie angibt: „seitdem ich hier nach V (deutsche Kleinstadt) gekommen kann ich mich an einen Tag an dem ich mich gut gefühlt habe nicht erinnern“ (14/29-14/30). Durchaus selbstkritisch merkt sie dazu an, dass es pro Tag mindestens eine Kleinigkeit gibt, über die sie sich beschwere: „ich bin zu einer Person geworden die ständig meckert“ (14/35-14/36). Im Vergleich dazu beschreibt sie ihr Leben zwischen dem 19. und dem 29. Lebensjahr als schwierige aber sehr schöne und selbstbestimmte Zeit, die daran anschließenden Jahre mit ihrem Mann waren hingegen durch viele Probleme belastet, die Jale Öztürk nicht weiter ausführt (12/34-13/3). Die Veränderung der letzten zwei Jahre führt sie – trotz ihrer grundlegenden Annahme der Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Leben – auf Ereignisse zurück, auf die sie wenig Einfluss hatte, welche sie jedoch nicht genauer benennt (17/17-17/22). Die bezogen auf ihre Körperlichkeit eindeutige Gegenüberstellung einer guten Zeit vor und einer schlechten Zeit nach der Migration als einer „heilsamen biografischen Erinnerung“ (vgl. Rosenthal 2002) ist somit nicht möglich. Als eine Art Katalysator bildet die Migration und das damit zeitlich zusammenfallende Auftreten der Hautkrankheit vielmehr eine Etappe in einer zum Interviewzeitpunkt als negativ empfundenen Entwicklung ihres Lebens. 7.6.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Bezieht man die Analyse der sprachlichen und gestischen Körperinszenierungen Jale Öztürks aufeinander, so eröffnen sich durch das jeweils andere Material Möglichkeiten einer Konkretisierung von Aussagen. Die in der Einzelbildanalyse entwickelte Hypothese des Zugleichs von Stolz und eingeschränkter Bewegungsfähigkeit scheint die im Interview geübte Kritik an ihrer Rolle nach der Migration nach Deutschland und in der Beziehung zu ihrem Mann sowie ihrer sozialen Bezüge generell widerzuspiegeln. Die Bewegungsunfähigkeit auf dem Bild lässt sich in Verbindung mit der im Interview angesprochenen der Migration vorausgehenden längeren Phase der Probleme und dem Gefühl der Isolation und Abhängigkeit seit der Migration zu der Interpretation einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit verdichten. Die auf mich zugleich stolz wirkende fotografische Körperinszenierung scheint ihren Widerhall wiederum in den im Interview angedeuteten Autonomiebestrebun-

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gen beziehungsweise dem Autonomieerhalt Jale Öztürks nach der Migration zu finden. Das Gefühl einer Einschränkung ihrer Unabhängigkeit entsteht dabei keinesfalls durch Personen in ihrem Umfeld, sondern ist eher als eine sich mit der Migration ergebende Dynamik der (Selbst)Isolation zu verstehen. Gründe für ihre Unzufriedenheit scheint in ihrer enttäuschten Hoffnung zu liegen, ihren Mann für ein Leben in der Türkei zu gewinnen. Ihre Migration nach Deutschland erscheint aus dieser Perspektive als eine Abwertung ihrer Person. Beschreibt Frau Öztürk ihr Leben bis zu ihrem 29. Lebensjahr als selbstbestimmt, so könnte die fotografische Körperpräsentation in Bezug auf diese positiv erinnerte Zeit als eine ,heilsame‘ Selbstdarstellung gedeutet werden. Der wenig interaktional ausgerichtete kommunikative Gehalt der fotografischen Selbstdarstellung als eine bewusste Präsentation zeigt sich womöglich auch in den durchaus selbstbewussten Erzählungen ihrer eigenen Attraktivität vor Beginn ihrer Hautprobleme. Damit einhergehende Aufmerksamkeit durch Andere scheint ihr als sehr bedeutsam und bildet eine zentrale Grundlage für die Vorstellung, die Jale Öztürk von sich hat. Die zeitgleich mit der Ankunft in Deutschland auftretende Hautkrankheit strukturiert die Darstellung ihrer Körperlichkeit dabei in eine gute Zeit vor und eine schlechte Zeit seit der Migration. Sie erscheint als Auslöser für ihre gesundheitlichen Beschwerden. Allerdings ist diese Erfahrung laut Frau Öztürk in einen bereits vor der Migration beginnenden grundlegend negativ dargestellten Verlauf ihres Lebens eingebettet, sodass der Umzug nach Deutschland im Sinne eines Katalysators eine negative Verstärkung vorzunehmen scheint. Jale Öztürk zieht die Migrationserfahrung und das Leben in Deutschland demnach auch nicht als zentrales und alleiniges Erklärungsmuster für ihre gegenwärtig schwierige Situation heran. Vielmehr bezieht sie sich in Andeutungen auf seit längerem bestehende Probleme unter anderem in den Beziehungen zu ihrer Familie und ihrem Mann. Die Migration nach Deutschland bildet einen weiteren Schritt in einer für sie belastenden Entwicklung. Die insbesondere auf ihre Körperlichkeit bezogenen Veränderungen – welche von Ärzten aufgrund fehlender körperlicher Ursachen als psychosomatische Beschwerden angesehen werden – scheinen dabei ihre problematische Lebenssituation abzubilden. Anders als bei den bisher analysierten fünf Fällen stellt Frau Öztürk – fokussiert auf die im Interview angedeuteten Probleme – keine weiter gefassten gesellschaftlich-kulturellen Bezüge her. Sie scheint sich fast ausschließlich mit sich und ihren bestehenden Problemen zu beschäftigen. Aus ihren Erzählungen über ihr Leben in der Türkei geht hervor, dass sie eine gesellige Person gewesen sei und die durch ihr Äußeres ausgelöste Bewunderung und das Begehren durch Andere für sie eine zentrale Rolle gespielt hat. Aus dieser Perspektive erscheint ihre Auseinandersetzung mit ihren körperlichen sicht- und spürbaren Beschwerden als ein umso größeres Hemmnis für die Befriedigung ihres Bedürfnisses nach sozialer Anerken-

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nung. Die vor der Migration als selbstverständlich wahrgenommene körperliche Unversehrtheit und das Schmücken ihres Körpers wird in ihrer Erinnerung zum positiven Gegenteil der gegenwärtigen Situation stilisiert. Die bei Meiling und Nikita – als ebenfalls selbst migrierte Frauen – deutlich werdende große Aufmerksamkeit gegenüber dem durch die Migration neuen sozialen Umfeld und die damit einhergehenden unterschiedlich gearteten Vergleiche, welche sich auch auf Körperliches beziehen, sind bei Jale Öztürk nicht zu finden. Sie berichtet, in Deutschland letztlich über kaum Kontakte zu anderen Personen zu verfügen und sich nicht in der Öffentlichkeit zu bewegen. Von Frau Öztürk werden – ähnlich wie bei Jasemin und Hülya – explizit keine kulturellen Bezüge hergestellt. Ob die Nichtthematisierung aufgrund einer geringen Bedeutung, oder aber als Form der Vermeidung auf eine besonders starke Bedeutung hinweist ist abschließend nicht zu klären. Frau Öztürk scheint die Krankheit als ein ,Zurückgeworfensein‘ auf den eigenen Körper zu erleben, wodurch Einflüsse aus ihrem direkten Lebensumfeld weitgehend ausgeblendet werden. Anhand der Auseinandersetzung mit der eigenen körperlichen Versehrtheit 40 und der damit einhergehenden sozialen (Selbst)Stigmatisierung, wird wiederholt deutlich, wie stark das Bild vom eigenen Körper sozial hergestellt wird. Die erfahrene Belastung durch die juckende Hautkrankheit verdeutlicht die Bedeutung des Äußeren für das eigene Verständnis des Selbst.

elegantes Auftreten als soziale Selbstpositionierung

körperliche Diskreditierbarkeit

Migration als Katalysator für Veränderungsprozesse eigener Körperlichkeit zwischen Selbstbehauptung und Erleiden Psycho-Somatik: Verknüpfen biographischer (Gewalt-) Erlebnisse und Körperlichkeit

Abbildung 21: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Jale Öztürk

40 Das Thema der körperlichen Versehrtheit spielt in den Interviews bisher keine große Role. Nur Nikita spricht im Rahmen des Themas Arbeit an und mit dem Körper Rückenprobleme aufgrund der starken körperlichen Belastung in der Gastronomie und der Altenpflege an. Anders als bei Frau Öztürk steht bei Nikita allerdings die Darstellung ihrer Körperkontrolle und nicht die eigene Verletzlichkeit im Mittelpunkt.

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Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Aufgrund der zum Ausdruck kommenden hohen psycho-somatischen Belastung eröffnet der Fall Frau Öztürk eine neue Perspektive auf den Forschungsgegenstand. Die im Interview dargelegte zentrale Bedeutung der eigenen Körperpräsentation für ihre Selbst- und die vermutete Fremdwahrnehmung machen ihre Hautprobleme zu einem großen Risiko für Diskreditierungen. In Anbetracht der von Jale Öztürk geäußerten Belastung, ihren eigenen Ansprüchen an ein angemessenes Äußeres nicht gerecht zu werden, scheinen sich die mit der Migration zeitlich zusammenfallende psycho-somatische Hauterkrankung sowie ihr sozialer Rückzug gegenseitig zu bedingenden. Im Folgenden soll nicht explizit nach einer Frau gesucht werden, die unter psychisch-körperlichen Beschwerden leidet. Entsprechend des Theoretical Samplings sollen weiterhin Frauen für die Studie gewonnen werden, die selbst migriert sind und womöglich Selbstpositionierungen jenseits von Körper-KulturVergleichen vornehmen.

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7.7 S ICH FLEXIBEL IN ( ETHNISIERENDEN ) D EUTUNGSMUSTERN DES K ÖRPERLICHEN F ALLSTUDIE L EYA

BEWEGEN



Kurzporträt Leya41 wird 1981 im Libanon geboren. Sie hat einen älteren Bruder und zwei jüngere Geschwister. Mit sechs Monaten besucht Leya einen Kindergarten, mit drei Jahren kommt sie in eine islamische Privatschule, die ihre Mutter leitet. Leya überspringt eine Klasse und nimmt nach dem Abitur 1998 auf Wunsch ihrer Eltern parallel zwei naturwissenschaftliche Studiengänge an verschiedenen Universitäten auf. Im Rahmen ihres Physik-Studiums in englischer Sprache erhält sie ein Stipendium und kommt 2001 nach Deutschland. 2002 bricht Leya ihr Studium ab, lernt Deutsch und macht ihr deutsches Abitur. Anschließend absolviert sie ein Praktikum im Designbereich und nimmt 2007 ein Designstudium an einer deutschen Hochschule auf. Ihre drei Geschwister leben ebenfalls in Deutschland, ihre Eltern leben weiterhin im Libanon. 7.7.1 Fotografieanalyse Im Folgenden wird eine komparative Bildanalyse der zwei zur Verfügung stehenden Fotografien „Treppe“ (A) und „Kopf“ (B) vorgenommen (Bildauswahl).

Abbildung 22: Fotografien „Treppe“ und „Kopf“ im Fall Leyla

Externe Kontextualisierung Einer ersten externen Kontextualisierung zur Folge sind beide Fotografien für ein Forschungsprojekt zum Themenkomplex „Körper und Migration“ von der Abgebildeten bereitgestellt worden. Für die Teilnahme an der Untersuchung wurden junge Frauen gesucht, die nach Deutschland eingewandert sind. Die Fo-

41 Weiblicher Vorname, dessen Herkunft vermutlich französisch oder spanisch ist.

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tografien stammen aus dem Privatbesitz der Frau und können hinsichtlich Ort und Zeit der Aufnahme nicht näher eingeordnet werden. Entsprechend der in Kapitel eins bis drei erarbeiteten theoretischen Perspektive wird in der Bildinterpretation besonderes Augenmerk auf die Person in ihrer gestischen und mimischen Darstellung wie in ihrer äußeren Erscheinung gelegt. Der sie umgebende Bildraum wird dabei hinsichtlich der Position der Person im Bild relevant. Es wird davon ausgegangen, dass die Interpretation der fotografischen Inszenierung der Person (im Austausch mit der Fotografin/dem Fotografen) Rückschlüsse auf ihre inkorporierten sozialen Erfahrungen ermöglicht. Die vorikonografische Bildbeschreibung beginnt mit der Fotografie „Treppe“. Auf dreidimensionaler Ebene ist eine dunkel gekleidete Frau, die Untersuchungsteilnehmerin, bis zu den Knien vor einem hellen Hintergrund zu sehen. Der Hintergrund des Bildes im Querformat wird vollständig von hellgrauen Stufen vermutlich einer Steintreppe ausgefüllt. Die waagerecht verlaufenden Linien können als Setzund Trittstufen erkannt werden und fallen leicht nach links unten ab. In der rechten oberen Ecke ist die Treppe durch eine Steinwand begrenzt, die wiederum mit stuckartigen Reliefs versehen ist. Auf dem Bild sind zwei graue Metallstäbe zu erkennen, die rechtwinklig zu den Stufen ein graues dem Treppenverlauf folgendes Geländer halten. Am unteren Bildrand ist mittig eine auf den Stufen sitzende Person im leicht nach rechts gedrehten Viertelprofil zu sehen. Der Bildmittelpunkt liegt auf ihrem Kinn. Durch den Bildausschnitt sind ihre weit geöffneten Beine bis kurz unterhalb ihrer Knie sichtbar. Ihr Oberkörper ist etwas nach vorne gebeugt, ihre seitlich vom Oberkörper verlaufenden Oberarme sind an den Ellenbogen leicht nach außen gerichtet. Ihre Unterarme liegen rechtwinklig auf den Oberschenkeln auf, sodass sich ihre Handoberseiten an den Innenkanten treffen und zwischen ihren Beinen herabhängen. Dabei liegt der Zeigefinger der linken Hand über dem rechten Zeige- und Mittelfinger, wobei die Hände bis zum unteren Bildrand nur bis zu den mittleren Fingergelenken auf dem Foto sichtbar sind. Ihr im Viertelprofil dargestellter Kopf ist aufrecht, durch den vorgebeugten Oberkörper jedoch etwas nach unten geneigt. Ihr Blick ist leicht zur rechten Seite in Richtung der Kamera gerichtet. Die Winkel des geschlossenen Mundes sind nach oben gezogen. Die Frau trägt ihr dickes schwarzes glattes Haar kurz geschnitten. Dabei ist die recht lange Ponypartie in einem linken Seitenscheitel nach rechts über die Stirn gezogen. Vor dem linken Ohr ist eine spitz zulaufende Kotelette zu erkennen, das Nackenhaar ist kurz geschnitten. Sie hat dunkle Augenbrauen und Augen. Die Person trägt eine dunkle Brille mit schmalen ovalen Gläsern und breiten Bügeln. Um den Hals ist ein Schal aus einem dünnen schwarzen Stoff geschlungen, dessen eines Ende entlang der linken Seite ihres Halses nach unten bis auf ihre Brust fällt. Der Kragen ihrer dunklen offen getragenen Strickjacke ist um den Schal

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nach oben aufgestellt. Zu beiden Seiten des Reißverschlusses der Jacke sind fünf Knöpfe zu sehen. Unter der Jacke trägt die Frau ein geknöpftes Hemd mit einem blau-gelb-weißen Karomuster. Durch die offen getragenen oberen Knöpfe wird ein schmales Dreieck ihres Halses sichtbar. Die Frau trägt (zumindest wadenlange) leicht verwaschene Bluejeans. Um das linke nach unten abgeknickte Handgelenk trägt sie ein locker sitzendes dünnes Armband in einer dunklen Farbe. Am rechten Handgelenk ist – größtenteils verdeckt durch den Jackenärmel – der Rand des Gehäuses einer Armbanduhr zu erkennen. Hervorgerufen durch die Farbgebung lassen sich als dominante Bildlinien, die sich durch die Haltung der Person am unteren Bildrand bilden, die Schenkel eines Dreiecks ausmachen, das mittig auf der vertikalen Bildmittellinie liegt, sodass ein symmetrischer Bildeindruck entsteht. Die farbliche Gestaltung des Bildes ist in einem starken Hell-Dunkel-Kontrast recht einheitlich zu beschreiben. Die primär dunkle Figur im Vordergrund hebt sich vom hellen Hintergrund deutlich ab (vgl. Arnheim 1978, 223ff.). Einzig das im Vordergrund befindliche Gesicht und die Hände sind ebenfalls hell und stellen somit eine Verbindung zum Hintergrund her. Die dunkelblaue Hose und das blaugelbweiße Muster des Hemdes setzen dabei farbige Akzente. Bezogen auf die Licht- und Schattenverhältnisse ist der Hintergrund der Abgebildeten gut ausgeleuchtet, die Farbgebung der Setz- und Trittstufen sowie die Reflexion auf dem Geländer weisen auf einen gestreuten Lichteinfall von oben hin. Die Fotografie ist vermutlich im Freien aufgenommen worden. Die nicht belichtete Person im Vordergrund erscheint etwas unscharf. Die Kameraposition befindet sich links von der Person und zeigt eine leichte Aufsicht auf diese. Durch die Kombination von recht viel Hintergrund und einem deutlichen Anschnitt der zu sehenden Person erscheint das Bild als ,angeschnittene Halbtotale‘.

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Abbildung 23: anonymisiertes Foto A „Treppe“ und Skizze des Gesichts im Fall Leya Gegenüber der Fotografie „Treppe“ lässt sich die Fotografie „Kopf“ in dreidimensionaler Hinsicht in drei Ebenen unterteilen. Einen Hintergrund, eine mittlere Ebene, auf der eine bis zum Brustansatz sichtbare Person zu sehen ist, und einen Vordergrund mit einer auf der rechten Seite befindlichen sie zum Teil verdeckenden Fläche. Der Bildmittelpunkt der Fotografie im Querformat befindet sich zwischen den Augen der abgebildeten Frau. Fast das gesamte Bild ist unscharf, sodass die im Folgenden beschriebenen Bildinhalte weiche Konturen aufweisen. Die linke Bildhälfte wird zum Großteil durch den Hintergrund bestimmt, der sich aus verschiedenen unscharfen Formen in schwarz, weiß und Grautönen zusammensetzt. Am linken Bildrand ist vermutlich ein Fernseher zu sehen. Auf dem Fernseher steht eine kleine quadratische dunkle Box. Rechts neben beziehungsweise aus Kameraperspektive hinter dem Fernseher ist ein höherer Gegenstand, vermutlich ein an den Seiten geschlossenes Regal mit quadratischen Fächern zu erkennen. Durch Hell-Dunkel-Kontraste wird deutlich, dass in den zwei sichtbaren Regalfächern und auf dem Regal runde und rechteckige Gegenstände liegen. Auf der

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rechten Bildhälfte ist als Hintergrund oberhalb beziehungsweise rechts von dem davor befindlichen Kopf eine helle Fläche zu erkennen, gegen die sich der dunkle Hinterkopf der Person auf der mittleren Ebene des Bildes abhebt. Die Person ist im rechten Viertelprofil abgebildet. Sie trägt ihr dunkles Haar kurz geschnitten, einzelne Strähnen fallen ihr über Stirn und Augenpartie. Ihre Augenbrauen und Wimpern sind ebenfalls dunkel. Dabei ist das nur undeutlich zu erkennende der Kamera zugewandte Gesicht leicht nach links unten geneigt, der Blick des rechten sichtbaren Auges verläuft dabei nach rechts in Richtung Kamera. Die Schultern sind bis zum Brustansatz sichtbar und ebenfalls leicht nach links gedreht. Über die Schultern sind breite helle Träger eines Kleidungsstückes zu erkennen, an deren Außenseiten dunkle Streifen, vermutlich eines darunter hervorschauenden Trägers sichtbar werden. Die Konturen des Kopfes sowie der Hals- und Schulterpartie sind auf der linken Seite undeutlich verschwommen, auf der rechten Seite lösen sich die Konturen in einer gepunkteten Strukturierung auf. Einzig die Kante der im Vordergrund am rechten Bildrand sichtbaren nach oben leicht schmaler werdenden Fläche (ggf. eine Wand, ein Fenster- oder Türrahmen) ist scharf und hebt sich deutlich vom hellen Hintergrund ab. Als dominante Linien im Bild können der schwarze dunkle Streifen am rechten Bildrand und die imaginierte Diagonale entlang der Gegenstände im Bildhintergrund genannt werden, wobei die Diagonale der Fotografie eine gewisse Tiefe gibt. Aufgrund des runden Hinterkopfes, des runden Gegenstands auf dem Regal sowie des ein Fach tiefer liegenden zumindest in seiner Überbelichtung als rund erscheinenden kleinen Gegenstands zeigt sich eine asymmetrische ineinander greifende Strukturierung von Linien sowie größeren und kleineren runden Formen. Bis auf Hell-Dunkel-Kontraste weist die Fotografie keine deutlichen Farbkontraste auf. Vorwiegend in Grautönen gehalten, erscheint einzig die Hautfarbe der abgebildeten Person sowie der untere Teil des im Hintergrund auf dem Regal stehenden bräunlichen Gegenstands als davon abweichende Flächen ohne große Farbintensität. Dabei ist das Verhältnis von Licht und Schatten in diesem Bild zentral. Durch die hinter der Person liegende großflächige Lichtquelle, gegen welche die dadurch zum Teil überbelichtete Fotografie aufgenommen wurde, liegt das der Kamera zugewandte Gesicht im Schatten. Da Gegenstände bei hellem Gegenlicht vor dem Auge verschwimmen, bildet eine in ein Gegenlicht aufgenommene Fotografie keine ,natürliche‘ Sehsituation ab; es wird vielmehr ein abstrakter Eindruck hervorgerufen. Von der im Hintergrund befindlichen helle Fläche – vermutlich einem Fenster – geht ein stark gestreutes diffuses Licht aus, das Reflexe auf den Gegenständen in der linken Bildhälfte auslöst. Die Kamera befindet sich links von der Person und scheint – erkennbar an den leicht nach rechts gekippten Linien der Gegenstände im Hintergrund sowie der Fläche am rechten Bildrand – eine Untersicht auf die Person einzunehmen. Durch den

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Abstand der Kamera wird eine ausschnitthafte Detailaufnahme gezeigt. Dabei weist das Bild unabhängig davon, ob es sich um helle oder dunkle Flächen handelt, eine grundsätzliche Unschärfe auf, die ein Hinweis auf eine zu geringe Beleuchtung und/oder eine verwackelte Fotografie sowie auf eine falsche Einstellung der Blende sein kann.

Abbildung 24: Foto B „Kopf“ im Fall Leya Auf symbolischer Ebene weist die Fotografie „Treppe“ (A) bezogen auf die Position der Person im Raum eine symmetrische Zentralität auf, die zum unteren Bildrand verschoben ist. Auffällig ist dabei der aus einer Steintreppe bestehende Hintergrund des Bildes. Die Bildtiefe ergibt sich einzig durch die links vor der Person befindliche Kamera, die durch die so von links unten nach rechts oben verlaufenden Treppenstufen eine Perspektivität in das Bild bringt. Unterstützt wird die Erfassung der Perspektivität des Bildes durch den Lichteinfall auf die Treppenstufen. Dabei erweckt die Treppe durchaus unterschiedliche Assoziationen. So kann eine Treppe nach oben führen, die Vorstellung, dass es ,bergauf geht‘ und man die ,Stufen des Erfolgs‘ erklimmt, erwecken dabei positive Assoziationen. Geht es jedoch ,abwärts‘ so entsteht der Eindruck von Misserfolg und Unglück. Im symbolischen Sinne ist eine Treppe somit als überaus ambivalentes Gebilde zu verstehen. Das Sitzen auf einer Treppe weckt zudem die Vorstellung des Dazwischen. So bilden Treppen Verbindungsstücke zwischen einem Oben und einem Unten, sie führen in beide Richtungen irgendwo hin und überbrücken dabei einen Höhenunterschied. Sitzt man auf einer Treppe kann es theoretisch weiter nach oben, jedoch auch weiter nach unten gehen – alle Optionen sind offen. Durch den Bildausschnitt lassen sich diese Optionen eines Oben und Unten der Treppe jedoch nur vermuten. Dadurch, dass sie den gesamten Hintergrund der Person im Bild einnimmt, wirkt die Treppe

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sehr dominant. Verstärkt wird der Eindruck durch die Art der Treppe. Repräsentative Treppen, wie das aus Stein bestehende verzierte Exemplar, werden in der Architektur verwendet, um die Bedeutung eines oberhalb der Treppe befindlichen Gebäudes hervorzuheben. Als Betrachterin blickt man durch die erhöhte Stellung erst einmal in der Untersicht nach oben hinauf, ein Sitzen auf solch einer repräsentativen Treppe eröffnet den Eindruck einer in seiner Lässigkeit machtvollen Darstellung. Womöglich wird auch das Bild von auf solchen Stufen verweilenden Touristen hervorgerufen. Hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes lassen sich auch die Kleidung und Frisur der Frau als „lässig“ bezeichnen. Das Muster des Oberteils erinnert an ein ,Cowboyhemd‘, was mich spontan an ein männlich konnotiertes Kleidungsstück denken lässt. Auch die ,Pilz-Frisur‘ lässt sich in diesem Sinne nicht eindeutig geschlechtsstereotyo zuordnen. Die Körperhaltung der auf der Treppe sitzenden Frau zeichnet sich durch ihre geöffneten Oberschenkel und ihre darauf liegenden Unterarme aus. Ihre Hände hängen mit den Handoberseiten nach vorne zwischen den Knien herab. Die Schulter-, Arm- und Handhaltung wirkt für sich allein betrachtet kraftlos und passiv, da die Hände nichts halten könnten (vgl. Pasquinelli 2007, 40ff.). In Kombination mit den nach außen gerichteten Ellenbogen und der Kopfhaltung entsteht jedoch kein passiver, sondern vielmehr ein entspannter Eindruck. Die deutlich geöffneten und somit raumeinnehmenden Oberschenkel erwecken den Eindruck selbstbewusster Präsenz, zumal ein Erheben aus dieser Position nicht schnell möglich ist. Der zur linken Seite gerichtete Blick „aus den Augenwinkeln“ erscheint in Kombination mit dem bei geschlossenem Mund vorgenommenen Lächeln schelmisch oder verschmitzt. Ein Eindruck der noch einmal durch die leichte Aufsicht der Kamera unterstrichen wird. Die Person nimmt somit Kontakt auf, eine vollständige Drehung des Kopfes und somit die ungeteilte und andauernde Aufmerksamkeit wird der Betrachterin jedoch nicht zuteil. Zudem ist die Abwendung des Blickes auf diese Weise schneller möglich, was den flüchtigen Eindruck unterstreicht. Auf der zweiten Fotografie „Kopf“ (B) fällt auf symbolischer Ebene auf, dass die dunkle Fläche am rechten Bildrand die rechte Schulter der Person verdeckt. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, als würde sie hinter etwas hervorschauen, da sie sich nicht ganz zeigen will oder darf. Ein Anlehnen an die Wand kann dabei einerseits als Darstellung von Schwäche, aber auch von Lässigkeit gedeutet werden. Nicht ausgeschlossen ist dabei, dass die Fotografie eine Aufnahme eines Spiegelbildes darstellt. Handelt es sich bei der dunklen Fläche am rechten Bildrand jedoch nicht um einen Spiegel- sondern einen Fenster- oder Türrahmen, so wirkt es, als ob die Fotografie durch eine Scheibe aufgenommenen wurde. Die Person kann durch die damit angesprochene „abgeschirmte Teilnahme“ (vgl. Goffman, 1981, 275) an

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einer Situation teilhaben, ohne direkt ansprechbar oder kontrollierbar zu sein. Auf diese Weise hervorgerufene Eindrücke zwischen Abgrenzung und Nähe scheinen in der Fotografie miteinander verbunden, wobei unklar bleibt, wer eigentlich wen anschaut. Unterstrichen wird das ,Spiel‘ mit Subjekt/Objekt-Positionen durch Assoziationen zu der körnigen Struktur auf der rechten Seite. Wurde das Foto durch eine Scheibe aufgenommen, könnte es sich dabei um Regentropfen auf einer Fensterschiebe handeln. Wird wiederum davon ausgegangen, dass es sich bei der Fotografie um die Aufnahme des eigenen Spiegelbildes durch die Frau selbst handelt, wird die Fotografie zu einem Selbstporträt. Die körnige Struktur auf der rechten Bildseite würde demnach blinde Stellen eines Spiegels zeigen. In dieser Sehweise müsste der Blick der Frau nicht nur als Kontaktaufnahme mit der Kamera, sondern auch mit sich selbst verstanden werden. Die damit einhergehende große Selbstaufmerksamkeit dieser unscharfen Detailaufnahme erscheint intim. Der bei der Betrachtung entstehende Eindruck großer Nähe wird auf diese Weise zu einem Moment des Selbstbezugs. Die äußere Erscheinung der Person lässt sich aufgrund der Unschärfe und des Ausschnitts nur vermuten. Festzuhalten ist, dass es sich bei der Untersuchungsteilnehmerin um eine dunkelhaarige Person mit kurzem Haar handelt. Die ihr in die Stirn und über das rechte Auge fallenden Haarsträhnen erwecken einen etwas verwegenen Eindruck. Die Person trägt ein helles Hemd mit breiten Trägern. Durch die sich daneben/dahinter abzeichnenden dunklen Träger, zum Beispiel eines Unterhemdes oder BHs entsteht ein legerer oder auch intimer Eindruck. In Kombination mit Kopfhaltung und Mimik des nach unten gezogenen Kinns und dem somit nach oben zur Kamera aufschauenden Blicks wird der Eindruck einer womöglich schuldbewussten, vielleicht aber auch trotzigen und/oder kokettierenden Kontaktaufnahme geweckt. Das heruntergezogene Kinn lässt sich dabei durchaus im Sinne eines Schutzes des Halses verstehen, der direkte Blick eröffnet dabei zugleich den (wie auch immer gearteten Austausch) mit dem Gegenüber. Interne Kontextualisierung Die durch eine interne Kontextualisierung hinzugezogenen Informationen zu Entstehungs- und Verwendungskontext der Fotografien können nur zum Teil beantwortet werden. Die Fotografien wurden aus dem Privatbesitz der abgebildeten Person Leya zur Verfügung gestellt. Der Kontakt zwischen mir und Leya entwickelte sich über einen Bekannten, der meinte, dass die Suchanfrage auf Leya zutreffe. Mithilfe des Anschreibens informierte mein Bekannter darüber, dass ein Interview geführt und die Teilnehmerinnen zudem selbst Fotos von sich erstellen sollen. Bereits bei der ersten telefonischen Kontaktaufnahme teilt Leya mir mit, dass sie zu einem Interview, jedoch nicht zu den Fotoaufnahmen bereit sei. Sie bot jedoch an, als Ersatz Fotografien von sich zur Verfügung zu stellen. Sie

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schickte mir die beiden vorliegenden Fotografien ohne genauere Angaben zum Entstehungskontext. In Anbetracht der Tatsache, dass Leya die zwei Fotografien aus einer vermutlich großen Auswahl an privaten Fotografien für die Untersuchung zur Verfügung gestellt hat, wird davon ausgegangen, dass Rückschlüsse auf eine in ihren Augen gelungene fotografische Körperinszenierung möglich sind. Womöglich erschien Leya die Verwendung bereits vorliegender Fotografien besser kontrollierbar als die Vorstellung, zusammen mit mir Fotos von sich zu erstellen. In der Annahme, dass Fotografie A nicht von Leya und Fotografie B möglicherweise von ihr erstellt wurde, wird im Folgenden weniger die vermutete Intention der nicht bekannten Fotografin beziehungsweise des Fotografen zum Thema sondern Leyas Darstellungsinteresse auf den Fotografien und die möglichen Gründe für deren Auswahl rekonstruiert. In ihrer formalen Gestaltung erscheint die Fotografie A („Treppe“) durch den am unteren Bidlrand untypischen Anschnitt der Person in Kombination mit dem gewählten Hintergrund uneindeutig. Aufgrund der Tatsache dass weder Gepäck noch weitere Personen auf der Treppe zu sehen sind wirkt das Foto weniger wie ein Touristenfoto sondern wie eine bewusste Inszenierung. Auf diese Weise tritt die allgemeine Symbolik der Treppe als ein in diesem Fall repräsentatives architektonisches Gebilde in den Vordergrund. Leya hat ein Foto gewählt, auf dem sie mit einem gewissen ästhetischen Anspruch an einem prachtvollen Ort abgebildet ist. Dieser führt jedoch nicht zu einer förmlich verhaltenen Darstellung, sondern sie zeigt sich an diesem Ort in einer lockeren und entspannten Haltung und mit amüsiertem Gesichtsuasdruck. Leya zeigt, dass sie sich an einem besonderen öffentlichen Platz entspannt zu bewegen weiß. Auch wenn es sich möglicherweise um ein Urlaubsfoto handelt – so bedurfte dieses eines gewissen stilistischen Arrangements. Durch die in der Fotografie B („Kopf“) angewendeten stilistischen Mittel wird vermutet, dass es sich ebenfalls um eine bewusst im künstlerischen Sinne verstandene Fotografie handelt. Es scheint, also ob jemand ein interessantes Foto machen wollte, um auf diese Weise sein künstlerisch-ästhetisches Interesse beziehungsweise Niveau zu zeigen. Unabhängig davon, ob es sich um eine bewusste Komposition oder um ein Zufallsprodukt handelt, fällt die Unschärfe der gesamten Fotografie ins Auge: die Aufmerksamkeit der Betrachterin wird weder durch scharf gestellte dunkle oder hellen Flächen gelenkt.42

42 Werden die hellen Flächen scharf dargestellt, weisen die dunklen Flächen keine Zeichnung auf sondern sind in der Regel einfach schwarz, werden die dunklen Flächen scharf gestellt, so erscheinen diese detailreich und in sich abgestuft, die hellen Flächen sind deutlich überbelichtet und blendend weiß .

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Für die Fotografie „Treppe“ können folgende (ikonologische) Hypothesen formuliert werden: • Bildausschnitt und Kameraperspektive ermöglichen keine konkrete Kontextualisierung der Fotografie, vielmehr erscheint die Treppe als ein stilistisches Element und weniger als ein konkreter Ort. Als repräsentatives Objekt bildet sie eine luxuriöse Umgebung, die Leyas lockere Darstellung noch einmal zu betonen scheint. Vertraut mit einer solchen Umgebung, nimmt sie Kontakt zur Kamera auf und lächelt verschmitzt, was ihre Präsentation selbstbewusst erscheinen lässt. • Zwischen Aufmerksamkeit und Desinteresse scheint Leya ein ,Spiel‘ mit dem Gegenüber aufzunehmen. Sie zeigt durch ihre entspannte Darstellung, dass sie sich solche Uneindeutigkeiten ,leisten‘ und mit ihnen umgehen kann. Für die Fotografie „Kopf“ lassen sich folgende hypothetische Aussagen festhalten: • Wird davon ausgegangen, dass die Auswahl eines arrangierten Porträts als Ausdruck des eigenen ästhetischen Empfindens gedeutet werden kann, so schließen sich Überlegungen zur Inszenierung milieuspezifischer Wahnehmungsweisen an. Es entsteht der Eindruck, dass Leya die Fotografie nicht in einem alltäglichen Sinne als Dokumentation ansieht, sondern in ihrem ästhetischen Wert an sich anerkennt. • Die im Bild zum Ausdruck gebrachte und in ihrer Spannung zwischen Betrachten und Betrachtetwerden bestehende dynamische Interaktionssituation verweist auf eine – zum Teil wohl bewusst herbeigeführte, zum Teil zufällig entstandene – Unbestimmtheit fotografischer Inszenierung. Leya erscheint dabei keinesfalls als eine den Blicken Anderer ausgesetzte Person, sondern präsentiert sich als jemand, der sich aktiv am ,Spiel‘ Interaktion beteiligt. Ihr von unten nach oben in die Kamera gerichteter Blick ist dabei in sich vieldeutig, jedoch nicht als unsicher oder ängstlich zu interpretieren. • Durch die Unschärfe entsteht bei mir der Eindruck eines unklaren Verhältnisses zwischen Leya und der Kamera: Zwischen einer durch die Detailaufnahme bestehenden Nähe und dem gleichzeitig durch die Unschärfe hervorgerufenen Gefühl von Distanz entsteht die Frage, wer eigentlich wen betrachtet. Die Fotografie ermöglicht weder auf technischer noch auf inhaltlicher Ebene eindeutige Zuordnungen. Vielmehr erweckt das Bild den Eindruck eines Experiments mit bewusst künstlerischen Bezügen. In der konkreten technischen Umsetzung eröffnet die Kombination von Unschärfe, Überbelichtung und Bildausschnitt bei der Betrachtung jedoch eine durchaus ambivalente Wirkung, die womöglich als Hin-

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weis auf eine bemühte jedoch nur unzureichende technische Umsetzung der zugrundeliegenden Bildidee gedeutet werden kann. Im Vergleich beider Bildanalysen wird deutlich, dass die im ersten Eindruck sehr unterschiedlichen Bilder gestalterische Gemeinsamkeiten aufweisen. So konnten in beiden Fotografien hinsichtlich ihrer formal-kompositorischen Gestaltung Stilelemente rekonstruiert werden, welche die Fotografien als bewusste künstlerischambitionierte Produkte erscheinen lassen – auch wenn die technische Umsetzung nicht vollständig kontrolliert erscheint. Die Auswahl der Bilder ermöglicht Rückschlüsse auf das Präsentationsinteresse Leyas als eine Person mit ästhetischem Gespür. Ihre vorgenommene Bildauswahl präsentiert eine Ästhetik, die als Dar- beziehungsweise Herstellung ihrer Zugehörigkeit zu einem ästhetisch geschulten (bildungsnahen) gesellschaftlichen Milieu gedeutet werden kann. Aus dieser Perspektive ergeben sich auch hinsichtlich der mit den gestalterischen Elementen verknüpften Bildinhalte erkennbare Überschneidungen. Beide Fotografien weisen Elemente eines spielerisch gestalteten Nichtfestlegens auf. So nimmt Leya in beiden Fotografien Blickkontakt mit der Kamera auf, zugleich lassen sich jedoch auch distanzierende Elemente ausmachen. Dabei entsteht der Eindruck, als genieße sie die Aufmerksamkeit des Gegenübers in ihrer Rolle als selbstbewusste Akteurin. Keinesfalls scheint sie sich im ,Spiel‘ von Uneindeutigkeiten zu verfangen. Die kontrastierende Bildanalyse verweist auf die Inszenierung einer aktiven durchaus statusbewussten, jungen Frau die es sich leisten kann, Teil spielerischer von Uneindeutigkeiten durchwobenen Interaktionen zu sein. 7.7.2 Interviewanalyse Leyas Aussagen im Interview werden mithilfe des Kodierparadigmas in Form der folgenden acht Körperthemen strukturiert: (1) „diese Schule hat alle Farben in uns getötet“, (2) Diskrepanz zwischen ,erwachsenen‘ Körperveränderungen und ,kindlichem‘ Gefühl in der Pubertät, (3) Migrieren als ,normalisierender‘ Schritt für die sexuelle Orientierung, (4) ästhetisches Wahrnehmen als kulturelle Empfindung, (5) der körperliche ,Marktwert‘, (6) körperliche Versehrtheit und Optimieren des Körpers, (7) kulturell markierte Körperkontrolle sowie (8) als „schwarzer Punkt“ auffallen. „diese Schule hat alle Farben in uns getötet“ Leyas Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend im Libanon sind geprägt von schulischen Restriktionen im Hinblick auf ihre Möglichkeiten der Körperpräsentation. Sie berichtet, dass sie zwischen ihrem dritten und 17. Lebensjahr eine Uniform

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habe tragen müssen (1/21-1/22, 2/13-2/16): Als Schülerin einer islamischen Privatschule, die durch ihre Mutter geleitet wurde (1/19-1/20), trug Leya ein langärmeliges Hemd, eine lange Hose und darüber ein hochgeschlossenes Kittelkleid (6/307/5). Die Uniform war laut Leya grau wie in einem „Knast“ oder einer „Klosterschule“ (7/21-7/22). Zudem mussten Brillengestelle eine dunkle Farbe haben (7/36), die Fingernägel mussten kurzgeschnitten sein und zur Kontrolle vorgezeigt werden (7/35), es waren keine Ohrringe erlaubt (7/36) und die Haare waren aus dem Gesicht gebunden zu tragen (2/18). Diese von Leya genannten Vorschriften wurden von ihr als sehr streng empfunden. Sie gibt an, die Kleidung nicht gemocht zu haben (7/9), weshalb sie versucht habe, sich immer wieder durch Kleinigkeiten gegen diese Vorschriften und damit auch ihre Mutter aufzulehnen. Als ein Beispiel nennt sie das Kürzen ihres Schulkleides durch ihre Tante (7/6-7/8). Zudem habe sie sich die Augenbrauen rot gefärbt, weswegen ihre Mutter sehr wütend wurde und durch Leyas Onkel wieder beruhigt werden musste (7/38-8/2). In Leyas Augen achtete ihre Mutter als Leiterin der Schule dabei besonders genau auf das Auftreten ihrer Töchter (8/8-8/10). Ihren Vater beschreibt sie demgegenüber als locker, wobei insbesondere Mädchen „Blödsinn“ machen durften und die Jungen früher Verantwortung übernehmen sollten (8/13-8/21). Leya berichtet, dass ihre kleinere Schwester sich im Vergleich zu ihr noch weitaus stärker gegen die Schulvorschriften auflehnte, die Schule letztendlich verlassen musste und auf eine Schule ohne Uniformpflicht wechselte (8/24-8/27). Leya erinnert sich, dass sie sich demgegenüber in ihrer Freizeit als Jugendliche offener kleidete. Am Strand trug sie Bikini und ansonsten kurzärmelige Hemden mit tieferem Ausschnitt. Röcke oder Hosen durften allerdings nicht zu kurz sein, um keine „bösen Blicke“ (7/24-7/30) zu erhalten. In der Rückschau stellt Leya die Vermutung an, dass sie durch die Schulvorschriften bedingt zu ihrem klassischen wenig farbigen Kleidungstil als Erwachsene gefunden habe, der letztendlich nicht zu ihrem Charakter passe: „manchmal hab ich das Gefühl dass ich mal viel zu erwachsene Klamo/ äh Klamotten anziehe oder Sachen anziehe die eventüell für die anderen schö:n wirken aber viel zu klassisch für meinen Charakter also für mich und wie ich bin für=für meine Persönlichkeit äh ich wirke immer anders als wie ich aussehe ne und das das hör ich ja oft von den Leuten also wenn man mich ja halt (.) nicht kennt also es ist anders als jetzt denkt man immer dass ich so traditionell bin und immer zurückhaltend bin und äh trau mich nicht so wirklich ne und ich bin halt jemand der ganz ganz verrückt ist und ich frage immer Sachen die man (.) ich bin ja immer neugierig und so weiter und das (.) ich wirke anders und das kommt durch die Schule also ich sag immer diese Schule hat alle Farben in uns getötet ne“ (7/10-7/19).

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Rückblickend bewertet Leya die strengen Vorschriften der Körperpräsentation als übertrieben und ihre damaligen ,kleinen Rebellionen‘ als angemessen. Die Auswirkungen von außen vorgegebener Kleidungsregeln haben in ihren Augen auch heute noch Auswirkungen auf ihre Art sich zu kleiden. Diskrepanz zwischen ,erwachsenen‘ Körperveränderungen und ,kindlichem‘ Gefühl in der Pubertät Leya berichtet, dass sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr eher wie ein Kind lebte und spät begann, „erwachsen zu werden“ (8/38-9/1). Zuvor – so Leya – habe sie nicht wirklich über ihre körperliche Entwicklung und Sexualität nachgedacht (9/17-9/21). Vielmehr erschienen ihr die im Vergleich zu ihren Freundinnen früh einsetzenden körperlichen Veränderungen und insbesondere das Brustwachstum als unangenehm. So erinnert sie sich, mit 14 Jahren gegenüber ihren Eltern den Wunsch nach einer Brustverkleinerung geäußert zu haben, um im Vergleich zu ihren Freundinnen nicht aufzufallen. Ihr Vater vertröstete sie damals, mit der Operation doch bis zum 16. Lebensjahr zu warten, zu dem Zeitpunkt war der Wunsch jedoch nicht mehr aktuell, so Leya (9/4-9/13). Auch Leya erinnert sich daran, dass sie der damit verbundenen Unsicherheit mit dem Wunsch begegnete, sich nicht von ihren Freundinnen zu unterscheiden und den kindlichen Körper zu behalten. Deutlich wird, dass körperliche Entwicklungen und das Interesse an Sexualität zeitlich auseinander liegen. Migrieren als ,normalisierender‘ Schritt für die sexuelle Orientierung Laut Leya begann für sie als Zwanzigjährige erst in Deutschland eine Auseinandersetzung mit ihrer Sexualität sowie der Frage nach ihrem Empfinden körperlicher Anziehung. Sie erzählt, dass die im Hinblick auf dieses Thema bestehende Offenheit in Deutschland ihr dabei geholfen habe, ihr Lesbischsein zu erkennen: „hier so zum Beispiel Homosexüalität sieht man das hier denkt man ah es gibt Homosexüalität es gibt Heterosexualitä keine Ahnung Trie oder Quatro ne in äh Libanon wusst ich nicht was das Wort bedeutet (.) ne man sieht’s nicht auf der Straße man redet nicht drüber (.) die gibt’s (.) überall aber (--) es ist ein Thema die man nicht so gerne drüber redet ne und das hab ich hier dann gedacht so ,ah gut‘“ (9/25-9/29).

Leya erinnert sich, dass sie zu Beginn verunsichert und darüber entsetzt war, als ein Freund die Vermutung äußerte, sie könne vielleicht lesbisch sein (10/11-10/15). Nach und nach entstand bei ihr jedoch der Wunsch, Kontakte in die „Frauenszene“ (12/5) zu knüpfen (9/39-10/2). Sie berichtet, sich nach ein paar Jahren geoutet und ihre Familie und den Freundeskreis über ihr Lesbischsein informiert zu haben. Dabei hängt die damalige Angst vor dem Outing für sie nicht mit ihrer arabischen

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Herkunft zusammen, sondern habe etwas mit ihrer „Persönlichkeit“ (10/17-10/29) zu tun. Sexuelle Orientierung bedeutet für sie dabei in erster Linie ein Interesse an geschlechtlich bestimmten Körpern: „ich denke also was Thema Körper angeht das es äh rein körperliche Sache weil äh was was halt Frauen an Frauen interessiert ist (.) ja wie gesagt Charakter hat ein Mann und eine Frau äh ist ja je nachdem ne kannst du dich hier verlieben und hier verlieben [...] man fühlt sich angezogen zu diesem diesem nicht Aussehen sondern Geschlechts äh äh Form sag ich mal jetzt so“ (10/2-10/5).

Dabei sieht sie im Vergleich zu den Möglichkeiten im Libanon in Deutschland deutlich größere Freiheiten, ihre sexuelle Orientierung frei leben zu können: „für mich für meine Sexualité war schon klar dass es hier viel besser (.) obwohl im Libanon ist schon Freiheit aber wie hier ist natürlich hier viel freier und man lebt ja schon ganz normal also zuhause ist man in gewissen Sachen nicht normal und äh hier ist das schon“ (3/17-3/21). In Anbetracht der großen Bedeutung, die das Thema ihrer sexuellen Orientierung im Interview hat, kann angenommen werden, dass die mit Deutschland in Verbindung gebrachten Möglichkeiten für die eigene Lebensgestaltung nicht unerheblich für ihre Entscheidung gewesen sind, in Deutschland zu bleiben. Leya nutzt diese in Deutschland erfahrenen Möglichkeiten für sich bewusst, um im Vergleich zu einem Leben im Libanon das Risiko der Stigmatisierung zu verringern. Ihre Migration kann in Bezug auf den erfahrenen Umgang mit Homosexualität als eine Form der willkommenen Normalisierung ihres Begehrens angesehen werden. Ästhetisches Wahrnehmen als kulturelle Empfindung Leyla geht im Interview auf die kulturelle Bedingtheit von Wahrnehmung und ästhetischem Empfinden ein, ein Fokus der im Zusammenhang mit ihrem Designstudium steht. So vermutet sie, dass die visuelle Wahrnehmung aufgrund der anderen Schreibrichtung im Arabischen bei ihr anders ist als bei „Europäern“ (1/42-2/1). Sie verdeutlicht dies anhand einer Prüfung im Studium, für die sie drei Buchcover gestalten sollte. Leya berichtet, dass sie ein Design entwickelte, das für nach rechts zu öffnende Bücher vorgesehen war: „dann hat ham die alle gesagt so Farben sind toll Schrift toll alles nach Regeln und so weiter Design ist super aber irgendwas stört irgendwas ist nicht richtig alle fünf haben das gesagt und ich so und dann sagt mir was und dann haben die diskutiert und diskutiert bestimmt Viertelstunde äh und dann äh irgend/ irgendwann mal sagt Frau Sch/ Frau Schmitt*=eine von denen sagt sie die sind anders rum“ (4/15-4/25).

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Auch das Farbempfinden erscheint Leya bei „Arabern“ und „Europäern“ unterschiedlich, wenn sie angibt: „für uns äh was ihr Kitsch empfindet empfinden wir als Kunst und was ihr für Kunst empfindet empfinden wir für äh Haufen Schrott also jetzt mal nett sehr nett gesagt“ (4/9-4/11). Durch ihre ästhetische Sozialisation im Libanon gibt Leya im Bezug auf ihre Berufsmöglichkeiten daher an, nicht den Schwerpunkt Design, sondern den Bereich Medien gewählt zu haben: „ich stehe in der Mitte ich kann nicht alles komplett so machen und ich kann nicht alles komplett so machen also ich kann mich halt nicht so gut verkaufen als als Designer“ (4/114/12). Leya erwartet aufgrund ihrer libanesischen Herkunft Schwierigkeiten im Hinblick auf eine Berufstätigkeit als Designerin in Deutschland. In dem von ihr eröffneten Vergleich kulturspezifischer Ästhetik kann Leya ihre Wahrnehmung weder dem von ihr definierten ,arabischen‘ noch dem ,europäischen‘ ästhetischen Empfinden zuordnen. Die Entscheidung für ihren Studienschwerpunkt traf sie unter anderem aufgrund dieser Einschätzung. Der körperliche ,Marktwert‘ Für Leya hängt die eigene Körperlichkeit eng mit Liebesbeziehungen zusammen. Sie berichtet, dass die körperbezogenen Bestätigungen durch ihre Ex-Freundin zu guten Gefühlen und einer positiven Wahrnehmung ihres eigenen Körpers führten: „das war halt die schönste Zeit wo ich halt gedacht hab wie oh ich seh geil aus ((beide lachen)) so ja aber so wirklich jetzt mal sehr ernst das äh das ist abhängig von dem Partner“ (11/17-11/18). Den Körper zu trainieren steht im engen Zusammenhang mit den Chancen bei der Partnerinnenwahl, wenn Leya erzählt, dass die Trennung von ihrer Partnerin, welche im Anschluss eine neue hübsche Freundin hatte, sie zum Sport motiviert habe (11/25-11/29). Dabei geht sie davon aus, dass sich Frauen grundsätzlich um ihren Körper kümmern, wobei der Aufwand mit zunehmendem Alter steigt: sie unterscheidet zwischen der jüngeren Phase bis und der älteren Phase ab 35 Jahren (12/15-12/22). Laut Leya besteht das Ziel lesbischer Frauen darin, „diese Blicke“ (zum Beispiel 12/7) anderer Frauen zu erhalten. In diesem Sinne versucht sie die Körperstellen, für die sie von anderen Frauen Komplimente erhält, besonders zu trainieren und durch Kleidung zu betonen: „wenn die Frauen auf Frauen stehen dann auf Oberweite (.) Brüste u:nd ich hör das oft und immer wieder whow und deswegen zeig ich das auch öfter also am Anfang wusste ich das nicht und wenn du das öfter hörst dann denkst so ach ok also für mich das sieht immer gleich aus ne aber für die anderen mhm ne ach so ah ok so was ist schön bei mir [...] ja und dann wenn ich raus gehe und ich weiß dass ich jetzt mal rausgehe um um Spaß zu haben und und dann zieh ich was Offenes an aber das kommt nicht weil ich das so gerne mag

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sondern weil ich weiß dass das dann halt die Aufmerksamkeit erregt“ (12/18-13/22, 13/3113/33).

