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Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Band 9
Meiner
Zu Philosophie und Politik
ERNST CASSI RER ZU P HILOSOPHIE U ND P OLIT IK
E R N ST CA S S I R E R NACH G E L A S SE N E MA N US K R I P T E U N D T E X T E Herausgegeben von Klaus Christian Khnke John Michael Krois und Oswald Schwemmer Band 9
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
E R N ST CA S S I R E R Z U P H I LO SO P H I E U N D P O L I T I K MIT B EILAGEN
Herausgegeben von John Michael Krois und Christian Mckel
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet ber abrufbar. ISBN 978-3-7873-1255-9
Zitiervorschlag: ECN 9
Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2008. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der bersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfltigung und bertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und bertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bnder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrcklich gestatten. – Satz: H & G Herstellung, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus Thomas Mntzer, Bad Langensalza. Einbandgestaltung: Jens Peter Mardersteig. Werkdruckpapier: alterungsbestndig nach ANSINorm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. www.meiner.de
I N H A LT
Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII ZU PHILOSOPHIE UND POLITIK [Der deutsche Idealismus und das Staatsproblem] . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zum Begriff der Nation. Eine Erwiderung auf den Aufsatz von Bruno Bauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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[Die Wandlungs- und Gestaltungsfhigkeit der Idee der Demokratie] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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[Begrssungsansprache des Rektors, Professor Dr. Cassirer, zur Reichgrndungsfeier der Hamburgischen Universitt am 18. Januar 1930] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wandlungen der Staatsgesinnung und der Staatstheorie in der deutschen Geistesgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Idee des Rechts und ihre Entwicklung in der modernen Philosophie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Rechtsproblem - Verhltnis zum Gottesproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 [Der Begriff der Philosophie als Problem der Philosophie] . . . . . . . . . . 141 [The Myth of the State. Its Origin and Its Meaning. Third Part: The Myth of the Twentieth Century] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Racen-Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 BEILAGEN I (ERNST CASSIRER) 1. Staatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. [Wandlungen des Staatsgefhls und der Staatsgesinnung in der deutschen Geistesgeschichte] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Die staatliche und gesellschaftliche Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Gteborg: Antritts-Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5. [Judaism and the Modern Political Myths] »Jewish Record«. Paralipomena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
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Inhalt
BEILAGEN II 6. [Bericht ber Ernst Cassirers Vorlesung »Der Deutsche Idealismus und das Staatsproblem« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 7. [Leserbrief Bruno Bauchs] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 8. Bruno Bauch: Mein Rcktritt von den »Kant-Studien«. Eine Antwort auf viele Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 9. Ein Streit in der Kant-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 10. Ansprache [des Vertreters der Studentenschaft, Adolf Bachmann,] zur Reichsgrndungsfeier der Hamburgischen Universitt am 18. Januar 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 11. Hans Beyer: »Akademische« Reichgrndungsfeier? . . . . . . . . . . . . . . 298 12. Max Nonne: [ber die Entwicklung der Sprache und ber Gehirn-bedingte Sprachstrungen.] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 ANHANG Zur Textgestaltung 1. Zeichen, Siglen, Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 2. Regeln der Textgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Editorische Hinweise 1. Ziel und Gestalt der Ausgabe »Ernst Cassirer · Nachgelassene Manuskripte und Texte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Zu berlieferungsgeschichte und Inhalt dieses Bandes . . . . . . . . 312 3. Fr die Bearbeitung dieses Bandes herangezogene Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 4. Zur Entstehung der Textzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 5. Zusammenhang mit anderen Nachlaßtexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Anmerkungen der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
VORWORT D E R HE RA US GEB ER
Die fr den Band zusammengestellten Vortrge und Texte fr Lehrveranstaltungen geben Cassirers Gedanken zur Politik und zur Philosophie des Politischen wieder. Außerdem zeichnen sie ein Bild vom politischen Engagement Cassirers nicht nur in Berlin und Hamburg, sondern auch in Schweden und in den USA. Die Materialien, die den Zeitraum von der Mitte des Ersten Weltkrieges (1916) bis zu Cassirers Tod (1945) umfassen, bieten u.a. Einblicke in seine Auffassung des philosophischen Staatsbegriffs, des Rechtsbegriffs, der Frage universaler oder national bedingter Geltung philosophischer Wahrheiten samt der Konsequenzen der jeweiligen Antwort, in den Begriff der Demokratie und der Verantwortung der Philosophen gegenber antihumanistischen Bestrebungen in Wissenschaft, Kultur und Politik. Bei den Recherchen und Editionsarbeiten des Bandes haben wir umfangreiche Untersttzung erfahren. Unser Dank gilt insbesondere der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die mehrjhrige Forschungs- und Editionsarbeit zur Herstellung des Manuskriptes finanziell gefrdert hat. Fr die institutionelle Untersttzung dieser Ausgabe sind wir der Humboldt-Universitt zu Berlin zu Dank verpflichtet. Volker Gerhardt (Berlin) danken wir fr die umsichtige, kollegiale Leitung und bestndige Befrderung des Drittmittelprojektes ECN 9. Fr Hinweise und Hilfen danken die Herausgeber außerdem: Jrg Fingerhut (Berlin), Claus Gnzler (Karlsruhe), Cyrus Hamlin (New Haven), Klaus Christian Khnke (Leipzig), Rdiger Kramme (†) (Berlin), Eckart Krause (Hamburg), Christian Vogel (Berlin) und Dimitri Mader (Berlin). John Michael Krois und Christian Mckel
Z U P H I LO S O P H I E U N D P O L I T I K
[ D E R D E UTS CH E I D EA LI S M U S U N D DA S STAATSP ROB LE M] A
M[eine] D[amen] u[nd] H[erren] – Es ist eine eigentmliche Erscheinung, die dieser Krieg gezeitigt hat – eine Erscheinung B [,] die ihn vielleicht von den grossen geschichtlichen Kmpfen, die in der Vergangenheit gefhrt worden sind, charakteristisch unterscheidet: – daß hier von Anfang an neben den Streit der Waffen ein Streit der Gedanken und der Theorien getreten ist. In einer Zeit, die rein auf die T h a t gestellt zu sein scheint und die von der That die alleinige Entscheidung ber das knftige Schicksal der Welt zu erwarten hat, erleben wir es immer von neuem, daß, im Privaturteil wie im ffentlichen Urteil, um Rechtsbegriffe und um allgemeine sittliche Normen, um theoretische Grundfragen der Politik C, ja D ber Dogmen und Lehrstze, die E rein der allgemeinen Metaphysik und der philosophischen Weltanschauungslehre angehren, eingehend und erbittert gestritten wird. Gegenber der Wucht und Gewalt des Geschehens selbst, gegenber dem unaufhaltsamen Fortschritt der Thatsachen, will uns solcher Streit oft wie ein blosser Streit um Worte erscheinen, den wir unwillig abwehren mchten. Was will der Kampf um Begriffe, um Ideen, um allgemeine intellektuelle Maßstbe fr das Geschehen in einer Zeit bedeuten, in welcher uns das historische Werden F in seinem unerschpflichen Reichtum, in seiner unbegriffenen und unbegreiflichen Neuheit, in seiner dunklen Tiefe tglich und stndlich gegenwrtig ist? Wenn irgendwo, so scheint hier die Theorie G Grund zu haben, bei den T h a t s a c h e n stehen zu bleiben und sich vor ihnen zu bescheiden. Denn die That selbst, nicht der abstrakte philosophische Begriff schafft hier H erst die Sache; – grndet erst die lebendige geschichtliche Wirklichkeit, in der wir stehen, und die uns und unser ganzes Denken
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DER DEUTSCHE IDEALISMUS . . . STAATSPROBLEM ] Zur Wahl des Titels
siehe Editorische Hinweise, S. 313, und die in der vorliegenden Ausgabe abgedruckte Beilage 6, S. 277-278 B Erscheinung] auf rechtem Rand C um theoretische Grundfragen der Politik] auf rechtem Rand und ber nchster Zeile D ja] danach gestrichen:, wie es hinweiter fast den Anschein hat, E die] danach gestrichen: als solche ihre Entscheidung F das historische Werden] danach gestrichen: gleich einer dunklen Macht selbst tglich und stndlich G Theorie] Theorie, H hier] ber der Zeile eingefgt
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Philosophie und Politik
umfngt, ohne daß wir aus dieser Wirklichkeit A heraustreten und einen Standpunkt der Betrachtung, einen Standpunkt der blossen Reflexion b e r ihr gewinnen knnten. – Dennoch ist es nicht Willkr und Zufall gewesen, was uns auch in diesen Kampf der Begriffe und Theorien hineingetrieben hat; sondern auch er wurde uns gleichsam aufgezwungen. Denn von Anfang an wurde von den Gegnern nicht allein dem deutschen Volk und dem deutschen Staat, sondern dem, was sie das deutsche ›Wesen‹ nannten, der B Krieg erklrt. Freilich zeigte es sich hierbei sogleich, daß es ihnen fr die Bestimmung dieses ›Wesens‹ an jedem festen Begriff gebrach. Denn bald war es hier die deutsche geistige Ve r g a n g e n h e i t , die gegen unsere politische Gegenwart heraufbeschworen und zum Kampf aufgerufen wurde; bald sollte das Verdammungsurteil das Ganze des deutschen Daseins, Vergangenheit und Gegenwart, Geistesform und politische Form, in Eins fassen und gemeinsam treffen. Und immer bestimmter und rcksichtsloser ging die erste Form der Polemik in die zweite ber. Man begann damit, das geistige Deutschland, das Volk Goethes und Kants, von dem modernen Deutschland, dem Deutschland des ›Militarismus‹ zu scheiden; aber man entdeckte alsbald, daß es dabei nicht sein Bewenden haben knne. Die Einschrnkung, die man anfangs gutwillig und gutmtig zugestanden hatte, musste fallen: man begriff, daß der Gegensatz, in dem man sich zu Deutschland befand, nicht lediglich seine staatlich-nationale, sondern seine gesamte geistige Verfassung betraf – daß er nicht minder als in der militrisch politischen Organisation, auch in der ›Kritik der reinen Vernunft‹, im zweiten Teil des Faust, in der deutschen Philosophie und in der deutschen Musik, sichtbar und kenntlich sei. ›Wir stehen hauptschlich gegen Kant im Feld‹ – so hat jngst ein franzsischer Theoretiker erklrt 1 – und einer der berhmtesten Musiker Frankreichs hat dieses Urteil seither weiter auf die Bach’sche Passionsmusik, auf seine Fugen und Messen ausgedehnt. C2 Urteile dieser Art – wie sie nicht etwa nur in der Tagespresse begegnen, 3 sondern wie sie von Gelehrten, von Philosophen, von Knstlern ernsthaft ausgesprochen und in eingehenden Deduktionen begrndet worden sind – mgen uns grotesk anmuten; aber sie sind, wenn man einmal den Ausgangspunkt all dieser Deduktionen annimmt, zum mindesten folgerecht. Wir unsererseits begrssen in ihnen den Mut der Konsequenz, der sie auszeichnet. (Die ganze Verwerfung, die sie aussprechen, ist in der That grndlicher und ehrlicher, als die halbe und zweideutige Anerkennung, die zunchst brig zu bleiben dieser Wirklichkeit] ber der Zeile statt: ihr der] danach gestrichen: Begriff C ausgedehnt.] danach gestrichen: So grotesk dies A B
[Das Staatsproblem]
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schien.) A Denn zum mindesten bleibt uns damit die E i n h e i t gewahrt, die, im Guten wie im Bsen, die Bedingung aller Kraft und alles echten Lebens ist. Das Innere und das ussere, das Wesen und seine physischgeschichtliche Erscheinung sind jetzt nicht lnger getrennt: sondern sie gehren zusammen wie Leib und Seele, die das eine einheitliche Leben eines Organismus ausmachen. In den schweren usseren Kmpfen, in denen wir stehen, tritt dann wenigstens nicht mehr die Behaftung mit einem inneren Gegensatz: sondern wir sind, was wir scheinen[,] und wir scheinen[,] was wir sind. ‹Und so mgen wir alsdann in ruhigem Vertrauen ber das Recht dieses unseres Seins das Urteil der Geschichte herausfordern – in dem Gedanken, daß Recht jeder eigene Einzelcharakter und jeder eigene Volkscharakter hat, der mit sich selbst bereinstimmt.› B Aber e i n e n Punkt giebt es freilich in der nationalen Geschichte Deutschlands und in seiner geistigen Vergangenheit, an welchem der Gegensatz zwischen beiden unverkennbar zu werden scheint. Die ganze Kluft zwischen Idee und Realitt, zwischen Forderung und Erfllung, zwischen dem deutschen Gedanken und der deutschen Wirklichkeit, stellt C sich in der Entwicklung des S t a a t s b e g r i f f s vor uns dar. Es ist das Vorrecht glcklicher politischer Gemeinwesen, daß in ihnen Theorie und Praxis des Staatslebens sich miteinander fortschreitend entfaltet und sich in den wesentlichen Hauptzgen deckt. Die Theorie will hier mit zum B e w u s s t s e i n erheben, was im konkreten geschichtlichen Dasein vorhanden ist; der Begriff spricht in seiner Allgemeinheit aus, was er im einzelnen Beispiel unmittelbar vor sich sieht. Der deutschen Staatstheorie, wie sie sich in den politischen und philosophischen Denkern des 17ten, 18ten und 19ten Jahrhunderts entwickelt hat, war ein so einfaches Verhltnis nicht beschieden. Sie beschrieb nicht die historische Wirklichkeit, die sie um sich herum vorfand, sondern sie trat zu ihr in unmittelbaren Gegensatz: sie gelangte erst zu sich selbst und ihrem originalen Grundgedanken, indem sie diese Wirklichkeit verneinte und aufhob. Einer der bekanntesten D Staatslehrer des siebzehnten Jahrhunderts, Samuel Pufendorf, hat seine Theorien entwickelt, indem er hierbei auf das ›monstrse‹ Gebilde der deutschen Reichsverfassung, als auf das Gegenteil und Widerspiel jeder vernnftig-staatlichen Ordnung verwies. 4 Und als F i c h t e in spterer Zeit seine ›Reden an die deutsche Nation‹ hielt,
( ... )] runde Klammern in Bleistift eingefgt ‹ ... ›] eckige Klammern in Bleistift eingefgt C stellt] ber der Zeile statt: giebt D Einer der bekanntesten] danach gestrichen, wegen Tintenfleck undeutlich lesbar: politischen Theoretiker A B
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Philosophie und Politik
da schien A das, was er vom deutschen Staate sagte, lediglich ›Konstruktion‹ zu sein; – so weltfremd, wie nur irgend einer der theoretischen Grundstze, auf denen sich seine ›Wissenschaftslehre‹ aufbaute. Nun aber zeigte es sich, daß diese Konstruktion zugleich Antizipation war. Der Gedanke hatte vorweggenommen, was er selbst an seinem Teil zu schaffen berufen war. Eine neue Leistung der I d e e war damit entdeckt: nicht eine Wirklichkeits-beschreibende und -nachzeichnende, sondern eine Wirklichkeits-schaffende. Im Gedanken zuerst war eine neue Gestalt des Seins, des geschichtlich-geistigen Lebens entdeckt worden, die erst im weiteren Fortgang gleichsam physische Verkrperung gewann. Auf diesen eigenartigen Prozeß, und damit auf den eigentmlichsten Grund des deutschen Staatsbegriffs, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], mchten die folgenden Betrachtungen Ihre Aufmerksamkeit lenken – aber er wird freilich nur dann ganz verstndlich, wenn man ihm die Entwicklung gegenberstellt, die die Theorie vom Staate in den anderen grossen Kulturkreisen der neueren Zeit genommen hat. – Die modernen politischen Theorien entstammen der geistigen Atmosphre der italienischen Renaissance. Von den allgemeinen Doktrinen ber das Recht des Kaisertums und Papsttums, ber die Grenzscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Macht, die das gesamte Mittelalter beherrscht hatten, wendet sich hier der Blick zum ersten Mal zurck zu dem natrlichen und gleichsam physischen ›Ursprung‹ der einzelnen Staatsgebilde. Und diesen Ursprung glaubte man in dem Italien des Quattrocento und Cinquecento gleichsam mit Hnden greifen zu knnen: denn hier befand man sich im Mittelpunkt einer politischen Grung, die immer neue staatliche Formen und Gemeinschaften aus sich hervorgehen liess, – Formen, die nicht auf dem altehrwrdigen gottgegebenen Recht des Herrschers, nicht auf Tradition und Legitimitt beruhten, sondern die der Gunst und der Macht des Augenblicks ihre Entstehung verdankten. Die Heerfhrer der Renaissance, die grossen italienischen Condottieren 5 des 14ten und 15ten Jahrhunderts werden zu Grndern neuer Staaten, in denen sie sich mit allen Mitteln von Gewalt und List zu behaupten suchen. Und dieser Entstehung der Staaten entspricht die neue Theorie des Staates, die jetzt begrndet wird. Niccol Machiavellis Buch vom Frsten 6 will ohne Urteil ber Gut und Bse, ber Recht und Unrecht lediglich das Bild der Staatsverfassungen jener Tage festhalten; will mit der Objektivitt des B geschichtlichen Forschers beschreiben, wie jene Verfassungen, kraft einer verwickelten und kunstreichen Technik der Herrschaft, aufgerichtet, befestigt und verteidigt werden. Kein andeA B
schien] ber der Zeile statt: war Objektivitt des] danach gestrichen: Betra[chters]
[Das Staatsproblem]
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rer Maßstab, kein anderer Gesichtspunkt kann hier gelten, als der Macht- und Herrschaftszweck selbst. Er wird zur eigentlichen ›ragione di stato‹; zu dem, was die sptere Zeit in dem Begriff der ›Staatsraison‹ zusammenfasst. 7 D i e s e ›Vernunft des Staates‹ ist kein abstraktes und somit unwirkliches und unwirksames Ideal, keine ethische Forderung, die ihm entgegengehalten und an der er gemessen wird, sondern sie spricht einfach den B e s t a n d des Staates, als eines empirisch-geschichtlichen Daseins aus und fixiert die Bedingungen, an welche dieser Bestand gebunden ist A . Die ›Staatsraison‹ dieser politischen Theorie fragt nach keinem Z we ck , der ausserhalb des Staates selbst gelegen wre; sie stellt lediglich die M i t t e l fest, auf die der Staat gleichsam als Naturwesen, das seine physische Existenz zu schtzen und zu erweitern hat, angewiesen ist. Alle Mittel sind recht, die diesen einzigen Naturzweck sichern und frdern: denn alles Recht wird durch die Macht, nicht diese durch jenes bestimmt. – Einer anderen Form der staatlichen Entwicklung und damit zugleich einem neuen Zuge des politischen Denkens begegnen wir, wenn wir unseren Blick der f r a n z s i s c h e n G e s c h i c h t e zuwenden. Die Staatsund Regierungsform des modernen B Frankreich unterscheidet sich von den italienischen Staatsgebilden der Renaissance, die aus Glck und Zufall entstanden sind und die gleichsam der Tag erschuf und strzte, vor allem durch die stetige – fast wre man versucht zu sagen durch die m e t h o d i s c h e – Entwicklung, die sie genommen hat. In schweren inneren Kmpfen, die die Nation bis ins Innerste erschttern, setzt sich hier das Neue allmhlich gegenber den traditionellen Mchten, gegenber den Ansprchen, die in ihrem letzten Rechtsgrunde aus dem mittelalterlichen Lehns- und Feudalsystem stammen, durch. Die unermdlichen, immer von neuem hervorbrechenden Streitigkeiten zwischen der Knigsmacht und der eiferschtig gehteten selbstndigen Macht der Adligen und Großen fllen die ersten Jahrhunderte der franzsischen Geschichte aus. Die neue Form des franzsischen Staates aber – und damit des modernen Staates berhaupt – wird von dem genialen Staatsmann fixiert, der diesen Kampf endgltig zum Vorteil des Knigtums entscheidet. Wie wenige der grossen Politiker ist R i c h e l i e u , der diese Aufgabe zu Ende fhrt, von dem klaren B e w u s s t s e i n ber den neuen S i n n des Staates, den er damit schaffen hilft, erfllt. Und aus der staatlichen Einheit, wie sie sich im absoluten Knigtum ussert und offenbart, geht nun auch erst die nationale Einheit des franzsischen Vo l k e s hervor. In den an welche dieser Bestand gebunden ist] danach gestrichen:, wenn er sich im Sein behaupten will B des modernen] ersetzt in Bleistift gestrichenes: neuzeitlichen A
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Philosophie und Politik
vorangehenden Kmpfen A war diese Einheit bestndig bedroht; immer von neuem war es in den Kmpfen zwischen Knig und Vasallen, zwischen Hugenotten und Katholiken[,] fremde Hlfe gewesen, die von beiden Seiten in Anspruch genommen und gegen die eigenen Volksgenossen benutzt wurde. Der durchgehende grosse politische Gedanke Richelieus[,] wie er sich z. B. in R a n k e s grossartiger Darstellung verfolgen lsst[,] B ist es dagegen, Volks- und Staatseinheit wechselseitig auf einander zu beziehen und in einander zu grnden. Auch die Religion wird von diesem Kardinal und Kirchenfrsten bewusst in den Kreis dieser allgemeinen Bestimmung gezogen. Es entsteht damit eine neue ideelle Bedeutung, eine neue W r d e des Staates: aber sie ist freilich nur vorhanden, sofern sie sich zugleich in seinem empirisch-geschichtlichen Dasein, in seiner materiellen Kraft und Grsse darstellt und verkrpert. ›Denn der Staat‹ – so sagt Richelieu einmal – [›]hat keine Existenz nach dieser Zeit; sein Heil ist in der Gegenwart oder null und nichtig.‹81 Und das ist nun das grosse Pathos, das ihn durchdringt und durch welches er gleichsam die ganze vergangene franzsische Geschichte wie in einen Punkt zusammenfasst, daß er dieser allgemeinen Forderung, die in ihm lebt, nach allen Seiten zur Erscheinung in der Wirklichkeit verhelfen will. Ludwig XIV[.] tritt hierin nur das Erbe Richelieus an: in dem Glanz des absoluten Herrschertums spiegelt sich die Macht der neuen absoluten S t a a t s i d e e . Das Wort: L’Etat, c’est moi hat in dieser Hinsicht einen tieferen Sinn als ihm gewhnlich zugesprochen wird: denn in der That war es hier die Zusammenfassung in dem Einen und Einzelnen, kraft welcher sich, unter den gegebenen geschichtlichen Voraussetzungen, die Kraft und die Allgemeinheit des Staatsbegriffs erst zu manifestieren vermochte. Die franzsische Revolution hat diese Macht des Einzelnen vernichtet, aber sie hat noch in dieser Vernichtung gleichsam die Struktur des franzsischen Staats g e d a n k e n s erhalten. In der That ist es oft bemerkt und z. B. von Ta i n e in seinem Werk ber die ›Ursprnge des modernen Frankreich‹ 9 eingehend dargestellt worden, wie die scheinbar neuen staatlichen Formen, die mit der Revolution emporkommen, in Wirklichkeit smtlich im ›ancien rgime‹ angelegt und begrndet sind. Die vollstndige Zentralisierung aller Staatsgewalt und Regierung in der 1
Ranke[: Franzsische Geschichte, Bd.] II, [S.] 353 am rechten Rand
vorangehenden Kmpfen] danach gestrichen:, insbesondere in den Kmpfen der Ligue B wie er sich z. B. in R a n k e s grossartiger Darstellung verfolgen lsst,] am rechten Rand als Einschub L A
[Das Staatsproblem]
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Person des Herrschers war die Voraussetzung dafr, daß sie auf das ›Volk‹, als ein allgemeines und abstraktes Subjekt, bertragen werden konnte. Rousseaus Gedankenstaat, der die vollstndige und bedingungslose Abdankung alles Privatwillens zu Gunsten des Allgemeinwillens verlangt,10 stellt in dieser Beziehung nur ein geistiges Correlat und Ebenbild des Verhltnisses auf, das unter der absoluten Monarchie sich praktisch in einer ganz anderen Sphre erfllt hatte. In beiden Fllen, – in der franzsischen Revolution, wie im franzsischen Knigtum –[,] knpft sich ein neues Staats b e w u s s t s e i n an eine neue gewaltige und umfassende Weise der staatlichen E x i s t e n z und des staatlichen Macht- und Herrschaftswillens, der ber alle Schranken und Besonderheiten der Einzelnen, der Stnde, der Nationen hinweggreift. – Aber ein ganz anderes Bild stellt sich uns dar, wenn wir nunmehr von hier aus auf die deutschen Verhltnisse hinberblicken. Die Einheit von Staat und Nation war hier seit den Kmpfen der Reformation unwiederbringlich dahin: und wo noch das Streben und die Forderung nach einer solchen Einheit sich regte – da wurde es durch die berlebten Formen der alten Reichsverfassung gehemmt und hintangehalten. Die beiden Momente, die in allen grsseren europischen Staatengebilden der neueren Zeit, wenngleich nach mannigfachen Kmpfen, schliesslich mit einander verschmelzen, bleiben daher hier von einander getrennt. Im Bewusstsein des Einzelnen wie im Gesamtbewusstsein prgt sich dieser Mangel aus. In der Geschichte Friedrich Wilhelms von Brandenburg, des grossen Kurfrsten[,] giebt es einen Moment, in dem dieser Frst, der im allgemeinen der krftigste und entschlossenste Vertreter des nationalen Widerstandes gegenber Ludwig XIV. war, den Plan fasste, die deutsche Kaiserkrone auf Ludwig XIV. oder einen franzsischen Frsten nach ihm bergehen zu lassen.1 Der A Conflikt und die B Unsicherheit, die sich in Zgen dieser Art aussprechen, ist von nachhaltigster Wirkung nicht nur auf die usseren politischen Geschicke Deutschlands, sondern auch auf seine allgemeine, rein innerliche und g e i s t i g e Verfassung. Aber an diesem Punkt setzt nunmehr auch die eigentliche und entscheidende Gegenwirkung ein. Eine neue Staatsauffassung wird jetzt, nicht wie in Frankreich oder England aus der unmittelbaren Kraft des Geschehens, aus der Macht der Thatsachen heraus, sondern aus der Macht des G e d a n k e n s gewonnen und fortgebildet. Die Rechtfertigung des Staates im Gedanken und durch den Gedanken: seine Erhe1
A B
Ranke[: Franzsische Geschichte, Bd.] III, [S.] 422 am rechten Rand
Der] danach gestrichen: innere die] danach gestrichen: innere
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Philosophie und Politik
bung nicht nur zu einer physischen Realitt, sondern zu einem eigentmlichen A g e i s t i g e n We r t : das wird fortan eines der grossen Grund- und Hauptthemata der deutschen Philosophie, wie sie sich in Leibniz und Wolff, in Kant und Fichte darstellt. Diese Philosophie ist ihrer eigentmlichen Grundrichtung nach Idealismus: d. h., wenn wir dies Wort zunchst nur in seinem allgemeinsten Sinne erfassen, sie nimmt ihren Ausgangspunkt in der S e l b s t g e w i s s h e i t der Idee und sucht von hier aus die Erfahrung, nicht als ein Gegebenes und Fertiges, sondern als ein erst z u G e s t a l t e n d e s und zu Bestimmendes zu begreifen. B ^Wenn diese Stellung im Gebiete der Wahrheit, im Gebiet der theoretischen E r k e n n t n i s des Wirklichen mit mannigfachen methodischen Schwierigkeiten behaftet zu sein scheint, – so tritt ihre Bedeutung und ihr eigentlicher Rechtsgrund reiner und fassbarer dort hervor, wo die Gebilde[,] um die es sich handelt, nicht gegebene materielle Naturdinge sind, sondern historische Gestalten, die aus W i l l e n und Ta t erst hervorzubringen sind. Die R i c h t u n g des Willens ist hier das Erste und Entscheidende, wovon dasjenige, was durch ihn erschaffen und erzeugt wird, in seiner inneren Gesamtstruktur abhngig bleibt. Aber wenn kraft dieses Zusammenhangs das Problem der Erkenntnis, innerhalb des Systems des philosophischen Idealismus, alsbald unmittelbar in den Mittelpunkt der großen L e b e n s p ro b l e m e C tritt, so scheinen diese letzteren umgekehrt die Farbe des blossen abstrakten D e n k e n s anzunehmen. D Das Staatsproblem aber erscheint damit von seinen eigentlichen Grundlagen abgelst: es wird aus einem Problem der G e s c h i c h t e zu einem Problem der M e t a p h y s i k . Die ›Idee‹ des Staates, die diese Metaphysik entwirft, ist zugleich den empirisch-historischen Krften gegenber mit dem E Makel der U t o p i e behaftet. Diese Verwicklung stellt sich in ihrer ganzen Schwere sogleich bei dem ersten deutschen Denker dar, der in diesem Zusammenhang zu erwhnen ist. eigentmlichen] danach gestrichen: und selbstgewissen zu begreifen.] // – Fortsetzung siehe Seite 24 N a t u r re c h t Leibniz – Wolff – Friedrich – Anti-Macchiavell in Bleistift am rechten Rand auf Ms.-S. 17. Sich anschließender Text Wenn diese Stellung [...] zu Dank verpflichtet ist. in Bleistift in eckige Klammern gesetzt, endet auf S. 24 mit horizontalem Strich auf linkem Seitenrand. Danach markiert ein Absatzzeichen // den Beginn der auf S. 17 avisierten Fortsetzung: In Deutschland selbst [...]. Fortsetzung handelt u.a. von Leibniz, Wolff, Friedrich dem Großen und seinem Anti-Macchiavell. Vgl. S. 13 in der vorliegenden Ausgabe C in den Mittelpunkt der großen L e b e n s p ro b l e m e ] danach gestrichen: versetzt D anzunehmen.] danach gestrichen: An die Stelle der empirisch E mit dem] danach gestrichen: unauslschlichen A B
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Leibniz steht zum wirklichen staatlichen Leben wahrlich nicht bloss im Verhltnis des Theoretikers und Philosophen. Als Geschichtsschreiber, als Jurist, als Diplomat, als Minister nimmt er vielmehr an allen seinen praktischen Einzelrichtungen Teil; – ist er in alle Besonderheiten und Verwicklungen der Regierung, der Verwaltung, der ffentlichen und geheimen Politik des Hauses Hannover und der deutschen Hfe berhaupt eingeweiht. Aber dennoch: wo er die Sprache des Philosophen spricht, da erscheint mit einem Male das Problem des Staates wie in einen neuen reineren Aether des Gedankens emporgehoben. Es ist der Metaphysiker des Harmoniebegriffs, der hier das Wort fhrt. Was diese Leibnizische Metaphysik ihrem Haupt- und Grundgedanken nach bedeutet, – das kann hier nicht eingehend dargelegt werden. Ihr eigentmlichstes Problem aber, ihre charakteristische Aufgabe liegt in der Vershnung von Individualismus und Universalismus. Das einzelne Subjekt soll sich a l s Einzelnes, als eine unverlierbare und unverwechselbare Einheit, als eine geistige M o n a s , die ihrem eigenen individuellen Gesetz untersteht, begreifen lernen – aber es soll sich eben in dieser Besonderheit auf die Gesamtheit aller brigen Subjekte beziehen. In dieser Gesamtheit spiegelt es sich und von ihr empfngt es das Licht, das ihm sein eigenes Sein erleuchtet. Denn in ihr erkennt es, daß die bestimmte individuelle Regel, der es untersteht, nur die Abwandlung und gleichsam die Variation eines allgemeinen Grundgesetzes ist, das fr die Gesamtheit der geistigen Welt berhaupt gilt. Zur ›Person‹ im geistigen Sinne des Wortes also wird der Einzelne erst, indem er sich dieses seines allgemeinen Bezugs, dieser Zugehrigkeit zu einem umfassenden und universellen G a n z e n des Seins bewusst wird. Und damit springt sogleich der Zusammenhang heraus, den diese Gesamtansicht mit dem Problem des Staates verknpft. Der Staat ist der relative und gleichsam der sichtbare Ausdruck dessen, was in absoluter und rein gedanklicher Form im Begriff der Harmonie ausgesprochen ist. Er fordert den Zusammenschluß der individuellen Absichten und Zwecke zu einem bergreifenden gemeinsamen Zweck – A zu einem Zwecke indessen, der ber die Sicherung des empirischen Daseins der Einzelnen und ber die Pflege ihrer materiellen Wo h l f a h r t und G l c k s e l i g k e i t weit hinaus liegt. Die hchste Legitimation der sozialen und der politischen Gemeinschaft liegt nach Leibniz nicht in dieser Art der materiellen Frderung: sondern B in der Vorbereitung und Erziehung, die sie fr Zweck –] danach gestrichen: und er weist zugleich den Weg an, auf dem diese Forderung empirisch zu erreichen ist B sondern] danach gestrichen: in jenem Zusammenschluß der W i l l e n , durch die in ihm sichtbar vollzogen ist A
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den allgemeinen Gedanken der ›Geisterrepublik‹ enthalten. Die Verfassung des empirischen Staates wird demnach fr Leibniz das Bild und das Symbol fr dasjenige, was er, mit dem mittelalterlich-theologischen Ausdruck, im Begriff des ›Gottesstaates‹ bezeichnet.11 Aber dieser ›Gottesstaat‹ ist dennoch nicht mehr jene ›civitas Dei‹, wie sie im Mittelalter als das Urbild der rein theokratischen Staatskonstruktionen zu Grunde gelegt zu werden pflegte. Denn die Gemeinschaft, die sich in ihr ausspricht, ist nicht sowohl eine solche des U r s p r u n g s , als vielmehr eine solche des Z i e l e s : sie ist nur, indem sie von den Subjekten selbst in der Klarheit des Wissens e r g r i f f e n und in der Energie des Willens und der That h e r vo r g e b r a c h t wird. Zu solcher Klarheit und zu solcher Energie die Einzelnen allmhlich reif zu machen[,] ist die hchste empirische Aufgabe, die der Staat sich zu stellen hat. Deshalb gehen alle seine besonderen Ziele nach Leibniz zuletzt in dem einen grossen Ziele der E r z i e h u n g seiner Brger auf. Der Gedanke, der spter von Fichte mit der ganzen leidenschaftlichen Glut seines Wesens ergriffen worden ist, hat hier bei Leibniz seine erste A theoretische Grundlegung erfahren. Alle staatliche Ordnung ist auf den Gedanken der H e r r s c h a f t gegrndet; aber der letzte sittliche Zweck muss darin bestehen, den Beherrschten selbst, soweit dies gemss seiner besonderen empirischen Bedingtheit mglich ist, zum Bewusstsein und zur Ausbung der F re i h e i t zu erheben. Die Freiheit des Thuns aber ist nach dem Grundsatz der Philosophie der ›Aufklrung‹, der hier zu Grunde liegt, B in der Freiheit des Ve r s t a n d e s gegrndet. Von ihr kann kein Individuum, kann kein ›Vernunftwesen‹ dauernd und prinzipiell ausgeschlossen sein. Die Ordnung der empirischen Abhngigkeitsverhltnisse, die Gliederung der Gesellschaft nach aussen und innen, muss, wenn sie im ethisch-metaphysischen Sinne zu Recht bestehen soll, so erfolgen, daß in ihr zum mindesten die Mglichkeit fr j e d e s ihrer Glieder gewahrt bleibt, sich zur geistigen Selbstndigkeit, zur Selbstndigkeit der Einsicht und Entschliessung zu erheben. Alles positive Recht, jedes ussere Machtgebot findet hier seine letzte n a t u r re c h t l i c h e Schranke in einem Rechte, das mit uns geboren ist. Es ist diese Lehre von bestimmten unverusserlichen geistigen Grundrechten des Individuums, durch die Leibniz insbesondere auf Christian Wolff und dessen ›Ius naturae‹ gewirkt hat – und durch eine weitere Reihe komplizierter literarischer und geschichtlicher Vermittlungen ist sodann der Gedanke von den unverusserlichen Rechten in die Theorie der franzsischen Revolution bergegangen, die hierin, mehr als sie selbst jemals begriffen, geschweige A B
erste] ber der Zeile zu Grunde liegt,] danach gestrichen: vor allem
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zugestanden hat, den Grundgedanken des deutschen Idealismus zu Dank verpflichtet ist.& A //In Deutschland selbst aber nimmt die Gesamtentwicklung eine andere Wendung: B in dem Frsten und Denker, der in seiner Jugend das System Wolffs eifrig studiert und von ihm eine entschiedene Einwirkung erfahren hat C – der sich aber freilich spter von ihm abwendet, weil er, ganz in der Anschauung der grossen geschichtlichen Realitten des Staates lebend, den Schematismus der logischen Systeme mehr und mehr fr sich entbehrlich findet. F r i e d r i c h d e r G ro s s e gehrt als Philosoph wie als Staatsmann durchaus in jene Entwicklung, die von Leibniz zu Kant hinberfhrt. Zwar nicht in dem gewhnlichen Sinne, den die S c h u l e mit diesem Begriff verbindet, kann Friedrichs des Grossen Staatsansicht, wie sie sich seit seiner ersten Schrift, dem Anti-Macchiavell fortschreitend entfaltet, dem Idealismus zugerechnet werden. D Denn das gesamte ussere Rstzeug des Denkens, mit dem er operiert, weist E nicht F auf Leibniz und Wolff[,] sondern auf die franzsische Aufklrungsphilosophie G zurck. Von hier H bernimmt er vor allem die gesamte theoretische I Grundansicht des Sensualismus: jene Ansicht, die in dem Satz gipfelt, daß nur das Einzelne das wahrhaft Wirkliche ist. Die wahrhafte Realitt gehrt dem Einzelding oder der Einzelempfindung an: was wir dagegen das ›Allgemeine‹ zu nennen pflegen, das ist nichts anderes als eine willkrliche Bildung des Denkens, das zwischen den Einzelnen hin- und hergeht und durch vergleichende Betrachtung die gemeinsamen Zge aus ihnen herausliest. Immer aber ist ein solches Allgemeines ein Nachtrgliches: es hat keine eigene objektive Bedeutung und keine selbstndige Kraft, sondern es besteht nur als ein willkrliches Zeichen, als eine Fiktion und eine Rechenmarke fr den Geist, der es denkt. Nur die b e s o n d e re Pflanze: die Fichte, die Tanne, die Buche i s t wirklich[,] ^Wenn diese Stellung ... verpflichtet ist.&] Eingeklammerter Text endet mit lngerem horizontalen Bleistiftstrich auf linkem Rand, die auf dem Rand der Ms.S. 17 angezeigte Fortsetzung beginnt mit dem Absatzzeichen // vor In Deutschland selbst [...] B andere Wendung:] danach gestrichen: denn was bei dem Metaphysiker Leibniz immerhin C erfahren hat] ersetzt auf Rand gestrichenes: empfngt D dem Idealismus zugerechnet werden.] in Bleistift gezeichnete Absatzmarkierung am linken Rand E weist] danach gestrichen: weit eher als F nicht] ber der Zeile G auf die franzsische Aufklrungsphilosophie] danach gestrichen:, auf Voltaire, auf d’Alembert, auf Montesquieu H hier] ber der Zeile statt: ihnen I theoretische] danach gestrichen: Grundlegung A
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d. h. in greifbarer Existenz vorhanden: die Pflanze als Gattungsbegriff hingegen ist nichts anderes als ein blosser N a m e , durch den das inhaltlich Getrennte und Verschiedene einer gemeinsamen B e z e i c h n u n g unterworfen wird. Verfolgt man diese Ansicht zu Ende, so ist klar, daß sie, – wie immer man ber ihr l o g i s c h e s Recht urteilen mag –[,] fr den Staat keine eigentmliche ideelle Bedeutung brig lsst. Denn jedes Allgemeine – es sei das Allgemeine des Begriffs oder des sozialen und politischen Krpers – ist, von diesem Standpunkt aus gesehen, nichts anderes als die S u m m e der Einzelelemente, A und hat keinen anderen Bestand, als denjenigen, den es von diesen besonderen und gesonderten Einzelnen e n t l e h n t . Eine Vereinigung B einzelner Individuen, eine Verbindung privater Interessen: dies und nichts anderes knnte folgerecht gemss dieser Grundanschauung der Staat allein bedeuten. Aber an diesem Punkte setzt nun die eigentmliche Reaktion ein, die fr Friedrich des Grossen politische und philosophische Gesamtauffassung kennzeichnend ist. Der Inhalt, die konkrete Anschauung und das konkrete Gefhl des Staatsganzen C berwindet in Friedrich dem Grossen die Fo r m der Ableitung und Rechtfertigung, die er zunchst noch dem begrifflichen Schematismus der franzsischen Aufklrungsphilosophie, der Lehre der Enzyklopdisten entnommen hatte. In einer kleinen Schrift Friedrichs, in den ›Lettres sur l’amour de la patrie‹[,] kann man in dem Hin und Wider der Beweisfhrung diese Umbildung bis ins Einzelne verfolgen. ›Kann man[‹] – so wird hier zunchst eingewandt – [›]sein Vaterland wirklich lieben? Ist diese sogenannte Liebe nicht die Erfindung irgend eines Philosophen oder eines grblerischen Gesetzgebers? Wie soll man das Volk lieben? Wie kann man sich fr das Wohl irgend einer Provinz unserer Monarchie aufopfern, auch wenn man sie nie gesehen hat? Das alles luft fr mich auf die Frage hinaus, wie man mit Inbrunst und Begeisterung etwas lieben kann, was man gar nicht kennt?‹ 12 Aber dieser logische Zweifel wird alsbald berwunden und aufgelst: durch eine neue Form des Allgemeinen, D die E nicht das sinnlich-physische Dasein und die sinnlich-physische Gewissheit eines Einzeldinges fr sich hat und die nichtsdestoweniger ber jeden Verdacht, eine blosse ›Abstraktion‹ und Fiktion zu sein, erhaben ist. Die Staatseinheit, die diese neue Form repraesentiert, ist eine Einheit nicht des blossen Begriffs oder des zusam-
Einzelelemente,] danach gestrichen: aus denen Vereinigung] danach gestrichen: privater C des Staatsganzen] danach gestrichen: setzt D durch eine neue Form des Allgemeinen,] ersetzt gestrichenes: Eine neue Form des Allgemeinen kndet sich im Staatsbegriff an E die] danach gestrichen: freilich A B
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menfassenden Denkens, sondern eine Einheit, die sich als solche unmittelbar im Thun und Wirken erweist. Als solche bezeugt sie sich nicht sowohl in dem, was sie unmittelbar ist, als vielmehr in dem[,] was sie leistet und vollbringt. Sie ist dem Thun des Einzelnen gegenwrtig – nicht in der Form eines mystisch-bersinnlichen, sondern in der klaren Bestimmtheit, die A der Pflichtgedanke in sich schliesst. Aus dem Allgemeinen der Pflicht, das er anerkennt, B wchst fr Friedrich den Grossen das Allgemeine des Staatsgedankens heraus: und in dieser Hinsicht bilden seine Schriften nun den C fortlaufenden Commentar und die theoretische Besttigung des Ideals, das er als Staatsmann und als Herrscher bethtigt D hat. Die Pflicht, wie sie hier gedacht und zur Grundlage alles staatlichen Lebens gemacht wird, ist freilich ein A b s t r a k t u m – aber sie ist es nur in dem Sinne, daß sie aller individuellen Besonderung der Neigungen, wie E der F usseren Bedingungen als eine bergreifende ausnahmslose Fo r d e r u n g gegenbertritt. Sie gilt fr alle Glieder des staatlichen Gemeinwesens, fr die Brger wie fr den Frsten im gleichen Maße und aus dem gleichen Grunde, – und sie ist es, die, in ihrer reinen Notwendigkeit, alle G zuflligen Differenzen H zwischen den Einzelnen zuletzt berwinden muss. ›Daran habe ich gearbeitet[‹] – so heisst es in einem der politischen Testamente Friedrichs – [›]und whrend des Ersten I Schlesischen Krieges mir alle mgliche Mhe gegeben, den gemeinschaftlichen Namen P re u s s e n J in Aufnahme zu bringen, damit die Offiziere lernen, daß sie alle, aus welcher Provinz sie auch stammen, als Preussen zu gelten haben u[nd] daß aus dem gleichen Grunde alle Provinzen obwohl von einander getrennt, doch nur ein einziges Staatsgebilde ausmachen.‹ 13 Diese Einzigkeit des Gebildes ruht hier nicht auf der Gemeinsamkeit der Tradition noch auf der Einheit des geschichtlichen Ursprungs, der vielmehr bei den Lndern der preussischen Monarchie K bunt und vielfltig genug ist: er ruht vielmehr auf der Einheit einer staatlichen O r g a n i s a t i o n , die aber kein blosses Flickwerk von Regeln und
die] den das er anerkennt,] danach gestrichen: und das er in sich als C den] danach gestrichen: bestndigen und D bethtigt] Lesung unsicher, kann auch lauten: besttigt E wie] ber der Zeile F der] danach gestrichen: individuellen G alle] danach gestrichen: einzelnen H Differenzen] danach gestrichen: in Ansatz I des Ersten] danach gestrichen: politis[chen] J P re u s s e n ] Hervorhebung Cassirers K Monarchie] Monarchie, A B
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Verordnungen ist, sondern aus der Einheit eines A W i l l e n s und damit zuletzt einer ethischen I d e e seine eigentliche Kraft empfngt. Und hier liegen nun auch die inneren Motive, die abgesehen von allen direkten geschichtlichen Zusammenhngen, die hier etwa noch bestehen mgen, Friedrich den Grossen mit Kant verknpfen. Man hat beide oft zusammengestellt; und in der That ist ein gemeinsamer Zug in den Persnlichkeiten, in dem bestimmenden und grundlegenden E t h o s beider unverkennbar. Aber die Richtung, die dieses Ethos in beiden nimmt, ist eine ganz verschiedene. Auch fr Kant ist der P f l i c h t b e g r i f f , den er in neuer Reinheit und Kraft aufrichtet, der Mittelpunkt seiner Lehre: es ist der Angelpunkt, um den sich sein gesamtes System bewegt. Aber so sehr er am Vorrang des Wollens vor dem Erkennen, am ›Primat der praktischen Vernunft‹ festhlt: so liegt doch fr den Philosophen das Eigentmliche und Neue in der theoretischen Begrndung. Die neue Stellung und Wrde, die das sittliche Gesetz, die der ›kategorische Imperativ‹ fr Kant gewinnt, verlangt nichts Geringeres als eine vllige ›Revolution der Denkart‹. Sie strahlt nicht unmittelbar in die Welt des Wirkens aus, sie bekundet sich nicht, wie bei dem grossen Politiker, vornehmlich B in der reinen Energie der Tat, sondern sie erweist sich in einer vlligen Umgestaltung der Weltbilder. Und hier ist es wieder ein neues Verhltnis des Allgemeinen zum Besonderen und Einzelnen, das in den Mittelpunkt der Betrachtung tritt. Auch die Philosophie Kants geht[,] wie die Lehre der franzsischen Enzyklopdisten und wie die empiristischen Systeme der Englnder[,] vom Problem der E r f a h r u n g aus. Sie will nicht den Umkreis des Erfahrbaren in metaphysischen Gedankenbauten berschreiten, sondern will das Gesetz der Erfahrung selbst, den Umkreis ihrer Gegenstnde und die innere Struktur ihres Zusammenhangs verstehen lernen. Eben dieses Verstndnis aber fhrt auf Grundstze[,] die – wie die Axiome der Mathematik C – von schlechthin allgemeiner und notwendiger Geltung sind. Ohne die Wahrheit dieser Grundstze vermchte die Erfahrung selbst nicht in ihrer Wirklichkeit zu bestehen; sie wrde sich auflsen in ein Chaos blosser Einzeleindrcke, in eine Summe unverstandener Besonderheiten. Daß sie dies nicht thut, daß in ihr eine bestimmte Regel der Aufeinanderfolge, eine einheitliche Ordnung, eine Zusammenfassung des Einzelnen unter Gesetze mglich ist: dies verdankt sie allein dem Umstand, daß sie, neben ihrem rein materialen stofflichen Inhalt, neben der Qualitt der Sinneseindrcke, eine bestimmte eines] danach gestrichen: Gedankens, eines vornehmlich] ber der Zeile C Axiome der Mathematik] danach gestrichen: – oder wie der Satz der Kausalitt, nach dem alle Ereignisse im Verhltnis urschlicher Verknpfung stehen A B
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Fo r m d e r Ve r k n p f u n g in sich schliesst, die als solche unvernderlich und von dem Wechsel im Inhalt der Eindrcke selbst unabhngig ist. Zu dieser universellen A Form der Erfahrung gehren die reinen Anschauungen von Raum und Zeit, – gehren weiterhin die allgemeinen Verstandesregeln, wie sie sich etwa im Satz von der Grssenbestimmtheit aller Naturgegenstnde oder im Satz von der urschlichen Bestimmtheit aller Naturereignisse aussprechen. Durch Stze dieser Art wird der blosse Umfang des Erfahrenen, als Stoff betrachtet, nicht vermehrt: aber in ihnen hat die Erfahrung erst ihren gedanklichen Zusammenhalt, hat sie ihre logische Gliederung, hat sie somit, vom Standpunkt des Verstandes, B ihre B e d e u t u n g erhalten. Die allgemeinen Verstandesgrundstze sind nicht selbst in der Art einzelner sinnlicher Inhalte – gleich dem Rot oder Grn der Sinneswahrnehmung – aufweisbar, aber sie sind die notwendigen Bedingungen und Voraussetzungen, durch welche die Erfahrung zuerst ihre Einheit erhlt; – durch welche sie aus einem lockeren Verband von Einzelheiten, die nur durch die Assoziation der Vorstellungen an einander gehalten werden, zu einem O r g a n i s m u s der Wahrheit und der Erkenntnis wird, in dem jedes Glied das andere fordert und jedes Glied im anderen gegrndet ist. In diesem Sinn geht die allgemeine Geltung der Verstandesgrundstze dem besonderen Inhalt der Erfahrung vo r a u s ; nicht derart, daß es zeitlich vor ihm besteht und ist, sondern daß es unabhngig von ihm gilt und wahr ist. Das Allgemeine ist damit in der Sprache und Terminologie Kants, in seinem logischen Vorrang vor dem Besonderen, es ist als sein ›Apriori‹ erwiesen. In dem schlichtesten und einfachsten Ausdruck aber besagt dies nichts anderes, als daß der S i n n des Besonderen nicht fr sich, mit ihm selbst schon mitgegeben ist, sondern daß er erst durch die Beziehung auf ein Allgemeines u[nd] Allgemeinstes im Denken gewonnen und festgestellt wird. // C Uns aber interessiert an dieser theoretischen Grundlegung der Kantischen Philosophie hier nur der Punkt, an welchem sie unmittelbar wieder in die Gestaltung der praktischen Probleme eingreift. Was an dem Organismus der Erfahrung als gltig erwiesen wurde – das wird jetzt auf den Organismus der sittlichen Gemeinschaften und auf den Organismus des Staates bertragen. Auch hier ist das Allgemeine nicht lediglich die nachtrgliche Zusammenfassung des Besonderen, nicht die blosse Summe einzelner Individuen und einzelner Interessen, die etwa zu einer allgemeinen ›Glckseligkeit‹ aufaddiert und ausgeglichen werden: sondern
universellen] ber der Zeile statt: reinen des Verstandes,] danach gestrichen: ihren S i n n und C //] markiert in Bleistift Einfgen eines Absatzes A B
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es ist die Voraussetzung seines Bestandes A . Der Wille zum Allgemeinen und der Wille fr das Allgemeine giebt erst dem Einzelnen die echte tiefere Versicherung seines S e l b s t – nicht als einer Summe wechselnder Begierden und Neigungen, sondern im Sinne jenes Festen und Dauernden, das sich fr uns im Begriff der ethischen Pe r s n l i c h k e i t zusammenfasst. Und damit tritt nun auch die grosse Aufgabe des Staates, wie Kant sie denkt, heraus: sie besteht in der E r z i e h u n g z u r Pe r s n l i c h k e i t , die nur innerhalb seiner und durch seine Vermittlung mglich ist. In dieser Hinsicht besteht fr Kant eine notwendige Korrelation zwischen dem Staatsgedanken und dem Menschheitsgedanken: was die ›Menschheit‹ als abstrakte ideelle Aufgabe bedeutet, das kann, im konkreten geschichtlichen Dasein der Individuen und der Vlker, seine wirkliche Erfllung erst im Staate finden. Die [›]Geschichte der Menschengattung im Grossen[‹] lsst sich – wie Kant es in der Sprache des 18ten Jahrhunderts ausdrckt – [›]als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen, um eine innerlich- und B zu diesem Zwecke auch usserlich[-]vollkommene Staatsverfassung zustande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit vllig entwickeln kann‹.14 Daß die Durchfhrung dieses Zieles innerhalb der staatlichen Gemeinschaft auf Z wa n g gestellt ist und auf ihn nicht verzichten kann, beirrt Kant, den Denker der Au t o n o m i e , den Philosophen der sittlichen S e l b s t g e s e t z g e b u n g [,] nicht mehr. Denn eben dies ist nach ihm die eigentmliche und paradoxe Stellung des Staates[,] daß er, wenn er seinen innersten Beruf richtig erfasst, durch das Medium des Zwanges die Freiheit selbst zuletzt zur Verwirklichung, zur geschichtlichen Erscheinung bringen muss. Der Mensch muss der u s s e re n Ntigung, die in jedem gesellschaftlichen Zusammenleben und in jeder gesellschaftlichen Verfassung liegt, unterworfen werden, um vermittelst ihrer das innere Gesetz seiner Selbstbestimmung zu finden und zu begreifen. So wird die C Zivilisation zur Vorstufe der Moralitt. Der optimistische Traum eines staatlos-glcklichen Naturzustandes, wie Rousseau ihn gezeichnet hatte,15 ist damit freilich ausgetrumt. Die Geschichte der Menschheit, ihr Ursprung und ihr Ziel, steht nicht im Zeichen des aesthetischen Idylls, sondern im Zeichen des Kampfes und der Entsagung. D Nicht darin, was ihr als Gabe der Natur und des Geschicks ursprnglich zu Teil wird, sondern in dem, was sie sich in diesem Kampfe e r r i n g t , liegt der Wert der Menschheit als ›vernnftiger Natur‹ geseines Bestandes] danach gestrichen: als ethischer Persnlichkeit und] danach gestrichen: zugleich C So wird die] danach gestrichen: Legalitt zur usseren D der Entsagung.] danach gestrichen: Nur dem, was so in A B
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grndet. ›Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiss besser, was fr seine Gattung gut ist; sie will Zwietracht. Er will gemchlich und vergngt leben; die Natur will aber, er soll aus der Lssigkeit und unttigen Gengsamkeit hinaus sich in Arbeit und Mhseligkeiten strzen, um dagegen auch Mittel aufzufinden, sich wiederum aus den letzteren herauszuziehen.‹ 16 Nicht die Sttte des Genusses ist also das Leben im Staate, nicht Glck und Sicherheit des Einzelnen ist, was er zu gewhren und zu verbrgen vermag, sondern der A n t a g o n i s m u s , der innere Gegensatz und Widerstreit aller Krfte wird durch ihn aufgerufen und wachgehalten. Aber dieser Antagonismus selbst ist die unentbehrliche Vorstufe jener echten E i n h e i t , die nicht von Anfang an als fester Besitz gegeben werden kann, sondern die nur dadurch fr uns ist, daß wir sie selbst aus dem Widerstreit in bestndigem Fortschritt h e r s t e l l e n . Es ist eine heroische Staatsauffassung, die Kant vertritt – eine Auffassung, die den Zwang und das Leiden, das mit allem gesellschaftlich-staatlichen Dasein verknpft ist, rckhaltlos A anerkennt, die aber in diesem Leiden selbst die Bedingung und den Anreiz des immer erneuten und erhhten Thuns erblickt. Nicht ohne inneren Widerstand freilich fgt sich diese Ansicht vom Staate der Gesamtheit des deutschen Geisteslebens ein. Nicht nur gegen die Mechanisierung und Atomisierung des staatlichen Verbandes B , wie sie in der Philosophie der Enzyklopdisten vorherrscht, nicht nur gegen den theoretischen Sensualismus und gegen die Glckseligkeitsmoral der Englnder hat Kant hier zu kmpfen, – sondern ein anderer C schwerer zu bewltigender Gegner erwchst ihm auf dem Boden der deutschen Kultur des achtzehnten Jahrhunderts selbst. Denn der historische u[nd] D aesthetische I n d i v i d u a l i s m u s , der ein wesentlicher Ertrag dieser Kultur ist, schreckt vor der E Forderung des ›Allgemeinen‹, wie sie hier vertreten wird, zurck. Es ist der Punkt, an dem sich Herder zuerst mit voller Entschiedenheit von Kant lossagt. Er[,] dessen ganzes philosophisch-geschichtliches Lehrgebude auf dem Begriff der ›Menschheit‹ beruht, und der gegen jede Verwechslung F der ›Idee‹ der Menschheit mit dem blossen abstrakten Gattungsbegriff des Menschen mit aller Klarheit und Energie protestiert – er vermag dennoch im S t a a t e nichts anderes als ein solches Abstraktum, als eine falsche Verdinglichung eines G begrifflich Allrckhaltlos] ber der Zeile statt: nicht Verbandes] ersetzt: Ganzen C ein anderer] danach gestrichen: strkerer D historische und] ber der Zeile E vor der] danach gestrichen: abstrakten F Verwechslung] danach gestrichen: dieser seiner G eines] ber der Zeile statt: der A B
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gemeinen zu erblicken. Auf diesem Wege einer Ave r ro i s c h e n Philosophie – so versichert er gegen Kant – solle seine Philosophie der Geschichte nicht wandeln. Denn was hlfe es, dem Staat und der Gattung, die in ihm ihr Leben hat, alle nur denkbaren Vollkommenheiten und Entwicklungsmglichkeiten zuzugestehen, wenn doch schliesslich als Trger dieser Vollkommenheiten kein einzelnes konkretes Subjekt namhaft gemacht werden kann. Von der Entwicklung der Menschheit im Staate zu reden, hiesse alsdann nicht verstndlicher sprechen A , als wenn man von der Tierheit[,] der Metallheit, der Steinheit im Allgemeinen sprechen und sie mit den herrlichsten, aber in einzelnen Individuen einander widersprechenden Eigenschaften ausstatten wollte.17 Man sieht, es ist der alte Einwand, den Antisthenes gegen die Platonische Idee erhoben hatte: ›das Pferd sehe ich, die Pferdheit aber nicht‹. 18 Aber in der Antwort, die Kant hierauf erteilt, kommt nun noch einmal der neue p r i n z i p i e l l e Sinn seines Staatsbegriffs und seines Menschheitsbegriffs zum Ausdruck. Zwei Begriffe von Gattung werden jetzt bestimmt einander gegenbergestellt: die l o g i s c h e Gattung im herkmmlichen Sinne, die nichts anderes sein will, als der Inbegriff der Merkmale, in denen bestimmte einzelne Individuen mit einander bereinstimmen, und die Gattung als geschichtlicher Einheitsbegriff und als ethischer Zielbegriff. ›Freilich[‹] – so heisst es daher bei Kant – [›]wer da sagte: Kein einziges Pferd hat Hrner, aber die Pferdegattung ist doch gehrnt, der wrde eine platte Ungereimtheit sagen. Denn Gattung bedeutet alsdann nichts weiter, als das Merkmal, worin gerade alle Individuen miteinander bereinstimmen mssen. Wenn aber Menschengattung das Ganze einer ins Unendliche (Unbestimmbare) gehenden Reihe von Zeugungen bedeutet und es wird angenommen daß diese Reihe der Linie ihrer Bestimmung die ihr zur Seite luft, sich unaufhrlich nhere, so ist es kein Widerspruch zu sagen: daß sie in allen ihren Teilen dieser asymptotisch sei, und doch im Ganzen mit ihr zusammenkomme, mit anderen Worten, daß kein Glied aller Zeugungen des Menschengeschlechts, sondern nur die Gattung ihre Bestimmung vllig erreiche.‹ 19 Diese Scheidung der Gattung als logisches Genus von der Gattung als geschichtlicher Lebenseinheit und als ideelle B sittliche Norm ist es, die auch dem Kantischen Staatsbegriff C erst seine feste methodische Stellung giebt. Denn jetzt zeigt es sich: auch dieser Begriff ist kein bloss empirischer, der von den vorhandenen gegebenen Einzelfllen der Staatsbildung als ein blosser Durchschnitt abstrahiert ist; sondern er schliesst eine Forderung in sich, die wir diesen Einzelfllen selbst verstndlicher sprechen] ber der Zeile statt: anderes ideelle] ersetzt gestrichenes: ethische C Staatsbegriff] danach gestrichen: des Idealismus A B
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entgegenhalten. ^Eine allgemeine Au f g a b e alles staatlichen Daseins ist es somit, die Kant, indem er sich hierfr ausdrcklich auf das Vorbild der Platonischen Republik beruft, fr die Begriffsbestimmung des Staates ins Auge fasst 20 – mag diese Aufgabe auch in keiner bestimmten geschichtlichen Einzelerscheinung vollstndig und restlos erfllt sein. Sie ist darum nicht kraftlos und ohnmchtig: denn sie richtet unseren Blick auf ein intelligibles Ziel[,] A in welchem wir den letzten B Sinn und die letzte C Rechtfertigung alles staatlichen Daseins erfassen, wenngleich dieser Sinn sich niemals in einem D einzelnen thatschlichen Staatsgebilde vollkommen und ungeschmlert zu enthllen und auszudrcken vermag.& EF Hier aber stehen wir bereits an dem wichtigsten Wendepunkt, an welchem der ›kritische‹ Idealismus Kants sich von dem ›metaphysischen‹ Idealismus seiner Nachfolger, von dem Idealismus Fichtes und Hegels trennt. Es wre kurzsichtig und ungerecht, wenn man die Flle neuer Anregungen, die Flle tiefer Gedanken verkennen wrde, die gerade das Problem des Staates den beiden Letzteren verdankt. Jetzt erst wird es seinem ganzen Umfange nach in die Philosophie aufgenommen und in den eigentlichen Mittelpunkt ihrer Systematik gestellt. Ein G fast unabsehbarer Reichtum neuen Wirklichkeitsstoffes und neuer Wirklichkeitsinteressen wird gewonnen: denn wenn bei Kant wesentlich doch der Kritiker der Erkenntnis, der Kritiker der Vernunft sprach, so spricht bei Fichte der Sozialphilosoph, bei Hegel der Geschichtsphilosoph. Die Sprache und die Begriffsform aber, in die das gewaltige neue Material, das damit gewonnen ist, gefasst wird, ist keine andere, als die der M e t a p h y s i k . Fr Fichte ist es die Lehre vom Ich, auf die seine Staatslehre sich sttzt und die umgekehrt erst in der Fassung des Staatsbegriffs ihren eigenen objektiven Abschluss gewinnt. Das empirische Ich – so hatte Fichtes Wissenschaftslehre zu erweisen gesucht – kann die Gesamtheit des In-
ein intelligibles Ziel,] danach gestrichen: das die letzte und hchste R[echtfertigung] B letzten] ber der Zeile C letzte] ersetzt auf rechtem Rand gestrichenes: tiefste D niemals in einem] ber der Zeile statt: in keinem E ^Eine ... vermag.&] eckige Klammern in Bleistift F ^Eine ... vermag.&] auf Rand gegenber eingeklammertem Text notiert: Vermittlung zwischen Kant u[nd] Herder, der Forderung des Allgemeinen u[nd] des Individuellen in H u m b o l d t – Die Jugendschrift: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirks[amkeit] des Staats zu bestimmen. Denkschrift ber die preuss[ische] Verfassung[.] 21 Vermittlung – G e g e n s [a t z ] g e g e n d i e f r a n z s [i s c h e ] Revolut[tion] G Ein] danach gestrichen: Eine ungeheure Flle neuen W[irklichkeitsstoffes] A
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halts, der ihm gegeben ist, nicht dadurch verstehen und in seiner A Struktur begreifen, daß es ihn auf ein transscendentes Sein, auf ein Ding an sich jenseits B aller mglichen Erfahrung als U r s a c h e bezieht, sondern dadurch, daß es ihn auf ein notwendiges Handeln der Intelligenz C zurckfhrt. 22 In der Gesetzlichkeit dieses Handelns erschliesst sich uns ein geistiges Thun D, das von allen Zuflligkeiten der empirischen Einzelindividualitt gelst und daher von schlechthin universeller Bedeutung ist. So tritt hier dem Einzelsubjekt der Begriff der bergreifenden ›Vernunft‹ und Wahrheit, so tritt dem empirischen Ich das absolute und reine Ich gegenber. Aber was hier in reiner philosophischer Abstraktion erwiesen ist, das findet nach Fichte seine konkrete Bewhrung und Besttigung erst in der Erscheinung und im Leben des Staates. Der Grundsatz des Fichteschen Idealismus E , daß alle Individuen in der Einen grossen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen sind – dieser Satz, auf dem nach Fichte alle Mglichkeit des Wissens beruht, 23 wird praktisch erst vllig lebendig in der Grunderfahrung, die jeden Einzelnen von uns mit dem Staate, als dem eigentlichen Repraesentanten des Lebens der ›Gattung‹, verknpft. Jede Zweck- und Wertfrage findet erst hier ihren eigentlichen und letzten Abschluss. ›Was wollen denn zuletzt[‹] – so urteilt Fichte – [›]alle unsere Bemhungen um die abgezogensten Wissenschaften? Lasset sein, der nchste Zweck dieser Bemhungen sei der, die Wissenschaften fortzupflanzen von Geschlecht zu Geschlecht u[nd] in der Welt zu erhalten, warum sollen sie denn auch erhalten werden. Offenbar nur, um zur rechten Zeit das allgemeine Leben und die ganze menschliche Ordnung der Dinge zu gestalten. Dies ist ihr letzter Zweck; mittelbar dient sonach sei es auch nur in einer spteren Zukunft, jede wissenschaftliche Bestrebung dem Staate.‹ 24 Und wenn hier alle theoretische wie praktische Vernunftbethtigung auf den Staat, als auf das Organ und die objektive Form aller Gemeinschaft der Individuen bezogen ist, so ist bei Hegel die Entwicklung abermals um einen Schritt weiter gegangen. Denn an Stelle der Beziehung ist die Identitt getreten: der Staat ist die zur Objektivitt, zur Wirklichkeit gewordene Vernunft selbst. Er stellt den ›objektiven Geist‹ schlechthin dar; nicht als eine leere Forderung und ein blosses Ideal, sondern mit der Gewissheit seiner unmittelbaren F
seiner] danach gestrichen: gesetzlichen jenseits] danach gestrichen: des Bewußtseins C auf ein notwendiges Handeln der Intelligenz] danach gestrichen:, auf die Thathandlungen D ein geistiges Thun] auf Rand nach uns statt:, weil sie E des Fichteschen Idealismus] auf Rand statt: der Wissenschaftslehre F unmittelbaren] ber der Zeile eingefgt A B
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Verwirklichung A . Demgemss finden alle besonderen Richtungen, in denen sich das Leben des Geistes ussert, erst im Staate ihren vollstndigen Ausdruck und ihre wesentliche Verknpfung. Indem die Religion, die Kunst, die Philosophie, jedes nach seiner bestimmten Eigenart, die Vereinigung des Subjektiven und Objektiven im Geiste ausdrcken, finden sie als konkrete Seiten des Volkslebens im Staat ihre Grundlage und ihren Mittelpunkt. ›Indem[‹] – so spricht Hegel dies in den Vorlesungen ber die Philosophie der Geschichte aus [–] [›]indem der Staat, das Vaterland, eine Gemeinsamkeit des Daseins ausmacht, indem sich der subjektive Wille des Menschen den Gesetzen unterwirft, verschwindet der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit. Notwendig ist das Vernnftige und das Substantielle und frei sind wir, indem wir es als Gesetz anerkennen und ihm als die Substanz unseres eigenen Wesens folgen: der objektive und subjektive Wille sind ausgeshnt und ein und dasselbe ungeteilte Ganze geworden.‹ 25 Es ist eine grossartige Perspektive, die sich damit fr den Staatsbegriff erffnet – aber der Glanz, der von dieser Staatslehre ausgeht und die tiefe Wirkung B, die sie zweifellos im politisch-geschichtlichen Leben entfaltet hat, darf freilich die nchterne philosophische Kritik nicht blenden C und die D Nachprfung ihrer theoretischen Grundlagen nicht einschrnken. Ich kann nicht versuchen, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], im Rahmen unserer knappen Betrachtung diese Grundlagen vor Ihnen zu entwickeln: denn sie lassen sich aus dem Ganzen der Hegelschen Metaphysik schlechterdings nicht herauslsen. In dieser Metaphysik liegt ein wesentlicher Teil der Kraft, – in ihr aber liegt zugleich die Grenze des Hegelschen Staatsbegriffs. Nur nach einer Richtung, nur nach der Seite der allgemeinen M e t h o d i k hin versuche ich dies noch anzudeuten. Wenn K a n t in seiner Staatstheorie von der Lehre vom Gesellschaftsvertrag ausgegangen war: wenn er, nach der Weise des Naturrechts, den Staat aus einem ursprnglichen Vertrage erstehen liess, den die Einzelnen unter einander schliessen, und wenn er aus diesem Gedanken E die F Norm G fr die Regelung der Herrschaftsverhltnisse innerhalb des Staates zu finden suchte – so fgt er dieser gesamten Entwicklung doch sogleich hinzu, daß H sie nicht den Sinn haben knne, die Beschreibung und Darstellung danach gestrichen: im empirischen Sein selbst tiefe Wirkung] ber der Zeile statt: Kraft C nicht blenden] ber der Zeile D die] ber der Zeile E aus diesem Gedanken] ber der Zeile statt: hierin F die] danach gestrichen: Grundlage und G Norm] danach gestrichen: fr die Rechtfertigung und H daß] danach gestrichen: wir sie nicht mit der Behauptung und Erzhlung einer wirklichen Geschichte verwechseln drfen A Verwirklichung] B
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eines W i r k l i c h e n zu sein. ›Der ursprngliche Vertrag‹ – so erklrt er – [›]als Koalition jedes besonderen und Privatwillens in einem Volk zu einem gemeinschaftlichen und ffentlichen Willen, ist keineswegs als ein Faktum vorauszusetzen, j a a l s e i n s o l c h e s g a r n i c h t m g l i c h . A [‹] 26 Er ist vielmehr eine blosse Idee der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte praktische Realitt hat: ›nmlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes haben entspringen knnen und jeden Untertan, sofern er Brger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammengestimmt habe[.]‹ 27 Der Vertragsgedanke, als Ausdruck der E i n h e i t des Staatsgedankens[,] soll daher fr Kant nicht irgend eine faktische Ve r g a n g e n h e i t B bezeichnen, aus der sich der Staat herschreibt C sondern gleichsam die unendliche Z u k u n f t , der er sich in seiner empirischen Entwicklung mehr und mehr anzunhern und deren er sich wert zu erweisen hat. Gerade diese Projektion auf die Zukunft, diese Begrndung des Staatsbegriffs im Sollen, nicht im Sein, ist es[,] die H e g e l mit voller Entschiedenheit von sich weist. Man spreche nicht von einem blossen I d e a l des Staates und der Staatsordnung: denn ein solches wre blutleer und kraftlos. [›]Der Staat aber ist vielmehr der Geist, der in der Welt steht und sich in derselben mit Bewusstsein realisiert ... Nur als im Bewusstsein vo r h a n d e n D sich selbst als existierender Gegenstand wissend ist er ... Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist; sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft‹. 28 Das eben wird durch den Staat erwiesen, daß E das Vernnftige, nicht bloss als subjektiver Gedanke F oder als frommer Wunsch einer ethischen Forderung, in uns ist, sondern daß es die u n e n d l i c h e M a c h t besitzt, sich im realen Geschehen selbst zu offenbaren und mit unmittelbarer Gewalt herauszustellen. G Aber indem Hegel auf diese Weise den Dualismus, die Entzweiung zwischen Idee und Wirklichkeit aufzuheben sucht, gert die Form seines Staatsbegriffs damit umgekehrt in die Gefahr, mit der Form eines bestimmten, historisch-bedingten und zuflligen Staatsgebildes zu verschmelzen. Die reine Idee verliert die Kraft der K r i t i k , mit der sie allem zeitlichen Dasein, allem bloss ›Bestehenden‹ gegenbertritt, mit der sie immer von neuem die Umformung
j a a l s e i n s o l c h e s g a r n i c h t m g l i c h .] Hervorhebung Cassirers Ve r g a n g e n h e i t ] auf rechtem Rand, C herschreibt] ersetzt gestrichenes: herstellt D vo r h a n d e n ] Hervorhebung Cassirers E daß] danach gestrichen: die Vernunft kein blosser Wunsch F als subjektiver Gedanke] danach gestrichen: in uns G herauszustellen.] danach gestrichen: Die Tendenz dieses Gedankens ist klar A B
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dieses Bestehenden im Hinblick auf das unendlich-ferne Ziel verlangt. Eine unendliche Wi r k s a m k e i t wollte Hegel dem Staate und der objektiven Vernunft, die sich in ihm darstellt, zuweisen – aber in Wahrheit hat er damit beide auch mit den Schranken behaftet, die jeder W i r k l i c h k e i t als solcher eigen sind. Seine politische Philosophie ist in keinem Punkte Philosophie der R e a k t i o n , die den Staat auf einem bestimmten Punkt seiner Verfassung und Entwicklung festhalten will; aber man begreift aus der Eigenart der Hegelschen Begrndung und Darstellung, daß sie, von Freunden und Gegnern, als solche missverstanden werden konnte. – So liegt hier – bei Fichte wie bei Hegel – ein reicher und tiefer Gehalt vor, der aber in der Besonderheit der metaphysischen Begriffsmittel und der metaphysischen Systemform nicht zu reiner und vollstndiger Entfaltung gelangt ist. Auch hier bedurfte es daher wieder jener k r i t i s c h e n S e l b s t b e s i n n u n g d e s I d e a l i s m u s , jener Rckkehr auf die Grundlagen, die ihm bei Kant gelegt worden waren. Indem Hermann Cohen diese Rckkehr vollzog, indem er vom Inhalt und System der Kantischen Philosophie auf die Einheit ihres Prinzips, auf die Grundvoraussetzung der ›transscendentalen Methode‹ zurckging, – hat er damit auch den Staatsbegriff des deutschen Idealismus zu neuem Leben erweckt. Cohens ›Ethik des reinen Willens‹ beschreitet diesen doppelten Weg: sie fasst den Staatsgedanken als reinen Ausdruck der ethischen Idee der ›Allheit‹ und sie zeigt andererseits[,] wie die Allheitsidee erst A in dem realen Leben des Staates und durch die Vermittlung seiner konkreten Formen Bestimmtheit und Wirksamkeit gewinnt. In dieser zwiefachen Richtung sucht sie den Staatsbegriff als den ethischen Kulturbegriff zu erweisen. Die Kraft des Staates liegt nicht allein in den physischen und naturhaften Wurzeln, die er in der Volkseinheit hat, sondern sie liegt in seiner ethischen Bedeutung als Aufgabe des Selbstbewusstseins. B So trifft Cohens Ethik mit Hegel in dem Gedanken zusammen, daß nur der Staat das eigentliche, echte Selbstbewusstsein des Menschen darstelle. Aber die Art der Begrndung ist bei ihm eine andere geworden. ›Unter der Leitung des Staatsbegriffs[‹] – so spricht die Ethik des reinen Willens ihr Gesamtergebnis aus – [›]lerne ich es verstehen und ausben, daß ich nicht in meiner natrlichen Individualitt das Selbstbewusstsein des Willens produzieren kann; und auch nicht darin, daß ich mich in Liebe und Enthusiasmus zu den Stufen relativer Gemeinschaft zu erweitern trachte; sondern dadurch allein daß erst] danach gestrichen: im Staate Aufgabe des Selbstbewusstseins.] danach gestrichen: Und wie er im Begriffe der Aufgabe liegt, – so liegt er daher in der Ethik – so spricht Cohens Ethik dieses ihr Gesamtergebnis aus[,] daß sie zugleich die Mittel ihrer Behandlung A B
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ich in derjenigen Bestimmtheit und Exaktheit, welche das Recht allein ermglicht und gemss derjenigen Allheit, welche der Staat allein als Einheit vollzieht, alles Selbstischen mich begebe, und mein Ich nur in der Korrelation von Ich und Du denken und wollen lerne.‹ 29 – A Lassen Sie mich jetzt, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], an diesem Punkte meine Darlegungen abbrechen: denn sowenig es mglich war, die abstrakten Grundlagen der Fichteschen und Hegelschen Metaphysik hier zu entwickeln, so wenig kann ich hier die Grundprobleme der Cohenschen philosophischen Methodik darzustellen versuchen. Ich darf auf das Letztere um so eher verzichten, als ich in diesem Kreis die Vertrautheit mit der Eigenart B dieser Methodik, wenigstens in den Hauptzgen, voraussetzen darf. Lassen Sie mich zum Schluss nur noch einmal kurz an denjenigen Punkt anknpfen, mit welchem unsere Betrachtungen begonnen haben. Das erschien uns als die eigentmliche Stellung des Staatsproblems im Ganzen der deutschen Bildungsgeschichte, daß hier die ideelle Begrndung und Rechtfertigung des Staates nicht seiner Wirklichkeit folgt, sondern ihr vorangeht. C Der G e d a n k e des deutschen Staates ist es, der zuerst gewonnen wird: und dieser Gedanke selbst wird zu einem wesentlichen Faktor, zu einer treibenden Kraft im Aufbau und in der Gestaltung des realen Staatswesens. Als Schiller im Jahre 1801 nach dem Abschluss des Friedens von Lunville, in einer Zeit tiefer politischer Erniedrigung Deutschlands, den Gedanken zu einem Gedicht ›Deutsche Grsse‹ fasste, – da stellt er – in dem Entwurf zu diesem Gedicht – zunchst die Frage, ob der Deutsche in einem Augenblicke, wo das Reich mchtigen Gegnern preisgegeben sei, sich noch fhlen, ob er mit Selbstgefhl in der Reihe der Vlker auftreten drfe. Und er bejaht diese Frage: denn das[,] was die Wrde des Deutschen ausmache, gehe in seiner politischen Weltstellung nicht auf. D ›Sie ist eine sittliche Grsse, sie wohnt in der Kultur und im Charakter der Nation, E D i e s e s F Reich blht in Deutschland, es ist in vollem Wachsen und mitten unter den ... Ruinen einer alten Verfassung bildet sich das Lebendige aus ... Der Deutsche ist erwhlt von dem Weltgeist whrend des Zeitkampfs an dem ewigen Bau der Menschenbildung zu arbeiten; nicht im Augenblick zu glnzen und seine Rolle zu spielen, sondern den grossen Prozess der Zeit zu gewinnen ... Denn dem, der den Geist bildet, beherrscht, muss zuletzt die Lassen] zuvor gestrichen: Ich breche Eigenart] ber der Zeile statt: dem allgemeinen Prinzip C vorangeht.] danach gestrichen: Die dadurch D nicht auf.] danach gestrichen: ›Diese Wrde[‹], so heisst es E Charakter der Nation,] danach gestrichen: der von ihren politischen Schicksalen unabhngig ist. F D i e s e s ] Hervorhebung Cassirers A B
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Herrschaft werden, wenn anders die Welt einen Plan, wenn des Menschen Leben irgend eine Bedeutung hat‹. 30 Im Sinne dieser Weltanschauung und getragen von der berzeugung, die ihr zu Grunde liegt, haben alle grossen deutschen Denker ihre Arbeit am Staatsproblem aufgefasst. Sie lebten in dem Gedanken, daß der deutsche Staat als eine ›geistige Grsse‹ gewonnen, begriffen und sichergestellt werden sein msse, und daß er von hier aus die Kraft gewinnen werde, sich zu physischer Macht und Grsse zu erheben. So suchten sie die Kraft des deutschen Staates in der Kraft der deutschen Kultur. Was dereinst dieser deutsche Staat als geschichtliche Wirklichkeit zu bedeuten haben werde und welchen ungeheuren Aufgaben gegenber er diese seine Wirklichkeit zu erweisen haben werde – das freilich konnte keiner von ihnen vllig voraussehen. A Aber dadurch sind sie es gewesen, die auch fr das Staatsideal unserer eigenen Gegenwart die Grundlage geschaffen haben. B Denn auch ihre Staatsansicht sollte kein bloss gedanklicher Entwurf, keine leere begriffliche Utopie sein, sondern sie forderten fr sie die Wirkung auf die reale Welt und die volle Darstellung in dieser realen Welt. Aber sie waren andererseits von dem Gedanken erfllt, den auch wir festzuhalten haben, wenn wir nicht den reinsten C Gehalt unseres Staatsbegriffs aufgeben wollen: daß die tiefste und eigentlich dauernde Macht, die ein geschichtliches Dasein ausbt, in den g e i s t i g e n K r f t e n gegrndet ist, aus denen es hervorgeht und die es sich zu lebendiger Darstellung und Verkrperung bringt. vllig voraussehen.] Nachfolgende Passage in Bleistift in eckige Klammern gesetzt und zustzlich mit vertikaler, durchgehender Bleistift-Linie gestrichen: ‹Uns aber, die wir diese Aufgaben in ihrer unmittelbaren Grsse [danach gestrichen: und Gewalt] vor uns erblicken, erwchst das Vertrauen zu ihrer Bewltigung doch wieder aus den geistigen Zusammenhngen, in die auch wir den deutschen Staatsbegriff hineingestellt sehen. Jede geschichtliche Betrachtung will, richtig verstanden, nicht nur ein Rckblick, sondern auch ein Vorblick sein. [Danach gestrichen: So drfen auch wir das Ganze dieser Betrachtungen mit] So drfen auch wir aus den geistigen Kmpfen der Vergangenheit, in denen der Begriff des deutschen Staates entstand, die Hoffnung und die Zuversicht schpfen, daß die Einheit, die sich hier geknpft hat, allen Zweifeln und allen Bestreitungen zum Trotz sich erhalten und sich immer fester gestalten werde. Die Staatsansicht des deutschen Idealismus hat ihre rein gedankliche Probe lngst bestanden: aber ihre grsste reale und geschichtliche Probe hat sie in der Gegenwart zu bestehen und wird sie in Zukunft zu bestehen haben. Die Entscheidung wird darin liegen, ob es gelingt, die beiden Grundmomente in ihrem unlslichen Zusammenhang festzuhalten: den Staat aus den Grundlagen der deutschen Geisteskultur aufzubauen, und diese, im Staat und kraft des Staates, zur lebendigen Darstellung und Verkrperung zu bringen.› B haben.] danach gestrichen: Der verkennt C den reinsten] danach gestrichen: und letzten A
Z U M B E G R I F F D E R N AT I O N . E I N E E R W I D E R U NG A U F D E N A U F SAT Z VON B RU NO BA UCH. 31A Der Theoretiker, der sich heute die Frage nach dem Verhltnis vom Deutschtum und Judentum stellt, setzt sich dem Vorwurf aus, dass er in einer Zeit, die wie keine andere auf unmittelbares B Tun gestellt ist, sich mssigen und unfruchtbaren Spekulationen ergibt. Stehen wir wirklich noch so tief im Bannkreis metaphysischen Denkens, dass wir fortfahren, um die Differenzen der B e g r i f f e zu streiten, whrend all unser Bemhen lediglich darauf gerichtet sein sollte, daß wir uns der C Einheit der S a c h e , der Einheit der Empfindung immer klarer und schrfer bewusst werden? D Bedrfen wir in diesem Momente eines anderen Zusammenhangs, als desjenigen, den die gemeinsame Aufgabe, hinter der alles andere zurckzutreten E hat, uns klar und eindeutig vorschreibt; oder wollen wir F uns tiefer und tiefer in scholastische Untersuchungen ber das We s e n verlieren, wo alles darauf ankommt G , die ungebrochene H Energie und die Gemeinsamkeit des W i r k e n s in uns I wach zu erhalten? Ich gestehe, dass ich alle diese Fragen, fr mich selbst wenigstens, bisher J verneint habe. Auch nachdem der Streit ber C o h e n s Schrift “Deutschtum und Judentum” 33 immer krassere und bedenklichere Formen ange-
A
Z U M B E G R I F F D E R N AT I O N . ... VON BRUNO BAUCH.] Titel im Ts. [1] -
und Ts. [2] - von Cassirers Hand. In Ts. [3] und im Ms. fehlt der Titel. Das Ts. [1], das der vorliegenden Ausgabe zugrunde liegt, wurde am linken oberen Blattrand mit einem großen L per Hand gekennzeichnet und besitzt ein Deckblatt mit der Aufschrift: Herrn Dr. [Arthur] Liebert, 32 [Berlin,] Fasanenstr. 48, Gartenh[aus] p[ar]t[erre], Ts. [2] trgt die Aufschrift: corrigierte Fassung, Ts. [3] die Aufschrift: enthlt nicht berall die endglt[ige] Fass[ung] B unmittelbares] im Ms. danach gestrichen: lebendiges C all unser Bemhen lediglich darauf gerichtet sein sollte, daß wir uns der] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: die D immer klarer und schrfer bewusst werden?] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile per Hand statt gestrichenem: sich tglich von neuem offenbart und sich auch dem Widerstrebenden immer deutlicher aufdrngt? E zurckzutreten] im Ms.: zurckzustehen F wollen wir] im Ms. danach gestrichen: wirklich fortfahren G wo alles darauf ankommt] im Ms. statt: statt einzig [alternativ: lediglich] und allein H die ungebrochene] im Ms. danach gestrichen: Einheit und I in uns] im Ms. statt: auf die alles ankommt, in uns zu erproben und in uns, dabei in Bleistift gestrichen: zu erproben und J bisher] im Ms. danach gestrichen: fr entschieden angesehen habe
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nommen hatte A , hat es mich niemals gelockt, in diese Arena herabzusteigen, in die sich Cohens Kmpfersinn von Anfang an mutig und entschlossen gewagt hatte. Nicht als Jude, sondern als wissenschaftlicher Forscher, der vor allem ein fest B umschriebenes, sachliches Problem vor sich sehen muss, habe ich hiergegen Bedenken getragen. C Diese Bedenken mussten durch die letzten Ausfhrungen, die sich an Cohens Schrift angeschlossen haben, durch die Bemerkungen der Frau Leonore Ripke-Khn 34 im April-Heft der Zeitschrift ›Der Panther‹ 35 noch verstrkt werden. Denn hier bewegen wir uns von Anfang an in einer Betrachtungsweise, in welcher die ersten Gebote theoretischer Objektivitt dauernd verletzt; in der Urteile und Vorurteile, Ansichten und Absichten bunt durcheinandergemengt werden. Nicht immer krassere ... angenommen hatte] im Ms. statt: sich immer heftiger entzndet und nachdem man begonnen hat, ihn in immer bedenklicheren Formen zum Austrag zu bringen B ein fest] im Ms. danach gestrichen: und klar C getragen.] Im Ms. danach in violettem Stift gestrichene Passage: Auch im wissenschaftlichen Kampf soll man vor der schrfsten Form, wenn sie fr die Klarheit der Sache dienlich und fr diese notwendig ist, nicht zurckschrecken; aber den reinen theoretischen Wahrheitssinn, den Willen zur Sachlichkeit muss man hier auch im Gegner voraussetzen, wenn die Diskussion mit ihm noch frderlich sein soll. Wo man an der Glt[igkeit] dieser Voraussetzung irre wird [...]. Statt dessen auf rechtem Rand: Wo man im Gegner nicht wenigstens den W i l l e n zur Sachlichkeit voraussetzt, [Fortsetzung Fließtext im Ms.:] da thut man besser zu schweigen: denn mit dieser Voraussetzung hrt jede Mglichkeit wechselseitiger Einwirkung und wechselseitiger Verstndigung auf. [Absatzzeichen //] In dieser Lage aber habe ich mich gerade gegenber den letzten Ausfhrungen, die sich an Cohens Schrift anknpfen, gegenber den Bemerkungen der Frau Leonore Ripke-Khn, im April-Heft der Zeitschrift ›Der Panther‹ befunden. Danach im Ms. gestrichen in violettem Stift: Die gelehrt-philosophische Verbrmung und Einkleidung, in der diese Ausfhrungen erscheinen, wird Niemanden, der auf den Grund der Sache zu dringen vermag, ber ihr Motiv und ihren wahren Gehalt tuschen. In Tss. [1] und [2] per Hand eingefgt: Diese Bedenken mussten [...] durcheinandergemengt werden statt: Wo man im Gegner nicht [...] im April-Heft der Zeitschrift “Der Panther” befunden.D D Wo man im Gegner nicht ... im April Heft der Zeitschrift “Der Panther” befunden.] In Ts. [3], der am wenigsten korrigierten Fassung, ist die beabsichtigte Streichung unklar, die stark korrigierten Ts.-Bl. 2-4 sind offenbar eingelegt bzw. gegen noch nicht korrigierte Durchschlge ausgetauscht worden. Weist der erste Teil des Satzes (Ts.-S. 1): Wo man im Gegner nicht wenigstens den W i l l e n zur Sachlich- keinerlei Streichung auf, ist der zweite Teil (Ts.-S. 2) Zeile fr Zeile gestrichen: keit voraussetzt [...] Verstndigung auf. Gestrichen ist danach die Zeile: In dieser Lage aber habe ich mich gerade gegenber den – nicht aber deren Fortsetzung: letzten Ausfhrungen, die sich an Cohens Schrift anknpfen, durch die [per Hand statt: gegenber den] Bemerkungen der Frau Leonore Ripke-Khn, im April-Heft der Zeitschrift “Der Panther” [danach per Hand auf linkem Rand A
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die A Angriffe auf Juden und Judentum sind hierbei das Entscheidende: ber sie liesse sich vielmehr ebenso gleichmtig und gelassen, wie ber vieles andere dieser Art hinweggehen. B Schwerer aber wiegt es, dass hier der Kampf und die Verwirrung des Kampfes in ein C geistiges Gebiet herbergespielt wird, von dem man bisher glauben konnte, dass es D ihm entzogen sei. Die Helle und Klarheit der Grundbegriffe des deutschen Idealismus wird verdunkelt, seine ethische Kraft und Grsse E wird verkmmert, indem er hier F in den Dienst einer These gezwngt wird, die, wie immer man ber ihre sachliche G Geltung urteilen mag, schon in ihrer gesamten Fragestellung tief unter ihm liegt. H Man kann es ohne ein Gefhl der I Beschmung nicht ansehen, zu welchen Zwecken hier die Gedankenwelt Kants und Fichtes gebraucht J wird. KLAuch im einzelnen bleibt die Argumentation, deren Frau Ripke-Khn sich gegen Cohen bedient, durchaus widerspruchsvoll M. Frau Ripke bezeichnet es als einen Zug des “jdischen Formalismus” in Cohen, dass er die Entgegensetzung der Verstandes- und der Anschauungsformen in der “Kritik der reinen Vernunft” nicht nach Gebhr gewrdigt habe, und sie versichert
statt befunden:] noch gesteigert wurden. Denn in ihnen beginnen bereits alle Grenzen zwischen dem, was wissenschaftlich begrndbares U r t e i l und zwischen dem, was blosses hergebrachtes Vorurteil ist, alle Grenzen zwischen dem, was A n s i c h t und zwischen dem[,] was A b s i c h t ist, sich zu verwischen. A Nicht die] im Ms. danach gestrichen: offenen oder versteckten B hinweggehen.] in allen Tss. danach gestrichen: Wer wollte versuchen, gegen einen gehssigen Affekt und gegen ein blindes Vorurteil mit G r n d e n zu streiten? C ein] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: theoretischD dass es] danach in Ts. [1] gestrichen: in seiner Objektivitt und Reinheit E Grsse] im Ms. statt gestrichenem: Freiheit Tiefe F er hier] danach im Ms. gestrichen: absichtlich oder unabsichtlich G sachliche] in Tss. statt: einheitliche, im Ms.: inhaltliche H tief unter ihm liegt.] Im Ms. danach in eckige Klammern gesetzt und gestrichen: ^Nicht um des Judentums willen, sondern um der sachlichen Wrde der deutschen Wissenschaft und um der persnlichen Wrde der deutschen Gelehrten willen, muss es mit tiefer Beschmung erfllen, wenn man sieht, bis zu welchen Zwecken der Schein der Wissenschaftlichkeit& I der] in Tss. statt: tiefer J gebraucht] in Tss. [1] und [3] statt: mißbraucht, im Ms. in violettem Stift gestrichen: missbraucht und herabgewrdigt K gebraucht wird.] in Ts. [3] kurzer senkrechter Strich am linken Rand L gebraucht wird.] Nachfolgender Text Auch im einzelnen bleibt die Argumentation ... die Lehre Kants kritisieren und umbilden. in Ts. [3] in eckige Klammern gesetzt und gestrichen M widerspruchsvoll] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: und sophistisch. Im Ms. sophistisch statt: verwirrt
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in demselben Atemzuge, dass diese Grundansicht A ber das Verhltnis der logischen und der anschaulichen Faktoren der Erkenntnis ihrer eigentlichen historischen Wurzel nach auf – Leibniz zurckgehe. 36 Sie wirft Cohen vor, dass er B bei Kant stehen geblieben und nicht zu Fichte und Hegel weitergeschritten sei, C und sie lsst unerwhnt D, dass die Aufhebung E des “Dualismus” zwischen Anschauung und Denken F, die soeben noch als Beweis der “jdischen” Vorurteile Cohen[s] angefhrt wurde, sich in hchster Schrfe eben bei Fichte und Hegel ausgeprgt findet, – ja, dass sie bei diesen geradezu das methodische Prinzip ausmacht, aus welchem heraus sie die Lehre Kants kritisieren und umbilden. Aber es ist mssig, sich bei Einzelheiten und ber Einzelheiten aufzuhalten, wo der ganze Geist der Beweisfhrung so deutlich spricht. G Mit der inneren Unfreiheit des Urteils, H die sich hier allenthalben bekundet, lsst sich so wenig das Werk eines deutschen wie eines jdischen Denkers, so wenig das Werk Kants oder Leibnizens, wie das Werk Cohens begreifen. Wer noch in dieser Denkweise I steht, dem fehlt nichts Geringeres als das Organ, um geistige Leistungen rein geistig aufzufassen und zu wrdigen. J In der Philosophie wie in der Wissenschaft ist vieles lehrbar und erlernbar: K aber den schlichten Sinn fr diese Grundansicht] in Tss. [1] und [2] statt: dieser Grundbegriff. Im Ms.: diese Grundansicht, danach in violettem Stift gestrichen: die noch eben als das Produkt des jdischen Geistes gekennzeichnet wurde, B dass er] im Ms. danach gestrichen: wiederum in den Grenzen seiner jdischen Denkweise befangen, C weitergeschritten sei,] im Ms. danach gestrichen: in denen sich der Begriff des deutschen Idealismus erst wahrhaft vollende D lsst unerwhnt] in Tss. [1] und [2] statt: verschweigt E Aufhebung] im Ms. statt: berwindung F Anschauung und Denken] im Ms. danach gestrichen: geradezu das methodische Prinzip ausmacht, auf das sich Fichte und Hegel in ihrer Kritik und Fortbildung der Kantischen Lehre sttzen, G Aber es ist mssig, ... so deutlich spricht.] in Ts. [3] Zeile fr Zeile gestrichen H des Urteils,] in Tss. [1] und [2] statt: der Gesinnung, im Ms. danach gestrichen: und des Denkens I Denkweise] in Tss. [1] und [2] statt: Gesinnung J um geistige Leistungen ... zu wrdigen.] in Tss. [1] und [2] statt: mit dem sich geistige Leistungen allein erfassen lassen. Im Ms. gehen der eingeschobenen Formulierung mehrere, immer wieder korrigierte und schließlich in violettem Stift gestrichene Entwrfe vorher: mit dem sich philosophische geistige Leistungen und Werte allein erfassen lassen, und um ein Geistiges geistig wahrzunehmen und mit dem der eigentliche Gehalt philosophischer geistiger Leistungen sich allein erfassen lsst, und fr die sachliche Beurteilung einer geistigen Leistung K In der Philosophie wie ... erlernbar:] in Tss. [1] und [2] per Hand statt: Die Begriffssprache der Philosophie lsst sich bis zu einem gewissen Grade erlernen und gewandt handhaben: In Ts. [3] Ersetzung per Hand: In der Philosophie und in A
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Sachlichkeit A, der erst jeder philosophischen Bestrebung ihren Halt und B Wert verleiht, muss man mitbringen. Wer von der sachlichen Beurteilung einer Leistung zu Betrachtungen ber die Person und ihre Abstammung abspringt, – wie Frau Ripke es nicht nur im Falle Cohens, sondern auch C im Falle Nelsons getan hat 37 – der erfllt die erste D Bedingung nicht, auf Grund deren eine wissenschaftliche E Diskussion allein mglich ist. F – Anders aber scheint der Fall zu liegen G, wenn nunmehr H B r u n o B a u c h 38I in einem ausfhrlichen Brief, der im Juni-Heft des Panther J verffentlicht ist, Frau Ripke-Khn zur Seite tritt und ihr die “aufrichtige Sympathie” und “weitgehendste K Zustimmung” zu ihren Ausfhrungen bezeugt. 39 Denn Bauch spricht nicht nur als Vertreter der kritischen Philosophie, L sondern auch als ordentlicher Professor und als Herausgeber einer der bekanntesten deutschen philosophischen Zeitschriften. Er hat nicht nur eine Meinung, sondern auch ein Amt: und dieser Umstand knnte, so wenig er sachlich in Betracht kommt, gerade bei den philosophischen Laien, an die sich die Ausfhrungen der Frau Ripke ausdrcklich wenden, seinen Worten M ein besonderes autoratives N Gewicht verleihen. Trotzdem htte ich es, wenn es sich lediglich um einen Streit ber Cohen und seine Lehre handelte, auch jetzt noch vermieden, das Wort zu ergreifen. Wie ich zu beiden stehe, das bedarf keiner ffentlichen Bekundung. Wenn die Verder Wissenschaft mag sich, rein stofflich, vieles erlernen lassen: Am linken Rand per Hand: ? Im Ms. als Einschub markierter, aber wieder gestrichener Satz lßt sich nicht eindeutig zuordnen: – bei aller Gewandtheit, die er sich in der Beherrschung der Sprache der Philo[sophie] A Sinn fr Sachlichkeit] im Ms. statt gestrichenem: theoretischen Wahrheitssinn B Halt und] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: ihren eigentlichen C auch] im Ms. statt gestrichenem: noch deutlicher D erfllt die erste] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: subjektive E wissenschaftliche] im Ms. statt: theoretische F erfllt die erste ... allein mglich ist.] in Ts. [3] gestrichen und ber der Zeile per Hand ersetzt durch: beweist damit nur, daß ihm dieser Sinn noch nicht aufgegangen ist und daß ihm daher die erste Voraussetzung mangelt, auf Grund deren eine wechselseitige theoretische Verstndigung allein mglich ist. Senkrechter Strich am linken Rand G liegen] in Tss. statt: sein, im Ms.: liegen H wenn nunmehr] im Ms. danach gestrichen:, wie es im Juni-Heft des ›Panther‹ geschehen ist, I B r u n o B a u c h ] im Ms. danach gestrichen: als Eideshelfer J Panther] “Panther” in Ts. [3], Anfhrungsstriche per Hand K weitgehendste] im Ms.: weitgehende L Vertreter der kritischen Philosophie,] im Ms. danach gestrichen: um deren Verstndnis und deren Verbreitung er sich ehrlich und redlich [evtl.: sachlich] bemht hat, M Worten] in Tss. statt: Werken, im Ms.: Worten N autoratives] autoratatives im Ms.
