NeuZugänge: Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung [1. Aufl.] 9783839423813

Museen sammeln das kulturelle Erbe einer Gesellschaft. Aber wie sieht es mit dem kulturellen Erbe der Einwanderer aus? I

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German Pages 200 Year 2014

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Table of contents :
Grußwort des Präsidenten des Deutschen Museumsbundes e.V
Grußwort der Vorsitzenden des Freundeskreises des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum der Staatlichen Museen zu Berlin e.V
Einleitung
TEXTTEIL
Partizipatives Sammeln in der Einwanderungsgesellschaft
Neue Zugänge durch partizipative Strategien bei der Ausstellungsentwicklung
Weitgereiste Objekte im Museum für Islamische Kunst
Gedanken zur Langstrumpfizierung musealer Arbeit. Oder: Was sich aus der Laborausstellung «NeuZugänge» lernen lässt
Was versteht man unter «migratory aesthetics»?
Forschen im Bestand – Annäherungen an zwei Objekte
Sammlungen erzählen Geschichte(n) im Stadtmuseum Berlin
KATALOGTEIL
Ausstellungstexte zu den Objekten der beteiligten Museen mit Kommentaren der Fokusgruppen
Interviews mit den externen Leihgeberinnen zu den von ihnen zur Verfügung gestellten Objekten
Interviews mit den Sammlungsleiterinnen bzw. Direktoren der beteiligten Museen zum Umgang mit dem Thema «kulturelle Vielfalt» in ihrer Institution
Leihgaben der Besucherinnen während der Laborausstellung
Fotos der Ausstellung
Anhang: Rezensionen der Ausstellung
Autorinnen und Autoren
Danksagung
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NeuZugänge: Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung [1. Aufl.]
 9783839423813

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Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.) NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung

Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.)

NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung

Gefördert durch VolkswagenStiftung Freundeskreis des Museums für Islamische Kunst e.V. Museum für Islamische Kunst der SMB Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg Stiftung Stadtmuseum Werkbundarchiv – Museum der Dinge Die Technische Universität Berlin Hauptstadtkulturfonds

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Armin Herrmann Lektorat: Corinna Ditscheid Satz: Susan Kamel und Christine Gerbich Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2381-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Grußwort des Präsidenten des Deutschen Museumsbundes e.V.

Volker Rodekamp | 7 Grußwort der Vorsitzenden des Freundeskreises des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum der Staatlichen Museen zu Berlin e.V.

Barbara Kellner-Heinkele | 9 Einleitung

Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel Susanne Lanwerd, Frauke Miera | 11

TEXTTEIL Partizipatives Sammeln in der Einwanderungsgesellschaft

Lorraine Bluche, Frauke Miera | 23 Neue Zugänge durch partizipative Strategien bei der Ausstellungsentwicklung

Christine Gerbich | 39



Weitgereiste Objekte im Museum für Islamische Kunst

Gisela Helmecke | 59



Gedanken zur Langstrumpfizierung musealer Arbeit. Oder: Was sich aus der Laborausstellung «NeuZugänge» lernen lässt

Susan Kamel | 69 Was versteht man unter «migratory aesthetics»?

Susanne Lanwerd | 99



Forschen im Bestand – Annäherungen an zwei Objekte

Fabian Ludovico | 113



Sammlungen erzählen Geschichte(n) im Stadtmuseum Berlin

Peter Schwirkmann, Martina Weinland | 125

KATALOGTEIL Ausstellungstexte zu den Objekten der beteiligten Museen mit Kommentaren der Fokusgruppen | 135 Interviews mit den externen Leihgeberinnen zu den von ihnen zur Verfügung gestellten Objekten | 153 Interviews mit den Sammlungsleiterinnen bzw. Direktoren der beteiligten Museen zum Umgang mit dem Thema «kulturelle Vielfalt» in ihrer Institution | 171



Leihgaben der Besucherinnen während der Laborausstellung | 179 Fotos der Ausstellung | 187 Anhang: Rezensionen der Ausstellung | 191 Autorinnen und Autoren | 193 Danksagung | 197

Grußwort des Präsidenten des Deutschen Museumsbundes e.V. V OLKER R ODEKAMP

Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer Vielfalt der Lebensentwürfe und Biografien, von Mobilität und Migration. Als Teil dieser Gesellschaft müssen Museen sich fragen und fragen lassen, ob sie dem in ihrer Sammlungs-, Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit ausreichend Rechnung tragen. Die Bereitschaft ist da. Zahlreiche Museen haben sich gemeinsam mit dem Deutschen Museumsbund in seinem Memorandum von 2010 dafür ausgesprochen, das Engagement der Museen, die sich bereits mit der Realität der Zuwanderungsgesellschaft befassen, zu bündeln, zu strukturieren und verstetigen sowie in die Breite der Museumslandschaft zu tragen. Ziel ist die «interkulturelle Öffnung im Selbstverständnis, in den inhaltlichen Programmen, in den Gremien und beim Personal».1 Sie haben im Jahr 2010 den Arbeitskreis Migration beim Deutschen Museumsbund gegründet, haben in ihren Häusern Prozesse in Gang gesetzt, vertieft und ausgeweitet, Konzepte entwickelt und sich bei Tagungen miteinander vernetzt. Nicht zuletzt war die Jahrestagung 2012 des Deutschen Museumsbundes dem Thema «Alle Welt im Museum? Museen in der pluralen Welt» gewidmet. Wenn der Deutsche Museumsbund nun von Juli 2012 und bis Juni 2015 mit seiner «Initiative für vielfältige Perspektiven» zwei umfassende Projekte zum Thema «Museum und Migration» durchführt, geschieht dies mit der großzügigen Förderung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des Bundesinnenministeriums, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, auf der einen Seite und mit der bereits bestehenden Expertise in der Museumslandschaft 1

Nationaler Integrationsplan der Bundesregierung: «Neue Wege – Neue Chancen», Berlin 2007, S. 132.

8 | V. RODEKAMP

auf der anderen. Zu einem wegweisenden und bereits erprobten Format zählt die Laborausstellung «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen». Die für das Berliner Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg tätigen freien Kuratorinnen Lorraine Bluche und Frauke Miera haben gemeinsam mit den Forscherinnen Christine Gerbich, Susan Kamel und Susanne Lanwerd vom «Experimentierfeld Museologie» der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst, dem Stadtmuseum Berlin und dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge neue Impulse für die Sammlungsarbeit in Deutschland erprobt, die über die Grenzen Berlins hinaus weisen. Mutig wurde die Perspektive von museumsexternen Personen mit und ohne Migrationshintergrund auf bestehende Sammlungen ernst genommen und als Bereicherung verstanden. Das singuläre Programm kann dank der Förderungen des Deutschen Museumsbundes an andere Museen weitergegeben werden: Lorraine Bluche und Frauke Miera, zwei der Initiatorinnen der Kooperationsausstellung, machen die gesammelten Erfahrungen im Rahmen des Projektmoduls «Sammlungen neu sichten» für weitere Museen nutzbar. Der Ansatz von «Neuzugänge» wird dabei auf Museen verschiedener Sparten andernorts übertragen, denen im Selbstversuch Teilhabe an Erkenntnissen und Praxis der Berliner Kolleginnen ermöglicht wird. Das Thema ist wichtig. Wir freuen uns, dass mit der vorliegenden Publikation des Transcript Verlags die Ergebnisse des Projekts öffentlich zugänglich gemacht und in die Fläche getragen werden. Den Mitwirkenden gilt unser Dank für ihr Engagement in der Sache. Berlin, September 2012

Grußwort der Vorsitzenden des Freundeskreises des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum der Staatlichen Museen zu Berlin e.V. B ARBARA K ELLNER -H EINKELE

Das Museum für Islamische Kunst auf der Museumsinsel in der Mitte Berlins ist in Deutschland einzigartig und gehört weltweit zu den bedeutendsten Sammlungen, die das kulturelle Erbe muslimischer Gesellschaften bewahren, restaurieren und vermitteln. Die mehrheitlich touristischen Besucher können dort Meisterwerke islamisch geprägter Kulturen und der in ihnen lebenden christlichen und jüdischen Bevölkerungsgruppen erleben, die zwischen dem 7. und dem 19. Jahrhundert geschaffen wurden und aus einer Region stammen, die von Spanien im Westen bis nach Indien im Osten reicht. Bis zum Jahr 2019 erfährt das Museum im Rahmen des Masterplans Museumsinsel eine grundlegende Erneuerung sowohl in räumlicher als auch in konzeptioneller Hinsicht: Es wird bei mehr als doppelter Ausstellungsfläche in den Nordflügel des Pergamonmuseums ziehen und dort seine Sammlungen in neuer Ordnung präsentieren. Der 2009 gegründete Freundeskreis des Museums für Islamische Kunst e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Museum bei seiner Mission, die Kunst und Kultur des Nahen und Mittleren Ostens zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln, zu unterstützen. Hierbei ist dem Freundeskreis insbesondere die bisher unterrepräsentierte Berliner Öffentlichkeit wichtig, zu der auch die große Anzahl an Menschen mit persönlichen Bezügen in die Sammlungsgebiete des Museums gehört. Besonders für sie möchte das Museum eine symbolische Heimat sein. Darüber hinaus sieht es der Freundeskreis als seine Aufgabe, strukturell Benachteiligten mit erschwerten Zugangschancen zu kultureller Bildung Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Kunst und der Kulturgeschichte

10 | B. KELLNER-HEINKELE

islamisch geprägter Länder zu eröffnen. Themen wie Zugänglichkeit und soziale Inklusion, Fragen der Repräsentation und der kulturellen Diversität gehören zu den Kernthemen, denen sich das Museum neben seiner ständigen Arbeit an den Sammlungen stets neu stellen muss. Im Zuge der Neukonzeption des Museums hat sich daher die Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt «Experimentierfeld Museologie. Ein Projekt zur Vermittlung islamischer Kunst- und Kulturgeschichte», das von Christine Gerbich, Susan Kamel und Susanne Lanwerd an der Technischen Universität Berlin durchgeführt wird, als besonders fruchtbar erwiesen: So initiierten die Forscherinnen eine Zusammenarbeit mit dem Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, dessen Verortung in einem Kiez mit starker migrantischer Struktur andere Herausforderungen und Chancen in sich birgt. In Kooperation mit den freien Kuratorinnen Lorraine Bluche und Frauke Miera konzipierten sie das Ausstellungskonzept für die Laborausstellung. Der Freundeskreis des Museums hat von Anfang an das große Potenzial dieses Konzepts für das Museum für Islamische Kunst erkannt und unterstützte nicht nur die erfolgreiche Ausstellung, sondern auch diese Publikation, um sich bewusst und selbstreflexiv mit Fragen der Kanonisierung und Diversifizierung von (Museums-)Öffentlichkeiten auseinanderzusetzen. Neue Fragen an (alte) Sammlungen zu stellen und diese damit in die Gegenwart zu holen, erscheint uns als ein ebenso vielversprechendes Unterfangen wie der Museumsdiwan, der Berlinerinnen und Berliner mit oder ohne Migrationshintergrund, jeglichen Alters, jeglicher sexuellen Orientierung, mit oder ohne Behinderung, jeglichen Bildungsgrads und jeglicher Religion mit in die Ausstellungsentwicklung integriert. Das Museum für Islamische Kunst wird das in der Laborausstellung erprobte Vorgehen, mit Hilfe von BesucherInnen, Nicht-BesucherInnen und Experten Ausstellungen zu entwickeln, gemeinsam mit dem «Experimentierfeld Museologie» fortführen. Im Namen des Vorstands möchte ich den Initiatorinnen der Ausstellung «Neuzugänge» für ihre engagierte Arbeit und ihr innovatives Vorgehen danken und wünsche Ihnen als Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre. Berlin, November 2012

Einleitung L ORRAINE B LUCHE , C HRISTINE G ERBICH , S USAN K AMEL , S USANNE L ANWERD , F RAUKE M IERA

M IGRATION – M USEUM – P ARTIZIPATION Vor dem Hintergrund von Migranteninitiativen einerseits und internationalen praktischen Erfahrungen andererseits,1 setzt sich seit einigen Jahren in Deutschland in Teilen von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft der Anspruch durch, dass das Thema «Migration» stärker in die Ausstellungs- und Sammlungsarbeit von Museen zu implementieren sei. Dieser moralisch-politische Anspruch hat das Ziel, das kulturelle Erbe von Einwanderinnen2 zu bewahren und ihnen in den Museen als Produktionsstätten nationaler, regionaler und lokaler Identität ihren Platz einzuräumen.3 Gleichzeitig wird eine stärkere interkulturelle Öffnung der Museen angestrebt, und zwar sowohl für neue Besuchergruppen als auch für Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund.

1

Siehe Joachim Baur: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und

2

Wir sind in diesem Band bemüht, abwechselnd die weibliche und die männliche Form

die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009. zu nennen. Es sind aber grundsätzlich immer alle Geschlechter gemeint. 3

Siehe Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen 2004; zahlreiche Tagungen, unter anderen «Das historische Erbe der Einwanderer sichern. Die Bundesrepublik Deutschland braucht ein Migrationsmuseum», Brühl 2002; «Migration in museums – Narratives of diversity in Europe», Berlin 2008 sowie die Gründung eines entsprechenden Arbeitskreises innerhalb des Deutschen Museumsbundes, Dortmund 2010.

12 | L. BLUCHE, C. G ERBICH , S. K AMEL, S. L ANWERD , F. M IERA

Während es in der Bundesrepublik inzwischen einen regelrechten Boom an sogenannten Migrationsausstellungen gegeben hat,4 wird die Frage, was eine interkulturelle Öffnung der Museen für die Sammlungsarbeit bedeutet, in der deutschsprachigen Forschung und Museumspraxis bislang kaum beantwortet.5 Innerhalb eines Netzwerks deutscher Stadt- und Regionalmuseen werden zwar Erfahrungen mit temporären Sammlungsaktionen zur Einwanderungsgeschichte ausgetauscht; grundlegende konzeptionelle Überlegungen dazu, was gesammelt werden soll, wer hierüber entscheidet und ob Migrationsgeschichte spezifische Sammlungs- und Gestaltungskonzepte erfordert,6 stehen in der deutschsprachigen Debatte aber erst am Anfang. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Debatte um die Musealisierung der Migration7 ist in Teilen der deutschen Museumslandschaft zugleich verstärkt die

4

Siehe zum Beispiel: «Angekommen. Russlanddeutsches Leben», LWL-Freilichtmuseum Detmold, 2009; «gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration», «Hier geblieben. Zuwanderung und Integration in Niedersachsen 1945 bis heute», Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, 2004; «Zwischen Kommen und Gehen ... und doch Bleiben – ‹Gastarbeiter› in Deutschland 1955-1973», Südwestdeutscher Rundfunk International, 2005; «Projekt Migration», DOMiD, Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. und andere, 2005; «Von Fremden zu Frankfurtern – Zuwanderung und Zusammenleben», Historisches Museum Frankfurt am Main, 2004, «Geteilte Welten. Einwanderer in Hamburg», Museum der Arbeit Hamburg, 2003; «Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde. Schlaglichter von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart», Museumsdorf Cloppenburg, 1999; «Jeder nach seiner Façon. 300 Jahre Zuwanderung nach Friedrichshain-Kreuzberg», Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg Berlin, 2005; «Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005», Deutsches Historisches Museum Berlin, 2005; «Gastarbeit in Hannover. Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben», Historisches Museum Hannover 2011.

5

Siehe auch Lidia Guzy/Rainer Hatoum/Susan Kamel (Hg.): From imperial museum to communication center? On the new role of museums as mediators between science and non-western societies, Würzburg 2010.

6

So zum Beispiel Paul van de Laar, http://www.interkulturpro.de/ik_pdf/vortrag-vande-Laar.pdf; aufgerufen am 11.05.2010.

7

Michael Fehr diskutiert die «Musealisierung der Migration» kritisch, indem er auf die Struktur des Museums als repräsentative Institution und auf das zumeist koloniale Erbe der Museen aufmerksam macht; siehe Michael Fehr: Überlegungen zu einem ‹Migrationsmuseum› in der Bundesrepublik, in: Wagner, Bernd (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik, Essen 2009, S. 265-270.

EINLEITUNG

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Idee der sozialen Verantwortung in der Arbeit eines Museums mit Besuchern und Interessengruppen in den Vordergrund gerückt. Diese Entwicklung knüpft an den Paradigmenwechsel der Neuen Museologien an, der seit den 1970er Jahren durch die Forderungen marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen nach Repräsentation und kultureller Teilhabe im Museum eingeleitet wurde.8 Dieser Paradigmenwechsel impliziert Fragen der stärkeren Einbeziehung von (Nicht-)Besucherinnen in die Museumsarbeit im Sinne von «social inclusion», die unter der Trias Zugang, Mitwirkung und Repräsentanz gebündelt werden können.9 Diese theoretischen Debatten und die internationalen praktischen Erfahrungen10 dazu haben bisher nur wenig Eingang in die Praxis deutscher Museen gefunden; nicht selten wurde hier Partizipation mit Entprofessionalisierung und einer Entwertung der Museumsarbeit gleichgesetzt.11 Zugleich wächst aber in jüngster Zeit auch in Deutschland das Interesse an partizipativen Methoden in der Museumsarbeit:12 Immer mehr Museen sind daran interessiert, sich mit dem

8

Siehe zum Beispiel Sharon Macdonald: Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Joachim Baur (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 49-69.

9

Siehe Jocelyn Dodd/Richard Sandell (Hg.): Including museums: Perspectives on museums, galleries and social inclusion, Leicester 2001; Richard Sandell/Eithne Nightingale (Hg.): Museums, equality and social justice, London 2012. Siehe auch Lorraine Bluche/Frauke Miera: ‹Geteilte› Erinnerungsräume. Zur Vision eines Inklusiven Museums aus kuratorischer Sicht, in: Felix Ackermann/Anna Boroffka/Gregor Lersch (Hg.): Partizipative Erinnerungsräume, Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen, Bielefeld im Erscheinen.

10 Siehe zum Beispiel die «neighbourhood museums» seit den 1960er Jahren in den USA und Lateinamerika sowie die «écomusées» in Frankreich seit den 1970er Jahren. Zu partizipativen Ansätzen in der Sammlungsarbeit siehe zusammenfassend: Peter van Mensch / Léontine Meijer van Mensch: Collecting as intangible heritage, in: Collectingnet Newsletter 3, April 2010, Nr. 9, S. 2-4. 11 Siehe zum Beispiel die Tagung «Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen», Stiftung Stadtmuseum Berlin, April 2009, Tagungsbericht: http://hsozkult. geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2701&count=153&recno=16&sort=datum &order=down&geschichte=81; aufgerufen am 12.05.2010. 12 Siehe Nina Simon: The participatory museum, Santa Cruz 2010; Lorraine Bluche/Martin Düspohl/Frauke Miera: Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum. Erfahrungen und Perspektiven, in: Matthias Dreyer/Rolf Wiese (Hg.): Das offene Museum. Rolle und Chancen von Museen in der Bürgergesellschaft, Ehestorf 2010, S. 181-196; Susanne Gesser/Martin Handschin/Angela Janelli/Sibylle Lichtensteiger

14 | L. BLUCHE, C. G ERBICH , S. K AMEL, S. L ANWERD , F. M IERA

demografischen Wandel und der kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt auseinanderzusetzen und deshalb inklusiv zu arbeiten, also einbindend und pluralistisch. Allerdings sind es in Deutschland eher kleine und mittlere Museen, die partizipative Projekte realisieren. Auf der internationalen Bühne hingegen lässt sich feststellen, dass dort auch in großen Nationalmuseen ein Wandel hin zum inklusiven Museum stattfindet.13

Z UR AUSSTELLUNG «N EU Z UGÄNGE » Die Frage nach dem Zusammenhang von kultureller Vielfalt und Sammlungsarbeit war Ausgangspunkt der partizipativen Ausstellung «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen», die vom 29. Januar bis zum 27. März 2011 im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin gezeigt wurde und als Laborausstellung konzipiert war. Zum Labor wurde sie auf zwei Ebenen: auf der Ebene der Sensibilisierung von Museumsmitarbeitern in Bezug auf eine interkulturelle, partizipative Öffnung des Museums; und auf der Ebene der Erprobung partizipativer Methoden in der Ausstellungsvorbereitung und während der Laufzeit der Ausstellung. Beteiligt waren das Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, das Museum für Islamische Kunst, das Werkbundarchiv – Museum der Dinge und das Stadtmuseum Berlin sowie das an der Technischen Universität Berlin angesiedelte Forschungsprojekt «Experimentierfeld Museologie». Ausgangpunkt für die breit aufgestellte Kooperation war ein Treffen zwischen den Mitarbeiterinnen des hauptsächlich aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds finanzierten Projekts «Migration macht Geschichte» und denen des von der VolkswagenStiftung finanzierten Projekts «Experimentierfeld Museologie». Das Projekt «Migration macht Geschichte» kooperierte zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Stadtmuseum; hierbei ging es um eine Neusichtung bestehender Sammlungsbestände unter migrationsgeschichtlichen Fragestellungen. Parallel hierzu war schon länger eine projektbezogene Zusammenarbeit des Bezirksmuseums Friedrichshain-Kreuzberg mit dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge, das seit 2007 ebenfalls seinen Sitz in Kreuzberg hat, im Gespräch. Das Projekt «Experimentierfeld Museologie» hatte Museumskonzepte und Beispiele gut funktionierender Vermittlungsarbeit an internationalen Museen erforscht und arbeitete darüber hinaus

(Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012. 13 So zum Beispiel Kelvingrove Art Gallery and Museum in Glasgow.

EINLEITUNG

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mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin zusammen. Die in diesen diversen Zusammenhängen geführten Gespräche über mögliche Formen der Kooperation wurden schließlich gebündelt und mündeten in der Idee der gemeinsamen Ausstellung. Das Konzept für «NeuZugänge» erwuchs dann aus langen, teils auch kontroversen Diskussionen zwischen den Projektbeteiligten, für die zum Teil sowohl der thematische als auch der methodische Zugang relatives Neuland waren. Dem Konzept lag eine doppelte These zugrunde: Wenn der Aufbau neuer Sammlungsbestände den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt» gerecht werden soll, bedarf es einerseits eines Neu-Lesens der vorhandenen Sammlungsbestände unter Beteiligung der (potenziellen) Besucher und andererseits auch der Einbindung unterschiedlichster museumsexterner Akteurinnen.14 In einem ersten Schritt richteten die beteiligten Museumsmitarbeiter zunächst den Blick auf die eigenen bestehenden Sammlungen. Es wurde jeweils gefragt: Gibt es womöglich verborgene Schätze in den Depots, die man aufspüren könnte – Objekte, die Geschichten über Migration und kulturelle Vielfalt erzählen, aber bisher aus anderen Gründen im Museum bewahrt worden sind? Im Ergebnis wählte jedes Museum je zwei Objekte aus und begründete diese Wahl ausführlich. Die insgesamt acht Objekte wurden in einem nächsten Schritt an zwei Terminen Gruppen von jeweils acht bis zehn Berlinerinnen unterschiedlicher Herkunft präsentiert, zu denen Personen mit und ohne eigene Migrationserfahrung zählten. Im Rahmen dieser Fokusgruppen wurden die Objekte selbst wie auch die Intentionen der Museen bei der Auswahl der Objekte zur Diskussion gestellt. Persönliche Meinungen und Assoziationen, aber auch spezifische Expertisen bezüglich der präsentierten Objekte waren gefragt. Hierbei orientierte sich das Team an der vom britischen «Museums, Libraries and Archives Council» in Zusammenarbeit mit dem Collection Trust entwickelten Methode «revisiting collections», deren Ziel darin besteht, durch die Neusichtung und Reflexion musealer Sammlungsbestände durch externe Experten Thematiken zu fokussieren, die bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Für «NeuZugänge» wurden die Sitzungen der Fokusgruppen protokolliert und ausgewertet; eine Auswahl an Kommentaren der Teilnehmerinnen zu den Objekten fand später Eingang in die Ausstellung. Parallel bat jedes beteiligte Museum je zwei private Leihgeber aus Berlin, die entweder selbst oder deren Eltern eingewandert waren, ein Objekt zu der Ausstellung beizusteuern, das aus ihrer Sicht die bestehende Sammlung des je-

14 Siehe zum Beispiel Sheila Watson (Hg.): Museums and their communities, Leicester 2007.

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weiligen Museums produktiv ergänzen könnte. Die Objektleihgeberinnen erläuterten darüber hinaus in Video-Interviews ihre Auswahl und erzählten aus ihrer Sicht die Geschichte des beigesteuerten Objekts. Die Ausstellung setzte dann die insgesamt 16 Objekte – acht aus den Museen, acht von privaten Leihgebern – mit den Kommentaren aus den Fokusgruppen in Beziehung. Darüber hinaus zeigte sie Video-Interviews mit den Sammlungsleiterinnen beziehungsweise Direktoren der beteiligten Museen; diese berichteten über den Umgang ihres jeweiligen Hauses mit den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt». Nicht zuletzt präsentierte die Ausstellung auf ihren Außenwänden anonyme Zitate aus der mehr als zehnjährigen Debatte zum Thema Sammeln in der Einwanderungsgesellschaft. Mit der Gestaltung der Ausstellung versuchte das Projektteam, die Idee des Neu-Lesens der Sammlungen der vier beteiligten Museen greifbar zu machen: Jedes der vier Museen wurde in einem eigenen Kabinett mit seiner «Sammlung» präsentiert und die Objektauswahl der Museen dabei zur Diskussion gestellt. Jeweils eine Wand der vier Kabinette zeigte grafisch verfremdete Großfotos der jeweiligen Sammlungsdepots; davor wurden die Museumsobjekte mit den Erläuterungen der Museumsmitarbeiterinnen ausgestellt. An den angrenzenden Wänden fanden sich die Kommentare der Teilnehmer der Fokusgruppen sowie überdimensionierte Notizzettel für Kommentare der Besucherinnen zu den Objekten in diesem Kabinett. Ein Glaskubus in der Mitte der vier Kabinette beinhaltete die Objekte der privaten Leihgeber; daneben liefen die Videointerviews der Leihgeberinnen zur Migrationsgeschichte dieser Neuzugänge. Das Ausstellungsteam hatte sich für einen transparenten Glaskubus entschieden, da dieser durch seine Durchlässigkeit keine eindeutige Zuordnung dieser Objekte zu bestimmten Sammlungen zuließ, denn manche von ihnen hätten mehrere der vier Sammlungen ergänzen können: Die Mokkakanne von Hamad Nasser zum Beispiel erzählte gleichzeitig Stadtgeschichte und Kiezgeschichte, die Geschichte der Dinge und vielleicht sogar ein bisschen islamische Kunstgeschichte. Insofern sollte hier die zum Teil ideologische Kanonisierung der Sammlungen in «islamische Hochkultur», «deutsche Popkultur» und «Kreuzberger Alltagskultur» gestalterisch in Frage gestellt werden. Als weiteres gestalterisches Element wählte Ellen Röhner, die Ausstellungsdesignerin des Kreuzberg Museums, Pappwände für «NeuZugänge»: Sie standen für das Flüchtige von Migration. Gleichzeitig zeugte Einwickelpapier vom Ankommen und Auspacken der (Neu-)Zugänge im Museum. Die Beteiligung des Publikums während der Laufzeit war ebenfalls Teil des Konzepts: Über die genannte Möglichkeit hinaus, die Objekte der Ausstellung zu kommentieren oder eigenes Wissen beizutragen, konnten eigene Beiträge zu den

EINLEITUNG

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Sammlungen der vier beteiligten Museen geleistet werden: Zum einen konnten Objektvorschläge während des Ausstellungsbesuchs auf Karten skizziert und in ein stilisiertes Depotregal gepinnt werden; zum anderen bestand die Möglichkeit, eigene materielle und immaterielle Objekte mitzubringen, die mit entsprechenden Erläuterungen in der Ausstellung gezeigt wurden. Zwei hierfür vorgesehene, zunächst leere Vitrinen füllten sich so während der zweimonatigen Laufzeit der Ausstellung. Insgesamt fanden also auf drei unterschiedlichen Ebenen Neuzugänge zu den vier Sammlungen statt: Erstens handelte es sich um neue Lesarten bestehender Sammlungen; zweitens um neue materielle Zugänge zu den Sammlungen durch private Leihgeber vor und durch Besucherinnen während der Laufzeit der Ausstellung; drittens schließlich erhofften wir uns Neuzugänge in Form neuer Besuchergruppen, für die das Museum durch die genannten Vorgehensweisen attraktiver werden sollte. Der Laborcharakter des Projekts «NeuZugänge» spiegelte sich in den intensiven Debatten innerhalb des Teams wider, das aus Museumsmitarbeiterinnen und museumsexternen Beteiligten bestand. Im Zentrum der Diskussion standen immer wieder die Begriffe «Migration» und «kulturelle Vielfalt», «Hochkultur» und «Alltagskultur», «Professionalität» und «Partizipation» sowie die Frage nach einer Ausstellungsgestaltung, die dem Laborcharakter angemessen wäre. Die Ausstellung selbst bildete einen Teil dieser Kontroversen konstruktiv ab. Der vorliegende Band führt die zum Teil unterschiedlichen, zum Teil gemeinsamen Positionen der Projektpartner weiterführend aus. Der Band gliedert sich in einen Aufsatzteil und einen Katalogteil. Die Aufsätze im ersten Teil spiegeln die theoretischen Debatten und die praktischen Herausforderungen wider, die mit dem Projekt verbunden waren; sie geben einen Einblick in die unterschiedlichen Perspektiven der Projektbeteiligten und leisten so einen Beitrag zu der in Deutschland noch vergleichsweise jungen Diskussion15 um die neue Rolle von Museen in Zeiten einer globalisierten Welt. Lorraine Bluche und Frauke Miera sprechen in ihrem Aufsatz von einer Vielzahl von Identitäten und Stimmen, die unsere Gesellschaft hervorbringt, vor allem in den Großstädten, und nutzen in diesem Zusammenhang den Begriff der «glokalen Community»: Gemeint sind alle Personen und Gruppen, die sich im Einzugsbereich eines Museums bewegen, die im Austausch mit ihm stehen oder

15 In dieser Diskussion werden auch neue Ästhetiken und Gestaltungskonzepte entwickelt, die die Erfahrung der Migration in den Mittelpunkt stellen. Siehe Floran Welle: Migration und Kunst. Wandern ist des Künstlers Last, in: Süddeutsche.de Kultur, 2.7.2012.

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idealerweise stehen sollten. Konkret skizzieren die Autorinnen, was diese Vielfalt für die Sammlungstätigkeit eines stadthistorischen Museums bedeutet: Es reicht nicht, so Bluche und Miera, fehlende Objekte zu akquirieren oder die Besucher über eine fertige Ausstellung zu befragen; stattdessen müssen Museen sich interkulturell auf mehreren Ebenen öffnen – zum Beispiel, indem sie die «glokale Community» bereits bei der Ausstellungsentwicklung involvieren und ihre Mitarbeiterschaft so diversifizieren, dass diese ihre «Community» auch widerspiegelt. Die Bandbreite möglicher partizipativer Ansätze, die Museen einsetzen können, um verschiedene Öffentlichkeiten einzubeziehen, stellt Christine Gerbich in ihrem Beitrag vor. Sie beschreibt ausführlich die partizipativ-kooperativen Strategien, die das Ausstellungsteam für «NeuZugänge» auswählte und schildert auch die Herausforderungen dieser Vorgehensweise, die nach ihrer Auffassung unter anderem neue Fähigkeiten von Seiten der Kuratorinnen erfordern. Dabei geht es bei den partizipativen Ansätzen nicht darum, so Gerbich, die Interpretationshoheit abzugeben; vielmehr soll die Vielschichtigkeit von Interpretationsmöglichkeiten zugelassen und vermittelt werden. Gisela Helmecke vom Museum für Islamische Kunst illustriert anhand eines Neulesens der zur Gemeinschaftsausstellung beigesteuerten Objekte – einer Seite des Korans und einem Metallbecken aus dem Iran des 14. Jahrhunderts – welche Geschichten Objekte erzählen könn(t)en, wenn wir neue Forschungsfragen an sie richten. Susan Kamel argumentiert in ihrem Aufsatz, dass partizipative Strategien alleine nicht ausreichen, um neue Perspektiven zu ermöglichen – dabei braucht unsere Gesellschaft neue Perspektiven mehr denn je, so die Autorin, um Klischees und Hassbilder im «Zeitalter anti-muslimischer Rassismen» aufzubrechen und herauszufordern. Kamel schlägt deshalb eine Systematik für neue Sichtweisen auf Museumsobjekte vor und zeigt anhand einer Auswertung der Laboraustellung, wie diese neuen Sichtweisen eine kritischere Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen ermöglichen. Letztlich aber fordert auch sie eine Veränderung der musealen Strukturen, für die sie den Begriff des «Inreach» etablieren möchte, um das Fernziel eines inklusiven Museums als Teil einer inklusiven Gesellschaft zu erreichen. Susanne Lanwerd erläutert in ihrem Beitrag, dass die gesellschaftlichen Veränderungen in der globalisierten Welt auch neue Ästhetiken und Gestaltungskonzepte nach sich ziehen. Sie stellt in diesem Zusammenhang das Konzept der «migratory aesthetics» vor und zeigt, wie diese Ästhetiken in der Gestaltung der Laborausstellung zum Ausdruck kamen – zum Beispiel, indem sie Multiperspektivität räumlich sichtbar machte. Migratorische Ästhetik, so Lanwerd, hat explo-

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rativen Charakter; sie zielt darauf, Migration erfahrbar zu machen, und sie vermittelt Inhalte, ähnlich wie die Laborausstellung, nicht über Migrantinnen sondern mit ihnen. Fabian Ludovico vom Werkbundarchiv – Museum der Dinge verdeutlicht in seinem Beitrag anhand eines Moscheeweckers und einer Zigarettendose der Marke «Problem Moslem» die neuen Lesarten, die «NeuZugänge» ermöglichte. Und Peter Schwirkmann und Martina Weinland erzählen kurz die Geschichte der Sammlung des Berliner Stadtmuseums und erläutern, was die Objekte dort über Migration erzählen. Ihre Ausführungen machen deutlich, wie wichtig es ist, Objekte neu zu befragen und Bekanntes neu zu sehen, um gesellschaftlichem Wandel gerecht zu werden. Der Katalogteil ergänzt die Aufsätze des Aufsatzteils durch eine Dokumentation der Ausstellung: Neben den einführenden Texten zur Ausstellung finden sich hier Fotos der Ausstellung, Besucherkommentare, die Ausstellungsobjekte und ihre Beschreibungen durch die Museen sowie die Liste der Teilnehmerinnen an den Fokusgruppen. Darüber hinaus können dort die Interviews mit den migrantischen Partnern und den Sammlungsleiterinnen nachgelesen werden. Abschließend kann gesagt werden, dass die Ausstellung «NeuZugänge» insoweit bereits erfolgreich war, dass zwei der Projektpartnerinnen (und Herausgeberinnen dieser Publikation), Lorraine Bluche und Frauke Miera, im Rahmen eines Projekts des Deutschen Museumsbundes zur interkulturellen Öffnung der Museen vier Museen dabei unterstützen werden, ihre Sammlungen neu zu lesen – und somit das Konzept weiterentwickeln werden.

Textteil

Partizipatives Sammeln in der Einwanderungsgesellschaft L ORRAINE B LUCHE , F RAUKE M IERA

Wie können die Schlagworte «Migration» und «kulturelle Vielfalt» im Hinblick auf das Sammeln in einem lokal- beziehungsweise stadtgeschichtlichen Museum sinnvoll mit Inhalt gefüllt werden? Und wie können neue Sammlungskonzepte in einer pluralen Gesellschaft partizipativ entwickelt werden? Die in diesem Band vorgestellte Ausstellung «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen» bot für uns als freie Kuratorinnen am Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, kurz: Kreuzberg Museum, ein Laboratorium, Antworten auf diese Fragen zu finden. Im Folgenden werten wir diese Laborausstellung im Hinblick auf die Potenziale und Perspektiven partizipativen Sammelns in der Einwanderungsgesellschaft aus.1

Z UR M USEALISIERUNG

DER

M IGRATION

Seit einigen Jahren hat die Kritik an der «Leerstelle Migration» im Museum in Deutschland Konjunktur. In diesem Zusammenhang kursieren neben dem Begriff «Migration» Schlagworte wie «kulturelle Vielfalt» und «interkulturelle Öffnung». Was sich genau hinter dieser Kritik verbirgt beziehungsweise wie diese Begrifflichkeiten mit Inhalt gefüllt sind, bleibt zuweilen unklar. Speziell der 1

Im Rahmen eines Projekts des Deutschen Museumsbundes zur interkulturellen Öffnung der Museen (Laufzeit: 2012-2015) werden wir vier Museen dabei unterstützen, das Konzept der Ausstellung «NeuZugänge» in ihren Häusern umzusetzen. Dieser Prozess stellt eine zusätzliche Möglichkeit dar, die bisher gemachten Erfahrungen auszuwerten und weiterzuentwickeln.

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Begriff «Migration» ist – nicht nur im Museumsbereich – zu einer Chiffre geworden, unter der sich verschiedene Phänomene und Themen subsumieren lassen. Ein zentraler Ausgangspunkt der Debatte um eine stärkere Implementierung des Themas «Migration» in Museen war der Ruf der Migrantenselbstorganisation DOMiT/D nach einem bundesrepublikanischen Migrationsmuseum seit den 1990er Jahren.2 Initiiert von türkeistämmigen Migrantinnen sammelte DOMiT/D zunächst Objekte zur Geschichte der Migration aus der Türkei, weitete aber seit Beginn des 21. Jahrhunderts das Themenspektrum auf die Migration aus anderen Ländern aus – vor allem jener, mit denen die Regierungen der Bundesrepublik und der DDR jeweils Verträge zur Anwerbung von Arbeitskräften abgeschlossen hatten. Vornehmliches Ziel waren die Aufarbeitung und die öffentliche Anerkennung der jüngeren deutschen Migrationsgeschichte. Dieser Ruf stand paradigmatisch für ein erstarkendes Selbstbewusstsein von Migranten, die – in vielfacher Hinsicht diskriminiert – ihren Anspruch auf Repräsentation in der neuen Heimat einforderten. Migrationsforscherinnen, darunter zahlreiche Historiker, waren ebenfalls Teil dieser Debatte: Im Zuge der Kontroversen um die Einwanderungsgesellschaft machten sie auf historische Kontinuitäten und Vorläuferinnen aufmerksam beziehungsweise sprachen von der «anthropologischen Konstante Migration» oder vom «Normalfall Migration».3 Solche Lesarten sollten dem vorherrschenden Diskurs von Migration als Bedrohung und der Vorstellung eines ethnonationalen Gesellschafts- und Staatsverständnisses entgegenwirken. Inzwischen erkennt der allgemeine öffentliche und politische Diskurs die Tatsache an, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die Reform des

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DOMiD – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. wurde 1990 unter dem Namen DOMiT – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei e.V. mit Sitz in Köln gegründet. Siehe http://www.domid.org/seiten/ueberdomid/ueberdomid-de.html; aufgerufen am 29.5.2012.

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Siehe zum Beispiel Klaus J. Bade/Jochen Oltmer (Hg.): Normalfall Migration: Deutschland im 20. und frühen 21. Jahrhundert, Bonn 2004; Klaus J. Bade: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000; Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen 2004; Jan Motte/Rainer Ohliger/Anne von Oswald (Hg.): 50 Jahre Bundesrepublik – 50 Jahre Einwanderung. Nachkriegsgeschichte als Migrationsgeschichte, Frankfurt am Main und New York 1999.

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Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 1999 hat zumindest teilweise den Nationenbegriff erweitert und definiert nun die Staatsangehörigkeit nicht mehr allein über die Abstammung beziehungsweise das Geburtsrecht. Im Nationalen Integrationsplan wurde die kulturelle Vielfalt positiv bewertet und die interkulturelle Öffnung der Institutionen als Ziel aufgenommen.4 Trotz dieser positiven Entwicklungen ist Zweierlei aber nicht zu übersehen: Zum einen liegt die Umsetzung dieser Ziele noch in weiter Ferne, und zum anderen ist oft nur von bestimmten Migrationsformen und Migrantinnen die Rede. Der positive Bezug auf die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft sollte nicht von der Virulenz von alltäglichem und institutionellem Rassismus oder von der mit dem Schlagwort «Festung Europa» verbundenen Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen aus aller Welt ablenken. Weitere Impulse in der Diskussion um die Repräsentanz von Migranten und Minderheiten in der nationalen und lokalen musealen Narration gaben internationale Entwicklungen: Einwanderungs- und Migrationsmuseen in Staaten wie den USA, Kanada oder Australien, in denen die Geschichte der Einwanderung traditionell zum nationalen Selbstverständnis gehört, aber auch zum Beispiel die Neugründung eines französischen Immigrationsmuseums, der Cité nationale de l’histoire de l’immigration in Paris, die unter anderem von Migrantenselbst organisationen vorangetrieben wurde, beförderten die Debatte in Deutschland.5 Inzwischen stellen sich etliche Museen und Kultureinrichtungen in Deutschland die Frage, wie sie die Themenfelder «Migration» und «kulturelle Vielfalt» in ihre Arbeit implementieren können. Hierbei geht es – so unsere Einschätzung – um Verschiedenes: Erstens um die Repräsentation heute in Deutschland lebender Menschen mit jüngerer Migrationsgeschichte, wobei hier meist an erster Stelle die zwischen 1955 und 1973 angeworbenen Arbeitsmigrantinnen aus Italien, der Türkei, Jugoslawien und anderen Ländern stehen, einschließlich ihrer seither eingewanderten Familienangehörigen und in Deutschland geborenen Nachkommen. Mit dieser Öffnung für Themen der Migration ist zugleich ein stärkeres Bewusstsein für die Heterogenität und Hybridität von Gesellschaften

4

Siehe Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.): Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – Neue Chancen, Berlin 2007.

5

Siehe hierzu Joachim Baur: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009 sowie J. Olaf Kleist / Irial Glynn (Hg.): History, memory and migration. Perceptions of the past and the politics of incorporation, Basingstoke 2012. Siehe weiterhin die Tagung «Migration in museums – Narratives of diversity in Europe», Berlin 2008.

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auch in der longue durée verbunden. Zweitens geht es aber nicht nur darum, historische und gegenwärtige Migrationsgeschichten sowie kulturelle Vielfalt in Vergangenheit und Gegenwart sichtbar zu machen, sondern auch um «Integrationspädagogik» oder «Migrationspädagogik».6 Hier werden die Museen dergestalt zu Ko-Akteuren der Integrationsdebatte, dass ihnen die Aufgabe zugewiesen wird, speziell jene Menschen mit Migrationshintergrund ins Museum hineinzuholen, bei denen Integrationshürden nicht zuletzt aufgrund vermeintlich besonders großer kultureller Differenz ausgemacht werden. Gemeint sind im Allgemeinen vorrangig Jugendliche mit türkischem oder arabischem Hintergrund. Weitaus weniger Interesse lenken Einwanderinnen aus Westeuropa oder den USA auf sich. Drittens trifft sich das Interesse an der «Integrationspädagogik» mit dem Interesse der Museen, neue Besuchergruppen zu gewinnen. Inzwischen engagieren sich immer mehr Museen im Themenfeld «Migration»: Innerhalb des Deutschen Museumsbundes gründete sich im Jahr 2010 ein Arbeitskreis Migration, welcher zurzeit einen Leitfaden «Migration und kulturelle Vielfalt im Museum» erarbeitet, unter anderem auch bezogen auf Sammlungsfragen.7 Vor allem Stadt- und Regionalmuseen versuchen, ihre Sammlungsbestände im Hinblick auf «Migration» zu erweitern. Dies bedeutet im Allgemeinen, Objekte rund um die jeweilige jüngere lokale beziehungsweise regionale Migrationsgeschichte zu sammeln. Meist steht die Geschichte der Einwanderung von sogenannten «Gastarbeiterinnen» sowie von Vertriebenen und (Spät-) Aussiedlern im Zentrum dieser Aktivitäten, seltener die Geschichte von Flüchtlingen beziehungsweise Asylsuchenden. Der Aufbau solcher neuer Sammlungsbestände erfolgt gemeinhin in Kooperation mit denjenigen, deren Geschichte erzählt werden soll, sind sie doch die Besitzerinnen der interessierenden Objekte. Eine erfolgreiche Kontaktaufnahme zu Migranten und ihren Verbänden ist also unabdingbar. In diesem Sinne hat DOMiD dank seiner guten Vernetzung bereits eine umfangreiche und in dieser Dimension bundesweit einmalige Sammlung aufgebaut. Verschiedene stadt- und regionalgeschichtliche Museen haben ihrerseits in den letzten Jahren mit projektbezogenen Sammlungsaktivitäten zu migrationsgeschichtlichen Themen – zumeist im Hinblick auf temporäre Ausstellungen – entsprechende Kontakte aufgebaut. Migrantinnen und ihre Interessensvertretungen waren und sind dabei Kontaktpersonen, Experten, Zeitzeuginnen, Vermittler weiterer Informantinnen

6

Siehe kritisch zum Konzept der Migrationspädagogik Paul Mecheril: Einführung in die Migrationspädagogik, Basel 2004.

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http://www.museumsbund.de/fileadmin/ak_migration/Dokumente/2012_05-06__ Entwurf _Leitfaden-Migration_DMB_V101.pdf

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oder aber auch Mitgestalter oder Ko-Kuratorinnen der jeweiligen Ausstellung. In den Sonderausstellungen zur jüngeren lokalen oder regionalen Migrationsgeschichte geht es meist um die Geschichte der Einwanderung einer bestimmten Gruppe in eine Stadt oder Region: um ihre damit verbundenen Erfahrungen, um Lebensbereiche wie Arbeit, Wohnen, Freizeit- und Kulturaktivitäten. Häufig werden anhand von Alltagsgegenständen einzelne persönliche Lebensläufe vorgestellt. Der Zugriff auf das Thema ist also ein stark alltags- und lebensgeschichtlicher. Diese Entwicklungen im Hinblick auf eine Sichtbarmachung von Migrationsgeschichte und den damit zusammenhängenden Biographien sind eindeutig positiv. Dennoch ist unserer Ansicht nach Zweierlei einschränkend festzuhalten: Erstens werden Migranten im Rahmen der oben genannten Projekte nahezu ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Migrantinnen zu ihrer Geschichte und nach Objekten befragt; Aspekte ihrer Biografie beziehungsweise ihres Agierens in der Stadt, die nicht im engeren Sinne an ihre Migrationserfahrung rühren, bleiben dadurch außen vor. Zweitens sind Migranten zwar häufig Objektgeberinnen, werden aber selten wirkliche Akteure innerhalb des diskursiven Raums, den das Museum im Idealfall darstellen sollte.

N EU Z UGÄNGE : N EU SICHTEN , NEU SAMMELN , PARTIZIPIEREN Unserer Ansicht nach ist bei der Konzeption von musealen Sammlungen im Kontext einer kulturell, sozial, religiös diversen Gesellschaft ein radikalerer Weg einzuschlagen. Hierbei beziehen wir uns auf den Begriff des «inklusiven Museums».8

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Siehe hierzu: Jocelyn Dodd/Richard Sandell (Hg.): Including Museums: Perspectives on museums, galleries and social inclusion, Leicester 2001; Peter van Mensch /Léontine Meijer-van Mensch: New trends in museology, Celje 2011; Léontine Meijer-van Mensch: Vom Besucher zum Benutzer, in: Museumskunde 74, 2009, Heft 2, S. 20-26; Nina Simon: The participatory museum, Santa Cruz 2010; Lorraine Bluche/ Martin Düspohl/Frauke Miera: Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum. Erfahrungen und Perspektiven, in: Susanne Gesser/Martin Handschin/Angela Janelli/ Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012, S. 156-163; Lorraine Bluche/Frauke Miera: ‹Geteilte› Erinnerungsräume. Zur Vision eines inklusiven Museums aus kuratorischer Sicht, in: Felix Ackermann /

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Es geht nicht nur darum, unter Einbeziehung von Migrantinnen bisher fehlende Objekte zu akquirieren und so die Leerstelle «Migration» zu füllen. Vielmehr gehen wir davon aus, dass nicht nur Objekte zu bestimmten Themen fehlen, sondern dass auch das im Museum dokumentierte Wissen und die hier institutionalisierten Wahrnehmungs- und Systematisierungsweisen begrenzt sind. Ziel eines «inklusiven Museums» ist es, die institutionalisierten Strukturen, durch die eingeschränktes, aber dominantes Wissen produziert und bewahrt wird, zu reflektieren und sich für Diskurse mit museumsexternen Laien und Experten zu öffnen. Das bedeutet in der Idealvorstellung konkret, dass diese Akteurinnen sowohl bei der Bewertung vorhandener Sammlungen als auch bei der Konzeption neuer Sammlungsvorhaben einbezogen werden. Ausgehend von diesen Überlegungen haben wir im Projekt «NeuZugänge» einen offenen, experimentellen und in mehrfacher Hinsicht partizipativen Ansatz gewählt. Dem Projekt lagen drei Prämissen zugrunde: 1. Es gibt in den Depots der am Projekt beteiligten Museen Objekte, die etwas zu den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt» aussagen, als solche aber bisher nicht wahrgenommen wurden. 2. Darüber hinaus vorhandene Lücken in den Sammlungen müssen durch Neu-Sammeln sukzessive geschlossen werden. 3. Die NeuBewertung bereits vorhandener Objekte und das Neu-Sammeln von Objekten sollte unter Einbindung von sogenannten Laien vornehmlich mit Migrationshintergrund erfolgen. Von vornherein als Experiment geplant, diente die Laborausstellung in erster Linie dazu, Fragen aufzuwerfen und Impulse für Diskussionen zu geben. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass verschiedene Museen mit ganz unterschiedlichen Sammlungsprofilen für das Projekt zusammenkamen, konnte es um nicht mehr und nicht weniger gehen, als neue Methoden zu erproben und Diskussionen anzustoßen. Tatsächlich war «NeuZugänge» für uns als freie Kuratorinnen am Kreuzberg Museum ein ideales Experimentierfeld, um den auch eingangs gestellten Fragen näher zu kommen, wie die Schlagworte «Migration» und «kulturelle Vielfalt» im Hinblick auf das Sammeln in einem lokal- beziehungsweise stadtgeschichtlichen Museum sinnvoll mit Inhalt gefüllt werden und wie neue Sammlungskonzepte in einer pluralen Gesellschaft partizipativ entwickelt werden können.