Auf diese Weise – so Leya – versuche sie die Aufmerksamkeit, welche ihr zu Beginn ihrer Zeit in der Frauenszene mit Anfang 20 durch viele Verehrerinnen entgegen gebracht wurde, weiterhin zu erhalten (12/4-12/15). Dabei benennt Leya jedoch auch kritische Aspekte, die das Thema Aussehen und Partnerinnenwahl betreffen, wenn sie berichtet, dass sie mit ihrer ehemaligen Freundin in Streit geriet, als sie in einer Situation das Gefühl hatte, ihr Aussehen spiele für diese die zentrale Rolle (14/37-15/8). Auch der Geburtstagswunsch einer anderen Ex-Freundin, Leya möge doch 10 Kilogramm abnehmen, führte bei ihr zu Trauer und Wut (15/9-15/17). Deutlich wird, dass Leya das Aussehen im Austausch mit Anderen als sehr wichtig einschätzt: Der erste Eindruck von anderen Menschen wird primär durch das Aussehen bestimmt (9/31-9/39). Darin sieht sie auch den Grund, warum Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben dazu führt, erst einmal den Körper verändern zu wollen: „wir geben gerne Schuld an irgendwas ne und es ist am einfachsten wenn wir die Schuld an unseren Körper geben“ (11/23-11/33). Körperliche Versehrtheit und den Körper optimieren Aufgrund gesundheitlicher Probleme musste Leya ihren Job als Tanzlehrerin für Oriental Dance aufgeben, den sie zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland ausübte (3/43/6). Zusammen mit der Einnahme von Cortison führte dies zu einer Gewichtszunahme und veränderten Essgewohnheiten: „wegen meinem Körper halt muss ich ja immer halt auf viele Sachen achten das essen das nicht essen ähähäh so viel äh mir Mühe geben wegen dem Sport und und und (.) und das ist halt den letzten drei Jahren waren extrem halt weil ich äh gesundheitlich nicht so stabil war und dadurch kam ich ja auch nicht klar mit meinem Körper und äh hatte auch ja:: was weiß ich äh äh manchmal war ich dann total unzufrieden weil weil äh ich geb mir Mühe und ich mach viel Sport aber trotzdem äh das gefällt mir nicht besonders“ (12/37-13/1).

Sie berichtet davon, gegenüber Anderen immer wieder zu betonen, dass sie zu dick geworden sei. Ein Verhalten, dass sie als „ne Frauensache“ (10/37) bezeichnet. Wird sie von Anderen direkt auf die Gewichtszunahme angesprochen, so ärgere sie sich, dass dies bei ihr nicht dazu führe, die andere Person als unverschämt zu empfinden, sondern sauer auf sich selbst zu sein (13/1-13/6). Gewichtszunahme wird somit – trotz der krankheitsbedingten Gründe – als eine Form des persönlichen Mankos oder Versagens angesehen. Die Arbeit am Körper führt nicht zu den gewünschten Ergebnissen, was Leya frustriert und unzufrieden mit sich macht.

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Kulturell markierte Körperkontrolle Auf die Frage nach Situationen, in denen sie ihren Körper besonders gut beziehungswiese nicht gut habe kontrollieren können, gibt sie an, ihren Körper gut beeinflussen zu können. Dies führe in ihren Augen allerdings dazu, schlecht „loslassen“ (15/24-15/25) und sich entspannen zu können. Sie berichtet von ihrer „Gabe“ (16/13-16/16), ihre Körpersprache sehr gut zu beherrschen und andere Personen hinsichtlich ihrer Gefühlslage zu täuschen, was sie zugleich auch als negativ ansieht, da es in ihren Augen auch entlastend sein kann, seine Gefühle einfach „rauszulassen“ (ebd.). Die Wurzeln für die starke Kontrolle körperlicher Regungen liegen laut Leya in der Erziehung ihrer Eltern und dem Aufwachsen im Libanon: „Höflichkeit die wir in unser Land lernen ist ein Gefängnis (.) mit offenen Türen“ (16/18-16/19). Sie empfinde eine nahezu automatische Zurückhaltung gegenüber Anderen als „typisch arabisch“ (16/19-16/29), wobei dies nicht bedeutet, dass in einer höflichen Haltung nicht auch Kritik ausgedrückt werden kann. Auch die von ihr beschriebene Uniformität in der Schule kann als eine Form des erzwungenen Erlernens von Körperkontrolle gedeutet werden. In der Darstellung der von ihr dargelegten kulturspezifischen Umgangsformen zwischen Menschen verknüpft sie Vorstellungen von Körper- und Selbstkontrolle gegenüber Anderen miteinander. Körperliches Auftreten wird zu etwas Erlerntem, das im Vergleich mit den in Deutschland gesammelten Erfahrungen als arabisch markiert wird. Als „schwarzer Punkt“ auffallen Wiederholt verwendet Leya im Rahmen von körperlichen Selbstbeschreibungen den Begriff „Schwarz“. So berichtet sie von dem misslungenen Versuch, ihre Haare blond zu färben, um das „Schwarz zu brechen“ (6/26). An anderer Stelle im Interview gibt sie amüsiert an, als einzige Ausländerin an ihrer Universität nicht in Veranstaltungen fehlen zu dürfen, da ihre Abwesenheit sofort auffalle, „weil ich so ein schwarzes Punkt bin“ (18/19). Dabei stellt Leya die ,Andersheit‘ ihres Aussehens nicht als etwas dar, was ihr unangenehm ist. Insbesondere meint sie, von den damit einhergehenden Vorteilen bei der Partnerinnenwahl zu profitieren, wenn sie angibt: „deutsche Frauen oder jetzt mal europäische Frauen stehen auf dunkel“ (18/5). Insgesamt erscheinen die Reaktionen auf ihr Äußeres in ihrer Darstellung eher positiv, auch wenn Leya vermutet, dass alle „Ausländer“ (17/26-17/27) schon einmal diskriminierende Erfahrungen aufgrund ihres Aussehens gemacht haben. Sie nennt als Beispiele den tätlichen Angriff mit einer Handtasche durch eine ältere Frau, die sie als „Schwarzkopp“ bezeichnete und sie aufforderte, Deutschland zu verlassen. Die Aufforderung von Passanten, die Frau anzuzeigen, wies sie ihren Angaben nach jedoch mit dem Hinweis ab, dass das eine alte Frau sei, die vermutlich etwas Schlimmes erlebt habe (17/26-1/37). Zudem nennt Leya Schwierigkeiten

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bei der Wohnungssuche, wenn sie nach einem erfolgreichen Telefonat beim Besichtigungstermin danach gefragt werde, wo sie denn herkommen würde (17/3718/3). Durch Leyas Darstellung, dass ihr Aussehen in Deutschland wiederholt mit der Zuschreibung der Nichtzugehörigkeit verknüpft wird, zeigt sich wie sehr der Status der „Migrationsanderen“ (Mecheril 2004, 47) durch die körperliche Erscheinung bestimmt ist. Dieser ,Sonderstatus‘ hat in ihren Augen positive und negative Folgen. Die von ihr als positiv empfundenen Reaktionen auf ihr von der Illusion des ,deutschen Prototyps‘ abweichendes Äußeres weiß sie zu nutzen. Die negativen Erfahrungen erscheinen in ihrer Darstellung zwar als unangenehm oder lästig, aber nicht weiter bedeutend. Die Bagatellisierung solch negativer Erfahrungen kann als eine Möglichkeit Leyas angesehen werden, ihnen die Relevanz und somit auch die Definitionsmacht über sich zu nehmen. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: eine ,andere‘ Körperlichkeit als Teil eines selbstbestimmten Mischverhältnisses natio-ethno-kultureller Bezüge Die sprachliche Körperdarstellung Leyas im Interview ist immer wieder durch den Vergleich zwischen Deutschland und dem Libanon beziehungsweise kulturellen Spezifika von ,Europäern‘ und ,Arabern‘ strukturiert. Ihre Erinnerungen an ihre Kindheit im Libanon sind dabei auch durch den Bürgerkrieg beeinflusst, der ihre Bewegungsfreiheit stark einschränkte. Als „Kriegskind“ (1/30) war das Spielen draußen oftmals nicht erlaubt (1/31-1/32) und der Sportunterricht fand in einem großen Bunker unter der Erde statt (2/2-2/5). Ihr Empfinden eines durch die Migration hervorgerufenen ,Mischverhältnisses‘ zwischen Einflüssen des Lebens im Libanon und in Deutschland ist aufgrund der zum Zeitpunkt des Interviews längeren Aufenthaltsdauer im Libanon für Leya jedoch weiterhin stärker durch ihre Erfahrungen im Herkunftsland beeinflusst, das sie „Zuhause“ nennt: „ich bin seit zehn Jahren oder neun Jahren nicht zu Hause das heißt erwachsen wurd ich hier und nicht zuhause zuhause ist nur die Kindheit und daher hab ich ja viel von hier aber mehr als die Hälfte noch von drüben“ (5/36-5/38). Die Kopplung der kulturellen Zugehörigkeit an die Dauer des Aufenthalts in einem Land eröffnet dabei die Option, dass ein längerer Aufenthalt in Deutschland auch zu einer veränderten Zugehörigkeitsvorstellung führen könnte. Ihre Annahme „und deswegen hab ich nicht hundert Prozent drüben und nicht hundert Prozent hier“ (6/5) führt in Deutschland zu einer ,Andersheit‘, die Leya überwiegend so darstellt, als nutze sie diese für sich. Sie arbeitet zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland als Tanzlehrerin für Modern Oriental Dance (3/4-3/5), genießt die Aufmerksamkeit, die ihr „europäische Frauen“ (18/8) entgegen bringen, und geht konstruktiv mit der im Studium erfahrenen ,anderen‘ Art ästhetischer Wahrnehmung von Kunst und Kitsch um (4/9-4/11). Die-

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se Darstellung kann in einem engen Verhältnis zu den Hinweisen auf ihre soziale Herkunft und ihren überdurchschnittlichen Bildungserfolg gesehen werden. Sie berichtet, dass sie aus einer Familie von Lehrern stamme (17/7-17/9) und ihre Mutter die Leiterin ihrer Schule gewesen sei, die als eine der besten Schulen des Landes galt (1/19-1/20). „die Schule war ja von den guten von den besten guten Schulen in Libanon da die privat ist also immer privaten Schulen waren gut aber sehr streng halt hochstreng und dann mit äh siebzehn ähm (.) habe ich meine Abitur also ich hab meine Abitur ein Jahr früher gemacht äh und dann bin ich in die libanesischen Universität staatlichen Universität gegangen äh Mathe pur hab ich studiert Mathe und Physik und gleichzeitig hatte ich eine private Uni weil äh durch den Krieg äh die sind zwei verschiedene Plätze also wenn eine Uni ausging dann durfte ich zu der andern weil mein Eltern hatten immer Angst das irgendeine Uni äh ze/ zerbombt wird und dann hab ich kein kein Zukunft mehr“ (2/19-2/27).

Während eines Studienaufenthaltes in Deutschland bricht Leya das Studium 2002 ab, lernt Deutsch, absolviert das deutsche Abitur und nimmt eine fachliche Neuausrichtung vor. Leistungen, die sie zwar ganz nebenbei zu erwähnen scheint, jedoch auch als etwas Besonderes darstellt: „dann hier wieder angefangen Deutsch zu lernen und dann wieder deutsche Abitur zu machen also habe ich jetzt drei Abiture Libanesische Französische und Deutsche und äh (-) ((lacht))“ (2/372/39). Ihre Darstellung lässt vermuten, dass sie einen aufgrund ihrer Migration vermutlich auch erfahrenen Statusverlust und die Nichtanerkennung ihrer Leistungen schnellstmöglich überwinden möchte. Leya sieht sich entsprechend ihrer bisherigen Leistungen als eine begabte Studentin. Hinsichtlich der Wahl der Universität für ihr Designstudium in Deutschland gibt sie an: „ich hab ja dann äh mich beworben in Y (deutsche Stadt) und in Z (deutsche Stadt) in Z weil das eine Elite ist “ (3/2-3/4). Insgesamt erscheint Leyas natio-ethno-kulturelle Selbstverortung in ihrer Darstellung als ein Mischverhältnis. Als deutsche Staatsbürgerin, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland sieht, definiert sie sich (zugleich und für sie niemals aufhebbar) als Libanesin, worauf sie angibt, stolz zu sein (17/40-18/1). Bezogen auf ihre Körperlichkeit berichtet sie, durch ihren Umzug nach Deutschland Erfahrungen divergierender, kulturell markierter, körperlicher Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen gemacht zu haben. In den von ihr eröffneten Körper-Kultur-Vergleichen positioniert sie sich dabei insbesondere aufgrund ihres Aussehens und der Reaktionen darauf als „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) – wobei sie ihr Aussehen vorwiegend als Potenzial ansieht, das sie für ein Leben in Deutschland erkennt und nutzt.

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7.7.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich In Bild- und Textanalyse präsentiert sich Leya sehr selbstsicher. Konnte durch die Auswahl der zur Verfügung gestellten Fotografien eine im ästhetischen Sinne durchaus statusbewusste Darstellungsweise rekonstruiert werden, so finden sich auch im Interview Hinweise, die sie als Angehörige eines gebildeten libanesischen Milieus kennzeichnen. Trotz Erfahrung des formalen Statusverlusts durch die Migration positioniert sich Leya weiterhin entsprechend ihrer sozialen Herkunft. Sie ist bereit, die Leistungen (erneut) zu erbringen, welche es ihr erlauben den ,Elite‘Gedanken auch in Deutschland fortzuführen. Ausgehend von dieser privilegierten sozialen Verortung eröffnet insbesondere die Bildanalyse interessante Eindrücke hinsichtlich Leyas Interaktionsmuster. In der spielerischen Aushandlung mit ihrem Gegenüber pendelt sie zwischen Nähe und Distanz und zwischen Aktivität und Passivität. Es scheint, als sei sie es gewöhnt, sich in uneindeutigen und somit auch unvorhersehbaren Interaktionszusammenhängen zu bewegen. Hinsichtlich der im Interview angesprochenen durch die Migration nach Deutschland gekennzeichneten Lebenssituation nimmt Leya auch Vergleiche zwischen dem Libanon und Deutschland vor. Ihre Körper-Kultur-Vergleiche fallen jedoch vergleichsweise nebensächlich aus: sie bennent körperliche Erfahrungen in ihrer Kindheit und Jugend, die zum Teil auch heute noch Einfluss auf ihre Körperlichkeit nehmen. Sie verortet sich dabei bewusst zwischen dem Libanon und Deutschland, ohne sich ganz dem einen oder anderen zugehörig zu fühlen. Dabei erscheint die in der Interaktion in Deutschland erfahrene ,andere Körperlichkeit‘ durchaus als Ressource. Abwertenden Erfahrungen misst sie wenig Bedeutung zu. Es entsteht der Eindruck, dass dieses – von ihr nicht als statisch angesehene – Mischverhältnis für sie Normalität darstellt, die sie am Beispiel ihrer Vorstellung der Unterschiede im ästhetischen Empfinden zwischen ,Arabern‘ und ,Europäern’ deutlich aus ,arabischer Perspektive‘ vertritt. Das Erkennen und Ausleben ihrer Homosexualität verknüpft sie wiederum stärker mit der als deutsch markierten Wahrnehmung. Die im Vergleich zum Libanon von ihr in Deutschland wahrgenommene größere Freiheit für schwule und lesbische Menschen kann dabei als ein zentrales Argument für ihr Leben in Deutschland angesehen werden. Ohnehin scheint ihre sexuelle Orientierung gegenüber dem Thema ihrer natio-ethno-kulturellen Selbstverortung im Interview einen weitaus größeren Raum einzunehmen. Grundsätzlich eröffnet Leyas sprachliche Körperinszenierung immer auch Raum für Veränderung. In Bezug auf den spielerischen Umgang mit dem Gegenüber in den fotografischen Selbstporträts entsteht so der Eindruck einer Person, die die Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit flexibel mit dem Gegenüber auszuhandeln scheint.

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Leya, die mit achtzehn Jahren im Rahmen ihres Studiums nach Deutschland gekommen ist, präsentiert sich in ihrer Körperlichkeit als in soziale Beziehungen eingebunden. Die von ihr wahrgenommenen körperbezogenen Unterschiede zwischen dem Leben im Libanon und in Deutschland werden von ihr aufgegriffen und themenspezifisch bewertet. Sich selbst positioniert Leya in einem sich daraus ergebenden Mischverhältnis von positiven und negativen Körper-Bezügen. Abhängig von der jeweiligen Thematik knüpft sie – unabhängig davon ,ob sie diese zuvor als arabisch oder europäisch markiert hat – an die in ihren Augen positiven Aspekte an und verortet sich entsprechend in den von ihr vorgenommenen Körper-KulturVergleichen. In der Darstellung ihrer Körperlichkeit nimmt die Auseinandersetzung mit ihrer Homosexualität eine bedeutsame Rolle ein. Im Rahmen bestehender Heteronormativitätsvorstellungen wird die Verhandlung der eigenen Position für Leya zur zentralen Aufgabe. So ist zu vermuten, dass ein Interview, welches nicht den Fokus auf das Thema Körper gelegt hätte, für Leya ebenfalls zu einer Verhandlungsfläche ihrer sozialen Position als lesbische Frau geworden wäre. Demgegenüber erscheint die entlang Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeiten strukturierte Selbstthematisierung im Rahmen von Körper-Kultur-Vergleichen weniger bedeutsam. Leya präsentiert in ihrem Körper-Kultur-Vergleich ähnlich wie Nikita ein nichthierarchisches Mischverhältnis von Erfahrungen, die sie durch das Leben in verschiedenen Ländern gesammelt hat. Ihre in diesem Vergleich stattfindende Körperdarstellung ist jedoch anders als bei Nikita nicht situations- sondern themenabhängig organisiert. Im Vergleich zu Leya scheint Nikitas Darstellung nunmehr abhängig von der sozialen Situation und somit dem jeweiligen Gegenüber. Nikita scheint die von ihr kulturell markierten Bezüge somit stärker zu verknüpfen. Leya hingegen verortet sich themenspezifisch eher einer von ihr zuvor als ,libanesischarabisch‘ oder ,deutsch-europäisch‘ definierten Körperlichkeit. Das benannte ,kulturelle Mischverhältnis‘ erscheint bei Leya im Vergleich abstrakter und weniger durch ambivalente Gefühle begleitet als bei Nikita. Leya nähert sich in ihren Körper-Kultur-Vergleichen entweder eher den Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend im Libanon an und orientiert sich bei anderen Themen stärker an den Erfahrungen der in Deutschland erlebten Phase des jungen Erwachsenenalters. So ordnet sie ihr ästhetisches Empfinden als weiterhin überwiegend ,typisch arabisch‘ ein, im Hinblick auf das Thema Homosexualität nimmt sie wiederum eine aufgrund von in Deutschland gemachten Erfahrungen entwickelte Haltung ein. Insgesamt ergibt sich daraus die Einschätzung, weder einen hundertprozentigen Bezug zum Libanon noch zu Deutschland zu haben. Ihre insbesondere durch die Fotoanalyse rekonstruierte Präsentationsweise eröffnet dabei den Blick auf eine Fähigkeit zu Flexibilität in der Interaktion. Zusam-

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men mit der stilistischen Form der von ihr gewählten Fotografien wird die Verbindung von Körperlichkeit und sozialer Schicht als einer in der Migration spezifischen Thematik deutlich. Es wird angenommen, dass Leyas inkorporierte privilegierte Situation ihres Lebens im Libanon – trotz formalem Statusverlust durch die Migration – den Möglichkeitsraum ihrer Selbstpositionierung in Deutschland erweitert. So verweigert sie sich der Aufgabe alter Argumentationsmuster ihrer ,Elite‘-Zugehörigkeit, sondern führt diese auch unter dem Aufwand der Wiederholung bereits erbrachter jedoch nicht anerkannter Bildungsabschlüsse fort. Neben den im Interview genannten Themen der Norm des Körpergewichts, der in der Phase der Pubertät bestehenden Unsicherheit, gesundheitlicher Einschränkungen und Körperkontrolle kommt im Fall Leya der erzieherische Einfluss der Schule auf den Körper sowie das Thema der körperlichen Anziehung im Rahmen von Sexualität hinzu. ästhetisches Wahrnehmen als kulturelle Empfindung

„diese Schule hat alle Farben in uns getötet“

der körperliche ,Marktwert’

Migrieren als ,normalisierender‘ Schritt für die sexuelle Orientierung

Herstellen eigener Körperlichkeit durch die Anknüpfung an jeweils positive Aspekte im Körper-KulturVergleich als Mischverhältnis

als „schwarzer Punkt“ auffallen

körperliche Versehrtheit und den Körper optimieren

kulturell markierte Körperkontrolle

Diskrepanz zwischen ,erwachsenen’ Körpperveränderungen und ,kindlichem’ Gefühl in der Pubertät

Abbildung 25: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Leya Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Im Vergleich zu den bisher untersuchten Fällen wird durch den Fall Leya noch einmal deutlich, dass alle sieben beteiligten Frauen als bildungserfolgreich zu bezeichnen sind. So haben alle Frauen das (Fach)Abitur, wobei fünf von sieben Frauen (auch) das deutsche (Fach)Abitur haben und drei Frauen ihr Abitur in ihrem Herkunftsland gemacht haben. Sie sind entweder Studentinnen, haben eine Ausbildung gemacht und sind beziehungsweise waren berufstätig. Es stellt sich die Frage, ob die auf Grundlage von Bild und Text bisher herausgearbeiteten Körperinszenie-

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rungsmuster womöglich nur für die Gruppe der bildungserfolgreichen Frauen mit Migrationshintergrund von Bedeutung sind. Die Auseinandersetzungen der Frauen mit ihrer Körperlichkeit im Kontext von Migration sind dabei in ihrer Struktur jeweils sehr individuell und scheinen in ihrer Bezugnahme auf kulturell markierte Aspekte zu divergieren, sodass zu klären wäre, • ob die in den Darstellungen zum Ausdruck kommende selbstbestimmte Flexibilität als Auswirkung eines bestimmten Bildungshintergrunds und eines damit zusammenhängenden Habitus verstanden werden kann? • ob die zumindest zum Zeitpunkt des Interviews gesicherte sozioökonomische Lage der Frauen eine Rolle bei der Aushandlung ihrer Körperlichkeit im Kontext von Migration spielt? Für den weiteren Verlauf erscheint es von Bedeutung, weniger bildungserfolgreiche Frauen mit einzubinden43, die sich in womöglich auch aufenthaltsrechtlich unsichereren Situationen befinden. Grundsätzlich wird angenommen, dass sich durch die zunehmende Ausdifferenzierung die Muster der Verortung in selbst eröffneten Körper-Kultur-Vergleichen, aber auch im Hinblick auf die Verknüpfung mit anderen sozialen Differenzsetzungen noch nicht erschöpft haben.

43 Die Suche nach interessierten Teilnehmerinnen wurde über verschiedene Institutionen im Bildungs- und Sozialsektor recht weit gestreut, sodass Frauen mit verschiedenen Bildungs- und sozioökonomischen Hintergründen angesprochen wurden. In der Gruppe der Frauen, die Interesse an der Teilnahme am Projekt signalisierten, zeigte sich jedoch – noch einmal verstärkt durch die Vermittlung von Kontakten durch bereits an der Studie beteiligte Frauen – eine für qualitative Forschungsstudien nicht ungewöhnliche Verzerrung. Die theoretische Stichprobenzusammenstellung soll diesem Bias entgegenwirken.

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7.8 K ÖRPERLICHKEIT ALS LEIDVOLLER E NTWICKLUNGSPROZESS IN DER M IGRATION – F ALLSTUDIE G IA Kurzporträt Gia44 wird 1985 im Libanon geboren und lebt zum Zeitpunkt des Interviews seit zwei Jahren in Deutschland. Sie hat drei Geschwister, die ebenfalls in Deutschland leben. Ihre Eltern leben weiterhin im Libanon und besuchen ihre Kinder regelmäßig. Leya hat als Heranwachsende viele Konflikte mit ihren Lehrerinnen und Lehrern sowie ihren Eltern und zieht 2001 mit sechzehn Jahren von zuhause aus. Sie lebt in Beirut, und finanziert durch Nebentätigkeiten ihr amerikanisches Abitur und das Studium an einer amerikanischen Universität. Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Libanon im sogenannten zweiten Libanonkrieg45 flieht Gia im Sommer 2006 über Syrien nach Deutschland. Als kurz darauf die Kämpfe nachlassen, kehrt sie nach drei Monaten wieder zurück. Aufgrund der instabilen Lage findet sie jedoch keine Arbeit, kann ihr Studium nicht fortsetzen und muss wieder zu ihren Eltern ziehen. Sie lernt in der Zeit über das Internet einen Mann aus Deutschland kennen und reist 2007 zu ihm nach Deutschland und sie heiraten. Das gemeinsame Zusammenleben mit ihrem Mann gestaltet sich jedoch als belastend und führt zu erheblichen gesundheitlichen Beschwerden. Zum Zeitpunkt des Interviews lebt Gia seit kurzem in einer eigenen Wohnung. Ihre libanesischen Bildungsabschlüsse werden in Deutschland als Fachabitur anerkannt, sodass sie plant, ein Fachhochschulstudium zu beginnen. 7.8.1 Fotografieanalyse Auf den sieben zur Verfügung stehenden Fotografien ist eine Person vor einem gleichbleibenden Hintergrund abgebildet. Die fotografischen Körperinszenierungen wirken auch mich insbesondere aufgrund der Mimik zum Teil ironisch oder sehr ernst. Auffallend ist, dass die Person auf allen Fotografien direkten Blickkontakt mit der Kamera herstellt. Die Körperhaltungen und Mimiken erscheint demgegenüber eher verschlossenen oder gelangweilt. In diesem Zusammenhang kann die nach vorne gebeugte Körperhaltung auf dem sechsten Bild als vergleichsweise eindeutiger Bezug zur Kamera angesehen werden, was das Bild für die Einzelbildinterpretation interessant erscheinen lässt (Bildauswahl). 44 Gia ist ein weiblicher Vorname der vermutlich aus dem Italienischen stammt, jedoch auch im arabischen Sprachraum Verwendung findet. 45 Der 2006 zwischen Israel und der Hisbollah geführte Krieg wird auch als „Julikrieg“ oder „33-Tage-Krieg“ bezeichnet (vgl. dazu Wunder 2006).

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Abbildung 26: Fotoreihe zu den imaginierten Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Gia Externe Kontextualisierung Durch die externe Kontextualisierung wird die Fotografie zu einer im Jahr 2009 in Deutschland erstellten Aufnahme die im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes zu Körper und Migration angefertigt wurde. Für das Projekt wurden junge Frauen gesucht, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Die Fotografie zeigt eine Frau, die sich von dieser Suchanfrage angesprochen fühlte. Im Fokus der durch mich als weiblichen Mehrheitsangehörige durchgeführten Analyse steht der interaktionale Gehalt der Fotografie bezogen auf die Bildgestaltung, die äußere Gesamterscheinung sowie die symbolische Bedeutung von Gestik und Mimik der Frau. Die vorikonografische Beschreibung der Fotografie in dreidimensionaler Perspektive lässt sich durch die Unterteilung in einen Hintergrund und eine davor sitzende Person, eine Teilnehmerin der Studie, ordnen. Den Hintergrund des Fotos im Hochformat bildet eine hellgraue leicht strukturierte Wand und ein durch eine dunkle Fußleiste davon abgetrennten dunkelgrauen, leicht spiegelnden Fußboden, vermutlich ein Kunststoff. Am rechten Bildrand ist eine Raumecke zu erkennen. Auf dem Boden steht mittig ein Stuhl, auf dem die Person sitzt. Der Stuhl ist gegenüber der Kamera etwa in einem 40 Grad Winkel nach links gedreht. Seine Sitzfläche und die

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Rückenlehne haben eine taubenblaue, glatte Oberfläche; beide werden durch ein silbernes Metallgestell mit den vier Stuhlbeinen verbunden. Der Körper der Frau ist nach links gerichtet, der Kopf ist im Verhältnis dazu stärker der Kamera zugewandt. Das linke Bein ist aufgestellt, der linke Fuß berührt dabei nur mit dem aufgestellten Fußballen den Boden. Das rechte Bein ist an der Hüfte nach vorne rechts abgeknickt und mit angewinkeltem Knie auf dem linken Knie abgelegt, sodass das rechte Schienbein waagerecht vor dem Körper verläuft. Der Oberkörper ist nach links vorne gebeugt. Die Arme sind an den Ellenbogen leicht eingeknickt parallel nach vorne gestreckt und liegen auf dem überschlagenen rechten Bein nahe der Fessel auf. Die rechte Hand hängt vor dem Knie des Standbeins nach unten, die Finger sind leicht eingeknickt. Die linke Hand ist am Handgelenk nach innen in Richtung der rechten Hand eingeknickt und hält einen dunklen flachen Gegenstand. Durch die nach vorne hängenden Arme sind die Schultern nach vorne gezogen. Die rechte Schulter ist gegenüber der linken Schulter aufgrund der Linksdrehung des Körpers stärker nach vorne oben geschoben. Der Blick des im Viertelprofil sichtbaren Kopfes der Frau ist der Kamera entgegen gerichtet. Der Mund ist gerade und leicht geöffnet, sodass ein Teil der oberen Zahnreihe sichtbar wird. Die Frau hat dunkle Augen, die vermutlich mit Kajalstift umrandet sind, sowie schmale dunkle Augenbrauen. Die langen dunkelbraunen oder schwarzen, leicht gewellten Haare reichen ihr bis über die Brust. Das Deckhaar ist am Hinterkopf zusammengefasst, sodass die in einem Seitenscheitel gelegten Haare aus dem Gesicht genommen sind und das restliche Haar leicht zerzaust über die Schultern vor den Oberkörper fällt. Das rechte Ohr mit einem dunklen Ohrstecker wird auf diese Weise sichtbar. Die Frau trägt einen weißen Strickpullover mit Bündchen und tief geschnittenem Rundhalsausschnitt. Darunter wird am Ausschnitt ein Stück eines dunkleren Oberteils sichtbar. Zwischen den hinabhängenden Haaren ist eine dunkle Halskette mit einem länglichen dunklen Anhänger zu sehen. Der Pullover ist über den Bund einer mittelblauen verwaschenen Jeans mit langen ausgestellten Beinen gezogen. An der linken Hüfte ist ein Stück eines Gürtels, zu erkennen. Die Frau trägt dazu schwarze Turnschuhe vermutlich aus Leder, die am Rand durch eine ebenfalls dunkle Plastiksohle mit einem hellen schmalen Rand eingefasst sind. Die Schuhe weisen keine Schnürung, Klettverschlüsse oder ähnliches auf. Neben dem sichtbaren Ohrring und der Halskette trägt die Frau an der rechten Hand einen dunklen breiten Ring am Ringfinger, ein silbernes Gliederarmband und ein helles schmales Band am Handgelenk. An der linken Hand ist ein dunkles Armband, eventuell aus Leder oder Stoff erkennbar. Als dominante Linien im Bild lassen sich in der Waagerechten die Kante der Sitzfläche sowie das waagerecht überschlagene Bein ausmachen. Weiterhin finden sich eher vertikal-diagonale Bildlinien in der Verlängerung der Stuhlbeine sowie

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der Arme und des linken Beines, wobei sich ein Großteil der Linien an den Händen trifft beziehungsweise kreuzt. Die zentralen Farben der Fotografie sind Schwarz und Weiß beziehungsweise Beige sowie verschiedene Blau- und Grauschattierungen, insgesamt wird ein eher kühles Farbspektrum sichtbar. Die Farbschattierung des Pullovers, die Reflexionen auf dem Stuhl sowie auf dem Gesicht weisen auf einen Lichteinfall von der linken Seite hin. Aufgrund des wenig scharfen Schattenwurfs handelt es sich vermutlich um ein eher flächig streuendes Licht, zum Beispiel durch ein großes Fenster (Licht und Schatten). Die Kamera ist in einem rechten Winkel zur gegenüberliegenden Wand aufgestellt. Die Fotografie in der Halbtotale zeigt eine vor der Wand sitzende vollständig abgebildete Person, die sich vornehmlich in der unteren Bildhälfte befindet. Vermutlich durch die nicht ausreichende Ausleuchtung ist die Fotografie etwas unscharf.

Abbildung 27: anonymisiertes Foto „mit Freunden/Freundinnen“ und Skizze des Gesichts im Fall Gia Der symbolische Gehalt des Bildes wird in Bezug auf die Position der Frau im Bild, ihre äußere Erscheinung sowie ihre Gestik und Mimik hin befragt. Die Bedeutung der Person ist durch ihre mittige Position im Foto hervorgehoben (vgl. Arnheim

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1996, 126ff.). Sie sitzt auf einem Stuhl, der sich durch seine Funktionalität auszeichnet und einen öffentlich-institutionellen Kontext vermuten lässt. Im Vergleich zur Größe des Stuhls wirkt die Frau recht klein, da der Fuß ihres linken Beines nur knapp den Boden berührt. Die Kleidung der jungen Frau mit Jeans, Pullover und Turnschuhen kann als unkompliziert oder „lässig“ bezeichnet werden, wobei dieser Eindruck besonders durch die Turnschuhe hervorgerufen wird, die durch ihre auffällige Schlichtheit typische Skaterschuhe sein könnten46. Hinzu kommt der dunkle Schmuck am Ohr und Hals sowie am Ringfinger der rechten Hand, der vermutlich aus dunklem Stein, Holz oder Horn besteht und auf einen eher ,alternativen Stil‘ verweist. Bei dem dunklen Armband an der linken Hand könnte es sich um ein Eintrittsarmbändchen handelt, wie sie auf Musikfestivals gebräuchlich sind.47 Das lange leicht zerzauste Haar unterstützt dabei den Gesamteindruck eines stark jugendkulturell geprägten Stils. Die Körperhaltung mit übergeschlagenem Bein und dem darauf abgestützten Oberkörper macht auf mich einen „lässigen“ Eindruck. Der runde nach vorne gebeugte Oberkörper erweckt den Anschein einer entspannten Situation, die nach unten abgeknickten Hände verstärken diesen Eindruck. Zusammen mit dem nur mit dem Fußballen auf dem Boden abgestellten linken Fuß wird jedoch zugleich eine gewisse Körperspannung deutlich und ergänzt sich mit der aufmerksam erscheinenden Gesichtausdruck. Ihr Blick geht direkt zur Kamera, ihr Mund ist leicht geöffnet, als hätte sie etwas gesagt beziehungsweise würde gleich reden wollen. Insgesamt wirkt die fotografische Körperinszenierung kommunikativ, jedoch nicht in einem flüchtig-freundlichen Sinne sondern sie erscheint eher intensiv und ernsthaft. Interne Kontextualisierung Den Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Fotografie bildet ein Forschungsprojekt. Für dieses Vorhaben wurden junge Frauen gesucht, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland migriert sind und die über einen niedrigeren Schulabschluss und/oder Fluchterfahrungen verfügen. Gias Kontaktdaten wurden mir durch eine Teilnehmerin der Untersuchung zugeleitet und wir verabredeten uns in der Universität Köln. Nach der Durchführung eines Interviews fotografierte sich Gia in meiner Anwesenheit mithilfe einer Fernbedienung selbst. Das Display der Kamera wurde dabei auf einen Laptopmonitor

46 Diese Schuhe sind ohne für das Skateboardfahren gefährliche Schnüre oder Verschlüsse entworfen worden und können mithilfe einer dehnbaren Lasche angezogen werden. 47 Diese Eintrittsbändchen können nur durch das Durchschneiden des Stoffes vom Handgelenk gelöst werden und werden mitunter in der Funktion eines subkulturellen Erkennungszeichens noch lange nach dem Ereignis am Handgelenk getragen.

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übertragen, sodass Gia die Aufnahmen kontrollieren konnte. Grundlage für das vorliegende Bild bildete die Anregung, eine typische Körperhaltung mit Freunden/Freundinnen darzustellen. Die Veröffentlichung ihrer fotografischen Selbstporträts im wissenschaftlichen Kontext stellte für Gia kein Problem dar und sie stellte es mir frei, die Bilder zu anonymisieren. In der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses Gias wirkt ihr nach links vorne geneigter Oberkörper und Kopf sowie ihr direkt in die Kamera gerichteter Blick sehr (selbst)aufmerksam. Zum einen kann daraus auf eine Zugewandtheit geschlossen werden die sich womöglich durch den situativen Einstiegsimpuls mit Freunden/Freundinnen erklärt. Allerdings zeigt Gia dabei kein Lächeln, der Gesichtsausdruck könnte noch nicht einmal als freundlich beschrieben werden. Vielmehr liegt in ihrer ernsthaften Aufmerksamkeit für mich etwas Fragendes. Hinzu kommt, dass das insbesondere durch die Körperdrehung nach links, das rechte überschlagene Bein als eine schützende Linie zwischen sich und der Betrachtungsposition interpretiert werden kann. Dabei ist die der Kamera stärker zugewandte Schulter – abwehrend? – nach oben gezogen, aus Kameraperspektive verläuft der rechte Arm vor dem Oberkörper. Es entsteht der Eindruck großen Interesses bei Gia bei einer gleichzeitig auch schützenden Körperhaltung. Unabhängig davon, dass nicht abschließend geklärt werden kann, welche der drei Interaktionsebenen (sie selbst, ich als Forscherin, die imaginierten Freunde/Freundinnen) für Gia im Vordergrund stehen, erscheint ihre Körperdarstellung als differenzierte soziale Interaktion. Dabei bleibt fraglich, ob die darin enthaltene Ambivalenz intentional ist oder aber die Kontaktaufnahme beziehungsweise Distanzierung jeweils durch die andere nicht beabsichtigte Tendenz begleitet wird. Es entsteht das Bild einer am Gegenüber interessierten aber vorsichtigen Körperinszenierung. Welche Ansatzpunkte bietet die Fotografie für eine über das Bild hinausgehende Interpretation der sozialen Positionierung Gias im Rahmen (ikonologischer) Hypothesenbildung? • Gias Aufmerksamkeit für das Gegenüber erscheint hoch und ruft zugleich Assoziationen vorsichtigen Abwartens hervor, was zu einer (un-)intendierte ambivalenten Körperinszenierung führt. • Sie signalisiert zwar Interesse, der ernsthafte Gesichtsausdruck und das ,schützende Bein‘ lassen jedoch nicht auf einen Vorschuss an Vertrauen schließen. Ihr Gegenüber scheint sich erst einmal beweisen zu müssen; eine Interpretation, die bezogen auf mich als ihr Gegenüber nachvollziehbar erscheint, bezogen

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auf eine (imaginierte) Siuation mit Freunden/Freundinnen jedoch nicht auf ein entspanntes Zusammensein mit vertrauten Personen hinweist. Durch die in verschiedene Richtungen weisenden Bildlinien, die sich zum Großteil an den Händen treffen, entsteht ein bewegliches Bildzentrum. Diese in sich beweglich strukturierte Bildkomposition erweckt einen spannungsreichen Eindruck. Betrachtet man Gias fotografischen Fallkorpus vor dem Hintergrund der Einzelbildanalyse, so wird deutlich, dass dieser spannungsreiche Eindruck auch in anderen Bildern zu finden ist. Ob die in der Einzelbildanalyse rekonstruierte Gleichzeitigkeit von Aufmerksamkeit und Zurückhaltung, Dynamik und Verdichtung sich so auch in anderen Bildern zeigt, ist ohne eingehende Betrachtung nicht zu klären. Der Eindruck von zugleich Distanz haltenden und Kontakt aufnehmenden Aspekten lässt sich jedoch auch anhand der weiteren Fotografien aufrechterhalten. Insgesamt erzeugen die Fotografien bei mir insbesondere aufgrund der zum Teil ironisch erscheinenden Gesichtsausdrücke eine gewisse Verunsicherung, wobei unklar bleibt, ob diese Reaktion von Gia beabsichtigt wurde oder womöglich eine Reaktion auf ihre Verunsicherung darstellt. Es wird angenommen, dass die bei der Betrachtung der fotografischen Selbstporträts entstehende Spannung darin ihre Wurzeln hat. Zusammenfassend kann von einer abwartenden Aufmerksamkeit im Spannungsverhältnis von linealer Verdichtung und Bewegung gesprochen werden. Die damit einhergehende Ambivalenz des Bildeindrucks besteht unabhängig von der Frage, ob der mehrdeutige Bildeindruck intendiert ist oder nicht. 7.8.2 Interviewanalyse Im Folgenden werden die mithilfe des Kodierparadigmas aus dem Interview herausgearbeiteten fünf Körperthemen vorgrstellt: (1) Rebellionen eines „Adrenalinjunkies“, (2) (Un-)Abhängigkeit durch Körperkraft, (3) psychosomatische Beschwerden als ,Teufelskreis’, (4) den Körper modifizieren um die Stimmung aufzuhellen und (5) vom ,deutschen Prototyp‘ in Deutschland abweichen. Rebellionen eines „Adrenalinjunkies“ Gia beginnt ihre biografische Stegreiferzählung mit dem Hinweis, kein liebes Kind gewesen zu sein (1/3). Sie berichtet, bereits mit zwölf Jahren heimlich das Auto ihres Vaters genommen und ihren ersten Unfall gehabt zu haben (7/19-7/20). Sie wird von drei Schulen verwiesen, was sie vor allem auf ihre Kritik an der schulisch vorgeschriebenen Religiosität zurückführt (7/20-7/28). Sie gibt an, ihren muslimisch gläubigen Eltern viele Probleme bereitet zu haben und nie ein „süßes Mädchen“

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gewesen zu sein. Gia berichtet, mit vierzehn Jahren das erste Mal betrunken nach Hause gekommen zu sein und mit sechzehn Jahren nach einem schweren Autounfall drei Monate im Koma gelegen zu haben (7/30-7/36). Aufgrund anhaltender Konflikte insbesondere mit ihrem Vater (8/14-8/28) erzählt sie, sich mit sechzehn Jahren von ihren Eltern finanziell unabhängig gemacht und nach Beirut gezogen zu sein. „ich wollte ich mein Leben selber bilden ohne Hilfe und ich hab mein Vater gesagt mit sechzehn ich wollte weg der meinte du kommst wieder zurück in zwei Tage wenn du Hunger hast bin ich das erste Mal zurück nach drei Jahren Hallo zu sagen und nicht von dem Geld zu fragen oder so ich hab einfach meinen Weg gefunden und immer irgendwie ich hatte immer irgendwie Glück auch immer (--) das ist einfach so Zufälle“ (8/9-8/14).

Gia beschreibt sich als „Adrenalinjunkie“ (8/6), wobei Adrenalin – als Metapher dafür sich wohl zu fühlen – insbesondere durch Extremsportarten wie Sky Diving auftritt (8/4-8/6, 11/11-11/16). In ihrer Erinnerung an ihre Zeit in Beirut führte aber auch der Besuch von Rockkonzerten (11/2-11/3) oder das Zusammensein mit ihren Freunden/Freundinnen „zu ein bisschen Adrenalin“ (11/31). Gia gibt an, gegenwärtig „Adrenalin“ noch mehr zu lieben als früher, „weil das ist die einzige Möglichkeit gut zu fühlen“ (11/4-11/5). Dabei stellt jemand mit „Adrenalin“ für sie das Gegenteil eines „kalten Menschen“ (11/7-11/10) dar. Die Gelegenheit in Deutschland Bungee Jumping zu machen, eröffnet ihr dabei die Möglichkeit sich anschließend gut zu fühlen: „hier das kannst du nur wegen krasse Sachen Adrenalin kriegen“ (11/31-11/32). Es entsteht der Eindruck, dass Gias Körperlichkeit eng mit ihrem Selbstbild einer unabhängigen Abenteurerin verbunden ist: „ich war immer die Verrückte und jeder weiß das“ (8/17-8/18). Deutlich wird daran, wie eng die eigene Körperlichkeit und die Vorstellung vom eigenen Selbst miteinander verwoben sind. (Un-)Abhängigkeit durch Körperkraft Gia berichtet von ihrer unerschöpflichen körperlichen Kraft, die es ihr ermöglicht, ihrer gegenwärtigen Lebenssituation zu meistern. In Beirut habe sie als Klofrau wie auch als Barmanagerin gearbeitet (8/15-8/17). Auch die zum Teil langen Arbeitsschichten im Hotel halte sie durch und schrecke nicht vor körperlich anstrengender Arbeit zurück, was ihr als kleiner und dünner Frau den Respekt ihrer Kolleginnen und Kollegen einbringe, so Gia (12/11-12/17). Ihre Kraft zu Arbeiten und somit ihr Leben zu finanzieren ist für Gia ein wichtiger Aspekt ihrer Körperlichkeit. Und auch wenn sie berichtet, dass sie sich zuhause oft schlapp fühle, im Bezug auf die Arbeit gibt sie an: „meine Kraft kriegt keine Ende ich hab immer Kraft immer wieder / mhm / von wo weiß ich nicht das ist ein bisschen komisch find ich auch selber

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aber (.) ich hab immer Kraft weiter zu arbeiten und zu leben (.) egal mit Depression oder ohne Depression geht immer weiter“ (12/19-12/23).48 Im Kontrast zu dieser grundlegenden Einschätzung ihrer unerschöpflichen Arbeitskraft steht ihre Schilderung ihrer Flucht nach Deutschland als Reaktion auf den „zweiten Libanonkrieg“, im Sommer 2006. Gia berichtet, während ihrer alleine vorgenommenen Flucht von ihrem Körper ,im Stich gelassen‘ worden zu sein: „das war eine Situation das kann ich nie vergessen (-) ich war auf den Weg von Libanon nach Syrien und das war ganz gefährliche Weg ganz gefährliche Autobahn irgendwie we:il wenn da ich konnte nicht hinter mir gucken weil war tote Leute hinter mir und ich musste wirklich rennen und da war keine Autos kein Taxis und das ist schon drei Stunde Weg Straße musste du richti/ richtig laufen und ich hatte nur n kleine Tasche dabei also Rucksack hab angefangen wirklich wirklich zu rennen und konnt ich irgendwann konnt ich nich/ meine Körper hat nicht weiter mich geholfen bin ich irgendwie hintern Baum gesetzt und ich hab gedacht ich warte auf den Tod“ (16/24-16/31).

Sich nicht auf ihre Körperkraft verlassen zu können, stellt für Gia ein einschneidendes Erlebnis dar. Als Grund für ihre körperliche Erschöpfung oder Blockade nennt Gia die hohe psychische Belastung, die sie während ihrer Flucht empfand. Zusammenfassend erscheint ihr Körper in ihren Darstellungen daher nicht nur als ein zuverlässiger, sondern auch als ein unzuverlässiger Partner – eine Perspektive die auch in Bezug auf ihre Ess- und Schlafstörungen eine Rolle spielt. Psychosomatische Beschwerden als „Teufelskreis“ In Gias Darstellung steht ihre Körperlichkeit in einem engen Wechselverhältnis mit dem Empfinden von Stress. Den Begriff „Stress“ nutzt sie im Interview häufig und immer dann, wenn sie angibt, sich in Situationen nicht wohl gefühlt zu haben. Die Flucht nach Deutschland, die Rückkehr in den Libanon und das Leben bei ihren Eltern (1/25-1/27), die Anfangszeit in Deutschland, ihr Job (4/32-4/34, 13/22-13/25, 15/24-15/29) und insbesondere die Beziehung zu ihrem Partner werden als stressig erlebt (5/28-5/32, 6/5-6/7, 6/11-6/13, 10/1-10/6,). Das Zusammenleben mit ihrem Mann fordert von Gia viel Kraft, da sie das Leben in seiner Wohngemeinschaft und seinen spaßorientierten Lebenswandel als belastend empfindet. Dieser Stress führt laut Gia dazu, dass sie ihren Appetit verliert. Gia nimmt in der Zeit in Deutschland sehr stark ab und wiegt zwischenzeitlich nur noch 38 Kilogramm. Sie berichtet, dass ihr das Essen in Deutschland zu Beginn nicht bekommen sei und sie zudem in

48 Aufgrund dieser Darstellung erscheint der Hinweis auf das Versagen der körperlichen Kraft auf der Flucht vom Libanon über Syrien nach Deutschland 2006 umso extremer.

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dieser Zeit sehr viel geraucht habe (1/35-2/3). Für sie ist Essen nichts Positives mehr wenn sie angibt: „Appetit habe ich nicht so oft (.) sehr selten sehr selten ich essen nur das ich kann weiterleben nicht weil ich mag Essen oder so interessiert mich überhaupt über Essen oder Dessert oder diese Dinge ich esse nur weiterzuleben (3) / mhm / Appetit niemals so selten (-) also nur weil ich die krasse Hunger esse ich aber sonst nie“ (4/22-4/24).

Dabei erkennt sie sehr wohl, dass sie früher deutlich mehr Energie hatte, Dinge zu tun und auch ihre Niedergeschlagenheit führt sie auf den Mangel an Essen und darin enthaltene Nährstoffe zurück (4/13-4/19). Gia bemüht sich aktiv, ihr Gewicht zu erhöhen und zieht auch ihren Arzt zu Rate, der jedoch keine körperlichen Gründe für ihren Gewichtsverlust feststellen kann. Sie gibt an, deutlich weniger zu rauchen als früher und nimmt Vitaminpräparate ein, konnte ihr Gewicht jedoch bisher nur leicht erhöhen (2/32-2/36). Zudem leidet Gia an Schlafstörungen, wobei nicht klar wird, wann diese bei ihr einsetzen. Sie gibt an, durch das mehrmalige Aufwachen in der Nacht unter starkem Schlafmangel gelitten zu haben, sodass sie ihren Arzt um Schlaftabletten gebeten habe (10/6-10/8). Mittlerweile, so Gia, schlafe sie etwas besser. Der Wechsel von Früh- und Spätschichten bei der Arbeit führt laut Gia jedoch dazu, dass sie weiterhin keinen wirklichen Schlafrhythmus finde (10-/12-10/18). Schlafmangel und Hunger ohne Appetit zu haben führen laut Gia bei ihr entweder zu einer aggressiven oder deprimierten Stimmung. Sie gibt an, siebzig Prozent der Zeit in einer der beiden Stimmungen zu sein, weswegen sie oft alleine bleibe: „weil ich kann wirklich aggressiv sein (.) oder ganz deprimiert sein und das finde ich von mir selber nicht fair also ich kann wirklich Menschen fertig machen oder oder anfangen Probleme mit Menschen zu zu machen“ (16/4-16/6). Gia berichtet, sich über Bemerkungen zu ihrem Gewicht und ihre Appetitlosigkeit durch Familie und Freunde/Freundinnen zu ärgern, da sie selbst gerne zunehmen würde. Insbesondere störe es sie, wenn die Vermutung geäußert werde, dass sie sich bewusst dünn gehungert habe (14/14-14/28). Auch wenn sie als einen Grund für ihre Appetitlosigkeit angibt, ungerne alleine zu essen, so kommt es bei Familienreffen – bei denen sie zum Essen motiviert wird – regelmäßig zu Streit: „komm Gia ess das bis Ende (.) dann (-) ich fang an zu schreien (.) guck mal wie dünn du bist oder wenn eine von meine Familie sagt das dann reagier ich wirklich ab also dann bin ich also ich verlier meine Nerven und am Ende nehme ich mein/ meine Tasche und gehe ich weg und bleibe sechs sieben Monate bis ich kann wieder mit meine Familie treffen weil die nerven einfach“ (16/12-16/16).