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ehrung fr den Mann, dem ich die entscheidende Anregung im Studium der Philosophie verdanke, wenn die dauernde persnliche Freundschaft, die mich mit ihm verbindet, Parteilichkeit heissen soll: so bekenne ich mich hier offen und gern als parteilich. Die Zurckhaltung aber, die mir durch diese Rcksicht etwa auferlegt sein knnte, endet vor dem allgemeinen Problem, auf das die Errterungen zwischen Herrn Bauch und Frau Ripke, bewusst oder unbewusst hinzielen. Wenn Bruno Bauch von einem “verhngnisvollen Dualismus von Anschauung und Kategorie” bei Kant 40 spricht, whrend Frau Ripke in diesem Dualismus gerade das spezifisch fruchtbare und spezifisch deutsche Moment der Kantischen Lehre sieht, so knnte es scheinen, als handele es sich lediglich um eine methodische A Einzelfrage: und man msste sich nur ber die Eilfertigkeit B wundern, mit der hier diese Frage, die mitten in die schwierigsten prinzipiellen Entscheidungen der Erkenntniskritik hineinfhrt, zwischen beiden C behandelt wird. Wenn aber weiterhin die Cohensche Lsung von Frau Ripke als ein Ausfluss des “jdischen Denkens” 41 bekmpft, von Bruno Bauch dagegen mit der Begrndung verteidigt wird, dass ja auch innerhalb der Marburger Schule Cohen angesichts des hier berhrten Problems “gar nicht einmal an erster Bedeutungsstelle[”] stehe, dass vielmehr [“]mit voller systematischer Kraft[”] erst N a t o r p an dem Gegensatz D von Anschauung und Begriff eingesetzt E habe, und dass dessen “Deutschheit” ja doch wohl unzweifelhaft sei 42 – so F kommt dies bereits der vlligen Aufhebung aller sachlichen, aller G intellektuellen Massstbe gleich. H Wohin geraten wir, wenn in dem Streit methodische] im Ms. statt: erkenntniskritische Eilfertigkeit] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt: Naivitt, in Ts. [1] eingefgtes und Flchtigkeit wieder gestrichen. Dazu kurzer senkrechter Bleistiftstrich am linken Rand C zwischen beiden] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: in der Form und im Stil eines flchtigen “Briefwechsels” D Gegensatz] in Tss. [1] und [2] statt: Gesetz, im Ms.: Gegensatz E eingesetzt] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: angesetzt F unzweifelhaft sei – so] danach im Ms. in violettem Stift gestrichen: fllt sofort von all diesen Betrachtungen der logische und philosophische Flitterstaat ab, mit dem sie anfangs noch notdrftig bekleidet schienen. Man begreift an diesem e i n e n Zuge, wie sehr sich hier bereits alle rein intellektuellen Masstbe verwischt haben, wie alle objektiven wissenschaftlichen Normen hier ins Wanken geraten sind. Jetzt handelt es sich nicht mehr um diese oder jene Einzelfrage; sondern um G aller] im Ms.: aller rein H aller intellektuellen Massstbe gleich.] danach in Tss. [1] und [2] gestrichen: Der Begriff [im Ms. in violettem Stift gestrichen: und die Begrndung] des Wissens [in Ts. [1] erweitert zu: der Wissenschaft], das Grundprinzip der reinen “Theorie” selbst[,] beginnt sich in dieser Betrachtungsweise zu verwirren. Danach im Ms. in violettem Stift gestrichen: Bruno Bauch hat sich im Eingang seiner Darlegungen A B
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um die Gltigkeit eines Satzes nicht mehr sein reiner I n h a l t massgebend ist, wenn seine Entscheidung nicht mehr von seinen logischen Voraussetzungen und Grnden, sondern von der Persnlichkeit seines Urhebers hergenommen werden soll? A Bruno Bauch mag hier dem blossen Ergebnis nach noch so sehr von Frau Ripke abzuweichen scheinen: dem Prinzip und der Methode seines Urteils nach steht er mit ihr auf vllig derselben Stufe. Die “weitgehende bereinstimmung” 43, die er selbst von Anfang an betont, hat hier die “sachlichen Differenzierungen”, die zunchst B noch vorhanden scheinen, vllig verwischt; aber der Gegensatz C, der zwischen Bruno Bauch als Vertreter der wissenschaftlichen, der kritischen Philosophie und zwischen Bruno Bauch als D Briefschreiber besteht, tritt dadurch nur um so schrfer zu Tage. E Ich beginne hier mit einer allgemeinen und prinzipiellen Errterung F, wobei ich die Frage nach Bauchs Stellung zum Judentum zunchst mit bewusster Absicht vllig ausschalte: denn was hilft es, ber e i n z e l n e Ansichten und Meinungen zu streiten, solange der Streit darber, was mit der Wahrheit oder Unwahrheit eines Urteils berhaupt “gemeint” sei, nicht entschieden ist? G Betrachte ich die bisherige wissenschaftliche Arbeit Bauchs, so hat sie sich, soviel ich sehe, in systematischem Sinne vor allem H auf einen I Punkt konzentriert. J Was Bauch vertritt, ist die kritische Lehre Kants, sofern sie nicht in psychologischem, sondern in “transcendentalem” Sinne verstanden wird, – ist der Standpunkt der “reinen Logik” im Gegensatz zu allen psychologistischen und anthropologi-
gegen den Vorwurf eines ›triebhaft blinden und grundstzlich den Antisemitismus‹ energisch verwahrt. Aber wie wenig wrde selbst ein solcher ›grundsatzloser Antisemitismus‹ besagen gegenber dem Grundsatz der Grundsatzlosigkeit, der hier [im Ms. gestrichen: mittelbar aufgestellt und] allgemein, wenngleich nur mittelbar, aufgestellt und an einem konkreten Einzelfall zur Geltung gebracht wird A werden soll?] danach im Ms. in violettem Stift gestrichen: – dann befinden [statt: stehen] wir uns bereits ausserhalb aller objektiven und wissenschaftlichen Normen B zunchst] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: hier, im Ms.: zunchst C der Gegensatz] im Ms. ber der Zeile statt gestrichenem: die Kluft D zwischen Bruno Bauch als] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: Ta g e s s c h r i f t s t e l l e r und –, Hervorhebung – in Bleistift – lediglich in Ts. [1] E um so schrfer zu Tage.] in Ts. [1] Bleistiftstrich am linken Rand F Errterung] in Tss. [1] und [2] statt: Erwhnung, im Ms.: Errterung G ist?] ? in Ts. [1] per Hand H vor allem] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile I einen] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: einzigen J auf einen Punkt konzentriert.] in Ts. [1] Bleistiftstrich am linken Rand
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schen Umdeutungen und Nivellierungen ihres Gehalts. Und dieser Standpunkt bleibt nicht auf die Logik als solche beschrnkt, sondern er greift weiterhin auf die Ethik, wie auf jede Bestimmung geistiger Werte berhaupt ber. Immer gilt hier die Voraussetzung, dass der Massstab fr die Gltigkeit eines Urteils A nicht in seiner B E n t s t e h u n g zu suchen und nicht von seiner C “Herkunft” abhngig zu denken ist: sondern dass es unabhngig hiervon D vllig bestimmte, in der “Sache” liegende Kriterien von allgemeiner Geltung gebe, die ber Wahrheit und Falschheit, ber Wert und Unwert entscheiden. Ich will auf die E Darlegung F dieses Sachverhalts hier nicht nher eingehen; ich brauche es nicht, zumal G Bauch selbst H ihn nicht nur zugestanden, sondern I in Schriften und Aufstzen ausdrcklich J eingeschrft hat K. Aber freilich zeigt sich an diesem Punkte wieder der ganze Unterschied, der zwischen der abstrakten Aussprache und der L Anwendung eines Prinzips besteht. MN Denn ist es etwas anderes, als ein Rckfall in den gewhnlichsten Fehler des Psychologismus, wenn er von den rein in der Sache liegenden Bestimmungen auf die Eigenart der philosophischen Individuen, auf ihre geistigen und Rassen“Eigenschaften” zurckgreift? Glaubt er, O das Mindeste, sei es zur Begrndung, sei es zur Widerlegung eines Satzes getan zu haben, wenn er
fr die Gltigkeit eines Urteils] im Ms. statt gestrichenem: dessen, was ›ist‹ und ›gilt‹ B seiner] im Ms. danach gestrichen: kausalen C nicht von seiner] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: kausalen D hiervon] im Ms. danach gestrichen: durch sich selbst gewisse E Ich will auf die] im Ms. danach gestrichen: tiefere Beg[rndung] nher F Darlegung] im Ms. danach gestrichen: und auf Begrndung G ich brauche es nicht, zumal] im Ms. statt gestrichenem: zumal nicht anzunehmen ist, daß H selbst] im Ms. statt gestrichenem: all das, was er in dieser Hinsicht I sondern] im Ms. danach gestrichen: selbst J ausdrcklich] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: gelehrt und K und eingeschrft hat] im Ms. nach ausdrcklich gelehrt (vgl. edit.-philolog. Anm. J) statt: hat, vergessen haben sollte L und der] im Ms. danach gestrichen: konkreten M der Anwendung eines Prinzips besteht.] im Ms. und in Tss. folgt: Bei der ersten konkreten Entscheidung, die Bauch zu fllen hat, beweist er, dass er vor dem grssten Trug noch nicht sicher ist. In Ts. [2] wieder gestrichen: dass er [...] nicht sicher ist und statt dessen per Hand ber der Zeile: wie wenig er dessen sicher ist, was er selbst bisher gelehrt hat. In Ts. [1] sowohl Satz aus Ms. als auch Modifikation in Ts. [2] gestrichen N der Anwendung eines Prinzips besteht.] in Ts. [1] Bleistiftstrich am linken Rand O Glaubt er,] in Ts. [1] in Bleistift Hervorhebung, diese rckgngig gemacht, in Bleistift durch: Ist er, Ersetzung wieder gestrichen A
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ihn in dieser Weise erklrt A und abgeleitet hat? B Wenn die Verteidigung eines bestimmten Satzes darin bestehen soll, dass nicht Cohen, sondern Natorp ihn zuerst vertreten habe: dann beginnen sich freilich nicht nur die Grenzen zwischen Logik und Psychologie, sondern die zwischen Logik und Chronologie zu verwischen. C Und es bleibt nicht bei einer einzelnen derartigen Behauptung, die man allenfalls als einzelne Entgleisung selbst “erklren” und entschuldigen knnte; vielmehr ist es zuletzt die gesamte Methodik der Kantischen Lehre, die durch die Betrachtung, in welche sie hier gerckt wird, D preisgegeben E wird. F Denn man beachte, was es heisst, wenn man Kant ein spezifisch-nationales Denken zuspricht, G das zwar dem “fremdvlkischen” Urteilen H und Empfinden bis zu einem gewissen Grade zugnglich sein mag, seinem eigentmlichen Kern und Wesen I nach aber fr dasselbe verschlossen bleiben muss J. Htte dieses Urteil recht – so wre damit nicht in erster Linie ber die fremdvlkische Begabung K, sondern ber die Kantische Leistung selbst der Stab gebrochen. Denn geradezu alles in dieser Leistung hngt davon ab, ob es ihr gelungen ist, zu objektiver Allgemeingltigkeit und Notwendigkeit ihrer Grund- und Hauptstze durchzudringen. Was Kant erstrebte, war, die Philosophie in den sicheren und stetigen Gang einer W i s s e n s c h a f t zu bringen. Das allein war der Prfstein, den er fr die Grundlegung und fr den Aufbau der Vernunftkritik anerkannte. “Was nun die G e w i s s h e i t betrifft” – so heisst es in der Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft – “so habe ich mir selbst das Urteil gesprochen, dass es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sei, zu m e i n e n , und dass alles, was darin einer Hypothese nur hnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht vor den geringsten Preis feil stehen darf, sondern, sobald sie ent-
erklrt] im Ms.: ›erklrt‹ hat?] ? in Tss. [1] und [2] per Hand C verwischen.] im Ms. folgt Absatzzeichen: // D wird,] danach im Ms. gestrichen: in ein vllig falsches E preisgegeben] in Ts. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: zweideutig gemacht und um ihren eigentlichen Sinn gebracht F preisgegeben wird.] in Ts. [1] Bleistiftstrich am linken Rand G wenn man Kant ein spezifisch-nationales Denken zuspricht,] danach im Ms. gestrichen: das somit auch nur von den ›Volksgenossen‹ ganz verstanden und gewrdigt werden knne, das – ersetzt durch: [gestrichen: ein Denken] das zwar dem H Urteilen] im Ms. statt: Denken I Kern und Wesen] im Ms. danach gestrichen: undurchdringlich J bleiben muss] im Ms. statt: sein soll K Begabung] in Tss. [1] und [2] statt: Regelung, im Ms.: Begabung A B
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deckt wird, beschlagen werden muss. Denn das kndigt eine jede Erkenntnis, die a priori feststehen soll, selbst an: dass sie vor schlechthin notwendig gehalten werden will; und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori noch viel mehr, die das Richtmass, mithin selbst das Beispiel aller apodiktischen (philosophischen) Gewissheit sein soll.” A44 Diese Worte gelten in erster Linie fr die Bestimmung des Sinnes und des Zieles der transcendentalen Aesthetik. Die transcendentale Aesthetik – darber drfte bei aller Verschiedenheit der Auslegungen doch nachgerade Einigkeit erreicht sein – will B keine C Analyse des seelischen Lebens, keine psychologische Zergliederung des “Gemts” und der Gemtskrfte, sondern sie will die Antwort auf die Frage sein D , wie reine Mathematik mglich sei. Der Begriff E und der Terminus der “reinen Anschauung” selbst empfngt erst im Hinblick auf diese Aufgabe seine scharf bestimmte Bedeutung: er wird aufgestellt nicht als ein Faktum der psychologischen Beobachtung, sondern als Prinzip und Erklrungsgrund fr die Apodiktizitt F der mathematischen Urteile. Dieser Erklrungsgrund aber darf an theoretischer Allgemeinheit hinter dem, was durch ihn erklrt werden soll, nicht zurckstehen. Dass sich in die Allgemeinheit der transcendentalen Theorie irgendwelche Besonderheiten, irgendwelche inhaltliche Bestimmungen, die in nationalen Bedingungen wurzeln und rein aus ihnen verstndlich zu machen sind, einmischen knnten: dieser Gedanke wre daher Kant sicherlich als ebenso widersinnig G erschienen, wie die Behauptung einer nationalen H Mathematik. Nehmen wir an, dass die Antwort, die Kant auf sein Grundproblem erteilt htte, dergleichen Bedingungen in sich enthielte: so wre sie damit, fr ihn selbst wenigstens, widerlegt und ad absurdum gefhrt. Dass das Gleiche fr die transcendentale Analytik, wie berhaupt fr alle Teile der Vernunftkritik gilt, liegt auf der Hand: das Problem der Mglichkeit der Erfahrung und ihres “Gegenstandes”, die Frage nach den letzten Grnden der Objektivittssetzung berhaupt, darf offenbar kein Element in sich schliessen, das selbst nur einem bestimmten, sei es natrlichen, sei es geschichtlichen Objektkreis angehrt und zu seiner Begrndung der Vermittlung durch denselben bedarf. Und auch beim “so ... soll”] Anfhrungszeichen in Tss. [1] und [2] per Hand – will] im Ms. danach gestrichen: bekanntlich C keine] im Ms. danach gestrichen: psychologische D sein] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt, im Ms.: sein E Der Begriff] im Ms. statt: Das Prinzip F fr die Apodiktizitt] im Ms. danach gestrichen:, fr die objektive Allgemeinheit und Notwendigkeit G widersinnig] im Ms. statt: absurd H nationalen] im Ms. statt gestrichenem: nationalen deutschen A B
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Uebergang zur kritischen Ethik wird hieran im prinzipiellen Sinne nicht das Mindeste gendert, – wenngleich Bruno Bauch es wie einen selbstverstndlichen, des Beweises kaum bedrftigen Satz hinstellt, dass “systematisch hier in der Tat zwischen dem deutschen Denker Kant und dem jdischen Denker Cohen doch wohl der grsste Abstand” obwalte. 45 Denn A das gerade charakterisiert hier den im wahrhaften Sinne deutschen Denker Kant B : dass er den Gedanken einer deutschen Ethik mit aller Klarheit C von sich weist. Die kritische Ethik ist es gewesen, die zuerst den Gegensatz zwischen ethischer und anthropologischer Betrachtung in all seiner schneidenden Schrfe aufgedeckt und die damit ein fr allemal den Rassengedanken aus der Grundlegung der Ethik verbannt hat. Denn “die A n t h ro p o l o g i e ” – so behauptet sie – [“] welche aus blossen Erfahrungserkenntnissen hervorgeht, kann der A n t h ro p o n o m i e, welche von der unbedingt gesetzgebenden Vernunft aufgestellt wird, keinen Abbruch tun”. D46 In diesem Zusammenhang E hat Kant das Wort geprgt, das man so oft als Hyperbel gedeutet und missverstanden hat und das doch nur der schlichte Ausdruck seiner Grundansicht ist: dass das sittliche Gesetz nicht bloss fr Menschen, sondern fr vernnftige Wesen berhaupt aufzustellen und zu formulieren sei F. “Denn die Allgemeinheit” – so fgt er hinzu – [“]mit der es G fr alle vernnftigen Wesen ohne Unterschied gelten soll, die unbedingt praktische Notwendigkeit, die ihnen dadurch auferlegt wird, fllt weg, wenn der Grund derselben von der besonderen Einrichtung der menschlichen Natur oder den zuflligen Umstnden hergenommen wird, darin sie gesetzt ist.” 47 Man mag diesen Rationalismus H Kants, dem die individuellen und nationalen Unterschiede nur wie besondere Einrichtungen I der menschlichen Natur J erschienen, Denn] danach im Ms. gestrichen: der scharfe Gegensatz zwischen der Fragestellung der Ethik und der der Anthropologie B Kant] in Ts. [1] ber der Zeile eingefgt C Klarheit] im Ms. ber der Zeile statt: Schrfe D “welche ... tun.”] Anfhrungszeichen in Ts. [1] per Hand eingefgt, in Ts. [2] und im Ms. nur teilweise vorhanden E In diesem Zusammenhang] im Ms. statt: In diesem Sinne und F dass das sittliche Gesetz ... aufzustellen und zu formulieren sei] Satz lautet im Ms.: daß das sittliche Gesetz ›nicht bloss fr Menschen, sondern fr vernnftige Wesen berhaupt‹ [gestrichen: gelte] aufzustellen und zu formulieren sei G mit der es] es bezieht sich hier auf das Gesetz, das gelten soll, bei Kant heißt es sie und meint empirische Prinzipien, die gelten sollen H Rationalismus] ›Rationalismus‹ im Ms. I Einrichtungen] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: Grundlagen, im Ms.: Einrichtungen J wie besondere Einrichtungen der menschlichen Natur] Formulierung lautet im Ms.: wie ›besondere Einrichtungen der menschlichen Natur‹ A
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beklagen oder schelten: aber man kann ihn aus dem geschichtlichen Bilde Kants nicht entfernen, ohne dieses Bild selbst zu zerstren A. Auch in der Ethik ist Kant der Kritiker der “reinen” Vernunft, nicht der Verknder eines zeitlich und national begrenzten Ideals B geblieben. Wer hier den Vorbehalt des adaequaten Verstndnisses fr besondere “vlkische” Einheiten C macht: der verleugnet D damit nichts Geringeres als den Sinn des kategorischen Imperativs und den Anspruch, in welchen er die Allheit der ethischen Subjekte nimmt E. Vor diesem Anspruch verschwindet F jedes Privileg der Einzelnen und der Vlker G. Dies kann freilich nicht so verstanden werden, als ob die kritische Ethik die empirischen Differenzen, die unendlich vielfltigen und verwickelten Relativitten des konkreten sittlichen Lebens l e u g n e : – das aber behauptet sie freilich, dass es auch hier ein “absolutes” Gesetz gibt H , dessen B e g r n d u n g sich ber alle diese Relativitten erheben und von ihnen loslsen muss. Kants Ethik steht hier mit seiner Logik auf genau der gleichen Grundlage I – und dass das Nmliche von seiner Aesthetik J gilt, das beweist jener tiefsinnigste, selten ganz verstandene und gewrdigte Teil seiner K aesthetischen Errterungen, in welchem das Schne in dem “bersinnlichen Substrat der Menschheit” 48 gegrndet wird. – Folgt man freilich L dem Gedankengang Bruno Bauchs: so msste man sich hierdurch zuletzt M an einen Punkt gefhrt sehen, an dem man nicht nur an der allgemeinen Gltigkeit und an der allgemeinen Mitteilbarkeit der Ergebnisse der “transcendentalen” Ethik und der transcendentalen Logik irre werden msste, sondern an dem man folgerecht diese Zweifel auch auf die formale Logik ausdehnen msste. Von der grundlegenden, niemals vllig zu berwindenden Differenz zwischen jdischem und deutschem D e n k e n ist in Bruno Bauchs wie in Frau Ripkes zerstren] im Ms. statt gestrichenem: vernichten begrenzten Ideals] im Ms. danach gestrichen: oder gar eines bestimmten C Einheiten] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt: Geschichte, im Ms.: Einheiten D verleugnet] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt: verlangt, im Ms.: verleugnet E nimmt] in Tss. ber der Zeile per Hand: aufnimmt, in Tss. [1] und [2] gestrichen: auf-; im Ms.: nimmt F verschwindet] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt: verschwimmt, im Ms.: verstummt G und der Vlker] im Ms. danach gestrichen: die ›Absolutheit‹ der praktischen Vernunft hebt an diesem Punkte alle empirische Differenz und Relativitten auf H gibt] im Ms.: gebe I Grundlage] im Ms. statt gestrichenem: Grundlegung J Aesthetik] im Ms. danach gestrichen: zeigen, wenn man sie in ihm K seiner] im Ms. statt gestrichenem: von Kants L Folgt man freilich] im Ms. statt gestrichenem: Aber freilich, wenn man M zuletzt] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: selbst, im Ms.: zuletzt A B
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Ausfhrungen A dauernd die Rede: warum entschliesst man sich nicht, weiter zu gehen und von einer jdischen und deutschen L o g i k zu sprechen? Warum sollte nicht das, was von den Kantischen Kritiken behauptet wird, auch von den Analytiken des Aristoteles gelten? Aristoteles war vielleicht B ein ebenso guter Grieche, als Kant ein guter Deutscher ist. Liegen also nicht mglicherweise C die Schlussregeln, die er entwickelt, innerhalb jener Sphre, die durch die Volkstumsunterschiede begrenzt und umhegt D ist E und die jedem Fremdling das Eindringen verwehrt? Wir gelangen damit freilich zu einer Folgerung von allgemeiner und schwerwiegender Bedeutung. Wir alle sprechen vom “griechischen Geiste”: und Goethe und Humboldt, Herder und Hlderlin, Schleiermacher und Boeckh haben jeder in seiner Weise um die Anschauung und um das Verstndnis desselben gerungen. Aber war nicht vielleicht diese Sehnsucht von Anfang an ziellos und unfruchtbar, da sie ber die anthropologischen und vlkischen Unterschiede hinwegsah? Wenn wir von Aeschylos und Platon, von Archimedes und Euklid reden, so haschen wir vielleicht nach Schatten, da F das Spezifische G und Wesentliche von ihnen vielleicht zugleich mit dem H griechischen Volkstum, das niemals wieder gleichartig erstehen kann, zu Grunde gegangen ist I . J Der Begriff des Volksgeistes K , wie ihn die deutsche Romantik entwickelt hat, war bei allen prinzipiellen Einwendungen, die sich auch ihm gegenber erheben lassen, L wesentlich feiner und tiefer als alle seine modernen anthropologischen M Abarten: denn ihm stand doch N immer der Gedanke des “objektiven Geistes” als Gegenbild und Correlat gegenber; je mehr inin Bruno Bauchs wie in Frau Ripkes Ausfhrungen] im Ms. statt gestrichenem: in den Ausfhrungen der Frau Ripke B vielleicht] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: gewiss C mglicherweise] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: vielleicht D umhegt] im Ms. ber der Zeile statt gestrichenem: geheiligt E ist] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: sind F da] im Ms. statt gestrichenem: whrend G Spezifische] im Ms. statt gestrichenem: Eigentmliche H vielleicht zugleich mit dem] im Ms. statt gestrichenem: in Wahrheit fr immer in dem unzugnglichen Heiligtum des I zu Grunde gegangen ist] im Ms. statt gestrichenem: verschlossen liegt J Wir alle sprechen ... zu Grunde gegangen ist.] Im Ms. wird diese Passage zunchst mit anderen Schlußworten auf dem Ms.-Bl. 11 entworfen: Wir alle sprechen [...] verschlossen liegt, dann komplett gestrichen und auf neuem Bl. 11 – leicht verndert – nochmals so niedergeschrieben, wie sie Eingang in die Tss. findet K Volksgeistes] im Ms.: ›Volksgeistes‹ L bei allen prinzipiellen Einwendungen, die sich auch ihm gegenber erheben lassen,] im Ms. markierter Einschub auf rechtem Blattrand M anthropologischen] im Ms. danach gestrichen: und naturalistischen N doch] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt A
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des dieser letztere Gedanke A verblasst, um so mehr treibt man, so sehr man sich hiergegen auch struben mag, einem rein dogmatischen Naturalismus zu B .& C In dem Aufsatze “Vom Begriff der Nation”, den Bruno Bauch soeben in den Kant-Studien verffentlich hat und den er als ein Kapitel zur G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e bezeichnet, tritt diese materialistische D Wendung E berall deutlich zu Tage. F Die Unterscheidung zwischen dem Naturbegriff und dem Kulturbegriff der Nation, die von Bauch durchzufhren versucht wird, gewhrt hiergegen keinen Schutz: denn berall erscheinen die rein naturhaften Momente als das Primre und als das eigentlich Bestimmende. Die Nation ist der Inbegriff der “connati”, der Mitgeborenen G , die durch Abstammung und Blutsgemeinschaft geeint sind und deren Zusammengehrigkeit vor allem durch die Merkmale der krperlichen Struktur H festgestellt wird. I “In der Hautfarbe, dem Gesichtsschnitt, dem Krperbau jedes Einzelnen prgt sie sich als sichtbarer Typus aus.” J “Und wenn es anders wre[”] – ruft Bauch aus – [“]so kme ich mir wahrhaftig kmmerlich, von Mutter Natur im eigentlichen Sinne stiefmtterlich behandelt vor. Ja, wenn nach Generationen einstens mein Totenschdel einem Anthropologen vor die Fsse rollen sollte, so wrde er diesen wohl hhnend als einen Pfuscher in seinem Fache angrinsen, wenn er in ihm nicht gleich den Germanenschdel erkennen sollte”! K49 Es wird vielleicht manchen L kritisch-gestimmten Anthropologen geben, der geneigt wre, hinter diese Stze ein Fragezeichen zu setzen: aber es wre freilich M unbillig, das grandiose Pathos, das in ihnen spricht, durch derart kleinliche Bedenken stren zu wollen. Was mich betrifft, so haben sie mir Gedanke] im Ms.: Begriff einem rein dogmatischen Naturalismus zu] im Ms. statt gestrichenem: mit diesem in das Fahrwasser einer bloss C einem rein dogmatischen Naturalismus zu.&] Eckige Klammer in Tss. [1] und [2] als Einschubzeichen, am Rand per Hand bekrftigt: &Abs[satz] D materialistische] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt E Wendung] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: und dieses Ve r h n g n i s , Hervorhebung – in Bleistift – nur in Ts. [1] F berall deutlich zu Tage.] in Ts. [1] Bleistiftstrich am linken Rand G Mitgeborenen] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: Erstgeborenen, im Ms.: Mitgeborenen H der krperlichen Struktur] im Ms. danach gestrichen: unverkennbar I festgestellt wird.] im Ms. danach gestrichen: “Die Gemeinschaft des Blutes ist das einigen[de][”] J “In ... aus.”] Anfhrungszeichen in Tss. [1] und [2] per Hand eingefgt, fehlen im Ms. K “Und ... sollte”!] Anfhrungszeichen in Ts. [1] per Hand eingefgt L Es wird vielleicht manchen] im Ms. folgt: wissenschaftlich und M freilich] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: vielleicht, im Ms.: freilich A B
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indessen unwillkrlich jene Worte in Erinnerung gebracht, in denen H e g e l in der “Phnomenologie des Geistes” seinen Grundbegriff vom Geiste von demjenigen der Schdellehre abgeschieden hat. “Das Seiende ohne die geistige Ttigkeit” – so bemerkt er in seiner Sprache – [“]ist ein Ding fr das Bewusstsein und so wenig sein Wesen, dass es vielmehr das Gegenteil desselben ... ist. Es ist von dieser Seite fr vllige Verleugnung der Vernunft anzusehen, fr das wirkliche Dasein des Bewusstseins einen Knochen auszugeben; und dafr wird er ausgegeben, indem er als das Aeussere des Geistes betrachtet wird ... Wenn also einem Menschen gesagt wird: Du (Dein Inneres) bist dies, weil Dein Knochen so beschaffen ist, so heisst es nichts anderes, als ich sehe einen Knochen fr Deine Wirklichkeit an. Die bei der Physiognomik erwhnte Erwiderung eines solchen Urteils durch die Ohrfeige bringt zunchst die weichen Teile aus ihrem Ansehen und Lage und erweist nur, dass diese kein wahres Ansich, nicht die Wirklichkeit des Geistes sind; hier msste die Erwiderung eigentlich so weit gehen, einem, der so urteilt, den Schdel einzuschlagen, um gerade so greiflich, als seine Weisheit ist, zu erweisen, dass ein Knochen fr den Menschen nichts an sich, viel weniger seine wahre Wirklichkeit ist.” A50 Freilich wird man, wie B ich hoffe, C das, was bisher gesagt wurde, nicht dahin missverstehen, als sollte damit die Eigenbedeutung, die den einzelnen Nationen im geschichtlichen Leben zukommt, irgendwie herabgesetzt – als sollte bestritten D werden, dass in jedem wahrhaft schpferischen Volke eine bestimmte spezifische Richtung seiner geistigen Produktivitt, eine Einheit aller gestaltenden Krfte erkennbar ist.1 E In [Cassirer,] Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Berlin 1916. 1
“Das ... ist.”] Anfhrungszeichen in Ts. [2] per Hand eingefgt Freilich wird man, wie] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: Aber genug des Scherzes; denn das Problem, das hier zu Grunde liegt, vertrgt ihn nicht C ich hoffe,] danach in Ts. [1] gestrichen: man wird D bestritten] im Ms.: geleugnet E eine Einheit aller gestaltenden Krfte erkennbar ist.] danach in Ts. [1] in eckige Klammern gesetzt und in violettem Stift gestrichen: ^Fr das deutsche Volk insbesondere leugne ich eine solche Einheit und einen derartigen ideellen Zusammenhang seiner wesentlichen geschichtlichen Aeusserungen so wenig, dass ich in einer soeben erschienenen Schrift versucht habe, sie in allen Grund- und Hauptphasen des deutschen Geisteslebens darzulegen und nachzuweisen. Man erlaube mir, mich hier auf diese Schrift zu beziehen: denn sie bildet die positive Ergnzung zu alledem, was ich gegen eine Ansicht, wie diejenige Bruno Bauchs, einzuwenden habe. Ich bin auf Einwrfe der verschiedensten Art gegen die GrundA B
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meinem Gegensatz zu Bruno Bauchs “Geschichtsphilosophie” handelt es sich A nicht sowohl um den rein inhaltlichen Begriff des Deutschtums selbst, als vielmehr um das P r i n z i p und den Masstab, kraft dessen dieser Begriff begrndet werden kann. Dass berhaupt irgend ein geistiger Inhalt im Laufe einer bestimmten nationalen Entwicklung als deren Produkt gewonnen und erarbeitet wird: dies begrndet an und fr sich noch nicht den geringsten objektiven Wertanspruch fr ihn. Denn diese blosse geschichtliche Tatschlichkeit verhlt sich zur Frage nach der Gltigkeit berhaupt inkommensurabel: das “quid facti” lsst auch hier die Frage des “quid juris“ noch vllig offen. Vom Standpunkt dieser Betrachtung kann daher in der Tat jede Nation i h re n eigentmlichen Kulturinhalt, einfach weil er der ihre ist, hochschtzen und festhalten; aber sie wird B freilich C auf diesem Wege, nach dem Wort Goethes, leicht in die Gefahr geraten, statt ihrer Eigenschaften nur ihre Eigenheiten zu kultivieren. 51 Fr das Nebeneinander der verschiedenen nationalen E g o i s m e n , D die auf diese Weise entstehen, mag man als Psychologe vlliges Verstndnis, ja selbst vllige Duldung besitzen: aber als Ethiker und Geschichtsphilosoph wird man einen freieren Standort des Urteils E suchen und fordern. FG Goethe hat auch hier in der grossartigen geistigen Unbefangenheit seines nationalen Gefhls das entscheidende Wort gesprochen: “und wer franzet oder britet, italinert oder teutschet, Einer will nur wie der andere Was die Eigenliebe heischet”. 52 So H wenig indess I aus der blossen “Deutschheit” eines Inhalts, wenn diese im faktischen Sinne verstanden wird, etwas fr seinen Wert folgt: so kann andererseits, wenn einmal bestimmte Sachwerte als gltig festgestellt sind, eine einzelne nationale Entwicklung an ihnen geprft und durch sie gemessen werden. Nicht weil auffassung, die ich hier vertreten habe, gefasst: das aber glaube ich, wird kein billig denkender Gegner ihr vorwerfen, dass sie den Wert [im Ms. gestrichen: und die Eigenart] der Krfte, die im Ganzen der deutschen Geistesgeschichte wirksam sind, zu gering angeschlagen oder dass sie deren [fehlt im Ms., wird in Tss. hinzugefgt: Tiefe und] Eigenart nicht scharf genug betont habe.& Gegenber der Zeile Wert der Krfte [...] in Ts. [1] senkrechter Bleistiftstrich am linken Rand A handelt es sich] in Ts. [1] in violettem Stift gestrichen: daher B wird] im Ms.: kann C freilich] im Ms.: zugleich D E g o i s m e n , ] in Ts. [1] Hervorhebung Cassirers E Urteils] in Ts. [1] statt gestrichenem: Betrachtung F einen freieren Standort ... und fordern.] in Tss. [1] und [2] per Hand statt gestrichenem: sich jeder objektiven Entscheidung zwischen ihnen enthalten. G einen freieren Standort ... und fordern.] in Ts. [1] senkrechter Strich am linken Rand H So] Aber so in Ts. [1] verkrzt auf So I indess] in Ts. [1] ber der Zeile eingefgt
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der Begriff der Freiheit, weil der Gedanke der “Autonomie” ein spezifisch deutscher Begriff ist, erkennen wir in der Kantischen Ethik einen philosophischen Hhepunkt A der deutschen Geistesbildung; – sondern weil er eine schlechthin allgemeingltige, ber alle nationalen Schranken hinweggreifende Idee darstellt, lieben und verehren wir das Volk, das in seinen grssten nationalen Geistern diesen B Gehalt zu fortschreitender Klarheit und zur bewussten Aussprache gebracht hat. Die spezifische Eigentmlichkeit der bildenden Krfte, aus denen das Ganze der deutschen Geistesgeschichte hervorgegangen ist, kann nicht scharf genug betont werden: aber die Einsicht in das, was bei einer derartigen Betrachtung als das eigentliche Maß und was als das G e m e s s e n e zu gelten hat, C sollten wir uns heute weniger als jemals D verdunkeln lassen. Denn hier liegt die Grenze zwischen dem echten geistigen Selbstbewusstsein eines Volkes und zwischen dem, was an seiner Selbstschtzung zufllig und willkrlich bleibt E . F Dieser Unterschied wird verwischt, wenn man den echten Begriff des Volkes nicht in seiner ideellen Aufgabe und Leistung sucht, sondern ihn schon in der G Bluts- und Rassengemeinschaft H erfllt sieht. Die Sonne der Rassengemeinschaft leuchtet ber Weise und Toren, ber Gerechte und Ungerechte. Eine Norm aber gewinnen wir erst, wenn wir das, was die einzelnen Vlker in ihrer Geschichte fr sich erstrebt, was sie I als Gebot und Forderung vor sich hingestellt haben, J vergleichen und wenn wir das Mass der tatschlichen Erfllung dieser Forderung abschtzen. Auf solchen Momenten beruht die ideale Continuitt und der ideale Zusammenhang jeder nationalen Geschichte. Wir empfinden es als eine
einen philosophischen Hhepunkt] im Ms. statt gestrichenem: die philosophische Vollendung des deu[tschen] B diesen] im Ms. danach gestrichen: ›absoluten‹ C Die spezifische Eigentmlichkeit ... zu gelten hat,] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: Die Einsicht in das, was hier das Mass und was das Gemessene ist, D sollten wir uns heute weniger als jemals] im Ms. statt gestrichenem: darf sich der philosophische Denker durch keine Unklarheiten des Tagesstreites und nationalistischer Partei[nahme] E bleibt] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt anstatt: ist F was ... willkrlich bleibt.] im Ms. nach was gestrichen: es sich nur subjektiv und usserlich anmaßt, ersetzt durch: nur seiner subjektiven Selbstgeflligkeit entspringt, erneut gestrichen und ersetzt durch: an seiner Selbstschtzung zufllig und willkrlich ist G schon in der] im Ms. danach gestrichen: blossen Gegebenheit H Bluts- und Rassengemeinschaft] im Ms. danach in Bleistift gestrichen: gleichsam I was sie] danach im Ms. gestrichen: von sich gefordert haben, mit einander vergleichen und die vollkommensten Durchfhrungen, die diese J hingestellt haben,] im Ms. danach gestrichen: mit einander A
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To r h e i t A , wenn B man sich, um den Wert des deutschen Wesens C herabzusetzen, darauf beruft, dass Kant – von schottischer Abkunft gewesen sei: denn wir wissen, dass das, was ihn mit Lessing, mit Luther oder Leibniz, mit Schiller und Humboldt verbindet, einer Ordnung angehrt, die durch genealogische Untersuchungen weder begrndet noch erschttert werden kann. Die Verwandtschaft der Geister messen wir nicht an der der Personen, sondern an der der Ideen; und wo diese in ihrer sachlichen Notwendigkeit und ihrer inneren Folgerichtigkeit vor uns steht, da brauchen wir nicht D nach jener zu fragen. E – Aber ich breche an diesem Punkt ab, um mich von den allgemeinen und prinzipiellen Erwgungen, die hier vorausgeschickt werden F mussten G , den besonderen Ausfhrungen Bruno Bauchs ber die Frage von Deutschtum und Judentum zuzuwenden. Im Grunde liegt freilich hier fr Bauch keine Schwierigkeit und kein ernsthaftes Problem vor: denn die Beziehung H zwischen Deutschen und Juden bestimmt sich I fr ihn sehr einfach nach einem allgemeinen Schema. Der Jude ist “Gast im deutschen Hause”53J : und so ist ihm seine Stellung ein fr alle Mal durch das Verhltnis vorgeschrieben, das berhaupt zwischen “Gastvlkern” und “Wirtsvlkern” 54 anzunehmen ist. K Es ergiebt L sich hier ein usseres M Nebeneinanderleben, das aber niemals zu einer wahrhaft innerlichen, zu To r h e i t ] in Ts. [1] Hervorhebung in Bleistift. Senkrechter Strich am linken Rand B wenn] danach im Ms. gestrichen: Deutschlands Feinde und Gegner sich darauf berufen, daß Kant in einer C Wesens] im Ms. statt gestrichenem: Geistesentwicklung D da brauchen wir nicht] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: ngstlich, in Ts. [1] zustzlich in Bleistift eingeklammert E brauchen wir nicht nach jener zu fragen.] in Ts. [1] am linken Rand senkrechter Strich F hier vorausgeschickt werden] im Ms. statt gestrichenem: freilich die Voraussetzung bilden G Aber ich breche ... vorausgeschickt werden mussten] im Ms. statt in violettem Stift gestrichenem Satz: Aber ich breche an diesem Punkt ab: denn ich gestehe, daß nicht diese prinzipiellen Errterungen es waren, die mich zur Erwiderung auf Bruno Bauchs Aufsatz bestimmt haben. Sie mussten voraus geschickt werden, um nicht den Anschein zu erwecken H die Beziehung] im Ms. statt gestrichenem: das Verhltnis, um das es sich I bestimmt sich] im Ms. statt gestrichenem: handelt J “Gast ... Hause”] diese und folgende Anfhrungszeichen in Tss. [1] und [2] per Hand eingefgt, fehlen im Ms. K anzunehmen ist.] im Ms. danach gestrichen: Hier kann, ebenfalls danach gestrichen: Ein Verhltnis des Nebeneinanderherlebens, vielleicht sogar L ergiebt] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: spricht, im Ms.: ergiebt M usseres] in Tss. [1] und [2] per Hand statt gestrichenem: inneres, im Ms.: usseres A
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einer geistig-nationalen B e z i e h u n g fhren kann. Denn alles, was eine solche Beziehung begrnden knnte, ist dem Juden versagt. Er steht ausserhalb des Kreises A der “Mitgeborenen”, die durch die Verwandtschaft des Bluts geeint sind; er hat nur B in einem rohen und usserlichen Sinne an der Sprachgemeinschaft Teil, denn das, was den anderen das unverlierbare Gut ihrer Muttersprache ist, bleibt fr ihn Zeit seines Lebens ein fremdartiges Idiom. “Der vlkische Fremdling mag durch Generationen unter uns leben und keine andere Sprache mehr zu sprechen vermgen, als die unsere. Dennoch ist seine Sprache nicht die unsere. Vom physikalischen Laut bis zur zartesten Schattierung im Ausdruck der inneren Erlebnisse, die sich in die Sprache ausgiessen, bleibt ein Fremdes zwischen ihm und uns. Belege sind mit Hnden zu greifen vom Jargon der Strasse bis zu den berhmtesten Gedichten”.1 C Und die gleiche unaufhebliche Schranke, wie fr sein Verhltnis zur Muttersprache, besteht fr sein Verhltnis zum Vaterlande. Auch der Jude wird ja freilich, – weil es wohl nach der blossen Naturtatschlichkeit nicht gut anders mglich ist – in einem Lande geboren; aber eine Beziehung geistiger und seelischer Art wird dadurch nicht begrndet und hergestellt. Denn die “Wander- und Gastvlker” mssen zwar “zu jedem Zeitpunkte, zu dem sie leben, selbstverstndlich auch in einem Lande leben, ohne aber dass sie ein eigentliches, d. h. von einem geschlossenen Ganzen der Volkheit dauernd besiedeltes Vaterland haben ... Die Arbeit der ‘Mitgeborenen’ heiligt den Boden des Vaterlandes und der Heimat. Kein Wunder also, dass die Liebe zur Heimat allem Fremdvlkischen den Zutritt in das eigene Volksheiligtum verwehrt oder doch erschwert. So ist es psychologisch und historisch durchaus verstndlich und liegt ja, an den Zeitmassen der Geschichte gemessen, auch uns Heutigen fast noch in greifbarer Nhe, dass Angehrigen des jdischen Volkes der Erwerb deutschen Grundes und Bodens von unseren deutschen Stammvtern versagt ward.” 55 Nun knnte freilich, wenn der Anspruch auf die Vaterlands- und Sprachgemeinschaft in dieser Weise beschrnkt wird, noch der auf die Staatsgemeinschaft brig bleiben; D – aber auch sie kann nach den Vorausset1
[Bauch, Kant-Studien, 21,] S. 144 in Ts. [1] per Hand am linken Rand
des Kreises] im Ms. danach gestrichen: der ›connati‹, er hat nur] im Ms. danach gestrichen: scheinbar Teil an der gemeinsamen C “Der vlkische Fremdling ... bis zu den berhmtesten Gedichten”.] in Tss. [1] und [2] per Hand am linken Rand hinzugefgt, im Text als Einschub L markiert: Belege sind mit Hnden zu greifen vom Jargon der Strasse bis zu den berhmtesten Gedichten. D Nun knnte freilich, ... , noch der auf die Staatsgemeinschaft brig bleiben;] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: Vielleicht liesse sich jetzt, nachdem dem A B
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zungen der geschichtsphilosophischen Deduktionen, in denen wir uns hier bewegen, A nur zu einem lockeren Verbande, nicht zu einer wahrhaften Einheit zwischen dem Gast- u[nd] dem Wirtsvolk B fhren. Denn der Staat ist nur die usserlich-reale Erscheinung C des Volkstums selbst; er ist gleichsam nur der Krper, den die Seele der Nation sich gibt. Alle staatliche Duldung also, die etwa dem “Fremdvlkischen” zu Teil wird, kann nichts an der Tatsache ndern, dass sein Verhltnis zum D Staat E , dass seine staatlichen Rechte, wie seine staatlichen Pflichten nicht auf den gleichen Grnden beruhen und nicht in dieselben Wurzeln herabreichen, wie die des Einheimischen. So bleibt F nur die Teilnahme an dem gemeinsamen Geistesleben und damit wenigstens die Gemeinschaft G im Begriff der nationalen Kultur zurck H. Aber wir wissen bereits, dass auch dieser Zusammenhang nicht Stand hlt I. Denn der Jude kann, nach Bauch, J “bei der anerkanntermassen ausgeprgten nachschaffenden Begabung des jdischen Volkes” K ein deutsches Geisteswerk zwar bis zu einem gewissen Grade verstehen und manches zu seiner historischen Aufhellung beitragen, wie ja auch Franzosen und Englnder um das Verstndnis unseres Leibniz ihre Verdienste haben: aber er muss freilich auch hier bald zu den “scharfen und unbersteiglichen Grenzen” 56 gelangen, die durch die Volkstumsunterschiede gezogen sind. Wir sehen, dass die L Analyse
Juden die Vaterlands- und Sprachgemeinschaft abgesprochen ist, noch etwas von der Staatsgemeinschaft fr ihn hoffen; in Ts. [2] in Bleistift Hervorhebung: fr ihn hoffen. In Tss. [1] und [2] kurzer senkrechter Strich am linken Rand A bewegen,] in Ts. [1] danach gestrichen: fr ihn B zwischen dem Gast- und dem Wirtsvolk] in Ts. [1] ber der Zeile hinzugefgt C Erscheinung] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile typographisch statt: Gesinnung, im Ms.: Erscheinung D Verhltnis zum] in Ts. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: Anspruch an den E zum Staat] danach im Ms. gestrichen: nicht auf dem gleichen Recht beruht F So bleibt] danach in Ts. [1] gestrichen: ihm als letzter Ersatz [alternativ: Schutz], als ultimum refugium G damit wenigstens die Gemeinschaft] in Ts. [2] kurzer senkrechter Strich am linken Rand H zurck] in Ts. [1] ber der Zeile statt: brig I dieser Zusammenhang nicht Stand hlt] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: diese Brcke auf tnernen Fssen ruht. Zuvor Streichung alternativer Formulierungen: dieser Zusammenhang nirgends Stich hlt – dieser Zusammenhang trgerisch ist – dieser Zusammenhang ihm bestritten wird. In Ts. [2] statt dessen: dieser Zusammenhang ihm bestritten wird J , nach Bauch,] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt K “bei ... Volkes”] Anfhrungszeichen in Tss. [1] und [2] per Hand eingefgt, im Ms. vorhanden L dass die] im Ms. danach gestrichen: geschichtsphilosophische
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Bruno Bauchs in der Tat durchgreifend A ist. Wie der Fremdvlkische gleichsam zufllig auch in einem Lande geboren ist, so hat er ebenso B auch an irgend einer Art von C Geistigkeit Teil; nur muss man sich hten, diese Geistigkeit mit der ursprnglichen und autochtonen der Einheimischen auf eine Stufe stellen oder gar beides mit einander “verkoppeln” zu wollen. Ich halte indessen inne: denn die angefhrten Proben aus den Aufstzen Bauchs werden fr Jeden als Beleg fr den Standpunkt, den er vertritt, D gengen. E Bauch versichert freilich, dass ihm ein “triebhaft blinder und grundsatzlos der Antisemitismus” vllig fern liege 57 : und wir haben kein Recht, an der subjektiven Aufrichtigkeit dieser Versicherung zu zweifeln. Aber ich muss allerdings bekennen, dass mir der entschiedenste “grundsatzlose” Antisemitismus, sofern in ihm eben die Kraft eines persnlichen F A f f e k t e s waltet, noch eher verstndlich ist, als die Theorie, die hier aus irgendwelchen “geschichtsphilosophischen” Prmissen herausgesponnen wird. Selten ist mit einer solchen Lebensfremdheit G ber Fragen geurteilt H worden, bei denen es sich immerhin nicht nur um Begriffe und Doktrinen, sondern um wirkliche Menschen und deren lebendige I Empfindungen handelt. Der Schwierigkeit, der Zartheit und Komplikation der konkreten Lebensverhltnisse w i rd d i e s e T h e o r i e n i r g e n d s g e re c h t J; ihr K liegt nur daran, L den Gegensatz zwischen dem “Einheimischen” und “Fremdvlkischen” in nchterner, gleichsam bureaukratischer Genauigkeit durchzufhren. Fr die gedankliche und seelische
durchgreifend] in Ts. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: radikal verfahren ebenso] im Ms. statt gestrichenem: aus demselben Grunde wohl C einer Art von] danach in Tss. [1] und [2] gestrichen: “Vernunft” und, in Ts. [1] zustzlich in Bleistift eingeklammert D den Standpunkt, den er vertritt,] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: die G e s i n n u n g und D e n k a r t , die hier zu Grunde liegt, Hervorhebung – in Bleistift – nur in Ts. [1] E gengen.] in Ts. [1] kurzer senkrechter Strich am linken Rand F persnlichen] im Ms.: grundlosen G Lebensfremdheit] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: abstrakten Fremdheit. Im Ms. danach gestrichen: gegenber den wirklichen Lebensdingen H ber Fragen geurteilt] in Ts. [1] kurzer senkrechter Strich am linken Rand I deren lebendige] im Ms.: um wirkliche J w i r d d i e s e T h e o r i e n i r g e n d s g e re c h t ] Hervorhebung – in Bleistift – nur in Ts. [1] K Der Schwierigkeit, der Zartheit ... wird diese Theorie nirgends g e re c h t ; ihr] in Tss. [1] und [2] teils korrigiert, teils ber der Zeile hinzugefgt statt gestrichenem: Die Schwierigkeit, die Zartheit und Komplikation der konkreten Lebensverhltnisse kmmert diesen Theoretiker wenig; ihm L ihr liegt nur daran,] in Ts. [1] kurzer senkrechter Strich am linken Rand A B
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Verfassung der Individuen, die er A hierbei beurteilt B[,] fehlt ihm jede Spur eines psychologischen Verstndnisses. Bauch C klagt ber den “Formalismus” des jdischen Geistes 58 ; aber welch ein trockener und unpersnlicher Formalismus herrscht in seinen eigenen Ausfhrungen! D E Weil Juden und Deutsche, wirklich oder angeblich, in ihrem “Wesen” vllig verschieden sein sollen, darum F werden zuletzt auch all die inneren, geistigen B e z i e h u n g e n zwischen ihnen geleugnet und fr Schein erklrt. Wenn das geschichts p h i l o s o p h i s c h gedacht ist, so ist es doch zum mindesten sehr wenig geschichtlich G gedacht: denn wahrhaftes, geschichtliches Denken beruht auf der Kraft und Feinheit, mit der man eine individuelle historische Gesamtlage und ihre Besonderungen aufzufassen und sich selbst und anderen zur lebendigen Anschauung zu bringen vermag. Niemand aber, der aus unbefangener Kenntnis der Menschen und Dinge urteilt, wird ihm zugestehen, H dass in seiner Schilderung von den deutschen Juden und ihrer wirklichen Beschaffenheit die Rede ist. I Solche Subjekte, wie er sie hier beschreibt: J Subjekte K ohne wurzelhaften L Zusammenhang mit dem Lande, in dem sie geboren und mit dem Geiste, in dem sie gebildet sind, haben nie und nirgend existiert: es sind Schemen, die aus der Theorie her-
er] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile hierbei beurteilt] in Tss. [1] und [2] danach gestrichen: und ber die er aburteilt, fehlt ihm nicht nur jede unbefangene Wertschtzung, sondern – was hier das eigentlich Entscheidende ist – bzw. verkrzt auf: fehlt ihm, in Ts. [1] zustzlich in Bleistift eingeklammert C Bauch] in Ts. [1] vorstehend gestrichen: Bruno D aber welch ein trockener ... Formalismus herrscht in seinen eigenen Ausfhrungen!] in Tss. [1] und [2] statt gestrichenem: aber ein gleich trockener, gleich unpersnlicher Formalismus, als er in seinen eigenen Ausfhrungen herrscht, ist mir selten begegnet. E in seinen eigenen Ausfhrungen!] in Ts. [1] kurzer senkrechter Strich am linken Rand F darum] im Ms. danach gestrichen: wird zuletzt alle lebendige geistig-persnliche Beziehung zwischen G geschichtlich] im Ms.: g e s c h i c h t l i c h H Niemand aber, der ... ihm zugestehen,] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile statt gestrichenem: Glaubt aber wirklich Jemand, (glaubt es Bruno Bauch selbst,); in Ts. [1] zustzliche Einklammerung in Bleistift I ist.] ist? im Ms. J hier beschreibt:] im Ms. danach gestrichen: die keiner lebendigen Sprachgemeinschaft K Subjekte] in Ts. [1] danach gestrichen: ohne lebendiges Sprachgefhl und ohne lebendiges Heimatgefhl L wurzelhaften] im Ms.: wahrhaften A B
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aus und um der Theorie willen erdacht sind. ABC Wer vollends in der Beurteilung geistiger Fragen auf den Geburtsschein als letztes Kriterium zues sind Schemen, die ... um der Theorie willen erdacht sind.] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: es sind Gespenster, die nur in der [im Ms. gestrichen: abstrakten] Phantasie des [im Ms. gestrichen: abstrakten] Metaphysikers [im Ms. gestrichen: Bestand haben] bestehen. Im Ms. danach in violettem Stift gestrichen: Nicht aus der Besorgnis vor ›antisemitischen‹ Folgerungen trete ich daher hier Bruno Bauch entgegen, sondern um der einfachen Wahrheit der Sache willen muß ich dem Zerrbild, das er von jdischem Wesen und jdischem Empfinden entwirft – [Siehe. edit.-philolog. Anm. B] B um der Theorie willen erdacht sind.] in Ts. [1] danach mit violettem Stift gestrichen: Tausende von deutschen Juden fhlen sich ebenso unmittelbar als Deutsche, wie [sie] sich als Juden fhlen: und in der Einheit dieser beiden Empfindungen liegt fr sie kein Problem. Woher diese Einheit s t a m m t und wie sie kausal zu “erklren” ist, ob sie auf [in Ts. [1] fehlt mit der nachfolgenden Ts.-S. (S. 23) der komplett gestrichene Text, Hinweis per Hand (Ts.-S. 24 oben): ([S.] 23 fllt weg), in Ts. [2] ist dieser Text vorhanden:] irgend eine letzte Identitt des “Wesens” hindeutet oder ob sie in der Gemeinsamkeit geschichtlicher Aufgaben und geschichtlicher Schicksale entstanden ist: dies alles pflegt und braucht sie [in Ts. [2] ber der Zeile per Hand hinzugefgt:, die keine Philosophen sind,] nicht zu beunruhigen. [Siehe edit.-philolog. Anm. C.] Denn die Sicherheit ihrer Ueberzeugung fragt nicht erst lange nach dem “Warum” und dem “Woher”: es gengt ihnen, diese Ueberzeugung als subjektiv wirksam zu wissen, um jeden Zweifel an ihrer objektiven “Wirklichkeit” auszuschliessen. [Streichung im Ms.: Sollte aber wirklich jemals der Gedanke] Und so absurd es ihnen erscheinen wrde, fr das, was sie als einfaches inneres Muss empfinden, eine Anerkennung zu erwarten oder hinzunehmen, so knnen sie andererseits jeden Zweifel an dieser Empfindung und ihrer theoretischen und praktischen “Mglichkeit” mit ruhiger [Streichung im Ms.: Verachtung gegenbertreten.] Entschiedenheit von sich weisen. [Streichung in Ts. [2] per Hand: Auf langatmige und gelehrte Diskussionen hierber soll sich Niemand einlassen. – Denn je scharfsinniger eine Theorie erdacht ist, um so weiter pflegt sie hier von der einfachen Wahrheit der Sache abzulenken.] Was dagegen den theoretisch geschulten und gebildeten Juden betrifft [in Ts. [2]: Im brigen braucht gerade der theoretisch geschulte und gebildete Jude], der in der Anschauung der geistigen Grundwerte des Deutschtums steht, [in Ts. [2] ber der Zeile per Hand eingefgt: so braucht er sich] das Problem nur auszusprechen, um seine Lsung sofort mit Hnden zu greifen. Das Wort Goethes: “wo wir uns bilden, [in Ts. [2] gestrichen: da] ist unser Vaterland” 59[,] weist ihm hier den sicheren Weg; – vorausgesetzt freilich, dass man den Begriff der “Bildung” selbst nicht in der Trivialitt und Abgeschliffenheit seines heutigen Gebrauchs, sondern in der reinen geistigen Grundbedeutung nimmt, die er in Goethe und durch Goethe erhalten hat. [Absatz] Wenn daher Jemand versuchen wollte, uns, mit dem Geburtsschein in der Hand [in Ts. [2] kurzer senkrechter Doppelstrich mit violettem Stift am linken Rand], aus diesem Bereich des Geistes wegzuweisen, so wrden wir hierfr freilich nur ein Lcheln haben. In Ts. [1] (Ts.-S. 24) folgende Zeilen in violettem Stift gestrichen: Geistes wegzuweisen [...] Lcheln haben C dies alles pflegt und braucht sie nicht zu beunruhigen,] im Ms. danach (Ms.-S. 19) A
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rckgreift, der macht sich damit doch wohl einer allzu grossen – Vereinfachung der Probleme, um die es sich hier handelt, schuldig. A Denn hier stehen wir in dem Gebiet, in dem es keinen ererbten oder bevorrechteten Besitztitel mehr giebt, sondern in dem jeder sich selbst den Wert zu geben hat. B Der Anteil und das Anrecht am deutschen Geiste wird Niemandem in die Wiege gelegt. Und namentlich C der, der sich auf F i c h t e beruft, sollte es verstehen, dass die Stellung, die sich das Individuum D im Reiche des Geistes gibt, nicht ein Werk der Natur, sondern eine Tat der Freiheit ist. Fichtes E Begriff des Deutschtums, wie er in den “Reden an die deutsche Nation” entwickelt ist, lsst nicht den geringsten Zweifel darber, dass es sich hier F nicht um die Feststellung und Sanktionierung einer einmal gegebenen Volkseigentmlichkeit, sondern um die Bestimmung einer “intelligiblen” Aufgabe handelt G, an der jeder Anteil gewinnt, durch lange vertikale Linie in violettem Stift gestrichen: Denn jedes wahrhaft lebendige Gefhl trgt zuletzt den Beweis seines Rechtes in sich selbst. Wo wir eine Empfindung in uns unmittelbar wirksam wissen, da brauchen wir uns ihrer Wirklichkeit nicht erst durch mhsam erdachte Theorien zu vergewissern; [danach Wort fr Wort gestrichen: Vor der Kraft ihres Inhalts schweigt die Frage nach ihrem ›Warum‹ und ›Woher‹.] wie wir sie uns andererseits ebensowenig durch solche Theorien bestreiten lassen. Der reine Inhalt der Empfindung leitet uns hier sicherer als alle Fragen nach dem ›Warum‹ und ›Woher‹. Von dieser Stimmung kann sich auch der ›Geschichtsphilosoph‹ nicht losreissen, wenn er nicht den Grund, auf dem er bauen und das Faktum, das er erklren will, zerstren soll. Im brigen aber wird gerade der theoretisch geschulte und gebildete Jude, der in der Anschauung der geistigen Grundwerte des Deutschtums steht, in dieser Erklrung keine der Schwierigkeiten finden, die hier durch die Fragestellung einer naturalistischen Rassen-Metaphysik knstlich geschaffen werden. [danach Wort fr Wort gestrichen: – Wo wir uns bilden, da ist unser Vaterland] – Das Wort Goethes: ›wo wir uns bilden, da ist unser Vaterland‹ 59 weist hier den einfachen und sichern Weg; – vorausgesetzt freilich, daß man den Begriff der ›Bildung‹ selbst nicht in der Trivialitt und Abgeschlossenheit seines heutigen Gebrauchs, sondern in seiner der reinen und geistigen [statt: spezifischen] Grundbedeutung nimmt, die er [Ende]. Ersetzende, in die Tss. eingehende Formulierung (Ms.-S. 19a): Denn die Sicherheit ihrer berzeugung fragt nicht [...] sondern in der reinen geistigen Grundbedeutung nimmt, die er [Fortsetzung (Ms.-S. 20):] in Goethe und durch Goethe [...] nur ein Lcheln haben. A Wer vollends ... hier handelt, schuldig.] in Ts. [1] per Hand Zusatz am unteren Rand der Ts.-S. 22 statt (S. 23) gestrichenem Text B Denn hier stehen wir in dem Gebiet, in dem ... zu geben hat.] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: Denn in diesem Gebiet gibt es keinen ererbten oder bevorrechteten Besitztitel, sondern hier muss jeder sich selbst den Wert geben. C Und namentlich] im Ms. danach gestrichen: diejenigen, die sich so gern D Individuum] in Ts. [1] statt gestrichenem: jeder E Fichtes] in Tss. [1] und [2]: Auch Fichtes F dass es sich hier] im Ms. danach gestrichen: nicht darum handelt G handelt] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt
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der sie sich in freiem Entschluss zu Eigen macht. “Was an Geistigkeit und Freiheit dieser Geistigkeit glaubt, und die ewige Fortbildung dieser Geistigkeit durch Freiheit will[”] – so heisst es hier –, [“]das, wo es auch geboren sei und in welcher Sprache es rede, ist unsers Geschlechts, es gehrt zu uns und es wird sich zu uns tun. Was an Stillstand, Rckgang und Zirkeltanz glaubt, oder gar eine tote Natur an das Ruder der Weltregierung setzt, dieses, wo es auch geboren sei und welche Sprache es rede, ist undeutsch und fremd fr uns, und es ist zu wnschen, dass es je eher je lieber sich gnzlich von uns abtrenne.” 60 Fichtes Blick ist in der Tat, auch in der hchsten subjektiven Leidenschaftlichkeit seiner vaterlndischen Gesinnung und seines vaterlndischen Affekts, unbeirrbar auf die S a c h e A gerichtet, die er als “deutsch” bezeichnet; und vor ihr gilt fr ihn kein Ansehen der Personen. Wer dazu berufen B sei, an dieser Sache mitzuwirken, darber zu streiten C , ist vllig mssig, denn diese Frage kann nicht durch leeren Wortstreit, sondern sie muss durch die Tat entschieden werden. Hier bleibt nichts anderes brig, als dass Jeder die Kraft des Steines in seinem Ring an den Tag zu legen strebe 61 : das endgltige Urteil aber kann weder von einer naturalistischen Rassentheorie, noch von irgendeiner willkrlich ausgeklgelten “Geschichtsphilosophie”, sondern es muss vom Genius der Geschichte selbst erwartet werden. D E Denn auch die “Volksgeister” sind, so wahr sie geschichtliche Realitten bedeuten, nicht F feststehende Grssen, deren Grenzen sich ein fr allemal bezeichnen lassen, sondern sie treten G erst in ihrer S a c h e ] Hervorhebung in Tss. [1] und [2] per Hand Wer dazu berufen] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: Ob der Jude fhig C streiten] in den Tss. ber der Zeile statt gestrichenem: schreiben, im Ms.: streiten D das endgltige Urteil aber ... vom Genius der Geschichte selbst erwartet werden.] in Ts. [1] statt gestrichenem: das Urteil darber, ob und wieweit uns dies gelungen, erwarten wir freilich nicht von irgend einer willkrlich ausgeklgelten “Geschichtsphilosophie”, sondern von dem Genius der Geschichte selbst. In Tss. [2] und [3] lautet der Ersatz: und daß er das Urteil darber, ob und wieweit dies gelungen, ruhig dem Genius der Geschichte selbst berlsst. E muss vom Genius der Geschichte selbst erwartet werden.] danach in Ts. [1] gestrichen: Schon jetzt ist es ein vergebliches Bemhen, den Namen Moses Mendelsohns aus der Geschichte der deutschen Aufklrungsphilosophie, die Namen Maimon und Cohen aus der Geschichte der Kantischen Lehre, die Namen Felix Mendelsohn und Heinrich Heine [im Ms. danach gestrichen: und Max Liebermann] – von vielen anderen zu schweigen – aus der deutschen [im Ms. danach gestrichen: Kunst-] Literatur- und Musikgeschichte auszustreichen; wer dies versucht, der flscht nur deren eigene Entwicklung. Aber die eigentliche Probe liegt freilich nicht in der Vergangenheit und Gegenwart, sondern in der Zukunft. F nicht] im Ms. danach gestrichen: konstante und ein fr allemal G treten] im Ms. statt gestrichenem: vermgen sich A B
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Entwicklung, als das was sie ihrem Wesen nach “sind”, heraus A und knnen sich erst hier in ihrer Kraft und Eigentmlichkeit erweisen. Bruno Bauch glaubt sich vor dem Vorwurf, dass er die [“]Naturgegebenheit der Nation in einem dogmatisch-naturalistischen Sinne nehme B”[,] schon dadurch gesichert, dass er die Nation nicht nur als Naturgegebenheit, sondern zugleich auch als geschichtliche Gegebenheit definiert. 62 Aber dieser Einwand ist schon methodisch verfehlt: C denn es gibt nicht nur eine “dogmatisch-naturalistische Erstarrung” des Naturbegriffs, sondern auch eine solche des Geschichtsbegriffs selbst. Und eben diese tritt notwendig ein, sobald man den Inhalt des Geschichtlichen einseitig am Vergangenen festhlt, statt ihn auf die unabgeschlossene und D unabschliessbare Zukunft zu projicieren. Wiederum ist es Fichte gewesen, der diesen idealistischen Z u k u n f t s b e g r i f f der Geschichte am schrfsten E erfasst hat: so scharf, dass er hierber bisweilen in Gefahr geriet, das Moment der Vergangenheit F vllig zu vernachlssigen und aufzuopfern. Wenn er sich – in einer bekannten Stelle der ›Grundzge des gegenwrtigen Zeitalters‹ – von jenen ›Erdgeborenen‹ lossagt, die ›in der Erdscholle[,] im Flusse, im Berge ihr Vaterland erkennen‹, und sich hiergegen auf eine tiefere geistige Begrndung des Staats- und Vaterlandsbegriffs beruft, die dem ›sonnenverwandten Geist‹ allein gemss sei 63: so mag man vielleicht einwenden, daß diese usserung, die in das Jahr 1804 fllt, der letzten und hchsten Ausbildung von Fichtes Nationalittsbegriff noch vorausliegt. Aber auch dann, nachdem diese Ausbildung sich vollzogen, ist Fichtes Stellung im Hinblick auf das Problem, auf das es hier wesentlich ankommt, die gleiche geblieben. G “Deshalb sollen die Deutschen” – so heisst es in seinen politischen Betrachtungen aus dem Jahre 1813 - [“]auch nicht etwa Fortsetzung der alten Geschichte sein: diese hat eigentlich fr sie gar kein Resultat gegeben, und sie selbst existiert eigentlich nur fr die Gelehrten. ... Und so wird es auch, vom Bisherigen aus betrachtet, bleiben: der Einheitsbegriff des deutschen Volkes ist noch gar nicht wirklich, er ist ein allgemeines Postulat der Zukunft. Aber er wird nicht eine gesonderte Volkseigentmlichkeit zur heraus] im Ms. statt gestrichenem: zu erweisen nehme] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile per Hand statt gestrichenem: schone, im Ms.: nehme C verfehlt] im Ms. statt gestrichenem: unzureichend D die unabgeschlossene und] im Ms. danach in violettem Stift gestrichen: fr immer E am schrfsten] im Ms. danach gestrichen: reinsten und tiefsten F das Moment der Vergangenheit] im Ms. danach gestrichen: allzu einseitig gering anzuschlagen und G Wenn er sich ... die gleiche geblieben.] In Ts. [1] auf linkem bzw. unterem Blattrand (Ts.-S. 26) per Hand formulierter, mit L als Einschub markierter Text A B
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Geltung bringen, sondern den Brger der Freiheit verwirklichen.” 64 Wer in der Meinung steht, dass die Prophezeiung Fichtes sich inzwischen erfllt hat, – dass die tausend, tausend Jahre seines Richters abgelaufen sind 65 : der hat weder den idealistischen Begriff der Geschichte, noch den des Deutschtums in seiner Reinheit und Tiefe begriffen. A Frchtet man indessen, dass die Einheit der sachlichen Aufgabe, die der deutschen Kultur gestellt ist, dadurch gefhrdet werden knnte, dass verschiedene “Volksgeister” B an ihr teilnehmen, so beruht auch dies auf einem rein formalistischen Missverstndnis. Denn die wahrhaft geistige Einheit einer Kultur erfordert C keineswegs die Einerleiheit ihrer Grundfaktoren. Auch hier sollten diejenigen, die sich so gern auf Fichte D und Hegel beziehen, des Satzes eingedenk bleiben, dass die konkrete E i n h e i t E , die sich aus dem Gegensatz F ergibt und herstellt, hher als die abstrakte E i n f r m i g k e i t G steht. Die Differenz selbst ist nicht der Widerspruch, sondern die Bedingung und Voraussetzung zur Einigung. H in seiner Reinheit und Tiefe begriffen.] danach in Ts. [1] in violettem Stift gestrichen: Man halte uns nicht das Vorurteil entgegen, in dem Fichte selber ber Juden und Judentum befangen blieb: denn dieses Vorurteil hat ihn zum mindesten seinen klaren B e g r i f f der Geschichte und seinen Begriff der Nation, auf den es hier wesentlich ankommt, nicht getrbt. B “Volksgeister”] in Ts. [1] Anfhrungszeichen per Hand C erfordert] im Ms. statt gestrichenem: beruht D Fichte] in Tss. [1] und [2] per Hand statt: Frohse E E i n h e i t ] Hervorhebung in Tss. [1] und [2] per Hand F Gegensatz] Hervorhebung rckgngig gemacht G E i n f r m i g k e i t ] Hervorhebung in Tss. [1] und [2] per Hand H die Bedingung und Voraussetzung zur Einigung.] in Ts. [1] danach in violettem Stift gestrichen, in Ts. [2] – mit kleineren Korrekturen und Streichungen – stehengelassen: Und auch dies soll uns nicht beirren, dass auf diese Weise das Judentum in seiner Berhrung mit verschiedenen Nationen auch vor eine empirische Verschiedenheit besonderer Kulturaufgaben gestellt ist. Sofern es wahrhafte und ursprngliche Eigentmlichkeit besitzt, wird es sie [in Ts. [1]: diese, im Ms.: dieselbe] auch in dieser Mannigfaltigkeit der Aufgaben bewhren; – und zuletzt [im Ms.: zugleich] werden, wenn jede einzelne von ihnen ohne Ueberhebung und Vorurteil in reiner Hingabe ergriffen wird, auch die universellen geistigen Zusammenhnge zwischen ihnen immer bestimmter hervortreten. Vor s o l c h e m ”Kosmopolitismus”, [in Ts. [1] kurzer senkrechter Strich am linken Rand, danach Text zustzlich in Bleistift eingeklammert und Zeile fr Zeile gestrichen, in Ts. [2] einfach ausgestrichen: (wie er jetzt hufig dem Juden zur Last gelegt wird,)] scheuen wir uns nicht, sondern wir bekennen ihn offen und frei; wir glauben damit nur in der sachlichen bereinstimmung und in der geschichtlichen Kontinuitt mit jener Idee der Geschichte “in weltbrgerlicher Absicht” zu stehen, die Kant und die Klassiker der deutschen Bildung entwickelt haben. In Ts. [2] folgt Absatzzeichen, Wiederholung auf linkem Rand: Abs[atz]! Im Ms. folgt Einschubzeichen L , am rechten Rand in violettem Stift erlutert: s[iehe] S. 23a. In Ts. [2] senkrechter Strich am linken Rand. In Ts. [1] ist Ts.-S. 28 handschriftlich neugefaßt, A
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Mit dem oberflchlichen Schematismus freilich, der hier einfach zwischen ›Wirtsvlkern‹ und ›Gastvlkern‹ unterscheiden zu knnen glaubt, in Ts. [2] ist S. 28 am gesamten linken Rand durch eine einfache bzw. eine Doppelbleistiftlinie gekennzeichnet. Im Ms. (Ms.-S. 23) danach in violettem Stift Zeile fr Zeile gestrichen: Mit alledem will ich jedoch nicht etwa selbst eine gelehrte geschichtsphilosophische T h e o r i e dartun und begrnden, sondern ich bin mir bewusst hierin nur das schlichte Gefhl vieler Tausender von deutschen Juden auszusprechen, die jetzt fr Deutschland im Kampf stehen. Wer diesen Mnnern die Liebe zur deutschen Landschaft und zur deutschen Heimat, wer ihnen das Verstndnis deutscher Lyrik und Musik und deutscher Philosophie abspricht, – der mutet ihnen zu, fr eine Sache zu kmpfen, die nicht die ihre ist. Zu solchem Helotentum lassen wir uns nicht herabwrdigen: und es ist nicht minder die Sorge fr das Deutschtum, als die fr das Judentum, aus der heraus wir hiergegen Einspruch erheben. Als Einschub (Ms.-S. 23a und Ms.-S. 23) formulierter Text geht in die Tss. ein, wird in Ts. [1] aber komplett gestrichen, bleibt in Ts. [2] erhalten, auf linkem Seitenrand mit einfacher bzw. Doppelbleistiftlinie gekennzeichnet: Im brigen aber sollte man nicht vergessen, dass es sich hier um eine Frage handelt, bei der der “Primat der praktischen Vernunft” zuletzt sein Recht behaupten wird und muss. Wer im gegenwrtigen Moment den deutschen Juden die Liebe zur deutschen Landschaft und zur deutschen Heimat, wer ihnen das wahrhafte Verstndnis deutscher Lyrik [auf rechtem Rand (Ms.-S. 23a) gestrichen: Forts[etzung] s[iehe] S. 23] und Musik und deutscher Philosophie abspricht, der mutet ihnen zu, fr eine Sache zu kmpfen, die nicht die ihre ist. [Im Ms. gestrichen: Eine/Zu solcher Helotenrolle aber wrden wir nicht nur des Judentums, sondern vor allem auch des Deutschtums als unwrdig empfinden. Denn Forts[etzung] S. 23] Zu solcher Helotenrolle lassen wir uns nicht herabwrdigen: denn sie wre ebensosehr des Deutschtums wie des Judentums unwrdig. Im Verhltnis → [auf rechtem Rand (Ms.-S. 23a):] etc. Forts[etzung] s[iehe] S. 23: [Ms.-S. 23:] [im Ms. gestrichen: Im Verhltnis] ethischer Subjekte, in der Beziehung freier Persnlichkeiten herrscht eine strenge Korrelation. Wir knnen keinen anderen zur geistigen Unfreiheit erniedrigen, ohne hierin [im Ms. gestrichen: hierbei] selbst innerlich unfrei zu werden. Wer einen andern als “blosses Mittel” braucht, der hat [in Ts. [2] per Hand ber der Zeile eingefgt: bereits], nach dem Grundprinzip der Autonomie, das den Kern der Kantischen Ethik bildet, [in Ts. [2] gestrichen: auch in sich selbst] die [in Ts. [2] ber der Zeile eingefgt: allgemeine] Idee des Selbstzwecks verletzt. [Im Ms. folgt auf rechtem Rand: Forts[etzung] s[iehe] S. 23b] Im Ms. (Ms.-S. 23) danach in violettem Stift teils Zeile fr Zeile, teils mit vertikaler Linie komplett gestrichen: Die deutsche W i s s e n s c h a f t insbesondere sollte jetzt wirklich andere Aufgaben kennen, als diejenigen, die ihre vaterlndische Pflicht bisher als etwas Notwendiges und Selbstverstndliches angesehen haben, durch subtile Distinktionen an dieser Selbstverstndlichkeit irre zu machen. [Gestrichene erste Formulierung: Jeder, der die eigentlichen geistigen Wurzeln des Zusammengehrigkeitsgefhls, das zwisch[en] [Lcke im Text] Das natrliche nationale Zusammengehrigkeitsgefhl soll sich jetzt nicht in Worten, sondern in der That ussern, aber man hre auch auf, es einem Teile der Nation, der sich selbst als solcher weiss und empfindet] Ersatz fr erste Formulierung, mit vertikaler Linie komplett gestrichen: Will sie es wirklich auf sich nehmen, in diesem
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kommt man weder fr die Bestimmung der wahrhaften Differenz, noch fr die der wahren Einheit aus. Nicht nur die theoretischen, sondern auch die ethischen Schwierigkeiten mssen sich ihm gegenber sofort in aller Schrfe erheben. Die Gastrolle, die der Aufsatz Bruno Bauchs den deutschen Juden zuspricht A, wrde fr sie eine wahrhafte Helotenrolle bedeuten: – B sie wrde ihnen C den Kampf fr eine Sache zumuten, die sie, wenn jene Ansicht Recht behielte, nicht mehr wahrhaft und innerlich als die ihre ansehen drften. D Nicht nur vom Standpunkt des Judentums[,] sondern ebensosehr von dem des Deutschtums muss einer derartigen Auffassung entgegengetreten werden. Denn im Verhltnis ethischer Subjekte, in der Beziehung freier Persnlichkeiten herrscht eine strenge Korrelation: E die a l l g e m e i n e Idee des ›Selbstzwecks‹ erfllt sich in diesem Verhltnis erst, wenn sie sich auf jedes der Subjekte gleichmssig
Augenblick Verwirrung in die Reihen der Kmpfenden zu tragen? Will man denen, deren Zusammengehrigkeit mit dem Ganzen der Nation sich durch die Tat erprobt hat und tglich neu erprobt, das Gefhl dieser Zusammengehrigkeit in Worten bestreiten und verdchtig machen? Und noch eine Rcksicht ist es, die hier entscheidend sein sollte. Keiner von uns zweifelt mehr, daß, wenn erst einmal das Ende dieses Kampfes herangekommen sein wird, eine ungeheure und unabsehbare Flle Angekndigte Fortsetzung (Ms.-S. 23b) geht in die Tss. ein, ist in Ts. [1] aber komplett gestrichen bzw. weggelassen, in Ts. [2] erhalten und durch senkrechte Linie am linken Rand markiert: Auch muss jedes derartige Beginnen schon an seinem eigenen inneren Widerspruch zu Grunde gehen. Wer einmal das Gefhl der Zusammengehrigkeit mit dem Ganzen der Nation durch die Tat erprobt hat [in Ts. [2] gestrichen: und wer es tglich nun erprobt], der lsst es sich nicht mehr durch [in Ts. [2] gestrichen: bloße] Worte verdunkeln und verwirren. Auch diejenigen, die in der geistigen Arbeit stehen, werden [im Ms. gestrichen: ihren Weg sicher und unbeirrt fortsetzen] sich von der klaren Richtung ihres Weges nicht abdrngen lassen; denn sie empfinden diese Richtung nicht als etwas, das sie nach Willkr ergreifen und nach subjektivem Belieben abndern knnen, sondern als eine [im Ms.: immer] zugleich sachliche und persnliche Notwendigkeit. In den Tss. folgt ein Absatzzeichen im Text und auf linkem Rand die Bemerkung: ‹Ab[satz]!, ist in Ts. [1] wieder gestrichen, da hier die per Hand verfaßte neue Seite (Ts.-28) als Einschub folgt (siehe auf S. 58 edit.-philolog. Anm. A), in Ts. [2] schließen sich Absatz und im Ms. (Ms.-S. 23b) neu formulierter Text unmittelbar an: Noch eine andere Rcksicht [...] eine unabsehbare Flle A zuspricht] in Ts. [1] statt gestrichenem: zumutet B Helotenrolle bedeuten: –] in Ts. [1] danach in violettem Stift gestrichen: denn C ihnen] in Ts. [1] danach gestrichen: wenn diese Ansicht Recht htte D drften.] in Ts. [1] statt gestrichenem: knnten E herrscht eine strenge Korrelation:] danach in Ts. [1] gestrichen: wer einen anderen als ›blosses Mittel‹ braucht, der hat, gemss dem Prinzip und dem Grundgedanken der kritischen Ethik [alternativ: Autonomie], dabei bereits die a l l g e m e i n e Idee des ›Selbstzwecks‹ verletzt. Und noch eine
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bezieht. Und noch eine A andere Rcksicht B ist es, die in den Auseinandersetzungen dieser Art entscheidend sein sollte. Keiner von uns zweifelt mehr, dass, wenn erst einmal das Ende dieses Kampfes herangekommen sein wird, eine unabsehbare Flle neuer politischer und nationaler Aufgaben uns erwartet. Auch dies wissen wir, dass alle diese Aufgaben sich ohne scharfe C theoretische und praktische, politische und soziale Kmpfe nicht bewltigen lassen werden; aber wir frchten diese Kmpfe nicht, weil wir darauf vertrauen, dass die Einheit der staatlichen und nationalen Gesinnung zuletzt auch die schwersten Gegenstze berwinden wird. Die Voraussetzung aber hierfr ist, dass man auch im Streit D diese Einheit selbst als unantastbar betrachtet E , dass man, wie scharf die Gegenstze knftig auch aufeinandertreffen mgen, eine gemeinsame Basis F bestehen lsst, die nicht nur staatlich verbrgt, sondern geistig irgendwie gegrndet sein muss. G In diesem rein H geistigen Bereich zum mindesten Mit dem oberflchlichen Schematismus ... jedes der Subjekte bezieht. Und noch eine] In Ts. [1] die Einfgung auf neuverfaßter Ts.-S. (S. 28), sie nimmt den im Ms. (Ms.-S. 23b) formulierten alternativen Text wieder auf: Und noch eine andere Rcksicht [...] ist es, eine unabsehbare Flle neuer politischer und nationaler Aufgaben uns erwartet. [...] B Rcksicht] danach in Ts. [1] in violettem Stift gestrichen: aber C scharfe] in Ts. [1] statt gestrichenem: schwere D Streit] in Ts. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: Kampfe E betrachtet] im Ms. statt gestrichenem: stehen lsst F Basis] im Ts. ber der Zeile: Praxis, im Ms.: Basis G sondern geistig irgendwie gegrndet sein muss.] In Ts. [1] nachstehender Text Zeile fr Zeile bzw. mit vertikaler violetter Linie gestrichen, teilweise zustzlich per Hand eingeklammert: Und wer sonst, (als [im Ms. gestrichen: etwa ein abstrakter Geschichtsphilosoph der sich in selbstersonnene] Jemand, der sich fr einen Geschichtsphilosophen hlt, der aber in Wahrheit nur an die Stelle der historischen Tatsachen willkrlich ersonnene Begriffe [im Ms. gestrichen: und selbstgemachte Schwierigkeiten] setzt,) [in Ts. [2] bleibt lediglich stehen: Und wer] brauchte in d i e s e m Moment [im Ms.: Augenblick] erst lange nach einer solchen Basis zu suchen? Die Einheit der Abstammung – das hat gerade die [im Ms. gestrichen: Geschichte oft genug erwiesen – ist nun fr die Nation oft nur ein schwaches und lockeres Band] deutsche Geschichte in manchen schweren Leidensperioden erfahren –, ist fr die Nation oft nur ein schwaches und lockeres Band gewesen; aber was fester und sicherer bindet, ist das gemeinsame Erleben und die gemeinsamen Aufgaben [im Ms.: Schicksal], die gemeinsame Gefahr und die gemeinsame Pflicht. Weil den deutschen Juden dies alles zu Teil geworden ist, darum hoffen wir, dass auch in Zukunft ihre Beziehung zum Deutschtum in staatlicher und geistiger Hinsicht sich immer fester knpfen wird. [In Ts. [2] senkrechte Linie am gesamten linken Seitenrand] Wir sind nicht so tricht, ein Aufhren der “Judenfrage” zu erwarten, so wenig wir dies fr die soziale Frage oder fr sonstige religise und politische Gegenstze tun. Geschichtliche Gegenstze lassen sich nicht durch freundliches Zureden aus der Welt schaffen, sondern sie mssen in offenem Kampf ausgetragen werden. H In diesem rein] in Ts. [1] am linken Rand per Hand: Aber im rein A
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sollte man keine Grenzen ziehen und keine unbersteiglichen Schranken aufzurichten suchen; denn man beschrnkt damit im Grunde nicht den andern, sondern nimmt nur sich selber die Weite und die Freiheit des Blicks. A Im politischen Tageskampf mag immerhin B manches scharfe und unbedachte Wort erlaubt und entschuldbar sein; wer jedoch als Philosoph vor uns hintritt, wer es auf sich nimmt, als “Lehrer im Ideal” 66 zu uns zu sprechen, der sollte seine Worte wgen. – C denn man beschrnkt ... die Weite und die Freiheit des Blicks.] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile eingefgt B Im politischen Tageskampf mag immerhin] in Ts. [1] danach gestrichen: auch in dieser Hinsicht C der sollte seine Worte wgen. –] In Ts. [1] danach mit violettem Stift Zeile fr Zeile gestrichen, in Ts. [2] dagegen durch senkrechte Linie auf dem linken Rand gekennzeichnet: Damit ist ausgesprochen, was ich auf Bruno Bauchs Aufsatz zu erwidern habe: und ich hoffe, dass diese Erwiderung [in den Tss. per Hand: Entgegnung] nicht dem Einwand begegnet, dass sie den “Burgfrieden” verletzt. Denn ihre Tendenz wre damit in ihr vlliges Gegenteil verkehrt. Meine Absicht war [im Ms. gestrichen: lediglich] darauf gerichtet, einer Gesinnung, die ich selbst als gefhrliche Bedrohung des inneren Friedens unter uns empfinde, von Anfang an mit Bestimmtheit entgegenzutreten. [Danach auch in Ts. [2] in schwarzer Tinte, Zeile fr Zeile gestrichen, in Ts. [1] zustzlich eingeklammert:] Hier durfte ich die schrfste Aussprache des Gegensatzes nicht vermeiden: denn nur durch sie kann der Verwirrung [im Ms. gestrichen: und gegenseitigen] gesteuert werden, in die wir uns sonst, wenn wir [im Ms. gestrichen: sie stillschweigend fortbestehen lassen, nur immer tiefer verstricken mssten. Was Bruno Bauchs Person betrifft, so hat brigens die] [im Ms. gestrichen: Im brigen wird man] eine [in Tss. [2] und [3] gestrichen, in Ts. [1] fehlt die Passage ganz:] Auffassung, wie diejenige Bauchs, stillschweigend fortbestehen liessen, unfehlbar immer mehr und mehr verstrikken mssten. [Im Ms. danach gestrichen: Daß ich es dagegen mit der Pe r s o n Bruno Bauchs nicht zu thun hatte, wird hoffentlich aus allen [im Ms. gestrichen: Beteuerungen] Ausfhrungen deutlich geworden sein. Vielleicht wird Bauch selbst dereinst wieder auf den Weg des besonnenen Denkens [im Ms.: Urteils] und auf den Weg der kritischen Philosophie zurckkehren, wenn es ihm erst gelungen sein wird, zwischen echter nationaler Erregung und blosser chauvinistischer Erhitzung klar zu unterscheiden.] Danach in Tss. [2] und [3] gestrichen, fehlt in Ts. [1] ganz: Aber nicht mit der Person Bruno Bauchs habe ich es hier zu tun; sondern ich wollte verhten, dass das, was er vortrgt, fr den Ausdruck der Anschauungen der deutschen Philosophie und der deutschen Wissenschaft gehalten werde.D D fr den Ausdruck der Anschauungen ... der deutschen Wissenschaft gehalten werde.] In Ts. [1] danach weggefallen, in Ts. [2] mit senkrechter Linie am linken Rand markiert: Aus diesem Grunde habe ich das Wort ergriffen, ohne hierbei den Vorwurf [im Ms. gestrichen: der Parteilichkeit], dass ich selbst in diesem Streit Partei sei, zu scheuen: eben weil ich Partei bin, musste ich sprechen und durfte verlangen, gehrt zu werden. Aber ich bin mir freilich bewusst, dass [in Tss. [2] und [3] gestrichen: in einer solchen Frage] eine einzelne Stimme [in Tss. [2] und [3] eingefgt: hier] nur wenig vermag. Danach in Tss. [2] und [3] Zeile fr Zeile A
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Die vorstehenden Errterungen gingen demgemss nicht darauf aus, eine positive Bestimmung des Begriffs der Nation zu geben; sondern sie wollten vorerst nur die Betrachtung wieder in jenes Gebiet zurckfhren, innerhalb dessen sie sich halten muss, wenn sie philosophisch mglich und sachlich fruchtbar sein soll – ein Gebiet brigens, das es nicht erst zu bestimmen gilt, sondern das durch die klassische deutsche Philosophie lngst gesichert und seinem Bestand und seinen Grenzen nach festgestellt ist. A
gestrichen, in Ts. [2] zustzlich durch senkrechte Linie am linken Rand markiert: Das Urteil [im Ms.: Die Entscheidung] steht jetzt den berufenen Vertretern des deutschen Geisteslebens, der deutschen Philosophie und der deutschen Wissenschaft zu. [Im Ms. mit violettem Stift gestrichen: und sie zu einem bestimmten und entschiedenen Urteil aufzurufen, war der Zweck dieses Aufsatzes.] Im Ms. danach in schwarzer Tinte gestrichen, neu formuliert und in violettem Stift erneut – zeilenweise bzw. durch vertikale Linie – gestrichen: Wie dieses Urteil ausfallen wird, wenn es in wahrhafter Freiheit des Denkens, in unbefangener und vorurteilsloser Gesinnung, aus objektiver Kenntnis der Menschen und Thatsachen heraus gefllt wird: darber bin ich mir nicht im Zweifel. An ihnen ist es jetzt [im Ms. gestrichen: darber zu entscheiden], sich zu erklren, ob in dem Austrag [im Ms. gestrichen: sachlicher] politischer und wissenschaftlicher Gegenstze fortan verworrene Instinkte und Vorurteile sich nach Belieben einmischen drfen, oder ob hierin wieder die freie Denkart und die unbefangene [im Ms. gestrichen: Gesinnung] Sachlichkeit des Urteils [im Ms. gestrichen: walten soll] zur Geltung kommen soll, [im Ms. gestrichen: die den eigentlichen Ehr] auf der die Wrde der Philosophie und der Wissenschaft beruht. [Weiterer gestrichener Formulierungsversuch im Ms.:] An ihnen ist es jetzt, sich darber zu erklren, ob wir in der Errterung nationaler Fragen fortan dem blossen Instinkt und dumpfen Vorurteilen folgen sollen, oder ob hierin die freie Gesinnung, der Geist der Sachlichkeit und die gerechte Wrdigung von Menschen und Dingen gelten, auf denen die Wrde der Wissenschaft und der Philosophie beruht! Danach dritter Formulierungsversuch, der in Tss. eingeht, in Ts. [2] durch senkrechte Linie an linkem Rand markiert ist, in Tss. [2] und [3] Zeile fr Zeile gestrichen, in Ts. [1] fehlt er ganz: Wie es ausfallen wird, wenn es in wahrhafter Freiheit des Denkens, in unbefangener und vorurteilsloser Gesinnung und in gerechter Wrdigung der Menschen und Dinge gefllt wird, darber bin ich mir nicht im Zweifel. A Die vorstehenden Errterungen ... festgestellt ist.] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: Damit ist ausgesprochen [...] darber bin ich nicht im Zweifel. [Siehe edit.-philolog. Anm. C und D auf S. 59]. In Tss. [2] und [3] Streichung von: Das Urteil steht jetzt ... darber bin ich mir nicht im Zweifel. Auf unterem Rand lautet der handschriftliche Ersatz: So verlange ich selbst nichts anderes und nichts Besseres, als daß man die vorstehenden Darlegungen als eine F r a g e ansieht und gelten lsst: die Antwort auf diese Frage zu geben, steht jetzt den berufenen Vertretern des deutschen Geisteslebens, der deutschen Philosophie und der deutschen Wissenschaft zu.