Anna Boroffka/Gregor Lersch (Hg.): Partizipative Erinnerungsräume. Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen, Bielefeld im Erscheinen.

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SUCHET , DER FINDET

Ein Ausgangspunkt des Projekts «NeuZugänge» war also die Annahme, dass sich in den Sammlungen der vier beteiligten Museen Objekte befänden, die etwas über «Migrationsgeschichte» oder «kulturelle Vielfalt» erzählen, aber als solche noch nicht erfasst sind. Diese sehr allgemeine Annahme warf zuvorderst eine zentrale Frage auf: Was ist unter den Begriffen «Migration» und «kulturelle Vielfalt» zu verstehen? Innerhalb der Projektgruppe konnten wir uns auch nach vielen Diskussionen auf keine einheitliche Definition der Begriffe einigen. Die Tatsache, dass nicht nur ein bezirks- und ein stadthistorisches Museum an dem Projekt beteiligt waren – das Kreuzberg Museum und das Stadtmuseum Berlin – sondern auch zwei sehr unterschiedliche Kunstmuseen – das Museum für Islamische Kunst und das Werkbundarchiv – Museum der Dinge – war sicher ein gewichtiger Grund für die Heterogenität der Zugänge zu der Frage, was ein Objekt zu einem Objekt «mit Migrationshintergrund» macht. Eben diese Heterogenität spiegelte sich später auch in der Objektauswahl der beteiligten Museen wider. Festzuhalten ist vorab, dass im Rahmen von «NeuZugänge» keine systematische Sichtung der jeweiligen Sammlungen stattgefunden hat, sondern – dem Projektrahmen angemessen – eine stichprobenartige Recherche mit dem Ziel, je Museum zwei Objekte zu identifizieren, die aus Sicht der für das Projekt verantwortlichen Museumsmitarbeiter bei genauerem Hinsehen Objekte «mit Migrationshintergrund» darstellten. Die schließlich von den vier Museen ausgewählten Objekte machten deutlich, wie groß die Bandbreite dessen ist, was unter «Migration» und «kultureller Vielfalt» im Zusammenhang mit einer Neu-Sichtung musealer Sammlungen verstanden werden kann. Diese Bandbreite umfasst: Die Migrationsgeschichte des Objekts selbst (siehe die Wasserschale und das Koranblatt des Museums für Islamische Kunst); exotisierende, stereotypisierende Bilder, die durch Objekte transportiert werden können (siehe die Zigarettendose der Marke «Problem Moslem» aus der Sammlung des Werkbundarchivs); den Bezug zu heute in der Stadt lebenden (muslimischen) Migrantinnen (siehe die beiden genannten Objekte aus dem Museum für Islamische Kunst sowie den Moscheewecker des Werkbundarchivs); sowie Objekte, die explizit von Einwanderern in der Stadt zeugen (siehe die Grundsteinkassette aus dem Stadtmuseum sowie das Foto einer Hausfassade mit türkischem Graffiti aus dem Kreuzberg Museum).9

9

Eine Auflistung der Objekte der Museen mit Abbildungen und den entsprechenden Erläuterungen findet sich im Katalogteil dieses Bandes.

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Auf der einen Seite stiftet die Zusammenschau von insgesamt acht sehr unterschiedlichen Objekten mit entsprechend unterschiedlichen Erzählkontexten zunächst eher Verwirrung in Bezug auf die Ausgangsfragestellung, als dass sie Klarheit bringt. Auf der anderen Seite war eben diese Offenheit des Zugangs zu den Begriffen eine große Stärke des Projekts. Gerade die große Bandbreite an möglichen Zugängen verweist auf das enorme Potenzial nicht nur klassischer stadt- oder lokalgeschichtlicher Sammlungen, sondern auch kunsthistorischer beziehungsweise kunstgewerblicher Sammlungen – und sicher auch noch anderer. Dass bereits eine unsystematische und stichprobenartige Recherche in den jeweiligen Sammlungsbeständen zu interessanten Ergebnissen führte, zeigt, dass es ein lohnenswertes Unterfangen wäre, zu einem systematischen Neu-Sichten von Sammlungen überzugehen. Hierbei sollte immer wieder deutlich gemacht und reflektiert werden, welche Begriffsdefinition zugrunde gelegt wird und welche Fragen jeweils interessieren. Nicht zuletzt kann eine systematische Sichtung nur gelingen, wenn die in den Sammlungen tätigen Museumsmitarbeiterinnen systematisch in diesen Prozess mit einbezogen werden. Die Erfahrungen im Projekt «NeuZugänge» haben gezeigt, dass großer Klärungsbedarf darüber besteht, welche Art von Objekten «Objekte mit Migrationshintergrund» sein könnten. Die Gespräche, die wir im Rahmen des übergeordneten zweijährigen Projekts «Migration macht Geschichte»10 mit Kolleginnen im Kreuzberg Museum führten, lösten Diskussionen darüber aus, was unter «Migration» und was unter entsprechenden Objekten zu verstehen ist und wie solche Objekte sinnvoll in der Datenbank erfasst werden könnten. Im Zuge dieses Prozesses wiesen uns die Kollegen immer wieder auf Objekte hin, die uns möglicherweise interessieren könnten. Dies gilt es weiter auszubauen. An dieser Stelle ist auf die Grenzen eines solchen Unterfangens hinzuweisen: Die Sammlung des Kreuzberg Museums, die vorwiegend aus Schriftstücken und Fotografien besteht, ist aufgrund knapper personeller und finanzieller Ressourcen in Teilen gar nicht oder aber lediglich in sehr rudimentärer Form inventarisiert. Es bedürfte zusätzlichen Personals, allein um das Expert-

10 Das von uns am Kreuzberg Museum durchgeführte Projekt «Migration macht Geschichte» (2010/2011) beinhaltete neben der hier diskutierten Neu-Bewertung von Sammlungen, die in der Ausstellung «NeuZugänge» mündete, auch die Konzeption und Realisierung der Ausstellung «ortsgespräche. stadt – migration – geschichte. vom halleschen zum frankfurter tor». Die Ausstellung ist seit Ende Januar 2012 bis voraussichtlich Ende 2013 im Kreuzberg Museum in Berlin zu sehen. Das Projekt «Migration macht Geschichte» wurde maßgeblich vom Hauptstadtkulturfonds gefördert. Siehe hierzu auch Lorraine Bluche/Frauke Miera: ‹Geteilte› Erinnerungsräume, Fußnote 8.

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innenwissen des langjährigen Museumsleiters beziehungsweise der Mitarbeiterinnen, die in der Regel befristet beschäftigt oder ehrenamtlich dort tätig sind, umfassend zu dokumentieren. Dies rührt zugleich an die Problematik zeitlich befristeter Projekte. Im Rahmen von «Migration macht Geschichte» konnten wir oben beschriebene Prozesse anstoßen, doch fehlen für eine Weiterführung und nachhaltige Verankerung «neuer Zugänge» zur Sammlungsarbeit die Mittel. Unsere Tätigkeit für das Kreuzberg Museum endete mit Abschluss des Projekts im Januar 2012.

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Innerhalb des Projekts «NeuZugänge» legte die Projektgruppe in einem zweiten Schritt die von den Museumsmitarbeitern ausgewählten Objekte zwei Gruppen von acht bis zehn Berlinerinnen migrantischer und nicht-migrantischer Herkunft vor. Das Verfahren ist angelehnt an das britische Konzept des «revisiting collections»11 und hat zum Ziel, Diskussionen über die Objekte anzuregen, Eindrücke, Assoziationen oder konkretes Wissen über die Objekte einzufangen sowie Informationen darüber, ob die Gruppenmitglieder möglicherweise ähnliche Objekte selbst verwenden (siehe hierzu die Einleitung sowie die Beiträge von Kamel und Gerbich in diesem Band). Nicht zuletzt wollten wir die These auf den Prüfstand stellen, dass diese Objekte etwas über Migrationsgeschichte erzählen. Der Methode des «revisiting collections» liegt die Annahme zugrunde, dass das in Museen dokumentierte Wissen begrenzt ist und auch Nicht-Museumsmitarbeiter ohne fachspezifische wissenschaftliche Ausbildung über Wissensbestände verfügen, die das bereits vorhandene Wissen über ein bestimmtes Objekt um neue Facetten erweitern oder sogar korrigieren können. Dieser Ansatz berührt das Selbstverständnis von Museen als Einrichtungen, in denen das kulturelle Erbe einer Gesellschaft gesammelt, bewahrt und dokumentiert sowie Wissen hergestellt wird. Indem sich das Museum für den Diskurs mit sogenannten Laien öffnet, stellt es die eigene Deutungsmacht beziehungsweise Herrschaftsposition zur Diskussion. Die im Rahmen von «NeuZugänge» nach dieser Methode initiierten Diskussionsrunden waren auf zwei Ebenen für uns lehrreich: Zum einen zeigten die Reaktionen der Teilnehmerinnen, dass bereits die Tatsache, dass vier Museen zu einer Diskussion über ihre Objekte und über eine geplante Ausstellung einluden,

11 Siehe dazu: http://www.collectionslink.org.uk/programmes/revisiting-collections/761introduction-to-revisiting-collections-start-here-; aufgerufen am 31.05.2012.

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als etwas Ungewöhnliches und eine Form der Anerkennung empfunden wurde. Auch dass die Diskussion niedrigschwellig strukturiert und moderiert wurde, stieß auf positive Resonanz. Die Teilnehmer äußerten, dass diese Erfahrung ihr Interesse an dem Besuch dieser Museen gesteigert habe. Zum anderen generierten beide Diskussionsrunden neues Wissen, neue Fragen und Assoziationen zu den gezeigten Objekten sowie bislang ungehörte Geschichten über die Verwendung solcher Objekte – ungeachtet der Tatsache, dass die gezeigten Objekte sehr disparat waren und auch die Teilnehmerinnen der Fokusgruppen im Grunde nicht mehr verband, als dass sie in Berlin lebten und die Projektgruppe sie eingeladen hatte. Besonders deutlich wurde dies bei dem Objekt «Moschee-Wecker». Verschiedene Teilnehmer berichteten, wo sie einen ähnlichen Wecker bereits gesehen hatten: bei deutschen und arabischen Freunden in Berlin, in Wohnungen in Ägypten, in Spielfilmen und dergleichen. Sie erzählten, woran er sie erinnerte: an die eigene Kindheit, an Kinderspielzeug aus Taiwan oder Hongkong. Und sie berichteten, wie sich Beliebtheit und Ansehen des Weckers im Laufe der Zeit für sie veränderte, auch im Kontext von Veränderungen der Bedeutung von Religion für Einzelne (siehe hierzu Ludovico in diesem Band). Auch die Debatten um die von uns für das Kreuzberg Museum ausgewählte Zigarettendose «Muratti» zeigten den Facettenreichtum ein und desselben Objekts, das – abhängig von Betrachterin und Kontextwissen – ganz unterschiedliche Geschichten zu erzählen vermag. In unserer Begründung für die Auswahl dieses Objekts hatten wir mehrere Facetten herausgearbeitet, die uns im Hinblick auf den «Migrationshintergrund» des Objekts bedeutsam erschienen: 1. der griechische Migrationshintergrund der Unternehmerfamilie Muratti; 2. die Eventualität, dass aus dem Osmanischen Reich eingewanderte Tabakdreher während des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts in der Firma Muratti gearbeitet haben könnten; 3. der Import von «orientalischem» Tabak, bevor dieser nach 1945 von amerikanischen Sorten verdrängt wurde. In den Fokusgruppen hingegen regte die Zigarettendose zunächst allgemeine Diskussionen zur Kulturgeschichte des Rauchens an und weckte bei einem Teilnehmer Erinnerungen an die Zigarettendose seines Großvaters. Auch über das Design beziehungsweise die grafische Gestaltung der Dose wurde gesprochen. Ein Teilnehmer spekulierte über den Zusammenhang der geometrischen Gestaltung des Deckeldesigns mit dem griechischen Hintergrund der Muratti-Familie. Doch auch der von uns evozierte «Migrationshintergrund» des Objekts stieß auf lebhaftes Interesse: Eine Teilnehmerin warf die Frage auf, wie wohl die Migrationserfahrungen der Familie Muratti ausgesehen haben könnten, oder die der womöglich bei Muratti beschäftigten Tabakdreherinnen aus dem Osmanischen Reich, und inwiefern diese den Erfahrungen

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heutiger Migranten in der Bundesrepublik ähnelten. Auch wurde der Wunsch nach mehr Informationen zu diesen Themen laut.

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Ein weiteres, zentrales Anliegen des Projekts «NeuZugänge» bestand darin, Kriterien für neue Sammlungskonzepte zu entwickeln. Die Tatsache, dass in den Sammlungen durchaus zahlreiche Objekte zu finden sind, die direkt oder indirekt Migrationsgeschichten zu erzählen vermögen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass speziell das «kulturelle Erbe» der nach 1945 in die Bundesrepublik eingewanderten Migrantinnen in den Museumssammlungen kaum repräsentiert ist. Um neue Sammlungskonzepte zu entwickeln, ist eine «interkulturelle» Öffnung der Museen notwendig, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Mitarbeiter in deutschen Museen, vor allem auf den höheren Ebenen, selten selbst über Migrationserfahrung verfügen. Die erforderliche Öffnung bezieht sich also zum einen auf die Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft. Zum anderen ist es – wie bereits in Bezug auf das Neu-Sichten bestehender Sammlungen ausgeführt – unabdingbar, Personen mit eigener oder familiärer Einwanderungsgeschichte in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse um eine Erweiterung bestehender Sammlungsbestände einzubeziehen. Für das Projekt «NeuZugänge» bedeutete dies erstens, dass die Projektgruppe acht museumsexterne Personen, die selbst Einwanderinnen oder deren Eltern Einwanderer sind, bat, jeweils ein Objekt zur Ausstellung beizutragen, das aus ihrer Sicht die Sammlungen der beteiligten Museen in migrationsgeschichtlicher Hinsicht bereichern würde. Außerdem lud das Kuratorinnen-Team dazu ein, in einem Videointerview ihre Auswahl zu erläutern. Zweitens waren die Besucher der Ausstellung – ob migrantisch oder nicht – dazu eingeladen, eigene Objektvorschläge zu machen: in Form von Skizzen, die an einer großen Tafel in der Ausstellung angebracht wurden, oder in Form von realen Objekten, die während der Laufzeit der Ausstellung nach und nach in einer eigens hierfür vorgesehenen Vitrine im Ausstellungsraum präsentiert wurden. Ähnlich wie bei den von den Museen für die Ausstellung zur Verfügung gestellten Objekten spiegelte sich auch in der Objektauswahl durch die externen Leihgeberinnen die Offenheit des für das Projekt «NeuZugänge» gewählten Ansatzes. Es kamen zahlreiche sehr persönliche Geschichten zusammen: über die eigene Migrationserfahrung, über Spuren von Migration in der Stadt, über Rassismus in Deutschland sowie über die Verbundenheit zum Herkunftsland. Klein-

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ster gemeinsamer Nenner war der selbst zu definierende «Migrationshintergrund» des jeweiligen Objekts. Bemerkenswert aber war, dass viele der Objekte trotz dieser sehr allgemein gehaltenen Fragestellung etwas gemeinsam hatten: Es handelte sich mehrheitlich um Objekte, die einen eindeutigen Bezug zum Herkunftsland beziehungsweise zur Herkunftskultur oder –religion aufwiesen und als «kulturspezifisch» präsentiert wurden (siehe hierzu Gerbich in diesem Band). Dies war bei den während der Laufzeit neu hinzugekommenen Objekten besonders frappant. Hierbei handelte es sich beispielsweise um spanische Kastagnetten, russische Figuren, einen Gebetsteppich aus Mekka oder traditionelle Kleidung aus Sri Lanka.12 Eine ähnliche Tendenz ließ sich auch bei den von Besuchern per Zeichnung vorgeschlagen Objekten ausmachen, wobei es hier einige Ausnahmen gab: So verwies die Zeichnung einer Kartoffel am Dönerspieß auf ironische Art und Weise auf die Veränderbarkeit beziehungsweise Vielfalt von Kulturen. Dass vornehmlich «kulturspezifische» Objekte von den externen Leihgeberinnen und Besuchern beigebracht beziehungsweise vorgeschlagen wurden, löste bei uns durchaus Irritationen aus, gehen wir doch selbst von der Durchlässigkeit, Veränderbarkeit und Hybridität von Kulturen aus. Unsere eigenen Überlegungen im Hinblick auf neue Sammlungsstrategien zu den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt» zielen auf einen sehr viel heterogeneren Pool an möglichen Objekten ab. Doch gerade diese Irritationen unsererseits weisen auf die Komplexität der Ausgangsfragestellung und die Widersprüchlichkeiten des von uns gewählten Zugangs hin. Eine mögliche These wäre die, dass die Leihgeber und Besucherinnen – nach Objekten «mit Migrationshintergrund» gefragt – meinten, nur solche im engen Sinne «kulturspezifischen» Objekte seien gefragt. Oder aber sie waren tatsächlich der Meinung, dass diese Art von Objekten am adäquatesten Migrationsgeschichte zu erzählen vermag – unabhängig davon, ob sich dies mit unserer eigenen Erwartungshaltung deckt. Unserer Ansicht nach lassen sich diese Fragen in Bezug auf stadthistorische Museen nur im Dialog mit den Mitgliedern der «glokalen Community» beantworten.

12 Zu den privaten Objektleihgaben sowie den Vorschlägen der Besucherinnen verweisen wir auf den Katalogteil.

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WEITER SAMMELN ?

Im Folgenden skizzieren wir, was die Implementierung der Themenfelder «Migration» und «kulturelle Vielfalt» für die Sammlungstätigkeit eines stadthistorischen Museums bedeuten könnte. Hierbei gehen wir davon aus, dass ein solches Museum den Auftrag hat, das «kulturelle Erbe» seiner «glokalen Community» zu bewahren. Mit dem Begriff meinen wir die Personen, Gruppen und Organisationen im Einzugsbereich eines stadthistorischen Museums, die im Austausch oder Diskurs mit dem Museum stehen beziehungsweise idealerweise stehen sollten.13 Mit dem Einzugsbereich ist zunächst das geographisch abgegrenzte Areal gemeint, dessen Geschichte das Museum erzählt. Jedoch bedeutet dies nicht, dass nur jene zur «glokalen Community» zählen, die innerhalb dieses Areals dauerhaft wohnhaft sind. Vielmehr gehören auch jene dazu, die sich via Arbeitsstelle, Schule, Verein, Freizeitaktivitäten oder anderen persönlichen Bezügen dem Einzugsbereich des Museums verbunden fühlen. Zugleich endet die «glokale Community» nicht an den Grenzen des Einzugsbereichs; im Kontext von Mobilität, Globalisierung und Transnationalität sind diese Grenzen fließend. Die nicht zuletzt durch Migrationsbewegungen bedingte Heterogenität dieser «glokalen Community» sollte sich in der Sammlung des Museums widerspiegeln. Wir gehen weiterhin davon aus, dass sich das hieraus ergebende Sammlungskonzept nur sinnvoll in Auseinandersetzung und Diskussion mit Mitgliedern eben jener «glokalen Community» entwickeln lässt, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen kann ein stadthistorisches Museum nur so ihr authentischer Repräsentant sein. Zum anderen ist das Wissen der Museumsmitarbeiter zwangsläufig begrenzt. Die Geschichte der Menschen im Einzugsbereich des Museums kann sinnvollerweise nur mittels der Einbeziehung ihres komplementären Wissens erzählt werden. Ausgehend von der Tatsache, dass im Kreuzberg Museum – wie in den meisten deutschen Museen auch – die Mitarbeiterinnen fast ausschließlich der Mehrheitsgesellschaft entstammen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund die Ausnahme darstellen, wird umso mehr deutlich, dass die Erinnerungen der Migrantinnen im Dialog und in Zusammenarbeit mit ihnen in die Sammlungskonzeption des Museums integriert werden können. Diese Art der Öffnung bedeutet aber letztlich mehr als nur die Ergänzung und vermeintliche Vervollständigung von Wissen bezie-

13 Siehe auch die verwandten, aber in unserem Sinne nicht passgenauen Begriffe «constituent community», «user community» sowie «contemporary», «heritage» oder «source community». Hierzu zusammenfassend: Peter van Mensch/Léontine Meijervan Mensch: New trends in museology, Celje 2011.

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hungsweise einer musealen Sammlung. Vielmehr sollte das Museum ein Ort für die Auseinandersetzung und Reflexion von Geschichte sein. Es sollte die Annahme hinterfragen, dass seine Sammlung eine allgemeingültige und abgeschlossene Erzählung vergegenständlicht. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass durch die Einbindung der «glokalen Community» – die ja selbstverständlich keine homogene Gruppierung darstellt – eine Vielzahl von sich teilweise widersprechenden, teilweise sich ergänzenden Erzählungen rund um die Stadtgeschichte generiert werden. Die Beteiligung von Mitgliedern der «glokalen Community» an der Entwicklung eines Sammlungskonzepts und an der Erweiterung einer Sammlung, die der Vielfalt der lokalen Bevölkerung gerecht wird, kann auf unterschiedliche Weise stattfinden. Im Folgenden unterscheiden wir zwischen drei möglichen Ansätzen. 1. Analog zu den weiter oben erwähnten, ausstellungsbezogenen Sammlungsaktivitäten verschiedener städtischer und regionaler Museen kann eine Sammlung um ein konkretes migrationsgeschichtliches Thema erweitert werden. Hierzu ist eine inhaltliche Zuspitzung beziehungsweise Spezifizierung der jeweiligen Fragestellung erforderlich. Ausgehend von stadtgeschichtlichen und migrationswissenschaftlichen Erkenntnissen ließe sich ein spezifischer, klar konturierter migrationsgeschichtlicher Zusammenhang in den Blick nehmen. Bezogen auf die Einwanderung aus der Türkei nach Berlin-Kreuzberg seit den 1960er Jahren könnte dies zum Beispiel bedeuten, Individuen einerseits und Vereine oder Organisationen andererseits mit türkeistämmigen Hintergrund nach Gegenständen und Dokumenten zu fragen, die etwas über Anwerbung, Ankunft, Sesshaftwerden und unterschiedliche Lebensbereiche aussagen. Darüber hinaus könnte solch ein Sammlungsbestand durch Material aus der Verwaltung, Wirtschaft und Politik ergänzt werden. 2. Ein für uns interessanter und richtungsweisender Ansatz könnte es sein, die «glokale Community» zu allgemeinen, nicht allein migrationsspezifischen Themen zu befragen. Hierbei geht es darum, Migranten und ihre Nachkommen genauso als Akteurinnen der Stadt wie Nicht-Migranten in den Blick zu nehmen und so letztlich den Dualismus zwischen einem konstruierten «Wir» und «den Anderen» zu überwinden.14 Diesen Ansatz haben wir in der Ausstellung «ortsge-

14 Siehe hierzu auch: Frauke Miera: Die Geschichte der ‹Anderen›? Überlegungen zum Sammeln und Ausstellen von ‹Migration›, in: Institut für Auslandsbeziehungen e.V. u.a. (Hg.): Kunstvermittlung in der Migrationsgesellschaft. Reflexionen einer Arbeitstagung – 2011, Berlin 2012, S. 48-52.

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spräche»15 erprobt, worauf an dieser Stelle kurz eingegangen werden soll, um das Potenzial dieses Zugangs plastischer herauszuarbeiten. Wie der Titel bereits vermuten lässt, stehen Orte im Stadtbezirk im Mittelpunkt dieser Ausstellung. Einer der dort präsentierten Orte ist der Görlitzer Park. Diese noch relativ junge Grünfläche – vormals eine umweltverseuchte Brache und ehemaliges Bahnhofsgelände – im Herzen von Kreuzberg gilt gemeinhin als Beispiel für gelungenes bürgerschaftliches Engagement und den Beginn von Bürgerbeteiligung an Stadtplanungsprozessen. Von diesem Engagement zeugen ganze Aktenbände diverser lokaler Vereinigungen, die im Archiv des Kreuzberg Museums aufbewahrt werden. Im Rahmen der Ausstellung «ortsgespräche» wollten wir überprüfen, inwiefern die Geschichte der Parkgründung nicht weitere, weniger bekannte Facetten aufwies. In Anbetracht der Tatsache, dass das Quartier um den heutigen Görlitzer Park seit den späten 1960er Jahren stark von Einwanderinnen aus der Türkei geprägt war, lag die Vermutung nahe, dass auch diese zu dem Thema Geschichten und Perspektiven beizutragen haben würden, die womöglich von der von einheimischen deutschen Aktivisten geprägten master narration überlagert wurden. Dieses herauszufinden war nur möglich, indem wir den Dialog mit Kreuzbergerinnen türkischer Herkunft suchten. Tatsächlich brachten unsere Gespräche eine wesentlich komplexere Geschichte ans Tageslicht. Auch ein genauerer Blick in das im Kreuzberg Museum gesammelte Material gab Einblicke in die Rolle, die Migranten aus der Türkei bei den Diskussionen um die Parkgründung spielten. Allerdings reichte das vorhandene Material nicht aus, die ganze Geschichte zu erzählen. Erst durch die neu gewonnen Kontakte zu bisher überhörten Akteurinnen dieser Geschichte konnten neue Objekte für die Ausstellung akquiriert werden. Solch ein multiperspektivischer Zugang ließe sich auf beliebig viele weitere Themen erweitern. So könnte beispielsweise intergenerationell wie auch innerhalb einer heutigen, multikulturell zusammengesetzten Schulklasse nach Objekten zum jeweiligen ersten Schultag gefragt werden. Je nach Ort, an dem die Einschulung für die Einzelnen stattgefunden hat, sowie je nach sozialem, familiärem und migrationsspezifischem Hintergrund, nach Alter der Befragten könnten so sehr unterschiedliche individuelle Geschichten und Objekte zu Tage gefördert werden, die die Bewohner der Stadt mit sich führen. Während der erste von uns genannte Ansatz vorrangig die Zusammenarbeit mit migrantischen Mitgliedern der «glokalen Community» vorsieht, hat das von uns genannte Beispiel aus der Ausstellung «ortsgespräche» deutlich gemacht, dass wir beim zweiten von uns vorgestellten Ansatz von einer Einbindung von

15 Siehe Fußnote 12.

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migrantischen wie auch nicht-migrantischen Mitgliedern der «glokalen Community» des Museums ausgehen. 3. Dies gilt umso mehr bei der dritten Variante einer Einbindung der «glokalen Community». Hierbei sind ihre Mitglieder bereits vor der Formulierung einer Fragestellung beziehungsweise der Entwicklung einer Sammlungssystematik oder -konzeption beteiligt, nämlich bei der Definition derselben sowie entsprechender Sammlungsstrategien. In diskursiven Prozessen kann dann ermittelt werden, welche Themen für das Museum relevant sind und welche Objekte gesammelt werden sollen. Auf dieser sehr viel basaleren und inklusiveren Ebene könnten dann auch Fragen verhandelt werden, wie sie Museumfachleute in den Diskussionen rund um das Thema «Wie Migration sammeln?» immer wieder aufwerfen: Gibt es eine besondere Ästhetik der Migration (siehe hierzu Lanwerd in diesem Band)?16 Lässt sich Migration nur über Alltagsgegenstände erzählen? Oder ist das Erbe von Migranten zwangsläufig eher immateriell und flüchtig?17 Und wie ist allgemein mit immateriellem Erbe umzugehen? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, müssten zunächst die von uns skizzierten Ansätze in die Tat umgesetzt werden. Wir selbst meinen allerdings, dass es tatsächlich weniger darum geht, eigene Sammlungsstrategien zu den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt» zu entwickeln beziehungsweise dass es hierzu nicht zwangsläufig eines spezifischen Zugangs bedarf. Vielmehr ist eine Öffnung der Museen auf den verschiedenen in diesem Aufsatz skizzierten Ebenen erforderlich.

16 Siehe zum Beispiel Sam Durrand/Catherine M. Lord (Hg.): Essays in migratory aesthetics: Cultural practices between migration and art-making, Amsterdam 2007. 17 Siehe Paul van de Laar: Erbe und das Leben der Anderen im Einwanderungsland. Vortragsmanuskript (ohne Datum), http://www.interkulturpro.de/ik_pdf/vortrag-vande-Laar.pdf.

Neue Zugänge durch partizipative Strategien bei der Ausstellungsentwicklung C HRISTINE G ERBICH

E INGANG Im Zentrum der Laborausstellung «NeuZugänge» standen die Sammlungspraktiken vier sehr unterschiedlicher Berliner Museen und die Fragen, wie und in welchem Maße sich Migrationsgeschichte und kulturelle Vielfalt in diesen Sammlungen abbildet und zukünftig abbilden sollte. Um den Diskussionsraum für möglichst viele unterschiedliche Perspektiven auf diese Fragen zu öffnen, wurde ein partizipativer Ansatz als Herangehensweise an die Ausstellungsentwicklung gewählt: Durch die Einbeziehung externer Expertinnen wurden neue Sichtweisen auf einzelne Objekte der Sammlungen ermöglicht, wie schon seit Längerem von Vertretern der Neuen Museologien gefordert (siehe hierzu auch Kamel in diesem Band). Im Folgenden werden dieser Prozess der Ausstellungsentwicklung und die damit verbundenen Ziele und Erkenntnisse beschrieben. Zunächst stelle ich dabei die Bandbreite partizipativer Ansätze dar und gehe dann auf die Strategien ein, die wir für «NeuZugänge» auswählten.

P ARTNERSCHAFTLICHER D IALOG , K OOPERATION P ARTIZIPATION IM M USEUM

UND

Unter dem Stichwort Partizipation im Museum werden in den letzten Jahrzehnten verstärkt Ansätze und Methoden diskutiert, um verschiedene Öffentlichkeiten in den Prozess der Ausstellungsentwicklung und die Vermittlungsarbeit einzubeziehen. Ein Ziel dieser Vorgehensweisen ist es, unter Einbeziehung ex-

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terner Experten neue Zugänge zu Ausstellungsthemen zu schaffen und kritische Reflexionen und Diskussionen anzuregen.1 In Deutschland spiegelt sich das gestiegene Interesse an derartigen Ansätzen unter anderem in der thematischen Ausrichtung von Fachtagungen. So beschäftigte sich im November 2010 die vom Historischen Museum in Frankfurt am Main organisierte Arbeitstagung «Das partizipative Museum»2 mit dem Nutzen partizipativer Ansätze vor dem Hintergrund sich schnell wandelnder Stadtgesellschaften; ein Jahr darauf, im November 2011, fand die ICOM-Tagung «Participative Strategies» in Berlin statt, die vom International Committee on Collecting (COMCOL) organisiert wurde;3 und im Mai 2012 versammelten sich die Mitglieder des Deutschen Museumsbundes unter dem Motto «Alle Welt ins Museum – Museen in der pluralen Gesellschaft» in Stuttgart, um unter anderem darüber zu diskutieren, wie Sammlungen neu gedacht werden können und wie man dem Thema Partizipation in Ausstellungen gerecht werden kann.4 Zusammenfassend kann als Ergebnis dieser Tagungen konstatiert werden, dass Diskussionen über partizipative Strategien im Museum aufgrund der vielfältigen Ausprägungen derartiger Vorgehensweisen sich dann als besonders fruchtbar erweisen, wenn vorab eine begriffliche Schärfung des zur Diskussion stehenden Konzepts vorgenommen wird: Welche Ziele werden mit einer partizipativen Vorgehensweise verfolgt? Wer sind die Initiatoren? Wer wird warum und in welchem Maße beteiligt? Und in welche Strukturen sind diese partizipativen Ansätze eingebettet? Zur Reflexion dieser Fragen ist es durchaus sinnvoll, sich die gesellschaftspolitische Relevanz des Konzepts noch einmal vor Augen zu führen: Partizipation («Teilnahme» oder «Teilhabe») gilt als Handlungs- und Organisationsprinzip von Demokratien. Partizipative Prozesse dienen sowohl der Willensbildung und der Legitimation von Entscheidungen in einer Gesellschaft als auch der Stärkung

1

Siehe hierzu: Laura Peers/Alison K. Brown: Museums and source communities, in: Sheila Watson (Hg.): Museums and their communities. London 2007, S. 519–537; Nina Simon: The participatory museum. Santa Cruz, Calif. 2010; Maren Ziese: Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen. Bielefeld 2010.

2

Die Arbeitstagung «Das partizipative Museum: Zwischen Kooperation und user generated content – eine Herausforderung für das Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts» fand am 18. und 19. November 2010 im Historischen Museum Frankfurt statt.

3 4

Siehe http://www.icom-cc.org; zuletzt aufgerufen am 1.06.2012. Siehe http://www.museumsbund.de/fileadmin/geschaefts/termine/eigene/ 2012_DMB _Jahrestagung/Programm_JT_2012.pdf; zuletzt aufgerufen am 1.06.2012.

NEUE ZUGÄNGE DURCH PARTIZIPATIVE STRATEGIEN BEI DER AUSSTELLUNGSENTWICKLUNG

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des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das Recht auf die Teilhabe am Prozess der Willensbildung durch die Aushandlung individueller Interessen eröffnet den Mitgliedern einer Gesellschaft die Möglichkeit zur individuellen Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung. Voraussetzung für partizipatives Handeln ist die Bereitschaft der Individuen zu mündigem Handeln: «Effektive Partizipation setzt das Streben des Menschen nach Integrität und Würde voraus sowie seine Bereitschaft die Initiative zu ergreifen. Obwohl das Recht zu partizipieren garantiert werden kann, können weder die Partizipation selbst noch die damit verbundene Pflicht und Verantwortung gegeben oder weggegeben werden. Echte Partizipation vollzieht sich freiwillig».5 Mit anderen Worten: Es bedarf einer «Gesellschaft von Mündigen»6 zur Verwirklichung von Demokratie. Voraussetzung für die Willensbildung ist die Möglichkeit zur Information. Partizipation bedarf der Integration in das Alltagsleben: «Demokratisches Bewusstsein bleibt abstrakt, wenn es nicht mit demokratischer Praxis verbunden ist».7 Partizipatives Handeln braucht also öffentliche Foren. Museen haben das Potenzial derartige Foren zu sein, an denen ein kontinuierlicher Austausch stattfindet: Sie prägen das Wissensrepertoire einer Gesellschaft durch ihre Sammlungs- und Forschungstätigkeiten sowie die Auswahl von Inhalten und deren Präsentation maßgeblich.8 Und sie sind Orte, an denen Identitäten verhandelt werden.9 In Anlehnung an John Dewey10 begreift George Hein Museen als soziale Instrumente deren Bildungsauftrag darin besteht, kritisches Denken und die Reflexion bestehender Verhältnisse zu initiieren sowie Kommunikation zu ermöglichen:

5

Club of Rome: Das menschliche Dilemma. Zukunft und Lernen. Wien und München 1979, S. 58–59.

6 7

Theodor Adorno: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt am Main 1970, S.112. Ulrich von Alemann: Demokratie, in: Wolfgang Mickel (Hg.): Handlexikon zur Politikwissenschaft. München 1986, S. 75.

8

Tony Bennett: The birth of the museum. History, theory, politics. London, New York 1995.

9

Sharon Macdonald: Museums, national, postnational and transcultural identities, in: Museum and Society, Leicester 2003, 1 (1), S. 1–16.

10 John Dewey/Jürgen Oelkers/Erich Hylla: Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Weinheim 2000.

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«Thus, critical thinking, practice at solving problems and examining evidence become crucial pedagogic practices, not simply for their intrinsic merit but because they are instrumental for an education that strives to improve society».11

Im Gegensatz zu öffentlichen Bildungseinrichtungen wie Schulen oder Universitäten, in denen der Lernprozess stark formalisiert ist, handelt es sich bei Museen um Erfahrungs- und Lernräume, an denen die Sammlung von Wissen und Erfahrungen freiwillig, selbstgesteuert und lebenslang möglich ist. Was, wie viel und mit welcher Motivation die Besucherinnen und Besucher lernen und erfahren, ist dabei nicht unabhängig von der Art und Weise, wie Museen ihren Vermittlungsauftrag ausgestalten.12 In Hinblick auf die historische Entwicklung partizipativer Ansätze im Museum ist zu konstatieren, dass die Forderung nach einer Demokratisierung der Institution, in denen sich das Sammeln, Forschen und Vermitteln unter Beteiligung der Öffentlichkeit vollziehen kann, bereits ab den 1970er Jahren von den Neuen Museologien formuliert wurde.13 In Bezug auf das Sammeln haben diese Forderungen Eingang gefunden in die ethischen Richtlinien des Internationalen Museumsrat (ICOM). In Artikel 6 heißt es dort: «Museen arbeiten sowohl mit den Gemeinschaften, aus denen ihre Sammlungen stammen, als auch mit denen, welchen sie dienen, eng zusammen». Die Funktion von Museen als Bildungseinrichtung wird im Grundsatz des Artikels 4 der Richtlinien thematisiert: «Museen haben die wichtige Aufgabe, ihre bildungspolitische Funktion weiterzuentwickeln und ein immer breiteres Publikum aus der Gesellschaft, der örtlichen Gemeinschaft oder der Zielgruppe, für die sie eingerichtet sind, anzuziehen. Die Wech-

11 George E. Hein: The Museum as a social instrument. A democratic conception of museum education, in: Juliette Fritsch (Hg.): Museum gallery interpretation and material culture. New York 2011, S. 17. 12 John H.Falk/Lynn D. Dierking: The museum experience. Washington, D.C. 1992; Annette Noschka-Roos: Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer. Opladen 1994; Doris Lewalter: Bedingungen und Effekte von Museumsbesuchen, in: Hannelore Kunz-Ott/Susanne Kudorfer/Traudel Weber (Hg.): Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse – Vermittlungsformen – Praxisbeispiele. Bielefeld 2009, S.45–56; Stephan Schwan: Lernen und Wissenserwerb im Museum, in: Kunz-Ott/Kudorfer/Weber op. cit., S. 33–44. 13 Andrea Hauenschild: Neue Museologie. Anspruch und Wirklichkeit anhand vergleichender Fallstudien in Kanada, USA und Mexiko. Bremen 1988.

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selbeziehung des Museums mit der Gesellschaft und die Förderung ihres Erbes sind unmittelbarer Bestandteil des Bildungsauftrages eines Museums».14 Die Ausgestaltung dieser Wechselbeziehungen variiert nicht zuletzt mit den musealen Strukturen, in die sie eingebettet werden sollen. Sie beeinflussen die strukturelle Implementierung, Reichweite, Offenheit und Ziele partizipativer Strategien wesentlich15. Die strukturelle Implementierung hängt vom Selbstverständnis der Museen ab, insbesondere in Bezug auf seine Vermittlungsfunktion und auf die Bereitschaft zur Offenheit für äußere Einflüsse. Das Spektrum reicht hier von vereinzelten Initiativen, die mehr oder weniger zufällig ins Leben gerufen werden, um zeitlich begrenzt in einem partnerschaftlichen Dialog zu einem Thema zu arbeiten, bis hin zu Museen, die sich als inklusive Institutionen verstehen, partizipative Strukturen im Sinne einer Mitbestimmung explizit als Teil ihrer Organisationskultur etabliert haben und dies auch in ihrem Leitbild differenziert zum Ausdruck bringen. Auch hinsichtlich der Reichweite partizipativer Ansätze ist eine enorme Variation zu konstatieren: Während sich einige Museen auf einen kleinen Ausschnitt eines Ausstellungsmoduls beschränken, wählen andere derartige Strategien als durchgehendes Prinzip von Ausstellungen. In Bezug auf die Offenheit gegenüber externer Expertise variieren die Vorgehensweisen von einer gelegentlichen Konsultation bestimmter Gruppen oder Einzelpersonen, über kooperativ durchgeführte Projekte, bis hin zu partnerschaftlichen Modellen, in denen die Partizipierenden den Museumsmitarbeiterinnen auf gleicher Augenhöhe begegnen und selbst zu Autoren werden. Zudem ist die konkrete Ausgestaltung auch abhängig von den Zielen, die mit dem Einsatz partizipativer Strategien im Prozess der Ausstellungsentwicklung verknüpft werden: Hier reicht die Bandbreite von interaktiven Angeboten bis zur Aufforderung zur informierten, kritischen Reflexion eigener Sichtweisen und Meinungen und der Möglichkeit, eigene Wissensbestände und Perspektiven einzubringen. Die Ergänzung kuratorialer Sichtweisen durch die externer Expertisen ist hier nicht nur hilfreich, um Multi-

14 Internationaler Museumsrat: Ethische Richtlinien für Museen von ICOM 2004. Online verfügbar unter http://www.icom-deutschland.de/client/media/364/icom_ethische_richtlinien_d_2010.pdf. 15 Vergleiche einleitend zum Thema z.B. Waldemar Stange (2011): Was ist Partizipation? Definition und Systematisierungen. http://www.kinderpolitik.de/beteiligungsbausteine/pdf/a_/Baustein_A_1_1.pdf

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perspektivität zu erzeugen, sondern kann durch die Möglichkeit zur Identifikation überdies eine Nähe zum Publikum schaffen.16 Für Museen erweisen sich partizipative Strategien dann als sinnvoll, wenn unterschiedliche Perspektiven zu einem Thema herausgearbeitet werden sollen. Darüber hinaus geben sie Anlass zur kritischen Reflexion der eigenen Arbeit und stellen eine Möglichkeit dar, in Kontakt mit den jeweiligen Zielgruppen zu treten. Ziel partizipativer Prozesse ist dabei meines Erachtens nicht, die Interpretationshoheit abzugeben, sondern vielmehr die Vielschichtigkeit von Bedeutungen und Interpretationsmöglichkeiten zuzulassen und zu vermitteln. Cheryl Meszaros argumentiert, dass der individuelle und autonome Akt des Bedeutungsmachens erst als der Beginn interpretativen Handelns zu verstehen ist: Aufgabe der Vermittlungsarbeit ist es, Inhalte individuell so zugänglich zu machen, dass sie kritisch hinterfragt werden können und so eine Veränderung in der Wahrnehmung des Objekts möglich wird. Es geht also nicht darum, «to free the individual from the tyranny of received ideas», sondern deutlich zu machen, dass «without received ideas there was no way to become an individual, no backdrop or ground upon which to appear or stand».17 Vor dem Hintergrund der soeben in aller Kürze skizzierten Vielschichtigkeit und Bandbreite partizipativer Ansätze werden im Folgenden die Ziele und die Vorgehensweise vorgestellt, die den Prozess der Ausstellungsentwicklung und die Vermittlungsarbeit in dem Projekt «NeuZugänge» prägten.

Z UGÄNGE «Revisiting Collections» Wie kann die Beteiligung verschiedener Öffentlichkeiten an der Konzeptionierung einer Ausstellung gelingen, die sich mit dem musealen Sammeln von Objekten beschäftigt, die Zeugnisse von kultureller Vielfalt und Migrationsge-

16 Vergleiche hierzu insbesondere die Beiträge in Susanne Gesser/Martin Handschin/ Angela Janelli/Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2012. 17 Cheryl Meszaros: Interpretation and the art museum. Between the familiar and the unfamiliar. Unter Mitarbeit von Twyla Gibson und Jennifer Carter, in: Juliette Fritsch (Hg.): Museum gallery interpretation and material culture. New York 2011, S. 45 und 46.

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schichten sind? Vorbild für das erste partizipative Element der Ausstellung «NeuZugänge» war das vom britischen Museums, Libraries und Archives Council (MLA) und dem Collections Trust initiierte Programm «revisiting collections».18 Ziel dieses Programms ist es, Museen und Archive bei der kritischen Reflexion ihrer Sammlungen durch verschiedene soziale Gruppen und externe Expertinnen zu unterstützen, um so die Vielschichtigkeit von Bedeutungen und Bedeutsamkeiten offen zu legen und museale Objekte für verschiedene Öffentlichkeiten nutzbar und zugänglicher zu machen.19 Der erste Schritt zur Vorbereitung der Diskussionen bestand darin, dass jedes der beteiligten Museen zwei Objekte aus seiner Sammlung auswählte, die zur Vermittlung kultureller Vielfalt oder der Geschichte von Migration nach Deutschland geeignet erschienen. Informationen über diese Objekte, unter anderem über deren Bezug zu Migrationsgeschichte und kultureller Vielfalt wurden von den Kuratoren auf einem Datenblatt beschrieben. Während zweier Diskussionsrunden mit einer heterogenen Gruppe von 17 Berlinerinnen wurden schließlich unterschiedlichste Zugangsmöglichkeiten zu den Objekten erarbeitet und die Objektauswahl der Museen kritisch diskutiert. Beide Termine fanden in den Räumen des Museums der Dinge statt, die aufgrund ihres Depotcharakters als besonders stimulierend für die Diskussion erachtet wurden. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgte über bereits bestehende Netzwerke sowie über Multiplikatorinnen. Als Anreiz dienten Jahreskarten zweier beteiligter Museen, die den Beteiligten freien Eintritt zu den Häusern gewährleisteten. Die in den Fokusgruppen angestrebte Heterogenität der Gruppe konnte zwar in Bezug auf die regionale Herkunft, nicht jedoch in Hinblick auf das Niveau formaler Bildung der Teilnehmer umgesetzt werden: Alle Beteiligten verfügten mindestens über die Berechtigung zum Hochschulstudium. Der konsultative Charakter der Fokusgruppen wurde von Beginn an verdeutlicht, das heißt die Teilnehmenden wurden nicht selbst als Ausstellungsmacherinnen tituliert, sondern sie wurden als Beraterinnen verstanden. Nach einer kur-

18 http://www.collectionslink.org.uk/programmes/revisiting-collections/ 19 Eine von Susan Kamel in Zusammenarbeit mit mir selbst veröffentlichte Zeitungsserie zu Objekten aus dem Museum für Islamische Kunst, die von unterschiedlichen Berliner Muslimen neugelesen wurden, basierte auf einem ähnlichen Konzept, siehe: Susan Kamel/Christine Gerbich: Die fünfte Säule des Islam. 5. Teil der Serie Kunst und Islam, in: die tageszeitung, 25.02.2002.