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Deutlich wird, dass Gias belastende Lebenssituation, die ihren Ausgangspunkt in den kriegerischen Konflikten im Libanon findet, eng mit ihrer Körperlichkeit verbunden ist. Durch ihren Körper scheint sich zum einen ihr Leid auszudrücken. Diese körperlichen Beschwerden führen jedoch zugleich zu weiteren Belastungen, die es Gia wiederum erschweren sich besser zu fühlen. Ihr Wunsch mehr zu essen und ausreichend Schlaf zu finden scheint nur schwer zu realisieren. Es entsteht der Eindruck als rebelliere Gia mit ihrem Körper gegen ihre problematische Lebenssituation, wobei ihr Körper diese noch einmal verstärkt. Den Körper modifizieren, um die Stimmung zu verbessern Insbesondere durch ihre starke Gewichtsabnahme findet sich Gia nicht mehr schön (14/11-14/15). Eine Möglichkeit, sich selbst als attraktiver zu empfinden, besteht für sie darin, sich Tattoos und Piercings machen zu lassen. Ihr Wunsch ist es, sich dadurch „vielleicht besser“ (3/10-3/11) zu fühlen und so der durch ihr Alleinsein bestehenden Langeweile entgegen zu wirken: „hab ich dem Tattoo gemacht und das hat gut aus/ und das fühlt ich mich stolz auf meinen Körper aber sonst (-) früher war ich immer zufrieden“ (14/3-14/4). Als ein besonders schönes Körpererlebnis benennt Gia das Stechen eines Tattoos, das sie selbst entworfen habe. Das Tattoo stellt Gia als ein Symbol ihrer Lebenserfahrungen dar, die sie damit sichtbar in ihren Körper ,einschreibt‘: „war irgendwie ne Idee von mir und irgendwas sehr privat weil für mich ich hab im Libanon super Leben gehabt danach ich fühlte mich tot weil ich hatte nicht zu tun in meinen Leben und ich bin ein Mensch muss ich immer was haben immer was tun immer was machen oder ich fühle mich nicht am Leben und danach kippt Deutschland“ (12/30-12/34).

Die Vorlage des Tattoos zeigt einen toten Baum, die libanesische Flagge, einen Totenkopf und zwei Lilien, die ihr in einer vierstündigen Sitzung auf den Bauch tätowiert wurde: „nachher hab ich gesehen das war einfach so geil das war super hat er super Job gemacht und ich hab einfach gefühlt dass ich dies sexyer die beste Körper überhaupt“ (12/37-12/39). Neben ihrem Bestreben sich schöner zu fühlen benennt Gia als Gründe für ihre Körpermodifikationen den Wunsch, der Langeweile zu entkommen und zugleich empfundenen Stress abzubauen. Als unproblematisch sieht sie ihr Verhalten dabei anscheinend nicht an, wenn sie angibt, dass es immer noch besser sei, sich Piercings und Tattoos machen zu lassen, als „Trinken oder Drogen nehmen glaube ich aber es gesund ist das nicht“ (3/14-3/15). Gias Ausführungen zeigen, dass sie versucht, sich durch positive körperliche Erfahrungen – für sie ausgelöst durch das Stechen von Piercings und Tattoos – besser zu fühlen. Durch den Hinweis sich so schöner zu fühlen und stolz auf sich zu

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sein, etwas was sie ,früher‘ als selbstverständlich empfand, eröffnet Gia den Blick auf ihr Verhalten als eine Form der Kompensation eines negativen Blicks auf ihren Körper, ein Verhalten das sie zugleich problematisiert. Vom ,deutschen Prototyp‘ in Deutschland abweichen Auf die Frage nach möglichen Reaktionen auf ihr im stereotypen Sinne ,nicht deutsches Aussehen‘ berichtet Gia über Erfahrungen, dass sie in Deutschland als hübsch gelte, wobei sie im Libanon ein ganz normal aussehendes Mädchen gewesen sei. Ihr Mann habe ihr die Erklärung gegeben, dass dunkles langes Haar bei jungen Menschen in Deutschland beliebt sei, da es dies nicht so häufig gäbe. Am Anfang konnte Gia dies nicht nachvollziehen, „jetzt find ich gut=find ich gut ((beide lachen))“ (19/37). Ihre Erinnerungen an negative Reaktionen auf ihr Äußeres korrigiert sie in ihrer Formulierung von zu Beginn „manchmal“ gemachten Erfahrungen auf ein einmaliges Erlebnis, bei dem sie und ihre Mutter in einem Café nicht bedient wurden. Sieh führt das Verhalten des Kellners auf das Kopftuch der Mutter zurück, das den Kellner wohl annehmen ließ, dass sie die Getränke nicht bezahlen können. Gia kritisiert sein Verhalten als respektlos, etwas, dass sie „egal ob ich Schwarzkopf habe oder Muslem oder Christ was weiß ich“ (20/11) von jedem Menschen einfordert. Ein Generalverdacht gegenüber allen Ausländern empfindet sie daher als unangemessen, auch wenn ihrer Meinung nach „viele Ausländer die haben auch scheiße gebaut manche Leute (.) ich gucke die komisch an weil es ist einfach unglaublich was die machen aber das heißt nicht alle das heißt einfach nicht alle nicht alle Muslems sind böse nicht alle Christe sind böse nicht alle Jude sind böse in jede Land gibt es die Gute und die Böse in jede Religion auch so also was soll das ((lacht))“ (29/14-20/18).

Gia berichtet zudem über ein aufgrund ihres Äußeren entstandenes Gespräch mit einem jüdischen Hotelgast, der – als er erfuhr, dass sie aus dem Libanon stamme – nicht mehr von ihr bedient werden wollte. Durch die Äußerung „schwarze Haare ist schon und dunkle Augen sind schön aber nicht wenn das liegt an Politik oder find ich nicht“ (20/31-20/32) scheint sie auf die problematische Verbindung von Aussehen und damit zusammenhängende Vorstellungen über die Haltung oder Meinung eines Menschen zu verweisen. Ansonsten gibt sie an, aufgrund ihrer schwarzen Haare keine Probleme mit Anderen zu haben. Auch wenn sie die grundlegende Problematik rassistischer Haltungen thematisiert, vermutet sie selbst als einzelne Person nichts dagegen tun zu können (21/1-21/4). Deutlich wird, dass Gia sich grundlegend gegen verallgemeinernde Aussagen von Gruppen aufgrund eines bestimmten Merkmals ausspricht. In diesem Sinne

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trifft sie selbst in dem Interview keine Aussagen über Gruppen wie ,die Deutschen‘ oder ,die Männer‘ und meidet so konsequent kollektive Zuschreibungen. Dabei kommt sie ausgehend vom äußeren Erscheinungsbild – als einem solchen kollektiven Merkmal – wiederholt auf die Frage nach der Religionszugehörigkeit zu sprechen. Eine Thematik, die mit Gias eigenen Erfahrungen mit religiös motivierten Konflikten im Libanon und auch der ,Islamdebatte‘ in Deutschland im Zusammenhang stehen könnte. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Körper(lichkeit) als Träger und Ursache von Leid in der Migration Auf der Suche nach einer Frau, die sich in einer im Vergleich zu den sieben bisherigen Fällen unsichereren Lebenslage befindet, entsteht Kontakt zu Gia, die einen Fluchthintergrund hat und in Deutschland in einem Hotel arbeitet. Im Interview stellt sich heraus, dass Gia durch ihre Teilnahme die in der bisherigen Studie bestehende Schwerpunktsetzung auf bildungserfolgreiche Frauen nicht aufhebt, da sie vor ihrer Ankunft in Deutschland im Libanon studiert hat. Die im Rückblick auf ihre Kindheit und Jugend beziehungsweise ihr junges Erwachsenenalter hergestellten Bezüge zu ihrer Körperlichkeit sind positiv. Sie gibt an, sehr aktiv und sportlich gewesen zu sein, sich gerne sommerlich gekleidet, keine Probleme mit ihrem Körper gehabt und sich durchaus „sexy“ gefühlt zu haben (5/2-5/5, 12/8, 14/9-14/10). Diese schönen Lebenserinnerungen nehmen durch die zwischen dem Libanon und Israel geführten kriegerischen Auseinandersetzungen 2006 ein jähes Ende. Sie flieht nach Deutschland, als sich die Lage im Libanon innerhalb eines Monats aber wieder beruhigt kehrt Gia zurück. Sie kann allerdings nicht an ihr bisheriges Leben anknüpfen und muss zurück zu ihren Eltern ziehen: „das war ein bisschchen heftig (-) hab ich angefangen zu trinken trinken rauchen rauchen rauchen nicht mehr essen alles gestresst ja das war super stressig“ (1/251/27). In dieser problematischen Lebenssituation im Libanon entwickelt Gia einen anderen Umgang mit ihrem Körper: Sie trinkt und raucht viel und bekommt zudem Probleme mit dem Essen. Über das Internet lernt sie einen Deutschen kennen, sie werden ein Paar und Gia kommt nach Deutschland, um ihn zu heiraten (1/30-1/31). Die nun folgende Zeit in Deutschland beschreibt sie als sehr negativ. Das Zusammenleben mit ihrem Mann gestaltet sich als schwierig. Sie leidet unter „Heimweh“ und „Depressionen“ (2/4-2/5). Der bereits am Ende ihrer Zeit im Libanon angesprochene Stress und die damit verbundene Appetitlosigkeit verschlimmern sich in Deutschland noch einmal deutlich und sie bekommt Schlafstörungen. Die von ihr als belastend beschriebene Lebenssituation scheint sich körperlich zu veräußerlichen; entsprechend der neuen Lebensumstände verändert sich ihr Körper. Dabei unterscheidet Gia zwischen einem schönen Leben vor und einem schwierigen Leben nach dem Krieg 2006, eine Unterscheidung die weitgehend mit ihrem

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Leben im Libanon und in Deutschland zusammenfällt. Dieser Vergleich, der im Rückblick womöglich als „heilsames Erzählen“ (Rosenthal 2002) über die Zeit vor Ausbruch des zweiten Libanonkrieges zu verstehen ist, erstreckt sich auch auf ihre Körperlichkeit. Die Gegenüberstellung ihres vor Ausbruch des Krieges als schön erinnerten Körpers und der in Deutschland entwickelten problematischen Körperlichkeit wird von Gia nicht konkret in weitere gesellschaftliche Kontexte eingebunden – vom auslösenden Erlebnis des Krieges einmal abgesehen. Vielmehr deutet Gia ihre Situation als eine Anhäufung persönlicher Probleme, die zu einer grundlegend anderen Art der Wahrnehmung des eigenen Körpers, dem Umgang mit ihrem Körper sowie dessen Präsentation geführt haben: „man sieht früher meine Fotos und jetzt kann man nicht wirklich denken das ist dieselbe Person also es hat viel viel viel geändert auch wie ich aussehe und so ganz ganz geändert“ (3/34-3/36). Für Gia scheint es sehr schwer, sich aus der Dynamik der sich gegenseitig bedingenden körperlichen Beschwerden (Ess- und Schlafstörungen) und den als unangenehm empfundenen Stimmungen (Niedergeschlagenheit und Aggression) zu befreien. Sie beschreibt ihr Leben in Deutschland als sozial isoliert, was sie auf die bisher starke Fokussierung auf die Beziehung zu ihrem Mann zurückführt (7/17/10). Sie vermutet, dass der Kontakt zu ihrem Mann ungesund für sie sei (8/358/40, 6/28-6/29). Mit Erhalt einer eigenen – unabhängig von ihrer Ehe zu einem Deutschen bestehenden – Aufenthaltserlaubnis möchte Gia ein Studium beginnen und so an ihr Leben vor Ausbruch des Krieges anknüpfen.49 Ihre Zukunftspläne verweisen auf eine Lebenssituation, die sie weder entsprechend eines Lebens in Libanon „wie die libanesische Frauen heiraten und Kinder kriegen“, noch entsprechend ihren bisherigen Erfahrungen in Deutschland darstellt (2/8, 4/1-4/3, 8/328/33). Gia äußert den zentralen Wunsch, an ihre positiv erinnerte Körperlichkeit aus der Zeit vor dem Krieg im Libanon anzuknüpfen: „ich denke dass ich gesund bin (.) aber mit wirklich wie ich war früher ich weiß nicht wie kann ich das schaffen ich hab alles Mögliche versucht auch das Atmosphäre und so das hat geändert und ich glaube das hat einfach meine Körper auch geändert“ (3/6-3/8). Die von ihr benannten Veränderungen ihrer Körperlichkeit sind somit in einem engen Zusammenhang mit sozialen Erfahrungen zu sehen, in denen die Migration nach Deutschland einen Aspekt in einer spezifischen Problemlage bildet. So beginnen der empfundene Stress und der veränderte Umgang mit dem eigenen Körper laut Gia bereits während beziehungsweise nach der Flucht nach Deutschland und der Rückkehr in den Libanon. Die auf die Migration folgende soziale Isolation, der Statusverlust und vermutlich auch die Abhängigkeit, die durch die an die Ehe ge-

49 Vgl. Abschnitt sechs zur Regelung des Aufenthalts aus familiären Gründen im Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundegebiet (AufenthG).

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koppelte Aufenthaltserlaubnis besteht, können dabei als negative Faktoren in einer Verkettung von Problemen gesehen werden. Die durch den Krieg im Libanon hervorgerufenen Veränderungen der „Atmosphäre“ (ebd.) führen dazu, dass ihre Körperlichkeit nun eine andere geworden ist. Zum einen, da Gia anders leiblich spürt, ihren Körper anders wahrnimmt und mit ihm umgeht und ihn demnach auch anders präsentiert. Zum anderen, weil ihr Körper sein Aussehen ändert, sich anders ,verhält‘ und sich so in Gias Augen der Rolle eines verlässlichen ,Partners‘ entzieht. Gias Ausführungen geben dabei einen Einblick in die Komplexität der Verflechtung psychischer Belastungen und körperlichen Erkrankungen, die im Ansatz der Psychosomatik Berücksichtigung findet. Entsprechend der darin zum Ausdruck kommenden Veränderbarkeit von Körperlichkeit gibt Gia jedoch die Hoffnung nicht auf, dass es ihr wieder besser gehen und sie sich in Zukunft wieder wohl in ihrem Körper fühlen wird. 7.8.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich In den fotografisch und schriftlich festgehaltenen Darstellungen Gias Körperlichkeit lassen sich Parallelen aufzeigen. Im Interview schildert sie eine durch den Krieg im Libanon ausgelöste problematische Lebenssituation und damit einhergehende negative Veränderung ihrer Körperlichkeit. Ihr Leben ist dabei auch durch migrationsbedingte Belastungen wie die Nichtanerkennung von Qualifikationen und die an die Ehe mit einem Deutschen gebundene Aufenthaltsgenehmigung gekennzeichnet. Ihre in Deutschland bestehende – durchaus auch selbstkritisch betrachtete – soziale Isolation bildet dabei allerdings die vermutlich zentrale Belastung für Gia. Der Kontakt zu ebenfalls in Deutschland lebenden Familienmitgliedern wird phasenweise als problematisch beschrieben. In der Einzelbildanalyse mit Freunden/Freundinnen wurde die Interpretation zu der Aussage einer deutlichen Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz verdichtet. Der interaktive Gehalt ihres Selbstporträts erweckt den Eindruck eines vorsichtigen Kontaktaufbaus. In einer zugleich „lässigen“ und angespannten Haltung zeigt Gia eine sehr hohe soziale Aufmerksamkeit, die als vorsichtiges Herantasten an ihr Gegenüber erscheint. Im Interview berichtet sie, dass sich bereits in der kurzen Zeit nach der Rückkehr in den Libanon Anzeichen einer Veränderung ihrer Körperlichkeit andeuten, eine Entwicklung, die durch die Lebenssituation in Deutschland noch einmal deutlich verstärkt wird. Auch wenn sie bemüht ist, ihre Situation zu verändern und so den durch ihre körperlichen Beschwerden bestehenden Leidensdruck zu verringern, scheint sie sich (noch) nicht aus der auch strukturell bedingten Lebenssituation befreien zu können.

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Durch die starke Verwobenheit bestehender sozialer Probleme mit körperlichen Beschwerden sowie aggressiven und depressiven Stimmungen lassen sich nur schwer kausale Zusammenhänge ausmachen. Die in der Bildinterpretation deutlich werdende Ambivalenz lässt sich im Interview nicht in der Intensität wiederfinden. Vielmehr verdichten sich Text- und Bildanalyse zu der Annahme einer ambivalentradikalen Selbstpositionierung.50 Zeigt Gia im Interview eine offensiv nonkonforme Selbstdarstellung, scheint die im Interview nur vage angedeutete Einsamkeit und Verletzlichkeit im fotografischen Selbstporträt wesentlich klarer hervorzutreten. Gia strukturiert ihre Körperdarstellung in deutlicher Abhängigkeit von den jeweiligen Lebensumständen, ohne dabei auf übergreifende Erklärungen in Form von Körper-Kultur-Vergleichen zurückzugreifen. Vereinzelte ethnisch-kulturelle Bezüge treten in ihrer bewusst gerade nicht an sozialen Normen orientierten Selbstdarstellung zwar auf, werden von ihr jedoch im Rahmen von Abgrenzungen von solchen Kollektivvorstellungen genutzt. Ähnlich dem Fall Jale Öztürk ist Gia zum Zeitpunkt des Kontakts in einer schwierigen Lebenssituation. Ihr zum Ausdruck gebrachter Leidensdruck entsteht zum einen durch körperliche Beschwerden und zeigt sich zum anderen durch diese. Im Vergleich zu Frau Öztürk, die zum Zeitpunkt des Treffens erst seit neun Monaten in Deutschland lebt, verfügt Gia über mehr soziale Kontakte. Allerdings scheint auch sie der Fokus auf die eigenen Probleme zu richten, was die Möglichkeit der Kontaktaufnahme und -aufrechterhaltung einzuschränken scheint. Durch den Vergleich der Interpretation beider Fälle wird deutlich, dass die Migrationserfahrung den Leidensdruck (allerdings werden zumindest von Gia auch die damit einhergehenden Chancen gesehen) auf Grundlage einer Verwobenheit privater sozialer Sorgen und Probleme und bestehenden körperlichen Beschwerden beeinflusst und verstärkt, jedoch nicht ursächlich auslöst.51 Thematisch wird dabei das durch Jale Öztürk in die Untersuchung eingeführte Thema körperlicher Beschwerden verstärkt. Zudem wiederholen sich die Themen des Körpers in Arbeitszusammenhängen und das Thema des ,anderen Aussehens‘. Hinzu kommen die Themen der Körpermodifikation (außer Diäten als bereits benannter Möglichkeit) sowie körperliche Grenzerfahrungen mit dem Ziel sich besser zu fühlen.

50 Die Ambivalenz könnte dabei zum einen als ein mit ihrer Radikalität einhergehendes ,Nebenprodukt‘ angesehen werden. Zum anderen könnte das Gefühl der Ambivalenz gerade zu einer offensiven Darstellung im Interview führen. 51 Es stellt sich die Frage, ob die Suche nach Interviewpartnerinnen in einer sehr offenen Weise womöglich insbesondere Personen anspricht, die sich in einer problematischen und isolierten Lebenssituation befinden und diese zu bearbeiten suchen. Insbesondere bei dem Interview mit Frau Öztürk und durchaus auch durch das Verhalten der Übersetzerin nimmt das Interview zu Beginn die Form eines Hilfegesprächs an.

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(Un-)Abhängigkeit durch Körperkraft

psychosomatische Beschwerden als „Teufelskreis“

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Rebellionen eines „Adrenalinjunkies“

Körper(lichkeit) als Träger und Ursache eines leidvollen Entwicklungsprozesses in der Migration

vom ,deutschen Prototyp’ in Deutschland abweichen

den Körper modifizieren, um die Stimmung zu verbessern

Abbildung 28: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Gia Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Die zu Beginn der Analyse deutlich werdende kulturvergleichende Perspektive auf Körper (in den Fällen Meiling und Nikita und Mishgan) im Kontext von Migration hat sich mittlerweile stärker ausdifferenziert und auf diese Weise ihre zentrale Stellung in der Interpretation verloren. Wie Frau Öztürk befindet sich auch Gia in einer belastenden Lebenssituation, in der ihr Körper eine zentrale Rolle einnimmt. Empfundenes Leid wird über den Körper ausgedrückt und zugleich durch ihn aufrechterhalten. Zudem geht bei beiden Frauen damit ein Rückzug aus beziehungsweise die Vermeidung von sozialen Kontakten einher. Die Migration erweist sich als ein Aspekt, der die Lebenssituation noch einmal erschwert, wobei sich die Verknüpfung von migrationsspezifischen mit weiteren Problemen kaum umfassend rekonstruieren lässt. Im Weiteren wird nicht explizit nach Frauen mit psychosomatischen Beschwerden gesucht, da sich auf diese Weise der Fokus der Forschungsfrage verschieben würde. Die Suche nach jungen Frauen, die selbst oder deren Eltern migriert sind und die einen niedrigeren beziehungsweise keinen Schulabschluss haben, gestaltet sich als weiterhin schwierig. Verschiedene Kontaktaufnahmen scheitern, eine potenzielle Teilnehmerin findet nicht die Zeit für ein Treffen. Durch Frauen, die bereits mitgemacht haben, werden weitere Kontakte vermittelt, wobei diese Form der Stichprobenentwicklung in der Regel gerade nicht dazu führt, die Untersuchungsgruppe auszudifferenzieren.

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7.9 K ÖRPERLICHKEIT

S PANNUNGSGEFÜGE ESSENTIALISIERENDER Z USCHREIBUNGEN A UFLÖSUNG – F ALLSTUDIE M ONA IM

UND IHRER

Kurzporträt Mona52 wird 1982 in Rumänien geboren und wächst als Mitglied der ungarischen Minderheit zweisprachig auf. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes unter Ceausescu (1989) zieht die Familie mehrmals innerhalb Rumäniens um. Mona absolviert im Jahr 2000 ihr Abitur auf einem lutherischen Gymnasium. Auf Anraten ihrer zu dem Zeitpunkt bereits schwer erkrankten Mutter, die für ihre Tochter aufgrund fehlender finanzieller Mittel in Rumänien keine Zukunft sieht, geht Mona 2001 nach Deutschland. Monas Mutter stirbt kurze Zeit später an Krebs. Mona hat in der Schule Deutsch gelernt und arbeitet zwei Jahre lang als Au-pair in einer Familie in Deutschland. Anschließend nimmt sie ein Studium auf, in welchem sie im Sommer 2009 kurz vor dem Abschluss steht. Mona hat die doppelte Staatsbürgerschaft (deutsch-rumänisch) „trotz der Tatsache das ich Ungarin bin“ (1/371/38) und ist seit kurzem mit ihrem Partner mit libanesischem Migrationshintergrund verheiratet. Mona hat drei deutlich jüngere Brüder. Im Rahmen ihrer beruflichen Ausrichtung fühlt sie sich weiterhin stark mit ihrer Heimat verbunden und schreibt ihre Abschlussarbeit über ein entsprechendes Thema. 7.9.1 Fotografieanalyse Die sieben zur Verfügung stehenden Fotografien einer Person vor einem gleichbleibenden Hintergrund erwecken ein Gefühl der Ruhe bei mir. Die Fotografien erscheinen wie Darstellungen einer besonnen Person, die eine gewisse erst einmal ungerichtete Konzentration zeigt. Auf Foto eins und fünf steht die Person, auf den anderen Fotografien sitzt sie in unterschiedlichen Positionen und Ausrichtungen auf einem Stuhl. Auf vier Bildern richtet sie einen offenen Blick in die Kamera und wirkt dabei entspannt aber aufmerksam. Insbesondere Bild sechs erscheint durch die Mimik, frontale Körperhaltung und die Nähe zum unteren (vorderen) Bildrand auf eine fast schon irritierende Art direkt, sodass dieses Bild für eine nähere Betrachtung ausgewählt wird (Bildauswahl).

52 Der weibliche Vorname Mona findet sich in vielen Sprachen.

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Abbildung 29: Fotoreihe zu den imaginierten Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Mona Externe Kontextualisierung Durch eine externe Kontextualisierung wird das Bild als eine Aufnahme aus dem Jahr 2009 in Deutschland im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Themenbereich Körper und Migration verortet. Die abgebildete Person fühlte sich durch die Suchanfrage nach jungen Frauen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland migriert sind, angesprochen. Durch das Forschungsinteresse wird die Aufmerksamkeit bei der von mir als Angehöriger der Mehrheitsgesellschaft durchgeführten Bildanalyse auf den kommunikativ-interaktionalen Ausdruck des Bildes gelegt. Die vorikonografische Bildbeschreibung zeigt in dreidimensionaler, perspektivischer Hinsicht eine auf einem Stuhl sitzende Person vor einem neutralen Hintergrund. Der Hintergrund der Fotografie im Hochformat besteht aus einer hellen, teilweise fleckigen Wand, die durch eine dunkle Fußleiste von einem dunklen, leicht marmorierten glatten Boden getrennt wird. Die abgebildete Person sitzt aufrecht auf einem frontal zur Kamera aufgestellten Stuhl, der aufgrund der Sitzhaltung vermutlich eine Rückenlehne hat. Der Stuhl ist leicht links von der vertikalen Bildmittellinie aufgestellt, der Bildmittelpunkt liegt auf dem Unterleib der Frau. Die sitzende Frau hat ihre Beine im Knie leicht angewinkelt, frontal nach vorne

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ausgerichtet und an den Fußgelenken überschlagen. Die Füße reichen fast bis zum vorderen Bildrand. Ihr Oberkörper ist zurückgelehnt, die Wahrnehmung der nach vorne gestreckten Füße und des nach hinten gelehnten Oberkörpers wird dabei durch die proportionalen Größenunterschiede perspektivischer Darstellung betont (vgl. Arnheim 1978, 229). Ihre Oberarme befinden sich neben dem Oberkörper, ihre Unterarme sind auf dem Schoß abgelegt und an den Händen zusammen geführt. Die Innenfläche ihrer linken Hand ist nach oben gedreht und sie hält einen kleinen rechteckigen Gegenstand. Die Außenfläche ihrer rechten Hand zeigt Richtung Kamera, wobei der Zeigefinger die Finger der linken Hand berührt, die übrigen Finger sind nach innen eingeknickt. Ihr Kopf wie ihr Blick ist frontal zur Kamera ausgerichtet, ihr Mund ist geschlossen. Die Frau trägt ihr dunkelbraunes längeres Haar mittig gescheitelt und nach hinten gebunden. Aus den hinter die Ohren gestrichenen Haaren fallen links und rechts jeweils leicht gewellte Strähnen heraus, die bis zum Kinn reichen. Sie trägt eine ungefähr hüftlange, langärmelige schwarze Strickjacke mit Zopfmuster und einem kleinen nach unten geklappten Kragen. Die Jacke ist geöffnet und hat auf der rechten Seite etwas größere runde schwarze Knöpfe, vermutlich aus Kunststoff. An der rechten Seite hängt an der Jacke eine schwarze Kordel bis zur Hälfte der Stuhlbeine hinab. Unter der geöffneten Jacke trägt die Person ein orangerotes T-Shirt mit einem leicht gekräuselten V-Ausschnitt. Auf der Brust ist ein florales Motiv aufgedruckt. Es zeigt eine Art gelbrote stilisierte Blütenknospe, die durch um sie herum geordnete grüne Blätter eine ornamentale Optik erhält. Unterhalb der Blüte befindet sich ein gelbes längliches Element, welches aufgrund des durch die Sitzhaltung und die Brustwölbung in Falten geworfenen Hemdes nicht gut sichtbar ist. Leicht verdeckt durch das Bündchen des T-Shirts ist ein braun-beiger Flechtgürtel mit lederbezogener, runder Schnalle zu sehen. Die graue Hose aus Jeans- oder Cordstoff hat eine verdeckte Reißverschluss- oder Knopfleiste. Zu beiden Seiten sind auf den Oberschenkeln die unteren Nähte aufgesetzter Hosentaschen zu erkennen, welche jedoch durch die in den Schoß gelegten Hände zum Großteil verdeckt werden. Die langen Hosenbeine sind leicht ausgestellt und nach außen umgeschlagen. Die Frau trägt Stoffturnschuhe in einer hellen grau-bläulichen Farbe, die vorne über eine Kappe und an den Seiten über breitere Ränder aus weißem Gummi verfügen. Die Schnürbänder sind ebenfalls weiß. Aufgrund der übereinandergeschlagenen Füße ist die gräuliche Sohle des linken Schuhs erkennbar. Die Frau trägt einen schlichten silberfarbenen Ring am Mittelfinger der rechten Hand. Um den Hals trägt sie eine Kette, die aus einem dunklen Leder- oder Stoffband sowie einem Anhänger besteht, der auf dem Dekolleté zwischen den Schlüsselbeinen aufliegt. Der Anhänger ist ebenfalls dunkel, verfügt über einen grünlichen Schimmer und hat eine runde, beziehungsweise tropfenförmig Form. Er weist ver-

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tikal wellenförmige Einkerbungen auf, ein gegenständliches Motiv ist nicht zu erkennen. Es könnte sich dabei um Horn, Holz oder Stein handeln. Bezogen auf die konkrete wie imaginierte Linienführung im Bild auf dreidimensionaler Ebene lassen sich als direkt sichtbare Linien die horizontale Fußleiste und die vertikalen leicht ausgestellten Stuhlbeine ausmachen. Die Linien der Stuhlbeine finden sich in der Oberarmpartie Monas wieder, welche zwar nicht direkt, jedoch im ähnlich ausgestellten Winkel von den Schultern bis zu den Stuhlbeinfüßen reichen. In dieser sich leicht nach oben verengenden ,Begrenzung‘ lassen sich ausgehend von dem Band der Halskette drei weitere pfeilförmig nach unten beziehungsweise vorne verlaufende Linienführungen ausmachen: Der Ausschnitt des TShirts, die Haltung der sich verbindenden Hände sowie die weißen Gummiumrandungen der überkreuzten Schuhe. Die Körperform der Frau lässt sich durch ihre vorne zusammengeführten Füße als rautenförmig beschreiben, wobei die Hüfte die breiteste Stelle bildet. Die im Bild vorhandenen Farben finden sich in unterschiedlicher Helligkeit im Bild wieder. Deutliche Kontraste finden sich zwischen der Frau mit dunklem Haar, schwarzer Jacke und grauer Hose vor dem hellen Hintergrund sowie zwischen den hellen Gummirändern der Schuhe und dem dunklen Boden. Hinsichtlich der Farbgebung bildet das T-Shirt aufgrund seines roten Untergrunds sowie den durch den Aufdruck entstehenden zum Teil komplementären Farbkontrasten das farbliche Zentrum des Bildes. Bezogen auf die Lichtverhältnisse scheint das Foto insgesamt recht gut ausgeleuchtet, sodass sich nur durch einen leichten Helligkeitsverlauf auf dem Hintergrund sowie einem unter den übereinander geschlagenen Füßen vorhandenen Schatten ein Lichteinfall von der rechten Seite vermuten lässt. Durch die Spiegelungen des Stuhls auf dem glänzenden, dunklen Boden erscheint es so, als ob die Stuhlbeine in den Boden hinein reichen würden. Durch die Position der etwas oberhalb der sitzenden Person aufgestellten Kamera (Horizont durch Fluchtpunkt oberhalb der Bildmitte) entsteht eine leichte Aufsicht auf diese. Der Bildausschnitt zeigt eine Fotografie im Hochformat in der Halbtotale. Die Aufnahme ist nicht ganz scharf, was auf eine unzureichende Lichtzufuhr, aber auch auf unpassende technische Einstellungen der Kamera hinweisen könnte.

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Abbildung 30: anonymisiertes Foto „mit Freunden/Freundinnen“ und Skizze des Gesichts im Fall Mona

Im Folgenden wird der symbolische Gehalt der Bildposition der Abgebildeten, ihre Erscheinung sowie Gestik und Mimik untersucht. Die Frau bildet den Mittelpunkt des Bildes, wobei ihre Zentralität durch die ausgestreckten Beine in der Vertikalen nach unten verschoben wird. Diese Schwerpunktverschiebung wird durch die vom Kopf zu den Stuhlbeinen auseinander laufende gleichschenklige Trapezform unterstützt. Zudem wird diese nach unten verlaufende Bewegung durch eine wiederholt im Bild auftauchende nach unten zeigende pfeilförmige Dreiecksform unterstützt, die sich am Hals, den Händen und Füßen findet. Das äußere Erscheinungsbild der Frau – Strickjacke, bedrucktes T-Shirt und Schlaghose – deuten in ihrem wenig formellen Chic für mich auf einen jugendlichen Stil hin. Die florale Ornamentik des T-Shirt-Aufdrucks scheint in ihrer stark kontrastiven Farbigkeit eine primär dekorative Funktion zu haben. Die knospenähnliche Form des Fleurons erscheint in ihrem pflanzlichen Wachstumsstadium als eine zukunftsorientierte Symbolik. Der hellroten Farbe des T-Shirts lässt sich keine bestimmte Wirkung zuschreiben, da die Ausdruckskraft von Farben nicht nur von ihrem jeweiligen Kontext abhängig ist, sondern durch individuelle Wahrnehmungs-

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erfahrungen herausgebildet wird (vgl. Arnheim 1978, 365ff.). Durch die auf dem Foto wahrgenommene Beimischung von Gelb erscheint das Rot jedoch eher „kalt“ (ebd., 367) und entfernt sich somit in der Wahrnehmung eher von der Betrachterin (ebd.). In Kombination mit dem Schmuck – ein schlichter Ring am rechten Mittelfinger und eine Halskette im ,Ethnostil‘ – konkretisiert sich der vestimentäre Ausdruck im Sinne eines von mir als ökologisch-alternativ bezeichneten Modestils.53 Ihre Körperhaltung erscheint aufgrund des zurück gelegten Oberkörpers, der in den Schoß gelegten Hände sowie der nach vorne ausgestreckten übereinander geschlagenen Füße entspannt. Diese Haltung ist auf relative Dauer und Stabilität angelegt, da ein schnelles Aufstehen kaum möglich wäre. An ihrer Position auf der Sitzfläche des Stuhls wird jedoch deutlich, dass sie ihr Gesäß nicht bis an die Stuhlvorderkante schiebt und ihr Oberkörper aufgerichtet ist, sodass kein „lässiger“ Eindruck entsteht. Die der Kamera entgegen gestreckte Beinhaltung führt dazu, dass das in perspektivischer Hinsicht der Kamera nächste Körperteil die Füße sind, wodurch einen Dynamik im Bild nach unten/vorne hervorgerufen wird. Zudem wird der Abstand zwischen der Frau und der Kamera minimiert, die Füße scheinen fast schon aus dem Bildausschnitt heraus zu führen. Die geschlossene Beinhaltung und die aufgestellten Füße der Frau könnten zudem einen distanzierenden Eindruck erwecken. Ihre in den Schoß gelegten sich leicht berührenden Hände erscheinen mir in der Betrachtung nicht primär abweisend, jedoch durchaus als eine abschließende Haltung, die womöglich als vom „Hauptstrom der Aufmerksamkeit“ (vgl. Goffman 1981, 241ff.) gegenüber der Kamera abgespaltene zerstreut, gedankenlose Kommunikation mit sich selbst gedeutet werden kann. Ihr Gesichtsausdruck kann als aufmerksam bezeichnet werden, da sie konzentriert in die Kamera blickt und ihre Augen dabei weder geweitet noch zusammengekniffen sind. Durch den geraden, geschlossenen Mund wirkt der Gesichtsausdruck weder freundlich noch missmutig auf mich und erscheint in seiner aufmerksamen Neutralität durchaus selbstbewusst. Interne Kontextualisierung Durch die interne Kontextualisierung wird der Entstehungs- und Verwendungszusammenhang des Bildes für die Analyse hinzu gezogen. So bildet die Fotografie einen Teil eines Forschungsprojektes, für das junge Frauen gesucht wurden, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Die abgebildete Frau Mona erfuhr von dem Projekt über eine Frau, die bereits an

53 Die Kette mit dem auffälligen, da dunklen und recht großen Anhänger könnte die Funktion eines Talismans haben. Der Ring am Mittelfinger der rechten Hand kann, muss aber keine besondere Bedeutung haben und ist anders als ein Ring am Ringfinger weniger eindeutig konnotiert.

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dem Projekt teilgenommen hatte und erklärte sich zur Teilnahme bereit. Nachdem wir ein Interview miteinander geführt hatten, erstellt Mona mithilfe einer Fernbedienung Fotografien von sich. Dabei konnte sie das Display der Kamera über einen angeschlossenen Laptopmonitor sehen. Als Anregungen für die Fotografien wurde der Vorschlag gemacht, typische Körperhaltungen in verschiedenen imaginierten soziale Situationen im öffentlichen, halböffentlichen und privaten Raum einzunehmen. Das vorliegende Foto zeigt eine typische Körperhaltung mit Freunden/Freundinnen. Mona hat die Erstellung der Fotografien sehr konzentriert vorgenommen und wählte nach einigen Versuchen das als erstes erstellte Foto. Die Verwendungssituation im Rahmen einer Dissertation mit dazugehöriger Veröffentlichung führt dazu, dass Mona sich für die Anonymisierung ihrer fotografischen Selbstporträts entscheidet. Gegen eine Zeichnung ihres Gesichts hatte sie nichts einzuwenden. Ausgehend von einer hypothetischen Grundhaltung im Rahmen der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses von Mona als Fotografin/Fotografierter fällt ihre zentrale Position im Bild auf. Die Betonung der Mitte des Bildes schafft ein Gleichgewichtszentrum, die zentrale Position unterstreicht dabei die Bedeutsamkeit und hebt die Dominanz der im Zentrum Stehenden hervor (vgl. Arnheim 1996, 126ff.). Zusammen mit ihrer frontalen Ausrichtung sowie ihrem direkt in die Kamera gerichteten Blick ist Mona im Bild sehr präsent. Ihre Körperhaltung mit dem nach hinten gelehnten aufrechten Oberkörper und Kopf sowie den ausgestreckten übereinander geschlagen Füßen kann dabei als eine aufmerksame und zugleich entspannte Haltung wahrgenommen werden. Unterstützt durch die leicht schließende Handhaltung sowie die neutrale Mimik erscheint mir Mona in der Interaktion mit dem Gegenüber ganz ,bei sich‘. Hinsichtlich der sich in der Annahme des abstrakten Anderen verbindenden Adressatenspezifitäten gegenüber der eigenen Person, mir als Forscherin sowie den imaginierten Freunden/Freundinnen wird angenommen, dass der ,Blick der Kamera‘ zum jeweiligen Gegenüber wird, da diese/dieser durch die enge Verbindung zur Kamera ansonsten deutlich außen vor stehen würde(n). Mona präsentiert sich in einer selbstbewussten Weise, sie nimmt Kontakt zur Kamera auf und signalisiert ihr Interesse, wendet sich der Kamera jedoch nicht aktiv zu. Mona zeigt sich als ,in sich ruhend‘ in einer als entspannt und aufmerksam zu interpretierenden Haltung. In einer über das fotografische Selbstporträt hinausgehenden (ikonologischen) Hypothesenbildung lassen sich folgende Punkte zusammenfassen:

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• Unabhängig davon, ob die Kamera Monas eigenen Blick, den Blick von Freunden/Freundinnen oder meinen Blick als Forscherin repräsentiert, scheint Mona in ihrer entspannten Aufmerksamkeit der Kamera etwas entgegen zu setzen. Sie nimmt den Blick der Kamera auf und gibt ihn zurück, wodurch die Beziehung zwischen betrachtetem Objekt und betrachtendem Subjekt weniger eindeutig wird. Mona kontrolliert die Fotosituation (Entstehung und Betrachtung) deutlich mit. • Dabei besteht ein nur geringer Abstand zwischen Mona und der Kamera, wobei ihre Füße beziehungsweise die Sohlen ihrer Schuhe als ,Kontaktstelle‘ sichtbar werden. Als Schutzfunktion wahrgenommen, entsteht der Eindruck von Abgrenzung. Zusammen mit den ,in den Schoß gelegten‘ sich leicht berührenden Händen wird ein abwartend vorsichtiger Anschein geweckt. • Unterstützt wird die Idee der Kombination selbstbewusster entspannter Aufmerksamkeit mit Aspekten des vorsichtigen Abwartens durch die nach unten (vorne) verlaufenden pfeilförmigen Linien, die – gerahmt durch die sich nach unten öffnende Linienführung der Stuhlbeine/Oberarme – die Assoziation von Standfestigkeit und Stabilität erwecken. Die Interpretation einer entspannten und aufmerksamen Körperinszenierung wird somit um die Dimension eines durch Vorsicht geprägten Abwartens ergänzt. Gepaart mit Monas starker Bildpräsenz scheint sie das ,In der Welt sein‘ mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. In der kursorischen Rückbindung der Einzelbildinterpretation an den fotografischen Fallkorpus Monas zeigt sich auch in den weiteren Fotografien ihre starke Zentralität, mit leichten Verschiebungen auf der vertikalen und horizontalen Mittelachse. Alle Fotografien zeigen – ob nun ein Blickkontakt mit der Kamera besteht oder nicht – eine hohe Aufmerksamkeit in der sozialen Situation. Die in der Einzelbildanalyse herausgearbeitete Kombination von Zurückhaltung und selbstbewusster Kontaktaufnahme bietet Hinweise für den spannungsvollen Eindruck der Fotografien Monas, der auf das Verhältnis von Nähe und Distanz als Kernfrage von Interaktion verweist. Dabei rufen die Fotos bei der Betrachtung den Eindruck von Ruhe hervor, die eine nahezu ikonische Präsenz der Abgebildeten hervorruft. Das Foto erweckt den Eindruck einer selbstbewussten Haltung in der Interaktion, in der Offenheit mit abwartender Distanz gepaart wird. Mona richtet ihre volle Aufmerksamkeit in einer ruhigen in sich ruhenden Art und Weise auf das Gegenüber. Eine bewusst einladende Kontaktaufnahme wird von ihr jedoch nicht vorgenommen.

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7.9.2 Interviewanalyse Aus den Aussagen Monas im Interview konnten mithilfe des Kodierparadigmas die vier Körperthemen – (1) ,der osteuropäische Frauenkörper‘ im Blick der Anderen, (2) Erziehung als (Verzicht auf) Körpernähe, (3) die „Stolzsache“ – eine selbstbewusste (weibliche) Körperpräsentation verhandeln und (4) den natürlichen, reinen Körper gegen schädliche Umwelteinflüsse schützen – entwickelt werden. ,Der osteuropäische Frauenkörper‘ im Blick der Anderen In Monas Ausführungen zu ihren in Deutschland gemachten Erfahrungen mit Vorstellungen über typische Körpermerkmale bei aus Osteuropa stammenden Frauen überlagern sich Vorstellungen weiblicher und westlicher Körpernormen. So berichtet Mona über ihre starke Körperbehaarung seit der Jugend, die aufgrund ihrer dunklen Haare und hellen Haut besonders deutlich erkennbar sei – ein Kontrast, der ihrer Meinung nach bei aus Deutschland oder nördlicheren Ländern stammenden Menschen nicht so häufig auftritt und zu einer „gewissen so ähm ja (-) Unterscheidung“ führt (6/1-6/8). Mona gibt an, dass sich bei ihr deswegen als Vierzehnjähriger „Komplexe“ (2/6) entwickelten, da sie durch einen Jungen auf ihre Körperbehaarung aufmerksam gemacht wurde (4/19-4/23). Aufgrund eines auch durch Filme und Magazine entstandenen „Ideals“ waren „Haare am Körper und als Frau?“ (2/42/5) für Mona ein Problem und sie begann in dieser Zeit mit der Zustimmung ihrer Eltern mit der Beinenthaarung (4/28-4/38). Gefestigt wurde ihre negative Haltung durch den Vortrag einer Lehrerin zum Thema Körperhygiene und -ästhetik, in dem diese Achsel- und Beinbehaarung bei Frauen als unästhetisch benannte (4/38-5/13): „und dann hab ich mich auch bestätigt gefühlt ja ne es stimmt schon ne also sie ist eine gebildete Frau ja ((lachend)) also wenn sie das auch ((beide lachen)) so sieht dann bin ich richtig weil ziemlich viele haben gesagt ja mach dir keine Sorgen das ist normal äh es ist natürlich aber es ging nicht um Sorge es ging einfach um Selbstzufriedenheit“ (5/9-5/13).

Diese jugendliche Vorstellung einer für eine Frau nicht normalen körperlichen Behaarung wird durch die in Deutschland erfahrene Rückmeldung von Ärzten im Bezug zu ihrer Herkunft geschlechtlich normalisiert und zugleich in ethnischer Hinsicht besondert. Denn sie erhält die Information, dass es sich bei ihr um eine für osteuropäische Frauen nicht ungewöhnliche Körperbehaarung handele (2/9-2/12, 6/8-6/16). Mona gibt an, dass sie diese Hinweise nicht als unfreundlich empfunden habe, allerdings: „ich fand das schon lustig dass die da so ne Bemerkung gemacht haben ((lacht kurz auf)) darüber / mhm / ähm da hat sich da auch rausgestellt dass das auch hormonelle ähm äh Ursachen

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hat natürlich weil ähm ich relativ viel äh Testosteron in meinem Blut habe und das ist dann normal das da äh (-) dass das äh:: ja (.)“ (2/9-2/17).

Mona verweist als Grund für ihre Beinbehaarung auf den vergleichsweise hohen Anteil des ,männlichen‘ Hormons Testosteron in ihrem Blut und gibt an, ihre Körperbehaarung auch weiterhin als Belastung zu empfinden. Gesundheitliche Risiken haben sie bisher davon abgehalten, eine dauerhafte Entfernung der Beinhaare mit einem Laser durchführen zu lassen (5/26-5/30, vgl. weiterhin die Interviewkategorie vier im Fall Mona). Neben dem Hinweis auf eine stärkere Behaarung als ,typisches Körpermerkmal‘ osteuropäischer Frauen berichtet Mona weiterhin davon, durch eine Kosmetikerin in Deutschland einmal darauf hingewiesen worden zu sein, sie habe für eine osteuropäische Frau relativ feine Poren (5/19-5/24). Eine Bemerkung durch eine weitere „Körperspezialistin“, die in ähnlicher Weise eine natio-ethno-kulturelle Unterscheidung aufmacht, in die Mona dann eingeordnet wird. Auffällig erscheint bei den Ausführungen Monas, dass die Rückmeldungen von ,Körperfachleuten‘ zu Körperbehaarung und gröberem Hautbild als bei osteuropäischen Frauen öfter auftretenden Merkmalen in stereotyper Weise eher mit männlichen Körpern in Verbindung gebracht werden. Durch diese Konstruktion ,des Körpers osteuropäischer Frauen‘ wird das im Vergleich dazu bestehende Bild des westlichen glatten und zarten Frauenkörpers hergestellt und aufrechterhalten (vgl. Walgenbach 1998, Dietrich 2007, 339ff.). Die Verwobenheit und gegenseitige Unterstützung von vergeschlechtlichten und ethnisierenden Normvorstellungen wird in Monas Ausführungen deutlich. Erziehung als (Verzicht auf) Körpernähe Durch ihr Aufwachsen in Rumänien und ihre Au-pair-Tätigkeit als junge Frau in Deutschland gibt Mona an, im Vergleich durchaus Unterschiede im (körperlichen) Erziehungsverhalten gegenüber Kindern festgestellt zu haben: „ich hab die Erziehung ähm (.) hier und in der Heimat ähm ziemlich gut vergleichen können (.) auch was Körperliches anbelangt ähm das war für mich sehr interessant weil von einem aus dem einen Extremen bin ich so fast in dem anderen Extremen gekommen (.) bei uns ähm (.) beziehungsweise in meinem Kindheit äh gab es noch ja relativ viel Gewalt was Kindererziehung anging ja / mhm / ähm hier in Deutschland ist das was anderes ich weiß jetzt nicht ob das wie das vor zwanzig Jahren aussieht ich weiß nur (.) äh bis ich sechs oder sieben war hab ich immer wieder was abbekommen“ (2/19-2/28).

Auch im Vergleich zu den Erfahrungen, die Mona als Au-Pair in einer deutschen Familie gesammelt hat, verurteilt sie die körperliche Gewalt, die ihr Vater in ihrer

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Erziehung angewendet habe. Mona berichtet, dass sich die Haltung ihres Vaters während ihrer Kindheit mit der Zeit jedoch veränderte und er sich zudem für sein Verhalten bei ihr entschuldigt habe (2/30-2/31, 6/29-6/30). Diese Entwicklung ihres Vaters benennt sie als „Ausnahme“, da in Rumänien auf dem Land „ relativ oft ähm ganz oft also ganz normal also relativ autoritäre Erziehung ausgeübt“ (2/32-2/33) wird. Im Vergleich dazu empfindet sie die in Deutschland nicht vorhandene Autorität der Eltern für ihre Kinder als ein anderes Extrem, auch wenn sie dem Verbot von körperlicher Gewalt gegenüber Kindern zustimmt (2/33-2/35): „auf der anderen Seite dass den Kindern so: vieles erlaubt ist und das die Kinder halt relativ respektlos mit ihren eigenen Eltern manchmal umgehen das fand ich schon ein bisschen merkwürdig“ (2/35-2/37). Die – abgesehen von den Schlägen ihres Vaters – körperlose Beziehung in ihrer Familie mit wenig Umarmungen (und auch sprachlichen Zuneigungsbekundungen) beschreibt Mona wiederum nicht als im kulturellen Sinne typisch. So erinnert sie sich daran, dass in ihrer Kindheit in anderen Familien durchaus mehr Körperkontakt zwischen den Mitgliedern bestanden habe (7/11-7/13). Den geringen Körperkontakt benennt sie daher als „familienspezifische“ (7/12) Eigenart: „also es ist jetzt nicht kulturell bedingt es ist nicht in meine alte soziale ähm äh Kreise so gewesen weil äh das war in meine Familie also es war jetzt also ich denken mal es ist noch stärker oder ich sah dann das noch (-) ähm äh stärker in mir als ich dann das Ganze wahrgenommen hab ähm hier in Deutschland hier in Deutschland hab ich das aber so wahrgenommen dass das nur innerhalb der Familie ähm so Kind und Eltern die die schmusen sehr viel was bei uns gar nicht war weil einfach mein Vater viel zu autoritär am Anfang war“ (6/24-6/30).