[DIE WA NDLUNG S- UND G ESTALTUNGSFHIGKEIT DER I DEE D ER D EM OKRAT IE] A
M[eine] D[amen] u[nd] H[erren]. Wenn ich das Ziel, das diese Vortragsreihe des Werk[bundes] geist[iger] A[rbeiter] 67 sich stellt, richtig verstehe – so handelt es sich in ihr darum, einen einzigen Begriff und ein einheitliches Problem, den Begriff u[nd] das Probl[em] der Demokr[atie] in den Mittelp[unkt] der Errt[erung] zu stellen – dieses Problem aber nicht in seiner abstrakten A l l g e m e i n h e i t zu nehmen, sondern es in irgend einer B e s o n d e r u n g zu ergreifen, die dem bestimmten A r b e i t s g e b i e t entspricht, in welchem jeder einzelne Vortragende steht. Durch diese doppelte Bestimmung sind dem Thema, das ich hier vor Ihnen errtern mchte, von vornherein feste und enge Grenzen gesetzt. Was Sie von mir n i c h t erwarten ist, daß ich den Gehalt der demokrat[ischen] Idee u[nd] des demokrat[ischen] Staatsbegriffs hier in irgend einer Weise auszuschpfen versuche, daß ich diesen Begriff seinem ganzen Umfang nach, in all seinen Verzweigungen und in all seinen inneren Beziehungen zu den geschichtlichen, zu den rechtlichen, zu den sozialen Problemen vor Ihnen darzulegen versuche. Sie setzen voraus, daß es n e b e n dieser Betrachtung eine B a n d e re gebe, wie sie meinem Arbeitsgebiet u[nd] meinem ideellen Interessenkreis C entspricht – eine Betrachtung, durch welche das Probl[em] der Demokratie lediglich als philosophisches u[nd] philosophiegeschichtliches bestimmt wird. Und darin liegt eine weitere folgenschwere Voraussetzung: die Vorauss[etzung], daß polit[ische] Probleme u[nd] polit[ische] Gegenstze sich so betrachten und behandeln lassen, daß sie rein als der Ausdruck und als die Auswirkung i d e e l l e r Gegenstze erscheinen. Aber – so lsst sich fragen – ist es nicht eben diese Vorauss[etzung], die bestritten werden kann u[nd] bestritten werden muss? Handelt [es] sich in dem Begriff der Demokratie nicht [–] wie schon der Name es besagt – um den Begriff einer rein polit[ischen] Herrschaftsform D – u[nd] muss nicht der Kampf zwischen den polit[ischen] Herrschaftsformen statt im Reich des Gedankens, sondern in der geschichtlichen Wirk[lichkeit], auf dem Boden der E empirisch-geschichtDIE WANDLUNGS- . . . IDEE DER DEMOKRATIE ] Zur Wahl des Titels siehe Editorische Hinweise, S. 317 B eine] Lesung unsicher, kann auch heißen: die C Interessenkreis] statt gestrichenem: Arbeits[kreis] D einer ... Herrschaftsform] ber der Zeile statt gestrichenem bzw. korrigiertem: eines [...] Herrschaftsverhltnisses E der] danach gestrichen: hist[orischen] A
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lichen Tatschlichk[eit], ausgetragen werden? Bleibt uns[,] wenn wir diese Kmpfe sub specie des Gedankens, sub specie der ›Idee‹ betrachten, von ihnen etwas anderes brig, als ein abstrakter u[nd] blutloser Begriff, der mit dem[,] was sie bedeuten und sind, mit den lebendigen Krften des histor[ischen] Geschehens A so gut wie nichts mehr gemein hat? Und dennoch fhlen wir freilich auf der anderen Seite, daß der tiefste S i n n u[nd] das t i e f s t e Recht der polit[ischen] Gegenstze nicht in ihnen selbst ruhen kann. Wir setzen voraus, daß auch diesem besonderen Gegens[atz] schließlich irgend ein Allgemeines, ein Allgemeines nicht nur des Willens, sondern auch des G e d a n k e n s zu Grunde liegen muss. Daß diese Vorauss[etzung] gltig u[nd] richtig ist – daß in der That die Wandlungen, die polit[ische] Begriffe im Lauf der Zeit erfahren, zugleich Wandlungen i d e e l l e r Natur sind – das wollen B die Errt[erungen] zeigen. Wandlungen der I d e e der Demokratie in der Gesch[ichte] d[er] Philosophie – Es scheint auf den ersten Blick fraglich, ob eine solche Problemstellung nicht in sich selbst zwiespltig u[nd] widersprechend ist – Die Gegenstze, die wir mit Begriffen wie Demokratie, Aristokratie, Monarchie bez[eichnen], betreff[en] C p o l i t [ i s c h e ] Macht- u[nd] Herrschaftsverhltnisse. – Der Kampf zwischen ihnen muss auf dem Boden der Geschichte, der histor[isch]-polit[ischen] Ta t s c h l i c h k e i t e n ausgefochten werden. – Hier handelt es sich um reale Krfte, nicht um gedankl[iche] Abstraktionen – Aber das polit[isch]-histor[ische] Geschehen steht nicht isoliert – es ist ein Teil des geistigen Geschehens – u[nd] daher unterliegt jeder Faktor, der in dasselbe eingeht, auch bestimmten g e i s t i g e n Wandlungen – ^Je mehr er solcher Wandlungen fhig ist, um so strker ist seine reale Kraft des Wirkens – Das gilt auch von den polit[ischen] Ideen, von den Ideen der Herrschaftsformen –& D Es sind nicht starre D o k t r i n e n , es sind ideelle Motive: Gedankenmotive u[nd] Willensmotive – Beide Seiten sind von einander nicht zu trennen – Ihre Kraft beruht auf ihrer inneren ideellen Gestaltungsfhigkeit – Hier verfolgen wir diese Wandlungs- und Gestaltungsfhigkeit der Idee der Demokr[atie], indem wir die Entwicklung in einigen Hauptzgen anzudeuten suchen, die das Staatsideal der Dem[okratie] E in der G e s c h [i c h t e ] d e r n e u e re n P h i l o s o p h i e erfahren hat –
Geschehens] danach gestrichen: wenig wollen] Lesung unsicher, kann auch heißen: sollen C betreffen] ber der Zeile statt gestrichenem: sind D ^ ... &] Eingeklammerter Text mglicherweise gestrichen E das Staatsideal der Demokratie] ber der Zeile statt gestrichenem: diese Idee A B
[Die Idee der Demokratie]
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wir suchen zu zeigen, wie in keiner Phase dieser Entwickl[ung] das polit[ische] Denken fr sich steht – wie es eingebettet ist in ein Gesamtsystem von Fragen, die die theoret[ische] We l t a n s i c h t als G a n z e s betreffen. – Hier das vershnliche Moment der polit[ischen] Kmpfe – Der denkende Mensch msste zu einem tiefen Pessimismus gegenber aller Politik kommen, wenn nicht dieser große Zusammenhang ihm mitten im Wirrsal des K a m p f e s immer wieder entgegenleuchtete. A
1. P l a t o n – Der Platon[ische] Staat [ist] die schrfste philosoph[ische] Verwerfung des demokrat[ischen] Staatsgedankens u[nd] des demokrat[ischen] Staatsideals – Man kennt Platons tiefe Abneigung gegen den ½, gegen das ”vielkpfige Tier” 68 – eine Abneig[ung], die durch seine Erfahr[ung] als polit[ischer] B Philosoph mehr u[nd] mehr gesteigert u[nd] vertieft werden musste[,] als er an [die] Verwirkl[ichung] seiner polit[ischen] Ideale dachte – da blickte er auf die sizilische Tyrannis C – War es doch dieser Athen[ische] Demos gewesen, der den Anaxagoras u[nd] den Sokrates verurteilt hatte – Die Regierung, die Leitung des Staates gebhrt den Wissenden, – der Philosoph ist der geborene Herrscher – aber d i e s e Bedingung kann die Menge nie erfllen: ıÆ ~ º½ غ ƒ – Das Wissen gehrt den Wenigen – der Menge das unbeherrsch[te] Triebleben[.] Das Erkenntnisartige (ºªØØŒ )[,] das Mut-Artige ( ı Ø) – das Ø ıØŒ (das Trieb-artige)[.] Nach diesen A r t e n ( h) sind die Menschenseelen ursprngl[ich] abgeteilt. Aber hier [sind] nicht nur persnl[iche] Motive, persnl[iche] Abneigung des “Aristokraten” Platon zu sehen – sondern diese Stellung ist gegrndet im B e g r i f f u [ n d ] We s e n d e r P l a t o n [i s c h e n ] P h i l o s o p h i e . Problem der Fo r m – Das Eine Sein des Parmenides gliedert sich in einer M a n n i g f a l t i g k e i t gestalteter Formen – jede Form ist das, was sie ist, durch die besondere S t e l l e , die sie einnimmt – teleolog[ische] hierarchische Ordnung beherrscht durch die I d e e d e s G u t e n –
entgegenleuchtete.] Die restlichen 2/3 der Ms.-S. 4 sind leer politischer] berschrieben aus: Polit[iker] C als er an Verwirklichung ... auf die sizilische Tyrannis] zwischen den Zeilen eingefgt A B
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von ihr als dem hchsten Ziel der Erkenntnis, als dem transscendenten Zweck (Œ ØÆ ½ Æ) bis herab zum e z fhrt ein kontinuierl[icher] S t u f e n g a n g . Sinn der Platon[ischen] Dialektik, insbes[ondere] der spteren Platon[ischen] Schriften[:] jeder E i n z e l f o r m innerhalb dieses Stufenbaus ihre feste Stelle anzuweisen – ŒØøÆ ª A Hierarchie der I d e e n – Bei Aristoteles u[nd] im Neuplatonismus zur Hierarchie der K r f t e umgestaltet – Vom hchsten Einen (Idee des Guten – Gott) bis herab zum Einzelnen, zum Stofflichen fhrt eine Reihe ideeller Ve r m i t t l u n g e n – Nur durch diese feste Reihe von Vermittlungen ist das Einzelne mit dem Ganzen zu verknpfen, ist der S t o f f mit der Fo r m zu durchdringen. Platon B Schrfste philos[ophische] C Verwerf[ung] des demokrat[ischen] Staatsideals – Man kennt Platons tiefe Abneigung gegen den ½[,] gegen das “vielkpfige Tier” – Platon[ischer] Staat ist der Staat der E i n s i c h t – die Regier[ung] u[nd] Leitung gebhrt den W i s s e n d e n – d i e s e Bed[ingung] aber kann die Menge, knnen die Vielen als M a s s e , niemals erfllen – Hier versagt alle Anstrengung der Belehr[ung] u[nd] “Bildung” – Æ N º½ غ ƒ – So wird alle “Gleichheit” im Sinne der Demokratie verworfen: – Plat[on] sieht in der Dem[okratie] D eine Staatsverf[assung] E [,] die F ber alle individ[uellen] Differenzen der Begabung und der geistig-seelischen Grundrichtung hinwegschreitend gar nicht danach fragt, von was fr Bestrebungen u[nd] Geschften einer herkomme, der an die Staatsgeschfte geht, sondern ihn schon in Ehren hlt, wenn er nur versichert, er meine es gut mit dem Volke[:] “Dieses also, sagte ich, u[nd] anderes dem verwandtes htte die Demokratie u[nd] wre wie es scheint eine anmuthige anarchische buntscheckige Verfassung, welche gleichmßig Gleichen wie Ungleichen eine gewisse Gleichheit austeilt.”169 1
A
([Platon,] Rep[ublik, St.] 558)
ŒØøÆ ª ] zwischen den Zeilen eingefgt
Platon] Nachfolgender Text (Ms.-S. 7-10) auf Einzelblttern in die gefalteten Bgen eingelegt: Schrfste philosophische Verwerfung [...] Hierarchie des Staates. Eingelegter Text enthlt analoge Aussagen wie mit 1. P l a t o n berschriebene Ms.S. 5 C philosophische] ber der Zeile statt gestrichenem: Platon[ische] D sieht in der Demokratie] in Bleistift ber der Zeile statt gestrichenem: bekmpft E eine Staatsverfassung] in Bleistift statt: einen Staat F die] danach in Bleistift gestrichen: großmtig B
[Die Idee der Demokratie]
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Aber so streng u[nd] unerbittlich dies Verwerfungsurteil ist, – so darf darber nicht vergessen werden, daß Pl[aton] diesem von ihm verworfenen Gleichheitsideal der Demokr[atie] ein anderes Gleichheitsideal entgegensetzt. Ein Staat will nicht nur der Staat der E i n s i c h t sein, sondern er will der Staat der G e re c h t i g k e i t sein – Gerechtigkeit aber besteht in der rechten Verteilung, in der “Proportion”, sie ist zwar nicht arithmet[ische], wohl aber “geometrische Gleichheit” – Vom Standpunkt dieser geometr[ischen] Gleichheit A wird die gleiche Kritik, wie an der Demokratie, auch an allen a n d e re n Staatsformen durchgefhrt, sofern sie nichts anderes u[nd] nicht mehr B als empir[ische] M a c h t - u [n d ] H e r r s c h a f t s f o r m e n sein wollen – Die kretische u[nd] lakonische Aristokratie, die Oligarchie, die Tyrannis, sie werden gleich sehr als solche bloße Machtformen enthllt u[nd] als solche von Pl[aton] verworfen – Die Aristokratie in ihrer gewhnl[ichen] empir[ischen] Form wird zur Tomokratie, die Oligarchie zur Plutokratie – Demgegenber stellt die Platon[ische] Republ[ik] das Ideal eines Staates auf, der so wenig blosser M a c h t staat wie blosser Wo h l f a h r t s staat ist – dessen Ziel ebensowenig die M a c h t der Herrscher, wie das G l c k der Beherrschten ist – C Im Staat der Gerechtigkeit soll kein Teil schlechthin dem anderen unterworfen sein, nur als Mittel fr s e i n e Ziele gelten; sondern alle sind gleichzeitig dem Ziel, dem Telos, der Idee des G a n z e n unterworfen. D Jeder muß an s e i n e m Platze fr das Ganze stehen u[nd] fr das Ganze wirken – Der Staat ist nicht Aust[eilung] der Wohlf[ahrt] – wenn man unter Wohlf[ahrt] die Glcksel[igkeit] der Einz[elnen] versteht. Solche Glcksel[igkeit] wird eher[ner] Weise nicht nur den Regierten[,] sondern vor allem auch den R e g i e re n d e n von Pl[aton] versagt E[.] F Auf den Tadel, daß er den eigentlich Regierenden[,] den Wchtern nur ein kleines Maß von Glckseligkeit zugemessen habe, erwidert daher Sokr[ates][:] “Wie nun, wenn jemand, indem wir Statuen malten herzutrte u[nd] uns tadelte, daß wir den schnsten Teilen des Krpers nicht auch die schnsten Farben auflegten, weil die Augen als das schnste doch nicht mit Purpur wrden bestrichen sein, sondern mit Schwrze – wie wir glauben wrden, uns ganz Standpunkt dieser geometrischen Gleichheit] danach gestrichen:, vom Standp[unkt] des Staates der Gerechtigkeit B mehr] ber der Zeile eingefgt C wie das G l c k der Beherrschten ist –] danach gestrichen: In ihm bildet weder die D unterworfen.] danach gestrichen: Daher lehnt es Platon ab E Der Staat ist nicht ... auch den R e g i e re n d e n von Platon versagt] als Einschub markiert, auf linkem Rand F versagt.] daneben auf dem linken Rand: Ablehnung aller h e d o n i s t i s c h e n Begrndung des Staates: der Staat als Austeiler der Wohlfahrt, der Glckseligkeit. A Vom
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angemessen gegen diesen zu verteidigen, wenn wir sagten, Du Wunderlicher verlange nur nicht, daß wir so schne Augen machen sollen, daß sie gar nicht mehr als Augen erscheinen u[nd] so auch die anderen Glieder, sondern sieh nur darauf, ob wir bei jedem das Gehrige anbringen und so das G a n z e A schn machen. So also auch jetzt ntige uns nicht unseren Wchtern eine solche Glckseligkeit beizulegen, die eher alles andere aus ihnen machen wird als Wchter. Denn das verstnden wir wohl B auch recht gut die Ackersleute mit Prachtkleidern zu behngen u[nd] mit Gold und ihnen zu heißen die Erde zu ihrem Vergngen anbauen und die Tpfer recht artig ums Feuer herumzulagern schmausend u[nd] zechend die Scheibe bei der Hand habend umzudrehen so viel sie eben Lust haben und so auch die anderen alle auf hnliche Weise beglckt zu machen, damit uns die ganze Stadt in Freuden lebe. A l l e i n s i n n e u n s d a s n i c h t a n C , weil, wenn wir Dir folgen, weder der Landmann mehr Landmann sein wird, noch der Tpfer Tpfer, noch irgend ein anderer irgend etwas von dem darstellen wird, woraus doch die Stadt besteht[.]”170 Die Polis als g e f o r m t e Einheit – gleich dem Kosmos u[nd] gleich der S e e l e – beherrscht von der Idee des Guten – D H i e r a rc h i e der Ideen, der Fo r m e n , der S e e l e n bedingt Hierarchie des Staates[.] E ^2. D a n t e . Bild der Aristotel[ischen] K o s m o l o g i e u[nd] Physik. Das eine gttl[iche] Sein verteilt sich in sich selbst eins bleibend in eine Flle geistiger Krfte – Jede dieser Krfte bildet in sich eine eigene Species – ein jeder giebt sich die Liebe und das Licht Gottes auf besondere Art kund. (“Das erste Licht, das alle sie bescheint Ward auf so viele Art hier aufgefangen Als Leuchten sind, mit denen es sich eint Und weil das Maß der Lust nach dem Empfangen Sich richtet, muss der Liebe Sßigkeit 1
([Platon,] Rep[ublik, St.] 420)
G a n z e ] Hervorhebung Cassirers wohl] ber der Zeile C A l l e i n s i n n e u n s d a s n i c h t a n ] Hervorhebung Cassirers D beherrscht von der Idee des Guten –] danach gestrichen: Theokrat[isches] Staatsideal – Theokratie des Wissens E Hierarchie des Staates.] Restliche halbe Ms.-S. 10 ist leer A B
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Heiß oder lau, verschiednen Grad erlangen) A Nun sieh die B Fll’ und die Erhabenheit Der ew’gen Kraft, die sich verteilt u[nd] kenntlich Sich macht in all den Spiegeln allezeit, Eins bleibend in sich selber und unendlich[.][”]171 [“]Vedi l’eccelso omai e la larghezza Dell’eterno valor, poscia che tanti Speculi fatti s’ha, in che si spezza Uno manendo in s come davanti[.][”] 72 Das S e h n e n C des Einzelnen nach oben zum hchsten gttlichen Einen – Das sich H e r a b n e i g e n D der gttl[ichen] Gnade – durch eine Flle fester Ve r m i t t l u n g e n – um die Einzelseele zu empfangen. Dies spricht sich auch in Dantes p o l i t i s c h e m We l t b i l d aus – Dies kann nur ein monarchisches sein – denn auch die Herrscherkraft darf nicht zersplittert werden – sie muß in sich eine bleiben u n o manendo in se – Alle untergeordneten frstlichen Mchte verkrpern nur partielle Seinsverhltnisse u[nd] partielle Herrschaftsverhltnisse – der Monarch allein verkrpert die E Idee des E i n e n u[nd] des G a n z e n – Und diese Verkrperung ist der S i n n u[nd] die Rechtfertigung seiner Macht. – In der Beziehung des Einzelnen auf das G a n z e , (nicht auf F irgend ein untergeordnetes Organ) liegt aber auch seine wahrhafte Erhebung zum Ganzen, d. h. seine Erhebung zur Freiheit – G Daher e c h t e Freiheit nur in der Monarchie[.] ^[“]Totum humanum genus ordinatur ad unum ergo unum oportet esse regulans sive regens et hoc monarcha sive Imperator dici debet[.”]&273 1 2
[Dante, Gttliche Komdie,] Paradies. [Gesang] 29, [Zeile] 136 ff.[.] [Dante,] De monarch[ia, Lib.] I, cap. 5.
(...)] Einklammerung in Bleistift die] danach gestrichen: Macht C S e h n e n ] in Bleistift hervorgehoben D H e r a b n e i g e n ] in Bleistift hervorgehoben E die] danach gestrichen: Einh[eit] F auf] an G Dies spricht sich ... zur Freiheit –] in Bleistift gesetzte eckige Klammern in Tinte ausgestrichen A B
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Nur unter dem Befehl eines Monarchen ist das menschliche Geschlecht um seiner selbst willen, nicht um eines anderen willen da – whrend bei jeder abgeleiteten und mittelbaren Herrschaftsform, in der Demokratie[,] in der Oligarchie und Tyrannis das Menschengeschlecht in die Knechtschaft herabsinken wird174 (weil es nmlich einer bloss einseitigen p a r t i k u l a re n Macht gehorcht)[.] Der W i l l e des Monarchen ist aber nun Ausdruck des Willens u[nd] der Form des Ganzen – A “Wie nmlich der Konsul oder Knig hinsichtlich des We g e s Herren der andern sind, hinsichtlich des Z i e l e s aber die Diener der andern, so gilt dies weitaus am meisten vom Monarchen, der ohne Zweifel fr den Diener aller zu halten ist” (qui minister omnium procul dubio hebendus est) 75 Die politische hchste Herrschergewalt ist i d e e l l vielmehr dienende Gewalt – denn der Grund ihrer Macht liegt eben in ihrem D i e n s t , in der reinen Verkrperung nicht eines partikularen I n t e re s s e s u[nd] eines partikularen Z i e l e s , sondern in der Herausstellung der Idee, des Rechts u[nd] der Freiheit des Ganzen, der libertas generis humani – Das t r a n s s c e n d e n t e Ziel schlgt hier in ein i m m a n e n t e s um –; e c h t e Renaissance-Dialektik!&
3) Grundlegung des modernen N a t u r re c h t s . S t o i s c h e Grundlage – Erkenntnisgrundlage: Die Eine Vernunft ist dieselbe, die g l e i c h e in allen Menschen – Daher a l l e Wahrheit nicht auf Erfahrung gegrndet (diese giebt vielmehr das Partikulare, Einzelne, Zufllige) – sondern auf Grund- u[nd] Urprinzipien der Vernunft, die in allen denkenden Subjekten d i e g l e i c h e n sind – Einh[eit] der theor[etischen] u[nd] der prakt[ischen] V[ernunft][,] die ŒØÆM fØÆ – die notitiae communes als K r i t e r i e n aller Wahrheit u[nd] alles Wertes – In Bezug auf diese Grundwahrh[eiten] u[nd] Grundwerte findet kein U n t e r s c h i e d unter den Subj[ekten] mehr statt, – hier schwinden alle empir[ischen] Differenzen – (Bei P l a t o n im Phaidros B reichen diese Differenzen bis ins I n t e l l i g i b l e ; jede Seele hat die ewigen Ideen dort oben im berhimml[ischen] Orth 76 ge1
A B
[Dante, De Monarchia, Lib.] I, [cap.] 12.
Ganzen –] danach eckige Klammer gestrichen im P h a i d ro s ] auf linkem Rand
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schaut, aber jede in anderer Weise, und indem sie sich einen andern Gott als Heerfhrer whlte, je nach ihren besonderen Geprge[)] 77 – bei der Stoa wird die Differenz der Form empirisch zufllig; das echte “Allgemeine” ist das Allen Gemeine – consensus omnium Das wird in Anlehnung an die Stoa, an Cicero u[nd] Seneca besonders von H e r b e r t v [o n ] C h e r b u r y (De veritate 1624) formuliert ^1581-1648& 78 [.] Der menschl[iche] Intellekt ist kraft seiner allgemeinsten Begriffe gleichsam ein Teil der das ganze Weltall durch waltenden universalen gttl[ichen] Providenz: [“]est providentiae divinae universalis instrumentum proximum ejusque pars aliqua in ipsa mente signata[”][.]179 [“]Unicam veritatis normam in necessariis facimus c o n s e n s u m i s t u m u n i ve r s a l e m qui sine providentia divina non instituitur[”][.]280 Wir sehen ab von dieser naturrechtl[ichen] Begrnd[ung] – von der Entwickl[ung] des Begriffs der Volkssouvernit[t] auf naturrechtl[icher] Grundlage3 (Rousseau) A – Phaidr[os] – Wenn im Mythos des Phaidros im berhimmlischen Ort [“]die Schar der Gtter und Geister[”] auszieht nach dem Rande des Himmels, um dort im steten Umschwung die ewigen Ideen, (die Gerechtigkeit selbst, die Besonn[enheit] selbst, das Wesen selbst) B zu schauen – so ordnen und gliedern sie sich in elf Zge, deren jeder s e i n e m herrschenden Gotte folgt – dem Zeus die Philosophen, andere wieder einem anderen Gotte folgend. 81 “Es folgt aber wer jedesmal will u[nd] kann: denn Mißgunst ist verbannt aus dem gttl[ichen] Chor”482 [4) Hobbes] 4) Wenn hier noch halb logische, halb metaphysische Begrndung der ursprnglichen G l e i c h h e i t aller Subjekte, so treten wir nun mit der Entstehung und Entwicklung der modernen W i s s e n s c h a f t in einen neuen Kreis der Betrachtung u[nd] Begrndung ein – Diese Wissenschaft ist m a t h e m a t [i s c h e ] Naturwissenschaft – Und so soll auch jetzt das Verh[ltnis] des Individuums zur Gemeinschaft, des “Einzelnen” zum ([de Cherbury,] de ver[itate], [S.] 56) (ib. [S.] 51) 3 [Otto] Giercke, Althusius u[nd] die Entwickl[ung] der naturrechtlichen Staatstheorie 4 ([Platon,] Phaidr[os, St.] 247) ([St.] 250) 1 2
A B
(Rousseau)] tiefer gesetzt hinzugefgt ( ... )] runde Klammern in Bleistift
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“Ganzen”, nicht mehr teleologisch, sondern m a t h e m a t i s c h bestimmt werden – Dieser Typus der Begrndung dringt jetzt auch in die Staats[-] u[nd] Gesellschaftslehre ein – Fr H o b b e s [ist] alles Denken u[nd] also auch das politische ein R e c h n e n 83 [–] S p i n o z a will die menschl[ichen] Handl[ungen] u[nd] Leidenschaften so betrachten[,] als handle es sich um geometr[ische] Figuren, um Linien, Dreiecke oder Zirkel. 84 Schon 1569 erklrt Hubert L a n g u e t in seiner Schrift “Vindiciae contra tyrannos”,1 die den Begriff des Naturrechts u[nd] des Staatsvertrages benutzt, um das Recht des Widerstandes im Fall der Verletzung der gttl[ichen] Gesetze durch den Monarchen zu rechtfertigen, 85 er wolle nach der geometr[ischen] Methode verfahren, die vom Punkt zur Linie, von dieser zur Flche, von der Flche zum K r p e r fortschreite. Diese Methode ist es, die H o b b e s durchfhrt. (Aufbau des Staats k r p e r s gleich einem physischen Krper – Anknpfung an G a l i l e i 86 – Philosophie Erkenntnis der Wirk[ungen] aus den Ursachen – Wir knnen nur das ve r s t e h e n , was wir vor unseren Augen e n t s t e h e n lassen – Also: Aufbau des Staatswillens aus den Einzelwillen[.] Rckgang in die Einzelwillen als Grund des Staatswillens 87 [)] – Aber diese Methode schlgt schließlich in ihr Gegenteil um: im mechan[ischen] Ganzen des Staates sind die Einzelwillen nicht sowohl aufgenommen, als a u f g e s o g e n , ve r n i c h t e t – Umschlag in den Absolutismus – Auch dieser dialekt[ische] Umschlag ist m e t h o d i s c h zu verstehen – die m a t h e m a t [i s c h e n ] Einheiten sind streng h o m o g e n e Einheiten, sie haben keinen qualitativen “Charakter” mehr – Aber kraft dieser Homogenitt sind sie wie quantitative “Einsen” qualitativ blosse “Nullen”[.] Ihre Einheit, ihr Sein ist s c h l e c h t h i n bertragbar[.] So quillt der Charakter des p o l i t [i s c h e n ] Absolutismus des Hobbes aus der Absolutheit seiner geometrisch-arithmetischen Methode, der alles Denken ein Rechnen, alles Rechnen aber zuletzt blosses Addieren u[nd] Subtrahieren ist. 88 1
(Dilthey[, Gesammelte Schriften, Bd.] II, [S.] 271 f.)
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Fortgang bei S p i n o z a – Zweck des Staates auch hier der Einzelne – das suum esse conservare 89 – Aber Sicherheit (securitas) des Einzelnen das hchste Ziel – aber charakterist[ische] Einschrnkung: die Sicherheit als bloss physische g e n g t nicht; die physische Sicherheit ist nicht Selbstzweck, sie ist um eines anderen hheren We r t e s willen da – die Sicherung der physischen Pe r s o n dient der Sicherung des Gebrauchs der Ve r n u n f t A [.] Diese Freiheit kann nur i m Staate verwirklicht werden, nicht im Naturzustand: “der von der Vernunft geleitete Mensch ist freier im Staate, wo er nach [dem] gemeinsamen Beschluss lebt, als in der Einsamkeit, wo er 1 nur sich selbst gehorcht.”90 An der Entfaltung der Ve r n u n f t u[nd] an den Bedingungen dieser Entfaltung findet der a b s o l u t e Herrscherwille des Staates seine G re n z e : “Es ist nicht der Zweck des Staates, die Menschen aus vernnft[igen] Wesen zu Tieren oder Automaten zu machen, sondern vielmehr zu bewirken, daß sie selbst frei ihre Vernunft gebrauchen ... D e r Z we c k d e s S t a a t e s i s t i n Wa h r h e i t d i e F re i h e i t B [.]”291 Die Freiheit aber ist Gebrauch der ratio[.] Diesen Zweck, die Freiheit des G e i s t e s u[nd] der Ve r n u n f t [,] die libertas p h i l o s o p h a n d i zu gewhrleisten, sieht Spinoza im theolog[isch]-polit[ischen] Traktat am besten in einer demokratischen Verfassung gewhrleistet 92 – in seiner letzten Schrift[,] dem Trac[tatus] politic[us] C [,] hat er den Plan einer solchen Verfass[ung] mit Rcksicht auf die besonderen politisch[en] Verhltn[isse] der Niederlande mehrfach modifiziert – statt einer Volksvertretung verlangt er hier eine s t n d i s c h e Vertretung, die er auf eine mglichst breite Basis zu stellen sucht, auf eine volkstmliche Grundlage, – aber im P r i n z i p ist er auch hier dem Gedanken der Demokratie treu geblieben.3 ([Spinoza,] Ethik) [Spinoza,] Theol[ogisch]-polit[ischer] Traktat 3 (s[iehe] Carl G e b h a r d t , in der Einleit[ung] zu seiner bersetz[ung] von Spinozas Abhandl[ung] vom Staat, L[ei]pz[ig] 1907, S. XV ff[.]) 93 1 2
des Gebrauchs der Ve r n u n f t ] danach gestrichen: der letzte philosophische D e r Z we c k ... F re i h e i t ] Hervorhebung Cassirers C dem Tractatus politicus] ber der Zeile eingefgt A B
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L e i b n i z .A Das monadolog[ische] Weltbild – neue B e z i e h u n g des Teils zum Ganzen. – Auch Leibniz ist Mathematiker – aber sein Weltbild ist nicht in erster Linie arithmetisches, sondern d y n a m i s c h e s Weltbild – berwindung des (absoluten) Mechanismus durch den konkreten D y namismus – Jedes Individuum, jede Monade ist in sich geschlossene K r a f t s p h a e re , die in sich die Mglichkeit, die Anlage, die “Potenz” zum Ganzen trgt. [D]as Ganze nicht die blosse G e s a m t h e i t , nicht das Aggregat oder die Summe seiner Glieder, das Individuum nicht Teil des Ganzen, sondern sein “lebendiger Spiegel”, sein Repraesentant. “Mens non pars est, sed simulacrum divinitatis, repraesentativum universi, civis divinae Monarchiae”[.] 94 In jedem “Selbstwesen” ist das Ganze, ist die Totalitt des Unendlichen enthalten – “In unserem Selbstwesen stecket eine Unendlichkeit, ein Fußtapf, ein Ebenbild der Allwissenheit u[nd] Allmacht Gottes[.]”951B Z u r Totalitt soll sich das Indiv[iduum] erheben C im Wirken und im Wissen – Die Individualitt als dynamische Totalitt: dies der Kern des Leibnizischen Monadenbegriffs[,] sie kann sich nun entfalten in verschiedenen P h a s e n der Klarheit u[nd] Deutlichkeit – aber es ist das Grundrecht jedes Individuums, von dieser fortschreitenden Entfaltung zur geistigen Klarheit, zur Teilnahme am geistigen Ganzen, von dem Fortgang zum Zustand der freien Bewusstheit aus dem Stand der sinnlichen E n g e u[nd] der sinnlichen D u m p f h e i t nicht ausgeschlossen zu werden; dafr hchste Pflicht des Staates: die B i l d u n g zur Klarheit, die Aufklrung – E r z i e h u n g s p f l i c h t des Staates, die er prinzipiell keinem seiner Glieder verweigern kann. Das h c h s t e Recht, das ber jeder Ausgestalt[ung] des jus strictum steht, ist das Recht der vernnft[igen] Seelen[,] die von Natur und unverusserlich frei sind. Denn im Gottesstaat der Vern[unft] sind die Herren 1
(Guhr[auer, Deutsche Schriften, Bd.] II [recte: I], [S.] 411) auf linkem Rand
Leibniz.] Hervorhebung mit langer, berstehender Linie “In unserem Selbstwesen ... Gottes.”] auf linkem Rand C soll sich das Individuum erheben] ber der Zeile statt gestrichenem: erhebt sich das Ganze A B
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die Mitbrger der Sklaven[,] weil diese in diesem Reich das gleiche Brgerrecht wie sie besitzen[.]1 A Dies die Form der Leibnizischen “Demokratie”[.] Das Eigentum[,] das die “vernnftige Seele” an sich selbst hat, lsst sich nicht verussern oder aufgeben[.] ^Die Leibniz[ischen] Gedanken weiterentwickelt in Christian Wolffs Naturrecht (8 Bnde!) 97 – geschichtl[iche] Wirkung dieser Schrift auf die Gestalt[ung] der polit[ischen] Verhltnisse knnen wir noch verfolgen – Wolff hat auf B l a c k s t o n e 2 gewirkt – u[nd] dies Werk bildet wieder eine der theoret[ischen] Grundlagen fr die Verfassung der Freistaaten Nordamerikas[,] fr die bills of right – die wieder auf die Erklrung der Menschen- u[nd] Brgerrechte in der franzs[ischen] Revolut[ion] wirken.3
Und doch auch bei Leibniz ein Rest der alten t h e o k r a t i s c h e n Begrndung noch deutlich sichtbar – Das Reich der Freiheit ist das “regnum gratiae” 99, das der Natur, dem regnum naturae[,] gegenbersteht – und an der Spitze dieses Geisterreichs steht Gott als sein oberster Monarch. – In diesem Reich hat jede Seele, jedes Individuum seinen unverusserlichen S e l b s t we r t , keines darf den Zielen des Ganzen aufgeopfert werden, denn das Ziel des Ganzen besteht eben darin, kein geistiges Subjekt ve r l o re n gehen zu lassen, es zu erhalten in der Totalitt des Geistigen berhaupt. –
K a n t [u n d F i c h t e ] – Damit stehen wir schon ganz nahe dem Kantischen Begriff der Persnlichkeit u[nd] des Selbstbewusstseins – Aber die Persnl[ichkeit] grndet sich hier bei Kant nicht im Sinne der Aufklr[ung] in der t h e o re t i s c h e n B e w u s s t h e i t – (Klarheit u[nd] Deutlichkeit der Vorstellungen) sondern in der reinen Willensfreiheit – Die Freiheit ist nicht mehr Spinozas ›libertas philosophandi‹, noch ist sie die Freiheit des Geistes in der deutlichen Erkenntnis – die Freiheit von ([Cassirer,] L[ei]b[ni]z’ S[ystem. Marburg 1902,] [S.] 457) 96 auf linkem Rand ([Blackstone,] Commentaries on the law of England) 3 Nheres bei [Georg] Jellinek, Die Erklr[ung] der Menschen- u[nd] Brgerrechte (L[ei]pz[ig] 1895) [S. 41ff.] 98 1 2
A
Das h c h s t e Recht ... wie sie besitzen] auf linkem Seitenrand
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der sinnlichen Vo r s t e l l u n g – sie ist die Selbstgesetzgebung, die Autonomie des Willens – Der Wille gehorcht dem a l l g e m e i n e n Gesetz, dem Gesetz des G a n z e n – aber dieses Gesetz des Ganzen bedeutet ihm kein Fremdes, Heteronomes – sondern es muss so beschaffen sein, daß es in ihm die eigene “Form” wiedererkennt. So baut sich ein rein “intelligibles” Reich auf, in dem jeder Wille zugleich Mittel u[nd] Zweck ist – Vom M e c h a n i s m u s ber den D y n a m i s m u s sind wir hier zum reinen E t h i z i s m u s gelangt – Auch Gott ist jetzt nicht mehr das transscendente Sein – die Idee des Guten Œ ØÆ ½ Æ 100 – die hchste Gnade, die den Einzelwillen u[nd] die Einzelseele zu sich hinaufhebt – sondern er wird zum “Grenzbegriff”, zur Idee – d. h. zum Telos, zum Abschluß der Idee der sittl[ichen] Selbstgesetzgebung – Die ›Gleichheitsidee‹ ruht hier nicht mehr n a t u r a l i s t i s c h auf dem Gedanken irgend einer ursprnglichen physisch gleichartigen Beschaffenheit aller Individuen noch l o g i s c h auf dem Gedanken der Einheit der Vernunft, der notitiae communes[,] sondern e t h i s c h auf dem Prinzip der Selbstgesetzgebung als S e l b s t ve r a n t wo r t u n g . Das begrndet eine ganz neue Fo r m des demokrat[ischen] Gedankens – alle Deduktion von der Gleichheit der n a t r l i c h e n “Anlage” oder des natrlichen Tr i e b e s , des Triebes der Selbsterhaltung, des suum esse conservandi[,] fllt weg – aber auch der n a t u r re c h t l i c h e A Gesichtspunkt – die Berufung auf ein ursprngl[iches][,] durch die Natur selbst gewhrleistetes R e c h t des Einzelnen B bietet keine gengend sichere Grundlage mehr – Die Gleichheit, die gefordert wird, ist weder physischer noch juristischer Art – sie geht nicht auf die Verteilung der Gter oder der Rechte, sondern sie geht rein auf die E i n h e i t u n d A l l g e m e i n h e i t d e s P f l i c h t g e d a n k e n s . Von diesem Gesetz u[nd] seinem Gehalt giebt es keine “Ausnahme”. Wahrhaft unverusserlich ist nicht irgend ein ursprngliches Sein, noch ein ursprngliches Recht des Menschen; sondern was ihm im eigentlichen, im letzten Sinne zugehrt, das ist die Unverusserlichkeit seiner B e s t i m m u n g . Und diese soll auch die S t a a t s f o r m anerkennen u[nd] festhalten. Die Idee der Demokratie, wenn wir sie konsequent nach Kant[ischen] Gesichtspunkten denken wollen, htte den Nachdruck einzig hierauf zu legen. Der Einzelne muß insoweit und insofern mit dem Ganzen verbunden sein, daß er die ethische M i t ve r a n t wo r t u n g fr das Ganze trgt. Dieser Verantwortung A B
n a t u r re c h t l i c h e ] doppelte Hervorhebung in Bleistift: -rechtliche R e c h t des Einzelnen] danach gestrichen: fllt fort
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kann er sich nicht begeben; sie kann er nicht, gleich einer blossen Sache, an einen anderen b e r t r a g e n . Und so muß die Staatsform so beschaffen sein, daß sie diese Verantwortung dem Einzelnen nicht schlechthin a b n i m m t , sondern daß sie ihm in den entscheidenden Grundfragen die Pflicht der Verantwortung und die Freiheit der Verantwortung zuweist u[nd] ermglicht. Es kann hier nicht mehr im einzelnen entwickelt werden, wie dieser Grundgedanke, auf dem die Kantische E t h i k ruht, zu wahrhaft konkreter politischer Gestalt erst bei Fichte gelangt ist. A F i c h t e an Kant 2[.] April 1793 – und vor der Beruf[ung] nach Jena:1 [“]Dann glht meine Seele von einem großen Gedanken: die Aufgabe, S. 372-74 der Kr[itik] d[er] r[einen] V[ernunft] zu lsen[”.] 101 – Was aber war diese Aufgabe? [E]s ist das Problem einer Verfassung [“]nach Gesetzen, welche machen, daß jedes Freiheit mit der anderen ihrer zusammenbestehen kann”. 102 Merkwrdig u[nd] charakteristisch ist es, daß Kant sich gerade bei der Stellung dieser Aufgabe wieder auf P l a t o n beruft. Nicht die Art, wie er selbst sie inhaltlich lst, konnte ihn dazu berechtigen – denn zwischen seinem u[nd] dem Platonischen Staatsideal besteht keine inhaltliche bereinst[immung] – was ihn zu Platon zurckfhrte, war die m e t h o d i s c h e Grundansicht ber das Verh[ltnis] von Idee u[nd] Erfahrung, die er eben an dieser Stelle, eben mit Rcksicht auf die Gestaltung der Staatsidee, in ewig-gltigen Kernstzen verteidigt. “Die platon[ische] Republik ist als ein vermeintlich auffall[endes] Beispiel von ertrumter Vollkomm[enheit], die nur im Gehirn des mssigen Denkers ihren Sitz haben kann, zum Sprichwort geworden u[nd] Brucker findet es lcherlich, daß der Philosoph behauptete, niemals wrde ein Frst wohl regieren, wenn er nicht der Ideen teilhaftig wre. Allein man wrde besser thun diesem Gedanken mehr nachzugehen und ihn ... durch neue Bemhung in Licht zu stellen, als ihn unter dem sehr elenden u[nd] schdlichen Vorwande der Unthunlichkeit als unntz beiseite zu setzen. Eine Verfassung von der grßten menschl[ichen] Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daß Jedes Freiheit mit der Andern ihrer zusammen bestehen kann ... ist doch wenigstens eine notwendige Idee, die man nicht bloss im ersten Grunde einer Staatsverfassung, sondern auch bei allen Gesetzen zum Grunde legen muss und wobei man anfnglich von den gegenwrtigen Hindernissen abstrahieren muss, die vielleicht nicht so1
([Kant,] Briefw[echsel, Bd.] X, [S.] 199)
erst bei Fichte gelangt ist.] Einschubzeichen L markiert einzufgenden Text (Ms.S. 25): Fichte an Kant 2[.] April 1793 [...] Grenze bersteigen kann.” A
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wohl aus der Vernachlssigung der echten Ideen bei der Gesetzgebung ... Denn welches der hchste Grad sein mag, bei welchem die Menschheit stehen bleiben msse, und wie groß also die Kluft, die zwischen der Idee und ihrer Ausfhrung notwendig brig bleibt, sein mge, das kann u[nd] soll niemand bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede angegebene Grenze bersteigen kann.” 103 Schon die erste polit[ische] Schrift Fichtes, die “Beitr[ge] zur Bericht[igung] der Urteile des Publikums ber die franzs[ische] Revolution”[,] spricht den Gedanken deutlich aus. ›Durch das Sittengesetz in mir wird die Form meines reinen Ich unabnderlich bestimmt: ich soll ein Ich – ein selbstndiges Wesen, eine Person sein – ich soll meine Pflicht immer wollen; ich habe demnach ein Recht eine Person zu sein und meine Pflicht zu wollen[.]‹ 104 So kehrt sich hier der Gang der gewhnlichen naturrechtlichen Deduktion um: Diese war bemht, dem Ich n e b e n dem Ganzen eine bestimmte eigene ›Sphre‹ zu sichern, die einen ausschliesslichen Machtbereich ausmachte, – innerhalb dessen es sich, durch keine Forderung des Ganzen gebunden, frei auswirken konnte. Eine solche Sphre relativer Freiheit des empirischen Ich aber kennt Fichte nicht mehr. Der Form nach vertritt auch er einen strengen Absolutismus – aber dieser Absolutismus ist der des ethischen Pflichtgebots, er grndet sich auf das einzig Absolute, das F[ichte] kennt, auf das Absolute der Freiheit selbst. Die empirische Individualitt kann gegenber dem Ganzen keine Forderungen erheben, keine Einschrnkungen und Restriktionen geltend machen. Fr F[ichte] giebt es nicht wie fr Humboldt irgendwelche “Grenzen”, die der “Wirksamkeit” des Ganzen auf den Einzelnen gesetzt sind.105 Vielmehr wird die Form des Ich rein und vollstndig aufgesogen von der Form des Ganzen. Sie bleibt nur insofern erhalten, als sie nicht irgend ein einzelnes selbstndiges D a s e i n , eine selbstndige Seinssphaere oder eine selbstndige Rechtssphaere ist, sondern als sie ein unentbehrliches Motiv, ein wesentlicher Faktor im Au f b a u des Ganzen selbst ist. Denn dieses ist nicht etwas “an sich” a u s s e r h a l b der Einzelwillen – sondern es ist eben das umfassende, das universelle G e s e t z , das nirgends anders als im Wollen und Thun der Einzelnen, in die Erscheinung treten kann. Von hier aus wird die Wendung, die Fichte der A Idee der Demokratie giebt, unmittelbar klar. Der demokratische Staat ist fr ihn derjenige, der den individuellen Willen ganz in Freiheit versetzt, um ihn, kraft eben dieser Freiheit, wieder in sich selbst, in die Form des Ganzen zurckzunehmen. Er gewhrleistet keine materiellen “Gter” und keine inhaltlich bestimmten und inhaltlich abgegrenzten “Rechte” – sondern er verbrgt dem Einzelnen lediglich einen Kreis der W i r k A
der] danach gestrichen: demokratischen
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s a m k e i t , einen Kreis des freien autonomen Thuns. Und er ve r l a n g t andererseits vom Einzelnen auch keine bestimmte, ein fr alle Mal feststellbare und abgrenzbare dingliche L e i s t u n g : sondern alles, was er von ihm fordert, ist wiederum nur die Fo r m dieses Thuns selbst, die er aber nun auch nicht bruchstckweise, sondern als in sich geschlossene, als totale Form in Anspruch nimmt. Im Fichteschen Staat giebt es daher kein eigentmliches S e i n der Individuen, außer in einer spezifischen Art und Richtung ihres W i r k e n s – hier giebt es A ein “Eigentumsrecht” immer nur als ein Recht auf bestimmte Handlungen, keineswegs als ein Recht auf Sachen. B “Darin daß alle individuellen Krfte gerichtet werden auf das Leben der Gattung – darin besteht das Wesen des absoluten Staates. Es wird dadurch gefordert: erstens, daß alle Individuen, durchaus ohne Ausnahme eines einzigen, in d e n s e l b e n Anspruch genommen werden; zweitens, daß jedes mit a l l e n seinen individuellen Krften, ohne Ausnahme und Rckhalt einer einzigen, in denselben Anspruch genommen werde ... Nur da, wo alle ohne Ausnahme ganz in Anspruch genommen sind, kann Gleichheit stattfinden. Somit geht in dieser Verfassung ganz und durchaus die I n d i v i d u a l i t t aller auf in der G a t t u n g aller; und ein jeder erhlt seinen Beitrag zur allgemeinen Kraft, durch die allgemeine Kraft aller brigen verstrkt, zurck. Man hte sich nur, den Staat nicht zu denken, als ob er in diesen oder jenen Individuen, oder als ob er berhaupt auf Individuen beruhe und aus ihnen zusammengesetzt sei – fast die einzige Weise, wie die gewhnlichen Philosophen ein Ganzes zu denken vermgen. Er ist ein an sich unsichtbarer Begriff; er ist nicht die Einzelnen, sondern ihr fortdauerndes Verhltnis zueinander, dessen immer fortlebender und wandelnder Hervorbringer die Arbeit der Einzelnen ist, wie sie im Raume existieren.”1107 In dieser Auffassung des Staates als eines an sich unsichtbaren Begriffs, in diesem Gegensatz gegen die “gewhnliche Philosophie”, die ihn als Gan([Fichte, Smmtliche Werke, Bd.] VII, [S.] 145 f.[,] Grundz[ge des gegenw[rtigen] Zeitalters) 1
es] ber der Zeile eingefgt keineswegs als ein Recht auf Sachen.] danach gestrichen: “Im Staat[”] – so heißt es daher in F[ichte]s “Grundzgen des gegenwrt[igen] Zeitalters“ – [“]gebraucht jeder seine Krfte unmittelbar gar nicht fr den eigenen Genuß, sondern fr den Zweck der Gattung und er erhlt dafr zurck den gesamten Kulturstand derselben ... Man hte sich nur, den Staat nicht zu denken, als ob er in diesen oder jenen Individuen, oder als ob er berhaupt auf Individuen beruhe u[nd] aus ihnen zusammengesetzt sei: fast die einzige Weise, wie die gewhnlichen Philosophen ein Ganzes zu denken vermgen. Er ist ein an sich unsichtbarer Begriff,[”] 106
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zes aus seinen Teilen zusammenzusetzen versucht – also in dem Gegensatz zu allen bloss naturalistischen u[nd] bloss naturrechtlichen, auf die Vertragstheorie gegrndeten Deduktionen, lenkt Fichte wieder auf den antiken Idealismus, auf Platon und Aristoteles, zurck. Aber von beiden unterscheidet ihn jetzt dasselbe Moment, das berhaupt den Gegensatz zwischen antikem und modernem Idealismus bezeichnet. Dort wird die hchste Einheit und das hchste Ziel durch den Begriff der s u b s t a n t i e l l e n Form; hier wird sie durch den Begriff der d y n a m i s c h e n Form bestimmt – dort ist alle Form des Einzelnen bewirkt und gewirkt durch die an sich seiende, praeexistente Form des Ganzen, durch die Idee des Guten, die sich dem Kosmos einprgt – hier giebt es auch das Gttliche selbst nicht in der Form des ordo o r d i n a t u s , sondern nur in der des ordo o r d i n a n s ; nicht als seiende, sondern als ttige Form A , nicht als U r g r u n d , der hinter uns liegt, sondern als ewige Au f g a b e , die vor uns liegt und an der jedes einzelne Subjekt zur Mitwirkung berufen ist. Von hier aus lsst sich erst B die ganze Entwicklung von Platon bis Fichte, die wir hier in einigen wenigen Hauptzgen zu skizzieren versucht haben, gerade in ihrer inneren Gegenstzlichkeit nichtsdestoweniger als eine in sich geschlossene, als eine systematische E i n h e i t verstehen. Auch der C Fortgang vom aristokratischen Staatsideal Platons zu Fichtes Form des absoluten Staates als absoluter Demokratie erscheint jetzt nicht als zufllig oder als lediglich in der I n d i v i d u a l i t t beider Denker gegrndet, sondern es prgt sich in ihm eine typische Grundrichtung des modernen Denkens (u[nd] speziell des modernen Idealismus) aus. Und dieser Zusammenhang D bedeutet mehr E als eine bloß geschichtliche und theoretische Einsicht – er enthlt zugleich eine unmittelbar politische Au f g a b e und eine praktische Mahnung in sich. Soll die Idee der Demokratie unter uns wieder lebendig werden u[nd] lebendig bleiben F, – so mssen wir wieder G zu ihrem gedanklichen U r q u e l l zurck. Ich habe zu zeigen versucht, daß dieser Quell nicht im Bereich des bloss politischen Denkens, nicht im Ganzen der Macht- und Herrschaftsgedanken, – daß er ebensowenig in der blossen Rechtssphaere, im Gedanken der natrlichen und unverusserlichen Rechte der Individuen zu suchen ist, sondern daß er, in seiner Reinheit und Lauterkeit, im Gedanken Form] ber der Zeile eingefgt lsst sich erst] danach gestrichen: der Gegensatz zwischen ant[iker] C Auch der] danach gestrichen: Fortschritt im D Zusammenhang] danach gestrichen: soll man nicht E bedeutet mehr] bedeutet, mehr, dabei mehr ber der Zeile eingefgt F bleiben] ber der Zeile statt gestrichenem: werden G so mssen wir wieder] danach gestrichen: zu ihrem eigentlichen ideellen Ursprung, A B
[Die Idee der Demokratie]
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der P f l i c h t , in der Autonomie des Sittlichen, wie Kant u[nd] Fichte sie verstanden haben, vor uns liegt. A Wenn es nicht um die Durchsetzung einzelner politischer B Forderungen, die man als “demokratische” zu bezeichnen pflegt, zu thun ist, sondern wer nach einer Belebung und Erneuerung des G e i s t e s der Demokratie strebt, der wird, wie ich berzeugt bin, an d i e s e m Punkt einsetzen mssen. Mehr als je wird sich unsere Zeit C gegenwrtig halten mssen, daß sie die eigentlichen G t e r der Demokratie D erst zu e r we r b e n hat, wenn sie sie wahrhaft besitzen will – und daß dieser Erwerb sich nur dann im geistigen Sinne vollziehen lsst, wenn sie sich wieder auf die letzten E geistigen Vo r a u s s e t z u n g e n F der G Idee der Demokratie besinnt und sich entschlossen zu diesen Voraussetzungen bekennt.
vor uns liegt.] Danach gestrichen: Eine Belebung und Erneuerung nicht einzelner inhaltlicher Forderungen, die man als demokratische zu bezeichnen pflegt B politischer] statt gestrichenem: inhaltlicher C unsere Zeit] danach gestrichen: und unser D Demokratie] danach gestrichen: nicht als einen Besitz E letzten] ber der Zeile eingefgt F Vo r a u s s e t z u n g e n] statt gestrichenem: P r a e m i s s e n G der] danach gestrichen: modernen A
[ B E G R S SU NGSAN S PRACHE DE S R E K TO R S , PROFES SOR D R. ERN ST CASSIRER , ZUR R E I CH S G R N D UNG S F E I E R D ER H A M B U RGI S CH E N U N I V E RS I T T A M 18 . J A N UAR 193 0 ] 108 Hochansehnliche Festversammlung! Verehrte Kollegen! Liebe Kommilitonen! Lassen Sie mich damit beginnen, zunchst alle diejenigen zu begrßen, die unserer Einladung gefolgt sind, um gemeinsam mit der Hamburgischen Universitt die heutige Feier der Grndung des Deutschen Reiches zu begehen. Ich heiße diese unsere Ehrengste aufs herzlichste willkommen und spreche ihnen den Dank der Universitt aus. Dieser Dank gilt zunchst Ihnen, sehr verehrter Herr Brgermeister,109 den Mitgliedern des Senats 110 u[nd] der Brgerschaft A111 und den Vertretern der hamburgischen staatlichen Behrden; er gilt ferner unserm Herrn Ehrenrektor, 112 den Ehrenmitgliedern der Universitt, den Mitgliedern der UniversittsGesellschaft und all den anderen Freunden und Frderern der Universitt, die sich heute mit uns zu dieser Feier vereinigt haben. Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht lange her, daß die deutschen Universitten alljhrlich die Feier der Reichsgrndung begehen; 113 aber im Leben unserer Universitten hat sich dieser Brauch nun schon sein unangefochtenes Recht und seine feste Stelle erworben. Dies beweist, daß der Entschluß zu dieser Feier einem richtigen Gefhl entsprungen ist, und daß sie einer inneren ideellen Notwendigkeit ihr Dasein verdankt. Dieser Entschluß wurde gefaßt in einer Zeit, in der jeder von uns mit tiefer Sorge auf den Bestand des Reiches hinblickte, in der die drohenden Gefahren von außen und die schweren Zerrttungen im Innern es mehr und mehr fraglich machten, ob es gelingen werde, unser Staatswesen vor dem gnzlichen Zerfall zu retten. Damals griffen die deutschen Universitten nach dem Symbol der Reichseinheit, um ein Wahrzeichen zu schaffen, das alle anerkennen und zu dem alle sich bekennen durften, gleichviel, wie ihr sonstiges politisches, soziales oder religises Glaubensbekenntnis lauten mochte. Und heute kann man sagen, daß dieses Wahrzeichen seine alte Kraft bewhrt B, daß es die geistigsittliche Leistung, die von ihm verlangt und erhofft wurde, erfllt hat. Noch stehen wir mitten in schweren Kmpfen, aber so wenig wir glauben, ihrer Herr geworden zu sein, so darf es uns doch mit Freude und A B
den Mitgliedern ... Brgerschaft] per Hand ber der Zeile hinzugefgt bewhrt] Umlautzeichen per Hand
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Zuversicht erfllen, daß es gelungen ist, durch alle Wirrnisse und Streitigkeiten hindurch die Einheit des Reiches zu wahren und seine staatliche Verfassung auf sicheren Grund zu stellen. Jede geschichtliche Feier, die wir begehen, soll ein Mittel unserer geschichtlichen und unserer staatlichen Selbstbesinnung sein. Eine solche Selbstbesinnung aber wird nur dann erreicht, wenn es gelingt, die verschiedenen Momente, aus deren Vereinigung und Durchdringung alles geschichtliche Bewußtsein hervorgeht, in das rechte innere Gleichgewicht zu setzen. Die drei Modi des Zeitbewußtseins, die abstrakt und begrifflich betrachtet immer voneinander getrennt bleiben, sie fassen sich im konkret geschichtlichen Denken und Fhlen zu einer unmittelbaren und unlslichen Einheit zusammen. Die Gegenwart versenkt sich in die Vergangenheit, – A aber nicht um sich in sie und an sie zu verlieren, sondern um sich an ihrem Gegenbild und Gegenhalt der eigenen Aufgaben bewußt zu werden, die ihr gestellt sind. Die Erinnerung wendet sich dem Vergangenen zu und hlt sich an ihm fest, aber sie bleibt nicht einfach B an ihm haften, sie kann ihm die geschichtlichen Maßstbe und die Wertmaßstbe nicht einfach entnehmen; sondern jede neue Gegenwart muß sich diese Maßstbe selbstttig erschaffen, muß ihre eigenen Normen in autonomer sittlicher Entscheidung und im Bewußtsein der eigenen Verantwortung erringen und aufstellen. Erst wenn wir in dieser Weise der Vergangenheit innerlich zugewandt, ber sie hinweg in die Zukunft hinausgreifen, gewinnt die geschichtliche Feier ihren wahren Sinn und ihre eigentliche bildende Kraft. In der Kraft zu solcher Zukunftsgestaltung liegt das eigentliche, das tiefste Pathos der echten Erinnerung. Wo die Erinnerung anders gefaßt, wo sie als bloße Rckwendung und Rckbewegung des Geistes genommen wird – da hat sie immer wieder den Widerspruch der großen produktiven Geister geweckt. “Ich statuiere keine Erinnerung in eurem C Sinne” – so hat Goethe einmal unwillig zum Kanzler v[on] Mller D gesagt, als in einer Festesfeier ein Trinkspruch auf die Erinnerung ausgebracht wurde – “das ist nur eine unbeholfene Art, sich auszudrcken. Es gibt kein Vergangenes, das man zurcksehnen drfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets produktiv sein, ein neues Besseres erschaffen.” 114 Aber derselbe Goethe, der hier den Sinn und Wert der Erinnerung so tief herabzusetzen scheint, hat
–] Gedankenstrich per Hand nicht einfach] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: nichtsdestoweniger C eurem] per Hand ber gestrichenem: ihrem D zum Kanzler von Mller] per Hand ber der Zeile A Vergangenheit, B
[Begrssungsansprache zur Reichsgrndungsfeier]
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auf der andern Seite immer wieder ihre Notwendigkeit und ihr unverbrchliches geistig-sittliches Recht betont. “Wer nicht von 3000 Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, Bleib’ im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.” 115 So wird von uns die stndige Rechenschaft gegenber der Geschichte gefordert, aber diese Rechenschaft bedeutet nicht die Rckkehr zur Vergangenheit, als zu einem bloßen Traum- und Wunschbild. Es soll nicht bloß in romantischer Sehnsucht das einfache Bild der Vergangenheit in uns erneuert werden, sondern dieses Bild soll lebendig, soll produktiv werden und “ein neues Besseres erschaffen.” “Le present est charg du pass et gros de l’avenir” so sagt Leibniz.116 “Die Gegenwart ist mit der Vergangenheit belastet und sie geht mit der Zukunft schwanger”.117 Das Wunder jedes echten historischen Bewußtseins besteht darin, daß es in dieser Weise die drei Urgestalten aller Zeitlichkeit, die einander zu fliehen und die sich zu widerstreiten scheinen, miteinander vershnt und in Eins setzt. Die Gegenwart kann und soll sich von den Bindungen der Vergangenheit nicht schlechthin losreißen – sie darf und soll vielmehr diese Bindungen in treuem Gedenken, in echter geschichtlicher Piett auf sich nehmen. Aber unmittelbar aus diesen Bindungen heraus soll ihr sodann ein neues Gefhl und ein neues Bewußtsein der Freiheit erstehen. Das Vergangene darf nicht einfach als bloße Last in die Gegenwart mitgenommen werden, sondern es muß zu einem Moment des Willens werden – des Willens, A der ber alle Vergangenheit und Gegenwart hinweg eine neue Zukunft fordert und aufschließt. In solcher Gesinnung, meine Damen und Herren, lassen Sie uns auch unsere heutige Feier begehen. Eingedenk der großen deutschen Vergangenheit, hingegeben an die schweren und drngenden Aufgaben der deutschen Gegenwart B[,] sollen die deutschen Universitten sich am heutigen Tage C der deutschen Zukunft geloben – einer Zukunft, die sie an ihrem Teile mit heraufzufhren berufen sind: Denn sie wird im wahrhaft nationalen Sinne nur dann errungen werden knnen und nur dann Bestand haben, wenn sie zugleich in geistigem Sinne gefestigt und kraft der inneren Freiheit des Geistes gesichert ist.
des Willens,] danach gestrichen: der es berwindet und hingegeben an die ... Aufgaben der deutschen Gegenwart] per Hand ber der Zeile hinzugefgt. Zwischen die und Aufgaben Verweis (Einschubzeichen) auf Ergnzung am linken Rand: schweren und drngenden C am heutigen Tage] danach gestrichen: der deutschen Gegenwart und A B
WA N D L U N G E N D E R S TA AT S G E S I N N U N G U N D D E R S TA AT S T H E O R I E I N D E R D E U T S C H E N G E I S T E S G E S C H I C H T E . A118 Hochansehnliche Festversammlung, sehr verehrte Kollegen, liebe Kommilitonen! Wenn die Hamburgische Universitt Sie heute, B gegen Ende des Sommersemesters, noch einmal zu einer C akademischen Feier eingeladen hat,119 so ist sie damit dem Beispiel gefolgt, das die große Mehrzahl der deutschen Universitten ihr gegeben hat D. Sie stellt sich an die Seite dieser Universitten, weil sie der berzeugung ist, daß gerade in der heutigen Zeit mit ihren Nten, ihrer Zerrissenheit und ihren Kmpfen, die deutschen Hochschulen zusammenstehen sollen in der Bekundung der inneren Verbundenheit mit den Schicksalen des deutschen Volkes und mit den Aufgaben E des deutschen F Staates. Solche Bekundung ist an keine bestimmte Zeit gebunden, ist nicht auf Tag und Stunde angewiesen. Wir haben den heutigen Tag gewhlt, weil zur selben Zeit G jene anderen grßeren Feiern stattfinden H, in denen das gesamte Rheinland I das Fest der Befreiung begeht.120 So lenkt sich heute J unser Blick vor allem auf die K rheinischen Hochschulen L, die M in diesen Tagen in eindrucksvollen und kraftvollen N Kundgebungen ihrem Willen O zum deutschen Volkstum
WANDLUNGEN . . . GEISTESGESCHICHTE. ] in Ts. [1] in gesperrten Großbuchstaben auf Deckblatt, unterstrichen, zwei Zeilen tiefer unterbrochene Trennlinie. In Ms. [1] Titel ebenfalls auf Deckblatt B heute,] am 22. Juli 1930 C zu einer] in Ts. [1] danach in Bleistift gestrichen: gemeinsamen D ihr gegeben hat] in Ms. [1] danach gestrichen:, die in diesen Tagen in verschiedener Form E Aufgaben] in Ms. [1] gebildet aus: grossen Gegenwartsaufgaben F des deutschen] in Ts. [2] per Hand statt gestrichenem: unseres gegenwrtigen G zur selben Zeit] in Ts. [2] per Hand statt gestrichenem: fast zur gleichen Stunde, in der wir uns hier zusammenfinden, H stattfinden] in Ts. [1] danach in Bleistift gestrichen: werden I das gesamte Rheinland] in Ts. [2] danach per Hand gestrichen: den Prsidenten des deutschen Reiches begrßen und mit ihm J So lenkt sich heute] in Ms. [1] danach gestrichen: in diesem Augenblick K die] in Ms. [1] statt: unsere L Hochschulen] in Ms. [1] statt gestrichenem: Schwesteruniversitten M die] in Ts. [2] danach gestrichen: alle N kraftvollen] in Ms. [1] statt gestrichenem: machtvollen O ihrem Willen] in Ms. [1] danach gestrichen: zur Einheit des A
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und zum deutschen Volksstaat Ausdruck gegeben haben oder noch A geben werden. Wir grßen unsere rheinischen Schwester-Universitten in tiefer und herzlicher Sympathie. Wie wir den Druck B, unter dem sie gelitten haben, als gemeinsames Leid empfunden haben, so drfen wir heute in ihre Freude C einstimmen. Und in dieses Gefhl der Freude mischt sich ein Gefhl der tiefsten Dankbarkeit. Wir danken es den rheinischen Hochschulen, daß sie, unter allen Nten und D Bedrngnissen, ihrer Arbeit treu geblieben sind, und daß sie hierdurch fr die gesamten Rheinlande zum Vorbild und zur lebendigen Verkrperung jenes Geistes geworden sind, in dem allein die schwere Zeit der Besatzung ertragen und kraft dessen sie zuletzt berwunden werden konnte. Dieses Muster der Selbstbesinnung, der Beherrschung und Bindung eines im Innersten erregten und bewegten vaterlndischen Gefhls vermochten die rheinischen Universitten aufzustellen, weil in ihnen neben dem strksten Bewußtsein ihrer nationalen Verantwortung das Bewußtsein fr ihre geistige, ihre wissenschaftliche und sittliche Verantwortung lebendig war E . Wir senden unsere Grße und unsere Wnsche der Bevlkerung der Rheinlande, die nunmehr wieder sich selbst zurckgegeben ist und die mit Stolz und Freude empfindet, wie echt, wie rein und wie frisch sie ihr innerstes Selbst behauptet und bewahrt hat. F Sucht man nach einem Symgegeben haben oder noch] in Ts. [1] ber der Zeile per Hand eingefgt. In Ts. [2]: geben werden statt gestrichenem: gegeben haben B Wie wir den Druck] in Ms. [1] statt gestrichenem: Wie der Zwang und der C in ihre Freude] in Ms. [1] danach gestrichen: und in ihren Jubel D allen Nten und] in Ms. [1] statt gestrichenem: den schwersten E war] in Ms. [1] statt gestrichenem: geblieben ist F bewahrt hat.] In Ms. [1] danach gestrichen: wird; um mit ihnen gemeinsam die Feier der Reichsverfassung und die Feier der Befreiung der Rheinlande zu begehen. [In Ts. [2] danach weggelassen:] Wie dieser Mann, – wie der Prsident des deutschen Reiches die Bedeutung dieser Stunde empfindet, und wie er sie, im geistigen und sittlichen Sinne, im deutschen Volk verstanden wissen will: das hat er selbst uns in seiner schlichten und in eben durch diese Schlichtheit ergreifenden Art gesagt.G G bewahrt hat.] In Ms. [1] heißt es (Ms.-S. 3a) danach: Und nicht zuletzt gilt unser Gruss und unsere tiefe Verehrung dem Manne, der heute [danach gestrichen: als Vertreter des deutschen Staates und als] [ersetzt durch:] als Reprsentant des deutschen Reiches und als Abgesandter des gesamten deutschen Volkes in den Rheinlanden weilt. Wie dieser Mann, wie unser Reichsprsident die Bedeutung dieser Stunde empfindet und wie er sie von uns verstanden wissen will, – das hat er selbst uns in seiner schlichten, und in eben dieser Schlichtheit so kraftvollen und berzeugenden Art gesagt. Forts[etzung] s[iehe] S. 4: [Ms.-S. 4:] “ber dem politischen und wirtschaftlichen Leben unseres Volkes” – so heißt es in dem Aufruf, den er am 1. Juli [1930] an das deutsche Volk gerichtet hat –[,] “hngen immer noch schwere Wolken. Aber dennoch ist uns der heutige Tag Anlaß freudiger Zuversicht. Ein Volk, das ganz auf sich allein gestellt, trotz hrtester A
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bol fr das, was hier gelitten und was hier geleistet worden ist, so drngen sich jene ehernen A Verse Goethes auf unsere Lippen B , die im Frhjahr 1814 zu einer anderen Befreiungsfeier gedichtet sind: “Komm! Wir wollen Dir versprechen Rettung aus dem tiefsten Schmerz. Pfeiler, Sulen kann man brechen, Aber nicht ein freies Herz. Denn es lebt ein ewig Leben Es ist selbst der ganze Mann,
Bedrngnis sich selbst behauptet hat, ein Land, das auf den Gebieten der Wissenschaft, Kunst und Technik auch in bitterer Notzeit Leistungen vollbracht hat, die in der ganzen Welt anerkannt und bewundert werden, hat ein Recht darauf, mit Selbstvertrauen und Zuversicht seiner Zukunft entgegenzugehen. Durch Jahre schwerer Leiden, durch bernahme drckender Lasten, haben wir dem Lande am Rhein die Freiheit wiedergewonnen; fr unseres Vaterlandes Glck und Zukunft wollen wir sie in treuem Zusammenstehen erhalten. Das Gelbnis in dieser feierlichen Stunde sei Einigkeit! Einig wollen wir sein in dem Streben, unser geliebtes Vaterland auf friedlichem Wege nach Jahren der Not einem besseren und helleren Tag entgegenzufhren.” 121 [Gestrichen: Wenn] Auch die deutschen Universitten hoffen heute auf diesen besseren und helleren Tag – und sie sind sich der Verpflichtung, [danach gestrichen: ihn mit herauffhren] daran mitzuwirken, daß er wieder heraufgefhrt wird, zu tiefst bewußt. Aber sie wissen zugleich, daß diese Aufgabe [danach gestrichen: nicht] nur [danach gestrichen: gelingen kann] dann gelst werden kann, wenn sie bei allen neuen und großen Aufgaben, die die Gegenwart [danach gestrichen: und die Zukunft] ihnen stellt und die die Zukunft ihnen stellen wird, ihrer Vergangenheit treu bleiben, und wenn sie alle die Krfte, von denen diese Vergangenheit genhrt war, frei und flssig und wirkungsfhig erhalten. Wir knnen, wenn es sich um die Neugestaltung unseres staatlichen Lebens handelt, nicht [danach gestrichen: in rein theoretischen Erwgungen des Staatsrechts und der Staatsphilosophie stehen bleiben] gnzlich von vorn beginnen; wir knnen nicht, im ther des reinen Gedankens schwebend, irgendeinen konstruktiven Aufbau des Staatsrechts und der Staatsphilosophie versuchen, sondern wir mssen gerade in diesen Grundfragen unseres politischen und staatlichen Lebens immer wieder hinblicken auf die [danach gestrichen: realen] g e s c h i c h t l i c h e n Mchte, in denen unser Denken wurzelt und denen es verbunden und verpflichtet bleibt. Auf diese [danach gestrichen: geschichtlichen] Mchte mchte ich denn auch in der heutigen Feier Ihre Aufmerksamkeit wieder hinlenken. In Ts. [2] gesamter Text gestrichen und auf handschriftlichen Ergnzungsseiten (2a und 3) durch Passage ersetzt, die in Ts. [1] eingeht: Sucht man nach einem Symbol fr das, [...] mchte ich in der heutigen Feststunde eine einzelne Phase herausheben: A ehernen] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile eingefgt B jene Verse ... auf unsere Lippen] in Ts. [2] (S. 2a) statt gestrichenem: wie von selbst jene Verse Goethes und statt: finden wir es am reinsten und tiefsten in jenen Goetheschen Versen
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In ihm wirken Lust und Streben, Die man nicht zermalmen kann.” 122 Es ist der Chor der Genien aus Goethes Festspiel “Des Epimenides Erwachen”, der diese Worte spricht – und wie ein echter Geisterchor dringt er auch heute zu uns herber A. Was wir heute erleben – das mutet uns wie die Erfllung jenes Versprechens und jener Prophezeiung an. Wiederum hat sich gezeigt, daß die innere Kraft eines freien Volkes durch allen Einsatz ußerer Machtmittel nicht zu brechen ist. In einer Zeit, da ihr jeder physische Widerstand verwehrt war, B hat die Bevlkerung der Rheinlande ihr Herz gewahrt und ihren Willen klar C und unerschtterlich bekundet. Der Sieg, der hier erstritten worden ist, wiegt um so schwerer, als er allein mit den Waffen des Geistes, mit den Waffen der Gesinnung und der Gesittung zu erkmpfen war. Zu solcher Gesinnung aber wchst ein Volk nicht heran, wenn nicht in ihm neben den Krften des unmittelbaren Gefhls noch andere Krfte, Krfte des Gedankens und der denkenden Selbstbesinnung, wirksam sind. D Und fr die d e u t s c h e E Geschichte gilt es in ganz besonderem Maße, daß ihre Richtung, ihr Sinn und ihr Ziel nur dann wahrhaft verstndlich zu machen ist, wenn man sie in steter Verknpfung und in lebendiger Wechselwirkung mit jener innersten gedanklichen Bewegung erfaßt, in der der deutsche Geist sich selber gesucht und sich selbst gefunden hat. Aus dieser universellen gedanklichen Bewegung mchte ich in der heutigen Festesstunde eine einzelne Phase herausheben: “Wandlungen F der Staatsgesinnung und der Staatstheorie in der deutschen Geistesgeschichte” – so habe ich das Thema benannt G , das ich heute H vor Ihnen behandeln mchte. Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich mich hierbei, um Ihre Aufmerksamkeit nicht zu ermden, auf den knappsten Umriß beschrnke – und daß ich aus dem gewaltigen Umherber] in Ts. [2] (S. 2a) danach gestrichen: und weckt in uns allen lebendigen Widerhall. Es ist von der Erfllung B verwehrt war,] in Ts. [2] (S. 2a) danach gestrichen: da er den Druck nur hrter gestaltet und die Kette nur um so fester geschmiedet htte, C ihren Willen klar] in Ts. [2] (neue S. 3) statt gestrichenem: ihre Gesinnung unverbrchlich D wirksam sind.] in Ts. [2] (neue S. 3) danach gestrichen: Und gerade fr das deutsche Nationalbewuss[tsein] E d e u t s c h e] in Ts. [1] per Hand hervorgehoben F herausheben: “Wandlungen] in Ts. [2] folgt (neue S. 3) eine Zeile tiefer: Fort[setzung] s[iehe] S. 3a. Fortsetzung (Ts.-S. 3a): der Staatsgesinnung ... G habe ich das Thema benannt] in Ms. [1] statt gestrichenem: etwa liesse sich das Thema umschreiben H das ich heute] in Ms. [1] danach gestrichen: in knappstem Umrisse A
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fang des Themas nur diejenigen Momente und Motive herauslse, die meiner eigenen Wissenschaft, die der philosophischen und der philosophiegeschichtlichen Betrachtung unmittelbar nahestehen.123 Die deutsche Philosophie der neueren Zeit gibt uns auf die Frage nach dem Wesen des Staates A keine eindeutige Antwort. Sie zeigt vielmehr auf rein gedanklichem Gebiet denselben B Widerstreit, sie zeigt die Flle verschiedenartiger Tendenzen, von denen das C geschichtliche Leben Deutschlands erfllt und bewegt war. Blicken wir auf das Deutschland des 17. Jahrhunderts zurck, so hat es in L e i b n i z einen Denker besessen, der nicht nur das gesamte Wissen der Zeit noch einmal in großartiger Geschlossenheit in sich vereinigt, sondern der auch in der Weite, in der Flle und Universalitt seiner politischen Gedanken D nicht seines Gleichen hat. Wenn, – was wir nunmehr mit einiger Sicherheit erhoffen drfen –, der seit so langem gehegte Wunsch nach einer vollstndigen Ausgabe von Leibniz’ Werken dereinst seine Erfllung findet – dann wird man staunen darber, welchen Umfang und welche Bedeutung die politischen Denkschriften und Entwrfe E im Gesamtwerk dieses Denkers besitzen. Sie beziehen sich auf die ganze Mannigfaltigkeit der F Zeitfragen, auf das ganze vielverschlungene Gewebe der G Staatskunst und der Diplomatie des 17. Jahrhunderts, und sie fhren uns berall in die unmittelbare H Wirklichkeit, in den Kern der aktuellen Probleme und der aktuellen politischen Einzelentscheidungen hinein. Aber bei all dieser Wirklichkeitsnhe, bei aller Versenkung ins Besondere und Einzelne, sprt man in diesen Schriften immer wieder den Atem e i n e r I ideellen berzeugung und einer durchgehenden, schlechthin universalistischen Gesamtanschauung. Leibniz’ Staatslehre ruht auf den Grundlagen des Naturrechts. Er nimmt hierbei die Gedanken des Naturrechts in der Begrndung und Erneuerung, die ihnen durch ihren bedeutendsten modernen Vertreter, durch Hugo G ro t i u s gegeben war. Die Idee des Staates beruht auf der Idee des Rechts – diese letztere Idee aber lßt sich nicht
nach dem Wesen des Staates] danach in Ms. [1] gestrichen: und nach dem Grunde und der Form seiner Verfassung B denselben] in Ms. [1] danach gestrichen: inneren C das] in Ms. [1] danach gestrichen: deut[sche] D seiner politischen Gedanken] in Ms. [1] danach gestrichen: und seiner politischen Entwrfe E Denkschriften und Entwrfe] in Ms. [1] statt gestrichenem: Schriften F der] in Ms. [1] danach gestrichen: politischen G Gewebe der] in Ms. [1] danach gestrichen: Politik H unmittelbare] in Ms. [1] statt gestrichenem: aktuelle I e i n e r ] in Ms. [1] danach gestrichen: durchgehenden A
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aus bloßen A positiven Satzungen B ableiten, sondern sie stellt eine schlechthin allgemeingltige Norm dar, die fr alle Vernunftwesen berhaupt gilt und die die echte Gemeinschaft, die Gemeinschaft der Vernunftwesen, erst begrndet. Der Inhalt dieses Vernunftrechts ist unserm Geist in unverlschlichen Zgen eingeschrieben C. Alle besonderen rechtlichen Normen finden ihre Legitimierung zuletzt in universalen Rechtsprinzipien; alles Faktische geht auf ein rein-Ideelles, alles zeitlich-Gebundene und zeitlich-Bedingte auf ein unbedingt-Gltiges zurck. Es gbe kein wesenhaftes Fundament des Rechtes und kein eigentliches Fundament der Gesellschaft und des Staates, wenn es anders wre; wenn nicht die wandelbaren und partikularen positiven Rechtssatzungen D letzten Endes ihren Halt und ihre eigentliche Beglaubigung fnden an jenen ewigen Rechten, “die droben hngen unverußerlich und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.” 124 Die Gewißheit dieser ewigen Rechte ist nach Leibniz von keiner anderen und von keiner geringeren E Art als die Gewißheit der F mathematischen Axiome; sie ist nicht tatschlicher, sondern streng-apriorischer Natur. “Die Lehre vom Recht” – so stellt er ausdrcklich fest – “gehrt zu denjenigen Wissenschaften, die nicht von der Erfahrung, sondern von reinen Begriffen abhngen, die nicht auf das Zeugnis der Sinne, sondern auf strenge Beweise gegrndet sind. Denn da die Gerechtigkeit in einer bestimmten Angemessenheit und Verhltnismßigkeit besteht, so lßt sich der Inhalt des Rechts rein als solcher feststellen, und diese Norm bleibt bestehen, selbst wenn es rein faktisch Niemanden gibt, der sie ausbt oder gegen den sie ausgebt wird; wie ja auch die Verhltnisse zwischen den Zahlen bestehen und wahr bleiben wrden G , auch wenn Niemand zhlte und wenn es nichts Zhlbares gbe. In gleichem Sinne lassen sich auch die Bedingungen angeben, unter denen allein ein Staat schn, wirkungskrftig und glcklich sein kann; wenngleich es vielleicht niemals zur vollstndigen Verwirklichung dieser Bedingungen kommt.” 125 Dieser Grundgedanke der justitia universalis beherrscht nicht nur Leibniz’ Rechts- und Staatslehre; er wird auch zum aus bloßen] in Ts. [1] statt gestrichenem: auf bloß aus bloßen positiven Satzungen] in Ms. [1] danach gestrichen:, die als solche vernderlich und willkrlich sind, C eingeschrieben] in Ms. [1] danach gestrichen:, es gilt lediglich ihn zum klaren und deutlichen Bewußtsein zu erheben und ihn, kraft dieser Bewußtheit, zur Norm und Richtschnur D positiven Rechtssatzungen] in Ms. [1] danach gestrichen: letzten Endes fest verankert wren in jenen E geringeren] in Ms. [1] statt gestrichenem: anderen F die Gewißheit der] in Ms. [1] danach gestrichen: Mathematik und ihrer G wrden] in Ts. [1] ber der Zeile per Hand eingefgt A B
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Vorbild und zur Richtschnur seiner Metaphysik und Gotteslehre. Gott ist ihm nicht der Schpfer des Rechts, sondern er ist A sein Verwalter und sein Brge. Die Paulinisch-Augustinische Grundlehre, daß menschliches und gttliches Recht nicht mit den gleichen Maßen zu messen seien, daß das gttliche Tun schlechthin unbeschrnkt und an keine an sich bestehende und gltige Norm des Gerechten und Sittlichen gebunden sei – diese Grundlehre, die so tief auf die Gestaltung des modernen religisen Bewußtseins, auf Luther und Calvin gewirkt hat, – sie wird von Leibniz aufs entschiedenste verworfen und abgewehrt. Die Norm des Gerechten ist als reine Vernunftnorm gleich verbindlich fr alle Wesen – sie bindet den Herrscher im Geisterreich nicht minder als die Untertanen und Brger dieses Geisterreiches.126 Wie Jupiter durch den Schwur beim Styx, so ist Gott durch die unverbrchlichen Regeln der Gerechtigkeit gebunden: B “la justice universelle est plus inviolable que le Styx.”127 Es kann an dieser Stelle nicht verfolgt werden, C wie diese Leibnizische Staatsgesinnung und Staatsbegrndung in der deutschen idealistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts weiterwirkt – wie sie ebensowohl den Aufbau von Christian Wo l f f s Naturrecht, wie [sie] die systematische Gestaltung der K a n t i s c h e n Rechtslehre bestimmt. Ich habe auf diesen Zusammenhang bei einer frheren Gelegenheit D128E hingewiesen – und ich will das dort Gesagte hier nicht wiederholen. Lassen Sie uns statt dessen unsern Blick F sogleich auf F i c h t e s Staatstheorie hinlenken, in der uns die gleichen idealistischen und universalistischen Grundgedanken wie bei Leibniz noch einmal in schrfster G Ausprgung und Konzentration begegnen – und in denen andererseits ein neues Gedankenmotiv einsetzt, das bereits in eine andere Richtung weist. Fichte ist derjenige deutsche Denker, der als erster mit klarem Bewußtsein den Schritt von den allgemein-naturrechtlichen Voraussetzungen der Staatstheorie zu dem Ideal und der Forderung des N a t i o n a l s t a a t e s vollzogen hat. Seine Frhzeit ist noch vllig erfllt von den Gedanken der franzsischen Re-
er ist] in Ts. [1] danach gestrichen: allein “la ... Styx.”] Anfhrungszeichen in Ts. [1] per Hand eingefgt, in Ms. [1] eckige Klammern C nicht verfolgt werden,] in Ms. [1] am rechten Rand, in violettem Stift ausgestrichen: F[ichtes] Brief an K[ant] D bei einer frheren Gelegenheit] in Ms. [1] danach gestrichen: – bei der [in Bleistift: einer] Festrede zur Feier der Reichsverfassung E bei einer frheren Gelegenheit] in Ts. [1] danach gestrichen: – bei einer Verfassungsfeier des Hamburgischen Staates vor 2 Jahren – F Lassen Sie uns statt dessen unsern Blick] in Ms. [1] statt gestrichenem: Unser Blick lenkt sich G schrfster] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: hchster A B
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volution, die er sich in vollem Umfang zu eigen macht. Selten sind diese Gedanken in solcher Schrfe dargelegt, in solcher Knappheit begrndet worden, als es in Fichtes erster politischer Schrift, in den “Beitrgen zur Berichtigung der Urteile des Publikums ber die franzsische Revolution” geschehen ist. Aber schon der nchste Schritt fhrt Fichte ber diesen Kreis der Erluterung und Anwendung der politischen Ideale der Revolution hinaus. Sein Streben gilt weiteren all-umfassenden Zielen. Schon in einem Briefe an Kant vom April 1793 schreibt der 28jhrige Fichte, seine Seele glhe jetzt von e i n e m großen Gedanken: von dem Gedanken, die Aufgabe zu lsen, die Kant in der A “Kritik der reinen Vernunft” gestellt habe, nmlich den Entwurf einer Verfassung zu geben “von der grßten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daß Jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann.” 129 Diese Aufgabe ist es, die Fichte sodann in seinen “Grundlagen des Naturrechts” vom Jahre 1796 und im “System der Sittenlehre” vom Jahre 1798 in Angriff genommen hat. Hier ist er noch durchgehend universalistisch gesinnt: das Eine, fr alle Vernunftwesen identische Sittengesetz ist es, aus dem in strenger allgemeingltiger Deduktion die Form des Rechts und die Form des Staates abgeleitet werden muß. Diese Form duldet keine partikularen, keine individuellen oder nationalen Beschrnkungen. Was sie nicht ganz und rein mit sich zu erfllen vermag – das weist sie von sich ab und stßt sie von sich aus. Noch B viele Jahre spter hlt Fichte, als er, als reifer Mann, in den “Grundzgen des gegenwrtigen Zeitalters” den Gerichtstag ber seine gesamte Epoche hlt C , diese Grundforderung und Grundgesinnung seiner Jugend fest. D Er wendet sich gegen jene [“]Erdgeborenen, welche in der Erdscholle, dem Flusse, dem Berge ihr Vaterland erkennen[”], statt den Begriff des Vaterlandes und den des Staates in einem rein sittlichen Sinne zu nehmen und zu verstehen. “Der sonnenverwandte Geist wird unwiderstehlich angezogen werden und hin sich wenden, wo Licht ist und Recht. Und in diesem Weltbrgersinne knnen wir denn ber die Handlungen und Schicksale der Staaten uns vollkommen beruhigen, fr uns selbst und fr unsere 1 Nachkommen, bis an das Ende der Tage.”131 Es war im Frhjahr des Jah1
[Fichte, SW, Bd.] VII, [S.] 212 in Ms. [1] auf rechtem Rand
in der] in Ms. [1] statt gestrichenem: in einer berhmten Noch] in Ms. [1] danach gestrichen: ber 10 C hlt] in Ts. [1] per Hand im Satz umgestellt D Grundgesinnung seiner Jugend fest.] danach in Ms. [1] gestrichen: “Welches ist denn das Vaterland“ – so fragt er hier – „welches ist denn das Vaterland des wahrhaft ausgebildeten christl[ichen Europers”] 130 A B
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res 1806, als Fichte diese Worte sprach – unmittelbar vor der Schlacht bei Jena. Nun aber erlebte er den Zusammenbruch Preußens und die Zeit der Napoleonischen Herrschaft, die ihn im Innersten erschtterte, und die alle Krfte seines Denkens und seines Willens zum entschlossenen unbeugsamen Widerstand aufrief. Aber mitten in diesem Widerstand, mitten in der strksten Erregung seines vaterlndischen Gefhls, mitten in dem leidenschaftlichen Pathos der “Reden an die deutsche Nation” ist Fichte jener ersten weltbrgerlichen Gesinnung, ist er seinem ethischen Universalismus niemals eigentlich untreu geworden. Denn so hoch er jetzt auch das Deutschtum erhebt, und so sehr er von s e i n e r Erhaltung die Erhaltung der sittlichen Ordnung als Ganzes abhngig macht – so ist A ihm doch schon B dieser Begriff des Deutschtums selbst nicht ein bloßer Seinsbegriff, sondern ein reiner Sollensbegriff. Er bezeichnet nicht sowohl eine unmittelbare natrliche Gegebenheit, als vielmehr eine Norm und eine sittliche Aufgabe. Niemandem wird dieses Deutschtum gleichsam in die Wiege gelegt; niemand besitzt es durch Geburt oder Abstammung, sondern Jeder muß es sich erwerben, muß sich in freier selbstbewußter und selbstverantwortlicher Entscheidung zum Deutschen machen. Noch in der letzten politischen Schrift Fichtes, die im Frhling 1813, unter dem Eindruck der nationalen Erhebung in Preußen, geschrieben ist, hat er diese Gesinnung unbeirrt festgehalten. Noch hier dringt er darauf, tiefer zu unterscheiden zwischen einem Nationalen, das nur durch den Staat gebildet wird und das seine Brger darin verschlingt[,] und einem anderen, das ber den Staat hinausliegt. “Der Einheitsbegriff des deutschen Volkes” – so schließt er, und dieses Wort stellt gewissermaßen sein politisches Testament dar –, “ist noch gar nicht wirklich; er ist ein allgemeines Postulat der Zukunft. Aber er wird nicht irgendeine gesonderte Volkseigentmlichkeit zur Geltung bringen, sondern den Br1 ger der Freiheit verwirklichen.”132 So ist Fichte mitten in der hchsten leidenschaftlichen Glut seines nationalen Gefhls dem sittlichen und gedanklichen Universalismus, der ihn beseelt, treu geblieben C ; so ist es bei ihm niemals zu einem eigentlichen Bruch gekommen mit den politischen Grundforderungen seiner Jugend, die D von den Ideen des Naturrechts und von den Idealen der fran1
[Fichte, SW, Bd.] VII, [S.] 573 in Ms. [1] am rechten Rand
ist] in Ms. [1] statt gestrichenem: bleibt schon] in Ms. [1]: eben C treu geblieben] in Ms. [1] statt gestrichenem: nicht untreu geworden D die] danach in Ms. [1] gestrichen: aus dem Kreis A B
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zsischen Revolution genhrt waren. Aber inzwischen hatte sich A in einem anderen Kreise die Abkehr von diesen Ideen und Idealen vollzogen. Ein neues Staatsgefhl und eine neue Staatsgesinnung war es, die in der deutschen Romantik zum Durchbruch kam. Fr dieses Gefhl ist der Einheitsbegriff des deutschen Volkes kein bloßes Postulat der Zukunft, sondern er ist ein gegebener fester B Besitz – ein Besitz der Gegenwart, die sich ihrerseits an die Vergangenheit gebunden sieht C und die D sich in dieser Gebundenheit erst wahrhaft sicher und geborgen weiß. Die staatliche Einheit muß aus der Einheit des Volksgeistes herauswachsen – dieser Volksgeist selbst aber ist kein abgeleitetes, sondern ein ursprngliches Ganze[s]; er ist nicht aus der nachtrglichen Vereinigung E vieler Einzelwillen entstanden, sondern er stellt eine lebendige Einheit dar, die frher als die Teile ist und die die Teile selbst erst in ihrer Wirklichkeit mglich macht. So sind Staat und Volk nichts Gemachtes; nichts, was auf Grund rechtlicher Satzungen, auf Grund von Vertrgen, entstanden wre; sondern beide stellen F ein echt organisches Sein, ein natrlich-Gewordenes und natrlich-Gewachsenes, dar. Nicht der Wille ist es, der Volk und Staat geschaffen hat – und nicht der Sphre des Willens, nicht der Ethik oder dem Naturrecht sind demgemss die letzten und hchsten Gesetze fr beide zu entnehmen. Die eigentliche Fundierung liegt nicht im Recht, sondern in der Geschichte; denn alle echte staatliche Gemeinschaft und alle echte Volksgemeinschaft grndet sich zuletzt in einer historischen Schicksalsgemeinschaft. Diese Gemeinschaft selbst wird hierbei von der Romantik G im weitesten Sinn verstanden. Sie ist keineswegs in den bloss physischen Momenten der Stammeszugehrigkeit oder der H Verbundenheit mit dem heimatlichen I Boden gegrndet. Jede derartige Begrndung liegt der Romantik, die von geistigen Voraussetzungen herkommt und zu geistigen Zielen hinstrebt, von Anfang an fern. Sie verwirft jede bloss n a t u r a l i s t i s c h e J Ableitung des Volkes und des Staates – ist doch fr sie die Natur als Ganzes genommen nichts Selbstndiges, nichts dem
hatte sich] danach in Ms. [1] gestrichen: innerhalb der deutschen Geistesgeschichte B fester] in Ms. [1] statt gestrichenem: und gesicherter C sieht] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: weiß D die] in Ts. [1] per Hand eingefgt E Vereinigung] in Ms. [1] danach gestrichen: Einzelner entstanden F stellen] in Ms. [1]: sind G Romantik] in Ms. [1] danach gestrichen: und von ihrer organologischen Staatstheorie H der] in Ms. [1] danach gestrichen: Zugehrig[keit] I heimatlichen] in Ts. [1] per Hand hinzugesetzt, in Ms. [1]: heimatlichen J n a t u r a l i s t i s c h e ] in Ts. [1] Hervorhebung Cassirers A
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Geiste Vorgeordnetes oder bergeordnetes. Die Natur ist ihr A vielmehr, gemß dem Grundgedanken der Schelling’schen Identittsphilosophie, nichts anderes als der Geist selbst, sofern er in einer bestimmten Potenz, auf einer bestimmten Stufe seiner Selbstentfaltung und Selbstentwicklung genommen wird. Demnach kann es fr die Romantik nichts abgelstes Physisches geben, das dann seinerseits in fester kausaler Determination das Sein und das So-Sein des Geistes bestimmte. Natrliches und Geistiges, usseres und Inneres, Seelisches und Leibliches sind vielmehr ursprnglich ineinander verwoben und lassen sich, auch in der Konstitution des staatlichen Lebens und in der der B Volksgemeinschaft, nicht voneinander lsen. Am klarsten und tiefsten ist diese gemeinsame Grundvoraussetzung aller organologischen Staatstheorien von H e r d e r ausgesprochen worden, der auch in diesem Punkte als der eigentliche geistige Ahnherr der Romantik erscheint. Herder wendet sich auf’s entschiedendste gegen jene naturalistischen Theorien, die die Einheit des Volkes begrndet zu haben glauben, wenn sie sie auf C physische Bedingungen, auf die Einheit des Bodens, D des Klimas E u.s.f. zurckgefhrt haben. Die echte Einheit ist ihm nicht diese physische Einheit des Seins, sondern die Einheit des Lebens – und diese ist nicht von Anfang an, als blosses P ro d u k t reiner Naturbedingungen vorhanden, sondern sie bildet und gestaltet sich erst im P ro z e s s des Lebens selbst[,] im Werden und Wachsen des Gemeinschaftslebens F. “Der Boden, auf dem wir geboren sind, kann fr sich allein dies Zauberband schwerlich knpfen; vielmehr wre es die hrteste aller Lasten, wenn der Mensch, G als Baum, als Pflanze, als Vieh betrachtet, H eigen und ewig, mit Seele, Leib und allen Krften dem Boden zugehren m s s t e , auf welchem er die Welt sah ... Was uns im Vaterlande zuerst erquickt, ist nicht die Erde, auf die wir sinken, sondern die Luft, die wir atmen, die vterlichen Hnde, die uns aufnehmen, die Mutterbrust, die uns suget, die Sonne, die wir sehen, die Geschwister, mit denen wir spielen, die freundlichen Gemter, die uns wohltun. Unsererstes Vaterland ist also das Va t e r h a u s , eine Va t e r f l u r, Fa m i l i e . In dieser kleinen Gesellschaft leben die eigentlichen und erihr] in Ts. [1] per Hand eingefgt der] in Ts. [1] ber der Zeile eingefgt, in Ms. [1]: der C wenn sie sie auf] in Ms. [1] danach gestrichen: die Einheit einer bestimmten physischen Umwelt D des Bodens,] in Ms. [1] danach gestrichen: der Abstammung, E des Klimas] in Ms. [1] danach gestrichen: [gestrichen: herleiten.] des Blutes F im Werden und Wachsen des Gemeinschaftslebens] in Ts. [1] ber der Zeile per Hand eingefgt G Mensch,] in Ts. [1] Komma per Hand gesetzt, in Ms. [1]: Mensch H betrachtet,] in Ts. [1] Komma per Hand gesetzt, in Ms. [1]: betrachtet A B
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sten Freuden des Vaterlandes, wie in einem Idyllenkreise; in Idyllen leibt und lebt das Land unserer ersten Jugend”.1133 Die wahre Struktur des Staates – das ergibt sich nunmehr als die Konsequenz und als die reife Frucht dieser Grundanschauung – kann nicht, wie in der naturrechtlichen Theorie, aus der Form der G e s e l l s c h a f t , sondern sie muss aus der Form der natrlichen G e m e i n s c h a f t A abgelesen werden. Sie ruht nicht auf abstrakten Geboten der Sittlichkeit B, sondern sie ist ursprnglich verwurzelt in jenem konkreten C Gemeingeist, wie er sich berall in den Urformen der Menschheit, in ihren primren und primitiven Lebensformen, als Sitte lebendig erweist und lebendig bettigt. In diesem Band der Sitte knpft sich die wahre Volksgemeinschaft, knpft sich das, was die gegenwrtige Generation D unlslich mit der Vergangenheit eint, und was sie still und stetig in die Form ihrer Zukunft hinberfhrt. Im gleichen Sinne hat Ad a m M l l e r in seinen Vorlesungen ber die [“]Elemente der Staatskunst[”] den Staat, statt als eine bloße Manufaktur oder Soziett, als die innige Verbindung [“]des gesamten inneren und usseren Lebens einer Nation zu einem grossen, energischen, unendlich bewegten und lebendigen Ganzen[”],2 hat er ihn als eine “Allianz der vorangegangenen Generation mit der nachfolgenden und umgekehrt” 135 erklrt. Dieses Staatsgefhl bleibt bei einer bloss juridischen Rechtfertigung und Sanktion nicht stehen; sondern es fordert fr sich eine andere geistige Sttze, es verlangt E zuletzt nach einer re l i g i s e n Weihe. Und damit lenkt freilich die F Betrachtung der G Staaten und Nationen als E i n z e l we s e n alsbald wieder in eine universalistische Betrachtung und Wertung zurck. Abermals erhebt sich der Gedanke des Weltbrgertums – aber die echte weltbrgerliche Gesinnung gilt jetzt nur dann als gesichert H, wenn sie sich in der Idee eines Gottesstaates, einer religisen Universalmonarchie, ihren Schlußstein gibt. ber dem geschichtlichen Leben der Einzelnationen und ber dem Bau der besonderen staatlichen Verfassungen muss sich [Herder, Smmtliche Werke] (Suph[an, Bd.] 17, [S.] 312) in Ms. [1] am rechten Rand 2 Mein[ecke, S.] 135 Fr[ei]h[eit] u[nd] F[orm] 134 in Ms. [1] am rechten Rand 1
G e m e i n s c h a f t ] Hervorhebung in Ts. [1] per Hand Sittlichkeit] danach in Ms. [1] gestrichen: grnden C konkreten] in Ms. [1] danach gestrichen: Sittlichkeit D gegenwrtige Generation] in Ms. [1] statt gestrichenem: Gegenwart E es verlangt] in Ts. [1] danach per Hand gestrichen: fr sich F die] in Ms. [1] danach gestrichen: individualistische G der] in Ms. [1] danach gestrichen: Einzelst[aaten] H als gesichert] in Ms. [1] danach gestrichen: und gegrndet, wenn A B
