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German Pages 272 Year 2014
Florian Kreutzer Ausgänge aus der »Frauen-Falle«?
Band 12
Editorial Die Reihe Critical Media Studies versammelt Arbeiten, die sich mit der Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in ihrer Relevanz für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung beschäftigen. Dies kann sowohl aus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgen, wobei sich deren Verbindung als besonders inspirierend erweist. Das Spektrum der Reihe umfasst aktuelle wie historische Perspektiven, die theoretisch angelegt oder durch eine empirische Herangehensweise fundiert sind. Die Herausgeberinnen orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. So verstandene kritische Kommunikations- und Medienwissenschaft schließt die Analyse der sozialen Praktiken der Menschen, ihrer Kommunikations- und Alltagskulturen ein und fragt danach, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung werden insbesondere Geschlecht, Ethnie, soziale und kulturelle Differenz sowie deren Intersektionalität in den Blick genommen. Die Reihe wird herausgegeben von Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser und Ulla Wischermann.
Florian Kreutzer (Prof. Dr. rer. soc.) ist Professor für Soziologie an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim.
Florian Kreutzer Ausgänge aus der »Frauen-Falle«? Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs (unter Mitarbeit von Maren Albrecht)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Bildzitat aus Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12.09.2010, S. 50, unter Verwendung eines Bildes von Stella / getty images. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2471-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Vorwort ..................................................................................................
7
1. Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs ......................................................................
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1.1 Ausgänge aus der „Frauen-Falle“?.........................................
9
1.2 Das Thema der Vereinbarkeit als bimodaler Interdiskurs .....................................................
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1.3 Die Methode und das Sample: Medienrecherche und Kodierung .........................................
29
1.4 Der theoretische Bezugsrahmen: Das Loch des Möbiusbandes .................................................
37
2. Kampf um Images: Inszenierungen der Vereinbarkeit ............
51
2.1 Die Inszenierung einer Metapher: Der Spiegel-Artikel zur „Frauen-Falle" ..................................
54
2.2 Eine Gegen-Inszenierung im Kampf um Images: Das FAZ-Spezial zur „Frauenfalle“ ........................................
73
2.3 Hinter jedem Bilderverbot erscheint ein neues Bild: Das Zeit-Spezial zum Thema „Was braucht die Familie?“ .......................................................
89
2.4 Eine hegemoniale Inszenierung der Vereinbarkeit: Die Serie „Work-Life-Baby Balance“ der Zeitschrift Eltern................................................................
97
3. Themenfelder und Figuren der Un-Vereinbarkeit ....................
109
3.1 Doppelkörper und Liminalität: Der liminale Doppelkörper als Image Ikon und allegorische Figur der Un-Vereinbarkeit .....................
112
3.2 Die Berufsrückkehr: Der (schnelle) berufliche Wiedereinstieg als Nadelöhr der Vereinbarkeit .............................................
125
3.3 Familien(un)freundlichkeit: Der sozioökonomische und sozialpolitische Kontext der Un-Vereinbarkeit ...............................................
143
3.4 Rollenbilder und Rollenwechsel: Die Polarisierung des Doppelkörpers und dessen diskursive Verschiebungen ............................
175
4. Das Image der Un-Vereinbarkeit im Mediendiskurs ................
213
4.1 Dimensionen des Diskurses der Un-Vereinbarkeit ............
214
4.2 Die Sichtbarmachung des Unsichtbaren ..............................
226
4.3 Das Image als Vorstellungsbild und Leitbild ......................
236
5. Anhang .............................................................................................
249
5.1 Literatur ....................................................................................
249
5.2 Quellen ......................................................................................
261
5.3 Abbildungen.............................................................................
266
5.4 Tabellen .....................................................................................
269
Vorwort Diese Studie ist im Rahmen meines Forschungsprojektes über „Berufsrückkehrende“ entstanden und hat sich dann zu einer eigenen Arbeit verselbstständigt. Wie jede andere wissenschaftliche Arbeit wurde auch diese Arbeit nur durch die Unterstützung vieler Anderer sowie die Diskussionen mit Kollegen und Kolleginnen möglich. Die Wir-Form, die ich in der Studie verwende, erscheint mir daher angemessener als das Ich des Autors, ungeachtet dessen, dass die Verantwortung für den gesamten Inhalt bei mir liegt. An erster Stelle möchte ich die Mitarbeit von Maren Albrecht herausheben, durch deren mehrmonatiges Praktikum an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA) die Recherchen zu dieser Studie erst möglich wurden. Sie hat mich auch als wissenschaftliche Hilfskraft bis zur Fertigstellung der Arbeit wesentlich bei der Organisation, Kodierung und Auswertung des recherchierten Materials unterstützt. Darüber hinaus wurden die Recherchen, Auswertungen und die Redaktion des Layouts von mehreren Praktikanten und Praktikantinnen, studentischen Hilfskräften sowie Assistentinnen unterstützt: Simon Gögelein, Yasmin Schreieck, Jan Grau, Marcel Knapp, Lena Kalienke, Vera Aenis, Stephanie Oechsner, Marieta Slavova und Marina Kanarski sei hier ganz herzlich für ihre Mitarbeit gedankt. Die HdBA hat diese Arbeit sowohl durch ihre Infrastruktur als auch durch die Gewährung eines viermonatigen Forschungs-Freitrimesters ermöglicht. Auch wurden die Druckkosten dieser Studie durch die HdBA finanziert. Besonderer Dank gilt sowohl der Bibliothek und ihrem Leiter, Herrn Jürgen Nürnberger, als auch allen anderen Kollegen und Kolleginnen. Die theoretischen Überlegungen der Studie stehen in einem Kontext, der bis zu meinem Studium in Bielefeld (und der Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns Systemtheorie) zurückreicht und mich seitdem über die in dieser Studie vorgestellte Konzeption nachdenken lässt. Die Formalisierung des Möbiusbandes als ein dialektisches Differenzschema ist dabei zum Leitbild meines Nachdenkens geworden. Das Loch des Möbiusbandes, das die Leerstelle einer dialektischen Phänomenologie bezeichnet, ist zugleich das Guckloch, durch welches in dieser Studie die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf beobachtet, analysiert und reflektiert wird.
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Den Herausgeberinnen der Critical Media Studies möchte ich für die Aufnahme meiner Studie in ihre Reihe und Frau Prof. Dr. Ulla Wischermann für die Betreuung dieser Arbeit seitens der Herausgeberinnen danken. Mannheim, Mai 2013
1. Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs 1.1 Ausgänge aus der „Frauen-Falle“?
Die Titelfrage dieser Studie bezieht sich auf eine zentrale Metapher des Diskurses der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Titelbild zeigt „Die Frauenfalle“ in Wort und Bild und ist als solches (in doppelter Ausführung) in einem FAZ-Spezial zum Thema zu sehen. Es macht deutlich, dass es sich beim Vereinbarkeitsdiskurs in den Printmedien um einen sowohl durch Bilder als auch durch Texte gestalteten Diskurs handelt. Daher lautet die zentrale Frage dieser Studie: Wie wird die UnVereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs der Printmedien inszeniert? Der Begriff der Inszenierung verweist auf das „Doing Images“, also auf den konstruktivistischen Charakter des Diskurses, in dem die Medien als Agenten in einem Kampf um Images wirken.1 Das Image der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in den medialen Aufführungen als bildliche Wahrnehmung und als verbale Kommunikation erzeugt. Der Diskurs konstituiert jedoch kein einheitliches, in sich geschlossenes Image, sondern produziert einen offenen Kampf um Images als einen Kampf um gesellschaftliche Leitbilder. Wir werden in dieser Studie diesen Kampf um Images analysieren und reflektieren: Einerseits anhand von vier Fallstudien, die vier verschiedene prototypische Inszenierungen und (Gegen-)Inszenierungen des Diskurses darstellen. Andererseits anhand von vier Themenfeldern und deren zentralen Figuren der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Begriff des Ausgangs in der Titelfrage verweist auf Immanuel Kants Definition der Aufklärung in seinem Essay zur Frage „Was ist Aufklärung?“ aus dem Jahr 1784: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Die hier vorliegende Diskursanalyse der „Frauen-Falle“ als einer diskursiven Metapher für die UnVereinbarkeit von Familie und Beruf versteht sich als ein Teil der aufklä-
1 Zum Konzept der Inszenierung siehe Willems und Kautt 2003; Willems 2008 a und b. Zur neueren Literatur des „Doing Images“ siehe z.B. die Sammelbesprechung von Hahn 2012 und die dort besprochene Literatur.
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renden Reflexion.2 Seit Platons Höhlengleichnis geht es in dieser Reflexion immer wieder aufs Neue um die Bedingungen der Möglichkeit von Emanzipation und damit von (Höhlen-)Ausgängen.3 Die Studie versteht sich daher als eine kritische Gesellschaftsanalyse, die die Reproduktion der gesellschaftlichen Geschlechterordnung und der sozialen Ungleichheit problematisiert und im Hinblick auf eine Gleichstellung der Geschlechter und deren soziale Anerkennung untersucht. Diese kritische Gesellschaftsanalyse erfolgt im Rahmen einer dialektischen Phänomenologie. Deren Leitbild und Konzeption werden wir im letzten Abschnitt dieses einleitenden Kapitels (1.4) kurz darstellen und im vierten Kapitel im Hinblick auf die empirischen Ergebnisse reflektieren sowie konzeptionell weiterführen. Die dialektische und phänomenologische Konzeption ermöglicht eine Verbindung sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektiven, da die Diskursanalyse in ihr immer angesichts der Reproduktion und Veränderung gesellschaftlicher Ordnungen durchgeführt wird. Folglich geht das Theorieangebot, das in dieser Studie erstmals formuliert wird, über die Medien- und Kommunikationswissenschaften im engeren Sinne hinaus. Die diskursive Metapher der „Frauen-Falle“ soll dementsprechend nicht kritiklos übernommen werden. Sie ist – wie bereits in der Titelfrage geschehen – in Frage zu stellen und zu problematisieren. Dies gilt für die beiden Nomina der Metapher gleichermaßen: Für die Frauen ebenso wie für die Falle. So ist zu fragen: Warum „Frauen-Falle“? Warum nicht: Ausgänge aus der strukturellen Diskriminierung der Frauen? Oder: Ausgänge aus der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Und warum „Frauen-Falle“? Warum nicht Männer-Falle? Oder Geschlechter-Falle? Sowohl der Begriff der Falle als auch deren einseitige Zuschreibung auf Frauen sollen in dieser Studie kritisch betrachtet werden. Im Wesentlichen wurde diese Reflexion durch die dekonstruktivistische Theorie von Judith Butler (1991) angeregt und hat schon zur Ablehnung der Metapher als wissenschaftlichem Begriff geführt. Anstelle der unseres Wissens erstmals von Gudrun Cyprian in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführten Metapher der „Frauen-Falle“ (Cyprian 1996: 73; Mühling et al. 2006: 26), werden heute dafür geschlechtsneutrale Begriffe und Metaphern, insbesondere aber der Terminus der Retraditionalisierungsfalle verwendet (Rüling 2 In dieser Studie werden beide Schreibweisen: „Frauen-Falle“ und „Frauenfalle“ verwendet, da beide Schreibweisen im Diskurs vorkommen. 3 Platons Höhlengleichnis erzählt den Mythos vom Ausgang aus der Scheinwelt der Höhle zur Erkenntnis und vom Scheitern des in die Höhle zurückkehrenden Philosophen und damit vom Scheitern der Aufklärung in der Praxis. Zur Metaphorologie der „Höhlenausgänge“ von Platon bis in die Moderne und deren vielfältigen und komplexen Umbesetzungen und Gegenbesetzungen siehe Blumenberg 1989.
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2007). Nicht-sagbar ist die „Frauen-Falle“ als wissenschaftlicher Begriff, da sie als solcher reifiziert, was sie bezeichnet: D.h. sie verfestigt und vergegenständlicht den bezeichneten Sachverhalt, indem sie ihn als so und nicht anders in der Realität vorhanden darstellt. Denn dadurch, dass wir soziale Sachverhalte benennen, verleihen wir ihnen den normativen Status des für uns in einer bestimmten Art und Weise Vorhandenen und Gegebenen. Es ist jedoch Aufgabe dieser Diskursanalyse, das NichtSagbare ebenso wie das Sagbare, das Nicht-Zeigbare ebenso wie das Zeigbare zu analysieren und zu reflektieren, indem wir die zentralen Unterscheidungen und Begriffe, Metaphern und Bilder des Diskurses mittels deren Re-Konstruktion de-konstruieren.4 Während die „Frauen-Falle“ als eine einseitige Zuschreibung und Geschlechterstereotypisierung im wissenschaftlichen Diskurs zu den nichtsagbaren Metaphern und Begriffen gehört, stellt sie im Mediendiskurs eine umkämpfte (Hintergrund-)Metapher der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf dar. Aufgrund dessen verkörpert die Metapher selbst den zentralen Gegenstand unserer Untersuchung. Dabei geht es uns um eine kritische Analyse der medialen Verwendung der Metapher und nicht um deren begriffliche Aufwertung und sachliche Bestätigung. Mit anderen Worten: Indem wir die „Frauen-Falle“ in dieser Studie zitieren, darstellen, analysieren und reflektieren, re- und dekonstruieren wir sie als eine zentrale Metapher des öffentlichen Diskurses. Re- und De-Konstruktion einer Metapher Gudrun Cyprian hat die Metapher der „Frauenfalle“ zum ersten Mal als asymmetrische Geschlechterfalle auf den Begriff gebracht, indem sie darstellte, warum sich Ehe und Mutterschaft in der Scheidungssituation in der Regel als Frauen-, nicht jedoch als Männer-Fallen erweisen: „Als geschiedene Leute besitzen beide [Männer und Frauen] eine im Zweifelsfall aktenkundige ,Bruch’-Biografie. Nur: Der geschiedene Mann ist stets etwas weniger geschieden als die geschiedene Frau, er ist es weniger lang, und er ist es — zumindest für sein berufliches Umfeld — weniger augenfällig. In der Scheidungssituation erweisen sich Ehe und Mutterschaft als ,Frauenfallen’, die in sie investierte Arbeitskraft wird zur Fehlinvestition. Die Frau hat sich nicht nur persönlich nicht für den ,Richtigen’ entschieden, sondern grundsätzlich auf die falsche Lebensform gesetzt. Im nachhinein er4 Zur Diskursanalyse der Vereinbarkeit und deren Rahmung in einer dialektischen Phänomenologie siehe die Abschnitte 1.2 und 1.4. Zur Diskursanalyse allgemein siehe Keller et al. 2010, Keller 2011 und Jäger 2012 und zur Verbindung von Diskursanalyse, Dekonstruktivismus und Geschlechterforschung siehe Jäger 2010, Villa 2010 sowie Villa und Thiessen 2009.
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scheinen die Ehejahre dann nunmehr als Lücken in der eigenen Erwerbs-, Einkommens-, Renten-, Versicherungsbiographie und als weißer Fleck innerhalb der gesamten individuellen Geschichte von Sozialbeziehungen. Die Frauenwelt ist zerrissen, die Männerwelt Beruf — für den Mann — auch weiterhin in Ordnung. Während der geschiedene Mann also im großen und ganzen so weiterleben kann wie bisher, muss die Frau vor allem nach mehreren Ehejahren zur selben Zeit mehrere Statuspassagen gleichzeitig bewältigen: den Übergang vom finanziell und sozial abhängigen Hausfrauendasein zur alleinstehenden, ganz auf sich selbst gestellten berufstätigen Frau oder von der bis dahin in zufriedenstellenden Verhältnissen lebenden Familienhausfrau zur alleinerziehenden Mutter, häufig der Einstieg in den sozialen Abstieg. Von daher ist es für Frauen riskant geworden, in ihrer Lebensplanung auf eine vermeintlich lebenslange Absicherung als Ehepartnerin und Mutter zu setzen.“ (Cyprian 1996: 73-74)
Dies gilt heute umso mehr, da nach der Reform des Unterhaltsrechts seit 2008 grundsätzlich kein Unterhaltsanspruch mehr für eine(n) geschiedene(n) PartnerIn gegenüber dem ehemaligen Ehepartner bzw. der Ehepartnerin geltend gemacht werden kann. Der/die bisherige FamilienernährerIn muss zwar nach wie vor für die Kinder den Unterhalt finanzieren. Ab dem dritten Lebensjahr der Kinder muss er/sie jedoch keinen Unterhalt mehr für die geschiedene Ehefrau/den Ehemann zahlen, auch wenn diese(r) bisher hauptsächlich für die Familienarbeit Sorge getragen hat. Spätestens in der Situation einer Scheidung ist daher eine Mutter (und sehr viel seltener ein Vater) mit der Doppelbelastung und Doppelrolle konfrontiert. Diese trifft sie umso härter, je weniger sie durch ihren bisherigen Lebenslauf und die in der Ehe praktizierte Arbeitsteilung darauf vorbereitet wurde. Und spätestens in dieser Situation wird dann ggf. sichtbar, was vorher unsichtbar blieb: die Falle der ungleichen Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit. Diese ist dadurch charakterisiert, dass nach der Geburt der Kinder die Frauen in der Regel immer mehr die Familienarbeit übernehmen, während die Männer sich noch mehr als zuvor der Erwerbsarbeit zuwenden.5 Die Metapher der „Frauen-Falle“ erscheint angesichts dessen als geradezu zwingend, evident und plausibel. Demzufolge mutiert sie zu einem diskursiv schwer hintergehbaren Begriff und zu einer geradezu totalitären, da selbsterklärenden und selbstverständlichen Metapher. Die Bezeichnung der von Gudrun Cyprian dargestellten Falle der ungleichen Arbeitsteilung als „Frauen-Falle“ macht diese zu einer Falle der Frauen. Und es liegt dann im Wesentlichen an den Frauen, ob sie in diese Falle tappen oder nicht; denn mit der Metapher der „Frauen-Falle“ wird 5
Siehe dazu z.B. Schulz und Blossfeld 2006.
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ausschließlich den Frauen die Verantwortung für das In-die-Falle-tappen zugeschrieben.6 Aufgrund dieser einseitigen Zuschreibung wird verdeckt, dass es sich um eine Geschlechter-Falle handelt, weil Männer wie Frauen an der Reproduktion dieser Falle beteiligt sind. Zudem verschleiert sie, dass die Geschlechterordnung zu den oben dargestellten ungleichen Bewältigungschancen von Scheidungen führt. Hierbei nimmt vor allem die ungleiche Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen in der modernen Gesellschaft eine herausragende Rolle ein. Durch die Metapher der „Frauen-Falle“ wird invisibilisiert, dass es sich um eine strukturelle Falle handelt, die durch soziale Zwänge, gesellschaftliche Strukturen und soziale Praktiken produziert und reproduziert wird. Die einseitige Attribution von Problemen im Allgemeinen und des Problems der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Besonderen auf Frauen ist ein typisches Merkmal des modernen Geschlechterdiskurses. Sie bezeichnet jedoch weder das wirkliche Problem noch verweist sie auf einen Ausgang, d.h. auf eine Lösung des Problems. Im Gegenteil: Indem die Metapher der „Frauen-Falle“ die Zuschreibung der Problematik der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf Frauen festschreibt, trägt sie eher zur Reproduktion und damit Verfestigung dieser Zuschreibung bei, als dass sie diese im Hinblick auf andere Möglichkeiten der Gestaltung des Geschlechterverhältnisses und der Gesellschaftsordnung öffnet. Deshalb verwenden wir in unserer Studie diese Metapher nicht als wissenschaftlichen Begriff, sondern analysieren und reflektieren deren Verwendung im Diskurs. Die Metapher der „Frauen-Falle“ ist ein zentraler Gegenstand dieser Studie, weil sie eine, wenn nicht die zentrale Metapher des Vereinbarkeitsdiskurses darstellt.7 Dabei setzt die Metapher der „Frauen-Falle“ die Problematik der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Bild, indem sie diese einseitig als eine Problematik der Frauen, nicht der Männer markiert. Die „Falle“ markiert das Loch, die Leerstelle, den Bruch, die Problematik, das Fragezeichen, um das sich der Vereinbarkeitsdiskurs, der immer auch ein Geschlechterdiskurs ist, dreht. Die Fallen-Metaphorik ist sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in den Medien ein Allgemeinplatz, ein Topos. Dieser kommt überall dort zum Zuge, wo etwas zur Falle wird bzw. wo sich in einem Sachverhalt Löcher, Bruch- und 6 Siehe analog dazu z.B. die Artikel von Heike Kahlert (2009) zum „Reproduktionsstreik“ und von Thomas Etzemüller (2009) zu „Frauen als Quell der permanenten demographischen Katastrophe“. 7 Sie ist dies sowohl als eine ausgesprochene Metapher als auch als eine verborgene Hintergrundmetapher, die den Diskurs und das Image der Un-Vereinbarkeit strukturiert.