Durch die Möglichkeit des Vergleichs zwischen ihren in Rumänien und Deutschland gesammelten Erfahrungen schärft sich Monas Einstellung zu einem angemessen Umgang mit Kindern. Denn die von ihr genannten ,Extreme‘ einer (zurückliegenden) gewaltvollen Körpererziehung in Rumänien (auf dem Lande) auf der einen und der als Au-Pair in Deutschland erfahrenen körperlich liebevollen, aber wenig reglementierenden Erziehung auf der anderen Seite erscheinen ihr nicht angemessen. Deutlich wird dabei, dass die kulturelle Komponente durch die zeitliche wie auch die in Bezug auf Land/Stadt vorgenommen Differenzierung ergänzt wird. Die „Stolzsache“ – eine selbstbewusste (weibliche) Körperpräsentation verhandeln Im gesamten Interview nimmt Mona eine stark reflektierende Position gegenüber ihrer Körperlichkeit ein. Sie berichtet wiederholt vom Einfluss der Rückmeldungen Anderer auf ihre eigene Körperpräsentation. Mona erinnert sich, seit ihrer Kindheit für ihren „stolzen Auftritt“ kritisiert worden zu sein: „da waren die Leute fast belei-

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digt davon“ (9/4) und gibt zusammenfassend an: „eigentlich muss ich sagen äh war ich immer relativ eingebildet was äh mich angeht (.) bin ich vielleicht immer noch“ (8/27-8/29). Als einen Grund dafür nennt sie, dass ihr als Kind eingeredet worden sei, besonders hübsch zu sein (8/39-8/40). Unterstützt wurde diese Haltung durch den ersten Platz bei einem Schönheitswettbewerb mit ca. zwölf Jahren (9/22-9/30). Außerdem vermutet Mona, dass dies mit dem Verhalten ihres Vaters zusammenhängt, der ihrer Meinung nach „immer den Kopf ein bisschen nach oben“ (9/8-9/9) trug, was als eine Metapher für einen selbstbewussten oder auch eingebildeten Auftritt zu deuten ist, auch wenn diese Interpretation des Auftritts ihres Vaters ihrer Meinung nach nicht zutrifft. Als Jugendliche wurde ihr beim Schulbesuch eines Psychologen, der behauptete, den Charakter einer ihm unbekannten Person bestimmen zu können, durch ihn (oder seine Begleiterin) mitgeteilt, dass sie „so in der Richtung skrupellos“ (15/2316/2) primär an sich denke und ihre eigenen Ziel verfolge, ohne auf die Gefühle anderer Personen zu achten. Bestürzt über diese ,professionelle‘ Einschätzung ihres Charakters bittet Mona eine Freundin um ihre Meinung, wobei diese die Einschätzung des Psychologen zum Teil bestätigte (16/4-16/13). Eine ähnliche Beurteilung erhält Mona nachdem sie bei der deutschen Au-pair Familie auszog und zur Untermiete bei einer älteren Frau wohnte, die hinter ihrem Rücken über Mona meinte: „sie stolziert so“ (9/7). Deutlich wird in ihren Ausführungen, dass sich Mona diese Rückmeldungen über ihr Auftreten sehr zu Herzen nimmt und versucht, diesem Eindruck aktiv entgegen zu wirken. Das Hineinversetzen in die Wahrnehmung ihrer Person durch Andere bringt sie dazu, ihr Verhalten zu ändern: „was ich für ein Bild für die Menschen die um mich herum waren gegeben hab darum ging es ich denke die Menschen haben danach geurteilt und es kam wirklich so rüber“ (16/15-16/17). Am Beispiel ihrer Kleidungswahl zeigt Mona auf, dass sie diese Rückmeldungen nicht als ausschließlich negativ empfindet, da ihr “Selbstbild“ durch dieses Feedback mehr „Perspektiven“ und „Kontraste“ (13/30-31/31) erhalte. Durch die Anregungen ihrer Freundinnen und gelegentlich auch ihres Mannes sei sie beispielsweise dazu ermutigt worden, sich nicht immer nur sportlich zu kleiden und stärker ihre „Weiblichkeit zum Ausdruck (zu) bringen“ (13/26). So kaufe sie sich nun manchmal etwas „Süßes“ oder „Romantisches“ zum Anziehen, was ihrer Vorstellung einer natürlichen Weiblichkeit entspräche. „Sexy“ „Superweiberklamotten“ (13/33-13/36) hingegen empfindet Mona als nicht schön, sodass auch sie wiederum die Rückmeldung an ihre Freundinnen gäbe, sich doch etwas weniger zu stylen. Dabei vermutet Mona, dass sie Andere durch ein stärkeres Styling durchaus mehr beeindrucken könnte (14/28-14/32), sie jedoch – basierend auf den Erfahrungen mit „der Stolzsache“ – Sorge habe, dass ihr dies als negative Charaktereigenschaft ausgelegt wer-

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den könne (9/10-9/14). Durch die in Deutschland noch einmal verstärkte Tendenz, sich zurückzunehmen, gibt Mona an, sich manchmal etwas reservierter anzuziehen als sie eigentlich möchte, damit sie kein Aufsehen erregte und nicht auffalle (14/2414/26). Allerdings beschränke sich – so Mona – „die Stolzsache“ nicht allein auf ihr Äußeres. Das ihrer Meinung nach damit einhergehende „sehr sehr starke Bewusstheit oder wie heißt das ein Selbstsicherheit“ (16/36-16/37) wird von ihr als durchaus positiv eingeschätzt, wenn sie sagt, dass sie in der Abiturphase bemerkt habe, „dass da noch ganz andere Werte sind und ganz andere äh äh ähm positive Sachen in mir drin sind was äh was eigentlich genau mit diese Sache zusammen hängt ja was die anderen kritisiert haben“ (16/28-16/31). Außerdem merkt sie kritisch an, dass vielleicht nicht ihr Auftreten, sondern die Wahrnehmung der Anderen das Problem darstellt. Sie bezieht die Kritik an ihr während ihrer Kindheit und Jugend auch auf damalige Vorstellungen über die „Stellung der Frau Stellung in der Familie“ (9/14-9/17), nach denen Frauen nicht zu selbstbewusst auftreten sollten. Grundsätzlich ist das eigene Auftreten für Mona nicht allein auf Bewusstsein oder Körper zu reduzieren, sondern zeigt gerade deren gegenseitige Bedingtheit. Dabei können die Reaktionen Anderer auf das eigene Auftreten bis zu einem bestimmten Grad durchaus bewusst gesteuert werden. Allerdings wird auch deutlich, dass die Wirkung der eigenen Körperpräsentation immer auch durch die Anderen beziehungsweise bestehende gesellschaftliche Umstände mitbestimmt wird. Den ,natürlichen‘, ,reinen‘ Körper gegen schädliche Umwelteinflüsse schützen Für Mona ist ihre gesundheitliche Verfassung direkt mit dem Umgang mit ihrem Körper verknüpft. Die Arbeit am Körper – sei es durch Bewegung oder Pflege – wird von ihr positiv bewertet. Nimmt sie sich vor, mehr Sport zu treiben und ist dann inkonsequent in der Umsetzung, fühlt sich Mona nicht gut (11/9-11/14). Sie gibt an, ihr Körpergewicht seit ihrer Zeit in Deutschland genau zu beobachten, da sie in der ersten Zeit in Deutschland sehr schnell fünf Kilogramm zugenommen habe, was ihr jedoch nicht gefallen habe (11/29-11/33). Mona sieht ihren Körper als Teil einer unauflöslichen Körper-Psyche-Einheit, die sich durch den aufmerksamen Umgang mit sich selbst positiv beeinflussen lässt. Als kritisch werden von Mona dabei chemische Einflüsse bewertet, wobei sie ihren Körper durch die TschernobylKatastrophe und viele Krebsfälle in ihrer Familie als grundsätzlich anfälliger für Missbildungen und Krebserkrankungen ansieht. So berichtet sie davon, in Nahrung und Körperpflege auf künstliche Zusatzstoffe zu verzichten und ökologische Produkte zu nutzen (5/26-5/28, 12/24-13/2). Grundsätzlich vermutet Mona, etwas hypochondrisch zu sein, da sie oft zu vielen Ärzten gehe, um ihren gesundheitlichen Zustand kontrollieren zu lassen (11/41-12/2). Sie wünsche sich zudem in Zukunft in

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einer „natürlicheren Umgebung“ (13/7-13/16) zu wohnen als in einer Großstadt, da sie sich dann gesünder fühlen würde. In Monas Ausführungen zeigt sich die Vorstellung eines ,natürlichen‘ und somit eines möglichst wenig durch ,unnatürliche’ – künstliche und chemische – Substanzen angegriffenen oder verunreinigten Körpers als Ideal. Einflüsse einer industrialisierten Gesellschaft wie auch das Leben in der Großstadt stellen in Monas Augen schädliche Einflüsse für ihren Körper dar. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: körperliche Reserviertheit als Schutz vor Abweichung Mona beginnt ihre Stegreiferzählung mit dem für sie als sehr wichtig erachteten Hinweis, in Rumänien der ungarischen Minderheit angehört zu haben und somit zweisprachig aufgewachsen zu sein (1/4-1/8). Mit deutsch-rumänischer Doppelstaatsbürgerschaft „trotz der Tatsache dass ich Ungarin bin“ (1/37-1/38) positioniert sich Mona in Bezug auf ihr Herkunftsland Rumänien sowie Deutschland als Angehörige einer ethnisch-kulturellen Minderheit. Bezogen auf das forschungsleitende Interesse am Themenkomplex „Körper und Migration“ wird in der von ihr wiederholt genutzten Systematik eines Körper-Kultur-Vergleichs dabei nicht deutlich, ob sie sich im Vergleich zu ihrem Leben in Deutschland auf Rumänien allgemein oder auf die ungarische Minderheit im Speziellen bezieht. Eng scheint ihre Körperlichkeit an die in der Interaktion erfahrenen Rückmeldungen auf ihren Körper und ihr Auftreten gebunden, die von ihr zum Teil auch kulturspezifisch markiert werden. Mona berichtet zum einen von Unterschieden im Aussehen osteuropäischer und deutscher Frauen – zumindest wie sie ihr von deutschen Ärzten anhand der Körperbehaarung osteuropäischer Frauen dargelegt worden sind (6/8-6/16). Zum anderen bezieht sie sich auf den körperlichen Umgang miteinander und verweist auf kulturell markierte Umgangsformen, wenn sie berichtet, dass ihr nach der Migration nach Deutschland bei Besuchen in Rumänien ein gefühlskalter Umgang mit Anderen vorgeworfen worden sei. Sie vermutet in diesem Zusammenhang in Deutschland „Ordnung und die ganzen Sachen“ (7/38-7/39) gelernt, sich jedoch zugleich eine zusätzliche Verschlossenheit und Reserviertheit angeeignet zu haben, die ihr in Rumänien nun als ,deutsche‘ Gefühlskälte ausgelegt werde. „ich denke mal als ich nach Deutschland kam mh da hab ich mich doch äh nicht zu einem wärmeren Mensch entwickelt sondern ich bin zu etwas kältere Mensch entwickelt beziehungsweise an manchen Bereichen hab ich mich verschlossen mh um irgendwie äh mich selbst zu verteidigen ähm ich es kam auch mir (.) also es kam mir schon kalt vor man sagt ja ok man kommt nach Deutschland und es ist so ne kältere Gesellschaft irgendwie in Osteuropa es kam schon etwas so vor“ (6/37-7/1).

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Demnach beschreibt Mona ihre Entwicklung hin zu einem „kälteren Menschen“ nicht vornehmlich als kulturelle Anpassungsleistung an ,die Deutschen‘, wie diese von Bekannten in Rumänien markiert wird, sondern als migrationsspezifische Strategie, die ihr im Sinne eines „Habitus der Überlebenskunst“ (vgl. Seukwa 2006) dabei hilft, das neue Leben in Deutschland zu meistern. Sie berichtet zudem, dass ihr sozialer Umgang bereits vor der Migration nach Deutschland von Bekannten in Rumänien als ungewöhnlich reserviert wahrgenommen wurde – ein Umstand den sie auf die elterliche Erziehung zurückführt. Dieses familial geprägte zurückhaltende Verhalten gegenüber Anderen kommt Mona ihrer Ansicht nach in Deutschland durchaus zugute, wenn sie sagt: „wenn ich nach Hause gehe dann verhalte ich mich genau so wie früher gegenüber meinen Eltern (.) gegenüber den Freunden ist es was anderes da muss ich mich schon überwinden das ist schon ähm ich bin dann ich denke mal relativ äh gefühls äh kalt nach außen erzogen worden einfach und deshalb äh das kommt auch manchmal so rüber (.) hier in Deutschland ist das kein Problem weil irgendwie äh komm ich auch damit ganz klar und ich komm den Leuten auch nicht nah was denen eigentlich ganz gut passt“ (3/11-3/16).

Entgegen der Unterteilung von Deutschland als einer ,kühlen‘ Gesellschaft und osteuropäischen Gesellschaften als ,warmherzig‘ gibt Mona im Bezug auf das Thema „Familie“ in genau umgekehrter Weise an, dass sie den Eindruck habe, es gebe in Deutschland zwischen Eltern und Kindern mehr Körperkontakt, als sie selbst in ihrer Familie erfahren habe. Die weitgehend körperlose Beziehung zu ihren Eltern wird von ihr jedoch nicht als kulturelles, sondern als individuell familienspezifisches Merkmal benannt (7/11-7/13). Monas Umgang mit den an sie herangetragenen, zum Teil kulturspezifischen körperbezogenen Rückmeldungen verweisen auf eine gewisse Anpassungsbereitschaft an die Erwartungen Anderer. Die zum Teil kulturvergleichend erscheinenden Aussagen Monas können dabei nur auf allgemeiner Ebene als Körper-KulturVergleiche betrachtet werden. Mit zunehmender Detailliertheit scheint sich die Eindeutigkeit diesbezüglich vorgenommener Zuschreibungen in den jeweilig individuellen Erfahrungen Monas aufzulösen. Deutlich wird, dass die für den Kulturvergleich von Mona herangezogenen Körper(lichkeits)vorstellungen im Austausch mit den Beurteilungen Anderer entstehen. Mona reflektiert diese Aussagen im Hinblick auf ihre eigene Körperlichkeit und versucht, den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Allerdings erscheint ihr Verhalten als eine sehr bewusste Form der Anpassung mit dem Ziel, Andere nicht zu kränken oder gegen sich aufzubringen. In der Konsequenz scheint in ihrer Darstellung eine Diskrepanz zu liegen zwischen dem, was sie als ihre eigene Meinung präsentiert und wie sie Anderen gegenüber auftritt.

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7.9.3 Triangulation der Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Die in der Fotoanalyse herausgearbeitete Spannung einer ,nach außen‘ offenen Körperinszenierung, die zugleich Elemente eines bewussten Selbstbezugs enthält, kann auch in der Interviewanalyse wiedergefunden werden. So präsentiert und beschreibt Mona sich selbst als selbstbewusste, sogar womöglich eingebildete Person. Zugleich reagiert sie sensibel auf die Meinungen Anderer über sich und ihren Körper. Hinweise Anderer scheinen für sie als eine Erweiterung ihrer eigenen Perspektive zu fungieren, wobei sie sich nicht automatisch den Ansichten anderer Personen anpasst, sondern vielmehr versucht, das Spektrum – beispielsweise der Art sich zu kleiden – zu vergrößern. Hinsichtlich ihrer Körperpräsentation ist Mona gegenüber Anderen vorsichtig, denn die Kritik an ihrem stolzen Auftreten begleitet sie seit der Kindheit. In den Interviewausführungen wird deutlich, dass die Meinung anderer Personen immer wieder Einfluss auf ihre Körperpräsentation nimmt. Mona hat aufgrund kritischer Rückmeldungen zu ihrem Auftreten, die sie in Rumänien und Deutschland erfahren hat, ihre Darstellung gegenüber Anderen entsprechend angepasst. Im Sinne einer Camouflage-Strategie gibt sie im Interview an, sich gegenüber Anderen zurückzunehmen und sich bewusst weniger auffällig zu kleiden, damit ihr dies nicht als Charakterfehler ausgelegt werde. Deutlich wird in ihren Ausführungen, wie eng ihre Körperinszenierung und die Vorstellung Anderer über ihr ,Inneres‘ zusammenhängen. Die sozial geformte Verbindung von Selbstbewusstsein und Zurückhaltung kann als materialübergreifendes Spannungsgefüge angesehen werden: Die visuelle Körperdarstellung verdeutlicht die Umsetzung ihrer sprachlich benannten Strategie der Distanziertheit einerseits, die Interviewausführungen eröffnen Einblicke in Monas Beweggründe für ihr fotografischen Selbstporträt anderseits. Durch die sprachlichen Ausführungen Monas wird deutlich, dass sich die eindeutigen natio-ethno-kulturellen Körperzuschreibungen eher auf die Aussagen anderer Personen beziehen. Insbesondere bezogen auf Annahmen eines ,kulturbedingt‘ angemessenen Körperkontakts löst Mona diese kollektiven Zuschreibungen durch ihre Familienerinnerungen auf. Das vorsichtige Moment der visuellen Darstellung scheint zum einen mit der von ihr benannten familial begründeten Reserviertheit, zum anderen mit der Reserviertheit in der Migrationssituation verknüpfbar. Es könnte aber auch als abwehrende Reaktion auf vielfältige über das Körperliche vorgenommene Zuschreibungen durch Andere verstanden werden. Mona systematisiert ihre sprachlichen Aussagen zu ihrer Körperlichkeit punktuell in einem Vergleich zwischen den Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend in Rumänien und als Erwachsene in Deutschland. Die Vergleiche sind jedoch weniger eindeutig als bei Nikita und insbesondere Meiling, sondern eher wie im Fall Leya eine Möglichkeit der Strukturierung ihrer Erfahrungen neben anderen. Zudem wird

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bei Mona noch einmal deutlich, wie sehr diese vergleichende Perspektive durch Meinungen Anderer bestimmt ist: Zum Beispiel durch die Aussagen der deutschen Ärzte über den Körper osteuropäischer Frauen oder die Annahmen von körperlicher Distanziertheit als Resultat ,deutscher‘ Gefühlskälte bei ihren Bekannten in Rumänien. In soziale Kontexte eingebunden, scheint sich Mona den kulturalisierenden Zuschreibungen in Deutschland und Rumänien auf das jeweils andere ,Typische‘ dabei nicht kritisch zu wiedersetzen, sondern sich ihnen durch ihre individuelle Darstellung zu entziehen. Die grundlegende Vergleichsordnung wird somit durch den Fall Mona noch einmal um eine Subform ausdifferenziert: Natio-ethnokulturelle Vergleiche Anderer werden aufgegriffen, jedoch durch die eigene Positionierung in dieser Ordnung aufgelöst. Entgegen der in Meilings Aussagen rekonstruierbaren Sicht auf Familie als Träger kulturellen Wissens, wird im Fall Mona gerade die Differenz zwischen familialen Körpererfahrungen und als kulturell benannten Körpervorstellungen deutlich. Im Fall Mona zeigt sich noch einmal besonders deutlich der in der bisherigen Untersuchung entstandene Eindruck von Körperlichkeit als etwas sozial Ausgehandeltem. Neu hinzu kommt die Perspektive auf den ,natürlichen‘ vor gesellschaftlichen Einflüssen des modernen Lebens zu schützenden Körper. Die zeitliche Komponente als intervenierende Bedingung spielt wie bei Meiling und Nikita auch für Monas Reflexionen eine Rolle. Dabei wird die eigene Haltung zum Körper als eine zeitlich gebundene Einstellung dargestellt, die sich potenziell verändern kann. Zum einen aufgrund der gerade an körperlichen Veränderungen festgemachten Entwicklung vom Kind zur Erwachsenen und zum anderen aufgrund der (damit einhergehenden) sich verändernden Lebensbedingungen, die Einfluss auf die eigene Körperlichkeit nehmen.

den ,natürlichen‘, ,reinen‘ Körper gegen schädliche Umwelteinflüsse schützen

Körperlichkeit im Spannungsgefüge kultureller Zuschreibungen, die durch diese wiederum aufgelöst werden die „Stolzsache“ – eine selbstbewusste (weibliche) Körperpräsentation verhandeln

Erziehung als (Verzicht auf) körperliche Nähe

,der osteuropäische Frauenkörper‘ im Blick der Anderen

Abbildung 31: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Mona

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Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Der Fall Mona eröffnet eine weitere subkategoriale Strategie der Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit im Kontext von Migration. Mona setzt sich mit der kulturvergleichenden Perspektive anderer Personen auseinander und bestätigt diese zum Teil. Allerdings führen ihre individuellen Darstellungen zugleich auch dazu, diese verallgemeinernden Aussagen wiederholt infrage zu stellen. Aufgrund der bisher vorgenommenen Analysen bleibt zu klären, ob die eigene Migration und eine bewusste Erinnerung an das Leben in verschiedenen Ländern eigentlich auch zu einem Nicht-Vergleich (durch Andere) beziehungsweise zur Nichtthematisierung kultureller Bezüge führen kann. Daher sollen weitere Frauen, die selbst migriert sind und sich an das Leben vor der Migration erinnern können, für die Untersuchung gewonnen werden. Grundsätzlich gestaltetet es sich weiterhin als schwierig Frauen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen für die Untersuchung zu gewinnen. Es entsteht der Eindruck, dass die Bereitschaft von Frauen zur Teilnahme an der Untersuchung in der Regel dann besteht beziehungsweise eine Teilnahme letztlich zustande kommt, wenn der Kontakt durch mir bekannte Personen (Freunde und Freundinnen, Bekannte, Kolleginnen und Kollegen) als sogenannte Gatekeeper (vgl. Reinders 2005, 135ff.) hergestellt wird. Auf diese Weise entstehen ,automatisch‘ Kontakte zu Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen.

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7.10 K ULTURELL MARKIERTE SOWIE UNIVERSALISIERTE N ORMEN WEIBLICHER K ÖRPERPRÄSENTATION – F ALLSTUDIE C HRISTIANA Kurzporträt Christiana54 wird 1984 in der Ukraine geboren. Auf Wunsch der Eltern beginnt sie mit sechs Jahren intensiv zu turnen. Aufgrund des zeitintensiven Trainings und dem zunehmenden Arbeitspensum für ihre bilingual ausgerichtete Schule (Ukrainisch/Englisch) hört sie mit neun Jahren mit dem Turnen auf und versucht sich neben der Schule an verschiedenen Sportarten. Nach dem Abitur nutzt sie im Rahmen ihres Sprachenstudiums in der Ukraine die Möglichkeit, ihr Studium ab 2005 in Deutschland fortzusetzen. Ihr Ziel ist es, einen europäischen Universitätsabschluss zu erwerben, der in der Ukraine hohes Ansehen genießt. Weitere Aussagen zu ihren Verbleibs- oder Rückkehrabsichten macht Christiana dabei nicht. In Deutschland arbeitet sie neben ihrem Studium in der Gastronomie. Sie wohnt alleine, verbringt jedoch viel Zeit bei ihrem Freund, den sie in Deutschland kennen gelernt hat. 7.10.1 Fotografieanalyse Auf den sieben vorliegenden Fotografien ist eine Person vor demselben Hintergrund in verschiedenen Haltungen zu sehen. Auf drei Fotos ist sie stehend abgebildet und auf vier Fotos sitzt sie auf einem Stuhl. Auf vier Fotografien schaut sie in Kamera, auf den übrigen Bildern geht ihr Blick in eine andere Richtung. Mir fällt auf, dass die abgebildete Person – abgesehen von einer Fotografie – ihre Hände zeigt und etwas mit ihnen macht (in die Hüfte stützen, in den Schoß legen usw.). Aufgrund der spontanen Assoziation zu den auf einer Fotografie verborgenen Händen – Versteckt sie etwas? Schämt sie sich? – wird dieses Bild für die nähere Betrachtung ausgewählt (Bildauswahl).

54 Das Pseudonym Christiana stammt von der Autorin, und entspricht der Struktur, die die Teilnehmerin für ihr Pseudonym wählte, indem sie den Namen ihres Freundes als weibliche Form für sich verwendete. Damit die Anonymisierung gewahrt bleibt, wurde diese Struktur auf das Namenspärchen Christian/Christiana übertragen.

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Abbildung 32: Fotoreihe zu den imaginierten Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit (Uni), mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Christiana Externe Kontextualisierung Das Bild wurde in Deutschland im Jahr 2009 im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Themenkomplex „Körper und Migration“ aufgenommen. Es zeigt eine der Teilnehmerinnen der Untersuchung, für die junge Frauen gesucht wurden, die selbst nach Deutschland migriert sind. Ausgangspunkt der von mir als junger Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft vorgenommenen Auseinandersetzung mit den Bildern ist das Interesse an der abgebildeten Person in ihrem interaktionalen Selbstausdruck. Es wird angenommen, dass die Interpretationen der Fotografie auf formaler und symbolischer Ebene Aussagen über die inkorporierte und körperbedingte soziale Positionierung der Person zulassen. Für die vorikonografische Beschreibung in räumlich-perspektivischer Hinsicht lässt sich das Bild in einen Hintergrund und eine davor auf dem Boden stehende Person unterteilen. Die zu sehende Untersuchungsteilnehmerin strukturiert dabei die Anordnung des Bildes im Raum. Der Hintergrund der Fotografie im Hochformat ist vornehmlich in hellen Tönen gehalten und zeigt zum Großteil einen textilen Stoff der über einer geschlossenen Tür zu beiden Seiten in Falten geworfen herabhängt. Neben dem Stoff sind Teile einer hellen Wand und ein Türrahmen aus Holz (der zu

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der Vermutung führt, dass sich unter dem Stoff eine Tür befindet) zu erkennen. In Höhe der waagerechten Bildmittellinie befindet sich auf der rechten Seite eine Kombination aus Lichtschalter und Steckdose aus weißem Plastik. Unterhalb der Steckdose ist entlang des rechten Bildrandes bis hinab zum Boden ein schmaler Streifen eines angeschnittenen dunklen Gegenstandes zu erkennen. In der linken Bildecke ist ein angeschnittener dunkler Gegenstand sichtbar. Die Fußleisten links und rechts neben dem Türrahmen schließen an einen Boden aus vertikal verlaufenden, hellen Holz(imitat)dielen an. Vor diesem Hintergrund steht eine Person auf dem Boden und aufrecht frontal zur Kamera. Ihre Füße sind nach vorne gerichtet und stehen eng parallel nebeneinander. Der linke Fuß ist gegenüber dem rechten Fuß um eine halbe Fußlänge nach vorne versetzt, sodass das linke Bein und die linke Hüfte leicht nach vorne geschoben sind. Der Hüftstellung entgegengesetzt ist die Schulterpartie auf der rechten Seite nach vorne und leicht nach oben gehoben, die linke Schulter fällt nach hinten unten ab. Die Oberarme der Frau sind eng seitlich an der Oberkörper gedrückt, der rechte Arm ist dabei am Ellenbogengelenk nach innen hinter den Rücken geknickt, der weiter hinten liegende linke Arm verläuft halb hinter dem Oberkörper und wird durch die herausgedrückte linke Hüfte verdeckt. Unterhalb der linken Hüfte ist ein kleiner dunkler Gegenstand zu erkennen. Die Frau hat schwarze Haare, die sie in einem kurzen fransigen Haarschnitt mit kurzem Pony am Kopf anliegend trägt. Die Seitenpartien sind etwas länger, sodass einzelne nach außen gebogene Strähnen vom Kopf abstehen. Die im großen Bogen geschwungene Form der Augenbrauen weist auf gezupfte Augenbrauen hin. Die Frau trägt eine langärmlige, kobaltblaue Bluse in Hemdform, die keine weiteren Applikationen aufweist und bis zur Hüfte reicht. Der oberste Knopf am Kragen ist geöffnet, am unteren Rand verdeckt das Oberteil den Bund einer dunkelblauen, gerade geschnittenen und eng anliegenden Jeans mit Nieten an den Kanten der zu beiden Seiten befindlichen Hosentaschen. An den Hosenbeinenden ist die Hose leicht in Falten geworfen. An den Füßen trägt die Frau flache schwarze Ballerinas, über den Fußspann verläuft jeweils ein nach außen geöffnetes v-förmiges Band. Auf zweidimensionaler Ebene zeigen sich die dominanten Bildlinien in der schmalen Silhouette der Person, im Faltenwurf sowie durch den dunklen länglichen Gegenstand am rechten Bildrand wodurch die Vertikale des Bildes betont wird. In räumlicher Hinsicht wird durch den in sich gedrehten Körper mit der nach vorne oben geschobenen rechten Schulter und der linken Hüfte eine imaginierte diagonale Bildlinie geschaffen. Farblich bildet die mittig stehende Frau durch ihre Haarfarbe und ihre Kleidung in Schwarz und dunklen Blautönen das Zentrum gegenüber dem helleren Umraum. Aufgrund eines scharfkantigen Schattenwurfes der Person kann von einer recht kleinen Lichtquelle ausgegangen werden, die sich etwas rechts oberhalb vor der Person befindet. Reflexionen sind am unteren Türblatt, dem rech-

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ten oberen Türrahmen, der linken Kante der Schalter-Steckdosenkombination sowie an den sichtbaren Nieten der Jeanshose zu erkennen (Licht/Schatten). Die Position der Kamera befindet sich frontal zur Person und eröffnet weder eine Unter- noch eine Aufsicht auf die zu sehende Person. Der Bildausschnitt zeigt eine hochformatige Fotografie in der Halbtotale. Das Bild ist eher dunkel und unscharf, was unter anderem auf unzureichende Lichtverhältnisse hinweisen könnte.

Abbildung 33: anonymisiertes Foto „mit dem Partner“ und Skizze des Gesichts im Fall Christiana Auf Symbolebene wird die zentrale Position der Person im Bild durch das im Hintergrund aufgehängte Stück Stoff unterstützt, dass die Person durch den beidseitigen Faltenwurf einzurahmen scheint. Auf diese Weise wird die Assoziation einer bewussten Inszenierung ähnlich des Auftritts auf einer Theaterbühne geweckt. Die insbesondere auf der rechten Seite im Faltenwurf sichtbar werdende Belichtung verleiht der Darstellung eine gewisse Dramatik. Durch die aus der ,Rahmung‘ herausweisenden am unteren Bildrand stehenden Füße wird der Eindruck einer Nähe zwischen abgebildeter Person und Kameraposition hervorgerufen. Das äußere Erscheinungsbild der Frau wirkt auf mich eher unauffällig. Durch die an Ballett- oder Turnschläppchen erinnernden Schuhe erhält ihr Outfit eine

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sportliche Note. Das dunkelblaue vorne zu knöpfende Hemd ist eng und eher kurz geschnitten und erinnert in seiner kastigen Form an ein klassisches Männerhemd. Auch der Kurzhaarschnitt wird durchaus von Männern und Frauen getragen, wobei der kurze Pony und die längeren Seitenpartien eher bei Kurzhaarfrisuren für Frauen Verwendung finden. Durch den fransigen Schnitt erscheinen die Haare etwas wuschelig, was einen kindlichen oder jugendhaft ,frechen‘ Eindruck hervorruft. Die Frau trägt keinen Schmuck oder weitere Accessoires. In der Körperhaltung deutet sich durch die nach vorne geschobene rechte Schulter und linke Hüfte in Kombination mit der Fußhaltung eine Vorwärtsdynamik des Gehens an, zugleich sind die Arme hinter den Oberkörper genommen, sodass sich die Frau offen und ungeschützt zur Kamera hin bewegt. Weiterhin weckt die gegeneinander abgeknickte Haltung des Rumpfes Assoziationen zu einer in Modedarstellungen von Frauen zu findenden in sich verdrehten Körperhaltung (vgl. Mühlen Achs 1998, 47). Die hinter den Rücken gelegten Arme erwecken den Eindruck, als verberge die Frau womöglich etwas vor dem ,Blick der Kamera‘. Zudem könnte die als passiv empfundene Arm- und Handhaltung als Darstellung eigener Unschuld beziehungsweise Handlungsunfähigkeit gedeutet werden. Ohne sichtbare Hände kann die Frau im wahrsten Sinne nicht eingreifen. Als eine weitere Sehweise könnte die Armhaltung zudem als eine Form des selbstbewussten „lässigen“ Auftritts erscheinen, da die Frau keinen Schutz vor der Betrachtung durch ihre Arme und Hände benötigt. Die eng an den seitlich-hinteren Oberkörper angelegten Oberarmen, die hinter den Oberkörper gehaltenen Unterarme und Hände in Kombination mit den dicht beieinander stehenden Beinen und der wenig Bodenfläche einnehmenden Fußposition wird eine schmale, wenig Raum einnehmende Körpersilhouette erzeugt, die die fotografische Körperinszenierung insgesamt zurückhaltend erscheinen lässt. Die Mimik der Frau wirkt durch den direkten Blick in die Kamera offen. In Kombination mit dem neutralen Gesichtsausdruck – hervorgerufen durch den geschlossenen geraden Mund sowie die weder geweiteten noch zusammengekniffenen Augen – wirkt der Gesichtsausdruck der Frau auf mich aufmerksam und bewusst. Interne Kontextualisierung Den Entstehungs- und Verwendungszusammenhang der Fotografie bildet ein Forschungsprojektes zum Themenkomplex „Körper und Migration“, für das ich die auf dem Foto sichtbare Teilnehmerin Christiana bat, mithilfe einer Fernbedienung Fotografien von sich zu erstellen. Dabei wurde durch mich vorgeschlagen, typische Körperhaltungen in sieben verschiedenen sozialen Situationen vorzunehmen. Aufgrund des technischen Aufbaus war es Christiana dabei möglich, das Display der Kamera auf einem an die Kamera angeschlossenen Monitor zu sehen. Das untersuchte Foto zeigt eine typische Körperhaltung mit dem Part-

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ner.55 Aufgrund des Oberfensters in der Tür, die Christiana als Hintergrund für die Aufnahmen vorgesehen hatte, entschied sie sich dafür, ein von mir mitgebrachtes Tuch über die Tür zu hängen. Christiana war mit der ersten Aufnahme einer typischen Körperhaltung in einem von ihr als angenehm empfundenen Moment mit ihrem Freund einverstanden und erstellte keine weiteren Fotografien: „und wenn du mit deinem Partner zusammen bist was ist eine typische Körperhaltung? / also du meinst jetzt angenehme ((lachend)) Momente? (-) ja so was mach ich ((Geräusch des Selbstauslösers)) (.) / ich zeige es dir ((Umstellung der Kamera, sodass das Bild zu sehen ist)) (4) / joa (.) das geht (13/29-13/32).

Die Verwendung der Fotografien im Rahmen der Untersuchung stellte für Christiana kein Problem da, sie entschied sich allerdings für die Anonymisierung ihres Gesichts durch „Verpixelung“. Basierend auf dem Zusammenfallen der Fotografin mit der Fotografierten in einer Person wird der Versuch der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses Christianas vorgenommen. Auf der Fotografie nimmt Christiana eine typische Körperhaltung mit ihrem imaginierten Partner in einem „angenehmen Moment“ ein. Durch die drei möglichen Adressierungen gegenüber sich selbst, mir als Forscherin und dem imaginierten Freund kann der frontal auf die Kamera gerichtete Blick als eine direkte Kontaktaufnahme mit dem (jeweiligen) sozialen Gegenüber gedeutet werden. Im Rahmen einer (imaginierten) Interaktion erscheint der Blick in Kombination mit der durch ihre Körperhaltung angedeuteten Vorwärtsbewegung und durch die Zurücknahme der Arme von großer Offenheit geprägt. Dem Gegenüber wird eine zwar schüchterne, aber vertrauensvolle und sich ganz in die Interaktion begebende Körperdarstellung gezeigt. Durch den direkten ,klaren‘ Blick in die Kamera stellt Christiana Kontakt mit dem Gegenüber her, dem man sich in der Betrachtung schwer entziehen kann und welcher die Darstellung der eigenen Person durchaus selbstbewusst erscheinen lässt. Bezogen auf die imaginierte Interaktion mit dem Freund wie auch hinsichtlich der Erhebungssituation kann die Interpretation als eine Interaktion ,auf Augenhöhe‘ gedeutet werden, die dabei die Assoziation von Unsicherheit weckt. Dabei zeigt sich Christiana in einem durch sie sprachlich vereindeutigten Rahmen einer positiv bewerteten – angenehmen – Situation. Durch diese

55 Die Erhebung fand in der Wohnung des Freundes statt, wobei Christiana vorab gebeten wurde, eine möglichst helle beziehungsweise hell auszuleuchtende Stelle mit einem ruhigen Hintergrund in der Wohnung zu suchen. Leider konnte der recht dunkle Raum trotz der Verwendung einer zusätzlichen Lampe nur unzureichend ausgeleuchtet werden.

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Äußerung wird zum einen angedeutet, dass ihre typische Körperhaltung in einer unangenehmen Situation anders aussehen würde, zum anderen aber die angenehmen Situation wohl die typischere (und zudem beziehungsweise zumindest soziale erwünschtere) Situation einer Selbstinszenierung darstellt. Es werden folgende (ikonologische) Hypothesen für den Fall Christiana festgehalten: • Christiana zeigt sich in ihrer offenen Präsentation gegenüber der Kamera ,ganz und gar‘, Blick und Vorwärtsbewegung sind als Merkmale einer aktiven Gestaltung von Interaktion zu verstehen. • In ihrer ,schutzlosen‘ Selbstdarstellung nimmt Christiana in ihrer Frontalität jedoch wenig Bildraum ein, sodass die offene und direkte Kontaktaufnahme um die Dimension der Zurücknahme der eigenen Person ergänzt werden muss.56 Auf diese Weise erscheint die Offenheit der Körperdarstellung weniger als Ergebnis ihres Selbstbewusstseins, sondern erweckt den Eindruck einer unsicheren Präsentation. In diesem Sinne können ihre verdecken Hände als ein offener aber nicht fordernder und in seiner Vorbehaltlosigkeit nahezu ergebener Kontaktaufbau gedeutet werden. In Christianas fotografischem Selbstporträt verdeutlicht sich die im Wunsch nach Interaktion enthaltene Ambivalenz zwischen dafür nötiger Offenheit und dem damit immer auch einhergehenden Risiko, dem Gegenüber ausgeliefert zu sein und in ,unangenehme‘ Situationen zu geraten. Die in der Einzelbildinterpretation entwickelte Deutung Christianas Körperinszenierung als Darstellung der Ambivalenz von Interaktion zwischen aktiver Offenheit und einer vorsichtigen Verschlossenheit lässt sich durch einen Rückbezug auf den fotografischen Fallkorpus in unterschiedlicher Gewichtung auch auf den anderen Fotografien finden. Neben dem direkten offenen Blick sind in den Bildern nach vorne gewandte Körperhaltungen zu erkennen, die zum Teil mit einer offenen Handgestik (Bild zwei, vier und fünf) einhergehen. Die am stärksten als verschlossen und zugleich passiv zu bezeichnende Körperhaltung zeigt Christiana in Bild drei (Schule), auf dem sie sich mit überkreuzten Armgelenken zeigt, die in Kombination mit den an den Knien zusammengeführten, jedoch nach unten auseinanderlaufenden Beinen mit nach innen gebogenen an die Stuhlbeine gestellten Füßen ei-

56 Aus dieser Perspektive erscheint auch die zuvor anhand der Armhaltung entwickelte Sehweise von Passivität und ggf. sogar Handlungsunfähigkeit naheliegender.

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ne sehr zurückhaltende Körperhaltung vermittelt.57 Offenheit und Aktivität ist wiederum zentral in der Darstellung einer typischen Körperhaltung mit Freunden/Freundinnen. Interaktion erscheint als ambivalenter, da immer auch risikoreicher Aushandlungsprozess auf den Kontinuen zwischen Offenheit und Verschlossenheit sowie Aktivität und Passivität. 7.10.2 Interviewanalyse Die Analyse des Interviews im Fall Christiana führt mithilfe des Kodierparadigmas zu den vier Körperthemen: (1) ambivalente Empfindungen beim Rückblick auf sportlichen Körperdrill in der Kindheit, (2) den Körper disziplinieren als ,Investition‘, (3) sich Kleiden als kulturspezifisches Distinktionsmittel und (4) ,männliche Blicke‘ und das eigene Körperverhalten. Ambivalente Empfindungen beim Rückblick auf sportlichen Körperdrill in der Kindheit Im Rahmen des von Christiana wiederholt angesprochenen Themas Sport berichtet sie, vom sechsten bis neunten Lebensjahr Mitglied in einem Turnverein gewesen zu sein. Sie trainierte sechsmal die Woche für jeweils drei Stunden (2/34-2/35) und gibt dazu an, dass sie der hohe Leistungsdruck beim Turnen belastet habe (3/313/33). Zudem wurde den Leistungsforderungen der Trainer mit leichten Schlägen Nachdruck verliehen (2/8-2/16). Christiana erinnert sich, Angst vor den Trainern gehabt zu haben (2/32, 3/30) und dass das Training sich für sie anfühlte, „als ob ich ins Gefängnis gegangen wär“ (2/19-2/20). Auch wurde das Gewicht der Kinder beim Turntraining genau dokumentiert und das Ziel vorgegeben, ihr Gewicht zu reduzieren: „sobald du ein Kilo mehr hattest da ham die geschimpft (.) und glaub schon dass es dass es ein moralischen eine moralische Spur hinterlässt so auf Kind auch für (.) Psyche des Kindes also wir durften nicht zunehmen sondern abnehmen“ (3/32-3/35). Auffällig ist, dass Christiana in Bezug auf ihre Darstellung des Trainings mir gegenüber angibt: „ja das wird vielleicht ein bisschen komisch äh (-) oder sogar brutal sich anhört“ (2/7). Es kommt darin eine Antizipation meiner von ihr ange-

57 Und auch wenn sie einen direkten Blick in die Kamera richtet, wird die Vorstellung einer darin sichtbaren Aktivität ggf. durch den vorgegebenen Kontext einer typischen Körperhaltung in der Schule etwas eingeschränkt, da das Zeigen von Aufmerksamkeit womöglich nicht als selbst gewählte, denn als institutionell vorgeschriebene Darstellungsweise gilt.

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nommenen Meinung über ihre Darstellung zum Ausdruck, die sich womöglich auf meine Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft bezieht. Ihre Vermutung meines Unverständnisses kann dabei zum einen auf bestehende Erfahrungen zurückgeführt werden, zum anderen beziehungsweise darüber hinaus könnte die von ihr vermutete Differenz durch ihren Kommentar noch einmal in besonderer Weise als eine Form der ,Selbstexotisierung‘ angesehen werden (vgl. dazu Nikitas Kommentar, Erfahrungen der Kindheit als gute ,Story‘ in Deutschland erzählen zu können). Dieser Interpretationsansatz erscheint insbesondere dann nachvollziehbar, wenn die körperdisziplinierenden Erfahrungen in der Kindheit nach Christianas Aussage nicht nur ihre Angst vor Lehrpersonen begründen (4/4-4/13) sondern insbesondere die Basis für ihre heutige Körperdisziplin bilden. Christiana beurteilt sportliche Betätigung als grundlegend positiv und verknüpft damit das Ziel der Herstellung körperlichen Kapitals als „Verdienst“ (Bourdieu 1987a, 329, vgl. dazu Kapitel 2.3 in diesem Buch): „wenn ich dann jogge und paar Leute treffe ich hab zum Beispiel sehr oft gehört dass ich mich beim Joggen schon sehr man merkt dass ich Leistungssport früher getrieben habe dass ich mich schon sehr professionell bewege sozusagen das haben mir viele gesagt und äh das waren sozusagen positive äußere Einflusse (.) ja (--) (6/7-6/11).

Christianas Ausführungen eröffnen einen Einblick in den für sie als Kind belastenden körperlichen Drill im Sport. Durch ihre Darstellung entsteht der Eindruck einer aus heutiger Sicht kritischen Haltung gegenüber den beschriebenen Trainingsmethoden im Turnen. Die Auswirkungen dieser Erfahrung in der frühen Kindheit schätzt sie demnach als positiv und negativ ein, sodass der Eindruck einer ambivalenten Haltung zur körperlichen Disziplinierung im Turnunterricht entsteht. Den Körper disziplinieren als ,Investition‘ Sport wird von Christiana als gesundheitsfördernd und -erhaltend angesehen. Als Grund für den Einstieg in das Turnen mit sechs Jahren benennt sie den Wunsch ihrer Eltern, dass sie als oft „kränkliches Kinde“ (10/17-10/33) durch den Sport körperlich abhärten würde. Nachdem sie knapp sechs Jahre geturnt, Leichtathletik betrieben und Tennis gespielt habe, gibt Christiana an, mit ca. 12 Jahren nur noch zwei Mal die Woche selbstorganisiert Sport gemacht zu haben (1/4-1/15). Zum Zeitpunkt des Treffens bemerkt Christiana, dass es ihr immer noch sehr wichtig sei Sport zu treiben und sie weiterhin versuche, mindestens zweimal die Woche aktiv zu werden um zu joggen oder Sportkurse zu besuchen (1/25-1/27). Christianas Motivation für den Sport im Erwachsenenalter setzt sich aus dem Wunsch zusammen, ihr Gewicht zu kontrollieren und ihre Gesundheit zu fördern.

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Sie gibt an, dass es ihr seit ihrem 15. Lebensjahr „total wichtig“ sei, „schlank zu bleiben“ (4/20-4/21) und sie seitdem „richtige Angst“ habe, als „kleine“ Person (4/24-4/25) zuzunehmen. Neben der Gewichtskontrolle hat der Sport laut Christiana jedoch noch die Funktion der Gesundheitserhaltung und -förderung. Sportliche Betätigung wirke auf sie entspannend, „als ob ich neu geboren wäre“ (5/6). Gesundheit wird von ihr nicht allein als etwas Körperliches, sondern als Balance zwischen Körper und Psyche gesehen, wenn sie berichtet, dass sie bei psychischem Stress durch bevorstehende Klausuren oder private Probleme zu gesundheitsschädlichem Verhalten wie viel Rauchen neige, was wiederum zu körperlichen Beschwerden führe (5/34-6/2). Christiana nimmt an, dass die in der Kindheit erfahrene Erziehung zum Sport der Grund dafür sei, dass sie ein schlechtes Gewissen bekomme, wenn sie einmal keine Zeit für Sport habe – ein Mechanismus den sie als positiv empfindet (10/2910/33). In Kombination mit der Essenskontrolle erscheint die Arbeit am Körper als eine ,Investition‘ in ihren Körper (vgl. dazu 4/27ff.). Das Resultat ihrer in der Kindheit erworbenen Disziplin – ein schlanker und durchtrainierter Körper – steigert ihr Selbstwertgefühl. Deutlich macht Christiana dies am Beispiel einer kleinen von ihr übernommenen Statistenrolle in einem Film, in der sie wenig Kleidung trägt: „und da dachte ich oh das das war doch schön dass ich ja Leistungssport getrieben habe als Kind und ja da kann ich noch in einem Film noch auch gut also für einen Film gut passen und da auch gut aussehen das war so ganz (.) also (-) für mein Selbstbewusstsein auch sehr bedeutend“ (4/37-4/40). Auch zum Zeitpunkt des Interviews befindet sich Christiana in einer Diät, die den Körper reinigen und den Stoffwechsel anregen soll, indem nur bestimmte Nahrungsmittel im begrenzten Umfang gegessen werden dürfen (10/36-10/39). Aufgrund des Gefühls, durch die Diät „sehr negativ“ beeinflusst zu werden, überlegt Christiana jedoch, die Diät abzubrechen. Konzentrations- und Kreislaufprobleme, Schwäche sowie Menstruationszwischenblutungen (1/28-1/34, 10/39-11/6) sind für Christiana negative körperliche Hinweise: „also der Körper zeigt das schon und weißt darauf hin dass ich das diese Diät mir nicht gut tut“ (1/34-1/35). In Christianas Ausführungen wird deutlich, dass sie an ihrem Körper arbeitet, um gesund und schlank zu sein. Körper erscheint dabei als ein Projekt, in das es zu investieren gilt. Sich kleiden als kulturspezifisches Distinktionsmittel Christiana gibt an, sich seit dem Umzug nach Deutschland den von ihr wahrgenommenen Kleidungsgewohnheiten von (gebildeten) Frauen angepasst zu haben. Den Unterschied zwischen der Ukraine und Deutschland sieht Christiana dabei in zwei Aspekten: Dem Verhältnis von Verdecken und Zeigen sowie von Eleganz und Bequemlichkeit. So berichtet Christiana, dass sich ihrer Meinung nach Frauen in

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der Ukraine im Vergleich zu Deutschland beziehungsweise Europa sehr viel eleganter und körperbetonter kleiden: „also ich meine ich komm aus der Ukraine und da da laufen Frauen so rum das ist normal zur Uni oder zur Arbeit nicht in Turnschuhen sondern so elegant sozusagen und äh (3) hier wird ja mh (--) mehr (.) also mehr Aufmekr/ also die Betonung darauf bemacht dass man sich beklemmt fühlt das ist normal das ist in Europa so aber das hab ich zum Beispiel da festgestellt aber bei uns muss man wirklich wenn man zur Uni geht oder raus geht oder egal zur Arbeit geht oder zu Bekannten geht muss man elegant aussehen und alle Frauen tragen Absätze und Röcke und deswegen ich mit meiner Mentalität als ich hierhin angekommen bin da hab ich das Gleiche getragen wie kann ich zur Uni mit Turnschuhen gehen das war für mich irgendwie komisch (.) aber da war ich ja ((lachend)) komisch als ich so erschien ((beide lachen)) sozusagen und das ist schon die Sache der Mentalität“ (7/15-7/24).

Als möglichen Erklärungsansatz für die elegantere Aufmachung von Frauen in der Ukraine äußert Christiana die Vermutung, dass der im Vergleich zu den Männern weitaus größere Frauenanteil in der Ukraine womöglich dazu führe, dass die Frauen die Kleidung dazu nutzen, Männer für sich zu gewinnen (7/36-7/37). Ihre Feststellung eines anderen Kleidungskodes für Frauen in Deutschland bezieht sich dabei insbesondere auf ihre Erfahrungen in der Universität – einem bildungserfolgreichen Milieu: „wenn ich mal wie gesagt elegant an der Uni erscheine äh dann finden mich Leute komisch und sehen sofort dass ich Ausländerin bin zum Beispiel das ist für mich kein Problem ich stehe stehe dazu aber (--) keine normale deutsche Studentin würde so was anziehen zum Beispiel“ (8/35-8/38). In Christianas Augen erscheint sie durch die ,mentalitätsbedingte‘ Wahl ihrer äußeren Aufmachung in Deutschland nicht wie eine normale Studentin. Durch ihren Hinweis zum Aussehen ukrainischer Frauen: „es muss nicht unbedingt ((lachend)) schlampig aussehen“, indem „der Rock zu kurz ist und so was mein ich und dann dass man den Bauch sehen kann so was so was gibt es auch natürlich aber das muss nicht immer der Fall sein“ (7/39-8/4) reagiert sie auf das westliche Klischee eines „billigen“ Stils osteuropäischer Frauen (vgl. Kapitel 3.2.2). Neben kulturspezifischen Zuschreibungen wird auf diese Weise der Eindruck der Aushandlung schichtspezifischer Selbstpositionierung geweckt. Denn die Bezugnahme auf Vorstellungen einer „schlampigen“ Aufmachung kann entgegen mittelschichtsspezifischer Kleidervorschriften eher als eine mit einem niedrigeren sozialen Status assoziierte Körperpräsentation gedeutet werden. Aufgrund des Unwohlseins durch die Blicke Anderer gibt Christiana an, sich den vorherrschenden Kleidungsnormen für Studentinnen (geisteswissenschaftlicher Fächer) in Deutschland angepasst zu haben. Sie legitimiert diese Anpassung im Interview zudem als inhaltlich überzeugend, da die mit dem ,deutschen Studentinnen-

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Look‘ einhergehenden flachen Schuhen und weiterer Kleidung im Vergleich zu Röcken und Schuhen mit hohem Absatz bequemer seien. Christiana bringt die Bequemlichkeit der Kleidung zudem mit höherer Aufmerksamkeit für Seminarinhalte und somit größerer intellektueller Leistung in Verbindung. Im Umkehrschluss erscheint der ihrer Ansicht nach „chice“ Kleidungstil von Frauen in der Ukraine nunmehr als Hindernis für kognitive Leistungen. Durch die von Christiana als ein Gewinn dargestellte Anpassung an bestehende Kleidungsnormen eröffnet sie für sich die Möglichkeit, ihren sozialen Status als Studentin in Deutschland zu vereindeutigen und somit zu normalisieren. Männliche Blicke und eigenes Kleidungsverhalten Die Kritik Christianas an einer für sie als unangenehm empfundenen Art von Anderen angeschaut oder hinsichtlich ihrer Kleidung kommentiert zu werden, bezieht sich nicht allein auf die Vermutung von kulturspezifisch anderern Kleidungsvorstellungen, sondern auch explizit auf – damit verwobene – Reaktionen durch Männer. So empfindet Christiana die im Rahmen ihrer Nebentätigkeit in einer Kneipe von Gästen vorgenommene Kommentierungen eines Oberteils, bei dem man „nur ein bisschen so mein Bauch sehen konnte“ (5/20-5/21) als unangenehm, das Hinterherpfeifen von Männern beim Joggen als „sehr negativ und abstoßend“ (6/18). Die Blicke aufgrund des Tragens (kurzer) Röcke führen bei ihr ebenfalls zu einem Gefühl des Unwohlseins, wobei sie dies nicht genauer benennt, sondern die Interviewerin als Trägerin eines impliziten weiblichen Wissens adressiert, wenn sie sagt: „du wirst angeguckt also ob weißt du=ich meine so was (.) dann fühl ich mich so nicht wohl“ (6/21-6/22). Basierend auf Christianas Beobachtung, dass Frauen in Deutschland selten Röcke und Schuhe mit hohen Absätzen tragen, führen die damit einhergehenden Blicke dazu, dass sie sich „anders“, gar „außerirdisch“ (6/27-6/28) fühle. Bezogen auf ihren Hinweis, dass der elegante Stil von Frauen in der Ukraine nicht unweigerlich ,schlampig‘ aussehen muss, wird deutlich, dass die von Christiana als typisch beschriebene Körperpräsentation von Frauen in der Ukraine in Deutschland der Gefahr ausgesetzt ist, mit sexueller Verfügbarkeit assoziiert zu werden. Die Anpassung an eine von Christiana als weniger körperbetont und elegant empfundene Körperpräsentation erscheint auf diese Weise als eine Form des Schutzes vor sexualisierten Reaktionen durch Männer. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Zur Anpassung von kulturspezifischem Körperkapital Das zentrale Thema in Christianas Auseinandersetzung mit ihrer Körperlichkeit ist der Sport, wenn sie sagt „da hab ich so eine Assoziation Sport und Körper irgendwie das hängt zusammen“ (6/15-6/16). In diesem Zusammenhang wird eine von ihr hergestellte enge Verbindung zwischen sportlicher Betätigung und der Disziplinie-

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rung ihres Körpers deutlich. Sport steht dabei zum einen für den Erhalt von Gesundheit und zum anderen für die Kontrolle des Körpergewichts. Die positive Bedeutung von Sport erstreckt sich von ihrer Erinnerung an die Kindheit in der Ukraine bis hin zur Gegenwart in Deutschland und wird von ihr universell und nicht kulturspezifisch formuliert: „auf alle Fälle finde ich dass äh Sport eine sehr wichtige Rolle in unserem Leben spielt und sehr wichtig für also Gesundheit unseres Körpers ist“ (1/37-1/38). Als Grundlage für ihre Einstellung nennt Christiana ihre in der Kindheit gesammelten Erfahrungen der Achtsamkeit für und der Disziplinierung des Körpers. Die im Hinblick auf den Leistungssport als Kind in der Ukraine bei mir geweckten Assoziationen des starken Drills in den ,sportlichen Kaderschmieden des Ostens‘ werden von Christiana nicht direkt angesprochen, könnten aber in der Darstellung mir gegenüber womöglich implizit mitlaufen, wenn Christiana vermutet, dass ich ihre Ausführungen der starken Disziplin im Training als komisch empfinden könnte (2/7-2/8). Dabei scheinen die Erfahrungen der Disziplinierung des eigenen Körpers in Kindheit und Jugend in der Ukraine von ihr als Ressource für den Aufbau eines universellen Körperkapitals (als Verdienst) empfunden zu werden. Einen expliziten Körper-Kultur-Vergleich eröffnet Christiana im Hinblick auf die vestimentäre Körperpräsentation von Frauen in der Ukraine und in Deutschland beziehungsweise in Europa. In der Aushandlung der damit verwobenen geschlechtsstereotypen und schichtspezifischen Vorstellungen angemessener Körperinszenierung scheint sich Christiana durch Anpassung der Besonderung zu entziehen. Christiana versucht dem Gefühl entgegen zu wirken, als „unnormal also als komisch“ (9/7-9/8) angesehen zu werden, indem sie sich den von ihr analysierten Gepflogenheiten in Deutschland und ihrem sozialen Milieu als Studentin anpasst und diese Entscheidung durch eine höhere Bequemlichkeit und intellektuelle Leistungsfähigkeit (für sich) legitimiert. Christianas Vermutung, dass die elegante Kleidung von Frauen durch den ,Männermangel‘ in der Ukraine hervorgerufen werde, stützt dabei noch eimal die Entscheidung, sich dem Kleidungsstil bildungserfolgreicher und selbstständiger Frauen anzupassen. 7.10.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Durch die Analyse der sprachlichen Darstellung eigener Körperlichkeit wird deutlich, dass die Investition in den eigenen Körper und das äußere Erscheinungsbild laut Christiana – unabhängig vom und somit in jedem gesellschaftlichen Kontext – Vorteile bringt. Christiana versucht dabei nicht nur den von ihr als universell benannten Normen eines gesunden und sportlichen Körpers zu entsprechen, sondern in ihrem Leben in Deutschland auch die für sie als für Deutschland beziehungsweise Europa spezifischen Erwartungen an das äußere Erscheinungsbild zu erfüllen.