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zen Vorstellungsrunde20 wurde den Teilnehmern zunächst der Konzeptentwurf der Ausstellung präsentiert und Gelegenheit für Fragen und Kommentare gelassen. Im Anschluss wurden ihnen die ausgewählten Objekte aus den Museen präsentiert (siehe Katalogteil). Die Teilnehmerinnen wurden dann gebeten ein Objekt auszuwählen und sich mit diesem ausführlich zu beschäftigen. Die individuelle Beschäftigung mit einem Objekt vor der eigentlichen Diskussion erwies sich aus verschiedenen Gründen als sinnvoll: Jedem der Teilnehmenden wurde so ausreichend Zeit für die Beschäftigung mit dem Objekt gegeben, was besonders für die Nicht-Muttersprachler sowie für eine blinde Teilnehmerin wichtig war; eigene Gedanken, Emotionen, Erfahrungen, Assoziationen und Wissensbestände konnten in Ruhe reflektiert und dokumentiert werden, bevor sie dann später in die Diskussion eingebracht wurden. Zwei Kartensets, auf denen eine Reihe von Fragen und unvollendeten Sätzen notiert waren, unterstützten diesen Reflexionsprozess. Das erste Kartenset diente dazu, persönliche Zugänge zu den ausgewählten Objekten zu stimulieren: Liebe Teilnehmerin, lieber Teilnehmer! Sie haben sich gerade ein Objekt ausgesucht, das wir in unserer Ausstellung zeigen wollen. Als erstes würden wir gerne von Ihnen wissen, was Sie selbst über dieses Objekt denken. Wir möchten Sie deshalb bitten, die Fragen, die Sie auf den Karten in diesem Umschlag finden, zu beantworten. Dabei ist wichtig: Es gibt hier keine richtigen oder falschen Antworten! Alle Kommentare, Blickwinkel sind willkommen! Bitte schreiben Sie möglichst deutlich, da wir nachher gemeinsam über Ihre Antworten sprechen möchten. Und: Die Karten dienen nur als Anregung. Sie müssen nicht alle ausgefüllt werden. Sollten Sie noch weitere Kommentare haben, schreiben Sie diese auf die leere Karte am Ende. Wenn Sie die Karten ausgefüllt haben, geben Sie sie bitte bei uns ab und öffnen Sie den zweiten Umschlag. Vielen Dank! Wie würden Sie das Objekt beschreiben? Ich habe mir dieses Objekt ausgesucht, weil… Das Objekt erinnert mich an… Zu dem Material/ der Form/ der Farbe des Objekts fällt mir ein…

20 In der Vorstellungsrunde wurden die Teilnehmer darum gebeten, folgende Fragen zu beantworten: Woher kommt mein Name? Was bedeutet er? Wer hat ihn mir gegeben? Gefällt er mir? Diese Art der Vorstellung führte dazu, dass eine (unbewusste) Statuszuweisung unterblieb, da die Teilnehmerinnen ihre berufliche Stellung nicht nannten. Dies wurde von mehreren Teilnehmern positiv rückgemeldet.

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Ich habe so etwas ähnliches schon einmal benutzt oder an einem anderen Ort gesehen (Hier können Sie zum Beispiel aufschreiben wann, wie häufig und wo Sie diese Sache benutzt oder gesehen haben)

Das zweite Kartenset diente dazu, die Teilnehmerinnen um ein Feedback zu den von den Museen vorbereiteten Informationen zu beten: Die Sache, die Sie ausgewählt haben, wurde bereits von einem der Museen beschrieben. Diese Beschreibung finden Sie anbei. Es handelt sich dabei um eine Liste der Dinge, die die Leute im Museum bereits über das Objekt wissen. Wir möchten Sie jetzt gerne darum bitten, sich diese Beschreibung einmal durchzulesen. Nehmen Sie dann die Karten, die Sie in diesem Umschlag finden. Es würde uns sehr helfen, wenn Sie die Fragen, die darauf stehen, beantworten könnten. (…)

Das vom Ausstellungsteam im Vorfeld entwickelte Datenblatt enthielt die in Archiven gängigen Informationen wie Maße, Sammlungszugehörigkeit, Entstehungsort und –zeitpunkt, Hersteller, Funktion, Material, und Herstellungstechnik. Darüber hinaus wurden der Entstehungskontext der Objekte und ihr migrationsgeschichtlicher Hintergrund im Rahmen der Ausstellung erläutert. Ist diese Beschreibung für Sie im Großen und Ganzen verständlich? Was ist für Sie nicht so gut verständlich? Sie haben die Beschreibung des Museums gelesen. Gibt es etwas, das Sie an diesem Objekt noch interessieren würde? Gibt es auch Informationen, die Sie überflüssig finden? Wir haben dieses Objekt ausgewählt, weil wir denken, dass es etwas über Einwanderung bzw. kulturelle Vielfalt in unserer Stadt erzählt. Was denken Sie dazu? Überzeugt Sie unsere Auswahl?

Nach der individuellen Beschäftigung mit den Objekten begann die gemeinsame Diskussion, indem die Beteiligten ihre Reflexionen der Runde vorstellten. Im Anschluss daran wurden die Teilnehmer noch um ein Brainstorming zu drei Fragen gebeten: Wenn sie an die Geschichte von Einwanderern denken: Was würden Sie gerne im Museum zeigen können? Was könnten Fallstricke sein? Welche Dinge könnten ein missverständliches Bild von Migration und kultureller Vielfalt wiedergeben?

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Die Auswertung der Feedbackbögen im Anschluss an den Workshop zeigte, dass die Diskussionsrunden für die Teilnehmerinnen interessant, lehrreich und gewinnbringend waren. Die individuelle Beschäftigung mit den Objekten führte zu einer Reihe interessanter Assoziationen, Ideen und Ergänzungen. So wurden Stereotype thematisiert und die Objektauswahl durch die Museen kritisch reflektiert, beispielsweise in Bezug auf eine Zigarettendose mit der Aufschrift «Problem Moslem»: Tabak und Orientale – das ist total typisch. Mir ist sofort der Kaffeekanon eingefallen und das türkische Wort keyf, aus dem sich das deutsche Wort für kiffen herleitet. Aber meines Erachtens hat das Bild wenig mit Migrationsgeschichte zu tun, denn das ist ein Bild aus der Zeit vor der Migration im 20. Jahrhundert. Die Dose zeigt, welches Bild die Mehrheitsgesellschaft vom Orientalen damals hatte.21 (Workshop-Teilnehmer)

Die Teilnehmer identifizierten für sie unverständliche Begriffe in den Objektbeschreibungen, wie zum Beispiel das Wort «Tauschierung» in der Objektbeschreibung einer Schale aus dem Museum für Islamische Kunst. Ein Beispiel für ganz neue Perspektiven liefert der Kommentar einer blinden Teilnehmerin, die nach der Authentizität der Architektur eines Weckers in Form einer Moschee fragte und dadurch erst offenlegte, dass es sich hierbei keineswegs um eine originalgetreue Darstellung handelte: Wenn man blind ist, dann hat man Probleme, sich die Größenverhältnisse der Architektur vorzustellen, weil man selten was anfassen kann. Ist die Moschee denn naturgetreu dargestellt? (Workshop-Teilnehmerin)

Ein letztes Beispiel illustriert, dass einige der Objekte unerwartete Assoziationen und Emotionen wachrüttelten: So erinnerte eine durch Bauarbeiten deformierte Grundsteinkassette eines hugenottischen Hauses eine Teilnehmerin an den Krieg in ihrem Heimatland Sri Lanka: Das Objekt erinnert mich an (…) Schmerz (…) Ich habe so etwas Ähnliches oft in Sri Lanka, in Jaffna, gesehen. Nach den Bombenangriffen habe ich viele ähnliche Dinge ge-

21 Der Kaffeekanon ist ein von Carl Gottlieb Hering (1766-1853) vertontes Lied: «C-a-ff-e-e, trink nicht so viel Kaffee! Nichts für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blass und krank. Sei doch kein Muselman, der ihn nicht lassen kann!»

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sehen. Viele Menschen haben gesagt, dass das Teile von Bomben sind. (WorkshopTeilnehmerin)

Wie sich im Rahmen von Führungen durch die Ausstellung zeigten sollte, war diese Assoziation kein Einzelfall, sondern wurde wiederholt von Besucherinnen mit Bürgerkriegserfahrung geäußert, die zum Teil sehr irritiert auf das Objekt reagierten. Bei der praktischen Vermittlungsarbeit stellte sich also durchaus die Frage, wie auf derartige Assoziationen zu reagieren sei. Die Ergebnisse der Fokusgruppen wurden später ausgewertet, indem die handschriftlichen Kommentare dokumentiert und die Diskussionen in Teilen transkribiert wurden. Für die Ausstellung im Kreuzberg Museum fand dann schließlich eine Auswahl der schriftlichen und mündlichen Kommentare durch das Kuratorenteam statt. Die Kommentare wurden gemeinsam mit den Informationen aus dem Museum neben den jeweiligen Objekten gezeigt. Es handelte sich dabei um eine bewusste Auswahl von Zitaten, die eine neue Sichtweise auf die Objekte in Gang setzen sollte. Insgesamt erwies sich die Methode des «revisiting collections» für den Prozess der Ausstellungsentwicklung als gewinnbringend: Zum einen war die Vielfalt unterschiedlichster Zugänge und Anregungen Anlass zu kontroversen Diskussionen sowohl während der Diskussionrunden als auch im Nachhinein im Team; zum anderen inspirierten die Ergänzung der musealen Informationen durch die Zitate aus den Diskussionsrunden später einige der Besucherinnen zu eigenen Reflexionen über die Objekte. Der kritische Rückblick durch das Team ergab, dass eine stärkere Fokussierung der Diskussion – auf eine der Sammlungen oder sogar nur auf einzelne Objekte – äußerst wünschenswert gewesen wäre. Zudem band die Organisation, Durchführung und Auswertung der Diskussionsrunden viele personelle, zeitliche und materielle Ressourcen.

E RGÄNZUNG DER S AMMLUNGEN DURCH B ERLINER MIT M IGRATIONSGESCHICHTE Die zweite von uns gewählte partizipative Strategie bestand darin, pro Museum zwei Berlinerinnen mit Migrationshintergrund zu bitten, ein eigenes Objekt zu der Ausstellung beizutragen, das aus ihrer Sicht gut geeignet schien, in hundert Jahren etwas über die Geschichte der Migration nach Deutschland zu erzählen. Die acht Leihgeber wurden zu ihren Objekten interviewt und diese filmischen Interviews als Erläuterung neben den musealen Objekten gezeigt (siehe Katalog-

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teil). Mit der Gegenüberstellung von musealen und nichtmusealen Objekten wurde verdeutlicht, dass Museen mit ihren Sammlungspraktiken zu der Geschichtsschreibung und zu einer mehr oder minder stark ausgeprägten Hierarchisierung zwischen Hoch- und Alltagskultur beitragen. Diese Hierarchisierung wollten wir nicht reproduzieren, sondern sie vielmehr offensichtlich machen und zur Diskussion stellen.

S AMMLUNGSAUFRUFE Drittens enthielt die Ausstellung eine leere Vitrine, die an jedem Sonntag bestückt werden konnte. Dieser Sammlungsaufruf, der sowohl im Internet als auch über die Plakate zur Ausstellung publik gemacht wurde, verfehlte zunächst seine Wirkung. Als erfolgreichere Strategie erwies sich die direkte Ansprache von Personen, zum Beispiel im Rahmen von Führungen. Das heißt, der Aufruf, die musealen Sammlungen durch eigene Objekte zu ergänzen, war nur auf persönliche und konkrete Ansprache hin erfolgreich. Insgesamt lassen sich die beigesteuerten Objekte verschiedenen Kategorien zuordnen. Es handelt sich dabei um: •







Souvenirs aus dem Herkunftsland, die als typisch gelten können und an denen persönliche Erinnerungen geknüpft sind, zum Beispiel ein Gebetsteppich oder Familienfotos; für die jeweilige Region repräsentative Gegenstände ohne persönlichen Bezug, wie zum Beispiel Werbebroschüren, Kühlschrankmagnete in Form von Figuren in traditionellen Trachten; Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die in Deutschland nur schwer käuflich erworben werden können, jedoch benötigt werden, um kulturspezifische Gewohnheiten fortzuführen, zum Beispiel eine mechanische Kokosnussraspel oder Trachten; Vergleichsweise seltener beigesteuert wurden Objekte, die Zeugnis über den Prozess der Migration oder den Lebensalltag von Einwanderern ablegen. Beispiele hierfür sind eine Sammlung von Aufsätzen über die Einwanderung nach Deutschland, die in einem Kurs für Deutsch als Fremdsprache entstand oder die Einbürgerungsurkunde einer Frau, die in einer bi-nationalen Partnerschaft erzogen wurde.

Neben dem Sammlungsaufruf war es während der Ausstellung auch möglich, spontan eigene Objekte zum Thema Migration und kulturelle Vielfalt beizusteu-

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ern: An einer Wand war ein stilisiertes Depotregal aus Pappe angebracht, an das die Besucherinnen und Besucher Objektvorschläge oder Ideen anheften konnten. Auf den eigens hierfür vorbereiteten Vorlagen war Platz für eine Zeichnung sowie eine Beschreibung des Objekts beziehungsweise des Gedankens oder Kommentars. Dieses Ausstellungselement sollte das spontane Sammeln von Objekten ermöglichen aber auch immaterielle Objekte sammelbar machen, den spielerischen Umgang mit dem Objektbegriff initiieren und die Reflexion über das Sammeln von Migrationsgeschichte(n) anstoßen. Im Verlauf der Ausstellung nahmen knapp sechzig Personen diese Möglichkeit wahr, die Ausstellung zu ergänzen; acht weitere Personen hinterließen allgemeine Botschaften ohne konkreten Bezug zur Ausstellung. Dreißig der vorgeschlagenen Objekte hatten einen speziellen regionalen Bezug, mehrheitlich zur Türkei, aber auch allgemeine globale Bezüge wurden hergestellt, zum Beispiel durch die Zeichnung von Flip-Flops, die mit dem Kommentar «Schuhwerk der Weltärmsten und des akademischen Prekariats, das viele zum Aus- und Einwandern brauchen (…)» versehen wurde. Von den Objektvorschlägen nahmen solche mit einem Bezug zu Essen und Trinken mit den größten Raum ein. Zu den insgesamt sechzehn Nennungen gehörten regionaltypische Speisen (Döner, Croissant, Türkische Pizza, spanischer Schinken oder Pide), Küchengeräte (Espressokocher, Rührgerät, Kanne, Kaffeemühle) sowie die Zeichnung eines gut gefüllten türkischen Restaurants, das sich neben einem leeren deutschen Gasthaus befindet. Einige Objektvorschläge drehten sich um das Thema Musik (eine Trommel, die Lieder einer türkischen Sängerin, Noten als Träger von Erinnerungen und Emotionen). Darüber hinaus wurden Objektvorschläge mit Symbolcharakter beigetragen, zum Beispiel das Nazarlik (das Blaue Auge, ein türkischer Talisman als Schutz vor dem Bösen) oder ein Trabbi mit «BRDDR»-Sticker. Nicht alle Vorschläge hatten Objektcharakter; auch Konzepte und Ideen zum Thema Migration wurden den Kuratorinnen vorgeschlagen, zum Beispiel «der Stoff, aus dem die Träume sind, denn er schenkt uns Visionen und lässt uns auf eine gute Zukunft hoffen»; der Abdruck eines Kusses («Der Kuss als Begrüßung? Veränderung von Ritualen, Nähe und Distanz») oder eine Sonne («der warme Charakter»). Ein interessanter Aspekt dieser Beiträge ist, dass häufig Dinge genannt wurden, die typisch für eine Region sind, wie zum Beispiel Speisen, Getränke, Trachten. Objekte, die verbindenden Charakter haben, waren dagegen selten. Auch die historische Dimension von Migration wurde eher selten thematisiert: Zeithistorische Dokumente, die konkrete Informationen über den Migrationsanlass oder Prozess geben wie zum Beispiel Urkunden, Verträge oder Lieder über die Zeit der ersten Arbeitsmigranten nach Deutschland tauchten vergleichsweise

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selten auf. Folgender Eintrag ins Besucherbuch der Ausstellung zeigt beispielhaft die Auseinandersetzung der Besucher mit der Frage der Repräsentation von Migration und Migrationsbedingungen: Fast alle präsentierten Gegenstände sind «exotische». Dabei geht es für mich bei der Annäherung an das Thema Migration nicht um die Festschreibung «fremder» Kultur, sondern um die Beschreibung der Bedingungen von Migration und beispielsweise der Strukturen, in denen man als Migrantin im neuen Land konfrontiert ist. Mir fällt zum Beispiel als Gegenstand ein am Fließband in Berlin gefertigtes Teil ein. Oder eine Hausordnung eines Heimes. (Gästebuch, Kommentar Nr. 3)

Einen großen Stellenwert nahmen auch Dinge ein, die Wünsche oder Ansichten hinsichtlich eines gemeinsamen friedvollen Zusammenlebens thematisierten, wie zum Beispiel: «Liebe und Freunde… Warum Blut?» oder «Der Stoff aus dem die Träume sind». Auch die Schwierigkeiten von Migrantinnen wurden thematisiert: «Das ist ein Fenster. Die Migranten gehen von ihrem Zuhause in ein anderes Land. So ist man zu Hause und schaut nach draußen wo man hin will. Was nicht einfach ist.» Oder nur: «Das fehlt hier» (mit Zeichnung eines Herzens). Diese Beiträge sind insofern interessant, als sie die objektbezogene Perspektive um eine immaterielle Perspektive ergänzen, die emotionalen Aspekte von Migration und kultureller Vielfalt widerspiegeln.

AUSGÄNGE Die Ausstellung «NeuZugänge» stellte den Versuch dar, sich durch partizipative Strategien unterschiedlichsten Perspektiven auf die Frage der Repräsentation von Migration und kultureller Vielfalt in musealen Sammlungen anzunähern. Vor dem Hintergrund der eingangs dargestellten Überlegungen handelt es sich hierbei um einen partizipativ-kooperativen Ansatz, da die finale Autorität über die Auswahl und Darstellung der in den Fokusgruppen erarbeiteten Inhalte dem Ausstellungsteam oblag. Welche Reaktionen sind von Seiten des Publikums zu konstatieren? Folgende Beiträge aus dem Besucherinnenbuch stehen beispielhaft für viele positive Reaktionen von Besuchern: Die Darstellung kultureller Vielfalt durch eine geringe Zahl von Objekten sowie die Ausstellungsgestaltung werden hier ebenso gelobt wie die Möglichkeit zu eigenen Reflexionen durch die Sammlungsaufrufe während der Ausstellung:

NEUE ZUGÄNGE DURCH PARTIZIPATIVE STRATEGIEN BEI DER AUSSTELLUNGSENTWICKLUNG

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Wunderbar! Das sind «wir». (Gästebuch, Nr. 7) Eine wunderbar lebendige Ausstellung! Sehr schönes Konzept, welches zum Mitdenken und Mitmachen anregt. So ist es ein wunderbarer Weg, verschiedene Kulturen zu verstehen und zu erfahren. Aus meiner Sicht eine ganz wichtige Sache im Zeitalter der Globalisierung. (Gästebuch, Nr. 19) Ihre Ausstellung bildet Vielfalt in der Gegenwart sehr schön ab – und dabei mit so einfachen (s. Gestaltung) Mitteln und so komprimiert (Konzentration auf kleine Zahl von Objekten). Außerdem finde ich die Vielfalt der Perspektiven von Migranten, Berlinern allgemein, Kuratoren – toll und dass man als Berliner/in zum Mitmachen animiert wird – sehr gelungen. (Gästebuch, Nr. 28) Eine tolle inspirierende Ausstellung, die mich über die Geschichten der Dinge und ihrer Besitzerinnen nachdenken lässt. Was würde ich mitnehmen in die Fremde? Meine kleine Espressokanne, meine Lieblingsgeschichte? Was ist mir unersetzlich? Das Kunstwerk von Nadia Kaabi-Linke hätte ich mehr exponiert als Auseinandersetzung mit dem Fremden und dessen Verarbeitung. Ich habe das als Kunstwerk gar nicht erst wahrgenommen. (Aus dem Gästebuch, Nr. 9) Eine äußerst sehenswerte Schau. Eine kluge Auswahl sprechender Objekte. Findig ist das Konzept einer Ausstellung mit Zuwachs zu der Interessierte weitere Objekte beisteuern können. Gut, dass ich noch kurz vor Ablauf der Ausstellung darauf aufmerksam gemacht worden bin (durch einen Zeitungsartikel). (Aus dem Gästebuch, Nr. 37)

Wie intensiv sich die Besucherinnen teilweise mit dem Thema auseinandersetzten; zeigt sich unter anderem auch daran, dass uns eine internationale Besuchergruppe im Anschluss an eine Führung ein Kochbuch zusandte, in dem die weltweit verschiedenen Möglichkeiten der Zubereitung des «deutschen» Kohls festgehalten wurden.22 Darüber hinaus belegt der folgende Beitrag, dass die Ausstellung bei einigen der Besucherinnen durchaus eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage nach der Öffnung der Institution Museum für externe Expertisen nach sich zog: Eine gelungene Ausstellungsidee! Es freut mich, dass hier ein Museum ernsthaft daran interessiert ist, sich für die Menschen in seinem Umfeld zu öffnen, davor haben ja nach wie vor viele sogenannten «Experten» aus den Museen Angst… Allerdings hätte ich es span-

22 http://diewunderlampe.files.wordpress.com/2011/03/kohl_kochbuch_neu.pdf.

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nender gefunden, wenn die Privatpersonen die Depots durchforstet hätten und die Museumsleute ihr (privates?) Umfeld! Trotzdem: Weiter so! Toll! (Besucherbuch Nr. 33)

Ein weiteres Beispiel illustriert zwei der Herausforderungen partizipativer Herangehensweisen, nämlich zum einen die Frage nach der tatsächlichen Repräsentativität der gesammelten Stimmen; und zum anderen die beim Publikum evozierte Erwartung, man könne durch die Beteiligung ein repräsentatives Bild der Migrationsgesellschaft abbilden. Mich freut diese Ausstellung sehr! Habe selten erlebt, dass die Menschen, um die es geht tatsächlich selbst die Stimme erhielten, dass der Besucher so aktiv in die Auseinandersetzung und (Selbst-) Reflexion eingeladen wurde. Schöne Auseinandersetzung, auch mit «dem Wesen der Dinge» selbst im Alltagsleben, Handeln… der Menschen. Guter Beitrag zur Frage «Was ist Kultur». Kleine Überlegung dennoch: Die Menschen, die hier ihre Gegenstände mit den Kuratoren ausgewählt haben und kommentieren – repräsentieren sie in ihrem Nachdenken und Sprechen über Migration und ihrem Erleben die Leute draußen auf der Straße? Ich vermute die Darstellungen fügen sich doch ein wenig glatt in «deutsche» akademisch-ethnologische Diskurse ein… Trotzdem super Ausstellung. (Aus dem Gästebuch, Nr. 34)

Wie eingangs ausgeführt, zählt zu den Voraussetzungen partizipativen Handelns nicht nur die Bereitschaft zur Information, sondern auch die Bereitschaft, freiwillig die Initiative zu ergreifen. Diese Bereitschaft ist jedoch nicht unabhängig von Faktoren wie Bildungshintergrund und Selbstwirksamkeitserfahrungen im Verlauf der Sozialisation. Dies spiegelt sich gewiss in der Auswahl unserer migrantischen Partner wider, von denen nur zwei die Gruppe repräsentieren, die vermutlich in diesem Kommentar gemeint waren. Und auch die Tatsache, dass eine der Leihgeberinnen ihre Einwilligung zu einem filmischen Interview aus Scheu vor der (musealen?) Öffentlichkeit zurückzog, zeugt davon. Auf der anderen Seite stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, inwieweit die Formulierung «die Leute von der Straße» ein stereotypes Bild von Einwanderern und Menschen mit Migrationsgeschichte widerspiegelt, das die große Heterogenität der Gruppe außer Acht lässt. Anhand eines weiteren Kommentars wird ersichtlich, dass diese Heterogenität von den Teilnehmenden selbst durchaus reflektiert wurde: Ich bin sehr gerührt… Da ich dabei bin, meine Geschichte erzähle, mitmache, bin ich ein Teil des Ganzen. Tolle Idee! Es muss fortgesetzt werden – auch die anderen sollen die Möglichkeiten haben sich einzubringen. Die Ausstellung ist eine Schnittstelle von zwei

NEUE ZUGÄNGE DURCH PARTIZIPATIVE STRATEGIEN BEI DER AUSSTELLUNGSENTWICKLUNG

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Welten wir – ihr. Jede/r kann mal das Eine oder das Andere sein. Je nach dem Blickwinkel. (Gästebuch, Nr.8)

Neben der Frage, inwieweit die Auswahl der Fokusgruppenmitglieder der großen Vielstimmigkeit in Bezug Migration und kulturelle Vielfalt gerecht wurden, werden hier abschließend weitere Herausforderungen genannt, mit denen wir im Verlauf des Projekts konfrontiert wurden. Dazu gehört erstens die aufgrund finanzieller, personeller und zeitlicher Ressourcen nicht einlösbare Forderung nach Nachhaltigkeit des initiierten Netzwerks. Zweitens, die Schwierigkeiten, die in Zusammenhang mit einem uneindeutigen und einschränkenden Begriff von «communities» einhergehen: Gerade Personen mit Migrationsgeschichte werden häufig pauschal einer Gruppe zugeordnet, ohne dass auf ihre soziale, kulturelle oder religiöse Individualität Rücksicht genommen wird.23 Es scheint daher dringend notwendig die Schwierigkeiten, die mit derartigen Pauschalisierungen einhergehen, immer wieder zu reflektieren. Und schließlich bleibt festzuhalten, dass derartige kooperative Vorgehensweisen neue Fähigkeiten und Fertigkeiten von den Kuratorinnen verlangen, die über die Aufbereitung fachspezifischen Wissens hinausgehen.

AUSBLICK Abschließend noch einige Worte zur Fortsetzung und Weiterentwicklung der erprobten Ansätze: Im Mittelpunkt des «Experimentierfelds Museologie», das als Forschungsprojekt an der Konzeption der Ausstellung beteiligt war (siehe hierzu die Einleitung sowie Kamel in diesem Band), steht die Vermittlung der Kunstund Kulturgeschichten islamisch geprägter Länder: einer Region, deren kulturelle, soziale, religiöse und politische Heterogenität in der öffentlichen Wahrnehmung häufig vernachlässigt wird. Den Herausforderungen einer partizipativ-kooperativen Vorgehensweise werde ich mich gemeinsam mit Susan Kamel auch im Rahmen von drei anderen Experimentierfeldern stellen, die im Folgenden skizziert werden.

23 Barbara Lenz/Marlene Kettner: Geschichte multiperspektivisch erzählen. Bürgerbeteiligung im Rahmen des Ausstellungsprojektes «Weltbürger. 650 Jahre Neukölln in Lebensgeschichten», in: Susanne Gesser/Martin Handschin/Angela Janelli/Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2012, S. 271–276.

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Das Experimentierfeld «Samarra» Im Rahmen der neu zu konzipierenden Dauerausstellung des Museums für Islamische Kunst ist geplant, die unterschiedlichen Bedeutungsebenen und Annäherungsmöglichkeiten auf Objekte sichtbar zu machen. Geplant ist die Entwicklung einer Medienstation zur Kontextualisierung von Objekten aus der abbasidischen Hauptstadt Samarra im heutigen Irak. Auch an diesem Experiment werden Berliner beteiligt werden: Im ersten Schritt werden ihre Perspektiven auf ausgewählte Leitobjekte gesammelt und im Plenum diskutiert; im nächsten Schritt werden ihre Beiträge dazu genutzt, unterschiedlichste Annäherungen an ausgewählte Leitobjekte zu ermöglichen. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, die kunst- und kulturhistorische Perspektive durch weitere Sichtweisen zu ergänzen, darunter Alltagserfahrungen oder künstlerische Zugänge. Das Experimentierfeld «Kulturgeschichten aus dem Museum für Islamische Kunst» 24 Dieses Projekt wurde unter der Projektleitung von Güven Günaltay gemeinsam mit Kolleginnen aus dem Museum geplant und wird vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert. Die Zielgruppe sind Schüler der Sekundarstufe 1. Im Rahmen des Projekts werden Unterrichtsmaterialien entwickelt, die mit Hilfe weniger ausgewählter Objekte wichtige Aspekte der Kunst- und Kulturgeschichte islamisch geprägter Länder vermitteln. Die Materialien werden in Kooperation mit Lehrerinnen sowie mit den Kindern entwickelt. Ziel des Projekts ist es, stereotype Vorstellungen über islamisch geprägte Kulturen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund aufzubrechen und die Vielschichtigkeit und Lebendigkeit dieser Kulturen zu vermitteln. Das Experimentierfeld «Konya» Das dritte Experimentierfeld beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle die kulturelle Herkunft für das Verständnis für und das Interesse an Objekten spielt. Dieses Projekt hinterfragt folglich die Vorstellung von «source communities» als homogener Gruppe, von deren Mitgliedern angenommen wird, dass sie über Hintergrundwissen verfügen, die ihnen die kontextuelle Einordnung von Objekten erleichtert. Ausgehend von der Initiative anatolischer Museen werden in Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst und dem Bezirksmuseum 24Siehe http://www.kulturgeschichten.info/de.

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Friedrichshain-Kreuzberg Objekte aus Konya, der einstmals bedeutenden Hauptstadt der anatolischen Seldschuken, gezeigt. Dabei werden Berliner mit anatolischen «Wurzeln» zu den Objekten interviewt, um unterschiedliche Sichtweisen auf die Region vorzustellen. Abschließend sei erwähnt, dass die Erfahrungen, die durch die Laborausstellung «NeuZugänge» gewonnen werden konnten, zur Gründung des «Museumsdiwans» führten. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Berlinerinnen allen Alters und unterschiedlichster sozialer, religiöser, regionaler und kultureller Herkunft, mit ganz unterschiedlichen Bezügen zu Museen. Sie alle unterstützen als Museumsprofis, Fachexperten, regelmäßige Besucherinnen sowie als museumsaffine Nichtbesucher unser Forschungsprojekt im Prozess der partizipativkooperativen Ausstellungentwicklung. Zum Teil wurde der Kontakt zu den Mitgliedern des Museumsdiwans im Rahmen der Fokusgruppen für die Ausstellung «NeuZugänge» hergestellt. Ohne ihr Engagement und ihre interessanten und kritischen Beiträge wäre auch die Ausstellung «NeuZugänge» nicht das geworden, was sie war. Und so gilt vor allem den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Fokusgruppen25 abschließend mein herzlichster Dank.

25 Dank gebührt wie immer auch meinen Kindern für all ihre klugen Fragen zu den Dingen dieser Welt.

Weitgereiste Objekte im Museum für Islamische Kunst G ISELA H ELMECKE

D IE U RSPRÜNGE

DER

S AMMLUNG

Das Museum für Islamische Kunst wurde 1904 als «Abteilung der persischislamischen Kunst» im Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bodemuseum, gegründet. Grundstock der neuen Abteilung waren erstens die Fassade des frühislamischen Schlosses Mschatta, das heute direkt am Flughafen der jordanischen Hauptstadt Amman liegt; zweitens die Teppichsammlung Wilhelm von Bodes, der später Generaldirektor der königlichen beziehungsweise staatlichen Museen wurde; und drittens die Privatsammlung des Gelehrten und damaligen ehrenamtlichen Direktors der neuen Abteilung, Friedrich Sarre.1 Die Fassade von Mschatta war ein Geschenk des osmanischen Sultans Abdülhamid II. an Kaiser Wilhelm II. Für diesen Erwerb hatten sich neben Wilhelm von Bode eine Reihe weiterer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingesetzt und Mäzene finanzierten auch den Abbau vor Ort sowie den Transport der einzelnen Teile nach Berlin.2 Die Teppiche hatte Bode bereits im späten 19. Jahrhundert nach und nach erworben, oft in Italien, und immer in Hinblick auf ein zu schaffendes Museum für Kunst aus dem islamischen Raum.3 1

Siehe zur Geschichte des Museums und seinen Sammlungen zuletzt Jens Kröger (Hg.): Islamische Kunst in Berliner Sammlungen. 100 Jahre Museum für Islamische Kunst in Berlin, Berlin 2004.

2

Volkmar Enderlein: Die Erwerbung der Fassade von Mschatta, in: Forschungen und Berichte 26, Berlin 1987, S. 81-90.

3

Volkmar Enderlein: Wilhelm von Bode und die Berliner Teppichsammlung, Berlin 1995 (Bilderhefte der Staatlichen Museen zu Berlin).

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Friedrich Sarre hatte mehrere Forschungsreisen unternommen, zunächst nach Kleinasien, dann nach Persien (Iran). Auch Syrien, Irak und Mittelasien bereiste er. Dort und im europäischen Kunsthandel erwarb er Kunstobjekte; er schrieb auch grundlegende Publikationen zur islamischen Kunst und regte solche an. Damit gilt er als einer der Begründer sowohl der Kunstgeschichte als auch der Archäologie des islamisch geprägten Kulturraums. Für viele seiner Publikationen lieferten die Objekte seiner eigenen Sammlung die Grundlagen. Der Hauptteil seiner Sammlung, den er der neuen Museumsabteilung geliehen hatte, ging 1922/1923 durch Schenkung in Museumsbesitz über. Weitere Schenkungen und Erwerbungen an das Museum kamen auf Initiative von Sarre und aus seinem Umkreis hinzu. Umfangreiche Bestände an Kleinkunst und Studienmaterial erwarb das Museum auch durch Ankäufe in Syrien und Ägypten, die sowohl Bode als auch die Museumskustoden unterstützten und veranlaßten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als infolge der Teilung Deutschlands zwei Museen islamischer Kunst in Berlin existierten, waren gezielte Ankäufe aus Privatbesitz und aus dem Kunsthandel eine besonders wichtige Erwerbungsform, um die jeweiligen Teilbestände so weit wie möglich zu ergänzen. Eine Reihe interessanter und wichtiger Objekte, die heute in Museumsbesitz sind, stammen außerdem aus drei mit dem Museum verbundenen Grabungen. Die erste Grabung fand unter der Leitung von Ernst Herzfeld und Friedrich Sarre 1911 – 1914 in Samarra (Irak) statt.4 Samarra war im 9. Jahrhundert Hauptstadt des von der Dynastie der Abbasiden regierten Kalifenreiches. Die zweite Grabung erfolgte 1928 – 1932 in Ktesiphon (Irak), teilweise zusammen mit dem Metropolitan Museum in New York.5 Ktesiphon war die letzte Hauptstadt des vorislamischen persischen Sasanidenreiches. Die dritte Grabung, an der das Museum beteiligt war, fand 1936 – 1939 bei Tabgha am See Genezareth in Palästina

4

«Die Ausgrabungen von Samarra» erschienen nach dem Zweiten Weltkrieg in insgesamt fünf Bänden, geschrieben von Ernst Herzfeld, Friedrich Sarre und Carl Johan Lamm.

5

Die Ergebnisse dieser Grabungen sind teils noch vor dem Zweiten Weltkrieg, teils danach von verschiedenen Autoren veröffentlicht worden, darunter Ernst Kühnel, der nach Friedrich Sarre Direktor wurde, Oscar Reuther und Jens Kröger. Diese Publikationen umfassen die vorläufigen Grabungsberichte und Teilaspekte wie zum Beispiel den Stuckdekor (Jens Kröger).

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statt (im heutigen Israel). Dort wurde ein frühislamisches Schlösschen6 ausgegraben, das noch im Mittelalter bewohnt war. Eine weitere Erwerbungsform des Museums sind Überweisungen aus anderen Sammlungen der zunächst königlichen, nach 1918 dann staatlichen Museen. Vor allem das Kunstgewerbemuseum, aber auch das Völkerkundemuseum (heute Ethnologisches Museum) sowie die Altchristliche Abteilung (heute Museum für Byzantinische Kunst) und die Antikensammlung besaßen wichtige Objekte islamischer Kunst, da ihre Sammlungen bereits lange vor einer islamischen Kunstabteilung bestanden. Dabei haben einige wenige Objekte aus dem Kunstgewerbemuseum eine sehr lange Museumsgeschichte: Sie entstammen den Kunstkammern von Brandenburg-Preußen und Brandenburg-Bayreuth-Ansbach und kamen im Laufe des 19 Jahrhunderts in die königliche Sammlung in Berlin und von dort dann in das 1867 gegründete Kunstgewerbemuseum.

Z IELE

UND

B ESUCHER

Ziel aller Erwerbungen war es, dem Besucher die Vielfalt, Schönheit und Entwicklung der Kunst der islamischen Völker zu zeigen. Außerdem sollten Kenntnisse über das kulturelle Umfeld und die geschichtliche Einordnung der archäologischen Funde vermittelt werden, die meist eher Alltagsobjekte als Beispiele höchster künstlerischer Meisterschaft sind. Das ist auch heute ein Hauptanliegen des Museums. Das Museum für Islamische Kunst ist im Grunde eine Art Universalmuseum: Offiziell zu den archäologischen Museen gerechnet, besitzt es neben dem archäologischen Material auch Objekte, die zu den so genannten hohen Künsten gezählt werden (Kalligrafien, Miniaturmalereien) sowie solche, die in ein Kunstgewerbemuseum passen würden und Objekte, die charakteristisch für ein Völkerkundemuseum sein könnten. Das Museum reiht sich damit in die großen, international geprägten Weltmuseen ein. Ein Großteil seiner Besucherinnen kommt aus anderen Teilen Deutschlands und aus dem Ausland, wobei dies vor allem durch den steigenden Massentourismus zu erklären ist: Täglich kann man vor dem Pergamonmuseum die Reisebusse aus dem In- und Ausland beobachten. Der Anteil der Berliner an den Museumsbesucherinnen ist viel kleiner und Berliner mit migrantischem Hinter-

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Chirbat al-Minya. Die ersten Publikationen zu diesen Grabungen stammen im wesentlichen von Oswin Puttrich-Reignard. In den 1990er Jahren wurden der Baudekor (Markus Ritter) und große Teile der keramischen Funde (Franziska Bloch, Anja Dreiser), die sich im Museum befinden, bearbeitet und publiziert.

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grund bilden einen noch kleineren Teil. Den größten Teil an den Berliner Besuchern mit Migrationshintergrund wiederum machen Kinder und Jugendliche aus den Schulen aus, denn das Museum ist in Berliner Schulprogramme eingebunden sowie in die Kinderprogramme der Museen, die auch Schulen einbeziehen. Für Schüler mit und ohne migrantischen Hintergrund sind diese im Rahmen der Schule organisierten Besuche oft ihre einzigen Kontakte mit dem Museum. Erwachsene Berlinerinnen migrantischer Herkunft, speziell aus Ländern der islamisch geprägten Welt, sind für das Museum bisher nur in Einzelfällen von Bedeutung gewesen. Sie traten in erster Linie als Verkäufer, Schenkerinnen, Sammler oder Beraterinnen in Erscheinung. Von Seiten des Museums gibt es seit Längerem besondere Angebote an diese Gruppe, die durchaus nicht homogen ist, meist in Form von speziellen Führungen. In jüngster Zeit gibt es zunehmend Drucksachen (zum Beispiel Faltblätter) zu Sonderausstellungen und –veranstaltungen in Türkisch, Arabisch und Persisch. In den letzten Jahren haben zudem spezielle Veranstaltungen, wie zum Beispiel die «Nächte des Ramadan», diesen Personenkreis verstärkt an das Museum herangeführt. Ob die Teilnehmer solcher Veranstaltungen danach auch als reguläre Besucherinnen erscheinen, ist bisher jedoch nicht untersucht. Daneben gab und gibt es immer wieder direkte Kontakte mit Einzelbesuchern, die Kommentare zu Ausstellungsobjekten haben oder Objekte anbieten.

W AS

DIE

O BJEKTE

ERZÄHLEN ( KÖNNTEN )

Die Objekte des Museums für Islamische Kunst können, je nachdem, für welchen Aspekt man sich interessiert, in verschiedenste Richtungen abgefragt werden. Sie erzählen Geschichten über Kunst, Schönheit, Ornamentik, Stile und künstlerische Entwicklungen. Sie erzählen auch von Kulturgeschichte, von ursprünglichen und späteren Verwendungszwecken, über religiöse Bezüge und profane Traditionen. Manche sagen etwas über den Anlaß ihrer Entstehung aus, über Auftraggeber, Benutzer und Besitzer. Sie enthalten Informationen über Handwerker und Künstler und bereichern unser Wissen um Technologien und Materialien. Wir erfahren durch sie etwas über Handelswege und geschichtliche Ereignisse und Personen, über geografische Gegebenheiten und soziale Verhältnisse und damit auch etwas über Alltag und Festlichkeiten. Einige Objekte vermitteln uns Kenntnisse über die Rolle nichtmuslimischer Gruppen in den Län-

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dern des Islam.7 Manche können auch über Sammlerinnen und andere Personen etwas erzählen, durch die sie in das Museum gekommen sind. Zu all diesen Aspekten kommt hinzu, daß die Objekte, seitdem sie im Museum sind, auch eigene «Museumsgeschichten» erzählen können: über Restaurierungen und Konservierungen, über Auslagerungen und Deponierungen, über Ausstellungen und nicht zuletzt auch über unterschiedliche Einordnungen und Interpretierungen.

O BJEKTGESCHICHTEN : E INE AUSWAHL FÜR «N EU Z UGÄNGE » Für die Ausstellung «NeuZugänge» wurden zwei Beispiele aus den Sammlungen des Museums ausgewählt: ein Koranblatt aus dem 16. Jahrhundert und ein kleines Metallbecken aus dem 14. Jahrhundert. Beide Objekte stammen aus der Sammlung von Friedrich Sarre. Das Koranblatt Das große Koranblatt wurde als ein zentrales Objekt islamischer Kunst gewählt, das zugleich von fundamentaler kultureller Bedeutung ist, da der Koran für die Muslime essentiell ist und höchste Verehrung genießt. Korane gehören zu den wichtigsten Objekten islamischer Kunst – an reich ausgeschmückten Exemplaren lassen sich Schriftarten und ornamentale Verzierungen studieren. Kalligrafie, die Kunst des schönen Schreibens, wurde in der islamischen Welt hoch geehrt. Im Museum für Islamische Kunst werden auch einzelne Koranseiten sowie andere Manuskripte und Einzelblätter gesammelt. Der Text auf den 332 Blättern dieses Korans8 ist in einer klassischen Kursivschrift (thuluth) geschrieben, die einzelnen Seiten sind goldgesprenkelt. Das ausgewählte Blatt zeigt auch, dass die Überschriften der einzelnen Kapitel (die Suren) durch besondere oder größere Schrift und Ausschmückung hervorgehoben werden und einzelne Seiten noch zusätzlichen Schmuck aufweisen, wie kleine Medaillons oder goldene Rosetten im Schriftfeld.

7

Zwei Großobjekte in dieser Hinsicht sind in der ständigen Ausstellung des Museums zu sehen: das Aleppo-Zimmer von 1600/1603, das aus dem Haus eines christlichen Händlers im syrischen Aleppo stammt, und eine Ziernische, etwa aus der gleichen Zeit stammend, aus einem jüdisch-samaritanischen Haus in Damaskus.

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Inventar-Nr. I.42/68.

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Das Blatt stammt aus einem großen, reich ausgeschmückten Koran, der im safawidischen Iran für einen bedeutenden Auftraggeber hergestellt worden sein muss und sicher aus höfischen Werkstätten stammt, wahrscheinlich aus Schiras, dem damaligen Zentrum für Buchkunst in Persien.9 In solchen Werkstätten wurde arbeitsteilig vorgegangen, das heißt für jeden Arbeitsgang gab es Spezialisten. Über die weitere Geschichte dieser Koranhandschrift lässt sich größtenteils nur spekulieren. Ein letztes Blatt, das eventuell den Auftraggeber und den Herstellungsort enthalten haben könnte, fehlt. Der erste Besitzer könnte in Schiras gelebt haben, wahrscheinlicher ist jedoch, dass dieser Koran nach Qaswin oder nach Isfahan gebracht wurde, weil damals nacheinander in diesen beiden Städten der safawidische Hof residierte. Welche Besitzer der Koran in den folgenden Jahrhunderten hatte, ist nicht bekannt. Im Jahr 1896 erwarb Friedrich Sarre ihn ohne seinen Einband im Istanbuler Kunsthandel. Dort hieß es, er stamme aus einer Moschee in Istanbul. Unbekannt ist, wie er dorthin gelangte: vermutlich als fromme Stiftung eines hohen Würdenträgers, der ihn seinerseits geschenkt bekommen oder als Kriegsbeute aus einem der zahlreichen Kriege zwischen Iran und dem Osmanisches Reich gewonnen haben könnte. Ein paar Jahre später erwarb Sarre, wieder in Istanbul, einen Bucheinband, den er als zu dem Koran gehörig erkannte. Auch über die Herkunft dieses Einbandes ist nichts weiter bekannt. Sarre behielt diesen Koran in seiner Privatsammlung. Ob er 1899 auf der Ausstellung der Sarre'schen Sammlung im Berliner Kunstgewerbemuseum gezeigt wurde, ist nicht klar. 1910 war er jedenfalls auf der «Ausstellung muhammedanischer Kunst» in München10 und 1932 in einer Ausstellung der Sarre'schen Sammlung in Frankfurt am Main zu sehen. Sarre hatte den Koran sowohl in seiner Berliner Wohnung als auch später in seiner Villa in PotsdamBabelsberg. Von dort nahm ihn seine Witwe 1945 mit in die Schweiz. 1968 konnte der Koran aus Sarres Nachlass für das Museum in Berlin-Dahlem erworben und dort ab 1971 ausgestellt werden. In den 1980er Jahren wurde er dann im Zuge einer Restaurierung in seine Einzelblätter zerlegt. Das ermöglichte später eine wechselnde Ausstellung einzelner Blätter und eine mediale Repräsentation in Form einer Diaschau in der ständigen Ausstellung des Museums. Im Zusammenhang mit der Restaurierung wurden technische Untersuchungen durchge-

9

Ursprünglich hatte man angenommen, dass die Handschrift in Istanbul von dort lebenden persischen Meistern hergestellt worden wäre.

10 Friedrich Sarre/F. R. Martin (Hg.): Die Ausstellung von Meisterwerken muhammedanischer Kunst, Band 1-4, München 1912.

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führt, deren Resultate zusammen mit weiteren Forschungsarbeiten im Jahr 1999 in eine eigens diesem Koran gewidmete Publikation mündeten.11 Die letzte Wanderung trat die Handschrift Ende der 1990er Jahre an, als das Museum in Dahlem seine Pforten schloss und in das Stammhaus im Pergamonmuseum übersiedelte. Das Metallbecken Das zweite Objekt ist eine Wasserschale12 und trägt profanen Charakter. Sie wurde im 14. Jahrhundert in Iran hergestellt, zur Zeit der Mongolenherrscher. Aus einer Kupferlegierung getrieben, war sie ursprünglich mit Silbereinlagen versehen (tauschiert). Diese sind weitgehend verschwunden, nur die Gravuren haben sich erhalten. Den Hauptteil der Verzierungen bilden große, ineinander versetzte Inschriften, die in ovalen Kartuschen sitzen. Dazwischen sind runde Medaillons mit Reitern. Ornamentaler Schmuck verziert den unteren Teil und den Boden sowie den Rand. An dem Stil der Ornamentik lässt sich die persische Herkunft der Schale erkennen. Luxuriöse, reich verzierte Schalen wie diese wurden vom 13. bis ins 15. Jahrhundert für wohlhabende, oft höfische Auftraggeber in vielen Teilen der islamischen Welt hergestellt, von Buchara bis Casablanca. Die wertvollen Behältnisse konnten beispielsweise auch als Geschenke für hohe Würdenträger dienen, wenn man sich von diesen Unterstützung erhoffte oder denen man zu Dank verpflichtet war. Auf einen solchen Zusammenhang könnten die Inschriften dieser Schale hinweisen, die neutral gehalten sind. Indem sie einen nicht namentlich genannten Sultan rühmen, passten sie für verschiedene Herrscher. Wertvolle Metallobjekte wie diese Schale waren auch Erbstücke und wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Bei Bedarf verkaufte man sie und auf diese Weise – oder als Geschenke – gelangten sie zu neuen Besitzern. In diese Schale haben zwei Besitzer ihre Namen eingravieren lassen. Die Schale kam zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Ägypten – durch wen, wissen wir nicht. Vielleicht nahm sie ein Reisender mit, vielleicht zog der Besitzer nach Ägypten oder sie gehörte zur Aussteuer einer Braut, die nach Ägypten

11 Almut von Gladiss: Der Prachtkoran im Museum für Islamische Kunst. Buchkunst zu Ehre AllƗhs, Berlin 1999 (Veröffentlichungen des Museums für Islamische Kunst 3). 12 Inventar-Nr. I. 3579 (publiziert: Islamische Kunst. Loseblattkatalog unpublizierter Werke aus deutschen Museen 2: Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, Museum für Islamische Kunst. Metall, Stein, Stuck, Holz, Elfenbein, Stoffe. Bearbeitet von Almut Hauptmann von Gladiss und Jens Kröger. Mainz 1985: Nr. 333).