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Leerstellen, Probleme und Fragezeichen auftun.8 Dabei tritt die Falle in der Moderne an die Stelle des traditionellen Topos der Höhle: Während in Platons Höhlengleichnis der Ausgang aus der Höhle als der Weg zur Erkenntnis erzählt wird,9 gilt es in den modernen Diskursen die Fallen zu vermeiden, in die wir tappen könnten. Während Platons Höhle nicht umgangen werden kann, da wir uns schon immer in der Höhle befinden und in diese zurückkehren müssen, bestehen in der modernen Gesellschaft die diskursiven Ausgänge aus den Fallen in der Vermeidung des In-dieFalle-tappens. Das Argument dieser Studie lautet, dass es sich bei der Unterscheidung zwischen Höhle und Falle nicht einfach nur um eine Differenz zwischen vormoderner Höhle und moderner Falle handelt, sondern um die Differenz zweier Perspektiven, die nach wie vor aktuell sind: Während die (moderne) Semantik der Falle impliziert, dass wir sie hätten vermeiden können, geht die (vormoderne) Semantik der Höhle davon aus, dass wir aus unseren Höhlen nicht herauskommen, ohne jene und damit uns selbst zu verändern. Soziologisch gesprochen steht die Fallenmetaphorik für den Voluntarismus, d.h. die Möglichkeit der freien Wahl unseres Handelns, während der Topos der Höhle für den Strukturalismus steht, der die sozialen Praktiken als strukturell bestimmte und daher als weder leicht noch kurzfristig zu ändernde Tatbestände sieht. Während die Vermeidung einer Lebens-Falle (lediglich) von einer richtigen oder falschen Gestaltungsentscheidung abhängt, ist ein Ausgang aus der Höhle immer (nur) bedingt möglich und bedarf nichts weniger als der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen und des eigenen Selbst.10 Tatsächlich ist es So geht es in den Sozialwissenschaften neben der bereits genannten (Re-)Traditionalisierungsfalle ebenso um Rationalitäts- und Modernisierungsfallen (z.B. Schimank 2011) und in den Medien wie in der weiteren Literatur kann – wie eine Literaturrecherche schnell zeigt – von den Kohlenhydraten über den Immobilienkauf bis zur Karriere grundsätzlich alles zur Falle werden. 9 Zur Metaphorologie der Höhlenausgänge seit Platons Höhlengleichnis siehe Blumenberg 1989. Die Höhle wird in der Genese ihrer Metaphorologie vom unaufgeklärten Lokus der Scheinwelt durch Um- und Gegenbesetzungen mitunter zum Schutzraum als der zentralen Voraussetzung für jegliche Kultur und Erkenntnis. Die Metapher der Höhle verweist dann darauf, dass alle kulturellen Leistungen ebenso wie alle Erkenntnisse auf strukturellen Eingrenzungen im Gegensatz zum offenen, aber auch leeren Raum der unbegrenzten Möglichkeiten beruhen. 10 Bei Gestaltungsentscheidungen handelt es sich um Struktur-Entscheidungen, die das weitere Leben nachhaltig beeinflussen und prägen – wie zum Beispiel die Berufswahl, die Heirat, die Familiengründung und die Berufsrückkehr nach der Elternzeit (Schimank 2005: 28-32). Der Voluntarismus verbündet sich gut und gerne mit Theorien der rationalen Wahl und konstruktivistischen Theorien, da der Konstruktivismus die Kontingenz und damit die Veränderbarkeit sozialer Tatbestände durch rationales
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um ein Vielfaches leichter, eine die Strukturen verändernde (Neujahrs-) Entscheidung zu treffen, als die Gesellschaftsordnung und das eigene Leben dann auch dementsprechend zu verändern. Dass das Eine ohne das Andere jedoch nicht zu haben ist, gerät nicht nur in der öffentlichen Rhetorik und Semantik leicht aus dem Blick. Unser Argument besteht nun darin, dass die (moderne) FallenSemantik eine Rationalitätsfiktion und eine Ideologie der freien Wahl erzeugt. Dabei wird die Fallen-Semantik von der Lebenspraxis immer wieder eingeholt, weil sie in den Strukturen der modernen Gesellschaftsordnung und des modernen Selbst ihre Grenzen findet und sich an diesen zerreibt.11 Daher ist die Metapher der „Frauen-Falle“ keineswegs ein neutraler Begriff, sondern verweist mit der Annahme, dass es eine richtige Gestaltungsentscheidung gibt, die das In-die-Falle-tappen vermeiden würde, immer schon auf einen Ausweg: Das moderne Individuum kann und muss aufgrund seines freien Willens und der freien Wahl seines Lebensmodells nicht nur entscheiden, wie viel oder wie wenig es riskiert, sondern auch, ob es überhaupt in die Falle tappen will. In dieser Semantik bleibt unsichtbar, dass sich dieser Ausweg wiederum in den Höhlen unseres eigenen Lebens und der modernen Gesellschaft ereignet. In diesen tappen wir alle mehr oder weniger im Dunklen, indem wir nach gangbaren Wegen und Ausgängen suchen. Handelt es sich bei den Fallen um die sagbaren und sichtbaren Metaphern des modernen Diskurses, so sind die Höhlen die unsagbaren und unsichtbaren Tropen der Moderne.12 Eine Falle wird dadurch zur Falle, dass wir sie nicht gleich als eine solche erkennen und erfahren. Erst nachdem wir in die Falle getappt Handeln betont. Dabei gerät jedoch regelmäßig die strukturelle Dimension sozialer Konstruktionen in einer sozialen wie diskursiven Ordnung aus dem Blick. 11 Im Vereinbarkeits- und Geschlechterdiskurs steht für die Konstitution von Realitätsfiktionen z.B. der Begriff der rhetorischen Modernisierung (vgl. Wetterer 2002 und 2003). Und für den Prozess des „Einholens durch die Praxis“ findet sich der Gegenbegriff der Retraditionalisierungsfalle (Rüling 2007). 12 Die Höhlen als Orte der Unsichtbarkeit werden als die dunkle Seite der modernen Gesellschaft und ihrer Diskurse in der Literatur sichtbar. So gelangt z.B. Grenouille, der Protagonist in Patrik Süskinds Roman „Das Parfum“, im Zeitalter der Aufklärung in einer Höhle zu der Selbsterkenntnis, dass er, der alles riechen konnte und für den Gerüche alles waren, nach nichts roch (Süskind 1985: 151-157). Und in Wolfgang Herrndorfs Roman „Sand“ steigt das Vergessen der eigenen Identität über das Selbstvergraben im Sand bis in eine Mine/Höhle hinab, um dann am Höhlenausgang mit einer Kugel zwischen den Augen zu enden (Herrndorf 2011). Und in Michael Köhlmeiers Schelmenroman „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ heißt es: „Ich war aus meiner Höhle gekrochen, und sie [die Mutter] war eine Fremde gewesen. Das Menschsein als solches war mir fremd geworden, weil ich mich nicht mehr als Mensch begriff“ (ders. 2013: 16).
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sind, wissen wir, dass es sich um eine Falle gehandelt hat und dass es schwer wird, wieder aus dieser herauszukommen. So schnappt die von Gudrun Cyprian dargestellte „Frauen-Falle“ insbesondere in Situationen zu, in denen die einseitige Orientierung auf Familienarbeit für Frauen zum Problem wird. Aus soziologischen Studien wissen wir, dass das Indie-Falle-tappen kein einmaliger Akt und von daher oft keine bewusste Gestaltungsentscheidung, sondern ein sozialer Prozess ist (z.B. Rüling 2007). Dieser setzt in der Regel nach der Geburt des ersten Kindes ein und verläuft über eine längere Zeit, oft mehrere Jahre. In der Literatur wird dieser Prozess unter anderem mit dem Begriff der Retraditionalisierung der familialen Arbeitsteilung beschrieben: Ein (schleichender) Prozess, in dem die Frauen in der Praxis immer stärker die Familienarbeit übernehmen, während die Männer sich verstärkt dem Beruf zuwenden – auch wenn beide Partner dies ursprünglich ganz anders gestalten wollten.13 Das Dilemma der Un-Sichtbarkeit der „Frauen-Falle“ besteht daher in einer Wechselwirkung von (anfänglicher) Invisibilisierung und (nachträglicher) Visibilisierung der Falle in der subjektiven Wahrnehmung, Erfahrung und Reflexion. Denn obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung statistisch gesehen keineswegs gering ist und auch aus der eigenen Lebenswelt durchaus bekannt sein dürfte, stellt diese Erkenntnis in der Phase der Familiengründung ein Tabu dar, das durch Illusionierung überlagert wird, da die Semantik der (ehelichen) Liebe geradezu ausschließt, dass es einmal ganz anders kommen könnte (Eckert et al. 1989). Aus der Perspektive der Höhle bzw. der Höhlenausgänge sind wir schon immer und immer wieder in unserem Erleben, d.h. in unseren Lebens-, Berufs- und Liebesgeschichten, eingeschlossen. Strategien der Vermeidung stehen uns daher nur noch sehr bedingt zur Verfügung, denn es geht nur noch um eingeschränkte Möglichkeiten der Veränderung.14 Die Metapher der Falle verweist daher immer auf diejenige der
Siehe dazu auch Rüling 2007; Schulz und Blossfeld 2009; Grunow et al. 2007. Diese Problematik des Immer-schon-in-der-Falle-Seins entspricht dem phänomenologischen und anthropologischen Problem der Nicht-Denkbarkeit des eigenen Anfangens und des eigenen Todes, mit der Hans Blumenbergs Höhlenausgänge beginnen: „Paradox ist: Wir wissen, dass wir sterben müssen, aber wir glauben es nicht, weil wir es nicht denken können. Nicht anders und nicht weniger paradox ist, dass wir wissen, angefangen zu haben – weil angefangen worden zu sein –, ohne es glauben – weil nicht denken – zu können“ (Blumenberg 1989: 11; kursiv im Original). Dieses Immerschon-in-der-Falle-des-Lebens-sein lässt sich auf das Immer-schon-in-der-Falle-einerBeziehung-sein übertragen. Das In-die-Fallen-tappen wird dadurch zu einem unsichtbaren Prozess, der sich schon immer vollzogen hat und immer wieder in den vielen Höhlen unserer jeweiligen Biografien und Lebenswelten vollzieht. 13
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Höhle — und umgekehrt. Während die Fallen-Metaphorik die Höhlen, in denen wir leben, sichtbar macht, zeigt uns die Höhlen-Metaphorik, dass es sich bei den Fallen, in die wir tappen, im Grunde um Höhlen handelt. Diese Dialektik der Fallen und ihrer Höhlen werden wir im Abschnitt 4.2 als einen Modus der Sichtbarmachung des Unsichtbaren reflektieren. Aufbau und Ziele der Studie In dieser Studie geht es nicht um Ausgänge, die wir mittels unserer Analysen und Reflexionen finden oder vorschlagen möchten. Stattdessen soll die diskursive Konstruktion der Ausgänge, die wir im Un-Vereinbarkeitsdiskurs der Printmedien vorfinden, analysiert werden. Wir versuchen also keine neuen, bisher unbekannten Auswege aus der „Frauen-Falle“ zu finden, sondern analysieren und reflektieren jene Auswege, die der Mediendiskurs durch seine Inszenierungen der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf herstellt. Dabei betrachten wir den Diskurs aus einer konstruktivistischen Perspektive. D.h. wir gehen davon aus, dass der Diskurs die Gesellschaft nicht einfach abbildet, da er das, was er thematisiert, sagt und zeigt, immer auch selbst herstellt. Und das bedeutet vor allem: Es handelt sich um kontingente Konstruktionen, die nicht notwendigerweise das sind, als was sie uns (auf den ersten Blick) erscheinen – und dies heißt auch, dass sie in anderen Formen und als andere Aussagen hätten produziert werden können. In unseren Analysen geht es sowohl um das formale Wie als auch um das inhaltliche Was der Äußerungen, Aussagen und Bilder des Diskurses. Im Abschnitt 1.2 dieses einleitenden Kapitels soll daher zunächst der empirische Gegenstand unserer Untersuchungen, der Vereinbarkeitsdiskurs in den Printmedien, genauer bestimmt und im Kontext der Literatur zum Mediendiskurs verortet werden. Im Abschnitt 1.3 werden wir unser methodisches Vorgehen darlegen und das der Studie zugrunde liegende Sample beschreiben. Im Abschnitt 1.4 werden wir die dialektische Phänomenologie, die den konzeptionellen Rahmen unserer Analysen bildet, erörtern. Kapitel zwei und drei stellen den empirischen Kern der Studie dar: Im zweiten Kapitel wird der Kampf um Images anhand von vier Inszenierungen veranschaulicht und im dritten Kapitel analysieren wir entlang von vier Themenfeldern die zentralen Figurationen und diskursiven Formationen der Un-Vereinbarkeit. Bei den vier Einzelfallstudien des zweiten Kapitels handelt es sich um komplexe und umfangreiche Bild-Text-Inszenierungen der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch die Analyse dieser Inszenierungen werden die Dynamiken und Positionierungen des Diskurses als ein
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Kampf um Images (d.h. um gesellschaftliche und politische Leitbilder) deutlich: Denn bei den ersten drei Einzelfallstudien handelt es sich jeweils um Gegeninszenierungen zu vorangegangenen Inszenierungen. Die letzte Fallstudie hingegen repräsentiert den hegemonialen Diskurs der Vereinbarkeit, der im Wesentlichen ein Diskurs der Berater und Beraterinnen und damit des Managements der Vereinbarkeit ist. Der erste von uns als Fallbeispiel analysierte Spiegel-Artikel „Die Frauen-Falle“ aus dem Jahr 2006 stellt die „Frauen-Falle“ als einen Widerspruch zwischen aufgeklärtem Bewusstsein und den gesellschaftlichen Strukturen dar.15 Dem aufgeklärten Bewusstsein seien die Gefahren der ungleichen Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit bekannt, weshalb es diese ändern möchte. Eine solche kognitive Erkenntnis stehe jedoch im Kontrast zu den gesellschaftlichen Strukturen: Diese führten nämlich dazu, dass die „Frauen-Falle“ dennoch in der Lebenspraxis der Individuen reproduziert würde. Aus dem resultierenden Widerspruch ergibt sich das zentrale Argument, dass die gesellschaftlichen Strukturen dem aufgeklärten Bewusstsein hinterherhinken. Als eine Gegeninszenierung zum Spiegel-Artikel stellt das FAZ-Spezial aus dem Jahr 2010 die „Frauenfalle“ als ein Produkt der Theorie dar.16 Die „Frauenfalle“ sei ein Konstrukt der (feministischen) Weltanschauung, das es in der Wirklichkeit gar nicht gäbe. Wer von einer „Frauenfalle“ spräche, würde den Frauen ihren freien Willen absprechen und den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen den Geschlechtern ignorieren. Die Praxis setze sich jedoch immer wieder gegenüber falschen Ideologien durch, wie sie insbesondere der Feminismus verbreite. Wo zwei sich streiten, tritt schnell ein Dritter auf, der in diesem Fall ein allgemeines Bilderverbot, d.h. Ideologieverbot, verkündet: Im Reigen unserer Fallbeispiele ist dies ein Zeit-Spezial aus dem Jahr 2011 zum Thema „Was braucht die Familie?“.17 Wir sollten uns kein Bild von der Familie machen, heißt es dort, da uns diese Bilder nur in die Irre führen würden. Das Zeit-Spezial präsentiert dann jedoch selbst ein neoliberales Familienbild als einen Ausweg aus der Un-Vereinbarkeit: Die Familie als Unternehmen und gutes Familien-Management als die Lösung der Vereinbarkeitsproblematik. Angesichts eines Familienbildes, das die Eltern und hier wiederum insbesondere die Mütter als Familienmanagerinnen präsentiert, ist dann der Weg zu den pragmatischen Ratgebern der heuti15 „Die Frauen-Falle“ in: Der Spiegel vom 24.04.2006. Siehe dazu die Einzelfallstudie unter 2.1. 16 „Die Frauenfalle“ in: FAZ vom 02.09.2010. Siehe dazu die Einzelfallstudie unter 2.2. 17 Vgl. das Zeit-Spezial vom 10. Februar 2011 zum Thema: „Was braucht die Familie?“ Siehe dazu die Einzelfallstudie unter 2.3.
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gen Eltern nicht mehr weit: Die Planung und Organisation einer eher frühen als zu späten Berufsrückkehr nach der Elternzeit gilt auch dort als ein Ausweg aus der Un-Vereinbarkeit bzw. als ein gangbarer Weg in die Vereinbarkeit. Als Fallbeispiel für die diskursive Perspektive und Position der Ratgeber analysieren wir eine sechsteilige Artikel-Serie der Zeitschrift Eltern aus den Jahren 2009 bis 2010.18 Durch die Analyse dieser vier prototypischen Inszenierungen wird die Dynamik des Vereinbarkeitsdiskurses als ein Kampf um Images deutlich. Unter Images verstehen wir die den Diskurs bestimmenden Vorstellungsbilder und Leitbilder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.19 Im dritten Kapitel werden wir den Vereinbarkeitsdiskurs systematisch mittels vier Dimensionen in den Blick nehmen, die wir auf der Grundlage unseres empirischen Materials zum Bild-Text-Diskurs der Vereinbarkeit herausgearbeitet haben. Diese vier Themenfelder lauten: 1. 2. 3. 4.
Doppelkörper und Liminalität; Die Berufsrückkehr; Familien(un)freundlichkeit; Rollenbilder und Rollenwechsel.
Die berufstätige Mutter wird in den Medien als liminaler Doppelkörper dargestellt, der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als eine Schwellenerfahrung zwischen zwei Sphären und als eine Grenzsituation zwischen zwei Rollen symbolisiert.20 Die eher frühe als späte Berufsrückkehr nach einer Elternzeit bzw. Familienpause sollte möglichst schnell wieder zu einer vollzeitnahen Beschäftigung führen und dadurch eine Weiterentwicklung im Beruf und eine Karriere ermöglichen. Diese berufliche Reintegration wird in den Medien als zentraler Ausweg aus der „FrauenFalle“ inszeniert. Die Familien(un)freundlichkeit der Gesellschaft stellt im weitesten Sinne den sozioökonomischen und sozialpolitischen Kontext der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf dar: Unter diesem Begriff erörtern wir insbesondere den Bild-Text-Diskurs zur Familien(un)freundlichkeit von Unternehmen, zur Kinderbetreuung und zur Prekarisierung von Familien.21 Dabei wird die Prekarisierung des weiblichen Lebens18 Aus der Zeitschrift Eltern wird die Serie „Job + Kind“ bzw. „Work-Life-Baby-Balance“ aus den Jahren 2009 bis 2010 in der letzten Einzelfallstudie unter 2.4 untersucht. 19 Siehe dazu ausführlich Abschnitt 4.3. 20 Der Begriff der Liminalität bezeichnet in dieser Studie die Schwellenerfahrung beim Übergang und an der Grenze bzw. im Dazwischen der symbolischen Ordnungen (vgl. Waldenfels 1987: 28-31 und ders. 2006: 15-33). 21 Der Begriff der Familien(un)freundlichkeit bezeichnet beides: sowohl die Familienfreundlichkeit als auch die Familienunfreundlichkeit der Gesellschaft.
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laufs in den Medien insbesondere anhand der Figur der Alleinerziehenden thematisiert. Verhindert die Familienunfreundlichkeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so stellt die Familienfreundlichkeit der Gesellschaft einen weiteren Ausweg aus der „Frauen-Falle“ dar. Abschließend geht es um die polaren Rollenbilder der Karrierefrau und der Hausfrau bzw. die Verbindung beider Rollen in der Karrierefrau als Mutter. Ebenso wichtig ist der Rollenwechsel vom traditionellen zum gleichberechtigten Paar, der primär durch die Figur der Neuen Väter in Szene gesetzt wird. Die Verbindung von Karriere- und Hausfrau im liminalen Doppelkörper werden wir bereits in den Fallstudien als eine zentrale Allegorie der Vereinbarkeit, als eine imagebildende Ikone und Figur des Bild-Text-Diskurses der Vereinbarkeit herausarbeiten. Der liminale Doppelkörper dient als eine Allegorie, als eine Personifizierung der Vereinbarkeit in deren bildlichen Darstellungen und markiert als solche zugleich die Bruchstelle und Problematik der „Frauen-Falle“. Dabei zeigt sich, dass die Neuen Väter nicht oder fast gar nicht als liminale Doppelkörper inszeniert werden, wodurch die Falle der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich als eine diskursive „Frauen-Falle“ selbst bestätigt, anstatt zu einer geschlechtsneutralen Vereinbarkeitsfalle zu werden. Das vierte Kapitel wird zum einen die Ergebnisse der empirischen Analysen als Inszenierungen der Vereinbarkeit in den Printmedien resümieren und zum anderen das Bild-Text-Verhältnis im Mediendiskurs sowie in der Konstitution von Images als sozialen Wahrnehmungen reflektieren. Die Fragestellungen des letzten Kapitels lauten daher: Welches sind die zentralen den Diskurs der Vereinbarkeit von Familie und Beruf konstituierenden Dimensionen? Wie verhalten sich die Achsen des Diskurses zueinander und welchen Dynamiken unterliegen sie? Welche gesellschaftlichen Regime bestimmen den Bild-Text-Diskurs der Vereinbarkeit? Können dominante Diskurse von Gegendiskursen unterschieden werden? Welches Regime der Sichtbarkeit zeigt der Bild-Text-Diskurs der Vereinbarkeit? Welches sind die zentralen generativen Mechanismen, Regeln und Operationen des Diskurses? Wie erzeugen diese Regeln und Operationen das, was im Diskurs sichtbar und sagbar ist, ebenso wie das, was un-sichtbar und nicht sagbar ist? Welches Bild der Vereinbarkeit inszeniert der Diskurs und macht er sichtbar, welches unsichtbar? Wie konstituieren sich Images als diskursive Vorstellungs- und Leitbilder? Und wie beobachten wir die Inszenierungen des Images der Un-Vereinbarkeit in unserer Gesellschaft? Ziel dieser Studie ist es, den Bild-Text-Diskurs der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Printmedien darzustellen, zu analysieren und
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zu reflektieren. Dabei geht der Anspruch dieser Studie über die Analyse eines speziellen Diskurses hinaus: Erstens durch neue Erkenntnisse zum Verhältnis von Bildern und Texten (Schrift), von Zeigbarem und Sagbarem, von Wahrnehmung und Kommunikation. Zweitens durch die Verortung dieser neuen Erkenntnisse in einem innovativen theoretischen Bezugsrahmen. Die in den folgenden Abschnitten skizzierte Diskursanalyse im Rahmen einer dialektischen Phänomenologie geht von der Kontingenz und Problematik, den Widersprüchen und Brüchen des BildText-Diskurses der Un-Vereinbarkeit aus.
1.2 Das Thema der Vereinbarkeit als bimodaler Interdiskurs
Diese Studie analysiert den Bild-Text-Diskurs der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Printmedien. Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein zentrales Konfliktfeld der Geschlechter, der sozialen Praxis und der Gesellschaftspolitik. Sie ist als solches ein Konfliktfeld des sozialen und gesellschaftlichen Diskurses auf dessen verschiedensten Ebenen: Sei es auf der Ebene der familialen und beruflichen Interaktionen, der sozioökonomischen und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen oder auf der Ebene der allgemeinen, öffentlichen und medialen Debatten. In dieser Studie werden wir zentrale Muster der Bild-Text-Inszenierungen der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf untersuchen.22 Die empirische Quelle dieser Untersuchung bilden vor allem Artikel der Printmedien, die gleichermaßen Texte wie Bilder enthalten.23 Diese Artikel werden im Kontext ihrer jeweiligen medialen Rahmungen als komplexe bimodale Inszenierungen von Bildern und Texten betrachtet, wobei das Interesse unserer Analysen insbesondere der Inszenierung der UnVereinbarkeit mittels der Bilder und dem Wechselverhältnis der Bilder und Texte gilt.24 Insofern wir eine Gesellschaft sind, „die visuell argumentiert“ (Pörksen 1997: 14), geht es darum, die sowohl bildliche als auch textuelle Diskursivität dieser Inszenierungen in ihren Wechselwirkungen und Dimensionen, Regulierungen und Strukturen darzustellen.
22 Zum Begriff der Inszenierung im Kontext einer Theorie der Theatralisierung der (Medien-)Gesellschaft siehe Willems 2008 a und b sowie Willems und Kautt 2003. Zum Wechselverhältnis von Authentizität und Inszenierung in der medialen Bildproduktion siehe Knieper und Müller 2003. 23 Zur Methode der Medienrecherche, zur Auswertung der Artikel und zu Umfang und Art des Samples siehe ausführlich den Abschnitt 1.3. 24 Zur Multimodalität als eines semantischen Ansatzes zur Analyse von Kommunikationen siehe Kress 2010.