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Als Grund für ihr Verhalten nennt sie das unangenehme Gefühl einer durch ein anderes Kleidungsverhalten hervorgerufenen Besonderung durch die Reaktionen Anderer. Dabei erscheint die fotografisch festgehaltene Körperinszenierung durchaus im Sinne einer Illustration der Übernahme eines sportlich bequemen Kleidungsstils der ,typischen deutschen Studentin‘. Die in der Kleidung direkt sichtbare Anpassung wird von Christiana in einer ,vernünftigen‘ Weise begründet. Darin wertet sie die Art des Auftretens von Frauen in der Ukraine (in einem Forschungsinterview) tendenziell als nichtintellektuell ab. Die in der Fotoanalyse herausgearbeiteten Spannungsverhältnisse zwischen Offenheit und Verschlossenheit, Aktivität und Passivität lassen sich im Rückgriff auf die Textinterpretation als Wunsch deuten, sich anderen nicht aufzudrängen. Die in der Bildanalyse herausgearbeiteten Ambivalenzen ermöglichen es wiederum, den Aushandlungscharakter der Darstellung Christianas in den Blick zu nehmen. Dass Christiana in der Darstellung mir und ihrem imaginierten Partner (als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft) ihre Arme nicht zeigt, lässt sich bezogen auf die Unterscheidung zwischen Minderheits- und Mehrheitsangehörigkeit als verkörperte Erwartungslosigkeit deuten, die allerdings mit einer zentralen und sich der Kamera öffnenden Präsenz im Bild einhergeht. Es entsteht der Eindruck als ob sich Christiana bemühe, durch die Arbeit an ihrem Körper und ihre Anpassung an Vorstellungen des äußeren Erscheinungsbildes einer ,normalen Studentin‘ in Deutschland nicht aufzufallen und durch körperliche Konformität gerade keine – da als unangenehm empfundene – Aufmerksamkeit zu erregen. Deutlich wird, dass Christiana ihre Ausführungen zu Kleidungsverhalten und – angedeutet – zu den Disziplinierungsmaßnahmen beim Sporttraining in der Kindheit in Form eines Körper-Kultur-Vergleichs systematisiert. Diese vergleichende Darstellungsweise kulturell markierter Körpererfahrungen zeigt sich punktuell und bezogen auf einzelne Themen auch bei Leya, Mona und Mishgan. Demgegenüber ist diese Ordnungsweise bei Nikita und insbesondere bei Meiling wesentlich umfassender angelegt. Ausgehend von der Annahme einer universellen Bedeutung eines gesunden und fitten Körpers, scheinen Christianas Darstellungen auch Bezug auf westliche Vorstellungen des sportlichen Drills in Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu nehmen. Anders als im Fall Nikita – die explizit darüber spricht, Anekdoten zu in Deutschland als ungewöhnlich erachteten Körpererfahrungen aus der Kindheit mit dem Ziel des Hervorrufens ,gruseliger Bewunderung‘ zu erzählen – erscheinen Christianas Ausführungen allerdings eher implizit. Thematisch schließen Christianas Ausführungen an die im Fall Mona benannten Überlegungen zu einem gesunden Körper an, Christiana stellt dabei jedoch die Bedeutung von Sport als körperlicher Betätigung und Modifikationsmöglichkeit besonders deutlich heraus. Das bereits nur am Rande (Meiling, Nikita, Jasemin,

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Hülya, Gia) beziehungsweise deutlicher angesprochene Thema der Kleidung (Jale, Leya, Mona) wird von Christiana durch die kulturvergleichende, mit anderen sozialen Differenzlinien verwobene Perspektive noch einmal besonders betont.

den Körper disziplinieren als ,Investition’

männliche Blicke und eigenes Kleidungsverhalten

Anpassen an kulturspezifische pezifische Normen weiblicher Körperdarstellung auf Grundlage der Erarbeitung eines gesunden und attraktiven Körpers als universellem Kapital

sich kleiden als kulturspezifisches Distinktionsmittel

ambivalente Empfindungen beim Rückblick auf sportlichen Körperdrill in der Kindheit

Abbildung 34: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Christiana Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Es zeigt sich, dass auch Christiana in der Darstellung ihre Körperlichkeit einen Körper-Kultur-Vergleich darstellt. Durch die Kombination der Erfüllung von als kulturspezifisch (Kleidungsverhalten von Frauen) und universell („Bewegung ist gesund“) definierten Körpernormen zeigt sich eine neue (Sub)Form der Aushandlung eigener Körperlichkeit: Auf Basis des Körpers als grundlegendem Kapital für soziale Prozesse wird das äußere Erscheinungsbild kulturspezifischen Vorgaben entsprechend angepasst. Diese Anpassung vollzieht sich nicht im Sinne einer Camouflage-Taktik wie bei Mona, sondern wird durch die eigene Argumentation zu einer logischen Konsequenz. Die Erfahrung körperlicher Disziplinierung in der Kindheit als Ressource für die Bildung von Körperkapital wird dabei als Gewinn angesehen. Durch die Analyse von Text und Bild im Fall Christiana stellen sich weiterhin die Fragen, • ob weiteren Subformen einer Strukturierung der Darstellung mithilfe von KörperKultur-Vergleichen bestehen? • ob auch eine nicht vergleichend strukturierte Bezugnahme auf ,Kultur‘ möglich ist? • ob die eigene Migrationserfahrung auch zu einer nicht auf kulturellen Bezügen begründete Darstellung führen kann

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7.11 Ü BERNAHME UND A BLEHNUNG VON V ORSTELLUNGENEN , EIGENER ‘ UND , ANDERER ‘ K ÖRPERLICHKEIT – F ALLSTUDIE M INA Kurzporträt Mina58 wird 1976 in Marokko geboren, ihr Vater arbeitete bereits seit Anfang der 1960er in Deutschland. Mit drei Jahren zieht Mina mit ihrer Mutter und den zwei älteren Geschwistern nach Deutschland nach. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr pendelt die Mutter mit ihren Kindern zwischen Deutschland und Marokko, anschließend bleibt die Familie dauerhaft in Deutschland. Nach der Grundschulzeit besucht Mina zwei Jahre lang eine Hauptschule und wechselt anschließend auf die Realschule, wo sie 1991 ihren Abschluss macht. Sie absolviert eine Ausbildung zur Arzthelferin und ist anschließend fünf Jahre berufstätig. Mina heiratet einen Mann marokkanischer Herkunft aus Deutschland und bringt 2000 ihr erstes Kind zur Welt. 2001 kehrt sie für ein Jahr zurück in den Beruf. Nach der Geburt des zweiten Kindes 2002 arbeitet sie nicht wieder als Arzthelferin. Zum Zeitpunkt des Treffens im Jahr 2009 hat sie drei Kinder und leitet seit 2003 einmal in der Woche in einem Familienzentrum – in dem sie zudem auch als Putzkraft tätig ist – einen Deutschkurs für Mütter. Mina beschäftigt sich seit der Geburt ihres zweiten Kindes aktiv mit dem Islam und trägt seit sechs Jahren ein Kopftuch. 7.11.1 Fotografieanalyse Es stehen sieben Fotografien zur Verfügung auf denen eine Person vor einem gleichbleibenden Hintergrund abgebildet ist. Auffällig ist, dass auf allen Bildern der Kopf der Person nur bis zum Kinn zu erkennen ist. Auf zwei Fotos sitzt sie auf einem Stuhl, auf fünf Fotos steht sie, wobei sie auf jeweils einem der Bilder hinter einen Tisch steht beziehungsweise sitzt. Die sichtbare Person scheint auf allen Fotografien im Sinne „sprechender Gesten“ (vgl. Arnheim 1988, 178; Pasquinelli 2007, 10ff.) mit ihren Händen und Armen etwas zu tun. Bild sechs wird aufgrund einer dem ersten Eindruck nach der Kamera deutlich zugewandten Körperhaltung mit Aufforderungscharakter für eine nähere Betrachtung herangezogen (Bildauswahl). 58 Die Namen Mina oder Minnah finden sich traditionell im arabischen Raum. In der Schreibweise Minna ist der Name die Kurz- beziehungsweise Koseform von Wilhelmina oder Wilhelmine und hat seinen Ursprung im Altdeutschen beziehungsweise in Skandinavien. Da die Teilnehmerin in diesem Fall ihr Pseudonym nur genannt und nicht aufgeschrieben hat, ist nicht klar, welche Schreibweise sie gemeint hat. Im Folgenden wird das Pseudonym Mina verwendet.

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Abbildung 35: Fotoreihe zu den imaginierten Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Mina Externe Kontextualisierung Das Bild ist 2009 in Deutschland im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekts zum Themenkomplex „Körper und Migration“ entstanden und zeigt eine der Untersuchungsteilnehmerinnen. Für die Untersuchung habe ich junge Frauen gesucht, die selbst, oder deren Eltern nach Deutschland migriert sind. Der Schwerpunkt der Bildinterpretation liegt auf dem sozialen Gehalt der Fotografie. Die vorikonografische Beschreibung des dreidimensionalen Bildraums zeigt eine vollständig sichtbare Person, die auf einem blaugrauen Boden vor einem hellen Hintergrund steht. Die weiße Fläche im Hintergrund, von der die Person fast vollständig gerahmt wird, scheint aufgrund des deutlichen Faltenwurfs an beiden Seiten wie am unteren Rand als ein helles Stück Stoff. Die Stoffraffung am oberen Bildrand lässt vermuten, dass der Stoff über einen rechteckigen Gegenstand gehängt wurde. Zu beiden Seiten des Tuches sind Streifen einer rosafarbenen Wand zu erkennen, der glatte, grau-blau gemaserte Boden wird durch eine hellbraune (Holz)Fußleiste abgetrennt. Am rechten oberen Bildrand ist ein schmaler dunkler Streifen sichtbar, bei dem es sich um den äußeren Rand eines Rahmens handeln könnte.

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Durch die Kameraeinstellung ist der Kopf der Person am oberen Bildrand oberhalb ihres Mundes ,abgeschnitten‘. Die Frau befindet sich im vertikalen Zentrum des Bildes wobei ihr Körper leicht nach links gewendet frontal zur Kamera ausgerichtet ist. Ihr rechtes Bein ist gerade unterhalb ihrer rechten Hüfte aufgestellt, ihr Fuß zeigt nach vorne. Ihr linkes Bein ist leicht angewinkelt nach links außen gedreht, ihr linker Fuß scheint an der Ferse etwas angehoben zu sein. Ihre Oberarme verlaufen seitlich am Oberkörper entlang, die Unterarme sind an den Ellenbogen im 90 Grad Winkel nach vorne geknickt, sodass ihr rechter Arm frontal Richtung Kamera, ihr linker Arm nach vorne links weist. Ihre Hände sind flach nach oben geöffnet, wobei die Finger ihrer linken Hand über den Bildrand hinausweisen. Ihre rechte Hand hält einen dunklen flachen Gegenstand in der geöffneten Hand. Ihr Kopf scheint dem Kinn nach zu urteilen nach links vorne ausgerichtet zu sein. Die Frau trägt ausschließlich schwarze Kleidung. Von ihren schwarzen Schuhen – vermutlich Turnschuhen aus Leder – sind aufgrund der ausgestellten schwarzen langen Hosenbeine nur die Spitzen zu erkennen. Über der Hose trägt sie ein knielanges schwarzes Kleid mit langem Arm. Auf der Brust ist auf beiden Seiten jeweils eine Hemdtasche mit Klappe zu sehen, die durch einen kleinen Knopf geschlossen wird. Auf den Schultern sind kleine schwarze Schulterklappen zu erkennen, an der linken Taille ist eine Gürtelschlaufe sichtbar. Weiterhin weist das Kleid an der vorderen Unterkante einen mittigen Schlitz auf, der auf ein Hemdkleid schließen lässt. Aufgrund eines um den Hals geschlungenen und auf dem Dekolleté geknoteten Tuches, dessen mit Fransen verzierten Enden fast bis zur unteren Kleidsaum reichen, ist dies jedoch nur zu vermuten. Das Kinn wird durch ein ebenfalls schwarzes Tuch gerahmt, welches auf ein unter dem Kinn gebundenes Kopftuch schließen lässt. Ob es sich dabei um dasselbe Tuch handelt, welches die Frau um den Hals trägt, ist aufgrund der gleichen Farbe nicht zu erkennen. Die Linienführung der Fotografie ist rechtwinklig angeordnet, in der sich Waagerechte (Unterarme, die auf gleicher Höhe befindlichen Hände, Fußleiste, Stoffunterkante) mit Senkrechten (Beine, Oberarme, Körperform an sich, seitliche Stoffränder, schmaler Streifen am rechten Bildrand) kreuzen. In diesem rechtwinkligen nicht als dominant zu bezeichnenden Liniennetz lassen sich imaginierte Diagonalen ausmachen, die zwischen den Händen und dem Kinn sowie zwischen den Händen und Füßen verlaufen. In seiner Farbigkeit ist die Fotografie durch einen deutlichen Hell-Dunkel-Kontrast zwischen der Person im Vordergrund sowie dem in Pastelltönen gehaltenen Hintergrund gekennzeichnet. Durch die vollständig schwarze Kleidung treten das Kinn, sowie die sichtbaren Teile der Hände hervor. Aufgrund des Farbverlaufs des in Falten geworfenen Tuches im Hintergrund sowie dem von den Füßen ausgehenden nach recht verlaufenden Schattenwurfes der Beine, lässt sich ein Lichteinfall von links ausmachen. Zudem kommt es auf dem glatten Boden

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zu Spiegelungen, die von den Füßen ausgehend ,nach unten‘ verlaufen (Licht/Schatten). Die Kamera ist etwa in Höhe der auf dem Bild zu sehenden Person aufgestellt. Aufgrund des durch den Bildausschnitt angeschnittenen Kopfes und der linken Hand kann im engeren Sinne nicht von einer Aufnahme in halbtotaler Einstellung gesprochen werden. Jedoch handelt es sich durch den ansonsten deutlich zu sehenden Umraum auch keinesfalls um eine Detailaufnahme, sodass keine genaue Zuordnung möglich ist und gegebenenfalls von einer Fotografie in der Halbtotale mit Anschnitt gesprochen werden kann (Kameraposition).

Abbildung 36: Foto „mit Freunden/Freundinnen“ im Fall Mina Auf symbolischer Ebene werden die Position der Person im Bild sowie ihre äußere Erscheinung und Körperhaltung in den Blick genommen. Die zentrale entlang der vertikalen Bildmittellinie leicht nach links verschobene Position der Frau im Bild weist auf ihre besondere Bedeutung für die Fotografie hin. Unterstützt wird dieser Eindruck durch das hinter der dunkel gekleideten Person befindliche helle Tuch, das die Figürlichkeit der Person noch einmal hervorhebt (vgl. Arnheim 1978, 223ff.). Die Frau wirkt wie eingerahmt durch den Stoff im Hintergrund, der aufgrund seines deutlichen Faltenwurfs an einen (Bühnen)Vorhang erinnert. Auffällig

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erscheint insbesondere in diesem Zusammenhang, dass das Gesicht der Frau nicht sichtbar ist, da der Kopf oberhalb ihres Mundes durch den oberen Bildrand ,abgeschnitten‘ ist. Es stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Foto um eine ,missratene‘ Aufnahme handelt, da die Person eigentlich ganz abgebildet werden sollte, oder ob der Bildausschnitt bewusst gewählt wurde. Bei einer bewussten Auswahl könnte die durch den abgeschnittenen Kopf vorgenommene Anonymisierung der Abgebildeten im Vordergrund stehen. Ebenso könnte damit die Intention verbunden worden sein, die Gestik der Hände und Füße besonders zu betonen. Ihre ebenfalls angeschnittene Hand hat womöglich die Funktion, die durch die ungewöhnliche Darstellung einer Person ohne Kopf geweckte Aufmerksamkeit durch einen weiteren Anschnitt etwas zu mindern beziehungsweise die Aufmerksamkeit der Betrachterin auf eine andere Stelle zu lenken. Für sich betrachtet wirkt der Anschnitt der Finger der linken Hand als eine über das Bild hinausweisende – womöglich auf den Kontext des Bildes verweisende – Geste. Die äußere Erscheinung der Frau ist durch ihre vollständig schwarze Kleidung gekennzeichnet; einzelne Kleidungsstücke lassen sich nur schwer voneinander unterscheiden. Hinsichtlich der Bedeutung dieser Kleiderwahl können nur Mutmaßungen angestellt werden, 59 da Farbempfinden nicht nur sozial erworben und somit kulturspezifisch, sondern stark individuell bestimmt ist.60 Für die untersuchte Fotografie kann festgehalten werden, dass die ausschließliche Wahl schwarzer Kleidungstücke auf eine besondere Beziehung zu dieser Kleidungsfarbe hinweist, die vermuten lässt, dass die Person sich darin besonders wohl fühlt, beziehungsweise für die Darstellung als besonders angemessen empfindet. Aufgrund der Applikationen der Brusttaschen und Schulterklappen sowie der vorderen (vermuteten) Knopfleiste kann das Kleid als ein Hemdkleid im Uniformstil bezeichnet werden. Unter dem Kleid trägt die Frau eine lange Hose. Diese Kombination kann zum einen auf eine in arabischen oder asiatischen Ländern traditionell getragene nicht geschlechtsspezifisch konnotierte Kleidungsweise (z B. dem Jabador) verweisen. Ebenso ist das Tragen eines Kleides oder Rockes über einer weiten Hose durchaus auch als ein Anfang der 2000er Jahre bei Mädchen und jungen Frauen beliebtes als eher „flippig“ konnotiertes Stilmittel anzusehen.61

59 Zur Farbe Schwarz und ihren historischen Bezügen vgl. die Einzelbildanalyse im Fall Hülya. 60 In westlichen Kulturkreisen wird ausschließlich schwarze Kleidung (traditionell) zu Traueranlässen getragen. 61 Ähnlichkeiten bestehen zum seit Ende der 2010er Jahre bestehenden Trend, bei dem ein Kleid beziehungsweise eine Tunika über engen Röhrenhosen oder Leggings getragen wird. Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich in zahlreichen Internetforen, zum Beispiel www.gofeminin.de [9/2011].

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An ihrer sichtbaren Kinnpartie wird deutlich, dass die Frau ein dunkles Kopftuch trägt. Das Kopftuch ist ein weiblich assoziiertes Kleidungsstück, welches gegenwärtig in erster Linie mit der Zugehörigkeit zum Islam gleichgesetzt wird.62 Religiös konnotiert wird das Kopftuch heute in der (westlichen) Öffentlichkeit nicht selten quasi automatisch mit Vorstellungen einer Unterdrückung der Frau gleichgesetzt und bildet somit in mehrerer Hinsicht ein Kleidungsstück mit starkem Symbolcharakter (vgl. dazu Kapitel 3.2). Das Kopftuches als Symbol für ihre Zugehörigkeit zum Islam in Kombination mit dem gewählten Bildausschnitt lässt sich zudem als ein Hinweis auf die Diskussion um die „Existenz oder Nicht-Existenz von figürlichen Darstellungen in der arabischen Kultur“ (Belting 2008, 67) verstehen. In der Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot im Islam findet sich die Position, dass dieses generell bestanden habe wie auch die Annahme, dass es sich dabei um eine bloße Legende handele. Hans Belting geht in seiner Analyse einer westöstlichen Geschichte des Blicks davon aus, dass „[a]uch wenn in der islamischen Welt kein generelles Bilderverbot bestand, vor allem nicht im schiitischen Islam, so ist doch das Tabu von anthromorphen und erst recht von dreidimensionalen Bildern im religiösen Bereich unbezweifelbar. Nur in einem Buch, in dem sich die Bilder dem Text unterordneten, galten seit dem 13. Jahrhundert im höfischen Bereich andere Bedingungen. Aber Tafelbilder zum Aufhängen, die ein Betrachter mit lebenden Wesen verwechseln konnte, wenn er vor ihnen stand, waren tabu (vgl. Belting 2008, 68f.).63

Bezogen auf die Körperhaltung sind die offen nach vorne ausgestreckten Hände auffällig. Dabei handelt es sich um eine hochkommunikative Geste, die im Sinne einer Kontaktaufnahme gedeutet werden kann. Das Zeigen der geöffneten Handinnenflächen und Handgelenke kann dabei als eine Symbolisierung friedvoller Absichten erscheinen. Eine andere Sehweise wäre die der demonstrativen Unschuldsbekundung als Reaktion auf einen Vorwurf, wobei in dieser Darstellung oftmals zugleich die Schultern nach oben gezogen werden. Ebenfalls können die geöffneten Unterarme und Hände auf die Mittellosigkeit der Person hinweisen, indem sie so zeigt, dass sie ,nichts hat‘. Der dunkle Gegenstand und die nicht nach unten sondern

62 In westlichen Kulturen spielt das Kopftuch als Ausdruck religiöser Pietät eine nur noch selten zu beobachtende Rolle. Zudem stellt das Kopftuch traditionell eine insbesondere von Frauen auf dem Land getragene schützende Kopfbedeckung dar. 63 Dieses Tabu wird im Zusammenhand mit der Kritik von Moslems an (karikierten) Darstellungen des Propheten Mohammed bedeutsam (für eine interessante Analyse dazu vgl. Hafez 2007). Anikonische (bildlose) Strömungen beziehungsweise Phasen finden sich jedoch nicht nur im Islam sondern auch im Judentum, Christentum und in frühen Phasen der buddhistischen Lehre (vgl. dazu Belting 2007, 47ff.).

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im kraftvollen rechten Winkel erhobenen Unterarme lassen jedoch die Deutung ,mit leeren Händen dazustehen’ als eher unwahrscheinlich erscheinen. Demgegenüber könnte es sich insbesondere in Kombination mit den aktiv geöffneten Unterarmen gerade um eine gebende Geste handeln. Interne Kontextualisierung Die Berücksichtigung des Entstehungs- und Verwendungszusammenhangs im Rahmen einer internen Kontextualisierung der Fotografie verweist auf die Fotografie als Teil einer wissenschaftlichen Untersuchung. Auf der Suche nach einer jungen Frau mit Migrationshintergrund und mit einem niedrigen beziehungsweise mittleren Bildungsabschluss wurde der Kontakt zur abgebildeten Frau Mina durch einen mir bekannten Arbeitskollegen von Mina hergestellt. Die Fotografien wurden von Mina mithilfe eines Selbstauslösers (zu sehen in der rechten Hand) erstellt.64 Als Einstiegsimpulse für die Selbstporträts machte ich den Vorschlag typische Körperhaltungen in sieben sozialen Situationen einzunehmen. Das Foto zeigt eine imaginierte Situation mit Freunden/Freundinnen, die Mina wie folgt kommentiert: „stell dir vor du bist mit deinen Freunden zusammen Freundinnen wo die sagen das ist eine typische Körperhaltung (.) ach das ist Mina / ja so locker man ist locker so so ((Selbstauslöser)) ja“ (18/13-18/15). Trotz meines Hinweises, dass das Gesicht in der weiteren Verwendung am Computer anonymisiert wird, war es Mina sehr wichtig, dass ihr Gesicht nicht auf den Fotos zu sehen ist. Sie wies mich daher an, bei jeder neu eingenommenen Körperhaltung die Einstellung der Kamera so zu verändern, dass ihr Gesicht nur bis zur Oberlippe zu sehen ist.65 Das zuvor im Interview von Mina abgezogene Kopftuch66 wurde von ihr für die angeschnittenen Fotoaufnahmen wieder

64 Das Treffen fand in einem von Mina organisierten Raum an ihrem Arbeitsplatz statt. Ein fest an der Wand angebrachter Spiegel konnte nicht abgenommen werden, sodass Mina kurzerhand entschied, diesen abzudecken. Da sie eine im Raum vorhandene Decke nicht dahinter klemmen konnte, nutzte sie das von mir mitgebrachte weiße Tuch. 65 Aufgrund der in vorherigen Fotoerhebungssituationen gemachten Erfahrungen des in der Regel geringen Interesses an der Kameraposition und den darüber möglichen Effekten auf das Bild, wird Mina auf die abgeschnittene Hand hingewiesen, kommentiert diese jedoch nicht weiter und möchte kein neues Bild erstellen. 66 Es kann die Vermutung angestellt werden, dass Mina aufgrund antizipierter Verunsicherung durch das Kopftuch bei Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft dieses zum Zweck eines aktiven Beziehungsaufbaus zur nicht kopftuchtragenden Interviewerin abnimmt. Zudem könnte die Darstellung eines flexiblen Umgangs mit ihrem Kopftuch eine Reakti-

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angelegt, sodass deutlich wird, dass sie sich zwar anonymisiert aber als kopftuchtragende Frau zeigen möchte. Da es sich bei der Fotografierten zugleich um die Fotografin handelt, wird der Versuch der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses Minas bei ihrer Selbstdarstellung „mit Freunden/Freundinnen“ vorgenommen. Auffällig ist, dass sie bei der bildlichen Gestaltung ihren Kopf, trotz der auch schriftlichen Versicherung, die Fotografien zu anonymisieren, nicht mitfotografiert.67 Gründe für ihr Verhalten könnten darin liegen, dass sie kein volles Vertrauen in meine Aussage hat, ihr Gesicht auf den Fotografien auch wirklich zu anonymisieren. Zudem könnte auch das Interview zu dem durchaus als intim empfundenen Thema „Körper“ eine Rolle spielen. Allein die Vorstellung der Möglichkeit einer Rekonstruktion ihrer Person und somit die Zuordbarkeit ihrer Aussagen zu ihrem Äußeren könnten als Grund für die klare Aussage zu den Fotografien – „aber ohne Gesicht!“ (16/23) – gelten. Da sie die einzige der elf Teilnehmerinnen der theoretisch gebildeten Stichprobe ist, welche die Ablichtung ihres Gesichts ablehnt, könnte man nun nach möglichen Gründen suchen, in denen sich Mina von den anderen Frauen unterscheidet. Zum ersten kann es sich bei ihr um eine besonders zurückhaltende oder vorsichtige Person handeln, insbesondere wenn ihr Gegenüber ihr nicht vertraut ist. Weiterhin wäre möglich, dass sie in dem vorangegangenen Interview im Vergleich zu den anderen Frauen sehr persönliche Informationen preisgegeben hat, und somit durch eine Identifizierung ihrer Person auf den Fotografien eine größeres Enthüllungsrisiko einzugehen fürchtet. Zudem trägt Mina als einzige Teilnehmerin ein Kopftuch, welches – als Symbol für ihre Zugehörigkeit zum Islam gedeutet – einen Hinweis auf die traditionelle islamische Weisung bieten kann, keine menschlichen oder ikonischen Darstellungen vorzunehmen.68 Es könnte aber auch sein, dass die Erfahrungen, in Deutschland ein Kopftuch zu tragen, bei ihr aufgrund bestehender Ressentiments zu einem grundsätzlich vorsichtigen Handeln geführt haben. Als eines der zentralen Themen der öffentlichen Migrationsdebatte wird das Tragen eines Kopftuches oftmals auf die generelle Frage nach (Nicht-)

on auf die in der westlichen Öffentlichkeit dominierende Vorstellung der unter das Tuch gezwungenen muslimischen Frau sein. 67 Mina möchte als einzige der elf Teilnehmerin, die sich selbst fotografieren, ihr Gesicht nicht zeigen. Den anderen Teilnehmerinnen war die Frage nach der Anonymisierung ihrer Fotografien entweder egal, oder sie entschieden sich nach einer Vorstellung verschiedener Möglichkeiten für die „Verpixelung“ der Gesichtspartie. 68 In diesem Zusammenhang wären auch die mit der Kritik von Moslems an (karikierten) Darstellungen des Propheten Mohammed zu sehen.

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Integration bezogen und dabei als Symbol für die angenommene Unterdrückung der islamischen Frau angesehen. Ohne die genauen Beweggründe rekonstruieren zu können, entzieht Mina sich durch den von ihr gewählten Bildausschnitt teilweise einer Betrachtung, denn ohne die Mimik des Gesichts – als zentraler Komponente menschlicher Interaktion – kann ihr Körper zwar angeschaut, sie jedoch kaum wiedererkannt werden. Das Gesicht als zentrales Identifikationsmerkmal wird auf der Fotografie vorenthalten. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Darstellung – welche sich theoretisch an die imaginierte Freunde/Freundinnen, mich als Forscherin und/oder sie selbst richten kann – vermutlich (primär) auf die konkrete Erhebungssituation beziehungsweise die weitere Verwendung bezieht. Mir wird demnach nicht nur im Hinblick auf die ,Aufgabenstellung‘ widersprochen, sondern die auf Bildebene stattfindende Selbstdarstellung entsprechend eigener Vorstellungen gestaltet. Ihre typische Körperhaltung im Freundeskreis ist dabei insbesondere durch ihre geöffnete – gebende – Arm- und Handhaltung, sowie ihre in dieselbe Richtung orientierte aktive Beinhaltung gekennzeichnet. Sie scheint sich offen nach vorne auszurichten, ihre über den linken Bildrand hinausweisende Hand verstärkt den dynamischen Eindruck. Ihre nach ihren Angaben ,lockere‘ Haltung wird dabei als Inszenierung der aktiv gestalteten unkomplizierten Beziehung mit Freunden/Freundinnen gedeutet. Auf der bisherigen Interpretation werden nun die visuellen Körperthemen im Sinne (ikonologischer) Forschungshypothesen entwickelt. Als über das Bild hinausgehende Interpretationen wird auf gesellschaftliches Wissen visueller Diskurse zurückgegriffen: • Es wird davon ausgegangen, dass Mina als kopftuchtragende Frau wahrgenommen, jedoch nicht als solche identifizierbar sein möchte. Darin könnte sich die in Deutschland bestehende Auseinandersetzung mit dem Kopftuch nicht nur als einem Symbol für eine bestimmte Religionszugehörigkeit, sondern auch als Ausdruck eines traditionell patriarchalen Gesellschaftssystems wiederspiegeln. Mina kann und möchte das Kopftuch tragen und sich auch mit diesem zeigen. Das Zeigen soll aber nicht mit der Möglichkeit der Identifizierbarkeit ihrer Person einhergehen. Auf diese Weise erscheint Mina als eine abstrakte Repräsentantin einer Kopftuch tragenden Frau. • In der aktiven Gestaltung der Fotosituation zeigt sich Mina selbstbestimmt. Anders als von mir angeregt, gestaltet sie die Erhebungssituation nach ihren Wünschen. Bezogen auf sozial bedeutsame Differenzierungsmerkmale entzieht sich Mina durch ihre (Mit)Gestaltung der Fotosituation der objektivierenden Defini-

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tionsmacht gegenüber mir als akademischen Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. • Ihre ,lockere‘ Körperhaltung mit einer offenen über den Bildrand hinausweisenden Gestik und der durch ihre Fußstellung angedeuteten Vorwärtsbewegung erzeugen den Eindruck einer aktiven Ausrichtung auf das soziale Gegenüber. Ihre ,gebende Handgestik‘ verweist auf eine unvoreingenommene Haltung in sozialen Situationen, in der sie sich als Interaktionspartnerin anbietet und so die Interaktionssituation (mit)bestimmt. Minas fotografisches Selbstporträt erscheint als aktiv gestaltete aufmerksame Selbstpräsentation in der Interaktion. Im Zugleich von Interaktionsangebot und Verweigerung der Festschreibung von außen bestimmt Mina in der Fotografie sehr bewusst, was und wie viel von sich zeigen möcht. Als Bedingungen für eine solche fotografische Körperinszenierung können der Umgang mit dem Symbol „Kopftuch“ in Deutschland vermutet werden. So zeigt sich Mina keinesfalls als passive und unterdrückte Frau, sondern präsentiert sich ganz im Gegenteil als eine selbstbewusste Person, die Interaktion aktiv gestaltet. Sie achtet bewusst darauf, dass sie Einfluss auf Situationen nehmen und sich nach ihren Wünschen darstellen kann. Die durch den Bildausschnitt hervorgerufene Anonymisierung ihrer Fotografie könnte einen Hinweis, darauf geben, dass sich Mina in ihrem offenen Auftreten nicht als eine ganz bestimmte, sondern als eine generalisierte Person und – entsprechend der Suchanfrage – als Migrantin und vielleicht auch als Kopftuchträgerin inszenieren möchte. Durch die kursorische Rückbindung an die weiteren sechs Fotografien von Mina zeigt sich bis auf Bild eins ebenfalls die Kombination des nicht sichtbaren Gesichts mit expressiven Körper- beziehungsweise Arm- und Handgesten. Womöglich versucht sie durch den starken kommunikativen Gehalt ihrer Körperhaltung den nichtsichtbaren jedoch für die Interaktion wichtigen Gesichtsausdruck (für sich, ihre Freunde und mich als Forscherin) zu kompensieren. So lässt sie sich in der Interaktion durch den Anschnitt ihres Gesichts nicht auf die Rolle der Betrachteten ein. Sie inszeniert durch ihre fotografische Selbstdarstellung eine durch sie (mit)bestimmte Interaktionssituation in der sie nicht auf Beziehungsangebote wartet, sondern diese aktiv anbietet und zugleich ihren Vorstellungen entsprechend gestaltet. Zusammenfassend kann bei Minas fotografischen Selbstporträts von einer stark kommunikativen Körperdarstellung gesprochen werden, die Mina als Interaktion gleichberechtigter Partner aktiv (mit)gestaltet.

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7.11.2 Interviewanalyse Basierend auf den Aussagen im Interview im Fall Mina konnten mithilfe der Heuristik des Kodierparadigmas die folgenden sechs Themen herausgearbeitet werden: (1) Körper-Kindheiten, (2) den Kinderkörper zum Schutz vor sozialer Kontrolle erhalten, (3) den jugendlichen Körper an den Grenzen (kulturell kodierter) Körpernormen zur Schau stellen, (4) kulturell begründete Eingriffe in die Inszenierung des weiblichen Körpers ablehnen, (5) Schwangerschaftsnormen sowie (6) das Kopftuch als Symbol von Andersheit für Andere. Körper-Kindheiten Basierend auf ihren Erinnerungen an die bis zu ihrem sechsten Lebensjahr vollzogene Pendelmigration berichtet Mina von Unterschieden im Erziehungsverhalten gegenüber Kindern in Marokko und Deutschland. Mina gibt an, die Zeit in ihrem Geburtsort – einem kleinen Dorf in Marokko – als eine freie und unbekümmerte Zeit in Erinnerung zu haben. Sie vermutet, dass das weitgehend unbeaufsichtigte Zusammensein mit anderen Kindern und das auch körperliche Erproben und Ausprobieren im Rahmen einer ausschließlich in Deutschland stattgefundenen Kindheit nicht möglich gewesen wäre. Mina gibt dazu an: „wir wurden selbstständig erzogen (.) es ist nicht so dass die Mama immer hinterher war“ (3/18-3/19). Im Vergleich mit dem in Marokko weitgehend unbeaufsichtigten Spiel draußen verbindet sie mit dem Aufwachsen in Deutschland neben der Sorge vor belastenden Umwelteinflüssen (verseuchtes Regenwasser) die Gefahr durch Kinderschänder: „frei man war ja frei man kann nur tun was man möchte und das da der Vorteil da unten jeder passt ja auf anderen auf da hat man jetzt keine Angst das da was geschieht oder so das ist äh Gott sei Dank nich zum Beispiel hier hat man das ja oft mit diesen Sex/ Sexualtätern und das ist da unten gar nicht so als Kind war auch wenn man nackt rumläuft ist das gar nicht schlimm was man hier in Deutschland gar nicht leider nicht machen (.) darf ((lacht kurz))“ (2/31-2/36).

Deutlich wird, dass Mina ihre Erinnerungen an ihre Kindheit auf dem marokkanischen Land im Vergleich zu Deutschland als freier, ungezwungener und letztlich auch ,natürlicher‘ darstellt. Das Aufwachsen in der deutschen Großstadt erscheint durch die negativen Einflüsse einer durch den Menschen geschädigten Natur sowie Übergriffen gegenüber Kindern demgegenüber bedrohlich und ein Stück weit degeneriert. Allerdings weist Mina in ihrem Vergleich einschränkend auf die zeitliche Dimension veränderter Kindheit hin, wenn sie ihre Kindheit in Marokko mit dem heutigen Aufwachsen ihrer Kinder in Deutschland vergleicht. Dabei wird eine Verwobenheit zwischen nationalen, zeitlichen (früher vs. heute) und gebietsspezifi-

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schen (Stadt vs. Land) Vergleichen deutlich, die sich kaum voneinander trennen lassen. Den Kinderkörper zum Schutz vor sozialer Kontrolle erhalten Mina berichtet, dass sie ihre um das zwölfte Lebensjahr einsetzende mit der Pubertät einhergehende körperliche Entwicklung lange vor Familie und Freundinnen verheimlichte. Sie äußert dazu die Vermutung, dass sie als Kind die Sorge gehabt habe, durch die körperlichen Veränderungen nicht mehr als Kind gesehen und somit einer stärkeren sozialen Kontrolle ausgesetzt sein würde: „ich hatte Angst was ich vorher machen durfte dass ich das nicht mehr machen darf und deswegen hab ich mich dann dafür gehasst oder geekelt vor meinem eigenen Körper (.) das war’s“ (6/25-6/27). An anderer Stelle bringt sie den damals empfunden Hass auf und den Ekel vor ihrem Körper mit dem plötzlichen Einsetzen der körperlichen Veränderungen und damit vermutlich einhergehender Unsicherheiten in Verbindung (6/156/16). Der grundlegende Wunsch „nach dem Motto die ist immer noch die Kleine die darf das“ (12/1) führt sie auf ihre als unbeschwert und frei beschriebene Kindheit in Deutschland und insbesondere Marokko Ende der 1970er Jahre zurück: „man konnte mach/ tun und lassen was man möchte und das war ja auch das Schönste daran man war noch so’n wie so ne Art man klar als kleines Kinder man ähm keiner achtet ja auf einen was heißt nicht achten=nicht so in dem Sinne weil als erwachsene Frau weil jetzt in unserer Kultur ist es ja so das man immer aufpassen muss was man macht was man anzieht was man das man nicht au/ nicht zu groß auffällt“ (2/18-2/23).

Erinnert sich Mina, als Kind nur mit Unterhose bekleidet recht unbeaufsichtigt draußen spielen zu können (2/23-2/28), so macht sie einhergehend mit ihrer körperlichen Entwicklung in der Pubertät die Erfahrung, durch ihr Umfeld zunehmenden Forderungen der Bedeckung ihres Körpers ausgesetzt gewesen zu sein, und „so ging es dann immer ((lachend)) weiter“ (3/7). Grundlage der als „kulturmäßig“ (3/35) bezeichneten Kontrolle des Verhaltens und insbesondere der Körperpräsentation junger Mädchen und somit auch des Erziehungsverhaltens ihrer Eltern bildet für Mina das „bei uns in der Kultur“ (11/26-11/27, 3/37-3/39) verbreitete „Tratschen“: „ab bestimmtes Alter da achten ja alle mit wem hat sie geredet was hat die an ist die geschminkt ist die Haare auf gestylt und das ist dann halt äh so ne Sache man fühlt sich dann halt immer beobachtet oder beziehungsweise ich hab mich damals so gefühlt in bestimmter Zeit das man halt ja (-) nicht die Eltern passen einen auf weil mein Vater der hat ja nur gearbeitet das war morgens raus und kam abends halt wieder war jetzt nicht so ne große Sache aber für die Verwandtschaft oder für die Nachbarn war’s schon ach die ist ja schon groß

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wieso ist die noch diese Uhrzeit draußen oder wieso ist die Klub gegangen oder wieso macht die das“ (11/32-11/39).

Deutlich wird, dass Mina die Unsicherheiten durch die Veränderungen des Körpers in der Pubertät auch mit einer sozialen Kontrolle des weiblichen Körpers in Verbindung bringt, die sie kulturspezifisch definiert. Das Reden von Bekannten und Nachbarinnen und Nachbarn marokkanischer Herkunft in Deutschland über die Angemessenheit des Verhaltens einer (jungen) Frau wird von ihr im Rückblick zum Grund für ihren Wunsch, die Phase der Kindheit aktiv hinauszuzögern, um so den an ihrem Körper festgemachten Verhandlungen Anderer über das was richtig oder falsch ist zu entgehen. Den jugendlichen Körper an den Grenzen (kulturell kodierter) Körpernormen zur Schau stellen Trotz oder vielleicht gerade entgegen dieser zu Beginn der Pubertät gefürchteten Kontrolle durch das soziale Umfeld wird das Zurschaustellen des eigenen modifizierten Körpers um das 16. Lebensjahr herum laut Mina zunehmend wichtiger: „klar ab bestimmtes Alter macht man das wieder trotzdem das man so richtig eng anzieht“ (3/39-3/40). Mina berichtet, sie habe sich in dieser Zeit zusammen mit ihren Schwestern sehr körperbetont und modisch gekleidet. Die Meinung der Nachbarinnen und Nachbarn und Bekannten marokkanischer Herkunft ist in dieser Zeit laut Mina nicht mehr wichtig, da westliche Modetrends und Marken im Vordergrund des Interesses stehen: „damals war Levis ich weiß nicht ob das heute immer noch so ist Levishosen wie soll ich sagen das war das musste sein mit Buffalostiefel und ((beide lachen)) ja ganz kurze äh Jeansjacken und ja Locken bis zum geht nicht mehr“ (4/6-4/9). Mina erinnert sich, dass ihre Mutter in dieser Zeit „ab und zu mal geschimpft“ (4/15) habe, wenn sich ihre Töchter sehr körperbetont kleideten, jedoch irgendwann aufgab, Einfluss auf das Kleidungsverhalten ihrer drei jugendlichen Töchter zu nehmen (4/17-4/18). Zudem beginnt Mina auf ihr Gewicht zu achten. Sie treibt viel Sport und kontrolliert im Rahmen einer medizinisch initiierten Diät ihre Ernährung (6/34-7/5). Mina gibt an, dass ihr die Rückmeldungen Anderer über ihr Aussehen in dieser Zeit sehr wichtig waren: „ja das war gut weil man hat auch die Komplimente bekommen oh du siehst gut aus oh hast du n guten mh: dies (.) das war die Zeit weil man sah wirklich von die Figur aus von der Körper aus man sah gut aus das war die Zeit halt vorher so vorher hat mich das nicht besonders interessiert“ (5/14-5/17). Die Beschäftigung mit dem eigenen Aussehen ist im Rückblick auf diese Phase für Mina zentral, der eigene Körper wird zur Schau gestellt (7/9-7/11). Die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst bezieht sich jedoch nicht nur auf das Aussehen sondern auch auf die „Seele“ (8/19), wenn Mina erzählt: „ich hab nur das ge-

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macht was ich meine für richtig gehalten zu haben damals da habe ich mich jetzt nicht einreden lassen weder von meinen Eltern noch von den Freundinnen (.) es war gut ich hatte so viel Selbstbewusstsein“ (8/19-8/22). Für ihr Selbstbewusstsein spielen auch die Reaktionen junger Männer eine Rolle, sodass Mina als Jugendliche und entgegen der Wünsche der Eltern (16/4-16/6) im Urlaub in Marokko besonders knappe Kleidung trägt: „ja das sind Zeiten wo man so richtig genießt (.) so nur mit Radlerhose rumlaufen und enges T-Shirt weil man hat ja so Blicke gezogen Anmacherei ohne Ende klar Gerüchte ohne Ende natürlich auch noch“ (16/6-16/8). Die von Mina dargestellte Abgrenzung von „kulturmäßigen“ (3/37) Verboten erscheint dabei als ein Ausloten dessen, was noch möglich ist und was nicht mehr akzeptiert wird. So nimmt sie das Verbot des Tragens von T-Shirts mit Spaghettiträgern durchaus ernst (3/5-3/7). Auch das Verbot des sexuellen Kontakts mit dem Freund wurde laut Mina von ihr und ihren Schwestern eingehalten: „nur halt bei uns ist es muss ich noch dazu sagen auch wen man Freund hat man darf keinen sexuellen Kontakt haben und daran haben wir uns alle gehalten“ (4/21-4/23). Ihre Jugendphase erscheint in Minas Ausführungen als eine Zeit des sich Ausprobierens und Einforderns von Selbstbestimmung in Auseinandersetzung mit an sie herangetragenen Körpernormen. Unklar bleibt, ob die von ihr eingeforderte Autonomie nur für die Phase der Jugend gelten soll, oder ob sie dies auch als erwachsene Frau weiterhin für sich in Anspruch nimmt. So spricht sie zum einen von dem Wunsch, dass ihre Tochter sich ausprobiert und „Minis“ trägt, solange sie möchte. Andererseits ist das Kopftuch laut Mina eine religiöse Pflicht sowie das (durchaus körperbetonte) Verdecken des weiblichen Körpers eine kulturelle Norm, die sie erfüllt. Kulturell begründeter Eingriffe in die Inszenierung des weiblichen Körpers ablehnen Mina grenzt die Bedingungen von Kindheit und Jugend in Marokko gegenüber dem Aufwachsen in Deutschland mit Kontakt zu Migrantinnen und Migranten marokkanischer Herkunft ab. Als Grund benennt sie den Eindruck, dass die in Deutschland lebenden marokkanischen Migrantinnen und Migranten in ihren Augen die in Marokko vollzogenen Entwicklungen nicht mitvollzogen hätten und ihrer Meinung nach zum Teil traditioneller leben würden als die Menschen in Marokko. Die Unterscheidung zwischen ,traditionell‘ und ,entwickelt‘ bezieht sie auf die Akzeptanz eines selbstbestimmten und freizügigeren Kleidungsverhaltens junger Frauen, die ihres Eindrucks nach in Marokko gegeben sei, unter in Deutschland lebenden Marokkanerinnen und Marokkanern allerdings weniger vorhanden sei (15/11-15/24). Ob Mina als in Deutschland lebende Person an dieser Stelle ein Deutungsmuster des Migrationsdiskurses aufgreift, oder aber ob sich dieses verbreitete Deutungsmuster einer Dichotomie zwischen in den ,Traditionen’ verhafteten Auwandererin-

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nen und Auswanderern und ,moderneren‘ Entwicklungen im Herkunftsland in ihren Einschätzungen lediglich wiederfindet, kann nicht geklärt werden. Der oftmals im Zusammenhang mit einer „Re-Ethnisierung“ (vgl. Bukow/Llaryora 1988, 45; Zurawski 2000, 77ff.) angenommene Bezug auf bereits im Herkunftsland überkommene Traditionen wird von Mina aufgegriffen und kritisiert: sie lehnt von ihr entsprechend markierte Vorschriften für ihre Familie sowie die Erziehung ihrer Kinder und insbesondere ihrer Tochter ab. Im Zuge dessen grenzt sie sich von in ihren Augen spezifischen Deutungen religiöser Vorschriften ab, indem sie ausführt: „früher haben die Leute äh die Leute haben nach der Kultur gelebt ich mein in der Religion steht ja nirgendwo was drau/ äh drin ich mein Kopftuch ja ist ein Pflicht aber so alles andere ist eigentlich nur Mist das steht nirgendwo drin dass man die Mädchen einsperren muss und da steht auch nirgendwo drin dass man über die Lästern muss oder gar nichts deswegen werde ich es auch nicht machen das ist mir dann auch egal was die anderen darüber erzählen die sollen schon auch das machen was die Lust hat zu ihre Körper stehen sag ich mal so klar die soll sich jetzt bestimmt nicht zwingen die soll ruhig ihre engen Sachen anziehen ihre Minis solange sie möchte ja das möchte ich dann machen ich weiß nicht ich mein die soll schon so leben wie sie’s gerne hätte weil irgendwann kommt es sowieso ganz anders ((beide lachen)) ja“ (12/8-12/17).

Anhand der Ablehnung von für Mina mit der marokkanischen Herkunft einhergehenden Vorschriften für die Körpererziehung ihrer Tochter verdeutlicht Mina ihre Bereitschaft, ihre Tochter vor von ihr als unsinnig angesehenen Eingriffen in ihr Leben zu schützen. Dabei verweist Mina auf die ohnehin angenommene Unabgeschlossenheit und Prozesshaftigkeit sozialer und somit kultureller Normen. Allerdings wird durch die Art der Auseinandersetzung Minnas mit dem Thema auch deutlich, dass die von ihr beschriebenen kulturellen Vorschriften einen starken ,Überlebenswillen‘ haben und sich nicht ohne weiteres außer Kraft setzen lassen. Schwangerschaftsnormen Auf die Frage, in welchen Situationen ihr Körper eine ganz besondere Rolle für sie gespielt habe, gibt Mina ihre drei Schwangerschaften an. Durch den mit der ersten und dritten Schwangerschaft verbundenen Gewichtsverlust beschreibt Mina ihr Aussehen „wie so ein Junkie ich hab das Essen gehasst“ (4/31). Sie erhält in dieser Zeit stärkende Infusionen, die Reaktionen Anderer auf ihr nicht schwangerschaftskonformes Aussehen sind für sie jedoch „das Schlimmste“ (4/33, 5/9-5/11). Gewichtsabnahme, ein „krankes“ Aussehen, Haarausfall und kein gut sichtbarer Babybauch (5/2-5/4) und insbesondere die Reaktionen anderer Personen darauf, werden von Mina als psychisch belastend empfunden, was sie zu der Aussage führt: „Schwangerschaften bei mir das ist eine Katastrophe“ (5/2).