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verheiratet wurde; vielleicht war sie aber auch Kriegsbeute oder ein Handelsgut. Die abgeriebenen und verlorengegangenen Silbereinlagen und die Abnutzungen der Gravuren vor allem am Boden und im Innern zeugen von einer langen Nutzung. Im späten 19. Jahrhundert gab es solche Schalen noch in manchen Haushalten, sie galten nun aber meist als unmodern und waren außer Gebrauch gekommen. Diese Schale stand im Jahr 1897 im Antiquitätenhandel in Kairo zum Verkauf. Dort erwarb sie Friedrich Sarre für seine Sammlung islamischer Kunst. Metallobjekte interessierten Sarre besonders, vor allem wegen ihrer Verzierungen, aus denen sich viel über islamische Kunst erkennen lässt. Der Gebrauch des Objektes stand für ihn nicht im Vordergrund. Sarre widmete den Metallobjekten seiner Sammlung 1906 eine ausführliche Publikation.13 Ein großer Teil der darin behandelten Gegenstände, darunter auch diese Schale, kam bereits im Jahr 1904 mit dem Hauptteil seiner Sammlung in die neu gegründete islamische Kunstabteilung im Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bodemuseum) und wurde dort ausgestellt. Auch am neuen Standort der Abteilung im Pergamonmuseum war die Schale bis Kriegsbeginn 1939 ausgestellt. Kriegsbedingt waren dann Grasleben, Celle und verschiedene Orte in Westberlin ihre nächsten Stationen. Seit Ende der 1990er Jahre befindet sich die Schale wieder im Pergamonmuseum.14

F AZIT

UND

AUSBLICK

Beide Objekte, das Koranblatt und die Wasserschale, stammen aus längst vergangenen Zeiten und sind heute weit entfernt von ihrem ursprünglichen Kulturraum: Sie sind mit der Zeit «migriert» und erzählen den heutigen, meist durch europäische Bildung geprägten Betrachtern etwas von Kultur und Geschichte der islamisch geprägten Welt. Im Museum für Islamische Kunst wird versucht, sowohl dem historischen Kontext als auch dem kulturellen Umfeld der Objekte gerecht zu werden und den Besucherinnen etwas von den ursprünglichen Zusammenhängen zu vermitteln. Das ist ein schwieriges Unterfangen: Den meisten Besuchern fehlen Grundkenntnisse über außereuropäische Kulturen und Geschichtsabläufe – ein Problem, das beispielsweise auch ostasiatische Kunst betrifft – und gerade in Bezug auf den «Orient» gibt es viele Klischees, die immer wieder in den Massenmedien reproduziert werden.

13 Friedrich Sarre: Erzeugnisse islamischer Kunst 1: Metall. Mit epigraphischen Beiträgen von E. Mittwoch, Berlin 1906. 14 Zurzeit ist die Schale nicht ausgestellt.

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Die Ausstellung «Neuzugänge» im Kreuzberg Museum präsentierte beide Objekte in einem völlig neuen Kontext, in dem die Besucherinnen angesprochen und zu eigenen Aussagen zu den Objekten angeregt werden sollten – auch jene, die aus den Ländern der islamisch geprägten Welt stammen oder durch ihre familiäre Herkunft mit diesem Kulturraum in enger Verbindung stehen. Wirklich neue Erkenntnisse konnten in Bezug auf beide Objekte dadurch nicht gewonnen werden. Es bleibt aber nach wie vor eine wichtige und interessante Aufgabe des Museums, mit den Berlinern, die einen «orientalisch» geprägten Hintergrund haben, in wechselseitigen und vor allem nachhaltigen Austausch zu treten. Die Anfänge dazu sind gemacht und die Ausstellung «Neuzugänge» im Kreuzberg Museum war, auf längere Sicht gesehen, sicher auch ein wichtiger Baustein auf diesem Wege.

Gedanken zur Langstrumpfizierung1 musealer Arbeit. Oder: Was sich aus der Laborausstellung «NeuZugänge» lernen lässt S USAN K AMEL

P ROLOG : G UIDELINE

TO GET SHIPWRECKED

Museen und Ausstellungen, die sich mit den Themen Islam, muslimische Welten oder islamische Kunst beschäftigen, haben Konjunktur. In Kopenhagen, London, Doha, New York und Paris wurden Sammlungen islamischer Artefakte kürzlich neu eröffnet; in Toronto und Amsterdam erwarten wir neue Konzepte mit Spannung. Auch die Berliner Museen suchen nach neuen Wegen zur Präsentation und Vermittlung ihrer Objekte der islamischen Kunst und Kultur: Das Museum für Islamische Kunst im Pergamon Museum plant eine Wiedereröffnung im Jahr 2019.2 Die Abteilung Nordafrika, West- und Zentralasien des Ethnologischen Museums soll 2019 mit in das neue Berliner Humboldt-Forum umziehen. Auf diese Sammlung des Ethnologischen Museums gibt es seit November 2011 zum ersten Mal eine Vorschau im Rahmen der Ausstellung «Welten der Muslime».

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Für Ella und Juri, die beide mit mir über den Titel stolperten.

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Wie aktuell die Diskussion um die Präsentation islamischer Kunst ist, zeigte auch die Tagung «Layers of islamic art and the museum context in Berlin 2010; siehe Benoit Junod/Georges Khalil/Stefan Weber/Gerhard Wolf (Hg.): Islamic art and the museum. London 2012.

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Abb. 1: Blick in die Ausstellung «Welten der Muslime» des Ethnologischen Museums Berlin.

Foto: Susan Kamel

Zehn Jahre lang wurde diese Ausstellung vorbereitet; zum ersten Mal der Berliner Öffentlichkeit präsentiert wurde sie dann im Jahr des Arabischen Frühlings und zehn Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 – in einer Zeit also, in der mit Argusaugen auf die museale Repräsentation islamischer Kunst und Kulturen geschaut wurde. Selbsterklärtes Ziel der Ausstellung ist es, anhand der reichhaltigen Sammlung von Ethnografika aus Nordafrika, West- und Zentralasien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts «differenzierte, historisch aufgefächerte Perspektiven zum Leben in muslimischen Gesellschaften zu geben», so die Kuratorin Ingrid Schindlbeck im Flyer zur Ausstellung. In diesem Sinne handele «Welten der Muslime» auch nicht von dem religiösen Leben der Muslime in dem Sammlungsgebiet des Museums, so Ingrid Schindlbeck, sondern wolle bewusst den Einfluss der Religion auf das Leben in muslimischen Gesellschaften hinterfragen. Doch gelingt dies? Die Bilanz des Ausstellungskritikers Nikolaus Bernau fiel negativ aus. Er schrieb nach der Eröffnung in der Berliner Zeitung unter dem Titel: «Und wo ist Kreuzberg», dass die Ausstellung vor zehn Jahren ein Erfolg gewesen wäre, nunmehr jedoch veraltet sei und enttäusche, da jeglicher Aktualitätsbezug fehle. In der jetzigen Situation, so Nikolaus Bernau, würde er etwas mehr über die Kulturgeschichte unserer «muslimischen Nachbarn» lernen wollen. Bernau bemängelt unter anderem, dass die Ausstellung ganz ohne Partizipa-

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tion zum Beispiel von Menschen aus Berlin-Kreuzberg konzipiert wurde – einem Stadtteil mit sehr hohem Anteil an Migrantinnen aus der islamischen Welt.3 Meines Erachtens ist die Ausstellung «Welten der Muslime» tatsächlich nicht unproblematisch: Anstelle der angestrebten «differenzierten» Perspektiven, die die Bedeutung von Religion in muslimischen Gesellschaften «hinterfragen» sollten, verschweigt sie (wieder einmal) die multi-religiösen oder gar sekulären Akteure in den Ländern des Sammlungsgebiets und wiederholt somit letztlich jene Essentialisierung des «Orients», die Kulturgeschichte auf Religionsgeschichte verengt.4 Als Bild für dieses Scheitern bisheriger Konzepte zur Präsentation und Vermittlung islamischer Kunst und Kultur nutze ich im Folgenden das weiter unten noch näher erläuterte Motiv des Schiffbruchs und erkläre, warum ein gewisses Scheitern meines Erachtens auf dem Weg zu aufgeklärteren Vermittlungskonzepten eingeplant werden sollte und sogar konstruktiv sein kann. Die Ausstellung «Welten der Muslime» zum Beispiel ist hilfreich, weil sie die Frage aufwirft, wie wir heute in einem Berliner Museum Ausstellungen über islamische Kunst und Kulturen entwickeln und zeigen sollten, wenn wir eine aufgeklärte Auseinandersetzung mit den Inhalten der Sammlung wünschen. Zwei Strategien scheinen sich dafür aufzudrängen: Erstens, müssen wir den Ausstellungen andere Namen geben? Auch die einleitend genannten neuen Sammlungen wurden früher unter orientalisierenden Begriffen wie islamische Kunst oder Orientabteilung geführt; doch die entsprechende Abteilung des Metropolitan Museums in New York heißt seit November 2011 «for the Arts of the Arab Lands, Turkey, Iran, Central Asia, and Later South Asia» und das Tropenmuseum in Amsterdam präsentiert seine Objekte ab 2015 unter dem Titel «Middle East and Southeast Asia» und gibt die Referenz zum Islam im Titel völlig auf. Welche Bedeutung haben solch essentialiserende Begrifflichkeiten wie «Islam» oder «muslimische Welten» auf die Rezeption des Besuchers?5 Und, zweitens, brauchen wir, wie es Nikolaus Bernau fordert, mehr Aktualitätsbezug und mehr Partizipation? Bringt die Einbindung von Menschen mit is-

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Nikolaus Bernau: Und wo ist Kreuzberg? in: Berliner Zeitung, 22.5.2012. Alleine der Name «Welten der Muslime» wiederholt diese Stereotypisierung. Zum Begriff «islamische Kunst» siehe weiter hinten.

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Im Unterkapitel «Neue Sichten auf das Museumsobjekt» komme ich weiter unten noch einmal darauf zu sprechen; siehe auch Fußnote 47. Andere Ausstellungen hingegen halten beharrlich an der Referenz zur Religion fest, wie etwa die Ausstellung des Louvres «Arts de l’Islam», die im September 2012 wieder eröffnet wurde.

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lamischem Migrationshintergrund bessere Ausstellungen über den Islam mit sich? Laut Sharon Macdonald, Museumswissenschaftlerin aus York, lauert in der Einbindung der Öffentlichkeit in die Ausstellungentwicklung auch die Gefahr, dass wir nur das wiederholen, was alle schon zu wissen glauben – was letztlich auch zur Wiederholung von Stereotypen führt. Für Macdonald sind partizipative Elemente zwar durchaus notwendig und positiv, doch ein Allheilmittel sind sie nicht. Stattdessen sind es andere Dinge, die dazu führen, dass Ausstellungen etwas Grundlegendes in uns und in der Gesellschaft bewegen: «While understanding what might be wanted by visitors – and those who do not visit – is crucial to the successful museum enterprise, simply playing back what visitors might think that they already wish to see tends to produce uninspired and quickly dated exhibitions. Thought-provoking, moving, unsettling, uplifting, challenging, or memorable exhibitions, by contrast, are more likely to be informed by extensive knowledge of diverse examples, questions of representations, perception, museological syntax and the findings from nuanced and probing visitor research.»6

Meines Erachtens brauchen wir im heutigen Zeitalter, in dem anti-muslimische Rassismen allgegenwärtig sind, dringend Ausstellungen, wie Sharon Macdonald sie beschreibt: Ausstellungen, die zum Nachdenken anregen, die Klischees aufbrechen und tradierte Betrachtungsweisen über den «Islam» und «den Migranten» in Frage stellen und herausfordern. Mit dem Projekt «NeuZugänge» haben wir vom Projektteam versucht, der Frage ein Stück näher zu kommen, wie wir solche Ausstellungen entwickeln. Dabei erlitten wir auch einen Schiffbruch. Darüber und über das, was wir dennoch (und zum Teil auch deswegen) aus «NeuZugänge» lernen können – auch zu den beiden hier angerissenen Strategien – berichte ich im Folgenden.

M EINE N EU Z UGÄNGE Der folgende Aufsatz beschreibt meinen persönlichen Zugang zu der Laborausstellung «NeuZugänge». Wenngleich es eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, dass mein Blick auf die Ausstellungsentwicklung, Teamarbeit und Analyse der Ausstellung ein sehr subjektiver Prozess ist: Die einzelnen Autorinnen in diesem Band haben zum Teil so unterschiedliche Sichtweisen auf die Labor-

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Sharon Macdonald: Expanding museum studies: An introduction, in: Sharon Macdonald (Hg.): A companion to museum studies, Oxford 2011, S. 9.

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ausstellung, dass es mir manchmal schwer fiel, weiterhin anzunehmen, dass wir alle über ein und dieselbe Ausstellung sprachen. Letztendlich müssen wir wohl festhalten, dass es viele «NeuZugänge» gab. Mein Aufsatz gliedert sich in zwei Teile: einen einleitenden Teil mit a) einer kurzen Beschreibung des Forschungsprojekt «Experimentierfeld Museologie», in dessen Rahmen die Ausstellung «NeuZugänge» entwickelt wurde; und b) einer Ausführung über die neuen Museologien, die grundlegend zum Verständnis des empirischen zweiten Teiles sind. In diesem zweiten Teil lege ich meinen Fokus auf das, was sich meines Erachtens aus der Ausstellung «NeuZugänge» lernen lässt: Erstens, dass wir neue Sichtweisen auf das Museumsobjekt brauchen, wenn wir eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit den Themen Migration und Islam wünschen, die unserem Zeitalter und der sozialen Aufgabe von Museen gerecht wird. Für diese neuen Sichtweisen schlage ich hier auch eine erste Systematik vor. Und zweitens, dass wir eine nach innen gerichtete Museumsrevolution brauchen, eine Veränderung der musealen Strukturen, weil partizipative Elemente in der Ausstellungsentwicklung und –umsetzung nicht ausreichen, um tradierte und klischeehafte Herangehensweisen zu durchbrechen und neue Perspektiven zu ermöglichen. Eine solche Revolution (oder Langstrumpfizierung7) musealer Arbeit wäre meines Erachtens dann erreicht, wenn die neuen Sichten auf das Museumsobjekt allgemeine Anerkennung fänden und die vorgeschlagene Arbeit an den inneren Strukturen von Museen umgesetzt würde. Das Ergebnis wäre ein inklusives Museum – als Teil einer inklusiven Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass Menschen mit unterschiedlichen Religionen, Hintergründen, Behinderungen, Bildungsgraden, Altersstufen oder Sexualitäten Teil eines gemeinsamen «wir» sind.

E RSTER AUSGANGSPUNKT : D AS E XPERIMENTIERFELD M USEOLOGIE Die Ausstellung «NeuZugänge» entstand als ein erstes Experiment des Forschungsprojekts «Experimentierfeld Museologie: Über das Kuratieren islamischer Kunst- und Kulturgeschichte», das von November 2009 bis Januar 2013 durchgeführt wurde, um Ausstellungen über Kunst und Kulturen aus islamisch

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Die literarische Figur der Pippi Langstrumpf, die weiter unten in meinem Aufsatz noch einmal mit ihren Theorien zum Schiffbruch zu Wort kommen wird, steht in diesem Beitrag für ihren revolutionären Charakter – mit dem sie ihre Umwelt zuweilen auch irritieren kann.

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geprägten Ländern inhaltlich zeitgemäßer und zugänglicher zu gestalten (siehe www.experimentierfeld-museologie.org). 8 Ziel des Projekts war es, gegen jegliche Essentialisierung von Kulturen oder Künsten Inhalte zu entwickeln (im Falle der islamischen Kunst und Kultur insbesondere gegen jegliche Orientalisierung), indem unter anderem Multiperspektivität gezeigt wird. Dafür sollten neue Vermittlungsformate entwickelt und gleichzeitig evaluiert werden. Das «Experimentierfeld Museologie» arbeitete dabei als Verknüpfung von Theorie und Praxis mit zwei Partnermuseen zusammen: dem Museum für Islamische Kunst Berlin und dem Kreuzberg Museum. An der Laborausstellung waren zudem noch das Werkbundarchiv – Museum der Dinge und das Stadtmuseum beteiligt.9 Unsere Forschung im «Experimentierfeld Museologie» geschieht dabei vor dem bereits oben skizzierten Hintergrund einer sich im Auf- und Umbruch befindenden Berliner Museumslandschaft: Sowohl die großen Museen, wie die Häuser der Staatlichen Museen zu Berlin, als auch die kleineren CommunityMuseen, wie das Kreuzberg Museum, stehen insgesamt vermehrt als öffentliche Institutionen in der sozialen Verantwortung, sich mit der demografischen, kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt der lokalen städtischen Gesellschaft auseinanderzusetzen.10 Als grundlegend für die Arbeit im «Experimentierfeld» möchte ich dabei voranstellen, dass diese neue Ausrichtung von Museen meines Erachtens nicht nur neue Formen des Sammelns, sondern auch neue Formen des

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Das Projekt «Experimentierfeld Museologie» entstand als Folgeprojekt meiner Forschung über Vermittlung islamischer Kunst und Kulturen an Berliner Museen. Siehe Susan Kamel: Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen. Black Kaaba Meets White Cube, Würzburg 2004. Außerdem zu meinen Arbeiten zur Repräsentation der «eigenen» Kunst und Kultur in Museen arabischer Länder; siehe Lidia Guzy/Rainer Hatoum/Susan Kamel (Hg.): Vom Imperialmuseum zum Kommunikationszentrum? Über die neue Rolle von Museen als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und nicht-westlichen Gesellschaften, Würzburg 2010. Letzteres Projekt wurde, wie das «Experimentierfeld Museologie», von der VolkswagenStiftung gefördert. Für das «Experimentierfeld» arbeitete ich zusammen mit Christine Gerbich (anfänglich auch mit Susanne Lanwerd). Eine Publikation ist im Erscheinen, siehe Fußnote 70.

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An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich insbesondere bei Stefan Weber und seinem Team vom Museum für Islamische Kunst Berlin und Martin Düspohl und seinem Team vom Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg bedanken: Ohne ihre Aufgeschlossenheit hätte unsere Forschung in Theorie und Praxis nicht stattfinden können.

10 Siehe Einleitung.

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Forschens, des Vermittelns und des Museumsmanagements verlangt, wie ich weiter unten ausführen werde. Im Rahmen des «Experimentierfeldes» wurden in einer ersten Phase zunächst Museumskonzepte und Best Practice Beispiele gut funktionierender Vermittlungsarbeit (in und außerhalb von Ausstellungen) an europäischen, kanadischen und US-amerikanischen Museen gesammelt und analysiert. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse erprobten wir dann neue Formate: im Falle der Laborausstellung «NeuZugänge» unter anderem das Prinzip des «revisiting collections»11 für das Besucherinnenfeedback und die Arbeit mit Fokusgruppen wesentlich sind (siehe hierzu den Beitrag von Christine Gerbich in diesem Band). An den Fokusgruppen für «NeuZugänge» sollten unter anderem Mitglieder der sogenannten «source communities»12 teilnehmen, das heißt Menschen aus den Herkunftsländern der Objekte des Museums für Islamische Kunst.

11 In einer einfacheren Version habe ich das Prinzip der «revisiting collections» im Jahr 2001 selbst schon einmal angewandt; siehe Susan Kamel: Islam und Kunst, 6-teilige Serie, erschienen in der tageszeitung, Intertaz 2002, S. 14. In diesen Artikeln ließ ich sechs unterschiedliche Berliner Muslime und Musliminnen sechs Objekte des Museums für Islamische Kunst interpretieren und die von ihnen vorgestellten Werke zeitgenössischer Kunst aus islamisch geprägten Ländern gegenüberstellen. 12 Zum durchaus kritischen Begriff der «source communities», siehe Laura Peers/Aliston K. Brown: Museums and source communities, in: Sheila Watson (Hg.): Museums and their communities, London 2007, S. 519–537. Hier schreiben die Autorinnen: «The term ‹source communities› (sometimes referred to as ‹originated communities›) refers both to these groups in the past when the artefacts were collected, as well as to their descendants today». Der Begriff bezog sich ehemals, so die Autoren, auf die indigenen Völker Amerikas und des Pazifiks. Neuerdings sind jedoch mit «source communities» auch die Menschen gemeint, die in der Umgebung des betreffenden Museums leben und deren Vorfahren aus den «Herkunftsländern» der Sammlungen stammen. In den derzeitigen Richtlinien vom Internationalen Museumsrat (ICOM) wird zudem noch zwischen «source community» und «constituent», also konstituierender Gemeinschaft unterschieden. Letztere bezeichnet die Vielschichtigkeit der Gemeinschaften, die in das Museum gehen (könnten). Siehe auch Léontine Meijer de Mensch: Von Zielgruppen zu Communities. Ein Plädoyer für das Museum als Agora einer vielschichtigen Constituent Community. In: Susanne Gesser/Martin Handschin/Angela Janelli/Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das Partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content, Bielefeld 2012, S. 86-94. Meine Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Community-Begriff für die museale Arbeit werde ich in der Abschlusspublikation «Experimentierfeld Museum» erläutern, siehe Fußnote 70.

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Ein zweites Experimentierfeld war die Ausstellung «Königreich Anatolien», die in Kooperation mit anatolischen Museen, dem Kreuzberg Museum und dem Museum für Islamische Kunst im Juni 2012 eröffnet wurde. Hier hinterfragten wir den Begriff der «source communities»13, der ursprünglich für die Theorien ethnologischer Museen und deren Umgang mit den Herkunftsgesellschaften ihrer Objekte entwickelt wurde und eine Verantwortung des Museums als Verwalter des kulturellen Erbes von Gesellschaften in den Vordergrund rückt. Konkret wollten wir herausfinden, ob dieser museologische Begriff auch für das Museum für Islamische Kunst, dessen Objekte aus dem 7. bis 20. Jahrhundert stammen, ein probater Terminus ist – und damit auch für die Menschen, die aus den Herkunftsländern der Objekte stammen und nun in Berlin leben. Für ein drittes Experiment, das «Experimentierfeld Samarra» am Museum für Islamische Kunst, versuchten wir mit Hilfe eines heterogenen Besucherpanels Anknüpfungspunkte für die Vermittlung zu finden und neue Inhalte zu generieren. Christine Gerbich entwickelte den Begriff des Museumsdiwans für diesen Panel: Er ist sozusagen das Ergebnis unserer Auseinandersetzung mit der Forderung, «Menschen mit Migrationshintergrund» wahrzunehmen, ohne eine Kulturalisierung zu betreiben. Der Diwan ist ein Museumsbeirat, in dem Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammen kommen – wobei deren Migrationshintergrund oder Migrationserfahrung nur eine Querschnittsvariable darstellt beziehungsweise als interdependente Kategorie zu Alter, Geschlecht, Gesundheit, Bildung, Sexualität und anderen Identitäten verstanden wird.14 Als viertes Experiment über die Vermittlung «islamischer Kunst- und Kulturgeschichte» erarbeiten wir zusammen mit dem Museum für Islamische Kunst Unterrichtsmaterialien. Diese haben zum Ziel, solche Inhalte über «islamische Kulturen» zu vermitteln, die sonst an deutschen Schulen nicht gelehrt werden, auch wenn dort mittlerweile zahlreiche Menschen aus islamisch geprägten Ländern lernen.15 Schließlich ergab sich aus der Zusammenarbeit mit dem Museum für Islamische Kunst noch eine Möglichkeit für ein Folgeprojekt zu dem «Experimentierfeld»: In diesem soll die Kanonisierung der Berliner Sammlungen in «Islamische

13 Die Ausstellung «Königreich Anatolien» lief vom 7.6.-19.8.2012 im Kreuzberg Museum. Vgl. auch Fußnote. 12. 14 Siehe auch Gerbich in diesem Band und Fußnote 66 zum Thema der Interdependenz beziehungsweise Intersektionalität. 15 Siehe auch www.kulturgeschichten.info/de/; aufgerufen am 13.12.2012.

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Kunst» (im Pergamonmuseum) und «europäische muslimische Kulturen» (im Museum Europäischer Kulturen) thematisiert werden.16

Z WEITER AUSGANGSPUNKT : D IE N EUEN M USEOLOGIEN – F ORDERUNGEN NACH SOZIALER I NKLUSION UND P ARTIZIPATION IM M USEUM In seiner theoretischen Ausrichtung basiert das Forschungsprojekt «Experimentierfeld Museologie» auf den Überlegungen einer «kritischen Museumswissenschaft», die häufig als «Neue Museologie»17 beschrieben wird – oder besser, da es keine einheitliche Theorierichtung ist, als neue Museologien. Im Folgenden stelle ich diese kurz vor. Museen entwickeln sich heute weltweit weg von elitären Kulträumen der Ästhetik und hin zu Kommunikationszentren, die auch für die lokalen Gesellschaften an Bedeutung gewinnen:18 Sie gewinnen damit an Potenzial, als dritter Raum19, Kontaktzone20 und Bildungseinrichtung21 für die jeweilige Gesellschaft zu fungieren. Das Bedürfnis nach einer solch aktiven Rolle von Museen in der Gesellschaft wurde bereits in den 1970er Jahren immer größer: Besonders in den zunehmend multikulturellen Großstädten Nordamerikas und Europas wurden po-

16 Hierfür ist eine Zusammenarbeit in einem Verbundprojekt mit Sharon Macdonald, Wayne Modest und Mirjam Shatanawi anvisiert, das heißt mit britischen Museen und dem Tropenmuseum. Zudem sei hier angemerkt, dass die Staatlichen Museen mit der Entwicklung des Humboldt-Forums einen ähnlich experimentellen Weg gehen, wie er von uns im Forschungsprojekt durchgeführt wurde. Siehe Martin Heller: Humboldt Lab Dahlem, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Hg.): Spk magazine, Ausgabe 1/1, Berlin 2012, S. 10. 17 Peter Vergo: The New Museology, London 1989. Macdonald 2011. 18 Siehe Fußnote 8. 19 Maria do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan: Breaking the rules. Bildung und Postkolonialismus, in: Carmen Mörsch (Hg): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12, Berlin 2009, S. 339-356, S. 346. 20 Geertz zitiert nach Nora Sternfeld: Erinnerung als Entledigung. Transformismus im Musée du quai Branly in Paris, in: Belinda Kazeem/Charlotte Martinz-Turek/Nora Sternfeld (Hg.): Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien 2009, S. 61-75, S. 68. 21 Hannelore Kunz-Ott/Susanne Kudorfer/Traudel Weber (Hg.): Kulturelle Bildung im Museum, Bielefeld 2009.

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litische Forderungen nach Teilhabe, Repräsentation und Mitbestimmung – insbesondere von indigenen Gruppen – an Museen herangetragen. Hierbei entstanden die neuen Museologien, wie zum Beispiel die «Community Museology»22, die «Appropriate Museology»23 oder auch die «postkoloniale Museologie»24. Diese befassten sich weniger damit, welche Methoden der Sammlung und Vermittlung wichtig und richtig seien; vielmehr stellten sie grundlegendere Fragen: Wozu gibt es Museen und was ist ihre soziale Aufgabe? Die neuen Museologien entstanden also aus der Kritik an der alten Museologie heraus, diese sei zu wenig mit politischen Fragen zu Sinn und Zweck von Museen und dafür zu sehr mit den methodischen «Wie-Fragen» befasst gewesen (wie soll gesammelt, vermittelt und wie das Museum verwaltet und geleitet werden). Für die neuen Museologien war das Museum Teil eines Staatsapparats und trug dazu bei, die Idee des «Bildungsbürgers» zu produzieren, zu normieren und zu regulieren.25 Bei den Emanzipationsbestrebungen der neuen Museologien geht es jedoch nicht nur um die Repräsentations- und Partizipationsforderungen von indigenen Bevölkerungsgruppen, wie etwa denen der Native Americans oder der migrantischen Organisationen in Berlin. Es geht um die Forderungen aller, die ausgegrenzt werden: aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Bildungsgrades, ihrer Gesundheit oder ihrer sozialen Zugehörigkeit.26 Die neuen Museologien streben eine enge Kooperation mit all diesen verschiedenen Öffentlichkeiten und deren soziale Ermächtigung («empowerment») an. Ein Stichwort hierbei ist die «Zugänglichkeit» (englisch «access») von Museen für diese Gruppen, und zwar physisch, sozial und intellektuell.27 Konkret erfordert

22 Ivan Karp/Christine Mullen Kreamer/Stefen D. Lavine (Hg.): Museums and communities. The politics of public culture, Washington 1992, Sheila Watson (Hg.): Museums and their communities, London 2007 und Vivien Golding/Wayne Modest: Museums and Communities: Curators, Collections and Collaborations, London 2013. 23 Christina Kreps: Appropriate museology in theory and practice, in: Museum management and curatorship, 23 (1) 2008, S. 23–41. 24 Kazeem/Martinz-Turek/Sternfeld 2009, siehe Fußnote 20. 25 Toni Bennet: The exhibitionary complex, in: Reesa Greenberg/Sandy Nairne/Bruce W. Ferguson (Hg.): Thinking about exhibition, New York 1996, S. 81-112. 26 Siehe hierzu auch die überaus wichtigen Arbeiten zur mehrdimensionalen Diskriminierung zum Beispiel Nana Adusei-Poku/Yasemin Shooman: Mehrdimensionale Diskriminierung, In: Bundeszentrale für Politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte, 62. Jahrgang, 16-17 2012, 16. April 2012, S. 47-52. 27 George Hein: Learning in the museum, London 1998.

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diese Zugänglichkeit unterschiedlichste praktische Veränderungen: zum Beispiel «Barrierefreiheit», den «Abbau von Schwellenangst», «Multiperspektivität» und die «Diversifizierung der Besucherschaft», insbesondere in Bezug auf unterschiedliche «Lerntypen».28 Wichtig ist es den neuen Museologien dabei, die soziale Verantwortung des Museums auch im Planungsprozess hervorzuheben, indem es auch hier inklusiv statt exklusiv agiert.

D IE AUSWIRKUNGEN DER NEUEN M USEOLOGIEN MUSEALEN ARBEITSBEREICHE

AUF DIE

Seit den 1990er Jahren versucht die sogenannte «zweite Welle» der neuen Museologie die theoretischen Erkenntnisse wieder in die museale Praxis zurückzugeben: Von einer stärker theoretisch geschulten und empirisch informierten Warte aus sollen nun erneut die «Wie-Fragen» der alten Museologie beantwortet werden.29 «Wie» sollen wir sammeln, bewahren, forschen und vermitteln und «wie» muss das Museumsmanagement aussehen? Mittlerweile ist klar, dass sich die Forderungen und Gedanken der neuen Museologien auf all diese musealen Arbeitsbereiche auswirken30: 1. Das Sammeln wurde sowohl auf immaterielles Kulturerbe als auch auf das

Kulturerbe von bisher marginalisierten Gruppen erweitert, wie zum Beispiel auf das Kulturerbe von Migranten und Migrantinnen. Außerdem hinterfragen Museen mittlerweile durch den Einfluss der neuen Museologien den westlichen Wissenskanon und dessen Verbindung zu Wahrheitsansprüchen kritisch, zum Beispiel indem sie die Unterteilung in Hoch- und Alltagskultur aufbrechen und die Deutungshoheit über Objekte und deren Geschichten zum Teil abgeben oder zumindest teilen. Die Neue Museologie zeigt also auch die Relevanz der Frage «Wer sammelt» für die Qualität und Beschaffenheit der Sammlung und ihrer Kanonisierung auf. Ein neues Prinzip, das diesen Forderungen der neuen Museologien versucht Rechnung zu tragen,

28 Siehe John H. Falk: Identity and the museum visitor experience, Walnut Creek 2009. John Falk/Lynn D Dierking: The museum experience, Washington 1997, S. 101-102. 29 Sharon Macdonald: Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 49-69, S. 57. 30 Im Folgenden beschreibe ich Forderungen; sie sind mitnichten Praxis an allen Museen.

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wäre zum Beispiel das oben genannte auch in «NeuZugänge» erprobte Prinzip des «revisiting collections»31: Hierbei werden verschiedene soziale Gruppen in die Museumsarbeit integriert, um einerseits neue Bedeutungen zu generieren und andererseits diese Gruppen im Sinne eines «audience developments» an das Museum heranzuführen.32 2. Das Bewahren wird zunehmend hinterfragt: Was gilt es wie und für wen zu bewahren? Hinzu kamen Forderungen nach der Rückgabe von Objekten an indigene Gruppen: die sogenannten Repatriierungsforderungen. In Bezug auf diese Paradigmenwechsel haben sich insbesondere ethnologische Museen hervorgetan. Rückgabeforderungen betreffen mittlerweile jedoch ohne Ausnahme alle Museumssparten – auch die Kunstmuseen. 3. Das Forschen findet nun eng mit den Herkunftsgemeinschaften der Objekte statt, den sogenannten «source communities». Diese Forderung, die ursprünglich an die ethnologischen Museen herangetragen wurde, hinterfragt die alleinige Autorität der Forscherin über das Erforschte und rückt die Konstruktion auch von vermeintlich objektiver wissenschaftlicher Wahrheit in den Fokus der Betrachtung. Diese neuen Herangehensweisen zeigen, dass das, was erforscht wird, auch das Resultat von spezifischen Machtverhältnissen und Wissensdiskursen ist. Neuere Forschungsansätze rücken eher die Geschichte von Minderheiten in den Fokus der Betrachtung (so zum Beispiel die Frauenforschung, die Critical Whiteness Studies oder auch die Disability Studies, um nur einige zu nennen). 4. Schließlich wirken sich die Gedanken der neuen Museologien auch auf das Vermitteln aus: Dieses richtet sich heute an mehrere Öffentlichkeiten, das heißt das Publikum wird als vielfältig, plural und aktiv statt als relativ homogene passive Masse angesehen. Entsprechend versuchen zahlreiche neue Vermittlungsformate, die musealen Inhalte zielgruppenspezifisch zu vermitteln – und dies mittlerweile mittels Community Outreach Programmen. Ausstellungsevaluation und Besucherstudien sind dabei alles probate Mittel, um einem inklusiven Museum näher zu kommen. Zielgruppenspezifische Vermittlungsarbeit heißt auch – argumentiert man aus den Neuen Museologien

31 Zur Methode siehe Gerbich in diesem Band. 32 «NeuZugänge» rückte diese Säule musealer Arbeit besonders ins Zentrum; die neue Museologie zeigt jedoch die Verquickung aller musealen Tätigkeitfelder: So hat die Beschaffenheit der Mitarbeiterschaft und der Organisationsstruktur Auswirkungen auf die Frage, was gesammelt wird, was erforscht wird und wie etwas vermittelt wird – um nur ein Beispiel zu nennen.

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heraus – dass nicht alles für jeden da sein kann. Aber eine Ausstellung sollte für jeden etwas anbieten! Abb. 2: Die Kelvingrove Gallerien versuchen für alle Besucherinnen zumindest etwas bereit zu halten. Hier der Blick in die Galerie «Every picture tells a story» mit unterschiedlichsten Interpretationsangeboten.

Foto: Susan Kamel

5. Die Kelvingrove Galerien in Glasgow, die wohl als ein erfolgreiches inklusi-

ves Museum gelten können, haben diese zielgruppengerechte Vermittlungsarbeit konsequent umgesetzt: Einige Galerien sind explizit für den «Entdecker» erschaffen, andere bieten eine kontextlose Inszenierung von Meisterwerken für den traditionellen «Connaisseur» von Kunst33, wieder andere platzieren ihre Objekte auf die Augenhöhe der Kinder.34 6. Das Museumsmanagement wird seit dem Jahr 2009 im Leitfaden für das Volontariat an Museen zu den vier klassischen Säulen musealer Arbeit als zusätzliche Säule definiert.35 Wichtig hierbei ist, dass sich infolge des Einflus33 Zur Kritik an der Institution Museum als Ort der Selbstvergewisserung eines Bildungsbürgertums siehe Pierre Bourdieu/Alain Darbel: Die Liebe zur Kunst: Europäische Kunstmuseen und ihre Besucher, Konstanz 2006. 34 Zum Lernen im Museum siehe Eilean Hooper-Greenhill: The power of museum pedagogy, in: Hugh H. Genoways (Hg.): Museum philosophy for the twenty-first century, Lanham 2006, S. 235–45. 35 Siehe den Leitfaden für das Volontariat an Museen des Deutschen Museumsbundes, 2009.

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ses der neuen Museologien die Sicht vermehrt auf die Institution Museum und seine Organisationstruktur richtet.36 Dies soll unter anderem dazu beitragen, dass die Ideen des Diversity Managements und der sozialen Inklusion sich auch in den Strukturen der Museen selbst wiederfinden.37

D IE L ABORAUSSTELLUNG «N EU Z UGÄNGE »: NEUE M USEOLOGIEN IN DER P RAXIS Das Kooperationsprojekt «NeuZugänge» dient als ein Beispiel dafür, wie die theoretischen Erkenntnisse der neuen Museologien in das wie der praktischen musealen Arbeitsbereiche einfließen können: Die Fragen, wie Ausstellungen entstehen (sollten) und wie der Planungsprozess demokratisch und partizipativ gestaltet werden kann, waren es, die uns für dieses Kooperationsprojekt zusammen führten. In diesem Sinne war «NeuZugänge» mehr eine Ausstellung über das Ausstellungsmachen, über das Sammeln, Forschen und Vermitteln als über Kunst- und Kulturgeschichten (die sich aber ebenfalls in der Ausstellung finden ließen). In jedem Fall aber war «NeuZugänge» sowohl für das «Experimentierfeld Museologie» als auch für die beteiligten Museen ein Experiment mit offenem Ausgang. In der folgenden Analyse der Laborausstellung möchte ich mich auf die meines Erachtens beiden wichtigsten Schlussfolgerungen beschränken: Erstens verdeutlichte unsere Erfahrung mit «NeuZugänge», wie sinnvoll und bereichernd veränderte Sichtweisen auf das Museumsobjekt sind; und zweitens zeigte sich im Planungsprozess, dass wir auch Änderungen innerhalb der Institution Museum brauchen, wenn wir Ausstellungen schaffen möchten, die kritisch auf die Gesellschaft bezugnehmen und tradierte Denkweisen herausfordern.

36 Eva Reussner: Publikumsforschung für Museen, Bielefeld 2010. Oliver Rump: Controlling für Museen. Ziele, Maßnahmen und Kontrollmöglichkeiten im Museumsmanagement, Ehestorf 2001. 37 Reussner 2010, S. 381.

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N EUE Z UGÄNGE

ZUM

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M USEUMSOBJEKT

Bislang wurden Museumsobjekte weitestgehend in zweierlei Hinsicht inszeniert und interpretiert:38 Entweder als autonome Kunstwerke, wobei die vermeintliche Aura des Objekts bemüht und im Kultraum der Ästhetik, dem «White Cube», mit einfacher Beschriftung (Name, Künstler, Material) dem Staunen ausgesetzt wird; oder als kulturgeschichtliches Objekt, wobei die Kuratoren die «Objektbiographie» im Kontext erzählen; 39 frei nach Appudarai inszenieren sie in diesem Fall sozusagen das «soziale Leben der Museumsdinge». Mittlerweile steht diesen beiden Optionen eine dritte Variante zur Seite, die sich sowohl in der Kunstpräsentation als auch in der kulturgeschichtlichen Präsentation durch eine Forderung nach einer verstärkten Kontextualisierung und Aktualisierung manifestiert.40 Meines Erachtens ist diese Kontextualisierung und Aktualisierung von Kunst- und Kulturgeschichte ein wichtiger Schritt in Richtung eines inklusiven Museums. Für «NeuZugänge» waren wir bereits bei der Ausstellungsentwicklung um die Anerkennung mehrerer Kontexte im Sinne einer Multiperspektivität bemüht. Um dies zu verdeutlichen, stelle ich im Folgenden neue Sichtweisen auf die vier Objekte vor, die wir in dem Kabinett für Islamische Kunst bei «NeuZugänge» ausstellten. Zudem komme ich auf den Prozess ihrer Auswahl und ihre Kontextualiserung durch die Kuratorinnen, Mitglieder der Fokusgruppen, Leihgeber und Besucherinnen zu sprechen (Abb. im Katalogteil). «NeuZugänge» machte aber auch deutlich, dass wir die von uns bereits angedachten Kontextualisierungen mühelos um weitere neue Sichtweisen hätten erweitern können; entsprechend schließe ich dieses Kapitel mit einem ersten Versuch einer Systematisierung, die zu den unterschiedlichsten Kontextualisierungsmöglichkeiten musealer Objekte anregen soll.

N EUE S ICHTWEISEN

DURCH NEUE

F ORSCHUNGSFRAGEN

Während der ersten Teamsitzungen des Projekts «NeuZugänge» baten wir die Mitarbeiter der vier beteiligten Museen, je zwei Objekte auszuwählen, die Verbindungen zu den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt» aufweisen. Al-

38 Siehe auch James Clifford: Sich selbst sammeln, in: Gottfried Korff/Martin Roth (Hg.): Das historische Museum, Frankfurt am Main 1990, S. 87-106, S. 96. 39 Kamel 2004. 40 Ian Heath: The Representation of Islam in British museums. Oxford 2007.

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lein dies versprach bereits neue Sichtweisen, weil die Forschungsfrage neu war. Im Falle des Museums für Islamische Kunst stellten wir sie an dessen Kustodin Gisela Helmecke, deren fokussierte Recherchen über den Aspekt der Migrationsgeschichte in den Objektbiografien zwei Objekte zu Tage förderten: ein Blatt des Prachtkorans aus dem 16. Jahrhundert, Iran, und eine Hamamschale aus dem 14. Jahrhundert, ebenfalls aus Iran. Gisela Helmeckes neue Einsichten in die Migrationsgeschichten der beiden Objekte erzählten unter anderem vom kriegerischen Kulturaustausch zur Zeit der islamischen Dynastie der Safawiden und des Osmanischen Reiches, vom Kulturaustausch durch den Antiquitätenmarkt in Kairo 1879, vom Austausch von Formen, Ideen oder Techniken.41 Der Ausstellungsansatz, Geschichte als Migrationsgeschichte zu erzählen, und Helmeckes Recherchen dazu machten also deutlich, dass Kulturgeschichte eine Geschichte des Austauschs ist. Diese neue Sichtweise ist international bereits seit längerer Zeit museale Praxis, besonders in den Museen Großbritanniens und Schwedens: Das Röhsska Museum in Göteborg zum Beispiel präsentiert nicht «schwedisches Design», sondern hinterfragt bewusst, was dies sei und dekonstruiert damit nationale Identitäten: «Does the product have to be produced in Sweden for it to be Swedish Design? Do you have to live in Sweden to be a Swedish Designer? Does Swedish Design has a particular look? Is Swedish Design particulary pracitical? Is it even relevant to talk about Swedish Design at all?»42

Auch das neue Victoria and Albert Museum in London zeigt, dass die Migration von Formen und Inhalten schon immer wesentlich für die «britische Kultur» war und dekonstruiert damit die «Britishness» des Kunstgewerbes.43 Ein weiteres Beispiel wäre das neu eröffnete Ashmolean Museum der Universität von Oxford: «This is a single, integrated museum where the relationships between the galleries are often as important as the galleries themselves. Under the theme Crossing Cultures, Crossing Time, the new Ashmolean focuses on the influences and links between cultures rather than the differences.»44

41 Siehe dazu ausführlich Helmecke in diesem Band sowie Weber im Interview. 42 So gelesen in der Ausstellung des Museums am 29. November 2011. 43 Siehe auch Christopher Wilk/Nick Humphrey (Hg.): Creating the British galleries at the V&A: A study in museology, London 2004. 44 Christopher Brown: Ashmolean, museum of art and archaeology, Oxford 2010, S. 1.

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Meines Erachtens ist es sehr positiv, dass mittlerweile eben solche verwobene Kunst- und Kulturgeschichten, die «connected» oder «entangled histories»45, in Kooperation mit Museen und externen Expertinnen erforscht und am Museum erzählt werden. Denn Migrationsgeschichten durchbrechen veraltete Denkmuster von nationalen, ethnischen oder religiösen Geschichtsschreibungen. In der Einleitung zum Sammelband «Essays in Migratory Aesthetics. Cultural Practices Between Migration and Art-Making» konstatieren die Herausgeber dazu: «Contra the conservatism inherent in the project of establishing discrete national artistic traditions, this volume takes as one of its key points of departure the possibility that aesthetics is, by its very nature, migratory.»46

Auch in Kooperation mit dem Berliner Museum für Islamische Kunst wird zukünftig diese Forschungsfrage nach den «connected histories», also nach der kulturübergreifenden Geschichte «islamischer Kunst», intensiver in Verbund mit externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gestellt werden.47 Eine Herausforderung bleibt es dabei, mit neuen Forschungsfragen auch bislang unbekannte Aspekte der Geschichte in den Mittelpunkt zu rücken, wie es zum Beispiel die Historiker der Frauengeschichte, der Disability Studies oder der Minderheitengeschichte tun, um nur einige Ansätze zu nennen. Diese sogenannten «hidden histories»48 finden noch nicht in der islamischen Kunstgeschichte Eingang und waren auch bei «NeuZugänge» nur als Lücke sichtbar. Dort lernten wir zum Beispiel über die oben genannte Hamanschale aus Iran durch die neuen Forschungsfragen zur Migrationsgeschichte, dass sie von Iran nach Ägypten gelangte (möglicherweise als Aussteuer einer Braut, die dorthin verheiratet wurde), dass sie Spuren häufiger Nutzung aufweist, und dass diese Art von Schalen häu-

45 Siehe zum Beispiel Arun Appadurai (Hg.): The Social Life of Things, Cambridge 1986. 46 S. Durrant/C. M. Lord (Hg.): Essays in migratory aesthetics, New York 2007, S. 12. Siehe auch Nicholas Thomas: Entangled Objects: Exchange, material culture and colonialism in the Pacific, Cambridge 1991. 47 So etwa der Sonderforschungsbereich 980 von Vera Beyer und Isabelle Dolezalek «Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit». Für die Umsetzung dieser Ergebnisse wurden Christine Gerbich und ich als Gastwissenschaftlerinnen eingeladen, dem kunsthistorischen Team beratend zur Seite zu stehen. 48 Siehe auch Helen Mears/Wayne Modest: Museums, African collections and social justice, in: Richard Sandell/Eithne Nightingale 2012, S. 301.

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fig für wohlhabende Herrscher hergestellt wurden (siehe hierzu Helmecke in diesem Band). All dies liefert aber auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterführende Fragen, anhand derer wir die «hidden histories» der Schale hätten erzählen können: Wie stand es um die Situation und die Rechte der Frauen in Iran und Ägypten zu dieser Zeit? Wie war das Verhältnis von Herrschenden und Beherrschten? Wie sah die alltägliche Nutzung der Schalen aus? Waren es Bedienstete, die sie mit Wasser füllten, und wenn ja, wie lebten diese? Neue Forschungsfragen wie diese, die eine repräsentationskritische Analyse erfordern49, sind notwendig, wenn wir uns einem inklusivem Museum annähern wollen.

AKTUELLE ANNÄHERUNGEN

AN DAS

O BJEKT – T EIL I

Neben den neuen Forschungsfragen, die wir an die Objekte richteten, ergaben sich weitere neue Sichtweisen durch die Fokusgruppen, zu denen wir Berlinerinnen einluden (siehe hierzu Gerbich in diesem Band).50 Die Objekte wurden dabei innerhalb einer sehr diversen Gruppe diskutiert und die Assoziationen jedes Gruppenmitglieds gesammelt. Die Frage eines syrischen Berliners an die Kustodin des Museums für Islamische Kunst verdient meines Erachtens dabei an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit: «Es wäre für mich interessant zu wissen, warum Sie das Koranblatt als Symbol für den Orient ausgewählt haben. Zum einen gibt es viele ‹echte› Deutsche, die Muslime sind, zum Anderen könnte man auch die Bibel oder das Alte Testament auswählen, wenn man den Orient beschreiben wollte.»

Der Diskutant bringt deutlich auf den Punkt, wie arbiträr Zuschreibungen sind: Je nachdem, wer fragt, kann der Koran auch als Symbol für Deutschland gelten und andersrum kann die Bibel den Orient beschreiben. Er beklagt also die «orientalisierende» Auswahl dieses Museumsobjekts und kritisiert damit auch die orientalisierende Geschichtsschreibung der islamischen Kunstwissenschaft.51 Allein anhand dieses einen Kommentars lassen sich zahlreiche weitere Anknüp-

49 Zu Fragen der Repräsentation und Repräsentationskritik im Museum siehe Stuart Hall (Hg.): Representation. Cultural representation and signifying practices, Milton Keynes 1997 (2007). 50 Siehe Gerbich in diesem Band. 51 Suzanne L. Marchand: German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship, Cambridge 2009.