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Der Vereinbarkeitsdiskurs wird in dieser Studie durch drei Fokussierungen eingegrenzt. Erstens durch die Analyse des Diskurses in den überregionalen Printmedien wie Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Zeitschriften im Zeitraum von 2006 bis 2012. Zweitens durch die bildliche Darstellung und das Bild-Text-Verhältnis des Vereinbarkeitsdiskurses in den Printmedien. Drittens durch die Berufsrückkehr als der zentralen Statuspassage und dem zentralen Nadelöhr der Vereinbarkeit. Es handelt sich dabei jeweils um einen Fokus, der den Zeitraum, die Medien und das Thema der Untersuchung spezifiziert und eingrenzt, ohne es vollkommen rigide aus seinem Kontext herauszulösen. Dies gilt insbesondere für den Fokus auf die Berufsrückkehr; denn eine solche kann nur im weiteren Kontext des Vereinbarkeitsdiskurses adäquat erfasst werden, da sie im Mediendiskurs kein eigenständiges Thema darstellt. Ebenso gilt dies für die Fokussierung auf den Bilddiskurs, der ohne den schriftlichen Diskurs und das Bild-Text-Verhältnis nicht sinnvoll rekonstruiert werden kann. Und auch die im Kapitel zum methodischen Vorgehen dargestellte Fokussierung auf ausgewählte Printmedien, die im Wesentlichen pragmatischen Überlegungen und ökonomischen Forschungsvoraussetzungen geschuldet ist, möchte diesen Diskurs immer als Teil eines allgemeinen Mediendiskurses und in dessen weiterem Kontext verstehen. Der zentrale Erkenntnisgewinn dieser Studie beruht auf zwei Grundpfeilern: Einerseits manifestiert er sich in der exemplarischen Darstellung und Analyse der Diskursivität als Kampf des in den komplexen BildText-Inszenierungen jeweils Zeig- und Sagbaren. Andererseits sollen die zentralen Themenfelder und Figuren, Formen und Inhalte des Vereinbarkeitsdiskurses herausgearbeitet werden. Dementsprechend handelt es sich bei unseren Untersuchungen um qualitative Analysen des Vereinbarkeitsdiskurses. Da wir uns trotz systematischer Recherchen auf kein repräsentatives Sample stützen können, sind wir nicht in der Lage, gesicherte Aussagen zur quantitativen Verteilung machen zu können – weder für die herausgearbeiteten Inhalte und diskutierten Formen in den Printmedien noch für die Medien allgemein. Bei allen quantitativen Aussagen handelt es sich daher um hypothetische Aussagen, die wir sowohl aufgrund der Verteilungen in unserem Sample als auch aufgrund der strukturellen Logik des Diskurses annehmen können. Diese Aussagen sind inhaltlich und strukturell gut begründet, lassen sich jedoch nicht im Sinne einer repräsentativen Untersuchung absichern. Dabei ist der Verzicht auf eine repräsentative und quantitative Diskursanalyse nicht nur durch forschungspragmatische und ökonomische Aspekte vorgegeben, sondern auch aufgrund der Problematik der Abgrenzung des Forschungsgegenstandes selbst unvermeidbar. Denn beim Vereinbarkeits-
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diskurs handelt es sich um keinen klar abgegrenzten Diskurs, sondern um einen Interdiskurs zwischen verschiedenen diskursiven Ordnungen mit grundsätzlich offenen diskursiven Rändern. Die Diskursformation der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann deshalb nur über ihren konstitutiven Kern bestimmt werden, während die Ränder grundsätzlich offen bleiben und breite Überschneidungsflächen mit anderen Diskursen bilden. Wie wir den konzeptionellen Kern dieser diskursiven Ordnung definiert haben und welche diskursiven Überschneidungsfelder sich daraus ergeben, legen wir im Abschnitt 1.4 dieses Kapitels dar. Die Berufsrückkehr stellte sowohl bei unseren Recherchen als auch im Prozess der Kodierung und Interpretation des Materials den analytischen Fix- bzw. Fluchtpunkt dar. Es handelt sich dabei um einen Versuch, den Pudding des Vereinbarkeitsdiskurses mittels dieses zentralen Ereignisses an die Wand zu nageln – was sich als ein zum Scheitern verurteilter Versuch herausstellte. Nichtsdestotrotz ergaben sich daraus weiterführende Erkenntnisse. Die Berufsrückkehr markiert als eine zentrale Statuspassage den Übergang zwischen einer Familienphase, die der Erziehung von Kindern oder Pflege von Angehörigen diente, zurück ins Berufs- und Erwerbsleben.25 Sie ist ein Bestandteil des Vereinbarkeitsdiskurses, weil in ihr das Image der Un-Vereinbarkeit besonders fokussiert zum Ausdruck kommt. Denn als ein Konfliktfeld der Geschlechter, der sozialen Praxis und der Gesellschaftspolitik ist die Berufsrückkehr immer auch ein Konfliktfeld von diskursiven Identitäts- und Differenzpolitiken im Alltag. Diese Studie soll auf der einen Seite einen Beitrag an der Schnittstelle zwischen Frauen- und Geschlechterforschung und auf der anderen Seite zwischen Medien- und Diskursforschung leisten.26 Diese Schnittstellen werden hier beobachtet, indem der Diskurs der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf untersucht wird. Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt als solche wiederum eine, wenn nicht die zentrale Schnittstelle dar: An dieser zeigt sich die Geschlechterordnung einer Gesellschaft und es lassen sich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern studieren. Auf der einen Seite wird der soziale Tatbestand der Un-Vereinbarkeit in sehr viel prägnanteren Konzepten 25 Tatsächlich war diese Medienanalyse zunächst ein Teilprojekt eines größeren Projektes zur Berufsrückkehr, das sich dann jedoch verselbstständigt hat. Das Projekt zur Berufsrückkehr, von dem diese Analysen ursprünglich ein Teil waren, basiert im Wesentlichen auf mehr als hundert biografischen Interviews mit Berufsrückkehrenden und wird demnächst vom Autor als eigenständige Studie zur Berufsrückkehr als einer liminalen Statuspassage zwischen Familie und Beruf publiziert. 26 Zu einer geschlechterkritischen Medien- und Diskursforschung siehe Jäger 2010 sowie Röser und Wischermann 2010; zu Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung siehe Maier et al. 2012.
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erfasst: Dazu gehören z.B. die doppelte Vergesellschaftung, die doppelte Sozialisation und der doppelte Lebensentwurf, das doing gender und die Geschlechterkonstruktionen.27 Auf der anderen Seite wird das Konzept der Vereinbarkeit unter anderen Konzepten subsumiert, insbesondere dem der Work-Life-Balance (WLB), aber auch der Gleichstellung und des Gender Mainstreaming,28 in deren Kontext es jedoch als eigenständige Problematik zu verschwinden droht. Der Terminus der WLB (Work-LifeBalance) erfüllt die charakteristischen Merkmale der von Uwe Pörksen analysierten „Plastikwörter“29 wesentlich besser als der Terminus der UnVereinbarkeit, den er ablösen und ersetzen soll.30 Anders als in der „Frauen-Falle“ sehen wir in der „Un-Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf einen legitimen wissenschaftlichen Begriff, den 27 Siehe dazu Becker-Schmidt 2010; Oechsle und Geissler 1998; Keddi 2010; Wetterer 2010; Gildemeister 2010. 28 Siehe dazu Oechsle 2010; Cordes 2010; Stiegler 2010. 29 Unter Plastikwörtern versteht Uwe Pörksen solche Termini der Gebrauchssprache, die diskursiv als Universalschlüssel eingesetzt werden können. Sie sind aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades zwar inhaltsleer, verfügen jedoch zugleich aufgrund eines weiten Hofes von Konnotationen über eine extrem hohe kommunikative Anschlussfähigkeit (ders. 1989). Diese Verwendung der Begrifflichkeit der Work-Life-Balance zeigt sich nicht nur in der Wissenschaftssprache, sondern auch in der allgemeinen Gebrauchssprache. Ein Beispiel dafür findet sich am Titel der von uns in einer Einzelfallstudie analysierten Eltern-Serie: „Work-Life-Baby Balance“ (Abschnitt 2.4), wobei es im Kern um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit der Berufsrückkehr als dem zentralen Ereignis geht. 30 Der Begriff der Vereinbarkeit scheint als Begriff der Geschlechterforschung ausgedient zu haben. Im Handbuch für Frauen- und Geschlechterforschung sind zwar eine große Anzahl von Beiträgen zum Themenfeld der Un-Vereinbarkeit zu finden, jedoch kein einziger Beitrag der diesen Terminus explizit anführen würde (vgl. Becker und Kortendiek 2010). Laut Mechthild Oechsle hat die Verschiebung von der Vereinbarkeit zur Work-Life-Balance (WLB) im Wesentlichen zwei zentrale Implikationen. Erstens: „Der Gegenpol von Arbeit in diesem Konzept ist nicht mehr ,Familie’, sondern ,Leben’; damit werden aktuelle Differenzierungen in den Lebensformen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen aufgegriffen. In den Blick geraten nicht nur Arbeit und Beruf auf der einen und Familie und Partnerschaft auf der anderen Seite, auch Körper und Gesundheit, Freizeit, Hobbys und soziale Beziehungen im persönlichen Umfeld werden als Lebensbereiche thematisiert“. Und zweitens: „Im Unterschied zum Begriff der Vereinbarkeit ist WLB weniger geschlechtlich konnotiert und offener für verschiedene Perspektiven und differente Problemlagen. Als ,dynamischerer, aktiverer und spannungsreicherer Begriff’ (Jurczyk 2005: 110) ist er sicher besser geeignet, die aktuellen Anforderungen auf den Begriff zu bringen“ (Oechsle 2010: 235). Dass wir dies anders sehen, wird in dieser Studie deutlich werden. Dass wir uns damit dem Vorwurf aussetzen, die Un-Vereinbarkeit (wieder) zu einem „Frauenproblem“ zu machen, scheint uns angesichts der tatsächlichen Proportionen der Problematik unvermeidbar. Inwiefern dies auch daran liegen mag, dass diese Studie von einem männlichen Autor verfasst wurde, mögen dann andere entscheiden.
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wir nicht durch den Begriff der Work-Life-Balance oder deren Kürzel ersetzen möchten. Zum einen impliziert die Un-Vereinbarkeit durch das Un- immer auch die Negation der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und zum anderen drückt Vereinbarkeit eine Norm aus, zu deren Erfüllung wir mit dieser Studie beitragen möchten. Dass der Begriff der Vereinbarkeit wiederum stärker weiblich als männlich konnotiert ist, stellt meines Erachtens kein hinreichend starkes Argument dafür dar, „Vereinbarkeit“ durch den Begriff der WLB zu ersetzen, da letzterer das spezifische Problem und damit den Gegenstand unserer Untersuchung unsichtbar macht, indem er die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einer verallgemeinernden Abstraktion auflöst. Die Medien sind in der modernen Gesellschaft der zentrale Ort der Öffentlichkeit: Sie bieten die Bühne für einen „Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft“, „in dem Normen und Werte ausgehandelt, Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben festgelegt sowie Identitäten entworfen werden“ (Klaus und Drücke 2010: 248).31 Diskurse bilden die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern praktizieren eine gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Sie reagieren als ein Teil der Gesellschaft auf den gesellschaftlichen Wandel und prägen ihn zugleich als dessen Agenten.32 So hat Jutta Röser in ihrer Studie über „Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang“ gezeigt, wie sich das Geschlechterbild in Zeitschriften der siebziger und achtziger Jahre veränderte. Zum einen, weil es sich dem allgemeinen sozialen Wandel entsprechend modernisiert hat. Zum anderen hat es sich aber auch dem soziokulturellen und sozioökonomischen Publikum der jeweiligen Zeitschriften entsprechend ausdifferenziert. So unterscheiden sich die Frauenbilder und Vereinbarkeitsdarstellungen in Cosmopolitan als einer Zeitschrift der Oberschicht und Tina als einer Zeitschrift der Unterschicht grundlegend voneinander.33 Die wesentlichen Veränderungen der DarSiehe dazu auch Klaus 1998. Siehe z.B. Lünenborg et al. 2011. 33 Für die Trendzeitschrift Cosmopolitan der Oberschichten gilt: „Die weibliche Berufstätigkeit wird selbstverständlich vorausgesetzt. Mütter, Hausfrauen, BerufsWiedereinsteigerinnen oder teilzeitarbeitende Frauen treten nicht in Erscheinung. Eine Debatte um das Spannungsfeld von Beruf und Familie findet in COSMOPOLITAN nicht statt“ (Röser 1992: 237). „Die Strategie der Zeitschrift lässt sich auf einen Nenner bringen: In einem Balanceakt entwirft COSMOPOLITAN das Bild der ,neuen Frau’ in Abgrenzung von traditionellen Weiblichkeitskonzepten, jedoch ohne Abgrenzung von Männern. Zum zweiten vermeidet die Zeitschrift jede Verbindung von privatem und beruflichem Lebensbereich. Durch die Trennung von ,privater’ und ,beruflicher’ Lebensgestaltung werden Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder allgemeiner, von persönlicher Lebensgestaltung und beruflichen Plänen, ausgespart“ (ebd. S. 255). Für Tina, eine der auflagenstärksten Zeitschriften im unteren Segment, gilt dagegen: „Im Mittelpunkt der TINA-Lebensberatung steht die Ehe- und Familienfrau, andere Lebensformen – zum Beispiel nicht-eheliche, alleinlebende oder alleinerziehen31 32
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stellung des weiblichen Lebenszusammenhangs in den Frauenzeitschriften in den siebziger und achtziger Jahren fasst Jutta Röser wie folgt zusammen: „So unterschiedlich sich die Frauenleitbilder im Einzelnen auch darstellen: Von ,typisch weiblichen’ Eigenschaften im Sinne traditioneller Weiblichkeitsideologie – von Anpassung und Aufopferung, Diplomatie und Passivität, Abhängigkeit und Unselbständigkeit – ist in keiner der untersuchten Zeitschriften mehr die Rede. Keine, auch nicht TINA, erteilt im Sinne des BRIGITTE-Psychologen von 1970 (Ver-)Ratschläge gegen die Interessen der Frau. Alle Zeitschriften sehen die Berufstätigkeit als selbstverständlichen und positiven Bestandteil des weiblichen Lebenszusammenhangs.“ (Röser 1992: 299f.) „Die Fixierung auf Ehe und Familie als Zentrum des weiblichen Lebenszusammenhangs wird Schritt für Schritt zurückgenommen. Zum einen wird ein zweites Standbein, die Berufstätigkeit, zunehmend selbstverständlich in die weibliche Biografie integriert – was zeitweise und in geringerem Ausmaß auch für gesellschaftspolitische Interessen gilt. Zum zweiten relativiert sich der Stellenwert von Ehe und Familie, weil weitere Lebensformen an ihre Seite treten: das nichteheliche Zusammenleben, das kinderlose Paar, die Frau ohne Partner. Der private Lebensbereich und insbesondere Liebesbeziehungen bleiben dabei – wie im wirklichen Leben – ein zentrales Thema, durch die größere Vielfalt akzeptierter Lebensformen werden Frauen jedoch in der konkreten Gestaltung ihres Privatlebens weniger festgelegt und sanktioniert. Im Zuge dieser Modifikation verändern sich auch die erstrebenswerten Eigenschaften und Verhaltensweisen, die für Frauen propagiert werden: An die Stelle des ,Sorgens für die Lieben’ treten die eigenen Interessen und das eigene Glück als Leitlinien des Handelns. Der weibliche Idealcharakter wird in der Konsequenz zunehmend aktiv statt passiv und zunehmend selbstbezogen statt fremdbezogen gezeichnet.“ (Röser 1992: 302f.)
Aufgrund von neueren Studien zur Rezeptionsforschung wissen wir, dass nicht nur die Medien auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren, indem sie ihre eigene Wirklichkeit konstruieren, sondern dass auch die Rezipientinnen und Rezipienten der Medien ihr eigensinniges doing gender betreiben. Letzteres vermag sich durchaus gegenüber den medialen Vorgaben abzugrenzen und bildet sein eigenes Selbstverständnis in einer de Frauen – werden in TINA nicht behandelt. Die Zeitschrift widmet sich den Problemen der Ehefrau – mit dem Mann, dem Haushalt, der Doppelbelastung, den Finanzen – und versucht dabei, möglichst konkrete und pragmatische Ratschläge für ein befriedigenderes Zusammenleben zu erteilen. ,Befriedigend’ im Sinne von TINA sind Verständnis und Partnerschaftlichkeit im Zusammenleben, ohne dass damit eine Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gemeint ist. Die Zuständigkeiten für Haushalt und Kinder einerseits und für den finanziellen Unterhalt der Familie andererseits werden implizit in traditioneller Weise vorausgesetzt“ (ebd. S. 288).
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aktiven Auseinandersetzung mit den medialen Angeboten aus (vgl. Müller 2010; Vennemann und Holtz-Bacha 2011). So stellt Kathrin Friederike Müller in ihrer Studie zur Rezeption der Frauenzeitschrift Brigitte aus der Sicht der Leserinnen fest: „Keine der Befragten übernimmt unreflektiert Rollenmodelle aus dem Inhalt des Mediums oder versucht, die eigene Lebensrealität nach dem Vorbild der Repräsentationen in Brigitte zu entwerfen. Die Rezeption ist stets von Reflexion, Kritik und Auseinandersetzung mit dem Gelesenen gekennzeichnet“ (Müller 2010: 394). In den von Jutta Röser untersuchten Frauenzeitschriften wurde die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ein problemorientiertes und konfliktträchtiges Themenfeld eher ausgeklammert als thematisiert. Dies geschieht im Wesentlichen mittels zweier Strategien bzw. Techniken: Erstens durch „die Präsentation von Themen und Positionen nach dem Konsensprinzip der positiven Perspektive“ und zweitens durch „die Technik der Parzellierung.“34 Mit anderen Worten: Entweder werden Familie und Beruf als zwei separate Themen behandelt — oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird als machbare Lösung, nicht jedoch als unlösbare Problematik dargestellt: „Vermieden werden Widersprüche ferner durch die Technik der Parzellierung, die sicherlich nicht nur für Frauenzeitschriften zutrifft: Die Zeitschriften zerlegen den weiblichen Lebenszusammenhang in einzelne Teile und sprechen die Leserin jeweils in einer bestimmten Eigenschaft oder Rolle an: als Berufstätige, als Modeinteressierte, als Mutter usw. Die einzelnen Bereiche werden durch entsprechende ,Parzellen’, oft in Form von Rubriken, im Inhaltsangebot abgedeckt.“ (Röser 1992: 307)
Am Beispiel von Cosmopolitan wurde deutlich, dass auf diese Weise Spannungsfelder und Widersprüchlichkeiten umgangen werden können. Die Zeitschrift trennt den beruflichen und privaten Lebenszusammenhang von Frauen strikt voneinander ab und vermeidet dadurch ein zentrales Problemfeld: die Ambiguität des weiblichen Lebenszusammenhangs – Kind und Beruf, Partnerschaft und Karriere, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als berufliches (männliches) und familiales (weibliches) Arbeitsvermögen, „private“ Wünsche nach Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Barrieren.
34 „Im Verlauf der Analysen haben sich einige Strategien und Techniken herauskristallisiert, denen die Frauenzeitschriften bei der Selektion und Präsentation ihrer Themen zu folgen scheinen. Schlaglichtartig benannt sind dies: die Egalisierung der Frauen im Rahmen der Zielgruppenorientierung, die Präsentation von Themen und Positionen nach dem Konsensprinzip, das Prinzip der positiven Perspektive sowie die Technik der Parzellierung.“ (Röser 1992: 304; kursiv im Original).
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„TINA geht über eine solche thematische Parzellierung noch hinaus, indem sie einzelnen Lebensbereichen bestimmte Beitragsformen und -funktionen zuordnet: Das Beratungsangebot (Kochen, Kindererziehungstipps usw.) und die Lebenshilfe-Seite beschäftigen sich mit Alltagsproblemen vorwiegend aus dem familiären Kontext. Lebensformen außerhalb von Ehe und Familie verbunden mit Schicksalsschlägen, aber auch mit (sexueller) Leidenschaft und ,Verworfenheit’ werden in sensationsträchtigen Stories und ,wahren Geschichten’ behandelt. Das große Glück schließlich bleibt den Romanfrauen vorbehalten.“ (Röser 1992: 307)
Widersprüchliche Lebenssphären und -verhältnisse werden über die Medien in unterschiedliche Beitragsformen und -rubriken parzelliert. Aus der Perspektive der neueren Rezeptionsforschung führt dies laut Kathrin Friederike Müller dazu, dass den Leserinnen die Widersprüchlichkeit und das Konfliktpotential dieser Lebenssphären verborgen bleiben. Folglich müssen sie diese für ihr eigenes Selbstverständnis weder reflektieren noch verhandeln.35 Unsere Studie bezieht sich nur auf einige wenige Frauenzeitschriften und stellt keine quantitative Medienanalyse dar. Aufgrund dessen können wir die Ergebnisse von Jutta Rösner nur insofern bestätigen, als wir bei unseren Recherchen überrascht waren, wie wenige Artikel explizit die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf thematisieren. Die „Ausbeute“ war sowohl in den von uns untersuchten Frauenzeitschriften als auch in den Printmedien insgesamt sehr gering. Noch stärker als bei den Frauen haben wir die „Technik der Parzellierung“ bei der Darstellung der Neuen Väter als einer medialen Ikone und Figur beobachten können: Die Neuen Väter werden typischerweise als Nur-Väter dargestellt (im Gegensatz zum liminalen Doppelkörper der berufstätigen Mutter). Demzufolge kann die Separation und Segmentierung von Beruf und Familie für die Darstellung der Neuen Väter als konstitutiv gelten. Denn wenn Väter in der Doppelrolle dargestellt werden, dann als Negation derselben, d.h. als Doppelkörper der Unvereinbarkeit. In der wissenschaftlichen Diskussion wird der Begriff der Vereinbarkeit durch die WLB abgelöst – und in gewisser Weise geschieht das auch 35 „Die ,Technik der Parzellierung’ (Röser 1992: 307), die die Redaktionen als journalistische Strategie anwenden, geht also auf: Durch eine Separierung einzelner Lebensbereiche werden Widersprüche vermieden und den Leserinnen unterschiedliche Rezeptionserlebnisse ermöglicht. Dadurch, dass in den Artikeln selbst keine Problematisierung des Spannungsverhältnisses zwischen traditionellen und progressiven Rollenerwartungen vorgenommen wird, müssen es die Leserinnen selbst auch nicht verhandeln. Das journalistische Konzept trägt also zur Harmonisierung widersprüchlicher Lebensverhältnisse bei, indem es suggeriert, eine Integration sei nicht nötig, weil es sich ohnehin um getrennte Sphären handle.“ (Müller 2010: 396)
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der Metapher der „Frauen-Falle“ durch den Begriff der Retraditionalisierungsfalle; wobei wir, wie bereits erörtert, letztere im Gegensatz zum Begriff der WLB nicht nur als legitim, sondern notwendig ansehen. Diese Ablösung kann als eine Neutralisierungsstrategie im wissenschaftlichen Diskurs gesehen werden, die der rhetorischen Strategie von „Plastikwörtern“ (Pörksen 1989) und der Norm der Political Correctness entspricht. Sie wird durch die Gefahr der Reifikation (d.h. der Vergegenständlichung und Versachlichung) und Stereotypisierung begründet und beruht auf den Imperativen einer Geschlechterpolitik im Sinne einer Identitäts- und Anerkennungspolitik. Daher stellt sich die Frage, wie wir uns zwischen der Skylla der Plastikwörter (als inhaltsleere Schlüsselbegriffe) und der Charybdis der Reifikation (als diskriminierende Stereotypisierungen im Sinne einer Vergegenständlichung und Objektivierung des Bezeichneten) bewegen können, ohne an der einen oder anderen Klippe zu scheitern. Wir werden in dieser Studie im Hinblick auf die Verwendung einzelner Begriffe und Metaphern argumentieren, dass das Wie der Verwendung entscheidender ist als das Was. Im letzten Abschnitt 1.4 dieser Einleitung werden wir die Problematik, den Widerspruch, die Bruchstellen zum zentralen Bezugspunkt unserer Analysen und Reflexionen machen. Durch eine Dialektik, die das Loch des Möbiusbandes zu ihrem Fixpunkt erklärt, hoffen wir, uns zwischen der Skylla der amorphen Plastikwörter der Theorie, die wir selbst reichlich verwenden werden, und der Charybdis der Reifikationen, der Naturalisierungen und Festschreibungen, die als solche selbst Gegenstand unserer Untersuchungen sind, bewegen zu können, ohne an der einen oder andere Seite gänzlich zu zerschellen.36
1.3 Die Methode und das Sample: Medienrecherche und Kodierung
In unserer Medienanalyse haben wir nach Artikeln und Bildern in den Printmedien gesucht, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf thematisieren. Dabei haben wir uns auf Artikel konzentriert, die eine (komplexe) Bild-Text-Inszenierung darstellen. Es wurden jedoch auch einige Artikel ohne Bilder und Werbeanzeigen in das Sample aufgenommen. Die Grundproblematik der Recherche bestand darin, dass wir zum 36 Ungeachtet dessen können wir mit Hans Blumenberg davon ausgehen, dass wir uns immer nur zwischen dem Schiffbruch mit Zuschauer und dem Lachen der Thrakerin, die sich über unser Scheitern amüsiert, bewegen können. In Hans Blumenbergs Werk markieren „Das Lachen der Thrakerin“ und der „Schiffbruch mit Zuschauer“ die beiden Positionen im und am Loch: Denn der Philosoph fällt beim Betrachten der Sterne in den Brunnen und macht sich zum Gespött der Zuschauerin (Blumenberg 1979 und 1987).