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Die drei Schwangerschaften sind nach Minas Ansicht auch der Grund für die von ihr benannten 15 Kilogramm Übergewicht. Sie ist mit dieser Entwicklung durchaus unzufrieden, aktiv unternehmen dagegen tut sie jedoch nichts: „ich denk mir einfach nach drei Kindern ist das klar man versucht das man ja ich versuche zwar das es nicht mehr wird aber ich tu auch nichts dagegen dass es weniger wird ich weiß dass es falsch ist“ (7/23-7/25). Als Gründe für die Gewichtszunahmen benennt Mina fehlende Zeit für sportliche Aktivitäten (8/25-8/26) in Kombination mit Essattacken in „Depri-Phasen“ (5/17). Dabei gibt sie an, nichts gegen ihr Gewicht machen zu können (8/29-8/31), jedoch zugleich manchmal in Sorgen zu sein, weiter zuzunehmen (8/32-8/36). Deutlich wird, dass das Thema Schwangerschaft und die damit einhergehenden körperlichen Veränderungen stark durch normative Vorstellungen einer ,normalen‘ oder ,guten‘ Schwangerschaft beeinflusst sind. Die Nichterfüllung dieser Schwangerschaftsnormen führt zu Unsicherheit und Abwertung ihres Körpers. Das Kopftuch als Symbol von Andersheit für Andere Minna berichtet, dass sie sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes aktiv mit ihrer Konfession, dem Islam, auseinandergesetzt habe. Zuvor eher religiös uninteressiert, entschließt sie sich mit Ende zwanzig dazu, ein Kopftuch zu tragen (9/24-9/27). Mina gibt an, dass sie zudem ihren Mann dazu angeregt habe, sich für den Islam zu interessieren. Ihre Entscheidung ein Kopftuch zu tragen „stört ihn auch nicht“ (11/1) und auch er trage nun ein „bisschen Bart“ (11/1). Nach Minas Einschätzung ist ihr Mann darüber hinaus mittlerweile religiöser als sie selbst (10/38-10/40). Die ersten Reaktionen von Bekannten der Mehrheitsgesellschaft auf ihr Kopftuch bezeichnet Mina als zurückhaltend und skeptisch. Sie vermutet, dass die Veränderung auf Andere, die sie als stets gestylt kannten, zu Beginn verunsichernd wirkte (8/33-8/37): „mit dem Nachbarn auch so (.) wieso tragen sie jetzt Kopftuch müssen sie das? Nein (-) und dann andauernd muss man das rechtfertigen warum man Kopftuch anzieht ja aber früher hast du ja keins (.) und dann hat ich schon bemerkt dass die irgendwie anders geworden sind nicht mehr dieses lockere (.) äh sondern die waren ein bisschen so ich glaub die hatten mehr Angst gehabt so nach dem Motto weil äh wie soll ich sagen es ist ja so damals in der unserer Eltern als die nach Deutschland gekommen sind die kannten ja kein Deutsch und die und die haben sich auch mit sehr vielen gar nicht richtig verständigt gehabt aber das ist nicht so weil die nicht wollten sondern weil die nicht konnten und dann haben die das auf einmal wieder auf die bezogen wie (.) die zieht sich jetzt zurück=aber nicht ich hab mich zurück gezogen sondern die haben sich zurück gezogen“ (10/21-10/30).

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Durch ihre Entscheidung ein Kopftuch zu tragen, ist bei Mina der Eindruck entstanden, plötzlich nicht mehr akzeptiert zu werden und sich für ihr Verhalten rechtfertigen zu müssen. Sie äußert die Vermutung, dass das Kopftuch im Sinne einer Re-Ethnisierung von Anderen als ein Rückzug und eine Verweigerung des Lebens in Deutschland gedeutet wird. Auch auf Ämtern wird Mina ihrem Empfinden nach nun seitdem anders behandelt (9/37-9/38). Aufgrund der Erfahrung mit Kopftuch nicht akzeptiert zu werden „kam noch ne Zeit wo ich mich richtig auch eingeschlossen so’n so’n paar Monate wo ich gar nicht rausgehen wollte ja aber danach “ (9/40-10/2). Mittlerweile, so Mina, habe sich ihre Umgebung an ihr Kopftuch gewöhnt, sodass es „jetzt wieder geht“ (10/32). Für Mina bildet ihr Kopftuch ein Glaubensbekenntnis. Dass es Leute gibt, die sie noch aus der Zeit ohne Kopftuch kennen, sei selbstverständlich und kein Problem für sie. Auch gibt sie an, dass es schon vorgekommen sei, dass sie das Kopftuch während der Arbeit als Deutschlehrerin einer Frauengruppe in einer Familienbildungseinrichtung abgenommen habe und sie dann durch Zufall auch von männlichen Kollegen gesehen worden sei, die sie schon sehr lange kenne (11/11-11/15): „klar die kommen immer rein zum Beispiel Thomas (Mitarbeiter) der Hans (Mitarbeiter) oder der Christoph* (Mitarbeiter) ich vergess die manchmal anzuziehen dann sagen die (Teilnehmerinnen, H.T.) eh guck mal da ist ein Mann dann sag ich dass ist ((lacht)) nur der Thomas oder der Christoph* ist doch egal“ (11/7-11/10).

Deutlich wird, das durch ihre Entscheidung ein Kopftuch zu tragen, sich die Reaktionen Anderer ihr gegenüber verändert haben. Mina berichtet von der Erfahrung, dass die symbolische ,Macht‘ des Kopftuches sie in den Augen einiger zu einem anderen (unterdrückten) Menschen gemacht habe. Das Kopftuch erscheint in ihrer Darstellung als Stigma des Opferstatus. Dabei versucht Mina in ihrer Darstellung gerade ihren selbstbestimmten und ungezwungenen Umgang mit dem Kopftuch zu verdeutlichen. Der Rückzug, so Mina, sei nicht durch sie, sondern durch die Anderen vollzogen worden. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: mehrdeutige Verortungen in Körper-Kultur-Vergleichen Noch bevor ich die Eingangsfrage des Interviews stelle, beginnt Mina, ihre Annahme einer unabhängig von nationaler oder religiöser Zugehörigkeit bestehenden Gleichheit von Menschen darzulegen: „wir sind eine Gruppe da ist eine Deutsche dabei Albaner Türken äh so’n gem/ äh Jug/ äh Mazedonien was noch (.) und im Endeffekt so was man so ist alles gleich heißt=klar die Kleidung ist anders weil bei u/ ja ok weil bei uns ist es ja heute man darf

368 | K ÖRPER UND M IGRATION die Körper nicht so offensichtlich zeigen als bei jetzt (.) jetzt nichtmuslimischen Frauen das ist eigentlich das einzige Unterscheid aber sonst so von der Charakter her oder von der Gedanken ist alles gleich“ (1/1-1/6).

Dass sie dies gleich zu Beginn unseres Gesprächs betont, deutet zum einen darauf hin, dass ihr der Gedanke der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Vorstellungen ihrer natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit, sehr wichtig ist. Zum anderen kann diese spontane Äußerung darauf hinweisen, dass das Thema des Interviews (Körper und Migration) und meine Interviewanfragen (an junge Frauen mit Migrationshintergrund) sie zu dieser Aussage bewogen hat: Sie scheint sich bereits zu Beginn von möglichen Zuschreibungen eines irgendwie gearteten ‚Andersseins‘, einer Besonderung von sich oder Anderen als (kulturell) ,anders‘ markierten Menschen abgrenzen zu wollen. Mina macht in ihren Ausführungen deutlich, dass das äußere Erscheinungsbild durch ein bestimmtes – in diesem Fall religiös motiviertes – Kleidungsverhalten durchaus Unterschiede aufweisen kann. Diese äußerlich markierte Differenz lässt sich in ihren Augen im ,Inneren‘ – im „Charakter“ oder der „Einsicht“ (1/13) – allerdings nicht wiederfinden. Ausgehend von dieser eigenen Standortbestimmung nutzt Mina im Interview die Systematik der Gegenüberstellung von Mehrheitsgesellschaft und den marokkanisch-stämmigen Migrantinnen und Migranten in Deutschland beziehungsweise der marokkanischen Gesellschaft, um auf verschiedene Themen bezogene KörperKultur-Vergleiche vorzunehmen. Ihr einführender Kommentar erscheint daher eher wie ein Verweis auf Gleichwertigkeit als auf Gleichartigkeit. So nutzt Mina für die Ausführungen ihrer Erfahrungen eines Lebens im engen Kontakt mit anderen Migrantinnen und Migranten marokkanischer Herkunft in ihrer Stadt beziehungsweise ihres Stadtteils wiederholt die Formulierung „bei uns“ (zum Beispiel 1/25, 3/37, 11/26) und weist auf diese Weise auf eine sich von mir als Interviewerin abgrenzende Gruppenzugehörigkeit hin. Ihre Haltung bezogen auf die mit ihrem Geburtsland in Zusammenhang gebrachten kulturell beziehungsweise religiös markierten Körpernormen erscheint dabei als mehrdeutig. So berichtet Mina, sehr unter den durch die Nachbarn und Bekannten marokkanischer Herkunft vertretenen restriktiven Vorstellungen darüber, wie sich junge Mädchen präsentieren sollen, gelitten zu haben. Sie distanziert sich von diesen sozialen Vorgaben und gibt an, dass sie ihre Tochter dazu ermutigen möchte, sich nach ihren eigenen Vorstellungen zu kleiden. Zugleich scheint Mina an anderer Stelle die von ihr benannten kulturellen Unterschiede in der Art der Körperpräsentation auch anzuerkennen:

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„wie erklär ich das am besten ä::hm zum Beispiel jetzt bei uns ist das so mit Bikini oder Miniröcke oder so richtig offene Sachen ist gar nicht drin (.) aber man kann zum Beispiel auch trotzdem ganz eng ohne dass man auffällt äh ganz eng dass man auffällt aber ohne dass man jetzt ohne dass das jetzt so richtig äh (.) wie erklär ich das am besten ohne dass das ((atmet aus)) ohne dass das das jetzt nackt aussieht aber trotzdem angezogen und das machen wir trotzdem gerne klar“ (1/28-1/33).

Angesichts der von ihr eingenommenen Perspektive des Kulturvergleichs und ihrer am Beispiel weiblicher Körperpräsentation deutlich werdenden ambivalenten Haltung zwischen den von ihr aufgerufenen kulturellen Differenzen verwundert es nicht, dass Mina sich in der Aushandlung ihrer eigenen Position „irgendwie ähm zwischen zwei Welten“ (14/28) sieht und angibt, sich nicht als „hundertprozentiger Marokkanerin“ (11/23-11/24) und nicht als „Hundertprozent Deutsche“ (11/25) zu fühlen. Das weder in der von ihr als deutsch oder marokkanisch markierten Ordnungen aufgehende Eigene wird wiederum nicht als eine eigene Option benannt. Auf lokaler Ebene ist Minas Zugehörigkeitsempfinden wiederum eindeutig, wenn sie sagt: „aber ich bin ne X-erin (Bewohnerin einer deutschen Großstadt) von Herz und Seele ich liebe diese Stadt“ (11/25-11/26). Dabei betont sie, abgesehen von den ersten misstrauischen Reaktionen auf ihr Kopftuch in ihrer Heimatstadt, in 28 Jahren noch nie die Erfahrung gemacht zu haben, „dass jemand was Schlechtes über meine Kultur oder über mich gesagt hat“ (10/18-10/1911/2). Ihr lokales Zugehörigkeitsgefühl scheint Mina dabei die Möglichkeit zu eröffnen, die Frage nach der in der Regel auf Klarheit und Eindeutigkeit hin angelegte, jedoch in ihrer Darstellung nicht eindeutig bestimmbare natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit zu umgehen. Zentral für Minas Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Position ist dabei ihr im Kontext Deutschland als Stigma wahrgenommenes Kopftuch als Grundlage für den Rückzug durch Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft. 7.11.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Minas fotografische Körperpräsentation verweist auf eine stark interaktional eingebundene Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Körper. Dabei eröffnet sie einen differenzierten Eindruck ihrer Selbstpositionierung, die sie in der Interaktion aktiv gestaltet. So zeigt sie auf den Fotografien einen Großteil ihres Gesichts nicht, um – möglicherweise mit ihrem Kopftuch verbundene – festschreibenden Objektivierungen durch das Gegenüber zu entgehen. Zugleich bietet sie der Betrachterin eine Körperhaltung mit Aufforderungscharakter an. Sie möchte nicht identifizierbar sein, signalisiert über ihre Gestik aber zugleich Kontaktbereitschaft indem sie dem Gegenüber direkt entgegen tritt. Bezogen auf die von Mina im Interview benannte Position zwischen einer ausschließlich marokkanischen und ausschließlich deut-

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schen Zugehörigkeitsvorstellung verknüpft sie in der Darstellung ihrer Körperlichkeit von ihr als deutsch beziehungsweise marokkanisch benannte Aspekte miteinander. Mir gegenüber nimmt sie dabei oftmals die Rolle einer ,der Anderen‘ ein, wenn sie ihre Ausführungen wiederholt mit „bei uns“ beginnt. Diese Unterteilung zwischen ,euch‘ und ,uns‘ ist jedoch nicht durchgängig relevant. So lehnt Mina die soziale Kontrolle von Bekannten und Nachbarschaft marokkanischer Herkunft gegenüber jungen Mädchen unter anderem bezogen auf ihre Kleidungswahl ab, stellt jedoch die im Vergleich zu autochthonen Frauen stärkere Bedeckung des eigenen Körpers bei Frauen mit marokkanischem Migrationshintergrund als Tatsache und das Tragen eines Kopftuches für Muslimas als „Pflicht“ (12/9) dar. Es scheint, als würde sich die Positionierung zu von ihr als kulturell beziehungsweise religiös markierten Normen entlang des sozialen Unterscheidungskriteriums „Alter“ ausdifferenzieren: Was in der Jugend erlaubt ist, gilt scheinbar nicht automatisch für das Erwachsenenalter. Der in der Fotoanalyse aufgezeigte Interpretationsansatz einer Verweigerung der Zuschreibung durch Andere wird durch die sprachlichen Äußerungen noch einmal konkretisiert. Die Verweigerung der eigenen Objektivierung kann als Reaktion auf die erfahrene Ablehnung ihrer durch das Kopftuch sichtbar gemachten Religionszugehörigkeit verstanden werden. Ebenso kann darin allerdings auch eine Kritik an der sozialen Kontrolle durch Bekannte und Nachbarschaft marokkanischer Herkunft bestehen. Grundsätzlich kann Minas Körperdarstellung als eine Form des Auslotens der eigenen Selbstbestimmung im Verhältnis zu Anderen angesehen werden. Trotz zum Teil deutlicher Kritik scheint sich Mina jedoch nicht gegen an sie herangetragene Erwartungen zur Wehr zu setzen. Vielmehr entzieht sie sich der Kontrolle auf eine ,leise‘ Art und Weise; dies geht jedoch nicht mit einem grundlegenden Rückzug einher. Vielmehr stellt sich Mina in einer überaus kommunikativen und an Interaktion interessierten Frau dar. In Minas sprachlicher Darstellung wird – ausgehend von der Annahme einer grundlegenden Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer kulturellen oder religiösen Orientierung – eine stark vergleichende Position zwischen der Körperpräsentation von Frauen mit marokkanischem Migrationshintergrund (die in Kontakt zu anderen Menschen marokkanischer Herkunft stehen) und autochthonen Frauen in Deutschland eingenommen. Ähnlich der Darstellung Meilings erscheinen die Körper-Kultur-Vergleiche dabei in eine grundlegend kulturvergleichende Perspektive eingebunden. Allerdings nimmt Mina – anders als Meiling und eher wie Nikita – keine klare Hierarchisierung zwischen den von ihr benannten Unterschieden der Körperpräsentation von in Deutschland lebenden Menschen mit und ohne marokkanischen Migrationshintergrund beziehungsweise Menschen in Marokko vor. Im Hinblick auf die von Mina geübte Kritik an in Deutschland erlebten ,westlichen‘

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und in Deutschland und Marokko erfahrenen ,marokkanischen‘ Körpernormen erscheint sie in ihrer eigenen Haltung als indifferent. Deutlich formuliert sie Kritik an der sozialen Kontrolle der Körperlichkeit junger marokkanischer Mädchen beziehungsweise Mädchen mit marokkanischem Migrationshintergrund. Jedoch scheint sie noch einmal einen Unterscheid zwischen sich als Heranwachsender und als erwachsener Frau beziehungsweise zwischen jungen Mädchen und Frauen im Allgemeinen zu machen. Ihre Bemerkung „irgendwie äh zwischen zwei Welten“ (14/28, Herv. H.T.) zu stehen, verweist auf eine zwar nicht starre aber doch bestehende Selbstpositionierung als junge Frau marokkanischer Herkunft in Deutschland. Bezogen auf die durch das Theoretical Sampling entwickelte Frage, ob es in der Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit junger Frauen, die selbst nach Deutschland migriert sind, in der sprachlichen Darstellung auch zu einer Nichtbezugnahme auf kulturelle beziehungsweise kulturvergleichende Interpretationsfolien kommen kann, bietet Mina keine Antwort. Der Vergleich zwischen dem Leben in Marokko und Deutschland fällt bei Mina mit der Unterscheidung zwischen Kindheit sowie Jugend- und Erwachsenenalter zusammen, sodass der Vergleich – wie Mina bemerkt – schwierig sei. Es scheint allerdings, als würde sie in dem von ihr aufgemachten Vergleich zwischen beiden Ländern den ,marokkanischen Einfluss‘ auf ihre Körperlichkeit stärker kritisieren und sich zugleich den Menschen mit marokkanischer Herkunft im Vergleich zur deutschen Mehrheitsgesellschaft stärker zugehörig fühlen. Mina entwickelt ihre Position in einem Abgleich zu den als marokkanisch wahrgenommenen Einflüssen, ohne die an sie heran getragenen Erwartungen völlig zu ignorieren oder offen abzulehnen. Auffällig ist dabei, dass sie Deutschland anders als Marokko beziehungsweise die marokkanischen Migrantinnen und Migranten nicht als explizit kulturellen Bezugspunkt benennt. Bestimmte Vorstellungen oder Handlungsweisen. werden anders als bei den von ihr als ,marokkanisch‘ definierten Einflüssen nicht als ,deutsch‘ beschrieben. Als Grund dafür kann die in der mir gegenüber verwendeten Zugehörigkeitsformulierung „bei uns“ erkennbare Annahme meiner Zugehörigkeit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft vermutet werden. In der Annahme des von uns geteiltem Bezugspunktes „Deutschland“ bedarf es in ihren Augen womöglich keiner Explizierungen. Thematisch wird durch den Fall Mina über die Auseinandersetzung mit ihrem Kopftuch der in der Untersuchung bisher nur am Rande (und zwar bei Jasemin, Leya und Gia) erwähnte Aspekt der religiösen Zugehörigkeit und dem gesellschaftlichen Umgang damit eingeführt. Zudem wird noch einmal der als kritisch erlebte und kulturspezifisch markierte Übergriff Anderer auf den eigenen Körper deutlich. Ähnlich wie bei Mishgan und Meiling und ihren natio-ethno-kulturell definierten Vorstellung eines schlanken Körpers zeigt sich im Fall Mina eine kritische Auseinandersetzung mit und eine teilweise Verweigerung von an sie herangetragenen Körpernormen.

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Schwangerschaftsnormen

kulturell begründete Eingriffe in die Inszenierung des weiblichen Körpers ablehnen

das Kopftuch als Symbol von Andersheit für Andere

(un-)auffällige Aushandh d lung eigener Körperlichkeit zwischen Übernahme und Ablehnung kulturell definierter Körpernormen

den Kinderkörper zum Schutz vor sozialer Kontrolle erhalten

KörperKindheiten

den jugendlichen Körper an den Grenzen von (kulturell kodierten) Körpernormen zur Schau stellen

Abbildung 37: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Mina Weiterführende Fragen für das Theoretical Sampling Es wird deutlich, dass sich in den Interviews die mit der eigenen Migrationserfahrung oder der Migrationserfahrung der Eltern einhergehende Auseinandersetzung mit natio-ethno-kulturellen Bezügen auf die eigene Körperlichkeit zwischen einer kaum vorhandenen und einer hohen Relevanz bewegt. Die Bedeutung dieser kollektiven Zugehörigkeitsvorstellungen scheint dabei unabhängig davon zu sein, ob die Migration selbst erlebt oder durch die Eltern vollzogen wurde. Zudem zeigt sich, dass – wenn diese Bezüge eine Rolle in den Darstellungen spielen – die Darstellungen oftmals – aber nicht immer – in einer kulturvergleichenden Weise dargestellt werden. Wird eine kulturvergleichende Perspektive eingenommen, zeigt sich wiederum eine Varianz darin, ob die Bezüge in hierarchischer oder in nichthierarchischer Weise hergestellt werden. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die in unterschiedlicher Art und Weise und Intensität vorgenommenen natio-ethnokulturellen Markierungen im Rahmen der Darstellung eigener Körperlichkeit mit anderen individuell relevanten sozialen Differenzsetzungen verwoben sind. Fast zeitgleich mit der Kontaktaufnahme mit Mina findet ein Treffen mit einer weiteren jungen Frau statt, die wie Mina auf Phasen des Pendelns zwischen Deutschland und dem Herkunftsland (der Eltern) zurückblickt.

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7.12 K RITISCHE A USEINANDERSETZUNG IN EINEM HIERARCHISCH ANGELEGTEN K ÖRPER -K ULTUR V ERGLEICH – F ALLSTUDIE D JALILA Kurzporträt Djalila69 wird 1978 als erstes Kind ihrer aus Algerien migrierten Eltern in Deutschland geboren. Als Djalila sieben Jahre als ist, entscheiden ihre Eltern, dass sie nach einem Sommerurlaub mit ihrem Bruder dauerhaft bei ihren Großeltern in Algerien leben soll. Aufgrund gesundheitlicher Probleme kehrt Djalila jedoch nach fünf Jahren nach Deutschland zurück. In der Jugend kommt es zu Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, die dazu führten, dass Djalila 1994 mit sechzehn Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder wiederholt unfreiwillig in Algerien leben muss. Als sie mit zwanzig Jahren einen von den Eltern ausgewählten Algerier heiraten soll, kann sie bei der Familie einer Freundin untertauchen. Mit einundzwanzig Jahren (Volljährigkeit in Algerien) beantragt Djalila einen Pass und kehrt 2000 nach Deutschland zurück. Sie holt ihren Haupt- und Realschulabschluss nach. Nach einer abgebrochenen Ausbildung als Krankenschwester absolviert Djalila von 2004 bis 2006 eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und beginnt im Anschluss eine Ausbildung als Erzieherin, die sie 2007 abbricht.70 Djalila besitzt die (algerisch-)deutsche Staatsangehörigkeit. Sie ist mit einem Deutschen mit libanesischem Migrationshintergrund verheiratet, hat einen Sohn und arbeitet in Teilzeit als Kinderpflegerin in einer Kindertagesstätte. 7.12.1 Fotografieanalyse Als Grundlage für die Auswahl eines Bildes für eine eingehendere Bildanalyse stehen sieben Fotografien zur Verfügung, auf denen eine Person in zentraler Position vor einem eher unauffälligen Hintergrund zu sehen ist. Auf fünf Fotografien sitzt sie auf einem Stuhl, auf zweien steht sie. Auf vier Fotografien schaut sie direkt in die Kamera, wobei sie auf drei Bildern dabei lächelt, was die Darstellung sehr bewusst erscheinen lässt. In Bild fünf wird der Eindruck von Aufmerksamkeit durch die Assoziationen einer abwartenden, wohlwollenden, vielleicht aber auch skeptischen Haltung ergänzt, sodass diesem Eindruck in der Einzelbildinterpretation systematisch nachgegangen wird.

69 Der Name Djalila ist ein in arabischen Ländern verbreiteter weiblicher Vorname. 70 Die Informationen zu Schulabschluss und Ausbildungen stammen nicht aus dem Interview sondern aus einem nicht aufgenommenen Gesprächsabschnitt nach dem Interview.

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Abbildung 38: Fotoreihe zu den imaginierten Situationen in der Fußgängerzone, im Café, in der Schule, bei der Arbeit, mit der Familie, mit Freunden/Freundinnen und mit dem Partner im Fall Djalila Externe Kontextualisierung Die Fotografien wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema Körper und Migration im Jahr 2009 in Deutschland aufgenommen. Für die Untersuchung wurden junge Frauen gesucht, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Die auf der Fotografie zu sehende Untersuchungsteilnehmerin fühlte sich durch diese Suchanfrage angesprochen. Für die folgende von mir vorgenommene eingehende Einzelbildanalyse wird der Schwerpunkt auf interaktionale Elemente in der fotografischen Darstellung gelegt. Im Zentrum steht die Person in ihrem körperlichen Ausdruck und ihrer Verortung im Raum. Es wird davon ausgegangen, dass sich inkorporierte soziale Erfahrungen in der Körperinszenierung rekonstruieren lassen. Dazu zählt neben der formal kompositorischen auch die symbolische Ebene körperlicher Darstellung. In der vorikonografischen Beschreibung auf dreidimensionaler, perspektivischer Ebene ist im Vordergrund der Fotografie im Hochformat eine dunkel gekleidete Person zu sehen, die vor einem überwiegend hellen Hintergrund auf einem Stuhl sitzt, der auf einem hellbraunen Boden steht. Der helle Hintergrund wird durch eine hellbraune Fußleiste vom Holzboden getrennt. In der Mitte unterbrochen wird die

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Fußleiste durch einen weißen (Holz)Rahmen, der – deutlich durch ein dunkles Scharnier im linken unteren Bildbereich – ein hellbraunes Türblatt aus Holz hält. Das Türblatt fast vollständig von einem weißen Stück Stoff verdeckt, sodass nur der untere Teil sowie ein schmaler Streifen auf der linken Seite sichtbar sind. Am linken Bildrand befindet sich eine im rechten Winkel nach vorne verlaufende hellbraune Fläche – vermutlich ein Schrank aus Holz(imitat). Dahinter an der Wand ist ein Teil der Rückwand eines Bilderrahmens oder ähnliches zu sehen, der vermutlich auf der Fußleiste stehend hinter das Möbelstück geschoben wurde. Am rechten Bildrand ist ein dunkles wellenförmig verlaufendes Band zu erkennen, das vom oberen Drittel des Bildes in das untere Drittel verläuft. Von einer weißen eckigen Fläche – vermutlich einer Schaltersteckdosenkombination – umgeben, läuft das Kabel von einer Wandsteckdose zu einem auf dem Boden liegenden dunklen Gegenstand. Auf dem Boden sind quer verlegte Holzdielen sichtbar, die aufgrund der unregelmäßigen gräulichen Farbgebung in großen Teilen abgewetzt erscheinen. Auf diesem Untergrund steht ein heller Holzstuhl mit vier Beinen, der frontal Richtung Kamera ausgerichtet ist. Die beiden vorderen Stuhlbeine verlaufen an ihrem oberen Ende in einem Rundbogen seitlich der Sitzfläche als Armlehnen auf die verlängerten hinteren Stuhlbeine zu, die wiederum eine dunkle Rückenlehne rahmen. Auf der die beiden Vorderbeine waagerecht verbindenden Holzleiste liegt eine dunkelblaue, vermutlich mit Stoff bezogene, Sitzfläche mit abgerundeten Ecken auf. Die Frau sitzt frontal zur Kamera, ihre Beine sind an den Knien leicht eingeknickt parallel nach vorne ausgestreckt, ihre Füße sind hüftbreit aufgestellt, wobei der linke Fuß nach vorne, der rechte Fuß leicht nach vorne innen zeigt. Ihr Oberkörper ist nach hinten an die Rückenlehne des Stuhls gelehnt. Ihre Arme sind seitlich des Oberkörpers auf den Armlehnen des Stuhls abgelegt. Der rechte Arm ist am Ellenbogen leicht nach innen genickt, sodass ihre rechte Hand flach auf dem oberen Teil ihres rechten Oberschenkels aufliegt. Ihre Finger sind dabei leicht gespreizt. Ihr linker Unterarm verläuft entlang der Armlehne, ihre linke nach unten abgeknickte Hand hält einen flachen, dunklen Gegenstand zwischen Daumenspitze und Fingern. Entsprechend ihres Oberkörpers sind ihre Schultern nach hinten gerichtet, ihre rechte Schulter ist dabei leicht nach oben gezogen. Ihr Kopf ist leicht zur rechten Seite gebeugt, sodass ihr Gesicht nach links oben geöffnet erscheint. Ihr Blick geht dabei in Richtung Kamera, ihr Mund ist geschlossen, ihre Mundwinkel leicht nach oben gezogen. Die Person trägt ein dunkelviolettfarbenes T-Shirt mit kurzem Arm und hoch geschnittenem Rundhalsausschnitt. Die darunter sichtbaren langen Ärmel weisen auf ein unter dem T-Shirt getragenes schwarzes Shirt hin. Das lilafarbene Shirt hat auf der Brust ein rundes Emblem. Auf weißer Untergrundfarbe sind um einen in der Mitte liegenden dunkeln Stern rote und schwarze Zeichen zu erkennen. Die Frau

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trägt eine dunkle lange Hose im Jeansschnitt mit leicht ausgestelltem Bein aus Cord oder Stoff. Am Saum des rechten Hosenbeines ist ein kleines rot-weißes rechteckiges Schildchen erkennbar. Vom hinteren Saum des linken Hosenbeins hängen zwei schmale Stoffstreifen hinab, die auf einen Verschleiß des Hosenstoffes hinweisen. Unter den Hosenbeinen schauen Turnschuhe mit weißem Gummirand und Gummispitze, weißer Lasche sowie am Rand dunkel abgesetzten cremefarbenen seitlichen Schaftteilen hervor, die durch eine helle Schnürung zusammen gehalten werden. Die Frau trägt keinen erkennbaren Schmuck. Ihre lockigen Haare sind dunkelbraun bis schwarz und liegen in einem stark durchgestuften halblangen Haarschnitt um das Gesicht. Ihre schmalen Augenbrauen und ihre Augen sind ebenfalls dunkel, ihre Wangen leicht gerötet und die Haut um ihre Augen erscheint etwas dunkler. Hinsichtlich dominanter Bildlinien lässt sich das Bild aufgrund des Hintergrundes sowie der Haltung der Frau als grundlegend rechtwinklige Komposition begreifen. Waagerechte bilden die quer verlaufenden Dielen sowie der untere sichtbare Teil der Tür, senkrecht verlaufen die Beine, der links angeschnittene Schrank, die seitlichen Türrahmen sowie der auf der linken Seite sichtbare Türstreifen. Entgegen dieses rechteckigen ,Rasters‘ lassen sich eher unauffällige Diagonalen zwischen links unten und rechts oben erkennen: Der leicht schräg gelegte Kopf, die Unterarme sowie der leicht nach innen gedrehte rechte Fuß. In ihrer farblichen Gestaltung zeichnet sich die Fotografie durch starke Hell-Dunkel-Kontraste insbesondere zwischen Hintergrund und Person aus. Dabei ist die dunkle Kleidung der Person durch kleine helle Farbflächen unterbrochen, genau wie im Hintergrund kleinere dunkle Flächen zu erkennen sind. Neben größeren und kleineren Flächen in creme/weiß/beige und schwarz bildet das lilafarbene Shirt das farbliche Zentrum des Bildes. Das Foto weist keinen deutlichen Schattenwurf auf. Einzig unter den an den Fußspitzen angehobenen Füßen werden Schatten sichtbar, die jedoch nicht über die Fußfläche hinausgehen, sodass von einer oberhalb liegenden Lichtquelle ausgegangen werden kann (Licht/Schatten). Die Kameraposition zeigt eine leichte Aufsicht auf die im Zentrum sitzende Person in der Halbtotale. Die Unschärfe des Bildes weist unter anderem auf eine den Lichtverhältnissen nicht angepasste Kameraeinstellung hin.

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Abbildung 39: anonymisiertes Foto „mit dem Partner“ und Skizze des Gesichts im Fall Djalila Auf der symbolischen Ebene werden die Position im Bild, die äußere Erscheinung und die Körperhaltung der Frau näher betrachtet. Die Frau stellt das Zentrum des Bildes dar; den Bildmittelpunkt bildet ihr Schoß. Durch die Holzflächen am linken, rechten und unteren Bildrand erscheint die Frau im Bildausschnitt in einer nach oben geöffneten Rahmung. Dabei entsteht durch die Diagonalen des schräg gelegten Kopfes, der eingeknickten Unterarme sowie des leicht eingedrehten rechten Fußes eine Bilddynamik, die geleitet durch die Kopfhaltung den Eindruck einer von vorne links unten nach hinten rechts oben verlaufenden Bewegung erzeugt. Das Erscheinungsbild der Frau lässt sich als sportlich-„lässig“, ihr Stil als jugendkulturell orientiert beschreiben. Sie scheint nicht oder kaum geschminkt, trägt keinen Schmuck und ihre halblangen lockigen, stark durchgestuften dunklen Haare liegen ,wuschelig‘ um ihr Gesicht. Sie trägt ein lilafarbenes T-Shirt mit dem Logo der international bekannten amerikanischen Marke Converse, das aus einem runden Kreis besteht, in dessen Mitte ein Stern durch einen darum herum laufenden Schriftzug gerahmt wird. Unter dem Kurzarmshirt sind die Ärmel eines schwarzen Langarmshirts zu sehen, wobei das Tragen von kurzen über langen Ärmeln eher mit einem unkonventionellen, alternativen Stil assoziiert werden kann. Die Schuhe er-

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innern insbesondere aufgrund der Gummikappe an das Schuhmodell „Chucks All Stars“ der Marke Converse, welches Anfang des 20. Jh. auf den Markt kam und seitdem als eine Art „lässiger“ Mainstream-Kultschuh gelten kann. Chucks zeichnen sich dabei durch ihre subkulturelle Unspezifität aus, und werden von Personen aller Altersklassen getragen. Die dunkle am hinteren Saum der Hosenbeine leicht zerfetzte Hose hat ein kleines rot-weißes Schild am Saum des rechten Hosenbeins, das auf die Marke Esprit hinweist. Die ursprünglich amerikanische Marke entspricht beziehungsweise kreiert einen westlich-modernen, eher unspezifischen massentauglichen Modestil. Die Körperhaltung der Frau wirkt auf den ersten Eindruck entspannt. Sie sitzt zurückgelehnt, ihre Beine sind nach vorne ausgestreckt und die Unterarme auf den Stuhllehnen aufgelegt. Die rechte auf dem Oberschenkel abgelegte Hand wirkt auf die Betrachterin ruhig, vielleicht sogar passiv. Zugleich kann die zurückgelehnte Sitzhaltung als eine von der Kamera – und somit dem Gegenüber – Abstand nehmende Position verstanden werden. Ihr leicht nach rechts geneigter Kopf kann als Darstellung von Nachdenklichkeit, einer liebenswürdigen oder auch koketten Haltung, aber auch als Ausdruck von Unsicherheit empfunden werden. Die leicht nach oben gezogene rechte Schulter unterstützt den Anschein einer unsicheren Pose. Durch die mit der Neigung des Kopfes einhergehende Offenlegung des Halses könnte eine freundliche und friedfertige Absicht symbolisiert werden. Der leicht nach innen gedrehte Fuß erweckt den Eindruck einer etwas unbeholfen, schüchternen Darstellung, wie sie beispielsweise in Werbedarstellungen mit Kindern (und in infantilisierender Weise zum Teil auch durch Frauen) genutzt wird (vgl. Goffman 1981, 192ff.; Mühlen Achs 1998, 50f.). Die Mimik ist neutral, wirkt durch das angedeutete Lächeln auf die Betrachterin jedoch freundlich. Interne Konextualisierung Unter Berücksichtigung des Entstehungs- und Verwendungszusammenhangs lässt sich das Bild im Rahmen eines Forschungsprojektes als eine von der auf dem Foto zu sehenden Frau Djalila einordnen. Djalila hat das Foto mithilfe einer Fernbedienung selbst aufgenommenen und konnte das Display der Kamera über einen an die Kamera angeschlossenen Monitor sehen. Kameraposition und ausrichtung wurden von Djalila bestimmt.71 Der Kontakt zu Djalila entstand durch die Suche nach einer jungen Frau, die selbst nach Deutschland migriert ist und über einen maximal mittleren Bildungsabschluss verfügt. Nachdem wir ein Interview zum Thema Körper geführt hat-

71 Die Räumlichkeiten in einer pädagogischen Einrichtung wurden kurzfristig von ihr organisiert, nachdem der eigentlich als Treffpunkt von ihr vorgeschlagene Raum doch nicht zur Verfügung stand.

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ten, bat ich Djalila, typische Körperhaltungen in verschiedenen imaginierten sozialen Situationen einzunehmen, wobei das analysierte Foto eine typische Körperhaltung mit der Familie darstellt und durch folgende sprachliche Kommunikation begleitet wurde: „ja diskutiert man meistens ne (--) mach ich ((atmet aus)) ja so mit der Familie ich sag mal so ich sitze und schaue zu / mhm / so jetzt sitzen und zuhören ja aber jetzt ja gemütlich so so gemütlich und ich höre einfach so ja ja jetzt ((Geräusch des Selbstauslösers der Kamera)) / ich zeig’s dir / ah (.) / Familie? / ja weil’s einfach so zuhause gelassener als wenn man jetzt so auf der Arbeit ist“ (24/17-24/25).

Im Versuch der Rekonstruktion des Darstellungsinteresses Djalilas als Fotografin/Fotografierte erscheint die Fotografie als Darstellung gegenüber sich selbst, der imaginierten Familie und mir. Dabei kann das Bild insbesondere auch unter Bezug auf die sprachliche Kommentierung als Selbstvergewisserung der eigenen entspannten Haltung im Kreis der Familie dienen, die zugleich aber auch die symbolische Repräsentation eines intakten Familienlebens darstellen kann.72 Dabei ist nicht eindeutig zu klären, ob sie sich bei dem Bild auf ihre eigene Kernfamilie mit Mann und Sohn bezieht, oder ob sie sich in das Zusammensein mit ihrer Herkunftsfamilie, also mit ihren Eltern und Geschwistern hineindenkt. In Anbetracht der Tatsache, dass Djalila sich auf dem Foto einer typischen Körperhaltung „mit Partner“ jedoch wesentlich aktiver zeigt (der eingeknickte Fuß ist vielleicht die deutlichste symbolische Übereinstimmung beider Bilder), kann davon ausgegangen werden, dass sie in ihrer Imagination einer Situation mit Familie zumindest an mehr Personen als ihren Mann und ihren Sohn denkt. Durch die frontale Ausrichtung und den direkten Blick in die Kamera stellt Djalila bewusst Kontakt zum Gegenüber her, nimmt sich durch die zurückgelehnte Haltung jedoch zugleich zurück. Die Darstellung einer entspannten, zurückhaltenden aber aufmerksamen Haltung wird durch ihre sprachliche Äußerung konkretisiert. Djalila beschreibt sich als Publikum, das den anderen Familienmitgliedern in gemütlicher Atmosphäre zuschaut und -hört und somit nicht aktiv an der Diskussionen teilnimmt. Sie präsentiert sich als ein zugehöriges Familienmitglied, das nicht im Zentrum des Geschehens steht beziehungsweise stehen will. Ausgehend von dem im Bild rekonstruierten und sprachlich unterstützten Darstellungsinteresse Djalilas einer aufmerksam entspannten und zurückhaltenden Selbst-

72 Die Abgrenzung zwischen dem Zusammensein mit der Familie und der Arbeit weist auf eine dualistische Trennung zwischen Familie und Beruf, privatem und (halb)öffentlichem Raum hin.

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darstellung im Kreis der Familie lassen sich folgende (ikonologische) Hypothesen entwickeln: • Das Selbstporträt erweckt den Eindruck einer entspannten, zurückhaltenden und aufmerksamen Selbstdarstellung: Der zurückgelehnte Oberkörper und die nach vorne gestreckten leicht angewinkelten Beine, der zur Seite geneigte Kopf und die angezogene Schulter, das angedeutete Lächeln sowie der leicht nach innen gedrehte Fuß bilden dafür die Grundlage. • Von der Körperinszenierung Djalilas scheinen keinerlei Forderungen auszugehen. Vielmehr liegt in einer Kombination von Aufmerksamkeit und Zurückhaltung das Potenzial, sich der sozialen Situation ein Stück weit zu entziehen. Djalila zeigt sich in einer unkomplizierten Weise, die kaum Anhaltspunkte für das Gegenüber bietet. Durch diese freundlich-zurückhaltende Darstellung macht sich Djalila nicht angreifbar und entgeht auf diese Weise möglichen Festlegungen beziehungsweise Forderungen durch Andere. Djalilas fotografisch festgehaltene Körperinszenierung wirkt in der Kombination von Aufmerksamkeit, Zurückhaltung und Entspanntheit unverfänglich. In dieser von ihr dargestellten Harmlosigkeit liegen Hinweise auf einen Entzug von Vorstellungen und mögliche Forderungen des Gegenübers. In Rückbindung an die sechs weiteren Fotografien von Djalila lässt sich die Annahme vertreten, dass die durchaus unterschiedlichen Darstellungsweisen auf allen sieben Fotografien ein Indiz dafür sein könnten, dass sich Djalila gedanklich in die vorgegebenen imaginierten Situationen hineinversetzt hat. Das untersuchte Bild erscheint dabei im Vergleich als eine entspannte, jedoch vergleichsweise statische Selbstdarstellung. Unabhängig von der Frage nach dem Blickkontakt mit der Kamera erscheinen die anderen Fotografien in ihrem Ausdruck durch vermutete Bewegungsabläufe und die nach vorne der Kamera entgegen gebeugten Haltung aktiver und dabei spontaner. Aspekte einer gewissen Zurückhaltung lassen sich trotz der expressiveren Körperhaltungen allerdings auch auf den Bildern drei, vier und sieben ausmachen. So zeigt sich die in der Einzelbildinterpretation herausgearbeitete Kombination von aufmerksamen mit zurückhaltenden (sich entziehenden) Elementen auch auf anderen Fotografien, auch wenn die Gewichtung im Rahmen weiterer Einzelbildinterpretationen selbstverständlich variieren und vermutlich zu einer Ausdifferenzierung führen würde. Die Fotoanalyse im Fall Djalila kann als Gestaltung einer eigenständigen unverfänglichen Interaktionsrolle zwischen Aufmerksamkeit, Entspanntheit und Zurückhaltung als Form des Entzugs von Festlegungen und Forderungen gedeutet werden.

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7.12.2 Interviewanalyse Die sprachliche Körperinszenierung im Fall Djalila bildet die Grundlage für die mithilfe des Kodierparadigmas entwickelten fünf Körperthemen: (1) „die Gesellschaft macht den Menschen“, (2) etwas für den Körper tun, heißt etwas für sich tun, (3) der schöne weibliche Körper im Körper-Kultur-Vergleich, (4) Gewichtsschwankungen in der Pendelmigration sowie (5) „die denken sowieso sofort, dass ich eine Ausländerin bin“. „die Gesellschaft macht den Menschen“ Wiederholt benennt Djalila ausdrücklich die Bedeutung der Gesellschaft für die Körperlichkeit der oder des Einzelne(n). Als Bespiele nennt Djalila zum einen den Einfluss vorwurfsvoller Blicke auf ihre in Algerien lebende Tante, die – obwohl sie laut Djalila nie ein Kopftuch tragen wollte – sich mittlerweile doch dazu entschlossen habe. Zum anderen geht Djalila auf ihre eigene Unsicherheit hinsichtlich ihres Stylings im Urlaub im Libanon ein, das dazu führe, dass sie sich eleganter kleiden würde: „dann siehst du die elegant angezogen auch chic und was weiß ich die stecken dich da an wenn ich da jetzt wohnen würde da würd’ ich bestimmt wie sie (.) ganz ehrlich das ist schon die Gesellschaft macht den Menschen“ (19/7-19/10). ,Anstecken‘ lässt sich Djalila auch von den Vorgaben eines perfekten schlanken Körpers seit der Jugend. Sie berichtet, als Jugendliche die Models in den Modezeitschriften sehr bewundert und deren Bilder an ihren Schrank gehängt zu haben (2/32/9). Nachdem sie nach der Schwangerschaft auf ihr zusätzliches Gewicht angesprochen wurde, gibt sie an, sich unter Rechtfertigungsdruck gefühlt zu haben. Sie berichtet, auf solche Kommentare zu antworten, „schon dabei“ zu sein, ihr Gewicht zu reduzieren. Djalia kritisiert diese Form des (Selbst)Drucks aufgrund ihres Gewichts, räumt allerdings auch ein, dass die Arbeit am Körper durchaus lohnenswert sei, da sie die dafür gezeigte Anerkennung Anderer als positiv empfinde, wenn sie sagt: „aber du kriegst schon was und wenn du abgenommen=oh du siehst gut aus da hörst du schon die Gesellschaft spielt schon eine große Rolle“ (14/37-14/38). Es zeigt sich in Djalilas Äußerungen, dass die eigene Körperlichkeit nicht als vor- oder außersoziales Phänomen zu verstehen ist. Die Reaktionen Anderer auf ihr Äußeres bilden eine wichtige Grundlage für Djalilas eigenes Verständnis von ihrem Körper und beeinflussen die Antwort auf die Frage, ob sie sich ,in‘ ihrem Körper wohl fühle, entscheidend mit. Etwas für den Körper tun, heißt etwas für sich tun Wiederholt verweist Djalila darauf, wie gut es ihr tue, wenn sie ihren Körper pflegt, sich bewegt und gesund ernähre. Körper und Selbst sind für sie aufs engste verknüpft wenn Djalila angibt: „ich bin glücklich mein Körper ist glücklich“ (11/18).

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Dabei steht die auch vom Körper abhängige Gesundheit für Djalila im Mittelpunkt (11/29-11/30). Ihr Körper erscheint als etwas, in das man Zeit und Aufmerksamkeit investieren muss, da es ansonsten nicht richtig funktioniert, „weil der Körper ist das Wichtigste für mich weil der gibt mir auch die Kraft und Energie sonst wenn ich jetzt sehr vernachlässige dann ist der auch nicht mehr dann da sag ich mal indem er durch Krankheiten oder was weiß ich oder Verletzungen oder keine Ahnung was der macht sich bemerkbar der Körper keine Sorge der nimmt sich schon“ (11/31-11/35).

Insbesondere der Besuch des Sonnenstudios führt bei Djalila zu körperlichem Wohlbefinden und einer in ihren Augen gesteigerten Attraktivität. Weiterhin versucht Djalila regelmäßig in die Sauna oder den Hamam zu gehen, ihren Körper zu peelen und einzucremen sowie sich zu enthaaren (17/20-17/26, 17/36-17/37, 18/418/5). Schminke verwendet Dalila ihrer Aussage nach hingegen nur unregelmäßig (12/40-13/10) und die von ihr verwendeten Pflegeprodukte sollen möglichst wenig künstliche Zusatzstoffe enthalten (17/38-1739). Djalila erwähnt, dass sie sich, wenn ihr die Zeit bleibe, gelegentlich bei der Körperpflege im Spiegel betrachte (17/4017/41). Für sie ist Körper „was Schönes“ (19/41) und sie gibt an, mittlerweile gelernt zu haben, ihre eigene Schönheit und Ausstrahlung sehen und benennen zu können (19/42-20/3). Djalila beschreibt sich als einen aktiven Menschen, der die Bewegung an der „frischen Luft“ (11/10) genießt „wenn ich was für mich tue für mein Körper“ (11/14-11/15). Insbesondere das Jahr in dem sie in Algerien für ein Jahr untertauchte und sich in einer Wohnung verstecken musste, hat Djalila im Rückblick als sehr hart in Erinnerung: „ein Jahr lang kein Licht keine Sauerstoff nur nachts vielleicht einmal in der Woche ich sah das macht vieles aus wenn du Licht bekommst und frische Luft das ist klar der Körper der macht das irgendwie nicht mit der Körper der kann der weiß der holt sich alles schon nach glaub mir“ (10/22-10/25).

Ihre Schilderung der überaus positiven Empfindungen beim Joggen orientiert sich in ihrem sprachlichen Ausdruck an der medialen Darstellung sportlicher Betätigung und ihrer Auswirkung, wenn Djalila sagt: „Joggen ist was Schönes ganz ehrlich weil joggen wenn du joggst dann hast du diese äh Energie und äh diese Glückshormone ah das ist toll dann bin ich so glücklich dann geht es mir so gut das ist so schön das hab ich nicht vorher gewusst und dann hab ich das immer durch die Reportage bei Quarks und Co guck ich immer bei WDR dass der Joggen wirklich alles allgemein alles den Körper du machst alles Arme Beine und das ist schon gut aber jetzt

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hab ich mitbekommen dass die Frauen sollen mit diesen Stöcke Walking wegen die Knie“ (10/42-11/6).

Vor der Schwangerschaft war Joggen „das Schönste was es gäbt“ (11/20), da sie sich anschließend „schön“ fühlt und es ihr „gut tut“ (11/19). Neben Körperpflege und Bewegung gibt Djalila zudem an, dass eine gesunde Ernährung für ihr Wohlbefinden eine bedeutende Rolle spiele. Ähnlich der Darstellung der positiven Auswirkungen des Joggens scheinen fachliche Urteile bei ihrer eigenen Positionierung bedeutsam und ihre Haltung abzusichern: „ich liebe auch meine Produkte meine Vollkorn ich weiß ganz genau was gesund ist was ungesund ist zum Beispiel Weißbrot kommt nie bei mir in äh Küche oder Vollkornnudel ich achte schon und ich liebe Ballaststoffe nicht mehr so diese viele Kohlenhydrate weil da hab ich mich auch sehr gut informiert und äh sehr sehr sehr das ich darauf achte wie die Ernährung und Obst Gemüse das ist für mich alles“ (9/40-10/2).

Es zeigt sich, dass sich in Djalilas Augen die Investition in den Körper lohnt. Als zentrale Ansatzpunkte nennt sie – unter Berufung auf mediale Fachmeinungen – Körperpflege, Sport und gesunde Ernährung. Die Darstellung, dass es ihr gut gehe wenn sie etwas für ihren Körper tue, verweist auf die Nichttrennbarkeit von Körper und Selbst. Der schöne weibliche Körper im Körper-Kultur-Vergleich Bezogen auf Vorstellungen eines schönen weiblichen Körpers eröffnet Djalila wiederholt Körper-Kultur-Vergleiche im Interview. Im Zentrum steht dabei der Umgang mit Körpergewicht sowie der Bekleidung des weiblichen Körpers. Für Djalila unterscheiden sich die Einstellungen zu einem angemessenen Körpergewicht in Algerien beziehungsweise den arabischen Ländern und Deutschland deutlich, da: „die arabische Frauen ob es in Algerien ist oder allgemein die lassen sich gehen nach der Schwangerschaft nehmen sie sehr viel zu äh und ich denke die sind wirklich die sind unglücklich unattraktiv und äh und die sagen ja es ist so“ (13/25-13/28). Djalila verdeutlicht diese Einschätzung anhand kritischer Reaktionen während Urlauben in Algerien, die sie auf ihre in Deutschland vorgenommene Gewichtsreduktion erhält, und präsentiert auf diese Weise ihre ,deutsche‘ beziehungsweise ,westliche‘ Perspektive: „und die so oh mein Gott Djalila du hast so abgenommen vorher warst du schöner ich sag wie bitte? für die ist Dickheit äh das bedeutet reich schön das ist wirklich so ich find das aber nicht so da musst du sehen wie die Kulturen ticken hier ne für mich ist das es muss nicht dünn sein wie ne Magersüchtige aber auch nicht sehr fett da siehst du wie die alle boah aber

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Doch nicht nur bezogen auf das Körpergewicht, sondern auch im Hinblick auf die Frage, wie viel vom Körper gezeigt beziehungsweise verdeckt werden soll, bestehen laut Djalila kulturspezifische Unterschiede. Sie berichtet, die Vorschriften hinsichtlich der Bedeckung des weiblichen Köpers in Algerien als (zunehmend) strenger zu empfinden und beurteilt diese Entwicklung als negativ (21/19-21/32), wenn sie angibt, „weil man soll schon seinen Körper zeigen warum nicht“ (14/3). Am Beispiel ihre Tante, die sich früher sehr modisch gekleidet und kein Interesse an einem Kopftuch gehabt habe und die nun ein Kopftuch trage, verdeutlicht Djalial den bestehenden Durck, der auf Frauen in Algerien ausgeübt werde: „die Gesellschaft die hat sie gezwungen mit ihren Augenblick mit ihren Augen (.) das heißt wenn sie rausgegangen ist dann ohne die gucken so wie du hast noch kein Kopftuch an? dann hat sie das gemacht ich hab gesagt dass kann nicht sein meint die doch Djalila meinte weil alle und ich hab mich gewundert die früher die alles so chic Minirock und alle/ die haben alle jetzt Kopftücher und dieses Dings ich hab gesagt was ist passiert“ (21/6-21/11).