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fungspunkte für weitere mögliche Kontextualisierungen in der Ausstellung finden: Die Geschichte der abrahamitischen Religionen, unter anderem als Geschichte des Kulturaustauschs (Koran, Bibel, Altes Testament); Fragen der Identitätspolitik (was ist ein «echter» Deutscher?); Fragen zur Museums- und Sammlungsgeschichte (wann ist das Museum entstanden, was hat es zur Konstruktion des «Orients» beigetragen, insbesondere als «islamischer» Gegenentwurf zum vermeintlich «christlichen Europa»?). Auch eine Besucherin kritisiert diese von uns Ausstellungsmacherinnen fortgeführte Exotisierung, indem sie kommentiert: «Fast alle präsentierten Gegenstände sind «exotische». Dabei geht es für mich bei der Annäherung an das Thema Migration nicht um die Festschreibung «fremder» Kultur, sondern um die Beschreibung der Bedingungen von Migration und beispielsweise der Strukturen, in denen man als Migrantin im neuen Land konfrontiert ist. Mir fällt z.B. als Gegenstand ein am Fließband in Berlin gefertigtes Teil ein. Oder eine Hausordnung eines Heimes.»

AKTUELLE ANNÄHERUNGEN

AN DAS

O BJEKT – T EIL II

Als dritte Möglichkeit, neue Sichtweisen zu schaffen, stellten wir den zwei Museumsobjekten zwei zeitgenössische Objekte gegenüber, die wir dafür als Leihgaben einwarben: Die Kalligrafie des Künstlers Al-Sharani (Der Wissende ist Herr der Abstraktion, 1992, Leihgeber ist der Berliner Ägypter Mohamed Akoush) und eine Studie zu «Berlin à fleur de peau», von Nadia Kaabi-Linke (2010, Leihgeberin ist die tunesisch-ukrainische Berliner Künstlerin). Zuvor hatten wir die beiden Leihgeberinnen gefragt, welches Objekt aus ihrer persönlichen Perspektive die Sammlung sinnvoll ergänzen könnte und sie gebeten, uns etwas über das ausgewählte Objekt zu erzählen: Was hat es mit ihrer Migrationsgeschichte zu tun und warum haben sie sich für dieses Objekt entschieden? Diese Erzählungen stellten wir in Form von Videointerviews den Objekten gegenüber. Mohamed Akoush erzählt in seinem Video über die Kunst der Kalligrafie, die er auch selber in seiner Freizeit ausübe. Nadia Kaabi-Linke erzählt unter anderem, wie ihre Arbeiten von ihrer persönlichen Migrationsgeschichte geprägt seien. Insbesondere die Leihgabe von Nadia Kaabi-Linke machte allerdings auch die Grenzen unseres Ansatzes deutlich. Erlitten wir nicht zumindest fast Schiffbruch, indem wir speziell Leihgeber aus islamisch geprägten Ländern für diese Kabinett auswählten? Die Kommentare der Berliner Künstlerin bezeugen, dass wir uns mit diesem Ansatz mitschuldig machten an der Essentialisierung und

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Vereinheitlichung von Kultur auf Religion und/oder Ethnie. In einem Katalog zu einer Einzelausstellung sagte Nadia Kaabi-Linke: «Kommt man aus anderen Ländern als Europa, den USA oder Australien, dann wird man schnell in eine Schublade gesteckt. Der Künstler wird gegenwärtig oft seiner Ethnie unterworfen – jedenfalls wenn es sich um einen «nicht-westlichen» Künstler handelt, was auch immer damit gemeint ist. […] In arabischen Ländern ist das aber kaum anders. Wenn ich in ein Museum für arabische Kunst eingeladen werde, werde ich als arabische Künstlerin gesehen. Und wenn ich etwas Nicht-Arabisches zeigen möchte, werde ich wieder ausgeladen.»52

Für Nadia Kaabi-Linke sind arabische Kultur oder islamische Kultur letztlich «nichts-sagende Termini», weil die damit gemeinten Länder zu unterschiedlich sind. Ihr ist es gerade wichtig, dass ihre Arbeit «nicht als arabische Kunst kategorisiert wird». Uns war es aber wichtig, die Sammlung des Museums für Islamische Kunst in diesem Kabinett in die Gegenwart hinein zu erweitern (allein aufgrund dieser regionalen Spezifik unterschied sich das Kabinett von den drei anderen Kabinetten der Laborausstellung). Diese Strategie war in weiten Teilen auch erfolgreich: Die persönlichen Geschichten von Nadia Kaabi-Linke und Mohamed Akoush gehörten meines Erachtens zu den Highlight des Kabinetts – und dies wurde in den zahlreichen Gesprächen, die ich mit Besucherinnen über die Ausstellung führte, bestätigt. Denn die Geschichten schafften es, die zum Teil historisch sehr weit entfernten Museumsobjekte – auch die Kalligrafie des Koranblatts – den Besuchern näher zu bringen.53

52 Zitiert aus Jamila Adeli/Nadia Kaabi-Linke: Tatort, Berlin 2011, S. 20-21. An Nadia Kaabi Linkes Ausführung können wir zudem die Marktmechanismen des Kulturbetriebs studieren: Jedes Kunstwerk ist bestimmt durch den «Marktwert» und wird erst dann «kanonisch», das heißt Teil einer Sammlung und somit eines Wissenskanons, wenn es gewissen ökonomischen Anforderungen entspricht und sich im «Wahren der Zeit» (Foucault) gut vermarkten lässt. Dies ist mit Sicherheit kein Gesetz, das erst im 21. Jahrhundert entstanden ist, sondern gilt auch für die hauptsächlich im 19. Jahrhundert gesammelten Objekte des Museums für Islamische Kunst. Museumsobjekte und das Wissen über sie werden somit zur Ware. Was Anfang des 20. Jahrhunderts ins Museum für Islamische Kunst kam, oder im Ethnologischen Museum bleiben musste, ist somit Ausdruck von Interessenpolitik, persönlichen ästhetischen Kriterien, politischen Bündnissen und so weiter. 53 Diesen Eindruck habe ich, nachdem ich mit zahlreichen Besucherinnen gesprochen habe. Auch in anderen Ländern wird meines Erachtens eben diese Strategie, zeitge-

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Die Strategie machte meines Erachtens aber auch deutlich, dass der Verzicht auf essentialisierende Begriffe wie arabische Kunst oder islamische Kunst längst überfällig ist, auch wenn sich ihre Bedeutung geändert hat. Bezüglich der eingangs postulierten Strategie erfolgreicher musealer Arbeit, die Begriffe «islamische Kunst» oder auch «muslimische Welten» aus der musealen Praxis zu verbannen, möchte ich demnach an dieser Stelle mit der Kunsthistorikerin Wendy Shaw konstatieren: «Indeed, the term «Islamic Art» has met with numerous legitimate objections: the reduction of culture to religion; the anachronization and homogenization of cultural practices across time and space; the exclusion of the complex ethnic and religious contributors to cultures under islamic rule; and the erasure of the study of the modern in cultures affiliated with Islam.»54 Und auch wenn allein die bewusste Abkehr aller religiösen Zuschreibungen nicht ausreicht, um Stereotypen zu vermeiden, so ist es meines Erachtens doch ein wichtiger erster Schritt, um von Essentialisierungen und engen Deutungsmustern wegzukommen.55

H IN

ZU EINER S YSTEMATISIERUNG DER NEUEN S ICHTWEISEN Als Zwischenfazit können wir an dieser Stelle festhalten: Die Laborausstellung «NeuZugänge» hat gezeigt, dass wir mit neuen Forschungsfragen (zum Beispiel wie ist die Migrationsgeschichte der Objekte?), partizipativen Methoden (zum

nössische Kommentare als Art des Neulesens von Objekten in die Ausstellung hineinzutragen und diese neben den meist sehr sachlich formulierten Deutungen der Kuratorinnen den Besuchern anzubieten, mittlerweile erfolgreich im Museum eingesetzt – vor allem in den USA (Brooklyn Museum) und in Großbritannien (Tate Britain, Kelvingrove Galerien). 54 Wendy Shaw: The Islam in Islamic art history. Secularism and public discourse, in: Journal of Art Historiography, Number 6, June 2012, S. 1-34, S. 10. Siehe auch Stefan Weber: Pensée – Der Begriff «Islamische Kunst» und seine Implikationen heute, in: Almut Bruckstein Coruh/Hendrik Budde (Hg): Taswir. Islamische Bildwelten und Moderne, Berlin 2009, S. 15-19. 55 Shaw resümiert zum Beispiel mit Peter Schjeldahl für die oben genannte New Yorker Ausstellung des Metropolitan Museums, dass die Präsentation wieder nur Orientalismen reproduziere. Siehe Shaw 2012, S. 11.

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Beispiel die Diskussionen in den Fokusgruppen) und anderen Aktualisierungsmöglichkeiten (zum Beispiel durch die Gegenüberstellung der Museumsobjekte mit zeitgenössischen Objekten und deren Gegenüberstellung mit Videointerviews) zahlreiche neue Arten der Kontextualisierung und damit neue Sichtweisen auf die Objekte anbieten können. Das ist meines Erachtens notwendig und konstruktiv, weil es der Diversität und Multiperspektivität unserer Gesellschaft gerechter wird. Es hilft uns auch, mehr Menschen anzusprechen und damit dem Ziel eines inklusiven Museums ein Stück näher zu kommen. Im Rahmen meiner Beschäftigung mit der Bedeutung von Objekten habe ich eine erste Systematik für diese zahlreichen Arten der Kontextualiserung erarbeitet, die ich an dieser Stelle kurz vorstellen möchte.56 Sie unterteilt die möglichen Herangehensweisen an das Museumsobjekt in drei Ebenen: Ebene A möchte ich als die klassische Ebene der alten Museologie bezeichnen, nach der die meisten deutschen Museen forschen und vermitteln: Sie fragt nach der Stilgeschichte, Technikgeschichte oder auch Politikgeschichte der Objekte, sprich nach dem alten disziplinären Wissenskanon. Ebene B wechselt den Fokus hin zu einer kritischen «undisziplinierten» Geschichtsschreibung und erforscht zum Beispiel die sogenannten «connected histories», die wie oben besprochen unter anderem den Kulturaustausch sichtbarer machen, oder die «hidden histories», wie wir sie auch für «NeuZugänge» nur zu wenig erforscht haben.57 Insgesamt verfolgen nur wenige Institutionen Forschungen auf dieser Ebene und stellen sich so gegen das kanonisierte Wissen. Und schließlich meint Ebene C die Kontextualisierung der Objekte durch die Einbindung externer Partner, wie wir es für «NeuZugänge» zum Beispiel durch die Fokusgruppen oder mit der Einbindung externer Leihgeberinnen erprobt haben. Hier werden subjektive Erkenntnisse im Gegensatz zu den wissenschaftlichen kanonisierten Erkenntnissen der Ebene A wichtig. Auf der Ebene C findet eine Aktualisierung der musealen Objekte statt. Diese Ebene wird meist nur an kleineren Museen in Deutschland angewandt beziehungsweise nicht nachhaltig umgesetzt. Wichtig ist noch anzumerken, dass die genannten Ebenen fließend sind und dem Umstand geschuldet, dass ich als Ausstellungsmacherin eine Diskussion um mögliche Arten der Kontextualisierung für notwendig erachte.

56 Meine Systematik geht über die Interpretation von Objekten, wie sie zum Beispiel von Eilean Hooper-Greenhill vorgestellt wird, hinaus, indem sie den «Meaning Maker» verstärkt in den Prozess der Kontextualisierung mit einbezieht. Siehe Eilean HooperGreenhill (Hg.) Museums and the interpretation of visual culture. London 2000. 57 Dies geschieht oft im Rahmen der «Material Culture and Object Studies». Siehe zum Beispiel Fiona Candlin/Raiford Guins (Hg.): The object reader. London 2009.

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Systematik zur Kontextualisierung von Objekten im Museum

Ebene A: Das Objekt und seine disziplinierte Geschichte Intuitive ästhetische Annäherung: Was sehe/ höre/ rieche/ taste ich usw.? Kunstgeschichte: Welche Technik wurde verwendet? Welches Material benutzt? Welcher Stil? Welche Einflüsse? Wirtschaftsgeschichte: Wie wurde gehandelt? Welche Handelswege waren wichtig? Geistesgeschichte: Welche philosophische Tradition? Sagt das Objekt etwas über Religion? Politikgeschichte: In welchem politischen Kontext ist das Objekt entstanden / erworben/ ausgegraben? Was sagt es über die politischen Verhältnisse seiner Zeit aus? Kulturgeschichte: Was sagt das Objekt über Religion/ Recht/ Essen/ Rituale/ Geschlechterrollen usw. einer Gesellschaft aus? Wie wurde es benutzt? Sammlungsgeschichte: Wie kam das Objekt ins Museum? Ausgrabungsgeschichte? Politik und Sammeln? In welchen Ausstellungen wurde es gezeigt? Ebene B: Undisziplinierte Geschichtsschreibung Von der Herrschaftsgeschichte zur Alltags-, Frauen-, Minderheitengeschichte; Connected Histories, «Revealing hidden Histories», Multiperspektivität; Rezeptionsgeschichte, Frage der Repräsentation, Postkoloniale Studien; Imperialismus und Archäologie Ebene C: Aktuelle Annäherungen an das Objekt (Methode: Interviews, Schreibwerkstatt, Fokus-Gruppen, «Co-Curating») Was wird mit dem Objekt assoziert? Wo gibt es Anknüpfungspunkte mit dem Publikum? Gibt es aktuelle Kunstproduktionen, die sich mit Objekt oder der Objektgruppe beschäftigen? Restauratorinnen berichten; Making of (Dokumentation der Ausstellungsentwicklung) zeigen; Wächter kommentieren Objekt; Kinder oder andere schreiben Label, Kuratorinnen erzählen von ihren persönlichen Bezügen zum Objekt Wenn wir unsere Sichtweise auf Museumsobjekte um die verschiedenen Ebenen dieser Systematik erweitern, also mehrere Kontexte zum Einsatz kommen lassen, dann reduzieren wir meines Erachtens das Museumsobjekt nicht mehr auf Teil-

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aspekte, sondern lassen es zum Ausgangpunkt eines Geflechts an Zuschreibungen werden, die (vorläufig) in der Zuschreibung durch das Publikum münden.58

M USEEN

VOM

O UTREACH ZUM I NREACH

Ich habe oben beschrieben, wie wir mit der Laborausstellung «NeuZugänge» versucht haben, neue Fragen an das Museum heranzutragen und partizipative Momente in die Ausstellungsentwicklung zu integrieren. Den Gewinn daraus sowohl für die Sammeltätigkeit als auch für die Forschung und Vermittlung und deren Verquickungen habe ich versucht zu beschreiben. Doch – um auf die eingangs im Prolog gestellte Frage zurückzukommen – reichen neue Forschungsfragen und partizipative Elemente aus, um Klischees aufzubrechen und wirklich neue Perspektiven zu erlauben? Unsere Erfahrung mit «NeuZugänge» hat gezeigt, dass dies nicht so war: Wie erstaunt waren wir über die Berichterstattung der Presse nach der Ausstellungseröffnung: Christina Tillmann (oder ihre Redaktion) titelte am 9 März 2012 im Tagesspiegel: «Erinnerung, sprich. Testlauf fürs Humboldt-Forum: eine Islam-Ausstellung in Kreuzberg» (siehe Anhang). Sie verunsicherte uns damit gründlich – war es doch genau das, was wir nicht zeigen wollten! Auch wir haben also kulturalistische und essentialisierende Zuschreibungen und Lesarten wiederholt und erlitten in diesem Sinne mit unserem Experiment ein Stück weit Schiffbruch. Was ich damit meine und welche Schlussfolgerungen ich daraus ziehe, erläutere ich in diesem abschließenden Teil. Das Projekt der Laborausstellung wurde von unserem Forschungsprojekt zusammen mit dem Kreuzberg Museum initiiert.59 In dieser Gruppe waren wir uns schnell über die Zielrichtung und das Vorgehen einig; eine Diskussion um die «Schlüsselbegriffe», die dann hätten dem gesamten Projektteam vermittelt werden müssen, blieb daher aus. Wir glaubten zum Beispiel, es sei Konsens, Migration als Querschnittsvariable oder interdependente Kategorie zu sehen. Wichtig für die Zielgruppenanalyse waren die Ergebnisse der neuesten Forschung in Be-

58 Mir ist klar, dass diese Systematik weder vollständig noch ausreichend strukturiert ist – sie soll leidiglich die Leser zu eigenen Systematiken einer objektzentrierten Kontextualisierung ermutigen. 59 Das Konzept der Ausstellung wird bis 2015 für den Deutschen Museumsbund verfeinert. Ich danke Frauke Miera und Lorraine Bluche für den Einsatz in der Sache. Siehe die Einleitung und das Grußwort von Volker Rodekamp.

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zug auf «Migration»60, die zu dem Schluss kommen, dass die Definition «Menschen mit Migrationshintergrund» oft strukturell bedingte Benachteiligung kulturalistisch verhüllt. Denn de facto werden Menschen aufgrund verschiedener Faktoren wie ihrer Religion, ihrer Ethnizität, ihres Sozialstatus, ihres Alters, ihrer Sprache oder ihres Bildungsgrades diskriminiert. In den Teamsitzungen im Laufe des Planungsprozesses wurde dann aber bald deutlich, dass kulturalistische Zuschreibungen in den Museen weiterhin die Arbeit bestimmten: Annahmen wie «Migranten gehen in die Community Museen, nicht ins Stadtmuseum», oder «das Werkbundarchiv – Museum der Dinge hat den historischen Fokus auf der deutschen Produktkultur»61 hätten einer längeren Diskussion bedurft – und wie sich schließlich herausstellte auch einer längeren Forschung. Wir hätten Strategien entwickeln müssen, um mit dem Dilemma umzugehen, das sich für uns ergab und das Pippi Langstrumpf im Weltkulturenmuseum in Göteborg wie folgt auf den Punkt bringt: «If you are planning on getting shipwrecked, the first thing you are going to need is a ship.»62

Wir lehnten also essentialisierende Begriffe wie «Migranten» ab, benötigten aber gleichzeitig diese festgeschriebenen Begrifflichkeiten, um eine kritische Ausstellung über «Migration» zu entwickeln – genauso wie das Museum für Islamische Kunst «Islamische Kunst» braucht, das Museum zur Geschichte des Deutschen Werkbunds «deutsche Kultur» und so weiter (obwohl diese Begriffe gleichzeitig einer Dekonstruktion bedürfen), wie es den Museumsverantwortlichen durchaus bewusst ist (siehe hierzu die Interviews mit Weber und Flagmeier im Katalogteil). Als Ausstellungsmacherinnen waren wir also Teil des «Problem Moslem»63

60 Paul Mecheril: Migrationspädagogik, Weinheim/Basel 2010. 61 Bezüglich des Begriffs «Islamische Kunst» wird diese Diskussion seit Längerem geführt. Siehe Susan Kamel: Coming back from Egypt. Working on Exhibitions and Audience Development in Museums Today. In Guzy/Hatoum/Kamel 2010, S. 35-56. Der Begriff «deutsche Produktkultur» ist im WBA – MDD durch das historische Kernthema «Deutscher Werkbund» noch präsent, auch wenn er in der Institution hinterfragt wird. 62 Zitat aus der Migrationsausstellung «Destination X» des Weltkulturenmuseums in Göteborg, April 2010 bis Dezember 2012. 63 Ich verweise hiermit auf ein Objekt der Ausstellung, das symbolisch für unsere Einschreibung in die Ausstellung steht: die Zigarettenschachtel mit dem Titel «Problem Moslem»; siehe Ludovico in diesem Band.

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geworden: Teil der Exotisierung, die sowohl in der Ausstellung als auch durch die Teilnehmer der Workshops und durch das Publikum passierte. Ein weiterer, noch erhöhter Schwierigkeitsgrad bestand darin, dass wir unter dem Schlagwort «Migration» Ausstellungen über «islamische Kunst und Kulturen» neulesen wollten. Wir mussten also gleichzeitig die Annahme herausfordern, alle Objekte aus dem Museum seien religiöse Kunst,64 und dem Stereotyp entgegenwirken, alle Migrantinnen seien Muslimisch.65 Letztlich könnte man sagen: Sonderausstellungen wie diese zum Thema «Migration» zeugen immer auch von dem Umstand, dass wir Anderen (in diesem Fall Menschen wie ich, deren Identität zum Teil von ihrem Migrationshintergrund bestimmt ist) noch das Andere sind, also noch nicht zum selbstverständlichen Teil der deutschen Gesellschaft gehören.66 Und dennoch: Wir wählten die Strategie der Sonderausstellung bewusst – auch auf die Gefahr hin, damit schiffbrüchig zu gehen. Denn diese Strategie sucht nicht nur nach Fördergeldern,67 sondern auch nach einer ersten öffentlichen Anerkennung. Doch wie

64 So sieht sich das Museum für Islamische Kunst als Museum für Kunst aus islamisch geprägten Ländern auch in der Pflicht, den religiösen Pluralismus nicht nur der Objekte, sondern auch der heute noch existierenden Gesellschaften Rechnung zu tragen und eben nicht als Islamisches Museum (so noch die Bezeichnung des Museums in der DDR) wahrgenommen zu werden. Zur Kritik an einem «Community Approach» in der Ausstellungsentwicklung siehe auch Mirjam Shatanawi: Engaging Islam: Working with muslim communities in a multicultural society, in: Curator. The Museum Journal Vol. 55, Number 1, January 2012, S. 65-79. 65 Riem Spielhaus hat in ihrer Untersuchung «Wer ist hier Moslem?» nachgewiesen, dass in der deutschen Öffentlichkeit meistens «der Muslim» gemeint ist, wenn von «dem Migranten» gesprochen wird. Riem Spielhaus: Wer ist hier Muslim? Würzburg 2011. 66 Der Diskurs um Inklusion scheint dadurch erschwert, dass Menschen viele, zum Teil konkurrierende Identitäten aufweisen: «Identities intersect ethnicity, race, gender, class, sexuality, health, religion, language etc. People who are excluded along one of these identities may be included by also belonging to a dominant other identity.» Mecheril 2010, S. 15. Auch ich, als Autorin dieses Artikels habe das große Privileg, mich nur bei Bedarf (etwa bei Projektanträgen) als Migrantin ausgeben zu können, da mein Migrationshintergrund oft hinter anderen dominierenden Identitäten (weiß, Akademikerin) verschwindet. 67 Meines Erachtens ist es erstaunlich, wie sich die Mehrheitsgesellschaft Themen und damit auch Forschungsgelder aneignet: Migration ist als Förderthema der großen deutschen Stiftungen fest etabliert, bei den zahlreichen Veranstaltungen zu dem The-

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kommen wir von ausgesonderten Themen wie Migration hin zum Fernziel eines inklusiven Museums? Was zahlreiche Museen in Deutschland bisher tun, um Menschen mit Migrationshintergrund zumindest als Co-kuratierende oder Beratende mit in die Ausstellung zu integrieren, ist partizipative Momente zu entwickeln. Oder sie entwerfen Outreachprogramme, die versuchen, den sozialen, physischen oder intellektuellen Zugang zu der Institution und ihrem Bildungsangebot für NichtMuseumsgänger zu öffnen. Outreachprogramme bieten tatsächlich die Möglichkeit, Menschen in ihrem eigenen, vertrauten Umfeld zu begegnen. Vorausgesetzt wird aber bei solchen Strategien, dass das Defizit bei den Menschen liegt, die bisher nicht ins Museum gingen. «Entwicklungsarbeit», um mit diesem durchaus selbstkritischen Befund zu operieren, muss aber in erster Linie in der Institution selbst stattfinden: bei den Mitarbeiterinnen und den sie umgebenden Strukturen. In diesem Sinne stimme ich mit der Kuratorin Helen Mears und dem Anthropologen Wayne Modest überein, die sagen, dass jegliche Initiative, communities durch partizipative Prozesse zu integrieren, kein probantes Mittel ist, um generelle Vorurteile und Stereotypen gegenüber diesen Gruppen zu überwinden. Mears und Modest fordern stattdessen, dass die Strukturen, die soziale Inklusion verhindern, identifiziert werden müssten und auch innerhalb der Museumsorganisation zu verbessern seien.68 Ein wichtiger Schritt zur Öffnung der Institution Museum für ein diverses Publikum wäre in diesem Sinne meines Erachtens eine Veränderung musealer Strukturen und Hierarchien. Ein sehr erfolgreiches Beispiel hierfür wären die Kelvingrove Galerien: Hier hat erstmalig Mark O’Neill (ehemaliger Generaldirektor der Museen Glasgows) durchgesetzt, dass den inhaltlich arbeitenden Kuratorinnen ebenso viele Vermittler bei der Ausstellungsentwicklung zur Seite gestellt wurden.69 Damit komme ich zu meiner letzten Forderung, für die ich den Begriff des «Inreach» etablieren möchte. Dieser wäre meines Erachtens eine echte Muse-

ma «Migration und Museum» beherrschen jedoch weiterhin zahlenmäßig gutbürgerliche weiße Deutsche das Bild. Menschen mit Migrationshintergrund erscheinen als Antragsstellerinnen beziehungsweise Wissenschaftler weniger erfolgreich – nur in den Imagebroschüren der Stiftungen dann werden sie wieder sichtbarer. Siehe auch Carmen Mörsch: Über Zugang hinaus, in: Institut für Auslandsbeziehungen (Hg.): Kunstvermittlung in der Migrationsgesellschaft/Reflexionen einer Arbeitstagung – 2011, S. 10-19, hier S. 13f. 68 Mears/Modest 2012: 308. 69 Zur Kelvingrove Art Gallery and Museum siehe Muriel Gray (Hg.): Kelvingrove. Kelvingrove Art Gallery and Museum: Glasgow’s portal to the world, Glasgow 2007.

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umsrevolution. Damit Museen als inklusiv gelten können und sich einer wandelnden Gesellschaft gerecht zeigen, müssen sie nicht nur, so mein persönliches Resümee, das was und das wie des Sammelns, Forschens und Vermittelns ändern, sondern vor allem auch sich selbst als Institution zum Spiegel- und Reflexionsbild der Gesellschaft erklären. In diesem Sinne identifiziert der amerikanische Künstler Fred Wilson eine «more diverse workforce» als ein «prerequisite for long-term transformation» des Museums.70 Schaut man sich zum Beispiel die Ausschreibungen von Museen oder staatlichen Institutionen an, so kann man Folgendes feststellen: In Deutschland werden zur Bewerbung ausdrücklich «Schwerbehinderte und Frauen» aufgefordert beziehungsweise bei gleicher Qualifikation bevorzugt, in Großbritannien «ethnic Minorities», in Schweden dann Menschen mit «diverse background», das heißt Menschen, die die Diversität der Gesellschaft in Bezug auf Ethnizität, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Bildung repräsentieren.

S CHIFFBRUCH

MIT

M IGRATION –

EIN

E PILOG

Mit dem Projekt «NeuZugänge» hat das Experimentierfeld Museologie einen Versuch unternommen, Museen und ihre Sammlungen zugänglicher zu machen. Gegenstand dieses Experiments waren vier Sammlungen, der Zugang zu ihnen und eine Sensibilisierung der Museumsmitarbeiterinnen für eine Öffnung ihrer Institution. Museen haben unter anderem die Aufgabe, der Gesellschaft zu dienen und zum kritischen Denken anzuregen – eine Aufgabe, die ich als noch viel wichtiger einschätze als die Wissensvermittlung.71 Dies bedarf jedoch sowohl eines kritischen Begriffs des Museumsobjekt als kontextabhängig und multiperspektiv als auch – und dies halte ich für besonders wichtig – einer veränderten Struktur von Museen. Bisher war es museale Praxis, den Anderen auszustellen, ihn zu exotisieren und als «Schwarzen», «Türkin», «Migranten» zum Gegenstand von Ausstellungen zu machen. Es ist daher unbedingt notwendig, dass durch veränderte Strukturen auch Menschen, die bisher nur in den Vitrinen vorgeführt wur-

70 Siehe Richard Sandell/Eithne Nightingale: Museen, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, in Susan Kamel/Christine Gerbich (Hg.): Experimentierfeld Museum, Bielefeld im Erscheinen. 71 Jessica J. Luke/Jill Stein/Susan Foutz/Marianna Adams (Hg.): Research to practice: Testing a tool for assessing critical thinking in art museum programs, in: Journal of museum education. Volume 32, Number 2, Summer 2007, S. 123-136.

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den, zu Museumsdirektorinnen, Kuratoren oder wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, sprich Entscheidungsträgern, zu machen – denn dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dann auch ein diverses Publikum in die Museen geht. Lernen läßt sich meines Erachtens aus unserem Experiment, dass Museen nicht nur anders sammeln und dokumentieren, sondern auch anders forschen und vermitteln müssten – wie es die neuen Museologien beschrieben haben. Die neue Verantwortung, die Museen heute mit der Vermittlung in der und in die Gesellschaft haben, kann meines Erachtens nicht allein auf den klassischen Vermittlerinnen, den Museumspädagogen oder Kuratorinnen der Bildung abgewälzt werden. Damit wir das Fernziel einer inklusiven Gesellschaft mit inklusiven Museen erreichen, brauchen wir vielleicht erst einmal Schiffbrüche, benötigen wir Sonderausstellungen, zum Beispiel zu den Themen «Migration» und «kulturelle Vielfalt». Es bedarf aber auch struktureller Veränderungen wie zum Beispiel Quoten, damit die Mitarbeiter der Museen auch die Vielfalt der Gesellschaft wiederspiegeln. Für unser Experiment «NeuZugänge» bedeutete dies: Wir brauchten das Schiff Migration – auch mit der Absicht, erst einmal Baden zu gehen.72

72 Unterm Strich gebührt mein größter Dank unserer Lektorin Corinna Ditscheid. Möge ihr Geschäft (www.corinnaditscheid.de) blühen!

Was versteht man unter «migratory aesthetics»? S USANNE L ANWERD

Thema, Gestaltung und Organisation des Kooperationsprojekts «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen»1 bieten sich an, das Konzept der «migratory aesthetics»2 zu erproben. Eine der wichtigsten Parallelen zwischen der migratorischen Ästhetik und der Laborausstellung besteht im Ansatz des explorativen Experiments, das Analysen nicht über sondern mit allen am Projekt beteiligten Personen durchführt. Die englische Formulierung «migratory aesthetics» tauchte zunächst als Titel einer Ausstellung auf, die ebenfalls als ein Kooperationsprojekt stattfand: nämlich der Universitäten von Amsterdam und Leeds, im Jahr 2006. Die Künstlerin und Kulturtheoretikerin Mieke Bal und die Kunsthistorikerin Griselda Pollock kuratierten die Ausstellung, die Arbeiten von elf Künstlern präsentierte.3 Zu1

Beteiligt waren das Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, das Museum für Islamische Kunst Berlin, das Stadtmuseum, das Werkbundarchiv – Museum der Dinge und das Forschungsprojekt «Experimentierfeld Museologie» (Technische Universität Berlin); siehe auch die Einleitung des Bandes.

2

«Migratory aesthetics» übersetze ich im folgenden mit migratorischer Ästhetik.

3

Siehe Mieke Bal: Lost in space, lost in the library, in: Sam Durrand/Catherine M. Lord (Hg.): Essays in migratory aesthetics: Cultural practices between migration and art-making. Amsterdam 2007, S. 23-40; Siehe auch http:// http://reporter.leeds.ac.uk /press_releases/current/migratory_aesthetics.htm; http://www.exitmedia.net/prueba/ eng/articulo.php?id=266 sowie http://www.leeds.ac.uk/cath/ahrc/events/2006/0111/ intro.html; aufgerufen am 29.10.2010. Die Künstler sind: Martine Attille, Mieke Bal, Sutapa Biswas, Bracha Ettinger, Lubaina Himid, Isaac Julien, Lily Markiewicz, Fanozi Mhkize, Roger Palmer, Ingrid Pollard und Judith Tucker.

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grunde lag die Einsicht, dass die ästhetische Dimension der sozialen Erfahrung von Migration noch nicht hinreichend untersucht worden sei. Die beteiligten Künstlerinnen fokussierten insbesondere drei, für das Konzept der migratorischen Ästhetik zentrale Aspekte: eine Ästhetik des Alltags, eine Ästhetik der Transformation und eine Ästhetik der Differenz respektive Andersheit. Unter Ästhetik des Alltags werden Dinge wie Essen, Kleidung, Töne, Musik, Worte, Zeichen, Briefe, Familienalben, Postkarten oder Fotos zusammengefasst – interpretiert als Sprachzeichen, machen sie die Erfahrungen von Migration, Exil und Erinnerung lesbar. Ästhetik der Transformation adressiert die Veränderungen von Ideen und intellektuellen Traditionen, die mit jedem Wechsel des Wohn- und Arbeitsortes einhergehen können. Ästhetik der Differenz schließlich umfasst den Umgang mit Andersheit, der von Ab- und Ausgrenzungsprozessen ebenso gekennzeichnet ist wie von Integrationsprozessen, in deren Verlauf kulturelle Differenz als Chance für Veränderung begriffen wird. Die künstlerischen Produktionen unternahmen den Versuch, subjektive Dimensionen von Migration entlang dieser drei Ästhetiken und ihrer Schnittstellen sichtbar zu machen. Und: In dem Moment, in dem die Arbeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden – als Ausstellung –, verließen sie die Ebene der subjektiven Erfahrung und bildeten kritische Interventionen, die offensichtlich die politische Sphäre tangieren.4

«M IGRATORY AESTHETICS » IN DER AUSSTELLUNG «N EU Z UGÄNGE » Die drei genannten Ästhetiken kamen auch in der Laborausstellung «NeuZugänge» zum Tragen: Vier an dem Projekt beteiligte Museen baten jeweils zwei Berlinerinnen, die entweder selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert waren, der Laborausstellung als Leihgeber ein Objekt beizutragen. Diese gestifteten Objekte lassen sich den Ästhetiken des Alltags, der Transformation sowie der Differenz zuordnen. Aber ist Migration überhaupt denkbar, ohne die Erfahrungen von Flucht, Vertreibung und Terror mit einzubeziehen? Zur Beantwortung dieser Problematik definiert Jill Bennett migratorische Ästhetik als einen

4

Dies belegen nicht zuletzt auch die Rezensionen zur Laborausstellung: Siehe Christina Tilmann: Erinnerung, sprich. Testlauf fürs Humboldt-Forum: eine Islam-Ausstellung in Kreuzberg, in: Der Tagesspiegel, 8.3.2011; Nikolaus Bernau: Wo das HumboldtForum etwas lernen könnte. Das Kreuzberg-Museum zeigt: Wir alle sind Migranten, in: Berliner Zeitung, 24.3.2011. Siehe auch Anhang.

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Suchprozess des Neuen («seeking out the new») «even as it relates the darkest stories of colonization, division and exclusion».5 Ausstellungen, die dem Konzept der migratorischen Ästhetik verpflichtet sind, interpretieren das «Beziehungen knüpfen» in ästhetischen Aktionen («relationaliy in aesthetics») als aktuelle politische Aussage. Abb. 1: Ausstellungsaufbau und -materialien, 01.2011.

Foto: Susanne Lanwerd

Zur Ästhetik der Transformation, als einem zentralen Bestandteil der migratorischen Ästhetik, gehört auch die von Bennett aufgeworfene Frage nach den Veränderungen, die migratorische Erfahrungen für den Identitätsbegriff haben: Migration verschiebe Identität in Richtung einer offenen Beziehungsstruktur, die nicht in klar definierten sondern temporären Sozietäten gründen. Für den Begriff der «community» sei diese Verschiebung ebenfalls folgenreich: «Community» habe einen fluiden Charakter und existiere außerhalb zugeschriebener Identitäten.6 In diesem Kontext ist die Leihgabe von Nadia Kaabi Linke aufschlussreich: Sie stellt einen Bezug her «zwischen ihrer eigenen Biografie, ihren Erinnerungen

5

Jill Bennett: Aesthetics of intermediality, in: Deborah Cherry (Hg.): About Mieke Bal, 2008, S. 132-150; sowie Jill Bennett: Migratory aesthetics: art and politics beyond identity, in: Bennett%20Jill%20paper%20FINAL%20READER%20OPMAAK(1). pdf, Online-Datei; aufgerufen am 22.8.2011, S. 10.

6

Jill Bennett: Migratory Aesthetics, siehe auch Fußnote 5, S.3.

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und den sozialen, politischen und geografischen Bedingungen».7 Ihr Objekt «Studie zu ‹Berlin à Fleurs de Peau, 2010›» ist das Resultat einer Spurensuche an Orten der Bewegung (zum Beispiel U-Bahnhöfen); Nadia Kaabi Linke zeigt in ihrer Arbeit bearbeitete Körperabdrucke auf Glas. Migratorische Ästhetiken sind also im Inneren der Städte präsent, dort, wo auch das Geschichtenerzählen «zu Hause» ist. Die narrative Qualität der Geschichten, die die Leihgeber der Laborausstellung zu ihren Objekten erzählten, umfasst verschiedene Ästhetiken der Differenz und lässt unterschiedliche Strategien im Umgang mit Ausgrenzungs- und Integrationsprozessen erkennen. Eine der Leihgeberinnen, Joanna Lesniak, stiftete zum Beispiel ein Geschichtenbuch. Sie erzählt dazu eine Geschichte, die ihrerseits verschiedene Geschichten integriert und kombiniert. Das Buch sei in ihrer «Heimatstadt Krakau» verlegt worden, ihre Mutter hatte es ihr bei deren ersten Besuch in Berlin geschenkt. Frau Lesniak bezeichnet das Buch «als eine Art Bibel, ein kleines Heiligtum», das sogar einen «rassistischen Übergriff» auf ihre Wohnung im Jahr 1997 insofern überlebte, als sie es «neben einigen anderen Büchern gerettet und mitgenommen» hat. Abb. 2: Filminterview mit J. Lesniak, Ausstellungsaufbau 01.2011.

Foto: Susanne Lanwerd

Wie bei diesem Buch spielte auch bei anderen Objekten das hohe Alter eine große Rolle, weil es eine Vielzahl von Geschichten garantiert. Das Geschichtenbuch 7

Zitiert nach: Angelique Campens in «based in berlin», herausgegeben von Kulturprojekte Berlin GmbH, Berlin 2011, S. 100.

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von Frau Lesniak war nur klein, hatte also wenig Materialität. Ebenso verhielt es sich bei den Objekten der Leihgeberinnen Ayse Caglar, Sultan Kilic und Hamad Nasser: Die Minimierung der Materialität der Objekte korrespondierte hier jeweils einer Maximierung von Bedeutung und Sinn. Migratorische Ästhetiken bewirken Veränderungsprozesse in der Wahrnehmung. Eine solche Veränderung wird mit der Leihgabe des koreanischen Künstlers Yoo Jae-Hyun deutlich, einer Essensinstallation. Ein großes Foto zeigte den Ausschnitt eines Schrebergartens in Berlin, der «Kolonie Wiedervereinigung» (sic!), in dem koreanische Pflanzen und Kräuter angebaut werden; im Hintergrund der Installation lagen verschiedene Verpackungen industriell produzierter und importierter koreanischer Lebensmittel. Yoo Jae-Hyun, der 2001 nach Deutschland gekommen war, beschreibt mit diesem Objekt eine seiner ersten Erfahrungen in Berlin: Gleich am ersten Tag wurde er mit koreanischer Suppe und Salat versorgt – ganz anders, als er erwartet hatte. Seine Freunde machten ihn anschließend mit dem Anbau koreanischer Gemüse und Kräuter in Berliner Schrebergärten vertraut. Abb. 3: Essensinstallation plus Filminterview, 02.2011.

Foto: Susanne Lanwerd

Aspekte der migratorischen Ästhetik kamen auch in der Gestaltung der Laborausstellung zum Ausdruck: Zum einen, in dem die Ausstellung Multiperspektivität räumlich «sichtbar» und erfahrbar machte. Dazu wurden die vier Museumskabinette um einen Glaskubus gruppiert, der uneingeschränkt Blicke und Blickkontakte der Besucher_innen aus verschiedenen Sehachsen erlaubte. Zum anderen ermöglichte diese transparente Gestaltung einen Sinn für die (temporäre)

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Gemeinsamkeit und Kommunikation, die durch zufällige Bewegungen, Haltungen, Geräusche und Posen der Besucher aktiviert wurden; diese Momente sind – das ist das entscheidende Merkmal für migratorische Ästhetiken – unvorhersehbar8. Die innovative Ausstellungsforschung und – praxis setzt mittlerweile eine Verknüpfung von Wissensbeständen und (Noch-)Nichtwissen voraus. Mit der Beschreibung der «unvollendbaren Aufgabe» des «analytischen Lehrlings» bringt Mieke Bal einen Begriff des Wissens ins Spiel, «in dem die Unwissenheit nicht in Gegensatz zum Wissen gebracht, sondern als integraler Bestandteil der eigentlichen Struktur des Wissens» gedacht wird.9 Dieser Ansatz erinnert von Ferne an eine Traditionslinie, die über Immanuel Kant und Theodor W. Adorno bis in die Gegenwart10 reicht, und die ästhetische Erfahrung als rätselhafte Verknüpfung von Intellektualität und Sinnlichkeit interpretiert. An einem anderen Ort habe ich daher Ästhetik als Haltung des Respekts, der Aufmerksamkeit gegenüber Menschen und Dingen definiert, die jenseits von Aneignung und Funktionalisierung situiert11. Diese (ästhetische) Hal-

8

Vergleiche in diesem Zusammenhang auch den Ansatz von Mary Kelly, die von «the audience-as-support» spricht, in: Mary Kelly: The Ballad of Kastriot Rexhepi: Notes on gesture, medium and mediation, in: Griselda Pollock and Joyce Zemans (Hg.): Museums after modernism. Strategies of engagement, 2007, S. 131-140, S. 133. Eine alternative Gestaltung des Ausstellungsraums im Kreuzberg Museum konnte leider nicht umgesetzt werden. Sie sah vor, den gesamten Raum als improvisierte Wohnlandschaft – also szenografisch – zu gestalten und die sechzehn einzelnen Objekte als Interieur entsprechend zu platzieren. Zugrunde lag die Einsicht, dass Migration in Alltagssituationen stattfindet.

9

Mieke Bal: Preisgabe der Autorität oder Plädoyer gegen den Begriff der Intention, in: Mieke Bal: Kulturanalysen. Frankfurt a.M. 2002, S.295-334, S. 333.

10 Roger M. Buergel und Ruth Nowak praktizierten eine solche Ästhetik, indem sie die «in sich beweglichen Formenschicksale (oder auch «Migration der Form», S.L.) nicht nur theoretisch behandeln, sondern sie ausstellen, das heißt zur documenta 12 werden lassen». Vergleiche Roger M. Buergel/Ruth Nowak: Vorwort, in documenta 12, Katalog. Köln 2007, S. 11-13. 11 Susanne Lanwerd: Religionsästhetik. Studien zum Verhältnis von Symbol und Sinnlichkeit. Würzburg 2002; zur Aktualisierung dieser Überlegungen siehe auch Susanne Lanwerd: Bilder und Bilderpolitik. Repräsentationen des Islam in Printmedien und aktueller Kunst, in: Georg Pfleiderer/Alexander Heit (Hg.): Sphärendynamik I. Zur Analyse postsäkularer Gesellschaften. Zürich 2011, S. 235-314, besonders: Bildtheoretische Grundlegung: Bildbegriff, Repräsentation und Ästhetik, S. 238-253.

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tung bildet einen elementaren Bestandteil jeder Wissensstruktur denn sie ist mit einem Rest an Nicht-Wissen ausgestattet. Es ist paradoxerweise dieser unauflösbare Rest im Charakter des Ästhetischen, der es ermöglicht, Komplexität zu vermitteln und Spannungen zu balancieren. Wie funktioniert das? Eine respektvoll-aufmerksame Haltung gegenüber Menschen und Dingen setzt Offenheit, Bescheidenheit und die Distanz zur eigenen Überzeugung voraus. Offenheit ermöglicht ein stets erneutes Fragen, Bescheidenheit eine schwebende Aufmerksamkeit und ein genaues Zuhören, die Distanz zur eigenen Überzeugung gewährleistet die Wahrnehmung des Neuen oder Anderen. Gleichsam quer zu diesen Bestimmungen liegt stets die Frage nach den Referenzsystemen des Ästhetischen; der Nachweis ihrer Historizität lässt Strategien und Grenzen in der Übernahme spezifischer Ästhetikbegriffe erkennen. Angewandt auf die Bereiche Museum und Ausstellung entsprechen diese Befunde zu Ästhetik und Wissensstruktur unmittelbar der migratorischen Ästhetik, die Jill Bennett folgendermassen zusammenfasst: «The point of pursuing the epistemic possibilities of aesthetic perception is not, then, to illustrate the propositions of science and sociology, to underwrite divisions of nations, people or identities (positive or negative), but to establish another way of knowing, and hence another ‹distribution of the sensible›». Im Unterschied zu Tendenzen in der Kunsttheorie, die auf den Postmodernismus mit einem «return to beauty in art and art discourse» reagieren, begreift Bennett inbesondere die migratorische Ästhetik als eine Strategie der transitorischen Politik.12 Die Laborausstellung «NeuZugänge» fand von Januar bis März 2011 in Berlin-Kreuzberg statt. Das Museum liegt in einem Stadtteil Berlins, der eine sehr hohe muslimische Bevölkerungsdichte aufweist; die Besucherinnen der Ausstellung konnten auf dem Weg ins Museum nicht nur viele Schalen von Kernen und Körner auf den Straßen finden (dazu später mehr!), sondern bewegten sich insgesamt in einer turbulenten großstädtischen Situation, die eher an Istanbul denn an Berlin erinnert. Dergestalt physisch und mental vorbereitet auf Ungewohntes, gelangten sie in den vierten Stock des Museumsgebäudes, der die Ausstellung präsentierte. Hier wurden die Besucher konfrontiert mit einer vorwiegend aus Pappmaterialien bestehenden Ausstellungsarchitektur, die, wie Einträge im Gästebuch und Kommentare bezeugen, als dem Thema «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen» besonders angemessen beschrieben wurde. (Abb. 1) Das Zentrum der Ausstellungsarchitektur bildete ein Glaskubus, in dessen transparenten «Innenraum» einige der von migrantischen Expertinnen gestifteten Ob-

12 Jill Bennett: Migratory aesthetics, siehe Fußnote 5, S. 16, 17, 24.

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jekte platziert waren. (Abb. 3) Durch das Glas traten die Besucher, gewollt oder ungewollt, mit anderen Besucherinnen in Blickkontakt. Insgesamt präsentierte die Ausstellung sechzehn verschiedene Objekte mitsamt ihrer Geschichten. Monitore und Headphones vermittelten – qua filmischer Interviews von acht Minuten Länge – die Geschichten der acht von migrantischen Experten gelieferten Objekte. Es waren diese Geschichten, die – übereinstimmend – das größte Echo erfuhren, bis hin zu Aussagen, man hätte gern noch mehr über die Leihgeberinnen erfahren wollen. Die Geschichten der acht Objekte, die aus den vier beteiligten Museen stammten, wurden über Texttafeln erzählt. Die Besucher konnten sowohl im Gästebuch als auch auf großen Papiertafeln ihre Kommentare und Anregungen formulieren. Diese Interaktion wurde begrüßt, ebenso die Aufforderung «Beschreiben Sie Ihr Objekt»; auffallend war hier, dass die Beschreibung eines eigenen Objekts, im Gegensatz zu Kommentar und Anregung, von großen sprachlichen Unterschieden geprägt war, bis hin zur Unleserlichkeit. Eine Besucher-Evaluation wurde aufgrund fehlender zeitlicher und finanzieller Mittel nicht durchgeführt. Die Presse nahm die Ausstellung überwiegend wohlwollend bis begeistert auf.13

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IN ANDEREN

P ROJEKTEN

Das Konzept der migratorischen Ästhetik lag bereits dem Kunstprojekt «Glub» zugrunde, das von Mieke Bal und dem Künstler Shahram Entekhabi im Jahr 2004 entwickelt wurde.14 «Glub» ist die lateinische Transkription des arabischen Wortes für Kern, Samen, Herz oder Korn. Das Kunstwerk umfasste einen dreißig Minuten langen Film- und eine Videoinstallation mit acht Monitoren. Es adressierte die im Nahen und Mittleren Osten verbreitete Gewohnheit, gesalzene und/oder geröstete Sonnenblumen-, Kürbis- oder andere Kerne zu konsumieren.