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die Kuppel eines gemeinsamen Gotteshauses wlben. So wird das Verhltnis schon in den Anfngen der Romantik von N o va l i s gesehen und so wird es in seinem Fragment “Die Christenheit oder Europa” verkndet. Mit tiefer Liebe A wendet sich hier Novalis, der Protestant und der begeisterte Leser und Schler von Schleiermachers “Reden ber die Religion”, B136 dem Mittelalter zu, weil er in ihm allein die Sehnsucht nach echter “Katholizitt”, nach einer allbelebenden und allumfassenden C Geistigkeit erfllt sieht. Die politischen Wirren der Gegenwart, der anarchische Zustand, der sich aus den Ideen und Idealen der franzsischen Revolution entwickelt hat: dies alles D muss ihm zum Zeugnis der Rckkehr jenes echteren und tieferen Universalismus dienen, der nicht aus der Hinwendung zur Welt, sondern allein aus der Wendung zu Gott entspringen kann. “Daß die Zeit der Auferstehung gekommen ist, und gerade die Begebenheiten, die g e g e n E ihre Belebung gerichtet zu sein schienen und ihren Untergang zu vollenden drohten, die gnstigsten Zeichen ihrer Regeneration geworden sind, dieses kann einem historischen Gemte gar nicht zweifelhaft bleiben. Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion. Aus der Vernichtung alles Positiven hebt sie ihr glorreiches Haupt als neue Weltstifterin empor. ... Ruhig und unbefangen betrachte der echte Beobachter die neuen staatsumwlzenden Zeiten. Kommt ihm der Staatsumwlzer nicht wie Sisyphus vor? Jetzt hat er die Spitze des Gleichgewichts erreicht, und schon rollt die mchtige Last auf der anderen Seite wieder herunter. Sie wird nie oben bleiben, wenn nicht eine Anziehung gegen den Himmel sie auf der Hhe schwebend erhlt. Alle Eure Sttzen sind zu schwach, wenn euer Staat die Tendenz nach der Erde behlt. Aber knpft ihn durch eine hhere Sehnsucht an die Hhen des Himmels, gebt ihm eine Beziehung aufs Weltall, dann habt Ihr eine nie ermdende Feder in ihm, F und werdet eure Bemhungen reichlich 1 belohnt sehen.”137 Wenn indess die ethischen und die religisen Tendenzen der Zeit, wenn Aufklrung und Romantik verschiedene Wege in ihren Versuchen N o va l i s , Werke, ed. J[akob] Minor, [Bd.] II, [S.] 35 f. in Ts. [1] per Hand am unteren Blattrand (Trennstrich zum Fließtext); in Ms. [1] am rechten Rand: N o va l i s , Werke, Ausg[abe] J[akob] Minor, [Bd.] II, [S.] 35f. 1
Mit tiefer Liebe] in Ms. [1] danach gestrichen: und Sehnsucht und der begeisterte Leser ... “Reden ber die Religion”,] in Ms. [1] zwischen den Zeilen hinzugefgt C und allumfassenden] in Ms. [1] danach gestrichen: religisen D alles] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt: selbst E g e g e n ] Hervorhebung Cassirers F in ihm,] Komma per Hand gesetzt, in Ms. [1]: in ihm A B
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zur Begrndung und Erneuerung des Staates gehen – so war es dem philosophischen Genius H e g e l s vorbehalten, ein neues geistiges Band zwischen diesen gegenstzlichen A Bestrebungen zu knpfen. Auch hier beweist und bewhrt sich jene gewaltige Kraft der Synthese, die die Grundkraft des Hegelschen Denkens ausmacht. Hegels Staatstheorie lsst sich[,] rein genetisch gesehen, von den Ideen der franzsischen Revolution nicht loslsen; aber auf der anderen Seite bleibt sie mit B dem romantischen Begriff des Volksgeistes untrennbar verbunden. Beide Grundanschauungen werden nun zu Momenten und Fermenten der neuen Staatsansicht, die in Hegels System entwickelt und begrndet wird. Hegel hat, bei aller Kritik des Naturrechts und bei aller scharfen Polemik gegen die naturrechtlichen Voraussetzungen von Kant’s und Fichtes Staatstheorie, nicht aufgehrt, die franzsische Revolution als die geistige Morgenrte einer neuen Zeit zu feiern. “Der Gedanke, der Begriff des Rechts machte sich mit einem Male geltend, und dagegen konnte das alte Gerst des Unrechts keinen Widerstand leisten. Im Gedanken des Rechts ist also jetzt eine Verfassung errichtet worden, und auf diesem Grunde sollte nunmehr alles basiert sein. Es war dies somit ein herrlicher Sonnenaufgang; alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert.”1138 Auf der andern Seite aber kreist Hegels Denken von Anfang an C um das e i n e Grundproblem des Verhltnisses von Staat und Religion. Ihm gilt schon in den theologischen Jugendschriften, die das sptere System erst keimhaft in sich schliessen, Hegels intensivste und konzentrierteste gedankliche Arbeit. Aber diese Arbeit erschpft sich nun keineswegs darin, zwei verschiedene t h e o re t i s c h e Gedankenkreise, die bisher nebenoder gegeneinander standen, aufeinander zu beziehen und miteinander zu vermitteln. Hegels “konkretes” Denken taucht vielmehr berall ein in die unmittelbar-gegenwrtige geschichtliche Situation, in die lebendige Mitte und in die strmende Bewegung der politischen Zeitprobleme. Versetzt man sich, an der Hand seiner politischen Jugendwerke, in diese Bewegung – so wird man tief ergriffen und tief erschttert von der Erkenntnis, D wie nahe die Probleme, um deren Lsung hier gerungen 1
[S.] 564 Fr[ei]h[eit] u[nd] F[orm] 139 in Ms. [1] am rechten Rand
gegenstzlichen] in Ms. [1] statt gestrichenem: heterogenen nicht loslsen; aber auf der anderen Seite bleibt sie mit] in Ms. [1] statt gestrichenem: so wenig loslsen wie sie sich andererseits ebensowenig von C von Anfang an] in Ms. [1] danach gestrichen: von jenen ersten Vorstufen, die wir in seinen theologischen Jugendschriften vor uns sehen, D tief ergriffen ... von der Erkenntnis] in Ts. [2] per Hand statt gestrichenem: mit Erstaunen und mit Erschtterung gewahr A B
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wird, unseren eigenen staatlichen Problemen und unseren unmittelbaren Gegenwartsaufgaben stehen. “Sollte A” – so beginnt der Entwurf der Vorrede zu Hegels Schrift ber die Verfassung Deutschlands, die im Jahre 1801 geschrieben B ist – “sollte das politische Resultat des verderblichen Krieges, den das deutsche Reich mit Frankreich zu fhren hatte, fr Deutschland kein anderes sein, als daß einige seiner schnsten Lnder, einige Millionen seiner Kinder ihm entrissen ... werden und eine schwere Schuldenlast das Elend des Krieges noch in den Frieden verlngert?”1140C Und die tief-schmerzliche Stimmung, die sich in dieser Frage ausdrckt – sie durchdringt auch das Ganze des Werkes und gibt ihm sein Geprge. “D e u t s c h l a n d i s t k e i n S t a a t m e h r ” D: das ist der lapidare Satz, mit dem das Werk einsetzt. // E Und an ihn schliessen sich andere von wahrhaft tragischer Wucht und Grsse [an] F – Stze, deren drohender Ernst, deren schneidende Schrfe und deren tiefe Bitterkeit wir heute vielleicht mehr als je zuvor wieder verstehen und nachempfinden knnen. Sucht man – so fhrt Hegel weiter aus – sucht man nach einem Begriff und Namen fr das, was das gegenwrtige Deutschland in politischer Hinsicht ist, so ließe sich dieser Zustand der Auflsung des Staates nicht anders denn als A n a rc h i e bezeichnen –, [“]wenn nicht die Teile sich 1
([Hegel, Bd. 7, S.] 137) in Ms. [1] auf dem rechten Rand
“Sollte] in Ms. [1] danach gestrichen: das politische Resultat des verderblichen Krieges[”] B 1801 geschrieben] in Ts. [2] per Hand statt gestrichenem: 1802 entworfen C “ ... in den Frieden verlngert?”] in Ts. [2] danach Zeile fr Zeile gestrichen: Sollte dies das Ende sein – oder liegt vielleicht [in Ms. [1] gestrichen: ebensowohl in] trotz alledem in diesem Ende der Keim und die Hoffnung eines neuen Anfangs? Dass dieser Anfang nicht in einer bloßen Zurckgewinnung des Verlorenen, in einer Rckkehr zu den alten Staatsformen bestehen kann: dessen ist sich Hegels durchaus realpolitisch gerichtetes Denken aufs schrfste bewusst. Die frhere Form des Kaiserreichs und der deutschen Verfassung sehnt [in Ms. [1] gestrichen: Hegel] er nicht zurck – sie gehrt einer Phase der Geschichte an, die endgltig erloschen, die [in Ms. [1] gestrichen: und der nicht wieder] unwiederbringlich dahin ist. In Ts. [2] auf linkem Rand Verweis auf Ersatz: L s[iehe] S. 15 a und b. Handschriftliche Ergnzungsbltter 15a und 15b enthalten folgenden, in Ts. [1] eingegangenen Text: Und die tief-schmerzliche Stimmung ... keiner knstlichen Regeneration fhig D “D e u t s c h l a n d i s t k e i n St a a t m e h r ”] Hervorhebung Cassirers E mit dem das Werk einsetzt. //] In Ts. [1] Hinweis auf handschriftlichen Einschub (Rckseite Ts.-Bl. 15): Und an ihn schliessen [...]. Sucht man – so fhrt Hegel weiter aus – F an] fehlt in Ts. [1] A
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wieder zu Staaten konstituiert htten[”]. Aber es ist freilich A [“]weniger ein noch bestehendes, als vielmehr die Erinnerung eines ehemaligen Bandes[”][,] was diesen Teilen B [“]noch einen Schein von Vereinigung lsst[”] – “so wie die herabgefallenen Frchte noch ihrem Baume angehrt zu haben daran erkannt werden, daß sie unter seiner Krone liegen; aber weder die Stelle unter ihm, noch sein Schatten, der sie berhrt, retten sie vor Fulnis und der Macht der Elemente, denen sie jetzt gehren.” 141 Hegel glaubt nicht, daß dieser drohende Untergang sich dadurch aufhalten lßt, daß man sich an die alten staatlichen Formen anklammert und um jeden Preis zu ihnen zurckkehrt. Der Geist, der in diesen alten Formen wohnte, ist erstorben und keiner knstlichen Regeneration fhig. “Die Organisation dieses Krpers ... hatte sich in einem ganz anderen Leben gebildet, als nachher und itzt in ihm wohnte ... C Der Verlauf der Zeit aber und der in ihr sich entwickelnden Bildung hat das Schicksal jener Zeit und das Leben der jetzigen voneinander abgeschnitten. Das Gebude, worin jenes Schicksal hauste, wird von dem Schicksal des jetzigen Geschlechts D nicht mehr getragen und steht ohne Anteil und Notwendigkeit fr dessen Interesse und seine Ttigkeit isoliert von dem Geiste der Welt. Wenn diese Gesetze ihr altes Leben verloren haben, so hat sich die jetzige Lebendigkeit nicht in Gesetze zu fassen gewusst; jede ist ihren eigenen Weg gegangen, hat sich fr sich festgesetzt, und das Ganze ist zerfallen, d e r S t a a t i s t n i c h t m e h r E.”1142 Hegel weiß, dass dieses zerfallene Ganze im bloßen Denken nicht wieder aufgebaut und hergestellt werden kann – und so hlt er denn von frh an Ausschau nach dem grossen politischen Genius, nach der machtvollen Individualitt, die hier allein eingreifen und retten kann. Lange Zeit ist ihm Napoleon als diese Individualitt erschienen. In striktem Gegensatz zu Fichte, der in ihm nur den Zerstrer F der Freiheit und den Vernichter des Deutschtums sah, wird er fr Hegel zum Verwalter des Weltgeistes, zum Wiederhersteller 1
([Hegel, Bd. 7, S.] 7) in Ms. [1] am rechten Rand
Aber es ist freilich] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: denen was diesen Teilen] in Ts. [1] ber der Zeile per Hand eingefgt C ... ] in Ts. [2] per Hand gestrichen, in Ts. [1] als Weglassung markiert: die Gerechtigkeit und Gewalt, die Weisheit und die Tapferkeit verflossener Zeiten, die Ehre und das Blut, das Wohlsein und die Not lngst verwester Geschlechter und mit ihnen untergegangener Sitten und Verhltnisse ist in den Formen dieses Krpers ausgedrckt. D itzt in ihm wohnte ... des jetzigen Geschlechts] in Ts. [1] letzte vier Zeilen am unteren Seitenrand (S. 15) angeklebt E d e r S t a a t i s t n i c h t m e h r ] Hervorhebung Cassirers F Zerstrer] in Ms. [1] statt gestrichenem: Vernichter A B
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der Staatsmacht in neuen Formen und in neuer Grsse. “Den Kaiser, diese Weltseele” – so schreibt er in jenem berhmten Brief zwei Tage vor der Schlacht bei Jena – [”]sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten: es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, ber die Welt bergreift und sie beherrscht.” 143 Diese Bewunderung der in einem grossen Einzelnen konzentrierten staatlichen Machtflle hatte Hegel nicht erst an Napoleon gelernt; sie entsprach vielmehr seinen eigenen theoretischen Grundvoraussetzungen und Grundforderungen. Schon in der Verfassungsschrift von 1802 hatte er dargelegt, dass eine Einigung Deutschlands, wenn berhaupt, so nur von dem starken Willen eines grossen Einzelnen zu erwarten sei. Die heterogenen, einander widerstreitenden Bestrebungen der einzelnen Vlkerschaften nebst ihren Landstnden A wrden niemals anders als durch die Gewalt B eines Eroberers in Eine Masse versammelt werden C . “Dieser Theseus” – so fgt er hinzu – “mßte Großmut haben, dem Volk, das er aus zerstreuten Vlkchen geschaffen htte, einen Anteil an dem, was alle betrifft, einzurumen[”][,] – aber er mßte zugleich den Mut besitzen, [“]den Haß tragen zu wollen, den Richelieu und andere große Menschen auf sich luden, welche die Besonderheiten und Eigentmlichkeiten der Menschen zertrmmerten.”1144 Man hat nicht selten auf Grund solcher persnlichen ußerungen, wie auf Grund der systematischen Darstellung und Entwicklung des Staatsbegriffs in Hegels “Philosophie des Rechts” in ihm einen Anhnger und Verknder des reinen Machtstaatsgedankens gesehen – und insbesondere in der Hegel-Literatur des letzten Jahrzehnts ist diese Auffassung in steigendem Maße vertreten, ist geradezu die These aufgestellt worden, daß fr Hegel der gesamte Sinn der geistigen Kultur, der Sinn von Kunst, Religion und Wissenschaft in dem aufgehe, was sie fr die Strkung der Staatsmacht leisten. Aber diese These htte kaum der eingehenden Widerlegung bedurft, die ihr inzwischen zuteil geworden ist.2 Es kann nach manchen [Hegel, Bd. 7, S.] 135f[.] in Ms. [1] am rechten Rand Vgl. H e l l e r, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland (1921) und die Gegenargumente von G i e s e , Hegels Staatsidee und der Begriff der Staatserziehung [1926]. Fr das Folgende verweise ich, außer auf die Darstellung Fr[iedrich] M e i n e c k e s “Die Idee der Staatsrson in der neueren Geschichte[“] (1924), S. 427 ff.[,] insbesondere auf die neueste eingehende Errte1 2
der einzelnen Vlkerschaften nebst ihren Landstnden] in Ms. [1] ber der Zeile durch die Gewalt] in Ms. [1] danach gestrichen: vereinigt C in Eine Masse versammelt werden] in Ms. [1] danach gestrichen: sie mßten gezwungen werden, sich zu Deutschland gehrig zu betrachten. A B
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Grundbestimmungen A Hegels freilich den Anschein haben, als sei fr ihn das gesamte Sein des “objektiven Geistes” nicht nur unlslich mit der Wirklichkeit des Staates verknpft, sondern als B gehe es in dieser, in der Machtflle des Staates, auf und werde von ihr gewissermaßen aufgesogen. “Im Staate allein hat der Mensch vernnftige Existenz ... Alles was der Mensch ist, verdankt er dem Staat, er hat nur darin sein Wesen. C Allen Wert, den der Mensch hat, alle geistige Wirklichkeit hat er allein durch den Staat.” 145 “Der Staat ist die gttliche Idee, wie sie auf Erden vorhanden ist. Er ist so der nher bestimmte Gegenstand der Weltgeschichte berhaupt, worin die Freiheit ihre Objektivitt erhlt und in dem Genusse dieser Objektivitt lebt”[.]1147 Insofern gibt es fr Hegel auch keine ethische Norm, kein Sittengesetz, das schlechthin b e r dem Staat steht und sich zum Richter ber ihn aufwerfen kann. Der Staat selbst ist vielmehr die sittliche Substanz, und als solche “hat er sein Dasein d.i. sein Recht unmittelbar in einer nicht abstrakten, sondern in konkreter Existenz und nur diese konkrete Existenz, nicht einer der vielen fr moralische Gebote gehaltenen allgemeinen Gedanken kann Prinzip seines Handelns und Benehmens sein”.148 Daß Hegel hier an einer schmalen Grenze und an einer bedrohlichen D Klippe steht, – daß er in Gefahr ist, den Eigengehalt der reinen Sittlichkeit E der Omnipotenz des Staates zu unterwerfen: dies kann F nicht bestritten werden. Wir drfen es der klaren und sicheren Kritik, die G Friedrich M e i n e c k e , der Historiker der H “Idee der Staatsrson I ”[,] hier J gebt hat, ohne weiteres einrumen, daß auch Hegel gegen die Lockungen und Verlockungen dieser Idee nicht gefeit rung von Karl L a re n z , Staat und Religion bei Hegel. Ein Beitrag zur systematischen Interpretation der Hegelschen Rechtsphilosophie[. In:] Rechtsidee und Staatsgedanke, Festgabe fr Julius Binder, 1930, S. 243ff. 1 a) [Hegel,] Vorlesung[en] ber die Philosophie der Geschichte, Einleitung[,] SW [Bd.] IX, [S.] 49; vgl. die Ausgabe von Georg L a s s o n “Die Vernunft in der Geschichte”, 2. Aufl[age], 1920, S. 89ff. 146 Grundbestimmungen] in Ms. [1] statt gestrichenem: Stzen als] in Ts. [1] per Hand eingefgt C “Im Staate allein ... , er hat nur darin sein Wesen.] in Ms. [1] ber der Zeile auf rechtem Rand eingefgt D bedrohlichen] in Ms. [1] statt gestrichenem: gefhrlichen E der reinen Sittlichkeit] in Ms. [1] danach gestrichen:, der Kunst, der Religion zu verlieren und sie F dies kann] in Ms. [1] danach gestrichen: und soll G die] in Ms. [1] danach gestrichen: ein Historiker vom Range H der Historiker der] in Ms. [1] statt gestrichenem: in seinem Buche ber die I “Idee der Staatsrson] in Ms. [1] danach gestrichen: in der neueren Geschichte[”] J hier] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile eingefgt A B
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war A .149 Machiavellis Buch vom Frsten B hat auch auf ihn aufs strkste gewirkt: ja er ist derjenige moderne Denker gewesen, der die Staatslehre Machiavellis nicht nur ihrem reinen Bestand nach C als ein hartes Muß angenommen hat, sondern der sie mit einer Art Gloriole umwoben, der es unternommen hat, sie idealisch zu verklren und idealisch zu rechtfertigen.1 Machiavellis “Principe” wird nicht nur als die “hchst große und wahre Konzeption eines echten politischen Kopfs vom grßten und edelsten Sinn” gepriesen,150 sondern er gilt fr Hegel zugleich als Ausdruck und Beleg einer Grundanschauung, die er rckhaltlos annimmt: der Anschauung, daß die Sittlichkeit des Staates nicht die moralische, die reflektierte sein knne, wobei die eigene berzeugung waltet. “Diese ist mehr der modernen Welt zugnglich, whrend die wahre und antike darin wurzelt, daß jeder in seiner” – des Staates – “Pflicht steht.” 151 Dennoch lßt sich, wenn man das G a n z e des Hegelschen Systems betrachtet, nicht verkennen, daß der Ausbildung der Idee der Staatsrson und der Ausbildung des Machtstaatsgedankens innerhalb dieses Systems von Anfang an bestimmte Grenzen gezogen sind. Wenn D es fr Hegel darauf ankam, der alten ethisch-naturrechtlichen Theorie des Staates gegenber “die Wahrheit, die in der Macht liegt”, 152 zu entdecken und scharf zu betonen, so konnte er doch andererseits diese These nur darum durchfhren, weil fr ihn mit unverbrchlicher Sicherheit auch das umgekehrte Verhltnis feststand; weil alle echte E substantielle Macht ihm das Organon der Wahrheit, der Vollstrecker der Vernunft und der absoluten Idee war. Hegel hat niemals die Selbstndigkeit jener Sphre, die er die Sphre des “absoluten Geistes” nannte, aufgegeben, noch sie dem “objektiven Geiste”, als dessen hchste Manifestation ihm der Staat gilt, einfach preisgegeben. Vielmehr ist der objektive Geist F lediglich ein bestimmtes Moment in jener Entwicklung, die zu ihrem eigentlichen Ziel, zu ihrem wahrhaften Telos, erst im absoluten Geist gelangt.2 Insofern untersteht auch fr ber Hegels Stellung zu Machiavell vgl. jetzt auch die neueste Arbeit von Hans F re y e r “Ethische Normen und Politik”; Kant-Studien, Bd. XXXV, 1930, S. 99ff. 2 ber das Verhltnis des “objektiven” zum “absoluten” Geist bei Hegel vgl. jetzt besonders die treffenden Darlegungen von Karl L a re n z , a.a.O. S. 253ff. 1
nicht gefeit war] in Ms. [1] danach gestrichen: und daß er ihnen oft mehr als billig nachgegeben hat B Buch vom Frsten] in Ms. [1] statt gestrichenem: ›Principe‹ C nach] in Ms. [1] danach gestrichen: aufgenommen, sondern der sie D Wenn] in Ms. [1] statt gestrichenem: Denn E echte] danach in Ms. [1] gestrichen: wahrhaft F Geist] in Ms. [1] statt gestrichenem: Moment A
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Hegel alles staatliche Leben einer Norm, die nicht in ihm allein begrndet ist. Die Macht des Staates soll nicht lediglich seine e i g e n e Realitt, sondern in dieser und mittels ihrer die A Wirklichkeit eines Anderen sichern, auf das er in all seinem Streben hinzielt B. “Kunst und Wissenschaft sind die ideellen Weisen, in denen der Geist eines Volkes sich seiner bewußt wird; und das Hchste, was ein Staat erreichen kann, ist, daß in ihm Kunst und Wissenschaft ausgebildet sind, eine Hhe erreichen, die dem Geiste des Volkes entsprechend ist. Das ist der hchste Zweck des Staates, den er aber nicht als ein Werk hervorzubringen suchen muß, sondern er muß sich aus sich selbst erzeugen. Ein Volk hat viele Angelegenheiten der Wirklichkeit, es hat seine Gestalt, sein ganzes Inneres der Welt einzubilden, damit es sich selbst gegenstndlich sei; die wahre Weise aber, wie es sich gegenstndlich ist, ist die, sich zu wissen.”1153 Wo der Staat d i e s e Aufgabe C verfehlt, da ist er aus seiner eigenen Wirklichkeit bereits heraus. Mag er noch eine Zeitlang seine empirische Existenz in der empirischen Zeit fristen: die wahre Zeit, die Zeit der Weltgeschichte ist ber ihn hinausgeschritten und hat ihn von sich ausgestoßen. Fr Hegel gibt es kein Gericht ber die Einzelstaaten, das sie unter ußere Rechtssatzungen stellt und sie kraft D ihrer beurteilen und verurteilen kann. Es gibt, wie er immer wieder betont, “keinen Prtor zwischen Staaten”, der dem Einzelstaat sein Recht zumißt – und [“]die Kantische Vorstellung eines ewigen Friedens 154 durch einen Staatenbund, welcher jeden Streit schlichtete und als eine von jedem einzelnen Staat anerkannte Macht jede Mißhelligkeit beilegte[”], wird von ihm ausdrcklich abgelehnt.2155 Aber dies bedeutet nicht, daß der Staat schlechthin unumschrnkt, daß er jeglicher Jurisdiktion prinzipiell enthoben ist. Denn es gibt einen Gerichtstag, der auch ber ihn zuletzt gehalten wird. “Die Weltgeschichte ist das Weltgericht”. E Wie frh oder wie spt sie ihren Spruch fllt, gilt gleichviel – genug, daß dieser Spruch unausweichlich und unanfechtbar ist. Was [Hegel,] Vorlesung[en] ber die Philosophie der Weltgeschichte. (Ausg[abe] Lasson) [Bd.] 8, S. 628. 2 S[iehe] [Hegel,] Philosophie des Rechts[,] § 333 1
mittels ihrer die] in Ms. [1] danach gestrichen: Wirklichkeit, Verwirklichung und die B Streben hinzielt] in Ms. [1] statt gestrichenem: Machtstreben hinblickt und hinzielt C d i e s e Aufgabe] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: d i e s e n Ausblick D und sie kraft] in Ms. [1] danach gestrichen: usserer rechtlicher N[orm] E “Die Weltgeschichte ist das Weltgericht”] in Ms. [1] danach gestrichen: und sie entscheidet, ob ein Staat seine Wirklichkeit erreicht oder verfehlt hat A
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innerhalb des bloß empirischen Geschehens, innerhalb des zeitlichen Emporkommens und Verwelkens der Einzelstaaten als die “[‘]vernunftlose Notwendigkeit eines blinden Schicksals[’]” erschien, das erscheint in i h re m Lichte gesehen als die hchste Vernunft, als “[‘]Auslegung und Verwirklichung des allgemeinen Geistes.[’]”1157 Der Geist bleibt zuletzt der einzige und der hchste Richter ber die Wirklichkeit – eben weil er ihr nicht als eine fremde A Instanz gegenbersteht, sondern mit ihr identisch, weil er die Substanz der Wirklichkeit selbst ist. Aber B lassen Sie mich damit, meine Damen und Herren, diesen berblick ber die Wandlungen C der Staatsgesinnung und der Staatstheorie in der deutschen Geistesgeschichte beschließen. Drei Jahrhunderte sind in diesem raschen berblick an uns vorbeigezogen; Geister von ganz verschiedener Prgung haben zu uns gesprochen; Dichtung, Religion und Philosophie haben um die Lsung des großen Problems gerungen. So ist es denn auch kein einheitliches Bild des Staates, das uns hier entgegentritt; sondern sein Wesen, seine Form, sein Grundgesetz scheint jedesmal wie durch ein eigentmliches brechendes Medium gesehen und D gemß dieser Brechung verndert. Aber e i n s gibt es, was in dieser Entwicklung bestndig ist; das ist das heiße Bemhen um die Gewinnung eines sicheren theoretischen Fundaments E; das ist der Versuch, nicht nur ein Dasein im Staate zu haben und sich von ihm und seiner Wirklichkeit dahintragen zu lassen, sondern diese Wirklichkeit auch geistig zu verstehen und geistig zu begrnden, sie zu “befestigen in dauernden Gedanken”. 158 Man hat diese theoretischen Bemhungen des deutschen Geistes oft genug skeptisch beurteilt; ja man hat sie hart gescholten – man hat gemeint, daß die Deutschen in ihrem Streben, den Staat in Gedanken aufzubauen, darber allzu hufig die eigentlichen und nchsten realpolitischen Aufgaben verkannt htten F. Aber ein solcher Einwand bersieht G , daß kein kraftvolles Leben des Staates mglich ist, ohne ein einheitliches und Nheres hierzu bes[onders] bei Franz Ro s e n z we i g [,] “Hegel und der Staat”, Mnchen und Berlin 1920, [Bd.] II, [S.] 175ff. 156 1
fremde] in Ms. [1] danach gestrichen: und usserliche Aber] in Ms. [1] mit Absatzmarkierung: // Aber C Wandlungen] in Ms. [1] statt gestrichenem: Entwicklung D und] in Ms. [1] danach gestrichen: gewissermassen E theoretischen Fundaments] in Ms. [1] statt gestrichenem: g e d a n k l i c h e n Fundaments F verkannt htten] in Ms. [1] statt gestrichenem: unklar gewesen sein G bersieht] in Ms. [1] statt gestrichenem: verkennt A B
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kraftvolles staatliches A Bewußtsein – und daß dieses Bewußtsein B wiederum zum echten Selbstbewußtsein C nur heranreifen kann, wenn es sich zu einem Wi s s e n vom Staate, von seinem Grund D und seiner Bestimmung erhebt. In diesem Sinne ist nach Hegel der Staat die Wirklichkeit der sittlichen Idee; “der sittliche Geist als der o f f e n b a re , sich selbst deutliche substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollfhrt.”1159 Nur dort, wo in dieser Weise Denken und Tun, Wissen und Vollbringen sich verflechten E und sich miteinander durchdringen, kann aus diesen beiden Wurzeln heraus eine wahrhafte, ihrer selbst sichere Staatsgesinnung erwachsen. Die Philosophie kann sich freilich nicht vermessen, diese Gesinnung wie aus dem Nichts e r z e u g e n zu wollen; sie weiß, daß sie aus einem tiefen und unmittelbaren Lebensgrunde erwachsen und sich aus ihm stndig erneuern muß. Und es gbe keinen Bestand der Staaten, wenn sich nicht immer aufs neue das Wunder dieser Erneuerung vollzge. F Wer in den letzten Monaten einmal am Rhein gewesen ist, der hat, wenn er auch nur flchtig dort verweilte, dieses Gemeinschaftsgefhl, das uns heute so selten zu Teil wird, wieder einmal in seiner vollen Strke, in seiner ungebrochenen urwchsigen Kraft am Werke sehen knnen. G Als ich vor wenigen Wochen durch die Straßen von Mainz ging, da wurde ich aufs strkste ergriffen von diesem Gefhl. Noch war der Tag der Rumung H nicht gekommen – aber sie lag gewissermaßen in der Luft; sie erfllte alle Gemter und sie schuf eine neue seelisch-geistige Atmosphre. Alles war beseelt I von freudiger 1
[Hegel,] Rechtsphilosophie[,] § 257
staatliches] in Ts. [1] ber der Zeile hinzugefgt, in Ts. [2] im Fließtext dieses Bewußtsein] in Ms. [1] danach gestrichen: selbst C Selbstbewußtsein] in Ts. [2]: S e l b s t bewußtsein D Grund] ursprnglich in Ms.: Rechtsgrund E verflechten] in Ts. [2] ber der Zeile eingefgt F Und es gbe keinen Bestand ... Erneuerung vollzge.] in Ts. [2] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: Und in großen Momenten der Geschichte begibt sich immer wieder das Wunder dieser Erneuerung. Wir selbst stehen heute, wenn nicht alles tuscht, in einem solchen Moment – und wir wollen uns die Freude an ihm trotz allem, was uns bedrngt und was uns in uns selbst entzweit, nicht verkmmern lassen. G dieses Gemeinschaftsgefhl, das ... am Werke sehen knnen.] in Ts. [2] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: dieses Glcksgefhl eines ganzen Volkes nachempfinden und mitgenießen knnen. In Ms. [1]: nachempfinden und mitgenießen knnen statt gestrichenem: genossen und in sich aufgenommen und in sich nachempfunden H Rumung] in Ts. [2] per Hand statt gestrichenem: Befreiung I beseelt] in Ms. [1] statt gestrichenem: erfllt A B
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Erwartung und Spannung, und in diesem allumfassenden Gefhl lsten sich die Gegenstze, die sonst unser politisches Leben erfllen und die es so oft verhrten und verbittern. Der Streit der Klassen, der Parteien, der Konfessionen trat zurck: A alles atmete wieder dieselbe Lebensluft B. Freilich: eine solche Gesamtempfindung stellt sich leichter ein C in einem Augenblick, wo einer lang gehegten gemeinsamen Sehnsucht endlich ihre Erfllung wird, als im politischen Alltag und im politischen Tageskampf. Aber wenn es innerhalb desselben D schwerer ist, das echte Gemeinschaftsgefhl zu gewinnen und zu bewahren – so ist es dafr hier um so notwendiger. E In den Zeiten der Gefahr und der Not, der inneren Konflikte und Kmpfe ergeht F um so strker an uns alle der Ruf nach der Aufrechterhaltung des Bewußtseins der Solidaritt, – des Bewußtseins der gemeinsamen Verpflichtung und der gemeinsamen Verantwortung. Das Gebot, unter dem wir hier stehen, kann nicht prgnanter und berzeugender, nicht lebendiger und beschwingter ausgesprochen werden, als es H e r d e r in jenem Aufsatz, von dem ich frher sprach, in der Abhandlung “Haben wir noch das Publikum und Vaterland der Alten?”, die er den “Briefen zur Befrderung der Humanitt” eingefgt hat, G getan hat. H “Jeder, der auf dem Schiff in den flutenden Wellen des Meeres ist, fhlt sich zum Beistande, zur Erhaltung und Rettung des Schiffs verbuntrat zurck:] danach in Ms. [1] gestrichen: es schmolz dahin atmete wieder dieselbe Lebensluft] in Ts. [1] danach per Hand gestrichen: ; alles stand im Bann einer gemeinsamen ursprnglichen und urwchsigen Gesamtempfindung. C stellt sich leichter ein] in Ts. [1] danach per Hand gestrichen: in den Tagen des Glcks – D innerhalb desselben] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: hier E so ist es dafr hier um so notwendiger.] in Ts. [1] danach per Hand gestrichen: Denn geht es uns verloren, dann [in Ms. [1] danach gestrichen: lst unser staatliches Leben sich auf – dann] kehrt das Chaos wieder. F ergeht] in Ts. [1] danach per Hand gestrichen: daher G in der Abhandlung ... , eingefgt hat,] in Ms. [1] zwischen den Zeilen und an rechtem Rand hinzugefgt H in der Abhandlung ... getan hat.] in Ms. [1] statt gestrichenem Text: Wie Hegel in seinen theologischen Jugendschriften, so geht Herder, um eine Norm der echten Staatsgesinnung zu gewinnen, von dem Idealbild des antiken Staates aus. “Haben wir noch” – so fragt er in den “Briefen zur Befrderung der Humanitt” – “haben wir noch das Publicum und Vaterland der Alter?” Wir knnen – so antwortet er – dieses Vaterland, wenn es nicht in uns selbst unmittelbar lebendig und wirksam ist, nicht dadurch wiederzugewinnen und wiederzuerwecken hoffen, daß wir uns in die Vergangenheit versenken, – daß wir die Taten und den Ruhm der Vter in der Erinnerung, zu bloßem Bilde erneuern. “Ein mssigbesessener, von unseren Vorfahren trg-ererbter Ruhm macht uns bald eitel und unserer Vorfahren unwert ... Nicht was das Vaterland einst war, sondern was es jetzt ist, knnen wir an ihm achten und lieben ... [”] 160 A B
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den. Das Wort Va t e r l a n d hat das Schiff am Ufer flott gemacht; er kann, er darf nicht mehr (es sei denn, daß er sich hinausstrze und den wilden Wellen des Meeres berlasse) im Schiff, als wr er am Ufer, mßig dastehn und die Wellen zhlen. Seine Pflicht ruft ihn (denn alle seine Gefhrten und Geliebten sind mit ihm im Schiffe), daß, wenn ein Sturm sich emprt, eine Gefahr droht ... seine Pflicht ruft ihn, daß Er helfe und rufe. Leise oder laut, nachdem sein Stand ist, dem Bootsknecht, Steuermann oder dem Schiffer; seine Pflicht, die gesamte Wohlfahrt des Schiffes ruft ihn. Er sichert sich nicht einzeln; er darf sich nicht in den Kahn einer erlesenen Ufergesellschaft, der ihm hier nicht zu Gebot stehet, trumen; er legt Hand an das Werk, und wird wo nicht des Schiffes Retter, so doch sein treuer Fahrgenoß und Wchter.”1161 M[eine] D[amen] [und] H[erren]. A Das kraftvolle und starke Gefhl, das Herder in diese Stze zusammengepreßt hat: es muß auch heute wieder in uns lebendig werden. B Was von uns C verlangt wird – das ist nicht jene Gemeinsamkeit, die sich in der bereinstimmung der politischen Anschauungen D und in der bereinstimmung ber die nchsten politischen Ziele ausdrckt. Es geht um etwas anderes, um etwas Hheres und Schwereres: es geht darum, daß wir mitten im Kampf, in der Not und Wirrsal des Streites den gemeinsamen Endzweck E nicht vergessen, um dessentwillen es sich doch zuletzt allein zu leiden und zu streiten verlohnt. (Wir knnen und wir sollen uns nicht einzeln sichern, – uns nicht in den Kahn einer erlesenen Ufergesellschaft trumen;) F wir G drfen nicht abseits stehen, sondern wir sollen, fest im Mittelpunkt unseres staatlichen Seins beharrend, von diesem gemeinsamen Mittelpunkt aus nach verschiedenen Seiten und verschiedenen Richtungen wirken und arbeiten. Solches ttige Mitwirken, Mitarbeiten und Mitleben: dies allein ist auch die Forderung, die die Verfassung des deutschen Reiches an uns H e r d e r, Briefe zur Befrderung der Humanitt [5, Brief] 57, Werke (Suphan) [Bd.] XVII, [S.] 315 f. 1
Meine Damen und Herren.] In Ts. [1] am Zeilenanfang als Einschub markiert: // es muß auch heute wieder in uns lebendig werden.] in Ms. [1] am rechten Rand statt gestrichenem: es stellt auch heute wieder fr uns alle; es stellt vor allem fr Sie, liebe Kommilitonen, die eigentliche Pflicht [gestrichen: Aufgabe] dar C Was von uns] in Ms. [1] danach gestrichen: und von Ihnen D Anschauungen] in Ms. [1] statt gestrichenem: berzeugungen E Endzweck] in Ms. [1]: Zweck F (Wir ... trumen;)] Klammern in Ts. [1] per Hand gesetzt, in Ts. [2] fehlen sie G wir] in Ms. [1] danach gestrichen: sollen nicht feindlich oder mrrisch A B
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stellt. A Das Werk der Verfassung mag, als ein Werk der Not, B im einzelnen mangelhaft sein – im Ganzen wird es immer stehen bleiben als der lebendige Beweis dafr, daß das deutsche Volk in den Zeiten des furchtbarsten Druckes und der hchsten Gefahr seine innere Fassung bewahrt hat – und daß der Wille C zur Zusammenfassung in ihm nicht erstorben war. Aus solchem Willen heraus hat es in einem Augenblick D, in dem ihm fast jede Mglichkeit, nach außen zu wirken, versagt war, in sich selber den Mut und die Kraft zur Gesetzgebung gefunden. Es hat damit nichts anderes getan, als eine Grundkraft und ein Grundrecht jeder gebildeten Nation fr sich zu behaupten und in Anspruch zu nehmen. “Einer gebildeten Nation E ” – so hat H e g e l gegen S a v i g n y gesagt, der im Sinne der historischen Rechtsschule alles Recht auf die Vergangenheit gegrndet, F der Gegenwart aber G die rechtsbildende Kraft bestritten hatte –
die Forderung, die ... an uns stellt.] In Ms. [1] (Ms.-S. 49a) danach gestrichen: Sie beschrnkt uns nicht in den einzelnen Zielen und Zwecken; sie bindet uns nicht an ein fest umrissenes [gestrichen: starres] Programm. Wer ein solches eng begrenztes und starres Programm aus ihr herausliest – der hat sie nie wirklich gelesen und nie wirklich verstanden. [Gestrichen: Der eigentliche Sinn] Und doch sollte dieses Verstndnis nicht schwer sein – ist es doch im Grunde schon aus den ersten einleitenden Stzen der Reichsverfassung, die ihre Aufgabe und ihr Prinzip bestimmen, zu entnehmen. Gestrichener Text ersetzt (Ms.-S. 49) durch: Sie verlangt von uns kein Opfer der individuellen berzeugung – sie fordert nur, daß wir, neben und ber allen individuellen berzeugungen, eine fr alle verbindliche gemeinsame Rechtsnorm und eine gemeinsame staatliche und soziale Aufgabe anerkennen. Klar und unverkennbar ist dies schon in den ersten einleitenden Stzen der Reichverfassung ausgesprochen. Fo r t s [e t z u n g ] s [i e h e ] S . 4 9 a “Das Deutsche Volk” – so lauten diese ersten Stze –[,] “das Deutsche Volk, einig in seinen Stmmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern und zu befestigen, dem inneren und dem ußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu frdern, hat sich diese Verfassung gegeben.” 162 Damit ist in der Tat das Entscheidende und Wesentliche gesagt. Die Verfassung ist entsprungen aus dem Willen zur Einigkeit und aus dem Willen zur Selbstgesetzgebung – zu jener Selbstgesetzgebung, die nach der Lehre des tiefsten deutschen Denkers die Grundbedingung aller Freiheit ist. Ersatztext geht in Ts. [2] ein, hier aber in Bleistift wieder gestrichen und durch eckige Klammer als wegfallend markiert B , als ein Werk der Not,] in Ts. [2] per Hand ber der Zeile eingefgt C der Wille] in Ms. [1] statt gestrichenem: die Kraft und der Wille D einem Augenblick] in Ms. [1] statt gestrichenem: einer Zeit E “Einer gebildeten Nation] in Ms. [1] danach gestrichen und durch Auslassungszeichen ersetzt: oder dem juristischen Stande in derselben[”] F im Sinne ... auf die Vergangenheit gegrndet,] in Ts. [1] per Hand statt gestrichenem: in seiner Schrift “Vom Berufe unserer Zeit zur Gesetzgebung” 163 G aber] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile A
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“einer gebildeten Nation[”] A “die Fhigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen, wre einer der grßten Schimpfe, der einer Nation B angetan werden knnte.”1164 Diese Worte sind nicht aus einer Vorliebe fr die bloße Rechts f o r m e l heraus gesprochen, deren Wert Hegel wahrlich nicht berschtzt hat; – sie entspringen vielmehr aus der C berzeugung, daß es bei der Gesetzgebung D “nicht darum zu tun sein kann, ein System ihrem Inhalte nach n e u e r Gesetze zu machen, sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d.i. ihn d e n k e n d zu fassen.”2165 Und E diese Aufgabe der E r k e n n t n i s , der denkenden Erfassung – sie ist ja zuletzt auch die eigentliche und hchste Aufgabe, die die deutschen U n i ve r s i t t e n im Ganzen des staatlichen Lebens zu erfllen haben. Die deutschen Universitten sind keine politischen Organisationen und Institutionen – und sie drfen es niemals werden, wenn sie ihrem F Wesen treu bleiben, wenn sie sich selbst geistig G behaupten wollen. H Sie drfen niemals I bestimmten politischen Einzelzielen dienstbar und hrig werden; sie werden vielmehr ihre hchste Pflicht dem Staat gegenber nur dann erfllen, wenn sie sich zugleich des anderen Gesetzes, unter dem sie stehen, erinnern: des Gesetzes der Wa h r h e i t , die sie um keines andern, noch so hohen Interesses verkmmern lassen und von der sie sich nichts abdingen lassen drfen. Aber diese ihre Selbstndigkeit J bedeutet freilich nicht, daß sie sich dem Ganzen der staatlichen Gemeinschaft K entziehen, 1 2
[Hegel,] Rechtsphilosophie[,] § 211 ibid.
“einer gebildeten Nation”] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile hinzugefgt, in Ms. [1] gestrichen: einer solchen Nation B einer Nation] in Ts. [2] danach per Hand gestrichen: oder jenem Stande C aus der] in Ms. [1] danach ber der Zeile eingefgt und wieder gestrichen: systematischen D daß es bei der Gesetzgebung] in Ts. [1] zwei Zeilen tiefer: (Fortsetzung Seite 26), restliches halbes Ts.-Bl. 25 ist leer E Und] in Ms. [1] mit Absatzmarkierung: // Und F wenn sie ihrem] in Ms. [1] danach gestrichen: eigentlichen G sie sich selbst geistig] in Ms. [1] statt gestrichenem: sie das Recht der freien Forschung und Lehre als ihr eigentliches Palladium H behaupten wollen.] in Ts. [1] danach per Hand gestrichen: Sie knnen keine unmittelbaren Auftrge vom Staat empfangen – und I Sie drfen niemals] in Ms. [1] danach gestrichen: der auf Verfolgung J Aber diese ihre Selbststndigkeit] in Ms. [1] danach gestrichen:, diese ihre Autonomie dem Staat gegenber K der staatlichen Gemeinschaft] in Ms. [1] statt gestrichenem: des staatlichen Lebens A
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daß sie einen “Staat im Staate” 166 bilden sollen. A Vor dem Strom des andrngenden staatlichen Lebens knnen und wollen sie sich nicht B schtzen; noch sollen sie, in einem falschen Ideal “abstrakter” Erkenntnis, vor den konkreten C Problemen und Aufgaben, die aus ihm entspringen, zurckweichen D. Die Universitt ist freilich nicht die Sttte, an der die politischen Kmpfe zum Austrag gebracht werden knnen E; aber sie soll diese Kmpfe in ihrem Sinn und Ursprung zu ve r s t e h e n suchen F. Sie soll von den im Streite Begriffenen und in den Streit Verstrickten die Blindheit nehmen, die eine unmittelbare und schwere Gefahr bedeutet; sie soll sie ntigen G , sich selber und den Gegner, gegen den sie streiten H , zu sehen. I (Solche Klarheit des Sehens braucht dem Streit J nichts von seiner Schrfe zu nehmen, aber sie wird verhten, daß er in jene Gehssigkeit und Verbitterung ausartet, K die zuletzt alle Bande gemeinsamen L Wirkens zerschneidet M.) N So soll die Universitt, gerade we i l sie in der Allgemeinheit des Geistes steht, weil sie “universitas litterarum” ist und bleiben will, nicht mde werden, innerhalb ihres Kreises an O der Bewahrung des echten staatlichen Allgemeingeistes mitzuwirken. In seinen politischen Reflexionen stellt N o va l i s einmal die Forderung auf, daß es, wie es Verknder der Religion und des gttlichen Wortes gibt, so auch Verknder des Staates geben sollte. “Der Staat wird zu wenig bei uns ve r k n d i g t . Es sollte Staatsverkndiger, Prediger des Patriotismus geben. Jetzt sind die meisten Staatsgenossen auf einem sehr gemeinen, dem
bilden sollen.] in Ts. [1] danach gestrichen: Sie [in Ms. [1] gestrichen: wollen] knnen sich nicht, wie hinter chinesischen Mauern, B knnen und wollen sie sich nicht] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile eingefgt C konkreten] in Ms. [1] statt gestrichenem: andrngen[den] D zurckweichen] in Ms. [1] statt gestrichenem: die Augen verschließen E werden knnen] in Ms. [1] danach gestrichen: oder sollen F zu ve r s t e h e n suchen] in Ms. [1] danach gestrichen: sie soll die verschiedenen [gestrichen: Grundber[zeugungen]] Grundrichtungen, die meist in blinden G ntigen] in Ms. [1] statt gestrichenem: zwingen H gegen den sie streiten] in Ms. [1] statt gestrichenem: den sie bekmpfen I selber und den Gegner, gegen den sie streiten, zu sehen.] in Ms. [1] statt gestrichenem: und den Gegner zu s e h e n auch wo sie sich am schrfsten befeh[den] bzw.: und in dessen Sehen selber zu sehen und auch J Streit] in Ms. [1] statt gestrichenem: Kampf K verhten, daß er in jene ... ausartet,] in Ms. [1] statt gestrichenem: ihn nicht in [...] ausarten lassen L gemeinsamen] in Ms. [1] danach gestrichen: staatlichen M zerschneidet] in Ms. [1] statt gestrichenem: zerschneiden muss N (Solche ... zerschneidet.)] Klammern in Ts. [1] per Hand gesetzt O an] in Ms. [1] danach gestrichen: der Bildung und A
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feindlichen sehr nahekommenden Fuße mit ihm.” A167 Nun, meine Damen und Herren, – Prediger des Patriotismus in dem Sinne, in welchem N o va l i s es hier versteht und verlangt, knnen wir deutschen Hochschullehrer nicht sein und wollen wir nicht werden. Denn an uns ist es nicht, zu verknden B , sondern zu lehren, nicht zu berreden, sondern zu berzeugen. C Wovon ich Sie, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren] und D – insbesondere Sie, meine lieben Kommilitonen – durch meine heutigen Darlegungen zu berzeugen versucht habe, ist dies: daß der deutsche Geist in seinem stndigen Ringen um die Grundlagen der Staatstheorie und um die Grundlagen echter Staatsgesinnung sehr verschiedene, ja gegenstzliche Wege eingeschlagen hat – daß aber diese Verschiedenheit seiner Entwicklung und Selbstentfaltung keinen Abbruch getan hat, geschweige, daß sie die Einheit seines Wesens zerbrochen E und vernichtet htte. Denn diese Einheit liegt nicht im Gebiet des bloßen Denkens, sondern sie ist zutiefst im Willen verwurzelt. Wir brauchen uns auch hier nicht an ein Dogma zu binden, wir knnen der Mannigfaltigkeit der Erkenntnisse und der Bekenntnisse Raum schaffen und Freiheit gewhren, wenn nur durch alle diese Gegenstze F hindurch, der Wille zum Staat als solchem, und das heißt uns nichts anderes, als der Wille zum G a n z e n , unverkmmert und ungebrochen bleibt. G
“Der ... ihm.”] Anfhrungszeichen in Ts. [1] per Hand hinzugefgt. Handschriftliches Verbindungszeichen hebt Ende des Absatzes auf B zu verknden] in Ms. [1] statt gestrichenem: zu predigen, C Nun, meine Damen und Herren ... sondern zu berzeugen.] in Ms. [1] statt gestrichenem Text: Nun, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren] – Prediger des Patriotismus in d i e s e m Sinne knnen [gestrichen: und wollen] wir deutschen Professoren nicht sein [gestrichen: noch wollen wir es sein]. Wir wollen nicht verkndigen, sondern lehren; wir wollen nicht berreden, sondern berzeugen. Aber wenn anders es schon im Namen des Professors liegt, daß er nicht nur in [gestrichen: reiner] der blossen Forschungsarbeit aufgehen, sondern zugleich eine persnliche berzeugung vertreten und sich zu ihr bekennen soll, so drfen wir in diesem Bekenntnis auch den D meine Damen und Herren und] in Ts. [1] per Hand ber der Zeile eingefgt E zerbrochen] in Ms. [1]: gebrochen F Gegenstze] in Ms. [1] statt gestrichenem: Verschiedenheiten G bleibt.] In Ms. [1] eine Zeile tiefer zentrierter Trennstrich –––– A
DIE IDEE DES RECHTS UND IHRE ENTWICKLUNG IN DER M O D E R N E N P H I L O S O P H I E . 168 1. A E r s t e Frage: welchen A n t e i l hat die Geschichte der P h i l o s o p h i e an der Entstehung des Re c h t s und an der Entwicklung, an dem Wachstum und der Umbildung der Rechtsnormen. Knnen wir der Philosophie a l s s o l c h e r berhaupt einen e n t s c h e i d e n d e n , einen wahrhaft k o n s t i t u t i ve n Einfluss auf das Recht, auf seine Wirklichkeit und sein eigentliches L e b e n zusprechen? Oder besteht diese Wirklichkeit, dieses Leben nicht “an sich” – hat es nicht ein unabhngiges, ein schlechthin absolutes Sein, das vo r aller philosophischen Erkenntnis ist – das durch sie im besten Falle wiedergegeben, registriert und abgebildet werden kann, nicht aber vom philosophischen Gedanken e r z e u g t und durch ihn in seinen wesentlichen Grundzgen bestimmt werden kann. Diese Frage fhrt uns, wenn wir sie in Schrfe und in wissenschaftlicher Strenge stellen, bereits mitten hinein in die Grundfragen, in die eigentliche F u n d a m e n t a l f r a g e der Philosophie. Der uralte Gegensatz, der alle philosophische Betrachtung beherrscht, und der in der Geschichte der Philosophie immer wieder zum Durchbruch kommt, der Gegensatz von “Idealismus” und “Realismus” meldet sich alsbald zu Wort. Wie wir von der “Natur”, von der Welt der Dinge, berzeugt sind, daß sie ein objektiv-Bestehendes und objektiv-Gegebenes ist – daß der G e d a n k e ihr nicht ihr Sein giebt und ihr nicht ihre Struktur, ihre Gesetzlichkeit vo r s c h re i b t – sondern wie wir glauben, daß er ihre Gesetzlichkeit, ihre Struktur nur in sich aufnimmt, nur erkennend wiederholt, so scheint das Gleiche auch vom R e c h t zu gelten. Das Recht hat sein eigenes Sein, seinen eigenen Bestand: einen Bestand, den es nicht erst vom Gedanken e m p f n g t , sondern der ihm aus ganz anderen Quellen als der Quelle des Denkens zufliesst. Wie die Natur, so findet der Gedanke, da, wo er zuerst in der Geschichte der Menschheit entsteht, wo er als ein Selbstndiges und Neues hervortritt, immer schon das Recht als ein Fertig-Vorhandenes, als ein Gegebenes und Bestehendes, vor. Nicht e r hat es geformt; es ist geworden und gewachsen aus sich selbst; es wurzelt in der berlieferung, in der Geschichte, in der Sitte – und dieses Reich der Sitte, ja auch das der eigentlichen Sittlichkeit, der ethischen berzeugungen und Prinzipien; dies alles ist nicht auf reine E r k e n n t n i s gegrndet. Wir knnen es nicht aus reiner “Vernunft”, nicht bloss- r a t i o n a l begreiA
1.] ber der Zeile eingefgt
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fen: sondern je weiter wir seinen Ursprung zurckverfolgen und je tiefer wir ihn zu verstehen suchen, um so deutlicher zeigt sich uns, daß das Sein des Rechts und seine Form von anderen materialen Mchten beherrscht wird. Der historische U r s p r u n g des Rechts – so weit sich ber ihn etwas aussagen lsst – liegt nicht in der Erkenntnis, nicht in der Philosophie – sondern er liegt in der R e l i g i o n und noch weiter zurck im M y t h o s . Und keine Entwicklung, kein noch so grosser “Fortschritt” des Rechts scheint diesen Ursprung ganz verwischen und aufheben zu knnen. Der Gedanke wendet sich an die Wirklichkeit des Rechts, wie er sich jeder anderen Wirklichkeit zuwendet – er b e f r a g t das Recht, was es ist und woher es stammt; er sucht das Geheimnis seines Ursprunges und seines Sinnes zu entrtseln – aber er stsst damit, wie es scheint, zuletzt zu einer Schicht vor, die fr ihn selbst undurchdringlich ist. Er scheint die Fo r m des Rechts begreifen zu knnen; aber seine S u b s t a n z kann er nicht erschaffen und nicht aus sich selbst heraus bestimmen. Vor allem Denken und unabhngig von ihm giebt es ein gltiges Recht, ein Recht, das sich auf die Wirklichkeit der Geschichte und Politik, auf die realen Macht- und Herrschaftsverhltnisse grndet – ganz ebenso wie es vor allem Denken eine “Natur” mit den festen Formen, mit ihren Arten und Unterarten, mit ihren feststehenden A Regeln und Gesetzen giebt. B 2. Und doch ist der p h i l o s o p h i s c h e Gedanke bei d i e s e r Entscheidung, so notwendig und so selbstverstndlich sie auf den ersten Blick erscheinen mag, nicht stehen geblieben. Weder der Natur gegenber, noch dem Recht gegenber hat er diese Lsung vorbehaltlos und ohne Einschrnkung anerkannt. Vielmehr stehen wir eben hier an einem jener Punkte, an dem sich die Wege des “gemeinen Menschenverstandes” und des philosophischen Denkens, die Wege des ›common sense‹ von einander trennen. Es wrde zu weit fhren, diese Trennung, die schon in den Anfngen des philosophischen Denkens sichtbar wird, hier nach der Seite der N a t u r, nach der Seite des Problems der “Realitt der Aussenwelt” zu verfolgen. Wir verfolgen sie nur nach der Seite des Re c h t s hin. Und auch hier ergiebt sich das eigentmliche, das auf den ersten Blick hchst merkwrdige und erstaunliche Resultat: daß der philosophische Gedanke dort, wo er sich zuerst aus dem religisen Denken emporringt, wo er als eine selbstndige und ihrer selbst gewisse Macht hervortritt, den Anspruch erhebt, nicht nur das Recht, als ein zuvor-Gegebenes, e r k e n n e n , sondern Recht b e g r n d e n zu wollen. Dieses Hervorbrechen des Gedankens, diese Selbstbesinnung auf seine eigene Kraft, diese, A B
feststehenden] ber der Zeile statt gestrichenem: apriorischen Regeln und Gesetzen giebt.] in Bleistift am rechten Rand: Kant – Hegel
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wenngleich bedingte und langsame Lsung von den mythischen und religisen Voraussetzungen, stellt sich in vollendeter Klarheit und Bestimmtheit, in den ersten Jahrhunderten der g r i e c h i s c h e n P h i l o s o p h i e dar. Heraklit – ˜Œ als Naturordnung die zugleich Rechtsordnung ist 169 – “Bndigung” der mythischen Gewalten – Begriff des “Gesetzes“[.] A Hier mssen wir daher auch mit unserer Betrachtung einsetzen. Wir werden bei dieser Entwicklung nicht verweilen knnen, da unser Thema sich ausschließlich auf die n e u e re Zeit, auf die Epoche, die mit der Renaissance, mit dem 15. u[nd] 16. Jahrhundert beginnt, bezieht. Aber diese Leistung ist weder historisch zu verstehen, noch ist sie in ihrer s y s t e m a t i s c h e n Bedeutung zu wrdigen, wenn wir sie nicht auf die antike Gedankenarbeit zurckbeziehen, an die sie unmittelbar anknpft und von der sie dauernd ihre strksten Impulse empfngt. Die B re i t e dieser Wirkungen, dieses Nachlebens der antiken klassischen Philosophie in der Entwicklung der modernen Rechtsidee und des modernen Rechtsbewußtseins kann und soll hier nicht, auch nur entfernt, dargestellt [werden]: wir begngen uns, das Problem in e i n e m Namen zusammenzudrngen, der all seine verschiedenen Richtungen und Ausstrahlungen wie in einem Brennpunkt vereinigt. Die P l a t o n i s c h e I d e e n l e h re ist dieser Brennpunkt; sie ist der erste grundlegende B Ansatz und zugleich in gewissem Sinne bereits die klassische, die in sich vollendete Lsung des Problems der Mglichkeit einer philosophischen Grundlegung und philosophischen Rechtfertigung des Rechts. – 2. C Daß nicht alles Recht auf der blossen S a t z u n g beruht und daß es nicht mit dieser willkrlich-vernderlich ist – daß es neben und ber dem wandelbaren Recht, das der Ausdruck der jeweiligen Machtverhltnisse ist, ein anderes Recht giebt, das unwandelbar ist und das unerschtterlich in sich selbst beruht: d i e s e r Gedanke ist nicht erst von der griechischen Philosophie gedacht worden. Er wird geboren in der griechischen Tragdie – und er bildet eines der grossen Menschheitsthemen, um die die Tragdie in ihrer Entwicklung von Aeschylus zu Sophokles, von Sophokles zu Euripides ringt. Gegenber dem Recht, das lediglich aus der Satzung[,] aus der Verordnung, aus dem Willen des einzelnen Machthabers fliesst, kennt und verkndet die Tragdie eine andere, eine ewige D und unwandelbare Rechtsordnung. Sie b e n e n n t diese Ordnung noch mit dem Namen des hchsten Gottes, des Vaters der Gtter und Menschen, mit dem Namen des Zeus. Aber bei Aeschylos bereits beginnt Heraklit – ˜Œ ... Begriff des “Gesetzes”.] in Bleistift am rechten Rand der erste grundlegende] danach gestrichen: philosophische C 2.] mßte heißen: 3., irrige Zhlweise setzt sich bis zum Ende fort D ewige] statt gestrichenem: andere A B
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dieser Name, gegenber dem Glauben der griechischen Volksreligion und gegenber der Vorstellung, die uns in den Homerischen Gedichten entgegentritt, eine ganz neue Bedeutung anzunehmen. Jener Zeus, der bei Aeschylos als Hter und Verwalter A der ewigen Gerechtigkeit angerufen wird: er ist nicht mehr der alte Naturgott, der er ursprnglich gewesen ist.1 Er ist nicht mehr der Berggott oder Gewittergott – er ist keine Sondergottheit, die an eine ganz bestimmte Kultstelle gebunden ist – noch ist er auch nur der Eine allumfassende Himmelsgott. Er beginnt, sich von allem mythischen Beiwerk zu lsen – er steigt aus dem Mythos, der notwendig am Besonderen B , am rtlich und zeitlich-Einzelnen, am Temporren und Lokalen haftet, in eine andere Sphre empor. Der Glaube an das Walten einer unerschtterlichen und unverbrchlichen Rechtsordnung ersteht jetzt als ein n e u e r Glaube, der – gemss einem Prinzip, das durch die gesamte Religionsgeschichte hindurchgeht –, mit dem alten Gottes n a m e n , mit dem Namen des Zeus belegt wird. Es ist eine C einschneidende Wandlung der Gestalt D des Zeus, daß er, ursprnglich ein reiner Naturgott, jetzt als Hter und Verwalter E des Rechts in Anspruch genommen wird; ein Wandel, der tief in das Wesen der G o t t e s i d e e s e l b s t eingreift. Wilamowitz hat einmal in einem schnen Aufsatz diese Wandlung geschildert[,] wie Zeus, ursprnglich ein Naturgott, der Gott des B l i t z e s , und ein l o k a l e r Gott – sein Sitz ist der Olymp oder ein anderer Berggipfel, der denen, die ihn anrufen, unmittelbar vor Augen liegt – wie er zuerst bei H e s i o d zum Schirmherrn des Rechtes wird. “Dike die strafende Gerechtigkeit ist seine Beisitzerin u[nd] er straft die Missetaten der Sterblichen[.]”2170 Und d i e s e l b e Entwicklung steht in Sophokles vor uns. Auch wo Sophokles von Zeus spricht, spricht er von ihm als dem Verwalter der “ungeschriebenen Gesetze”[,] der eªæÆ Ø Ø. Dem geschriebenen Gesetz, das nichts anderes als der Ausdruck des Willens und der Willkr des Herrschers, des jeweiligen einzelnen Machthabers ist, setzt sich das ungeschriebene Gesetz entgegen. An d i e s e s Gesetz appelliert A n t i cf. Wilamowitz, Zeus. Vort[rag] d[er] Bibl[iothek] W[arburg] am linken Rand Vortr[ag] d[er] Bibl[iothek] Warb[urg] 1923/24 (ersch[ienen] 1926) auf linkem Rand 1 2
statt gestrichenem: Walter Besonderen] ber der Zeile statt gestrichenem: Individuellen und Partikularen C Es ist eine] danach gestrichen: tiefe D der Gestalt] ber der Zeile statt gestrichenem: im Namen E Es ist eine ... Hter und Verwalter] gestrichen, Streichung durch Punkte- und Strichellinie unter der Zeile wieder aufgehoben A Verwalter] B
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g o n e – und im Vertrauen auf seine, durch kein einzelnes Machtgebot zu erschtternde Sicherheit trotzt sie dem Befehl des Kreon:1 [“]ˇ ªæ Ø ˘ O, y ŒæÆ A
\ ØŒ ŒÆJ ˜Œ K Ø fl C J J ŒæªÆ \ W\ eªæÆÆ ˚ ƺ½ B C ØÆ Æ ÆØ N i \ ææÆ ƒ.[”] 171
bers[etzung] von Lewis Campbell –2 [“]How durst thou then transgress the published law? I heard it not from heaven, nor came it forth D From Justice, where she reigns with Gods below. Nor thought I thy commandment of such might E That one who is mortal thus could overbear The infallible F unwritten laws of Heaven[.”] G172 Das H ist ein neuer Glaube; der Glaube an ein Recht, das nicht aus menschlicher Willkr stammt, sondern bei den Gttern seinen Sitz hat – das aber auch von ihnen nicht schlechthin g e s c h a f f e n ist, sondern ein Etwas ist, das ihnen als selbstndige Macht gegenbersteht. Die ˜Œ ist ØŒ 173 bersetzen I – sie wohnt bei den Gttern und ist ihnen an Rang und Wrde gleich. Ja sie bertrifft sie an Kraft und Alter – ıØ ŒÆM æ AÆ æ!ıÆ, wie Platon es spter von der Idee des Guten sagt 174 – denn wenn es fr den Griechen J eine Genealogie der Gtter gibt, so gibt es fr jene Anschauung, die Sophokles in der Trag1 2
A
Ant[igone, ] 450[ff.] Ant[igone]
\] Einschubzeichen oder Pfeil in Bleistift, der von gegenber stehender eng-
lischen Version der Verse (Ms.-S. 6v) auf die griechische Fassung (Ms.-S. 7r) weist ˚ ƺ½] Großschreibung anstelle gestrichener Kleinschreibung C ØÆ Æ ÆØ N i \ ææÆ ƒ.] Danach gestrichen: ªæ Ø fl ª Œ! K, ºº\ "B ÆflÆ, Œ M z Uı \ . Dazu Hrsg.Anm. 175 D forth] allein in der Zeile darunter E might] allein in der Zeile darunter F infallible] in Bleistift darunter: fll G How durst thou ... unwritten laws of Heaven] steht ebenso wie: bers[etzung] von Lewis Campbell – gegenber (Ms.- Seite 6v) der griechischen Version (Ms.S. 7r) H Das] statt gestrichenem: 3. Und doch I bersetzen] am linken Rand J Griechen] Griechen, B
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die vertieft, keine Genealogie, keine Frage nach der Entstehung und Herkunft des Rechts. Nicht von gestern und nicht von heute ist das Recht, sondern es lebte immer und ewig – und Niemand weiss, woher es stammt: [“] ªæ Ø fl ª Œ! K, ºº\ "\B ÆflÆ Œ M z Uı \ [”] 175 [“]Not now and yesterday they have their being – But everlastingly, and none can tell The hour that saw their birth.[”] A176 3. Und dennoch zeigen gerade diese letzten Worte, in ihrer lapidaren Krze und in ihrer grandiosen Klarheit, noch eine Schranke der religisen Grundauffassung der grossen Tragiker, die von der P h i l o s o p h i e , sobald sie als selbstndige Geistesmacht auftrat, berwunden werden musste. Denn dieses Recht, das, unbegreiflich in seiner Entstehung und Geltung ber Gttern und Menschen thront, ist aber kraft dieser Unbegreiflichkeit selbst noch eine halb-mythische Macht und ein halb-mythischer Begriff. Sein Ursprung verliert sich im Dunkel der mythischen Vorzeit – seine Heiligkeit beruht nicht zuletzt auf diesem Dunkel, von dem es umgeben wird. Niemand kann hoffen, seinen ›Anfang‹ zu entrtseln; niemand darf auch nur nach seinem Anfang forschen und fragen. Das ist die echte S o p h o k l e i s c h e Stimmung – aber schon wenn wir einen Schritt weiter tun, wenn wir von Sophokles zu Euripides bergehen, fhlen wir uns in eine neue B Atmosphre, in eine vllig-andere geistige Welt versetzt. Denn Euripides s t e l l t die Frage, die Sophokles sich C in frommer Scheu verwehrt hatte. D Fr ihn ist die mythisch-religise Vorstellungswelt keine unmittelbar-bindende Macht mehr, die ihn gefangen hlt; er tritt ihr als Denker, mit bewusster K r i t i k , die bis zur Skepsis fortschreitet, entgegen. Seine Welt ist nicht mehr die alte Glaubenswelt; sondern sie ist vom Strahl der Philosophie getroffen und mit dem Licht der Philosophie durchdrungen. Und fr die g r i e c h i s c h e Philosophie ist es E, schon von ihren ersten F noch vorbereitenden Schritten an charakteristisch, daß sie immer und berall die Frage nach dem Anfang, nach der æ!# stellt. Sie lsst sich diese Frage weder der Natur gegenber, Not now and yesterday ... that saw their birth.] Zwischen griechische Verse und nchsten Textabschnitt eingefgt, teilweise auf dem rechten Rand B neue] unter der Zeile statt gestrichenem: vll[ig] C sich] ber der Zeile hinzugefgt D verwehrt hatte.] danach gestrichen: Er versucht sich die Pforten aufzureissen, in deren E es] ber der Zeile eingefgt, F von ihren ersten] danach gestrichen: Anfngen an A
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noch dem geistigen und sittlichen Sein gegenber verwehren. Sie fragt nach dem Anfang, nach der æ!L, des K o s m o s – und sie findet diesen A Anfang sei es in einem Stofflichen, sei es in einem unstofflichen Prinzip – in Wasser, Luft, Feuer, oder in dem Unendlichen, dem e Øæ des Anaximander, oder in der Zahl der Pythagoreer. Und die gleiche Frage wird jetzt auch fr das Recht gestellt. Was i s t es, B woher s t a m m t es, und worauf grndet sich sein Anspruch und seine Verbindlichkeit? Die Philosophie vor Platon hat auf diese Frage zwei verschiedene, einander diametral-entgegengesetzte Antworten gegeben. Die eine ist die s o p h i s t i s c h e , die andere ist die S o k r a t i s c h e Antwort. Die erstere, wie sie von allen bedeutenden Sophisten, von Protagoras, von Gorgias, u.s.f. gegeben wird, besteht darin, daß alles Recht aus blosser S a t z u n g stammt, – daß es der Gewohnheit, der Konvention, dem entstammt. Wie dieser , wie Sitte und Gewohnheit sich wandeln, so wandelt sich das Recht – und es ist vergeblich, es diesem Wandel entreissen, ihm ein zeitloses und ewiges Sein andichten zu wollen. —ø !æø æ e æø – der Mensch ist das Maß a l l e r Dinge 177 – und so ist er auch das Maß des Recht[s]. Dem Recht einen anderen “bermenschlichen” Ursprung andichten zu wollen ist blosse Chimre. Aber wie das Recht dem Herrschaftswillen des Menschen entsprungen ist, so wird es fr den, der es in seinem Wesen erkannt hat und der es gemss dieser Erkenntnis richtig zu behandeln und zu gebrauchen versteht, auch zu einem der wichtigsten Mittel zur B e h e r r s c h u n g der Wirklichkeit, als sozialer Wirklichkeit. Die Kunst, die ! dieses Rechtsgebrauches ist lehrbar – und die Æ, auf die die grossen Lehrer der Sophistik Anspruch erheben und die sie auf andere zu bertragen versprechen, besteht eben in der Technik dieses Rechtsgebrauchs. Wer diese Technik besitzt, der wird in jeder Beratung in der Volksversammlung und in jedem Rechtsstreit, den er zu fhren hat, ob er nun als Klger oder als Angeklagter zu Gericht erscheint, obsiegen. Das ist das Ziel, auf das die Weisheitslehre und die Rhetorik der Sophisten gerichtet ist. N Sø º ª Œæ ø Ø ƒ – den schwcheren “Satz” zum strkeren zu machen: 178 das ist die Kunst, die die Sophistik ihre Jnger zu lehren verspricht – und in dieser Kunst ist aller individuelle Aufstieg, aller politische und soziale Erfolg beschlossen. 4. Aber eben hier setzt nun der Widerspruch des Sokrates ein. Seine Frage geht nicht auf das, als was ein bestimmter Begriff – der Begriff des Gerechten, des Heiligen, des Schnen u.s.f. – in der Vorstellung der Menschen e r s c h e i n t , sondern er sucht nach dem unwandelbaren We s e n A B
findet diesen] statt gestrichenem: setzt diesen Was i s t es,] danach gestrichen: und worauf gr[ndet]
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dieses Begriffs, nach dem[,] was er i s t . Diese Frage nach dem Sein, nach der ursprnglichen und unwandelbaren Bedeutung, nach den f Ø des Begriffs stellt er fr das Gute, das Gerechte, das Schne. Sie alle – so behauptet er – grnden nicht nur in subjektiven Annahmen oder in willkrlichen individuellen Festsetzungen – sie haben ein wahres, ein in sich bestndiges und mit sich bereinstimmendes Sein. Wie Platon es im Theaitet ausdrckt: sie werden nicht auf- und abgezogen und hin- und hergezerrt in unserer individuellen Einbildung ($ºŒ Æ eø ŒÆM Œø C æCø ÆÆØ), sondern es kommt ihnen eine objektive Bestimmtheit[,] eine unvernderliche beharrliche Bedeutung zu.179 Und eine s o l c h e Bedeutung nimmt Sokrates vor allem fr das Re c h t in Anspruch. Was das Recht und was die Gerechtigkeit ist, – das fllt nicht mit der Summe der positiven Rechtssatzungen zusammen. Gemessen an dem “Sein” des Rechts, an seinem Begriff, an seiner inneren Wa h r h e i t knnen diese positiven A Rechtssatzungen vllig in Nichts zergehen – knnen sie sich als Ausdruck des hchsten U n re c h t e s erweisen.180 Jetzt handelt es sich also nicht mehr darum, N gø º ª Œæ ø Ø ƒ den Logos, als R e d e , durch rhetorische Kunstgriffe so lange hin und her zu wenden, daß man schliesslich jede gewnschte berzeugung in dem Hrer oder in dem Richter erwecken kann.181 Es handelt sich vielmehr darum B, den unwandelbaren, den in sich-bestimmten, den wahren und gltigen Logos zu f i n d e n – und wenn man ihn gefunden, ihn gegenber der Welt des Scheins, innerhalb derer sich das Leben und Treiben der Menschen gemeinhin bewegt, zur Geltung zu bringen. Das ist die ewige Mahnung des Sokrates: das wahre Sein, das was “ist” und was in diesem seinen Sein als ein Unvernderliches zu denken ist, zu scheiden von der blossen Vorstellung und Meinung – das von Natur Geltende, den
Ø i von der Vermischung mit dem bloss-Konventionellen, der Gewohnheit und dem Herkommen, zu trennen. Das Ø ŒÆØ setzt sich dem blossen , als dem Inbegriff der Sitte, der Gewohnheit und berlieferung e n t g e g e n , es fordert diese Sitte, es fordert den selbst vor seinen Richterstuhl, um ihn entweder zu besttigen oder zu verwerfen. 5. Es ist eine wahrhaft gedankliche und sittliche Re vo l u t i o n , die Sokrates mit dieser Forderung, mit dieser Entgegenstellung des “an sich Gerechten”, des Ø ŒÆØ, gegen den C vollzieht. Diese Revolution greift den in seiner Wurzel an: als t h e o re t i s c h e s Begrndungsprinzip, wie er bei den Sophisten erscheint, und in seiner p r a k t i positiven] ber der Zeile eingefgt darum] ber der Zeile eingefgt C gegen den ] danach gestrichen: auf den die Sophisten das Recht grnden A B
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s c h e n Bedeutung und Verbindlichkeit. Von hier aus erhlt die Anklage, daß Sokrates “neue Gtter” einfhrt, ihre innere Berechtigung und Wahrheit.1182 Hier liegt auch das Entscheidende fr Platon. Sokrates ist fr Platon n i c h t der Lehrer in irgend einem abstrakten, theoretischen Sinne gewesen. Er, der nicht vom Wissen, sondern vom Nicht-Wissen ausgeht, vermochte Platon keine bestimmte theoretische Lehre zu vermitteln. Was auf Platon wirkte, ist nicht irgend eine l o g i s c h e Leistung des S[okrates] – auch die Sokratische Lehre vom Begriff, vom Ø, wird verkannt, wenn man in ihr eine rein logische, eine e r k e n n t n i s t h e o re t i s c h e Leistung in dem spteren Sinne des Wortes, sieht – sondern die neue Forderung, die in seinem Gedanken des Rechts, als eines an Sich Seienden, liegt. Platon denkt diesen Gedanken z u E n d e : er entwickelt die Forderung des ÆN ŒÆ \ Æ in seinen letzten Konsequenzen – u[nd] an diesem “zu Ende Denken” ersteht ihm das Ganze seiner Ideenlehre. Aus dem[,] was bei Sokrates in der Form des Tu n s , des unmittelbaren W i r k e n s gegenwrtig und lebendig war, ersteht bei Platon eine universale P h i l o s o p h i e : ein Wissen, das aus einer praktischen Gewissheit, aus dem “Gewissen” quillt. Fr den Griechen gehen auch s p r a c h l i c h beide Bedeutungen unmittelbar in einander ber: das Wort ı Ø bezeichnet zugleich das theoretische und das ethische Bewusstsein (consciousness of his own perceptions and thoughts – and the conscionsness of right A and wrong 183). Die vo l l e Verwirklichung des Sokratischen Gedankens und der Sokratischen Forderung des “an sich Gerechten” aber sah Platon nicht in Sokrates’ Leben und Lehre sondern in seinem To d e vor sich. Er ist, fr das Werden seiner Persnlichkeit und fr das Werden seiner Philosophie, der entscheidende, der eigentlich-zndende Punkt. An Sokrates’ Tode geht fr Platon die neue Gedankenwelt und die neue sittliche Welt auf, in der er fortan B steht und lebt. Es ist kein Zufall, daß seine ersten Schriften, daß insbesondere der Dialog, der die Platonische Republik in nuce enthlt (der Gorgias) C, sich ganz um diesen einen Punkt bewegt – u[nd] daß auch der Phaedon die logisch-methodische Entwicklung der Ideenlehre an das Sterben des Sokr[ates] anknpft. Sokrates[’] Tod ist die letzte entscheidende P ro b e gewesen: die berfhrung dessen, was Sokrates gedacht[,] was er als Erster in voller Schrfe b e g r i f f e n hat, in die unmittelbare Wirklichkeit, in Leben und (zu cit[ieren] das Urteil von H e g e l in den Vorl[esungen] ber Gesch[ichte] der Philosophie[)] 1
right] wright fortan] fortan, C (der Gorgias)] ber der Zeile A B
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Tat. Hier treten die beiden Begriffe des “Gerechten” unmittelbar einander gegenber. Der Konflikt zwischen jener Gerechtigkeit, die Sokrates meint und die er verkndet hatte, und den Staatsgesetzen wird offenbar. Sokrates stirbt, weil er sich dem Staat, weil er sich dem widersetzt hat, weil er i h n e n gegenber “neue Gtter” behauptet und verehrt – aber dieser sein Untergang ist zugleich der Aufgang einer neuen Macht, die sich ber die Sphaere des Staates und des “positiven Rechts” erhebt. Sokrates lehnt es ab, diese neue Macht g e g e n den Staat zur Geltung zu bringen und durchzusetzen. Er ist revolutionr; aber seine revolutionre Tat verbleibt in der rein-ideellen Sphaere; sie will nach innen, nicht nach aussen wirken. Im usseren Tun beugt er sich dem Spruch der Richter: die Autoritt, die Wrde des Gesetzes muß aufrecht erhalten und anerkannt werden, auch wo der Richter gefehlt hat. Aus dieser Anerkennung heraus verwirft Sokrates die Flucht aus dem Gefngnis. Hier bleibt eine klare und scharfe Grenzscheidung zurck: eine Scheidung, die sich vielleicht am besten mit den Goethischen Worten im Faust bezeichnen lsst: [“]Der Gott, der mir im Busen wohnt Kann tief mein Innerstes erregen – Der ber allen meinen Krften thront Er kann nach aussen nichts bewegen –[”] 184 Sokrates gehrt zu den philosophischen und ethischen Geistern, die unmittelbar n a c h a u ß e n nichts bewegen knnen, ja nichts bewegen wollen – weil ihr ganzes Ansehen nur auf das Innen, auf die G e s i n n u n g , aus der das Handeln quillt, abzielt. Hier setzt seine Frage und seine Forderung ein, und nur durch die Umschaffung der G e s i n n u n g und des G e d a n k e n s , durch ein Æ ƒ kann er mittelbar in die Welt der Wirklichkeit, der empirischen Dinge und Geschehen eingreifen. 6. Aber damit ist nun ein neuer Ansatz gegeben, der seine volle Kraft erst bei P l a t o n entfaltet. Platon geht von Sokrates[’] ethischer Problemstellung, von s e i n e r Frage nach dem “Wesen” des Schnen, des Heiligen, des Gerechten, des Tapferen aus. Und seine frhen Dialoge bewegen sich noch ganz um solche Einzelfragen (der Eutyphron fragt nach dem Wesen des UØ, der Laches nach dem Wesen der æ Æ u.s.f.)[.] 185 Aber der Beginn der eigentlichen, der s e l b s t n d i g e n Platonischen Philosophie liegt darin[,] daß dieses Sokratische Au s g a n g s problem eine universelle Au s we i t u n g erfhrt. Auf der einen Seite i n n e r h a l b der Ethik: Platon hat es nicht mehr mit e i n z e l n e n ethischen Begriffen (mit dem Wesen der Tapferkeit, des Maßes (ø æ), der Heiligkeit[)] zu tun, sondern sein Ziel geht auf das “Gute” s c h l e c h t h i n . In
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der Republik erscheint die Idee des Guten als die hchste Idee. Sie nimmt im Reich des Unsichtbaren dieselbe Stelle ein, die der S o n n e im Reich des Sichtbaren zukommt: sie ist der letzte Realgrund und der letzte Erkenntnisgrund fr alles Seiende.186 Aber mit dieser Weitung des e t h i s c h e n Horizonts vollzieht sich nun in Platon eine neue entscheidende Wendung. Er entdeckt den g l e i c h e n Gegensatz, denselben entscheidenden W i d e r s t re i t , den Sokrates im Gebiet der sittlichen Begriffe und des sittlichen Handelns aufgezeigt hat, innerhalb des t h e o re t i s c h e n Gebiets, innerhalb des Gebietes der reinen Erkenntnis. Auch das Wesen der Erkenntnis lsst sich nicht verstehen, auch der Sinn des reinen W i s s e n s lsst sich nicht erfassen, wenn man nicht ebendieselbe scharfe Trennung, die Sokrates an dem Problem der Sittlichkeit durchgefhrt hatte, fr das Problem des L o g i s c h e n fruchtbar macht. K a n t hat die Unterscheidung der “Phaenomena” und “Noumena”, des mundus sensibilis und des mundus intelligibilis als die eigentlich k l a s s i s c h e Scheidung in aller Philosophie bezeichnet. Diese “klassische” Scheidung ist von Sokrates fr das Gebiet der e t h i s c h e n Probleme vollzogen worden: aber erst P l a t o n hat sie auf das Ganze der Welterkenntnis, auf das Ganze der Philosophie bertragen. Es ist merkwrdig und es ist fr die ganze knftige Entwicklung der Philosophie denkwrdig, daß hierbei der R e c h t s idee die Fhrung zufllt. Aus einer neuen Konzeption der Rechtsidee entwickelt sich eine prinzipiell-neue Auffassung des E r k e n n t n i s p ro b l e m s . Der Gegensatz zwischen dem, was die Gerechtigkeit an sich “ist” und bedeutet – und ihrer jeweiligen empirischen Ve r w i r k l i c h u n g – dieser Gegensatz, der durch den Tod des Sokrates seine unvergleichliche symbolische Ausprgung erhalten hatte – greift weiter. Er zeigt die Kluft, die allgemein zwischen der Welt der D i n g e (der æªÆÆ) u[nd] der Welt der reinen Ve r s t a n d e s b e g r i f f e , der º ªØ, besteht. Beide sind streng und schlechthin von einander getrennt. Die Platonische Zweiweltentheorie nimmt vom Ethischen ihren Ausgang – allein sie vollendet sich erst, indem sie vom Ethischen auf das M a t h e m a t i s c h e zurck- und bergreift. Auch im Mathematischen zeigt sich dieselbe Doppelheit und derselbe Zwiespalt. Wie der Idee des Rechts u[nd] der Gerechtigkeit, in der Art wie der reine Logos sie denkt und denken muss, in der e m p i r i s c h e n Menschenwelt nichts entspricht, wie ein niemals zu beseitigender Abstand ist zwischen dem[,] was das Recht als solches f o r d e r t [,] und der E r f l l u n g dieser Forderung in der empirischen Wirklichkeit der “Gesetze”[;] – so gilt das Gleiche auch in der Mathematik. Auch hier ist der in Sande hingezeichnete Kreis nie der “wahre” Kreis, wenngleich er sich irgendwie auf diesen wahren Kreis bezieht und einen “Hinweis” auf ihn enthlt –
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die vom Drechsler gedrehte hlzerne Kugel erreicht nie die wahre, die geometrische Kugel[.] Damit erst stellt sich der Gegensatz zwischen “Idee” und “Wirklichkeit”, zwischen den º ªØ und den æªÆÆ, zwischen der “intelligiblen” und der “sichtbaren” Welt in seiner ganzen Weite und in seiner ganzen Schrfe vor uns hin. A Auch b i o g r a p h i s c h lsst sich dieser Weg bei Platon verfolgen. Es ist der Weg vom Gorgias zu Menon. Der Gorgias ist der erste der großen systematischen Dialoge. Er ist noch ganz erfllt und ganz durchzittert von dem e i n e n grossen Erlebnis, das der Anstoß der Platon[ischen] Philosophie wird; von der Erinnerung an den Tod des Sokrates. Das Problem der Erkenntnis, das eigentlich l o g i s c h e Problem ist hier noch nicht gestellt, oder es bleibt ganz im Hintergrund. Aber schon im wahrscheinlich B nchsten Dialog, im Menon, steht es ganz im Mittelpunkt, im B re n n p u n k t der Platon[ischen] Lehre.187 Der bergang lsst sich erklren: denn zwischen Gorgias und Menon liegt aller Wahrscheinl[ichkeit] nach die erste grosse Platonische Reise, die ihn mit den P y t h a g o re e r n in Unteritalien zusammenfhrt. Hier erst geht ihm das Grundproblem seiner Erkenntnislehre[,] das Problem der M a t h e m a t i k auf. Und aus der Verschmelzung beider Probleme: aus einer S y n t h e s e zwischen der Sokratischen u[nd] der Pythagoreischen Philosophie ergiebt sich die Platonische Ideenlehre. In der Entdeckung des “Idealismus” – das ist das wesentliche Ergebnis aus diesen Erwgungen – kommt der R e c h t s i d e e die F h r u n g zu; schon hier in den A n f n g e n herrschte jenes Verhltnis, das Kant als den ”Primat der praktischen Vernunft” bezeichnet hat.188 7. Die A n t i t h e s e zwischen dem “geschriebenen” u[nd] dem “ungeschriebenen” Recht, die fortan durch die Geschichte der Philosophie u[nd] der Rechtswissenschaft hindurchgeht, hat ihren klassischen, ihren fr alle Zeiten verbindlichen Ausdruck im Anfang der Platonischen Republik gefunden.189 Dieses e r s t e Buch gehrt allem Anschein nach einer frheren Periode, als die mittleren und letzten Bcher an – aber es enthlt bereits die Keimzelle, aus der das Ganze der Platon[ischen] Philosophie erwachsen ist. Die entscheidende Frage ist hier gestellt. Die vllige, die vorbehaltlose Unterordnung des Rechts unter die Macht: das ist die These, die die S o p h i s t i k – hier in der Person des Thrasymachos dargestellt – vertritt. Alles Recht fliesst aus der Macht und hat keine andere Quelle als sie. Es giebt hier keine Einschrnkung und keinen Vorbehalt. Wer die Macht besitzt, der besitzt damit eo ipso das Recht – denn das vor uns hin.] Fr nachfolgendes Einschubzeichen L findet sich (Ms.-S. 17r) kein Einschubtext B wahrscheinlich] ber der Zeile eingefgt A
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Recht ist nichts anderes, als der Anhang, der ußere Ausdruck, der Corollarum der Macht; es ist gewissermassen der Schatten der Macht. Daher ist es vergeblich, den Machthaber durch Vorschriften, durch irgendwelche angebliche bergeordnete s i t t l i c h e Normen beschrnken zu wollen. Er stßt alle diese angeblichen Bindungen unwillig von sich; er wirft sie wie ein Nichts zur Seite u[nd] aus dieser Verwerfung quillt fr ihn erst das Vollgefhl und Hochgefhl der absoluten Machtvollkommenheit. – Thrasymachos[’] Def[inition] – das Gerechte ist nichts anderes als das dem Strkeren Zutrgliche1190 – A Justice is nothing than the interest of the stronger[.] 191 Aber P l a t o n begegnet dieser Trunkenheit des Machtgefhls mit einer einfachen Wendung. Er projiciert mit e i n e m Schlage das Problem auf eine vllig andere Ebene. Sein ganzes Absehen ist, insbesondere in der Republik, auf die u s s e re Ordnung des Gemeinschaftslebens, auf die Organisation des Staates und der Gesellschaft gerichtet. Aber eben diese Frage kann nach ihm nicht gelst und nicht entschieden werden, ohne die Frage nach der i n n e re n Beschaffenheit und der i n n e re n Verfassung des Staates. D i e s e Frage drckt Platon in der Form aus, daß er nach der S e e l e des Staates fragt. Er zuerst schafft und entdeckt diesen Begriff der Staats s e e l e . Die Frage nach dem Staats k r p e r – nach dem Ganzen der usseren staatlichen E i n r i c h t u n g e n , nach seinem juristischen und sozialen Aufbau – dies alles lsst sich nicht beantworten, wenn man sich nicht zuvor von der S e e l e des Staates den rechten Begriff gemacht hat. Und die Seele des Staates: das heisst nichts anderes als ein Te l o s – als der Zweck und die Bestimmung, um derentwillen er ist. Diese B e s t i m m u n g liegt in der ØŒÆØ, in der Gerechtigkeit. Und so wird die Gerechtigkeit zur Seele des Staates. Platons Wort, daß das We s e n der Seele nur im S t a a t e erkannt werden kann: denn hier allein sei sie “in g ro s s e r S c h r i f t ” geschrieben! B192 Der Staat ist um der Gerechtigkeit willen, nicht die Gerechtigkeit um des Staates willen – so wahr der Krper um der Seele willen, nicht die Seele um des Krpers willen ist. Das ist die neue einzigartige S y n t h e s e , die schon der Platon[ische] Gorgias vollzieht, – und die in der Republ[ik] weiter ausgefhrt 1
Staat[, St.] 338
Justice is ... of the stronger.] Es folgt 1 leeres Bl. 19 (Ms.-S. 19r/v), Text findet argumentative Fortsetzung auf nachfolgenden 3 Bl. (Ms.-S. 20r/v – 22 r/v) B Platons Wort, ... “in g ro s s e r S c h r i f t ” geschrieben!] am linken Blattrand vermerkt A
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und weiter begrndet wird. Aus ihr heraus gelangt Platon zu dem Satz, mit dem er die gesamte bisherige griechische Kultur und die griechische Ethik aus den Angeln zu heben scheint – zu jenem Satz, in dem er mehr als irgendwo sonst, als Vorlufer des C h r i s t e n t u m s erscheint. Es sind zwei verschiedene, aber innerlich zusammengehrige und sich ergnzende Stze, in denen dieser Z[u]s[ammen]h[ang] am klarsten hervortritt. Der eine, daß Unrecht leiden besser ist als Unrecht tun – der andere: was hlfe es Dir, wenn Du die ganze Welt gewnnst u[nd] nehmest doch Schaden an Deiner Seele? Beide in Gorgias – 193 Kallikles verkndet das Recht der Natur – und dieses ist das Recht des S t r k e re n . –1 Fr A den Strkeren giebt es keine Einschrnkung durch die k o n ve n t i o n e l l e n sittlichen Gebote – Wenn die Strkeren sich zu Herren ber die Schwcheren aufwerfen[,] “so tun sie dieses der Natur gemss und beim Zeus auch dem Gesetze gemss, nmlich dem der Natur; aber freilich vielleicht nicht nach dem, welches wir selbst willkrlich machen, die wir die Besten und Krftigsten unter uns gleich von Jugend an, wie man es mit dem Lwen macht, durch Besprechung gleichsam und Bezauberung knechtisch einzwngen indem wir ihnen immer vorsagen, Alle mssen gleich haben, u[nd] dies sei eben das Schne u[nd] das Gerechte. Wenn aber, denke ich, einer mit einer recht tchtigen Natur zum Manne wird: so schttelt er dies alles ab, reisst sich los, durchbricht und zertritt alle unsere Schriften und steht auf offenbar als unser Herr ... und eben darin leuchtet hervor das Recht der Natur”[.] 194 engl[ische bers[etzung]2 [“]Nature, in my opinion, herself proclaims the fact that it is right for the better to have advantage of the worse and the abler of the feebler. It is obvious in many cases that this is so, not only in the animal world but in the states and races ( ƃ º Ø ŒÆM ƒ ª Ø) 195 collectively of men – that right has been decided to consist in the sway and advantage of the stronger over the weaker ... For by what manner of right did Xerxes march against Greece or his father against Scythia? Or take the countless other cases of the sort that one might mention. Why, surely, these men follow nature ... in acting thus, yes, on my soul, and follow the law of nature, though not that, I dare say, which is made by us ... But, I fancy, [Gorgias,] [St.] 483 [Gorgias,] [St.] 483D bers[setzt] von L a m b London (Heinemann) 1925 am linken Rand 1 2
A
Fr] Ab hier Text in schwarzer anstatt in blauer Tinte geschrieben
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when some man arises with a nature of sufficient force, he shakes off all that we have taught him, bursts his bonds and breaks free, he tramples underfoot our codes and juggleries, our charms and laws, which are all against nature, our slave rises in revolt and shows himself our master, and there dawns the full light of natural justice.” 196 S o k r a t e s’ These1 [“]In my opinion the wrongdoer or the unjust is wretched anyhow; more wretched, however, if he does not pay the penalty and gets no punishment for his wrongdoing, but less wretched if he pays the penalty A and meets with requital B from god and men[.][”] 197
denn alle Ungerechtigkeit verdirbt die S e e l e – u[nd] die Heilung der Seele kann nur durch die Strafe erfolgen[.] 1
A B
Gorgias[, St.] 473
penalty] ber dem Wort sind Lautzeichen zur korrekten Aussprache vermerkt requital] ber dem Wort sind Lautzeichen zur korrekten Aussprache vermerkt
R E C H T S P R O B L E M – VERHLTNIS ZUM GOTTESPROBLEM
1) M i t t e l a l t e r l [i c h e ] Vo r g e s c h i c h t e Grundlegende Frage, ob das Recht auf dem Wi l l e n Gottes beruht, aus ihm allein fliesst und aus ihm ausschliesslich seine Gltigkeit ableitet – sodaß dieser Wille der G r u n d des Rechtes ist, fr ihn selbst aber kein weiterer Rechtsgrund, keine Legitimation zu finden oder auch nur zu s u c h e n ist[,] A oder ob die Idee des Rechts einen bestimmten, objektiven Gehalt und Sinn hat, der dem gttlichen Willen vo r g e o r d n e t ist, sodaß dieser Wille nur dann legitimiert, nur dann selbst “gerecht” ist, wenn er dieser vorgeordneten Regel folgt[.] Das “Recht an sich” fliesst alsdann aus der “Vernunft an sich” – u[nd] diese Vernunft stammt nicht aus einem Willen[s]- u[nd] Willkrakt, sondern sie ist im unvernderlichen S e i n Gottes gegrndet. – Wir verfolgen die einzelnen P h a s e n dieses Gegensatzes[:]
A) Au g u s t i n und T h o m a s – Augustin: Tendenz der gttlichen All- M a c h t ; diese das e n t s c h e i d e n d e Motiv seiner Gotteslehre – Dabei Aufhebung der “Materie” als eines selbstndigen Faktors, der n e b e n Gott steht u[nd] aus dem Gott die Welt geformt hat – Die Materie wird zum nihil n e g a t i v u m , nicht zum blossen nihil privativum[,] mit dem Gedanken der S c h p f u n g aus N i c h t s , der in der griech[ischen] Philosophie keine Stelle hat, wird vlliger Ernst gemacht. Und dieser Gedanke der “Schpfung aus Nichts” wird jetzt konsequent auch auf die i d e e l l e Sphaere bertragen. So wenig Gott die Materia als selbstndige Realitt sich “gegenber” hat – so wenig giebt es ein selbstndiges “Ideenreich”, das ihn bindet – Bei Platon blickt der Demiurg auf die Idee des Guten hin; er schafft die Welt, den sichtbaren Kosmos, nach dem Vorbilde, dem Ææ ØªÆ des Guten – aber die Idee des Guten ist selbst n i c h t von ihm geschaffen; sie ist ewig, unzeitlich[,] unentstanden u[nd] unvergnglich – A
zu s u c h e n ist,] danach eine Zeile leer
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Damit ist der Kategorie der Schpfung von Platon von vornherein eine bestimmte G re n z e gesetzt – Aber Augustin hebt diese Schranke auf: er verkndet die unumschrnkte Majestt des christl[ichen] Schpfergottes[.] Er ist Schpfer der Wirklichkeit u[nd] Schpfer des Ideenreiches – somit auch Schpfer der Sittlichkeit[;] er kann durch keinen Willen u[nd] durch kein sichtbares oder unsichtbares, intelligibles oder sinnl[iches] Sein beschrnkt werden – denn er ist der Ursprung des Sichtbaren wie des Unsichtbaren[.] A
Politische Theorien (M i t t e l a l t e r )1 A) Gedanke der O m n i p o t e n z des Staates bzw. der K i rc h e theoretisch beruhend auf dem Grundgedanken der E i n h e i t – Die vollkommene Verfassung kann nur die sein, die die h c h s t e Einheit besitzt – in e i n e m Punkte konzentriert ist. Ableitung aus dem ^transszendenten& Gottesbegriff – Gott b e r der Welt als intelligentia supramundana – Gott verhlt sich zur Welt wie die E i n h e i t zur V i e l h e i t , wie æÆ zu e Øæ[,] wobei die V i e l h e i t (Eleatisch-Platonisch) als das Mindere, das Unvollkommene erscheint[.] Von hier aus wird (politisch-sozial) die Zusammenfassung der Gesamtheit in E i n e hchste Spitze gefordert – mag als diese Eine Spitze nun die Kirche oder der Staat erscheinen[.]2 B [“]omnis multitudo derivatur ab uno et ad unum reducitur[”] 199 Die ordinatio ad Unum dabei das Muster u[nd] Vorbild aller Ordnung[:] nur wenn das Eine ber das Viele herrscht u[nd] so zu einem bestimmten Ziele lenkt[,] kann es Ordnung geben 200 – so ist es mit den himml[ischen] Sphaeren[;] sie werden alle von E i n e m Punkte aus[,] vom primum mobile bewegt[,] 201 so in jedem lebend[igen] Organismus[:] 202 cf. G i e r k e , Genossenschaftsrecht[;] engl[ische] bers[etzung]: Political Theories of the Middle Age, transl[ated] by F[rederic] W[illiam] M a i t l a n d [,] Cambridge (Univ[ersity] Press 1900) 198 2 s[iehe Gierke,] lib[.] III: Unity in Church and State (S. 9ff[.]) 1
denn er ist der Ursprung des Sichtbaren wie des Unsichtbaren.] nach 2 Zeilen Text S. 2v leer B oder der Staat erscheinen.] danach 1 Zeile leer A
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die Seele als ursprngl[ich]-bewegendes Prinzip[;] e i n e A unter den Krften der Seele die Ve r n u n f t [,] unter denen des Krpers das H e r z , die diese Einheit darstellt[.] 203 Die Einheit ist die Wurzel von allem – und so muß sie auch das Fundament alles s o z i a l e n Lebens sein[.] 204 Die Menschheit in ihrer Gesamtheit als Ein “mystischer Krper”, als respublica generis humani bedarf daher E i n Gesetz und E i n e n Herrscher[:] [“]una lex unicus principatus[”] B205 D u rc h b ro c h e n wird diese Einheit durch den Dualismus der sichtbaren u[nd] unsichtbaren, der sinnlichen und bersinnlichen Welt. Er findet seinen konkret-sozialen Ausdruck in dem Gegensatz von Kirche und Staat. Das E i n h e i t s p r i n z i p fordert jedoch – auch diesem faktisch-unaufheblichen Dualismus gegenber – die vllige Unterordnung des einen Prinzips unter das andere – 1) Die Idee der a b s o l u t e n Einheit u[nd] der absoluten Vollkommenheit nur in der Kirche verkrpert – der Staat erscheint, so gesehen, schon als Abfall, als Ergebnis des Sndenfalls, als Ausfluss der Unvollkommenheit der menschl[ichen] Natur und als K o n z e s s i o n an diese Unvollkommenheit[.] Hieraus fliesst die Idee der absoluten H i e r a rc h i e 1 [–] das “argumentum unitatis” wird der Angelpunkt fr die Begrndung dieser Theorie[,] dem alle anderen (biblische, historische, juridische) Argumente fr die Allgewalt des Papstes sich unterordnen[.] 206 Wenn die Menschheit nur Eine ist und wenn es demgemß nur Einen Staat geben kann, der die Gesamth[eit] der Menschheit in sich schliesst, so kann dieser Staat kein anderer sein, als der, den Gott selbst gegrndet hat – u[nd] alle weltliche Herrschaft kann nur so weit gelten[,] als sie ein Teil und Ausfluss der kirchl[ichen] ist[.]2207 Der Staat dagegen ist von irdischem, nicht von himmlischem Ursprung – 208 Er ist ein Mittel oder Werkzeug fr den einzigen und ewigen Zweck der Kirche[.] 209 Aus diesem Grunde finden alle menschlichen Gesetze (leges) ihre Grenze durch geistige Gesetze (canones)[,] 210 die weltliche Macht steht unter d e r geistlichen – Kaiser, Knige u[nd] 1 2
A B
([S.] 11) am linken Rand (Nheres S. 11ff[.)]