30 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
einen relativ wenige Artikel fanden, in denen die Vereinbarkeit das explizite Thema darstellte. Zum anderen konnte das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht eindeutig von anderen Themen abgegrenzt werden, so dass es mehr oder weniger implizit in sehr vielen Artikeln auftaucht. Dadurch ergab sich bei unseren Recherchen eine sehr große Spanne zwischen den Artikeln und Bildern, die zum Kern unseres Samples gehören, und jenen, die zum Kontext bzw. den Rändern des Diskurses gehören oder gehören könnten. Wir haben die gesammelten Artikel entsprechend konzentrischer Kreise nach Relevanzen geordnet (siehe Tab. 1). Hierfür wurden drei Kategorien erstellt, wobei Artikel der Kategorien 1 und 2 den Kern des Samples bilden: Es handelt sich dabei um Artikel und Bilder, in denen die Vereinbarkeit eine zentrale Thematik darstellt. Der Kategorie 1 haben wir jene Artikel und Bilder zugeordnet, die wir entsprechend unserer Codierungen als prototypisch definieren konnten. Der Kategorie 2 haben wir Wiederholungen der Artikel (und Bilder) aus der Kategorie 1 zugeordnet, insofern sie zwar eine Variation, aber keinen grundsätzlich neuen Typus bzw. keine grundsätzlich neue Variation darstellen. In Kategorie 3 haben wir alle Artikel und Bilder eingeordnet, die sich an der Grenze des Vereinbarkeitsdiskurses bewegen, jedoch von ihrer Thematik nicht mehr zum unmittelbaren Kern des Vereinbarkeitsdiskurses gehören. Darunter fielen bspw. Artikel zur Kinderbetreuung oder zu familienpolitischen Maßnahmen (z. B. die Frauenquote oder das Betreuungsgeld), in denen u.a. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf thematisiert wurden. Auch hier haben wir nur exemplarisch gesammelt und solche Artikel, die weder inhaltlich noch formal (v.a. bildlich) etwas Neues darstellten, nicht mit aufgenommen. Unser Sample wurde nach qualitativen Kriterien ausgewählt. Demnach handelt es sich um eine konstruierte Stichprobe mit insgesamt drei Relevanzkategorien und der Kategorie „Sonstige“ für alle aussortierten Artikel: 1. Kategorie: Formal und inhaltlich prototypische Artikel und Bilder der Vereinbarkeit inklusive aufschlussreicher Abweichungen und Gegenbilder; 2. Kategorie: Formale und inhaltliche Varianten der unter Kategorie 1 gesammelten Artikel und Bilder, die jedoch im Wesentlichen Wiederholungen des Bekannten darstellen; 3. Kategorie: Artikel und Bilder, die zum weiteren Vereinbarkeitsdiskurs gehören bzw. dessen Grenze markieren; 4. Sonstige: Diese Artikel wurden aussortiert und nicht in die Zählungen aufgenommen.
Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs | 31
Wir haben alle Artikel (und Bilder), die wir in dieser Untersuchung präsentieren und zitieren, aus dem pragmatischen Grund der Übersichtlichkeit in die Kategorie 1 aufgenommen. Manche Artikel und Bilder waren dies von Anfang an, aber durchaus nicht alle: Mit dem fortschreitenden Analyse- und Reflexionsprozess haben Artikel und Bilder immer wieder die Kategorien gewechselt. So ist zum Beispiel der Artikel über Andrea Nahles: „Gefangen im Amt“, der das Beispiel eines Gegenbildes zum Vereinbarkeitsdiskurs darstellt, erst sehr spät in der Auswertungsphase von der Kategorie 3 in die Kategorie 1 gewechselt.37 Insgesamt befinden sich in unserem Sample 690 Artikel, davon 197 in der Kategorie 1 (von denen wir insgesamt 123 in der Studie zitiert und im Quellenverzeichnis im Anhang aufgelistet haben), 205 in der Kategorie 2 und 288 in der Kategorie 3.38
37 Aufschlussreiche Abweichungen und Gegenbilder zur Vereinbarkeit sind als Artikel (Texte und Bilder), welche die Grenze des Vereinbarkeitsdiskurses markieren, aufgrund ihrer konstitutiven Andersartigkeit bzw. Ambivalenz schwer in eine Kategorie einzuordnen. Ein Beispiel für eine solche aufschlussreiche Abweichung bzw. ein Gegenbild stellt der Spiegel-Artikel „Gefangen im Amt“ vom 23.12.2011 über Andrea Nahles dar, der unter der Dimension Rollenbilder in Abschnitt 3.4 analysiert wird. Dieser Artikel thematisiert die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwar nur marginal, das Bild-Argument der Un-Vereinbarkeit wird in diesem Artikel jedoch in einer aufschlussreichen Art und Weise, d.h. in diskriminierender Absicht verwendet. Die Bilderfolge des Artikels markiert für uns daher die Grenze des Vereinbarkeitsdiskurses als eines in sich geschlossenen Diskurses, denn was innerhalb des Diskurses im engeren Sinne nicht oder selten sagbar ist, kann im allgemeinen Mediendiskurs dennoch häufig gezeigt und praktiziert werden. 38 Die 123 zitierten Artikel sind in den 197 Artikel der Kategorie 1 enthalten, so dass die Gesamtzahl der verwendeten Artikel die Summe aus den drei Relevanzkategorien (1, 2 und 3) bildet.
32 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
Tab. 1: Sample: Anzahl der zitierten und verwendeten Artikel Zitierte Artikel Medium BILD-Online Brigitte-Online Der Spiegel Spiegel-Online Die Welt Die Welt-Online Die Zeit Zeit-Magazin Zeit-Online Eltern Emma FAZ FAZ-Online Focus-Online Nido Stern Stern-Online Stuttgarter Zeitung Süddeutsche Zeitung Süddeutsche.de Tagesspiegel Andere Medien Gesamt
1 2 17 7 1 4 7 3 5 16 2 18 5 7 2 1 6
Artikel Kategorie 1 2 2 27 7 6 6 5 7 14 23 4 28 9 14 3 3 8
Artikel Kategorie 2 4 10 17 2 3 21 10 27 21 6 9 12 18 1 6 4
Artikel Kategorie 3 5 10 26 9 7 5 21 3 14 17 5 29 13 32 1 5 6
Gesamt 11 22 70 18 16 32 36 10 55 61 15 66 34 64 5 14 18
2
4
4
4
12
6
13
11
16
40
3
3
8
9
6 5 8
6 6 48
15 11 65
123
197
205
288
690
Die erste Tabelle listet die Artikel auf, die das in dieser Studie verwendete empirische Material beinhalten. Sie zeigt demnach, aus welchem Medium wie viele Artikel stammen: Erstens die Anzahl der in der Studie durch Zitationen und Verweise verwendeten Artikel. Zweitens die Menge der Artikel, die wir insgesamt aus dem jeweiligen Medium einer der drei oben genannten Relevanzkategorien (1, 2 und 3) zugeordnet haben. Wir haben sowohl offen in allen Printmedien als auch systematisch in spezifischen Printmedien recherchiert.39 Dabei fand die Recherche einerseits mittels Durchblättern und Durchsicht von Inhaltsverzeichnissen von Zeitschriften und anderseits mittels Schlagwortsuche online statt.40 Sys39 Nur wenige Artikel stammen aus einer offenen, erratischen Recherche, die meisten wurden durch die systematische Recherche gefunden. 40 Bei der Online-Recherche haben wir insbesondere die folgenden Suchwörter, deren Kombinationen und Varianten verwendet: Vereinbarkeit, Berufsrückkehr, Wiedereinstieg,
Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs | 33
tematisch wurden z.B. folgende Zeitungen und Zeitschriften durchsucht: Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung und die RheinNeckar-Zeitung. Neben Tageszeitungen wurden aber auch Zeitschriften wie Spiegel, Stern, Freundin, Focus, Emma, Bild, Baby & Co, Brigitte, Eltern und Eltern family durchforstet. Die Spiegel-, Emma-, und Freundin-Artikel wurden aus Online-Archiven für Zeitschriften entnommen. Unsere Auswahl kann damit weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Repräsentativität erheben. Dies wäre nur mit einer systematischen Untersuchung aller Zeitungen und Zeitschriften über einen größeren Zeitraum hinweg möglich. Zudem ist durch die Konzentration auf überregionale Tageszeitungen die diskursbestimmende Position der oberen Mittelschicht und Oberschicht überrepräsentiert. Bei den Zeitschriften im Allgemeinen und den Frauenzeitschriften im Besonderen wurde dagegen stärker in den von einer breiten Mittelschicht rezipierten Zeitschriften recherchiert (z.B. Spiegel, Brigitte etc.). Deutlich unterrepräsentiert sind Zeitungen und Zeitschriften, die von den unteren Schichten gekauft und gelesen werden, da diese für uns nur schwer zugänglich waren, zumal sie auch in städtischen Bibliotheken nur eingeschränkt bis gar nicht vorhanden sind bzw. archiviert werden (z.B. Bild der Frau, Tina etc.). Die zweite Tabelle vermittelt einen Überblick darüber, in welchen Medien mittels welcher Methoden und über welche Zeiträume nach Artikeln gesucht wurde. Dabei haben wir nicht alle Medien aufgeführt, in denen wir recherchiert haben, sondern nur die für diese Studie zentralen Medien. In der Regel haben wir eine systematische Suche über bestimmte Zeiträume hinweg mit einer Online-Recherche und Schlagwortsuche über sehr viel umfassendere Zeiträume hinweg kombiniert. Ebenso haben wir diese systematischen Recherchen mit Stichproben aus verschiedenen Medien und erratischen Recherchen kombiniert. Diese Recherchemethoden gewährleisten zwar keinerlei Repräsentativität, ermöglichten es uns jedoch, ein möglichst breites Spektrum an Medien und Artikeln zu sichten. Wir haben die Artikel und Bilder kodiert, dimensioniert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
beruflicher Wiedereinstieg, Babypause, Beruf, Familie, Gleichstellung, Gleichberechtigung, Karrierefrau, Hausfrau, Neue Väter, Alleinerziehende, Prekarität, Familienfreundlichkeit, Kinderbetreuung, Elternzeit, erwerbstätige Mütter, Karriere und Kind, etc.
34 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
Tab. 2: Medienrecherche: Medium, Zeiträume, Methode Medium
Recherchemethode
Baby & Co.
Systematische Suche (12/2010 - 01/2011)
BILD-Online
Schlagwortsuche
Brigitte/Brigitte-Online
Systematische Suche (12/2010 - 01/2011); Schlagwortsuche
Die Welt/Welt-Online
Systematische Suche (05/2011 – 07/2011 und 10/2012 - 12/2012); Schlagwortsuche
Die Zeit/Zeit-Online
Systematische Suche (12/2010 - 01/2011, 10/2011 - 12/2011 und 10/2012 - 12/2012); Schlagwortsuche
Eltern
Systematische Suche (01/2009 - 01/2013)
Eltern family
Systematische Suche (1982 - 2011); Schlagwortsuche
Emma
Erratische Suche; Schlagwortsuche
Emotion
Systematische Suche (12/2010 - 01/2011);
FAZ/FAZ-Online
Systematische Suche (12/2010 - 01/2011 und 10/2012 – 01/2013); Schlagwortsuche
Focus/Focus-Online
Schlagwortsuche
Nido
Systematische Suche (12/2010- 01/2011)
Rhein-Neckar-Zeitung
Systematische Suche (12/2010 - 01/2011); Schlagwortsuche
Der Spiegel/
Systematische Suche (03.07.2011 - 21.08-2011
Spiegel-Online
und 01/2012 – 12/2012); Schlagwortsuche (2000 – 2011)
Sonntag Aktuell
Systematische Suche (09/2011 – 10/2011 und 12/2011)
Stern/Stern-Online
Schlagwortsuche
Stuttgarter Zeitung
Systematische Suche (09/2011, 12/2011 und 10/2012 - 12/2012)
Süddeutsche Zeitung/
Systematische Suche (12/2011 - 01/2012
Süddeutsche.de
und 10/2012 - 12/2012); Schlagwortsuche
TAZ-Online
Schlagwortsuche
Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs | 35
Tab. 3: Artikel der vier Fallstudien des zweiten Kapitels Medium
Recherchemethode
Der Spiegel
Die Frauen-Falle
Artikel der Titelgeschichte, des Spezials, der Serie
(24.04.2006)
-Ich bin Deutschland, Titelbild -Lächelnd beim Tischgebet, S. 22-30 -Reibung schafft auch Wärme, S. 31-32 -Die Frauen-Falle, S. 34-45
FAZ-Spezial
Die Frauenfalle
(12.09.2010)
-Mutter oder Manager, S. 49 -Die Frauenfalle, S. 49-50 -Der Weg zur Selbstverwirklichung: Starke Frauen ohne Job, S. 50 -Golfen, reiten, Gutes tun, S. 51 -Selbstständig, ein Sohn, kein Mann, S. 52 -Teilzeit, zwei Kinder, ein Mann, S. 52 -Ein Job, zwei Kinder, ein Mann, ein Ehrenamt, S. 52 -Hausfrau, vier Kinder, ein Mann, S. 53 -Ein Vorstandsposten, ein Kind, ein Mann, S. 53 -Ein Führungsposten, ein Kind, ein Hund, S. 53 -Die Zeit arbeitet für die Frauen, S. 54
Zeit-Spezial
Was braucht
-Mit der großen Gießkanne, S. 21
(10.02.2011)
die Familie?
-Zwischen Liebe und Propaganda, S. 22 -Jeden Monat Kassensturz, S. 23
Eltern
Serie Job + Kind:
(10/2009 – 3/2010)
Work-Life-BabyBalance 1:14.10.2009
1:Vor dem Ausstieg, S. 55-65
2:11.11.2009
2:Elternzeit, S. 117-125
3:16.12.2009
3:Kinderbetreuung, S. 88-95
4:20.01.2010
4:Die Rückkehr: Da bin ich wieder!, S. 67-73
5:10.02.2010
5:Der neue Alltag, S. 91-97
6:24.03.2010
6:Durchstarten, S. 131-138
36 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
Die Kodierung und Dimensionierung erfolgte sowohl top-down als auch bottom-up vom empirischen Material ausgehend. Die vier achsialen Kodierungen folgen den Dimensionen: Beruf, Familie, Gleichstellung, Prekarisierung und werden im Abschnitt 1.4 im Rahmen der theoretischen Konzeption dieser Studie erörtert. Die Konfrontation dieses theoretischen Differenzschemas mit dem empirischen Material wurde im dritten Kapitel zu einer systematischen Ordnung nach vier Themenfeldern (mit deren jeweiligen Unterthemen und spezifischen Figurationen) überführt: 1. Der liminale Doppelkörper der berufstätigen Mutter als Allegorie der Vereinbarkeit; 2. Die Berufsrückkehr als Nadelöhr der Vereinbarkeit; 3. Die Familien(un)freundlichkeit der Gesellschaft; 4. Rollenbilder und Rollenwechsel von Karrierefrauen, Hausfrauen und Neuen Vätern. Die vier im ersten Teil der empirischen Untersuchungen analysierten Fallbeispiele wurden als prototypische Inszenierungen des Diskurses der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Printmedien ausgewählt. Bei der Auswahl war einerseits die thematische und formale Prototypik dieser Inszenierungen entscheidend und andererseits die Varianz und Zentralität der Publikationsorte für die politische Öffentlichkeit der BRD (Spiegel, FAZ und Die Zeit). Auch wenn der jeweilige Publikationsort der vier Fallbeispiele keineswegs zufällig ist, muss hier zugleich betont werden, dass die Fallbeispiele nicht unbedingt als repräsentativ für das jeweilige Medium, d.h. den Spiegel, die FAZ und Die Zeit, angesehen werden können. Darüber hinaus stellen die ersten drei Fallbeispiele einen Diskurs von Gegen-Inszenierungen dar, indem sich die nachfolgenden auf die vorhergehenden Aufführungen beziehen. Beim letzten Beispiel handelt es sich sowohl hinsichtlich des Publikationsortes als auch der Gattung um eine kontrastive Inszenierung zu den ersten drei Fallbeispielen: Das letzte Fallbeispiel besteht aus einer Serie von Artikeln der Zeitschrift Eltern, die den Modus des Ratgebers mit der Form einer Reportage verbinden. Einen Überblick über die Artikel der vier Fallstudien, die ausführlich im zweiten Kapitel dieser Arbeit dargestellt werden, bietet die dritte Tabelle. Fassen wir zusammen: Unsere Medienrecherche, Selektion und Auswertung der gefundenen Materialien orientiert sich an den Methoden der qualitativen Sozialforschung.41 Das kontrastive Sampling war uns da41 Zur Forschungspraxis der visuellen Medien- und Kommunikationsforschung siehe Lobinger 2012; zur Medieninhaltsforschung siehe Bonfadelli 2002; zur qualitativen Bildanalyse siehe Bohnsack 2011 sowie Friedrich und Schweppenhäuser 2010.
Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs | 37
her wichtiger als eine quantitative Stichprobenanalyse. Die Ordnung nach Relevanzkategorien wurde durch inhaltliche und formale Kodierungen ergänzt. Letztere wiederum bildeten die Grundlage für die Erarbeitung der vier Themenfelder des Vereinbarkeitsdiskurses. Detaillierte Inhaltsanalysen und Interpretationen der Artikel und Bilder erfolgten parallel zu den Prozessen der kategorialen Ordnung, Kodierung und Dimensionierung. Das Ziel dieser qualitativen Verfahren sind keine quantitativen Aussagen, sondern die Herausarbeitung von diskursiven Formationen und Figurationen, sowie deren Mechanismen, Regeln und Operationen. In unserem Falle beziehen sie sich auf die Bild-TextInszenierung des Vereinbarkeitsdiskurses. Diese diskursiven Formationen und Regeln stellen selbst eine analytische Wertung dar und implizieren quantitative Verteilungen. Hypothesen zu solchen Quantitätsanalysen können wir jedoch nur aufgrund dieser diskursiven Muster formulieren. Denn unser gesamtes Selektionsverfahren zielte auf die Herausarbeitung dieser Muster ab und ist dadurch systematisch verzerrt. Umso notwendiger erscheint es, diese Verengung der Perspektive in den Analysen immer wieder mit den Ergebnissen der quantitativen Medienforschung zu ergänzen. Durch ein solches Vorgehen kann dann aus der thematischen Verengung wiederum die Hypothese einer Umkehrung der allgemeinen Repräsentationsverhältnisse in diesem Spezialdiskurs gewonnen und formuliert werden. Denn im allgemeinen Mediendiskurs sind Karrierefrauen deutlich unterrepräsentiert und werden im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen oft geschlechtsspezifisch dargestellt.42 Im Kontext des Vereinbarkeitsdiskurses hingegen avanciert die berufstätige Mutter und insbesondere die Karrierefrau, die auch noch Mutter ist, zu einem der zentralen Leitbilder des Diskurses.
1.4 Der theoretische Bezugsrahmen: Das Loch des Möbiusbandes
Diese Studie analysiert die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus der Perspektive des bildlichen und textlichen Diskurses in den Printmedien. Den theoretischen Rahmen dieser Diskursanalyse bildet eine dialektische Phänomenologie, deren wesentliche Grundlagen wir in diesem Abschnitt im Hinblick auf den zu untersuchenden Vereinbarkeitsdiskurs darstellen werden. Wir möchten damit sowohl an die Ansätze einer soziologischen Phänomenologie als auch an Überlegungen von Ferdinand Fellmann
42 Zur ungleichen Repräsentativität und zu abweichenden Darstellungsformen im Gendering von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation siehe Lünenborg und Röser 2012.
38 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
zur Weiterentwicklung der Phänomenologie als einer allgemeinen Theorie der Medien anknüpfen.43 Dabei erfolgt die Argumentation in drei Schritten. In einem ersten Schritt präsentieren wir das Möbiusband als das Leitbild einer dialektischen Phänomenologie. Als solches stellt es ein Gegenbild zur Coleman´schen Badewanne als dem Leitbild des methodischen Individualismus dar.44 Den Kampf um Images, den wir anhand der Deutungskämpfe um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf untersuchen, werden wir auf der theoretischen Ebene als eine Debatte um wissenschaftliche Leitbilder führen. Dabei handelt es sich um komplementäre Leitbilder, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern wechselseitig befruchten sollten. In einem zweiten Schritt werden wir mittels dieses Leitbildes einer dialektischen Phänomenologie ein Differenzschema präsentieren, das die Wechselbeziehung zwischen Bildern und Texten im Vereinbarkeitsdiskurs als eine Wechselbeziehung zwischen Wahrnehmung und Kommunikation sowie zwischen Identität und Differenz formalisiert. Diese Wechselbeziehungen liegen dem Verhältnis zwischen bildlichen und verbalen Aussagen sowie zwischen (Nicht-)Sagbarem und (Nicht-) Zeigbarem zugrunde. Dabei wird es nicht nur um formale Aspekte des Verhältnisses von Identitäts- und Differenzlogiken gehen, sondern insbesondere auch um die Analyse inhaltlicher Identitäts- und Differenzierungspolitiken. Im dritten und letzten Schritt werden wir daher das Differenzschema präsentieren, dass der inhaltlichen Analyse des Vereinbarkeitsdiskurses zugrunde liegt. Dieses Differenzschema reflektiert die Wechselwirkung zwischen den zwei zentralen Achsen des Diskurses, der Achse der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und derjenigen der Un-Gleichheit. Diese Achsen werden wir wiederum mittels der Dimensionen der Gleichstellung (bzw. Anerkennung) zum einen und der Prekarisierung (bzw. Diskriminierung) zum anderen kennzeichnen.
43 Zum Ansatz einer soziologischen Phänomenologie bis hin zu deren Verbindungen zur Wissenssoziologie siehe Fischer 2012 und zur Weiterentwicklung der Phänomenologie zu einer allgemeinen Theorie der Medien siehe Fellmann 2006: 151-181. 44 Die Colemann´sche Badewanne stellt das Grundmodell der Theorie der Rationalen Wahl und der Werterwartungstheorie von Hartmut Esser dar (vgl. Coleman 1990; Esser 2000). Sie erklärt soziale Strukturen und deren Veränderung als Aggregate des individuellen Handelns. Anstatt einer Wechselwirkung von Strukturen und Handeln modelliert sie einen Kausalnexus von Struktur I zu individuellem Handeln (Definition der Situation, Interessen und Präferenzen der Akteure, Auswahl der Handlungen) zu Struktur II. Hierbei stellt das individuelle Handeln den Boden und die Strukturen I und II die beiden Ränder der „Badewanne“ dar.
Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs | 39
Ausgangspunkt der theoretischen, formalen und inhaltlichen Reflexion wird jedoch immer das Loch des Möbiusbandes sein. Es fungiert als Leerstelle und Guckloch, durch welches die Problematik, Kontingenz und Widersprüchlichkeit des zu untersuchenden Sachverhaltes sichtbar wird. Das Möbiusband als Leitbild einer dialektischen Phänomenologie Das Konzept einer dialektischen Phänomenologie soll hier mittels des Möbiusbandes veranschaulicht werden. Denn ohne Leitbilder würden wir wohl nie zum Begreifen und ohne Metaphern nicht von den Begriffen zurück zur Anschauung gelangen. Tatsächlich ist ein enges Wechselverhältnis von Metapher und Begriff, Theorie und Anschauung für die Wissenschaft insgesamt und für deren Begriffsbildung im Besonderen konstitutiv, weil das Eine ohne das Andere nicht zu haben ist (vgl. Blumenberg 1960/1997, 2007; Pörksen 1997). Der wissenschaftliche Diskurs ist daher wie jeder andere Diskurs immer auch ein Kampf um Images. Das Möbiusband stellt die Form des Kreises als eine Endlosschleife von zwei fließend ineinander übergehenden Seiten dar. Wir können ein solches Band herstellen, indem wir das eine Ende eines längeren Papierstreifens um 180 Grad drehen und dann die beiden Enden miteinander verkleben. Fahren wir mit dem Finger an den Seiten des Bandes entlang, so wechseln wir ohne Unterbrechung zwischen Innen- und Außenseite (Abb. 1). Dieser fließende Übergang steht für die Wechselwirkung zwischen den Dimensionen und Dynamiken, die ein Phänomen konstituieren. Die Dialektik ist eine Methode, welche die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen und den Dynamiken ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses rückt und diese in besonderer Weise zu reflektieren vermag. Das Zentrum des Möbiusbandes ist jedoch nicht das Band selbst, sondern dessen Loch. Dieses ist damit zugleich das reflexive Guckloch der dialektischen Methode. Folglich symbolisiert das Möbiusband die Wechselwirkungen der Dimensionen und Dynamiken des Gegenstandes. Im Gegensatz hierzu markiert das Loch des Bandes die Problematik des zu untersuchenden Sachverhaltes, dessen Widersprüche und Differenzen, Bruchstellen und Unvereinbarkeiten. Wie die Spitze einer Nadel einen aufgeblasenen Ballon zum Platzen bringt, so stellt das Loch die Endlosschleifen des Möbiusbandes als fließend ineinander übergehende Wechselwirkungen in Frage: So verweist das Loch auf die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf und stellt damit die Vereinbarkeit in Frage. Die in dieser Studie verwendete phänomenologische Dialektik versteht sich als eine sowohl kritische als auch offene, da sowohl problem-
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als auch gegenstandsbezogene Dialektik. Kritisch ist diese Dialektik dann, wenn sie von der Problematik, dem Widerspruch und der Unvereinbarkeit ausgeht (Adorno 1958/2010, 1966/2000). Die entscheidende Methodik dieser dialektischen Phänomenologie besteht in der Beobachtung, Analyse und Reflexion eines Sachverhaltes im Kontext eines Differenzschemas. Letzteres legt die entscheidenden Dimensionen und Dynamiken des jeweiligen Phänomens, Gegenstandes bzw. Falles offen. So lauten die zentralen Fragestellungen hinsichtlich einer in diesem Bezugsrahmen durchzuführenden Diskursanalyse: Wie konstituieren sich Diskurse als eine soziale Praxis? Wie unterscheiden sie sich von anderen sozialen Praktiken? Und wie interagieren sie mit diesen Praktiken? Wie wird die soziale Praxis des Diskurses durch seine sozialen und gesellschaftlichen Kontexte bedingt und geprägt? Diese sehr allgemeinen Fragen werden wir nicht ausführlich behandeln können, da dies den Rahmen des vorliegenden Buches überschreiten würde. Wir haben sie jedoch gestellt, da sie die allgemeine Problematik der Diskursanalyse und damit das Loch des Möbiusbandes als ein reflexives Guckloch markieren. Denn durch Letzteres beobachten wir Diskurse im Allgemeinen und den Vereinbarkeitsdiskurs im Besonderen als das uns interessierende Phänomen.
Abb. 1: Das Möbiusband als Leitbild einer dialektischen Phänomenologie
Markiert die in der jeweiligen Fragestellung spezifizierte Problematik das Loch des Möbiusbandes, so konstituiert sich dieses Loch erst aufgrund der Endlosschleifen des Bandes. Diese Endlosschleifen können wir als ein Differenzschema formalisieren: Wir kennzeichnen die den Gegenstand
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konstituierenden Dimensionen dann als die sich wechselseitig bedingenden Pole. Dies geschieht, indem wir sie in eine Matrix eintragen, die sich um die zentrale Problematik gruppiert. Die allgemeine Problematik der Diskurse als einer sozialen Praxis konstituiert sich aufgrund des Wechselverhältnisses von Theorie und Empirie einerseits sowie von Handlungen und Strukturen andererseits (siehe Abb. 1). Obwohl von einem Wechselverhältnis zwischen allen Dimensionen auszugehen ist, bezeichnen die diagonal gegenüberstehenden Dimensionen die jeweils zentralen, dichotomen Achsen des Differenzschemas. Die dichotome Achse von Theorie und Empirie entspricht der phänomenologischen Perspektive. Denn sie verweist sowohl auf die phänomenologische Intentionalität „etwas als etwas“ zu betrachten als auch auf deren Imperativ „Zurück zu den Sachen“. Hierbei verlangt die Intentionalität „etwas als etwas“ zu betrachten die theoretische und methodische Rückführung des Was auf das Wie. Denn was sich zeigt, lässt sich darauf zurückführen, wie es sich zeigt. Demgegenüber fordert der phänomenologische Imperativ „Zurück zu den Sachen“, dass diese Rückführung nicht von der Theorie, sondern von den jeweiligen sozialen Sachverhalten aus zu leisten ist (Waldenfels 1992: 19 u. 30). Während die Diskursanalyse uns sagt, wie diskursive Praktiken zu untersuchen sind, können wir aus deren Analyse wiederum Neues über die Theorie und Methode der Diskursanalyse lernen. Die soziologische Achse des Differenzschemas konstituiert sich aufgrund der Dimensionen, die Voraussetzung für jede soziologische Problematik sind: Denn jede soziologische Problem- und Fragestellung betrachtet in der einen oder anderen Weise die Wechselwirkung zwischen Handlungen und Strukturen (vgl. Schimank 2000). Ein formalisiertes Möbius-band kann und sollte im Sinne einer Doppelhelix auch immer als dynamisch angesehen werden. Zudem stellt es die soziologische Problematik eines Sachverhaltes als Wechselwirkung von den diskursbegründenden Äußerungen und deren Strukturen dar. In unserer Untersuchung entsprechen die Artikel, Texte und Bilder unseres Samples den Äußerungen des Diskurses. Die Strukturen dieser diskursiven Praktiken bilden die von uns analysierten Themenfelder und Figuren, diskursiven Mechanismen und Formationen in einem Kampf um Images. Dabei handelt es sich sowohl beim Möbiusband als auch bei der Doppelhelix um abstrakte Modelle, die weder den Forschungsprozess noch die Realität abbilden. Kann das Modell der Coleman´schen Badewanne als das Grundmodell der Theorie der Rationalen Wahl angesehen werden (vgl. Esser 2000), so stellt das Möbiusband den Visiotyp der dialektischen
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Phänomenologie dar (vgl. Pörksen 1997).45 Im Gegensatz zum methodischen Individualismus geht das dialektische Analyseschema von einer Wechselwirkung von Handlung und Struktur, Theorie und Empirie aus – ohne hinsichtlich der einen oder anderen Seite zu asymmetrisieren. Dabei markiert das Loch des Möbiusbandes als Leerstelle die Kontingenz und Problematik des zu untersuchenden Sachverhaltes, da es die Offenheit und Brüchigkeit des Möbiusbandes symbolisiert. Während die Schleifen des Bandes für die Wechselwirkungen der Differenzen stehen, mittels derer und in deren Kontext wir einen Gegenstand systematisch beobachten und analysieren, öffnet uns das Loch als Guckloch den Blick auf die Problematik und Widersprüche zwischen diesen verschiedenen Dimensionen und Dynamiken. Fassen wir unsere Darstellung des Möbiusbandes als Leitbild einer dialektischen Phänomenologie zusammen: Im Zentrum des dialektischen Differenzschemas stehen die Kontingenz und die Problematik des Sachverhalts, wobei diese zugleich das Erkenntnisinteresse der Untersuchung markieren. Jedoch erhält jenes Inhalt und Form erst durch die den Gegenstand konstituierenden Differenzen, Dimensionen und Dynamiken. Denn das Differenzschema wird erzeugt durch die Wechselwirkungen der sich einander bedingenden und widersprechenden Dimensionen. Dabei handelt es sich sowohl hinsichtlich der Problematik als auch bezüglich der Dimensionen um eine grundsätzlich offene und variable FallKonstruktion. Die Entfaltung dieses zwei-, vier- bzw. mehrdimensionalen Differenzschemas ermöglicht meines Erachtens die denkbar einfachste Formalisierung einer empirisch fundierten (negativen) Dialektik ohne Dogma (Adorno 1966; Havemann 1964). Negativ ist diese Dialektik, insofern sie die Problematik und somit die Kontingenz, den Widerspruch und die Kritik ins Zentrum der Untersuchung rückt. Gleichzeitig verweigert sie sich einem allgemeinen Dogma, da sich die Reflexion des zu untersuchenden Gegenstandes nicht aus einem bereits bestehenden Schema ableiten sollte. Stattdessen wird das für die jeweilige Problematik und deren Sachverhalt relevante Schema erst aufgrund der empirischen Untersuchung, Analyse und theoretischen Reflexion entwickelt. Das formale Differenzschema des Bild-Text-Diskurses Die Diskursanalyse untersucht, was in einer Gesellschaft sagbar ist und was nicht. Speziell auf unsere Bild-Text-Analyse des Vereinbarkeitsdis45 Zum Möbiusband als einer Metapher für „strange loops“ und „tangled hierarchies“ der Selbstreferenz in den verschiedensten Feldern der Künste, Wissenschaften und Kybernetik siehe Hofstadter 1979.
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kurses bezogen geht es um das, was in den deutschen Printmedien zur Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf (nicht) sag- und zeigbar ist.46 Am Ende von Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus heißt es: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (Wittgenstein 1922/1984: 7). Aber wovon wir nicht sprechen können, das können wir, wenn es sich als etwas von anderem unterscheidet,47 zeigen bzw. sichtbar-machen, so dass es beobachtbar wird. Das Zeigen von Bildern wird so zu einer eigenen Sprache jenseits der verbalen Sprache. Diese Bilder-Sprache bricht wiederum das Schweigen, indem sie das, was wir verstehen können, durch das, was wir sichtbar machen, vertieft und erweitert. Die Diskursanalyse als eine Bild-Text-Analyse bewegt sich zwischen dem (Nicht-)Sagbaren und dem (Nicht-)Zeigbaren, den Worten und den Bildern, der Kommunikation und der Wahrnehmung, indem es um das Wechselverhältnis dieser beiden Sprachen geht (Abb. 2).48 Dabei gehen beide Sprachen ungeachtet ihrer konstitutiven Differenz und differenten Logik wie die Schleifen des Möbiusbandes in die jeweils andere über: So wird aus dem Zeigbaren, indem es durch Unterscheidungen beobachtbar wird, mehr als einfach nur etwas Sichtbares, und aus dem Sagbaren wird, indem es sich als sichtbares Bild zeigt, mehr als nur etwas durch das schriftlich Gesagte zu Verstehendes.49 Das Zeigen im Sinne des SichtbarMachens und die Wahrnehmung eines Bildes werden so zur Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation. Diese sich bedingende Wechsel46 Zur Bild-Diskurs-Analyse siehe Maasen et al. 2006: 7-26. Nicht die Sichtbarkeit, sondern das Sichtbar-Machen und damit das Zeigen stellt die spezifische Logik der Bilder dar (vgl. Boehm 2010; Rajchman 2000). Diese Studie ist zu verorten im weiteren Kontext der Medien- und Bildwissenschaften (Sachs-Hombach 2003, 2004, 2005, 2009), der Kultursoziologie (Prinz und Reckwitz 2012), der Diskursanalyse (Keller 2011; Jäger 2012) und der „Visuellen Wissenssoziologie“ (Raab 2008). 47 Etwas als etwas unterscheiden bzw. etwas als etwas wahrnehmen, kommunizieren, beobachten im Sinne der phänomenologischen Intentionalität (vgl. Waldenfels 1992 und 2006: 34ff.). 48 So heißt es bei Foucault, eine der Funktionen des Kalligramms, d.h. des Figurengedichts, sei es „den Dingen die Falle eines zweifachen Zeichensystems zu stellen“: „So möchte das Kalligramm die ältesten Gegensätze unserer alphabetischen Zivilisation überspielen: zeigen und nennen; abbilden und sagen; reproduzieren und artikulieren; nachahmen und bezeichnen; schauen und lesen“ (Foucault 1997: 12f.). 49 Wir verwenden den Beobachtungbegriff in der Logik von George Spencer-Brown (2010), die unter Beobachtung eine Operation versteht, die durch Unterscheidung („Draw a distinction“) eine von zwei Seiten markiert. Erst indem die beiden Seiten des Unterscheidungszeichens von Spencer-Brown im Gezeigten sichtbar werden, wird die Unterscheidung der inneren, markierten von der äußeren, nicht markierten Seite einsehbar. Zur Wechselwirkung von Bild und Welt, Sehen und Sprechen als zwei Sprachen, mit denen wir uns die Welt erschließen siehe Berger et al. 2002 sowie Sturken und Cartwright 2001.
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wirkung von Wahrnehmung und Kommunikation bildet die Grundlage allen sozialen Handelns. Darüber hinaus stellt sie als das jeweils Sagbare und Zeigbare die zentrale Unterscheidung und Wechselwirkung des Bild-Text-Diskurses dar. Die Unterscheidung von Kommunikation und Wahrnehmung kann daher nicht einfach als eine Unterscheidung von Sagen und Zeigen definiert werden. Das Bilder-Zeigen ist immer zugleich Wahrnehmung und Kommunikation, d.h. ein Sehen und Verstehen des Bildes. Und auch umgekehrt gilt: Keine Kommunikation ist ohne Wahrnehmungen möglich. In unserem Differenzschema des Bild-Text-Diskurses ist das Zeigen des Sichtbaren daher immer beides: Es ist Wahrnehmung im Sinne des Sichtbar-Machens von etwas im Bilde und es ist Kommunikation im Sinne des etwas Verstehbar-Machens. Damit soll keineswegs eine Symmetrie zwischen den beiden Polen behauptet werden. Das Zeigen ist vor allem ein Sichtbar-Machen von etwas in Bildern und basiert damit auf der besonderen Identitätslogik der Wahrnehmung. Die verbale Sprache, die Schrift und der Text sind das zentrale Medium der Reflexion und des Verstehens und basieren daher auf der Differenzlogik der Kommunikation. Doch diese Polarisierung ist keineswegs absolut und die Übergänge sind wie die Schleifen des Möbiusbandes fließender Art.
Abb. 2: Das formale Differenzschema des Bild-Text-Diskurses
Während die Kommunikation sich aufgrund einer Differenzlogik konstituiert, basieren Wahrnehmungen auf einer Identitätslogik. Identität und Differenz sind daher die beiden anderen Pole unseres Differenzschemas
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(Abb. 2).50 Auch hier handelt es sich um keine absolute, sondern eine relationale Unterscheidung und Polarisierung. So entspricht die Wahrnehmung als eine in sich differenzierte Identität eher Georg Friedrich Hegels Identität von Identität und Nicht-Identität. Demgegenüber ist die Kommunikation aufgrund ihrer Kontingenz und Arbitrarität eher Niklas Luhmanns Differenz von Identität und Differenz gleichzusetzen.51 Das derart voneinander Unterschiedene tritt jedoch wieder auf der anderen Seite der Unterscheidung auf, so wie die eine Seite des Möbiusbandes in die andere übergeht.52 Ebenso wie Wahrnehmungen und Kommunikationen bedingen sich auch deren konstitutive Logiken wechselseitig. Folglich gehen wir zwar von grundsätzlichen Differenzen aus, schätzen diese jedoch keineswegs als absolut ein. Wir sehen sie – der Metapher des Möbiusbandes entsprechend – in einem sich wechselseitig bedingenden Verhältnis zueinander: Markiert das Loch des Möbiusbandes die Differenzlogik im Sinne der Kontingenz und Offenheit der sozialen Situation im Allgemeinen und der diskursiven Praktiken im Besonderen, so markieren die Schleifen des Bandes die Identitätslogik im Sinne einer wechselseitigen Konstitution des derart Unterschiedenen. Der Bild-Text-Diskurs bewegt sich daher im Dazwischen von Kommunikation und Wahrnehmung, von Identität und Differenz. Durch die vorangegangenen Erörterungen sollte deutlich geworden sein, dass Bilder und Texte nicht einfach der einen oder der anderen Dimension der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit zugeordnet werden können. Die untersuchten Bild-Text-Verhältnisse konstituieren sich mittels der ihnen zugrunde liegenden Wechselwirkungen von Kommunikation und Wahrnehmung, Identität und Differenz. Die Problematik des (bildlichen) Sichtbar-Machens besteht in der Reifikation, Ontologisierung und Naturalisierung des derart Gezeigten,53 während die Reflexivität der (bildli50 Dabei geht es uns immer um die Bewegung zwischen diesen Polen sowie um die diskursiven Verschiebungen, die dieses Oszillieren im Dazwischen produziert. Diese Bewegung an den Bruchstellen der Unterscheidungen entspricht m.E. dem, was Derrida mit dem Begriff der „différance“ als einer Bewegung zwischen Sinnlichem und Intelligiblem etc. zum Ausdruck bringt (Derrida 1972; 1983/1967; 1985/1967). 51 Zu Hegels spekulativer Grundfigur siehe Schnädelbach 2008: 14 ff.; zu Niklas Luhmanns systemtheoretischer Gegenfigur siehe Luhmann 1984: 26. Vergleiche dies auch mit Michel Foucaults Diktum: „Mittels der Gleichheit wird sichtbar gemacht, durch den Unterschied hindurch wird gesprochen“ (1997: 25). 52 Vergleiche dazu auch George Spencer-Browns Figur des re-entry (ders. 2004). 53 „Die Sichtbarkeit ist eine Falle“, lautet Foucaults Diktum zu dieser Problematik (1995: 257). Das Panoptikum ist das Modell einer solchen Falle, indem es als eine moderne Sehmaschine und Symbol der modernen Sichtbarkeit den permanenten Beobachterblick gegenüber den Subjekten zu institutionalisieren und in die Subjekte zu inkorporieren vermag (siehe Maasen et al. 2006: 13f.).
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chen) Sprache im Beobachtbar-Machen von Alterität, Kontingenz und Arbitrarität liegt. Die Asymmetrie zwischen der Ontologisierung des Zeigbaren und der Reflexivität des Sagbaren kennzeichnet den Logozentrismus der europäischen Aufklärung bis heute. Unsere Studie wird sich ungeachtet ihres Themas in diesen Logozentrismus einschreiben. Wir untersuchen in unseren Bild-Text-Analysen die Wechselwirkung und das Überkreuzen von Worten und Bildern, d.h. von Wahrnehmungen und Kommunikationen sowie von Zeigbarem und Sagbarem. Dadurch wird die visuelle Bedingtheit dieses Logozentrismus beobachtbar, analysierbar und reflektierbar. Unsere allgemeinen Problem- und Fragestellungen zum Wechselverhältnis der Bilder und geschriebenen Texte in den diskursiven Aussagen der Printmedien lauten demnach: Wie tragen die Bilder dazu bei, dass aus einem Text eine Inszenierung wird? Wie verändert der bimodale Charakter der Inszenierung die Aussage des Artikels? Was zeigen die Bilder auf welche Art und Weise im Verhältnis zu den Texten? Und was sagen die Texte auf welche Art und Weise im Verhältnis zu den Bildern aus? Das inhaltliche Differenzschema der Un-Vereinbarkeit Im Vereinbarkeitsdiskurs steht die Berufsrückkehr für einen Ausgang aus der „Frauen-Falle“ und eine geglückte Vereinbarkeit. Die Metapher der „Frauen-Falle“ kennzeichnet als einseitige Geschlechterfalle das Loch des Möbiusbandes. Dieses Loch markiert im Kontext der Bild-Text-Diskurse die allgemeine Problematik des Wechselverhältnisses von Zeigbarem und Sagbarem sowie von Identität und Differenz. Bei jedem Bild-Text-Diskurs handelt es sich dennoch um eine bimodale Inszenierung54 von etwas, d.h. einer mehr oder weniger spezifischen Thematik. Schon Friedrich Schiller betrachtete im Jahr 1784 die Schaubühne als eine moralische Anstalt der bürgerlichen Gesellschaft. Daraus lässt sich ableiten, dass dem Konzept der Theatralisierung der Gesellschaft zufolge die (Print-)Medien zur Bühne der modernen Gesellschaft geworden sind.55 Bei diesen Inszenierungen handelt es sich um keine Abbildungen der Wirklichkeit, sondern um soziale Konstruktionen in einem Kampf um Images und Argumente. Letztere wiederum stehen im Kontext umfassender diskursiver Identitäts- und Differenzpolitiken. Dabei gilt das be-
54 Zum Begriff der Inszenierung im Kontext einer dramaturgischen Soziologie siehe das Werk von Erwing Goffman (z.B. 1959/1983) und zum Konzept der Bi- bzw. Multimodalität siehe Kress 2010 sowie Kress und van Leeuwen 1996. 55 Zum Konzept der Theatralisierung der Gesellschaft durch die Massenmedien siehe Willems 2008 a und b sowie Willems und Kautt 2003.
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reits zitierte Diktum von Uwe Pörksen: „Wir sind eine Gesellschaft, die visuell argumentiert“ (ders. 1997: 14). Handelt es sich in Diskursen um Kämpfe der Umverteilung und Anerkennung, so müssen diese mittels der Durchsetzung einer diskursiven Ordnung erreicht werden.56 Diese diskursiven Ordnungen sind – in Anlehnung an Alfred Schütz – Ordnungen des sinnhaften Aufbaus der sozialen Welt (ders. 1932/1981). Wurde dieser sinnhafte Aufbau der sozialen Welt in der Regel eher linguistisch fundiert und logozentrisch verstanden, so rücken heute immer stärker wahrnehmungs- und emotionstheoretische Ansätze in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dies gilt sowohl für die verschiedenen praxistheoretischen Ansätze, welche die materialen, körperlichen und sensorischen Praktiken betonen, als auch für medientheoretische Ansätze. Unter dem Vorzeichen eines iconic oder pictorial turn machen sie das Zeigen und die Sichtbarkeit von Bildern als einen eigenen Weltzugang und eine eigenständige Kategorie der Ordnungsbildung fruchtbar.57 Dementsprechend liegt der Fokus unserer Analysen auf den Bildern und dem Bild-Text-Verhältnis als komplexen Aufführungen, in denen die jeweiligen diskursiven Ordnungen in Szene gesetzt werden. Inhaltlich bewegt sich diese Studie an der Schnittstelle von zwei für die moderne Gesellschaft zentralen Diskursen: Es ist dies die Schnittstelle des Geschlechterdiskurses zum einen und des Un-Gleichheitsdiskurses zum anderen.58 Mit anderen Worten: Der Vereinbarkeitsdiskurs bildet einen Interdiskurs an der Schnittstelle des Geschlechterdiskurses und des Diskurses der sozialen Un-Gleichheit. Daher haben wir die erste Achse der inhaltlichen Dimensionierung einerseits mit den Begriffen der Gleichstellung und Anerkennung als den Leitwerten des Geschlechterdiskurses und andererseits mit den Begriffen der Prekarisierung und Diskriminierung als zwei zentralen Reflexionsbegriffen der sozialen Ungleichheit gekennzeichnet (Abb. 3). Die zweite Achse des Differenzschemas haben wir mit den beiden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf konstituierenden Begriffen bezeichnet. Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Un-Gleichheit der Geschlechter stellen demnach die beiden Achsen des inhaltlichen Differenzschemas dieser Studie dar. 56 Siehe dazu die Kontroverse zum Thema: „Umverteilung und Anerkennung“, zwischen Nancy Fraser und Axel Honneth (2003). 57 Siehe zu praxistheoretischen Ansätzen Reckwitz 2000 und zum iconic turn z.B. Mitchel 2005 sowie Maar und Burda 2004. 58 In der wissenschaftlichen Literatur wird diese Schnittstelle mit dem Begriff der Intersektionalität und der Metapher der Überkreuzungen als Achsen der Ungleichheit und anderer Differenzen bezeichnet (Winker und Degele 2009; Knapp und Wetterer 2003; Klinger und Knapp 2007 und 2008).