13 Vergleiche Fußnote 4 und besonders Nikolaus Bernau: Wo das Humboldt-Forum etwas lernen könnte. Das Kreuzberg-Museum zeigt: Wir alle sind Migranten, in: Berliner Zeitung, 24.3.2011. 14 Murat Aydemir: Piecemeal Translation, in: Deborah Cherry (Hg.): About Mieke Bal, 2008, S. 7-25. Vergleiche auch: Miguel A.Hernández-Navarro: Contradictions in Time-Space. Spanish art and global discourse, in: Hans Belting/Andrea Buddensieg (Hg.): The global art world. Audiences, markets and museums. Ostfildern 2009, S. 136-153.

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Der Schauplatz der künstlerischen Arbeit war die europäische Kulturmetropole Berlin. Der Film zeigt Interviews mit willkürlich ausgewählten Partnerinnen: Ladenbesitzer, Kundinnen, Vorbeiflanierende, Künstler, Wissenschaftlerinnen, Kuratoren: Sie alle bilden «talking heads», die über die Körner, Kerne und damit verbundene Gewohnheiten reflektieren. Die Videoinstallation zeigt verschiedene Menschen, die – ohne zu sprechen – die Kerne und Körner konsumieren; der Soundtrack lässt nur kauende und knackende Geräusche hören. Zusätzlich zu den Bildern auf den Monitoren konnten die Besucherinnen über Kopfhörer verschiedenen Geschichten rund ums Essen in verschiedenen Sprachen zuhören. Gleichzeitig wurden sie eingeladen, selbst der Gewohnheit nachzugehen, die die Filmausschnitte an unterschiedlichen Menschen zeigten: Körner und Kerne kauend zu genießen. Auf diese Weise werde, so Murat Aydemir, ein zeitliches und räumliches Kontinuum geschaffen, das einen neuen Blick auf Vertrautes ermöglicht, nämlich auf die auf öffentlichen Plätzen und Straßen, in Parks und Grünanlagen herumliegenden Schalen der Kerne: Über die eigene Konsumption der Kerne könnten diese anders gewürdigt werden und im idealtypischen Fall Neugierde und Erstaunen hervorrufen. Deutungswandel vollzieht sich über Multiperspektivität: Klare Zuordnungen, Ordnungs- und Erklärungsmuster, zum Beispiel dass etwas Abfall sei, werden mit neuer Bedeutung versehen: «this migratory aesthetic persuades one to notice with different eyes that has been seen before […] Glub practices, does, migratory aesthetics by inviting its visitors to reappreciate the scattered shells as a formless image that deserves recognition, curiosity and wonder».15

In ihrem Text «Lost in Space, Lost in Library» nimmt Mieke Bal auf eine andere ihrer Kunstproduktionen Bezug, die Ähnlichkeiten zu «Glub» aufweist. Auch dabei handelt es sich um eine Film- und Videoinstallation. Bevor ich die Erfahrung der migratorischen Ästhetik vorstelle, die für dieses Kunstwerk entscheidend ist, hier zunächst Bals definitorische Angaben zu «migratory aesthetics»:16

15 Murat Aydemir: Piecemeal Translation, siehe auch Fußnote 15, S. 10. 16 Mieke Bal: Lost in space, lost in library, in: Sam Durrant/Catherine M. Lord (Hg.): Essays in migratory aesthetics: Cultural practices between migration and art-making. Amsterdam 2007, S. 24-40, S. 24.

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Migratorisch beziehe sich nicht auf Migranten oder die aktuelle Migration von Menschen, wohl aber, als eine Form des «Nicht-Konzepts», auf das Migratorische («the migratory») als Qualität einer Welt, in der Mobilität nicht länger die Ausnahme sondern das Standardlebensmodell einer Vielzahl von Menschen bildet. In der zusammengesetzten Definitionsbildung bezieht sich «migratorische Ästhetik» auf künstlerische Situationen, die politisch effektiv sind. Das Label umfasst Arbeiten, die Globalisierung als ein problematisches Feld adressieren, als eine konfliktreiche Sphäre, die die künstlerischen Positionen zugleich fundiert. In der Kunstaktion geschieht Ästhetik: «Leaving the aesthetics open to what would happen was the only a priori decision we took».17 Das heißt zugleich, dass nicht ein Thema für die Ästhetik leitend ist, sondern bestimmte Wahrnehmungsprozesse in der Begegnung mit den beteiligten Personen. Eine solche Erfahrung, die Bal als paradigmatisch für die migratorische Ästhetik bezeichnet, geschah auch während Bals oben genannter Film- und Videoinstallation von 2004 und zwar mit Daryush, einem aus Iran stammenden Mann. Obwohl die sprachliche Verständigung schwierig war, blieb sein Wunsch nach einer Beteiligung an dem Kunstwerk konstant. Die Interviews entwickelten sich nur mühsam. Und dann passierte es: Auf Bals Frage, was er im Exil am meisten vermissen würde, litt Daryush mehr denn je an der Tatsache, sich nicht verständlich machen zu können: Dieses Mal nahm sein Gesicht einen fast wahnsinnigen Ausdruck an. Mieke Bal schlug ihm vor, auf Farsi zu sprechen, ein iranischer Mitarbeiter könnte es später übersetzen. Einige Minuten vollständigen Schweigens vergingen, bevor Daryush in seiner Sprache antwortete und sichtlich entspannte. Bal verstand nichts und hörte «nur» die Melodie und den Rhythmus der Worte, deren Sinn ihr verschlossen blieb. Diese doppelte Diskrepanz, zwischen Sprache und Verständnis, zwischen bedeutungslosen und bedeutungsvollen Tönen, wurde die Basis des Films: Bal präsentierte eine Aufsplitterung der Sprache in ihre sichtbaren (Münder, Körper, Gesten) und hörbaren Anteile (Stimmen). Sprache fungierte primär als verstörendes Moment. Wie oben beschrieben hatte also die – unvorhersehbare – Begegnung mit dem Iraner das Kunstwerk bestimmt. Gleichzeitig erlaubte auch diese Installation einen neuen Blick auf Vertrautes (Sprache), unter anderem, indem sie den Wahrnehmungsprozess in den Vordergrund rückte. Die Erfahrung einer migratorischen Ästhetik fasst Mieke Bal folgendermaßen zusammen: Es bedürfe nur eines kurzes Moments «of losing clarity» und die Welt, die wir kennen, ihre Werte, Grenzen und Konzepte, werde transformiert. Migratorisch be-

17 Mieke Bal: Lost in space, lost in library, 2007, S. 27.

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ziehe sich darauf: losgelöst zu sein von der selbstbewussten Sicherheit, zu wissen, wer und wo wir sind.18

AUSBLICK : Z UR V ERORTUNG MIGRATORISCHER ÄSTHETIK Die Bedingungen der globalisierten Welt machen neue Begrifflichkeiten notwendig, um den veränderten Konstellationen in Museen und Ausstellungen adäquat begegnen zu können. Das vorgestellte Konzept der migratorischen Ästhetik ist eine Antwort auf die veränderten Bedingungen. Andere Antworten bieten differenzierte, der globalen Komplexität entsprechende Begriffe und Methoden. Drei Beispiele: 1. Unter dem Begriff der Translokalität versteht das Zentrum Moderner Orient

Bewegungen von Menschen, Ideen, Symbolen und Waren innerhalb der genannten Regionen (Afrika, Asien und dem Nahen Osten, S. L.) sowie von und nach Europa; untersucht werden dabei «Phänomene, die als Ergebnisse von Zirkulation und Transfer entstehen».19 Das Zentrum Moderner Orient gehörte zu den Kooperationspartnern des Ausstellungsprojekts cairoscape. Images, imagination and imaginary of a contemporary mega city, das 2008 im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin stattfand. Neunzehn Künstlerinnen setzten sich darin mit Kairo auseinander: Ohne «autoritären Gestus» – und eher mit dem Ziel zu desorientieren – präsentierten sie Bilder und Eindrücke von Kairo und verstanden die methodische Vorgabe der Ausstellung als ein geeignetes Mittel, um den Widersprüchen und der Komplexität der Megacity zu entsprechen.20 2. Weil Ausstellungen stets an den Schnittstellen von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit arbeiten, bietet sich die Methode des «artistic research» an,

18 Ebd., S. 29. Vergleiche auch Vera Frenkel: A place for uncertainty: Towards a new kind of museum, in: Griselda Pollock/Joyce Zemans (Hg.): Museums after modernism. Strategies of engagement, 2007, S. 119-129. 19 Ulrike Freitag/Sonja Hegasy/Achim von Oppen: Bilder im Kopf, in: Marina Sorbello/Antje Weitzel (Hg.): Cairoscape. Images, imagination and imaginary of a contemporary mega city, Berlin 2009, S. 12-17, S. 12. 20 Antje Weitzel: Einleitung, in: Marina Sorbello/Antje Weitzel (Hg.): Cairoscape. Images, imagination and imaginary of a contemporary mega city, Berlin 2009, S. 611, S. 8.

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um sie zu untersuchen: Die «Praxis ästhetischen Denkens»21 gewährleistet andere Zugangsweisen an Ausstellungen, da sie im Singulären operiert und anhand einzelner konkreter Objekte exemplifiziert wird. Nicht nur das: «Artistic research» verzichtet bewusst auf Systematisierungen; sie stellt ihre Ergebnisse mit Hilfe unterschiedlicher Medien dar: Fotografie, Text, interaktives Spiel, Kunstinstallation, und ermöglicht über eine assoziative Zusammenstellung neue Sichtweisen auf die zur Diskussion gestellten Wissensbestände. Zwei rezente Ausstellungen, die dezidiert nach der Methode des «artistic research» arbeiten, sind die bis Januar 2012 gezeigte Ausstellung The Urban Cultures of Global Prayers in der Neuen Gesellschaft für Bildende Künste, Berlin, und die jüngst eröffnete Schau des Museums der Weltkulturen, Frankfurt am Main, «Objekt Atlas: Feldforschung im Museum».22 3. In den Bildwissenschaften spricht man mittlerweile von einem bewusst und unbewusst funktionierenden Bildgedächtnis. Das Ausstellungsprojekt «Eurozentrika» bearbeitete dieses Bildgedächtnis, in dem es Texte und Bilder in ein produktives Nebeneinander stellte. Bei den Bildern handelte es sich um Reproduktionen bekannter Kunstwerke und Fotos aus den Medien, bei den Texten um Pressestimmen und Zitate wissenschaftlicher Studien. Durch die spielerische Neukombination wurden die Sehgewohnheiten der Besucher in Bewegung gebracht und ein «anderes Nachdenken über bereits bekannte Bilder» provoziert.23

21 Siehe den Sammelband von Elke Bippus (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich, Berlin 2009 sowie das Vorwort von Sigrid Weigel und Sabine Flach in: Sigrid Weigel/Sabine Flacht (Hg.): WissensKünste. Das Wissen der Künste und die Kunst des Wissens, Weimar 2011, S. 9-13; außerdem Sigrid Weigel/Sabine Flach: Bilder jenseits des Bildes, in: ebd.: S. 18-28, S. 23. 22 MetroZones (Ed.): Faith is the place. The urban cultures of global prayers. Berlin 2012; Clementine Deliss (Hg.): Objekt Atlas. Feldforschung im Museum, Frankfurt am Main 2012. 23 Eurozentrika, in: FKW/Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Heft 51, Juni 2011: Visuelle Migrationen, Bild-Bewegungen zwischen Zeiten, Medien und Kulturen, S. 23-28, S. 28.

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Abb. 4: Blick in den Raum des Künstlers Marc Camille Chaimowicz, 02.2012, Museum der Weltkulturen.

Foto: Susanne Lanwerd

Wie bereits eingangs erwähnt, boten sich das Thema und die Gestaltung der Laborausstellung «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen» an, das Konzept der «migratory aesthetics» zu exemplifizieren. Denn die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen der migratorischen Ästhetik und der Laborausstellung besteht im Ansatz des explorativen Experiments, das Analysen nicht über sondern mit allen am Projekt beteiligten Personen erarbeitet. Erfahrbar wurde das explorative Experiment unter anderem in den Interviews mit den Leihgeberinnen der Laborausstellung und in Mieke Bals Begegnung mit Daryush. Last but not least gehören die analytisch-sinnlichen Praktiken der Laborausstellung und der migratorischen Ästhetik in den breiteren, zurzeit global diskutierten Kontext einer Ethik des respektvollen Dialogs und einer pluralistischen Laizität.

Forschen im Bestand – Annäherungen an zwei Objekte F ABIAN L UDOVICO

Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge liegt in Berlin-Kreuzberg in einer stark migrantisch geprägten Umgebung. Hier findet sich eine «orientalische Ladenwelt»1, die durch den islamischen Kulturraum beeinflusst ist. Diese Nachbarschaft schlägt sich bisher kaum in der Sammlung des Museums nieder, auch wenn das Thema Migration direkt greifbar scheint. Als Museum der Produktkultur des 20. und 21. Jahrhunderts, die von der industriellen Massen- und Warenproduktion geprägt ist, kann es Migration als zentralen inhaltlichen Aspekt der heutigen Produktkultur nicht ausblenden. Das historische Kernthema des Museums ist allerdings der Deutsche Werkbund, dessen Name bereits impliziert, dass es sich um die deutsche Produktkultur handelt, die in der Sammlung des Museums abgebildet und durch das Museum wissenschaftlich erforscht wird. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Globalisierung im Bereich der Produktion und des Warenhandels spätestens seit dem 19. Jahrhundert ist dies ohne die Betrachtung der Einwirkungen unterschiedlichster Formen von Migration allerdings kaum möglich. Im Kontext der hier dokumentierten Kooperation ergibt sich die Gelegenheit, dies an konkreten Beispielen zu belegen. Im Zentrum der Betrachtung stehen folglich die beiden Objekte, die das Museum in die Ausstellung «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen» einbrachte. Es handelt sich dabei um eine Blechdose für 100 Zigaretten der Marke «Problem Moslem» und einen Kunststoffwecker in Form einer Moschee. 1

Bärbel Beinhauer-Köhler: Sacralizing Consumerism? – Werbung im Islam, in: Symbolon. Jahrbuch der Gesellschaft für wissenschaftliche Symbolforschung, n. F. Bd. 16, 2007, S. 199-212, S. 200.

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Zu beiden Objekten gibt es eine Vielzahl an Informationen aus unterschiedlichen Quellen, die verschiedenen Informationsschichten zugeordnet werden können. Vier dieser Schichten waren bereits in der Ausstellung zu erfahren: 1. Basisinformationen, die das Museum bereits zu den Objekten hatte; 2. Informationen, die durch weitere Recherchen der Museumsmitarbeiterinnen nach der Auswahl der Objekte gefunden wurden; 3. Kommentare der Teilnehmer der Fokusgruppen, die im Rahmen des Projekts «NeuZugänge» einberufen wurden; und 4. Kommentare, die von den Besucherinnen in der Ausstellung selbst hinterlassen wurden. Die Kommentare der Teilnehmerinnen der Fokusgruppen und der Ausstellungsbesucher gaben den Anlass zu neuerlichen Recherchen nach der Ausstellung, deren Ergebnisse eine fünfte Schicht bilden. Die verschiedenen Schichten werden im Folgenden zusammengeführt und dokumentieren den aktuellen Informationsstand zu den beiden Objekten.

D IE G LOBALISIERUNG DER Z EIT : M OSQUE S HAPE ALARM C LOCK (M OSCHEEWECKER ) Der Wecker, der in seiner äußeren Form eine Moschee darstellen soll, wurde 2009 für die Ausstellung «Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks» im Werkbundarchiv – Museum der Dinge erworben. Die Ausstellung orientierte sich an der 1909 von Gustav E. Pazaurek im Stuttgarter Landesgewerbemuseum eingerichteten «Abteilung der Geschmacksverirrungen», einer im Sinne des Deutschen Werkbunds aufgebauten Schausammlung zur Erziehung zum «guten Geschmack». Ein Bereich dieser Abteilung behandelte den Kitsch, über den Gustav Pazaurek in seinem 1912 publizierten Buch «Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe» mit dem für die Werkbundideologie dieser Zeit typischen moralischen Duktus schrieb: «Der äußerste Gegenpol der künstlerisch durchgeistigten Qualitätsarbeit ist geschmackloser Massenschund oder Kitsch, der sich um irgendwelche ethischen, logischen oder ästhetischen Forderungen nicht kümmert, dem alle Verbrechen und Vergehen gegen das Material, gegen die Technik, gegen die Zweck- wie Kunstform vollständig gleichgültig sind, der eines verlangt: das Objekt muß billig sein und dabei doch wenigstens möglichst den Anschein eines höheren Wertes erwecken.»2

2

Gustav E. Pazaurek: Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe, Stuttgart / Berlin 1912, S. 349.

FORSCHEN IM BESTAND – ANNÄHERUNGEN AN ZWEI OBJEKTE

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Entsprechend der von Pazaurek erarbeiteten Systematik wurde der Moscheewecker in der Ausstellung «Böse Dinge» als Devotionalienkitsch eingruppiert, der zur Steigerung des Verkaufs auf die religiöse Gesinnung der Konsumenten spekuliere.3 Als preisgünstiges Massenprodukt aus Kunststoff ist der Wecker in zahlreichen Im- und Exportläden in der näheren Umgebung des Museums in BerlinKreuzberg erhältlich. Es gibt ihn nicht nur in verschiedenen Farben, sondern auch in unterschiedlichen Ausformungen. Seine äußere Form verweist eindeutig auf den Islam, ebenso der blecherne Gebetsruf des Muezzins, der erklingt, wenn die eingestellte Weckzeit erreicht ist. In seiner Funktionalität handelt es sich um einen einfachen, batteriebetriebenen Wecker, dessen äußere Erscheinung jedoch religiös konnotiert ist. Trotzdem – oder vielleicht auch deswegen – wird er häufig als Mitbringsel, als lustiges «Souvenir aus Kreuzberg» gekauft oder verschenkt. Da der Wecker wegen seiner Erscheinung als Kitschprodukt für die Museumssammlung erworben worden war, blieben andere Implikationen, wie zum Beispiel seine Funktion für die religiöse Praxis, zunächst unbeachtet. Die Diskussion über den Wecker in den Fokusgruppen des Projekts «NeuZugänge» erweiterte den Blickwinkel: Besonders durch die Äußerungen von Teilnehmerinnen, die aus islamisch geprägten Ländern stammen, wurde deutlich, dass der Wecker in diesen Ländern nicht ironisierend eingesetzt und tatsächlich im Alltag genutzt wird. Von einem Teilnehmer war zu erfahren, dass er die zunehmende Verbreitung solcher Kunststoffobjekte mit religiöser Symbolik in Ägypten seit den 1980er Jahren beobachten konnte. Der Wecker wird dabei nicht immer auf seine schmückende Funktion reduziert, sondern teilweise auch in seiner Funktion als Wecker zur Erinnerung an die Gebetszeiten genutzt. In einer Untersuchung der Bedeutung islamischer Symbolik in der Werbung unterzog die Religionswissenschaftlerin Bärbel Beinhauer-Köhler Produktverpackungen und Werbung in Printmedien einer Betrachtung.4 Eines der Produkte, das sie untersuchte, war ein grüner Kunststoffwecker in Form einer Moschee. Gegenstand ihrer Betrachtung war nicht nur die Verpackung, sondern auch das Produkt selbst. Sie unterscheidet dabei zwischen Produkten, die unmittelbar mit der Ausübung der religiösen Praxis zu tun haben und solchen, die lediglich islamische Symbolik verwenden, für die Ausübung der Religion jedoch keine Rolle spielen. Der Wecker in Form einer Moschee wird der zweiten Gruppe zugeordnet, was nach unseren Erfahrungen mit den Fokusgruppen zweifelhaft erscheint.

3

Ebd., S. 350.

4

Beinhauer-Köhler 2007.

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Denn dort konnte die Erkenntnis gewonnen werden, dass der Wecker, ebenso wie andere ähnliche Produkte, durchaus eine Rolle im religiösen Alltag in islamisch geprägten Ländern spielt. Immerhin boeachtet auch Barbara BeinhauerKöhler, dass der Wecker im Gegensatz zu den anderen Objekten in ihrer Untersuchung beim Käufer das Gefühl einer Ausdehnung des sakralen Bereiches auf das Produkt erwecken kann: «Dies mag in Einzelfällen möglich sein, wenn ein Produkt durch die Anbringung verschiedener islamischer Symbole solch eine «Dichte» sakraler Bezüge aufweist, dass es selbst in die sakrale Sphäre eingeordnet werden könnte. Dies wäre im Falle des Moschee-Weckers denkbar»,5 schreibt sie. Der Moscheewecker ist ein Produkt der Globalisierung: Hergestellt in Ländern des Fernen Ostens (konkret, im Fall des gezeigten Moscheeweckers, in Taiwan) fand er zunächst Einzug in die Haushalte islamisch geprägter Länder und in einem nächsten Schritt in die Läden migrantisch geprägter Umgebungen in Nordeuropa. «Es muss keinesfalls gegeben sein, daß ein Produkt, selbst wenn es primär für muslimische Käufer gedacht ist, auch aus einem religiösen Kontext stammt,» schreibt Barbara Beinhauer-Köhler weiter.6 Mit einiger Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass seine Herstellung nicht religiös intendiert ist, sondern dass die Gestaltung mit islamischer Symbolik alleine die Erschließung einer islamischen Käuferschicht zum Ziel hat. Wenn der Wecker nun von NichtMuslimen als lustiges Kitsch-Produkt gekauft wird, fügt das dem Objekt eine weitere Bedeutungsebene hinzu. Durch die Kombination einer Uhr mit der Symbolik einer Moschee erscheint der Wecker als «orientalisches» Objekt. Diese Zuordnung einer Uhr zu einem bestimmten Kulturkreis durch die Anwendung einer Dekoration, ist kein einmaliger Vorgang; ein weiteres Beispiel ist die Kuckucksuhr. Die mechanische Uhr wurde ursprünglich seit dem 17. Jahrhundert aus Europa in den Orient exportiert.7 Ende des 18. Jahrhunderts fanden auch Schwarzwalduhren ihren Weg in die orientalische Welt. Mathias Faller aus Friedenweiler reiste 1779 in die Türkei, um dort mit Uhren Handel zu treiben:

5

Ebd., S. 209.

6

Ebd.

7

Harald Siebenmorgen: Orientalismus – Okzidentalismus. Interkulturelle Spannungsfelder, in: Ders./Schoole Mostafawy (Hg.): Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute, Ausstellungskatalog Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Stuttgart 2010, S. 12-26, S. 18.

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«Es ist das Verdienst Mathias Fallers, dass sich der Uhrenhandel bis tief nach Asien ausweitete. Bald zogen noch weitere Händler in die Türkei. Ihre Uhren passten sie dem türkischen Geschmack an. Den Zifferblättern gaben sie türkische Zahlen [...]; auch erhielten die Figuren die türkische Landestracht. Selbst für die Spieluhren wählte man türkische Musik.»8

Die heute bekannteste Form der Schwarzwalduhr ist die Kuckucksuhr in der so genannten «Bahnhäusleform», die um 1850 von Baurat Friedrich Eisenlohr entworfen wurde, der sie der Form von Bahnwärterhäusern entlehnte. Geschmückt waren diese Uhren häufig mit aufwendigen Reblaubschnitzereien oder Jagdmotiven, wogegen heutige Kuckucksuhren oft aus Kunststoff hergestellt sind. Die Kuckucksuhr und der Moscheewecker sind durchaus miteinander vergleichbar: Beide haben eine weltweite Verbreitung und sind in ihrer äußeren Erscheinung geprägt von Klischees und kulturellen Konstruktionen. Beat Wyss beschreibt dies im Falle der Kuckucksuhr wie folgt: «In der Kuckucksuhr verschränken sich industrielle Mobilität mit der Sehnsucht nach einer bäuerlichen Vergangenheit, wie es sie nie gegeben hatte – ein Mythos eben, dessen Erfindung sich im historischen Dunkel verliert.»9 Die Kuckucksuhr ist zum weltweiten Synonym für die deutsche Kultur geworden. Der Moscheewecker ist zwar kein Synonym für eine bestimmte islamisch geprägte Region oder ein Land, wird jedoch allgemein mit der islamischen Kultur, auch der von Migrantinnen, in Verbindung gebracht. Eine auffällige Gemeinsamkeit ist die Tatsache, dass in beiden Fällen eine Uhr in Form eines Gebäudes gestaltet wird. Die unterschiedlichen Moscheewecker variieren das Architekturmotiv, sodass das Bild der Moschee immer wieder durch andere klischeehafte Motive einer solchen evoziert wird: Minarette, goldene Kuppeln, Spitzbogenfenster, Gebetsnischen, Halbmonde und so weiter. Die Kuckucksuhr ist in erster Linie ein Exportprodukt und wurde dem Geschmack der Käufer angepasst. «So kommt der ferne Orient zum schwäbischen Okzident, wird hier verarbeitet und kehrt in den Orient zurück.»10 Einen bemerkenswerten Kommentar zu diesem Sachverhalt der Verwobenheit der Klischeebilder von Orient und Okzident bildet das Kunstwerk Brutkasten von Via Lewandowsky: Aus einer herkömmlichen Schwarzwalduhr ertönt zu jeder vollen Stunde der Gebetsruf des Muezzin.11

8

Herbert Jüttemann: Die Schwarzwalduhr, Karlsruhe 2000, S. 219.

9

Beat Wyss: Die Wiederkehr des Neuen, Hamburg 2007, S. 184.

10 Ebd., S. 185. 11 Ebd.

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Welche ikonische Bedeutung der Moscheewecker mittlerweile angenommen hat zeigt auch seine Präsenz in den Medien. So zum Beispiel in der ARD-Reihe Tatort. Die im Jahr 2008 vom NDR produzierte Tatort-Folge «Auf der Sonnenseite» führte die Figur des verdeckten Ermittlers Cenk Batu ein. Um sich in einen türkischen Verbrecher-Clan einzuschleusen, mimt dieser einen türkischen Kleinkriminellen. Zu dieser Rolle gehört auch eine Wohnung, die von seinem Vorgesetzten im Film mit «sehr gute Lage, voll eingerichtet, sehr stilvoll» beschrieben wird und zu deren angestaubter Einrichtung im Stil der 1970er auch ein Moscheewecker gehört. Dieser ist dabei nicht nur ein stummes Requisit: Durch das Erklingen seines Weckrufes wird er auch Teil der Handlung. Auch in der ARD-Serie Türkisch für Anfänger ist ein Moscheewecker in der 2005 produzierten ersten Folge zu sehen. Diese erzählt die Geschichte einer deutsch-türkischen Patchworkfamilie: Die 16-jährige Lena muss sich darin mit ihrer streng gläubigen Stiefschwester Yagmur ein Zimmer teilen und wird am ersten Morgen durch den blechernen Ruf des Muezzin aus dem Moscheewecker unsanft geweckt. Und auch in der ARD-Serie Lindenstraße ist ein Moscheewecker 2009 in einer Episode zu sehen und zu hören. Wie diese Beispiele zeigen, hat der Moscheewecker nicht nur als Produkt eine weite Verbreitung gefunden, sondern scheint zum unverzichtbaren Requisit für die klischeehafte Darstellung der Lebensumwelt muslimischer Migrantinnen geworden zu sein. Das Klischee ist dabei gewollt und wird gezielt ironisch eingesetzt: Es ist nicht die private Wohnung des verdeckten Ermittlers mit türkischem Migrationshintergrund, die mit dem Wecker dekoriert wird, sondern die seiner angenommenen Identität, entsprechend ausstaffiert im Auftrag seines Vorgesetzten. Auch für die anderen beiden angeführten Beispiele gilt, dass sie mit dem Klischee spielen, um es zu ironisieren. Der Moscheewecker ist somit vielschichtiges Sinnbild für eine globalisierte Produktkultur. Durch das aufgezeigte Geflecht von Bedeutungen erhält dieses billige Massenprodukt aus Kunststoff eine fast ikonisch zu nennende Dimension für die Alltagskultur der Gegenwart. Damit hat es einen zentralen Platz im Museum der Dinge.

D IE S PIEGELUNG DES K LISCHEES : B LECHDOSE P ROBLEM M OSLEM G OLD Z IGARETTEN

FÜR

100

Der jüdische Unternehmer Szlama Rochmann gründete im Jahr 1889 in Berlin die Zigarettenfabrik Mahala, die 1912 in «Problem» umbenannt wurde. «Moslem» war die bekannteste Marke der Zigarettenfabrik Problem. Die Familie

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Rochmann kam ursprünglich aus Warschau. Das Unternehmen zog mehrmals an verschiedene Standorte in Berlin um, bevor es schließlich in das eigens für die Firma erbaute Gebäude in der Greifswalder Straße 212/213 einzog. Im Jahre 1914 hatte das Unternehmen etwa 110 Beschäftigte. Der Hamburger Tabakkonzern Reemtsma übernahm in zwei großen Übernahmewellen Mitte und Ende der 1920er Jahre eine große Zahl seiner Konkurrenten.12 Im Zuge dieser Übernahmen wurde 1930 die Problem-Zigarettenfabrik von der Firma Josetti gekauft, einer Tochterfirma von Reemtsma.13 Mit der Übernahme wurden die Marken der Firma Problem eingestellt.14 Die Figur des rauchenden Moslems, mit der die Zigaretten der gleichnamigen Marke der Zigarettenfabrik Problem beworben wurden, gestaltete das Werkbundmitglied Hans Rudi Erdt. Da der Markenname «Moslem» nur im Zusammenhang mit der Nennung des Firmennamens Problem bekannt ist, kann die Entstehung der Marke Moslem und der zugehörigen Werbegraphik auf das Jahr 1912 oder unmittelbar davor datiert werden. Ein Gouacheentwurf, der bis heute erhalten ist und die Figur nur mit dem Schriftzug «Moslem» zeigt, könnte schon vor 1912 entstanden sein.15 Dieser zeigt bereits die Figur mit Fes und westlicher Kleidung, jedoch auf gelbem Grund. Der Graphiker Hans Rudi Erdt (1883-1925) gehörte zu den bekanntesten deutschen Plakatgestaltern des frühen 20. Jahrhunderts, der sich jedoch nie langfristig an einen Auftraggeber band, wie es andere Gestalter taten.16 Unter den von ihm geschaffenen Entwürfen finden sich mehrere Werbeplakate für Zigaretten. Zu seinem Arbeitsspektrum gehörte dabei neben der Gestaltung von Werbeplakaten auch die von Produktverpackungen. Das von ihm entworfene Motiv des rauchenden Moslems ist eines der heute bekanntesten seiner Werke – ein Zeichen von dessen hoher Verbreitung, zumindest in Berlin. Orientalisierte Darstellungen und Markennamen waren zu dieser Zeit beliebte Mittel zur Bewerbung von Tabakerzeugnissen: «Wie die Markennamen […]

12 Stefan Rahner/Museum der Arbeit (Hg.): Werbewelten made in Hamburg. 100 Jahre Reemtsma, Hamburg 2010, S. 76. 13 Eine Sammlung der Familie Rochmann befindet sich im Archiv des Jüdischen Museums Berlin. Für die Hinweise zur Firmengeschichte sowie weitere Anregungen zum Thema danke ich den dortigen Mitarbeiterinnen Leonore Maier und Iris Blochel. 14 Stefan Rahner/Museum der Arbeit 2010, S. 92. 15 Der Gouacheentwurf befindet sich in der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin. 16 Burkhard Sülzen: L’Affiche culturelle et commerciale en Allemagne, in: Robert Frank/Laurent Gervreau/Hans Joachim Neyer (Hg.): La course au moderne. France et Allemagne dans l’Europe des annees vingt 1919-1933, Paris 1992, S. 82-87, S. 82.

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so heben auch die orientalischen Bildmotive die eskapistische Funktion des Tabakkonsums hervor. Orientalische und exotische Motive waren dazu auch in anderen visuellen Gestaltungsbereichen schon immer geeignet.»17 Evoziert das Motiv auch beim heutigen Betrachter Gedanken an ein klischeehaftes Orientbild, hält dieser erste Eindruck einer weiteren Betrachtung nicht ohne Weiteres stand. Dass die Figur mit einem Fes ausstaffiert ist, verweist unmittelbar auf das Osmanische Reich. Auch die dunkel geränderten Augen und der verhangene Blick der Figur ist dem westlichen Vorurteil eines zweifelhaften Lebenswandels in der orientalischen Welt geschuldet. Die westliche Kleidung der Figur, Frack oder Smoking, weißes Hemd mit Vatermörderkragen und schwarzer Fliege, entspricht der zeittypischen eleganten Herrenkleidung nicht nur des Westens, sondern auch zahlreicher Länder des Orients, besonders des Osmanischen Reichs. Sultan Mahmud II., der das Osmanische Reich von 1808 bis 1839 regierte, führte zahlreiche Reformen durch, zu denen auch eine Kleidungsreform gehörte. Nachdem er eine moderne Armee aufgestellt hatte, trat er selbst bei offiziellen Anlässen in einer reich verzierten Uniform nach europäischem Vorbild auf und trug dazu ein Fes.18 «Ursprünglich den Schülern der Medressen und den Hausdienern vorbehalten, wurden die Hüte zunächst einer Abteilung der Marine als neue Kopfbedeckung verordnet, wobei die Farbe der Quasten die Dienstgrade kennzeichnete.»19 Ab 1829 wurden alle Staatsbediensteten gesetzlich verpflichtet, europäische Kleidung beziehungsweise Uniform zu tragen.20 «Anfangs abgelehnt übernahm der Fes bald die Bedeutung eines patriotischen Zeichens jenseits gesellschaftlicher und kultureller Schranken. Mit der textilen Metapher gab man sich dem Staat gegenüber als loyal zu erkennen.»21 Da Kemal Atatürk den Fes ablehnte, wurde sein Tragen ab 1925 verboten. Dies galt auch für andere Kleidungsstücke, wie Kaftan, Pluderhose und Turban; sie wurden als klerikale Kleidung eingestuft

17 Christoph Bignens: Entdecken beim Einkaufen… Genussmittel, in: Ders./Lotte Schilder Bär (Hg.): Hüllen füllen. Verpackungsdesign zwischen Bedarf und Verführung, Sulgen 1994, S. 44-65, S. 55. 18 Andreas Seim: Der französische Chic hält Einzug in den Orient, in: Harald Siebenmorgen/Schoole Mostafawy (Hg.): Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute, Ausstellungskatalog Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Stuttgart 2010, S. 130-144, S. 132. 19 Ebd., S. 133. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 134.

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und standen somit der zunehmenden Säkularisierung des öffentlichen Lebens entgegen.22 Die Figur des rauchenden Moslems, gekleidet in einer Kombination aus westlicher Mode und Fes, ist also nicht im eigentlichen Sinne das Klischeebild eines Orientalen, sondern die durchaus realistische Darstellung der äußeren Erscheinung eines Angehörigen der gehobenen Mittel- oder Oberschicht des Osmanischen Reiches. Das Motiv deutet damit auch auf die Herkunft des durch die Zigarettenmanufaktur Problem verarbeiteten Tabaks aus dem Osmanischen Reich hin. Es handelt sich aber nicht um eine künstliche Klischeefigur wie den Sarotti-Mohr. Die Figur des rauchenden Moslems ist trotzdem ein Stereotyp, der durch den wechselseitigen Blick zwischen Orient und Okzident im 19. Jahrhundert erst geprägt wurde. Die zunehmende Europäisierung des Orients schlug sich dabei in vielfältiger Weise nieder. Eines der offensichtlichsten Merkmale ist das Tragen westlicher Kleidung, politisch gewollt durch Machthaber, die sich mit dem Westen auf Augenhöhe präsentieren wollten.23 Wenn nicht durch eigene Reisen, präsentierte sich der Orient der an einer vermeintlich exotischen Welt interessierten Europäerin in populären Fotografien. Häufig durch europäische Fotografen hergestellt, waren diese stark inszeniert: Sie arbeiteten mit Requisiten, die das westliche Klischee des Orients bedienten. «Orientalismus, und allgemeiner Exotismus und Primitivismus, in ihren verschiedenen Spielarten dominieren eindeutig den Blick durch die Linse in dieser Zeit.»24 Daneben entstehen aber auch Bilder, die – wenn auch in ebenfalls inszenierter Weise – ein lebensnahes Bild des Orients vermitteln. Der «Orientale» erscheint nicht in Pluderhose und Turban, sondern in westlicher Kleidung. Er reitet nicht auf einem Kamel, sondern fährt Auto. Auch diese Bilder bereichern das westliche Klischee des Orients und vermischen sich wieder mit anderen. «Die ‹Europäisierung› der osmanischen (wie auch der persischen) Kultur im ausgehenden 19. Jahrhundert war ihrerseits wieder ein Faszinosum des Orients für europäische Reisende.»25 Die Entstehung der von Erdt geschaffenen Figur des rauchenden Moslems ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Dass er seine Figur nicht mit Kaftan oder Tur-

22 Ebd., S. 143. 23 Ebd. 24 Jakob Möller: Jenseits der Klischees? Gedanken zu einer Typologie der Verweigerung, in: Harald Siebenmorgen/Schoole Mostafawy (Hg.): Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute, Ausstellungskatalog Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Stuttgart 2010, S. 56-63, S. 56. 25 Siebenmorgen 2010, S. 21 f.

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ban zeigt, sondern als modernen Dandy – auch dieser ein Klischee und Stereotyp – entspricht dem Produkt, für das die Figur werben soll. Damit bedient Erdt zwei beliebte Werbemotive der Zigarettenindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Zum einen Exotik und Weltläufigkeit, zum anderen die Vermittlung der Zugehörigkeit zu einer elitären Klasse von Dandys und Bohemiens, die mit dem Kauf einer bestimmten Zigarettenmarke verbunden wurde. Auch andere Gestalter entwarfen Plakate für die Marke Problem Moslem, wandelten das Motiv aber ab, indem sie die Figur mit einem Turban anstatt eines Fes ausstaffierten oder das Gesicht reduzierten auf umschattete Augen, Fes und Mund mit Zigarette, wie es Carlo Egler in einem 1915 entstandenen Plakat tat. Bei der Auswahl des Objektes für das Kooperationsprojekt «NeuZugänge» spielte der Produktname «Problem Moslem» eine entscheidende Rolle. Diese Wortkombination führt bei Leserinnen heute, da die Debatten um Fragen der Migration allgegenwärtig sind, zu Implikationen, die es zur Entstehungszeit der Zigarettendose sicher nicht gab. Warum die Familie Rochmann ihre Firma von «Mahala» in «Problem» umbenannte, ist unklar. Es ist jedoch anzunehmen, dass das Wort «Problem» zu Beginn des 20. Jahrhunderts weniger stark gebräuchlich war als heute und eher ein philosophisches Rätsel evozierte. Die Bedeutung der Zigarettendose für die Geschichte des Verpackungsdesigns stand für das Werkbundarchiv – Museum der Dinge bisher im Vordergrund. Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass das Objekt einen ganzen Horizont von Themen eröffnet. So etwa die wechselseitigen Einflüsse von Orient und Okzident, aber auch die Geschichte jüdischer Unternehmer in Berlin. Die Ausstellung «NeuZugänge» war der konkrete Anlass diese Themen zu verfolgen und Informationen zusammen zu tragen, die eine differenzierte Betrachtung des Objektes möglich machen.

S CHLUSSBEMERKUNG Aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst, eingebracht in eine museale Sammlung und damit ihres einstigen Gebrauchswertes beraubt, sind beide Objekte heute Zeugnisse der Produktkultur ihrer Entstehungszeit sowie ihrer Verwendungsdauer. Weil beide Produkte zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, unterscheiden sich auch die Anknüpfungspunkte für ihre Betrachtung. Der Moscheewecker ist seit einigen Jahren Teil der noch immer gegenwärtigen Produktkultur. In den Fokusgruppen hat sich gezeigt, dass die Teilnehmerinnen sich diesem Objekt leicht nähern konnten, weil er Teil ihrer Gegenwart ist, und sich damit eigene Erfahrungen im Umgang mit einem solchen Objekt verbinden ließen.

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Dagegen evozierte die Zigarettendose eher den kulturellen Kontext ihrer Entstehungszeit. Eine Teilnehmerin stellte sich vor, es würde sich um eine Blechdose des Großvaters handeln, in der er sein Kleingeld aufbewahrte. Das Alter des Objektes führte also zu einem eher nostalgischen Blick. Der Entstehungskontext ist bei der bloßen Betrachtung nicht mehr zu erfassen, da dieses Produkt und sein alltäglicher Gebrauch nicht mehr der gegenwärtigen Lebensumgebung entsprechen. Durch die Überlagerung der verschiedenen Informationsschichten und den Einbezug unterschiedlicher Wissensquellen konnte eine Beschreibung der beiden Objekte entstehen, die den ursprünglichen musealen Wissensbestand stark erweitert hat: Neue Impulse führten also die Forschung im Bestand zu aufschlussreichen Resultaten.

Sammlungen erzählen Geschichte(n) im Stadtmuseum Berlin P ETER S CHWIRKMANN , M ARTINA W EINLAND

Geschichte kann man nicht ausstellen! Oder? Zeugnisse heutiger Generationen in und um Berlin und die ihrer Vorfahren sehr wohl: Mit ihnen lassen sich lokale Ereignisse, persönliche Erfahrungen und Erlebnisse vielfältig illustrieren; sie regen an zum Reflektieren und Interpretieren – häufig erzählen die Objekte aber einfach nur ihre eigene Geschichte. Oftmals gelangen solche «stummen» Geschichtenerzähler in die Sammlungen des Stadtmuseums. Die in Kooperation mit vier anderen Einrichtungen in Berlin erarbeitete Ausstellung «NeuZugänge. Migrationsgeschichte(n) in Berliner Sammlungen» regte die beteiligten Institutionen dazu an, in ihren eigenen Sammlungen zu recherchieren und über sie zu reflektieren. Neue Denkanstöße und Impulse gingen aus dieser gemeinsamen Projektphase hervor. Da jede Sammlung aber ihren eigenen «Anfang» hat, der wiederum eine eigene Geschichte ist, wird diese hier für das Stadtmuseum skizzenhaft dargestellt.

V OM ANFANG : Z UR G ESCHICHTE DES S TADTMUSEUMS

DER

S AMMLUNG

Ihren Ursprung hat die Sammlung des Stadtmuseums in einer Zeit, in der weniger planmäßig als vielmehr enzyklopädisch gesammelt wurde. Gegenstände unterschiedlichen Charakters vom Alltäglichen bis hin zu singulären Kunstwerken dokumentieren so Epochen und lassen in ihrer zeitlichen Parallelität gesellschaftliche Phänomene aufscheinen. Ein schmales goldenes Armband in der Modesammlung entpuppt sich als letzte Handarbeit der Königin Luise, im Jahr 1810

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nur wenige Tage vor deren Tod in Hohenzieritz geflochten und später von ihrer Zofe dem Museum anvertraut, zur Erinnerung an die beliebte Königin. Das Stadtmuseum Berlin sammelt und bewahrt seit dem 19. Jahrhundert solche Zeugnisse. Begonnen wurde damit 1874, im Gründungsjahr des Märkischen Museums. Damals standen Fundstücke aus prähistorischer Zeit im Mittelpunkt der Sammlung, aus Zünften und Gewerken, wie der Rechtspflege, der Fischerei und der Landwirtschaft, aus Naturkunde und Volkskunde sowie zur Geschichte Berlins und der Mark. Mittelalterliche Skulpturen aus Kirchen sowie Münzen, Medaillen, Bilder, Karten, Pläne und Urkunden der Stadt waren auch dabei. Auch bauliche Überreste abgebrochener Wohn- und Geschäftshäuser und öffentlicher Gebäude fanden Eingang in die Sammlung, befand sich Berlin doch seit der Reichsgründung 1871 im ständigen Umbruch – in einem Aufbau nämlich, dem stetig der Abriss vorausging. Diesen Umbruch hielten Fotografen im Auftrag des Museums mit dem damals neuen Medium fest und legten damit den Grundstein für die Fotografische Sammlung. Die steinernen Zeugen hingegen wurden als Erinnerungsstücke an ein untergegangenes «altes» Berlin 1908 im Märkischen Museum eingebaut. Die ersten, frühen Sammlungen waren unterteilt in die Rubriken «Naturgeschichtliche Abteilung A I bis III» und «Kulturgeschichtliche Abteilung B II bis XVII». In fast allen Bereichen handelte es sich um Schenkungen von Privatpersonen oder Zuweisungen des Magistrats, der das Museum als «Gedächtnis der Stadt» verstand. Offensichtlich hatten die Berliner nur darauf gewartet, endlich einen Ort zu bekommen, dem sie ihre persönlichen Erinnerungsstücke anvertrauen konnten. Heute sind es gerade diese Objekte, die Stadtgeschichte am anschaulichsten erzählen, weil sie über die Biografien der Schenker Einblicke in die historischen Berliner Lebenswelten erlauben. Im Jahr 1890 unternahm das Märkische Museum erstmalig den Versuch, einen Bestandskatalog seiner seit 1874 zusammengetragenen Objekte vorzulegen. Im Vorwort wird auf die Schwierigkeit hingewiesen, angesichts der Vielzahl der Objekte, ein umfassendes erläuterndes Verzeichnis vorzulegen. Dabei zählte der Gesamtbestand der Sammlung damals «nur» 64.000 Einzelstücke. Heute wird der Bestand des Stadtmuseums auf 4,5 Millionen Objekte geschätzt. Er reicht vom ersten Objekt, das am 1. Oktober 1874 im Inventar B II eingetragen wurde, («Lanzenspitze, Bronze, 170 mm, Gewicht 110 g, Geschenk des Oberförsters Reiche zu Forsthaus Köpenick jetzt in Berlin») bis hin zu einem der jüngsten Objektzugänge, dem Grundstein des alten Berliner Rathauses. Die Sammlungen des Märkischen Museums wuchsen aber nicht nur quantitativ, sondern sie verzweigten sich vielfach im Laufe der Museumsgeschichte. Dabei wurde auch auf gesellschaftliche Neuheiten reagiert. Ein Beispiel ist die

SAMMLUNGEN ERZÄHLEN GESCHICHTE(N) IM STADTMUSEUM BERLIN

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Sammlung von Ansichtspostkarten. Gründungsdirektor Ernst Friedel bemerkte 1897: «Postkarten mit Ansicht. Eine neue Liebhaberei, welche sich zu einem wissenschaftlichen System (ähnlich wie bei den Postwertzeichen) seit einem Jahr zu entwickeln bestrebt ist. Für uns kommen hauptsächlich solche Postkarten mit Ansicht in Frage, welche berlinische und brandenburgische Objekte darstellen, in zweiter Reihe solche, welche hier für das Ausland in Berliner Kunstwerkstätten angefertigt wurden.» Nur zwei Jahre später zählte die Sammlung bereits 3.000 Postkarten, die dem Museum größtenteils geschenkt worden waren. Auch durch die Übernahme privater Sammlungen erweiterte das Museum seine Bestände thematisch wie zahlenmäßig, zum Beispiel um die Sammlung zur Zirkusgeschichte. Im Zuge der Neuordnung der Berliner Museumslandschaft nach der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften im Jahr 1990 wurde 1995 die Stiftung Stadtmuseum Berlin – Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins gegründet. Unter ihrem Dach wurden 23 Einrichtungen vereint, die nicht nur die Stadtgeschichte als Ganzes, sondern auch deren Einzelaspekte, wie zum Beispiel die Geschichte des Sports, der Schule oder der Landwirtschaft, in Sammlungen und Ausstellungen repräsentierten. Zur inhaltlichen und örtlichen Konzentration des Stadtmuseums auf die Geschichtsvermittlung Berlins in Mitte erfolgten seit 2008 Abgaben einzelner Museen an andere Träger. Bei der Gründung der Stiftung Stadtmuseum Berlin im Jahr 1995 war das Berlin Museum der Sammlungsstruktur des Märkischen Museums am ähnlichsten. Es war im Jahr 1962 von West-Berliner Bürgerinnen gegründet worden, nachdem das Märkische Museum seit dem Mauerbau 1961 praktisch nicht mehr erreichbar war. In erstaunlich kurzer Zeit gelang es dem Museumsverein nicht nur einen ehrenamtlichen Mitarbeiterstab zu bilden und temporäre Ausstellungsräume zu organisieren, sondern auch eine beachtliche Kunstsammlung anzulegen. Ein großer Erfolg für das junge Museum war der Einzug in ein eigenes Haus in der Lindenstraße am 21. Juni 1969. Das ehemalige Königliche Kammergericht in Kreuzberg bot mit seinem barocken Gebäude die dringend benötigte Ausstellungsfläche. Im Jahr 1971 übergab der Verein «sein» Museum dem Land Berlin. Wichtig für das bei Null gestartete Berlin Museum war es, Mäzene zu gewinnen, zu denen bekannte Berliner Firmen wie Meyer-Beck und Persönlichkeiten wie der Verleger Axel C. Springer zählten. Viele Sachspenden waren willkommene Ergänzungen der noch lückenhaften Sammlung. Diese konzentrierte sich anfänglich auf Berlin-Ansichten: auf Porzellanen, Grafiken und Gemälden. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf Porträts Berliner Persönlichkeiten. Themenbezogen wurden Patenschaften vergeben, um neue Sammlungen aufzubauen. So entstand beispielsweise mit Unterstützung des Zigarettenherstellers

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Reemtsma eine ansehnliche Kollektion an Rauch- und Tabakutensilien, einschließlich Gemälden, Tabatieren und Pfeifen. Ähnlich verhielt es sich mit der Theatersammlung, für die 1974 mit Schauspieler-Porträts aus dem Schiller-Theater der Grundstock gelegt wurde. Heute zählt die Theatersammlung – vereint mit den umfangreichen Beständen des Märkischen Museums – zu den Schwergewichten im Stadtmuseum. Allein hier versammeln sich rund 700.000 Objekte verschiedenster Gattungen – von Programmzetteln über Kostüme bis hin zum Bühnenbild. Der Zusammenschluss im Jahr 1995 brachte erfreuliche Ergänzungen und nur wenige Doppelungen in den Sammlungen. Allerdings schied die umfangreiche Sammlung an Judaica wenig später aus dem Verbund aus: Aus ihr ging 1999 das Jüdische Museum hervor. Judaica bilden heute innerhalb des Stadtmuseums keine eigene Sammlung, sondern sind Teil anderer Sammlungen. Nicht nur der Umfang der Sammlungen ist über die Jahre gewachsen, auch die ursprüngliche Sammlungsidee hat sich bis heute weiterentwickelt. Immer wieder gilt es neue Aspekte der Stadtgeschichte zu berücksichtigen und dazu Objekte zu sammeln – so auch zu Themen wie Migration, Arbeitswelt, Architektur oder (Großstadt-)Lebenswelten. Doch nicht jedes dieser Themen begründet notwendigerweise eine eigene Sammlung. Vielmehr erscheint es sinnvoll, vorhandene Objekte neu zu kontextualisieren und im Diskurs heutiger Aktualitäten neue Fragen an die Geschichte zu stellen. Gepaart mit biografischen Notizen zum Objekt «verlebendigt» dies Geschichte, rührt an und interessiert die Besucherinnen.