e i n e ] ber der Zeile eingefgt principatus”] danach 1 Leerzeile
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Frsten sind selbst mter, die von der Kirche verliehen sind (ecclesiastical offices)[,] 211 daraus fliesst: Oberherrschaft des Papstes[,] Sacerdotium ber Imperium[.] 212 Theorie der beiden Schwerter: aber der Papst hat utrumque gladium[.]1213 Nur diese absolute Souvernitt der Kirche kann dem Po s t u l a t d e r E i n h e i t genugtun. 214 Diese Theorie im Mittelalter nun selten ausdrcklich bestritten – nur M a r s i l i u s vo n Pa d u a wagt es, in diesen Gedanken [eine] Bresche zu legen[.]2215 Die Theorie der E i n h e i t nimmt bei ihm eine ganz andere Form an; sie wandelt sich in die antik-moderne Idee einer all-umfassenden inneren Einheit des Staates (Vorbereitung des Staats-Absolutismus)[.]3216 cf. spter A Reaktion hiergegen erst sehr langsam; erst bei Wyclif und Hus bricht der Gedanke durch, daß die Kirche eine rein innere Ordnung repraesentiert, als die Gemeinschaft der Heiligen, der Praedestinierten[,] u[nd] daß ihr im Zeitlichen daher kein Herrschaftsanspruch zusteht[.] Weg zur Re f o r m a t i o n – die mit der mittelalterl[ichen] Idee der Einheit bricht[.]4217B
II) Dieser Idee der E i n h e i t wirkt die Idee der O r g a n i s a t i o n entgegen.5 C
^ DDie Idee des Mikrokosmos hat ihren Ursprung bei Aristoteles und in E der Stoa – es ist die Tendenz zur I m m a n e n z [,] die in ihr ihren Ausdruck u[nd] ihren Durchbruch findet – ([S.] 14) ([S.] 16f[.]) 3 (S. 16) 4 ([S.] 19) 5 cf. Gierke[, chap.] IV: The idea of organisation (S. 22 ff.[.]) und [chap.] II: Macrocosm and Microcosm (S. 7 ff.) 1 2
cf. spter] am linken Rand Idee der Einheit bricht.] danach halbe S. 5v leer C die Idee der O r g a n i s a t i o n entgegen.] danach 1 Zeile leer D ^] keine abschließende eckige Klammer & E in] ber der Zeile eingefgt A B
Rechtsproblem
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Die Einheit wird gewahrt – aber als Einheit i n der Vielheit, nicht b e r der Vielheit gesucht – im Grunde p a n t h e i s t i s c h e Auffassung der S t o a gegenber der a b s t r a k t - monotheistischen. Jedes Einzelwesen spiegelt das Ganze ab; es ist in sich selbst ein Gttliches, Vollkommenes, der Gottheit-hnliches1 – “Monadologische” Auffass[ung] der Einheit – Sie fhrt zur “organologischen” Auffassung des staatl[ich]-sozialen Lebens – jede einzelne Gemeinschaft ist i n i h re m K re i s vollkommen – gerade in ihrer I n d i v i d u a l i t t spiegelt sie die hchste vollkommene Einheit wieder – die U n t e r - E i n h e i t e n sind “unmittelbar zu Gott”[.]2 Die Seele [“]est tota in toto et in qualibet parte[”][,] 218 auch in dem “mystischen Krper” der Menschheit besteht daher eine notwendige K o r re l a t i o n zwischen den geistigen (seelischen) u[nd] irdischen (krperlichen) Krften[:] A [“]an inseverable connexion and an unbroken interaction, which must display itself in every part and also throughout the whole[”][.] 219 Ideen von M e m b e r s h i p , D i f f e re n t i a t i o n , F u n c t i o n [;]3220 das System gipfelt in Nik[olaus] von Cusas kosmischer Harmonie4221 ! B
III) Idee der M o n a rc h i e 5 Gttliches Recht der Monarchen im M[iddle]A[ge] allgemein aus dem a r g u m e n t u m u n i t a t i s abgeleitet – aber schon im vierzehnten Jahrh[undert] taucht der Gedanke auf, daß dieses Argum[ent] nicht entscheidend ist, da der u n i t a s p r i n c i p a t u s C auch in einer Republik mglich u[nd] notwendig ist[.]6222 Apotheose der Monarchie u[nd] des Monarchen7 [–] aber: immer beschrnkt u[nd] gemildert durch den Gedanken, daß die 1 2 3 4 5 6 7
vgl. Belege unter “Stoa” am rechten Rand Belege vgl. Gierke[, S.] 22f[.] s[iehe] S. 27ff[.] ([S.] 27) ([S.] 30ff[.]) ^[S.] 33& ([S.] 30f[.])
(krperlichen) Krften:] (krperlichen Krften) !] am linken Rand C notwendig ist.] danach 1 Zeile leer A B
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Monarchie ein gottverliehenes A m t ist. Auch fr ihre eifrigsten VerteidiA ger bleibt sie an die Idee des Amtes gebunden[.]1223 Allmhl[ich] beschrnkt durch das Recht der Gemeinde (Communitas) 224
IV) Idee der Vo l k s s o u ve r n i t t im Mittelalter2 Vertragsgedanke3 – Herrschaft entstanden aus einem pactum subjectionis, wobei aber immer das Volk als der eine der vertragschliess[enden] Teile, als selbstndiges Rechtssubjekt e r h a l t e n bleibt4225 [–] die t r a n s l a t i o i m p e r i i 226 von den B einen als vorbehaltlose Unterwerf[ung] angesehen[,] bei anderen Theoret[ikern] erscheint sie dagegen als mera concessio, durch die nur ein officium und ein usus bertragen wird – daher [“]populus major imperatore[”] 227 fr den ›translatio imperii‹ war der ›consensus populi‹ die notwendige Bedingung: der Papst, indem er Karl den Grossen zum Kaiser krnte, sttzte sich auf den Willen des Volkes und war nur sein Vo l l s t re k k e r [.]5228 Die translatio daher eine mera concessio, durch die ein officium und ein u s u s bertragen wurde[.]6229 System der Volkssouvernitt: populus major principe[,]7230 M a r s i l i u s vo n Pa d u a entschieden republikanisch 231 – Der Herrscher ist nur ein Te i l des Volkes (pars principans) u[nd] bleibt immer geringer als das Ganze. Er bt sein Amt [aus] nur [“]per auctoritatem a legislatore sibi concessam[”] als [“]secundaria quasi instrumentalis seu executiva pars[”] – daher v[or] allen Dingen durch Gesetze gebunden[.] 232 A n d e re s System bei Nikolaus v[on] Cues;8 aber auch hier durchaus Gedanke der Volkssouvernitt. Alle Gewalt stammt ursprnglich von Gott (principaliter a Deo); aber das O r g a n [,] durch das sich der gttl[iche] 1 2 3 4 5 6 7 8
A B
([S.] 35) ([S.] 37ff.) ([S.] 38) ([S.] 39) ([S.] 41) ([S.] 43) s[iehe] S. 45ff[.] ([Cues,] Concord[antia] catholica)
an die Idee des Amtes gebunden.] danach 1 Leerzeile den] ber der Zeile eingefgt
Rechtsproblem
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Wille manifestiert, ist der gttl[ich]-inspirierte Wille der Gemeinschaft. Gerade in der freiwilligen Zustimmung der Regierten beweist sich der wahre gttl[iche] Ursprung einer Regierung[:] [“]tunc divina censetur quando per concordantiam communem a subiectis oritur[”][.] Die jurisdictio u[nd] administratio daher auf e l e c t i o beruhend[.]1233 Gedanke der Volks-Souvern[itt] dringt auch in der K i rc h e durch [–] 234 Die Gemeinschaft der Glubigen b e r dem Papst2235 [–] berordnung der K o n z i l e [,]3236 den schrfsten Ausdruck gibt dieser Idee wieder Nik[olaus] Cusanus4237 Reaktion besonders bei To r q u e m a d a 5238 [–] M a r s i l i u s 6 zieht die radikalsten Folgerungen [–]7 die universitas f i d e l i u m (einschliessl[ich] die Laien) ist der eigentliche Quell der Souvernitt.8239 Die ausgedehntesten Rechte fr die Laien insbesondere von Wilh[elm] von O c c a m gefordert[,] 240 die universelle Kirche ist die Gemeinschaft der Glubigen, die, gemss der heil[igen] Schrift[,] auch die L a i e n umfasst. Nur diese u n i ve r s e l l e Kirche hat Unfehlbarkeit – nur in ihr ist der wahre Glaube verkrpert[.] D i e s e Gemeinschaft hat daher die Fh[rer] A im allgem[einen] Konzil zu berufen; selbst Frauen zugelassen[.]9B 241 1 2 3 4 5 6 7 8 9
A B
([S.] 47) ([S.] 51) ([S.] 51 f.) ([S.] 54ff[.]) ([S.] 57) Marsilius, Defensor pacis (s[iehe Gierke, S.] 58ff.[)] [S.] 59/60 vgl. die Darstell[ung] Gierkes[, S.] 59-61
Fhrer] Lesung unsicher selbst Frauen zugelassen.] danach 1/3 der S. 9 leer
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[V)] I d e e d e r R e p r a e s e n t a t i o n 1 In der Kirche allgem[ein] angenommen, daß der Papst nicht die univers[elle] Kirche i s t , sondern sie nur kraft seines Ranges re p r a e s e n t i e r t (intuitu dignitatis)[.]2242 Die verschiedenen Versammlungen stehen fr das ganze Volk[:] A [“]in uno compendio repraesentativo[”][.]3243
[VI)] S t a a t u n d G e s e t z 4 Der Gedanke des Rechtsstaates ist im Mittelalter durchgngig in der Form, daß der U r s p r u n g des Staates in einem Rechtsakt gesucht wird (Vertragsgedanke etc.) u[nd] daß als B e s t i m m u n g des Staates, als seine Mission die Verwirklichung des Rechtes festgehalten wird[.]5244 Jede hchste Gewalt, geistige oder weltliche[,] ist an bestimmte Rechtsgrenzen gebunden[.]6245 Besonders Thomas von Aquino zieht hier die Grundlinien fr die ganze knftige Entwicklung 246 – ber den U r s p r u n g des Naturrechts finden sich viele, und einander entgegengesetzte Ansichten im Mittelalter – aber die Geltung, der B e s t a n d eines solchen Rechtes wird nirgends bezweifelt 247 – B e vo r es einen Staat gab existierte eine Lex Naturalis als bindende Norm – und von ihr fliessen mittelbar oder unmittelbar alle diejenigen Satzungen, denen der Staat selbst die Mglichkeit seines gesetzlichen Ursprungs verdankt[.]7248 Und auch die hchste irdische Macht ist dieser Lex naturalis unterworfen, sie stand ber Papst u[nd] Kaiser, ber dem Gesetzgeber u[nd] ber dem souvernen Volk[.] Was gegen die Vorschriften dieser Lex naturalis war, war ohne jede bindende Kraft null und nichtig[,] das Naturr[echt] selbst beruht auf ewigen und unvernderl[ichen] Prinzipien[.]8249 1 2 3 4 5 6 7 8
A
(S. 61ff[.]) ([S.] 62) (cf. S. 66.) ([S.] 73ff[.]) ([S.] 74) ([S.] 74) (G[ierke, S.] 75) ([S.] 75)
“in uno compendio repraesentativo”] danach 1/2 S. 9v leer
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Neben dem Ius naturale steht dann das Ius Divinum, das auf gttl[icher] Offenbarung beruht u[nd] das Ius Commune gentium[;] 250 das Ius naturale ist von Gott der natrl[ichen] Vernunft eingepflanzt fr die Erreichung irdischer Zwecke, das Ius divin[um] war durch Gott unmittelbar verkndet auf bernatrl[iche] Weise und fr einen berweltl[ichen] A Zweck 251 – Das I u s G e n t i u m – (d. h. der Inbegriff1 der Gesetze, in denen alle Nationen bereinstimmen) wird als die Summe derj[enigen] Regeln angesehen, die aus dem reinen Naturrecht sich ergeben, – wenn man auf die Vernderung Rcksicht nimmt, die durch den Fall des Menschen bedingt sind. Da die konstitutive Gewalt in Kirche u[nd] Staat dieses Ius Gentium nicht geschaffen sondern empfangen hat, so nimmt es insofern an der Unvernderl[ichkeit] u[nd] der Heiligkeit des Naturrechts Teil. 252
N a t u r re c h t i m M i t t e l a l t e r 2 Daß es ein Naturrecht gibt u[nd] daß dieses den menschl[ichen] Gesetzgeber bindet, wird nicht bezweifelt, – gleichviel ob man sich dafr entscheidet, daß das Wesen des Gesetzes in der Ve r n u n f t oder im W i l l e n gegrndet ist. In d i e s e r Frage scheiden sich die mittelalt[erlichen] Systeme. In beiden Fllen erscheint Gott als die letzte Ursache des Naturrechts[.] Bei Occam[,] Gerson u[nd] d’Ailly ist das Naturrecht ein Befehl, der von Gott ausgeht, daher unbedingt bindend ist[.] Bei Hugo von St. Victor, Gabriel Biel u[nd] Almain liegt das konstitut[ive] Element des N[atur]r[echts] im S e i n B Gottes[.] Thomas u[nd] seine Nachfolger erklren, daß der Inhalt des Naturrechts sich von der Vernunft ableite, die immanent in Gottes Wesen ist; es grndet sich auf jene Natura Rerum, die in Gott selbst enthalten ist – auf der anderen Seite verdankt es seine bindende Kraft dem gttl[ichen] W i l l e n [.]3255 1 2 3
([S.] 76) am rechten Rand vgl. bes[onders] Gierke, Political Theories of the Middle Age, N o t e 2 5 6 253 T h o m a s [’] Theorie cf. Gierke[,] S. 172 Anm[erkung] 256 254
fr einen berweltlichen] nachfolgende S. 11r/v (beschrieben mit: N a t u r re c h t i m M i t t e l a l t e r ... h i e r a u s ist die Note bernommen!) und leere S. 12r/v bilden eingelegten Bg., der ergnzende Ausfhrungen zum Naturrecht enthlt (vgl. vorliegenden Band, S. 137-138). Ergnzender Text ist abweichend vom Haupttext (schwarze Tinte) in blauer Tinte geschrieben. Fortsetzung des Fließtextes (S. 13): Zweck – Das I u s G e n t i u m ... republikan[ischen] Behrde B S e i n ] statt gestrichenem: We s e n A
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Dagegen die nominalistische Theorie[:] Ockham, Gerson, d’Ailly[,]1256 L e i b n i z gegen Pufendorf und Cocceji[:]2257 Recht ist “frher” als Gesetz[.] 258 [“]Nam si per impossibile Deus non esset[”] schon bei Gabriel B i e l (1495!) nicht erst von Grotius3 [–] h i e r a u s ist die Note bernommen! 259 Auf der anderen Seite entsteht die Lehre[,] daß der Souvern jedenfalls durch kein p o s i t i ve s Gesetz gebunden ist[:] 260 [“]omnia iura habet Princeps in pectore suo[”] [–] [“]Princeps legibus solutus est[”] [–] [“]Quod principi placuit legis habet vigorem[”] 261 [–] der Monarch ist eine lex animata u[nd] hierin besteht eben sein Unterschied von jeder republikan[ischen] Behrde[.]4262 Auch die Lehre von eingeborenen und unzerstrl[ichen] Rechten des I n d i v i d u u m s durch das ges[amte] Mittelalter vertreten[,]5 im Gegens[atz] zur Antike im ganzen Mittelalter der absolute und unzerstrl[iche] Wert des Individuums behauptet[:] – [“]a thought revealed by Christianity and grasped in all its profundity by the Germanic spirit[”][.] 263 Jedes Individ[uum] ist kraft seiner ewigen Bestimmung ein in seinem Kern Heiliges u[nd] Unzerstrliches auch im Verh[ltnis] zur hchsten Macht – der geringste Teil hat einen selbstndigen Eigenwert – jeder Einzelne ist von Seiten der Gemeinsch[aft] nicht nur als Mittel A , sondern als Zweck anzusehen – All diese Gedanken sind nicht nur angedeutet, sondern ausdrckl[ich] a u s gesprochen in der mittelalt[erlichen] Literatur[.]6264 Auf B der anderen Seite der Gedanke des ursprnglichen u[nd] wesentlichen Rechts und des Vorrangs des G e s a m t k r p e r s ber den Einzelnen. ([S.] 173) cf. Gierke[, S.] 174 am linken Rand 3 s[iehe] Gierke, Joh[annes] Althusius pp. 73/74 4 ([S.] 77) 5 ([S.] 81) 6 vgl. Anm. 12 5 - 13 0 ; 2 , 8 7 Gierke[;] Dante[, De] Mon[archia,] I. c[ap.] 3, O c k h a m [,] Dial[ogus,] III, tr. 2, l. 2 c. 28. 1 2
A B
Mittel] statt gestrichenem: Zweck Auf] ab S. 14ff. Text in schwarzer statt in blauer Tinte geschrieben
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Nach dem Vorbild, das die K i rc h e fr sich aufgestellt hat, wird die gleiche Einzigkeit, Unteilbarkeit und Unverusserlichkeit der A Gewalt, die sie sich zusprach, bald auch fr die k a i s e r l i c h e G e wa l t in Anspruch genommen.1265 Hierber entstehen schwere Kmpfe; aber der eigentlichmittelalterliche u[nd] niemals vollstndig aufgegebene Gedanke bleibt immer, daß jeder Akt des Souverns, der das natrl[iche] Recht verletzt[,] null und nichtig (null and void) ist 266 – erst in der modernen Staatstheorie wird das anders[.]
Hier wirkt auch das Bekanntwerden2 der A r i s t o t e l i s c h e n Politik, nach der gelehrt wird, daß der Staat die hchste und umfassendste aller Gemeinschaften ist – und eine Gemeinschaft, die sich selbst gengt[.] 267 268 – der Staat wird demgemß als die Gemeinschaft erklrt, die keinen usseren Herrn ber sich anerkennt[:] [“]universitas superiorem non recognoscens[”]. 269 Damit gelangt schon im Mittelalter3 die Idee des (absoluten) Staates zu ihrer theoret[ischen] Vollendung u[nd] das Attribut der usseren Souvernit[t] wird zum unterscheid[enden] Merkmal des Staates[;] 270 die Staaten im Staat, die einzelnen [“]civitates”, verlieren damit jeden selbstndigen Charakter[.] 271 1 2 3
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([S.] 82) ([S.] 96) [S.] 97 auf linkem Rand
der] Lesung unsicher
[ D E R B E G R I F F D E R P H I LO S O P H I E A L S P RO B L E M D E R P H I LO S O P H I E ] A Gteborg A n t r i t t s - Vo r l e s u n g [Oktober 1935] B Vom Begriff, C vom Wesen und von der Aufgabe der Philosophie will ich D an dieser Stelle zu Ihnen sprechen – ein Thema, das bedenklich, ja vermessen erscheinen knnte, wenn man den Anlass dieser Feier bedenkt und die engen zeitlichen Grenzen, die mir hier gesetzt sind. Der Vertreter einer Einzelwissenschaft wird, beim Antritt eines neuen akademischen Lehramts, kaum jemals diesen Weg der Einfhrung whlen. Er wird versuchen, seine Zuhrer in medias res zu fhren; er wird ein konkretes Sonderproblem herausgreifen E , an dem er den gegenwrtigen Stand seiner Wissenschaft F erlutern kann G . Aber das Schicksal der Philosophie scheint es zu sein, dass ihr diese Form der Konkretion, der Besonderung versagt ist. Bei aller Richtung H auf die philosophischen Einzelfragen in ihrer unabsehbaren Flle und Differenzierung sieht sie sich zuletzt doch immer wieder zurckgefhrt auf die e i n e I Haupt- und Ausgangsfrage: auf die Frage, was Philosophie i s t , und was sie w i l l . Bevor diese allgemeine Frage ihre Klrung gefunden hat, kann die Philosophie nicht ins besondere gehen; J bevor sie sich ihr Ziel nicht klar und sicher abgesteckt hat, kann sie sich nicht auf den Weg machen. Denn das unterscheidet die geistige Lage der Philosophie von der der Einzelwissenschaften, dass in den letzteren das jeweilige Thema, das sie zu behandeln
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DER BEGRIFF DER PHILOSOPHIE ALS PROBLEM DER PHILOSOPHIE ] zum Titel siehe Editorische Hinweise, S. 324
Gteborg Antritts-Vorlesung Oktober 1935] zum Untertitel siehe edit.-philolog. Anm. L auf S. 165 und Editorische Hinweise, S. 324. C Vom Begriff,] in Ms. [1] vorangestellt: 1. Meine Damen und Herren. Vom Begriff, ber der Zeile: 1. D Vom Begriff, ... Philosophie will ich] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand E herausgreifen] in Ms. [1] statt gestrichenem: whlen F den gegenwrtigen Stand seiner Wissenschaft] danach in Ms. [1]: und ihre besonders dringenden Einzelfragen und Aufgaben G erlutern kann] in Ms. [1] danach gestrichen: und an denen er dartun kann, welche Lsungen er fr diese Fragen vorzuschlagen hat, und welche Richtung seine eigene Arbeit eingeschlagen hat, um diese Lsungen vorzubereiten H Bei aller Richtung] danach in Ms. [1]: auf das Besondere, I e i n e ] Streichung in Tss. [1] und [2] unklar J ins besondere gehen;] danach in Ms. [1]: bevor sie sich ihre Aufgabe nicht bestimmt, B
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haben, vom Objekt her A klar und eindeutig vorgezeichnet ist. Der Gegenstand der Physik, der Gegenstand der Biologie, der Gegenstand der Historie oder der besonderen Geisteswissenschaften verlangen je eine bestimmte Behandlung und erzwingen im gewissen Sinne je eine besondere Methode. Die Philosophie aber besitzt keinen solchen einfachen Gegenstand, an dem sie sich unmittelbar orientieren und auf den sie, als sicheren und unbestrittenen Besitz, hinweisen knnte. Die grossen Systematiker der Philosophie und die einzelnen philosophischen Schulen trennen sich von einander nicht bloss in dem Weg, den sie einschlagen, sondern bereits in dem Ausgangspunkt, den sie whlen, und schon in dieser Wahl tritt immer wieder der tief-problematische Charakter der Philosophie zu Tage. Der Begriff der Ph[ilosophie] erweist sich immer wieder als ein Problem der Ph[ilosophie]; als ein Problem, das in ihr selbst niemals zur Ruhe B kommt, sondern das, in einer steten dialektischen Bewegung des Denkens, immer von Neuem in Angriff genommen werden muss. Wir stehen noch heute, nachdem die klassische griechische Ph[ilosophie] C vor mehr als zwei Jahrtausenden die Frage erkannt und klar und scharf gestellt hat, mitten inne in dieser Bewegung. Ich kann hier nicht versuchen, ein Gesamtbild von ihr zu zeichnen; ich kann nur einige Phasen des Weges andeuten und darzulegen versuchen, in welchem Lichte mir selbst die Aufgabe der Ph[ilosophie] erscheint, D und mit welchen Mitteln sie, nach meiner Auffassung und berzeugung, E in Angriff zu nehmen ist. Zwei Grundrichtungen F philosophischen Suchens und Fragens sind es, die sich von Anfang an in klarer Bestimmtheit gegenberstehen G . Man kann sie nicht schrfer bezeichnen und sie nicht H eindrucksvoller schildern, als es Goethe in jener herrlichen Charakteristik von Platon und Aristoteles I getan hat, J die er in den “Materialien zur Geschichte der Farbenlehre” gibt. “Plato[”] – sagt Goethe – [“]verhlt sich zu der Welt, wie ein seliger Geist, dem es beliebt, einige Zeit auf ihr zu herbergen. Es vom Objekt her] danach in Ms. [1]:, vom Gegenstand aus das in ihr selbst niemals zur Ruhe] danach in Ms. [1]:, zum sicheren und vollstndigen Abschluß C die klassische griechische Philosophie] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: Plato D erscheint,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt E berzeugung,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt F Zwei Grundrichtungen] in Ms. [1]: 2. Zwei Grundrichtungen G gegenberstehen] in Ms. [1]: gegenber- und entgegenstehen, in Ts. [2] per Hand korrigiert aus: gegen berstehen zu: gegenberstehen H nicht] in Ms. [1] danach gestrichen: verstndnisvoller und I von Platon und Aristoteles] in Ms. [1] ber der Zeile eingefgt J getan hat,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt A B
[Der Begriff der Philosophie]
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ist ihm nicht sowohl darum zu tun, sie kennen zu lernen, weil er sie schon voraussetzt, als ihr dasjenige, A was er mitbringt und was ihr so nottut, B freundlich mitzuteilen. Er dringt in die Tiefen, mehr um sie mit seinem Wesen auszufllen, als um sie zu erforschen. Er bewegt sich nach der Hhe, mit Sehnsucht, seines Ursprungs wieder teilhaft zu werden ... Aristoteles hingegen steht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeisterlicher, er C ist nun einmal hier und soll hier wirken und schaffen. Er erkundigt sich nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund findet. D ... Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis fr sein Gebude, schafft Materialien von allen Seiten her, ordnet sie, schichtet sie auf und steigt so in regelmssiger Form pyramidenartig in die Hhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer Spitzen Flamme gleich, den Himmel sucht ... wenn E ein Paar solcher Mnner, die sich gewissermassen in die Menschheit teilten, als getrennte Reprsentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigenschaften auftraten ...: so folgt natrlich, dass die Welt ... gentigt war, sich F einem oder dem anderen hinzugeben, einen oder den anderen als Meister, Lehrer, Fhrer anzuerkennen”.1272 Diese Teilung, G die in Platon und Aristoteles ihren ersten klassischen Ausdruck gefunden hat, geht fortan durch die gesamte Geschichte der Ph[ilosophie] hindurch. Sie bestimmt H und sie erklrt grossenteils jene typischen Grundgegenstze, die wir in der herkmmlichen Schulsprache als die Gegenstze von Idealismus und Realismus, I von Rationalismus und Empirismus zu bezeichnen pflegen. Immer wieder werden wir in der systematischen Entwicklung und Fortbildung des philosophischen Denkens dieser beiden, einander entgegengesetzten Tendenzen gewahr. J Die Ph[ilosophie] beansprucht die eigentliche, die wahre Einheitswissenschaft zu sein; K ihr ganzes Streben und ihre gedankliche Sehnsucht scheint der absoluten Einheit zu gelten, der Einheit des Seins wie der 1
WA, [Abt.] II, Bd. 3, [S.] 141f[.] in Ms. [1] am rechten Rand
dasjenige,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt nottut,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt C baumeisterlicher, er] in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: baumeisterlicher. Er D findet.] In Ms. [1] danach gestrichen: Von der bis zum M o n d , f e s t l i c h der E wenn] in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: Wenn F sich] in Ts. [2] danach per Hand eingefgt: dem G Diese Teilung,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt H bestimmt] in Ms. [1] statt gestrichenem: beherrscht I Realismus,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt J Tendenzen gewahr.] Danach in Ms. [1]: Mehr als jede besondere Wissenschaft kennt und [gestrichen: fhlt] empfindet die Philosophie diesen inneren Zwiespalt. K Die Philosophie beansprucht ... Einheitswissenschaft zu sein;] in Ms. [1]: Sie will die Einheitswissenschaft ŒÆ\ !L sein – A B
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Einheit des Wissens. Aber dieser Einheit ihres Zieles A entspricht keineswegs eine unmittelbare Einheit ihrer selbst B, ihrer geistigen Struktur. Sie fhlt sich stndig beherrscht C von zwei einander entgegengesetzten Grundtrieben. In fast jedem grossen Denker sind jene beiden Seelen heimisch, deren Wirken Faust in sich sprt: D “Die eine hlt, in derber Liebeslust, sich an die Welt mit klammernden Organen, Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust Zu den Gefilden hoher Ahnen.” 273 E i n e n bedeutsamen Augenblick in der Geschichte der Ph[ilosophie] gibt es indess E, in dem dieser Widerstreit beschwichtigt zu werden scheint, in dem die beiden Grundkrfte F nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander wirken und sich in ein reines Gleichgewicht zu einander setzen. Das ist der Augenblick, in dem die Kantische, die kritische Ph[ilosophie] auftritt, G die auch in dieser Hinsicht eine wahrhafte “Revolution der Denkart” bedeutet. Kants System ist von seinen Interpreten eben so oft H als ein System der reinen Metaphysik wie als eine Theorie der reinen Erfahrung bezeichnet worden, als I ein System des kritischen Empirismus, ja des Positivismus bezeichnet worden J . Aber beide Bezeichnungen drcken den Kern und die eigentliche Grundabsicht der Kantischen Lehre K nicht vollstndig L aus. M Denn eben dies ist das Neue an Kants Problemstellung N, dass sie ein andersartiges Ve r h l t n i s zwischen den
Aber dieser Einheit ihres Zieles] danach in Ms. [1]:, ihrer Aufgabe und ihres Erkenntnisobjektes, B ihrer selbst] in Ts. [2] per Hand korrigiert aus: ihrerselbst zu: ihrer selbst C beherrscht] in Ms. [1] statt gestrichenem: bewegt D In fast jedem grossen Denker ... Faust in sich sprt] in Ms. [1] am rechten Rand statt gestrichenem: – sie fhlt sich geteilt zwischen jenen beiden Seelen, von denen Faust spricht, und die in irgend einem Sinne in jedem großen Denker wirksam gewesen sind. E gibt es indess] in Ms. [1]: scheint es indess zu geben F Grundkrfte] in Ms. [1] statt: Gegenkrfte G auftritt,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt H so oft] in Ts. [2] per Hand korrigiert aus: sooft zu: so oft I worden, als] in Ts. [2] per Hand korrigiert aus: worden. Als zu: worden, als J bezeichnet worden] in Ts. [2] per Hand gestrichen K der Kantischen Lehre] in Ms. [1] eingefgt L vollstndig] in Ts. [2] per Hand gestrichen und ersetzt durch: adaequat, nicht vllig zutreffend M Aber beide Bezeichnungen ... der Kantischen Lehre nicht vollstndig aus.] In Ms. [1]: Aber beide Deutungen verfehlen den Kern und die eigentliche Grundabsicht der Kantischen Lehre. N an Kants Problemstellung] in Ms. [1] danach gestrichen: und an Kants Grundlegung A
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beiden entgegengesetzten Polen von Erfahrung und Denken annimmt A . An Stelle des Gegensatzes tritt eine reine Wechselbeziehung B . In seiner logischen Theorie, in der Theorie von den apriorischen C Grundelementen D der Erkenntnis folgt Kant der Platonischen Lehre. E Aber er setzt dieser Lehre ein anderes und neues Ziel. Der Umschwung betrifft F den eigentlichen Grundbegriff des platonischen Idealismus: Den Begriff vom “mundus intelligibilis”, von einer bersinnlichen Welt. Kant traut G der menschlichen Vernunft keine Kraft zu, noch gesteht er ihr ein Recht zu, kraft des reinen Begriffs eine solche H bersinnliche Welt aufzubauen. Alle Kraft des reinen Begriffs soll und muss vielmehr nach ihm der umgekehrten Aufgabe dienen. Sie soll uns nicht ber die empirische Welt hinaus – sondern sie muss uns tiefer in sie hinein fhren; sie soll uns die Erfahrung selbst, ihre logische Struktur und ihre logischen Gesetze, ihre allgemeinen I Prinzipien und Bedingungen durchsichtig und verstndlich machen. J So versagt K Kant dem menschlichen Geist den Flug ins reine Ideenreich – den Flug zu jenem “berhimmlischen Ort”, L von dem Platon im Phaidros spricht. 274 “Die leichte Taube”, – so heisst es in der Einleitung zur K[ritik] d[er] r[einen] V[ernunft] – “indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fhlt, knnte die Vorstellung fassen, dass es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde. Ebenso verliess Plato die Sinneswelt, weil sie dem Verstande so enge Schranken setzt, und wagte sich jenseits derselben auf den Flgeln der Ideen in den leeren Raum des reinen Verstandes. Er bemerkte nicht, dass er durch seine Bemhungen keinen Weg gewnne, denn er hatte keinen Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen und woran er seine Krfte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu bringen.” 275 Fr seine annimmt] in Ms. [1]: stiften will eine reine Wechselbeziehung] danach in Ms. [1]:, eine reine Korrelation C Theorie von den apriorischen] danach in Ms. [1]: Voraussetzungen und D Grundelementen] Grundtheorie in Ts. [1], in Ms. [1]: Grundelementen, in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: Grundelementen E folgt Kant der Platonischen Lehre.] In Ms. [1]: folgt Kant der Lehre Platons – und hier fhlt er sich Platon zu tiefst verwandt. F Der Umschwung betrifft] danach in Ms. [1]: den eigentlichen Kern und G traut] in Ms. [1] statt gestrichenem: gesteht H solche] fehlt in Ms. [1] I allgemeinen] fehlt in Ms. [1] J verstndlich machen.] In Ts. [1] und in Ms. [1] danach in Bleistift Absatzzeichen und Absatz K versagt] in Ms. [1]: verweigert L zu jenem “berhimmlischen Ort”,] danach in Ms. [1]: zu den ææØ , A B
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eigenen Bemhungen, fr seine kritische Analyse der Erkenntnis, fordert Kant berall eine solche feste Grund- und Unterlage. Er will sich nicht ber die wissenschaftliche Erkenntnis und ihren Geltungsbereich erheben, um jenseits dieses Bereichs neue, unbekannte Welten zu entdecken; er steht fest auf der wohlgegrndeten Erde, A auf dem sicheren Boden der Wissenschaft, aber zu gleich B will er die letzte tragende Schicht bloslegen, auf der dieses Fundament C des Gebudes der Wissenschaft selbst ruht. So beruhigt er sich nicht mit dem Faktum der Wissenschaft als solchem D; er fragt nach den Voraussetzungen dieses Faktums, nach den Bedingungen seiner Mglichkeit. Die allgemeine Frage nach der Gltigkeit der reinen, apriorischen Erkenntnis zerlegt und gliedert sich ihm in die Unterfragen: “Wie ist reine Mathematik, wie ist reine Naturwissenschaft, wie ist Metaphysik berhaupt mglich”? 276 Und die Antwort lautet, dass die letztere Frage nur mit Hilfe der beiden ersteren beantwortet und gelst werden kann. Im luftleeren Raume, im Raume einer blossen metaphysischen ber-Welt kann die Vernunft keinen Schritt vorwrts tun; sie muss sich in ihrem eigenen Gebiet heimisch machen, sie muss sich selbst kennen und E verstehen lernen, ehe sie irgend eine Aussage ber die Natur ihres Objektes, F ber die Wirklichkeit der Dinge machen kann. G Die H Auffassung vom Begriff und von der Bedeutung und Leistung der Ph[ilosophie] hat damit eine entscheidende Wandlung erfahren. Denn jetzt erhebt die Ph[ilosophie] nicht mehr den Anspruch, die Substanz I des Wissens als solche J zu vermehren und den Kreis, den die Einzelwissenschaften ziehen, durch dogmatische Einsichten zu erweitern. Sie begngt sich damit, der Funktion des Wissens nachzuforschen und diese Funktion K zu verstehen und zu begrnden. Dazu gehrt es, dass sie die
Erde,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt Wissenschaft, aber zugleich] in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: Wissenschaft. Aber zugleich C auf der dieses Fundament] in Tss. [1] und [2]: auf dem dieses Fundament, in Ms. [1]: auf der dieser Boden, dieses Fundament D nicht mit dem Faktum der Wissenschaft als solchem] in Ms. [1]: nicht mit dem blossen Faktum der Wissenschaft E und] danach in Ms. [1]: sich selbst F Objektes,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt G ehe sie irgend ... machen kann.] in Ms. [1] statt gestrichenem: sie muss ihre eigenen Voraussetzungen verstehen und diesen Voraussetzungen gemß ihre Aufgaben bestimmen und beschrnken H Die] in Ms. [1], in Ts. [2] Absatz per Hand ungltig gemacht: // Die I Substanz] in Ts. [2]: S u b s t a n z J als solche] fehlt in Ms. [1] K Funktion] in Ts. [2]: F u n k t i o n A B
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Krfte, die die Wissenschaft aufbauen, A nicht blos im einzelnen kennt, B sondern dass sie sie in ihrem inneren Zusammenhang, in ihrer Ordnung und ihrer systematischen Abhngigkeit, berschaut. C Diese berschau ber das eigene Gebiet, dieses Wissen von der eigenen Funktion ist die notwendige D Vorbedingung fr die Fruchtbarkeit und fr die kritische Sicherheit unserer philosophischen Erkenntniss. E aufbauen,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt kennt,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt C Dazu gehrt es, ... berschaut.] In Ms. [1]: Sie will nicht zu neuen unbekannten Objekten fortschreiten; sie will sich vielmehr zurckbesinnen auf die ursprnglichen Krfte, auf denen das Wissen von der Welt, das Wissen von der empirischen Wirklichkeit beruht, – und sie will diese Krfte nicht bloss vereinzelt verfolgen, sondern sie in ihrem inneren Zusammenhang, in ihrer Ordnung und ihrer systematischen Abhngigkeit, berschauen. D ist die notwendige] Nachfolgende S. VI fehlt in Ts. [1], auf S. V ist oben per Hand vermerkt: VI fehlt. Ts. [2] enthlt S. VI, die fr Textedition herangezogen wird E Vorbedingung ... Erkenntnis.] In Ms. [1]: Vorbedingung fr alle Erweiterung unserer philosophischen Erkenntnis. Danach Text in Ms. [1], der nicht in Ts. [2] eingeht: ^Ich kann dies Verhltnis hier nicht im einzelnen errtern; ich begnge mich, zu seiner Verdeutlichung und [danach gestrichen: zu seiner unmittelbaren] Veranschaulichung, eine einzelne usserung Kants zu zitieren, durch die es unmittelbar in helles Licht gerckt wird. Sie findet sich in jenen Aufzeichnungen Kants, die Benno Erdmann unter dem Titel: “Reflexionen Kants zur Kr[itik] d[er] r[einen] V[ernunft”] [ber der Zeile statt gestrichenem: kritischen Philosophie] herausgegeben hat. [Danach gestrichen: Sie zeigt aufs klarste, in welchem Sinne Kant die Philosophie im Umkreis der besonderen Wissenschaften festhalten will – und in welchem Sinne er ihr andererseits eine andere und weitere Aufgabe stellt, als diese Wissenschaften, selbst in ihrer Gesamtheit, in Angriff nehmen und bewltigen knnen.] “Der Mathematicus, der schne Geist, der Naturphilosoph” – sagt Kant – “was richten sie aus, wenn sie ber die Metaphysik bermtigen Spott treiben? In ihrem Innern liegt der Ruf, der sie auffordert, in das Feld derselben einen Versuch zu tun. Sie knnen ... nicht umhin zu fragen: Woher bin ich? Woher ist das Ganze? Der Astronom ist zu diesen Fragen noch mehr aufgefordert. Er kann sich nicht entbrechen, etwas zu suchen, was ihn hierin befriedige. Bei dem ersten Urteile, was er hierber fllt ist er im Gebiete der Metaphysik. Will er sich hier nun ohne alle Leitung bloss auf die berredungen verlassen, die ihm erwachsen knnen, ob er zwar keine Karte des Feldes hat, was er durchstreifen will? In dieser Dunkelheit steckt die Kritik der reinen Vernunft die Fackel auf, beleuchtet aber nicht die uns unbekannten Gegenden jenseits der Sinnenwelt, sondern den dunkeln Raum unseres eigenen Verstandes” 277 &. Das ist die neue Meth[ode], die Kant in die Philos[ophie] einfhren will [in Bleistift ber der Zeile statt gestrichenem: Das ist das prgnante und charakteristische Beispiel, das Kant fr seine neue Methode whlt], – jene [statt: fr jene] Methode, der er [ber der Zeile in Bleistift eingefgt: selbst] den Namen der transzendentalen Methode gegeben hat. Sie weist nicht hinaus ins Transcendente, ins bersinnliche – sie will uns zurck fhren in die Tiefe unserer eigenen Vernunft und uns ihre [statt gestrichenem: deren] Voraussetzungen und GrundA B
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In diesem kritischen Versuch bleibt Kant der Sohn seiner Zeit, der Denker des 18ten Jahrhunderts, – jenes Jahrhunderts, das seine hchsten wissenschaftlichen Triumphe im Gebiet der Mathematik, der theoretischen Mechanik und der Astronomie gefeiert A hat. Und so drngt sich ihm unwillkrlich die Frage auf diesen Punkt zusammen. Er fragt nach den Bedingungen und Voraussetzungen B der Newtonischen Wissenschaft, der mathematischen Prinzipien der Naturlehre. Aber die 150 Jahre, die uns von der Entstehungszeit der Kr[itik] d[er] r[einen] V[ernunft] trennen C [,] haben fr uns das Problem wesentlich erweitert D . Das 18te Jahrhundert ist das Jahrhundert der neuen mathematischen Analysis und ihrer Anwendung auf die Wirklichkeit, das Jahrhundert der klassischen Physik; E Die F Probleme der Biologie, und mehr noch die Probleme der Geschichtswissenschaft und der besonderen Geisteswissenschaften G sind hier erst in ihren Umrissen und in ihren methodischen Anfngen erkennbar. Seither hat sich nicht nur, durch Relativittstheorie und Quantenmechanik H , das naturwissenschaftliche Weltbild und das gesamte Begriffssystem der klassischen Physik grundlegend gewandelt; es sind uns auch durch die Begrndung einer wissenschaftlichen Lehre vom Leben, durch die I Fragen der Deszendenztheorie und Entwicklungsgeschichte, durch die J Ethnologie, durch die Sprachwissenschaft, durch die vergleichende Mythologie und die vergleichende Religionswissenschaft eine Flle neuer Aufgaben gestellt, denen die Ph[ilosophie] sich nicht entziehen kann, wenn sie ihrem Beruf und ihrer Bestimmung treu bleiben will. Aber so sehr sich auch K die Art der Aufgaben verndert und ihr Umkreis sich verschoben und erweitert haben mag L , so glaube ich krfte [ber der Zeile in Bleistift statt gestrichenem: ihre Funktionen und Energien] kennen und begreifen lehren. A gefeiert] in Ts. [2] per Hand verbessert, in Ms. [1] statt gestrichenem: erreicht B Bedingungen und Voraussetzungen] in Ms. [1]: Bedingungen der Mglichkeit C trennen] fehlt in Ms. [1] D das Problem wesentlich erweitert] in Ms. [1] danach in Bleistift gestrichen:, – ohne doch die wesentliche, die logische Struktur des Problems fr uns zu verndern. E das Jahrhundert der neuen mathematischen Analysis ... der klassischen Physik;] in Ms. [1]: das Jahrhundert der mathematischen Naturwissenschaft, der klassischen Physik; [danach gestrichen: – aber] F Die] danach in Ms. [1] gestrichen: wissenschaftli[chen] G besonderen Geisteswissenschaften] in Ms. [1]: Wissenschaften, die wir heute unter den Begriff der Geisteswissenschaften zusammenfassen, H Quantenmechanik] in Ms. [1]: Quantentheorie I die] in Ts. [2] per Hand ber der Zeile eingefgt J die] in Ts. [2] per Hand ber der Zeile eingefgt K auch] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: dadurch L haben mag] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: hat
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doch, dass wir das kritische Grundproblem A , wie es Kant gesehen und wie er es zuerst in bewusster Klarheit festgestellt hat, nicht aufzugeben brauchen. B Es ist ein C neues Material, an das wir jetzt die kritische Frage zu richten haben – aber die Form dieser Frage knnen und drfen wir aufrechterhalten. Wir fragen nicht nur, wie reine Mathematik und reine Naturwissenschaft mglich sei, wir fragen nach der Allheit und nach der systematischen Gesamtheit jener Grundfunktionen, kraft deren es fr uns D allein mglich ist, ein Bild des E Kosmos, ein Bild des Universums F und der Menschenwelt zu entwerfen. G Nicht die Natur allein gehrt in diesen Kreis – ihm mssen wir vielmehr alles zuweisen, H was wir unter dem weiten Allgemeinbegriff der Kultur zu denken I und zusammenzufassen pflegen. Der Historiker, der Philologe, der Linguist J, der Ethnologe, der K Erforscher der Mythen- und Religionsgeschichte – L haben es mit den Gebilden der Kultur zu tun. M Aber die Ph[ilosophie] muss hier noch einen Schritt weiter zurckgehen und gleichsam in eine neue N , tiefere Schicht von Fragen vorstossen. Von den Gebilden ausgehend muss sie zurckfragen nach den bildenden Krften, O nach der Art P der geistigen Funktionen und Energien, Q die diese Bildungen des Menschengeistes erschaffen und ermglicht haben. Im Gebiet der Sprachwissenschaft ist es Wilhelm von Humboldt gewesen, der in der Einleitung zu seinem grossen Werk ber die Kawi-Sprache zuerst die [Frage] R gestellt hat und der durch sie das Sprachstudium auf eine neue wissenschaftliche und philosophische Stufe gehoben hat. Die Betrachtung der Sprache, so erklrt Humboldt, muss freilich, wenn sie nicht chimrisch werden und sich nicht in willkrliche Spekulationen verlieren soll, mit der ganz das kritische Grundproblem] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand nicht aufzugeben brauchen.] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand C ein] danach in Ms. [1] in Bleistift gestrichen: vllig D fr uns] in Tss. [1] und [2] ber der Zeile eingefgt E des] danach in Ms. [1]: natrlichen und des geistigen F Universums] in Ms. [1] statt gestrichenem: Natur G zu entwerfen.] in Ms. [1]: aufzubauen. H zuweisen,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt I zu denken] fehlt in Ms. [1] J Linguist] in Ms. [1]: Sprachforscher K der] in Ms. [1] danach gestrichen: Epen-Forscher L –] in Ts. [2] per Hand ber der Zeile hinzugefgt: sie alle M zu tun.] In Ms. [1] danach gestrichen: Aber hinter der Frage nach dieser N neue] in Ms. [1]: andere O Krften,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt P Art] in Ms. [1] statt gestrichenem: Natur Q Energien,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt R die] in Ms. [1]: diese Frage, in Ts. [2] die gestrichen und ber der Zeile per Hand hinzugefgt: diese Frage A B
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trockenen, sogar mechanischen Zergliederung des Krperlichen und Konstruierbaren A in ihr beginnen – also mit dem, was wir heute als Phonetik, B als Laut- und Formenlehre bezeichnen C. Aber sie kann und soll hierbei nicht enden: denn die Sprache wurzelt in den letzten Tiefen der Menschheit und fhrt, richtig betrachtet und behandelt, in sie zurck. Sie D ist, wie Humboldt sich ausdrckt, nicht sowohl wie ein totes Erzeugtes, sondern weit mehr wie eine Erzeugung anzusehen. Sie ist kein blosses Werk (Ergon), sondern eine Ttigkeit (Energeia) – und so kann auch ihre wahre Definition nur eine genetische sein, E nur die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes[,] nicht ihr fertiges und endgltiges Produkt[,] vor uns hinstellen. Dieses Wort Wilhelm von Humboldts 278 gilt keineswegs fr die Sprache a l l e i n F – es gilt, mit dem gleichen Recht und Grund, fr alle Erzeugnisse G unserer geistigen Kultur, H fr all das, was ich unter dem Allgemeinbegriff der “symbolischen Formung” zusammenzufassen versucht habe. I Das J philosophische Denken kann sich nicht damit begngen, diese Erzeugnisse in ihrem einfachen Bestand kennen zu lernen, sie einfach K aufzunehmen und hinzunehmen. Es muss versuchen, diesen Bestand, so wie er von den Einzelwissenschaften in reichster Flle L dargeboten wird, zu erfassen; aber dieses Erfassen M ist erst der Anfang des philosophischen Begreifens, jenes Begreifens, das sich nicht beim Produkt begngt, N sondern die eigentmliche Weise des P ro d u z i e re n s verstehen O will, aus
Krperlichen und Konstruierbaren] in Ms. [1]: Krperlichen und Konstruierbaren, in Ts. [2] per Hand korrigiert aus: krperlichen und konstruierbaren zu: Krperlichen und Konstruierbaren B als Phonetik,] fehlt in Ms. [1] C bezeichnen] in Ms. [1]: zu bezeichnen pflegen D Sie] in Ms. [1] statt gestrichenem: Die Sprache E wahre Definition nur eine genetische sein,] in Tss. [1] und [2] auf S. IX ber der ersten Zeile neben Seitenzahl per Hand: IX. (folgt auf VII) F Wort Wilhelm von Humboldts ... Sprache a l l e i n ] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand G Erzeugnisse] in Ms. [1] in Bleistift statt gestrichenem: und alle Richtungen H Grund ... unserer geistigen Kultur,] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand I fr all das ...versucht habe.] Einschub auf unterem Rand (Ts.-S. IX) J Das] in Ms. [1] vor Das in Bleistift Absatzzeichen eingefgt und wieder gestrichen K einfach] fehlt in Ms. [1] L in reichster Flle] fehlt in Ms. [1] M zu erfassen; aber dieses Erfassen] in Ms. [1]: in seiner Flle und Ausdehnung kennen zu lernen – aber dieses Kennenlernen N begngt,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt O verstehen] in Ms. [1]: erfassen A
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der das Produkt entspringt A. Solche produktiven Ttigkeiten, B solche sich ewig wiederholenden Arbeiten des Geistes sind es, auf C denen nicht nur die Sprache, sondern der Mythos, die Religion, die Kunst zuletzt D beruht – und jede von ihnen gilt es in ihrer Eigenart und Eigentmlichkeit, in ihrer besonderen Form und Wirkungsweise zu begreifen und zu erhellen. Von E hier aus ergibt sich der Ausblick auf eine Flle fruchtbarer und wichtiger analytischer Einzeluntersuchungen – von Untersuchungen, die allerdings niemals F durch rein G philosophische Gedankenarbeit allein bewltigt H werden knnen, sondern die nur in nchster Mit- und Zusammenarbeit mit den besonderen Wissenschaften durchzufhren sind. I Aber selbst wenn es gelnge, alle diese Einzeluntersuchungen zu einem sichren Ende zu fhren J , so stnde damit die P h i l o s o p h i e noch immer nicht am Ende ihrer Aufgabe. Denn noch bleibt eine letzte entscheidende Frage zurck, die jenseits all dieser theoretischen Einzelanalysen liegt, die sich K an ihrer Grenze erhebt und die, sobald sie einmal L klar und scharf gestellt ist, M notwendig ber diese Grenze hinausfhrt. Die Ph[ilosophie] kann sich nicht damit begngen, nach der Form und Struktur der einzelnen Kulturgebiete, nach der Struktur der Sprache, der Kunst, des Rechtes, N des Mythos, der Religion zu fragen. Je tiefer sie in diese Struktur eindringt, umso deutlicher und umso dringlicher wird fr sie das Problem des G a n z e n . Was ist dieses Ganze der geistigen Kultur – welches ist sein Ende, O sein Ziel, sein Sinn? Immer wenn diese Ziel- und Sinnfrage an die Gesamtheit der Kultur gestellt wird, stehen wir damit an aus der das Produkt entspringt] danach in Ms. [1]: – das sich nicht mit der Beschreibung des Werkes, des Ergon zufrieden giebt, sondern die Ttigkeit, die Energie [gestrichen: und die sich ewig wiederholende Arbeit] des Geistes verstehen und deuten will. B Solche produktiven Ttigkeiten,] in Ms. [1]: Solche Energien, C auf] fehlt in Ms. [1] D zuletzt] in Ts. [2] per Hand gestrichen E Von] in Tss. [1] und [2] Absatz nicht eingerckt, aber im Ms. [1] F niemals] danach in Ms. [1]: ausschliesslich, ber der Zeile statt: allein G rein] in Ms. [1] in Bleistift ber der Zeile eingefgt H bewltigt] in Ms. [1] statt gestrichenem: durchgefhrt I durchzufhren sind.] in Ms. [1] in Bleistift statt gestrichenem: , mit der Sprachwissenschaft, der Religionswissenschaft, der Kunstwissenschaft durchgefhrt werden knnen J zu einem sichren Ende zu fhren] in Ms. [1] statt gestrichenem: durchzufhren K die sich] in Ms. [1] danach gestrichen: gewissermassen L einmal] in Ms. [1] danach gestrichen: erfaßt und M ist,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt N des Rechtes,] fehlt in Ms. [1] O Ganze der geistigen Kultur – welches ist sein Ende,] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand A
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einem entscheidenden Wendepunkt philosophischer Selbstbesinnung. Im 18ten Jahrhundert ist es Jean Jacques Rousseau A gewesen, der die Frage gestellt und der sie mit innerster persnlicher Leidenschaft vertreten hat B . Durch ihn dringt C in den festumhegten und scheinbar so gesicherten Kreis der Gedanken des 18ten Jahrhunderts D eine neue gewaltige Kraft ein – eine Kraft, von der es eine Zeit lang scheint, als solle sie alle festen E Formen der Aufklrungskultur F zersprengen. Rousseau wird zum ethischen Kritiker der Aufklrungszeit – lange bevor Kant zu ihrem theoretischen Kritiker wurde. Und Kant selbst hat in G seiner theoretischen H Arbeit die Mahnung des Ethikers Rousseau niemals berhrt oder I vergessen. J “Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher” – so sagt er in einer seiner Tagebuchaufzeichnungen. “Ich fhle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen, oder auch die Zufriedenheit bei jedem Fortschritte. Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles K knnte die Ehre der Menschheit machen, und ich L verachtete den Pbel, der von nichts weiss. Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendete Vorzug verschwindet; ich lerne die Menschen ehren M und wrde mich viel unntzer finden, als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, dass diese Betrachtung allen brigen einen Wert geben knne, die Rechte der Menschheit herzustellen”. 279 Von nun an ist fr Kant alle Ph[ilosophie] unlslich verbunden mit jener Grundfrage, die das 18te Jahrhundert so tief und leidenschaftlich bewegt hat: mit der Frage nach den ewigen, unvernderlichen und unverusserlichen N Menschenrechten. In dieser O Frage, in der Frage nach dem Gehalt P und dem Geltungsgrund der sittlichen Gesetze, findet Kant erst den Abschluss
Jacques Rousseau] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand hat] in Ms. [1] ber der Zeile eingefgt C dringt] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: bricht D 18ten Jahrhunderts] danach in Ms. [1]:, in den scheinbar so sicheren und fraglosen Besitz der Kultur der Aufklrungszeit, E festen] in Ms. [1] statt gestrichenem: ihre begrifflichen F der Aufklrungskultur] in Ms. [1] ber die Zeile hinaus eingefgt G selbst hat in] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand H theoretischen] in Ms. [1] statt gestrichenem: analytisch-kritischen I berhrt oder] in Ms. [1] ber der Zeile eingefgt J niemals berhrt oder vergessen.] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand K alles] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand L Ehre der Menschheit machen, und ich] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand M die Menschen ehren] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand N unverusserlichen] verusserlichen in Ts. [1], in Ms [1]: unverusserlichen, in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: unverusserlichen O dieser] in Ms. [1] danach gestrichen: ethischen P dem Gehalt] in Ms. [1] statt gestrichenem: der Form A B
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und die wahrhafte Vollendung philosophischen Denkens und Forschens. Erst durch den Hinblick auf dieses Ziel A kann nach ihm B der Schulbegriff der Ph[ilosophie] in ihren Weltbegriff bergefhrt werden. Im letzten Teil der Kritik d[er] r[einen] V[ernunft] C findet sich ein Abschnitt, dem Kant den Titel gegeben hat: “Die Architektonik der reinen Vernunft” D . Hier wird erklrt, dass es einen doppelten Gebrauch und einen doppelten Begriff der Ph[ilosophie] gebe, den einen, den man als ihren Schulbegriff, den anderen, den man als ihren Weltbegriff bezeichnen knne. Kant denkt von dem Schulbegriff der Ph[ilosophie] keineswegs gering; er ist vielmehr berzeugt, dass alle Grndlichkeit und alle wirkliche Sicherheit philosophischer Erkenntnis auf ihm, E dass sie auf der gesetzmssigen Feststellung der Prinzipien, der deutlichen Bestimmung der Begriffe[,] F der versuchten Strenge der Beweise beruhe. G Und doch begngt er sich nicht damit H , die Ph[ilosophie] nach diesem I ihren reinen Schulbegriff zu verstehen, und demgemss in ihr nichts anderes als die logische Vollkommenheit der Erkenntnis und die systematische Einheit des Wissens zu suchen. “Es gibt[”] – so sagt er – J [“]noch einen Weltbegriff (conceptus cosmicus) der Philosophie K, der dieser Benennung jederzeit zum Grunde gelegen hat, vornehmlich wenn man ihn gleichsam personifizierte und in dem Ideal des P h i l o s o p h e n sich als ein Urbild vorstellt. In dieser Absicht ist Ph[ilosophie] die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae), und der Philosoph ist nicht ein Ziel] in Ms. [1]: Problem, danach gestrichen: erst durch die Besinnung auf die letzten ethischen Ziele menschlich-geistiger Kultur B nach ihm] in Ms. [1] ber der Zeile eingefgt C Im letzten Teil der ... Vernunft] in Ms. [1] danach gestrichen:, in dem Abschnitt, der von der “transzendentalen Methodenlehre” handelt, unterscheidet Kant einen doppelten Begriff der Philosophie D “Die Architektonik der reinen Vernunft”] in Ms. [1] statt gestrichenem: Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft. Hier wird ein doppelter [gestrichen: Gebrauch] Begriff E alle Grndlichkeit und alle wirkliche Sicherheit philosophischer Erkenntnis auf ihm,] in Ms. [1] statt gestrichenem: jede wahrhafte Grndlichkeit philosophischen Denkens und Fragens auf ihm beruhe, daß nur auf Grund sorgfltigster begrifflicher Analysen die Philosophie klare Fragen stellen und zu klaren Antworten vordringen knne. Dennoch – so fhrt er fort – ist es nicht genug, F Begriffe,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt G daß sie auf der gesetzmßigen ... der Beweise beruhe.] in Ms. [1] Einschub ohne klare Zuordnung gegenber auf leerer Rckseite, geht in Tss. [1] und [2] ein H Und doch begngt er sich nicht damit] in Ms. [1] auf rechtem Rand I diesem] in Ms. [1] ber der Zeile J – so sagt er –] in Ms. [1] ber der Zeile K der Philosophie] in Ms. [1] ber der Zeile, fehlt in Kants Text A
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Vernunftknstler, sondern der Gesetzgeber der menschlichen Vernunft. In solcher Bedeutung wre es sehr ruhmredig, sich selbst einen Philosophen zu nennen A und sich anzumassen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleichgekommen zu sein”.1280 Gehrt dieses Ideal eines “Weltbegriffs der Philosophie” B , C das Kant hier zeichnet, D in einen Kreis von Vorstellungen, E die wir lngst hinter uns gelassen haben – gehrt es zu jenen Idealen, F die wir dem 18ten Jahrhundert G verzeihen, auf das H wir aber von unserem eigenen Standpunkt I aus J mitleidig, wie auf einen Kindheits- und Jugendtraum der menschlichen Vernunft, herabblicken drfen? Ich glaube es nicht – ich bin vielmehr berzeugt, dass die Frage, die hier gestellt ist, die Frage von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft sich heute – nicht nur fr den Philosophen, sondern fr uns alle, die wir in irgend einer Weise an dem Leben der Wissenschaft und an dem Leben der geistigen Kultur teilnehmen – dringender und gebieterischer erhebt, K als je zuvor. L Einer der wahrhaften Kulturphilosophen unserer Zeit, M ein Mann, der gleich verehrungswrdig ist als 1
([Kant, KrV, S.] B. 866) in Ms. [1]
zu nennen] in Ms. [1] ber der Zeile eines “Weltbegriffs der Philosophie”] in Ms. [1] danach gestrichen: zu jenem I[deal] C Philosophie”,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt D zeichnet,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt E Vorstellungen,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt F Idealen,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt G dem 18ten Jahrhundert] danach in Ms. [1]:, dem Jahrhundert der Aufklrung H das] in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: die I von unserem eigenen Standpunkt] in Ms. [1] danach gestrichen:, vom Standpunkt unseres so unermesslich bereicherten geschichtlichen, technischen, politischsozialen Wissens, auf den J aus] fehlt in Ms. [1] K erhebt,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt L dringender und gebieterischer erhebt, als je zuvor.] Das in Ms. [1] danach dokumentierte Ringen um die richtige Formulierung unterscheidet nicht eindeutig zwischen verworfenen und beibehaltenen Ausdrcken bzw. Passagen M Kulturphilosophen unserer Zeit,] danach in Ms. [1]: ein Mann, der gleich verehrungswrdig ist als Mensch und als Denker, Albert S c h we i t z e r, hat [ber der Zeile in Bleistift eingefgt: in unserer Zeit] diese Frage, die Frage nach dem ethischen Gehalt und dem sittlichen Recht unserer heutigen Kultur, aufs neue [in Bleistift markierter Einschub am Blattrand: und in radikaler Schrfe] gestellt. Er erkennt in unserer Kultur schwere geistige und ethische Gebrechen – und er wirft es der Philosophie vor, daß sie diese Gebrechen nicht frher als solche verstanden hat und daß sie nicht energischer zu ihrer Heilung gearbeitet habe. “Nun ist fr alle offenbar” – so hat Albert Schweitzer in jenen [in Bleistift statt: A B
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Mensch wie als Denker, A l b e r t S c h we i t z e r, 281 hat an unsere gesamte gegenwrtige Kultur wiedereinmal diese Grundfrage, diese eigentliche Gewissensfrage gestellt, A – und er hat sie klar und unerschrocken beantwortet. Schweitzer erkennt in unserer Kultur schwere geistige und ethische Schden, und er wirft der zeitgenssischen Ph[ilosophie] vor, dass sie diese Schden nicht frh genug gesehen und daher nicht rechtzeitig vor ihnen gewarnt hat. “Nun ist fr alle offenbar” – so hat Albert Schweitzer in jenen Vorlesungen B gesagt, die er hier in Schweden, in Uppsala, vor ber 12 Jahren gehalten C hat D – “nun ist fr alle offenbar, dass die Selbstvernichtung der Kultur im Gange ist. Auch was von ihr noch steht, ist nicht mehr sicher. Es hlt noch aufrecht, weil es nicht dem zerstrenden Drucke ausgesetzt war, dem das andere zum Opfer fiel. Aber es ist ebenfalls auf Gerll gebaut. Der nchste Bergrutsch kann es mitnehmen.” 282 Dass es zu diesem Zerfall E , zu dieser Abbrckelung unserer geistig-ethischen Kulturideale kommen konnte F , das war, nach Schweitzer, nicht Schuld der Ph[ilosophie], sondern eine Tatsache, die sich in der Entwicklung des Denkens, aus anderen Bedingungen heraus, G einstellte. “Aber seinen] Vorlesungen gesagt, die er hier in Schweden [in Bleistift gestrichen: in Uppsala] vor ber 12 Jahren [statt gestrichenem: im Jahre 1923] gehalten hat. Dieser mehrfach in Bleistift korrigierte und ergnzte Text ist in Ms. [1] mittels diagonalem Strich und Zeilenstreichungen als zu ersetzend bzw. als zu streichend markiert, allerdings erst ab: die Frage nach dem ethischen Gehalt [...]. Gleichzeitig weist ein langer Pfeil in Bleistift auf Formulierungen ersetzenden Charakters, die sich links gegenber auf der Blattrckseite finden: Einer unserer wahrhaften Kulturphilosophen [statt gestrichenem: Einer der Mnner, die an unsere gesamte gegenwrtige Kultur wieder einmal die Grundfrage, die eigentliche Gewissensfrage gestellt und der sie klar und unerschrocken beantwortet hat] – ein Mann, der als Denker und als Mensch gleich verehrungswrdig ist, [ber der Zeile eingefgt: Albert Schweitzer], hat an unsere gesamte gegenwrtige Kultur wieder einmal deren Grundfrage, deren eigentliche Gewissensfrage gestellt – und er hat sie klar und unerschrocken beantwortet. Schweitzer erkennt in unserer Kultur schwere geistige und ethische Schden – und er wirft der zeitgenssischen Philosophie vor, daß sie diese Schden nicht frh genug erkannt und daher nicht rechtzeitig und energisch an ihre Heilung gedacht hat Von hier fhrt ein Pfeil in Bleistift zurck auf die rechte Seite, hin zu gestrichenen Zeilen “Nun ist fr alle offenbar” [...], die damit ‘rehabilitiert’ werden A gestellt,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt B Schweitzer in jenen Vorlesungen] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand C vor ber 12 Jahren gehalten] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand D in Uppsala, vor ber 12 Jahren gehalten hat] danach in Ms. [1]: und die dann unter dem Titel “Verfall und Wiederaufbau der Kultur”, als erster Teil seiner Kulturphilosophie, erschienen sind E Zerfall] in Ms. [1]: Verfall F kommen konnte] in Ms. [1]: gekommen ist G , aus anderen Bedingungen heraus,] fehlt in Ms. [1]
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schuldig an unserer Welt[”][–] erklrt Schweitzer A [–] [“]wurde die Ph[ilosophie] dadurch, dass sie sich die Tatsache nicht eingestand B ... Ihrer C letzten Bestimmung nach ist die Ph[ilosophie] Anfhrerin und Wchterin der allgemeinen Vernunft. Ihre Pflicht wre es gewesen, unserer Welt einzugestehen, dass die ethischen Vernunftideale nicht mehr wie frher in einer Totalweltanschauung Halt fnden, sondern bis auf weiteres auf sich selbst gestellt seien und sich allein durch ihre innere Kraft in der Welt behaupten mssten. Sie htte uns zeigen mssen, dass wir um die Ideale, auf denen unsere Kultur beruht, zu kmpfen haben ... Mit aller Energie htte die Aufmerksamkeit der Gebildeten und der Ungebildeten auf das Problem der Kulturideale gelenkt werden mssen. Aber in der Stunde der Gefahr schlief der Wchter, der uns wach erhalten sollte. So kam es, dass wir nicht um unsere Kultur rangen.” 283 Ich glaube, dass wir alle, die wir in den letzten Jahrzehnten im Gebiet der theoretischen Ph[ilosophie] gearbeitet haben, in einem gewissen Sinne diesen Vorwurf Schweitzers verdienen D – ich nehme mich selbst nicht aus und ich spreche mich selbst nicht frei. E Um den Schulbegriff der Ph[ilosophie] bemht, in seine Schwierigkeiten versenkt, in seiner subtilen Problematik wie gefangen, F haben wir nicht selten ihren wahren Weltbegriff allzusehr aus den Augen verloren. Aber heute knnen wir vor der drohenden Gefahr nicht lnger die Augen verschliessen. Heute mahnt uns die Not der Zeit, strker G und gebieterischer als jemals, H dass es sich auch fr die Ph[ilosophie] wieder um ihre letzten und hch-
erklrt Schweitzer] in Ts. [1] ber der Zeile eingefgt nicht eingestand] danach in Ms. [1]: und in der Illusion verblieb, als ob sie wirklich einen Fortschritt der Kultur unterhielte. C Ihrer] in Ts. [2] per Hand korrigiert aus: ihrer zu: Ihrer D Ich glaube, ... diesen Vorwurf Schweitzers verdienen] in Ts. [2] diese drei Zeilen mit schrger Linie gestrichen E gearbeitet haben, ... mich selbst nicht frei.] In Ms. [1]: gearbeitet haben – ich nehme mich selbst nicht aus [gestrichen und am Rand in Bleistift wieder eingefgt: ich nehme mich selbst nicht aus] – und ich spreche mich selbst nicht frei [statt gestrichenem: ich nehme mich aber nicht aus] in einem gewissen Sinne diesen Vorwurf Schweitzers [zu] verdienen. Danach eingefgt und wieder gestrichen: ich nehme mich selbst nicht aus und ich spreche mich selbst nicht frei F in seine Schwierigkeiten versenkt, in seiner subtilen Problematik wie gefangen,] in Ms. [1]: in seine Schwierigkeiten, seine Subtilitten, seine Problematik [ersetzt: ihn] versenkt, G strker] in Ms. [1]: dringender H jemals,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt A B
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sten Entscheidungen handelt. A Gibt es berhaupt B so etwas wie eine objektive theoretische Wahrheit, und gibt es so etwas wie C das, was frhere D Generationen unter dem Ideal der Sittlichkeit, der Humanitt verstanden haben – gibt es allgemein verbindliche, berindividuelle, berstaatliche, bernationale ethische Forderungen? E In einer Zeit, in der solche Fragen gestellt werden F, G kann die Ph[ilosophie] nicht stumm und tatenlos beiseite stehen. Wenn jemals, so gilt es jetzt fr sie H , sich wieder auf sich selbst zu besinnen: auf das[,] was sie ist und was sie war, auf ihre systematische Grundabsicht und auf ihre geistig-geschichtliche Vergangenheit. Es ist nicht das erste mal, dass man der Ph[ilosophie] jeden Anspruch I, in
handelt.] In Ms. [1] danach gestrichen: Denn jetzt wird der Philosophie nicht mehr ein einzelner Anspruch bestritten oder beschrnkt, jetzt handelt es sich um ihren Gesamtsinn und um ihre universale Aufgabe. Mchtige Krfte sind am Werk, die sich nicht gegen diesen oder jenen theoretischen oder praktischen Einzelsatz der Philosophie wenden, sondern die ihr jenes fundamentale Prinzip, jenen fundamentalen Anspruch logischer und ethischer Postulate bestreiten, auf dem sie bisher gegrndet war und mit dem sie steht und fllt. B berhaupt] in Ms. [1] danach gestrichen: noch C wie] in Ms. [1] danach gestrichen: allgemein D das, was frhere] in Ms. [1] ber der Zeile E bernationale ethische Forderungen?] In Ms. [1] danach gestrichen: Der Antwort auf diese Frage kann sich die Philosophie nicht entziehen – denn tte sie es, wiche sie diesem Kampfe aus, so wrde sie damit sich selbst aufgeben, so wrde sie ihre systematische Aufgabe, wie ihre gesamte geschichtliche und geistige Vergangenheit verleugnen. Aber ein Trost und eine Strkung mag es fr die Philosophie sein, daß sie in diesem Kampfe nicht allein steht. Ohne den Begriff und das Ideal einer selbstndigen, einer autonomen und objektiven Wahrheit wrde nicht nur die Philosophie, wrde auch jede besondere Wissenschaft, vor allem jede besondere Geisteswissenschaft, ihren Halt und ihren Wert verlieren. So ist es gerade in unserer Zeit ein gemeinsames Schicksal[,] dem sich die Philosophie und die anderen Wissenschaften gegenber sehen. Aber jenem Pessimismus [danach gestrichen: und Fatalismus], der da glaubt, daß die Schicksalsstunde unserer Philosophie und unserer gesamten geistig wissenschaftlichen Kultur geschlagen hat und daß wir nichts anderes tun knnen, als fatalistisch das Ende, den Untergang abzuwarten – ihm wollen wir uns nicht verschreiben. Ihm setzen wir die berzeugung von der wesenhaften Freiheit [danach gestrichen: und von der Unzerstrbarkeit] des Geistes entgegen – jener Freiheit, kraft deren er selbst immer wieder aller Gebundenheiten und allen usserem Zwang entringt, um seiner selbst, seiner Urkraft und seiner Grundbestimmung gewiß zu werden. – Ersatz und Fortgang: In einer Zeit [...] unserer Persnlichkeit. Nach Streichung folgt: Lassen sie mich damit, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren] [...] F werden] in Ms. [1] danach ber der Zeile eingefgt und wieder gestrichen: und in der sie, mit dem Einsatz gewaltiger realer Machtmittel vertreten werden G werden,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt H Wenn jemals, so gilt es jetzt fr sie] in Ms. [1]: Hier gilt es fr sie I jeden Anspruch] in Ms. [1]: jede Kraft A
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das reale Geschehen einzugreifen, bestritten hat – dass man ihre Forderungen und Ideale als leere A Trume und Utopien B verlacht hat. Aber ihre innere Kraft, ihre ideelle C Leistung D ist durch solchen Spott und durch solche Skepsis nicht gemindert oder geschwcht worden. Und nur indem sie diese ideelle Leistung klar und sicher und rein erhlt, kann sie hoffen, mittels ihrer auch wieder auf das ussere Dasein und Geschehen zu wirken. EF Wenn G die Ph[ilosophie] sich fr diesen Kampf, der ihr heute wieder auferlegt ist, H zu schwach fhlen sollte, so mag es ihr zum Trost und zur Strkung dienen, dass sie in ihm nicht lnger allein steht – dass sie nicht ihre eigene Sache, I sondern die Sache der Wissenschaft berhaupt, zu vertreten und zu verfechten hat. Ohne den Anspruch auf eine selbstndige, J eine objektive und autonome Wahrheit wrde nicht nur die Ph[ilosophie], sondern auch jede besondere Wissenschaft, die Naturwissenschaft wie die Geisteswissenschaft[,] ihren Halt und ihren Sinn verlieren. So ist es in unserer Zeit nicht nur eine methodische Forderung, K es ist ein gemeinsames geistiges Schicksal, das die Ph[ilosophie] und die Einzelwissenschaften verknpft und das sie L fest an einander bindet M. Dem Pessimismus, der da glaubt, dass die Schicksalsstunde N fr unsere O Kultur geschlagen hat P, dass der Untergang des Abendlandes Q284 unabwendbar ist R , dass wir nichts anderes tun knnen, als diesem Untergang gefasst und gelassen zuzusehen – diesem Pessimismus und Fatalismus wollen wir uns nicht hingeben. S Auf der anderen Seite knnen wir T uns heute leere] in Ms. [1] danach gestrichen: utopische und Utopien] fehlt in Ms. [1] C ideelle] in Ms. [1] ber der Zeile eingefgt D Leistung] fehlt ind Ts. [1], in Ms. [1]: Leistung, in Ts. [2] per Hand ber der Zeile hinzugefgt E zu wirken.] Danach in Ms. [1] gestrichen: Und in diesem Kampf, in dem sie heute wieder steht F zu wirken.] In Ms. [1] Absatzzeichen in Bleistift, fehlt in Tss. [1] und [2] G Wenn] in Ms [1] danach gestrichen: wirklich H ist,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt I Sache,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt J selbstndige,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt K Forderung,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt L das sie] fehlt in Ms. [1] M verknpft und ... bindet] in Ms. [1] statt gestrichenem: verbindet N Schicksalsstunde] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand O unsere] in Ms. [1] danach gestrichen: abendlndische P hat] in Ms. [1]: habe Q Abendlandes] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand R unabwendbar ist] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: bevorsteht S hingeben] in Ms. [1] statt gestrichenem: berlassen T knnen wir] in Ms. [1] statt gestrichenem: drfen wir A B
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weniger als je jenem Optimismus berlassen, der aus Hegels berhmtem Worte spricht: “Was vernnftig ist, das ist wirklich, was wirklich ist, das ist vernnftig.” A285 Wir mssen auch hier wieder den gleichen Schritt tun als wie zuvor; wir mssen die substanzielle Auffassung der Vernunft, von der Hegels System beherrscht und durchdrungen ist, durch eine funktionale Auffassung ersetzen. B Hegel erklrt die Vernunft als die Substanz, C die immanent und als das Ewige[,] das gegenwrtig ist. Aber die Vernunft ist niemals ein schlechthin Gegenwrtiges D; sie ist nicht sowohl ein Aktuales, als ein stetig und immer zu Aktualisierendes, nicht ein Gegebenes, sondern ein Aufgegebenes E. Noch weit mehr als im Gebiet der theoretischen Vernunft gilt es im Gebiet der praktischen Vernunft, dass wir die wahre Natur der Vernunft niemals im blos-Bestehenden, im Fertigen und Vorhandenen erfassen knnen, sondern dass wir sie in der ewig sich erneuernden A r b e i t des Geistes aufsuchen mssen. Und diese Arbeit ist nicht die eines substanzialen, metaphysischen Weltgeistes, der ruhig sein immanentes Werk vollzieht und ber alles individuelle Wollen und Planen hinausgeht. Es handelt sich um eine Aufgabe, die uns selbst gestellt ist und fr die wir, mit dem Einsatz all unserer Krfte zu ringen haben: mit dem Aufgebot der strengen, unbestochenen, von Vorurteilen freien F Forschung und mit dem ganzen Einsatz unseres Willens und unserer Persnlichkeit. G das ist wirklich, was wirklich ist, das ist vernnftig.”] in Ts. [2] Unterstreichung per Hand B ersetzen] danach in Ms. [1]: und berichtigen C Substanz,] in Ts. [2] Komma per Hand eingefgt D Gegenwrtiges] gegenwrtiges; in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: Gegenwrtiges E Aufgegebenes] Aufzugebendes in Ts. [1], in Ms. [1]: Aufgegebenes, in Ts. [2] per Hand korrigiert zu: Aufgegebenes F freien] in Ts. [1] vergessen G Aber die Vernunft ... unseres Willens und unserer Persnlichkeit.] In Ms. [1]: Aber die Vernunft ist nicht sowohl ein Aktuales, als ein stetig und immer zu Aktualisierendes, nicht ein Gegebenes [statt: eine Wirklichkeit], sondern ein Aufgegebenes, ^nicht ein fertig-Bestehendes und Wirkliches, sondern ein zu Verwirklichendes&[.] Die Aktualisierung, die [statt: Und diese] Verwirklichung der Vernunft kann sich nicht anders vollziehen, als mit dem Aufgebot aller geistigen Krfte: mit dem Aufgebot der strengen, unbestochenen, von Vorurteilen freien Forschung [in Bleistift unter der Zeile statt: Denkens], [danach gestrichen: mit] wie mit dem ganzen [ganzen ber der Zeile in Bleistift] Einsatz unseres Willens und unseres [Willens und unseres ber der Zeile in Bleistift] persnlichen [danach in Bleistift gestrichen: unseres sittlichen ethischen] Seins. Danach Text in Bleistift vertikal auf linkem Rand verfaßt: Und hier handelt es sich nicht nur, um eine geist[ige] Arbeit, sondern – eine Arbeit des Willens [eine Arbeit des Willens unter der Zeile hinzugesetzt]. Noch weit [weit ber der Zeile eingefgt] mehr als im Gebiet der theoretischen Vernunft gilt es im Gebiet der praktischen Vernunft, daß [danach gestrichen: sich uns, was die Vernunft ist und will sich niemals in der Form.] wir die [wir die Lesung unsicher, mglich auch: um die] wahre Natur und A
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Lassen A Sie mich damit, meine D[amen] u[nd] H[erren], diese Betrachtungen beschliessen. Niemand kann mehr B als ich selbst empfinden, wie skizzenhaft C sie geblieben sind – und niemand kann mehr als ich selbst diesen ihren skizzenhaften Charakter bedauern. Ich durfte nicht weiter gehen und ich durfte nicht tiefer zu dringen versuchen, wenn ich nicht die D mir zugebilligte E Zeit ungebhrlich berschreiten wollte. Aber ich hoffe, dass es mir trotz allem gelungen ist, Ihnen anzudeuten, wie ich die allgemeine Aufgabe der philosophischen Erkenntnis verstehe – und demgemß auch die besondere F Aufgabe, die G mir heute von der Hochschule Gteborg bertragen H wird. Es ist heute fr mich nicht nur eine Pflicht, die mir auferlegt ist, I es ist mir ein wahrhaftes und inneres Bedrfnis, allen denen herzlich zu danken, die daran mitgewirkt haben, J dass dieser neue, grosse und schne Kreis des Arbeitens, des Forschens und Lehrens sich mir erffnet. Ich danke dem Direktorium der Hochschule, das mich hierher berufen hat – und eine ganz K besondere Freude ist es mir, L in dem Vorsitzenden dieses Direktoriums M einen Mann begrssen N zu drfen O mit dem ich seit langem durch wissenschaftliche Interessen und durch gemeinsame philosophische Bestrebungen verbunden gewesen bin P. Von ihm, von Landshvding M a l t e J a c o b s s o n Q286 ist der Gedanke an meine Berufung nach Gteborg zuerst gefasst und trotz all den nicht unbeLassen] in Tss. [1] und [2] Absatz nicht eingerckt, aber in Ms. [1] mehr] in Ms. [1] statt gestrichenem: strker C skizzenhaft] in Ms. [1] danach gestrichen: und flchtig D die] in Ms. [1] danach gestrichen: knappe E zugebilligte] in Ms. [1] danach gestrichen: knappe F besondere] danach in Ms. [1]: persnliche G die] in Ms. [1] danach ber der Zeile eingefgt und in Bleistift wieder gestrichen: selbst H bertragen] in Ms. [1] danach in Bleistift gestrichen: und anvertraut I die mir auferlegt ist,] in Ms. [1] statt gestrichenem: deren ich mich zu entledigen habe, J die daran mitgewirkt haben,] in Ms. [1] statt gestrichenem: denen ich es verdanke, K ganz] in Ms. [1] gestrichen L eine ganz besondere Freude ist es mir,] in Ms. [1] statt gestrichenem: und es ist mir eine ganz besondere persnliche Freunde, M in dem Vorsitzenden dieses Direktoriums] in Ts. [1] danach gestrichen:, in Landshvding Malte Jacobsson, in Ts. [2] keine Streichung N begrssen] in Ms. [1] statt gestrichenem: zu sehen, O drfen] in Ms. [1] in Bleistift ber der Zeile: knnen P verbunden gewesen bin] in Ts. [1] danach drei Zeilen von S. XV abgeschnitten: und der mich bei all den schwierigen berlegungen und Entscheidungen, die meiner bersiedelung nach Gteborg vorausgingen seinen [danach gestrichen: freundschaftlichen] Rat und seine Hilfe in echt freundschaftlicher Gesinnung gewhrt hat. Ich. Abgeschnittene Textpassage auf S. XVa neu formuliert und teilweise per Hand ergnzt: Von ihm, von Landshvding [...] allen Mitgliedern des Lrarerad Q M a l t e J a c o b s s o n ] Hervorhebung in Bleistift A B
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trchtlichen Schwierigkeiten, die zu berwinden waren, festgehalten und gefrdert worden – A und er ist es auch B gewesen, der mir bei all den schwierigen berlegungen und Entscheidungen, die meinem Entschluss voraus gingen, seinen Rat und seine Hilfe in echt freundschaftlicher Gesinnung gewhrt hat. C Dem Herrn Rektor 287 danke ich nicht allein fr den Anteil, den er an meiner Berufung gehabt hat, sondern mehr noch fr die so ausserordentlich ehrenvollen und herzlichen Worte, die er in der Einladungsschrift zu dieser Feier an mich gerichtet hat. Ich darf Ihnen[,] sehr verehrter Herr Rektor[,] versichern, dass ich mich durch diese Worte innerlich bewegt und beglckt fhle. Wenn es irgend etwas geben konnte, das geeignet war, mir Kraft und Vertrauen einzuflssen fr die neue Aufgabe, die mich hier an Ihrer Hochschule erwartet, so ist es diese Ihre Begrssung gewesen. D Aufs herzlichste danke ich auch allen Mitglie-
ihm ... gefrdert worden –] handschriftlicher Zusatz (Ts.-S. XVa) in schwarzer Tinte statt gestrichenem Satzanfang: Er war der erste[,] der den Gedanken an meine Berufung nach Gteborg gefasst hat B auch] in Ts. [1] ber der Zeile per Hand C mit dem ich seit langem ... Gesinnung gewhrt hat.] In Ms. [1]: mit dem ich [danach gestrichen: durch langjhrige] seit [danach in Bleistift gestrichen: vielen] Jahren durch [danach gestrichen: freundschaftliche] nahe pers[nliche] und sachliche Beziehungen [danach gestrichen: und], durch die Gemeinsamkeit [danach gestrichen: sachlicher] wissenschaftl[icher] Interessen [danach gestrichen: und sachlicher Gemeinsamkeiten], [danach gestrichen: und durch eine Verwandtschaft], in philosophischen [danach gestrichen: Grundanschauungen] Bestrebungen [danach gestrichen und in Bleistift erneut eingefgt: verbunden] gewesen bin. In Ms. [1] andere Version des Textes in Bleistift ohne eindeutige Prferenz: mit dem ich seit langem durch wissenschaftliche Interessen und durch gemeinsame philosophische Bestrebungen verbunden gewesen bin und [danach gestrichen: seit jetzt mich] der mir jetzt bei all den schwierigen Entscheidungen, vor die ich gestellt bin, [danach gestrichen: mich fortgesetzt mit seinen freundschaftlichen] [danach gestrichen: in echt] seinen freundschaftlichen [danach gestrichen: Weise mit seinem Rat und seiner Hilfe] Rat und seine freundschaftliche Hilfe hat zur Tat werden lassen. Textversion wird sinngemß in Ts. [1] bernommen. In schwarzer Tinte stehen zwei Satzteile zwischen den Bleistiftzeilen, die offenbar nicht zu ihnen gehren: berlegungen, die meiner bers[iedelung] nach Gt[eborg] vorausgingen und: in echt freundschaftlicher. Darber noch die Formulierungen: und bei all den [danach gestrichen: schweren] Entscheidungen, vor die ich gestellt und: bei all den schwierigen berlegungen und Entscheidungen, vor die ich mich gestellt sah, in wahrhaft freundschaftlicher Weise beraten [danach gestrichen: und untersttzt] hat. D Dem Herrn Rektor ... diese Ihre Begrssung gewesen.] im Ts. [1] (S. XVa) statt abgeschnittenen drei oberen Zeilen (S. XVI): Ich danke dem Herrn Rektor, Prof. Karlgren[,] [danach gestrichen in Ms. [1]: fr all die Mhe, die mit der Vorbereitung meiner Berufung verbunden war.] fr die vielfltige Mhe und Arbeit, die ich ihm in den letzten Monaten wider meinen Willen oft aufbrden musste, A Von
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dern des Lrarerad A , B der mich heute in seinen Kreis aufnimmt. Ein Wort des Grusses mchte ich auch an C die Studentenschaft der Hochschule Gteborg richten D und insbesondere an E meine Hrer, die sich durch F die G Schwierigkeiten, die die fremde Sprache notwendig mit sich bringt, vom Besuch meiner Vorlesungen nicht haben abschrecken lassen. Ich hoffe, dass es mir auch hier in Gteborg H gelingen wird, recht bald in jene enge Zusammen- und Mitarbeit mit meinen Hrern und in jenes nahe persnliche Verhltnis zu kommen, I die J das schnste Vorrecht und das hchste Glck des akademischen Lehrers K bilden. L Ich will Ihnen Lrarerad] in Ms. [1]: Lror d Aufs herzlichste danke ich auch allen Mitgliedern des Lrarerad,] in Ts. [1] (S. XVa) statt Formulierung (S. XVI): und ich begrsse aufs herzlichste alle Mitglieder des L r a re r a d , C an] in Ms. [1] in Bleistift eingefgt D richten] in Ms. [1] in Bleistift statt gestrichenem: sagen E an] in Ms. [1] mit Bleistift eingefgt F durch] in Ms. [1] danach eingefgt und wieder gestrichen: all G die] in Ms. [1] danach gestrichen: besonderen H hier in Gteborg] in Ms. [1] ber der Zeile statt gestrichenem: an dieser Stelle I recht bald ... persnliche Verhltnis zu kommen,] in Ms. [1]: recht bald in jenes nahe persnliche Verhltnis zu meinen Hrern und in jene enge Zusammen- und Mitarbeit mit [danach gestrichen: den jngeren Studierenden] [in Bleistift eingefgt: ihnen] zu kommen, J die] danach in Ms. [1] gestrichen: den ja und: den eigentlichen Reiz und: in K des akademischen Lehrers] in Ms. [1] statt gestrichenem: der akademischen Lehrttigkeit L das hchste Glck des akademischen Lehrers bilden.] In Ms. [1] danach gestrichener Text, der in drei – ungltig gemachten – Versionen fortgefhrt wird: In dieser auch fr mein knftiges persnliches Geschick so wichtigen und so entscheidungsvollen Stunde mchte wohl auch ein persnliches Wort sich auf meine Lippen drngen – [gestrichene Fortfhrungsversion 1:] und ich bin [danach gestrichen: gewiss] berzeugt[,] daß Sie, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], [danach gestrichen: ein solches Wort] eine solche persnliche usserung nicht nur verstndlich und verzeihlich finden wrden. Aber ich drnge all dies bewusst zurck. Was diese [danach gestrichen: Einfhrung in ein neues Amt] Stunde fr mich persnlich bedeutet, was sie an freudigen [danach gestrichen: Empfindungen und Erwartungen und was sie an schmerzlichen] Hoffnungen in sich birgt und was fr schmerzliche Erinnerungen [danach gestrichen: in sich schliesst; von alledem darf ich in diesem Augenblick] sie in mir wachruft: davon kann und darf ich hier nicht sprechen. [danach gestrichen: Ich darf] Nur von den sachlichen Aufgaben [danach gestrichen: sprechen,], die mir gestellt sind [danach gestrichen: und von der Verantwortung und Verpflichtung, die sie mir auferlegen], darf ich zu Ihnen reden. Daß Sie mir dieses Amt an Ihrer Hochschule anvertrauen wollen, das empfinde ich nicht nur als eine hohe persnliche Ehre: ich darf darin eine Anerkennung der Prinzipien sehen, die ich in meiner philosophischen und wissenschaftlichen Arbeit vertreten und unter die ich diese Arbeit von Anfang an gestellt habe. [danach gestrichen: Und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß] Was die AnerkenA B
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nung dieser Prinzipien [danach gestrichen: wie schwer] [danach gestrichen: wichtig und bedeutsam] gerade im jetzigen Augenblick [danach gestrichen: diese Ihre Anerkennung] fr mich [danach gestrichen: ist] bedeutet – das brauche ich Ihnen nicht zu sagen[.] [danach gestrichen: Von diesem] Aus diesem Gefhl heraus habe ich das Amt, das Sie mir bertragen haben, gern und mit freudigem Stolz angenommen. Ungltig gemachte Fortfhrungsversion 2: [danach gestrichen: Aber ich muß es mir versagen, dieses Wort zu sprechen] Eine solche persnliche ußerung – dessen bin ich gewiß – [ – dessen bin ich gewiß – ber der Zeile in Bleistift eingefgt] wrde nicht nur [in Bleistift gestrichen: verstndlich und verzeihlich] von Ihnen verziehen und von Ihnen verstanden worden [Ihnen verziehen und von Ihnen verstanden worden in Bleistift eingefgt] sein; ich bin mir auch bewusst, daß sie in gewissem Sinne von Ihnen erwartet, ja von Ihnen gefordert werden konnte. Und doch drnge ich sie, wenn auch mit Mhe, zurck. Von all den Hoffnungen, den Erwartungen und Plnen, die diese Einfhrung in ein neues Amt in mir erweckt, kann und darf ich hier nicht reden – Pfeil verweist Formulierung am linken Rand an diese Stelle, sie nimmt den Gedanken der Version 2 wieder auf: [Ein solches] Wort wre nicht nur [danach gestrichen: verzeihlich] entschuldbar [entschuldbar in Tinte ber der Zeile eingefgt], es knnte auch als geboten u[nd] notwendig ersch[einen][.] Aber ich drnge es gewaltsam zurck[.] Von meinen persnlichen Hoffnungen u[nd] Vorstzen will ich nicht sprechen [weiter im gestrichenen Fließtext:] und noch weniger von all den schmerzlichen Erinnerungen, die diese Stunde in mir [danach gestrichen: auflegt] aufregt. [Einschub auf linkem Seitenrand:] Nur der neuen grossen u[nd] wichtigen sachlichen Aufgabe, die mir hier gestellt ist, drfen meine Ged[anken] gelten. Ich unterschtze sie nicht – u[nd] ich will Ihnen nicht verschweigen. [Weiter im gestrichenen Fließtext:] Nur [danach gestrichen: von den sachlichen] an die sachlichen Aufgaben, die mir hier gestellt sind, darf ich denken – und nur von Ihnen [danach gestrichen: darf] kann ich zu Ihnen sprechen. Ich sehe in dem Amt, das mir heute verliehen wird, nicht nur eine hohe persnliche Ehrung, die mir zu Teil wird. Ich betrachte es zugleich als eine Anerkennung der Prinzipien, die ich in meiner wissenschaftlichen und philosophischen Arbeit vertrete und unter die ich diese Arbeit von Anfang an gestellt habe. Aus diesem Gefhl heraus nehme ich heute das Amt[,] das mir von Ihnen [von Ihnen in Bleistift eingefgt] anvertraut wird, [danach gestrichen: mit freudigem Stolze] gern und freudig an. Ungltig gemachte Fortfhrungsversion 3: Was [danach gestrichen: der gegenwrtige Augenblick an] diese Einfhrung in einen neuen Arbeits- und Lebenskreis fr mich [danach gestrichen: bedeutet, was er an freudigen und] persnlich bedeutet – was [sie] an freudigen Erwartungen und Hoffnungen in mir aufregt, und was [sie], unvermeidlich, an schmerzlichen Erinnerungen wachruft – von alledem kann und darf ich hier nicht sprechen: Nur der neuen großen u[nd] wichtigen sachlichen Aufgabe, die mir hier gestellt ist, drfen meine Gedanken gelten. ^Was mich mit Freude und was mich mit echtem Stolz erfllt, ist der Umstand, daß ich in meiner Berufung an Ihre Hochschule [danach gestrichen: noch mehr und noch etwas anderes sehen darf als eine bloss persnliche Ehrung. Ich sehe darin zugleich – was mehr bedeutet – einen] nicht bloss eine Ehrung sehe, die mir persnlich [danach gestrichen: gilt] zu Teil wird. Ich darf darin noch etwas anderes und noch etwas mehr sehen: ich darf sie als Anerkennung der Grundstze und Prinzipien betrachten, [danach gestrichen: unter die] [danach gestrichen: von] denen meine gesamte wissenschaftliche und philosophische Arbeit [danach gestrichen: von Anfang] dienen will und durch die sie von Anfang an bestimmt worden ist. Ich will Ihnen nicht[&] Fortsetzung: verschweigen [...]