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Die Achse der Un-Gleichheit markiert entlang der Dimensionen der Anerkennung und Gleichstellung die Gleichheit zwischen den Geschlechtern; entlang der Dimensionen der Prekarisierung und Diskriminierung dagegen deren ungleiche Lebenschancen: Während der Begriff der Anerkennung die politische und soziale Herstellung von Chancengleichheit, Gleichberechtigung und Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zum Ausdruck bringt, bezeichnet der Prekarisierungs-Begriff die Gefährdungen und Unsicherheiten des sozialen Status. Letzteres wird durch soziale Ungleichheiten und eine ungleiche Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern erzeugt. Die Inszenierung der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfolgt also zwischen den Werten der Gleichstellung auf der einen Seite und den Gefahren der Prekarisierung auf der anderen Seite.
Abb. 3: Das Inhaltliche Differenzschema der (Un-)Vereinbarkeit
Dieses Differenzschema ist ein Instrument, ein Objektiv, mittels dessen wir den Bild-Text-Diskurs zur Vereinbarkeit wie durch ein Guckloch in den Blick nehmen können. Unter der Annahme, dass sich alle vier Dimensionen wechselseitig bedingen, entsprechen die jeweils diagonal zueinander stehenden Dimensionen der Un-Vereinbarkeit und der UnGleichheit den beiden Meta-Achsen des Diskurses. Handelt es sich bei den Unterscheidungen von Familie und Beruf sowie Gleichstellung und Prekarisierung um eine erste Unterscheidung jener Meta-Differenz, so wird der Diskurs sich selbst im Dazwischen vollziehen, d.h. in den Bruchstellen und Widersprüchen dieser Differenzen. Das Differenzschema bildet daher keinen deduktiven Ordnungsrahmen zur Analyse des Diskurses, sondern einen offenen Bezugsrahmen zur Verortung des Diskurses.
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Die Konzeption einer dialektischen Phänomenologie soll nun abschließend zusammengefasst werden. Die Rahmenbedingungen unserer Studie setzen sich wie folgt zusammen: aus einem theoretischen Rahmen für ein dialektisches Differenzschema sowie aus einem formalen und aus einem inhaltlichen Rahmen für zwei heuristische Differenzschemata. Den allgemeinen theoretischen Rahmen bildet das Differenzschema einer dialektischen Phänomenologie, dessen reflexiver Ausgangspunkt das Loch des Möbiusbandes darstellt. In Bezug auf unsere Analyse des Vereinbarkeitsdiskurses wurde die phänomenologische Achse des dialektischen Differenzschemas durch die Wechselwirkung zwischen Theorie (Diskursanalyse) und Empirie (diskursive Praktiken) markiert. Währenddessen unterscheidet die soziologische Achse des Differenzschemas die Wechselwirkungen zwischen den Äußerungen (Artikel, Texte und Bilder) als diskursiven Praktiken und den Strukturen (Themenfelder, Aussagen, Figuren, Formationen und Regulierungsmechanismen), in denen und durch die sich diese Praktiken ereignen. Den formalen Rahmen bildet ein heuristisches Differenzschema, das zwischen Wahrnehmungen und Kommunikationen sowie zwischen Identität und Differenz unterscheidet. Erstere können als die beiden formalen Operationen der Repräsentation verstanden werden. Letztere fungieren als die beiden das Wechselverhältnis von Wahrnehmungen und Kommunikationen reflektierenden Logiken. Dabei geht es uns in Bezug auf unsere Analyse des Bild-Text-Verhältnisses im Vereinbarkeitsdiskurs um das Wechselverhältnis von (Nicht-)Sagbarem und (Nicht-)Zeigbarem zum einen und das darauf basierende Verhältnis von Identitäts- und Differenzpolitiken zum anderen. Den inhaltlichen Rahmen unserer Studie bildet ein weiteres heuristisches Differenzschema, welches sich durch die Achse der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf einerseits und die Achse der Un-Gleichheit (der Geschlechter) andererseits konstituiert. Dabei wird die Achse der Ungleichheit wiederum mittels der polaren Begriffe der Gleichstellung (bzw. der Anerkennung) und der Prekarisierung (bzw. der Diskriminierung) gekennzeichnet. Wie bereits erwähnt, bilden diese drei Differenzschemata den allgemeinen theoretischen, formalen und inhaltlichen Bezugsrahmen unserer Studie. Dabei ist unschwer zu erkennen, dass die empirischen Analysen sich nicht linear mittels dieser Differenzschemata strukturieren lassen. Denn jene können nur als allgemeine heuristische Rahmungen der Einzelanalysen dienen. Erst im letzten Kapitel werden dann die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen des Vereinbarkeitsdiskurses in Bezug auf die hier vorgestellten drei zentralen Differenzschemata umfassend reflektiert.
2. Kampf um Images: Inszenierungen der Vereinbarkeit In diesem Kapitel werden wir den Bild-Text-Diskurs der Vereinbarkeit von Familie und Beruf anhand von vier Fallstudien analysieren. Dabei handelt es sich um umfangreiche und komplexe Bild-Text-Inszenierungen, die ein Ensemble bzw. eine Serie von Artikeln umfassen.1 Wir haben diese Aufführungen sowohl wegen ihres prototypischen Charakters als auch wegen ihrer Relevanz im Kontext des Diskurses ausgewählt. Anhand der ersten drei Fallstudien wird die Reflexivität des Diskurses deutlich, da es sich bei den Artikeln der zweiten und dritten Fallstudie um Gegeninszenierungen und Reaktionen im Hinblick auf die vorangehenden Artikel handelt. In den ersten beiden Fallstudien analysieren wir zwei zentrale Inszenierungen der „Frauen-Falle“ in den Printmedien und vergleichen sie miteinander: Es handelt sich dabei um den Spiegel-Artikel „Die Frauen-Falle“ (2006, 11 Seiten) und ein Spezial im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit dem Titel „Die Frauenfalle“ (2010, 6 Seiten). Den Spiegel-Artikel und das FAZ-Spezial haben wir nicht nur wegen des zentralen Schlagwortes im Titel ausgewählt. Für unsere exemplarische Analyse sind insbesondere der relative Umfang, die hervorgehobene Position und die Komplexität der Thematisierung in den beiden Medien relevant. Darüber hinaus handelt es sich um zwei mediale Erscheinungen zur Un-Vereinbarkeit. Interessant hierbei ist, dass das FAZ-Spezial von 2010 – wenn auch erst nach einem Zeitraum von vier Jahren – auf den Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2006 reagiert und antwortet. Sowohl seitens der Verwendung der Bilder als auch seitens der Texte handelt es sich bei diesen beiden Inszenierungen der „Frauen-Falle“ um zwei vollkommen konträre Stellungnahmen zum gleichen Thema. Wir haben es also nicht mit zwei singulären Ereignissen, sondern mit zwei konträren Ereignissen eines Diskurses zu tun. An diesen werden zwei gegensätzliche Perspektiven im Diskurs der Anerkennung und Gleichstellung im Allgemeinen sowie der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Besonderen deutlich. Da die Thematik der „Frauen-Falle“ in diesen Artikeln durch Bilder und Texte inszeniert wird, verweist der Begriff 1 Für einen Überblick zu den Artikeln der vier Fallstudien siehe Tabelle 3 (im Abschnitt 1.3). Der Spiegel-Artikel und das FAZ-Spezial sind online einsehbar.
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der Inszenierung auf das enge Bild-Text-Verhältnis sowie auf die komplexen Rahmungen und Kontextuierungen dieses Verhältnisses. Unsere Analysen werden primär von den bildlichen und formal hervorgehobenen Elementen dieser Inszenierungen ausgehen. Denn auch der Betrachter und Leser erfasst zunächst die Bilder, die Schlagzeilen und hervorgehobenen Textelemente.2 Ebenso werden wir auf die Textinhalte eingehen, wobei unser Fokus insbesondere auf dem Bild-Text-Verhältnis sowie den zentralen Konstruktionsprinzipien und Aussagen dieses Wechselverhältnisses liegt. Das Zeit-Spezial vom 10. Februar 2011 zum Thema: „Was braucht die Familie?“ ist Gegenstand unserer dritten Fallstudie. Es kann wiederum als eine Gegeninszenierung zu den beiden vorangegangenen Inszenierungen gelesen werden (wenn auch primär als unmittelbare Reaktion auf das FAZ-Spezial). Dabei beansprucht das Zeit-Spezial die beiden vorangegangenen Inszenierungen in einer übergeordneten Positionierung aufzuheben – als Dialektik von These (die „Frauen-Falle“ des Spiegel) und Antithese (die Anti-„Frauenfalle“ der FAZ) und deren Aufhebung in einer Synthese. Hierbei argumentiert Die Zeit mit einem allgemeinen Bilderverbot für die Familie (und die Familienpolitik). Quasi im gleichen Atemzug setzt sie sich über dieses Bilderverbot durch die Präsentation eines eigenen Leitbildes der Vereinbarkeit hinweg. Darüber hinaus behauptet das Zeit-Spezial, einen externen, neutralen Standpunkt einzunehmen: Dieser verspricht mit der „Grundsicherung für Kinder“ eine Lösung für die Familienpolitik und suggeriert mit der „Familie als Unternehmen“ eine sachliche, da angeblich emotionslose Betrachtung der Familie. Jedem Beobachter dürfte klar sein, dass es sich bei diesem sich pragmatisch gebenden Utilitarismus nur um eine weitere Position in der gesellschaftspolitischen Familiendebatte handeln kann. Ebenso klar ist es, dass mit der Inszenierung der „Familie als Unternehmen“ nur ein weiteres Familienbild unter Anderen angesprochen wird. An dieser dritten, scheinbar finalen Inszenierung, wird die Reflexivität des hier exemplarisch analysierten Diskurses noch einmal deutlich: Denn der Diskurs definiert die Situation der Vereinbarkeit in einer sowohl bildlichen als auch sprachlichen Sinnordnung. Und dabei geht es gleichzeitig immer um die Deutungshoheit von sozialer Anerkennung und die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. 2 Leserinnen und Leser nehmen vor allem jene Information wahr, die kognitiv schneller zugänglich ist und lesen deshalb relativ selten einen ganzen Text: „90 Prozent aller Zeitungsnutzer betrachten die Bilder, 40 bis 70 Prozent lesen die Überschriften, 20 bis 60 Prozent lesen die Vorspänne, 15 bis 60 Prozent beginnen, den Text zu lesen und höchstens 50 Prozent lesen den Text zu Ende.“ (Merkel, 2001: 27, zitiert nach HoltzBacha und Thomas Koch 2008: 104)
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An allen drei Beiträgen wird deutlich, dass jeder Diskursbeitrag seine spezifische Positionierung im Diskurs zu invisibilisieren versucht. So versucht der Spiegel-Artikel zu verbergen, dass er selbst ein Medienereignis ist und damit primär ein Ereignis im Kampf um das richtige Bewusstsein. Das FAZ-Spezial verdeckt seine strukturkonservative Position mittels der Argumente von freier Wahl und Individualisierung sowie der Biologisierung und Naturalisierung der Geschlechterordnung. Das Zeit-Spezial tritt in seinen Bemühungen der In-visibilisierung der eigenen Position besonders hervor, da es explizit ein Debattenverbot zur Familienpolitik und ein Bilderverbot zur Familie anmahnt. Jedoch mischt es sich zugleich mit einem eigenen Beitrag in die Debatte zur Familienpolitik ein und propagiert mit der „Familie als Unternehmen“ angeblich ein neutrales Familienbild. Es sei hier jedoch nochmals betont, dass wir diese drei Beiträge nur bedingt als repräsentativ für die drei Medien ansehen, in denen sie erschienen sind: Denn es geht uns nicht um die Repräsentation der drei Zeitungen mittels dieser drei Fallstudien, sondern um die Darstellung der Reflexivität des Diskurses der Un-Vereinbarkeit als eines Kampfes um Images. Die Serie „Job + Kind“ der Zeitschrift Eltern aus den Jahren 2009 bis 2010 steht nur scheinbar außerhalb dieses Diskurses. Denn sie inszeniert sich als ein pragmatischer Ratgeber für diejenigen Eltern, die Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollen. Dabei gilt die Umsetzbarkeit von familialer und beruflicher Vereinbarkeit als ebenso selbstverständlich wie die primäre Zuständigkeit der Frauen für deren Gelingen. Durch diese Serie wird Folgendes proklamiert: die Elternzeit als eine schnell vorübergehende Lebensphase, die Kinderbetreuung als die wichtigste Voraussetzung für den Wiedereinstieg, die Berufsrückkehr als das entscheidende Ereignis und die Vereinbarkeit durch gute Organisation und Planung sowie das Setzen von Prioritäten. So inszeniert die Zeitschrift ein Bild, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als selbstverständlich darstellt. Sie entwirft also ein Bild, das in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre so (in einer Familienzeitschrift) wohl weder sagnoch zeigbar gewesen wäre. Ungeachtet dessen bleibt in der Eltern-Serie das Problem der Berufsrückkehr und der Vereinbarkeit ein primäres Frauenproblem. Es kommen zwar auch Männer vor, diese spielen jedoch bestenfalls eine unterstützende Nebenrolle. Wenn es bei Diskursen darum geht, was denk-, sag- und zeigbar ist, so lässt das folgenden Schluss zu: Bei der Serie der Zeitschrift Eltern handelt es sich ebenso um einen diskursiven Beitrag zu der Bilder- und Sinnordnung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie bei den zuvor analysierten Beiträgen des Spiegel, der FAZ und der Zeit. Als Teil der Ratge-
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berliteratur im weitesten Sinne repräsentiert die Eltern-Zeitschrift zum einen den Diskurswandel im Verhältnis zum Familien- und HausfrauenDiskurs der 50er und 60er Jahre. Zum anderen aber illustriert sie den dominanten Diskurs der schnellen Berufsrückkehr, der die Vereinbarkeit als eine Management-Aufgabe der Frauen ansieht – und erst in zweiter Linie als eine Aufgabe der Männer und der Gesellschaft insgesamt.
2.1 Die Inszenierung einer Metapher: Der Spiegel-Artikel zur „Frauen-Falle“
Der Spiegel-Artikel mit dem Titel „Die Frauen-Falle“ kann als eine mediale Bild-Text-Inszenierung einer Metapher gelesen werden. Diese wird durch die im Folgenden dargestellte Aufführung aus dem wissenschaftlichen in den allgemeinen öffentlichen Diskurs überführt. Der elfseitige Artikel „Die Frauen-Falle“ erscheint nicht isoliert in der Spiegel-Ausgabe vom 24. März 2006. Stattdessen gehört er zur dreiteiligen Titelgeschichte der Ausgabe, die im Inhaltsverzeichnis unter der Schlagzeile „Kulturkampf um die Familie“ angekündigt wird.3 Das auf dem Titelblatt angekündigte Titelthema besteht demnach aus drei Teilen: Zuerst aus einem Artikel mit dem Titel „Lächelnd beim Tischgebet“ über die „gesellschaftspolitischen Ideen“ der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen, ihre Selbst-Inszenierung als Politikerin und Mutter sowie einer Kritik ihrer Familienpolitik (insgesamt acht Seiten von Seite 22 bis 30 der Spiegel-Ausgabe). Auf diesen Artikel folgt ein zweiseitiges Interview mit der Familienministerin über „Wertevermittlung in der Erziehung, das geplante Elterngeld und Widerstände gegen ihre Politik“. Den dritten Teil des Titelthemas bildet der auf das Interview folgende Artikel „Die FrauenFalle“. Er wird im Inhaltsverzeichnis als ein Artikel über den „Mythos von der Gleichberechtigung“ angekündigt. Die Inszenierung der „Frauen-Falle“ im und durch den Spiegel kann nur im Kontext der Titelgeschichte insgesamt verstanden werden, so dass wir hier auf alle für diese Gesamt-Inszenierung unmittelbar relevanten Inhalte eingehen: Dazu gehören neben dem Artikel über die „FrauenFalle“ das Titelblatt sowie der Artikel über die Familienministerin und das Interview mit ihr als die beiden anderen Teile eines insgesamt dreiteiligen Bühnenstücks. Letzteres kann als eine (negative) Apotheose bzw. als ein Stück vom Aufstieg (und Sturz) von Gottes liebstem Engel Luzifer bzw. der Ver-(und Ent-)herrlichung einer Politikerin interpretiert werden. Das Cover der Spiegel-Ausgabe ist der Aufmacher zu diesem dreiteiligen 3
Siehe Tabelle 3 im Abschnitt 1.3, die eine Übersicht über die Artikel bietet.
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Stück, der Artikel über und das Interview mit Ursula von der Leyen stellt dessen ersten beiden Akte dar, der Artikel „Die Frauen-Falle“ nimmt schließlich die Rolle des dritten Aktes ein. Das Titelbild der Spiegel-Ausgabe setzt den äußeren Rahmen der Inszenierung (Abb. 4). Auf dem Spiegel-Cover wird die Titelgeschichte durch ein doppelt gerahmtes Titelbild in Form eines Kreuzes angekündigt. In der doppelten Rahmung des Titelbildes kreuzt der horizontale Gold-Rahmen des Familienbildes der Familie von der Leyen den vertikalen Deutschland-Rahmen.