Djalila grenzt sich deutlich von der in Algerien erfahrenen Praxis der sozialen Kleidungsvorschriften ab, wenn sie angibt, dass es ihr sehr wichtig sei, ihren eigenen Stil in der Wahl ihrer Kleidung auszudrücken. In ihrer Jugend erschien ihr die Wahl ihrer Kleidung durch ihre Eltern als schwer erträglich und sie versuchte, dennoch Einfluss zu nehmen: „ja mein Vater wollte mir damals Omasti/ Schuhe kaufen bei Kaufhof=vergess ich nie ich sag Papa das sind für=der=meinte ne die sind schön du kannst die anziehen ich sag Papa nein ich sag das sind Oma/ das vergess ich nie da war ich dreizehn vierzehn ich war traurig weil ich wollte mein Style Stil aber Gott sei Dank er hat mir die nicht gekauft auch wenn er die hat ich hätt’ die nie angezogen ich bin doch nicht bescheuert zur Schule mit Omaschuhe weil die haben ein ganz anderen Geschmack als wir als ich jetzt das war schon schwierig“ (6/38-7/1).73

73 Djalila berichtet, dass sie mit ca. fünfzehn Jahren durch einen Job im Supermarkt ihr erstes eigenes Geld verdient. Sie darf das Geld behalten und investiert es in ein zur damaligen Zeit modisches Outfit: „ich hab mein eigene Schuhe gekauft meine Jeanshose mein Hemd da war immer dieses in weiß ich noch Hemd Herrenhemden die über die Hosen so das war damals so in und dann noch diese schöne Tasche diese Schultasche ich war der glückl/ weil das vergess ich nie“ (7/8-7/11).

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In Abgrenzung zum Kleidungsgeschmack der Eltern beschreibt Djalila den „hier“ in Deutschland üblichen Stil als „leger“ und sich selbst als „sportlichen Typ“ (19/719/11). Bei ihrem Verweis darauf, dass „wir“ einen „ganz anderen Geschmack“ haben als „die“, bleibt allerdings unklar, ob bei der Einbeziehung meiner Person für Djalila das Alter oder die kulturelle Zugehörigkeit zentral für die Formulierung eines gemeinsamen Kleidungsgeschmacks ist. Womöglich vermischen sich die Kategorie Alter und die Kategorie einer (,deutschen‘, ,westlichen‘) ,Kultur‘, um eine Ähnlichkeit zwischen ihr und mir fest-, beziehungsweise herzustellen. Indem Djalila ihre Darstellung aus einer ,westlichen Perspektive‘ schildert, positioniert sie sich klar in den von ihr als westlich und arabisch definierten Körpernormen hinsichtlich Gewicht und Kleidung von Frauen. Werden die von ihr genannten ,algerischen Umgangsweisen‘ von Djalila als Vorschriften angesehen, scheinen die ,westlichen Körpervorstellungen‘ als eigene Vorstellungen wahrgenommen zu werden und Freiheiten zu eröffnen. Gewichtsschwankungen in der Pendelmigration Wiederholt berichtet Djalila im Interview über ihre zum Teil unfreiwillige Pendelmigration zwischen Deutschland und Algerien bis zu ihrem 21. Lebensjahr. Die zweimalige Anweisung ihrer Eltern, nach dem Urlaub in Algerien nicht zurückkehren zu dürfen und fortan zusammen mit dem Bruder bei den Großeltern in Algerien zu leben, empfindet Djalila als Vertrauensbruch. Zu den Umständen ihres ersten Aufenthalts zwischen ihrem siebten und zwölften Lebensjahr gibt sie an: „und da war ich schon in der erste Klasse noch und ich wusste nicht dass die uns da mit meinem Bruder zusammen da lassen würde sozusagen ich dachte nur es wäre ein Ferien und wieder zurück und die sind mit meine anderen Geschwister zurück nach Deutschland und ich bin mit meinem Bruder bei meinen Großeltern und das hab ich auch nicht verstanden weil ich noch sehr jung war und plötzlich waren die nicht da und dann hab ich fünf Jahre da gelebt mit=bei meine Großeltern“ (1/6-1/10).

Djalila und ihr Bruder kehren nach fünf Jahren in Algerien wieder nach Deutschland zurück. Als Grund benennt Djalia ihre mit einer Gewichtszunahme einhergehenden Rückenprobleme, für deren Behandlung ihr Vater in Deutschland bessere Möglichkeiten sieht. Mit sechzehn muss Djalila auf Wunsch ihrer Eltern nach einem Urlaub allerdings wieder in Algerien bei den Großeltern bleiben: „weil das war eine Falle das war wie ich sollte Ferien da verbringen und dann haben sie tschüss du bleibst hier du kommst nicht zurück“ (2/37-2/39). Als Auslöser benennt Djalila anhaltende Konflikte mit ihren Eltern aufgrund ihrer Kritik an der großen Arbeitsbelastung durch den Haushalt und die Betreuung ihrer Geschwister, während ihre

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Eltern arbeiten.74 Aufgrund einer durch die Eltern erzwungenen Verlobung mit einem Mann in Algerien taucht Djalila mit zwanzig Jahren „von heute auf morgen“ (2/20) bei der Familie einer Freundin unter. Ein Jahr lang darf sie das Haus nicht verlassen, um unentdeckt zu bleiben. Sie beschreibt diese Zeit als große Belastung, da sie kein Tageslicht sieht und nur nachts verschleiert auf den Hof darf, um sich ein wenig zu bewegen. Im Zuge ihrer Volljährigkeit mit einundzwanzig Jahren beantragt Djalila einen eigenen Pass und verlässt Algerien Richtung Deutschland (3/12-3/30). Mit dem zweimaligen Aufenthalt in Algerien geht eine jeweils deutliche Gewichtszunahme einher. Als Gründe dafür benennt sie zum einen ihr vieles Essen, da sie aus Langeweile und Kummer „nur gegessen gegessen gegessen gegessen und gegessen“ habe (6/33-6/34, sowie auch 1/15, 5/20-5/22, 8/30-8/31). Zum anderen nennt Djalila die nicht vorhandenen Möglichkeiten sich zu bewegen: „Aktivitäten rausgehen durch den Park spazieren laufen oder Fahrrad fahren das gab’s überhaupt nicht da dass eine Mädchen sich auf dem Fahrrad sitzt und so“ (1/18-1/19). Djalila gibt an, sich durch das höhere Gewicht „dick und hässlich“ und „unattraktiv“ gefühlt zu haben (1/14, 3/11). Bei ihrem ersten längeren Algerienaufenthalt zwischen sieben und zwölf Jahren versucht sie daher, ihr Gewicht zu reduzieren, indem sie Essig trinkt: „dann hab ich angefangen Essig zu trinken (-) Essig so richtig n Becher ((lachend)) Essig weil da dachte ich dadurch kann ich abnehmen da hat mich meine Tante erwischt und dann hat die war sie wirklich stinksauer=meinte mach es nie wieder weil ich mich einfach so hässlich weil ich fühlte mich einfach nicht so wohl in meiner Haut (1/21-1/24).

Außer der Zeit in Algerien gibt Djalila die mit ihrer Schwangerschaft verbundene Gewichtszunahme und die damit einhergehenden körperlichen Veränderungen als belastend an. Zudem kann sie sich vorstellen, nach ihrer letzten Schwangerschaft ihren Körper mithilfe einer Schönheitsoperation zu „straffen“ (7/29-7/33). Vorbild für Djalilas Ideal eines schönen schlanken Körpers ist ihr eigener Körper im Alter von ca. fünfzehn Jahren (8/36-8/38, 9/5-9/6). Gegenwärtig muss Djalilas nach ihrer Einschätzung noch zehn Kilogramm verlieren, um zumindest ihr Gewicht vor der Schwangerschaft zu erreichen (9/36-9/37). Zentral für ihr Unwohlsein im Hinblick auf ihr seit der Kindheit schwankendes Körpergewicht sind dabei insbesondere

74 Über die Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, in denen sie auch geschlagen wird, berichtet Djalila, dass sie ihren Eltern damit drohte, die Polizei und das Jugendamt einzuschalten, gibt jedoch an, dass sie ihre Drohung aus Liebe zu ihren Geschwistern nie wahrgemacht hätte (2/40-3/7).

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Rückmeldungen Anderer, die bei ihr zu dem Gefühl führen, für ihren Körper Rechenschaft ablegen zu müssen (14/27-15/8). Deutlich wird, dass Djalila durch den Umgang mit ihrem Körper Schmerz ausagiert und zugleich durch den im westlichen Sinne normkonformen Körper Belastung erfährt. Dabei kann die Vermutung angestellt werden, dass in der für Djalila durch Unfreiheit geprägten Zeit in Algerien womöglich der Körper und seine Modifikation der einzige Bereich ihres Lebens darstellte, durch den sie Selbstwirksamkeit erfahren konnte – auch wenn sie die damit einhergehende Gewichtszunahme wiederum zusätzlich (psychisch und körperlich) belastete. Die mit der Schwangerschaft einhergehende Gewichtszunahme wird wiederum durch die bestehenden Normen eines auch nach der Schwangerschaft umgehend schlanken Körpers bestimmt. „die denken sowieso sofort, dass ich eine Ausländerin bin“ Djalilas Auseinandersetzung mit den Erfahrungen im Herkunftsland ihrer Eltern, in dem sie auf den Wunsch ihrer Eltern bis zu ihrer Volljährigkeit insgesamt neun Jahre unfreiwillig leben musste, ist geprägt durch Kritik. Demgegenüber beschreibt Djalila ihr Leben in Deutschland als wesentlich besser. Aus dieser Perspektive verwundert es nicht, dass Djalila angibt, bei der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit den Wunsch gehabt zu haben, die algerische Staatsangehörigkeit abzulegen: „den algerischen Pass wollt ich den abgeben dann meinte die ne den behalten sie weil sie haben doppelte Staatsang/ weil bei euch in Algerien ist das Doppelte das ist so geklärt meinte sie in ihrem Lebenslauf müssen sie immer sag=ich ja ok weil ich wollte unbedingt jetzt nicht Algerierin bleiben ganz ehrlich“ (17/1-17/5).

Für die Annahmen anderer über ihre natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit scheint ihre Nationalität allerdings nur bedingt eine Rolle zu spielen, wenn Djalila angibt: „ja sowieso die alle die denken sowieso sofort dass ich eine Ausländerin bin auf jeden Fall auf jeden Fall direkt da kannst du sagen was du auch=es hat mit dem Aussehen schon zu tun“ (16/22-16/23). Als Grund für das über das Aussehen vergebene Etikett „Ausländerin“ gibt Djalila an, dass Deutsche oder Europäer im allgemeinen „mehr Blond und hellhäutiger als sag ich mal die Südländer dunkel“ sind (16/24). Djalila erinnert sich, in Deutschland bisher bereits als Spanierin, Griechin und Französin „erkannt“ (16/3416/35) worden zu sein. Die Annahme sie sei Französin, hängt ihrer Meinung nach zudem mit ihrem französischen Akzent zusammen (16/25-16/26).75

75 Algerien war von 1830 bis zum Ende des Algerienkrieges (1954-1962) französische Kolonie. Obwohl seit der Unabhängigkeit Algeriens eine Politik der Arabisierung der Spra-

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Es wird deutlich, dass Djalilas Annahme eines nicht ,prototypischen deutschen Aussehens‘ in Deutschland für sie Normalität darstellt und nicht von ihr problematisiert wird. Dabei ist für Andere anscheinend nicht zentral woher sie womöglich kommt, sondern vielmehr, dass sie zumindest nicht ,prototypisch deutsch‘ aussieht, wenn sie angibt, dass ihr aufgrund ihres Aussehens bereits verschiedene Nationalitäten zugeschrieben wurden. Interessanterweise nennt sie durch die bisher erhaltenen Etiketten Spanierin, Griechin und Französin europäische und somit Deutschland geografisch und vermeintlich kulturell ähnliche Länder. Inszenierung eigener Körperlichkeit im Kontext von Migration: Körperlichkeit als kulturell definiertes Abgrenzungsmerkmal Djalilas kulturvergleichend angelegten Ausführungen verdeutlichen, welchen starken Einfluss die jeweiligen Lebensumstände in Algerien und Deutschland auf ihre Körperlichkeit haben.76 Die starken Gewichtszunahmen während der unfreiwillig in Algerien verbrachten Zeit führen dazu, dass sie sich „unattraktiv“, „dick und hässlich“ gefühlt habe, so Djalila (3/11, 1/14). Zurück in Deutschland reduziert sich ihr Gewicht – als Zwölf- und als Einundzwanzigjährige – nach kurzer Zeit wieder (3/35-3/38), was sie maßgeblich auf ihre größere Bewegungsfreiheit in Deutschland zurückführt: „hier in Deutschland du kannst raus du läufst du du hast viele Sachen da war ich wirklich nur gefangen oder wenn ich einkaufen war auch nebenan schon Gemüsehändler“ (6/27-6/31). In Deutschland geboren, stellen die insgesamt neun in Algerien verbrachten Jahre ihres Lebens eine vor allem körperlich empfundene Einschränkung dar. Die damit einhergehende Belastung drückt sich wiederum auf körperlicher Ebene aus und für die Verwirklichung ihres Wunsches, in Deutschland zu leben, muss Djalila

che betrieben wurde, ist Französisch und das „Frarabe“ – als einer Mischform aus Französisch und Arabisch – bis heute weiterhin präsent (Kühnel 1995, 21ff.). 76 Einen weiteren Körper-Kultur-Vergleich eröffnet Djalila auf Grundlage der Erfahrungen im Libanon, den sie aufgrund der libanesischen Herkunft ihres Mannes wiederholt besucht habe, so Djalila. Sie berichtet überaus beeindruckt von der Intensität, mit der sich in ihren Augen die Frauen dort pflegen und stylen. Die von ihr beobachtete alltägliche Sorgfalt bei der Kleiderwahl und dem Schminken libanesischer Frauen führt sie zu der Annahme, dass sie mit dem zum Zeitpunkt des Interviews getragenen Outfit im Libanon wie eine „Haushälterin“ (18/40) wirken würde. Unklar bleibt, ob sie als Kontrastfolie Deutschland oder Algerien oder beide Länder wählt. Trotz des Interesses, sich im Urlaub an diese Gepflogenheiten anzupassen scheut sie im Alltag in Deutschland jedoch den damit einhergehenden Aufwand: „man muss sich die Zeit wirklich nehmen und dann äh sagen ich steh um sechs Uhr auf um mich so chic zu machen aber wenn ich ganz ehrlich ich schlaf lieber noch ne Stunde“ (19/35-19/36).

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erhebliche Strapazen in Kauf nehmen.77 Nachdem sie 2003 die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, unternimmt sie mit ihren Eltern – mit denen sie mittlerweile wieder Kontakt hat – zum ersten Mal seit ihrer Flucht eine Reise nach Algerien. Djalila gibt an, bei dieser Reise Algerien im Vergleich zu den Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend als noch reaktionäreres Land erlebt zu haben, eine Einschätzung die sie zudem auf arabische Länder allgemein bezieht: „es ist traurig die Menschen gehen nach vorne und die kehren zurück nach hinten so sah ich das deswegen konnte ich nie in einem arabischen Land leben oder wohnen“ (21/26-21/28). Djalila versteht die von ihr erkämpfte Möglichkeit, wieder in Deutschland zu leben, als „Chance“ (5/12-5/14) für die sie Dankbarkeit empfindet. Deutlich wird, dass Djalila im Vergleich zu Algerien – der Libanon tritt nur als Urlaubsland in Erscheinung – das Leben in Deutschland für sich vorzieht. Die Bekannten in Algerien beziehungsweise die algerische Gesellschaft sieht Djalila als ,die Anderen‘ für sich an, wenn sie beispielweise angibt: „ich interessierte mich gerne für die Kultur des Landes und die Traditionen wie ihr eure Brot backt und so weiter“ (6/12-6/13). Ihr Leben ist jedoch in ihrer Darstellung eindeutig mit Deutschland verbunden. Die als deutsch beziehungsweise westlich markierten Körpernormen werden von Djalila als Körperfreiheiten empfunden. 7.12.3 Triangulation von Bild- und Textanalyse im Fallvergleich Djalila verdeutlicht im Interview anschaulich, dass sie das Leben in Deutschland dem in Algerien vorzieht. Grundlage für diese eindeutige Position bilden auch körperbezogene Aspekte. So empfindet sie in Deutschland eine größere körperliche Bewegungsfreiheit. Ihre Erfahrungen in Algerien, wo sie insgesamt neun Jahre lebte, werden von ihr demgegemüber als Negativbeispiele herangezogen. Das „algerischen Volk“ (17/6) inklusive ihrer Eltern sind für sie ,die Anderen‘, denen sie sich nicht zugehörig fühlt. Basierend auf Djalilas Annahme eines grundsätzlich großen gesellschaftlichen Einflusses auf den beziehungsweise die Einzelne(n) in der eigenen Körperlichkeit, beziehen sich die von ihr vorgenommenen hierarchischen Körper-Kultur-Vergleiche auf Bewegungsmöglichkeiten für Frauen, Kleidungsvor-

77 Djalila erwähnt in diesem Zusammenhang auch Probleme nach der Rückkehr nach Deutschland wieder „Fuß zu fassen“ (1/33, 3/39). Sie berichtet, nach dem ersten Aufenthalt in Algerien in eine Hauptschule geschickt worden zu sein: „es ist immer so in Deutschland wenn man zurück kommt vom Ausland dann geht man zum Schulamt und die werden dich überweisen die überweisen dich klar auf ne Hauptschule“ (1/29-1/31)). Nach ihrer zweiten und endgültigen Rückkehr aus Algerien, wo sie am Ende keine Schule mehr besuchen durfte, macht Djalila erst ihren Haupt- und dann ihren Realschulabschluss.

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schriften und Styling sowie Vorstellungen zum Körpergewicht. Im Vergleich zu ihrer selbstsicheren und klaren Darstellung im Interview präsentiert sich Djalila in ihrem fotografischen Selbstporträt mit Familie deutlich zurückhaltender. Ausgehend von der Vermutung, dass sie sich nicht im Kreise ihrer Familie mit Mann und Sohn zeigt (vgl. Rekonstruktion des Darstellungsinteresses), scheint Djalila eine unverfängliche Rolle in der sozialen Situation mit ihren Verwandten einzunehmen. Ihre bildliche Darstellung ist aufmerksam, entspannt und zugleich zurückhaltend. Die Deutung einer damit einhergehenden Form des Entzugs von Festlegungen und Forderungen von außen kann durch die Verknüpfung mit der sprachlichen Körperdarstellung dahingehend verschärft werden, dass Djalila keine auch im körperlichen Sinne verstandene ,Angriffsfläche‘ für Eingriffe durch ihre Eltern bieten möchte. So gibt es im Interview Hinweise auf Kontakte zu den Geschwistern und Eltern in Deutschland; es ist jedoch anzunehmen, dass die Beziehung zu den Eltern auch weiterhin nicht unproblematisch ist. Djalila stellt sich auf der Fotografie entsprechend ihrer Vorstellung von beziehungsweise ihrem Wunsch nach gemütlichem Beisammensein mit der Familie dar. In der Rolle einer Zuschauerin kann sie an der Situation teilhaben, sich dieser jedoch zugleich auch ein Stück weit entziehen. Die im Interview veranschaulichte hart erkämpfte Autonomie von den Eltern und ihrer Herkunftsfamilie wird auf diese Weise ausdifferenziert. Die Fotografie eröffnet einen Einblick in die im Interview angedeutete Problematik, als Kind und Jugendliche in ihren (körperlichen) Bedürfnissen von den Eltern nicht wahrgenommen worden zu sein. Djalilas Lebensplanung nach eigenen Vorstellungen geht somit mit einer deutlichen Abgrenzung von den Vorstellungen ihrer Eltern einher. Auf der Suche nach Frauen, die selbst nach Deutschland migriert sind, zeigen sich anhand der Fälle Mina und Djalila zwei sehr unterschiedliche Formen von Pendelmigration. Djalila positioniert sich gerade auch im Vergleich zu Mina eindeutig in den von ihr eröffneten Körper-Kultur-Vergleichen. Verbündet sich Djalila mit der Interviewerin gegenüber Angehörigen der algerischen Gesellschaft als denen, die nicht so sind wie „wir“ (6/42-7/1), so distanziert sich Mina in ihren Ausführungen mir gegenüber mehrmals durch die abgrenzende Formulierung „bei uns“. In Anbetracht der Tatsache, dass Djalila in Deutschland geboren wurde und bis zu ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr wiederholt unfreiwillig neun Jahre in Algerien leben musste, Mina hingegen in Marokko geboren wurde und bis zu ihrem sechsten Lebensjahr mit ihrer Mutter und den Geschwistern zwischen Marokko und Deutschland pendelte und danach ausschließlich in Deutschland lebte, bestätigt sich die Annahme, dass Dauer und Zeitpunkt des Aufenthalts in einem Land nicht die bestimmenden Faktoren für die Herstellung von Zugehörigkeit als Bezugspunkt für die eigene Körperlichkeit sind. Nicht Geburtsort, Dauer und Zeitpunkt des Aufenthalts beziehungsweise der Aufenthalte in einem Land führt zu natio-ethnokulturellen Verortungen, sondern die individuellen Lebenslagen und ihre sich

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durchaus wandelnden Beurteilungen. Dieser Befund widerlegt Arbeiten, die anhand formaler Faktoren Aussagen über typische Migrationsverläufe und -biografien treffen wollen. Beispielhaft soll an dieser Stelle eine der ersten Untersuchungen zu Migration in Deutschland von Achim Schrader, Bruno Nikles und Hartmut Griese von Mitte der 1970er Jahre genannt werden, die anhand einer Typisierung von Migrantenkindern nach dem Einreisealter Rückschlüsse auf das Konfliktpotenzial zwischen Eltern und Kindern zu treffen versuchten. Deutschland als Geburtsort oder ein frühes Einreisealter führe demnach zu größten Konflikten in der Familie, da die „Basispersönlichkeit“ im Aufnahmeland entwickelt worden und schwerlich mit der im Herkunftsland erworbenen „Basispersönlichkeit“ der Eltern in Einklang zu bringen sei (vgl. Schrader/Nikles/Griese 1976). Das in der Studie stark deterministische und statische Verständnisses von Persönlichkeit lässt Geburtsort und Zeitpunkt der (einmaligen) Migration zum entscheidenden Faktor für die Vorstellung eines gelungenen Migrationsprozesses im Sinne einer Identifikation mit dem Aufnahmeland werden. Eine Perspektive, die in der deutschsprachigen Migrationsforschung lange Zeit vertreten wurde und in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte um Migraton weiterhin besteht (vgl. zur Kritik bereits Auernheimer 1988). Durch die Analysen dieser Untersuchung wird jedoch deutlich, dass kulturell markierte Hintergründe und ihre Bewertung für die eigene Körperlichkeit unabhängig davon stattfinden, ob und wie lange die an der Untersuchung beteiligten Frauen in einem Land gelebt haben. So verweist Mishgan in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit Vorstellungen weiblichen Idealgewichts in einer zwar hypothetischen jedoch direkten Weise auf angenommene Körpernormen des Herkunftslandes ihres Vaters – ein Land, das sie selbst nicht kennt. Die von einem Großteil der an der Untersuchung beteiligten Frauen vorgenommenen natio-ethno-kulturellen Bezüge in der Darstellung eigener Körperlichkeit lassen sich nicht entlang formaler Kriterien strukturieren. In acht der zwölf Fälle sind die Darstellungen im Interview durch sogenannte Körper-Kultur-Vergleiche gekennzeichnet. Als körperspezifische Vergleiche orientiert sich diese Darstellungsweise entlang der jeweiligen individuellen kulturell markierten Erfahrungen und Erwartungen. Die Körper-Kultur-Vergleiche sind vielfältig und können, müssen aber nicht hierarchisch strukturiert sein. So ähnelt die Körperinszenierung im Fall Djalila als einem hierarchisch angelegten Vergleich mit einer eindeutigen Verortung in Deutschland in struktureller Hinsicht dem Fall Meiling. Beide Frauen nehmen eine eindeutige umfassende und hierarchische Position in den von ihnen eröffneten Körper-Kultur-Vergleichen vor. Bei Meiling zeigt sich dabei allerdings der Wunsch einer als Emanzipationsprozess verstandenen Entwicklung hin zu einer mit Deutschland in Verbindung gebrachten Körperlichkeit, wohingegen Djalila sich als schon immer dieser ,deutschen Körperlichkeit‘ entsprechend darstellt. Im Vergleich zu weiteren Fällen wird allerdings deutlich, dass die Bezüge nicht in allen

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Fällen so eindeutig ausfallen wie bei Meiling und Djalila. Neben einer umfassenden kulturvergleichenden Strukturierung lassen sich auch Darstellungen finden, die nur bezogen auf einzelne Aspekte kulturvergleichend angelegt sind und auf vielfältige Weise mit anderen für die jeweilige Darstellung eigener Körperlichkeit bedeutsamen sozialen Differenzsetzungen verwoben sind. Zudem wurden mit den Fällen Jasemin und Hülya Darstellungen in die Analyse miteinbezogen, die demgegenüber kaum und womöglich bewusst ausgesparte ethnisch-kulturelle Bezüge, beziehungsweise direkte Körper-Kultur-Vergleiche beinhalten. In den Körperinszenierungen der zwei Frauen, die in Deutschland geboren78 und aufgewachsen sind und die Türkei als Herkunftsland der Eltern nur aus dem Urlaub kennen, werden keine Kulturbezüge hergestellt beziehungsweise weitgehend vermieden. Der Grund mag darin bestehen, auf diese Weise ein Thema auszusparen, das für sie als in Deutschland geborene deutsche Staatsbürgerinnen mit türkischen Wurzeln zum Problem wird beziehungsweise werden kann: Sie lassen sich im ethno-kulturellen Sinne nicht eindeutig zuordnen. Die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit stellen Jasemin wie Hülya in diesem Sinne von sich aus als eine rationale Entscheidung dar, die es ihnen erlaubt, bürokratische Abläufe einfacher zu gestalten. Stärker emotional wertende Aussagen bezüglich ihrer eigenen Zugehörigkeitsvorstellungen werden nicht vorgenommen, wobei beide (in)direkt von Erfahrungen der Diskriminierungen als „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) berichten. Im Grunde keine ethnisch-kulturellen Bezüge (und somit auch keine Vergleiche) für ihre Körperinszenierungen eröffnen die Fälle Jale Öztürk und Gia. Das Thema Migration spielt hingegen in beiden Darstellungen eine bedeutende Rolle. In formaler Hinsicht eint beide Fälle eine im Vergleich zu den anderen Teilnehmerinnen recht kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland (zwei Jahre beziehungsweise neun Monate). Bedeutsamer erscheint jedoch die Tatsache, dass beide Frauen von schwierigen Lebenslagen mit hoher psychosomatischer Belastung berichten. Letztendlich kann auf der vorhandenen Datengrundlage nicht geklärt werden, wie sich der Zusammenhang zwischen psychischer Verfassung und der Struktur der Darstellung ihrer Körperlichkeit gestaltet. Aufgrund des starken Selbstbezugs beider Frauen auf ein Geflecht (strukturell mitbestimmter) privater Beziehungsprobleme und gesundheitlicher Belastungen kann jedoch vermutet werden, dass ein weiterer gesellschaftlicher Bezug zum Zeitpunkt des Kontakts nicht im Fokus beider Frauen steht. Insbesondere Jale Öztürks Darstellung sozialer Isolation in Deutschland – zugleich begründet und hervorgerufen durch ihre psychosomatischen Beschwerden – veranlasst sie zu der Aussage, dass sie so gut wie keine Kontakte in Deutschland habe. Gia äußert sich in ihrem Interview demgegenüber durchaus zu gesellschaftli-

78 Hülya kam mit vier Monaten nach Deutschland.

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chen Themen wie interreligiöse Konflikte im Libanon oder Rassismus, bleibt an dieser Stelle jedoch recht allgemein. Ihre nicht im Rahmen ethnisch-kultureller Bezüge vorgenommene Körperdarstellung kann somit im Fallvergleich am ehesten als Indiz für eine nicht kulturvergleichend strukturierte Herstellung eigener Körperlichkeit im Rahmen bewusst erlebter Migration angesehen werden.

etwas für den Körper tun heißt etwas für sich tun

„die denken sowieso sofort, dass ich eine Ausländerin bin“

hierarchisch strukturierter Körper-Kultur-Vergleich als Abgrenzung von der Herkunftsfamilie zwischen klarer Positionierung und Unverfänglichkeit Gewichtsschwankungen in der Pendelmigration

„die Gesellschaft macht den Menschen“

der schöne weibliche Körper im Körper-Kultur-Vergleich

Abbildung 40: Schaubild zur Foto- und Interviewanalyse im Fall Djalila

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7.13 K ÖRPERLICHKEIT ALS M ÖGLICHKEITSRAUM IM K ONTEXT VON M IGRATION . D ARSTELLUNG DES THEORETISCHEN M ODELLS Die bisherige Analyse von zwölf Fällen zeigt, dass sich generelle Aussagen über das eine Verhältnis von Körperlichkeit und Migration bei jungen Frauen wie zu erwarten nicht treffen lassen. Über den gesamten Interpretationsprozess hinweg wurde deutlich, dass Körperlichkeit als die (spürende) Wahrnehmung des Körpers, der Umgang mit ihm sowie dessen Präsentation ein soziales Phänomen darstellt und in diesem Zusammenhang auch durch Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit(en) beeinflusst wird. Körperlichkeit ist somit immer nur im Rahmen von Selbst- und Fremdwahrnehmungsprozessen zu verstehen und eröffnet als an konkreten wie generalisierten Anderen ausgerichtetes Phänomen den Blick auf ein Spannungsverhältnis: Körper erscheint in den Darstellungen der Frauen als etwas ,Eigenes‘, ihrem Selbst Zugehöriges, das nicht sozial ausgetauscht werden kann, und gleichzeitig besteht eine soziale Verwiesenheit des Körperlichen, die nicht hintergehbar ist. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich nicht in der theoretischen Unterteilung in Körper und Leib auflösen, sondern liegt vielmehr ,quer‘ zu dem Grenzphänomen körperlicher Existenz, zwischen Eigenem und Anderem (vgl. dazu die Diskussion des Ansatzes von Plessner in Kapitel 2.1). Im Rahmen dieser grundlegenden Aussage wird in der Analyse deutlich, dass die Erfahrung der Migration und/oder die Zuschreibung eines Migrationshintergrundes Einfluss auf Körperlichkeit nimmt. Gekennzeichnet ist das Verhältnis von Körper und Migration und die darin zum Tragen kommenden Vorstellungen natioethno-kultureller Zugehörigkeit(en) durch eine wechselseitige Referentialität, die keineswegs widerspruchsfrei ist. Im Kontext von Migration vorgenommene scheinbar klare Kollektivzuordnungen von Körperlichem werden einerseits zwar von vielen der beteiligten Frauen benannt, jedoch durch ihre individuellen, ambivalenten und dynamischen Inszenierungen zugleich immer wieder auch in Frage gestellt und bearbeitet. Andererseits lassen sich Darstellungen finden, in denen Konstruktionen etwa von ,Kultur‘ auf den ersten Blick keine Bedeutung für die eigene Körperlichkeit zu haben scheinen, deren Analyse jedoch die Relevanz der Alltagserfahrungen, immer wieder als auch körperliche „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) wahrgenommen zu werden, deutlich machen. Art und Umfang der Relevanz von Migration für die eigene Körperlichkeit lässt sich dabei nicht entlang formaler Kriterien der Migration, wie etwas den Gründen für die Migration (der Eltern) oder dem (biografischen) Zeitpunkt der Migration definieren. Zentral ist vielmehr die eigene Vorstellung von sozial ausgehandelten Optionen von Zugehörigkeit(en) als einem Bezugspunkt für das eigene Leben und somit auch für die eigene Körperlichkeit.

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Im Folgenden wird das im Laufe der Gewinnung und Auswertung der Daten entwickelte theoretische Modell auf Grundlage von Körperinszenierungen junger Frauen mit Migrationshintergrund vorgestellt. Zur besseren Nachvollziehbarkeit werden die einzelnen Elemente des Modells benannt, indem nacheinander auf die Schlüsselkategorie, ihre Dimensionen sowie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Bedingungen eingegangen wird (vgl. Abb. 3). Bei der Formulierung theoretischer Aussagen zur Inszenierung eigener Körperlichkeit junger Frauen im Kontext von Migration kann auch in dieser Untersuchung letztlich nicht geklärt werden, ob bereits von einer theoretischen Sättigung zu sprechen ist (vgl. dazu Kapitel 4.5). Womöglich sollte daher eher davon ausgegangen werden, dass durch die Kontrastierungen im Forschungsprozess ein Modell entwickelt wurde, mit dem verschiedene und somit auch potenzielle weitere Formen von Körperinszenierung systematisch dargestellt werden können. Auf diese Weise bietet das Modell Anschlussmöglichkeiten für nachfolgende Untersuchungen zum Themenkomplex „Körper und Migration“. Betont werden soll an dieser Stelle noch einmal, dass die Medien „Bild“ und „Text“ nicht für alle Aspekte des Modells die gleiche Relevanz besitzen. Text- und Bildmaterial – werden sie in ihrer jeweiligen Ausdrucksqualität ernst genommen – können nicht die gleichen Informationen liefern. Sie stehen hingegen entsprechend ihres jeweiligen Potenzials in einem Ergänzungsverhältnis und bilden in ihrem komplexen und dynamischen Verhältnis die Grundlage für die folgenden Ausführungen. Durch die Entscheidung, eine fallimmanente Triangulation von Foto- und Interviewanalyse vorzunehmen (vgl. Kapitel 6.3), wurden für jeden Fall und in fallkontrastierender Weise zwölf Körperinszenierungsmuster gebildet. Diese theoretischen Verdichtungen wurden so formuliert, dass sie die in den Interviews benannten Phänomene sowie die Bildinterpretationen aufgreifen. Im fortlaufenden Vergleich innerhalb eines Falls und zwischen den Fällen wurde im Forschungsprozess einer zentrale Kategorie erarbeitet, die für einen Großteil der auf Grundlage von Bild- und Textmaterial entstandenen Interpretationen anschlussfähig ist. In dieser Arbeit bietet sich für diese zentrale ,Position‘ im Modell eine Kategorie an, die folgende Aspekte berücksichtigt: • das Verständnis von Körperlichkeit als einem zwischen Materialität und Sozialität verorteten dialektischen Phänomen, • die Bedeutung nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeitsvorstellungen als einem Aspekt in der Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit im Kontext von Migration, • die Annahme der sozialen Bedeutungsaushandlung von Körperlichkeit als nicht statischem, sondern an die jeweiligen Normalitätsvorstellungen und – bezogen

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auf Migration – an die Zuschreibungen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit gebundenen Prozess sowie • die Bezugnahme auf die Varietät in den Darstellungsweisen von Körperlichkeit im Kontext von Migration. Körperlichkeit als Möglichkeitsraum Um diese Befunde zu Körperlichkeit im Kontext von Migration zu fassen, wird der Begriff des Möglichkeitsraums vorgeschlagen. Die in der Auseinandersetzung mit Körper und Migration zum Tragen kommenden Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit(en) lassen sich anhand der drei Dimensionen Thematisierung und Relevanz, Vergleich und Hierarchie sowie Ausdehnung strukturieren. Im Folgenden werde ich erst auf die Konzeption von Körperlichkeit als Möglichkeitsraum eingehen, um anschließend diese drei Dimensionen zu erläutern. Ziel ist es, durch die Dimensionen die Gestaltungsoptionen des Möglichkeitsraums „Körperlichkeit“ abzubilden, die sich für die teilnehmenden Frauen im Kontext von Migration eröffnen. Die damit verknüpften gesellschaftlichen Bedingungen – als Optionen und Begrenzungen dieses Möglichkeitsraums – werden im Anschluss aufgegriffen und zu den Körperinszenierungsmustern in Beziehung gesetzt. Die Wahl der Schlüsselkategorie „Körperlichkeit als Möglichkeitsraum“ eröffnet in ihrer Abstraktheit viele Anknüpfungspunkte für die vorgenommenen Bildund Textanalysen. Idee dieser Begriffskonstruktion ist es, auf die potentielle Veränderbarkeit, das ,Offene‘ des Körperlichen hinzuweisen und auf diese Weise die insbesondere in der Bildanalyse herausgearbeiteten Eindrücke eines Zugleich von Verschiedenem in sich aufzunehmen, beziehungsweise für diesbezügliche Interpretationen anschlussfähig zu sein.79 Ausgehend von einem prozessualen Raumbegriff wird die Unterteilung in Materialität und Sozialität durch diesen Begriff in Frage gestellt. Raum findet nicht mehr nur allein als die Bedingung, sondern auch als das Ergebnis menschlichen Handelns Berücksichtigung (vgl. zur Bedeutung von Raum

79 Der Begriff des Möglichkeitsraums findet sich in unterschiedlichsten wissenschaftlichen und sozialen Kontexten. So wird er in Fachliteratur zu Architektur und Stadtplanung (vgl. etwa Canzler/Knie von Böhlau 2002; Krug 2012) ebenso verwendet wie im Bereich der Psychotherapie und Beratungspraxis (vgl. Khan 1991). In der Erziehungswissenschaft kommt der Begriff in Bezug auf Familie (vgl. Büchner/Brake 2006), Adoleszenz (vgl. King 2004) und in Anlehnung daran auch auf Migration (Ruokonen-Engler 2012, 325ff.) zur Anwendung. Gemeinsam ist den Verwendungsweisen, dass durch den Begriff das in der Offenheit bestehende Transformationspotenzial des jeweiligen Phänomens betont werden soll. Auf eine eingehende Theoretisierung des Begriffs wird dabei allerdings meist verzichtet.

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aus performanztheoretischer Perspektive Kapitel 2.5). Wichtig dabei ist, dass die Möglichkeiten für die Gestaltung des Raumes der eigenen „Körperlichkeit“ nicht als unbegrenzte und beliebig erweiterbare Anzahl von Optionen der Wahrnehmung, des Umgangs und der Präsentation des Körpers verstanden werden. Vielmehr soll mit dieser Schlüsselkategorie der Blick auf die Vieldeutigkeit von Körperlichkeit gelenkt werden. Bestehende Möglichkeiten im Zusammenhang mit der eigenen Körperlichkeit und die soziale Wirklichkeit mit ihren jeweiligen Begrenzungen sind dabei nicht voneinander zu trennen, sie verweisen vielmehr aufeinander. Die Vieldeutigkeit der Gestaltung von Körperlichkeit im Kontext von Migration mithilfe des Begriffs des Möglichkeitsraums analytisch zu fassen, eröffnet den Blick auf die individuellen Möglichkeiten der Zusammensetzung und der prozessualen Verschiebungen dessen, wie Körperlichkeit von den beteiligten Frauen empfunden und dargestellt wird. Aus dieser Perspektive zeichnet sich Körper in seiner Dialektik zwischen Materialität und Sozialität durch eine Überfülle an Bedeutungen bei einer zugleich nicht auflösbaren Unbestimmtheit aus. Die Vorstellung eines vermeintlich unhinterfragten Körpers als Anhaltspunkt für die im Rahmen von Migration verhandelten Vorstellungen des Eigenen und des Anderen, von denen, die dazugehören und denen, die nicht dazu gehören, lässt sich auf Grundlage der Analyse von Körperinszenierungen junger Frauen im Kontext von Migration nicht aufrechterhalten. Die auf Grundlage der Fotoanalysen erarbeitete grundlegende Struktur eines Zugleich von Verschiedenem in Bezug auf Körperlichkeit zeigt deutlich auf, dass nicht von einer migrationstypischen Körperlichkeit auszugehen ist. Vielmehr kommen in den Körperinszenierungen der Frauen die in der Migrationsgesellschaft hergestellten ethnound nationalkulturelle Markierungen zum Tragen; sie werden zum Teil übernommen aber auch immer wieder hinterfragt und bearbeitet. Mit der Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Migration als Erfahrung und Zuschreibung den bestehenden Möglichkeitsraum des Körperlichen mitbestimmt und ausformt. Dabei kommt Migration jedoch nicht die ausschließliche und übergreifende Funktion zu, das Spektrum an Optionen des Möglichkeitsraums „Körperlichkeit“ in Gänze zu erweitern oder zu verkleinern und diesen somit allein zu bestimmen. Vielmehr sind Migration und die damit einhergehenden Zuschreibungen in einer Verbindung mit anderen jeweils relevanten sozialen Differenzsetzungen zu sehen, die ihre Bedeutung erst in ihrer jeweiligen und in sich flexiblen Bezogenheit aufeinander entwickeln. Eine Systematisierung von Körperlichkeit als Möglichkeitsraum im Kontext von Migration kann somit nur als ein durch das Forschungsinteresse bestimmter Ausschnitt fungieren. Im Hinblick auf die Migration (der Eltern) und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit sozial ausgehandelten Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder

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kultureller Zugehörigkeit setzt sich das in der vorliegenden Studie herausgearbeitete Konzept des Möglichkeitsraums „Körperlichkeit“ aus den Dimensionen Thematisierung und Relevanz, Vergleich und Hierarchie sowie Ausdehnung zusammen80: Die Dimensionen sind weder als dichotome Gegenüberstellung eines EntwederOder noch als ein in sich systematisches Spektrum gedacht. Sie bilden vielmehr im Zusammenhang mit Migration stehende Kontexte, in denen verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit Körperlichkeit möglich sind. Durch die Kombination der Dimensionen können die Körperinszenierungen junger Frauen im Kontext von Migration auf abstrakter Ebene in ihrer Vielfalt dargestellt werden. Auf diese Weise entsteht eine in sich flexible Schlüsselkategorie, durch die den im Material wiederholt auftretenden dialektischen Zuständen des Körperlichen im Kontext von Migration Rechnung getragen werden kann. Anhand der drei Dimensionen wird zudem deutlich, dass die Systematisierung migrationsbedingter Einflüsse auf Körperlichkeit erst auf einer hohen abstrakten Ebene möglich wurde. Dass sich mögliche Aussagen zu Körperlichkeit nicht in diesen drei Dimensionen zu nationalen, ethnischen und/oder kulturellen Markierungen erschöpfen, ist in Anbetracht der Verwobenheit mit anderen sozialen Differenzkategorien selbstverständlich. Die Dimensionen des Modells können somit durch weitere Schwerpunktsetzungen ausdifferenziert und das Modell auf diese Weise weiterentwickelt werden. Im Folgenden sollen die drei Dimensionen, die den Möglichkeitsraum Körperlichkeit hervorbringen, näher ausgeführt und anhand empirischer Beispiele veranschaulicht werden. Thematisierung und Relevanz In den Darstellungen eigener Körperlichkeit zeigt sich, dass Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit(en) nicht nur auf inhaltlich unterschiedliche Weise thematisiert werden, sondern dass ihnen auch eine unterschiedliche Bedeutung eingeräumt wird. Insbesondere in den für die Untersuchung gewonnenen sprachlichen Körperinszenierungen wird auf diese Konzepte von Zugehörigkeit verwiesen. Allerdings besteht Variation darin, welche Bedeutung diesen Zugehörigkeitsvorstellungen in Bezug auf die eigene Körperlichkeit zugesprochen wird. Es finden sich Darstellungen, in denen Körperlichkeit etwas ist, das maßgeblich durch die Gesellschaft und somit auch die jeweiligen Vorstellungen der Mehrheit bestimmt wird. Die Möglichkeiten, sich sozialen Einflüssen auf den eigenen Körper zu verweigern, werden dabei zum Teil als gering eingeschätzt. Diese Perspektive zeigt sich unter anderem im Fall Djalila. In ihrer Darstellung des großen Einflusses,

80 Grundlage für die Inhalte der Dimensionen sind die Interviews. Die Entwicklung einer flexiblen Schlüsselkategorie, die Vielheit in sich aufnehmen kann, ist demgegenüber eher auf die Fotoanalyse zurückzuführen.

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den die Körperpräsentationen von Frauen im Libanon, die sie bei dortigen Besuchen ihrer Schwiegereltern erfährt, auf sie haben, hält Djalila fest: „die Gesellschaft macht den Menschen“ (19/9-19/10). Die Vorstellung der sozialen Bedingtheit des einzelnen Menschen als ein Resultat der Auseinandersetzung mit kontextabhängig angemessener Körperpräsentation verweist auf eine enge Verbindung von Körper und Selbst. Die Annahme dieser Verbindung zeigt sich auch in Minas Darstellung des veränderten Verhaltens ihrer Umwelt ihr gegenüber, nachdem sie sich für das Tragen eines Kopftuches entschieden hatte. Die darin zum Ausdruck kommende Erfahrung, sich durch ein Kleidungsstück für Andere ,als Mensch‘ zu verändern, überzeugt sie davon, wie sehr das Erscheinungsbild Vorstellungen über die jeweilige Person beeinflusst und damit auch zu ihrer Stigmatisierung führen kann. Demgegenüber wird Körperlichkeit von einigen Frauen gerade als etwas besonders Individuelles präsentiert, das – wenn überhaupt – durch das Verhältnis zu einzelnen Personen des nahen sozialen Umfeldes beeinflusst wird. Diese einzelnen Personen werden dabei weniger als Repräsentantinnen oder Repräsentanten einer ,Kultur‘ verstanden, sondern als Individuen mit je eigenen Ansichten und Vorstellungen. Übergreifende soziale oder kulturelle Bezüge werden nicht hergestellt oder vermieden. Eine solche Nichtthematisierung kann zwar nicht unweigerlich als ein Hinweis auf eine geringe Bedeutung dieses Aspekts für die eigene Körperlichkeit gelten, in diesen Fällen werden die (mir gegenüber) vorgenommenen Inszenierungen jedoch zumindest als unbedeutend dargestellt. Insbesondere im Fall Hülya scheint die bewusste Nichtthematisierung von migrationsbedingten Differenzsetzungen in Bezug auf den eigenen Körper als Abwehr gegen erfahrene migrationsspezifische Besonderungen vorgenommen zu werden. Auch Gia geht in ihrer Körperinszenierung nicht auf natio-ethno-kulturelle Bezüge ein, allerdings erscheint dies im Rahmen ihrer grundlegenden Darstellung weniger als eine Form der Vermeidung denn als eine generell ablehnende Haltung gegenüber Beurteilungen aufgrund kollektiver Zuschreibungen. Jasemin nimmt zwar in Bezug auf die Herkunft ihrer Eltern kulturelle Markierungen vor, stellt ihre Abgrenzung von Vorstellungen ihrer Eltern jedoch letztlich im Rahmen intergenerationaler und nicht kultureller Differenzen dar. Deutlich wird, dass die beteiligten Frauen in den Interviews verschiedene Strategien nutzen, um sich in ein Verhältnis zu mit der Migration einhergehenden Erfahrungen und Zuschreibungen zu setzen: Von einigen werden die im Zusammenhang mit Migration verhandelten Differenzierungen aufgegriffen, andere Frauen gehen wiederum nicht darauf ein, beziehungsweise scheinen die damit einhergehende potenzielle Besonderung zu vermeiden.