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nicht A verschweigen, dass mir der Entschluss zur Annahme dieses meines B neuen Amtes nicht leicht geworden ist, und dass ich ihn erst nach langer und reiflicher berlegung gefasst habe. Denn ich habe die bertragung dieses Amtes nicht nur als eine hohe persnliche Ehrung empfunden – ich habe auch die ganze Last der Verantwortung gefhlt, die mir damit auferlegt wird. Aber heute ist mir auch diese Last nicht mehr so drckend, als sie mir noch vor wenigen Monaten erschien. C Wenn ich vor kurzem noch mit einem gewissen Bangen an meine neue Aufgabe herangetreten bin, wenn sich in mir manche Sorgen und Zweifel regten, ob ich sie so wrde erfllen knnen D , wie ich sie zu erfllen wnschte E , so sind heute F diese Bedenken zwar keineswegs vllig verstummt G , aber sie sind gelindert und beschwichtigt worden durch die Aufnahme, die ich hier in Gteborg gefunden habe H. I berall bin ich in Ich will Ihnen nicht] in Ms. [1] statt gestrichenem: Aber ich brauche Ihnen nicht dieses meines] in Ms. [1]: des C Denn ich habe ... Monaten erschien.] In Ms. [1]: Denn ich [danach gestrichen: habe von Anfang an auch] fhle nicht nur die Ehre, die Sie mir heute erweisen, ich fhle auch [fhle nicht nur ... , ich fhle auch in Bleistift ber der Zeile] die ganze Last der Verantwortung [danach gestrichen: gefhlt], [danach gestrichen: die ein solches Amt, und unter [unleserliches Wort ...] Umstnden, mir auferlegt.] die [danach gestrichen: Sie] mit dem neuen Amt mir auferlegt [ist]. Aber heute erscheint mir [erscheint mir in Bleistift] auch diese Last[,] diese Verantwortung [diese Verantwortung in Bleistift] [danach gestrichen: nur] nun nicht als mehr so drckend, wie sie mir noch vor wenigen Monaten erschien [erschien in Bleistift]. [danach gestrichen: Heute ist auch diese Last mir in gewisser Weise erleichtert.] Aber heute erscheint mir auch diese Last[,] diese Verantwortung nun nicht als mehr so drckend, wie sie mir noch vor wenigen Monaten erschien. [Aber heute ... Monaten erschien in Bleistift] D sie so wrde erfllen knnen] in Ms. [1] statt gestrichenem: ihr ganz und wirklich gerecht sein wrde E Wenn ich vor kurzem ... sie zu erfllen wnschte] in Ms. [1] als markierter Einschub statt gestrichenem: Wenn ich vor wenigen Wochen noch mit einem gewissen Bangen in Gteborg eingezogen bin, und wenn sich ernste Sorgen und Zweifel in mir regten, ob ich der neuen Aufgabe, die mich hier erwartet, ganz gewachsen sein wrde, Auf rechtem Rand neben gestrichenem Text weist teilweise ungltig gemachter vertikaler Pfeil auf Formulierung am rechten Seitenrand: Wenn ich vor kurzem (neben [Ms.-S.] 36 unten), was offensichtlich ebendiesen Einschub meint: Wenn ich vor kurzem ... sie zu erfllen wnschte F heute] in Ms. [1] ber der Zeile eingefgt G verstummt] in Ms. [1] mit Bleistift statt gestrichenem: beseitigt H die ich hier in Gteborg gefunden habe] in Ms. [1] statt gestrichenem: die Sie mir gewhrt haben I gefunden habe.] In Ms. [1] danach gestrichen: Noch [danach gestrichen: fhle] empfinde ich die [danach gestrichen: ganze] Schwere der [danach gestrichen: Last] Verpflichtung, die das neue Amt mir auferlegt; aber ich weiss, daß ich [danach gestrichen: sie] diese Last nicht allein zu tragen haben werde. A B
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Ihrem Kreise, insbesondere im Kreise A der B Collegen, einem mich beglckenden C persnlichen Vertrauen und D echter E Hilfsbereitschaft begegnet; berall zeigte sich mir der Wille F, mich zu beraten, mich in meiner Ttigkeit zu frdern und mir ber die ersten Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Ich weiss jetzt, daß ich G in meiner Arbeit hier H nicht allein stehen werde, und ich darf hoffen, sie I so durchzufhren, wie jede philosophische Arbeit durchgefhrt werden muss und wie sie allein gedeihen kann: in engster Verbindung mit den besonderen Wissenschaften und in lebendiger Gemeinschaft, in naher persnlicher Fhlung mit ihren Vertretern. In dieser Erwartung, in dieser frohen Hoffnung J und Zuversicht K trete ich heute mein Amt an, und ich spreche noch einmal all denen meinen herzlichen Dank aus, die daran mitgeholfen haben, daß sich mir dieser neue und schne Wirkungskreis erschliesst. L
insbesondere im Kreise] in Ms. [1] statt gestrichenem: im Kreise [danach gestrichen: der] meiner Freunde und meiner Kollegen B Kreise der] in Ms. [1] in Bleistift statt: meiner C einem mich beglckenden] fehlt in Ms. [1] D persnlichen Vertrauen und] in Ms. [1] unter der Zeile E echter] in Ms. [1] danach eingefgt und wieder gestrichen: und tatkrftiger F berall bin ich ... zeigte sich mir der Wille] In Ms. [1] alternativer Text: berall bin ich hier mit einem mich sehr beglckenden Vertrauen und mit echter Hilfsbereitschaft [danach gestrichen: empfangen] aufgenommen worden[,] berall zeigte sich mir im Kreise der Kollegen der Wille G Ich weiss jetzt, daß ich] in Ms. [1] statt gestrichenem: So darf ich hoffen, H hier] in Ts. [1] ber der Zeile eingefgt I stehen werde, und ich darf hoffen, sie] in Ms. [1] statt gestrichenem: zu stehen, – sondern sie so zu beginnen und J frohen Hoffnung] in Ms. [1] statt gestrichenem: freudigen Voraussicht K Zuversicht] in Ms. [1] danach in Bleistift markierter Einschub, der leicht modifiziert in Ts. [1] eingeht: trete ich heute mein Amt an, und ich spreche noch einmal all denen, [danach gestrichen: die daran mitgewirkt haben] die daran mitgeholfen haben, daß sich mir [ber der Zeile eingefgt: hier] [danach gestrichen: dieser] ein neuer und schner Wirkungskreis [danach gestrichen: erffnet] erschließt, meinen herzlichen Dank aus. Der dadurch in Ms. [1] ersetzte Text: spreche ich noch einmal all denen, die an meiner Berufung mitgewirkt haben, meinen herzlichen Dank aus. L erschliesst.] Auf Ts.-S. XVIIv von Cassirers Hand der Vermerk: G t e b o r g / A n t r i t t s - Vo r l e s u n g A
[ T H E M Y T H O F T H E STATE . I TS OR I G I N AN D I TS MEA N I NG . T H I R D PA RT: T H E M Y T H O F T H E T W E N T I E T H C E N T U RY ] § 1. A Stages of human culture. B Rational thought C holds its ground and seems constantly to enlarge its field within the theoretical sphere. Scientific knowledge and technical mastery of nature win new and unprecedented victories. But in man’s practical and social life the defeat seems to be complete and irrevocable. Here rational thought openly confesses its breakdown. It surrenders to its most dangerous enemy – to mythical thought. That means not only the downfall of all the former intellectual values but also the subversion of all ethical values. What was adored before, is persecuted; what was persecuted, is adored. 288 In our modern theories of the state we meet a true witches’ sabbath – an orgy of thought in which “fair is foul and foul is fair.” 289 Historians D and politicians, philosophers and psychologists, sociologists and economists have made the greatest efforts to account for this E phenomenon. They have studied the special conditions under which the modern “myth of the State” has developed and has come to its full strength. I do not contest the results of these various analyses nor do I underrate their value. But to my mind they do not suffice to answer the principal F question. In all these very interesting and important separate studies we are prone to overlook or neglect an essential point. In order to understand the strange fusion of political and mythical thought that takes place in our modern theories we must, first and foremost, possess a clear insight into the character and nature of the new force which here becomes manifest and, after a short struggle, seems to overcome and subjugate all the other powers of human culture. What is myth and what is its place in man’s cultural life? Before having found the answer to this § 1.] doppelt unterstrichen; die Paragraphenzhlung befindet sich in der Ecke am oberen rechten Rand, oberhalb und rechts von einer wohl lteren Seitenzhlung: 4a (unterstrichen) B Stages of human culture.] Seite beginnt mit der Fortsetzung eines Satzes: stages of human culture.; danach beginnt in der gleichen Zeile der nchste Satz: Rational thought [...] C Rational thought] danach gestrichen: abruptly collapses. It D Historians] neuer Absatz, aber nicht eingerckt E this] danach einzeln gestrichen: phenomenon strange F principal] danach gestrichen: and most important A
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question we cannot understand the paradoxical alliance between mythical and political thought which is the keystone of the modern theories of the State. But here we meet with a great difficulty and a serious obstacle. The historical development of mythical thought and its psychological foundations have been studied very carefully. Modern ethnology has provided us with an immense material that seems to enable us to clarify this question. Nevertheless a t h e o r y of myth, in the proper sense of the term, is still a desideratum. A In spite of all efforts of recent sociological, ethnological, anthropological research myth still remains, to a large degree, an unknown quantity. We are in possession of an abundant material of facts and observations; we have a comparative mythology that extends over all parts B of the world and that leads us from the most primitive forms of mythical thought to highly developed and sophisticated conceptions. As regards the d a t a the chain seems to be almost closed; C no essential link is missing. But what remains dubious and uncertain is the general f u n c t i o n of mythical thought. A p h i l o s o p h i c a l analysis must put the lever at this point. We cannot hope to understand the role which myth plays in our modern political theories before we have reached a full understanding of its general character and meaning, D of its positive and negative nature, E of its strength and its weakness.
§ 2: T h e p l a c e F o f m y t h i c a l t h o u g h t i n h u m a n c u l t u re . J[ames] G[eorg] F r a z e r, one of the pioneers of modern anthropology, has G maintained the thesis that there is no radical difference between mythical and scientific thought. However different in their results, the two forms agree in their aim and in their general tendency. Myth H is nothing else than “primitive science” – a science very poor in its means, desideratum.] statt gestrichenem: missing parts] the parts C closed;] danach gestrichen: no essential link is missing. But what remains dubious and what still is an unsolved [danach einzeln gestrichen: and most controverted] problem is the general f u n c t i o n of mythical thought. From a p h i l o s o p h i c a l point of view this problem is of paramount importance. We must first know what myth in general i s and m e a n s before we can understand the particular role it plays in our modern political theories. D meaning,] meaning; E nature,] nature; F p l a c e ] ber gestrichenem: s t r u c t u re G has] danach gestrichen: in his standard-work: »The Golden Bough« H Myth] davor gestrichen: According to Frazer A B
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but very clear in its scope. It is the first A attempt to find order in nature – to subsume n a t u r a l phenomena under general laws. According to Frazer a man who performs a magic rite does not differ, in principle, B from a C scientist who in his laboratory makes a physical or chemical experiment. The sorcerer, the medicine man of primitive tribes, and the modern scientist think and act upon the same principles. “Wherever sympathetic magic occurs in its pure and unadulterated forms” – says Frazer in his standard-work “The Golden Bough” – [“]it assumes that in nature one event follows another necessarily and invariably without the intervention of any spiritual or personal agency. Thus its fundamental concept is identical with that of modern science; underlying the whole system is a faith, implicit but real and firm, in the order and uniformity of nature. The magician does not doubt that the same causes will always produce the same effects, that the performance of the proper ceremony, accompanied by the appropriate spell, will inevitably be attended by the desired results ... Thus the analogy between the magical and the scientific conceptions of the world is close. In both of them the succession of events is perfectly regular and certain, being determined by immutable laws, the operation of which can be foreseen and calculated precisely, the elements of caprice, of chance, and of accident are banished from the course of nature ... The fatal flaw of magic lies not in its general assumption of a sequence of events determined by law, but in its total misconception of the nature of the particular laws which govern that sequence. Magical rites are all mistaken applications of one or other of two great fundamental laws of thought, namely the association of ideas by similarity and the association of ideas by contiguity in space and time ... The principles of association are excellent in themselves and indeed absolutely essential to the working of the human mind. Legitimately applied they yield science; illegitimately applied they yield magic, the bastard-sister of science.”1 But this thesis of Frazer’s could not stand the test. From the beginning it was liable to many objections and severe criticisms. In recent anthropological litterature it seems to have been generally abandoned. Here we often meet with the opposite extreme. Far from being conceived as a prelude to scientific thought, and identical with it in its D general presupposiJ[ames] G[eorg] F r a z e r, The Golden Bough, Part I: The Magic Art and the Evolution of Kings. Third edition, New York 1935, vol. I, p. 220 f. 1
first] danach gestrichen: and very rude principle,] danach gestrichen: in the very principle of his thought, C a] danach gestrichen: modern D its] danach gestrichen: very A B
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tions and principles, myth is declared to be devoid of all theoretical elements. It is a mere phantasmagory, A composed of the crudest superstitions and the most grotesque illusions. It is an outgrowth of irrational fears and fantastic and capricious concepts. B It C is the clearest and irrefutable proof D of the “primeval stupidity” (“Urdummheit”) 290 of man. As long as we are content ourselves with looking at the mere c o n t e n t s of mythical thought such a view seems to be admissible. But the inherent defects of this theory become obvious if we study the general f u n c t i o n of myth in the development of human culture. Babylonian culture, Egyptian culture, Indian culture, Chinese culture are dominated by and pervaded with mythical elements. Shall we say that all of them are nothing but as many chapters in the general history of the “primeval stupidity” of man? In this case even E Greek culture could not be exempted from this verdict. The closer study of Greek religion has taught us that F it still contains the most “primitive” mythical conceptions. To us Greek religion is no longer the religion of Homer, – the worship of the Olympian gods. Modern history of religion has discovered, behind the images of these Homeric gods, quite different motives of religious thought. G ›The daylight world of Homer‹ – says Erwin Rohde – [›]is (thus) freed from spectres of the night ... 291 from those intangible and ghostly essences at whose unearthly activity the superstitious of every age tremble. The living are no longer troubled by the dead. The world is governed by the gods alone; not pale and ghostly phantoms, but palpable and fully materialised figures, working powerfully everywhere, and dwelling on the clear mountain tops: and brightness gleams around them.‹ 292 But this brightness and clarity is by no means a general character of Greek religion.1H Its early stages which are preserved in Greek cults and Greek rites show us quite a different face. In one of the most interesting books concerning Erwin Ro h d e , Psyche. The Cult of Souls and Belief in Immortality among the Greeks. English edition, New York 1925, p. 9. 1
phantasmagory,] phantasmagory; concepts.] danach gestrichen: It does not strive for, it does not even know of a general order of the universe; C It] it Kleinschreibung nach Streichung stehengeblieben D proof] prove Korrektur von fremder Hand E even] danach gestrichen: classical F that] danach gestrichen:, in its early stages, G quite ... thought.] unter gestrichenem: a lower stratum of religious thought [thought bei Streichung stehengeblieben], which shows us quite a different face. H religion.] danach gestrichen: But even in Greek religion this was a very late achievement. A B
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this subject, in her ›Prolegomena to the Study of Greek Religion‹ Miss Jane H a r r i s o n has insisted upon this point. She has shown us that beneath the splendid surface of the Olympians of Homer there [“]lies a stratum of religious conceptions, ideas of evil, of purification, of atonement, ignored or suppressed by Homer, but reappearing in later poets and notably in Aeschylus.[”] 293 Miss Harrison has dedicated a special chapter of her book to an enquiry into this aspect of Greek religion: to a study of the “Demonology of Ghosts and Spirits and Bogeys.”1 A As a matter of fact religion, even in its highest and most developed stages, always remains connected with its first “primitive” beginnings. Historically religion has sprung up from the soil of myth, and it cannot deny or forget this origin. A complete rationalization of religion would destroy its fundamental character B. By such a process it would forfeit its vital force, its life and vigour. The tree of religion incessantly draws its nourishment from the roots of mythical thought. If we ever should succeed in cutting off these roots it would dry up and die. Religion fulfils its task not by eradicating the primitive mythical elements but by transforming them, by moulding them into a new shape. The same holds good for all the other forms of human culture. In their first shape C all of them D are still closely connected with mythical thought. Innumerable visible or invisible ties conjoin and interlink the life of language, of art, even of science, with the life of myth. In the historical development of these forms we never find a sudden break of continuity by which they are separated, once for all, from this original source. Language may just as much be described as a product of myth as a product of logical thought. What would become of language if we ever could succeed in eliminating from it all its mythical characters, E if we should suppress all its metaphorical and figurative elements? In this case it could still be used as an abstract symbolism, but it would have suffered the loss of all its plastic expressive power. Jane E[llen] H a r r i s o n , op. cit. [Prolegomena to the Study of Greek Religion], Cambridge 1903, Chapter V, page 163ff. 1
“Demonology ... Bogeys.”] danach z. T. mehrfach gestrichen: Even in its highest and most developed stages religion indeed never forgets or denies this “primitive” origin. B character] danach gestrichen: and its best and ripe fruits C shape] ber gestrichenem: origin D all of them] danach gestrichen: – language, art, even science – E characters,] characters? Fragezeichen durch Komma ersetzt und nach if we gestrichen: should reduce all its terms to their “proper” sense and A
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This is even more evident if we look at the development of poetry and fine art. What would become of the works of the great painters, the great sculptors, the great poets – the works of Raffael or Rembrandt, of Phidias or Michelangelo, of Dante or Milton – if we deprive them of the strength[,] the wealth and variety of mythical thought and of the energy of mythical expression? In all times mythical imagination has proved to be the richest and most powerful source of artistic and poetical inspiration. Myth is, therefore, not only a transient but a permanent element of human culture. It cannot be entirely superseded; it cannot be extirpated root and branch. Man is not only an ›animal rationale‹, a rational animal; he is and remains a mythical animal. Myth inevitably belongs A to man; it is part and parcel of human nature. We may apply to it the device ›Naturam expelles furca, tamen usque recurret‹. 294 It may be suppressed and expelled, but it always recurs in a new mask and disguise. It is a manyheaded monster whose heads grow again when cut off. But in the field of religion, of art, of language this fusion and interlacement of disparate elements seems to be no serious danger. They do not enfeeble or contradict each other; they assist and complete each other. In religion, in language, in poetry[,] myth appears – to use the Hegelian term – as an “aufgehobenes Moment”. 295 It is not completely destroyed; it is in a sense saved and B preserved. But this act of preservation depends on a fundamental condition. Myth cannot be maintained without changing its form; without being elevated to a new and higher level. The organism of human culture does not succeed in separating and excreting C the mythical elements. But it develops new D and constructive powers of thought, new ethical forces, new creative energies of artistic imagination to counterpoise E these elements. It is true that the equilibrium, which is attained here between various and antagonistic forces, is never an accomplished fact. It is not a static but a labile equipoise; it is not firmly established but liable to all sorts of disturbance. F Myth inevitably belongs] am Rand statt gestrichenem: Myth is not a strange and foreign element that must be separated and executed in the progress of human civilization. It belongs B saved and] danach gestrichen: maintained and C excreting] statt gestrichenem: eliminating D new] danach gestrichen: power of thought, of feeling, E counterpoise] statt gestrichenem: outbalance F disturbance.] danach gestrichen: But all these disturbances imply no real [drawback to ber gestrichenem: danger for] man’s cultural life. After a short struggle the equilibrium seems to be reestablished and reassured. A few decades ago all of us seemed to be pretty sure of this general direction and tendency of human culture. But then came the sudden disillusionment. It began in the field of politics, but it extended gradually over all the other fields. In bricht ab A
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But all these disturbances are no real danger for man’s cultural life. After a short struggle the equilibrium seems to be quickly reestablished and reassured. A few decades ago all of us felt still pretty sure of this general direction and tendency of human culture. But then came the sudden and deep disillusionment. In the political sphere we were, so to speak, thrown back to the original chaos. Mythical thought won a new and unprecedented victory. And this could not remain an isolated phenomenon. In our modern theories of the state, developed since the beginning of the twentieth century, myth has not only invaded a special province; it has conquered the whole of human civilisation. All these theories maintain and defend a ›totalitarian‹ conception of the state. By this conception every appeal to any other A tribunal is from the very beginning declared to be null and void. There is nothing in the world to resist the power of the state. If political thought gives up its independence and B autonomy, if it surrenders to mythical thought, the superiority and supremacy of myth is decided in all the other fields. To mythicize man’s political life meant at the same time to mythicize all other human activities. There exists no longer a separate sphere which has a meaning and value of its own. Philosophy, art, religion, science are under the control and the iron grip of the new ideal. From now [on] the hybrid of myth and politics becomes omnipotent and irresistable. Here we have come to the crucial point of our problem. There must be a special reason for the fact that rational thought, after all its triumphs and victories in other fields, C collapses in the field of politics. How was it possible that rational thought which for many centuries had stood D its test and which, in the classical theories of the state, in Plato’s Republic and Aristotle’s Politics, seemed to have won the full ascendency over mythical thought, was suddenly defeated? Is there a more vulnerable point in man’s political and social life than in his theoretical life? E How is it that politics proved to be the point of l e a s t resistance for all the attacks of mythical thought, and that by invading this territory, a breach was made in the proud edifice of our modern intellectual culture? In order to answer this question we must, first of all, inquire into the general social function of mythical thought. F
other] another independence and] ber der Zeile eingefgt C fields,] danach gestrichen: suddenly D stood] danach gestrichen: the hardest tests E theoretical life?] danach gestrichen: – a point to which the attack of the enemy may be directed – a point to which all the attacks of myth may be directed. F thought.] danach ein Viertel der Seite und die Rckseite des Bl. leer A B
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§ 3 The social function of mythical thought. The common task of all scientific theories is to find a fundamental unity in the boundless multiplicity and variety of special phenomena. As to mythical thought this task is extremely difficult. At first sight myth seems to defy all efforts of unification and systematization. It is the most irregular, incalculable and capricious thing. It follows no general A rules and it acknowledges no definite limits. Its creations are immeasurable and inexhaustible. Nevertheless comparative mythology did not give up the hope to ascertain some fixed centers in the fluctuating movements of mythical imagination. That these centers are to be sought in Nature B was for a long time the current opinion of comparative mythology. The different schools were only at variance with regard to the question, which part of the physical world[,] which special object had to be regarded as the focus of mythical thought. There were sun-mythologists and lunarmythologists, C star-mythologists or meteorological, ›wind and weather‹mythologists. All of them upheld and defended the thesis that their favorite object was the ›true‹ object of the mythologies of all ages and all nations, D the general, nay the only, theme of all mythological concepts. It became E an established dogma that myth, in its principle and in its kernel, is an interpretation of physical phenomena. It is a personification of the great powers of nature – the sun, the moon, the earth, the sky, the sea. All mythical creations, however diversified, are nothing but the masks and disguises of these concrete determinate physical objects. But this conception F was shaken by the introduction of a new m e t h o d . It became clear that there is a different and more promising approach to the world of myth than the mere analysis of its objects. Myth is not a calm and reflective view of reality. It is not chiefly and principally based on empirical observations or theoretical conceptsG It is the outcome of and overflow of deep human emotions. In order to understand its structure H we must, therefore, rather study the character and the power of these emotions than any physical objects or physical forces. The true general] ber gestrichenem: definite Nature] danach gestrichen: , in the realm of physical phenomena, C lunar-mythologists,] danach gestrichen: wind-mythologists D nations,] nations; E It became] zwischen den Zeilen statt gestrichenem: What was generally accepted and what seemed to be [dann ungestrichen: an established dogma] was that myth draws its origins from an observation of natural phenomena which the F conception] davor gestrichen: principle; danach gestrichen: of mythical thought G concepts] danach gestrichen: and ideas. H structure] ber gestrichenem: character A B
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character of myth appears much more in human a c t i o n s than in ›representations‹ or ›ideas‹. This principle that first was introduced in W[illiam] Robertson Smith’s famous description of the Religion of the Semites A296 seems now to be generally admitted. It has given a new turn to all researches in the field of the history of religion and comparative mythology. ›What a people d o e s in relation to its gods‹ – it has been rightly said – [“]must always be one clue, and perhaps the safest, to what it thinks.”1297 By the introduction of this maxim B r i t e became one of the principal objects and the very centre of the study of myth. Here we seem C to find the true approach to our problem – D the keyword that unlocks the door of understanding to the mysterious world of mythical thought. Rite is of paramount and vital importance in all forms of primitive social life. It is the E firmest bond to hold together the members of a primitive society F. In a sense it is the strongest, nay the sole ligament of the whole social organism. Primitive society does not live by laws, by written statutes, by charters or constitutions. It lives by common actions which always occur in the same way, by rituals, G by religious dances, H by magical acts. I It is not so much the observation of certain recurrent physical phenomena; it is rather the strict observance of rites and ceremonies, of social acts and deeds which is at the bottom of mythical thought and which accounts for its form. Here we are not living in a physical universe governed by constant and unvariable natural laws. We live in a world of intense feelings and strong emotions. J If, in a savage tribe, the men are engaged in warfare or in any other dangerous enterprise and the women, who have stayed at home, try to assist them by executing their war-dance See Jane E[llen] H a r r i s o n , Prolegomena to the Study of Greek Religion, Introduction. 1
Religion of the Semites] danach gestrichen: has, in recent litterature, become one of the foremost methodological centers B maxim] ber gestrichenem: principle C Here we seem] am Rand statt gestrichenem: The facts of ritual are [Lesung unsicher: most] permanent and at least equally. It is here that we may hope D problem –] problem; – E the] danach gestrichen: strongest and F members of a primitive society] ber der Zeile statt gestrichenem: different individuals in the different clans of the tribe G rituals,] rituals, by danach gestrichen: ceremonies H dances,] ber gestrichenem: observances I acts.] danach gestrichen: If all this is not, time and again, performed in due time and in the right order the whole social order threatens to break down. J emotions.] emotions, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: of sympathies and antipathies. A
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this seems to be incomprehensible and absurd when judged by our ordinary empirical and practical standards. But it becomes perfectly clear as soon as we attempt to read and interpret this act, not in terms of physical, but in terms of social experience, A in terms of ›sympathy‹, instead of in terms of ›causation‹. In their war-dances the women identify themselves with their husbands. They share their hopes and fears, their emotions and agitations, their risks and dangers. And in primitive society this identification is not restricted to the specifically human sphere. It extends over the whole of nature. To the primitive mind nature is not an aggregate of physical objects or a regular connexion between physical events. B It is a great drama of life and death. Man looks at this drama not as a mere spectator but as a real partner. He takes an active part in the course of nature, in the succession of the seasons, in the change of light and darkness. Without his help the natural powers would be ineffective. The sun will not shine, the rain will not fall, the corn will not ripen, if man forgets his duty, if he does not perform his magic rites and his religious dances at the right time and in due order. We are led to the same interpretation when approaching the problem from a different side. Myth is not primarily and principally interested in an explanation of the structure of the world. Its fundamental function is to inquire into the origin of things. Not what things are but where they have come from is the proper problem of myth. All the great mythologies – Babylonian, Egyptian, Persian, Indian, German mythology – give us their tales of the C beginning of the world. Most of these tales are not only fantastic, they seem to be bizarre and burlesque. The world has been formed by the mythical creator D out of the limbs of a giant, out of a tortoise, a big astr, an egg, a lotus-plant. From the point of view of mythical thought it is of little importance which of these various and contradictory explanations is accepted. For myth is not concerned with the original stuff, with the substratum of the creation but with the process by which the different parts of the world have come into being. It is this process by which the present order is accounted for and made “intelligible”. E But even here the order of s o c i e t y is of much greater interest and significance than the order of the physical world. There seems to be no human society which does not ask the question of its first experience,] danach gestrichen: instead of in terms of ›causation‹ physical events.] physical events, danach gestrichen: between ›causes‹ and ›effects‹. C tales of the] danach gestrichen: creation D creator] danach gestrichen:, by a god or demon, E the present order is accounted for and made “intelligible”.] zwischen die Zeilen gesetzt statt gestrichenem: it strives to attempt to account for their present order. A B
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beginning. Even in the most primitive tribes – for instance in those Australian tribes that have been described by S p e n c e r and G i l l e n 298 – we meet with this fundamental problem. Even the primitive man cannot live in the social world without an attempt to understand this world – however inadequate and incongruous this understanding may be. And the only means he possesses to comprehend A the structure of society is B to trace it back to the mythical past. Totemism is the best known example of this mode of thinking and feeling. In all the systems of totemism the bodily and mental differences between the members of the tribe, the different functions that the various clans have to fulfill, the division of labour, the whole social organisation and hierarchy is explained by the properties and characters of the animal ancestor from whom the clans draw their origin. It is the different mythical descent that accounts for the different position of the clans in the general social order. We must not confound this mythical interest in the past with an historical interest. Historical interest, in the proper sense, is a very late product of human culture. It is not for the satisfaction of a mere intellectual curiosity that the primitive mind goes back to the past. What it C seeks here is not so much the beginning of things, but the justification and legitimation of things. There can be no better justification for the present order than to project it to the mythical past. Whatever has been in existence from times immemorial has, by this very fact, proved its “right” to exist. It is firm and unquestionable. To call it into question would be a sacrilege. For the primitive mind there is no more sacred thing than the sacredness of age. It is age that gives to all things, and first and foremost to all human things, their value, their dignity, their religious worth. Here we find the deepest roots of the mythical conception of the world. This conception is not a result of speculative thought. It is true that in the higher developed forms – the speculative elements become more and more conspicuous and prominent. In Indian mythology, in the Upanishads, these elements seem finally to take ascendancy over the imaginative and emotional elements. Nevertheless the latter do not lose their force D . Social desires and social emotions remain the richest and most prolific sources of mythical thought. A French scholar, E[dmond] Doutt, has given a very short and precise definition of myth by saying that the demonic and divine powers we meet in mythical thought E are ›le comprehend] ber gestrichenem: account for is] danach gestrichen: to project it and C it] von fremder Hand ber gestrichenem: he D force] danach gestrichen: and they are never entirely eliminated. E thought] thought, A B
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dsir collectif personnifi‹.1299 Collective desire is, indeed, one of the strongest and the most permanent motives of mythical thought. The progress of intellectual culture does scarcely alter this state of affairs. All the results of our intellectual culture are threatened and called into question, they begin to fade away once certain fundamental “collective desires” become predominant and overwhelming. If we bear in mind this leading part that myth, since the first dawnings of human culture, has played in man’s social life we are in a position to understand its revival in modern political thought. To speak here of a mere ›archaism‹ or ›atavism‹ would be a very inadequate and perfunctory explanation. It was a grave error of the positivism of the nineteenth century to assume that man had definitively reached A a new stage and that he had left behind himself all those forces that ever since had marked their stamp upon his social life. Lucien Lvy-Bruhl has given one of the most thorough and fascinating analyses B of the structure of the ›primitive‹ mind. This analysis is based upon the presupposition that “primitive mentality is toto caelo different from modern mentality[”]. 300 Between the two modes of thinking there is no point of contact; they are separated from each other by an insurmountable gulf. Primitive mind is a ›prelogical‹ mind. Its concepts are not to be explained in terms of our logic or our psychology. In order to describe the structure of primitive mind Lvy-Bruhl had to introduce a new language and new categories for which there seemed to be no analogy in our own behaviour, our thoughts, our customs and institutions. According to Lvy-Bruhl the fundamental and irreconcilable contrast between “primitive” and “civilized” mentality lies in the fact that the former is governed by “collective representations”. “The so-called collective representations” – he says – [“]to define them only roughly and superficially, can be recognized by the following signs: they are common to members of a given social group; they transmit themselves in it from generation to generation; they impose themselves on individuals and arouse in them, according to the case, sentiments of respect, fear, adoration, etc. for their objects.”2301 But if we admit this definition – can we really say that C the civilized mind has ceased E[dmond] Doutt, Magie et Religion dans l’Afrique du Nord, 1909, p. 601. L[ucien] Lvy-Bruhl, Les fonctions mentales dans les socits infrieures, I[ntroduction]. 1 2
reached] von fremder Hand durch Einfgungszeichen dieser Stelle zugewiesen analyses] analysis von fremder Hand verbessert C that] danach gestrichen: the modern, Komma nach Streichung stehengeblieben A B
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living in a world of collective representations, A that all this has become a remote and dark past, a thing that has faded away and sunk into insignificance in B modern culture? C Lvy-Bruhl was a follower and admirer of Auguste Comte; he has written one of the best expositions of Comte’s philosophy. 302 How could those “mystic” elements that, to his mind, characterize all collective representations D have still a decisive influence upon our civilized scientific mind? Unfortunately we can no longer judge in this way. We have learned from better experience that science and culture do not progress in a uniform and continuous way and they are by no means E proof against the attacks of mysticism. Even the history of science confirms this fact. In the whole course of its history natural science was still pervaded with mystical elements. Empirical medicine was preceded by magical medicine; alchemy precedes chemistry, astrology preceded astronomy. F G If we study Lynn Thorndike’s monumental “History of Magic and Experimental Science”1 we get a striking impression of the close connexion between the seemingly disparate elements of mythical and empirical thought. They are not necessarily opposed to each other; historically speaking they have for many centuries developed on the same lines. Even in the beginning of our modern era, in the Italian Renaissance, this interpretation is still very strong, and it seems to be indissoluble. In art, in litterature, in science and philosophy myth still holds its ground. Even as late as in the 17th century Johannes Kepler, the first and real founder of our modern empirical and mathematical astronomy speaks of astronomy as the “daughter of As[Lynn Thorndike, History of Magic and Experimental Science,] 6 vols., New York 1923-1941. 1
representations,] representations; in] statt gestrichenem: by the light of C modern culture?] danach gestrichen: To think in this way would be a dangerous illusion D representations] teilweise durchgestrichen und darber von fremder Hand deutlicher geschrieben: senta E means] danach gestrichen: safe F astronomy.] astrology. teilweise durchgestrichen und darber von fremder Hand korrigiert G astronomy.] danach z. T. mehrfach gestrichen: Even in the beginning of our modern era, in the first culture of the Renaissance, the victory of scientific thought was not yet decided and its autonomy was far from being secured. Not only in litterature, in art, but also in science and philosophy, Astrology still plays a predominent role in the Italian Renaissance. In the 17th century Kepler becomes the founder of a new science, of an empirical and mathematical astronomy. But even Kepler’s ›Astronomia nova‹ bricht ab A B
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trology” – and he warns the daughter [not] to forget or dispise her mother. 303 But all this wins an incomparably greater strength in the field of political thought. A Myth was the first power to form and organize human society. B In this sphere it has its deepest and ineradicable roots. In quiet and peaceful times, in periods of relative stability and security, it seems to be easy to check and counterbalance the hidden mythical motives. C But they are not really D defeated and subdued. Every crisis in our E social life may lead to a sudden rebellion. Not only in its practical, in its sociological or economic conditions, but also in its theoretical foundations politics is the most insecure and precarious thing. Here we are never living on a firm and stable ground. Politics always remains ›instabilis tellus, innabilis unda‹. 304 We are standing on a volcanic soil and must be prepared for abrupt convulsions and eruptions. F In the turmoil of violent political emotions the voice of rational thought is too feeble to make itself heard and understood. At these moments mythical thought regains its full strength. It is reinstated and enthroned; it claims and usurps all its former rights. It has never abandoned these rights; it was always lurking in the background waiting for its hour and its opportunity. This hour comes if all the other binding forces of social life seem to be dissolved; G if they are no longer strong enough to bridle the demonic mythical power[s] and bring them under control[.] H
§ 4: T h e h i s t o r i c a l b a c k g ro u n d o f t h e modern myths of the State. – German Romanticism. In the development of our problem German Romanticism marks a new and decisive epoch. It has paved the way that finally led to our modern myths of the State. It is, however, a mistake to confound the historical political thought.] danach gestrichen: and social life. human society.] ber gestrichenem: man’s social life. C motives.] motives; Semikolon nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: and to keep them under control of rational thought. Daneben am Rand von fremder Hand: ? D really] danach gestrichen: overthrown E our] danach gestrichen: political and F eruptions.] danach gestrichen: At these moments mythical thought is reinstated and restored to its old rights, its deep influence on man’s social life. In the turmoil of violent political emotions, in the dissolution of all the binding forces of social life and G dissolved;] danach gestrichen: and can no longer fulfill their task. H control.] danach untere Hlfte der Seite leer A B
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origin of an idea with the idea itself. To make Romanticism A responsible for all those consequences that later on were drawn from its principles and its fundamental presuppositions – a tendency that seems to be widespread in recent litterature1 – seems to me to be incorrect and unfair. It is true that our modern theories made an abundant use of all the weapons that had been forged by the Romantic thinkers. Nevertheless the line of demarcation that separates them from these thinkers is clear and unmistakable. They are not striving for B the same ends and they are not fighting for the same cultural or political ideals. What we find in our modern fascism or nationalism are only the distorted features, not the true face of the original Romantic ideas. In the history of the modern myths of the State Romanticism has played a negative, not a positive role. It C is a far cry from the genuine Romantic conceptions of the state to D the politics of our own times. In some sense they are incomparable and incommensurable. But Romanticism has removed one of the principle barriers that hitherto seemed to be invincible and insuperable. In the Romantic movement the va l u a t i o n of myth has completely changed. To all the thinkers of the 18th century myth was a barbarous thing – a strange and uncouth mass of confused ideas and gross superstitions, a mere monstrosity. Between myth and philosophy there could be no point of contact. Myth ends where philosophy begins – as darkness gives in to the rising sun. To return to it, or even to look back at it, would be a denial of all our highest cultural ideals, a renouncement of the intellectual progress of mankind. This view undergoes a radical change as soon as we pass from the period of enlightenment to early Romanticism. Philosophy and poetry are unanimous to emphasize, to praise and glorify the power of myth. Myth becomes not only a subject of the highest intellectual interest, but also a subject of awe and veneration. It is regarded as the mainspring of human culture. Art, History, Poetry originate in myth. A system of philosophy, which overlooks or neglects this fact E is declared to be shallow and inadequate. It was one of the principal aims of Schelling’s philosophy to give myth its right and legitimate place in human civilisation. In Schelling’s works we See, for instance, Peter V i e re c k , Metapolitics. From the Romantics to Hitler, New York 1941[.] 1
Romanticism] romanticism; im Folgenden stillschweigend korrigiert, ebenso romantic, romanticist B for] at C It] There D to] and Verbesserung am Rand von fremder Hand E fact] fact, Komma nach Streichung stehengeblieben A
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find, for the first time, a p h i l o s o p h y o f m y t h o l o g y – side by side with his philosophy of nature, of history, of art. And the more Schelling proceeds so much the more important and prevalent becomes this part of his system. Finally all his interest seems to be concentrated upon this problem. Myth has become the very focus of philosophical thought. Romantic poetry goes the same way. There arises a new type of poetry. Mythology was always a part of poetry; and mythical subjects have been treated, time and again, in classical litterature. But all this – it is now declared – was only accidental and superficial. What we need in poetry is the revival and rehabilitation of the mythical spirit. Romantic poetry does no longer speak in mere images, in the language of clear sensuous or intuitive forms. It must learn to speak a new language – a language of hieroglyphs, of secret and sacred symbols. That is the new gospel that we find in Novalis’A poetical works: in his Heinrich von Ofterdingen and “Die Lehrlinge zu Sais”. To Kant’s critical idealism which had played such a decisive role in the function of the aesthetic ideals of classic German litterature Novalis opposes his own ›m a g i c i d e a l i s m ‹ 305 – and this magic idealism is considered as the keystone of philosophy and poetry. In the field of political ideas we meet with the same general development. Even here Romanticism begins with challenging the rational theories of the 18th century. These theories were based upon Greek philosophy and Roman jurisprudence. All of them go back to the “NaturalRight B theories of the State”. 306 This theory elaborated by the common efforts of Stoic philosophy and Roman law had always played its great historical role. Even in the whole philosophy of the middle ages it remained the classical doctrine. But at the beginning of the modern era, in the 17th century, it begins to develop a new form and it shows a strength as never before. Almost all C the great philosophical and political writers – D Althusius and Grotius, Leibniz and Pufendorf, Locke and Rousseau, Christian Wolff and Blackstone – unanimously accept the doctrine of the natural E rights of man. The state is based upon a social compact – upon a free agreement between individual wills. But the contract of rulership which is the legal basis of all civil power has its inherent limits. Man can subdue himself to the will and command of a ruler; but he cannot
Novalis’] danach gestrichen: theory and all his Natural-Right] Nature-Right C Almost all] Almost ber der Zeile und mit Pfeil dieser Stelle zugewiesen; All gendert zu all D writers –] writers: E natural] unter gestrichenem: inborn A B
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give up those characteristics A which constitute his nature and essence – what makes him to be a man B. There are certain inviolable rights of man which cannot be restricted or transferred by the social contract. All rights of the community or of the souvereign are derivative, not original. They are derived from the inborn rights of the human individual. And the individual will cannot destroy itself. There is no act of submission by which man can give up the state of [being] a free agent and enslave himself. Neither for his own person, nor for his posterity can man C renounce the right of equality and of personal liberty. They are inviolable and indefeasible. It was the great ambition of the period of enlightenment to put these fundamental ideas developed during the 17th century into D action and thereby to prove their force and their universal applicability. “It is not enough” – wrote Condorcet – “that these original and imprescriptible rights live in the writings of the philosophers or in the hearts of all righteous men. We must read them in the example of a great nation. America has given us this example. The American Declaration of Independence is a simple and sublime expression of those sacred rights which such a long time had been forgotten”.1307 The question of the historical origin of the declaration of the Rights of Man and of Citizens by the French Constituant Assembly in August 26, 1789 is still much controverted. In a paper, published in 1895, Georg Jellinek has propounded the thesis that it is a mistake to regard this declaration as the immediate outcome and the ripe fruit of the ideas of the French philosophers of the 18th century. According to Jellinek we have to seek the real source of the legal and political ideas of the French revolution in the American declaration of independence instead of in the writings of Montesquieu or Rousseau. 308 Other authors have vividly and violently attacked this view.2 We need not enter here into this highly debated problem. For the question of p r i o r i t y is Condorcet, De l’influence de la rvolution d’Amrique sur l’Europe, 1786, Chapter 1[.] 2 See, for instance, V[incent] Marcaggi, Les origines de la dclaration [des droits] de l’homme de 1789, Paris 1904 – For further details concerning this question I refer to Fritz Klvekorn, Die Entstehung der Erklrung der Menschen- und Brgerrechte, (Historische Studien, Heft XC), Berlin 1911 and G[ustav] A[dolf] S a l a n d e r, Vom Werden der Menschenrechte (Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, Heft 19[)], Leipzig 1926. 1
characteristics] characters a man] danach gestrichen:; that is a free agent. C can man] man can D into] in A B
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here of little account. But the champions of the French Revolution and “the Fathers of American Democracy” would scarcely have understood this question. Neither of them did lay claim to any originality of their fundamental principles. They were convinced that these principles are in a sense as old as the world. They shared the view of Sophocles that the life of the “unwritten laws” 309 is not of today or yesterday but for all time. No one A knows when they were first put forth. The knowledge of the indefeasable rights of man was regarded as a ›common notion‹ – as something “that B has been always, been everywhere, and been by all believed” (“Quod semper, quod ubique et quod ab omnibus”)[.] 310 As Jefferson wrote in one of his letters, he never meant, in his draft of the Declaration of Independence, to find out “new principles, or new arguments, never before thought of, not merely to say things which had never been said before, but to place before mankind the common sense of the subject, in terms as plain and firm as to command their assent.”1 This hope was not disappointed. The principles expressed in the American and French declarations won the whole civilized world. Everywhere they were hailed with the greatest enthusiasm. Germany made no exception. The greatest German thinker, Immanuel Kant, was a fervent admirer of the French revolution. And it is characteristic of C the strength of Kant’s mind and character that he did not change his judgment when the cause of the French revolution seemed to be lost. His belief in the ethical value of the thought expressed in the Declaration of the rights of man and of citizens remained unshaken. “Such an event” – he said – [“]does not consist in important deeds or misdeeds of man, whereby, what had been great, became little and old glorious political edifices were thrown down, whereas other ones grew out of the ground. No; nothing of the kind! ... The revolution of an ingenious people which we have lived to see, may succeed or fail. It may be filled with such calamities and atrocities that a righteous man, even if he could be sure to carry it out luckily, never would decide to repeat the experiment at such a high price. In spite of all this such a revolution finds, in the minds of all spectators, a sympathy very near to enthusiasm. [...] Such a phenomenon [...] can never be forgotten; because it proves that in human nature there exLetter of Jefferson to Lee in 1825; quoted after Carl Becker, The Declaration of Independence. A Study in the History of Political Ideas, 1922, Second edit[ion], New York 1942, p. 25 f. 1
one] man nderung am Rand von fremder Hand that] what nderung am Rand von fremder Hand C of] von fremder Hand ber for A B
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ists an inclination and disposition to the better which no politician ever could have been able to predict by summing up the course of former events”.1311 But this prophecy of Kant was not fulfilled. In Germany, at least, the principles of the French Revolution and of the American Declaration of Independence were not only forgotten; they were openly defied and attacked by almost all political and philosophical schools. Fichte was the only German thinker who, in his early writings, still spoke of the rights of man in the same vein as Kant. All the other Romantic writers – Schelling and Hegel[,] Friedrich Schlegel and Adam Mller – scorn the ideas of inborn imprescriptable natural rights. The first enthusiasm – even Hegel and Schelling had shared this enthusiasm [–] was followed by a deep disillusionment and mistrust. The political reasons for this attitude are obvious. The French revolution had ended in the Reign of Terror and in the period of the Napoleonic wars. ›I hope that this fire of freedom that gains the whole of Europe‹ – wrote Benjamin Franklin in the beginning of the revolution – [“]will operate upon the invaluable rights of man in the same way as fire operates on gold: it will purify without destroying.”2 But this hope seemed to be frustrated once for all. The great promise of the French Revolution remained unfulfilled; the whole political and social order seemed to be threatened with a complete breakdown. Edmund B u r k e – one of the great authorities for the Romantic writers – called the French Constitution of 1793 ›a digest of anarchy‹ and the doctrine of inalienable right was to him “an invitation to insurrection and a persistent cause of anarchy”.3312 The return to an absolute and firmly established authority seemed to be the only way of escape. ›La raison humaine‹ – wrote Joseph de Maistre – ›est manifestement convaincue d’impuissance pour conduire les hommes ... en sorte qu’ en gnral il est bon, quoi qu’on dise, de commencer par l’autorit‹. 313 But these arguments of a British statesman and of a French aristocrat in exile were scarcely the most important and the decisive ones for the German Romanticists. They approached the problem from another side and they saw it from a different perspective. To them politics was not the first and principle concern. They lived much more in the world of “spirit,” in the world of poetry, of art, of philosophy, than in the world of hard political facts. And in this K a n t , Der Streit der Fakultten, 1798, Section II. – Werke, edited by E[rnst] Cassirer, Vol. 7, page 391ff. 2 Correspondence de Benjamin Franklin, traduite et annote par d[ouard] Laborulaye, 2 vols., Paris 1866. – cf. Klvekorn, op. cit., p. 60. 3 See Charles Grove Haines, The Revival of Natural Law Concepts, Cambridge, Mass., 1930, p. 65[.] 1
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world they had discovered a new province. Henceforth their whole attention was focussed on this discovery which filled them with the greatest enthusiasm. In early Romanticism the interest in h i s t o r y overshadows all other interests. It A is from this point of view that they denounce the Natural-Right theories of the State. The social compact is not a historical fact; it is a fiction. All theories of the state which start from such presuppositions are built on sand. Law and the State have not been “made” by men. They are no product of individual wills, and they are, therefore, not under the jurisdiction of these wills; they are not bound to and restricted by our pretended individual rights. According to the principles of the historic right school, as they were expounded by Savigny, man could not make Law any more than B he could make language, myth, religion. Human culture is not an offspring of free and conscious human activities; it originates in a “higher necessity”, 314 in the national spirit which works and creates unconsciously. That is the real philosophical center of all the political theories developed by the Romantic writers. Taken at their face value these theories seem to be rather inconsistent and unstable. The early Romanticists C do not give us a coherent system of political thought based on firm and clear principles. They often changed, suddenly and unexpectedly, from one side to the opposite side. Friedrich Schlegel was at different times an advocate of conservative and of liberal ideas; from republicanism he was converted to monarchism.1 Hegel’s political system shows us quite a different face. Its principal merit seems to consist in its uniformity and logical homogeneity. But even this system could be interpreted in various and opposite senses. Even in our own times the old conflict between the Hegelian “right wing” and the Hegelian “left wing” has not yet come to its end. In recent litterature the question could be raised, whether the present battle in Russia could not be described as the clash between these two different Hegelian schools.2 It seems to be impossible to take a system of definite, fixed, unquestionable political ideas from any Romantic For the development of Friedrich Schlegel’s political ideas see O[skar] Wa l z e l , Deutsche Romantik (English edition, New York 1932, p. 140ff.) and Carl S c h m i t t , Politische Romantik, Mnchen u[nd] Leipzig 1925, p. 153ff. 2 See Hajo Holborn, The Science of History[,] in: The Interpretation of History, Princeton 1943, p. 62[.] 1
It] im Ms. nicht eingerckt, Abschnittsmarkierung von fremder Hand than] that unterstrichen in Bleistift und am Rand von fremder Hand: than? C Romanticists] danach gestrichen:, as for instance Friedrich Schlegel, never created a coherent system A B
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writer; in most cases the pendulum swings from one pole to the opposite pole. There remains, however, one principle that is, as it were, the lodestar of all the Romantic theories. The new interpretation of history is at the root of all the various and conflicting views. But in order to understand this “Historicity” of the Romantic thinkers in its true sense we must not allow ourselves to be deceived by the catchwords of the philosophical and political schools. Over and over again the period of the enlightenment was charged by its Romantic adversaries for its complete lack of historical sense. But the arguments used for this accusation are often rather superficial and even frivolous; they cannot stand the test of a detailed investigation. To be sure the thinkers of the eighteenth century were not provided with that immense historical m a t e r i a l that has been collected in later times. But the f o r m and the character of historical knowledge was by no means unknown to them. ›I believe this to be the historical age and this the historical nation‹ 315 said David Hume, speaking of the English culture of the 18th century. Men like Hume, like Gibbon and Robertson, like Montesquieu or Voltaire can scarcely be charged with a lack of historical understanding. In his ›Sicle de Louis XIV‹ and in his ›Essai sur les moeurs‹ Voltaire has created a new and modern type of the history of civilization.1 The real difference between the Romantic writers and the philosophers of the enlightenment rests much more upon their widely divergent practical and ethical ideals than upon their general theoretical attitude. The Romanticists love the past for the past’s sake. Even here we find the deep influence of that mythical spirit which sees in the past the best, nay the only justification of all the forms of our present life. In mythical thought the past is always seen in a glorified light, in a halo of sanctity. The Romanticists accept this view. Everything becomes understandable, justifiable, legitimated as soon as we trace it back to its historical origins. The frame of mind was entirely alien to the “philosophers” of the 18th century, to the founders of and contributors to A the “Great Encyclopaedia.” If they looked back to the past they did so because they wanted to prepare a better future. The future of mankind, the rise of a new political and social order, was their real concern. For this purpose the study of history is necessary; but it is not an end in itself. History does not create See my book: Die Philosophie der Aufklrung, Tbingen 1933 [recte: 1932], Chapter 5. 1
founders of and contributors to] founders and contributors of verbessert am Rand von fremder Hand A
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right and it can never be regarded, in the sense of the historic right school, as a source of right. It is, on the contrary, a source of the greatest injustice and the worst abuses. To remedy these abuses we must free ourselves from the superstition of history. History must be summoned to appear before the tribunal of reason and it must accept its verdict. “We have better and surer guides” – we read in a political pamphlet written on the eve of the French Revolution – [“]than ancient documents and charters; guides that exist everywhere and are known to all men: reason, to conduct our thoughts and morality to rule our feelings.”1316 It is this tendency which marks the clear line of demarcation between Romantic thought and the thought of the 18th century. On the other hand it is impossible to connect Romantic thought immediately with the “myth of the 20th century.” 317 If we do not content ourselves with the mere results, if we rather A try to understand the hidden motives, the driving forces, we must much more lay the emphasis upon the difference, than upon the identity between the two theories. B It C is a far cry from the political ideals of Romanticism to D the ideal of the “totalitarian” state. No true Romanticist would ever have accepted the consequences of modern totalitarianism. The aim of the Romantic writers was not to politicize, but to “poeticize” the world. To pervade all spheres of human life and human culture – religion, history, even science – with poetry was declared by Friedrich Schlegel to be the highest task of the new Romantic movement. On the other hand i n d i v i d u a l i s m was one of the outstanding and most characteristic features of Romantic thought. Romanticism could sacrifice the “inborn r i g h t s ” of the individual; but it E never meant to offer the f o r m s of individual life to the Moloch of the state. The Romantic thinkers and poets had a deep F respect for all the innumerable subtle differences that characterize the life of individuals and the life of [a] nation. To feel and to enjoy these differences, to sympathize with all forms of individual life, was regarded by them to be the real scope and the greatest charm of historical knowledge. Le despotisme des parlements ou lettres d’un Anglais un Fran ais. London 1788; see K l ve k o r n , op. cit., p. 31. 1
rather] von fremder Hand eingefgt two theories.] danach gestrichen: the political ideals of Romanticism and that of ›Fascism‹ and ›Totalitarianism‹ C It] There D to] and E it] he von fremder Hand gendert F deep] danach gestrichen: feeling and A B
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Even Romantic nationalism makes no exception to A this general rule. For even here every nation still maintains its right and its place. It is only a single voice in a universal, all-embracing harmony. Our modern nationalism is an offspring of hatred; the Romantic theories have grown out of love. The passionate love for the past was one of the deepest sources of the Romantic “historicity”. And also all the aesthetic theories show us the same thoroughgoing feature. In Friedrich Schlegel’s “Dialogue on Poetry” love is declared to be the very principle of all Romantic poetry. It is like an invisible medium which must penetrate every line and every verse of the poem. It does not only appear in the poet’s interest in personal life, in particular events. To the true poet all this is only an indication of what is higher and really infinite; it is an ebullition of plastic nature.1318 The Romanticist Fr[iedrich] Schlegel always felt more at home in the “divine world of science and art”, than in the world of politics. 319 He advised the poet to make [a] sacrifice of his own self, his personality, “upon the altar of everlasting culture.”2 It was this attitude which opened his mind to the beauty and wisdom of the Orient, which led him to his first and most important discovery, to his book: “ber die Sprache und Weisheit der Inder” (1808). Even Novalis, in all his enthusiasm for the state, laid the stress much more upon its beauty, than upon its power. The State became to him a ›Makroanthropos‹, a ›beautiful individual‹.3B 321 It is true that this aesthetic conception of the state as a “beautiful organism”, as a work of art, which culminates in Schelling’s philosophy, did Friedrich Schlegel, Gesprch ber die Poesie; [in:] Prosaische Jugendschriften, hg. von Jakob Minor, Vol. II, p. 370 f. 2 Fr[iedrich] Schlegel, Ideen, [in: ] Pros[aische] Jugendschriften[, Bd.] II, [Fragment Nr.] 106. 3 N o va l i s , Europa oder die Christenheit, (II) 320 1
to] of a ›beautiful individual‹.] Nach diesem Abschnitt (§ 4, Seite 29) findet sich ein loses Blatt mit der Seitenzahl 38a, das diese Pointe nher erlutert: In all his enthusiasm of the state Novalis laid the stress much more upon its beauty than upon its power. The State became to him a “Makroanthropos”, a “beautiful individual”. Even his ideal of monarchy and of the true monarch is much more an aesthetic than a political ideal. “A true prince” – he wrote – “is the artist of artists. Everyone ought to be an artist; everything can become fine art. The prince performs an infinitely manifold spectacle where the scene and the public, the actors and the spectators are one and the same, and where he himself is, [danach gestrichen: at the same time,] the author, the dramaturgue and hero of the play.” 1) Novalis, Glaube und Liebe, sect. 33. Schriften, ed. J[akob] Minor, Jena 1907; Vol. II, p. 162. 322 A B
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not remain A the only moving force in the development of the Romantic idea. The Napoleonic wars, the invasion of Germany and later on, the war of liberation could not fail to make a deep impression upon Romantic litterature. There was a moment in which the first pioneers of the Romantic movement seriously began to doubt the rights of their former exclusive and esoteric aestheticism. They were anxious to serve the common cause of national life, B and no sacrifice seemed too great for this purpose. “Perhaps, as long as our national independence, yes even the continuance of our German name is so seriously threatened[”] – wrote August Wilhelm Schlegel in 1806 in a letter to Fouqu – [“]our poetry ought to yield entirely to eloquence.”1323 But the Romanticists did not follow this advice. They could not decide to desert the cause of poetry, of art, of religion and science for the sake of eloquence. They never became mere propagandists for certain political ideals. They were fervent nationalists, but even their nationalism was much more of a defensive than an offensive type. The militant and aggressive character that we later on find in German nationalism is entirely alien to the true Romantic spirit. The Romanticists were anxious to protect and defend, to preserve and cultivate their national life; but they never meant to impose and enforce it upon other nations. All this follows from the very nature and the historical origin of German Romanticism. In Germany there was no break of continuity between classic and Romantic litteratures. Fichte, Schelling, Hegel professed to be the disciples and the true followers of Kant. However diverging from him in their metaphysical systems they were firmly convinced that the Critique of Pure Reason was the beginning of an entirely new era of philosophical thought. In the same sense the Romantic “Poetry of poetry”2324 is nothing else but the poetry of Goethe. Novalis spoke of Goethe as the “administrator of the poetic spirit on earth”. 325 And Goethe admitted no national boundaries in the realm of poetry. He was the first to use the term: World-Litterature (“Weltlitteratur”)[.] 326 An all embracing view of the litterature and art of all nations was one of the first postulates of the Romantic movement. In his lectures on dramatic art C A[ugust] W[ilhelm] S c h l e g e l , [Smmtliche] Werke, ed. Bcking, vol. VIII, p. 144; see Walzel, op. cit., p. 136. 2 Fr[iedrich] Schlegel, Athenaeum[sfragmente] – Fragment 238; [in:] Pros[aische] Jugendschriften (Minor), [Bd. II,] p. [242] 1
did not remain] remained not life,] life; C dramatic art] danach gestrichen: and poetry A B
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A[ugust] W[ilhelm] Schlegel gave a universal survey of the dramatic litterature of all ages A327 – in the same sense as Herder in his collection of folksongs 328 had included the songs of all nations – German, Slavic, Celtic, Scandinavian, Turkish songs – and had treated them with the same love and the same unbiased sympathy. This litterary universalism was confirmed and deepened by a new religious universalism. If the early Romanticists spoke of the middle-ages they always emphasized that it was the great privilege and the unforgettable merit of medieval culture, that it was held together and governed by a unique and homogeneous B religious ideal. Here Christianity was still an undivided whole. Christian society was a ›Corpus mysticum‹, a mystic body, governed by God and represented in the two correlative orders of the Universal Church and Universal Empire. Early Romanticism was inspired by the wish to return to this golden age of mankind. It was longing for the lost paradise of a universal, a truely “catholic” religion. In this regard the leaders of the Romantic movement never could think of restricting their cultural ideals to their own country C. They did not only strive for a unified Germany, but for a unified Europe[.] In his essay ›Christianity or Europe‹ Novalis praised those “glorious splendid days when Europe was a Christian country, when one Christianity integrated this continent, so important in the history of the human race”[.] 329 And this view did not stop at Christian religion. The greatest of the Romantic theologians, Fr[iedrich] Schleiermacher, had the courage to develop the ideal of a universal religion that comprised all sorts of religious creeds. He accepted all forms of worship; he did not even exclude the heretics of all times. Spinoza who had been feared as the most dangerous atheist, was called D in Schleiermacher’s “Reden ber die Religion” E the “saint Spinoza”. 330 Religion admits of no arbitrary restrictions. For a truely religious feeling the dogmatic differences are irrelevant. Religion is love – but it is not love for ›this‹ and ›that‹, for a special finite object, but love for the infinite. A new feature to this litterary and religious universalism – and perhaps the most important one – is added by the h i s t o r i c a l u n i ve r s a l i s m of the Romantic school. In the same sense as Goethe spoke of WorldLitterature Ranke spoke of World-History. He treated the problems of German, of French, of English history, the history of the Popes and the
ages] danach gestrichen: and all nations unique and homogeneous] danach gestrichen:, a truely catholic C to their own country] to their ans Ende der Zeile hinzugesetzt; our country ber gestrichenem: Germany alone D was called] ber gestrichenem: appeared E “Reden ber die Religion”] danach gestrichen: as a kind of saint A B
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history of [the] reformation with the same sympathy and the same unbiased interest. He had a deeply religious conception of history, A but it was precisely this conception that led him to the conviction that all epochs B bear an “immediate relation to God”. 331 According to Ranke it is the highest task of the historian to recognize the individual features of different nations. C But all these different national individualities are working for a common end. The ideal of a universal history was from the very beginning the driving force of Ranke’s monumental work. And his last book was meant to be the consummation of all his efforts. “Apart from and beyond the histories of individual nations” – he wrote in one of the last volumes of his “Weltgeschichte” – [“]I assume a specific principle of universal history: it is the principle of a common life of the human race which dominates the nations without resolving itself in them ... The idea of universal history does not appear in generally valid forms, but in a variety of forms according to the special life of the nations and not at all in peaceful and undisturbed development but the continuous conflict and struggle, D for to quarrel is the nature of man.”1 To quarrel is the nature of man; but these quarrels are not destined to lead to the supremacy of one race or to end in the victory of one nation over all the others. For their real motive is not the mere will to power but the will to culture – and culture always means unity in variety. Even such an ardent and uncompromising nationalist as Fichte never doubted or attacked this fundamental principle. ›The Germans‹ – wrote Fichte shortly before his death, in a period of highest political tension, at the eve of the war of liberation – [“]have the vocation to represent the postulate of a uniform Empire, of a state melted into an internal organic unity. That is their task in the eternal plan of the history of the world. This German Empire shall start from cultivated, personal freedom, from the personality prior to the state. By the Germans there will be represented a true empire of right and justice as it has never appeared before – in all the enthusiasm for the freedom of citizens, which we find in the ancient world, but without the sacrifice of the plurality of men as slaves that was indispensable for the existence of the ancient states: a realm of freedom, based upon the equality of all those who have a human face.”2332 1 2
Comp. H[ajo] Holborn, The Science of History, loc. cit., p. 79f[.] F i c h t e , Die Staatslehre (1813); Smtliche Werke, Vol. IV, p. 415 [recto: 423].
history,] history; epochs] danach gestrichen: and all nations C different nations.] danach gestrichen: and different cultures D struggle,] struggle; A B
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Fichte may be called the father of German nationalism; but to speak of him as the father of national-socialism is to give a caricature[,] not a historical description of his philosophical ideas and his political ideals.
§ 5: “T h e M y t h o f t h e t we n t i e t h c e n t u r y ” When Chlodwig, the king of the Salian Franks and the founder of the Frankish monarchy, was converted to the Christian faith, St. Remigius who baptized him addressed to him the words: ›Adora quod persecutus es et persequere quod oderasti‹ 333 (Adore what thou hast persecuted and persecute what thou hast adored). If we should like to express in a short formula what has happened in Germany these last ten years, we may remember these words. Germany renounced all those ideas that had been the forming powers of her culture. What had been held in the highest esteem was derided and despised; what had been abhorred was admired and glorified. Religion was inverted into paganism. Science and objective truth were A declared to be invalid and impotent. The ethical ideals of the classical epoch of German litterature – the ideals of Lessing and Herder, of Goethe and W[ilhelm] v. Humboldt, – were scorned and ridiculed. The idea of the Legal State, as it had been established in the works of Kant and Fichte was said to be null and void. The experts in the new “German law” gave a new definition of law. They told us that there is no other law except “the will of the leader.” 334 In a few years everything seemed to have changed its face. B What happened here may be described by the words of the witches in Shakespeare’s Macbeth: “Fair is foul and foul is fair.” 335 It was a real witches’ sabbath – a revival of the crudest conceptions and an outbreak of the most violent passions, an orgy of hatred and fury. How shall we account for this phenomenon that seems to be altogether unprecedented in the history of human civilization? Desperate attempts have been made to find out the reasons for this sudden change in the life of a great nation. But all these attempts seem to have failed. C After many vain efforts some philosophical and political thinkers came to the conclusion that the only way to answer the question was to minimize or even to
were] danach gestrichen: denied and its face.] danach gestrichen: Germany seemed to have been thrown back to the political ideals of Chlodius Chlodwig – one of the most cruel and ferocious, and at the same time most insidious and treacherous figures in German history. C failed.] danach gestrichen: The riddle remain[s] unsolved. A B
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deny it A . Instead of solving the Gordian knot, these thinkers decided to cut it. It is no use – they told us – seeking for the reasons of the sudden change in German life and German character. As a matter of fact there was no real change. The Germans of today are exactly what they have always been. B German culture was always a sham culture – a mere mask. Now the mask has been cast off we see the true German face. The German has always been a barbarian. His emotions are wild and ferocious; his ambition is indomitable. His mind is confused and unbalanced; it lacks both the clarity and coherence of the Romanic spirit and the moderation, the soundness and soberness of the Anglo-Saxon mind. But C when arguing in this way we are under a strange and dangerous delusion. We accept the very thesis that we ought to refute. We are speaking and thinking as if there were certain “national souls” – the German, the French, the English soul – and as if all of them were fixed things with invariable qualities. Such an assumption does not answer our question; it begs the question. D It is precisely this principle which is the “proton pseudos”, the basic error of our modern E myths of the state. Once we adopt this basic error we cannot escape all its consequences. By such an explanation we only commit ourselves, we unconsciously play into the adversary’s hand. A culture is not a ready-made thing with an unchanging character. Nor is it a hidden power which always operates in the same way. It is built up by individual acts; acts of thought, of religious inspiration, of creative imagination. To reduce all this to a simple formula and to treat this formula as if it were a metaphysical thing endowed with mysterious forces, is a fallacy F. If we indulge in such speculations we no longer G think in psychological or historical, but in mythical terms. To be sure, we can distinguish various national cultures by certain characteristic marks H. In German life, and in the life of all other nations, we find some typical and recurrent features. We find recurrent problems in German philosophy, recurrent modes of expression I in J German littera-
minimize or even to deny it] ber gestrichenem: deny that there ever was a change in German culture and in German character; it von fremder Hand statt: the question B always been.] been ever since. 336 C But ] danach gestrichen: to argue in this way means to miss the mark. D begs the question.] danach untere Hlfte der Seite leer E modern] danach gestrichen: myths of the race and our F fallacy] ber gestrichenem: absurdity G no longer] do no longer H marks] ber gestrichenem: and typical features I modes of expression] ber gestrichenem: tendencies J in] danach gestrichen: German religious life or A
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ture and art. But if we try to trace all this back to a fixed, substantial thing, the “German soul”, we have only introduced a new term; we have not found a new cause. In his “Untergang des Abendlandes” (The Decline of the West) Oswald Spengler begins with telling us that there is no scientific method of describing and analyzing. By scientific methods we shall be able to find the laws of nature, but we shall never understand the forms of history, of cultural life. The wish to write history s c i e n t i f i c a l l y involves a contradiction[.] “Nature is to be handled scientifically, History poetically.” 337 For this poetical treatment of history we are in need of a new organon. We cannot rely upon concepts; we have to rely upon a special instinct which is called by Spengler “physiognomic tact.” 338 Who[ever] possesses this instinct will easily recognize and discern the fundamental features of the various “cultural souls.” We need not enter here into any detailed discussion of the value of this theory. But we may say that it would prove the utmost deficiency of “physiognomic tact”, to read the ideology of National Socialism A into the whole text of German culture. Such attempts have been made innumerable times; but they are bound to fail. B We cannot find the same “physiognomy” or the same “cultural soul” in the leaders of modern Germany as in C Luther and Kepler, Winckelmann and Herder, Kant and Goethe, Bach and Mozart. Such vague generalities, as the assumption of a fixed and constant “German soul” can indeed not account for the present historical situation. This situation must be studied in its particular features and its special conditions. History never repeats itself. The historical moment is always “unique”. What was it – we must ask ourselves – that D gave the mythical ideas such an incomparable strength over the German mind? E How could myth F prevail over all the other powers of human culture – over religion, art, science, history, philosophy? In order to answer this question, we must, first and foremost, study the general function of myth in man’s cultural life. As we pointed out myth is, originally and primarily, not an interpretation of nature but an interpretation of human society. It is the first attempt of man to come to terms with the fundamental facts of his social life, to understand and justify these facts. Such an understandNational Socialism] national socialism bound to fail.] danach gestrichen: Their merely propangandistic character and tendency is obvious. C as in] danach gestrichen: Wolfram von Eschenb[ach] D that] nachfolgend, ber der Zeile, gestrichen: suddenly E German mind?] danach gestrichen: the same mind that is represented by the greatest artists and the much profound thinkers? F myth] nachfolgend, ber der Zeile, gestrichen: suddenly A B
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ing is never a product of calm reflexion or speculative thought. The primitive man has no possibility and no need to reflect on his social life in a mere abstract way. The social atmosphere surrounds him from all sides. In this atmosphere he lives and moves and has his being. If he begins to become aware of it, A he cannot speak or think of it in a mere intellectual way. It is the source of the most powerful emotions. Myth is the expression of these emotions. They are objectified by the myth-making function; they are projected to the outward world. By this process they change their nature; they are no longer mere feelings, they become “images.” But these images have, to the primitive mind, a full objective validity. A French scholar has defined the gods and demons of mythical thought by saying that these divine and demonic powers are “le dsire collectif personnifi”.1 It is not a personal desire – it is a public, a collective desire which is expressed and represented in the creations of mythical thought. If we bear this in mind we find the first approach to those mythical conceptions, which, after the first world-war, began to grow up and which immediately had such a deep repercussion. B What was the ›collective desire‹ of the German people? C Whoever lived in Germany at these times cannot be in doubt [about] how to answer this question. There was only one wish and ardent desire: the desire to shake off the burden of the Versailles-treaty. The political and economic pressure was everywhere keenly felt. Everything that promised to relieve D or to remove this pressure was hailed with enthusiasm. It did not matter whether these promises were possible or probable. Mythical thought is emotional thought: and emotional thought is much more and much easier moved by impossibilities than by mere possibilities. It does not calculate empirical facts and it does not balance possible effects. It gropes for something that is far beyond the usual course of events, the trivial ways of normal life. German life after the war had reached its critical stage. It was in a state of highest tension. The whole gammut of human passions, from the lowest to the highest notes, burst forth E. And all this, love and hatred, self-exalta1
E[dmond] Doutt, Magie et Religion dans l’Afrique du Nord, 1909, p. 601.
aware of it,] danach gestrichen: in the first dawnings of his intellect, repercussion.] danach gestrichen: What was is that these conceptions could give to the German people? C of the German people?] ber gestrichenem: shared by all classes? D Everything that promised to relieve] everything what promised to relief gendert von fremder Hand E burst forth] statt gestrichenem: could be felt A B
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tion and dejection, pride and despondency had their share in the origin of the “myth of the twentieth century.” 339 Deepest despair was abruptly followed by the most extravagant hopes. It did no longer suffice that Germany should regain her economic welfare or her former place among the European nations. She had to conquer and dominate the whole world. That, too, was entirely in the character and spirit of mythical thought. Mythical thought always moves A in extremes; it is boundless in its forms and unrestrained in its wishes. One of the oldest and most widespread of motives in all mythologies is the thought of the ›millennium‹ – of the period of a thousand years in which all hopes shall be fulfilled and all evils shall be removed. Such a millennium was promised to the German race – and, in those times of general despair, the promise was easily and eagerly accepted. It is true that what was prophesized here was no longer, as in former times, a millennium of peace, but of war. For war was declared to be the true ideal and the only permanent thing in man’s social and political life. But there is still another element that we must take into consideration in order to explain the role that mythical thought plays in modern German theories. Mythical thought and mythical rites always have a ›cathartic‹ effect. What that means we learn best from Aristotle’s theory of tragedy. Aristotle ascribes to the tragic poem a ›katharsis‹, a ›purgation‹ or ›purification‹ of human passions. Tragedy arouses the most violent emotions, the emotions of pity and fear. But by this very act it becomes a discharge from pity and fear. It is very remarkable, that Aristotle, in explaining and developing his theory, does not only refer to B poetry and art but also to the phenomena of religious life. “We see in the case of sacred songs” – he says – “that they have a salutary effect on those subject to accesses of enthusiasm, restoring them to a normal condition of calm and peace just as though they had undergone a cure or catharsis at the hand[s] of a physician”.1340 This double and seemingly contradictory effect is no paradox. It is easily to be accounted for by general psychological principles. It is a fact of common experience that there is no better way C to find a relief from a strong emotion than to express this emotion. To give vent to a passion means in a sense to get rid of it. The men D who created the 1
Aristotle, Politics VIII, 7, 1341b 32[.]
always moves] is always moving nach Streichung nicht gendert to] to the; the nach Streichung stehengeblieben C way] am Rand von fremder Hand als erste von drei Vorschlgen: way / possibility / method D men] ber gestrichenem: politicians A B
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myth of the 20th century became the skilled physicians who knew this fact and made abundant use of it. They stirred the fiercist emotions; – and they felt sure, that in these times of general unrestfulness this stirring up could still be felt as beneficial – as a sort of cure or ›catharsis‹. But here we are led to another aspect of our problem – and perhaps the most amazing and bewildering one. The politicians who made the myth of the state and the myth of the race were not the first to discover the fundamental role that mythical concepts play in man’s social life. All that had been anticipated, long before, by the Romantic thinkers. Romanticism had recognized and emphasized the character of mythical thought and it had declared it to be an indispensable element in human culture. But Romanticism always argued upon 341 the principle that myth is an arbitrary creation of the individual mind. It cannot be “made” by man; it must “grow up”; A it is a product of the national spirit which acts unconsciously. Myth is, therefore, not the product of single individuals; it is the product of a whole nation that springs organically from its past life. Its origin is wrapt in mystery – and it is this mystery that makes myth venerable and irresistable. But our modern political myths show us quite a different face. They are by no means mysterious; – in a sense they are extremely “rational.” They have been made by individual B men and for special purposes; they have been called into existence by conscious methodical efforts. We are able to write the history of the race-myth and to give the names of its authors – from Gobineau and Houston Stewart Chamberlain up to Hitler and Rosenberg. These modern political myths are not veiled in darkness; on the contrary they were manufactured in broad daylight. How is it that, in spite of this, they seem [to have] a full authority – that they could be believed as firmly as any other original and “primitive” conceptions? It is not necessary to raise the question whether this belief was shared by the authors of the political myths themselves – by those men, who had put them into circulation. We have scarcely sure means to answer this question. Psychologically speaking we know the fact of auto-suggestion as well as C the suggestion to D others. It is a well-known fact that a hypnosis that we wish to exert over the minds of others may have its repercussion and retroaction upon ourselves. Hitler has developed in “Mein Kampf” a whole theory of the political lie, E its use and its inevit“grow up”;] “grow of”; wahrscheinlich ein Germanismus (aufwachsen) individual] single C the fact of auto-suggestion as well as] as well the fact of auto-suggestion as D to] of E lie,] lie; A B
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ability. But the lie is a dangerous weapon that A easily “returns to plague the inventor.” 342 As Macbeth says: ›This even-handed justice Commends the ingredients of our poison’d chalice to our own lips‹[.] 343 At the end all the great political liars use to become “deceived deceivers.” 344 Once we have unbound the power of lie we can no longer revoke or restrain this power. Like Goethe’s magician-apprentice we cannot get rid of the spirits that we have called ourselves. 345 We used B to smile at the credulity of the primitive, the “savage” mind; we are convinced that, in this regard, we have made C immense and decisive progress. But this claim is very questionable. Even in primitive stages of culture we find the ability to distinguish between truth and falsehood. As long as the primitive man moved in the sphere of his individual life as he has to solve simple practical tasks he usually acts according to the same rules that we follow in our own behaviour. He does not take recourse to supernatural forces and he is not influenced by magic conceptions. ›When the native has to produce an implement[‹] – says Malinowski in his book “The Foundations of Faith and Morals” – [›]he does not refer to magic. He is strictly empirical in the choice of his material, in the manner in which he strikes, cuts and polishes the blade. He relies completely on his skill, on his reason, and his endurance. There is no exaggeration in saying that in all matters where knowledge is sufficient the native relies on it exclusively[.] [...] The Central Australian possesses genuine science or knowledge, that is[,] tradition completely controlled by experience and reason, and completely unaffected by any mythical elements.‹1 But all this changes abruptly and radically as soon as we enter the social sphere. In his social life the native is entirely under the influence of his collective representations. He thinks and acts in terms of Magic, not in terms of experience. It would be a mistake to assume that this difference has been completely overcome and obliterated by the progress of human culture, D that in our social life we have defintively left behind us all the magical elements. When the first modern thinkers tried to give us their theories E of empirical knowledge and of inductive thought they had to take a preliminary step. They began with a general survey of all Malinowski, The foundations of Faith and Morals, page 32 f. [danach von fremder Hand: Ort, Jahr] 1
that] that, Komma nach Streichung stehengeblieben; danach gestrichen: to use Shakespeare’s word, may B used] use C made] made an D culture,] culture; E theories] theory Verbesserung von fremder Hand A
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those illusions to which the human mind is subject in its judgments about natural phenomena. Francis Bacon gave a complete list of these illusions and fallacies. Of those Baconian “idola” the ›idola fori‹, the idols of the market, are the most powerful and the most dangerous ones. 346 They have by no means lost their force in our scientific world and our modern culture. If it comes to problems that deeply affect our social life and stir our social emotions we are still liable to the same credulity as we find in the attitude of the primitive mind. I have known in Germany many honest and upright men – men of A great intellectual culture – teachers, scholars, professors at universities, who in political questions that seemed to touch the national interest, entirely lost every sense of proportion. They became helpless against the most common propaganda-tricks. Their discernment and their critical judgment seemed to be entirely effaced by the overwhelming power of certain “collective representations.” They could be easily induced to believe almost everything; their credulity could scarcely be surpassed by that of any primitive tribe. But with all these considerations we have not yet reached the decisive point. There is still another problem that we have to face if we wish to account for the influence of the “myth of the 20[th] century” B . Here we meet with an entirely new phenomenon in the history of civilisation. History was never free from mythical elements. They are part and parcel of human nature; they cannot be entirely eradicated. But the most amazing fact in the political history of the 20th century was that these elements underwent a complete change of meaning. They are no longer haphazard products. They are carefully cultivated and prepared; they are systematized and held under control. Our modern myths are by no means wild fruits which grow freely and rankly. They are artificial things – made by very skilful and cunning artisans. And they are always directed to special, political ends. Here we have the strange and paradoxical C fact of a myth that in a sense is completely rationalized. It is irrational in its content, D but is very clear and conscious in its aims. The 20th century has developed quite a new t e c h n i q u e of mythical thought. Henceforth, myths were invented and manufactured in the same sense and according to the same methods as any modern weapon – as machine-guns or airplanes. And they were used for the same purpose; for internal and external warfare. This is the altogether unprecedented fact which has changed the whole face of modern politics and modern social life. men of] danach gestrichen: sound judgement and century”] danach gestrichen: over all provinces of human culture C paradoxical] paradox D content,] content; A B
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To all those, who lived outside Germany it was extremely difficult to realize this process and to understand its true character. There were many European politicians who had a clear feeling that Germany was approaching a dangerous crisis. They often had the best intentions; they were prepared to help the German people in its struggle for a political and social reconstruction. But they missed the principal point. They saw only the periphery, the outward aspect of the problem; they did not penetrate into its center. In its sober, empirical, “matter of fact” way of thinking European diplomacy had no eye for the hidden forces, the underground movement of the political myths. They could scarcely be prevailed upon to take these things seriously. And it was the same with the leading German statesmen. The socialist leaders were determined Marxists. They thought and spoke in terms of economics and they were convinced that economy is the mainspring of all political actions. By this theory they failed to see the real point at issue. They did not understand what was really at stake. Undoubtedly economic conditions had a large share in the development and rapid growth of the modern political myths. But the deepest and most influential causes are not to be sought in the mere economic crisis through which Germany had to pass. They belong to another field which in a sense was inaccessible to the socialistic leaders. When they began to see the danger, it was too late: the force of the political myths had become irresistible. The men of the Weimar Republic were charged by their enemies with an extreme ›intellectualism‹. This accusation was repeated over and over again; it became a common political slogan. As for me I feel inclined to convert this blame into its very contrary. To my mind it was a certain narrowness of their own doctrine, a dogmatic prejudice which made them unable to see the adversary’s point. Their failure was not due to an excess of intellectualism; it was rather due to a lack of knowledge: to an inadequate interpretation of the political situation. In the political struggle it is always of vital importance to know the adversary and, to a certain extent, to enter into A his views: to understand his way of thinking and arguing. For the Marxist B politicians who had been brought up in an entirely different atmosphere this was not possible. The new force, the force of mythical thought, was to them a terra incognita, an unexplored country. It is true that anthropology and sociology had done very much to analyse and to clarify the structure of mythical thought. The French sociologists – Durkheim, Lvy-Bruhl, Hubert, Mauss – had given excellent deA B
into] in Marxist] marxist
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scriptions of its general character illustrated by a rich material of ethnological facts. 347 But they had never realized that it still was a living power – a thing that could invade and pervade our modern civilisation. Mythical thought was primitive and prelogical; it was a thing of the past that never could be resuscitated. It had a historical or psychological, not a political interest. By this conception the leaders of the Weimar Republic blinded themselves to the real and most imminent danger; they did not recognize the strength of the new weapon that was forged before their very eyes. The adversary himself knew better. He had a very clear survey of the battlefield; and he was well aware of the most vulnerable point in the strategy of the enemy. He knew what myth means in man’s social life A . From the very beginning he used this knowledge for the attainment of his political ends. In his hands myth became one of the most dangerous B arms. There was a time in which the question of German re-armament played a prominent role in European politics. But what was scarcely known and what, at least, never had been fully realized was the fact that this re-armament had begun long before. When these discussions were going on it was already an accomplished fact. For it did not start in the material sphere, but in the spiritual sphere. The process of mental rearmament preceded by far the military rearmament. After this process the military rearmament was a foregone conclusion. The authors of the political myths had only to wait for the moment at which the seed was bound to grow up. For the modern artificial mythology was of quite a new type. This was no longer a Romantic myth, a product of imagination; it was from the first beginning a belligerent myth, destined for aggression and assault.