Abb. 4: Der Spiegel, 24.04.2006, Titelbild
Der vertikale Deutschland-Rahmen, der aus einer hellgrauen Tapete mit Bundesadlern besteht, bildet den Hintergrund zum horizontalen Familienrahmen. Die Bundesadler steigen jeweils dezent zwischen drei vertikalen Linien in den Bundesfarben Schwarz, Rot und Gold auf. Die Farben Hellgrau, Schwarz, Rot und Gold finden sich nicht nur in dem vergoldeten, barock ziselierten Bildrahmen, den Frau von der Leyen hält. Sie sind
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auch in die Kleidung der im Porträt abgebildeten Familie integriert worden. Repräsentieren der Bundesadler und die Bundesfarben auf der grauen Tapete das allgemeine, offizielle Deutschland, so symbolisiert die Familie der Familienministerin das besondere, private Deutschland. Beide werden sowohl formal (durch die doppelte Rahmung und Farbgebung) als auch in persona (durch die Familienministerin) miteinander verbunden und ineinander gespiegelt. Die Titelzeile: „Ich bin Deutschland. Der Kreuzzug der Ursula von der Leyen für Kinder, Kirche und Karriere“, kommentiert das Titelbild, das diesen Kommentar wiederum als Bild zum Ausdruck bringt. Das „Ich“ in übergroßen und fetten Lettern rückt die Politikerin Ursula von der Leyen in den Mittelpunkt. Der Titel „Ich bin Deutschland“ behauptet eine persönliche Identitätsbehauptung der Ministerin, die mit der doppelten Rahmung des Titelbildes wie das Besondere im Allgemeinen erscheint. Die doppelte Identität der Politikerin als Superfrau und siebenfacher Mutter wird durch die Kreuzung der beiden Bilderrahmen ebenso erreicht wie durch die Verdopplung des Bildes der Politikerin im Familienbild. Symbolisiert die Kreuzung der Bildrahmen die im Untertitel genannte „Kirche“ im Kreuzzug der Ursula von der Leyen, so symbolisiert ihr Doppelbild als Familienministerin und Mutter einer kinderreichen Großfamilie die Paarung „Kinder“ und „Karriere“ im Untertitel: „Kinder, Kirche und Karriere“. Das Überkreuzen des Deutschland- und des Familienrahmens sowie der Doppelkörper der Protagonistin als Familienministerin und Siebenfachmutter spiegeln in dieser Inszenierung den Titel im Bild und das Bild im Titel so wider, dass beide zusammen zu einer einzigen bimodal inszenierten Metapher werden. Die Politikerin als Superfrau und Siebenfachmutter wird durch diese sowohl formal-bildlich als auch verbal inszenierte Identitätsbehauptung zum prototypischen Vorbild, das suggeriert, dass für Frauen eine erfolgreiche Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchaus möglich sei. Eine derart übersteigerte Identitätsbehauptung führt sich jedoch selbst ad absurdum, widerspricht sich und durchkreuzt sich selbst: Die herausragende Superfrau kann nicht zugleich allgemeines Vorbild sein. Deshalb wird das christliche Kreuz des doppelten Deutschland- und Familienrahmens durch die unterstellte Selbsthervorhebung mit einem X durchkreuzt. Die vom Spiegel inszenierte Apotheose der Ministerin wird angesichts dieser Hybris zum Sündenfall: Aus der Ministerin als Superfrau und MehrfachMutter wird so eine Hexe (gemacht). Symbolisiert dieses Ich-bin-Deutschland-Titelbild die These der Titelgeschichte als eines dreiteiligen Bühnenstücks in der Gestalt einer (negativen) Apotheose, so inszeniert der Artikel „Die Frauen-Falle“ die Anti-
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These dazu als eine Beschreibung der alltäglichen Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Während Ursula von der Leyen den doppelten Rahmen des Titelbildes derart füllt, dass sich keine „Frauen-Falle“ auftun kann, werden in den Bildern des Artikels die alltäglichen und lebensweltlichen Löcher der „Frauen-Falle“ als strukturelle Löcher der Un-Vereinbarkeit gezeigt. Weil das Titelbild die zentrale These bereits zum Ausdruck bringt, gehen wir im Folgenden nur kurz auf den Artikel zur Familienpolitik der Ministerin und auf das Interview mit ihr ein. Umso ausführlicher werden wir uns der Spiegel-Inszenierung der „Frauen-Falle“ als einer Metapher der Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf widmen. Der Artikel mit dem Titel „Lächelnd beim Tischgebet“ über die Familienpolitik und (Selbst-)Inszenierung der Familienministerin beginnt mit einem großen Familienbild, das Frau von der Leyen in ihrem Haus mit ihren Kindern präsentiert. Dieses Bild wird wiederum in enger Relation zu einem weiteren Familienbild im gleichen Artikel gezeigt, auf dem sie als Tochter im Kreis der Ministerpräsidenten-Familie Albrecht abgebildet ist. Ein anderes Bild zeigt die Familienministerin bei ihrem öffentlichkeitswirksamen Auftritt zur Inszenierung ihrer Familienpolitik. Dieser war unmittelbarer Anlass zu der Titelgeschichte. Das Bild positioniert sie in der Mitte zwischen einem Bischof der katholischen und einer Bischöfin der evangelischen Kirche. Weitere Bilder zeigen ihre politischen Opponenten und Kritiker sowie sie selbst auf einem Foto mit der Kanzlerin: Hier wird die Frage gestellt, wie lange die Kanzlerin noch hinter der selbstbewussten Familienministerin steht. Das Bild zum Interview mit der Familienministerin zeigt diese im gleichen Kostüm wie auf der Titelseite, jedoch auf einem Sofa im privaten Rahmen. Im Hintergrund dieses Porträtfotos spielen zwei (bürgerliche) Frauenporträts auf das Doppelbild von Ministerin und Mutter an. Im Artikel werden die Selbstinszenierung der Ministerin in ihrer Doppelrolle als Vorbild und Powerfrau ebenso wie ihre Familienpolitik kritisiert. Der Fokus der Kritik richtet sich vor allem auf das vor seiner Einführung stehende, einkommensabhängige Elterngeld mit den zwei Vätermonaten. Diese Kritik wird durch kontrastierende Fotos bebildert: ein Vater mit einem Baby im Arm kontrastiert mit einer Straße voller Jungen aus den kinderreichen 50er Jahren, Disco-Besucher im Berliner E-Werk erscheinen im Gegensatz zu Pilgern beim Weltjugendtag 2005 in Köln, Konfirmandinnen stellen eine Gegenwelt zu gewalttätigen Schülern her. Die zentralen Aussagen des Artikels beinhalten zwei Kritikpunkte: Einerseits kritisieren sie das einkommensorientierte Familiengeld als zentrales, aktuelles Projekt der Familienpolitik. Andererseits wenden sie sich gegen die Selbstinszenierung der Familienministerin und Siebenfachmutter als
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Vorbild- und Powerfrau. Begründet wird Letzteres dadurch, dass Ursula von der Leyen sowohl ihr wertkonservativ-christliches Weltbild als auch ihre Leistungsansprüche und Wertvorstellungen propagieren und als allgemein verbindlich erklären wolle. Die Kritik des Spiegel richtet sich sowohl gegen die Familienpolitik als auch gegen die Selbstinszenierungen der Familienministerin als konservativ-christliche Vorbild- und Powerfrau. Die Familienministerin als Politikerin musste gezwungenermaßen bei der Aufführung des dreiteiligen Bühnenstücks, dessen dritter Teil der Artikel „Die Frauen-Falle“ darstellt, mitspielen. Dabei gelingt es dem Spiegel, die Grenzen zwischen SpiegelInszenierung und Selbst-Inszenierung der Ministerin und demzufolge die eigene Autorschaft für das Bühnenstück zu verwischen. Da die Autorschaft des Spiegel für die Konstitution des Bühnenstückes und dessen Botschaft entscheidend ist, lautet die präzise Formulierung zu dieser Inszenierung: Der Spiegel-Artikel „Die Frauen-Falle“ richtet sich gegen die Spiegel-Inszenierung der (Selbst-)Darstellung von Familienministerin Ursula von der Leyen. Darüber hinaus versteht er sich jedoch als eine grundlegende Kritik an der konservativen Familienpolitik. Die Veranschaulichung der Metapher der „Frauen-Falle“ geht jedoch über das bloße Momentum einer Gegeninszenierung hinaus: Es handelt sich wie bei jeder in sich komplexen Gegeninszenierung zugleich um eine durchaus eigenständige Produktion. Diese reagiert nicht nur auf etwas, sondern schafft einen eigensinnigen Gegenentwurf, der die Metapher der Falle gegen die Metapher des Kreuzes in Szene setzt. In der Inszenierung der Kreuz-Metapher steht die Vorbild- und Powerfrau von der Leyen in der Ich-bin-Deutschland-Mitte als das Besondere für das Allgemeine, d.h. für die Vereinbarkeit von (vielen) Kindern und einer (steilen) Karriere in der Bundesrepublik Deutschland. Die Fallen-Metapher verweist dagegen auf die Frauen, die in Deutschland Familie und Beruf vereinbaren wollen. Während die Kreuzung der beiden Rahmen des Titelbildes durch das Doppelbild eines singulären Ichs ausgefüllt wird, der Vorbild- und Powerfrau Ursula von der Leyen, handelt es sich bei der alltäglichen „Frauen-Falle“ um eine strukturelle Falle. Letztere wird den Frauen durch die institutionellen und strukturellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie den damit einhergehenden sozialen Rollenbildern und Geschlechtermustern gestellt. An die Stelle des Über-Ichs der Karrierefrau und Mehrfachmutter tritt damit das alltägliche und praktische Problem der Un-Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der fehlenden Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. In der folgenden bimodalen Bild-Text-Analyse des Artikels „Die Frauen-Falle“ werden wir zunächst das formale Bild-Text-Verhältnis beschrei-
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ben. Danach behandeln wir die inhaltliche Argumentationslinie in Korrespondenz zur bildlichen Inszenierung der „Frauen-Falle“ im Einzelnen: Zuerst werden wir von der Mitte des Artikels, die das Loch der „FrauenFalle“ an zentraler Stelle markiert, ausgehen und von dort zur Interpretation des gesamten Artikels fortschreiten. Im Fokus stehen dabei nicht die einzelnen Argumente und Bilder des Artikels – oder gar deren wissenschaftliche Richtigkeit. Vielmehr ist für uns die Inszenierung der Metapher „Die Frauen-Falle“ durch das bimodale Wechselverhältnis zwischen den Bildern und dem Text des Artikels relevant. Der Spiegel-Artikel „Die Frauen-Falle“ ist insgesamt elf Seiten lang. Er wird nur ein Mal im hinteren Teil von einer zweiseitigen Autowerbung unterbrochen. Der Artikel besteht neben dem in drei Kolumnen angeordneten Fließtext aus insgesamt 16 Bildern, davon 11 Porträtfotos und 5 Infografiken. Die Bilder sind ein wesentlicher Bestandteil des Artikels und nehmen ca. 40 Prozent des Layouts ein. Die Porträtfotos sind bis auf eines alle in der oberen Seitenhälfte platziert. Sieben davon gehen über die ganze Seitenbreite und nehmen fast die ganze obere Seitenhälfte ein. Nur vier der in der Mitte des Artikels befindlichen Bilder sind kleinformatiger, wobei genau in der Mitte des Artikels zwei dieser Bilder mit kontrastierendem Inhalt jeweils am oberen und unteren Rand der Seite positioniert wurden. Diese zwei zueinander konträren Bilder befinden sich somit trotz ihrer geringen Größe an einer zentralen Stelle, die das Loch und damit die zentrale Problematik der „Frauen-Falle“ markiert. Vier von fünf Infografiken befinden sich jeweils in den unteren Seitenhälften und sind wesentlich kleinformatiger als die Porträtfotos. Der gesamte Fließtext läuft ohne eine einzige Zwischenüberschrift durchgehend über die elf Seiten des Artikels. Es gibt – abgesehen von Titel und Untertitel am Anfang des Artikels – keinerlei textliche Hervorhebungen und Einschübe. Die Porträtfotos und Infografiken sind die einzigen formalen, den Text strukturierenden Elemente. Die erste und schnelle Lektüre des Artikels erfolgt daher über die Bilder, inklusive der den Porträtfotos als Legende beigefügten (Selbst-)Kommentierungen4 sowie die kurzen Texte in den Grafiken. Die Metapher der „Frauen-Falle“ wird in diesem Artikel in erster Linie durch die Bilder sowie deren Legenden inszeniert. Erst in zweiter Linie wird sie durch den Fließtext hervorgebracht und erörtert. Allerdings besteht eine enge Bild-Text-Korrespondenz: So stellen neun Porträtfotos 4 Bei den die Fotos kommentierenden Legenden handelt es sich in der Regel um inszenierte (Selbst-)Kommentare der abgebildeten Personen. Denn diese Texte bestehen aus den Namen der porträtierten Personen und einem die Bedeutung des jeweiligen Fotos kennzeichnenden Zitat.
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Personen dar, die auch im Text charakterisiert werden. Unter jedem Foto befindet sich eine deutlich sichtbare Legende, die den/die Namen der dargestellten Hauptperson(en) nennt und deren Bild mit einem Eigenzitat kommentiert. Deshalb kann man hier von einer durch den Artikel inszenierten Selbstkommentierung der bildlich porträtierten Personen sprechen. Diese Bild-Text-Korrespondenz wird dadurch gestützt, dass die auf den Fotos gezeigten Personen in der abgebildeten Reihenfolge möglichst auf der gleichen Seite im Fließtext porträtiert werden. Dabei finden sich die den Fotos beigefügten Aussagen auch im Fließtext wieder.5 In diesem Artikel harmonisieren Porträtfotos, Grafiken und Fließtext miteinander: Sie bilden zusammen eine Sinnordnung, die in der Regel durch Kontiguität hergestellt wird, d.h. durch das unmittelbare Nebeneinanderstellen von Kontrasten, aber auch durch indirekte Verweise und durch direkte Zitation. So kontrastiert ein Foto von Alice Schwarzer aus dem Jahr 1973 mit einer nebenstehenden Grafik, die ernüchternde Ergebnisse einer aktuellen Umfrage zur Gleichberechtigung zeigt. Die Aussage der Grafik wird durch das auf der gleichen Seite platzierte Porträtfoto einer Frau in leitender Stellung und deren Aussage unterstrichen: „Ich fühle mich diskriminiert. Je höher ich aufgestiegen bin, desto mehr“ (Abb. 5). Alice Schwarzer als Ikone des Feminismus der „Altvorderen“, die aktuelle Umfrage zur Gleichberechtigung und das von Diskriminierung berichtende Fallbeispiel sind nicht zufällig auf der sechsten Seite, also genau in der Mitte des elfseitigen Artikels platziert. Diese sechste Seite markiert das Loch der „Frauen-Falle“ als einer auf „halber Strecke“ steckengebliebenen Emanzipation und Gleichberechtigung. Um dieses Zentrum kreist die Anordnung aller Bilder und des gesamten Textes und folglich die gesamte metaphorische und symbolische Ordnung des Artikels.
5 Das Porträtfoto einer anonymen Hochschulabsolventin mitten in einer Menge von Bachelorhüten (Abb. 6) wird ebenfalls durch ein Zitat aus dem Text kommentiert: Dieses ist jedoch nicht als Selbstaussage der Absolventin zu verstehen. Stattdessen handelt es sich um den Fremdkommentar einer im Text zitierten Soziologin und Expertin zur Geschlechterforschung. Das zweite Foto stellt Alice Schwarzer im Jahr 1973 in einer Diskussion dar und korrespondiert nicht mit einem persönlichen Fallporträt im Text. Dieses Foto wird nicht durch ein Zitat von Alice Schwarzer kommentiert, sondern durch eine direkt neben dem Foto platzierte Infografik mit Ergebnissen einer aktuellen Umfrage zur Gleichberechtigung: Nur ein Drittel der Deutschen vertritt die Ansicht, dass Männer und Frauen in Deutschland gleichberechtigt sind. Zwei Drittel jedoch – und darunter sehr viel mehr Frauen als Männer – glauben, dass eine Gleichberechtigung nicht besteht. Alice Schwarzer wird in diesem Artikel als Ikone eines vergangenen Feminismus abgebildet, der die jungen Studentinnen und Frauen nicht mehr erreicht.
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Abb.5: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 38
Der Artikel kann als Feature bezeichnet werden, da er Elemente einer Reportage und eines Essays miteinander verbindet. Er stellt als solcher nicht nur einen bimodalen Intertext zwischen den Medien Bild und Text dar, sondern auch zwischen verschiedenen Sinnordnungen. Der zentrale Interdiskurs dieses Features besteht zwischen Journalismus als der Vermittlung von Wissen an eine allgemeine Öffentlichkeit und der Wissenschaft als dem Erzeuger von hochgradig spezialisiertem Wissen. Dies zeigt sich bereits an der Methode der kontrastierenden Falldarstellungen und der eingefügten Infografiken. Besonders deutlich erkennbar wird dies jedoch an den vielfältigen Referenzen auf wissenschaftliche Studien und Institutionen sowie der Argumentation mittels Zitaten von WissenschaftlerInnen als ExpertInnen zum Thema. Die Referenzen auf die Wissenschaft durchziehen den gesamten Artikel und überwiegen ganz eindeutig gegenüber Referenzen aus der Politik und anderen Bereichen. Dieses Feature, das man auch als eine essayistische Reportage bezeichnen könnte, bewegt sich daher insbesondere im Interdiskurs zwischen Journalismus und Wissenschaft. Der Titel „Die Frauen-Falle“ und der Untertitel stehen genau in der Mitte der ersten Seite zwischen dem Titel-Bild oben und dem Fließtext des Artikels unten. Der Untertitel lautet: „In Deutschland ist die Emanzipa-
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tion auf halber Strecke steckengeblieben. Während in anderen Ländern Frauen Karriere und Familie leichter vereinbaren können, wirft sie hier das erste Baby zurück in die fünfziger Jahre“ (Abb. 6). Die „Frauen-Falle“ mit Bindestrich steht in diesem Titel als Metapher für eine auf der Strecke gebliebene Emanzipation der Frauen. Als deren Gradmesser fungiert die Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Dabei sei die Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen einerseits im Ländervergleich und andererseits im Zeitverlauf der vergangenen fünfzig Jahre auf der Strecke geblieben. Was aber versteht der Artikel genau unter der Wegmetapher der „halben Strecke“? Zum einen verweist die Metapher auf die halbe Lebensstrecke der Frauen: Sie seien in ihren Schul- und Studienleistungen mittlerweile erfolgreicher als Männer. Jedoch könnten sie diese Erfolge im Erreichen immer höherer und besserer Bildungsabschlüsse nicht in entsprechende Erfolge im Erwerbsleben umsetzen. Dies liege an der geschlechtsspezifischen Segmentierung der Ausbildungsberufe und Studiengänge.
Abb.6: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 34
Zudem sei auch die Retraditionalisierung geschlechtsspezifischer Rollenmuster maßgeblich beteiligt, insbesondere nach der Geburt des ersten Kindes. Darüber hinaus sei die Institutionenordnung des konservativen Wohlfahrtsstaates mit dem Leitbild der Ernährer- und Hausfrauenehe für die strukturelle Benachteiligung der Frauen verantwortlich. Dies zeige sich zum Beispiel am Ehegattensplitting im Steuerrecht, der mangelhaf-
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ten öffentlichen Kinderbetreuung und der Regelung der Erziehungszeiten. Die „Frauen-Falle“ wird in den Fallbeispielen und Erörterungen des Artikels durch eine Zange aus verharrenden Institutionen und Strukturen sowie traditionalen und patriarchalen Verhaltensmustern erklärt. Sie wirke sich als solche auf das Berufswahlverhalten und den Erwerbsverlauf, auf die Partnersuche und die Kindererziehung derart aus, dass die Frauen strukturell benachteiligt und diskriminiert würden. Wie das? Und zwar, indem sie eher vor der Wahl des Entweder-Oder anstatt eines Sowohl-als-Auch von Beruf und Familie stünden. Die Institutionenordnung des konservativen Wohlfahrtsstaates bilde den makrostrukturellen Rahmen, der Frauen in die Falle tappen lässt. Auf der Verhaltens- und Handlungsebene hingegen würden traditionale Rollenmuster und Geschlechterstereotype das Pendant zur Makroebene darstellen. Dies ist jedoch nur die eine Seite der im Artikel präsentierten „halben Strecke“. Die andere Seite bezieht sich auf den Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Bewusstsein und Realität. Die Emanzipation habe, so der Artikel, nur an der Oberfläche und in den Diskursen stattgefunden, während die alten institutionellen Strukturen und Geschlechterrollen weitgehend bestehen blieben. Eine solche Entwicklung zeige sich im Ländervergleich: Deutschland hinke in der Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen im Ländervergleich hinterher. Besonders dann, wenn die BRD mit den skandinavischen Ländern, den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten, aber auch dem Nachbarn Frankreich verglichen wird. Der Artikel ordnet sich in eine international vergleichende Standortdebatte ein, indem er die Geschlechterdebatte in eine ökonomische, arbeitsmarktpolitische und demografische Standortdebatte einfügt. In diesem Sinne wird neben dem demografischen Wandel auch das Potential weiblicher Arbeitskräfte für den Fachkräftebedarf als gesellschaftlicher Kontext des Gleichstellungs- und Vereinbarkeitsdiskurses angeführt. Der zentrale Widerspruch von Bewusstsein und Realität wird so mit dem Topos der verspäteten deutschen Nation auf dem Weg zur Demokratie verbunden. Denn es existiert eine historische Parallele: Seit dem Junghegelianismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde die gescheiterte bürgerliche Revolution und Emanzipation immer wieder als Widerspruch zwischen Bewusstsein und Wirklichkeit diskutiert. Beim Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert beherrschte die gescheiterte Geschlechterrevolution und steckengebliebene Emanzipation der Frauen den (feministischen) Diskurs der Gleichberechtigung der Geschlechter. Und heute? Seit Anfang des 21. Jahrhunderts ist die „Frauen-Falle“ als Thema des öffentlichen
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Diskurses bekannt – und dennoch tappen Frauen in diese Falle. Wie kann das sein? Wie kann dies erklärt werden, ohne den Frauen ihre freie Wahl und ihre Verantwortung und damit die Voraussetzung für ihre eigene Emanzipation abzusprechen? Der Artikel argumentiert, dass es sich bei diesen Fallen nicht um individuell vermeidbare, sondern um strukturelle Fallen handle, durch die Frauen systematisch zum In-die-Falle-Tappen verleitet würden. So wie die Familienministerin Ursula von der Leyen bei der Spiegel-Inszenierung mitspielen muss, obwohl sie den Rahmen und den Text nicht selbst setzen kann, so müssen die Frauen in einer Gesellschaft leben, deren Institutionen, Rollenbilder und Geschlechtermuster ihnen vorgegeben werden. Das zentrale Dilemma des Artikels besteht darin, dass es sich bei ihm selbst um einen Teil des öffentlichen Diskurses im Widerspruch zur alltäglichen Praxis handelt. Der Artikel invisibilisiert dieses Dilemma, indem er sich mittels der Form des Features selbst als einen Teil der sozialen Praxis präsentiert. Dies wird durch die unmittelbare Evidenz der Bilder, der Grafiken ebenso wie der Porträtfotos, sowie durch die im Text präsentierten Fallbeispiele erreicht. Nicht die AutorInnen6 des Artikels sprechen die Leser direkt an, sondern die Multiperspektivität der Bilder und die „Vielstimmigkeit der Rede“ (Waldenfels 1999). Zu dieser Vielstimmigkeit der Rede gehören neben den im Artikel porträtierten Personen auch die Stimmen der zitierten WissenschaftlerInnen, der PolitikerInnen und der sonstigen ExpertInnen. Die AutorInnen enthalten sich weitestgehend eines eigenen Kommentars, da sich scheinbar alle direkten Kommentare, so zum Beispiel auch der Titel und der Aufmacher, als Zitate von Anderen erweisen. Der Artikel wird so zum Teil der sozialen Praxis, die er abbildet und beschreibt, indem sich deren Multiperspektivität und Vielstimmigkeit in ihm widerspiegeln. Er bringt die Lebenswelt mittels der Multiperspektivität der Bilder und einer Vielstimmigkeit der Fälle möglichst unmittelbar zum Ausdruck. Dadurch verschiebt er das Dilemma der Differenz von Diskurs und Praxis, Bewusstsein und Realität, Wunsch und Wirklichkeit auf die Seite der Leser und damit vom öffentlichen Diskurs zur alltäglichen Praxis. Das zentrale Loch der „Frauen-Falle“ findet sich – wie bereits erwähnt – auf der sechsten Seite (Abb. 5) und damit genau in der Mitte des Artikels: Im Text steht für diese „Frauen-Falle“ das Fallbeispiel von Sophia, die trotz ihres vielversprechenden Namens in die Falle tappt.7 Es handelt sich unseres Wissens dabei um das einzige anonymisierte Fallbeispiel des 6 Die AutorInnen des Artikels werden am Ende des Artikels genannt: Andrea Brandt, Steffen Kraft, Cordula Meyer, Conny Neumann. 7 Sophia bedeutet Weisheit, Erkenntnis.
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gesamten Artikels; auch finden wir Sophia auf keinem der Porträtfotos abgebildet. Nicht nur das Loch der „Frauenfalle“ soll möglichst unsichtbar bleiben. Auch die Personen, die – wider besseren Wissens – in diese Falle tappen, wollen sich nicht öffentlich outen. Der Widerspruch zwischen öffentlichem Diskurs und alltäglicher Praxis ist daher für dieses Fallbeispiel konstitutiv: Denn seine Protagonistin Sophia verweigert sich nicht nur in der alltäglichen Praxis, sondern auch in ihren Ansichten gegenüber den Ansprüchen der Emanzipation und Gleichberechtigung. Diese muss sie paradoxerweise zugleich als eine öffentliche Norm, insbesondere aber als eine Norm potentieller Arbeitgeber beachten. Deshalb bleibt ihre in sich widersprüchliche Haltung gegenüber den Ansprüchen und Zumutungen der Emanzipation ohne Namen und ohne Bild. Im Artikel tritt Sophia als Tochter einer Karriere-Journalistin auf, die (trotz ihrer Mutter und ihres Namens) in die „Frauen-Falle“ tappt: „Wie Sophia, 23, die Tochter einer Karriere-Journalistin aus Süddeutschland. Sophia studiert in Passau Jura und Sprachen, sie hat vorzügliche Noten. Nach guten Praktika wurde ihr bereits ein Job in einer großen Münchner Wirtschaftskanzlei angetragen. Sophia aber lehnte ab. Sie will keine 60Stunden-Woche. ,Ich möchte Familie, Kinder – und auch mal Zeit für die haben.’ Also wird sie in einer kleineren Kanzlei anfangen oder gleich beim Staat, wo geregelte Dienstzeiten locken. Sophias Freund ist ein wenig älter als sie und ebenfalls Jurist. Er soll später das Geld heranschaffen, das ist ausgemacht – auch wenn Sophia, wie sie gelegentlich ein wenig spitz anmerkt, die besseren Noten hat. Aber umgekehrte oder verteilte Rollen? ,Schwer vorstellbar’, sagt Sophia, ,auch wenn er manchmal davon spricht. Denn für Hausarbeiten oder Kochen ist er gänzlich ungeeignet.’ Schon jetzt unterbricht sie gern ihr Büffeln, um für ihn zu kochen, wenn er von der Uni nach Hause kommt. ,Wir Frauen sind halt so’, sagt sie ihrer Mutter, der dazu nichts mehr einfällt. Klar ist: Junge Frauen wie die Juristin Sophia fühlen sich keineswegs benachteiligt. Und schon gar nicht wollen sie für so etwas wie Gleichberechtigung kämpfen, wie es die Altvorderen um Alice Schwarzer einst verbissen taten. Feminismus gelte unter ihren Studentinnen als total uncool, sagt die Dozentin Janshen. ,Die sagen dann: ,Ich bin keine Emanze, damit Sie das gleich wissen.’’ Und die Berliner Soziologin Koppetsch sagt: ,Es gilt nicht mehr als legitim, auf Gleichheit zu pochen. Wer das tut, hat es nötig.‘“ (Ebd. S. 38)
Dieses Fallbeispiel befindet sich – wie bereits oben dargestellt (Abb. 5) – auf der gleichen Artikel-Seite wie das Foto von Alice Schwarzer in einer Diskussionsrunde aus dem Jahr 1973. Rechts neben dem Bild ist gleichsam als Kommentar eine Infografik zur geschlechterbezogenen Gleichbe-
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rechtigung eingefügt. Und in der Mitte am unteren Bildrand findet sich das Porträtfoto einer Klinikleiterin mit der Aussage: „Ich fühle mich diskriminiert. Je höher ich aufgestiegen bin, desto mehr.“ In der Geschichte von Sophia scheiden sich die Geschlechter-Wege bereits im bzw. nach dem Studium, so wie für die Frauen ihrer Generation spätestens nach der Geburt des ersten Kindes. Obwohl Frauen bis zum Ende der Ausbildung zunehmend die Nase vorn haben, überlassen sie im Erwerbsleben dann den Männern das Feld. Denn für sich selbst suchen sie eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die sie ihren Partnern nicht zumuten wollen. Ihre Geschichte wird im Artikel jedoch (ironischerweise) als eine Emanzipation von der Emanzipation inszeniert. Die Metapher der „Frauen-Falle“ ist im gesamten Artikel in den bildlichen ebenso wie in den schriftlichen Darstellungen präsent. In den Porträtfotos werden uns verschiedene Ansichten dieser Falle geboten: Das Titelbild zeigt den Erfolg der jungen Frauengeneration, die immer höhere Bildungsabschlüsse mit besseren Noten als die gleichaltrigen Männer erreicht: Hell sticht das Gesicht einer Studienabsolventin mitten aus der Menge der schwarzen Bachelorhüte heraus (Abb. 6). Kann ein Blick, der so erfolgreichssicher, zuversichtlich und klar aus der Menge herausschaut, eine Falle zeigen, indem er in die Falle blickt? Er kann. Denn es ist kein Blick nach vorne, sondern ein Blick zurück. Er wird in der Bildunterschrift durch die Aussage der im Text zitierten Soziologin Koppetsch kommentiert: „Frauen wissen, dass sie später keine Familie ernähren müssen – höchstens sich selbst“ (ebd. S. 34). Eine Grafik im Artikel verbildlicht die starke geschlechtsspezifische Segmentierung der Studienfächer, die sich in den letzten Jahren eher verstärkt als abgeschwächt habe. Während die Studienfächer, welche Aufstiege zu Führungspositionen ermöglichen, von Männern dominiert werden, wählen Frauen eher solche Berufe, die eine Vereinbarkeit zulassen. Der Widerspruch, den das Titelbild darstellt und den der Text zum Bild erzeugt, könnte also nicht größer sein: Im Moment ihres größten Erfolgs, des Bildungserfolgs, blicken die Frauen schon zurück auf eine traditionelle, anstatt voraus auf eine gleichberechtigte Rollenverteilung. Auf dem zweiten Foto liegt eine Frau glücklich in der Falle, die für sie offensichtlich keine Falle ist: Sie liegt fröhlich lachend mit ihren beiden Kindern, die sie umarmt und denen sie vorliest, in einem engen Kinderbettchen (Abb. 7). An die Stelle des hellen Gesichts, das im ersten Bild die „Frauen-Falle“ markiert, tritt im zweiten Foto in der Bildmitte der dunkle Ausschnitt der Frau. Diese Frau hat studiert, hatte einen Traumberuf in einer Werbeagentur, blieb dann aber nach der Geburt ihrer ersten und zweiten Tochter zu Hause. Jetzt arbeitet sie wieder geringfügig, d.h. in
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einem 400-Euro-Job in einer Werbeagentur. Dem Foto ist ihr Name mit dem Zitat beigefügt: „Ich habe vollen Einsatz gegeben, aber immer gewusst, das ist nicht das ganze Leben“ (ebd. S. 35). Gemäß dem Artikel sei die Geburt der Kinder das zentrale Ereignis, das zu einer Retraditionalisierung der Arbeitsteilung in Paarhaushalten führe. Vor der Geburt des Kindes haben die künftigen Eltern noch gute Vorsätze einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung. Daraus werde jedoch nachher in der Regel eine stark traditionelle Arbeitsteilung. Dieses Bild der „Frauen-Falle“ wird allerdings erst durch seine Rahmung im Artikel und die durch den Artikel motivierte Interpretation des Betrachters zu einem Bild der „Frauen-Falle“: Denn für die glücklich mit ihren Kindern im Kinder-Bett liegende Frau gibt es diese Falle nicht.