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Vergleich und Hierarchie Wird natio-ethno-kulturellen Bezügen in der Darstellung eigener Körperlichkeit eine unterschiedlich große Relevanz eingeräumt, so zeigt sich außerdem, dass wenn solche Bezüge hergestellt werden, dies zum Teil auf eine kulturvergleichende Weise geschieht. Bei einer eher vergleichenden Logik wird für die Darstellung eines beispielsweise als ,typisch deutsch‘ bezeichneten körperrelevanten Aspekts auf die Kontrastfolie kulturell anders markierter Erfahrungen zurückgegriffen. In diesem Fall spreche ich von Körper-Kultur-Vergleichen. Diese Vergleiche können wiederum in hierarchisierender beziehungsweise nichthierarchisierender Weise vorgenommen werden. Bei hierarchisch strukturierten Vergleichen werden nationale, ethnische und/oder kulturelle Bezüge mit einer Wertung verbunden. Eine solche Strukturierung zeigt sich bei Mischgan, die – durchaus stellenweise ambivalent und durchbrochen – immer wieder Stellung in den von ihr eröffneten Körper-Kultur-Vergleichen bezieht. In der Auseinandersetzung mit den diskriminierenden Erfahrungen aufgrund ihres Körpergewichts in von ihr als deutsch markierten Kontexten sowie des demgegenüber stärker akzeptierenden Verhaltens ihres aus Afghanistan stammenden Vaters und seiner ebenfalls aus Afghanistan stammenden Bekannten in Deutschland entwickelt Mishgan die Einstellung, dass Kritik an ihrem Körpergewicht und an körperlichen Normabweichungen generell ein ,deutsches‘ Phänomen darstellt. Die durch den Vater vermittelten Vorstellungen von Afghanistan und auch den USA, die sie durch eine berufliche Reise kennt, bilden für Mishgan im Gegensatz dazu für ihre Körperlichkeit positive (imaginierte) Bezugspunkte. Demgegenüber stellen Meiling und Djalila die Möglichkeiten der Entwicklung ihrer Körperlichkeit in Deutschland im Vergleich zu den Erfahrungen in China beziehungsweise Algerien als erstrebenswertere Option dar. Dabei greifen sie auf in China beziehungsweise Algerien gemachte Erfahrungen körperlicher Einschränkungen zurück, die sie gemäß der Logiken des Migrationsdiskurses als in einem allgemeinen Sinne kulturspezifisch definieren. Beide Frauen geben an, dass ihnen ein Leben in Deutschland demgegenüber eine selbstbestimmtere und weniger stark sozial kontrollierte Körperlichkeit eröffnet: für sie handelt es sich dabei um einen erstrebenswerten Zustand, für dessen Aufrechterhaltung es sich einzutreten lohnt. Demgegenüber werden jedoch auch Vergleiche zwischen kulturell markierten Erfahrungen vorgenommen, die nicht-hierarchisch strukturiert sind. Die Darstellungen kulturell definierter Unterschiede von Körperlichkeit werden dabei als anders, aber nicht als besser oder schlechter angesehen. Als Beispiel für eine kulturvergleichende, nicht-hierarchisierende Position im Hinblick auf die eigene Körperlichkeit erscheint die Darstellung von Nikita. Ihre explizit verbalisierte Unsicherheit im Hinblick auf die von ihr empfundenen kulturspezifisch divergierenden Erwartungen an ihre Körperlichkeit in Kirgistan und Deutschland kann als Position ver-

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standen werden, die sich nicht in der Frage nach einer allgemeingültigen vergleichenden Wertung erschöpft. Deutlich wird ihre dauerhaft ambivalente Haltung darin, dass Migration von ihr als Körper-Risiko und zugleich als Körper-Ressource dargestellt wird. In der Darstellung einer nicht vergleichend angelegten Darstellung kultureller Markierungen werden, wie im Fall Jale Öztürk, zwar vereinzelte nationalkulturelle Markierungen vorgenommen, diese jedoch nicht in einem Vergleich zwischen Herkunftsland und Deutschland zueinander oder in einen Kontrast zu den Erfahrungen oder Vorstellungen über ,andere Kulturen‘ gesetzt. Auch Jasemin deutet das Verhaltens ihrer Eltern teilweise als ,türkisch‘ beziehungsweise ,islamisch‘, eröffnet jedoch keinen Vergleich zu einem von ihr als deutsch bzw. ,andersreligiös‘ definierten Verhalten. Auch wenn diese Art der Darstellung nicht ausschließt, dass solche Äußerungen das Ergebnis einer nicht thematisierten Gegenüberstellung sind, so wird deutlich, dass die eigene Körperlichkeit von einigen der Befragten nicht in einer kulturvergleichenden und somit potenziell festschreibenden Weise inszeniert wird. In Anbetracht des den Migrationsdiskurs dominierenden Fokus auf kulturelle (materiell-körperliche) Differenz, eröffnet diese Inszenierung auf der Dimension von Vergleich und Hierarchie die Möglichkeit, eine Entdramatisierung der eigenen Selbstpositionierung im Kontext von Migration vorzunehmen. Ausdehnung Werden Verweise auf nationale, ethnische und/oder kulturelle Zugehörigkeitsvorstellungen für die eigene Körperlichkeit vorgenommen, so können diese im Weiteren in ihrer Ausdehnung umfassend sein oder nur punktuell genutzt werden. Im Rahmen umfassender Bezüge werden verschiedene Körperthemen mithilfe dieses Kollektivkonzepts gedeutet und meist auch über das Thema Körper hinaus als Erklärungsmuster für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen herangezogen. Werden diese Bezüge eher punktuell hergestellt, so bedeutet dies, dass vereinzelt auf entsprechende Erklärungsmuster zurückgegriffen wird, zum Beispiel bei einem bestimmtes Thema oder aber in Bezug auf bestimmte soziale Situationen. Eine umfassende Ausdehnung natio-ethno-kultureller Bezugspunkte zeigt sich im Interview mit Meiling, die diese als grundlegende und über das Thema Körper hinaus bedeutsame Deutungsmuster in ihren Darstellungen heranzieht. Das Erklärungsmuster kultureller Einflüsse wird als allgemein bedeutungsvoll angesehen, wie am Beispiel des von ihr aufgegriffenen Differnzierungsmodells zwischen Deutschland als einer individualistischen und China als einer kollektivistischen Gesellschaft deutlich wird. Punktuelle Bezugnahmen auf nationale, ethnische und/oder kulturelle Marker für Körperlichkeit zeichnen sich demgegenüber durch vereinzelt kulturelle Verweise aus. Beispiele für eine punktuelle Bezugnahme zeigen sich bei Leya, Mona und Christiana, die solche Kollevtivbezüge vereinzelt bei bestimmten

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Körperthemen einbringen. Verweist Leya auf von ihr wahrgenommene Unterschiede zwischen ,Europäern‘ und ,Arabern‘ hinsichtlich ästhetischer Wahrnehmung und Höflichkeit, thematisiert Mona eine Divergenz von angemessener (körperlicher) Nähe und Distanz in der Interaktion in Rumänien und Deutschland. Für Christiana wiederum bestehen Unterschiede in der Vorstellung eines adäquaten Kleidungsverhaltens (bildungserfolgreicher) Frauen in der Ukraine und Deutschland. Diese themenspezifischen – punktuellen – Darstellungen sind dabei eingebettet in darüber hinaus nicht entlang von Migration strukturierten Aussagen. Der jeweilige Möglichkeitsraum des Körperlichen im Kontext von Migration setzt sich dabei immer wieder – individuell und situativ – neu zusammen und unterliegt stetigen Anpassungen: Es zeigt sich, dass die jeweiligen Verortungen auf den verschiedenen Dimensionen miteinander in Beziehung stehen. Trotz der damit einhergehenden Option, auf den drei Dimensionen typische Konstellationen des Möglichkeitsraums Körper bestimmen zu können, wurde in dieser Untersuchung keine Bildung von (Ideal-)Typen angestrebt. Denn anders als bei einer fallbasierten Typisierung der Analyseergebnisse (ein Fall als ein Typ) rückt durch das gewählte theoretische Modell begrenzter Reichweite die Vielfalt, Widersprüchlichkeit und ambivalente Inszenierung von Körperlichkeit im Kontext von Migration in ihrer Situiertheit und Prozesshaftigkeit in den Mittelpunkt. Wurden durch die Dimensionen mögliche Darstellungsformen natio-ethnokultureller Bezüge für die eigene Körperlichkeit aufgezeigt und systematisiert, werden im Folgenden die damit verknüpften und durch die Körperinszenierungen rekonstruierten gesellschaftlichen Bedingungen zusammengefasst. Grundlage bilden zum einen die mithilfe des Kodierparadigmas vorgenommenen Analysen der Interviews und zum anderen die bei der ikonologischen Bildanalyse vorgenommenen gesellschaftlichen Verortungen der fotografischen Körperinszenierungen. Dabei sind die Auseinandersetzungen der beteiligten Frauen mit bestehenden Diskursen über die Abweichung vom ,Normalkörper‘ im Kontext von Migration eng mit weiteren Normvorstellungen des Körperlichen verbunden. Wie bereits vielfach empirisch nachgewiesen und im Rahmen der Ansätze der Intersektionalitäts- und Interdependenzforschung theoretisch ausgearbeitet (vgl. zum Beispiel Walgenbach u.a. 2007), wird auch in der vorliegenden Untersuchung deutlich, dass sich das Verhältnis von Körper, Migration und natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeitsvorstellungen kaum von anderen sozial bedeutsamen Kategorien wie Geschlecht, Alter oder Bildungsstand trennen lässt. Die Zusammensetzung und Gewichtung des Geflechts sozialer Differenzsetzungen in den Körperinszenierungen ist zudem überaus vielseitig und zeigt auf, dass es sich bei einem durch ein Forschungsinteresse gesetzten Fokus immer nur um einen Ausschnitt und somit eine Verkürzung des Phänomens han-

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deln kann. Ausgehend von dem Forschungsinteresse des Einflusses von Migration auf Körperlichkeit am Beispiel junger Frauen werden im Folgenden die bereits in der Dokumentation der Analysen aufgezeigten Interdependenzen mit weiteren im Zusammenhang mit Körperlichkeit bedeutsamen sozialen Differenzkategorien exemplarisch miteinbezogen. Die (durch die Untersuchungssituation vermutlich mithervorgerufene) soziale Positionierung der Teilnehmerinnen als junger Frauen mit Migrationshintergrund findet im Rahmen von Aushandlungen symbolischer Bedeutungen von Migration – und damit in Verbindung gebrachten ethno- und nationalkulturelle Markierungen – statt. Die Körperinszenierungen sind somit auch als Reaktionen auf gesellschaftlich dominante Bilderwelten und Deutungsmuster anzusehen, die über Menschen mit Migrationshintergrund und junge Frauen mit Migrationshintergrund im Speziellen in Bezug auf Körper bestehen. 81, In den Darstellungen der jeweils spezifischen Konstellationen sozialer Zugehörigkeiten werden die in der öffentlichen Diskussion bestehenden Positionen und Argumentationen zu Migration und Migrantinnen aufgegriffen und reproduziert, aber auch akzentuiert und zurückgewiesen.82 Die in der deutschen (Medien)Öffentlichkeit über das jeweilige Herkunftsland (der Eltern) bestehenden Vorstellungen und Zuschreibungen spielen dabei eine zentrale Rolle. So erklärt Meiling die Unterschiede zwischen einem angemessenen Körpereinsatz in der Interaktion in Deutschland und China mit dem Hinweis auf das psychologische Konzept ,individualistisch‘ und ,kollektivistisch‘ geprägter Gesellschaften, wobei sie Deutschland als ihrem Verständnis nach ,individualistisch‘ organisierter Gesellschaft einen höher entwickelten Status einräumt. Damit folgt sie der Logik des westlichen Migrationsdiskurses, nationale Differenzen auf einer Art Zeitskala nach ,Entwicklung‘ und ,Fortschritt‘ anzuordnen. Auch Christiana zitiert ethnisierende Wissensproduktionen westlicher Migrationsdiskurse, wenn sie Vorstellungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft von ,billig‘ – im Sinne von freizügig und besonders auffällig – gekleideten jungen Frauen aus Osteuropa beziehungsweise der ehemaligen Sowjetunion zwar zurückweist, allerdings ihre Anpassung an die in Deutschland bestehenden Kleidungsregeln (gebildeter) Frauen dadurch legitimiert, dass sie der in ihren Augen typischen Kleidung ,deutscher Akademikerinnen‘ eine höhere Praktikabilität zuspricht. Durch ihre Aussage, sich darin besser auf die Inhalte des Studiums konzentrieren zu können, stützt Christiana indirekt das zuvor

81 Inwieweit migrationsspezifische visuelle Zuschreibungs- und Zugehörigkeitsmuster in den fotografischen Selbstporträts herangezogen (und weiter entwickelt) oder auch zurückgewiesen werden, ist im Vergleich zu den Interviews weitaus schwieriger zu rekonstruieren. 82 Vgl. zum Verhältnis von Reproduktion und Akzentuierung von Migrationsdiskursen in Interviews Rosen 2011, 177.

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kritisierte Stereotyp der an der Kleidung festgemachten Abwertung. Die von Hülya und Jasemin vorgenommenen wenigen kulturellen Bezüge lassen sich wiederum im Zusammenhang mit dem Herkunftsland ihrer Eltern – der Türkei – und ihrem eigenen Aufwachsen in Deutschland deuten. Es ist davon auszugehen, dass die im Vergleich wohl mit am negativsten vorgenommene Berichterstattung über Migrantinnen und Migranten türkischer Herkunft in Deutschland Einfluss auf die Darstellungen der beiden Frauen nimmt (vgl. zum Beispiel Krüger/Simon 2005; Ruhrmann/Sommer/Uhlemann 2006, 48; zur medialen Darstellung des Islam im Zusammenhang mit türkisch-deutscher Migration Hafez/Richter 2007). Zudem kann die Inszenierung der jungen Frauen als Reaktion auf die erfahrene Besonderung als „Migrationsandere“ (Mecheril 2004, 47) angesehen werden, die sich unabhängig von der Tatsache vollzieht, dass sie beide in Deutschland geboren sind (Hülya kam mit vier Monaten nach Deutschland) und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die jeweiligen Darstellungen der Frauen sind somit immer auch als (Re-) Konstruktion und (Re-)Produktion gesellschaftlicher Diskurse über Nationalitäten und damit verbundene Hegemonieansprüche zu verstehen. Insgesamt ist auffällig, dass körperbezogene Diskriminierungserfahrungen aufgrund der (zugeschriebenen) Herkunft außer im Fall Mishgan nur auf Nachfrage benannt werden.83 Neben der Exotisierung des ,anderen weiblichen Körpers‘ wird von am Erscheinungsbild festgemachten Rassismen berichtet, die von kulturalisierenden Besonderungen bis zu tätlichen Angriffen und rassistischen Beleidigungen reichen. Der Umgang mit diesen Erfahrungen ist dabei abhängig von der jeweiligen Wahrnehmung der Frauen: Führt das Lob für ihre guten Deutschkenntnisse durch Kunden am Arbeitsplatz bei Hülya zu heftiger Kritik an der damit einhergehenden Kulturalisierung eines Lebensbereiches, in dem sie allein für ihre Leistung als Sachbearbeiterin beurteilt werden möchte – eine Tätigkeit für die die deutsche Sprache eine Selbstverständlichkeit darstellt –, wird von Leya der körperliche und verbale Angriff einer älteren Frau auf dem Bahnsteig durch rassistische Schimpfwörter und die Aufforderung, sie solle wieder ,dahin zurückgehen wo sie hergekommen sei‘, als unbedeutend abgetan. Grundsätzlich scheint es, dass wenn von solchen am Körperlichen festgemachten Erfahrungen berichtet wird, diese schon zu sehr zum Alltag gehören, als dass ihnen eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden würde. Jasemin antwortet auf die Frage nach Situationen, in denen ihr Äußeres auf eine ethnisierende und rassisierende Weise Thema wurde, „natürlich fallen mir Situationen ein“ (14/8), und Leya fasst hinsichtlich solcher Erfahrungen zu-

83 Für die Nachfrage habe ich mich entschieden, nachdem in den ersten beiden Interviews keine diesbezüglichen Aussagen gemacht wurden, ich aufgrund der Literaturrecherche jedoch davon ausgehen konnte, dass Diskriminierungserfahrungen vorliegen.

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sammen: „ich glaub alle Ausländer haben das schon mal erlebt ne ja klar“ (17/2617/27). Die grundlegende Tendenz einer Nichtthematisierung oder Bagatellisierung von Diskriminierungen im Interview kann dabei als Strategie angesehen werden, sich nicht als Opfer darzustellen oder sich einer möglichen weiteren Besonderung der eigenen Körperlichkeit im Kontext von Migration zu entziehen. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Untersuchungsteilnehmerinnen einer Viktimisierung widersetzen – ein Befund, der die zunehmende Kritik am öffentlichen Bild von ,der unterdrückten Migrantin‘ stützt. Ein Einflussfaktor für diese Art der Selbstdarstellung mag der Bildungsstand der Untersuchungsteilnehmerinnen sein. Denn bei den beteiligten Frauen handelt es sich in der Regel um überdurchschnittlich gut ausgebildete, junge Frauen, deren Bildungserfolg und die damit einhergehende Privilegierungen einer Positionierung als Opfer oder Ziel rassistischer Angriffe entgegenstehen. Daher erlauben die Darstellungsweisen einer Zurückweisung und/oder Bagatellisierung ausgrenzender Erfahrungen es gerade nicht, Aussagen über damit einhergehende Belastungen zu treffen. Da diese jedoch zu vermuten sind, kommt beiden Strategien die Funktion zu, als aktiv Handelnde mit diesen Belastungen umzugehen. Diese Interpretation liegt insbesondere im Fall Jasemin nahe, die angibt, dass sie Ausgrenzungen als ,ausländisches Kind‘ zur damaligen Zeit als sehr verletzend empfunden habe. Demgegenüber stellt sie entsprechende Erfahrungen als Erwachsene entweder als „nicht richtig“ (15/6) negative und zum Teil sogar lustige Erlebnisse dar. In ihrer Darstellung einer Prügelei mit einem Nachbarn ihrer Eltern, der in ihren Augen die Nachbarskinder mit Migrationshintergrund wiederholt beleidigte, zeigt Jasemin jedoch eine wiederständige Form der (jugendlichen) Reaktion auf (14/11-14/22). Jasemins Darstellung ihres Umgangs mit Rassismuserfahrungen wirkt wie eine ,Reifungsgeschichte’, die es ihr ermöglicht, mit ausgrenzenden Erfahrungen und rassistischen Angriffen, denen sie als Kind noch ungeschützt ausgeliefert war, als Erwachsene umzugehen und sie entweder ,mit Humor‘ zu nehmen oder sich (auch körperlich) zu widersetzen. Die Darstellung ihrer Bedeutungslosigkeit oder aber Absurdität als einer Umdeutung solcher Situationen ist demnach womöglich eine Strategie, erfahrene Nichtanerkennung abzuwehren und die eigene Verletzbarkeit durch rassistische Ausgrenzung umzuwenden. Die zudem durch die Suchanfrage nach jungen Frauen als Untersuchungsteilnehmerinnen vorab festgelegte Geschlechtszugehörigkeit erscheint in den Körperinszenierungen als latente aber meist nicht weiter explizierte oder in Frage gestellte Hintergrundfolie, vor der die im System der Zweigeschlechtlichkeit hervorgebrachte weibliche Körperlichkeit inszeniert wird.84 Die selbstverständliche Bezugnahme auf

84 Einen ähnlichen Befund nennt Imke Schmincke, die in ihrer Untersuchung zu marginalisierten Stadträumen und Körper zu dem Ergebnis kommt, dass die Kategorie Geschlecht

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den eigenen als weiblich definierten Körper zeigt sich insbesondere in den Ausführungen der Frauen, die Kinder haben und die Schwangerschaft und Geburt als weibliche Körpererfahrungen benennen. Kam es im Rahmen dieser stark körperlichen Erlebnisse zu einer in den Augen der Frauen mangelhaften Erfüllung von Normen des ,Mutterkörpers‘, so werden diese in extremer Weise als Versagen und Abweichung von ,natürlicher Normalität‘ erlebt. Auch hinsichtlich der Frage nach der eigenen Attraktivität wird deutlich, dass die Normierungen immer wieder im Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht stehen. Zentrales Thema für die beteiligten Frauen ist dabei die Frage nach einem angemessenen Körpergewicht. Dies liegt zum einen an der großen Bedeutung, die einem schlanken (Frauen-)Körper in westlichen Gesellschaften zugesprochen wird. Zum anderen könnte auch eine damit einhergehende medial bedingte Vertrautheit mit der Auseinandersetzung über den eigenen Körper als einem konstant zu verdünnenden Körper eine Rolle bei den Darstellungen spielen. Auffällig ist, dass der Wunsch, schlanker zu sein, durchaus mit einer grundlegenden Kritik am ,Schlankheitswahn‘ und an utopischen Vorbildern weiblicher Körper einhergehen kann. In der Auseinandersetzung mit diesem Idealbild werden – im Rückgriff auf Körper-Kultur-Vergleiche, wie ich sie oben beschrieben habe, – zudem Bezüge zu anderen als nichtwestlich klassifizierten Vorstellungen über den weiblichen Körper vorgenommen, um dieses Bild entweder zu relativieren oder aber zu bestätigen. Dementsprechend erlebt Meiling die Körpernorm eines schlanken Körpers in Deutschland als unproblematisch, da sie diese in China als deutlich restriktiver erfahren hat. Für Mishgan stellt das Idealbild eines schlanken Körpers im Vergleich zu ihren Vorstellungen über die Situation in anderen Ländern ein geradezu ,typisch deutsches‘ Phänomen dar. Djalila kritisiert die Norm eines schlanken Körpers wiederum nicht, sondern stimmt ihr zu: Neben medial vermittelten Schönheitsvorstellungen bezieht sie sich auch auf Aussagen ihres Mannes, mit denen er sie ermahne, nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes nun wieder abzunehmen. In seiner Kritik an ihr vergleicht er sie mit „marokkanische oder Türkenfrauen die sich gehen lassen“ (13/24-25) und setzt auf diese Weise kulturalisierendes Wissen zur Normierung des Körpers seiner Frau ein. Djalila teilt seine verallgemeinernde Einschätzung des Verhaltens von Frauen marokkanischer und türkischer Herkunft und versucht der ,Gefahr‘ eines erhöhten Körpergewichts durch Sport entgegen zu wirken. Doch nicht nur im Hinblick auf das Gewicht, sondern auch in der Frage nach der Selbstbestimmung über den eigenen Körper werden Bezüge zum Partner und somit zum Geschlechterverhältnis zwischen Frau und Mann (als Ehepaar) hergestellt. Meiling spricht ihrem Mann, der ebenfalls als chinesischer Austauschstudent

gerade auch im Vergleich zur Kategorie Migration in den von ihr geführten Interviews weniger direkt zum Thema gemacht wird (vgl. Schmincke 2009, 210).

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nach Deutschland kam, wiederholt die Rolle des ,Hüters‘ von Normen zu, die ihren Körper betreffen. Sie bezieht sich dabei zum einen auf Kontrollansprüche, die ihr Mann gegenüber ihr als (seiner) Frau geltend machen würde und zum anderen auf die von Meiling als chinesisch definierten Körpernormen, die für sie durch ihren Mann aufrechterhalten werden. Meiling fühlt sich somit in einer spezifischen geschlechtlich-kulturellen Weise unterworfen, die sie zwar kritisiert, der sie sich jedoch nur bedingt entziehen kann. Im Hinblick auf die in den biografischen Interviews erinnerten Lebensphasen wird wiederholt der Einfluss des Alters und somit der zeitlichen Dimension von Körperlichkeit aufgegriffen. Das Alter als ein den körperlichen Entwicklungs- beziehungsweise Alterungsprozess und somit auch die Körperlichkeit bedingender Aspekt führt zu der Frage nach der Vergleichbarkeit von erinnerten und aktuellen Körpererfahrungen. Die Veränderungen von Wahrnehmungen und Einstellungen über die Zeit wird von einigen der Frauen auch im Hinblick auf die Migration explizit angesprochen. Wurden die Erinnerungen an das Leben vor der Migration in vielen Fällen aus damaliger Kindersicht vorgenommen, stellt sich beispielsweise Nikita die Frage, ob diese Erinnerungen überhaupt mit Eindrücken als erwachsene Person nach der Migration zu vergleichen sind. Anhand Nikitas Überlegung kann die grundlegende Frage gestellt werden, ob ein Vergleich zwischen den Erinnerungen an die Erziehungspraxen in Kirgisien in den 1980er Jahren (aus Sicht eines Kindes) mit den Eindrücken der Erziehungspraxen in den 2010er Jahren (aus Sicht einer Erwachsenen) aufgrund der zeitlichen Differenz überhaupt möglich ist und als Grundlage für ,Kulturvergleiche‘ dienen kann. Migration als räumliche Veränderung ist demnach zugleich immer auch als zeitliche Entwicklung zu verstehen, die die Erinnerungen an das eigene Leben strukturiert und Einfluss auf die Bewertung von Erfahrungen in Rückblick wie auch im Jetzt nimmt. Deutlich wird dies anhand der von vielen Frauen angesprochenen Jugendphase, in der die körperlichen Entwicklungen der Pubertät als verunsichernd erinnert werden und zu einer negativen Beurteilung des eigenen Aussehens führten. Rückblickend wird der eigene jugendlich-schlanke Körper in dieser Zeit allerdings als besonders positiv dargestellt und zum Idealbild der eigenen körperlichen Verfassung und der Sorge um das Erscheinungsbild gemacht. Mit dem Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen für die untersuchten Körperinszenierungen wird deutlich, dass Körperinszenierungen in einer Migrationsgesellschaft nicht durch die Berücksichtigung nur einer sozialen Differenzziehung und somit der Migration – als Erfahrung und Zuschreibung – allein verstanden werden können. Die Körperinszenierungen sind vielmehr das zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt und in der Auseinandersetzung mit mir als Gegenüber und Adressatin entstandene Ergebnis eines Zusammenspiels verschiedener sozial relevanter Faktoren. Aus dieser Perspektive können die gesellschaftlichen Bedingungen in

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Bezug auf Migration auch nicht als Grundlage für einfache Kausalzusammenhänge angesehen werden. Vielmehr scheint sich Migration als Erfahrung und Zuschreibung mit weiteren sozial bedeutsamen Faktoren zu verknüpfen und auf diese Weise in ihrem Wirken auch stets zu transformieren. Anhand des vorgestellten Modells wird deutlich, dass Körperlichkeit als Teil eines fortlaufenden Aushandlungsprozesses symbolischer Bedeutungen zu verstehen ist, der durch den Erfahrungszusammenhang „Migration(shintergrund)“ mitbestimmt wird. Die in diesem Zusammenhang bedeutsame oder vielmehr bedeutsam gemachte Frage nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit lässt sich in den drei Dimensionen der Thematisierung/Relevanz dieser Kollektivkonzepte, des Vergleichs und der Hierarchiesierung innerhalb dieser sowie der Ausdehnung des Bezugs auf diese Konzepte systematisch abbilden. Auf dieser Grundlage kann der jeweilige Möglichkeitsraum „Körperlichkeit“ im Kontext von Migration dargestellt werden. Eingebunden ist dieser Prozess in bestehende gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Migration, mit denen die Körperinszenierungen der jungen Frauen in Beziehung stehen und vor deren Hintergrund sie Bedeutung erhalten.

8 Eine Studie zu Körper und Migration Reflexive Schlussbetrachtung und Ausblick

Nimmt Migration – als Erfahrung und Zuschreibung – Einfluss auf Körperlichkeit und wenn ja, auf welche Weise geschieht dies? Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurden Aspekte der aktuellen sozialwissenschaftlichen Körperdebatte aufgegriffen und in einem migrationsgesellschaftlichen Kontext untersucht. In der Schlussbetrachtung möchte ich die zuvor vorgestellten Ergebnisse, die Anlage der empirischen Untersuchung sowie meine Rolle im Forschungsprozess zusammenfassend reflektieren und weiterführende Fragestellungen aufzeigen. Ergebnis der vorliegenden Untersuchung zum Verhältnis von Körper und Sozialität im Kontext von Migration ist ein theoretisches Modell, welches um die Annahme von Körperlichkeit als Möglichkeitsraum strukturiert ist. Durch die empirische Analyse von Körperinszenierungen junger Frauen mit Migrationshintergrund konnte gezeigt werden, dass Migration als Erfahrung des Lebens in verschiedenen Gesellschaften sowie der zugeschriebenen Zugehörigkeit zur Gruppe der „Migrationsanderen“ (Mecheril 2004, 47) Einfluss auf diesen Möglichkeitsraum nimmt. Die in der Schlüsselkategorie zum Ausdruck kommende potenzielle Veränderbarkeit von Körperlichkeit sowie die Vielfalt der Körperinszenierungen der beteiligten Frauen wurde entlang dreier Dimensionen entwickelt: Der Thematisierung und Relevanz, des (hierarchischen) Vergleichs sowie der Ausdehnung natio-ethno-kultureller Markierungen, die im Kontext von Migration von den beteiligten Frauen vorgenommen wurden beziehungsweise die an sie herangetragen werden (vgl. zur Darstellung der Ergebnisse Kapitel 7.13). Auffällig erscheinen die in diesem Zusammenhang von einem Großteil der Frauen wiederholt angeführten sogenannten Körper-Kultur-Vergleiche.1 Durch die Tatsache, dass die Differenzsetzung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit auf eine 1

Zu den möglichen Gründen, warum Jasemin und Hülya sowie Gia und Jale Öztürk keine solchen Strukturierungen in ihren Interviews vornehmen vgl. Kapitel 7.4, 7.8, 7.12.

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eindeutige Zuordnung von Personen ausgerichtet ist (vgl. Kapitel 3.1), beziehen sich die Frauen in ihrer Körperlichkeit auf eine bedeutsame Norm. Deutlich wird dabei, dass sich keine der Frauen – ob sie es anstrebt oder nicht – in eindeutiger Weise in den im Interview dargelegten kulturellen Markierungen verortet. Es erscheint vielmehr so, also ob die von ihnen zum Teil aufgerufenen national, ethnisch und/oder kulturell markierten Differenzierungen durch ihre eigenen Körperinszenierungen unterlaufen werden. Diese in Bild- und Textanalyse zum Ausdruck kommende ,Nichtpassung‘ kann mit der von einigen Frauen vorgenommenen Einschätzung in Beziehung gesetzt werden, dass die Migration (der Eltern) vielfältige, kulturell definierte Bezüge als Wahlmöglichkeiten eröffnet, zugleich aber auch zu dem spannungsreichen Gefühl führt, es niemandem ,recht machen‘ zu können. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass die von einigen Frauen vorgenommenen, zum Teil stark kulturalisierenden Setzungen durch die Anlage der empirischen Untersuchung zumindest begünstigt wurden. Auf der Suche nach Untersuchungsteilnehmerinnen wurde durch das aufgesetzte Schreiben mit einem Foto von mir sowie durch meine Besuche in pädagogischen Einrichtungen, Universitätsseminaren und Integrationskursen deutlich, dass ich wie eine junge Frau aussehe, die entsprechend der Imagination des ,prototypischen Mitglieds’ der deutschen Gesellschaft keinen Migrationshintergrund hat. Meine Staatsangehörigkeit oder mögliche Migrationserfahrungen wurden von den Frauen demnach zu keiner Zeit er- und somit hinterfragt.2 Im Rahmen der konkreten Forschungssituation müssen die vorgenommenen Kulturvergleiche der Teilnehmerinnen demnach auch in ihrer Bedeutung einer Erfüllung von Erwartungen verstanden werden, die ich als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft repräsentiere. Grundsätzlich ist im Rahmen der vorgenommenen Körper-Kultur-Vergleiche allerdings festzuhalten, dass sich die beteiligten Frauen – trotz ihrer zum Teil starker kulturellen Zuschreibungen – keineswegs als „Marionetten“ (Leiprecht 2004) ihrer von ihnen aufgerufenen kulturellen Zugehörigkeit(en) verstehen. In ihrer dargestellten Körperlichkeit scheint ein Zugleich von

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Explizit thematisiert wurde mein Äußeres nur von einer Frau, die den Mechanismus der Herstellung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsvorstellungen anhand meines Aussehens am Beispiel des ,Schwedischseins‘ verdeutlichte (vgl. Mishgan, 26/35-27/26). Aufgrund meiner blonden Haare können die darüber hinaus vorgenommenen allgemeinen Verweise auf eine helle Haarfarbe (vgl. Leya, Hülya, Mishgan, Jasemin) jedoch immer auch als potenzielle Bezugnahme auf mich verstanden werden. Die darin zum Ausdruck kommende Bedeutung meiner Anwesenheit und somit Beteiligung an der Entstehung eines Falls ist dabei immer auch explizit als ein körperliches Geschehen zu verstehen (vgl. Abrahams Exkurs zum Körper als Erkenntnisquelle 2002, 182-204; Gugutzer 2004, 10ff.).

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Verschiedenem möglich, wobei dieses ,Verschiedene‘ eben auch auf die im Zusammenhang mit Migration stehenden Erfahrungen der Frauen zurückzuführen ist. Zudem wurde deutlich, dass die benannten Vorstellungen ethnischer und nationalkultureller Zugehörigkeit wiederholt in einen Zusammenhang mit den elterlichen Vorstellungen einer angemessenen Körpererziehung gebracht werden. Auch an dieser Stelle stellt sich die Frage nach dem Einfluss des Forschungsdesigns auf die Ergebnisse, indem die biografische Erzählaufforderung gemäß eines linearen (Alltags)verständnis von Biografie in den Interviews eine meist chronologisch dargestellte Lebensgeschichte ab der Geburt beziehungsweise Kindheit hervorrief. Aufgrund der durchaus divergierenden Relevanz des Themas Familie in den Erzählungen kann jedoch vermutet werden, dass es sich dabei nicht alleine um einen Effekt der Interviewmethode handelt und die Familie für den Großteil der Untersuchungsteilnehmerinnen einen grundsätzlich wichtigen Bezugspunkt für ihre Körperlichkeit darstellt. Das Verhalten der Eltern – unabhängig davon, ob es von den Befragten aus gegenwärtiger Sicht positiv oder negativ bewertet wurde – wird von den Frauen explizit oder implizit natio-ethno-kulturell aufgeladen. Nicht nur die konkrete zwischenmenschliche Ebene des Körperlichen in Form von Erinnerungen an Zärtlichkeit oder Gewalt zwischen Eltern und Kindern spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, sondern auch die Annahmen der Frauen darüber, welche Körperlichkeit die Eltern ihnen als Kind vermitteln wollten und welche Möglichkeiten körperlicher Selbstbestimmung zu welchem Zeitpunkt gegeben waren. Wird die Bedeutung der Familie als (Re-)Produzent kulturspezifisch definierter Vorstellungen von Körper zum Thema, so sind die Bezüge entgegen im Migrationsdiskurs dominanter Annahmen über ,die Migrantenfamilie‘ kaum als umfassend repressiv und autoritär zu bezeichnen. Die Körpererziehung der Eltern wird von den Frauen als eine latente, nur zum Teil bewusste Vermittlung von mit der Herkunft (der Eltern) verknüpften Einstellungen angesehen. Die Gestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses als exklusive, durch hohe Integrität und auf Dauerhaftigkeit angelegte Beziehung in all ihren Facetten ist dabei durch eine Vielzahl von – auch kulturellen – Zugehörigkeitsvorstellungen gekennzeichnet. Wir die spürende Wahrnehmung des und der Umgang mit dem eigenen Körper sowie dessen Präsentation als Möglichkeitsraum verstanden, erscheint Körperlichkeit als etwas, das im Rahmen der Aushandlungen sozialer (symbolischer) Bedeutungen verschiedene, aber keinesfalls unbegrenzte Optionen eröffnet. In der Interaktion werden der eigene Körper, wie auch die Körper anderer, als materielle Träger sozialen Wissens und als spürende Wahrnehmungsorgane relevant. Die eigene Körperlichkeit wird im Zuge dessen zu einer Aufgabe, die aktiv bewältigt werden muss (vgl. Goffman, Kapitel 2.4 in diesem Buch). Dabei mag es sich zunächst um einen unabhängig von Migration bestehenden Befund handeln. Die damit einhergehenden Herausforderungen zeigen sich jedoch womöglich besonders deutlich im

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Zusammenhang mit Migration, da diese weiterhin als ein von der Norm und von Vorstellungen einer Normalbiografie abweichendes Phänomen wahrgenommen (vgl. Breckner 2003; Dausien/Mecheril 2006) und die Zuschreibung als natioethno-kulturell Andere(r) oftmals am Körperlichen festgemacht und begründet wird. Bezogen auf den Forschungsgegenstand Körper verweisen die der Studie vorangestellten Zitate von Carolyn Bynum und Judith Butler auf die auch in der vorliegenden Studie gemachte Erfahrung, dass sich der Körper als sozialwissenschaftliches Thema einer Fixierung entzieht, indem er immer wieder über sich selbst hinaus auf grundlegende Themen des Sozialen sowie auf „die sozialen Felder, in denen er steht und ,behandelt‘ wird“ (Abraham 2002, 17) verweist. Einher mit der darin zum Tragen kommenden Dialektik des Körpers zwischen Sozialität und Materialität ergeben sich für die empirische Untersuchung des Körperlichen besondere Herausforderungen. Mit dem Ziel, verschiedene Formen von Körperinszenierungen zu nutzen, wurde in der Untersuchung eine Triangulation biografischer Interviews mit fotografischen Selbstporträts vorgenommen. Das damit einhergehende Anliegen einer Perspektivenerweiterung konnte eingelöst werden und zeigte zugleich auf, dass der ergänzende Charakter von Foto- und Interviewanalyse eines Falls gerade nicht in Form inhaltlich gegensätzlicher Befunde besteht.3 Vielmehr ergibt sich dieser durch den jeweiligen mit der Materialität von Bild und Text einhergehenden Symbolismus, welcher auch nach der Versprachlichung der visuellen Wahrnehmung der Fotografien im Textduktus der Ergebnisse aus Bild- und Textanalyse deutlich wurde. Somit sind die Ergebnisse in ihrem jeweiligen Symbolisierungsmodus nicht zu allen Zeitpunkten der Entwicklung und für alle Teile des theoretischen Modells als gleich bedeutsam einzustufen, sondern stehen in einem Ergänzungsverhältnis. Durch die Triangulation zeigte sich zudem, dass die Auseinandersetzung mit visuellem Material die in der Regel ganz auf Sprache bezogenen Denkmuster qualitativer Sozialforschung in Frage stellt. Die Auseinandersetzung mit dem visuellen Material hat im Auswertungsprozess gerade auch den Blick auf die Textanalyse verändert. Beispielsweise führte die im Forschungsprozess aufgekommene Frage danach, ob es überhaupt möglich ist, fotografische Selbstporträts zu analysieren, ohne über nähere Informationen zum ,visuellen Erfahrungshorizont‘ der Person zu verfügen (welche visuelle Sozialisation hat die Person erfahren, mit welchen Bildern ist sie im Alltag konfrontiert?), zu der Erkenntnis, dass diese Fragen im Rah-

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Die im Rahmen von Kolloquien und Forschungsgruppen vorgenommenen Diksussionen über das Bildmaterial führten zu zum Teil faszinierenden Passungen zwischen dem, was die Kolleginnen und Kollegen in einem ersten Eindruck und ohne Hintergrundwissen zu den Fotografien formulierten und was in den Interviewanalysen deutlich wurde.

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men sprachbasierter Textanalyse und dem ,sprachlichen Erfahrungshorizont‘ oft nicht gestellt werden: Bild- und Textanalyse konnten sich demnach im Austausch zwischen Bewährtem und Neuem gegenseitig befruchten. Ferner ergaben sich bei der Erforschung von Körperlichkeit mit einem Fokus auf migrationsgesellschaftliche Zusammenhänge noch einmal spezifische methodische Herausforderungen. Dazu zählt die Frage der Stichprobenzusammensetzung und damit einhergehender vorab vorgenommener Zuschreibungen bei der Suche nach an der Teilnahme interessierter Personen sowie die Frage, wie ich Forschungsmaterial zu dem von mir gesetzten Fokus ,Migration‘ erhalten und analysieren kann, ohne das Thema durch die Forschungssituation selbst in einer spezifischen Weise hervorzurufen und womöglich zu dramatisieren. In Anbetracht der besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit, die dem Thema Körper im Kontext von Migration im Rahmen von Annahmen über Lebenslagen junge Frauen mit Migrationshintergrund geschenkt wird, erschien es mir dennoch ertragreich, eine Fokussierung auf Körperinszenierungen junger Frauen mit Migrationshintergrund durchzuführen.4 Bezogen auf die Interviews wurde bereits in den Gesprächen mit den ersten beiden Untersuchungsteilnehmerinnen deutlich, wie stark und zugleich unterschiedlich die Darstellungen kultureller Bezüge für die eigene Körperlichkeit sein können. Dabei thematisierten Meiling und Nikita beide keine in Deutschland erfahrenen rassistischen oder rassismusrelevanten Zuschreibungen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes. Auch in den folgenden Interviews spielten körperbezogene rassistische Zuschreibungen in den Darstellungen eine untergeordnete Rolle und wurde nur vereinzelt aufgegriffen. Dieser Befund verdichtete sich im weiteren Verlauf zu der Annahme, dass die Nichtthematisierung rassistischer Abwertung für die Frauen eine Form der Normalisierung der eigenen Person mir (und sich selbst) gegenüber darstellt: Die Darstellung der Bedeutungslosigkeit oder Absurdität rassistischer Ausgrenzung von Seiten der beteiligten Frauen bildet demnach eine Möglichkeit, erfahrene Nichtanerkennung abzuwehren und die eigene Verletzlichkeit umzuwenden. Denn nachdem ich mich im weiteren Forschungsverlauf dazu entschied,

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In diesem Zusammenhang sei auf die Möglichkeit verwiesen, den Forschungszugang über einen bestimmten Raum oder eine Situation zu wählen und die darin zum Tragen kommenden Subjektivierungsprozesse zu untersuchen. Aufgrund meines allgemeinen Forschungsinteresses am Verhältnis von Körper und Sozialität im Kontext von Migration hätte die Festlegung eines sozialen Raums wie beispielsweise einer pädagogischen Einrichtung jedoch zu einer Einschränkung meines explorativen Forschungsanliegens geführt. Untersuchungen zu verschiedenen Kontexten könnten an die vorliegende Studie anknüpfen, um den Möglichkeitsraum „Körperlichkeit“ entsprechend weiter auszudefinieren.

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eine direkte Nachfrage zu positiven und negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit körperbezogenen „Imaginationen des prototypischen Mitglieds“ (Mecheril 2003, 157) zu stellen, wurden zum Teil durchaus einschneidende ausgrenzende Erfahrungen genannt. Die Formulierung einer diesbezüglichen Interviewfrage, die zum einen bestehende Zuschreibungen nicht reproduziert und zum anderen der Gesprächssituation angemessen ist, erwies sich dabei als eine besondere Schwierigkeit. Mithilfe einer offen gestellten Frage5 sollten die Frauen die Möglichkeit erhalten, in ihren Ausführungen zu möglichen körperbezogenen Diskriminierungserfahrungen ihre eigenen Worte zu finden. Die Selbstbezeichnungen, die in den Antworten (oder vereinzelt bereits zuvor) gewählt wurden, variirten, hatten jedoch häufig eine naturalisierende Konnotation. So beschrieben sich die beteiligten Frauen etwa als „sichtbare“ (Interview Christiana, 8/36) oder „erkennbare Ausländerin“ (Interview Djalila, 16/35), als eine Person mit „orientalischem“ Aussehen (Interview Mishgan, 15/6) oder als „Schwarzkopf“ (Interview Gia, 20/10). Solche Bezeichnungen müssen dabei – genau wie mein Sprechen auch – im Rahmen generell zur Verfügung stehender Möglichkeiten eines Sprechens über Körper im Kontext von Migration gesehen werden. Ob es sich bei der Verwendung des bestehenden (hegemonialen) Vokabulars um einfache Übernahmen oder aber um Aneignungen beispielsweise in Form einer ironischen Brechung handelt, ist dabei allein an der einzelnen Aussage eines Falls zu klären und lässt sich nicht allgemein beurteilen. Wie können also im Zusammenhang mit Migration stehende soziale Unterscheidungen und mögliche Abwertungen zu einem Thema und somit kritisierbar werden, ohne dass sie reproduziert und auf diese Weise verfestigt werden? Deutlich wird zunächst, dass national, ethnisch und/oder kulturell konnotierte Selbstbeschreibungen der Interviewten nicht einfach durch mich als Forscherin übernommen werden konnten, da sich Bedeutungen des Gesprochenen in ihrem jeweiligen Verwendungszusammenhang wandeln können (vgl. grundlegend dazu Butler 2006). Lässt sich die Aneignung von abwertenden Fremdbeschreibungen durch einige der befragten Frauen auf das Potenzial einer subversiven Verschiebung von

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Die Interviewfrage wurde im Verlauf des jeweiligen Interviews – mit leichten Abwandlungen – folgendermaßen gestellt: „Es gibt ja so bestimmte Vorstellungen davon, wie Menschen aus unterschiedlichen Ländern oder Teilen der Erde aussehen oder wie sie sich verhalten. Hast Du mit solchen Vorstellungen schon einmal positive oder negative Erfahrungen gemacht?“ Mit dieser recht vagen Formulierung sollte zum einen deutlich werden, dass es sich bei solchen Vorstellungen um Zuschreiben handelt, die in sozialen Situationen Wirkungen erziehen können, ohne sie durch die Frage zu legitimieren. Zum anderen sollte den Teilnehmerinnen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Erfahrungen mit solchen Zuschreibungen zu erzählen oder auch darauf zu verzichten.

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zuvor negativ konnotierten Bezeichnungen verstehen (vgl. ebd., 254), so kann dieser Akt durch die wiederholte (Rück)Aneignung durch die Forscherin ihre Kraft verlieren oder sich sogar wieder den vorherigen Bedeutungen nähern. Werden forschende Personen nicht als neutrale ,Sprachrohre‘ (miss)verstanden, die lediglich wiedergeben, was ihnen in Interviews und Gesprächen mitgeteilt wird, muss zwischen nationalen, ethnischen und/oder kulturellen Selbstbeschreibungen und der sozialwissenschaftlichen Beschreibung dieser Beschreibungspraxis deutlich unterschieden werden (vgl. Bommes 1996). Die Frage, ob eine solche Reflexion des eigenen Sprechens in der Forschung (auch) als hegemonialer Akt aufgefasst werden kann, sehe ich dabei wiederum als wichtigen Teil der Auseinandersetzung selbst an.6 Die damit angesprochene Thematik der Sprache und des Sprechens in der empirischen Migrationsforschung ergibt sich wiederum für die Fotoanalyse noch einmal in spezifischer Art und Weise. Denn anders als in der Interviewanalyse wird in der Bildanalyse etwas zur Sprache gebracht, was zuvor in den Fotografien nicht Sprache war (zur Bedeutung der Sprache in der Fotografieanalyse vgl. Kapitel 4.2). Die damit einhergehende Aufgabe, für den oder die Forschende(n), bei der Versprachlichung der Bildwahrnehmung nicht an ein zumindest rassismusrelevantes Sprechen anzuknüpfen, wurde in der Frage nach einer visuellen Migrationsforschung (vgl. Kapitel 6.1) problematisiert: Die Kombination der schrittweisen Kontextualisierung der Bildanalyse mit der Entscheidung, keine phänotypischen Beschreibungen als eine Form des „Unausprechlichen“ (Hirschauer) vorzunehmen, ist als ein Vorschlag zu verstehen, mit dieser Schwierigkeit in der Fotografieanalyse der vorliegenden Studie umzugehen. Dabei wäre zu diskutieren, ob sich diese Überlegungen auch auf andere Untersuchungen mit visuellem Material zu migrationsgesellschaftlichen beziehungsweise interkulturellen Fragestellungen übertragen lassen. Die aufgezeigten forschungspraktischen Herausforderungen einer differenzsensiblen empirischen Forschungspraxis sind dabei nicht nur, aber vielleicht in besonders deutlicher Weise in einer Forschung zu Körper zu finden. Dabei kann das für diese Studie gewählte Forschungsdesign als eine Anregung für weitere Möglichkeiten einer systematischen Erforschung des Körperlichen dienen. Das Interesse am Thema Körper im Kontext von Migration als recht weit gefasster Ausgangspunkt der vorliegenden Studie führte mich immer wieder zu Fragen hinsichtlich der theoretischen Einordnung und damit einhergehenden Ausrichtung der

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Für Überlegungen zu einer empirischen Migrationsforschung vor dem Hintergrund postkolonialer Theorien vgl. Reuter/Terhart 2013; für eine ausführliche Diskussion des hier angeschnittenen Themas der Sprache und des Sprechens im Kontext von Migration vgl. Roth/Terhart/Anastasopoulos 2013.

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Arbeit. Durch die Auseinandersetzung mit dem empirischen Material wurde der Fokus zunehmend auf das Verhältnis von Körper und Sozialität in migrationsgesellschaftlichen Zusammenhängen gelenkt. Als nicht unerheblich für diese theoretisch grundlegende Ausrichtung ist der Befund anzusehen, dass die Überlegungen der gegenwärtigen Körperdebatte bisher noch nicht (hinreichend) in Bezug auf Migration diskutiert wurden. Im Sinne einer „theoretischen Empirie“ (Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008) bildet die Verwobenheit meiner theoretischen (Vor)Annahmen und empirischen Analysen die Grundlage für das entwickelte theoretische Modell begrenzter Reichweite. Durch die Entscheidung, das Modell um die Schlüsselkategorie von Körperlichkeit als Möglichkeitsraum zu strukturieren, wird deutlich, dass die untersuchten Körperinszenierungen junger Frauen im Kontext von Migration nicht nur untereinander divergieren, sondern sich auch zu transformieren scheinen. Dass die Idee eines in sich flexiblen und durch die jeweiligen Dimensionen entstehenden Möglichkeitsraums „Körperlichkeit“ auch in anderen Zusammenhängen in Bezug auf Migration sowie darüber hinaus anwendbar ist, erscheint durchaus möglich, kann aufgrund des Forschungsdesigns jedoch nur als Hypothese formuliert werden. Die das theoretische Modell kennzeichnende Offenheit sollte in diesem Zusammenhang daher nicht als Beliebigkeit missverstanden werden; sie stellt vielmehr eine Option dar, die Komplexität von Körperlichkeit im Kontext von Migration konzeptionell zu fassen. Durch den Bezug auf Sozialität bestand im Forschungsprozess die Möglichkeit, das Thema Körper auf sehr unterschiedliche Weise zu betrachten, wodurch zugleich immer auch mögliche weitere inhaltliche wie methodische Fragestellungen deutlich wurden. Als ein Beispiel ist die Frage nach den Möglichkeiten der Erforschung spürender Leiblichkeit mit den Mitteln qualitativer Sozialforschung zu nennen. Durch das gewählte empirische Vorgehen wurde nämlich deutlich, dass sich die leiblichen Erfahrungen gegenüber den körperlichen Darstellungen in geringerem Maße in den Körperinszenierungen rekonstruieren ließen. Es besteht scheinbar eine besondere Schwierigkeit, leibliches Empfinden in den empirischen Daten intersubjektiv darzustellen und zu rekonstruieren, denn „[d]ie leibliche Dimension unserer Existenz zählt nicht zum Repertoire des Beobachtbaren“ (Meyer-Drawe 2010, 219). Es stellt sich somit die Frage nach empirischen Zugängen, die der Rekonstruktion spürender Leiblichkeit in stärkerem Maße gerecht werden können als dies in dieser Studie der Fall ist. Mit der Überzeugung, dass die wissenschaftliche Erfassung des Eigentlichen, ,Wirklichen‘ eine Illusion darstellt, und im Bewusstsein der Beschränktheit einer jeden Perspektive, kann die Frage nach dem Einfluss von Migration auf Körperlichkeit aus der multiplen Verwobenheit sozialer Differenzsetzungen herausgelöst und in dem Wissen untersucht werden, lediglich einen Ausschnitt erfassen zu können. Dass die gewonnenen Ergebnisse zum Phänomen Migration weder alleinige

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noch allgemeine, unabhängig von anderen sozialen Aspekten bestehende Erklärungskraft für die eigene Körperlichkeit junger Frauen im Kontext von Migration haben, ist selbstverständlich. Die Gefahr der Homogenisierung junger Frauen mit Migrationshintergrund (vgl. Kap. 3) hat sich meines Erachtens in der Studie nicht bestätigt, sondern gerade dazu geführt, zum einen die Vielfältigkeit von Körperlichkeit im Kontext von Migration aufzuzeigen und zum anderen gerade die homogenisierenden Mechanismen zu verdeutlichen, in denen sich die Frauen bewegen und mit denen sie umzugehen gelernt haben. Es geht also nicht darum, festzustellen, wie diese ,Gruppe‘ an sich ist. Die von ihnen möglicherweise geteilten Gemeinsamkeiten beruhen vielmehr auf einem gemeinsamen Erfahrungshorizont als Personen, für die Migration als Erfahrung und Zuschreibung auf je individuelle Weise bedeutsam wird. Mit dem Anspruch, dass „Strukturformeln [...] keinen abschließend-theoretischen, sondern einen aufschließend-exponierenden Wert beanspruchen“ (Plessner 1937, 39) sollten, ist das Modell von Körperlichkeit als Möglichkeitsraum im Kontext von Migration als Anstoß zu verstehen: Zum einen, um in der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Körperdebatte das Bewusstsein für die Bedeutung des Phänomens „Migration“ zu schärfen. Und zum anderen, um in der Migrationsforschung die alltagsweltliche Relevanz des Körperlichen in den Aushandlungen um Vorstellungen nationaler, ethnischer und/oder kultureller Zugehörigkeit(en) systematisch(er) zu berücksichtigen. Die in den Daten sichtbare Vielfalt der sprachlichen und gestisch-mimischen Körperinszenierungen der beteiligten Frauen macht deutlich, dass Körperlichkeit im Kontext von Migration nicht nur als etwas erscheint, auf das die Frauen in ethnisierender Weise zurückgeworfen werden, sondern, dass die eigene Körperlichkeit auch Raum für Ambivalenz und Gestaltung eröffnet.

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Transkriptionsregeln in den zitierten Interviewpassagen

Notation normal kursiv fett

((parasprachlich)) (.) (-), (--) (3) Wortabbr/ schnell=schnell :, ::, ::: * X (Großstadt)

Bedeutung Interviewte Interviewerin Betonung leise gesprochen Hinweis auf parasprachliche Handlungen Mikropause zwischen ein und zwei Sekunden Pause ab drei Sekunden Pause Wortabbruch Schnell hintereinander gesprochene Worte Vokaldehnung Pseudonym Anonymisierung von Orten

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Kultur und soziale Praxis Jens Adam, Asta Vonderau (Hg.) Formationen des Politischen Anthropologie politischer Felder April 2014, 388 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2263-8

Jonas Bens, Susanne Kleinfeld, Karoline Noack (Hg.) Fußball. Macht. Politik. Interdisziplinäre Perspektiven auf Fußball und Gesellschaft Februar 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2558-5

Gesine Drews-Sylla, Renata Makarska (Hg.) Neue alte Rassismen? Differenz und Exklusion in Europa nach 1989 Juli 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2364-2

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Kultur und soziale Praxis Heidrun Friese Grenzen der Gastfreundschaft Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage April 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2447-2

Jörg Gertel, Rachid Ouaissa (Hg.) Urbane Jugendbewegungen Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt März 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2130-3

Tatjana Thelen Care/Sorge Konstruktion, Reproduktion und Auflösung bedeutsamer Bindungen April 2014, ca. 330 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2562-2

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Kultur und soziale Praxis Sonja Buckel »Welcome to Europe« – Die Grenzen des europäischen Migrationsrechts Juridische Auseinandersetzungen um das »Staatsprojekt Europa«

Hannes Schammann Ethnomarketing und Integration Eine kulturwirtschaftliche Perspektive. Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien

September 2013, 372 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2486-1

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Anett Schmitz Transnational leben Bildungserfolgreiche (Spät-)Aussiedler zwischen Deutschland und Russland

Februar 2014, ca. 400 Seiten, kart., ca. 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2661-2

Oktober 2013, 294 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2328-4

Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« (Hg.) Kämpfe um Migrationspolitik Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung

Burkhard Schnepel, Felix Girke, Eva-Maria Knoll (Hg.) Kultur all inclusive Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus

Januar 2014, 304 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2402-1

August 2013, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,90 €, ISBN 978-3-8376-2089-4

Ayla Güler Saied Rap in Deutschland Musik als Interaktionsmedium zwischen Partykultur und urbanen Anerkennungskämpfen Januar 2013, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2251-5

Christa Markom Rassismus aus der Mitte Die soziale Konstruktion der »Anderen« in Österreich Januar 2014, 230 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2634-6

Simon Reitmeier Warum wir mögen, was wir essen Eine Studie zur Sozialisation der Ernährung Mai 2013, 392 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-2335-2

Frank Sowa Indigene Völker in der Weltgesellschaft Die kulturelle Identität der grönländischen Inuit im Spannungsfeld von Natur und Kultur Mai 2014, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2678-0

Wolfgang Stark, David Vossebrecher, Christopher Dell, Holger Schmidhuber (Hg.) Improvisation und Organisation Muster zur Innovation sozialer Systeme Mai 2014, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2611-7

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