D IE S AMMLUNG HEUTE : S PAZIERGÄNGE ERZÄHLEN – AUCH VON M IGRATION

IM

M USEUM

Neben seinen Sonderausstellungen bietet die Stiftung Stadtmuseum im Märkischen Museum eine Dauerausstellung zur Geschichte Berlins von 1237 bis zur Gegenwart an. Da die räumliche Situation eine chronologische Präsentation ausschließt – zu unterschiedlich sind die Räume in Größe und Grundausstattung – wurde der Stadtspaziergang als Prinzip der Ausstellung gewählt. Aus der Gegenwart bekannte, scheinbar vertraute Straßen, Plätze und Quartiere sind Ausgangspunkt stadthistorischer Erkundungen und Zeitreisen. Vergangenes schimmert auf mit Spolien und in Relikten aus dem Kultus einst fremder, aus der Ferne zugezogener Kulturen. Das Thema Migration schwingt, ohne eine eigene, separierte Ausstellungseinheit zu sein, im Integrativen und als wichtiges Element der Berliner Stadtgeschichte mit. Im Themenraum «Oranienburger Straße» wird

SAMMLUNGEN ERZÄHLEN GESCHICHTE(N) IM STADTMUSEUM BERLIN

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beispielsweise ein Chanukka-Leuchter präsentiert. Dieses Objekt steht für mehrere Geschichten: 1714 konnte die erste jüdische Gemeindesynagoge in der Heidereutergasse eröffnet werden – gut 40 Jahre nachdem die ersten 50 jüdischen Familien die Zuzugserlaubnis (1671) für Berlin erhalten hatten und ihnen endlich der Bau eines eigenen Gotteshauses gestattet wurde (bis dahin hatten sie nur Privatsynagogen betreiben dürfen). Die Synagoge in der Heidereutergasse bot Platz für rund 700 Gläubige. Mitte des 19. Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde so mitgliederstark, dass der Bau der Neuen Synagoge (1866) in der Oranienburger Straße erfolgte. Der Kaufmann Benjamin Liebermann schenkte daraufhin im Juni 1877 den Chanukka-Leuchter, der vermutlich aus der Heidereutergasse stammt, dem gerade gegründeten Märkischen Museum (1874). Der Leuchter ist ein besonderes Zeugnis in verschiedener Hinsicht: Zum einen, weil er den Kultus der jüdischen Gemeinde dokumentiert; zum anderen, weil die Schenkung selbst auch das Bedürfnis ausdrückt, als «kultureller» Beleg in die Sammlung und damit im «Gedächtnis der Stadt» aufgenommen zu werden – aus dem Selbstverständnis heraus, Teil des Ganzen zu sein. Im Raum «Unter den Linden» werden ein Weihwassergefäß und ein Aspergil präsentiert (zum Versprengen des Weihwassers während der Zeremonie). Beide Objekte stammen aus der ersten katholischen Kirche Berlins, der St. Hedwigs Kathedrale. In Preußen und Berlin, die sich zum reformierten (evangelischen) Glauben bekannten, zählten Katholikinnen zu den Außenseitern. Schon in der Schule ausgegrenzt, hatten sie im Berufsleben mit Schikanen zu rechnen und wurden vielfach diskriminiert. Beide Objekte aus dem frühen 19. Jahrhundert und von der Hand des bekannten Berliner Silberschmieds Carl Vogel bezeugen, dass die Gemeinde, trotz staatlicher Diskriminierung, mit Stolz an ihrer «missliebigen» Konfession festhielt, indem sie sich kostbare liturgische Gerätschaften leistete. Auch bei einem Gang durch das Depot der Dokumentensammlung lassen sich Beispiele zur Geschichte der Migration finden, zum Beispiel mit der Grundsteinkassette der hugenottischen Familie Michaut. Diese, vor der Verfolgung durch die Protestanten aus Frankreich geflohene Familie, fand in Berlin Asyl. Als Zinngießermeister erhielt eines ihrer Mitglieder, Jeremie Michaut, den Auftrag, den Sarkophag für den im Jahr 1786 verstorbenen König Friedrich II anzufertigen. Es sollte dann noch fast vier Jahrzehnte und bis zur dritten Generation dauern, ehe die Nachfahren Michauts so viel Vertrauen in ihre neue Heimat setzten, dass sie sich an der Schleusenbrücke ihr erstes, eigenes Haus bauten. Aus diesem stammt die Grundsteinkassette, die eindringlich vom Weggehen, Ankommen und dauerhaftem Bleiben erzählt.

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Die Beispiele zeigen, dass die Sammlungen des Stadtmuseums auch die Geschichte und Kultur von Minderheiten widerspiegeln: Dies konnte während des Gemeinschaftsprojektes «NeuZugänge» punktuell ausgearbeitet werden. Sie zeigen aber auch, dass Objekte nicht deswegen Eingang in die Sammlungen fanden – auch wenn dieser Aspekt uns heute interessant erscheint. Oft dienten Sammlerinnen und Schenkern die Artefakte primär als Ausweis kultureller (Höchst)Leistung und Bedeutung. Oder sie waren für die Nachfahren Belege einer erinnerungswürdigen Lebensleistung oder Familiengeschichte, wie im Falle persönlicher Nachlässe. Gerade weil Objekte verschiedenen historischen Kontexten zugeordnet werden können, weil sie mehrdimensional sind, kommt es darauf an, die vorhandenen Sammlungen neu zu befragen und Bekanntes neu zu sehen.

V ERMITTLUNG UND B ILDUNGSAUFTRAG

DER

S AMMLUNG

«Welche Zeugnisse, Dinge oder Begriffe sind in Berlin eigentlich gar nicht heimisch?» Diese Fragestellung, die sich ebenfalls um das Thema Migration dreht, beschäftigte die Mitarbeiterinnen des Stadtmuseums bereits während eines Schulprojektes, dessen Ergebnisse im Jahr 2011 mit einer Ausstellung und Publikation veröffentlicht wurden: Die Schüler der Klasse 8b des Gabriele-vonBülow-Gymnasiums in Berlin-Tegel hatten sich hierfür im Märkischen Museum auf die Suche begeben und Objekte recherchiert, deren Geschichte und Herkunft auf Migration verweisen. Aus der ständigen Ausstellung des Märkischen Museums wählten die Schülerinnen 26 Objekte aus, an denen sich fremde Einflüsse nachweisen lassen: Es sollte ein ABC der Vielfalt werden, zu jedem Buchstaben des Alphabets suchten sie ein Objekt. Die Mädchen und Jungen konnten dabei frei entscheiden. Manchmal suchten sie eher zufällig aus: «Diese Vase fanden wir schön»; manchmal gezielt: «Ich segele selber und wähle daher die Yacht des Großen Kurfürsten». So fanden sie für 26 Buchstaben je ein Objekt, zu dem sie forschten und dessen Geschichte sie recherchierten. Das Museum unterstützte und begleitete den mehr als halbjährigen Verständnis- und Aneignungsprozess mit Vorträgen und Anregungen. So konnten die Jugendlichen ihre Eindrücke strukturieren, reduzieren und in Mind-Maps verdichten. Parallel gestalteten sie unter künstlerischer Anleitung das ABC der Vielfalt für das Begleitbuch: Von A wie arabische Schriftzeichen (entdeckt auf dem Gewand der Spandauer Madonna aus dem 14. Jahrhundert), über D wie Drehorgel (Paradestück der italienisch-berlinischen Instrumentenbauerfamilie Bacigalupo), bis Z wie Ziborium (Kultusgefäß aus der Marienkirche zu Woldenberg, 15. Jahrhundert). Dieses Projekt führte die Schü-

SAMMLUNGEN ERZÄHLEN GESCHICHTE(N) IM STADTMUSEUM BERLIN

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lerinnen heran an historische Zeugnisse ihrer Stadt, weckte ihr Interesse und brachte ihnen die Bedeutung des Sammelns und Bewahrens im Museum nahe. Das dabei entstandene Buch hilft jungen Besuchern, die vielschichtigen Einflüsse wahrzunehmen, die Berlin in der Vergangenheit und Gegenwart prägen. Das Stadtmuseum initiiert auch weitere Projekte, die den Paradigmenwechsel in der gegenwärtigen «Migrationsdebatte» unterstützen und die Bereicherung der Stadt durch Migration bewusst machen – sowohl in der Vergangenheit als auch im heutigen Lebensumfeld. Wichtig erscheint es aber auch, dass wir neben der Neubefragung des Vorhandenen mit dem Sammeln den Anschluss an heutige gesellschaftliche Lebenswelten finden. Das Stadtmuseum will ein Ort sein, an dem sich alle Berliner begegnen: Als solcher kann es sich in einer kulturell breit aufgefächerten Stadtgesellschaft nicht auf traditionellen Bürgerinnensinn und Stifterwillen allein verlassen. Stattdessen muss es von sich aus auf die verschiedenen «communities» Berlins zugehen, um sie für das nun bald 140 Jahre alte Projekt Bürgerinnenmuseum zu interessieren. Das Kooperationsprojekt «NeuZugänge» war für das Stadtmuseum Berlin willkommener Anlass, sich unter einem speziellen Aspekt mit seinen Sammlungen, ihrer Vielschichtigkeit und den Optionen, die sie bieten, auseinanderzusetzen. Auch bot das Thema Migration die Chance, Sammlungslücken zu entdecken und zu schließen. Wir würden uns sehr freuen, neue Objekte für die Sammlung des Stadtmuseums zu erhalten, die aus diesem Gemeinschaftsprojekt hervorgehen.

Katalogteil

Ausstellungstexte zu den Objekten der beteiligten Museen mit Kommentaren der Fokusgruppen B EZIRKSMUSEUM F RIEDRICHSHAIN -K REUZBERG

Abb. 1: Murattidose

Zigarettendose der Firma Muratti, vermutlich Berlin, Anfang des 20. Jh., Eisen, eloxiert, verzinnt, lackiert Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin

Von griechischen Unternehmern und türkischen Tabakdrehern Im Jahr 1906 eröffnete die Zigarettenfirma B. Muratti Sons & Co. Limited mit Stammsitz in Konstantinopel eine Zweigniederlassung in der Köpenicker Straße 126 in Berlin-Kreuzberg. Die Firma Muratti verarbeitete Tabak aus dem Osmanischen Reich.

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Die sogenannte Orient-Cigarette war damals in Europa sehr beliebt. Die Muratti galt in den 1920er Jahren als «der Star unter den Zigaretten». Die Zigarettendose der Muratti Ariston war ein Statussymbol; die flachen Blechdosen waren auch unter Sammlern sehr begehrt. Wir wissen nicht viel über die Besitzer der Firma Muratti: Es waren griechische Einwanderer, die vorher vermutlich in Manchester gelebt hatten. Es ist aber nicht bekannt, wo die Familie in Berlin wohnte, wie sie sich in der fremden Stadt einlebte und was aus der Familie und ihren Nachkommen geworden ist. Wir fragen uns außerdem, wer in der Firma beschäftigt war. Ende des 19. Jahrhunderts arbeiteten Tausende von Tabakdrehern aus dem Osmanischen Reich in der Berliner Zigarettenindustrie. Sie drehten die Zigaretten an langen Tischen in mühseliger Handarbeit. Die Firma Muratti ließ zwar vermutlich ihre Zigaretten maschinell herstellen. Dennoch könnten auch hier Arbeitsmigranten aus dem Gebiet der heutigen Türkei tätig gewesen sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg büßte die Orient-Cigarette an Beliebtheit ein, denn nun standen amerikanische Marken hoch im Kurs. Fortan produzierte die Kreuzberger Fabrik die Marke Lux Filter. 1975 wurde das Kreuzberger Werk schließlich stillgelegt. Kommentare der Fokusgruppen «Wie war das eigentlich vor 100 Jahren? Was hatte die Familie Muratti für eine Stellung hier in Berlin? War Migration damals leichter oder schwerer als heute? » (Teilnehmerin der Fokusgruppe) «Ariston ist griechisch und heißt auf Deutsch ‹ausgezeichnet›. Mein erster Gedanke war: Gut, dann nehmen wir jetzt mal ein Wort aus der Antike, damit man das besser verkaufen kann. Das machen wir heute auch mit Produkten, z.B. Omega und Olympus.» (Teilnehmer der Fokusgruppe) «Ich hab das Etui mit meiner Kindheit assoziiert, mit den alten Männern, die im Café sitzen, rauchen und aus ihrer Vergangenheit erzählen. Das hat was mit der Kultur zu tun, mit einem Alltagsritual. Wenn ich gut gegessen habe, dann hol ich mein Etui raus, zeige es der Öffentlichkeit und zünde mir dann eine Zigarette an.» (Teilnehmer der Fokusgruppe) «Die Schachtel an sich ist ja schlicht, man sieht zwei rechtwinklige Dreiecke. Warum sind die da? Weil da eine Diagonale durchgeht. Was hat man also gleich im Kopf? Den Satz des Pythagoras.» (Teilnehmer der Fokusgruppe)

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Abb. 2: Foto «Bu evlerde dama insan oturmaktadir»

«Bu evlerde dama insan oturmaktadir» («Hier wohnen immer noch Menschen» ), Fotograf unbekannt, Berlin (West), um 1970 Fotopapier, Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin

Schlechter Wohnen in Kreuzberg Auf der Fassade eines stark heruntergekommenen Hauses ist in türkischer Sprache zu lesen: «Hier wohnen immer noch Menschen». In den 1960er und 1970er Jahren prägten Häuser in baulich schlechtem Zustand, mangelhaft gedämmt, ohne Zentralheizung und Warmwasser, die Altbauquartiere vor allem in Berlin-Kreuzberg, Wedding und Schöneberg. Diese Häuser sollten nach den Plänen des West-Berliner Senats abgerissen werden, um Neubauten zu errichten. Die meisten der ansässigen Mieter verließen daher die Altbauquartiere und zogen in Neubausiedlungen der Berliner Außenbezirke. Bis zum geplanten Abriss vermieteten die Hauseigentümer die Wohnungen nun befristet und meist überteuert an sogenannte Gastarbeiter, an Studierende und linksalternative Lebenskünstler. Seit 1955 hatte die Bundesrepublik Deutschland mit Italien, der Türkei und weiteren Ländern Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen. Die ausländischen Arbeitskräfte sollten jedoch nur zeitlich befristet in Deutschland arbeiten und anschließend wieder in ihre Heimat zurückkehren. Zunächst waren die Zuwanderer in Wohnheimen der Betriebe untergebracht. Die Heime befanden sich oft auf dem Werksgelände und wurden bewacht. Die Bewohner lebten hier sehr beengt und durften keinen Besuch empfangen.

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Als sich abzeichnete, dass viele der Arbeitsmigranten längerfristig in Deutschland bleiben wollten, suchten sie sich eigene Wohnungen. Allerdings war dies nicht einfach: Die Hauseigentümer begegneten ihnen mit Vorurteilen und Abwehr und vermieteten bessere Wohnungen nur an deutsche Mieter. In WestBerlin hatten die Migranten daher kaum eine andere Wahl, als die baufälligen und überteuerten Altbauwohnungen in den zum Abriss vorgesehen Quartieren anzumieten. In den 1970er und 1980er Jahren verhinderten Bürgerproteste und Hausbesetzungen von Einheimischen und Zugewanderten schließlich die vollständige Umsetzung der geplanten «Kahlschlagsanierung». Kommentare der Fokusgruppen «Beängstigend! Gefährlich, aber auch ein Hauch von Zusammenhalt der Bevölkerung gegen diese Grausamkeit.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe) «Das Foto erinnert mich an den Zweiten Weltkrieg.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe) «Ist das in Ost-Berlin?» (Teilnehmer einer Fokusgruppe)

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M USEUM FÜR I SLAMISCHE K UNST

Abb. 3: Koranblatt

Koranblatt Iran, 16. Jh. (zur Zeit der Safawidenherrscher, vermutlich entweder unter Schah Tahmasp (1524-1576) oder unter Schah Abbas I. (1587-1629) poliertes Papier, Tinte, Goldtinte und Deckfarben Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst

Ein Koranblatt aus Persien kommt über Istanbul nach Berlin Der in arabischer Sprache und Schrift überlieferte Koran ist das heilige Buch der Muslime. Korane gehören zu den wichtigsten Objekten islamischer Kunst. An den reich verzierten Exemplaren kann man Schriftarten und ornamentale Verzierungen studieren.

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Kalligrafie, die Kunst des schönen Schreibens, genießt in der islamischen Welt höchste Anerkennung. Im Museum für Islamische Kunst werden deshalb auch einzelne Koranseiten sowie andere Manuskripte und Einzelblätter gesammelt. Die ersten beiden Seiten eines Korans werden oft besonders ausgeschmückt. Auch die Überschriften der einzelnen Kapitel (Suren) werden hervorgehoben, hier durch ein reich verziertes Querfeld, in dem die Surenüberschrift weiß erscheint. Bei kostbaren Exemplaren haben die einzelnen Seiten zusätzlichen Schmuck, wie hier die seitlichen Medaillons, und die einzelnen Verse sind durch besondere Ornamente voneinander geteilt (hier durch goldene Rosetten im Schriftfeld). Auf dieser Seite sind Teile der 81. und 82. Sure wiedergegeben, die in kraftvollen Worten auf die Wahrheit der Botschaft des Propheten Muhammad weisen. Die Werkstätten für aufwändig verzierte Korane konzentrierten sich in den großen Städten der islamischen Welt. Vielfach gehörten sie zu den Hofwerkstätten. Der große Koran, aus dem dieses Blatt stammt, ist vermutlich im Iran, dem damaligen Persien, gefertigt worden – wahrscheinlich in Schiraz, einem Zentrum der Buchkunst im 16. Jahrhundert, zur Zeit der Safawidenherrscher. Dieser Koran wurde 1896 von dem Berliner Gelehrten Friedrich Sarre im Istanbuler Kunsthandel erworben. Er soll aus einer Moschee in Istanbul stammen. Fraglich ist, wie er dorthin gelangte: vielleicht als Geschenk oder als Kriegsbeute aus einem der zahlreichen Kriege zwischen dem Iran und dem Osmanisches Reich. Sarre behielt diesen Koran in seiner Privatsammlung. Erst 1968 konnte er aus dem Nachlass für das Museum erworben werden. Im Zuge einer Restaurierung wurde der Koran in den 1980er Jahren in seine Einzelblätter zerlegt. Kommentare der Fokusgruppen «Warum haben die Museumsleute das Koranblatt als Symbol für den Orient ausgewählt? Viele denken: Aha! Koran, Orient, fertig. Der Islam ist aber nicht auf den Orient begrenzt. Zum einen gibt es viele ‹echte› Deutsche, die Muslime sind. Zum anderen könnte man auch die Bibel oder das Alte Testament auswählen, wenn man den Orient beschreiben wollte.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Wenn man die Migranten besser kennenlernen will, dann sollte man auch deren Religion kennen. Ich finde, dass man hier sehr wenig über den Islam weiß. Daher kommen viele Missverständnisse. Das Koranblatt erinnert mich an meine Heimat, meine Großeltern.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe)

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«Ein Muslim darf kein Wesen malen. Deshalb werden Kalligraphien oder Ornamente angefertigt. Das ist reine Mathematik. Damals war die Mathematik schon hoch entwickelt und man wollte sie in Bilder umsetzen.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe)

Abb. 4: Wasserschale

Wasserschale, Iran, 14. Jh. (zur Zeit der Mongolenherrscher, Nachfahren von Dschingis Chan), Bronze mit weitgehend verschwundenen Silbereinlagen; getrieben, graviert, tauschiert Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst

Sarre sammelt Schalen Schalen dieser Form gehören zur traditionellen Badekultur in islamisch geprägten Ländern. Sie dienen zum Übergießen mit Wasser nach dem Einseifen. Luxuriöse, reich verzierte Schalen wie diese wurden vom 13. bis ins 15. Jahrhundert für wohlhabende und höfische Auftraggeber in vielen Städten, von Buchara bis Casablanca, hergestellt. Zur Verzierung gehören schön geschriebene Inschriften. Hier loben sie einen ungenannten Sultan. An dem Stil des Dekors kann man die persische Herkunft der Schale erkennen. Solche wertvollen Behältnisse waren auch Erbstücke. In diese Schale haben zwei Besitzer ihre Namen eingravieren lassen. Die Schale gelangte zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Ägypten – durch wen, wissen wir nicht. Vielleicht hat sie ein Reisender mitgenommen, vielleicht ist der Besitzer nach Ägypten gezogen oder sie gehörte zur Aussteuer einer Braut, die nach Ägypten verheiratet wurde. Vielleicht war sie aber auch Kriegsbeute oder ein Handelsgut. 1897 stand die Schale im Antiquitätenhandel in Kairo zum Verkauf. Dort erwarb sie der Berliner Gelehrte Friedrich Sarre für seine Sammlung islamischer

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Kunst. Sarre leitete später das heutige Museum für Islamische Kunst in Berlin. Er war einer der Begründer der islamischen Kunstgeschichte und Archäologie in Deutschland. Metallobjekte interessierten Sarre besonders, vor allem wegen ihrer Verzierungen, an denen sich viel über islamische Kunst erkennen lässt: ihre Eigenheiten in der Verbindung von Ornament und Schrift, die Bevorzugung unendlicher Muster und die Wahl höfischer Themen in der figürlichen Darstellung. Der Gebrauch des Objektes stand für Sarre nicht im Vordergrund. Ähnlich handliche Schalen werden heute in Berliner Hamams, auch bekannt als türkische oder orientalische Bäder, genutzt. Kommentare der Fokusgruppen «Wasser ist Bestandteil des Lebens, es ist wichtig für die Hygiene im Alltag und für das religiöse Leben.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Die Wasserschale erinnert mich an Objekte aus meiner Heimat Mittelamerika. Als erstes habe ich gedacht, dass das ein Objekt ist, das für die rituellen Waschungen benutzt wird. Mich erinnern die Form und die Farbe an die Kimbayas. Das ist ein präkolumbianischer Stamm aus Kolumbien.» (Teilnehmerin der Fokusgruppe) «Wie die Schale hierhergekommen ist, ist auch eine Frage.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Die Form der Schale ist fast identisch mit einer Schale meiner Mutter, die sie als Blumenvase benutzt.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe) «Als ich klein war, hatten wir auch so eine Wasserschale wie diese; sie war etwas flacher. Wir haben sie für das Bad benutzt: Ich komme aus Syrien, aus der ältesten bewohnten Wüstenstadt der Welt.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe)

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S TADTMUSEUM B ERLIN

Abb. 5: Grundsteinkassette

Grundsteinkassette des Hauses An der Schleuse 13 mit Urkunde, Berlin, 1835, Bleiblech, Pergament Stadtmuseum Berlin, Dokumentensammlung

Ankommen und Fundamente legen An der Schleusenbrücke in Berlin-Mitte fanden im Jahr 1997 Bauarbeiten statt. Beim Abtragen einer alten Fundamentmauer stieß ein Baggerführer auf einen verlöteten Bleibehälter: eine Grundsteinkassette. Sie enthielt drei Zeitungen aus dem Jahr 1835 sowie eine Bauurkunde. Die Urkunde gibt Auskunft über das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Haus, das früher dort stand: Der Zinngießer Karl Friedrich Michaut baute es 1835. Zuvor hatte er das Haus seines Vaters und Großvaters abtragen lassen. Der Großvater Jérémie Michaut war «wegen der Religionsbedrückung» Ende des 17. Jahrhunderts aus Frankreich «mit mehreren hierher» gekommen. Mit «mehreren» sind die etwa 20.000 Hugenotten aus Frankreich gemeint, die sich ab 1685 in Berlin und Brandenburg ansiedelten. Die Hugenotten wurden

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im katholischen Frankreich wegen ihres protestantischen Glaubens verfolgt. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm, der selbst Protestant war, hatte die hugenottischen Flüchtlinge mit dem Edikt von Potsdam von 1685 nach BrandenburgPreußen eingeladen. Friedrich Wilhelm verfolgte mit seiner Einladung der Hugenotten nicht nur humanitäre, sondern auch wirtschaftliche Ziele. Brandenburg litt noch unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), die Wirtschaft war zerrüttet und die Arbeitskräfte waren knapp. Die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, unter ihnen zahlreiche Handwerker, waren deshalb sehr willkommen. Um 1700 war etwa jeder fünfte Berliner ein Franzose. Hierzu gehörten auch die Vorfahren des Schriftstellers Theodor Fontane. Ebenso wie die Familie Michaut gingen sie dem Zinngießerhandwerk nach. Kommentare der Fokusgruppen «Wir sind hier nach Deutschland wegen des Bürgerkriegs in Sri Lanka gekommen. Solche Dinge aus Metall habe ich auch nach dem Krieg in Sri Lanka gesehen. Deshalb berührt mich dieser Gegenstand.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe) «Der Großvater von Michaut konnte in den 1780er Jahren ein Haus bauen. Das bedeutet, er hatte das Gefühl, dass hier etwas Neues entstehen kann, wo er dann auch beheimatet sein wird. Dagegen gibt es heute noch immer viele, die meinen, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Und dass die Menschen, die in den 1960er Jahren hier eingewandert sind, in so kurzer Zeit ein Gefühl für Heimat wie Michaut hätten entwickeln können, ist schwer vorstellbar – geschweige denn, dass sie die wirtschaftlichen Möglichkeiten für einen Hausbau gehabt hätten.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe) «Es gab eine große Anzahl von Hugenotten, die berühmt geworden sind. Und es gibt noch heute häufig französische Namen und Wörter. Das zeigt, dass die Hugenotten eine bedeutende Gruppe war, die hier nach Berlin und Umgebung gekommen sind.» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe)

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Abb. 6: Bierhumpen

Bierhumpen der Löwenbräu Böhmisches Brauhaus AG Berlin, um 1925, Glas Stadtmuseum Berlin, Sammlung Knoblauchhaus

Auf den Spuren böhmischer Braukunst Viele Berliner kennen das Böhmische Dorf in Berlin-Neukölln. 1737 siedelten sich dort auf Einladung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. Glaubensflüchtlinge aus Böhmen an. Insgesamt kamen im 18. Jahrhundert etwa 4.500 Böhmen nach Berlin und Umgebung. Neben den Hugenotten sind sie die bekannteste Einwanderergruppe der Frühen Neuzeit in Berlin. Der hier gezeigte Bierhumpen trägt die Aufschrift «Löwenbräu Böhmisches Brauhaus AG». Man könnte glauben, dass er ein Zeugnis dieser böhmischen Migrationsgeschichte ist. Allerdings wurde das Böhmische Brauhaus nicht von einem Nachfahren böhmischer Glaubensflüchtlinge gegründet. Was hatte es mit dieser Brauerei auf sich?

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Der Krug gehört zu einer größeren Sammlung des Stadtmuseums Berlin: Die Objekte geben Auskunft über die verschiedenen Geschäftszweige und wirtschaftlichen Aktivitäten der Berliner Unternehmerfamilie Knoblauch. Armand Knoblauch gründete 1868 das Böhmische Brauhaus. Es handelte sich hierbei um eine der modernen Großbrauereien, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Berlin entstanden. Diese produzierten mit neuesten Technologien Biersorten, die bis dahin in der Region wenig verbreitet waren. Im Böhmischen Brauhaus ließ Knoblauch Bier herstellen, wie er es während des Deutschen Krieges 1866 in Böhmen schätzen gelernt hatte. Auch der technische Leiter der Brauerei kam aus Böhmen. Er hatte zuvor in der Dreherschen Brauerei in Michelob, nordöstlich von Prag, gearbeitet. Böhmisches Bier war seit langem weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Besonderer Beliebtheit erfreute sich das 1842 erstmals gebraute, nach der böhmischen Stadt Pilsen benannte Pils. Mit der Gründung einer industriellen Brauerei, die im großen Stil Bier nach böhmischer Art produzierte, knüpfte Knoblauch an diese Tradition an. Bis 1874 konnte das Böhmische Brauhaus seinen Absatz auf 136.000 Hektoliter pro Jahr steigern und war damit einer der Spitzenreiter der Branche in Berlin. Zu den bekanntesten Sorten des Unternehmens, das 1922 mit der Löwenbrauerei fusionierte, gehörten das Löwen-Böhmisch und das Pilsator. Zu diesem Objekt gibt es keine Kommentare der Fokusgruppen.

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M USEUM DER D INGE – W ERKBUNDARCHIV

Abb. 7: Moscheewecker

Mosque Shape Alarm Clock (Moscheewecker) Herstellungsort unbekannt, nach 2000, Kunststoff Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin

«Aufwachen wie in Tausend und einer Nacht!» Der hier gezeigte Wecker soll eine Moschee darstellen. Sein Weckton ahmt den Ruf des Muezzin nach, der vom Minarett der Moschee zum Gebet ruft. Zahlreiche Kreuzberger Import-Export-Geschäfte bieten solche Moscheewecker zum Verkauf. Auch im Internet wird der Wecker in unterschiedlichen Formen und Farben vertrieben.

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2009 kaufte das Werkbundarchiv – Museum der Dinge diesen Wecker für die Ausstellung «Böse Dinge». Dort wurde er als ein Beispiel der aktuellen Kitschproduktion gezeigt. Jetzt ist er Teil der Sammlung des Museums. Es lässt sich darüber streiten, ob der Wecker tatsächlich kitschig ist. Schließlich gibt es keine einheitliche Definition von Kitsch. Ob etwas als kitschig wahrgenommen wird, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks und des individuellen kulturellen Hintergrunds. In Internetforen fragen Nutzer nach, wo der Wecker in einer ganz speziellen Ausführung zu kaufen sei. Besonders Berlin wird immer wieder als gute Adresse für den Kauf eines solchen Weckers empfohlen. Doch wer kauft einen Moscheewecker? Und warum? Sind es hauptsächlich Menschen mit muslimischem Hintergrund? Glaubt man der Werbung im Internet, sind ‹Weltenbummler› die bevorzugte Zielgruppe. Dort heißt es: «Sie lieben die Türkei und den Orient? Dann wird dieser Wecker ein Stück Fernweh bei Ihnen zum Klingen bringen.» Ein weiterer Anbieter verspricht: «Aufwachen wie in Tausend und einer Nacht!» Auch wenn Hersteller und Herkunft unbekannt sind: Der Moscheewecker ist ein Produkt der Globalisierung. Man findet ihn von Dubai bis Berlin, und viele Menschen finden aus unterschiedlichen Gründen Gefallen an ihm. Kommentare der Fokusgruppen «Ende der 90er mochte ich den Wecker nicht, weil ich fand, dass er mit dem Islam oder der arabischen Welt nichts zu tun hat. Erst als ich ihn in mehreren Spielfilmen und bei deutschen Kommilitonen zu Hause sah, wurde er für mich interessant. Die Gelassenheit, wie man mit dem Muezzin und mit dieser Form umgeht, das hat mich fasziniert. Das hat so was Nettes und auch etwas Schönes. Keiner hat vor, jemanden anderen zu nerven. Hoffentlich wird uns das mit den Moscheen in Berlin genauso gehen.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Wenn man blind ist, dann hat man Probleme, sich die Größenverhältnisse einer Architektur vorzustellen, weil man selten was anfassen kann. Ist die Moschee denn naturgetreu dargestellt?» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe) «Die Architektur erscheint zunächst einmal als ein typisch orientalischer Stil. Aber die Relation zwischen der Kuppel und den Minaretten stimmt absolut nicht. Das Ganze ist eher eine symbolische Darstellung. Moscheen können ja je nach Region und Epoche sehr unterschiedlich aussehen. Was nimmt man bei so einem Wecker wahr? Ein Quadrat mit zwei Minaretten drauf, dann ist es schon mal als Moschee wiederzuerkennen. Die Darstellung

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ist dahingehend sehr abstrakt. Wenn man sich nur an der Kuppel und den Minaretten orientiert, ähnelt es ja auch der Synagoge in der Oranienburger Straße.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Ich fand den Wecker sehr interessant, weil er den Zeitgeist von uns Muslimen beschreibt. Solche Wecker in Moscheeform kamen erst in den 1980er Jahren in Ägypten auf den Markt. Das gab es vorher nicht. In den 1970er Jahren hat jeder seine Religion ausgeübt; es gab den Muezzin, der sang, und man ging zum Beten. In den Achtzigern bestimmte Religion auf einmal alles: Es gab Bilder, Korantexte für die Wand, eine Uhr mit einer Moschee. Am Anfang wurden solche Dinge als Geschenke aus Mekka mitgebracht und dann, plötzlich, war das ganze Haus voll mit diesem kleinen religiösen Kitsch. Ich habe diese Wecker in vielen Häusern in Kairo gesehen. Diese Dinge werden nicht ironisch genutzt. So ein Produkt würde nicht in einem muslimischen Land produziert werden. Das kommt aus China.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Wenn ich hier in die Oranienstraße gehe, denke ich immer an einen Fotografen, der damals die ersten Hochzeitsfotos machte. Wenn man heute in Berlin durch die Straße geht, dann sieht man, dass die Migranten noch immer einen ganz anderen Sinn für Ästhetik haben.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe)

Problematische Exotik Auf der Zigarettendose der Marke Moslem ist ein Mann im Smoking mit Zigarette und aufsteigenden Qualmringen zu sehen. Er trägt einen Fes – eine Kopfbedeckung, die im 19. Jahrhundert vor allem im Osmanischen Reich verbreitet war. Die Dose wurde von dem Grafiker Hans Rudi Erdt entworfen, einem Mitglied des Deutschen Werkbunds. In den 1910er Jahren gestaltete Erdt Verpackungen, Plakate und Sammelmarken für die Zigarettenfabrik Mahala-Problem. Die Dose befindet sich in der Sammlung des Museums, weil sie von einem Werkbund-Gestalter entworfen wurde. Das Museum sammelt Objekte zur Produktkultur des 20. Jahrhunderts und setzt sich dabei auch mit den Warennamen auseinander. Die Kombination des Firmennamens Problem und des Markennamens Moslem wirkt heute sehr irritierend. Es handelte sich jedoch nur um eine Marke der Firma Problem; andere waren zum Beispiel Sokrates oder Element. Szlama Rochman, der aus einer nach Berlin eingewanderten jüdischpolnischen Familie stammte, hatte die Firma 1889 gegründet. Warum er sein Unternehmen Problem nannte, ist unklar. Sein Bruder Baruch hatte seinerseits 1881 eine Zigarettenmanufaktur mit dem Namen Namkori-Phänomen eröffnet.

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Abb. 8: «Problem Moslem»

Blechdose für 100 Problem Moslem Gold Zigaretten Entwurf: Hans Rudi Erdt, vermutlich Berlin, um 1912 Blech lackiert, innen verzinnt

Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die meisten Waren des täglichen Gebrauchs noch unverpackt, nach Stück oder Gewicht, verkauft. Gestaltete Verpackungen waren nur bei Luxusgütern üblich. Hierzu gehörten vor allem Kolonialwaren, wie Zigaretten und Zigarren, Kaffee und Kakao. Diese Produkte oder deren Grundstoffe wurden aus Ländern importiert, die aus Sicht vieler Europäer exotisch waren. Für die Verpackung solcher Waren nutzte man Motive, die man mit diesen Ländern verband. So wurde das Produkt Tabak im Fall der hier gezeigten Zigarettendose mit der zeitgenössischen europäischen Vorstellung eines ‹Orientalen› beworben. Mit dem ‹Orient› assoziierte Bilder – zum Beispiel Männer und Frauen, die Wasserpfeife oder Zigarette rauchen – waren in der Fotografie und Malerei des 19. Jahrhunderts durchaus verbreitet. Man findet sie in der europäischen Malerei des Orientalismus und auf Postkarten, die in Fotostudios der Städte Algier, Kairo oder Istanbul produziert wurden. Kommentare der Fokusgruppen «Tabak und Orientale – das ist total typisch. Mir ist sofort der Kaffeekanon* eingefallen und das türkische Wort keyf, aus dem sich das deutsche Wort für kiffen herleitet. Aber meines Erachtens hat das Bild wenig mit Migrationsgeschichte zu tun, denn das ist ein

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Bild aus der Zeit vor der Migration im 20. Jahrhundert. Die Dose zeigt, welches Bild die Mehrheitsgesellschaft vom Orientalen damals hatte.» (Teilnehmer einer Fokusgruppe) «Eine Dose mit 100 Zigaretten durch die Gegend zu tragen, stelle ich mir schwierig vor. (...) Eigentlich hat man Zigaretten ja immer bei sich. Wo wurde diese Dose denn eigentlich gebraucht? Im Café, im Wohnzimmer?» (Teilnehmerin einer Fokusgruppe)

Der Kaffeekanon ist ein von Carl Gottlieb Hering (1766-1853) vertontes Lied: «C-a-f-f-e-e, trink nicht so viel Kaffee! Nichts für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blass und krank. Sei doch kein Muselman, der ihn nicht lassen kann!»

Interviews mit den externen Leihgeberinnen zu den von ihnen zur Verfügung gestellten Objekten J OANNA L EĝNIAK

Abb. 9: Gedichtband

Gedichtband «Hundert polnische Gedichte» ; Privatbesitz ausgewählt und übertragen von Karl Dedecius, (dt./polnisch) Krakau, 1982 Leihgeberin: Joanna LeĞniak

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Interview mit Joanna LeĞniak «Ich heiße Joanna LeĞniak, komme aus Polen und lebe seit fast 30 Jahren in Berlin. Ich habe eine Begleiterin mitgebracht. Ich sage extra ‹Begleiterin›, weil ‹das› Buch im Polnischen weiblich ist, ksiąĪki. Das Buch heißt Hundert polnische Gedichte von 1522 bis heute. Es ist eines der ersten Geschenke, die ich von meiner Mutter bekomme habe, als sie mich 1984 in Berlin besuchte. Ich bin, kurz bevor am 13. Dezember 1981 der Ausnahmezustand in Polen ausgerufen wurde, nach Berlin gekommen, also im Juli 1981. Das Buch begleitet mich auch an traurigen Tagen und ich sehe dann gerne hinein. Ich würde fast sagen es ist eine Art Bibel, ein kleines Heiligtum. Was das Buch mit meiner Migrationsgeschichte zu tun hat? Zuerst einmal ist das Buch in meiner Heimatstadt Krakau verlegt worden. Zweitens erschien es im Jahre 1982, also während des Ausnahmezustandes und ich finde es schon interessant, dass es in dieser Zeit verlegt worden ist. Drittens war die Geschichte des Übersetzers damals für mich eine Entdeckungsreise und ich habe mich auch weiter für ihn interessiert und mir angesehen, was er sonst noch alles im deutschpolnischen Zusammenhang gemacht hat. Da ich selbst im Rahmen der politischen Bildung zur deutsch-polnischen Geschichte als Bildungsdozentin gearbeitet habe, habe ich das Buch auch auf Seminare mitgenommen und Gedichte daraus als Anlass zum gemeinsamen Nachdenken genommen. So hat es oft als Anregung gedient, sowohl für mich als auch für die anderen. Die Übersetzung stammt von Karl Dedecius, der von sich selbst sagt: Ich bin ein ‹Über-Setzer; also einer, der mit dem Floß von einem Ufer zum anderen fährt oder schwimmt. Das geht mir genauso. Und das Buch hat noch eine andere Geschichte: Ich wurde nämlich 1997 Opfer eines schweren rassistischen Übergriffes. Meine Wohnung wurde angezündet und verbrannte, und ich habe das Buch, neben einigen anderen Büchern, gerettet und mitgenommen. Ich denke mir, dass es da noch viele Geschichten gibt, die das Buch erzählen kann, je nachdem welche Fragen die Besucherinnen und Besucher an es stellen.»

I NTERVIEWS MIT

DEN EXTERNEN

L EIHGEBERINNEN

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I SABEL A LVAREZ

Abb. 10: Gnocchi-Reibe

Gnocchi-Reibe; Privatbesitz, Ende 20. Jh. Leihgeberin: Isabel Alvarez

Interview mit Isabel Alvarez «Ich bin Isabel Alvarez und ich habe eine Gnocchi-Reibe ausgesucht. Als ich ein Objekt aussuchen sollte, wusste ich nicht genau was, weil ich überhaupt nichts mitgebracht habe, als ich nach Deutschland kam. Ich kam mit einem kleinen Rucksack und wollte alles neu haben. Außerdem wollte ich sowieso nicht so lange bleiben und hätte alle meine Sachen wieder gehabt, wenn ich zurückgegangen wäre. Ich brauchte nichts von mir, von meiner Heimat mitzunehmen. Als Ihr mich gefragt habt, habe ich an dieses Objekt gedacht. Das ist etwas, das ich von einer meiner Reisen nach Uruguay mitgebracht habe. Und es ist et-

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was, das, glaube ich, nur dort existiert und nur dort fabriziert wird: Eine kleine Tradition dort, die wir jetzt hier fortsetzen, und das ist, dass am 29. jeden Monats Gnocchi gegessen werden. Und mit dieser Reibe kann man die Gnocchi formen. In Uruguay macht man sie in der Form einer Rolle mit kleinen Rillen, so wie die Reibe sie hat, nicht wie in Italien, wo sie kleine Würfel machen. Das ist ein Objekt, das ich nach vielen Jahren extra mitgenommen habe, weil ich hier wieder Gnocchi am 29. essen wollte. Und mittlerweile machen wir das jeden Monat mit Freunden, wie in Uruguay. In Wirklichkeit ist es keine italienische Tradition. In Uruguay gibt es seit Beginn des letzten Jahrhunderts viele italienische Einwanderer und die haben natürlich Pasta und Pizza und die ganzen italienischen Essensgewohnheiten mitgebracht. Aber dass immer am 29. Gnocchi gemacht werden, das gibt es in Italien nicht. Die Italiener haben erst nachdem sie dort angekommen waren, mit dieser Tradition begonnen, weil am Ende des Monats das Geld knapp war. Es gab aber immer genug Kartoffeln und Mehl, also gab es Gnocchi. So hat es angefangen und danach, auch wenn das Geld vielleicht nicht mehr so knapp war, wurde es beibehalten. Die Hälfte der Leute in Uruguay haben spanische Vorfahren, die andere Hälfte italienische. Die Ureinwohner wurden sehr früh alle ausradiert. In meiner Familie kommt die Seite meines Vaters aus Spanien, die meiner Mutter aus Italien. Ich bin hier, weil ich einen italienischen Pass habe, denn mit einem Pass aus Uruguay würde ich nicht einmal ein paar Monate hier bleiben dürfen. Ich habe mir diesen Pass ausstellen lassen, obwohl mich mit Italien gar nichts verbindet, außer dieser Reibe vielleicht. Als ihr mich nach einem Objekt gefragt habe, habe ich gedacht: Kreuzberg, Migranten… Da denkt man zuerst an die Leute aus der Türkei. Wenn ich mir die Bilder hier im Museum ansehe, sehe ich europäische Einwanderung, aber nicht die aus Südamerika. Ich glaube unsere Wanderung, die der lateinamerikanischen Leute in der Welt, ist ganz anders geprägt als hier. Während der Zeit der Diktatur in ganz Lateinamerika, etwa in den 1970er Jahren, sind sehr viele ausgewandert, nach ganz Europa, auch nach Deutschland. Danach gingen sie wegen der Krise, aus wirtschaftlichen Gründen. Ich kam hierher, weil ich hier studieren wollte, weil ich etwas ganz anderes sehen wollte, weil ich einfach raus wollte, etwas Neues wollte, etwas, das meine kleine Welt aufmachen konnte. Also, ich passe im Grunde in keines dieser Modelle klassischer Einwanderung. Deswegen denke ich, wenn ich mir die Bilder hier ansehe, an andere Leute, ich fühle mich nicht so und denke nicht: Ah, sieh mal, da bin ich auch. Ich sehe die türkischen Leute, die bosnischen Leute... wie sie vorm Asylamt in der Schlange stehen und denke dann: Natürlich, ich habe

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auch das Gleiche erlebt. Ich war stundenlang im Ausländeramt, wo Du sehr schlecht behandelt wirst, weil Du kein Deutsch kannst. Du wirst nach Hause geschickt und musst am nächsten Tag wieder hin. Wenn ich das sehe, denke ich: Oh, das habe ich auch erlebt. Aber ich fühle mich irgendwie anders. Vielleicht weil Kreuzberg und die Türkei so eng verbunden sind. Und Uruguay ist da natürlich nicht so drin.»

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H AMAD N ASSER

Abb. 11: Kaffeekanne

Kaffeekanne, Mitte 20. Jh. Leihgeber: Hamad Nasser

Interview mit Hamad Nasser «Mein Name ist Hamad Nasser und ich habe eine besondere Kanne ausgesucht, nämlich eine Mokkakanne. Das ist nicht nur irgendeine Kanne, denn Mokka hat eine ganz wichtige Bedeutung in der arabischen Kultur, aus der meine Eltern stammen. Diese Kanne hat mein Vater Mitte der 1970er Jahre in Berlin erworben. Es gab drei dieser Kannen bei einem Antiquitätenhändler, und mein Vater war leidenschaftlicher Sammler, wie viele andere Männer seiner Generation. Wir als Kinder konnten damals nicht verstehen, wieso er Dinge aus Kupfer so schön fand. Die Kinder, die hier in dritter Generation groß geworden sind, haben so etwas wie eine Wiederentdeckungsphase und kaufen dann zum Beispiel solche Gegenstände oder bringen sie auch aus dem Urlaub mit. Mit meiner Migrationsgeschichte hat die Kanne deshalb etwas zu tun, weil sie für meinen Vater, der nicht mehr lebt, eine ganz wichtige Rolle spielte. Er hat

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darin selber immer verschiedene Mokkasorten gekocht. Das ist auch eine sehr wichtige Erinnerung für mich, weil ich noch immer gerne Mokka trinke und manchmal in Berlin in einem Laden hängen bleibe, wenn der Mokka oder der Kaffee gut ist. Und ich erlebe, dass ich damit nicht alleine bin. Das ist auch wieder das Schöne in so einer Großstadt wie Berlin, dass die Leidenschaft für Mokka- und Kaffeekultur weit verbreitet ist.»

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M OHAMED A KOUSH

Abb. 12: Kalligrafie

Kalligrafie, Künstler: Al Scharani. 1993 Leihgeber: Mohamed Akoush

Interview mit Mohamed Akoush «Mein Name ist Mohamed Akoush. Ich habe für das Projekt eine arabische Kalligraphie ausgesucht, die ich im Martin-Gropius-Bau in einer Ausstellung gesehen hatte und die mir sehr, sehr gut gefallen hat – der Schreibstil und die Farben – und die ich mir gekauft habe. Das war in der Anfangszeit meines Lebens in Berlin. Darauf steht etwas auf Arabisch und das bedeutet ‹Der Wissende beherrscht die Abstraktion›. Wer also intelligent ist, wer klug ist, der kann abstrakt denken.