Abb. 7: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 35
Schließlich könnten wir keineswegs ganz allein aufgrund des Bildes behaupten, dass diese Frau sich selbst in einer solchen Falle liegen sieht. Lautet die Aussage des Artikels, dass Frauen in die „Frauen-Falle“ tappen (bzw. glücklich darin liegen), ohne es zu merken, so bleibt diese „FrauenFalle“ ein Konstrukt des Artikels. Zugleich stellt sie eine interpretierende Beobachtung der LeserInnen dar, ohne dass die Frauen selbst diese Sichtweise und Interpretation teilen müssten. Im FAZ-Spezial zur „Frauenfalle“, welches wir als eine Gegeninszenierung zum Spiegel-Artikel analysieren werden, erscheint das Kinderbett nicht als ein Requisit für die „Frauenfalle“, sondern als ein Requisit für Familienglück (siehe Abb. 21 in Abschnitt 2.2).
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Das dritte Foto des Artikels zeigt eine glückliche und fröhlich lachende Familie – Mutter, Vater, zwei Kinder, – sich wechselseitig umarmend auf einem Sofa sitzen (Abb. 8). Das Familiensofa als „Frauen-Falle“ wird durch den Begleittext erläutert, der mit einem Zitat der Mutter direkt darunter korrespondiert: „Ich muss mehr für den Kindergarten zahlen, und ich bin in der schlechtesten Steuerklasse – am Ende bleibt mir von meinem Gehalt ein Taschengeld“ (ebd. S. 36).
Abb. 8: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 36
Abb. 9: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 45
Die Familie auf dem Sofa symbolisiert die Falle, die der konservative Wohlfahrtsstaat den Familien mit seinem Leitbild der Ernährer- und Hausfrauenehe stellt: Ehegattensplitting und Einkommensdiskriminierung, mangelnde öffentliche Kinderbetreuung und lange Elternzeiten bewirken, dass Mütter weit weniger, Väter aber weit mehr erwerbstätig sind, als sie es sich wünschen. Das Foto auf dem Familiensofa steht in auffälligem Kontrast zum letzten Bild der Fotoserie: Dieses zeigt zwei Eltern, die beide ihre Arbeitszeiten auf Teilzeit reduziert haben, bei der Übergabe ihrer Kinder auf einem Parkplatz vor dem Ministerium, wo sie beide arbeiten (Abb. 9). Darin spiegelt sich der Kontrast wider: Das Ernährer- und Hausfrauenpaar sitzt bequem auf dem Sofa, ohne sich dieses Modell wirklich so gewünscht zu haben. Demgegenüber wird das gleichberechtigte Paar dynamisch an der Schwelle des gemeinsamen Arbeitsplatzes bei der Übergabe der Kinder gezeigt. Das vierte Foto des Artikels zeigt eine Medizinstudentin im Arztkittel in einem Seziersaal direkt neben einer aufgebahrten und in Plastik gehüllten Leiche (Abb. 10). Ihr dem Foto beigefügter Kommentar: „Ich bin völlig gleichberechtigt. Es zählt nur die Leistung“, steht in auffälligem Kontrast zu der unterkühlten Atmosphäre des leeren Seziersaals (ebd. S. 37). Während sie selbst mit einem leeren Gesichtsausdruck ganz vorne neben der Leiche steht, sind die einzigen Blickfänge auf diesem Foto ein Skelettmodell, die hochgestellten Arbeitshocker sowie eine Gruppe von zwei Männern und zwei Frauen. Die vierköpfige Gruppe befindet sich im Hin-
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tergrund des großen Saales an einem anderen Seziertisch und scheint sich in einem Gespräch zu befinden. Das Bild der jungen Studentin und ihre optimistische Aussage kontrastiert zum einen mit dem Foto der älteren Klinikleiterin (Abb. 5) und deren Aussage: „Ich fühle mich diskriminiert. Je höher ich aufgestiegen bin, desto mehr“ (ebd. S. 38). Zum anderen steht das Foto im Kontrast zu der Mutter, die mit ihren beiden Kindern glücklich im Kinderbett liegt (Abb. 7). Das Foto der Studentin im Seziersaal symbolisiert die Einsamkeit der qualifizierten und erfolgreichen Frauen, für die beruflicher Erfolg bei der Partnersuche zur Falle wird: „Arzt und Krankenschwester – das funktioniert. Aber Ärztin und Pfleger – das geht gar nicht, Frauen heiraten sehr selten abwärts. Das Ergebnis: Beim Ringelreihen der Partnerwahl bleiben arme Männer mit mieser Ausbildung übrig sowie gutausgebildete und gutverdienende Frauen.“ (Ebd. S. 39)
Abb. 10: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 37
Das Foto der Medizinstudentin bezieht sich damit indirekt auch auf die beiden Fotos von zwei geschiedenen Frauen auf der siebten und achten Seite des Artikels: Die gescheiterte Partnersuche findet ihr Pendant in der gescheiterten Ehe. Eine der beiden geschiedenen Frauen wird dabei gezeigt, wie sie ihr Pferd umarmt (Abb. 11), die zweite Frau ist fröhlich lachend am Arm ihres prominenten Ex-Ehemannes zu sehen (Abb. 12). Ist der einen ein nobles Hobby, aber kein Beruf geblieben, so bleibt der anderen nur ein Blick zurück im Zorn: „Ich merkte, dass ich persönlich nichts erreicht hatte: kein Gehalt, keine Rente, keine berufliche Zukunft“ (ebd. S. 42). Wenn die Geburt des ersten Kindes das zentrale Ereignis im Lebenslauf ist, bei dem sich die „Frauen-Falle“ auftut, dann ist die Scheidung das Ereignis, bei dem die Falle als solche spätestens sichtbar wird.
70 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
Abb. 11: Der Spiegel, 24.04.2006, S.39
Abb. 12: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 42
So ist die Frau mit Pferd „fassungslos […], dass ausgerechnet mir das passiert ist“ (ebd. S. 42) und erkennt im Nachhinein: „Ich bin zielsicher in die Fallen getappt, die sich für Mütter in Deutschland auftun“ (ebd. S. 39). Erst lockte die „Flucht in die Mutterrolle“, so dass sie trotz ihrer besseren Qualifikation als Juristin zu Hause blieb. Folglich kümmerte sie sich daheim um ihre drei Kinder – und nicht ihr Mann, der als Sachbearbeiter in einem Verlag arbeitet. Doch dann vertrödelte sie ihre Zeit mit „kleinen PseudoJobs“ bis zur Scheidung (ebd. S. 42). Danach fehlte ihr für eine Juristenstelle die Berufserfahrung und für einfache Bürojobs galt sie als überqualifiziert. Die beiden Inszenierungen symbolisieren die Scheidung als das Ereignis, durch welches die „Frauen-Falle“ spätestens als ein Verlust der eigenen beruflichen Zukunft deutlich erkennbar wird. Auf den nächsten beiden Fotos sind zwei Männer in konträren Rollen abgebildet (Abb. 13 und 14). Der eine sitzt mit Putzeimer auf der Kante der Badewanne und gibt den Hausmann: „Wenn sie nach Hause kam, kontrollierte sie in den Schränken, ob er richtig geputzt hatte“ (ebd. S. 44), lautet der Bildkommentar. Das Paar kam laut Artikel mit dem Rollenwechsel „überhaupt nicht zurecht“. Dadurch wird impliziert, dass ein einfacher Rollenwechsel keine Lösung im Sinne einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung darstelle und somit kein Weg aus der Rollenfalle sein könne. Das zweite Männer-Foto zeigt einen Kameramann bei der Arbeit mit dem Kommentar: „Der Mann soll super im Job sein, gleichzeitig soll er um fünf nach Hause kommen und mit den Kindern essen“ (ebd. S. 44). Dieses Foto symbolisiert das Pendant zur „Frauen-Falle“: die „Männerfalle“, die impliziert, dass viele Männer mehr arbeiten und weniger Zeit für ihre Familien haben, als sie es sich wünschen (Abb. 14).
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Abb. 13: Der Spiegel, 24.04.2006, S.43
Abb. 14: Der Spiegel, 24.04.2006, S. 44
Das letzte Foto zeigt das bereits erwähnte Ehepaar bei der Übergabe ihrer Kinder vor dem Ministerium, in dem beide arbeiten (Abb. 9). Dieses Modellpaar der Gleichberechtigung praktiziert laut Artikel eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Arbeitsteilung. Immerhin haben beide ihre Arbeitszeit reduziert und sind in leitender Stellung tätig. Das Foto wird mit einer spöttischen Aussage der Ehefrau gegenüber den VollzeitMüttern kommentiert: „Wenn man den ganzen Tag zu Hause hockt, muss man seine Taten ja heroisieren“ (ebd. S. 45). Das habe das gleichberechtigt und partnerschaftlich lebende Ehepaar nicht nötig, so schließt der Artikel. Denn: „Die beiden haben anderes zu tun: Sie haben gerade ein Haus gebaut – mit Platz für ein drittes Kind“ (ebd. S. 45). Damit verbindet der Artikel den Geschlechterdiskurs mit der ökonomischen Standortdebatte: Die Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau sei nicht nur sozial gerechter, sondern auch ökonomisch und demografisch produktiver. Die beiden Bilder, die den Artikel rahmen, markieren die Meilensteine der Emanzipation und Gleichberechtigung. Die junge Studentin am Anfang des Artikels kennzeichnet die „halbe Strecke“, also die Erfolge der jungen Frauengeneration im Bildungswesen und das aufgeklärte Bewusstsein der Gleichberechtigung (ebd. S. 34). Wenn sie nach vorne blicken würde, anstatt nach hinten, schlösse sich das helle Loch, das ihr Blick öffnet (Abb. 6). Der Blick nach vorne ist in diesem Artikel nicht jener der altvorderen Feministin, sondern derjenige einer Frau, die eine Klinik trotz der Diskriminierungen ihrer männlichen Kollegen leitet (Abb. 5, ebd. S. 38). Weder die Ernährer- und Hausfrauenehe noch der Rollenwechsels zur Ernährerin- und Hausmannehe ist für diesen Spiegel-Artikel ein Erfolgsmodell für die Zukunft. Stattdessen plädiert er für das Modell der partnerschaftlichen Arbeitsteilung, welches im letzten Bild und Fallbeispiel dargestellt wird. Die vielen Bilder und Fallbeispiele des Artikels zur „Frauen-Falle“ werden deshalb durch das Symbol des Bildungserfolgs der Frauen und das Modell einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung positiv gerahmt.
72 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
Der Artikel möchte nicht nur das Bewusstsein, sondern die soziale Praxis verändern. Da er dies als ein diskursives Ereignis jedoch nur über den Diskurs und folglich über eine Veränderung des Bewusstseins erreichen kann, versucht er dieses Dilemma durch die Form seiner Darstellung zu invisibilisieren. Die Form des Feature erzeugt eine bimodale, multiperspektivische und vielstimmige Spiegelung der sozialen Wirklichkeit. Mittels dieser Spiegelung wird die Botschaft des Artikels nicht direkt, sondern indirekt durch das Arrangement der Stimmen der Anderen und durch das Zeigen von kommentierten Bildern vermittelt. Die „FrauenFalle“ bildet die zentrale Metapher des Artikels: Sie markiert dessen Zentrum und zeigt sich in allen Bildern und Beispielen, Informationen und Argumenten. Den Weg aus dieser „Frauen-Falle“ soll nicht mehr der „altvordere“ Feminismus, sondern ein pragmatischer Kampf um Anerkennung weisen, der jedoch bestenfalls „auf halber Strecke“ angelangt ist. Dabei wird der Rahmen von der „halben“ zur „ganzen“ Strecke durch das erste und letzte Bild des Artikels gesetzt (Abb. 6 und Abb. 9). Anhand des internationalen Ländervergleichs zeigt sich, dass dieser Weg nicht nur wünschenswert, sondern auch profitabel wäre. Nominalistische Dekonstruktivisten würden sagen, dass der Artikel mit der Metapher der „Frauen-Falle“ seinen zentralen Aussagen widerspricht: Denn indem er die Metapher verwendet, schreibt er implizit den Frauen die Verantwortung für das In-die-Falle-tappen zu, nicht den sozialen Deutungsmustern, Verhaltensweisen und gesellschaftlichen Strukturen. Durch die Inszenierung der Metapher vergegenständliche und verfestige der Artikel eine diskursive Perspektive, die er überwinden möchte – nämlich, dass es im Wesentlichen an den Frauen liegt, an den dargestellten Sachverhalten etwas zu ändern. Der Ausgang aus der „FrauenFalle“, der von der halben bis zur ganzen Strecke, von der anfänglichen bis zur vollständigen Emanzipation führen soll, besteht in einer Veränderung des Diskurses. Durch die Verwendung der falschen Metapher (als Symbol eines falschen Bewusstseins) fällt der Diskurs hinter seine eigenen Erkenntnisse zurück – womit diskursive Strukturen verfestigt werden, anstatt sich zu verändern. Uns ist sehr wohl bewusst, dass der gleiche Widerspruch, den wir hier dem Spiegel-Artikel konzedieren, ebenfalls für diese Studie gilt. Denn auch diese Studie setzt sich unweigerlich dem Vorwurf aus, die „FrauenFalle“ dadurch zu verfestigen, dass sie jene als eine zentrale Metapher des Diskurses der Un-Vereinbarkeit untersucht. Die Re-Konstruktion der Metapher führt demnach zu deren Reifikation anstatt zu deren De-Konstruktion. Ohne diesen Vorwurf ganz zurückweisen zu können, halten wir das „Wie“ der Verwendung der Metapher entscheidend für das, „Was“ sie
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zum Ausdruck bringt. Das Wie der Spiegel-Inszenierung zielt auf einen Ausgang aus der „Frauen-Falle“ und damit auf deren De-Konstruktion ab. Ebenso beabsichtigt das Wie unserer Diskursanalyse eine Dekonstruktion der „Frauen-Falle“ als eine selbstverständliche soziale Metapher. Ob und wie weit der Spiegel-Artikel zum einen und unsere Analyse des Artikels zum anderen auf diesem Weg führen können, mögen dann allerdings wiederum andere entscheiden.
2.2 Eine Gegen-Inszenierung im Kampf um Images: Das FAZ–Spezial zur „Frauenfalle“
Am 12. September 2010 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ein sechsseitiges „Spezial“ unter dem Titel „Die Frauenfalle“8 Das FAZ-Spezial zur Frauenfalle kann als eine Gegeninszenierung zum Spiegel-Artikel gelesen werden, der im Jahr 2006 mit dem Titel „Die Frauen-Falle“ erschien. Bei dem fast zweiseitigen Aufmacher-Artikel des FAZSpezials handelt es sich formal um einen Essay. Wie der Spiegel-Artikel so versteht sich auch der Aufmacher des FAZ-Spezials als ein Interdiskurs zwischen Journalismus und Wissenschaft. Dies ist evident, da er Ergebnisse wissenschaftlicher Studien anführt, insgesamt fünf Grafiken präsentiert und Theorien zum Thema bespricht. Während im Spiegel-Artikel Elemente des Essays und der Bild-Reportage in einem Feature integriert wurden, erscheinen im FAZ-Spezial die verschiedenen Gattungen als separate Artikel: der lange Aufmacher-Artikel als Essay zusammen mit einer kurzen Kolumne (ebd. S. 49/50), eine Reportage über die besondere Spezies der „Taunus-Mütter“ (ebd. S. 51), Porträts (jeweils mit Bild) von bürgerlichen Frauen des 19. (ebd. S. 50) und des 21. Jahrhunderts (ebd. S. 52/53), sowie ein Interview mit der amerikanischen Feministin Alice Eagly am Ende des Spezials (ebd. S. 54). Im Aufmacher des FAZ-Spezials erscheint das Schlagwort „Die Frauenfalle“ in großen Lettern als Teil des großformatigen Bildes der Titelseite. Dadurch wird der abgebildete Torso einer Frau im Businessdress mit einem nackten Kinderbein zum Emblem, d.h. zum stilisierten Sinnbild und Zeichen der „Frauenfalle“ (Abb. 15).
Alle Artikel des sechsseitigen FAZ-Spezial erscheinen unter dem Titel „Die Frauenfalle“. Siehe Tabelle 3 im Abschnitt 1.3, die eine Übersicht zu den Artikeln bietet.
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74 | Ausgänge aus der „Frauen-Falle“
Abb. 15: FAZ, 12.09.2010, S. 49-50
Das Emblematische dieses Bildes wird durch die Reproduktion des gleichen Bildes auf der nächsten Seite unterstrichen. Eine zusätzliche Betonung erfolgt dadurch, dass die Torso-Frau mit Kinderbeinchen nun lediglich mit den nebenstehenden Worten „Die Frauenfalle“ erscheint (ohne Titel-Schlagzeile und die Nennung der Autorin und des Autors). Das Bezeichnende steht hier neben dem Bezeichneten, die Worte verweisen auf das Bild und umgekehrt. Jene Emblematik spielt auf das Bild „Ceci n’est pas une pipe" des Surrealisten René Magritte an, auf dem dieser Satz unter der Zeichnung einer Pfeife steht. Der Surrealist René Magritte spielt in seinem Bild „Ceci n’est pas une pipe" sowohl mit der Differenz von Wort und Bild als auch mit der Differenz von Repräsentation und Wirklichkeit (vgl. Foucault 1997). Denn so wie weder das Wort mit dem Bild identisch ist noch diese beiden Repräsentationen die gegenständliche Pfeife selbst sind, so kann weder der Frauentorso im Businessdress mit nacktem Kinderbeinchen noch die Bezeichnung „Die Frauenfalle“ behaupten, dass sie miteinander identisch seien. Und noch weniger sollten sie mit der Realität verwechselt werden. Zugleich stellt jedoch das „ceci“ eine untrennbare Verbindung zwischen der Pfeife als Wort und als Bild und beider Repräsentationen mit der Realität her. Und ebenso wird „Die Frauenfalle“ neben dem Frauen-Torso mit Kinderbeinchen durch Kontiguität zur Bezeichnung des Letzteren. Dadurch mutiert das Bild zu einer emblematischen Ikone. Weder die Bezeichnung „Die Frauenfalle“ noch ihr Emblem sind einfach das, was sie bezeichnen und zeigen. Sie stehen vielmehr, so lautet die versteckte Botschaft dieser surrealistisch (negierten) Emblematik, in einem spannungsgeladenen Wechselverhältnis zueinander: in einem Kampf um Images, um die Bedeutung und Bewertung von Repräsentationen. Oder in den Worten Foucaults: in einer „Schlacht“.9 Das Emblem selbst, der stilisierte 9 Michel Foucaults Dekonstruktion des Wechselverhältnisses von Wort und Bild (sowie von Repräsentation und Wirklichkeit) läuft in seiner Lektüre der Bilder von
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Frauentorso im Businessdress mit nacktem Kinderbein, stellt die „FrauenFalle“ als Doppelkörper, als Verschränkung von Frauen- und Kinderkörper dar. Durch den Businessdress wird es zum Emblem der UnVereinbarkeit. Dieses Emblem der „Frauen-Falle“ zeigt die Frau im Businessdress, aber mit nacktem Kinderbeinchen in metonymischer Kontiguität zum Phallus10: Es markiert damit den kleinen, aber feinen Unterschied, der weder zu übersehen noch zu verwechseln ist. Auf der unmittelbar sichtbaren Bedeutungsebene nimmt der Doppelkörper Bezug zur Doppelrolle und -belastung der berufstätigen Frau und Mutter. Dabei verweist der harte Kontrast zwischen dem hermetischen Businessdress und dem nackten Kinderbeinchen auf die Un-Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Businesstorso zeigt jedoch ebenso wenig ein Loch wie die Hände der Frau, die sich selbst und das Beinchen des Kindes umschließen. Wer könnte hier in welches Loch fallen, in welche Falle tappen? Und wer, wenn nicht das nicht vorhandene Loch, d.h. die nicht sichtbare Falle, würde die andere, die unsichtbare Bedeutungsebene dieser Inszenierung markieren? Dieses Emblem der „Frauenfalle“ negiert sich folglich selbst, indem es zu seinem eigenen Gegenbild wird. Die hyperstilisierte und schematisch klare Form verweist – auch durch die Duplikation des Bildes – auf die Marienikonen: Aus der Gottesmutter mit dem Kinde ist ein Businesstorso
René Magritte auf den Terminus der „Schlacht“ hinaus: „Aber ich fürchte, ich habe das, was für Magrittes Pfeife wesentlich ist, übersehen. Ich habe so getan, als ob der Text sagen würde: ,Ich (dieses Emblem von eben gelesenen Wörtern) bin keine Pfeife’; ich habe so getan, als gäbe es zwei gleichzeitige und voneinander getrennte Positionen innerhalb eines einzigen Raumes: die der Figur und die des Textes. Ich habe nicht beachtet, dass zwischen beiden ein subtiles, unstabiles, zugleich hartnäckiges und unsicheres Band angedeutet ist: durch das Wort >>dies