§ 6 The method and techniques of the modern political myths. The ferocity and cruelty by which the makers of the myth of the 20th century attacked and crushed all their political opponents are well known. But all this was not enough to attain the desired end. The power of the new state would have been unstable if it C had not gained a full victory in another field. It was necessary to annihilate the ideas themselves, not only to kill or imprison the men who stood for these ideas. social life] danach gestrichen:; he had, long ago, recognized its full power dangerous] danach gestrichen: weapons C it] von fremder Hand ber gestrichenem: he A B
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But ideas are not to be eradicated by sheer force. The leaders of National Socialism often pretended to have an utter contempt for all ›ideologies‹. They treated them as vain and futile speculations. They did not believe in ideas; they believed in power. But on the other hand they knew very well what ideas mean in the political struggle. In this regard they were even superior to their adversaries: to the champions of a strict economic materialism. But here they had to use quite different methods as in their other attempts to usurp the political power. Violent oppression was of no account. They had to go slowly and methodically. They had to undermine the ideas before they could hope to overcome and destroy them. All this was done with remarkable A skill. Every step was carefully prepared; nothing was left to chance. It was a premeditated scheme which was executed “according to plan”. The military gift, the strategy and tactics of the political leaders of National Socialism appears here in its full strength. They had to invent and to develop a new technique for the struggle of ideas. It is imperative to study this technique in all its details if we are to understand its results. To break the power of mythical thought human culture had to pass through various phases. In a certain sense B the whole history of human civilisation may be described as a continuous combat against mythical conceptions. Greek science and Greek philosophy took the lead in this combat. All Greek philosophers had to attack and to defy the inveterate and holy mythical ideas of popular religion. It was a dangerous enterprise that needed a high intellectual and personal courage. C Greek culture reached its culminating-point in the Age of Pericles, in the fifth century B. C. But it was precisely at this time that a great thinker, Anaxagoras was accused of atheism, because he had dared to say that the celestial bodies, the sun and the moon, were not immortal gods, but physical objects. Only by the friendship of Pericles and his personal intervention could Anaxagoras D escape his death. A severe criticism of Greek mythology, of the Homeric gods, is to be found in all the other Greek philosophical schools, in Xenophanes, the founder of the Eleatic school, as well as in Herakleitus, the great adversary of the Eleatic thinkers. Herakleitus even went so far as to say that Homer ought to be thrown out of the lists and whipped. 348
done with remarkable] made with a remarkable verbessert am Rand von fremder Hand B sense] von fremder Hand in Spitzklammer hinzugefgt C courage.] danach halbe Seite leer D could Anaxagoras] Anaxagoras could A
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Greek science develops on the same lines. Step by step natural science had to find its way and to hold its ground over against the mythological tradition. Mathematics, Physics, Astronomy, Chemistry, Natural History show us, in different ways, this general process. Each of them has its mythical preparation and prelude. Mathematics may seem to be unattackable. Its perfectly logical and rational structure is obvious. But mathematics is based on the idea of number; and number was a magical and mythical concept long before it became a scientific concept. The first founders of a scientific mathematics in Greece, the Pythagoreans, still believed in the magic power of number. The “holy number” preceded by far the abstract mathematical number. If we study the works of Kepler, one of the greatest and deepest mathematical thinkers of the modern era, we still find how nearly and, indeed, indissolubly the two elements are intertwined with each other. It needed the greatest efforts of mathematical thought, to break this connection, to have mathematics on a strictly logical basis. As a matter of fact this end was not completely attained before the 19th century. We can follow up the same intellectual development in the history of medicine, of physics and chemistry. In the Italian Renaissance the “occult sciences” – “natural magic”, alchemy, astrology – still play a preponderate role. And what holds good for science, holds to a much higher degree for H i s t o r y. A The power of mythical thought is nowhere so strong as in history. Myth is the first form by which the historical consciousness can express itself. And in a certain sense it always remains an element of historical thought. All history begins with legends – with mythical tales of the deeds of the heroic ancestors. Even here it was Greek thought that made the first break in this legendary history. Thucydides B was perfectly aware of the greatness and the difficulty of the task he had to perform. The difference between mythological and “critical” history was described by him in a classical and unforgettable way. ›I have given no greater credence to the accounts turned into song by poets C‹ – says Thucydides, in his famous D introduction to his history of the Peloponesian war – [“]than I have on the other hand to the chroniclers who composed with a
for H i s t o r y.] danach gestrichen: History is much more liable to all sorts of mythical B Thucydides] Thukydides Verbesserung von fremder Hand C turned ... poets] von fremder Hand gestrichen und ersetzt durch: of the poets displaying the exaggeration of their craft D famous] daneben am Rand mit Linie verbunden: N b to Mr. Lenz. 349 / if you can suggest a better English version of the text of Thukyd[ides] / please use this version! A
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view rather of being attractive A than of telling the truth since their stories cannot be tested B and most of them have been deprived by time of their historical value and forced into the region of incredible legend. C ... It may well be that the absence of romance from my history D will seem less pleasing to the ear; but whoever desires E to have a clear view of the past as well as of future events which in all human probability will happen again in the same or a similar way – if my history will be judged useful by them will suffice to me. F And, indeed, it has been composed, not as a prize-essay which is to win the applause of the moment, but as a possession for all time”. 350 Thucydides’ work became, indeed, an everlasting possession of human culture. But this end – the end of a critical, instead of a legendary history – could not be attained at once. Still in the 19th century Niebuhr had to make the greatest intellectual efforts to reconstruct the early history of Rome and to eliminate from it all the traditional legendary features. 351 If the modern myths of the state were to stand their ground they had first of all, to revert this whole intellectual process. The work of many centuries had to be undone. The first attack was made against science and scientific truth. To speak of an “objective” scientific truth was not only declared to be a fundamental mistake – it became a crime. And this crime was not a venial, but a mortal sin, G a sin against the holy spirit of the absolute state. The omnipotent state does not recognize any other rule except its own. H Even “natural laws” could no longer resist the power of the state. Some physical theories, firmly established by observations and scientific method, were declared to be dangerous and were persecuted, with all the fury of a political struggle. 352 History was judged and doomed in the same way. If we look at the textbooks of history introduced in the German schools since the year 1933, we find here not
being attractive] pleasing the ear von fremder Hand korrigiert stories cannot be tested] darber von fremder Hand: subjects are out of the reach of evidence C been deprived ... incredible legend.] von fremder Hand am Rand und hier angeschlossen statt: from lapse of time so von their way into the region of the fabulous as to be incredible. D romance from my history] the fabulous from my narrative von fremder Hand korrigiert E desires] shall wish von fremder Hand korrigiert F if my history will be judged ... suffice to me.] these to adjudge my history useful will be enough for me. von fremder Hand korrigiert G sin,] sin; H except its own.] von fremder Hand statt dem mehrfach gestrichenen, teilweise unleserlichen: as the laws it has pronounced itself by itself. A B
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only falsifications A of historical facts but also a complete devastation of that critical method that, slowly and laboriously, had been built up by the efforts of the great historians of the 19th century. But our social life is not principally based upon theoretical ideas. It has other and deeper roots. B The firmest foundations of society are not theoretical concepts but practical ideals: ethical and religious ideals. As long as these ideals remained unshaken nothing seemed to be won. But even our modern politicians could not think of completely denying these ideals. They had to choose a different way. The fortress of religion and ethics was too strong to be taken by open assault. It had to be taken by treason from within. Only in a few cases was religion C directly and openly opposed. But it was deviated from its true and essential aim[.] A stubborn, carefully calculated effort was made to pervert all religious and ethical concepts. They could not be destroyed by brute force. But they were attacked by a slowly working poison which disintegrated the organism of religious and moral life[.] In the whole history of human civilization there is perhaps no sadder, no more disconcerting and depressing spectacle than this deliberate and methodical process of poisoning. History never was an idyll. It was at all times a tragedy filled with the greatest horrors. D But as long as the crimes of history were an outbreak of violent human emotions – of ambition, of greed, of revengefulness, of envy and jealousy – they could at least be understood. But what happened in Germany was something new and unprecedented. The fiercest and most terrible things were done E in cold blood. They were ordered, regulated, calculated. These crimes were no longer crimes of passion; they were methodical crimes. There arose quite a new “science” of political crime that could be taught and that quickly was learned. This science was based on fixed and entirely “rational” principles. It proceeded in a clear and consistent way. In religion, for instance, the Christian faith was not abrogated. F But there was introduced a new type of Christian believers: the “German Christians”. G353 With them Christianity was preserved; but it had lost its fundamental sense. It was falsifications] a falsification von fremder Hand gendert roots.] danach gestrichen: As long as these roots were not destroyed nothing seemed to be won. C was religion] religion was D greatest horrors.] danach gestrichen: with all sorts of cruelties and abominations of political ambition, of gruel and revengefulness, they could at least be understood. No doubt all these passions had their share in the political bricht ab E done] made korrigiert am Rand von fremder Hand F abrogated.] ber gestrichenem: abjured G “German Christians”.] “German Christs”. A B
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deprived of all ›humanitarian‹ features. A It had to give up all its claims to universality. B To change the form of the e t h i c a l life of a whole nation seemed to be a still harder task. In modern times religion had lost much of its former influence; but there remained, after all, some generally admitted moral standards, some principles of justice and equity. To shake these principles by mere theories was a doubtful enterprise. But precisely at this point the myth of the 20th century began to show its true sense and to prove its full power. As we pointed out myth is never a self-dependent system of mere ›ideas‹. In order to subsist it must be supported and completed by a system of actions. Rite is the necessary complement of myth. In all mythologies we find this inseparable union between the two elements. And in social life rite always appears as the stronger and the really decisive feature. ›Whereas creeds change‹ – says E[dmond] Doutt – [›]rite persists, like the fossil shells of those petrified molluscs that help us to date geologic epochs. [...] The primitive man believes that his emotions and desires are forces which can exteriorize themselves, and which in certain particular cases, gain an exceptional strength and efficaciousness. ... At the moment in which desire exteriorizes itself and assumes an outward form it is accompanied by expressive emotions. These accompanying motions are called rites: the history of rites is a chapter of that of the expression of emotions.‹1354 These words were destined to give us an insight into the psychology of savage tribes in North-Africa, of their mythical creeds and their magic ceremonies. But we need not change a single word if we wish to describe our modern political life. Never before [was] the process of ›exteriorization‹ of violent emotions C so clear and so palpable. In order to understand the role of rite in man’s social life we need no longer go back to remote ages nor need we study savage tribes. The anthropological and ethnological material that has been amassed to clarify this problem has in a sense become superfluous. We can study the origin of myth and rites much better in present political phenomena; we can see it before our eyes and can touch it with our hands. All those things that we believed to E[dmond] D o u t t , Magie et Religion dans l’Afrique du Nord, Alger 1909, p. 597ff. 1
features.] features; Semikolon bei Streichung stehengeblieben; danach gestrichen: it was no longer a universal religion, but a race-religion. B universality.] Semikolon zu Punkt gendert; danach gestrichen: it became a ›national‹ and a ›race‹ religion. C emotions] emotions was A
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belong to the oldest geological strata have suddenly come to the surface. In recent German life there was no political action that had not its special ritual. And since there was no longer any separation between private and public life, even the former was inundated by a high tide of new rituals. They were regular, rigorous, inexorable. The whole shape of man’s everyday life was suddenly changed. Every class, every sex, every age had a rite of its own. 355 Their strict performance was carefully watched over. Nobody could walk in the street without at every turn meeting a new rite waiting for him. There was a special ritual of greeting and speaking. New words and new formulae were coined and had a magic effect. That was the last and decisive step. From now on all social life was strictly standardized. Nothing was left up to the individual. For to neglect one of the prescribed rites, was a very dangerous thing. Even in little children this was not regarded as a mere sin of omission; it became a crime of high treason against the most powerful and the most vindictive god, against the deity of the State. At first sight it may seem to be exaggerated to say that the whole life of a nation could be changed by so little and even ludicrous things. What does it matter – it may be asked – whether we use these or those words or make these or those signs? Is not all this insignif[ic]ant and merely conventional? Can these things seriously affect our personal or social life? But to judge in this way would mean to misconstrue A the very nature of mythical thought. In this sphere words are never “mere” words; symbols are never “mere” symbols. Words and rites are provided with magic forces; they are loaded with the highest energies. Whoever B knows the name of a god or demon has won the power over him; he can compel him to comply with his wishes. All this seems to be very “primitive”. But in social life this primitiveness has not lost its importance. The civilized man may deride these chains; but he has by no means got rid of them. He must be on his guard against these fallacies at any moment. To draw a sharp line of demarcation between signs and things, between symbols and reality seems to be one of the most arduous human tasks. C misconstrue] misconstruct Whoever] Who C human tasks.] danach neuer Absatz, dann gestrichen: This last step – the introduction of a new ritual – was the most ingenious and decisive one. It became the corner-stone of the whole political system. It had the most dangerous and disastrous effects. From now on Germany was doomed to its fate. By the ready acceptance of the new ritual all hopes of further resistance were lost. There is nothing which has a more hypnotic influence upon the human mind than the incessant and regular performance of the same acts which follow each other in a uniform mechanical order. By such an entirely passive attitude all the active A B
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The eighteenth century used to see the life of the “savage” in a glorified light. Rousseau gave his famous description of the original state of mankind as a state of happiness and innocence. In his first primitive state, in the state of nature, man lived in complete isolation, following his instincts, satisfying his simple needs, free from all social pressure. 356 This philosophic idyll has been completely destroyed by modern anthropological research. Modern anthropology has turned the optimistic picture of primitive life drawn by A Rousseau into its very contrary. We have learned that social pressure is nowhere so strong, so irresistible and implacable as in primitive life. ›The savage‹ – says E[dwin] Sidney Hartland in his book on ›Primitive Law‹ – [›]is far from being the free and unfettered creature of Rousseau’s imagination. On the contrary, he is hemmed in on every side by the customs of his people, he is bound in the chains of immemorial tradition, not merely in his social relations, but in his religion, his medicine, his industry, his art: in short, every aspect of his life. These fetters are accepted by him as a matter of course; he never seeks to break forth ... To the civilized man the same observations may very often apply; but the civilized man is too restless, too desirous of change, too eager to question his environment, to remain long in the attitude of acquiescence‹.1 These words were written in 1924; but since this time the form of civilized life has undergone a profound change. In spite of their deep restlessness – and perhaps precisely by virtue of this restlessness – great nations seem to have lost every desire of questioning their environment. An extremely complex system of prohibitions is one of the most characteristic features of primitive life. Man lives in a constant fear not only of physical, but also of spiritual dangers. He cannot eat or drink, he cannot touch a thing, he cannot speak without being afraid of violating a special taboo and thereby imperilling his life and his soul.2 Sometimes the system of these taboos becomes so complicated and so oppressive that it threatens to paralyse all human activities. [“]In Polynesia[”] when [“]a taboo-day or days are proclaimed[”], a [“]time of general mourning or of E[dwin] Sidney Hartland, Primitive Law, London 1924, p. 138. See J[ames] G[eorge] Frazer, Taboo and the perils of the Soul, The Golden bough, Vol. [II leer gelassen], 3rd edition, London 1913[.] 1 2
intellectual powers of men are lulled into sleep, all critical thought and judgment is eliminated. The propaganda by acts is always much more effective and oppressive than the propaganda by words. It was here that the new political system [had] the crowning of the new system of political oppression. It definitively threw back the whole public life to the crudest form of primitive society. A primitive life drawn by] ber der Zeile von fremder Hand und mit Pfeil dieser Stelle zugewiesen
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sickness in the royal family, no one may cook food, no fire or light may be kindled, no one may go outside his house, no domestic animal may utter a sound[”].1357 The sudden return of all these phenomena in modern social life is one of the most alarming problems of our present civilization. B How could a free nation ever be induced to accept this intolerable pressure? C In order to answer this question we must begin with an analysis of the very term ›freedom‹. It is one of the most ambiguous and ill-defined terms. By the interminable discussions of the opposite metaphysical schools and by the struggle of political parties the e t h i c a l concept of freedom has been obscured and almost obliterated. The classical definition of this concept was given by Kant in his ›Critique of practical Reason‹. Kant’s idea of freedom is strictly opposed to that view which had been introduced by the schools of economic “liberalism”. According to Kant the principle “Laissez faire, laissez aller” is the very opposite of D freedom. 358 Freedom is not an exemption from binding rules; it is, on the contrary, a universal rule that the moral will gives to itself. It means “autonomy”; it means selfcontrol and self-responsibility. If we accept this definition it is clear that freedom is not an easy thing. To express it in Kant’s own terms it is not “gegeben”, but “aufgegeben”; 359 it is not a gift but a task and one of the hardest tasks that the individual can impose upon himself. The task becomes so much the harder in times of a severe and dangerous social crisis and of violent political agitations when the breakdown of the whole order of public life seems to be imminent. At these times the individual begins to feel a deep mistrust in his own formative powers. It is pliable to all influences from without; it becomes an easy prey to those political parties which exploit the situation for their own purposes – especially if these parties have provided themselves with such powerful weapons as myths and rites. Myth and rite have always a sort of hypnotic influence. Nothing is more apt to suppress our critical judgment and to eliminate our power of resistance than the steady repetition of the same magic formulae or the incessant mechanical performance of certain rituals. See F[rank] B[yron] JevonsA : An Introduction to the History of Religion, London 1902, p. 66. 1
F. B. Jevons] F. A. Jevons civilization.] danach gestrichen: It is a really agonizing question – not only from a practical, but also from a theoretical, from a merely philosophical point of view. C pressure?] danach am Rand, mit Wellenlinie durchgestrichen, weist ein Pfeil auf Ms.-S.: 20a, darber weist eine Linie auf zweimal unterstrichene Ms.-S.: 21 D of] to A B
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The current opinion that in savage life all actions are exacted by the mere force of custom and tradition and that these customary rules are obeyed automatically by virtue of an unerring “group-instinct” 360 seems to be incorrect, or at least exaggerated.1 No human society could subsist or make any progress without a certain independent activity of the individuals. But no doubt this activity is still a very restricted one. The clear concept of individual obligation and self-responsibility is alien to primitive civilization. To a much larger extent than in our cultural life the group A is the real “moral subject”. The whole tribe, the clan, the family is responsible for all the actions of its members. There is no sharp line of demarcation which separates individual acts from social acts. If a crime is committed it is not imputed to an individual person. By a sort of “miasma”, the whole social group becomes infected with the crime B . Sometimes this infection attaches to the whole city in which the criminal lives. Who sits at table with him, or lives under the same roof, even the temples he walks in are polluted by his mere presence. Even in highly developed cultures, as for instance in Greek culture, these conceptions are still in full vigour.2 Also revenge and punishment are always directed to the whole group. In those societies in which the Blood-Feud is regarded as one of the highest religious and moral obligations it is not necessary to take vengeance upon the murderer himself. It is enough to kill a member of his family or his tribe. The entire family or tribe is made liable to retaliation and reprisals. In some cases – as in New Guinea or among the African Somali – it is the oldest brother of the offender rather than the offender himself who is killed.3 All this returns in our modern political life, C but here it appears in a different shape and on a much larger scale. It is no longer the tribe or the family that is accountable for [a] man’s actions. An incomparably higher force replaces and supersedes these small social groups. The omnipotent state or the leader who is invested with the whole authority and power of For a criticism of this opinion I refer to B[ronislaw] M a l i n o ws k i , Crime and Custom in Savage Society, London 1926. 2 Cf. Erwin Rohde, [danach ber der Zeile mit Pfeil eingefgt:] op. cit. [danach gestrichen: Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube bei den Griechen, 2. Aufl., Freiburg i. B, Teil I, Cap. V (English translation: Psyche, The Cult of Souls and Belief in Immortality among the Greeks, New York 1925)], p. 156ff. 361 3 For further details see the article: Blood-feud in [James] Hastings[,] Encyclopedia of Religion and Ethics[,] vol. II, p. 720f[.] 1
group] danach weist Linie auf Ms.-S.: 24; unteres Drittel der Seite ist leer crime] danach gestrichen: and is responsible for it C political life,] political life; A B
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the state, is the source of all moral standards and obligations. It is for him to decide what is good or evil. The individual has no choice; his highest, nay his only duty is the submission under the will of the state. From a generally psychological point of view it is perfectly comprehensible that the first reaction against this complete surrender is a feeling of relief. To put it in paradox we may say that what is felt here is the relief from the burden of freedom – of self-obligation and self-responsibility. Obviously there is not only a love for freedom, but also a deep fear of freedom in human nature. We must not confound ethical freedom with physical freedom. Man is often prepared to endure the greatest physical evils and to yield to the hardest physical pressure in order to escape his real freedom, his personal responsibility. Hobbes calls the State a “mortal god”. 362 It seems as if this mortal god had, in modern political life, supplanted all his rivals: the mythical gods of the past. The sacrifices he imposes on men are much more cruel than those demanded by the sacrificial rites of the old mythological gods. We are demanded and expected to immolate on the altar of the state not only our goods and lives but our feelings, our thoughts, our moral and religious convictions. Without the reinstatement and the solemn enthronement of mythical thought man would never have acquiesced in these frightful and revolting sacrifices. A
§ 7 T h e re v i va l o f Fa t a l i s m i n h i s t o r i c a l a n d political thought. Hope and fear are perhaps the most general and deepest human emotions. Man’s whole life – the life of the civilized man as well as that of the savage man – is constantly divided between hope and fear. It is characteristic of man and it makes his fundamental difference from animal life that he is able to conceive the idea of the future. Even in the lowest stages of civilisation man never seems to live in the present alone. He directs his thought, his wishes and his acts to the future. But that is a questionable and dangerous gift. From now [on] he is always haunted by a deep uneasiness and anxiety about things to come. Myth is the first attempt to assuage this anxiety. To appease the fear of death and to promise a future life is one of its fundamental tasks. But the fear of the future always reappears. As long as man does not succeed in foretelling, to a certain degree, future events he feels entirely helpless. The primitive man has to grope his way in the dark, and he catches at everything that promises him the A
———] danach am Rand, zweimal unterstrichen: folgt: § 7
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slightest spark of light. A In order to unveil the mystery of the future man takes refuge in B the most heterogeneous and grotesque methods. There is the art of sortilege, the divination by lots; the art of necromancy by which the sorcerer calls the ghosts of the dead from the depth of the earth; the art of augury, the divination by flight of birds, the technique of the haruspice by the inspection of the entrails of slaughtered C animals. All this was still entirely valid and vivid in ancient culture. In Rome no important political decision was ever made, no difficult enterprise was undertaken, no battle was fought without the advice of the augers and haruspices. When a Roman army was sent out it was always accompanied by the haruspices. The book of Ap[pius] Claudius Pulcher ›De disciplina augurali‹ is dedicated to Cicero, and Cicero himself performed, in the course of his political career, the office of an augur. 363 In recent anthropology D primitive man is often described as ›homo magus‹ or ›homo divinans‹ in contradistinction to the civilised man who is called ›homo faber‹. 364 The civilised man has developed a scientific system by which he can within certain limits predict future effects and provide for future needs. He is in possession of intellectual and technical implements which are equal to this double task. The primitive man has no theory of nature and no idea of universal natural laws. If he wishes to pervade the secret of the future he must take refuge in E magic art. The sorcerer unites in himself the two fundamental functions which in modern culture are performed by the scientist and the technician. He is at the same time ›homo magus‹ and ›homo divinans‹; he is gifted with the double power to produce desired effects and to foretell future events. The next step which in the history of human civilisation follows the magic art is the art of a s t ro l o g y. What we meet here is of quite a different type. We have become used F to speak and to think of astrology as a pseudo-science. But in its general frame of mind, in its means and method, it is thoroughly ›scientific‹. It does not consist of vague and confused ideas or incoherent thoughts. It is a real system based on careful observation and on a consistent theory. In man’s social and political life this theory has exerted an immense influence. Even as late as in the 15th and 16th centuries astrology was still part and parcel of the political system. There was scarcely a prince or a military commander who did not make use of light.] danach gestrichen: Nothing is too bizarre and grotesque to be used for this purpose. B in] to C slaughtered] am Rand von fremder Hand mit Fragezeichen neben slained D anthropology] darber von fremder Hand: anthropological treatises? E in] to F used] am Rand von fremder Hand mit Fragezeichen statt use A
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an astrologer. The most “realistic” politicians of our modern era were still under the spell of astrological ideas. Kepler was for a time the astrologer of Wallenstein. Even in this respect our modern political life abruptly returns to forms that seemed to be entirely forgotten and eclipsed. Of course the modern politicians did by no means cease being very characteristic and perfect specimens of the ›homo faber‹. They made a very skilful and methodical use of all those refined and sophisticated means that natural science and technique had set at their disposal. In this respect they thought and acted as strict “rationalists.” But on the other side they became aware of the fact that there are certain problems in man’s social life A to which the scientist as such has no access and which consequently must be handled differently. The makers of our modern political myths never had cherished the hope nor had they the slightest intention to govern men by rational means. For such an utopian B wish they had only a contemptuous smile. They knew better; they were convinced that man must be ruled by force. But they did not make the mistake of their opponents, of the adherents of the theory of historical and economic materialism. They knew from their own experience that great masses can be moved much easier and much more quickly by the force of imagination than by sheer physical force. By virtue of this principle the modern politician, the man of the 20th century, suddenly became the ›homo divinans‹ of former times. The political leader began to perform all those acts which in primitive society had been performed by the magician. The politician became the ›vates publicus‹, the official diviner[,] the follower of the sorcerer, the augur, the astrologer[.] C Prophecy was an essential part in the new technique of politics. It was much more by the skilful and unscrupulous use of prophecy than by mere physical force that Germany finally became converted to the new political ideals. We must not enter here into a description of the content of these political prophecies. The millennium was predicated over and over again. But this time it was not the reign of Christ or the millennium of the human race. It was the reign of the privileged, the German or the Nordic race. Leopold Ziegler – a distinguished German author, a man to whom, in 1929, the Goethe-prize of the City of Frankfurt was awarded D, a historian and a thinker who in his book “Gestaltwandel der Gtter” had given a survey of all the great religions of mankind – published quite a heterogesocial life] danach gestrichen: that must be handled differently utopian] utopical C the follower of ... the astrologer.] zwischen den Zeilen D awarded] von fremder Hand ber gestrichenem: conferred A B
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neous book: A “Der deutsche Mensch.” But in 1925 the same B Ziegler published a new book entitled “Das heilige Reich der Deutschen” (“The holy empire of the Germans”).1 What he tried here was something quite different from his previous work on philosophy of religion. C He himself declared that his intention was to follow the dark ways in which the German spirit had, for many thousand years, sought the “German God” without ever finding him. With a man like Ziegler, with a philosopher D and a historian of religion, this was, indeed, a strange undertaking which must be considered a kind of symptomatic forerunner of the present German ideology. E There is, however, still another question, which, from a general philosophical point of view, is even more interesting. Various attempts have been made to connect the development of political thought in Germany with contemporary German philosophy. But it seems to me to be a very poor method, if, for this purpose, there were picked out a few passages from the works of well-known philosophers in order to show their nationalistic character and tendency. The true connection is much more complicated and of quite a different type. I must dilate upon this point which to my mind is of vital importance and which in the general discussion of the problem has been unduly neglected. Paradoxically enough the new art of prophecy was developed much earlier in German philosophy than in German politics. In July 1918 – at the end of the first world-war – there appeared Oswald Spengler’s book: “Der Untergang des Abendlandes” (“The decline of the West”)[.] Never before had a philosophical work such a sensational success. It was translated into all languages and studied by all sorts of readers. What was the magic spell that this book exerted over the general public? Spengler was not a historian in the sense in which we usually understand this term. He rejected all the methods of empirical historical research. He openly defied all “scientific” standards. The wish to write history scientifically, he declared, involves a contradiction. “Nature is to be handled scientifically, [Leopold Ziegler, “Das heilige Reich der Deutschen”,] 2 vols[.], Darmstadt 1925[.] 1
quite a heterogeneous book:] von fremder Hand ber gestrichenem: his books the same] ber der Zeile von fremder Hand eingefgt C from his ... of religion.] von fremder Hand am Rand und hier angeschlossen D a philosopher] gendert von fremder Hand zu: an ingenious philosopher E But in 1925 ... ideology.] auf besonderem Ms.-Bl. 7a und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen; undertaking which ...german ideology von fremder Hand hinzugefgt statt gestrichenem: task A B
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History poetically.”1 Neither was Spengler’s book a “philosophy of history” in the sense of Herder or Hegel. To seek in history for a general plan, a systematic or teleological order is, according to Spengler, vain and futile. “Mankind” – he said – “[...] has no aim, no idea, no plan[,] any more than the family of butterflies or orchids.”2 History is neither a mere sequence of empirical facts nor can we speak of it in terms of an abstract metaphysical system. All this is quite inadequate. History is the evaluation of those mysterious entities which are called by Spengler “cultural souls“ (“Kulturseelen“). There is an “Apollonian”, a “Faustian”, a “Magician” soul. Whence these cultural souls come and whither they go we do not know. Their life and death, their rise and fall follow no laws of nature. It is, therefore, incomprehensible and inscrutable to the scientific mind. We cannot inquire into their causes; for they have no causes. “These cultures, sublimated life-essences, grow with the same superb aimlessness as the flowers of the field. Their beginning is always a mystical act”[.]3365 “A Culture is born in the moment when a great soul awakens out of the proto-spirituality (‘dem urseelenhaften Zustande’) of ever-childish humanity, and detaches itself, a form from the formless, a bounded and mortal thing from the boundless and enduring ... It dies when this soul has actualized the full sum of its possibilities in the shape of peoples, languages, dogmas, arts, states, sciences, and reverts in the proto-soul”[.]4 These mystical acts of the birth and death of great cultures cannot be studied scientifically. But, on the other hand, they are no chance work. They are governed by a rule much higher and much more sublime than all our so-called laws of nature. This rule is the rule of Destiny. Destiny, not causality[,] is the true moving force in history.5 To change the decree of destiny that reigns over the life and death of cultural souls is impossible. What we can do and what the modern man ought to do is to recognize and accept his fate. We must not try to save our Western civilisation. No effort of the human will can revivify a dead body. Let us, therefore, no longer persevere in vain attempts; let us no longer construct philosophical systems or create works of art. “Of great painting or great music there can no longer be, for Western people, any question. ... Only e x O[swald] Spengler, Der Untergang des Abendlandes, [The Decline of the West,] English translation by Ch[arles] Fr[ancis] Atkinson, p. 96[.] 2 (p. 21) 3 (p. 21) 4 (p. 106) 5 See Chapter IV: [The Problem of World-History. (2)] The Destiny-Idea and the Causality-Principle. 1
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t e n s i ve possibilities are left to them. But, A for a sound and vigorous generation, B that is filled with unlimited hopes, I fail to see that it is any disadvantage to discover sometimes C that some of these hopes must come to nothing ... It is true that the issue may be a tragic one for some individuals who in their decisive years are overpowered by the conviction that in the spheres of architecture, drama, painting, there is nothing left to them D to conquer. What matter if they do go under! [...] Now E at last the work of centuries enables the West-European F to view the disposition of his own life in relation to the general culture-scheme and to test his own powers and purposes. And I can only hope that men of the new generation may be moved by this book to devote themselves to technics instead of lyrics, the sea instead of the paint-brush, and politics instead of epistemology. Better they could not do.”1 Technics instead of lyrics, politics instead of epistemology, – this advice of a philosopher could easily be understood, and was eagerly followed by the new generation that grew up in Germany. As a matter of fact Spengler had not written a book on history – his mistakes in this respect are innumerable and conspicuous G – but a book on divination. His work is an astrology of history. He had cast a horoscope of human culture and found out that it was doomed once for all. In the first sentences of his book Spengler boasted of having discovered a new art by which it became possible to predict the course of human civilisation in an infallible way. “In this book” – he said – [“]is attempted for the first time the venture of predetermining history, of following the still unravelled H stages in the destiny of a Culture, and specifically of the only Culture of our time and on our planet which is actually in the phase of fulfilment – [the] West-European-American.” 366 There is perhaps no older, no deeper, no more general mythical concept than the concept of Fate. We find this concept – the concept of a mysterious, inscrutable, invincible power that governs all things in heaven and on I earth – in the mythologies of all peoples, in Babylonian, 1
(p. 40 f.)
But,] Spengler: Yet, generation,] Spengler: generation C sometimes] Spengler: betimes D them] Spengler: t h e m E Now] Spengler: But now F the West-European] Spengler: him G conspicuous] ber gestrichenem: palpable H unravelled] Spengler: untravelled I on] ber der Zeile von fremder Hand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen A B
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Chinese, Egyptian, Greek, Iranian, German mythology. In the Homeric poems even the Olympian gods have to submit to A the decree of Fate. Fate (Moira) is acting independently of Zeus. Greek philosophy and Greek tragedy have deeply changed the old mythological concept of Fate; but they have not destroyed it. In the drama of Aeschylus Fate is no longer a blind and dark power. An ethical order, the order of divine justice, governs the world. And Plato gave in the tenth book of his Republic his famous description of the “distaff of necessity” 367 on which all the revolutions of all the heavenly bodies turn. The spindle turns on the knees of Necessity, while the Fates, daughters of Necessity, Lachesis, Clotho and Atropos sit on thrones, Lachesis singing of the past, Clotho of the present, Atropos of the future.1368 That is a Platonic myth – and in Plato there is always a sharp difference, nay an insurmountable gulf between mythical and philosophical thought. A myth is an image or symbol, B but this image does not claim to be philosophically valid, to possess a ›dialectic‹ truth. It was reserved to modern thinkers, to philosophers of the 20th century, to obliterate this Platonic difference. They did not only rehabilitate old mythical conceptions, they made them the very center of their philosophy. If we accept these systems of modern fatalism we feel as if all our individual active powers were suddenly paralysed. Our thoughts and our will seem to be curbed under the iron yoke of a dire and inexorable fatality. At first sight it may seem paradoxical C, nay absurd, to charge Germany’s political and philosophical life of the last decades with a lack of activity. Has not Germany in this period developed a tremendous activity, has she not shown an energy never seen before? But we must not take things at their face value. We must see the dark side of the picture. The price that had to be paid for this display of force was the absolute suppression of the true formative powers of man’s personal life – of free thought, critical judgment and moral independence. Let us take another example that, to my mind is no less characteristic and significant. In 1927 D Martin Heidegger published the first volume of his book: “Sein und Zeit” (“Being and Time”). 369 Heidegger was a pupil of Husserl’s. He was regarded as one of the outstanding figures of the Ger1
P l a t o , Republic [Cornford] [Buch] X, [St.] 616 f.
to] ber der Zeile von fremder Hand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen symbol,] symbol; C paradoxical] paradox D 1927] im Ms. fehlt das Jahr, Platz wurde dafr aber freigelassen; am Rand findet sich ein Einfgungszeichen A B
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man phenomenological school. His book appeared in Husserl’s “Annals of philosophy and phenomenological research.” But the general attitude of the book was entirely opposed to the spirit of Husserl’s philosophy. Husserl had started from an analysis of the principles of Logic. 370 His whole philosophical work depends on the results of this analysis. His highest aim was to make philosophy an “exact science”, 371 to found it upon unshakeable facts and indubitable principles. Such a tendency is entirely alien to Heidegger. He does not admit that there is something like “eternal” truth, 372 that there is a Platonic ›realm of ideas‹ or a strict logical method of philosophical thought. All this is declared to be elusive. In vain we try to build up a logical philosophy; we can only give an “existential philosophy” (Existenzialphilosophie). The philosopher cannot strive for an “objective”, universally valid truth. He can only give the truth of his individual existence, and this existence has always a historical character. It is bound up with the historical conditions under which the individual lives. To change these conditions is impossible. In order to express this thought Heidegger had to coin a new term: a term that is scarcely translatable into [the] English language. He speaks of the “Geworfenheit” 373 of man (The Being-thrown of man). To be thrown into A the stream of time is one [of] the fundamental and unalterable conditions of human life. Man cannot emerge from this stream, and he cannot change its course. He has to accept the historical conditions of his existence; he has to subdue his fate. B That was, indeed, a new feature in German philosophy. Between Spengler’s and Hegel’s doctrines we can find many points of contact – it may even be said that the whole plan of Spengler’s book is based upon Hegel’s speculative view of history. Nevertheless there is one fundamental differinto] in subdue his fate.] danach gestrichen: Here we meet with a philosophical attitude that did not fail to have a strong and a strange influence. In the first days, shortly after Hitler’s rise to power, I heard very often from the lips of educated people, of scholars or philosophers, the ominous words “History has spoken”. They were repeated time and again. Men who had by no means [been] in favour of the national-socialistic party suddenly changed their minds. The political success was regarded by them to be the incontrovertible proof of the “truth” and the “right”[,] an irrevocable judgment of history, a decree of fate. To bow to the accomplished facts was not only a maxim of political prudence; it was rather considered as a sort of categorical imperative and as the result of a deep metaphysical wisdom. / I feel entitled to speak of these personal experiences; for to my mind they have not a mere personal, they have rather a typical significance. But I do not wish to be misunderstood. I do not mean to say that there is a direct connexion between the ideas of Spengler or Heidegger and the ideas propagated by the leaders of the national socialistic [party.] bricht ab A B
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ence between the two systems. The centre of Spengler’s system is the idea of Destiny; the centre of Hegel’s system is the idea of freedom. Hegel gave a spiritualistic interpretation of the history of mankind; and spirit means to him the same as activity or freedom. “The nature of the Spirit” – says Hegel in the introduction to his Lectures on the Philosophy of History – “may be understood by a glance at its direct opposite: Matter. As the essence of Matter is Gravity, so, on the other hand, [...] the essence of Spirit is Freedom. All will readily assent to the doctrine that Spirit, among other properties, is also endowed with Freedom; but philosophy teaches that all the qualities of Spirit exist only through Freedom. [...] It is a result of speculative philosophy that Freedom is the sole truth of spirit ... The history of the world is none other than the progress of the consciousness of Freedom.”1 In recent German philosophy A this active conception of human history was turned into its very contrary. A cultural pessimism, a deep mistrust in the power of the “spirit” to actualise itself in the course of history began to prevail. By this mistrust the intellectual forces which could have resisted the modern political myths were enfeebled and slowly undermined. I do not wish to be misunderstood. I do not mean to say that books like Spengler’s “Untergang des Abendlandes” or Heidegger’s “Sein und Zeit” are responsible for the development of political ideas in Germany. These ideas were not made by philosophers. They had grown up from quite a different soil, and they had not a speculative, but a very ,realistic’ meaning and purpose. The individual thinker can do very little to change the general course of political events or political ideas. But if philosophy, taken as a whole, gives way to a merely passive attitude, it can no longer fulfil its most important educational task. It cannot teach man how to develop his active faculties in order to form his individual and social life. A philosophy that indulges in sombre predictions about the decline and the inevitable destruction of human culture – a philosophy whose whole attention is focussed on the “Geworfenheit”, the “Being-Thrown” of man, can no longer do its duty; it cannot combat B the power of mythical thought.
Hegel, [Lectures on the Philosophy of History, in:] Smtl[iche] Werke, Vol. IX, p. 22ff. – English translation by J. Sibree, London 1857, p. 18ff. 374 1
recent German philosophy] recent mit Einfgungszeichen ber die Zeile geschrieben; danach gestrichen: of the last time, in books like Spengler’s Untergang des Abendlandes and Heidegger’s ›Sein und Zeit‹ B combat] ber gestrichenem: resist A
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§ 8: S u m m a r y a n d C o n c l u s i o n . What we have learned in the hard school of our modern political life is the fact that human culture is by no means the firmly established thing that we supposed it to be. The men who have built up the edifice of human culture – the great religious thinkers, the great artists, the philosophers and scientists – were convinced that they had built for eternity. Thukydides spoke of his historical work as a “possession for all time”. 375 Horace called his poems a monument ›more enduring than bronze which shall not be destroyed by the countless years and flight of the ages”. 376 It seems, however, as if we had to look upon the great masterworks of human culture in a much humbler way. They are not eternal and unattackable. They are liable to all sorts of dangers and they may at every moment succumb to these dangers. Modern civilisation is a very unstable and fragile thing. It is not built upon sand; but it is built upon a volcanic soil. For its first origin and basis was not rational, but mythical. Rational thought is only the upper layer on a much older geological stratum that reaches down to a great depth. We must always be prepared for violent concussions that may shaken our cultural world and our social order to its very foundations. From a biological point of view it is usual to describe myth as a sort of atavism. It is supposed to be a reversion to an earlier type of thought which has died out and of which we only have preserved a faint memory. A study of the history of civilisation does, however, not confirm this view. The culture of the Renaissance which is the cradle of our modern civilisation is still entirely pervaded with mythical elements. With a few exceptions all the great artists, the philosophers, even the scientists of the Renaissance are still under the strong and invincible influence of mythical conceptions. All the “occult sciences” – magic, alchymy, astrology – that in the middle ages had been checked by religious motives had a new flowering epoch in the Quattrocento and Cinquecento. Myth may be said to be a sort of “revenant”[,] a ghost returning from another world different from A that of modern culture. But this ghost is no mere shadow; it is still filled with a very vigorous and dangerous vital force. It is not, once for all, exiled and banished into the dark; it reappears in the broad daylight of our political and social life. In Babylonian mythology we find a legend that describes the creation of the world. In this legend we are told that Marduk, the highest god, before he could begin his work had to fight and subjugate some different from] as darber von fremder Hand: a world other than that (or different from the world of) A
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powerful monsters – the serpent Tiamat and the dragons of darkness. He slew A Tiamat and bound the dragons. After this he created the world and B gave to it its shape and its order. He formed heaven and earth, the constellations and the planets and fixed their movement. His final work was the creation of man. In this way the cosmic order arose from the primeval chaos and it will be preserved for all times. “The word of Marduk” – says the Babylonian epic of the creation – [“]is eternal; his command is unchangeable, no god can alter what proceeds from his mouth.”1 The world of human culture may be described in the words of this Babylonian legend. It could not arise before the dark powers of myth were fought C and overcome. But human culture could not entirely annihilate these powers. It could only bind and check them by developing new forces. As long as these forces are in full strength, the monster of myth is tamed and subdued. But once they begin to weaken and to lose their influence chaos is come again. Mythical thought begins again to rise and to infect the whole of our social life. The deep and ardent desire to reconstruct our cultural world from its dbris is now generally felt. But this aim cannot be reached at once. By the influence of the modern political myths[,] myth has intoxicated our thoughts and poisoned our feelings. It will take a long time before the social organism can overcome or eliminate this poison. We must not allow ourselves to be deceived by idle and premature hopes. The work can only be done very slowly. We shall have to rebuild, step by step, what, methodically and thoroughly, has been destroyed these last ten years. I do not doubt that philosophy will have its share and do its duty in this slow process of reconstruction. But no philosopher ever will hope that the end can be attained by mere theoretical means. D No philosophical thinker was more convinced of the power of rational thought than Spinoza. Spinoza’s aim was not only a rational, but a mathematical Ethics – an Ethics that could be proved in a geometrical way. Nevertheless he is perfectly aware of the fact that a passion cannot be overcome by mere theoretical arguments. It must be destroyed by a stronger and contrary Cf. [Peter] J e n s e n , Die Kosmologie der Babylonier, Stuttgart [recte: Straßburg] 1890, p. 279ff. 1
slew] slained world and] von fremder Hand in Spitzklammer hinzugesetzt C fought] fighted D means.] danach gestrichen: Spinoza’s doctrine is the classical example A B
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passion. But where can we find this stronger passion? According to Spinoza our emotional life is irrational in its very principle. A It is based on dim feelings and confused ideas, B on imagination rather than reason or intuitive knowledge. Nevertheless there are two passions which, in the system of Spinoza, are declared to be exempt from this flaw. They share their origin in the active, not in the passive part of human nature. In Spinoza’s system the distinction between ›active‹ and passive emotions C does not follow the traditional lines of thought. It does not coincide with the usual distinction of virtues and vices. According to the Spinozistic theory not only hatred but also love, not only pride but also humility, not only cruelty but even pity belong to the class of passive emotions. D There remain only two active emotions: f o r t i t u d e and g e n e ro s i t y. 377 They are the fundamental virtues in man; for they are those affections by which alone he can reach the supreme good: philosophical and ethical freedom. This freedom means not only freedom from violent desires and emotions. It means freedom from false conceptions, from inadequate ideas, from all sorts of prejudices and superstitions. To get rid of all these obstacles of a true freedom a high courage is required. This courage is not the same as mere physical courage. E Its true sense may be described by the words: “Sapere aude”! 378 Fortitude is the courage to be wise: to live an independent, an active and rational life. But it is not enough that we reach this goal for ourselves. We must freely communicate the good that we have acquired for ourselves to others. All this is to be done not under the impulse of passions F, but under the dictate of reasons. Fortitude and generosity are the only means to attain and secure the freedom of the individual mind and of human society. By the former we win mastery G over ourselves, by the latter we build up a social, a truly human order. It was perhaps never more imperative to recall these Spinozistic maxims to our mind than at the present moment. H very principle.] danach gestrichen: It does not depend on clear concepts or adequate ideas. B ideas,] ideas; C between ›active‹ and passive emotions] ber der Zeile und hier eingefgt D passive emotions.] danach z. T. mehrfach gestrichen: They can therefore not lead to the highest practical end. There remain only two active emotions by which we can reach this end, the end of human freedom: f o r t i t u d e and g e n e ro s i t y. Only by fortitude and generosity man can break the chain of his passion and become a free agent. E This courage ... mere physical courage.] am Rand niedergeschrieben und hier angeschlossen F passions] ber gestrichenem: affective strong affections, of love or sympathy G win mastery] win the mastery H moment.] danach gestrichen: Nothing will ever help us to overcome the crisis of A
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A passion can only be overcome by a stronger passion. Only if we learn to develop, to cultivate and intensify our active emotions A can we B hope to check the wild chase of our passive emotions and to remould our social and cultural life.
human culture as long as we do not succeed in remodeling our social life according to the standards of fortitude and generosity. A active emotions] danach gestrichen: – the emotions of fortitude and generosity – B can we] we can
RAC E N - M Y T H O S
Chamberlain St-Paul[us] Welch ein seltsames Bild von Paulus! Wenn wir Ch[amberlain] glauben, – so erscheint Paulus in einem ganz neuen und wahrhaft erstaunlichen Licht. Sein Tag von Damaskus war etwas ganz anderes als wir bisher annahmen. Paulus bekehrte sich nicht zum Christentum – sondern zum modernen race-thinking and race-feeling. He did by no means believe, that the new Evangelium was destined for the whole human race. Er machte einen scharfen Unterschied zwischen den verschiedenen Racen, denen er dieses Evangelium predigte. Und in dieser discrimination bewies er eine erstaunliche Kenntnis – einen scharfen Blick fr Rassen-Unterschiede. Er wusste, daß er zu den Rmern nicht in derselben Weise sprechen konnte, wie zu den Galatern – Er wußte, daß die Galater keltischen Ursprungs waren – ein Faktum, fr das sich Ch[amberlain] auf Mommsen beruft, 379 – das aber Paulus schwerlich aus Mommsen lernen konnte –, fr das er einer besonderen Inspiration bedurfte. Und er wusste noch mehr. Er wusste eine Tatsache, die selbst den Urhebern der modernen Rassentheorie, die selbst Gobineau vllig unbekannt war – ja die dieser energisch bestritten hatte. Er wußte[,] daß die Kelten einen Ehrenplatz in der Rangordnung der Racen einnahmen – daß sie echte Germanen, oder – wie Ch[amberlain] sagt, “Teutonen” waren – u[nd] daß diese Teutonen den Rmern unvergleichlich berlegen waren. Aber verfolgen wir Chamberlain’s Argument weiter! Er hat noch andere und bessere Beweise in petto! Ablard ist fr ihn einer der wichtigsten Zeugen fr den Geist des Keltentums! Er ist in Britannien geboren – muß also keltisches Blut in den Adern gehabt haben. Aber auch wenn wir von diesem Ursprung nichts wssten, knnten wir seine Zugehrigkeit zur keltischen Rasse, sofort und mit voller Sicherheit, aus dem Charakter seiner L e h re bestimmen. Diese Lehre war nicht nur christlich – sie war christlich-teutonisch! Und was ist der Beweis fr diesen teutonischen Charakter von Ab[lard]’s Lehre? Wenn wir Ablards Schriften studieren, werden wir ihn schwerlich entdecken. Diese Schriften erscheinen weit mehr lateinisch, als teutonisch. Es gibt vielleicht keinen zweiten Denker des Mittelalters, bei dem der “diskursive” Geist so stark den intuitiven oder mystischen
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Philosophie und Politik
berwiegt als Ablard. Sein Ruhm unter seinen Zeitgenossen war auf seinen l o g i s c h e n Schriften begrndet. Er verteidigte das Recht der D i a l e k t i k gegen Denker, die die Philosophie zur Dienerin der Theologie machen wollten – wie Petrus Damiani. A380 Sein schrfster Gegner – der Mann, der seine Verurteilung durchsetzte[,] war der Mystiker St. Bernard. 382 Ab[lard] selbst sagt in einem Brief an Heloise – daß die L o g i k sein Unglck B verschuldet – daß die Dialektik ihn den Theologen und Mystikern verhasst gemacht habe 383 – Von alledem hren wir in Ch[amberlain]’s Charakteristik kein Wort – in seiner Darstellung erscheint Ab[lard] als reiner Mystiker. Und warum? Weil er den s y m b o l i s c h e n Charakter religiser Ideen betont – u[nd] weil er die innere Religion ber die usserliche stellt. Aber knnen wir d a r a u s sein Keltentum u[nd] sein Teutonentum ableiten? Es wrde nicht helfen, gegen Chamb[erlain] einzuwenden, daß in alledem Ab[lard] ja einfach als C h r i s t – nicht als Kelte oder Teutone – erscheint. Dieser Einwand ist fr ihn lngst erledigt: denn “Christus war kein Jude”. 384 Aber wie steht es um die Propheten des Alten Bundes, um die Propheten Israels – Wie steht es um Jesaja, um Hosea, um Micha – Hatten sie nicht a l l e die innere Religion ber die ußere gestellt. Hatten nicht ... 1 Sollten wir etwa auch bei ihnen nach teutonischem, oder keltischem Blute zu suchen haben? – Es ist nicht ntig[,] diese Beispiele zu hufen. Sie sind ber das ganze Buch von Ch[amberlain] verstreut. Seine Beweisfhrung bleibt auch immer gleich – sie besteht in dieser fortlaufenden petitio principii. In der Einleitung zu seinem Buch erklrt er selbst, daß er nicht als Wissenschaftler, sondern als Dilettant sprechen wolle. Wissenschaft kann uns nicht helfen – sie bleibt immer und ewig Stckwerk. Eine S y n t h e s e muss immer von dem genialen Dilettanten oder dem großen Knstler kommen. 386 Immerhin macht Ch[amberlain] hier auch einige Einschrnkungen. Fantastische Annahmen sind nicht erlaubt – alles muß auf Tatsachen gegrndet sein – sonst bleibt es ein blosses Luftschloss: Philosophical history is a desert[;] fanciful history an idiot-asylum.2387 Cit. / Jewish Record 385 am Rand, gegenber von: Hatten nicht ... [Chamberlain, The Foundations, S.] L X I am rechten Rand gegenber von: idiot-asylum. 1 2
A B
Petrus Damiani.] am Rand: Mat[erial] s[iehe] M s Mittelalter 381 / cf. oben / p. ... Unglck] darber, links oben auf neuer S.: C h a m b e r l a i n
Racen-Mythos
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Aber es hat nie eine mehr “fanciful history” gegeben, als die[,] die Chamberlain in seinen Grundlagen erzhlt – u[nd] oft glauben wir uns wirklich “in an idiot asylum” zu befinden – Aber all das tat der W i r k u n g des Buches keinen Abbruch – / es wurde geglaubt, bewundert, nachgebetet! Das war der Bankrott des kritisch-geschichtlichen Sinnes – Nicht die Theorien Ch[amberlain]s waren das Entscheidende – sie waren, mit leichten nderungen, aus Gobineau 388 u[nd] anderen Autoren geschpft – der L e i c h t s i n n , mit der sie vorgetragen; einer großen Masse unkritischer Leser zugnglich und schmackhaft gemacht wurden – die unwissenschaftliche Unverantwortlichkeit, die Untergrabung des geschichtlichen Sinnes: darin lag das Entscheidende! Der A A b s t i e g ist deutlich und erschrecklich – Wir brauchen nur die Reihe C a r l y l e – G o b i n e a u – C h a m b e r l a i n / zu betrachten[:] a) C a r l y l e B ist ein echter Historiker. Er ist nicht von der Weite und Universalitt, noch von der großartigen Objektivitt eines Ranke – Sein Urteil ist immer durch persnl[iche] Sympathien und Antipathien beeinflusst – Seine Studien beschrnken sich auf die gedruckten Quellen – u[nd] sein kritischer Sinn war nicht scharf entwickelt – in e i n e m Fall ist er einer plumpen F l s c h u n g zum Opfer gefallen1 aber seine Arbeitsweise ist die eines echten u[nd] gewissenhaften Gelehrten / etc. s[iehe] frher b) G o b i n e a u – vieles Fantastische – / aber eine wahrhafte Bildung – / gesttzt auf Sprachkenntnis etc. c) C h a m b e r l a i n – der reine Dilettant, / idiot’s asylum! h[ie]rz[u] s[iehe] We l l e k 389 am Rand gegenber von: F l s c h u n g zum Opfer gefallen 1
A B
Der] darber, links oben auf neuer S.: C h a m b e r l a i n C a r l y l e ] Carlyle
B E I L AG E N I (ERNST CASSIRER)
S TA AT S B E G R I F F. A
Eine Flle von Problemen ergiebt sich, sobald wir das Freiheitsprobl[em] mit dem Staatsprobl[em] zusammenfassen, – sobald wir es in seiner p o l i t i s c h e n Bedeutung nehmen. – Denn der Freiheitsgedanke ist wie das ethische, so das polit[ische] Grundprincip. Aber in den polit[ischen] Kmpfen droht er jede bestimmte Bedeutung zu verlieren, jede Partei beruft sich auf ihn ... So hier die ganze Skala der Probleme[:] a) p o l i t [i s c h e ] G e s c h i c h t e – Kmpfe der Stnde, der Parteien um die Freiheit – / die doch meist Kmpfe um die Herrschaft [sind] b) S t a a t s re c h t l i c h ... – Souvernittsbegriff – / Souvernitt beim Herrscher / [oder] beim Volke? 390 Staatsrecht der neueren Zeit – / Absolutismus (Hobbes) [–] / Monarchomachen ... [–] / Repraesentative Verfass[ung] – parlamentar[ische] Freiheiten c) Wi r t s c h a f t l i c h – S o c i a l – Gliederung der G e s e l l s c h a f t nach dem Ideal der Freiheit. Wir fassen von all diesen Problemen nur das eine ins Auge: Nicht wie im Staat, als Fa k t i s c h e m , die Forderung der Freiheit sich durchsetzt ... [,] / sondern wie die Staats i d e e sich gestaltet, wie sie als Idee selbst w i r d , zum Bewusstsein u[nd] Selbstbewusstsein gelangt, indem sie den Gedanken der Freih[eit] in sich aufnimmt. (Meinecke) 391 – B Formprobl[em] in doppelter Hins[icht] – a) Freiheit des Indiv[iduums] hat sich gegen den Staat zu wehren[;] b) alle die erreichten Fo r m e n Selbst – das objektiv Geistige des Individuums setzt sich gegen die Form des Staates als ein U n g e i s t i g e s ! S TA AT S B E G R I F F. ] Titel findet sich außerdem auf Konvolut umgreifendem Bogen (Bl. 1 und 54), der auf den Seiten 1r, 1v und 54r Literaturangaben zum Thema (u.a. Titel von Gierke, Jellinek, Marianne Weber, Humboldt, Meinecke, Rehm, Schlzer, Lassalle, Hegel, Leibniz, Troeltsch, Bluntschl) enthlt, und der auf der Seite 54v den Anfang des Exzerptes von Rankes Meisterwerken Bde. I-V (Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bde. 1-5) bildet, das auf Ms.Seiten 21r-23r fortgesetzt wird. Zu Umfang und Inhalt des hier nur in Auszgen (Ms.-Seiten 2r-14r) wiedergegebenen Ms. Staatsbegriff (GEN MSS 98, Box 53, Folder 1075 [Konvolut 132]) siehe Editorische Hinweise, S. 329 f. B (Meinecke) –] Notiz auf linkem Seitenrand. A
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Beilagen I
Synthese[:] Staat u[nd] Individuum / Staat u[nd] Geistigkeit A [–] dies erst der “freie Staat”[.] B Hier aber deutlich zwei Phasen – 1) Die Freiheitsidee als Correktiv der Staatsidee – sie schafft die C a u t e l e n gegen die Omnipotenz des Staates. / Cautelen verschiedener Art[:] im polit[isch]-rechtl[ichen] Kampf selbst / re c h t l i c h e Einschrnkungen[;] e t h i s c h e Einschrnk[ungen] ... / [...] C : Grundrechte sittl[icher] Art, an die auch die Staatsbildung gebunden bleibt[;] a e s t h e t i s c h - i n d i v i d [u a l i s t i s c h e ] Einschrnkung (Humboldt[)] 392 2) Die Staatsidee als Moment u[nd] als E r f l l u n g der Freiheitsidee Beide Momente verfolgen wir hier nur, insofern sie in der deutschen Geistesgesch[ichte] ihre Erschein[ung] finden. / Eigenart der Entwicklung der Staatsidee bei den Deutschen: / auch hier die Idee das Frhere, das a priori – die Idee selbst schafft erst den Staat als G e b i l d e [.] / Aufschwung des national[en] Bewusstseins in der Zeit der Reformation – dann aber durch den 30 jhr[igen] Krieg wieder ganz zurckgedrngt – / Andere Staaten finden ihr Selbstbew[usstsein] in ihrer Thatschlichkeit – Perikleisches Zeitalter – Ludwig XIV[.] – hier vllig anderer Entwicklungsgang – Damit aber ein wichtiger Gewinn: / die Staatsidee entsteht aus einer fortschreit[enden] B e g re n z u n g der Freiheitsidee, der Menschheitsidee[.] / Durch Humanitt zur Nationalitt[.] / Wie Homer u[nd] Hesiod den Griechen ihre Gtter gegeben haben, so haben die P h i l o s o p h e n dem deutschen Volke seine Staatsidee gegeben. / Aus dem I d e a l i s m u s wchst es heraus – ^Daher von Anfang an kein “Machtstaat”, sondern auf die Vlkergemeinsch[aft] gerichtet.& Hinweis auf das Wort Fichtes in der Staatslehre – Die Deutschen htten keine Geschichte – / Merkwrdigkeit dieses Wortes ... 393 / Aber eigentl[icher] Sinn – sie haben kein geschichtl[iches] S u b s t r a t des Staates – aus dem reinen Thun muß auch das Sein des Staates erst geboren werden (wie das Objekt berhaupt ...)[,] / indem die freie Thtigkeit s i c h b e g re n z t ... Dies die Aufgabe.
Staat und Individuum/Staat und Geistigkeit] beide Zeilen rechts von Klammer umgriffen B Formproblem ... der “freie Staat”.] Bemerkung auf linkem Seitenrand C ...] unleserlicher Ausdruck A
Staatsbegriff
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[...] 394 I) M o m e n t e d e r E n t w i ck l [u n g ] d e s S t a a t s b e w u s s t s [e i n s ] [...] 395 a) S t a a t s b e w u s s t s [e i n ] u [n d ] re l i g i s [e s ] B e w u s s t s [e i n ] Verhltnis des Protestant[ismus] zum Staatsbegriff – 1) Zunchst nchste Berhr[ung] mit den nationalen Fragen ... 1 Man blickt auf Karl V[.], zur Erfll[ung] der nation[alen] Wnsche ... / Und als die Hoffnung auf den Kaiser trog, als in ihm der span[ische] Absolutismus sich als herrschend erwies, da blieb nichtsdestoweniger die Hoffnung auf das R e i c h aufrecht.2 / Und dies war in der That notwendig, wollte man nicht jeglichen Z u s a m m e n h a n g verlieren (R i t s c h l ; 398 man glaubte[,] noch auf dem Boden des R e i c h s zu stehen – Die Conzile abgelehnt, aber die Reichsverfass[ung]) Positive Versuche: Reichstag zu Nrnberg / (das Schisma fllt den kathol[ischen] Frsten zur Last cf. R a n k e ...) 399 / Und auch dazu noch: Reichs a b s c h i e d von Speyer 400 gab die staatsrechtl[iche] Grundlage des Protestantismus [–] / Trennung von Reichsgedanken u[nd] Nationalged[anken] – Der Reichsged[anke] selbst erschien rmisch – als imperium – Luther Z[e]tt[el] 401 : Deutschtum [–] / aber Gegens[atz] zum R e i c h AB 2) Aber tiefer war die innerl[iche] Beziehung Auch hier zwar ging das religis[e] u[nd] polit[ische] Motiv nicht unmittelbar in einander auf – / Fremdheit bei der3 C Religiser Individualismus Luthers – die Freiheit d[es] Christenmenschen als Gewissensfreiheit D403 in diesem Sinne positiv – / Die brige Bezieh[ung] zum Staatswesen aber mehr negativ; es gilt den Staat, die von Gott gewollte Obrigkeit [zu] e r d u l d e n , h i n [z u ]n e h m e n [–] / T h e o k r a t [i s c h e s ] Element der Staatsbegrndung, insofern Heteronomie ... / Staat als “Sttte des Leidens”, irdisch[.]4404 Aber darin lag doch zugleich das tiefere Moment: Leben im Beruf, als A m t . / Das wirkte auf den ganzen Begriff des Amtes zurck. 405 Ob er gleich frei ist, soll er sich zu einem Diener machen s[iehe] Glauben 1 2 3 4
^Z[e]tt[el] Luther: Hutten.& 396 Bluntschli[,] S. 57ff./ R a n k e , 397 ! Angaben auf rechtem Rand cf. Troeltsch 402 Angabe auf linkem Rand cf. Gierke, Althus[ius] Angabe auf linkem Seitenrand
Trennung ... Gegensatz zum R e i c h ] in Bleistift Der Reichsgedanke selbst ... Gegensatz zum R e i c h ] Randbemerkung rechts C Fremdheit bei der] Zeile bricht ab D Gewissensfreiheit] nachfolgend unleserliches Wort gestrichen A B
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Beilagen I
Z[e]tt[el] 2) A B Veredelung des Begriffs des Amtes – nicht utilitarisch begrndet, nicht um der Herrschaft willen (ratio status – Politik[;] / Naturrecht erwies sich hier frderl[ich] als Politik!) Vollendung dieses Amtsbegriffs –^Staatsraison u[nd] Naturr[echt]1 & C a) bei L u t h e r / von weltl[icher] Obrigkeit b) bei F r i e d r [i c h ] d [e m ] G ro s s e n / gewiss nicht positiv-protestantisch gesinnt. Die Ehre des Mannes fordert den Dienst - gleichgltig wofr – die betr[effenden] Stze esprit de corps et de nation2407 [–] sein Staat ruht auf dem abstrakten Pflicht- u[nd] Ehrbegriff (Tellheim)3408 [–] Staat als beseelter Krper[,] Frst als erster Diener[.]4D 410 Aber dieser Staatsbegriff u[nd] diese Staatsgesinnung ist kein Werk Voltaires u[nd] der franzs[ischen] Aufklr[ung.] Idee des preuss[ischen] Staates – Strenge; Gesetzlichk[eit] als Einschrnk[ung] des Individualwillens durch einen obersten Sachwillen, dem auch der Frst, die hchste Macht, unterliegt. Aber der friederic[ianische] Staat ist noch M a s c h i n e 5411 [,] als Fabrik verwaltet – nur andere Triebkrfte eingesetzt – Ehre – Pflicht[;] er setzt die Triebkrfte voraus, die er in sich selbst wirksam weiss!!
II) Weiterbild[ung] der religis[en] Momente ... zunchst nicht in Deutschland – / Das demokrat[ische] Element fand hier zunchst keinen Boden. – Caesaropapismus – Der Pietismus drang demgegenber wieder auf die Befreiung in reiner Innerlichkeit – losgelst vom Politischen. An Ve r s u c h e n hatte es nicht gefehlt. (Lambert ... Versuch einer Kirchenverfass[ung] von unten her ...) 412 cf. Gierke[,] Althus[ius, S.] 299 406 s[iehe] Stelle bei Meinecke[, S.] 33 3 [Eduard] Z e l l e r [,] Fr[iedrich] d[er] Gr[oße] als Philos[oph] / [August] B u c k , Z[e]tt[el] Stellen bei Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV, [S.] 474 409 4 Bluntschli[, Geschichte der neueren Statswissenschaft,] S. 2 6 0 f f . / Gierke, Althus[ius,] S. 197 5 (cf. Mein[ecke,] S. 67) 1 2
Glauben Zettel 2)] Lesung unsicher, stark verbessert Ob er gleich frei ist ... siehe Glauben Zettel 2)] Randbemerkung links C ^Staatsraison und Naturrecht cf. Gierke Althusius, 299&] Randbemerkung links D sein Staat ruht ... Gierke, Althusius, Seite 197] Randbemerkung links A B
Staatsbegriff
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1 Verwirklicht aber erst auf e n g l i s c h e m Boden413 [–] bergang auf Nordamerika – / Erklr[ung] der Menschen- u[nd] Brgerrechte geht n i c h t auf Ro u s s e a u zurck (Rousseau fordert Ve r z i c h t auf die Freiheit beim Eintritt in den S t a a t ... 2 ) [–] / Also Rckgang auf die Deklar[ation] der Einzelstaaten; nicht ein Werk der Revol[ution] A sondern der Reformation B –3
III) Aber das Religise ist doch nicht das entscheidende Moment – Die G e w i s s e n s f re i h [e i t ] allein htte nicht zur polit[ischen] Freiheit gefhrt, wenn nicht ein anderes Moment hinzugekommen wre – N a t u r re c h t , R a t i o n a l i s m u s . 415 Von Anfang an eng verbunden mit dem protestant[ischen] Element4 [–] Z[usammen]h[ang] D schon mit der religis[en] Bewegung [–] / Wiedertufer – Bauern [–] s[iehe] Z[e]tt[el] [...] E Luther Forderungen der Bauern5417 [–] / Zusammentreffen des Naturrechts mit den german[ischen] Rechtsideen[.]6F 418 Zurckbesinn[ung] auf s t o i s c h e Grundlagen ... Hier fhrt nun unser Weg auf eine andere Quelle – Unverusserl[iche] Rechte des Individ[uums] – in der Politik des Althusius, Grotius etc.7419 [»]liberty and p ro p e r t y [«]! (Locke)8 – daher auch Grundleg[ung] einer rein individualist[ischen] Wirtschaftslehre9420 s[iehe] Darstell[ung] bei J e l l i n e k , Tr l t s c h dort Literatur s[iehe] auch Taine [Dazu Hrsg.-Anm. 9] 3 (Zit[at] von Jellineks Resultat bei Mar[ianne] Weber) 414 4 (Conturb[atio]C etc. cf. D i l t h e y, ev[entuell] im Archiv [fr Geschichte der Philosophie]) 416 5 u[nd] Gierke[,] Naturr[echt] u[nd] d[eu]tsch[es] R[echt], S. 22 6 s[iehe] Gierke 7 s[iehe] Gierke, Althus[ius, S.] 112 f ., 3 4 6 8 [ibid., S.] 115 9 ^[ibid., S.] 115& 1 2
Revolution] statt gestrichenem: Reform[ation] Reformation] statt gestrichenem: Revolution C Conturbatio] Lesung unsicher, evtl. Conturt D Zusammenhang] Lesung unsicher E ...] unleserlicher Ausdruck F Zusammenhang schon ... siehe Gierke] Randbemerkung links A B
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Beilagen I
Blackstone – Wolff – Leibniz / ^Staatsrson u[nd] Naturrecht1 & 421 / [(]Selbstnd[igkeit] der Idee der Gerechtigk[eit]2 ) 422 / persona civilis seu moralis Reipublicae3423 Leibniz Abweis[en] des bloss[en] Utilitarismus [–] / Brger im Reich Gottes – / Dies der Kern seines Pe r s n l i c h k e i t s b e g r i f f s – Unterschied von der S t o a [–] / dort doch nur B e h a u p t u n g der Persnlichkeit gegen den Staat [–] / patience par force – / Hier reine H i n g a b e an die Gemeinschaft [–] Unverusserl[ichkeit] der Menschenrechte[.] Naturr[echt] unabh[ngig] von Theokratie[,] ein Recht, auch wenn es keinen Gott gbe! 44245 6 Leibniz nhert sich am meisten der Staatspersnl[ichkeit], aber nicht vollstndig7 8 A [S c h e l l i n g . Ro m a n t i s c h e S c h u l e ]9 Einfluss S c h e l l i n g s auf die histor[ische] Rechtsschule vielfach behauptet10428 [–] / Schellings Einfluß auf Savigny / g e l e u g n e t v[on] BethmannHollweg, 429 W. Singer, B selbst K[uno] Fischer11 [–] / einen durch die romant[ische] Schule vermittelten Einfl[uss] nimmt L o e n i n g 12 an[.] / Allein P u c h t a hat Schelling gehrt[;] / in Mnchen mit Schell[ing] in persnl[ichem] Verkehr[.] Undurchf[hrbare] Aufgabe festzustellen, wer Gierke[,] Althus[ius, S.] 299 ibid.[, S.] 317ff - 364ff. 3 cf. [Gierke,] Althus[ius, S.] 197 4 S[iehe] Althus[ius,] S. 74 5 [ Robert] Z i m m e r m a n n , [Cassirer,] L [e i ] b [n i ]z ’ S y s t e m , Vo r re d e z u [L e i b n i z ’ ] H a u p t s c h r i f t e n , 425 [Erwin] R u c k , Die L[eibniz’]sche Staatslehre Tb[ingen] 1909 6 dass[elbe] Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV, [S.] 447/ [Leibniz, Vorrede zum] Cod[ice] jur[is] gent[ium] dipl[omatico, I.,] § 11-19 426 7 Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV, [S.] 450ff.[;] Gierke[,] Althus[ius, S.] 179; 19 7 ; [Vgl. Hrsg.-Anm. 426] 8 Stellen: Grl[and], L[ei]b[ni]z’ Gottesbegriff 427 9 [Siegfried] B r i e , Der Volksgeist bei Hegel und in der histor[ischen] Rechtsschule, [in:] Arch[iv] f[r] Rechts- u[nd] Wirtschaftsphilos[ophie,] Bd. II 1908/09[, S. 1-10, S. 179-202]. 10 [Karl] B e r g b o h m , Jurisprudenz u[nd] Rechtsphilos[ophie,] S. 188 gibt B e l e g e hierfr; s[iehe] auch K[uno] Fischer[,] Bd. 7, 2. Aufl[age], S. 182-84 11 ([Fischer, S.] 183) 12 [Edgar] L o e n i n g , Festrede zur Jahresf[eier] der Univ[ersitt] Dorpat am 12.XII. 1879 1 2
A B
Naturrecht unabhngig ... Leibniz’ Gottesbegriff] Randbemerkung links W. Singer,] Lesung unsicher
Staatsbegriff
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von beiden als Urheber des einzeln[en] Ged[ankens] oder seiner Fassung anzusehen [ist.] Das h i s t o r i s c h e Moment von beiden[,] / das n a t i o n a l e aber nur von Hegel1 [–] Hegel u[nd] die Romantik,2431 S a v i g n y u[nd] die Romant[ik][,] / Bezieh[ung] zu Brentano, Arnim3 4 [H e g e l ]5 Naturrecht = Wissenschaft der absolut[en] Sittlichkeit[;] whrend Gegenst[and] der Moral nur Sittl[ichkeit] des Einzelnen sei, diese das an sich Negative, dagegen die absol[ute] Sittlichk[eit] das Positive[.] In der Natur dieser aber liegt es[,] ein Allgemeines zu sein u[nd] die absol[ute] sittl[iche] Total[itt] ist nichts anderes als ein Vo l k 6 hnlich im System der Sittlichk[eit] [“]Die Anschauung der Idee der absol[uten] Sittl[ichkeit] [...] ist das Volk; denn im Volk ist das Indiv[iduum] als Intellig[enz] schlechthin dem Allgem[einen] gleich[,] u[nd] schaut sich selbst im Ganzen[,] das Ganze als ident[isch] mit seiner geistigen Einzelheit an.[”]7434 / 8 – Diese lebend[igen] Sitten sollen sich in den Gesetzen darstellen9 [–] / das kann aber auch auseinandergehen10 [.] Hegel – Montesquieu WW[,] Bd. 8, S. 350 430 Haym[, Die] rom[antische] Schule[, S.] 844 u[nd] 864 / Meinecke[, S.] 266 3 [Roderich von ] Stintzing[,] S. 31-32 [Rudolph von] Ihering, Kampf ums Recht, 5. Aufl[age], S. 10 f. / Tre i t s c h k e [, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd.] I, [S.] 209 z u we i t g e h e n d 432 4 S a v i g n y, Vom Beruf unserer Zeit fr Gesetzgeb[ung] u[nd] Rechtswissensch[aft] / H 10922 [(1814) 2te Auflage 1828] Ad[am] Mller[,] Die Elemente der Staatskunst Bd. I F 8636A 5 Hegel[,] ber die verschied[enen] Behandlungsarten des Naturrechtes[, Werke, nachfolgende Angabe auf linkem Seitenrand: Bd.] I, [Berlin 1832, S.] 395ff[.] 433 6 [ibid.,] S. 372, 396, 416ff. 7 Haym[,] Hegel [und seine Zeit, S.] 177 8 [Hegel, ber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, Werke, Bd. I,] S. 396/97 9 ([ibid., S.] 400) 10 [ibid., S.] 418/19 1 2
Adam Mller, Die Elemente der Staatskunst Bd. I F 8636] Angaben finden sich auf – sonst leerem – Bl. 7v, gehren sachlich aber zu Blatt 6v; nachfolgendes Bl. 8r, Text quer, trgt Paginierung S. 70 und insgesamt gestrichenen Text zu Fichte, der offenbar dem Buchmanuskript FF diente: [danach gestrichen: Weil die Fichtesche;] [danach gestrichen: Die Freiheitsidee, die den Grund der Philosophie Fichtes ausmacht, vermochte zum Spiegelbild der gesamten] Fichtes Ethik und Staatslehre sprach ein Problem aus, das, wie unsere Darstellung berall zu zeigen versucht hat, durch das Ganze der deutschen Bildung hindurchgeht; sie vermochte zum reinen Spiegelbild von ihr A
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Beilagen I
Im Verh[ltnis] zu einander bilden die Vlker Individuen1 [–] Volk[,] das sittl[iche] Indiv[iduum] [–] / In jedem aber hat der Weltgeist sein Wesen u[nd] seiner Selbst genossen2 [–] / bei Schell[ing] [ist] die Gesch[ichte] der grosse Spiegel des Weltgeistes3435 [–] / Seiner Form nach [ist] das positive Recht Ausdruck des als Persnl[ichkeit] u[nd] zugleich als Stufe der Entw[icklung] des Weltgeist[es] aufgefassten Volksgeistes[;] fr die Wirksamk[eit] des Volksgeistes aber jetzt Staat u[nd] Gesetz als maßgeb[end] betrachtet. S t a a t – Wirkl[ichkeit] der sittl[ichen] Idee, das an sich Vernnftige, der sich mit Bewussts[ein] realis[ierende] Geist4 [–] Wille des Staates vernnftig = allgemein. Wille[,] nicht gemeinsamer Wille der Einzelnen5 [–] Volksgeist6 : Das Volk als Staat ist der Geist in seiner substant[iellen] Vernnftigkeit u[nd] unmittelb[aren] Wirklichk[eit]. / Vo l k n o c h k e i n S t a a t , muß sich erst objektiv[ieren] durch das Recht7 / [–] Dies Ein System in sich selbst[.]8
U m b i l d [ u n g ] d e r n a t u r re c h t l [ i c h e n ] Au f f a s s u n g 9 Kant a) Naturrechtl[iche] Elemente in ihm[,]10438 b) berwind[ung] dieser Elemente durch die Erk[enntnis] des Vertrages als re g u l a t i ve r Idee –11439 Verzicht auf jede eudmonistische Begrndung – Staat als Mittel der Erzieh[ung] zur Freiheit.12 List der Vernunft; Staat als o b e r s t e r Z we c k d e r G e s c h i c h t e [.] ([ibid., S.] 372)[, S.] 417 ([ibid.,] S. 415) 3 [Schelling,] S[mtliche] W[erke,] [Bd.] V, [S.] 415 4 [Hegel, Rechtsphilosophie,] § 33, § 257, Zus[atz] zu § 158 5 [ibid.,] § 258 Anm[erkung] gegen Rousseau 436 6 [ibid.,] vgl. § 331 7 [ibid.,] § 349 f. 8 [ibid.,] § 211 Anm[erkung] nebst Zusatz [Dazu auch Hrsg.-Anm. 164] 9 L e s s i n g ! s[iehe] Z[e]tt[el] 437 10 vgl. Rehm[,] Allg[emeine] Staatslehre[, Freiburg i.B. 1899,] S. 248 f.; Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV, [S.] 441-43. Gierke, Althus[ius, S.] 207 11 cf. [Gierke,] Althus[ius, S.] 207 12 [Kant,] Idee zu einer Gesch[ichte] d[er] Phil[osophie] in weltbrgerl[icher] Absicht ... Fester?A440 1 2
A
Fester?] Randnotiz rechts
Staatsbegriff
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Dies erschien Herder als Ave r ro i s m u s ; als falsche Hypostasier[ung] des Allgemeinen. Hier stehen die Gegens[tze] einander gegenber ... 1 berwind[ung] der Glcksel[igkeit] als Maßstab [–] durch Legalitt zur Moralitt[.] W [i l h e l m ] v [o n ] H u m b o l d t 2441 religis[er] Individualismus, eth[ischer] Individual[ismus], aesthet[ischer] Individualismus. / Charakter von Humboldts Individualismus[,] Totalitt s[iehe] Z[e]tt[el] 442 Schrift ber die Wirksamkeit des Staates 443 – Durchgeh[ende] Tendenz – Au t o n o m i e des eth[isch]-aesthet[ischen] Individuums – / Der Staat als Feind dieser Autonomie [–] / Belebung zur S e l b s t t h t i g k e i t nur gegen den Staat mglich. / (Ablehn[ung] des eudmonist[ischen] Standpunkts ... Glck ist K r a f t ...) / Selbst der Krieg hierdurch gerechtfertigt [–] [“]Hast Du nicht alles selbst vollendet ...[”] 444 Zugleich L e i b n i z [i s c h ] u[nd] K a n t i s c h . N o va l i s (viell[eicht] schon unter dem Einfluss F i c h t e s ) versteht[,] daß der Staat die Ttigkeit der Individ[uen] nicht beschrnkt[,] sondern 3B entfaltet: er ist die Armatur der gesamten Ttigkeit[.]445 Kritik des Staates durch das aesthet[ische] Humanittsideal 446 – / Der Staat kann nicht Menschen bilden, er bildet nur Maschinen [–] / Die Individuen sind hier g l e i c h a r t i g [.] / Sie sollen ve r s c h i e d e n a r t i g werden [–] / Dies das Motiv von Humboldts Kritik ... / Er sieht den Staat in der naturrechtl[ichen] Construktion als Maschine*4447 [–] / usserlichste Auffass[ung] desselben; von hier aus aber die Kritik konsequent[.] N o va l i s D Wandlung bei Humboldt selbst – [von der] Freiheit gegen den Staat zur Freiheit fr den Staat u[nd] im Staat5448 [–] / aber noch immer nicht Freiheit d u rc h den Staat [–] / Idee der Selbstverwaltung – / Steinsche Reformen [–] / Anknpf[en] an die national[en] Verbnde [–] / Tiefe Grundlage: 1 2 3 4 5
S[iehe] Kants Kritik von Herders Ideen [Dazu Hrsg.-Anm. 19] M e i n e ck e , S. 38ff.A S[iehe] Meinecke[, S.] 66 *cf. S c h l z e r u[nd] Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV, [S.] 410C cf. [Rudolf] Haym, [Wilhelm Humboldt,] S. [265]
M e i n e c k e , S. 38ff.] auf linkem Seitenrand N o va l i s ... Siehe Meinecke 66] Randbemerkung links neben dem Text C *cf. S c h l z e r und Gierke IV, 410] als Einschub markierte Randbemerkung, links neben dem Text D N o va l i s ] Randnotiz rechts in Bleistift A B
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Beilagen I
/ Sinn des deutschen Genossenschaftsrechts1 [–] Freiheit der Association u[nd] Associationsgedanke (Althus[ius])2 im d e u t s c h e n Naturrecht[.] 449 / Wilh[elm] v[on] Humboldt3 (aber doch individualist[isch] u[nd] mechanist[isch] veranlagt4) A450 In diesem Sinne sucht er jetzt Allgemeinh[eit] u[nd] Besonderh[eit] zu vershnen – / (Universittsplan ...) / pdagog[isches] Bildungsideal s[iehe] Z[e]tt[el]5451 [–] / Zum spteren Humboldt6 [:] / [“]nur eine nach aussen hin starke Nation[”] bewahrt den G e i s t rein7 – aber zum erobern8B [–] Aber doch noch den Staat wollte er Deutschland nicht machen453 9 immer mehr betrachtend, als produktiv ... – S c h a u s p i e l 455 / [–] Individual[ismus] als Grundgeheimnis / [“]Reste einer u n staatl[ichen] Ansicht vom Staate, die er bei aller Schrfe polit[ischer] Erkenntn[is] nicht ganz berwinden konnte[”]10456 [–] spterer Humboldt s[iehe] Z[e]tt[el]! C457 F i c h t e ... 11458 kri[tisches] D Urteil bei M o h l 459 [;] Staat ganz aus der Willkr der Subjektivitt heraus geschaffen12460 a) Abstrakt naturrechtl[icher] Standpunkt frhester prakt[ischer] Standp[unkt]13 [–] Construktion des R e c h t e s – als Grenze, die das unendl[iche] Thun nicht an einem Objekt, sondern an cf. Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd. IV, S. 411ff.] [Gierke, Althusius, S.] 258ff. 3 [ibid., S.] 263 4 [ibid.,] cf. [S.] 262 5 vgl. S p r a n g e r, Philos[ophische] Bibliothek 452 Angabe auf rechtem Rand 6 s[iehe] Meinecke[, S.] 188 7 ([ibid., S.] 189) 8 ([ibid., S.] 197) 9 [Humboldt,] Briefe an e[ine] Freundin 454 10 ([Meinecke, S.] 200) 11 [Gustav] S c h m o l l e r, M a r [i a n n e ] We b e r, [Willy] K a b i t z , [Ferdinand] L a s s a l l e , [Richard] Fe s t e r, [Otto] G i e r k e[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV[, S.] 410 u [n d ] A l t h u s [i u s ,] S. 120 f. auf linkem Rand 12 Bluntschli[,] S. 395ff. (mangelhaft!) auf linkem Rand 13 cf. [Willy] Kabitz 1 2
Freiheit der Association ... mechanistisch veranlagt cf. 262)] Randbemerkung, rechts B – aber zum erobernden Staat ... nicht machen (197)] Randnotiz rechts C spterer Humboldt siehe Zettel!] Randbemerkung rechts D kritisches] Lesung unsicher A
Staatsbegriff
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einem W i l l e n findet ... 1 / Daher Auflsbark[eit] dieses Verbandes[.]2461 Po s i t i ve r St a n d p u n k t ;3 / e r s t i m S t a a t e ... [–] seine S t a a t s l e h re .4 / Ursprnglichkeit ... (Mechan[ische] Staatskunst) National e r z i e h u n g A5 Meineckes Urteil ber Fichte: [“]wir bewundern den Tiefblick des grossen Philosophen, der seinen Grundstzen nach ein un- und berpolitischer Denker war, aber in sich selbst noch eine zweite Persnlichkeit, die Elemente zu einem polit[ischen] Denker ersten Ranges barg.[”]6 Schelling Novalis – Friedr[ich] Schlegel [–] Staat nicht Vertrag8463 [–] / Begriff des objektiven W i l l e n s , des sittl[ichen] Organismus [–] Organ[ische] Staatstheorie bei Aristoteles;9464 [–] / Mechan[ismus] u[nd] Organismus10465 [–] Staat als Harmonie von Notw[endigkeit] u[nd] Freiheit11 C Wie die Natur zur Geschichte geworden war, so wird die Gesch[ichte] zur Natur. – Indifferenz beider D Ad a m M l l e r 12467 / [–] S a v i g n y 13468 [–] / Der konservative Nationalstaatsgedanke14469 7B 462
(cf. Mar[ianne] Weber) cf. [Gierke,] Althus[ius,] S. 119 f. 3 cf. Lassalle 4 [Fichte,] Reden an die deutsche Nation ... 5 cf. Lassalle in Bleistift 6 ([Meinecke, Weltbrgertum und Nationalstaat S.] 327) 7 cf. Walzel u[nd] Meinecke 8 (Stahl[, S.] 369) 9 cf. Gierke, Althus[ius,] S. 94 Anm. 51 10 Gierke[, Genossenschaftsrecht, Bd.] IV, [S.] 410[,] Bluntschli[,] S. 597 11 [Schelling, SW, Bd.] V, [S.] 313 f.[; Bd.] V, [S.] 306f[.;] [Bd.] V, [S.] 316[;] [Schelling,] [Vorlesungen ber die] Method[e] des akad[emischen] Studiums cf. Stahl[,] S. 399 f.[,] Po e t z s c h , S t a h l , K i rc h e r, Wa l z e l , J o a c h i m i , S t a h l , S. 368ff. 466 12 Ad a m M l l e r F 8636. Die Elem[ente] der Staatskunst – cf. Meinecke 13 (Bluntschli[,] S. 622); S t a h l , Meinecke[, S.] 215[;] S a v i g n y, Vom Beruf unserer Zeit fr Gesetzgebung u[nd] Rechtswissensch[aft,] (1814) 2te Aufl[age] 1828[;] B r i e , Der Volksgeist bei Hegel u[nd] in der histo[rischen] Rechtsschule[, in:] Archiv f[r] Rechts- u[nd] Wirtschaftsphil[osophie, Bd.] 2, [S.] 199[;] (cit[ieren] Meinecke[, S.] 216) 14 Mein[ecke, S.] 248ff., 253 1 2
e r z i e h u n g ] Hervorhebung in Bleistift Novalis – Friedrich Schlegel cf. Walzel und Meinecke] rechts neben bzw. ber Schelling C Mechanismus und Organismus ... S t a h l , S. 368ff.] Angaben auf rechtem Seitenrand D Wie die Natur ... – Indifferenz beider] in Bleistift A B
242
Beilagen I
1 H e g e l 470 Po l i t [i s c h e s ] G r u n d p ro b l e m [:]2471 / So fasst er die Antike / (bei Schiller-Humboldt-Hlderlin aesthet[ischer] Sinn der Antike3472 [–] / Hegel fasst sie politisch ... Substanz des Staates) H i s t o r i e = p o l i t [i s c h e ] H i s t o r i e ... 4473 / [von] Staat als Substanz ... 5 zu Staat als Subjekt [–] Staat als Ve r w i r k l i c h u n g d e r F re i h e i t ... 474 D [–] / Hauptstelle gegen Fichte blosses Sollen ist “Eitelkeit”6475 / (gut – 7 Freiheit als Fo r d e r u n g , nicht von Natur ...) / Fichte – politisch (Welt des Thuns) = Schelling – geschichtlich[;] Hegel versucht geschichtlich u[nd] politisch zugleich zu denken E R e a k t i o n von den grossen Historikern – R a n k e . F Sinn des ›wesentlich itzt‹ u[nd] der Gegenwart [–] keine bloss abstrakte Forderung – frommer Wunsch – / sondern das Wirkl[iche] selbst vernnftig [–] alles, was bloss “faule Existenz” hat, noch nicht ›wirklich‹ [–] / Aber dennoch Fichte verkannt; der fasst es tiefer. Die 1000, 1000 Jahre sind noch nicht um[.] 476 Staat als ewige p o l i t i s c h - s o c i a l e Aufgabe – Weltgesch[ichte] als Verwirkl[ichung] der Freiheit [–] / Vernunft in der Gesch[ichte]8477 [–] / 9 Entfaltung der Persnl[ichkeit] z u m Staat [–] Entwickl[ung] der Freih[eit]10479 – griech[ische], rm[ische], german[ische] Welt – H a u p t s t e l l e ! G
B r i e , s[iehe] unter Savigny[;] Meinecke, S. 273ff[.] / N o h l , D i l t h e y, Z [ e [ t t ] e l !A 2 Einl[eitung] zu den Schriften zur Politik [und Rechtsphilosophie] v[on] G e o r g L a s s o n . / Adolf L a s s o n , Syst[em] der Rechtsphilosophie. / Einleit[ung] zur Rechtsphilosophie s[iehe] die angestr[ichenen] Stellen. / Entwickl[ung] von Hegels polit[ischen] Ideen bei [Max] L e n z , [Geschichte der] Univ[ersitt zu] Berlin[, Bd.] II, 1, [S.] 187ff.B 3 s[iehe] Schiller, Aesthet[ische] Briefe/Humboldt ... 4 s[iehe] auch Enzyklop[die,] S. 459 / Philos[ophie] des Rechts[,] § 349-51 / Vorles[ungen] zur Philos[ophie] der Geschichte 5 cf. Fe st e r, Fa l t e r [, Staatsideale unserer Klassiker]C 6 Rechtsphi[losophie,] Vorr[ede,] S. 14 7 cf. Enzyklop[die,] § 539[;] s[iehe] a[uch] § 537 8 s[iehe] Enzyklop[die,] § 549 (S. 461) 9 Rechtsphilos[ophie,] S. 278 f. 478 10 s[iehe ibid.,] S. 277 f. 1
B r i e , ... Meinecke, S. 273ff. / N o h l , D i l t h e y, Z e t t e l !] rechts neben H e g e l Einleitung ... Lenz, Universitt Berlin II, 1, 187ff.] Angaben auf rechtem Rand C cf. Fe s t e r, Fa l t e r ] Angaben am rechten Rand D Hauptstelle gegen ... ist “Eitelkeit“] in Bleistift E Fichte – ... zu denken] in Bleistift F von den ... – R a n k e .] in Bleistift G Rechtsphilosophie ... H a u p t s t e l l e ! ] durch Pfeil markierter Anschluß auf linkem Rand A B
Staatsbegriff
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ber Hegels Stell[ung] zum Protest[antismus]1A480 [–] Grundged[anke] des Protestantismus2481 [–] / Protestantism[us]3482 Urteil ber Rousseau, Stellung zum Naturrecht ‘auf den Kopf gestellt’4 / ebenso gegen Haller u[nd] die Restauration Savigny ... / Das charakteris[iert] Hegels Doppelstellung! / U n a b h [ n g k e i t ] des Staats gegenber K i rc h e u[nd] W i s s e n s c h a f t 5 [–] / S t a a t – [“]halbe Philos[ophie][”] fhrt von ihm ab[,] vollkommene zu ihm zurck6 [–] / Staat als Freiheit in ihrer k o n k re t e s t e n G e s t a l t u n g [.]7483 Vert[rag] oder Familie etc. / [–] gegen die Ve r t r a g s t h e o r i e [–] / Staatenbild[ung] nicht von Wi l l k r – W i l l e abhng[ig]8 [–] / Zweck des Staates9 [–] / Organismus des Staates10B I d e e d e s S t a a t e s / [“]Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist[”]11 / [“]Der Staat ist k e i n Kunstwerk[”] etc.12 / Staat als Verwirkl[ichung] der Freiheit / [“]Einheit der Allg[emeinheit] u[nd] Besonderheit[”]13 / Analog wie im Geist[igen] berh[aupt] [–] / Die S u b s t a n z muss zum S u b j e k t werden – Der Staat, der uns als ein Notwendiges, Ungewolltes umfngt, muß erkannt werden als die echte Verwirklichung unseres Selbst – / durch ihn erheben wir uns zum Selbstbewusstsein [–] wir erwerben ihn[,] um uns zu besitzen, wie in der Bildung berhaupt –14485 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Lenz[, Geschichte der Universitt Berlin, Bd. II, 1. Hlfte,] S. 194 f. s[iehe] Enzyklop[die,] S. 468ff. vgl. Lass[ons] Vorr[ede,] S. LXXVI - LXXVIII / § 258 der Rechtsphilosophie vgl. L e n z , ... [Dazu Hrsg.-Anm. 471] ([Lassons Einleitung, S.] L X X I X Rechtsphilos[ophie]) s[iehe] Rechtsphilos[ophie], S. 16 s[iehe] R[echts]phil[osophie,] S. 295f[.] S. 305 R[echts]phil[osophie,] [Zusatz zu § 75] [ibid., S.] 352[, Zusatz zu § 265] ([ibid., S.] 353[, Zusatz zu § 269]) [ibid.,] S. 349[, Zusatz zu § 258] [Dazu Hrsg.-Anm. 28] [ibid.,] S. 349[, Zusatz zu § 258] Hauptst[elle]!C s[iehe ibid.,] S. 351[, Zusatz zu § 261] weiter Gesch[ichts]phil[osophie,] S. 83/
84 D484 14 cf. Phaenomenologie[,] Vorrede.
ber Hegels ... Lenz S. 194 f.] Randbemerkung rechts S. 352: Zweck ... des Staates ([S.] 353)] durch Linienmarkierung an diese Stelle verwiesen C Hauptstelle!] Randbemerkung rechts D weiter Geschichtsphilosophie S. 83/84] Randbemerkung, gefolgt von einer nicht entzifferbaren Formulierung A B
[ WA N D L U N G E N D E S S TA AT S G E F H L S U N D D E R S TA ATS G E S I N N U N G I N D E R DEUTSCHEN GEISTESGESCHICHTE] A 1. Wenn wir Sie in diesen Tagen, in den letzten Tagen des Semesters, zu einer Feier berufen haben, so folgen wir dem Beispiel, das unsere Schwester-Universitten in Preussen und im Reich uns gegeben haben. Unser Blick richtet sich vor allem auf die rhein[ischen] Univers[itten]. In Kln und in Bonn wird in diesen Tagen die Befreiungsfeier stattf[inden] – und diese Feier wird sich in der Form vollz[iehen], daß der Mann, der an der Spitze des deutschen Reiches steht B Wir wollen in diesem Augenblick hinter den rhein[ischen] Universitten nicht zurckstehen[.] Wir entbieten unsere Grsse und unsere C Segenswnsche den rheinischen Lndern, wir grssen in tiefer Verehrung und Dankbarkeit unseren Reichprsidenten, der ... D Wie er selbst die Bedeutung dieser Stunde empfindet und wie er sie im geistigen u[nd] sittlichen Sinne gewertet sehen will, das hat er selbst uns in sein[en] E in schlichten u[nd] klaren Worten gesagt. 486 Ein Volk – entgegenzufhren – Einigkeit – das ist das Ziel, das wir mit allen Sinnen, mit der Kraft des Denkens und mit aller heissen Kraft des Wollens erstreben. Aber wo finden wir sie. Die alten Wahrzeichen dieser Einigkeit sind versunken; die neuen haben sich noch nicht gebildet. F Wir erleben eine Zeit, wie sie Deutschland zu Beginn des 19ten Jahrhunderts nach dem Zusammenbruch der alten deutschen Reichsverfassung erlebt hat. Damals waren es die grossen Denker jener Zeit, die sich mit tiefer Sorge die Schicksalsfrage des deutschen Staates gestellt haben[.] Im Jahre 1802 war es, daß Hegel an die Ausarbeitung einer Schrift ber die Verfassung Deutschlands ging. Der Entwurf der Vorrede zu dieser Schrift, die uns nur als Fragment erhalten ist, beginnt mit einer G Frage, deren Sinn H[,] deren Gewicht und Last wir heute wieder, wie selten zuvor, empfinden ... 1 1
[“]Sollte[”,] S. 137. 487
WA N D L U N G E N . . . G E I S T E S G E S C H I C H T E ] Formulierung des Titels findet sich als hervorgehobener Ausdruck auf Bl. 2v B steht] im Fließtext danach Lcke von ca. 2,5 cm C unsere] danach gestrichen: heissen D der ...] Satz bricht hier ab E in seinen] danach Lcke von ca. 5 cm F haben sich noch nicht gebildet.] danach gestrichen: Jede [danach unleserliches Wort], um die wir uns zu scharren versuchen G beginnt mit einer] danach gestrichen: schicksalsschweren H deren Sinn] danach gestrichen: uns in der gegenwrtigen Stunde A
[Wandlungen des Staatsgefhls]
245
Der D e n k e r Hegel begegnet dieser Frage, indem er entschlossen daran geht, einen neuen Entwurf der deutschen Verfassung in Gedanken aufzubauen. Hegel ist ein viel zu klarer und scharfer re a l p o l i t i s c h e r Kopf gewesen, als daß er den Versuch unternommen htte, die alte Form des deutschen Staates und die deutsche Kaisermacht knstlich neubeleben zu wollen. Aus einer reifen politischen Einsicht heraus, von der man nicht mit Unrecht gesagt hat, daß sie schlechthin wie ein Wunder und wie etwas zu seiner Zeit Unerhrtes erscheint, tat er auf jeden Versuch solcher A knstlichen Neubelebung Verzicht:1 – Wer hrt nicht in diesen Stzen, die im Jahre 1802 niedergeschrieben sind, den Ruf unserer eigenen Zeit? Ist es nicht das gleiche Schicksal, das uns bedrngt, die gleiche tief-ernste Zukunftsfrage, vor der wir stehen – Das Alte ist zerfallen – und keine Vertiefung in die Vergangenheit, keine romantische Sehnsucht kann es wieder zurckbringen. Aber das Neue hat feste Formen noch nicht gefunden. Knnen wir etwas feiern, was nicht ist. – Denn das Sein einer Verfass[ung] ist ein geistiges Sein – Ist in d i e s e m Sinne die Grundidee des heutigen B deutschen Staates, die Grundidee der deutschen republik[anischen] Verfassung in uns lebendig geworden[.] antike Polis – (Hegel) solche Staatsgesinn[ung] auch in mod[erner] Zeit nicht erloschen, Wie am 1. August C – Jung u[nd] alt – s o knnen wir nicht mehr feiern – Feiern aus Gegenwartsgefhl, aus Freude an der Vergangenheit, aus Willen fr die Zukunft. Unsere h e u t i g e Feier soll dem Willen fr die Zukunft geweiht sein.