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Was mir so wichtig vorkam, ist der Sinn dieser Aussage. Es geht hier um abstraktes Denken. Ich fand, das verbindet irgendwie das orientalische Denken und das Denken im Westen. Im orientalischen Denken geht es zum Beispiel darum, dass man sich auch mit dem Thema Gott oder Glaube beschäftigen kann. Nur wer soweit gehen und abstrakt denken kann, kann auch die Idee von Allah, Gott beherrschen. Ich habe das genau am Anfang meiner Zeit in Berlin ausgesucht, mich damit beschäftigt, das Objekt gekauft und bei mir zuhause aufgehängt und viele, viele, viele Freunde, die zu mir gekommen sind, Araber, haben gefragt, was das eigentlich heißt, ob das arabisch ist und was es bedeutet. Und als ich erklärt habe, was das sein soll oder was dahinter steckt, haben sie es verstanden und haben es auch angenommen. Ich möchte damit genau diese Idee des abstrakten Denkens mitteilen, dass man so eine Idee wie Gott nicht so einfach ablehnen kann. Aber man kann es auch nicht einfach akzeptieren, es ist ja etwas Abstraktes, womit man umgehen muss. Man kann es nicht hundert Prozent verneinen, aber auch nicht hundert Prozent bestätigen. Die zweite Sache ist die Schönheit dieser Kalligraphie, denn Kalligraphie ist ja eine Art Meditation. Kalligraphie ist nicht schreiben, Kalligraphie ist nicht malen. Kalligraphie dient zum Meditieren und nebenbei zum Erschaffen so schöner Werke. Gestresst vom Tag setze ich mich hin, suche mir ein Heft aus, von denen ich viele zuhause habe und schreibe einfach. Nach einer Weile ist die Meditation da und man ist beruhigt.»

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Y OO J AE -H YUN

Abb. 13: Foto und Koreanische Lebensmittel

Foto: Kleingarten in der Schrebergartenkolonie «Wiedervereinigung» in Berlin, in dem koreanische Gemüsesorten angebaut werden/ Hintergrund: industriell produzierte koreanische Lebensmittel, 2011 Leihgeber: Yoo Jae-Hyun

Interview mit Yoo Jae-Hyun «Mein Name ist Yoo Jae-Hyun. Ich habe dieses Objekt, diese Verpackungen importierter koreanischer Lebensmittel, ausgesucht. Wenn man sie genauer betrachtet, dann sieht man darauf kleine Aufkleber, auf denen steht, dass sie aus Korea stammen und welche Zutaten sie enthalten. Ich bin seit 2001 hier in Deutschland. Bevor ich hierher kam, habe ich gedacht, dass wenn ich hier ankomme, ich irgendwas von hier essen und trinken würde, vielleicht irgendeinen Tee, ja, vielleicht jeden Tag Kamillentee und Brötchen. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich Lebensmittel aus Korea mitnehmen sollte und habe auch überhaupt keine dabei gehabt. Aber ein Kollege von mir hat damals hier in Berlin gewohnt, er hat mich abgeholt und hatte am ersten Tag sofort eine koreanische Suppe und Salat, eine typisch koreanische Mahlzeit, vorbereitet. Es war also ganz anders als ich mir vorgestellt hatte.

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Was Gemüse angeht, ist es natürlich sehr schwer, es aus Korea hierher zu importieren. Viele Familien haben aber einen mehr oder weniger kleinen Garten, von denen ich mehrere besucht habe. Es ist ganz lustig, dass viele unterschiedliche Gemüse gepflanzt haben, welche aus Korea und aber auch deutsche, zum Beispiel Kräuter. Sie nehmen Kräuter und Gemüse ähnlichen Geschmacks als Ersatz für koreanische Kräuter und Gemüse. Also das finde ich auch ganz lustig.»

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N ADIA K AABI-L INKE

Abb. 14: Studie zu Berlin à fleur de peau

Studie zu «Berlin à Fleurs de peau», 2010 Leihgeberin: Nadia Kaabi-Linke

Interview mit Nadia Kaabi-Linke «Mein Name ist Nadia Kaabi-Linke und ich habe eine Studie ausgesucht. Sie wurde für die Installation Berlin à fleur de peau gemacht, die ich in meiner letzten Einzelausstellung gezeigt habe. Bei diesem Objekt handelt sich um eine Plexiglasscheibe, die den Abdruck einer Scheibe zeigt, die ich in einer UBahnstation gefunden habe, und es waren Spuren darauf von jemandem, der sie in die Glasscheibe gekratzt hat, so dass darauf eine Art Schrift entstanden ist. Diese ist, glaube ich, unlesbar, aber sie hat in sich eine Bewegung. Ich bin immer sehr beeindruckt von den Spuren, die die Leute in einer spontanen Art im urbanen Leben hinterlassen. Das heißt, ich nehme etwas, das sich in situ, an seinem spontanen natürlichen Raum des urbanen Lebens befindet, schneide es aus und bringe es hinein in eine Galerie oder ein Museum, in eine Institution. Was ich in diesem Fall gemacht habe, ist, dass ich forensische Techniken benutzt habe, weil nicht nur die Spuren von den Kratzern sichtbar sind,

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sondern auch, wenn die Leute sich während des Wartens auf eine U-Bahn oder einen Bus, an die Scheibe lehnen, einen Teil ihres Körpers darauf lassen. Die Scheibe wird wie ein Denkmal für das, was damals passiert ist. Es gibt auch Werke mit Spuren von Gewalt, wenn zum Beispiel die Scheibe wirklich zerstört wurde. Was mich interessiert, ist eben diese Mischung zwischen Zärtlichkeit und Aggressivität und diese ganzen Schichten, die zeitlichen Schichten, denn diese Geschichten passieren auf verschiedenen Zeitebenen und ihre Spuren befinden sich dann plötzlich auf einer Schicht, auf einer Ebene. Und wenn ich diese dann mit einer bestimmten Technik abnehme, als Abdruck, wird alles in einem Moment eingefroren. Meine Migrationsgeschichte ist sehr ausgeprägt, in dem Sinne, dass seitdem ich geboren wurde, ich mit Migration zu tun hatte. Meine Eltern sind unterschiedlicher Herkunft und deshalb war ich schon sehr früh entweder in Russland oder in Tunesien. Wenn ich in Tunesien war, habe ich meine russische Familie vermisst und umgekehrt. Dann haben wir in den Emiraten gelebt, danach war ich in Frankreich und jetzt in Deutschland, also ist Migration wirklich Teil meines Lebens. Man geht irgendwohin, an einen Ort des Aufenthalts und dann geht man weiter, und diese Haltestellen, diese Transit-Orte haben etwas damit zu tun. Es ist wie ständiges Warten, auch wenn natürlich etwas währenddessen passiert. Was passiert, sind Begegnungen. Vielleicht kommt der Zug nicht, vielleicht kommt er doch, vielleicht passiert etwas während des Wartens, man trifft jemanden, zum Beispiel im Flugzeug. Es gibt auch Liebesgeschichten, die da entstehen, wieso nicht an der U-Bahn-Haltestelle? In dem Sinne, glaube ich, hat es mit meiner Migrationsgeschichte zu tun.»

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A YùE C AöLAR

Abb. 15: Zwei kleine Taschen

Zwei kleine Taschen, Mitte 20. Jh. Leihgeberin: Ayúe Ca÷lar

Interview mit Ayúe Ca÷lar «Ich bin Ayúe Ca÷lar und habe diese Taschen ausgesucht. Mein Onkel wollte sie damals wegschmeißen. Ich habe sie aus der Mülltonne gerettet, weil es viel zu schade war, die fünfzig Jahre alten Taschen wegzuschmeißen. Die kommen aus der Türkei und wurden 1940 oder 1950 von einer Tante gestrickt. Und die Tante hat sie dann meiner Oma geschenkt. Meine Oma hat sie, als sie in den 1970er Jahren nach Berlin gekommen ist, meinem Onkel gegeben. Ich bin hier in Berlin geboren und mit der Türkei, mit Migration, habe ich nicht wirklich viel zu tun. Erst seitdem ich verheiratet bin, habe ich einen Bezug zur Türkei. Vorher war die Türkei Nebensache. Also, seitdem ich vor vier Jahren geheiratet habe, bin ich Türkin geworden.

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Ich finde es schön, dass diese Taschen etwas sehr Altes sind. Sie sind so etwa 50 Jahre alt oder vielleicht sogar 60. Wir haben einen Computerraum und ich habe sie dort an der Wand hängen und sehe sie mir jeden Tag an. Es ist auch interessant, was meine Arbeitskollegen dazu sagen, ob sie das schön finden oder nicht. Sehr viele aus meiner Arbeitsgruppe haben auch gesagt, dass es sie an die Türkei erinnert, an Anatolien, an die Dörfer… Macht mich irgendwie stolz.»

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S ULTAN K ILIÇ

Abb. 16: Teekanne

Teekanne, 20. Jh. Leihgeberin: Sultan Kiliç

Interview mit Sultan Kiliç (nur Audio) «Die kleine Teekanne war ein Geschenk, das meine Mutter vor fast 60 Jahren von einem alten Mann zu ihrer Hochzeit bekommen hat. Unsere Familie ist 1980 aus der Türkei nach Berlin gezogen und hat die Teekanne als Teil des Hausstandes mitgebracht und für die Zubereitung von Tee benutzt. 1996 schenkte mir meine Mutter die Teekanne zu meiner eigenen Hochzeit. Ich hänge sehr daran, weil sie schon so lange mit der Geschichte unserer Familie verbunden ist. Wenn ich Lust dazu habe, bereite ich mir von Zeit zu Zeit Tee darin zu. Als ich nach einem Objekt für die Ausstellung gefragt wurde, habe ich sofort an die Teekanne gedacht. Sie ist interessant, weil sie schon alt ist und eine Geschichte erzählt. Außerdem erinnert mich ihre Form an eine Wunderlampe, aus der ein Flaschengeist steigt, wenn man daran reibt.

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Ich möchte den Museumsbesuchern gerne meine Teekanne zeigen, weil sie besondere Bedeutung für die Geschichte meiner Familie hat.»

Interviews mit den Sammlungsleiterinnen bzw. Direktoren der beteiligten Museen zum Umgang mit dem Thema «kulturelle Vielfalt» in ihrer Institution B EZIRKSMUSEUM F RIEDRICHSHAIN -K REUZBERG

Interview mit Martin Düspohl, Leiter des Bezirksmuseums Friedrichshain-Kreuzberg «Mein Name ist Martin Düspohl. Ich bin Leiter des Bezirksmuseums Friedrichshain-Kreuzberg. Wir befinden uns hier in unserem Haupthaus, das ist das Kreuzberg-Museum. Die Sammlung ist zusammengesetzt aus Beständen der früheren Heimatausstellung in Kreuzberg, des Kreuzberg Museums und des Heimatmuseums Friedrichshain. Für Kreuzberg kann ich berichten, dass diese Sammlung erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden ist. Sie hatte damals den Sinn, das nicht mehr zugängliche bzw. bis zum Mauerbau nur schwer zugängliche Märkische Museum auf bescheidenem Niveau zu ersetzen. Insofern haben Kreuzberger Bürger an das damalige Kunstamt Gegenstände und Erinnerungsstücke abgegeben, von denen sie meinten, sie könnten das alte Berlin, das Vorkriegs-Berlin dokumentieren und veranschaulichen. Sammlungsschwerpunkte waren in der früheren Zeit, bis in die 1970er Jahre, eigentlich nicht vorhanden, eine Zufallssammlung, die zustande kam durch das, was Menschen für aufbewahrenswert hielten. Nach 1990, als das Kreuzberg-Museum gegründet wurde, sind wir strukturierter vorgegangen. Schon vorher, in Vorbereitung des Museums, seit etwa 1980, wurden gezielt Interviews geführt und Fotografien, aber auch Gegenstände gesammelt, die die Alltags- und Sozialgeschichte dieses Bezirks nachvollziehbar

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machen. Und das tun wir verstärkt seit dem letzten Jahrzehnt, indem wir zusammen mit denjenigen, die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft wohnen – und das sind zum Beispiel die Hausbesetzergeneration der 1980er Jahre, aber natürlich auch Migranten der 1970er und 1980er sowie deren Nachfahren –, Ausstellungsprojekte durchführen, die auch den Sinn haben, unsere Sammlung zu erweitern und auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und deren Geschichte auszurichten. Die Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung stellen eine andere Mischung dar, als sie in der Bevölkerung vorherrscht. Das hängt damit zusammen, dass ich vor 20 Jahren wahrscheinlich der letzte Verwaltungsangestellte dieses Bezirks war, der regulär eingestellt worden ist. Wir haben seit 20 Jahren im Kultur- und Bildungsbereich so gut wie keine Neueinstellungen vornehmen können. Insofern ist die Repräsentanz von Migranten in der ständigen Belegschaft auch nicht vorhanden. Das muss man kritisch und klar sagen. Auf der Seite der Besucher ist die Mischung abhängig von den Themen, die wir in Sonderausstellungen anbieten. Das heißt, wenn wir, wie seit etwa zehn Jahren, eine Ausstellung zeigen zu den Erfahrungen türkischer Migrantinnen der ersten Generation oder später auch zu den Erfahrungen der zweiten Generation der Einwanderer, dann ist hier ein Publikum zu verzeichnen, das sich aus denjenigen zusammen setzt, die solche Erfahrungen teilen, aber auch aus denen, die neugierig darauf sind, diese Erfahrungen kennen zu lernen. Also da stimmt das Mischungsverhältnis. Es ist ja schwer, wenn man die Sammlungspolitik der Museen im Allgemeinen betrachtet, über die normalen Wege: Auktionen, Angebote in Ebay usw., gerade diesen Kriterien gerecht zu werden. Aber wenn ich durch die Oranienstraße laufe, dann finde ich oft eine Fülle von Gegenständen und Objekten, mit denen sich Menschen im Alltagsleben umgeben, mit denen sie ihre Wohnung ausstatten, ja, die sie vielleicht als Schmuck aufhängen. Solche Artikel würde ich gern fürs Museum kaufen. Zum anderen würde ich den Schwerpunkt darauf legen, die immaterielle Geschichtserfahrung zu dokumentieren. Ich würde also solche Mittel investieren in Interview-Filmprojekte, fotografische Dokumentationen, weil ich der Meinung bin, dass sich viele von den Erfahrungen, die Menschen im Migrationsprozess machen, nicht über Objekte vermitteln lassen.»

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M USEUM FÜR I SLAMISCHE K UNST

Interview mit Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst «Mein Name ist Stefan Weber, Direktor des Museums für islamische Kunst. Museen, Kunstmuseen, Archäologiemuseen, aber auch ethnologische Museen haben sehr viel zu tun mit dem Mapping der Welt im 19. Jahrhundert, als man anfing wissenschaftlich, aber auch dann durch die Institution, die Wissenschaft oder auch Kulturen ausstellen, diese Welt in verschiedene Kulturkreise zu unterteilen und entsprechend dieser Kulturkreise – sei es ostasiatischer Kulturkreis, Mittelmeerraum, die islamische Welt, Afrika – in verschiedenen Museen darzustellen. Als man 1904 das Museum für islamische Kunst gründete, waren Muslime doch eine relativ weit entfernte Wirklichkeit. Man war in einer Waffenbrüderschaft mit dem Osmanischen Reich, allerdings waren Muslime nicht Teil des deutschen Alltags. Das hat sich heute sehr stark verändert, und die Frage stellt sich natürlich, was für neue Anforderungen stellt das an das Museum für islamische Kunst. Im direkten Bezug zu dieser Kunst hier ist es so, dass Muslime hier natürlich eine kulturelle Heimat finden können und damit auch einen direkten Bezug zu der Herkunft der Eltern und Großeltern haben. Das heißt, hier kann man sehen, was in Anatolien oder was in Jordanien – wie bei dieser Palastfassade – in den vergangenen Jahrhunderten gemacht worden ist, ohne dass wir sagen können, dass wir die heutigen Muslime in Deutschland repräsentieren können. Hier ist halt kein Migrationsmuseum, sondern es geht um die kulturellen Leistungen der Vergangenheit des Nahen Ostens. Das könnte man natürlich erweitern, indem man sagt: Wir präsentieren auch kulturelles Schaffen von Muslimen oder Christen und Juden oder Säkularen natürlich in muslimisch geprägten Gesellschaften heute. Es ist leider aber auch so, dass wir viel zu wenig Muslime oder auch christliche Araber und Türken in unseren Reihen als Wissenschaftler haben, da sie viel zu schwach noch in der Wissenschaft überhaupt vertreten sind. Wenn wir über Migration sprechen: Die Objekte, wie wir hier haben, sprechen von Kulturgeschichte. Und die Idee heute von geschlossenen Kulturkreisen – der Islam, das Christentum usw. – ist aus unserer Sicht vollkommener Quatsch. Denn die Ob-

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jekte sind Teil einer Migrationsgeschichte von Formen, Wissen und Kultur, die ohne diese permanente Durchdringung von verschiedenen Räumen überhaupt nicht vorstellbar wäre. Kein einziges Objekt in unserem Museum können wir ohne Migration, also nicht der heutigen, aber der in der Antike, in der frühen Neuzeit, in der Vormoderne erklären. Wir präsentieren aber oder repräsentieren in unseren Besuchern bisher nicht die Breite der Migration oder der mit Migration verbundenen Bevölkerung. Wir präsentieren aber auch nicht die deutsche Bevölkerung.»

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S TADTMUSEUM

Interview mit Martina Weinland, Sammlungsdirektorin des Stadtmuseums Berlin «Willkommen im Stadtmuseum, wir sind hier im Märkischen Museum. Mein Name ist Martina Weinland. Ich bin die Sammlungsdirektorin und zusammen mit meinen Kollegen und Kolleginnen verantwortlich für rund 4,5 Mio. Objekte. Die Stiftung Stadtmuseum bezieht sich auf ihr ältestes Stammhaus, das Märkische Museum. Hier wird seit 1874 gesammelt. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Stiftung Stadtmuseum erweitert, vor allen Dingen mit dem Zugang des Berlin Museums. 1995 wurden insgesamt 40 Sammlungen unter dem Dach der neugegründeten Stiftung Stadtmuseum vereint. Sie reichen von den Ursprüngen der naturkundlichen und kulturgeschichtlichen Sammlungen – dies betraf Objekte zum Fischerei- und Rechtswesen sowie aus den Naturwissenschaften – bis heute hin zu Sammlungen mit aktuellem Bezug, die sich auch mit Migration beschäftigen. Unser Engagement in diesem Bereich konzentriert sich allerdings auf den direkten Dialog. Daher wenden wir uns in unseren Veranstaltungsangeboten und in unseren Begleitprogrammen verstärkt an Migranten. Vor allem die Sammlung Kindheit und Jugend, die täglich bis zu vier Schulklassen besuchen, erreicht am unmittelbarsten diese Zielgruppe. Migration selbst als ausgewiesenes Sammlungsgebiet ist in der ‹klassischen› Form nicht vorhanden. Vielmehr richten wir an die bereits vorhandenen Objekte unter diesem Aspekt Fragen nach ihrem möglichen Migrations-Hintergrund. Wir blicken dabei auf einen großen Fundus zurück: Ob das Objekte sind aus der Zeit der Hugenotten oder auch der Böhmen und der Schlesier. Wir haben, wenn man die Sammlung unter dem Aspekt der Migration befragen möchte, sehr viele Möglichkeiten. Auf der anderen Seite könnten wir aber jetzt nicht explizit sagen: Das hier ist die ‹Sammlung Migration› und die hat den und den Sammlungsbetreuer. Das Thema findet eher auf einer virtuellen Ebene und durch Vernetzung zahlreicher Informationen aus den unterschiedlichen Sammlungsbereichen statt. Als übergreifendes Ausstellungsthema zur Illustration der in Berlin lebenden verschiedenen Kulturkreise, durchaus auch ihrer Parallelwelten, könnte ich mir einen Beitrag zu ‹Zeremonien und Ritualen› vorstellen. Beispielhaft würde sich die Kaffeehauskultur anbieten. Viele derjenigen, die zu der ersten Migranten-

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generation zählen, die nach Berlin gekommen sind und zwar nach West-Berlin, würden sich angesichts des Café Kranzler und des Kurfürstendamms erinnern, was sie damals erlebten und empfanden. Heute ist es ein wichtiges Ritual bei türkischen Hochzeiten, den Ku’damm hupend entlang zu fahren. Auch bei Lektüre der damaligen Senatsbroschüren, die um jeden Zuzügler warben und alle möglichen Starthilfen versprachen, glaube ich, dass sich die erste Generation von Migranten wieder an ‹ihren› Start in der neuen Heimat erinnert. Dadurch wären sie wahrscheinlich auch bereit, uns Objekte mit ganz persönlichem Hintergrund zu überlassen, auch um zu zeigen, wir sind ein Teil der Stadtgeschichte.»

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W ERKBUNDARCHIV – M USEUM DER D INGE

Interview mit Renate Flagmeier, Leitende Kuratorin des Werkbundarchivs – Museum der Dinge «Die Institution ist 1972 als Werkbund-Archiv gegründet worden. Aus dem Archiv wurde bald ein Museum, ein Museum der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts, so der frühere Untertitel. Der Deutsche Werkbund – das historische Kernthema der Einrichtung – war eine Vereinigung von Lebensreformern, die – 1907 in München von Künstlern und Firmen/ Produzenten gegründet – im 20. Jahrhundert eine neue Verbindung von Kunst und Industrie und eine sachliche Formgebung durchsetzen wollten. Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge hat sich nie ausschließlich auf diese Werkbundgeschichte konzentriert und stand einer rein designhistorischen Ausrichtung immer kritisch gegenüber – deshalb die Öffnung auf Alltagskultur allgemein, die einherging mit einer anderen Geschichtsauffassung und einer Aufhebung der Grenzen zwischen ‹High and Low culture›. Im Juni 2007 hat sich das Museum am neuen Standort in Kreuzberg etabliert und in seiner inhaltlichen Ausrichtung auf die Produktkultur des 20. und 21. Jahrhunderts deutlich festgelegt – eine Sachkultur, die von der Massen- und Warenproduktion bestimmt ist. Durch diese Konzeption grenzt sich das Museum von den meist kunsthistorisch fundierten Designmuseen ab. Die Sammlungstätigkeit ist nicht nur historisch ausgerichtet, aber es gibt viele aktuelle Sammlungsgebiete, die einen Bezug zu dem historischen Kernthema «Deutscher Werkbund» haben, z.B. Formgeschichte oder Firmensammlungen. Ins Heute übersetzt, kann man u.a. Firmen wie Manufactum oder Ikea als Fortführung der Werkbundidee begreifen. In diesem Kontext ist das Thema Markenprodukte ebenfalls von Bedeutung, weil ein zentraler Aspekt der Werkbund-Idee die Entwicklung von Qualitätsmarken war. Unsere Sammlung und damit auch die ständige Ausstellung sind allerdings dialogisch aufgebaut; zu allen werkbundgemäßen Objektbereichen gibt es einen Gegenpart, so z.B. in Bezug auf Markenwaren und Firmensammlungen die Bereiche der Discountermarken, der No-Logo-Bewegung und der Plagiate. Die Frage, welche Rolle das Thema Migration oder Migranten innerhalb des Museums oder seiner Sammlung spielt, ist nicht leicht zu beantworten. Das historische Kernthema – der Deutsche Werkbund – hat dazu geführt, dass die deut-

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sche Produktkultur oder besser die Produktkultur in Deutschland historisch ein großes Schwergewicht hat. Für die Gegenwart wird diese Konzentration fragwürdig, da spätestens seit der Nachkriegszeit die Internationalisierung und Globalisierung einen großen Einfluss auf die hiesige Produktkultur hat und insbesondere dieser Objektbereich von ständiger Zirkulation bestimmt ist. Gerade hier in seiner neuen Umgebung in Berlin-Kreuzberg können das Museum und seine Sammlung nicht unbeeinflusst von der Warenkultur dieser Umgebung bleiben. Dort gibt es viele Geschäfte und Produkte, die offensichtlich von Migrantenkulturen geprägt sind und die – wenn es um aktuelle Produktkultur geht – in die Sammlung aufgenommen werden sollten. Zumindest ist das ein Feld, das in den letzten Jahren mit kleineren Projekten in den Blick genommen wurde. Die Auseinandersetzung mit dem Thema und auch die Revision der Sammlung unter dem Gesichtspunkt ihrer Prägung durch den Aspekt der Migration muss fundiert und präzisiert werden. Die Sammlung des Museums sollte im Bezug auf die Produktkultur ‹fremder› Kulturen, nach Möglichkeit im Hinblick auf folgende Fragestellungen, erweitert werden: 1. Unterschiede in der Warenästhetik, Gestaltung der Verpackungen, Marke-

tingstrategie; 2. Für Vergleiche des Warenangebots: Produkte aus dem Ursprungskulturen

und ortsübliche Produkte für Kunden mit Migrationshintergrund; 3. unterschiedliche Konsum- und Nutzungsgewohnheiten, die sich in Produkten

niederschlagen; 4. Prägung der Konsumgewohnheiten von Migranten durch das Alltagsleben

hier in Berlin.»

Leihgaben der Besucherinnen während der Laborausstellung

Abb. 17: Flamenco-Schuhe, Ohrringe, Halskette, Haarkamm und Armreif; Leihgeberin: Celia Moyos Abb. 18: Zwei Kastagnetten (span.: castañuelas); Leihgeberin: Celia Moyos

«Dieses Flamenco-Set ist das erste Geschenk, das meine Tochter zur Geburt bekommen hat. Es ist eigentümlich, weil ich aus dem Zentrum Spaniens komme und dort solche Dinge normalerweise nicht verschenkt werden. Der Flamenco hat seinen Ursprung in Andalusien, im Süden Spaniens. In meinem Falle ist es so, dass meine Familie ein bisschen Flamenco-verliebt ist. Sie hören gerne die Musik und tanzen gerne dazu, obwohl sie den Tanz nicht beherrschen. Diese Objekte repräsentieren für mich ein Stück Spanien – ein Stück der Sonne, der singenden Leute, der sprechenden Leute, der fröhlichen Leute, die es in Spanien gibt. Die Passion und das Gefühl des Flamenco habe ich ganz selten gesehen und vielleicht ist dies der Grund, weswegen ich dieses Objekt interessant finde..» «Dieses Musikinstrument ist ein sehr populäres Percussion-Instrument in Spanien. Ein Beispiel für seine Popularität ist, dass es während der Franco-Diktatur (1939-1975) gemeinsam mit der spanischen Gitarre zum Nationalinstrument erklärt wurde. Es handelt sich hierbei um ein Geschenk meiner Großmutter. Sie kann sehr gut spielen – allerdings nicht professionell, denn Kastagnetten sind sehr schwer spielbare Instrumente.

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Man muss im Schnitt sieben Stunden am Tag üben, um richtig gut zu spielen. Meine Großmutter benutzt ihre Kastagnetten täglich gegen ihre Handarthrose, was sehr gut funktioniert!»

Abb. 19: Zwei gehäkelte Flamenco-Ohrringe; Leihgeberin: Celia Moyos Abb. 20: Eine Bota (tragbares Weinbehältnis); Leihgeberin: Celia Moyos

«Diese Ohrringe hat eine Freundin meiner Mutter hergestellt. Die gehäkelten FlamencoOhrringe sind sozusagen eine ‹Neuigkeit›, denn normalerweise sind sie aus Plastik, Stein und Silber gemacht. Ich finde diese Ohrringe interessant, weil sie handgearbeitet sind. Fast alle Großmütter in Spanien häkeln und wissen gar nicht, dass sie wahre Künstlerinnen sind.» «Dieses Objekt ist ein traditioneller spanischer Weinbehälter. Er ist aus Leder gemacht und innen mit Pech bestrichen. Das hält den Wein immer frisch und konserviert den Geschmack. Es ist ein typischerweise von Schäfern benutztes Gefäß, da es leicht zu tragen ist. Es wird aber auch beim Wandern, auf traditionellen Festen, wie San Fermines, bei ländlichen Essen und anderen Gelegenheiten verwendet.» «Ich glaube, dass all diese Objekte viel mit Migration und kultureller Vielfalt zu tun haben, da sie selbst ‹Migranten› sind. Sie haben ihr Land verlassen, um in Deutschland zu wohnen – dort wo die Leute solche Objekte nicht benutzen, und wo sie Unbekannte sind.»

LEIHGABEN DER BESUCHERINNEN WÄHREND DER LABORAUSSTELLUNG

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Abb. 21: Familienfotos; Leihgeberin: Celia Moyos Abb. 22: Panjabi (trad. Kleidung aus Indien und Sri Lanka) für Partys und offizielle Anlässe; Leihgeberin: Vijitha Rameswaran

«Was ich wirklich in Deutschland vermisse, ist meine Familie. Ich habe oft Heimweh und ich kann dem nicht aus dem Weg gehen. Ich vermisse die Küsse und die Umarmungen, den Kaffee mit Unterhaltung nach dem Essen, das Gefühl zu wissen, dass man seine Leute um sich hat. Am meisten fehlt mir die körperliche Nähe. Diese Bilder sind der einzige Weg, den ich habe, meine Familie ‹anzufassen›. Meine Großmutter hat sie mir aus ihrer Fotokiste gegeben, in der sich alle ihre Erinnerungen befinden; man sieht, wie sie war, wie meine Eltern waren und wie sie geworden sind, was sie sind. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte und durch diese Bilder kann man das frühere Spanien durch die Augen derer sehen, die dieses Spanien erlebt haben. Diese Bilder sind auf gewisse Weise ein ‹Stückchen› der spanischen Geschichte.» «Der Panjabi stammt aus Indien. Auch in Sri Lanka wird diese traditionelle Kleidung getragen. Viele Mädchen tragen den Panjabi bei Hochzeiten, Geburtstagen, anderen Feiern und im Tempel. Auch Frauen tragen Panjabis; allerdings sieht es besser aus, wenn sie Saris tragen. Heutzutage gibt es modernere Panjabis, die viel kosten. Ich trage ihn, wenn ich in den Tempel in der Urbanstraße gehe. Ich habe diesen Panjabi in Sri Lanka gekauft. Inzwischen kann man sie aber auch in Berlin kaufen.»

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Abb. 23: Tamilische Buchstabentafel; Leihgeberin: Judy Punithavathi Abb. 24: Kokosnussraspel aus Sri Lanka; Leihgeberin: Judy Punithavathi

«Diese tamilische Buchstabentafel erzählt davon, dass wir Tamilen ganz andere Buchstaben haben. Insgesamt sind es 247; dazu gehören auch circa 50 nordindische Buchstaben. Als ich klein war, habe ich sie auswendig gelernt. Glücklicherweise habe ich in Deutschland erfahren, dass man hier nur 12 Vokale und 18 Konsonanten lernen muss, und dann diese Buchstaben miteinander kombiniert. In Sri Lanka lernt man in der Schule als zweite Fremdsprache Englisch, weswegen wir die lateinischen Buchstaben können. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, gab es kein tamilisches Wörterbuch. Deswegen habe ich immer erst in ein deutsch-englisches und dann in ein englisch-tamilisches Wörterbuch geschaut, was ziemlich anstrengend war. Inzwischen haben wir ein deutsch-tamilisches Wörterbuch. Aber es ist trotzdem schwierig, deutsch zu lernen, weil unser Satzbau ganz anders als der deutsche ist. Auch unsere Aussprache ist anders. Wenn wir deutsch sprechen, lachen sie uns manchmal aus. Das tut mir weh, weil wir uns große Mühe geben, deutsch zu lernen. Aus diesem Grund habe ich diese Tafel hierhergebracht. Unsere Kinder möchten nicht Tamil lernen, weil die Sprache so schwer ist. Es besteht also die Gefahr, dass unsere Sprache in den nächsten Jahren ausstirbt.» «Dieses Objekt zeigt uns, wie man aus Kokosnüssen Kokosnussraspeln macht. Kochen in Sri Lanka ist ohne Kokosnüsse undenkbar. Aber hier benutzen wir sie selten. In Deutschland gibt es Kokosmilch in Dosen. Aber in Sri Lanka machen wir sie immer selber und frisch. Das schmeckt ganz anders als aus der Dose. Wir trinken keinen Saft von reifen Kokosnüssen, sondern nur von jungen Kokosnüssen.»

LEIHGABEN DER BESUCHERINNEN WÄHREND DER LABORAUSSTELLUNG

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Abb. 25: Roman «Leonardo da Vinci» von Dimitri Sergejewitsch Mereschkowski; Leihgeber: Wladimir Kusnezow Abb. 26: Foto: Zigarettenhändler; Rückseitige Beschriftung des Fotos: Onkel Bubi, Arwedis Kanzian, Berlin Prinzenstraße; Fotograf: unbekannt; Nachkriegszeit, Berlin; Leihgeber: Gerhard Schneider

In den 1920er Jahren erschienen zahlreiche Bücher von russischen Schriftstellern in Berliner Verlagen. Der historische Roman von Mereschkowski wurde in der Deutschen Buch-Gesellschaft mit Sitz in der Kreuzberger Alten Jakobstraße in deutscher Übersetzung verlegt. Im Berlin der Zwischenkriegszeit hatten vor allem russische Intellektuelle und Angehörige des Adels, die nach der Oktoberrevolution 1917 aus Russland geflohen waren, regen Anteil am Kulturleben. Arwedis Kanzian, ein Armenier, war der Besitzer der Zigarettenfabrik Sideva, die ihren Sitz in der Kreuzberger Prinzenstraße hatte. Kanzian war der Patenonkel der Ehefrau von Gerhard Schneider, dem dieses Foto gehört. Schneider berichtet, Kanzian habe ‹schwarz› angebauten Tabak aus Schrebergärten der Umgebung (Siedlerstolz) verarbeitet.

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Abb. 27: Werbeschild JUNO, Cigarettenfabrik Josetti; Vermutlich 1920er Jahre, Berlin; Leihgeber: Wolfgang Kuhmann Abb. 28: Holzpuppe «Matruschka» ; Leihgeberin: Natalia Shribas

Wolfgang Kuhmann hat dieses Werbeschild bei Ausgrabungen in der Nähe des Standorts der ehemaligen Zigarettenfabrik Josetti, Meier & Peters G.M.B.H. in der Rungestraße in Berlin-Mitte gefunden. Heute befinden sich in dem denkmalgeschützten Gebäudekomplex Büros und Ateliers unter dem Namen Josetti Höfe. Möglicherweise waren in dieser Firma türkische Arbeiter tätig. Natalia Shribas hat diese Matruschka als Erinnerung an ihre Heimat Russland mitgebracht. Dieses Spielzeug ist aus Holz gefertigt, ein Rohstoff, der für Russland aus ihrer Sicht typisch ist. Das Spielzeug ist zerlegbar. Es besteht aus vielen gleich bemalten Puppen, die ineinander geschachtelt werden können. Sie symbolisieren die verschiedenen Generationen.

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Abb. 29: Zwei Kühlschrankmagnete, Leihgeberin: Natalia Shribas Abb. 30: Vogelpfeife aus Holz; Leihgeberin: Natalia Shribas

Diese beiden Kühlschrankmagnete aus Holz zeigen zwei typische russische Trachten, die Natalia Shribas als Erinnerung an ihre Heimat Russland mitgebracht hat. Diese Vogelpfeife ist ein typisch russisches Spielzeug, das häufig von Kindern selbst bemalt wird. Die Leihgeberin hat es als Erinnerung an ihre Heimat mitgebracht. Heute wird es von ihren Kindern benutzt. Abb. 31: Khol-Dose (zur Aufbewahrung von Kajal) aus Saudi-Arabien; Leihgeberin: Fathie Dahabra Abb. 32: Katalog zur (Kunst)Geschichte Persiens; Leihgeberin: Parvin Pashapoor

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«Früher haben wir solche Dosen benutzt, um unseren Lidstrich zu ziehen. Diese Dose habe ich 1980 von meiner Freundin geschenkt bekommen, die von der Hadj (Pilgerfahrt nach Mekka) aus Saudi-Arabien wiederkam. Ich habe sie als Erinnerung nach Deutschland mitgenommen. Zur Dose gehörte ein Fläschchen Khol zum Nachfüllen. Die Dose steht in einer Vitrine in meinem Wohnzimmer.» «Den Katalog hat meine Tochter mit nach Hause gebracht. Ich schaue ihn mir gerne an, weil er etwas über die Altertümer und die Moderne erzählt. Er ist eine schöne Erinnerung an meine Heimat.»

Abb. 33, 34, 35: Abeja (weites Hemd für Kinder), Größe 32, Gebetsteppich; Schmuckdose für Khol, Leihgeberin: Mizyan Ghada Abb. 36: Teekanne aus der Türkei; Leihgeberin: Münevver Gökdaú

Von der Hadj (Pilgerfahrt nach Mekka) mitgebrachte Geschenke an Mizyan Ghada. «Diese schöne Teekanne aus der Türkei erinnert mich an meine Heimat.»

Fotos der Ausstellung

Abb. 37: Kabinett Museum Für Islamische Kunst Abb. 38: Kabinett Kreuzberg Museum

Abb. 39: Kabinett Stadtmuseum Abb. 40: Kabinett Museum der Dinge

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Abb. 41: Glaskubus Foto 42: Objekte Besucherinnen

Abb. 43: Kommentare Besucher Abb. 44: Videos Sammlungsleiter

FOTOS DER AUSSTELLUNG

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Die Fotos im Katalogteil stammen von Armin Herrmann, Werkbundarchiv – Museum der Dinge mit Unterstützung von Fabian Ludovico, außer Abb. 41 (Christine Gerbich), Abb. 40, 44 (Susan Kamel), Abb. 38, 42, 43 (Frauke Miera).

Anhang: Rezensionen der Ausstellung

Abb. 45: Rezension von Christina Tilmann im Tagesspiegel vom 9.3.2011.

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Abb. 46: Rezension von Nikolaus Bernau aus der Berliner Zeitung vom 24.3.2011.

Zudem wurden zwei Interviews mit Frauke Miera am 26. Januar 2011 auf Radio 88vier und am 29. Januar 2011 auf RBB Kulturradio gesendet.

Autorinnen und Autoren

Dr. Lorraine Bluche ist Historikerin, freie Kuratorin und Projektentwicklerin (gemeinsam mit Frauke Miera). Zuletzt war sie als Kuratorin am Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg im vom Hauptstadtkulturfonds geförderten Projekt «Migration macht Geschichte» tätig (Ausstellungen: «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen», Jan.-März 2011 und «ortsgespräche. stadt-migration-geschichte: vom halleschen zum frankfurter tor», Jan. 2012-Dez. 2013). Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in Ausstellungsprojekten am Kunstamt Tempelhof-Schöneberg, am Deutschen Historischen Museum sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin und absolvierte ein wissenschaftliches Volontariat am Deutschen Historischen Museum (Ausstellung «Migrationen 1500-2005. Zuwanderungsland Deutschland», Okt. 2005-Feb. 2006). Schwerpunktthemen ihrer Veröffentlichungen sind Partizipation und Inklusion im Museum. Kontakt: [email protected] | www.miera-bluche.com Christine Gerbich, M.A. unterstützt seit ihrem Studium der Soziologie, Germanistik und Medien- und Kommunikationswissenschaften nationale und internationale Forschungsprojekte im Kultur-, Bildungs- und Gesundheitssektor als Evaluatorin. Zurzeit ist sie an der Technischen Universität Berlin im Projekt «Experimentierfeld Museologie. Über das Kuratieren islamischer Kunst- und Kulturgeschichten» für den Bereich Besucherforschung und Ausstellungsevaluation zuständig. Im April 2012 erschien ihr gemeinsam mit Susan Kamel verfasster Aufsatz «Social justice and community participation in non-Western contexts: the Marib museum project in Yemen» in dem von Richard Sandell und Eithne Nightingale herausgegebenen Band «Museums, Equality and Social Justice». Seit November 2012 ist Christine Gerbich Mitglied im Graduiertenkolleg des Exzellenz-Clusters Topoi und beschäftigt sich dort im Rahmen einer Disser-

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tation mit Strategien zur Vermittlung archäologischer Objekte im Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. Kontakt: [email protected] | www.experimentierfeld-museologie.org Dipl.-phil. Gisela Helmecke ist langjährige Kustodin am Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin-PK. Sie war an zahlreichen und verschiedenen Ausstellungen des Museums auf nationaler und internationaler Ebene beteiligt und hat auch selbst einige kuratiert. Unter anderem war sie 1998 Kuratorin bei der Ausstellung «Ya kafi, ya shafi» in der Bir Zeit University in Palästina. Seit 2004 ist sie an der Grabung der Universität Warschau im Fayyum in Ägypten beteiligt. Dementsprechend vielfältig sind die Themen ihrer Veröffentlichungen, u.a. zu einem Astrolabium, zur islamischen Keramik und zu Schmuck. Ihr eigentliches Spezialgebiet sind islamische Textilien, zu denen ebenfalls eine Reihe unterschiedlicher Veröffentlichungen vorliegen. Außerdem beschäftigt sich Gisela Helmecke mit der Geschichte des Museums für Islamische Kunst und den mit seinen Ankäufen und Schenkungen verbundenen Themen, zuletzt Historisches zu Sammlern und Vermittlern islamischer Kunst in Berlin. In: Islamische Kunst in Berliner Sammlungen. Hrsg. Jens Kröger unter Mitarbeit von Désirée Heiden. Berlin: 18-26. Kontakt: [email protected] Dr. Susan Kamel ist Kuratorin und Museumswissenschaftlerin am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin. Sie war nacheinander Leiterin von zwei Forschungsprojekten über die Vermittlung islamischer Kunst- und Kulturen an Museen der Arabischen Welt und an hiesigen Museen. Zu ihren Veröffentlichungen zählen ‹Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen. Black Kaaba Meets White Cube›, Würzburg 2004, und ‹From Imperial Museum to Communication Centre? On the new Role of Museums as Mediators between Science and Non-Western Societies› (herausgegeben zusammen mit Lidia Guzy und Rainer Hatoum, Würzburg 2010). Neben ihren wissenschaftlichen Tätigkeiten arbeitet Susan Kamel im Bereich Content und Audience Development an mehreren Museumsprojekten im Nahen Osten mit, u.a. im Jemen, Israel und am Golf. Kontakt: [email protected] | www.experimentierfeld-museologie.org Dr. Susanne Lanwerd (PD Dr. phil.) ist Dozentin für Religions- und Kulturwissenschaft an der Freien Universität Berlin mit den Schwerpunkten Ästhetische Theorie und Praxis. Nach einer Reihe von Gast- und Vertretungsprofessuren in Österreich, der Schweiz und Deutschland war sie von 2008 bis 2009 Fellow am

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Collegium Helveticum, Zentrum für Religion, Wirtschaft, Politik der Universitäten Basel und Zürich, zum Thema Bilderpolitiken.. Seit November 2009 ist sie Projektleiterin des Forschungs- und Ausstellungsprojekts «Experimentierfeld Museologie. Zur Vermittlung islamischer Kunst- und Kulturgeschichten». Jüngste Publikation: Religiöse Differenz: Darstellungen in Printmedien und zeitgenössischer Kunst, in: Dennerlein, Bettina/Frietsch, Elke/Steffen, Therese (Hg.): Verschleierter Orient – Entschleierter Okzident? (Un-) Sichtbarkeit in Politik, Recht, Kunst und Kultur seit dem 19. Jahrhundert. München 2012, S. 225 – 244. Kontakt: [email protected] – berlin.de Dr. Fabian Ludovico ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Grundlagen und Theorie der Baukonstruktion an der Technischen Universität Dortmund. Er studierte Europäische Kunstgeschichte und Deutsche Philologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und wurde dort 2010 mit der Dissertation «Karl Otto – Architekt und Lehrer. Ein biographischer Beitrag zur deutschen Nachkriegsmoderne» promoviert. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Volontariats im Werkbundarchiv – Museum der Dinge kuratierte er 2012 die Ausstellung «Schreiben & Bauen. Der Nachlass von Hermann Muthesius im Werkbundarchiv – Museum der Dinge», zu der ein Dokumentationsband in der Schriftenreihe des Museums erschien. Kontakt: [email protected] Dr. Frauke Miera Politologin, freie Kuratorin und Projektentwicklerin (gemeinsam mit Lorraine Bluche). Sie leitete das vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Projekt «Migration macht Geschichte» am Bezirksmuseum FriedrichshainKreuzberg, Berlin (Ausstellungen: «NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen», Jan. – März 2011 und «ortsgespräche. stadt-migrationgeschichte: vom halleschen zum frankfurter tor», Jan. 2012 – Dez. 2013). Zuvor war sie für das Deutsche Historische Museum, Berlin (Ausstellung «Migrationen 1500 – 2005. Zuwanderungsland Deutschland», Okt. 2005 – Feb. 2006), im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn sowie in Forschung und Lehre tätig, u.a. an der Europa-Universität Frankfurt/Oder und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Schwerpunktthemen ihrer Veröffentlichungen sind Migration, Integration, Diversity, Inklusives Museum. Kontakt: [email protected] | www.miera-bluche.com Peter Schwirkmann, M.A. ist Leiter des Fachbereichs Geschichte in der Abteilung Sammlungen des Stadtmuseums Berlin. Nach dem Studium der Neueren Geschichte, der Wissenschafts- und Technikgeschichte und der Politologie an

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der Technischen Universität Berlin war er als langjähriger Mitarbeiter verschiedenen Museen verantwortlich für die Konzeption und Realisierung von Dauerausstellungen zu den Themen Kulturgeschichte des Computers, Public Understanding of Science sowie Film- und Fernsehgeschichte. Sein Interesse gilt der Politik- und Sozialgeschichte Berlins, der Stadtentwicklung und der Web-basierten Erschließung der Sammlungen im Sinne einer holistischen Stadtgeschichte als Ergänzung zur klassischen Ausstellungsarbeit. Kontakt: [email protected] Dr. Martina Weinland ist Direktorin der Abt. Sammlung in der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zur Stadtgeschichte Berlins zählen Wasserbrücken in Berlin – Zur Geschichte ihres Dekors und begleitende Ausstellungskataloge, u.a. Wer erzog Prinzen zu Königen? Einen Schwerpunkt in ihrer Tätigkeit sieht sie in der anschaulichen Vermittlung der Geschichte Berlins und in der konkreten Projektentwicklung und -begleitung aktueller Stadtthemen. Kontakt: [email protected]

Danksagung

Die Laborausstellung «NeuZugänge» und die vorliegende Publikation wären nicht realisierbar gewesen ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen. Wir möchten uns bedanken bei Barbara Lenz für die Unterstützung bei der Organisation der Fokusgruppen-Diskussionen, bei Ellen Röhner und Ulrike Treziak für die Ausstellungsgestaltung, Öffentlichkeitsarbeit und die Bildbearbeitung für die Drucklegung, bei Heinz Jansen für Kamera- und Ausstellungstechnik, bei Armin Herrmann für die Objektfotografien, bei Corinna Ditscheid für das Lektorat dieser Publikation, bei Birgit Klöpfer und Johanna Tönsing vom transcript Verlag sowie bei Bernhard Graf vom Institut für Museumsforschung SMB und bei Bénédicte Savoy von der Technischen Universität Berlin. Unser ganz besonderer Dank gilt außerdem den Objektleihgebern (Mohamad Akoush, Isabel Alvarez, Ayúe Ca÷lar, Adalet Firat, Jae Hyun-Yoo, Nadia Kaabi-Linke, Sultan Kilic, Joanna Lesniak, Hamad Nasser) und den Teilnehmerinnen der Fokusgruppen (Mohamed Akoush, Ousama Al-Amin, Kerima Bouali, Juliane Eichhorst, Jasmine Ghandtchi, Elzbieta Guderska, Silvia Maria Ibarra, Vahida Kolasinac, Andrea Leue, Spiros Mavrogiorgos, Ute Mütze, Hamad Nasser, Öznur Özyurt, Sarah Preuss, Judy Punithavathi, F.Y.). Ohne ihr ehrenamtliches Engagement wäre die Durchführung dieses partizipativen Projekts nicht möglich gewesen. Für die finanzielle Unterstützung des Projekts und dieser Publikation danken wir dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge, dem Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, dem Berliner Stadtmuseum, dem Hauptstadtkulturfonds, der VolkswagenStiftung und insbesondere dem Freundeskreis des Museums für Islamische Kunst e.V. Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera Berlin, Dezember 2012

Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen (2., unveränderte Auflage 2013) 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3

Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis Juni 2013, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9

Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung Februar 2014, ca. 450 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2297-3

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