1
S. 7 [Dazu Hrsg.-Anm. 142]
solcher] statt gestrichenem: der heutigen] ausgebessert, knnte auch lauten: knftigen C Wie am 1. August] August berschrieben, Lesung unsicher, meint wahrscheinlich das Jahr 1914 A B
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Beilagen I
Wa n d l u n g e n d e s A S t a a t s g e f h l s u n d d e r Staatsgesinnung in der deutschen Geistesgeschichte a) Periode des klassischen Humanismus – der klass[ische] Humanismus hatte sich berauscht an den Idealen der franzs[ischen] Revolution – er sah in ihnen den Anbruch eines neuen Sittentages – Kant1 Nun kam die Reaktion – Kant! aesthet[ischer] Staat – es ist schmerzlicher Verzicht – “es ist eine geistige Grsse” 488 etc[.] [“]In des Herzens heilig stille Rume[”] 489 b) Romantik – Nicht ein zeitloser Aesthetizismus – nicht eine u n i ve r s e l l e Humanittsidee kann die Lsung bringen. Die Versenkung in das Partikulare[,] die Versenkung in den Volksgeist soll die Lsung bringen. Der Volksgeist aber ist als dieser besondere nur zu erfassen in der Geschichte. In seiner Ve r g a n g e n h e i t ruhen die Keime seines eigentlichen, neuen ewig-fortspriessenden Lebens. Staat, Gemeinschaft ruht auf nationaler Gemeinsch[aft], nat[ionale] Gemeinsch[aft] auf histor[ischer] Schicksalsgemeinsch[aft]. Der Staat wchst aus der natrlichen Gemeinschaft, aus der Gemeinschaft der Sitte, der Familie heraus. Es ist keineswegs der blossphysische Zusammenhang, die Verwurzelung im heimatl[ichen] B o d e n , die ihn begrndet (H e r d e r [)]: Alle m a t e r i a l i s t [i s c h e n ] Anschauungen abgelehnt – Die Romantik, auch die romant[ische] Staatsauffass[ung], ist in ihrer Grundlage u[nd] in ihren Zielen eine g e i s t i g e Bewegung – Dabei auch immer wieder Zug zum Universellen, aber dieses Univers[elle] wird zuletzt in der Religion, in der Idee des Christentums gefunden – der alte Gedanke einer christl[ichen] Universalmonarchie kehrt wieder (Novalis)[.]
1
A
(vgl. Verfass[ungs]-Rede) [Dazu Hrsg.-Anm. 128]
d e s ] danach gestrichen: d e u t s c h e n
[Wandlungen des Staatsgefhls]
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Hegel er verwirft die naturrechtl[iche] Konstrukt[ion] eines Idealstaats – richtet den Gedanken des Machtstaates auf – Napoleon – Theseus – dennoch kurzsichtig, in ihm einen Vertreter des reinen Machtstaatsgedankens zu sehen – Hegel hat dem A Gedanken des Machtstaates viele, a l l z u v i e l e Konzessionen gemacht[,] hier mssen wir dem Urteil Meineckes beistimmen! 490 Aber auch fr ihn giebt es eine Instanz ber der Macht – denn der Staat ist Trger u[nd] Diener der geistigen Kultur – die besonderen Volksgeister u[nd] die grossen Individuen sind Geschftstrger des Weltgeistes – es giebt uss[erungen] bei Hegel, die auch die Religion, die Wissensch[aft] etc. der Omnipotenz des Staates aufzuopfern schein[en] – es ist die eigentl[iche] Substanz des Geistes cf. Geschichtsphil[osophie]1 – Aber – Weltgeschichte ist das Weltgericht[,] kein Praetor ber den Staaten – aber die Geschichte richtet u[nd] die Geschichte verwirft – die Macht selbst muss sich als vernnftige Macht bewhren; denn nur in der Vernnftigkeit erweist sie ihre wahre W i r k l i c h k e i t – das Volk, das dieser Aufgabe untreu wird, ve r s i n k t im Dunkel der Zeiten – Die Geschichte ist Staatengeschichte nur als geistige Geschichte! etc. Platon Machtstaat u[nd] Ideenstaat[:] Kallikles im Gorgias 492 – Lob des bermenschen – Aber in ruhiger Besonnenheit tritt diesem Preise der Macht der Sokratische L o g o s entgegen[,] als Logos, der den Sokrates das revolut[ionre] Wort sprechen lsst, daß Unrecht l e i d e n besser [sei] als Unrecht thun – 493 G e l c h t e r – Noch heute aber alles Gelchter hat dem tiefen B sittlichen Ernst dieser Grundanschauung nichts anzuhaben vermocht – 1
A B
Zit[at] bei Meinecke im Hegel-Capitel – 491
dem] Lesung unsicher, mglicherweise: den tiefen] ber der Zeile eingefgt
248
Beilagen I
Die realen Platoniker sind immer U t o p i s t e n geblieben1 [–] aber: [“]was sich nie u[nd] nirgends hat begeben, das allein veraltet nie[”] 494 – A Und so rufen uns auch die Grundgedanken des Gorgias nach 2 Jahrtausenden so neu u[nd] so frisch wie nur jemals an – Wer sich heute in sie versenkt – der hat das Gefhl, daß ihm ein Trunk aus einem ewigen Jungbrunnen zu Teil geworden ist – aus einem Jungbrunnen philosophischen Gutes u[nd] echter staatsmnnischer Weisheit – Schpfungen B wie denen Platons gegenber empfinden wir – die unbegreifl[ich] hohen C Werke sind herrlich wie am ersten Tag! Man hat immer wieder diejenigen, die sich dem Gedanken des blossen Machtstaates widersetzen, der Schwche beschuld[igt] – u[nd] heute ist dieser Vorwurf hufiger denn je! Aber es sollte zum Nachdenken veranlassen, daß gerade die m n n l i c h s t e n Geister Platon u[nd] Kant – Kant (Grundstze) – Affekte: trahit sua quemque cupido!2495 Herder – Schiff 496 – Universitt – nicht der Boden, auf dem polit[ische] Streitigkeiten ausgetragen werden knnen – aber es wre vergeblich, wenn man den Versuch machte, die Univers[itt] mit einer festen Mauer zu umgeben, die sie vom polit[ischen] Leben abschliesst – wenn man sie als einen Damm betrachtet, an dem die Wogen polit[ischer] Leidensch[aften] sich brechen – Sie steht im Staatsganzen u[nd] sie kann u[nd] soll sich den Lebenskmpfen, die zum Wohl u[nd] Wehe dieses Staatsganzen gefhrt werden, nicht entziehen – Sie darf nicht beanspruchen einen Staat im Staate 497 zu bilden – u[nd] insbesondere der Studentenschaft muss immer wieder gesagt wer1 2
Thomas Morus[,] Utopia – (Cit[ieren] aus Kr[itik] d[er] prakti[schen] Vern[unft]! [...]D )
das allein veraltet nie –] gegenber am linken Seitenrand: Kant – in die hist[orische] Entwickl[ung] etc. B Schpfungen] Lesung unsicher C hohen] Lesung unsicher D ...] nicht entzifferte Abkrzung, Lesung evtl.: w. D. oder ev. A. A
[Wandlungen des Staatsgefhls]
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den, daß sie auf irgendwelche Vorrechte oder auf schtzende Privileg[ien] k e i n e n Anspruch hat, daß sie die gleichen Rechte wie jeder Staatsbrger hat – Aber diesem gleichen Recht steht eine hhere Pflicht der Universitten gegenber[:] sie sollten die Atmosphaere rein erhalten fr die Kmpfe des Geistes – Die Aussprache als Ziel – Staats p re d i g e r (Novalis) wollen wir nicht sein – aber Protagonisten! A Betracht[en] Sie auch meine Ausfhr[ungen] in diesem Sinne – Sie waren rein theoret[isch] – rein wissensch[aftlich] u[nd] philosoph[isch] gemeint. Feier gemein[sam] schwierig s[iehe] fr[her!] B Aber ich konnte es nicht verhindern u[nd] wollte es nicht verh[indern], daß in sie auch etwas von meinen eigenen polit[ischen] berzeug[ungen] eingeflossen ist – Wir sollen solche Auseinandersetzungen nicht scheuen – wir sollen sie im [...] C Geiste fhren – in dem Willen einander zu sehen u[nd] einander zu verstehen. So auch Verfassung als Wille zu Z u s a m m e n f a s s u n g . D Es ist kein einh[eitliches] Bild – Drei Jahrhunderte sind vor unserem Blick vorbeigezogen – Forscher, Denker[,] Knstler [–] Dichtung, Relig[ion], Philosophie [–] u[nd] jedesmal ein neuer Aspekt – jedesmal erscheint das Staatsprobl[em] gleichsam in einem anderen brechenden Medium – Aber uns gemeinsam: das heisse Bemhen um den Staat, um das Wesen vom Staat – Man hat bisweilen dieses Bemhen hart gescholten – man hat gemeint, daß die Deutschen nur deshalb immer wieder den Bedingungen der M g l [i c h k e i t ] staatl[ichen] Daseins u[nd] des staatl[ichen] Lebens nachgesonnen haben, weil die W i r k l [i c h k e i t ] ihnen ein mchtiges, kraftvolles, einheitl[iches] Staatswesen versagte – daß sie den Staat in der I d e e aufzubauen versuchten, weil die Erfahrung ihn ihnen versagt hatte[.] Staats p re d i g e r (Novalis) ... Protagonisten!] am linken Rand, Lesung unsicher: Protagonisten! B Feier gemeinsam schwierig siehe frher!] in Bleistift am rechten Rand, Lesung unsicher: s[iehe] fr[her] C im ...] unleserliches Wort D als Wille zu Z u s a m m e n f a s s u n g . ] Halbe Ms.-Seite 6 bleibt leer, 6v ebenfalls leer A
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Beilagen I
Aber dieser Einwand bleibt doch an der Oberflche! Denn das echte Staatsbewussts[ein] ist eben dadurch ausgezeichnet, daß sich theoret[isches] u[nd] prakt[isches] Bewussts[ein], daß sich Wille u[nd] Denken in ihm in eigent[licher] Weise vereinen u[nd] d u rc h d r i n g e n [.] Gewiss: alles echte Staatsbewussts[ein] kann nicht auf blosser R e f l e x i o n ruhen[,] kann nicht erdacht oder ergrbelt sein. Es muß einem lebend[igen] Gemeinschaftsgefhl entspringen, das als solches nicht zu erdenken ist, das erfahren u[nd] erlebt sein muss. Solch ein Gefhl ist es, das uns heute bewegt – Mainz, – vor wenigen Wochen – Noch war die Befreiung nicht zur Tat geworden – aber die lag in der Luft – die ganze seelisch-geist[ige] Atmosp[hre] war von ihr erfllt u[nd] bewegt – e i n Gefhl war es, das Alt u[nd] Jung, alle Stnde, alle A Klassen, hier fanden sich Mensch[en] aller Parteien, aller Stnde, aller Konfess[ionen] in einem grossen Gefhl, in einem gemein[samen] Gef[hl] zus[ammen]. Und man schpfte den Gedanke B – ein Volk, das dieser Einheit fhig ist, kann nicht zerbrochen werden; es hat eine ewige Lebenskraft in sich. Aber[,] m[eine] D[amen] [und] H[erren][,] tuschen wir uns nicht – auf das Gefhl a l l e i n lsst sich die Wirkl[ichkeit] des Staatslebens nicht grnd[en] – er ist niemals bloss Gefhl – er ist als b e w u s s t e r Staat G e d a n k e u[nd] W i s [s e n ]! denn er ist ein Gebilde des Wi l l e n s – u[nd] der Wille wird zum Willen erst durch die Kraft u[nd] Klarheit, in der er sich selbst weiss – Methodenlehre der praktischen Vern[unft]. Grundstze – Grundstze – Verfassung – (Hegels Definit[ion] der Verfassung?) Rechtsphil[osophie] C498 – Erster Satz 499 – Das d[eu]tsch[e] Volk ewig – Nachdruck auf der Einigkeit – aber wesentl[iches] D Moment der Au t o n o m i e der Selbstgesetzgebung –
alle] danach gestrichen: B e r u f e Gedanke] Lesung unsicher C Rechtsphilosophie] in Bleistift unter Verfassung? hinzugesetzt D wesentliches] Lesung unsicher A B
[Wandlungen des Staatsgefhls]
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ein Staat wird konstituiert nicht nur auf Grund A einer Schicksalsgemein[schaft] u[nd] des daraus entspring[enden] Gemeinschaftsgefhls[,] sondern es ist ein einheitl[icher] Wille, der sich als solcher we i s s u[nd] der sich kraft dieses Wissens, kraft dieser Selbsterk[enntnis] sein Gesetz g i b t B – Autonomie des Willens als Freiheit – als Bindung an das Gesetz[.] Pflicht wo man liebt, was man sich selbst befiehlt – eben die Def[inition] des Staates[.]
Vernunft C der Rose im Kreuz der Gegenwart 500[.]
nicht nur auf Grund] danach gestrichen: des einheitlichen Willens g i b t ] Hervorhebung durch doppelte Unterstreichung C Vernunft] ber der Zeile gestrichen: Herder etc. A B
I I . ) D I E STAATL I CHE U N D G E S E L L S CH A F T L I CH E W I R K L I CHK E I T. A 1. D i e M e t h o d e d e r S o z i a l p h i l o s o p h i e . 501 Der nchste Schritt der A[ufklrung] musste darin bestehen, das Prinzip, das sie innerhalb der Naturerkenntnis aufgestellt hatte, auch innerhalb der g e i s t i g - g e s e l l s c h a f t l i c h e n W i r k l i c h k e i t zur Geltung zu bringen. Auch hier gengt es nicht, bei der einfachen G e g e b e n h e i t dieser Wirklichkeit, wie sie sich in Sitten und Gebruchen, in bestimmten sozialen Lebensformen und in staatlichen Herrschaftsformen, in religisen Dogmen oder in positiven Rechtssatzungen darstellt, stehen zu bleiben – sondern es muss auch auf diesem Gebiet berall nach dem ”zureichenden Grunde” des Bestehenden gefragt werden. Erst wenn dieser Grund entdeckt ist B und wenn er sich als wirklich stichhaltig C erweist, wenn er sich vor dem Urteil der Ve r n u n f t zu legitimieren vermag, kann das Bestehende auf Anerkennung rechnen und Anerkennung fordern. Der Weg, den das Denken der A[ufklrung] in der Lsung dieser Aufgabe beschreitet, ist bis ins Einzelne dem Weg der Naturerkenntnis nachgebildet. H o b b e s beruft sich in seiner Grundlegung der Staatsphilosophie ausdrcklich auf Galilei, 502 der ihm berall als methodisches Muster und Vorbild gilt. Es ist die gemeinsame Voraussetzung aller Denker der A[ufklrung], daß das Sein des Menschen dem Sein der Natur eingeordnet und untergeordnet ist und daß es demgemss aus denselben allgemeinen Gesetzen D , wie dieses[,] erklrt werden msse. Die Menschenwelt darf, wie S p i n o z a sagt[,] nicht lnger einen ”Staat im Staate” 503 bilden; sie darf im Kosmos der Erkenntnis keine Ausnahmestellung beanspruchen. Die Regungen und Bewegungen des Willens unterliegen ebenso universellen und ausnahmslosen Regeln, wie sie fr die Bewegungen innerhalb der Krperwelt gelten; es giebt eine ”Mechanik” der Affekte und Leidenschaften, wie es eine Mechanik der Himmelskrper giebt. Diese Analogie wird von der Philosophie der A[ufklrung] so ernst genommen, daß sie zu einer vlligen logischen I d e n t i t t weiter gefhrt wird. Der gemeinsame Oberbegriff, der Natur und Gesellschaft befasst und der beide mit einander vereint, ist der Begriff des K r p e r s . ›Krper‹ im allgemeinsten Sinne heisst hierbei, nach H o b b e s’ Definition, alles, was sich in Teile zerlegen und was sich aus Teilen wieder zusamII) DIE STAATLICHE ... WIRKLICHKEIT.] Titel unterstrichen ist] ber der Zeile eingefgt C als wirklich stichhaltig] danach gestrichen:, als legitim D Gesetzen] Hervorhebung in Bleistift getilgt A B
Die staatliche Wirklichkeit
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mensetzen lsst. 504 In solcher Zergliederung und Zusammenfgung A wird erst das We s e n jedes Krpers – des physischen wie des sozialen – fr uns erfassbar. Denn der menschliche Verstand ve r s t e h t nur das wahrhaft, was er in seiner E n t s t e h u n g begreift – was er ›genetisch‹, im Gesetz seines Werdens, erkennt. Die Entstehung wird hierbei jedoch nicht im empirisch-historischen Sinne, sondern im konstruktiven und rationalen Sinne genommen; sie will nicht ein blosses Werden in der Zeit darstellen, sondern sie soll B die innere Gesetzlichkeit des Aufbaus eines komplexen Ganzen aufdecken. Aus dieser Grundvoraussetzung ergiebt sich das Verfahren C, das die D A[ufklrung] in ihrer Begrndung des Staates u[nd] der Gesellschaft befolgt. Alles staatliche und gesellschaftliche Sein E wird als eine S u m m e von Wirkungen angesehen – und um diese Summe zu verstehen, muss sie zunchst auf ihre einfachen E l e m e n t e zurckgefhrt werden. Der G e s a m t w i l l e des Staates ist das Ergebnis der E i n z e l w i l l e n . Das Grundproblem der Staatsphilosophie besteht nunmehr darin, den Weg zu entdecken, auf welchem es berhaupt dazu kommt, daß die anfangs allein vorhandenen und die in sich verschlossenen, die ausschließlich auf ihr eigenes Interesse beschrnkten Einzelwillen sich ›zusammenfinden‹, – daß sie eine Vereinigung vollziehen, aus der ein Gesamtwille resultieren kann. Diese Frage wird von allen Denkern der Aufklrungsphilosophie bereinstimmend dadurch beantwortet, daß sie auf die antike F naturrechtliche Theorie des G e s e l l s c h a f t s ve r t r a g e s und des S t a a t s ve r t r a g e s zurckgehen. Der Vertragsgedanke G wird zum methodischen Grundmotiv der Staatslehre. Gesellschaft und Staat entstehen, indem die Einzelnen, auf Grund eines ursprnglichen Vertrages, den sie mit einander eingehen, zu einander in Beziehung treten und indem sie sich gemeinsam bestimmte willensmssige Bindungen auferlegen. Je nach der Art, in der diese Bindungen aufgefasst, – je nachdem sie als ›absolut‹ oder aber H als ›relativ‹, als von vornherein auf bestimmte Bedingungen eingeschrnkt, gedacht werden, ergeben sich hierbei innerhalb der Philosophie der A[ufklrung] verschiedene Grundauffassungen vom Sein und Wesen des Staatsvertrages. Seit
Zusammenfgung] durch Streichung verkrzt aus: Wieder-Zusammenfgung sie soll] ber der Zeile eingefgt C das Verfahren] statt gestrichenem: die Methode D das die] danach gestrichen: Philosop[hie] E Alles staatliche und gesellschaftliche Sein] danach gestrichen: und Werden F die antike] statt gestrichenem: den Begriff des Ge[sellschaftsvertrages] G der Vertragsgedanke] danach gestrichen:, wie er insbesondere in der s t o i s c h e n Theorie ausgebildet worden war, H aber] ber der Zeile eingefgt A B
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Beilagen I
J o h a n n e s A l t h u s i u s 1 pflegt man scharf zwischen zwei Grundformen des Vertrages zu unterscheiden. In der e i n e n , dem eigentlichen Societts-Vertrag, wird die Gemeinschaft ursprnglich gebildet und konstituiert; in der anderen, dem Unterwerfungs- oder Subjektionsvertrag, 505 giebt sich die so begrndete Gemeinschaft einen Herrscher, indem sie ihren Willen auf einen Einzelnen oder auf eine Mehrheit von Einzelpersonen, auf eine repraesentative Versammlung bertrgt. Nach Althusius sind dieser bertragung stets bestimmte Grenzen gesetzt. 506 Der Kontrakt zwischen dem Volk und dem Herrscher ist derart beschaffen, daß der letztere, indem er bestimmte Rechte erwirbt, dafr stets auch bestimmte Pflichten eingeht. Verletzt er diese Pflichten, verwendet er seine Macht nicht zum Schutz und zur Wohlfahrt des Ganzen, so geht er auch seiner Rechte verlustig. Das Volk bleibt somit stets der eigentliche Trger der Souvernitt. Das ›j u s m a j e s t a t i s ‹ A bleibt beim Volke in seiner Gesamtheit, whrend der Frst immer nur als s u m m u s m a g i s t r a t u s B , als Beauftragter oder Verwalter des Volkswillens, erscheint.2 Diese Theorie des Althusius C3 hat ihre wahre Begrndung und Durchbildung insbesondere in Ro u s s e a u s ›Contrat social‹ (1762) gefunden. D507 Der Gesellschaftsvertrag besteht nach Rousseau darin, daß alle Einzelnen sich zu e i n e m Willen, zu einer Gesamtpersnlichkeit, zusammenfassen. Dieser Gesamtpersnlichkeit gegenber, als der Trgerin der volont gnrale[,] gilt kein Einzelwille mehr; aber nichtsdestoweniger herrscht sie nicht durch blossen Zwang; denn sie ist derart beschaffen, daß sich in ihr das allgemeine G e s e t z des Wollens ausdrckt, dem jeder Einzelne sich mit freier Zustimmung unterwirft, weil er in ihm den Ausdruck seines eigenen Seins und Wesens wiederfindet. Dieser Grundgedanke Rousseaus, daß die eigentliche ›Freiheit‹ des Willens nicht in der Unabhngigkeit von jeglicher Art der Bindung, sondern in einer bestimmten Fo r m der Bindung, in der reinen Selbstgesetzlichkeit oder ›Autonomie‹ des Willens besteht, hat seine tiefste p h i l o s o p h i ([Althusius,] Politica methodice digesta, Herborn 1603) (Nheres bei Joh[annes recte: Otto] Giercke, Joh[annes] Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien 1880) 3 Hugo G ro t i u s’ Schrift ›De jure belli et pacis‹ (Paris 1625) 1 2
›j u s m a j e s t a t i s ‹] Hervorhebung durch Wellenlinie s u m m u s m a g i s t r a t u s ] Hervorhebung durch Wellenlinie C Diese Theorie des Althusius] danach gestrichen: wird, mit manchen Abnderungen und Einschrnkungen, im Ganzen auch von dem naturrechtlichen Hauptwerk der A[ufklrung], von Hugo G ro t i u s’ Schrift ›De jure belli et pacis‹ (Paris 1625) vertreten und D gefunden.] als Satzende statt gestrichenem Satzanfang: Das Volk als A B
Die staatliche Wirklichkeit
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s c h e Begrndung in Kants Ethik gefunden. Was den Gesamtwillen betrifft, auf dem der Staat beruht, so ist er nach Rousseau der Ursprung und der alleinige Trger der Souvernitt – einer Souvernitt, die sich niemals A an ein anderes Willenssubjekt schlechthin verussern lsst. Alle bertragung der Gewalt bleibt stets nur eine bedingte bertragung: das Volk, das eine bestimmte Macht verleiht, tut dies stets nur mit dem Vorbehalt, sie widerrufen zu knnen. Im Gegensatz hierzu hebt die a b s o l u t i s t i s c h e Staatstheorie von Hobbes den Dualismus von Gesellschaftsvertrag und Herrschaftsvertrag B auf. Nach ihr giebt es nicht eine zuvor b e s t e h e n d e Gesellschaft, die sich nachtrglich, durch einen besonderen Willensakt, einem Herrscher unterwirft – sondern der Akt der Unterwerfung ist es, was die Gesellschaft erst k o n s t i t u i e r t , was die Masse der heterogenen, einander widerstrebenden Einzelwillen erst zu einer Gemeinschaft und zu Einer Rechtspersnlichkeit zusammenfasst. Nach Hobbes ist es somit ein und derselbe untrennbare Grundakt, kraft dessen sich die Gesellschaft formiert und vermge dessen sie sich der Gewalt des Herrschers unterwirft. Diese Gewalt kann demnach auch in keiner Weise beschrnkt oder zurckgenommen werden; denn eine solche Zurcknahme htte die sofortige gnzliche Au f h e b u n g der Gesellschaft, die Rckkehr vom ›s t a t u s c i v i l i s ‹ C in den anarchischen Naturzustand zur Folge. So unterscheiden sich, wie man sieht, die Staatstheorien der A[ufklrung] scharf nach ihrem I n h a l t und ihrer B e g r n d u n g – aber gemeinsam bleibt ihnen nichtsdestoweniger eine bestimmte Denkform und Methode. Das Wesen D der Gesellschaft soll durch eine ›kausale Definition‹ 508 festgestellt werden – soll aus der Art ihres Werdens verstndlich gemacht werden. Diese Definition gilt als die einzige, die den Forderungen des philosophischen Wissens E gengt: denn Philosophie ist – so erklrt H o b b e s – “die Erkenntnis der Wirkungen aus ihren Ursachen”. 509 Und immer handelt es sich bei dieser Erkenntnis um eine Leistung der ›Vernunft‹; jener ›r a t i o ‹ F, die zugleich ›Denken‹ und ›Rechnen‹ bedeutet. Denken ist zuletzt nichts anderes als Rechnen, als Addieren und Subtrahieren 510 –: die Form des Staates und der Gesellschaft ist denkend erfaßt, ist auf klare und deutliche Begriffe gebracht, sobald es gelingt, sie, vermge des Vertragsprinzips, als Ergebnis und als Resultat der Einzelwillen zu verstehen. einer Souvernitt, die sich niemals] danach gestrichen: beschrnken oder schlechthin bertragen werden kann. Alle Gewalt kommt vom Volke B Herrschaftsvertrag] ber der Zeile statt gestrichenem: Staatsvertrag C ›s t a t u s c i v i l i s ‹] Hervorhebung durch Wellenlinie D Das Wesen] danach gestrichen: und die Form E des ... Wissens] ber der Zeile statt gestrichenem: der [...] Erkenntnis F ›r a t i o ‹] Hervorhebung mit Wellenlinie A
G T E B O RG : A N T R I T T S - VO R L E S [U N G ] A
a) Der Begriff der Philosophie als P ro b l e m der Philosophie Fraglichkeit u[nd] Fragwrdigkeit der Philosophie Funktion der F r a g e in der Gesch[ichte] der Philosophie daher scheinbare N e g a t i v i t t Sokrates – fØ – Wissen des Nichtwissens – Gegenber der Sophistik – die einfach die ‘p o s i t i ve’ Wissenschaft der Griechen ist – cf. B Stufen[:] 1) Sokrates – Sophist[ik] Æ positives W i s s e n u[nd] positives K n n e n . mod[erne] Verteidiger der Sophistik im Zeitalt[er] des Positivism[us] C (Grote 511, Gompertz 512) kein Wu n d e r ! D Sokrates geht nicht von dieser positiven Wissenschaft aus er setzt ihr die N e g a t i o n entgegen – zÆ UØ L zÆ Aber diese Negation ist nicht d e s t r u k t i v – noch E ist sie konstruktiv (aufbauend) sie geht auf die Tieferlegung des F u n d a m e n t s – ¸ ª Ø ÆØ
Die Selbstbesinnung auf die G r n d e des Tuns und die Grnde des Wissens – Die Sophistik lehrt eine bestimmte æ L (Tchtigkeit u[nd] Tauglichkeit im prakt[ischen] Sinne)
G T E B O RG : / A N T R I T T S - VO R L E S U N G ] Titel untereinander auf Konvolut umgreifendem Bg. stehend. Ms. aufbewahrt in beschriftetem Umschlag: D r u c k s a c h e ! / S c h we d e n / Gteborg, Freningsgatan 11 / Herrn Prof. Dr. Cassirer. Auf Umschlagrckseite folgende Aufstellung von Cassirers Hand, außer 1) Auflistung gestrichen: Vortrge 1935/1936 ^N b . U n g e d r u c k t &. / 1) Antritts-Vorles[ung] G t e b o r g / 2) Vort[rag] S p r a c h e (Kopenhagen – Lund, Febr[uar] 36) / 3) Vort[rag] P r a g (Kant u[nd] Rousseau), Dez[ember] 36 / 4) Vort[rag] W i e n (Naturalist[ische] u[nd] humanist[ische] Begrndung der Kulturwiss[enschaft] Dez[ember] 36) B cf.] Lesung unsicher, kann auch Einfgungszeichen L darstellen. C im Zeitalter des Positivismus] Lesung unsicher D cf. Stufen: 1) Sokrates – Sophistik ... kein Wu n d e r ! ] Randbemerkung, rechts gegenber von: die einfach ... der Griechen ist – E noch] Lesung unsicher, berschrieben A
Gteborg: Antritts-Vorlesung
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cf. Sokrates in griech[ischer] Philos[ophie] A Sokrates fragt nach dem % der æ L – u[nd] so B fragt Platon nach dem % des Wissens – J Ø Ø [ ] Œ æ!J
Ebenso C u s a n u s de docta ignorantia 513 eine neue Form des Gotteswissens u[nd] des Wissens von der Welt der menschl[iche] Begriff fasst das Unendl[iche] nicht – wir knnen Gott, das Unendl[iche] nicht nach seinem reinen, absoluten Sein, CD sondern nur nach seinem Ve r h l t n i s zu uns aussagen – Dies die d o c t a ignorantia 514 2) C u s a n u s – Auflsung der Scholastik als Theol o g i e – kein Wissen von Gott – Gott ist b e r alle Gegens[tze] coincid[entia] oppositorum E [–] daher n i c h t von der formal[en], [...] F, Logik zu erreichen – Nur in B i l d e r n , Symbolen zu bezeichnen. Dieser S y m b o l i s m u s des Cus[anus] G baut eine neue Lehre von G o t t u[nd] eine neue Lehre von der Welt – neue Wirklichkeitswiss[enschaft] u[nd] neue Kosmologie auf – nur im S p i e g e l u n s e re s G e i s t e s ist Gott zu erschauen 515 visio d e i 516 – der Zwang [...] H – wie einer ist, so ist sein Gott. c) D e s c a r t e s wagt einen Schritt weiter zu gehen – radikale Skepsis – Zweifel an der Math[ematik] u[nd] Logik – nicht am Inhalt[,] sondern an der Fo r m – disjecta membra 517 – Alles wahre Wissen ist Eins –
cf. Sokrates in griechischer Philosophie] Randbemerkung links so] Lesung unsicher C nicht nach seinem reinen, absoluten Sein] unsichere Lesung D absoluten Sein,] Fortsetzung des Textes (Bl. 3v) auf Bl. 5: sondern nur ... – Dies die d o c t a ignorantia, danach wieder auf Bl. 3v, linker Rand: 2) C u s a n u s – [...] des Cus[anus], woran sich Fließtext auf eingelegtem Bl. 4r/v anschließt: baut eine neue Lehre [...] der konstrukt[iven] Systemideen. E coincidentia oppositorum] unsichere Lesung F ...] unleserliches Wort G 2) C u s a n u s – . . . S y m b o l i s m u s des Cusanus] Randbemerkung, links H Zwang ...] unsichere Lesung, danach unleserliches Wort A B
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Beilagen I
neue M e t h o d e – aus der Einheit der Methode erwchst die Einheit der Wirkl[ichkeits]erkenntnis[.] Grossartigkeit der konstrukt[iven] Systemideen D e s c a r t e s – De omnibus dubitandum 518 Zweifel in G e w i s s [h e i t ] zu wenden – hier: k o n s t r u k t i ve r Sinn des Skeptizismus das Gebude des Wissens muss a b g e t r a g e n werden, um neu a u f g e b a u t zu werden[.]
d) K a n t – alle „Objektivitt“ aufgehoben – Subst[anz] u[nd] Funktion A Aber dieser Aufbau enthllte n e u e Gefahren – Khner Gedanke[,] die Welt aus dem blossen Begriff aufzubauen – Vorbild der B Mathematik – L[ei]b[ni]z Analysis cogitat[ionum], Alphabet cogit[andi], 519 D o g m a t i k – Kants Unterscheid[ung] zwischen synthetisch-konstruktiver Methode der Mathematik u[nd] a n a l y t [i s c h e r ] Methode der Philosophie 520 – Philosophie hat kein eigenes G e g e n s t a n d s g e b i e t mehr – beleuchtet n i c h t die uns unbekannte We l t [.] Besinnung – worauf beruht der A n s p r u c h des mathemat[ischen] Wissens – der A n s p r u c h des naturwiss[enschaftlichen] Wissens nicht s u b s t a n t i e l l Bereicherung des Gebiets – aber funktionell: Besinnung auf die G r u n d l a g e n – Philos[ophie] wird Grundlagenforschung[,] so auch in der Kultur p h i l o s o p h i e : R e l i g i o n s philos[ophie], S p r a c h philos[ophie] C[.] E i n wa n d dagegen: bloss f o r m a l e Beschftigung – kein eigentl[icher] G e h a l t der Philos[ophie] mehr, droht zu verkommen[.] L o t z e 521 – richtig: ich selbst habe hierin D gesndigt[.] Der Vorwurf ist nicht v l l i g unbegrndet – er brauchte uns nicht zu d) K a n t – ... Substanz und Funktion] Einfgung, findet sich gegenber auf Bl. 4v, offenbar als neuer Gliederungspunkt fr Text auf Bl. 5 formuliert. von Bl. 4v sind leer B der] Lesung unsicher, kann auch lauten: ist C Philosophie wird ... S p r a c h philosophie] Reihenfolge der ber linken Rand hinausgeschriebenen Worte nicht eindeutig, knnte auch lauten: Philos[ophie] wird Grundlagenforschung[,] Kultur p h i l o s o p h i e : R e l i g i o n s philos[ophie], so auch in der S p r a c h philos[ophie] D hierin] danach gestrichen: nicht A
Gteborg: Antritts-Vorlesung
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schrecken: denn die Subtilitt liegt in der Sache selbst m a t e r i a l A – zum Kupferstechen muss man die Radiernadel brauchen B Den Vorwurf der Subtilitt muss die Phil[osophie] auf sich nehmen – denn diese Subt[ilitt] ist nicht willkrl[ich] gewhlt, sie ist durch den G e g e n s t [a n d ] selbst vorgeschrieben. [–] aber wir knnen ihm nicht substantiell begegnen wir knnen kein eigenes H e r r s c h a f t s g e b i e t der Philosophie ber eine best[immte] Welt von G e g e n s t n d e n errichten – Denn die Welt ist ‘vergeben’ an die einzelnen Wissenschaften – wir knnen wieder nur funktionell vorgehen – aber ber die theoret[ische] Funktion hinaus ins Praktische, Ethische – auch hier – formal: Kant [Cit ...] C: ein Rezensent. D522 Die Sinnfrage der Wissensch[aft] u[nd] der geistigen Kultur – Sie kann nie durch b l o s s e begriffliche Analyse beantwortet werden – es gilt E eine letzte, geistige u[nd] daher eine letzte e t h i s c h e Entscheidung Schulbegriff u[nd] Weltbegriff des Wissens (Kant) Teleologia rationis humanae 523 wozu u[nd] wofr treiben wir Wissenschaft – Der E i n z e l wissenschaftler darf vielleicht diese Frage hier u[nd] da vergessen – der P h i l o s o p h darf es n i e er muss immer wieder die G e w i s s e n s frage des Wissens stellen – H i e r i n hat es die Philos[ophie] des 19ten Jahrhunderts, der reine ‘Positivismus’, oft fehlen lassen[.] Lit[eratur] S c h we i z e r 524 S i c h e r h e i t der Philos[ophie] A n l e h n u n g an die Mathematik – sucht eine S t t z e : daher Mathem[atismus], Physikal[ismus], Biologismus[,] Historismus[.] F Grenzen von Logik u[nd] Mathematik nicht mehr zu ziehen – Trotz der Kritik Kants – G L o g i s t i k 525 >(cf. Menger, Citat Russell) 526 in der Sache selbst m a t e r i a l ] Pfeil weist auf weiter unten stehende Randbemerkung in anderer Farbe: Den Vorwurf [...] den G e g e n [s t a n d ] selbst vorgeschrieben B er brauchte uns ... Radiernadel brauchen] am rechten Rand hinzugefgt C Cit ...] Zeichen oder Abkrzung nicht entziffert, evtl. fr: Bathos D auch hier – formal: Kant [ ...]: ein Rezensent.] Randbemerkung, rechts E gilt] Lesung unsicher, knnte auch heißen: gibt F sucht eine S t t z e : ... Historismus.] hinzugesetzt auf rechtem oberen Blattrand neben: S i c h e r h e i t der Philos[ophie] A n l e h n u n g an die Mathematik – G Trotz der Kritik Kants –] auf linkem Rand neben: Grenzen [...] nicht mehr zu ziehen A
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Beilagen I
P h y s i k a l i s m u s (Alle nicht-physikal[ischen] Urteile sind metaphysisch – S c h e i n probleme –[)] [...] A der menschl[ichen] Vernunft – S t t z e B [...] C: G r u n d l a g e n k r i s i s der Mathematik cf. Menger – Mengenlehre – Axiomatik (Hilbert) 527 – Wlfe / Wort Poincars 528 – P h y s i k Unbestimmtheitsrelation – Erkenntnistheor[etische] Schwierigk[eiten] D – Subjekt / Objekt Problem – in den Geisteswissensch[aften] war uns dies Problem lngst gelufig, es ist jetzt auch in die Physik eingedrungen E Lit[eratur] Heisenberg – Rede – ber Philosophie 529 vor allem aber Ethik – die ethische Grundlage der Wissensch[aft] – Pessimismus – Untergang des Abendlandes 530 dagegen stellen wir den Kultur-O p t i m i s m u s Schweitzers – Glaube an die Vernunft – aber er muß immer wieder ve r t e i d i g t , immer neu b e g r n d e t werden[.] Heute nicht nur theoret[isch] bestritten – starke politische u[nd] praktische Krfte am Werk – Theoret[ische] Objektivitt u[nd] allgemeingltige, fr die g e s a m t e Menschheit verbindliche berpersnl[iche] u[nd] bernationale Werte
Das muss bewiesen werden – Aber hier k e i n e Schranke ersehen F Philos[ophie] u[nd] Einzelwiss[enschaften] –
...] Lesung unsicher S t t z e ] links vor der Zeile C ...] Lesung unsicher D Schwierigkeiten] Lesung unsicher, knnte auch lauten: Schrank[en] E eingedrungen] Lesung unsicher F ersehen] Lesung unsicher A B
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Pe r s n l [i c h e s ] Rektor – keine leichte Arbeit [ ...] A – ein Mann, B langjhr[ige] freundschaft[liche] Bezieh[ungen] u[nd] Gemeins[amkeit] sachlicher Interessen. Persn[liches] Wort will sich auf die Lippen drngen – Zu diesem auch fr mein persnl[iches] Leben so wichtigen u[nd] b e d e u t s a m e n Augenblick C [–] aber in dieser Stunde hat alles bloss Persnl[iche] zu schweigen – zu betrachten nicht nur als eine persnl[iche] Anerkenn[ung] u[nd] als eine pers[nliche] Ehrung – es ist eine Anerkennung der P r i n c i p i e n , fr die ich D in meiner philos[ophischen] u[nd] wiss[enschaftlichen] Forschung gekmpft habe – Ich will nicht verschweigen – keine b l o s s e Freude – Ich fhle die ganze Last der Ve r a n t wo r t u n g ich weiss nicht, ob ich sie erfllen kann E[,] aber alles was ich sagen kann, das schnste Vorrecht u[nd] das hchste Glck des akadem[ischen] Lehrers ist [die] S t u d e n t e n s c h a f t F [,] ich nehme die neue schne u[nd] grosse Aufgabe, die mir gestellt ist, gern u[nd] freudig auf mich – Ich werde sie nicht allein zu tragen brauchen – Die wenigen Wochen, die ich hier in Gteb[org] verbringen durfte, haben mich davon berzeugt – So hoffe ich auch hier die Aufgabe erfllen zu knnen im engsten B u n d e mit den Einzelwiss[enschaften] etc.
Sie G werden es verstndlich u[nd] Sie werden es verzeilich finden, wenn ich in diesem Augenblick, so schn und so wohltuend er fr mich ist, mich nicht nur rein freudiger Empfindungen hingeben kann. Sie werden es verstehen, wie viel trotz allem schmerzliche H persnliche Erinnerun-
...] hervorgehobenes Wort unleserlich ein Mann,] Lesung unsicher C Zu diesem ... Augenblick] Einfgung in anderer Farbe, zwischen den Zeilen und am rechten Rand D ich] ich mich E ich weiss nicht ... erfllen kann] in anderer Farbe F das schnste Vorrecht ... S t u d e n t e n s c h a f t ] Einfgung in anderer Farbe am rechten oberen Rand, Einschubzeichen / im Text G Sie] Ab hier Ms. in schwarzer Tinte, zuvor Bleistift H trotz allem schmerzliche] ber der Zeile eingefgt A B
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Beilagen I
gen auf mich einstrmen A – und wie ich nicht nur von Freude und Dank, sondern auch von tiefer Trauer und ernster Sorge bewegt bin. Von alledem mchte sich manches auf meine Lippen drngen – aber es muss zurckgedrngt werden. In dieser Stunde soll und darf [ich] nichts Persnliches zum Ausdruck bringen. Hier darf ich nur von meiner sachl[ichen] Aufgabe sprechen u[nd] von der Art[,] wie ich diese sachl[iche] Aufgabe auffasse. Ich gestehe – Last. Bekenntnis zu den P r i n c i p i e n , die ich in meiner phil[osophischen] u[nd] wiss[enschaftlichen] Arbeit vertreten habe (durch fast 4 Jahrzehnte) B , nach schweren Bedenken C [–] Und erst nach ernster und reiflicher berlegung habe ich mich entschl[ossen], in meinem Alter noch die Last einer solchen Verantwort[ung] auf mich zu nehmen – Aber ich gestehe: sie ist erleichtert worden. Wenn ich vor wenigen Wochen noch mit einigem Bangen und Bedenken in Gteborg eingezogen bin, so haben die wenigen Wochen, die ich hier und in Ihrem Kreise verbringen durfte, dazu beigetragen, diese Bedenken nicht zu zerstreuen, aber sie leichter zu nehmen – Denn die Last liegt nicht auf mir allein – dem Willen zu helfen bin ich berall begegnet. N e u e Dispos[ition] Histor[ische] Betrachtung: Sokrates, Cusanus, Descartes etc. dagegen: d i a l e k t [i s c h e s ] Verh[ltnis] der Philos[ophie] zu den E i n z e l wissenschaften – nah und fern, und fern und nah – Faustische 2 Seelen – berall in der Gesch[ichte] d[er] Philos[ophie] zu verfolgen – G o e t h e zu Vergleich von A r i s t o t e l e s u [n d ] P l a t o n [,] der eine hlt mit derber Leibeslust – Sinnes we l t u[nd] sinnl[icher] Tr i e b 531 Philo[ophie] ve r l i e r t hier ihren b e s o n d e re n Gegenstand Positivistische Au f l s u n g der Philosophie im mod[ernen] Positivismus Auch heute wieder starke Krfte, die darauf hindrngen – Aber selbst im Wiener Kreis regt sich ein B e d e n k e n Schlick: die Philos[ophie] ein Tun 532
einstrmen] Lesung unsicher, kann auch lauten: einstrzen (durch fast 4 Jahrzehnte)] Ergnzung am rechten Rand C Bekenntnis zu den P r i n z i p i e n , ... nach schweren Bedenken] Einschub, zwischen den Zeilen und am rechten Rand A B
Gteborg: Antritts-Vorlesung
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was ist der S i n n dieses Tuns? Hierauf wieder zwei prinzipiell-ve r s c h i e d e n e Antworten mglich[:] die e i n e bezeichnet eine bestimmte S p h a e re , die der Philos[ophie] eigentmlich u[nd] die der Einzelwiss[enschaft] unzugnglich, unerreichbar ist – die Sphaere der Tr a n s z e n d e n z Plato – auf den Flgeln der Idee 533 – die andere verneint die Tr a n s z e n d e n z , bindet und hlt sich an die Erfahrung, an die Welt mit klammernden Organen 534[.] “Bei Leibe nicht der hhere” 535 – aber: Tieferlegung der Fundamente. Nicht die etc. A, aber den dunklen Raum der e i g e n e n Vernunft 536 dies Thema [ist] a u s z u d e h n e n auf a l l e Potenzen geist[iger] Kultur – wie ist Religion, wie ist Sprachwissenschaft, wie ist Geschichtswiss[enschaft] mgl[ich] Kant beschrnkte die Frage noch B wesentl[ich], auf Math[ematik] u[nd] reine Naturwissenschaft – w i r mssen sie erweitern auf das Ganze der Kultur, u[nd] der Kulturwissensch[aft][.] A n l e h n u n g der Philosophie [an] Mathematik, Physik, Biolog[ie], Historismus → So n a h e das Verh[ltnis] der Philos[ophie] zu den Einzelwiss[schaften] auch ist: die Philos[ophie] kann ihr Heil nicht d a r i n suchen, daß sie sich g a n z einer einzelnen Wissensch[aft] verschreibt u[nd] in ihr aufzugehen sucht. Es giebt keine mathematistische, physikalistische, biologistische, historistische Philos[ophie] – es giebt nur eine universale Philos[ophie]. Das ist eine grosse u[nd] schwierige Aufgabe, vor der sie oft zurckschreckt. Aber sie kann nicht in den sicher[en] (weiter C) D Aber hier findet die Philos[ophie] nur ve r m e i n t l i c h einen sicheren Boden – Sie wird immer wieder hinausgetrieben “auf das hohe Meer der Idee” ([Platon:] Symposion) 537 Stellung der Philosophie Sie ist nicht mehr die “Knigin der Wissensch[aft]”, 538 die sie absolut beherrscht, die ihr “von oben her” ex cathedra Gesetze vorschreibt – Aber ebenso wenig gilt die Klage fr sie: modo maxima rerum 539 – etc.] Lesung unsicher noch] Lesung unsicher C weiter] Lesung unsicher D So nahe das Verhltnis ... (weiter)] langer Pfeil zum Einschub quer zur Schreibrichtung auf rechtem Seitenrand A B
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Beilagen I
Sie ist in gewissem Sinne die bescheidene Dienerin der Wissensch[aften] geworden – aber “es ist ein Unterschied ob die Dienerin, die die Schleppe trgt” 540 nicht die Schlepp[en]trgerin, die Fackeltrgerin will sie sein – Und jetzt steht sie nicht mehr ber und ausser den Wiss[enschaften] – sie ist in ihre Schicksale verwoben – Sie ist nicht in Besitz einer absoluten unangreifbaren Wahrh[eit] – sondern sie muß immer aufs neue die Prfung bestehen – die Prfung, die ihr nicht von aussen her auferlegt wird – sondern die sie sich selbst, kraft der ewigen F u n k t i o n der Rechenschaftsablegung, auferlegt. Heute spren wir dies Verh[ltnis] lebendiger als je[:] auch die Wiss[enschaft] bietet der Philos[ophie] keinen unangreifbaren Platz [–] nicht die Mathematik (– Grundlagenkrisis[)] nicht die Physik (– Unbestimmtheitsrelation) Sie kann sich nicht hinter den Festungsmauern einer Einzelwissenschaft verbergen: sie muss hinaus in das freie Feld u[nd] in den offenen Kampf – heute steht sie in diesem Kampf nicht allein: die alten radikalen Fragen sind auf der ganzen Front wieder auf[ge]geben [sie kann nicht im] A umhegten Bezirk einer Einzelwissensch[aft] wohnen und sich in sie, wie hinter die Mauern einer Fe s t u n g , zurckziehen. Sie muss immer hinaus ins freie Feld. Der Kampf, der Zweifel ist ihr Lebenselement. Sie kann sich dem Zweifel nicht verschliessen, sie muss den Angriffen des Skept[izismus] standhalten[.] Je radikaler dieser Zweifel, um so fruchtbarer ihre Einsichten. Das beweist die ganze Gesch[ichte] der Phil[osophie][.] Aus Sokr[ates’] zÆ ... B entsteht der Platon[ische] Ideal[ismus][,] aus der Schrift De docta ign[orantia] 541 die Philos[ophie] der Ren[aissance], aus Descartes’ Zweifel die neue Logik u[nd] Mathematik. C Die Skepsis ist nicht der Gegensatz zur Philos[ophie] – sie ist, richtig verstanden u[nd] richtig gebt, eine F u n k t i o n der Philosophie – eines notwendig immanenten Fo r t s c h r i t t s DE sie kann nicht im] Satzanfang fehlt im Ms. zÆ ...] d. h. zÆ UØ L hÆ C heute ... die neue Logik und Mathematik.] gefolgt von L (Einschubzeichen) Text des Einschubs quer zur Schreibrichtung auf linkem Rand (Bl. 11v). Im Fließtext keine Markierung fr Ort des Einschubes D eines notwendig immanenten Fo r t s c h r i t t s ] Lesung unsicher, vielleicht: einer ihrer notwendig immanenten F u n k t i o n [e n ] E sie ist, richtig verstanden ... immanenten Fo r t s c h r i t t s ] in Text eingefgte Randbemerkung A B
Gteborg: Antritts-Vorlesung
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Und nicht nur theoretisch, auch praktisch gilt es diesen Kampf zu bestehen u[nd] als unausweichlich zu verstehen – cf. Politik. 542 Wahrheitsideal u[nd] Sittlichk[eits]-Ideal A Auf Gedeih u[nd] Verderb mit einander verknpft – Der Fa u s t i s c h e Trieb – nicht in B e s i t z sich wiegen – nicht wie wir es [“]so herrlich weit gebracht[”] 543 – Das 19 te Jahrh[undert] mochte sich oft in dieses Gefhl verirren B – Wir stehen wieder vor einer Krise – aber Krise ist das We s e n der Philosophie dialekt[ischer] Charakter – sie kann sich nur im Kampf, im G e g e n s a t z behaupten sie s t e h t nie “fest”, sie muss sich immer aufs neue feststellen – dies nur in G e m e i n s c h a f t mit den posit[iven] Wissensch[aften] mglich – aber zugleich ber sie hinaus durch Selbstbesinnung auf ihre F u n d a m e n t e [.] C Achtz[ehntes] Jahrhundert sah den Sieg der Vernunft als erfochten an – und Hegel verkndet die Einheit von Vernunft u[nd] Wirkl[ichkeit]. Worte aus der Vorl[esung] ber Geschichtsphil[osophie]. 544 Die einzige Vorauss[etzung] – alle Wirkl[ichkeit] ist vernnftig – alles Vernnft[ige] ist wirklich. D545 D i e s e Identitt fhrt E , trotz aller Ableugnungen, uns F zu einer Apotheose der Macht, zu einer Vergtterung des Bestehenden, einer G solchen Vergtt[erung] darf die wahre Philos[ophie] sich nicht schuldig machen – Die Vernunft ist nicht wirklich[,] sie muss verwirklicht werden – und sie kann diese Verwirkl[ichung] nur erfahren im reinen Denken u[nd] in freier sittlicher Tat etc. H Auch wir glauben an die Macht und an I den Sieg der Vernunft – und Sittlichkeits-Ideal] folgende 2/3 (Bl. 12 und nachfolgende Bl. 12v-16) bleiben leer B verirren] Lesung unsicher C Auf Gedeih ... F u n d a m e n t e .] in Bleistift D Worte aus der Vorlesung ... alles Vernnftige ist wirklich.] Ergnzung auf unterem Rand, markiert mit einem: x E fhrt] Lesung unsicher F uns] Lesung unsicher, vielleicht nun G einer] Verbesserung von fremder Hand statt: Einer H Achtzehntes Jahrhundert ... in freier sittlicher Tat etc.] eingefgt – teils zwischen den Zeilen, teils am rechten Blattrand – in ursprnglichen Text nach: Das 19 te Jahrh[undert] [...] in dieses Gefhl verirren, hier als nachfolgender Text wiedergegeben I Auch wir glauben an die Macht und an] danach Bl. 18-19 leer A Wahrheitsideal
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Beilagen I
Aber diese Vernunft ist u n s nicht die s u b s t a n t i e l l e Macht, wie H[egel] sie nennt, 546 sie ist eine funkt[ionelle] Macht – D[as] h[eißt] daß sie nicht gegeben, sondern unendl[iche] Aufgabe ist. Sie ist nicht wirklich A , ausser sofern sie stndig durch uns verwirklicht wird u[nd] diese Aufgabe der Verwirklichung des Geistes kann niemals zu einem Abschluss kommen – Der gegenwrt[ige] Moment belehrt uns mehr als irgend ein anderer von dieser Sachlage – aber um so ernster u[nd] dringlicher stellt er uns auch die Aufgabe vor – Allen Widerstnden zum Trotz drfen wir an dieser Aufgabe nicht irre werden – wir mssen uns immer wieder ihren Sinn klar machen u[nd] wir mssen alle Krfte unseres Willens in ihren Dienst stellen[.]
A
wirklich] berschrieben: verwirklicht
[ J U DA I S M A N D T H E M O D E R N P O L I T I CA L M Y T H S ] “ J E W I S H R E CO R D ” 5 4 7 Pa r a l i p o m e n a I. If we ask for the reasons for A the slow disintegration and the sudden collapse of our social and political life in the last decades it seems to be obvious that we are concerned with a practical, not with a theoretical or “philosophical” problem. The device ›Inter arma silent leges‹ 548 holds, first and foremost, for philosophy. Its voice is too feeble to be heard in the tumult of arms. And there can be no doubt that these last thirty years have been a period of continuous war. We were suffering from a grave and perilous illusion when thinking that, in 1918, the World War had come to its end. The following years were, at best, a temporary appeasement, a sort of truce. During this truce the arms were never laid down; they only changed their form. The nations were no longer fighting each other by machine guns or submarines. They had discovered and developed a much subtler and more sophisticated system of warfare. And it was here that philosophy began to play a new and unexpected roˆle. It had in a sense to provide the “spiritual” weapons that were bound to complete and perfect the material weapons. Thereby the whole form of our public life underwent a profound change. New problems and new powers came to the fore. The struggle between B political systems became a struggle of “ideas” and “ideologies”. In this combat the parts assigned to the different parties were very unequal. The Western democracies were, from the very beginning, on the defensive. They did not develop new forces; they stood for their old ideals: the ideals of the French Revolution C . But these ideals had a long time ago lost their momentum and their original impulse. From revolutionary forces they had been turned into conservative forces. Accordingly they were not prepared for the new task they had to perform. The French Revolution D had ended in the triumph and apotheosis of R e a s o n . Reason was regarded as the fundamental power in the organization of man’s political and social life. All this was suddenly annulled and reversed. The new political systems began with opposing to reason its oldfor] of between] danach gestrichen: political parties and C Revolution] revolution D Revolution] revolution A B
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Beilagen I
est and most dangerous adversary. The open and solemn enthronement of m y t h is the distinctive and most characteristic feature in the political thought of the 20th century. Henceforward an entirely new factor was introduced into the development of our political life A. Of course it cannot be said that myth in itself was a new or unknown fact. Since the beginning of the 19th century we had a comparative mythology. In his last period Schelling wrote B his “philosophy of mythology”. The mythological elements of all the great religions of the world had been carefully studied. Later on anthropologists and ethnologists continued this work. An immense mass of facts was collected from all parts of the world and from all periods of history. And not only the facts, but also the f o r m of mythical thought became an important problem that more and more attracted general attention. This form was studied and analyzed by anthropologists; by psychologists, by psychoanalysts, by sociologists and philosophers. But all the facts discovered by this analysis[,] although arousing our scientific curiosity[,] seemed to be very remote from our actual life. They were devoid of any practical interest. We were convinced that myth belonged to a cultural and mental stage that has passed once for all. That this “primitive” form would be revivified and that it was bound to play a decisive roˆle in modern political life was a fact that was in strict opposition to our firmest theoretical convictions. The “myth of the twentieth century” was unparalleled and unprecedented; it came as a reverse of all our principles of thought. C That myth is a necessary factor, a fundamental element in the development [of] human culture D was generally admitted. Romanticism had always E insisted upon this fact; it had shown in which way and to what a high degree language, poetry, art, religion, even metaphysics and science are in their origin bound up with mythical elements and saturated with mythical imagination. But the Romantic F thinkers were very far from our modern political myths. They saw in myth an ›unconscious‹ activity; political life] danach gestrichen: – a factor which was unknown and mysterious, which remained unapproachable and impermeable to all the forms of mere theoretical thought. B wrote] gave C thought.] thought; Semikolon stehengeblieben nach Streichung, danach gestrichen: and all of our ethical standards. Hier anschließend auf dem Rand geschrieben und ebenfalls gestrichen: it was one of the greatest paradoxes in the history of human civilization. D culture] ber gestrichenem: civilization E always] ever since F Romantic] romantic A
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they looked at it as a wild and exuberant stream springing forth from an unknown depth. In modern politics this stream was embanked and canalised. Myth was no longer a free and spontaneous play of imagination. It was regulated and organized; it was adjusted to political needs and used for concrete political ends.What formerly appeared to be an ungovernable process was subject to a severe discipline. It was brought under control and trained to obedience and order. Our modern political myths are by no means the outgrowth of a dark or mythic power. They did not, slowly and unconsciously, grow up from the “national spirit”. They were made deliberately and destined for special purposes. They were brought into being by the word of command of the political leaders. That was one of the greatest A triumphs of modern political warfare B. It became the very centre in the new art of political tactics and strategy. From now [on] myth was no longer an incalculable and uncontrollable thing. It could be made at pleasure; it became an artificial compound manufactured in the great laboratory of politics. What we find here is one of the greatest paradoxes in human history. C It is a myth that in a sense is completely ›rationalized‹ . Myth remains irrational in its content, but it is very clear and conscious in its aims. The 20th century is a technical century, D and it applies technical methods to all fields of theoretical and practical activity. The invention and the skilful use of a new technical instrument – of the technique of political myths – decided the victory of the National-Socialistic movement in Germany. The opponents of National-Socialism E had lost their cause even before the battle began. For in the political struggle it is always of vital importance to k n o w the adversary, F to enter in his ways of thinking and acting. The political leaders of the Weimar Republic were not equal to this task. They completely failed to understand the character and the strength of the new weapon used against them. In G their sober, empirical, “matter of fact” way of thinking they had no eyes for the dangerous explosive force contained in the political myths. They could scarcely be prevailed upon to take these things seriously. Most of them were determined Marxists. They thought and spoke in greatest] danach gestrichen: technical warfare] mit Einfgungszeichen ber gestrichenem: thought C one of ... human history.] ber der Zeile und am Rand neben gestrichenem: an entirely new type of myth that had never appeared before. D century,] century; E National-Socialism] ber gestrichenem: this movement were, in this point, completely taken by surprise. They F adversary,] adversary; G In] im Ms. nicht eingerckt A B
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Beilagen I
terms of economics; they were convinced that economy is the mainspring of political life and the solution of all social problems. Following this theory they missed the real point at issue; they did not understand what was really at stake. Undoubtedly economic conditions had a large share in the development and rapid growth of the National-Socialistic A movement. But the deepest and most influential causes are not to be sought in the economic crisis which Germany had to pass [through]. They belong to another field which in a sense was inaccessible to the socialistic leaders. When they began to see the danger, it was too late; the force of the political myths had become irresistible. Did the makers of these myths act in good faith – did they believe in the ›truth‹ of their own stories? We can hardly answer this question; we cannot even put it. For one of the first steps of the new political theory was to deny and destroy the very concept of ›truth‹ which is implied in this question. What we call ›objective‹ truth – we were told – is a mere illusion. B To inquire into the “truth” of the political myths is, therefore, as meaningless and as ridiculous as to ask for the truth [of] a machine-gun or a fighter-plane. Both are weapons; and weapons prove their truth by their efficiency. If the political myths could stand this test they needed no other and no better proof. In this respect the theory was inattackable and invulnerable. All it had to do was to put the political myths into action and to show their constructive or destructive power. Even in its primitive, in its ›naive‹ and unsophisticated form, myth does not serve a mere theoretical purpose. It does not give us a mere ›representation‹ of the world. Its principal roˆle is to arouse emotions and to prompt man to certain actions. “Myth as it exists in a savage community, that is, in its living primitive form“ – says Malinowski in his book “Myth in Primitive Psychology” (London 1926) – [“]is not merely a story told but a reality lived. ... As our sacred story lives in our ritual, in our morality, as it governs our faith and controls our conduct, even so does his myth for the savage. ... Myth is thus a vital ingredient of human civilization; it is not an intellectual explanation or an artistic imagery, but a pragmatic charter of primitive faith and moral wisdom.” 549 This view has given a new turn to all researches in the field of ethnology and comparative mythology. It seems now to be a generally admitted principle that r i t e is in a sense, prior to myth, C that in order to understand the nature of myth we must always begin with the studies of r i t e . Rite is always a social[,] not an individual National-Socialistic] national-socialistic illusion.] danach gestrichen: Truth is to be measured not by its ›reasons‹, but by its effects. C myth,] myth; A B
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phenomenon. It is not an expression of thoughts or ideas A; it is a collective act expressing some fundamental collective feelings and desires. A French scholar, E. Doutt[,] has given a short and striking definition of myth by saying that the demonic or divine powers we meet in primitive mythologies are not so much personifications of natural forces as personifications of social forces; they are “le dsir collectif personifi.”1 This fundamental character is preserved in all our modern political myths. What we find here is not a system of “thoughts” but a turmoil of the most violent B emotions. The whole gammut of social passions, from the lowest to the highest notes, C appeared and burst forth in the creation of the “myth of the twentieth century”. 550 And finally all these emotions were, as it were, focused in one point. They were personified and deified in the “Leader”. The Leader became the fulfillment of all collective desires. To him point all hopes and all fears. One of the oldest and most wide-spread motifs D in all the mythologies of the world is the idea of the “millennium” – of a period in which all hopes shall be fulfilled and all evils shall be removed. Such a millennium was promised to the German race by the modern political myths. But it was no longer as in former times a millennium of peace, but of war; for war was declared the true ideal and the only permanent thing in man’s social and political life. We fail, however, to understand the true character and the full significance of myth if, according to its Greek name, we see in it a mere “narrative” – a recollection or recital of the memorable deeds of heroes or gods. This e p i c aspect is not the only one and not the decisive one. Myth has always a dramatic character. It conceives the world as a great drama – as a struggle between divine and demonic forces, between light and darkness, between the good and the evil. There is always a negative and a positive pole in mythical thought and imagination. Even the political Cf. E. Doutt, Magie et religion dans l’Afrique du Nord, 1909, p. 601. [Dazu Hrsg.-Anm. 299] 1
ideas] danach gestrichen: “about” things the most violent] danach z.T. mehrfach gestrichen: passions and the most emotions. And at the end all these emotions are, as it were, focussed in one point; they are personified and deified in the “Leader”. The role of the leader becomes the supreme law; his command determines the character of “truth”. The Leader became the fulfilment of all collective desires. One of the oldest and most widespread motives in all mythologies of the world is the bricht ab C highest notes,] danach z.T. mehrfach gestrichen: burst forth in hatred and selflove, self-exaltation and dejection, fear and hope, hatred and love, self-exaltation and deep dejection – D motifs] motives A B
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Beilagen I
myths were incomplete so long as they had not introduced a demonic power. A The process of deification had to be completed by a B process, that we may describe as “devilisation”. In the mythical pandemonium we always find maleficent spirits that are opposed to the beneficent spirits. There is always a secret or open revolt of Satan against God. In the German pandemonium this roˆle was assigned to the Jew. C What we find here is much more than what is usually described by the name ›antisemitism‹. Antisemitism is not a new phenomenon; it has existed at all times and under various forms. But the German form of persecution was something that never had existed before. Its roots are to be sought at a different place; they are much deeper and much more poisonous. Antisemitism could have led to social discrimination, to all forms of oppression, to legal restrictions and exceptional laws. But it cannot account for the specific methods of the German Anti-Jewish propaganda. What was D proclaimed here was a mortal combat – a life-and-death struggle which could only end with the complete extermination of the Jews. I do not deny that all sorts of personal hatred or class-hatred, that economic jealousy or race-prejudices had their share in this combat. Yet all this could not have done its work and it could not have attained the desired end if it had not been supported and strengthened by a much more dangerous and powerful motive. For a deeper understanding of our problem it is of vital importance to discover this motive and to determine its true character and its original source.
II. The ideology of National-Socialism is a hybrid of politics and metaphysics. It depends on certain fundamental dogmas which have to be accepted implicitly. Without an implicit belief in the personal powers and the vocation of the leader, without the belief in the superiority of the Nordic race and its task to conquer and subjugate the world this ideology E becomes meaningless. F In spite of all its display of military power, in spite of its incomparable technique of warfare and organizapower.] power, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: opposed to the highest will, the will of the leader. B completed by a] danach gestrichen: corresponding C the Jew.] danach gestrichen: He becomes the Archenemy, the Devil Incarnate. D What was] danach gestrichen: demanded and E this ideology] ber gestrichenem: this system F meaningless.] danach gestrichen: If we take away this mythical creed the whole system collapses. A
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tion, the German colossus is, after all, a colossus with feet of clay. If we take away its mythical foundation it must necessarily collapse; it cannot support itself. The creators of the “myth of the 20th century” 551 knew all this very well.
B E I L AG E N I I
[ B E R I CH T B E R E R N ST CA S S I R E R S VOR L E S U NG “ D E R D E U TS CH E I D EA L I S M U S UN D DA S STAATS P ROBL EM” ] V. Z. Berlin, 28. Mrz. “Der deutsche Idealismus und das Staatsproblem” lautet das Thema, das Prof. Dr. Ernst C a s s i re r von der Berliner Universitt am 13. d[es] M[onats] vor einem großen Zuhrerkreise in der Lehranstalt fr die Wissenschaft des Judentums behandelte. Ausgehend von dem englischen und franzsischen Staatsbegriff, der, insbesondere bei Richelieu, dem Staat als zeitlichem Gebilde nur in der Gegenwart Realitt zugesteht, zeigte der Vortragende, wie deutsche Dichter und Denker ihn als ideale Gemeinschaft – etwa wie die Religion – aufgefaßt haben. Je mehr gegenber der Einheit, die in den beiden genannten Staatswesen tatschlich herrschte, sich bei uns seit dem Zeitalter der Reformation Zerrissenheit geltend machte, so daß sogar der G ro ß e K u r f r s t zeitweise daran dachte, Ludwig XIV. oder einem anderen franzsischen Frsten die deutsche Kaiserkrone anzubieten, desto mehr flchtete man sich in die idealistische Konstruktion des Staatswesens. Wenngleich letztere bei L e i b n i z und Wolff naturrechtlich auf dem Kontraktsgedanken aufgebaut wird, so ist dies doch in viel allgemeinerem Sinne als spter bei Rousseau der Fall. Der Staat hat die Gleichheit in der geistigen Entwicklung aller seiner Individuen zu garantieren. Dieser neuen Fassung des Idealittsbegriffs, die sich im Staatsbegriff bekundete, entspricht die neue Form des Staates, wie ihn F r i e d r i c h d e r G ro ß e schuf. Trotz des Rstzeuges der Philosophen des Sensualismus und der Aufklrungsphilosophie, die auf ihn eingewirkt hatte, ist er doch ganz in die deutsche Ideenwelt hineingewachsen. Zum Beweise fr diese im ersten Augenblick etwas befremdend wirkende Behauptung verliest [der] Redner Stellen aus Friedrichs Schrift “Lettres sur l’amour de la patrie” und aus seinem ersten politischen Testament. Das Allgemeine der Pflicht beherrschte bei ihm den Staatsgedanken. Hier fllt sofort der Berhrungspunkt mit K a n t auf, nur ist die Revolution in der Idee bei dem Herrscher in die Tat umgesetzt, “der Wille zum Allgemeinen und fr das Allgemeine”, der nach dem Knigsberger Philosophen seine Verwirklichung nur in dem sein innerstes Wesen richtig erfassenden, im Zwang die Freiheit und Moralitt begrndenden Staat finden kann. Diese “heroische Staatsauffassung” wird zuerst von Herder bekmpft, dem sein Menschheitsbegriff das Hchste ist. Die Synthese beider Begriffe finden wir bei Wilhelm v[on] Humboldt (“Denkschrift ber den preußischen Staat 1813”) 552 , ihre Fortsetzung bei dem Sozialphilosophen Fichte und dem Begriffsphilosophen Hegel, in der glcklichsten Vereinigung jedoch
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Beilagen II
bei H e r m a n n C o h e n in seinem fr den deutschen Idealismus so charakteristischen, befruchtenden anregenden Werk: “Ethik des reinen Wollens.” Nachdem der Redner noch S c h i l l e r s Gedicht “Die deutsche Grße” (verfaßt nach dem demtigenden Frieden von Lunville) gestreift hatte, schloß er anlehnend an den Dichter des deutschen Idealismus mit der trstlichen Zuversicht auf die Unvergnglichkeit des deutschen Idealismus, dessen Grße in der beherrschenden Geisteswelt wurzelt. Der Staat als geistige Grße aber und zugleich als Trger der Kulturwelt sucht diese von der Wissenschaft erarbeiteten Errungenschaften im Staatsideal zu verkrpern.
[ L E S E R B R I E F B R U NO BA U CH S ]
Sehr verehrte Frau Doktor!
Jena, den 22. Mai 1916.
Im Aprilheft des “Panther” las ich soeben Ihren “Briefwechsel”, 553 und zwar mit aufrichtiger Sympathie und weitgehender Zustimmung. Meine Zustimmung muß ich allerdings gegenber gewissen Punkten Ihrer Ausfhrungen einschrnken, besonders gegenber der Stelle, an der Sie mich erwhnen. Wenn Sie hier nmlich meinen, ich leistete dem jdischen Formalismus Vorspanndienste, und wenn Sie mich sozusagen mitverantwortlich machen fr eine Verkoppelung deutschen und jdischen Denkens, so will mir das als ein geradezu tragisches Mißverstndnis erscheinen. Ich mchte dieses um so lieber beseitigen, als ich ganz mit Ihnen, entgegen also Ihrem auch an mich gerichteten Vorwurf, jene Verkoppelung in der Tat als eine “Verkmmerung der Vielstimmigkeit der deutschen philosophischen Weltanschauung” 554 ansehen mßte. Ob ich es, wie ich gerne mchte, zu einem so ausfhrlichen Briefe, wie dem Ihrigen, im “Panther” bringe, steht im Augenblick noch dahin. Denn noch im Zustande der Genesung von einer ernsten Erkrankung, werde ich mich krzer fassen mssen, als es wohl zur restlosen Behebung des Mißverstndnisses ntig sein drfte. Um mir aber diesen Versuch zu erleichtern, und damit Sie sehen, wie weltenfern ich allen Versuchen stehe, Deutschtum und Judentum miteinander zu vermischen und durcheinander zu verwischen, erlauben Sie mir wohl, Ihnen einen im letzten Winter gehaltenen Vortrag 555 (er wird brigens auch in den “Kant-Studien” erscheinen) 556 beizulegen. Wenn er in erster Linie auch auf die Erfassung des Nationsbegriffs abzielt, so wird er Ihnen nebenbei und gelegentlich doch zeigen, daß ich allen und vollen Ernstes dem Judentum sogar sein Zion nicht mißgnne. Schon das drfte mich brigens wohl im Urteile jedes Besonnenen auch gegen den Vorwurf eines triebhaft blinden und grundsatzlos den Antisemitismus sichern. Denn so wahr ich mich selber als Deutschen nur mit Stolz angesprochen sehen kann, ebenso wahr kann es fr den Juden keine Krnkung sein, wenn ich ihn als Juden anspreche. Warum sollte sich der Jude das dem Deutschen gegenber verbitten wollen? Einen vernnftigen Grund dafr gibt es nicht. Und wenn es dem Deutschen doch endlich einkme, dem Problem des Vlkischen die Beachtung zu schenken, die es verdient, so wrde ein derartiges Verbot im Gegenteil eine Bevormundung des Deutschen durch den Juden sein, die sich der Deutsche in seinem eigenen Hause von seinem jdi-
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Beilagen II
schen Gaste wohl auf die Dauer nicht mehr gefallen lassen drfte. Der immer noch so gern erteilten, aber gnzlich leeren Belehrung, daß die Wahrheit fr alle Menschen, ob Deutsche, Juden, Englnder, Franzosen usw. nur eine sei, bedarf ich wahrhaftig nicht. Denn das ist eine Selbstverstndlichkeit. Weniger bedacht aber wird diesem Formalismus gegenber, daß der Inhalt der Wahrheit in einer unendlichen Mannigfaltigkeit besteht. Und wie die Geschichte auf allen Gebieten der Kultur, der Wissenschaft wie der Religion, der Kunst wie des Rechtes zeigt, sind zur Erlangung der mannigfachen Inhalte der Wahrheit die verschiedenen Volkscharaktere verschieden befhigt. Daraus geht zweierlei hervor. Erstens wird daraus deutlich, daß die verschiedenen Vlker alle in der allgemeinen Menschheitskultur sich ergnzen mssen. Ebenso deutlich wird zweitens aber auch, daß diese gegenseitige Ergnzung keine gegenseitige Verwischung sein kann, weil die Reinheit der Mannigfaltigkeit im Wahrheitsgehalt des gesamten Geisteslebens der Menschheit um so ausgeprgter nur gewonnen werden kann, je ausgeprgter sich auch die verschiedenen Volkstumscharaktere selber darstellen. Und deren Verwischung muß notwendig eine Verkmmerung und Verarmung sowohl in der kulturellen Sonderbestimmung eines jeden Volkes, wie in der allgemeinen Bestimmung der Menschheit ergeben, whrend diese um so reicher und mannigfaltiger in der Geschichte zur Darstellung gelangt, je charakteristischer und schrfer sich jedes Volkstum im einzelnen ausprgt. Soviel im allgemeinen. Nun mchte ich aber mit Rcksicht auf Ihre Ausfhrungen doch auch im einzelnen noch einige Punkte hervorheben: 1. Sie haben durchaus recht, zu behaupten, daß ich von einem “verhngnisvollen Dualismus von Anschauung und Kategorie” bei Kant spreche und die “berwindung der Mngel der Kantischen Position” fordere. 557 Aber ich fge hinzu, daß diese Mngel gerade aus dem Grundmangel Kants, gerade aus dem berbleibsel von Formalismus in seiner Lehre, stammen. Gewiß habe ich auch gerade die Verdienste, die die “Marburger Schule” um die berwindung dieser Mngel hat, und die auch deren Gegner mit Grnden nicht bestreiten kann, hervorgehoben. Aber ich habe nicht, wie es nach Ihrer Bemerkung leicht scheinen knnte, gemeint, daß jene berwindung etwa allein und erst von der “Marburger Schule” angestrebt werde. Vielmehr habe ich gerade darauf hingewiesen, daß Kant selbst zur berwindung dieser Mngel auch schon von seiner eigenen Lehre aus zwingt. Er setzt mit seiner Selbstkorrektur bereits in den grundlegendsten Partien der Kritik der reinen Vernunft ein und fhrt sie am tiefsten und bedeutungsvollsten weiter in der tiefsten und bedeutungsvollsten seiner Kritiken, der Kritik der Urteilskraft, und zwar wiederum in ihrem bedeutungsvollsten Teile, der Teleologie, bis zu
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der ja gerade Cohen seine Kant-Exegese freilich nicht fortgefhrt hat. Der deutsche Idealismus nach Kant – allen voran Hegel, gelegentlich aber auch schon Fichte, die beide indes von Cohen wohl immer nur in anderem, polemischem Zusammenhange genannt werden –, setzt die Arbeit in fruchtbarer und wertvoller Weise fort. Daß sodann aber besonders die “Marburger Schule” an der Weiterfhrung dieses Problems einen hervorragenden Anteil hat, das scheint mir allerdings eine unumstßliche historische Tatsache zu sein. Freilich ist das, was Sie den jdischen Rationalismus Cohens nennen, nicht auch das, worin ich diese Leistung der “Marburger Schule” erblicke. Innerhalb dieser tritt ja gerade bei Cohen, trotz allem programmatischen Nachdruck, doch in der Durchfhrung der Anteil an der Lsung noch etwas aphoristisch auf. Man wird das sagen knnen, ohne gegen Cohens sonstige und eigentliche Verdienste, auch seine historischen um Kant, ungerecht zu sein. Auch Sie stellen diese wohl nicht ganz in Abrede. Gewiß sind durch die Volkstumsunterschiede scharfe und unbersteigliche Grenzen gezogen. Aber bei aller Anerkennung dieser Grenzen und bei aller Wahrung unseres eigenen Volkstums werden wir auch den Verdiensten gerecht werden knnen, die fremdvlkische Forscher um die historische Aufhellung der Leistungen unserer eigenen großen Volksangehrigen haben. Warum sollte also nicht auch ein Jude, bei der anerkanntermaßen ausgeprgten nachschaffenden Begabung des jdischen Volkes, um das historische Verstndnis unseres grßten deutschen Denkers seine Verdienste haben, wie etwa Franzosen um das unseres Leibniz, oder, auf dem Gebiete der literarischen Forschung, gerade Deutsche um das eines Dante oder Shakespeare? Alles das, unbeschadet der Volkstumsgrenzen, die sich freilich mit Sicherheit auch hier zur Geltung bringen mssen, und in deren Anerkennung ich gewiß nicht hinter Ihnen zurckstehe! Aber, wie schon gesagt, innerhalb der “Marburger Schule” steht ja Cohen gerade angesichts des von Ihnen hier berhrten Problems gar nicht einmal an erster Bedeutungsstelle. Denn mit voller systematischer Kraft hat unter den “Marburgern” an dem Problem: “Anschauung und Begriff”, doch erst Natorp eingesetzt. Und an dessen “Deutschheit”, um mit Fichte zu reden, zweifeln Sie doch wohl nicht. 2. Das Problem “Anschauung und Begriff” ist nun zwar auch innerhalb des deutschen Idealismus ungemein wichtig. Aber es ist weder eine spezifisch deutsche Aufstellung (diese hatte vor unserem Leibniz schon der grßte Denker Frankreichs, Descartes, geleistet), noch steht es in erster Reihe fr den deutschen Idealismus. Dessen umwlzende und schlechthin neue geschichtliche Eigenbedeutung liegt in der Aufdeckung der Sphre von “Gltigkeit und Wert”, um Kants eigene Formulierung des eigentmlichen Sinnes der “Kritik” anzuwenden. Diese Eigenbedeutung
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ist historisch, weil sie schlechthin Ewigkeitsbedeutung ist. Und sie ist in der Geschichte der Philosophie auch Ausdruck gerade des “Eigentmlichen des deutschen Geistes”, charakteristisch also auch fr den Unterschied von deutschem und jdischem Geiste. Hier liegt also auch der in der Tat weltenweite Gegensatz zwischen Kant und Cohen, der ja diese grunddeutsche philosophische Einstellung auf die “Werte” berhaupt nicht einmal berhrt. Hier haben Sie also durchaus recht, bei Cohen das Eingehen auf dieses “Eigentmliche”, dieses Spezifisch-Deutsche eben des deutschen Geistes, und damit auch die Herausstellung des deutschen Idealismus als System der Werte zu vermissen. Cohen scheint in der Tat mehr darauf bedacht zu sein, Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und dem jdischen Geiste ausfindig zu machen, wie sich solche ja berhaupt zwischen allen, sonst noch so verschiedenen Volkscharakteren aufstellen lassen. Daß dabei nun gerade das Volkscharakteristische nicht zur Geltung gelangen kann, liegt auf der Hand. Aber man darf eben nicht vergessen, daß dem Verstndnis von Volkstum zu Volkstum gerade in dem “Eigentmlichen” jedes Volkes scharfe gegenseitige Grenzen gezogen sind, von denen ich aus Gerechtigkeitsgrnden auch uns Deutsche nicht ausnehme. Zu Ihrer Anwendung der Alternative: Rationalismus oder Antirationalismus, Intellektualismus oder Antiintellektualismus aber mchte ich nun doch folgendes bemerken: Psychologisch ist diese Alternative durchaus berechtigt. Aber nach ihr kann die Zugehrigkeit oder Nichtzugehrigkeit zum deutschen Idealismus nicht bestimmt werden. Denn dieser hat den in der Ebene eben der Psychologie verbleibenden Gegensatz dadurch hinter sich gelassen, daß er in der “Vernunft” die “ratio” nicht mehr als bloßen “intellectus” faßt, sondern zum Inhalt des “º ª” emporlutert. Soll ich mit dieser meiner Auffassung auch schon des Kantianismus nun dem “Intellektualismus und jdischen Rationalismus” wirklich Begnstigung und Vorschub leisten? Sollte deswegen, weil ich von vornherein auch schon fr die Kritik der reinen Vernunft Kants Betonung der Kardinalfrage von “Gltigkeit und Wert” in den Vordergrund stelle, die “Kantauffassung Rickerts”, an der ich bloß “ursprnglich orientiert” gewesen sein soll, wirklich “so ganz und gar anders gerichtet” sein, wie die meinige? Ich glaube das nicht. Das glaubt wohl auch Rickert nicht. Vielleicht darf man noch darber streiten, ob die Art, wie Rickert krzlich mein Verhltnis zur “sdwestdeutschen Schule” einerseits und zur “Marburger Schule” andererseits bestimmt hat, 558 vollkommen zutreffend sei. Aber gerade die besonders feine Differenzierung und Pointierung in der Charakterisierung dieses meines Verhltnisses durch Rickert wird man nicht bersehen knnen. 3. Kantischen Geist und jdischen Geist vollends auf den Gebieten der Ethik und Religionsphilosophie zu vermengen, ist so grotesk, daß ich
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darber kaum etwas zu sagen brauche, zumal da ich schon vor mehr als einem Dutzend von Jahren in meiner Habilitationsschrift den Gegensatz angedeutet habe. 559 Trotzdem Cohen auf historischem Gebiete auch um Kants Ethik seine unleugbaren Verdienste hat, so liegt systematisch hier in der Tat zwischen dem deutschen Denker Kant und dem jdischen Denker Cohen doch wohl der grßte Abstand. Von einem unserer hervorragendsten Juristen, der ebensosehr Rechtsphilosoph ist und Cohens wahre Verdienste wohl zu schtzen weiß, hrte ich vor Jahren einmal diesen Gegensatz folgendermaßen bezeichnen: “Zwischen Kant und Cohen liege die ganze Welt, die die Bergpredigt vor der Menschheit neu aufgetan habe.” Das scheint mir richtig, trotzdem oder vielleicht gerade darum, weil Cohen eine der eindruckvollsten Erscheinungen des Judentums der Gegenwart ist. Und mit seinem mutigen Bekennen des Judentums, mit seiner unbestechlich treuen Hingebung an seine jdische Stammesgemeinschaft kann er doch auch unserem deutschen Bewußtsein, gerade je bewußter wir uns unserer Deutschheit sind, nur, wie Sie ja selbst hervorheben, als eine der ehrwrdigsten Gestalten des modernen Judentums gelten. Auf Kants Stellung zum Judentum in ethisch-religiser Hinsicht nher als durch die Bemerkung, daß nach Kant “das Judentum eigentlich gar keine Religion”, sondern lediglich eine “theokratische” Gemeinschaft von “Menschen, die zu einem besonderen Stamme gehren”, ist, einzugehen, ist brieflich nicht gut mglich. Genauer behandle ich diese Stellung in einer großen, nach dem Kriege erscheinenden, aber schon gedruckten Gesamtdarstellung der Kantischen Lehre. 560 Hier weise ich auch einen so vorsichtigen Versuch, wie den von Herrn Dr. Kroner, die Kantische Gottesauffassung im Geiste des Judentums zu frben, ohne freilich das Judentum beim Namen zu nennen, gebhrend zurck. In Herrn Dr. Kroners Kant-Bchlein findet sich der fr einen Kant-Kenner ganz unglaublich klingende Satz: “In die ethisch-religise Weltanschauung Kants paßt sich die Vorstellung des rchenden und gerechten Gottes eher ein, als die des verzeihenden und erlsenden.” 561 Dazu habe ich in dem erwhnten Buche doch die Bemerkung machen mssen: “Als ob Rache und Gerechtigkeit unzertrennlich, Gerechtigkeit und Liebe und Erlsung unvereinbar wren; und als ob Kant nicht der Philosoph der christlich-protestantischen Moralitt und Religion, sondern des Judentums gewesen wre. Es fehlt bloß noch, daß man ihm die heimliche Synagogengemeinschaft unterschiebt.” 562 Freilich ausdrcklich nennt Herr Dr. Kroner, wie gesagt, das Judentum gar nicht einmal beim Namen. Aber gerade darum muß sich gegen einen so leisen Versuch, Kants Gottesauffassung im Geiste des Judentums umzufrben, das ethische Pathos Cohens mit seiner jdischen Ausgesprochenheit nur um so wrdevoller abheben.
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ber die Beschftigung des anderen von Ihnen genannten Juden mit der “Ethik bei Kant, Schiller und Fries” 563 kann gewiß jeder, der vom Geiste des deutschen Idealismus auch nur einen Hauch versprt hat, zur Tagesordnung bergehen. Ich glaube aber, daß auch ein Jude vom geistigen Range Cohens mit ihm nicht gut zusammengestellt werden kann. Doch nun genug dieser sachlichen Differenzierungen. Sie werden Ihnen, trotzdem sie Differenzierungen sind, doch beweisen, daß Ihr warmes Eintreten fr den deutschen Geist in der Philosophie bei mir nur den wrmsten Anteil gefunden hat. Nur das veranlaßte mich auch zu diesen Zeilen, nicht etwa der eitle Gedanke, Sie zu “berichtigen”; eher ein wenig vielleicht auch der Wunsch, zu verhten, knftig noch einmal in einer Zeitschrift, die das “Volkstum” schon auf ihrem Titel trgt 564, aber es, Gott sei Dank, nicht bloß auf dem Titel sehen lßt, sondern auch auf ihren Blttern zu vertreten wagt, in eine schiefe Stellung gerade zum Volkstum gebracht zu werden. Im brigen denke ich: Sie werden aus diesem Briefe, der nun doch umfangreicher geworden ist, als ich im Anfang gedacht hatte, daß er es werden wrde, sehen, daß wir uns gerade in den Fragen, die uns beiden wohl die wichtigsten sind, verstehen knnen. Wo man sich aber in diesen verstehen kann, da soll man offenbare Mißverstndnisse nicht bestehen lassen. Mit dem Ausdruck meiner vorzglichen Hochachtung bin ich Ihr ergebener Bruno Bauch.
B R U NO BA U CH : ME I N R CK T R I T T VON DE N “ K A N T - ST U D I E N ” . E I N E A N T WO RT AU F V I E L E F RAG E N . Auf die in verschiedenen Tageszeitungen von mir angebotene Mitteilung der wahren Grnde meines Rcktritts von der Leitung der “Kant-Studien” 565 ist mir eine so große Anzahl von Anfragen zugegangen, daß ich Monate brauchen wrde, wollte ich jede handschriftlich beantworten. Ich whle darum die gedruckte Antwort. An den “Panther” wende ich mich fr sie deshalb, weil er, wie aus dem Folgenden gleich zu ersehen ist, an meinem Rcktritt, wenn auch in aller Unschuld, nicht unbeteiligt ist. Zu der Richtigstellung in den Zeitungen und zu dem Anerbieten, die wahren Grnde mitzuteilen, veranlaßte mich, die dort angegebene Motivierung meines Rcktritts, wonach ich “aus Gesundheitsrcksichten” von der Leitung der Kant-Studien zurckgetreten sein sollte. Diese Angabe mußte berichtigt werden. Denn erstens war die Meldung unwahr, und zweitens kann es doch zu einer schweren Schdigung eines wissenschaftlichen Arbeiters wenigstens fhren, wenn ihm falscherweise nachgesagt wird, sein Gesundheitszustand sei derart, daß er nicht einmal eine Zeitschrift redigieren knne. Wie immer es auch mit der Absicht der ersten und eigentlichen Ursprungsquelle der Nachricht von meinem Rcktritt, ber den, wie man mir schreibt, bereits seltsame Gerchte herumschwirren, noch ehe er in den Kant-Studien selber bekannt gegeben ist, bestellt sein mag, so nehme ich selbstverstndlich beim Einsender als solchen keine bewußte Absicht, mich zu schdigen an. Ich lasse auch alles, was mir in der Angelegenheit von persnlichen Feindseligkeiten gegen mich bekannt geworden ist, beiseite und beschrnke mich auf eine rein sachliche Darstellung. Der Sachverhalt ist nun folgender: Ich hatte im Sommer des vorigen Jahres ein auch als Abhandlung in den Kant-Studien erschienenes Schriftchen “Zum Begriff der Nation” verffentlicht. 566 Ungefhr gleichzeitig war im Juniheft 1916 des “Panther” mit meiner Erlaubnis ein Brief von mir an Frau Dr. phil. RipkeKhn verffentlicht worden. 567 Beide Verffentlichungen aber erregten Anstoß bei einem Teile der Mitglieder der Kant-Gesellschaft jdischer Abstammung und, soviel ich weiß, auch bei manchen Freunden oder Anhngern ihrer hier in Betracht kommenden Auffassung. Ich weise auf die beiden Verffentlichungen ausdrcklich hin, um gewissenhaft und genau die Tatsachen-Unterlage zu bezeichnen, die zum Konflikt fhrte und jedem die Mglichkeit zu lassen, sich auf Grund dieser Tatsachen ein selbstndiges Urteil zu bilden. Daß mir jede persnlich-belwollende oder gar feindselige Absicht meilenfern gelegen hat, wrde jeder diese beide
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Verffentlichungen unbefangen lesende und gerecht denkende Beurteiler auch dann bemerken, selbst wenn ich nicht bereits gerade durch den im “Panther” verffentlichten Briefe mich gegen den Vorwurf eines triebhaft blinden und grundsatzlos den Antisemitismus gesichert htte. 568 Denn mir kam es gerade allein auf Grundstzliches an. Grundstzlich hatte ich in meiner Arbeit ber den Begriff der Nation eine rein sachliche Analyse dieses Begriffs gegeben. Ich handelte hier nicht einmal von einer bestimmten Nation, nicht also von der deutschen, der franzsischen, italienischen Nation, sondern vom Begriff der Nation als solchem. Wenn ich von den Deutschen, den Italienern, Juden, Englndern sprach, so geschah es lediglich um der Illustration willen. Immerhin mag sich aus meiner Schrift manchem mit logischer Notwendigkeit die Folgerung ergeben haben, daß Deutschtum und Judentum in nationaler Hinsicht sorgfltig unterschieden werden mssen. Aber diese Folgerung ist ja eine solche Selbstverstndlichkeit, daß sie in meiner Untersuchung gar nicht einmal mit der hier formulierten Ausdrcklichkeit gezogen zu werden brauchte. Auf das Judentum hatte ich berhaupt nur zweimal Bezug genommen; und beide Male eben nur der Illustration wegen. Das eine Mal wies ich hin auf die nationale “im Zionismus zum Ausdruck gelangende Sehnsucht des Judenvolkes”, die “nicht bloß Beachtung, sondern auch Achtung[”] verdient. 569 Das andere Mal hatte ich im Zusammenhange mit Ausfhrungen ber den Begriff des Vaterlandes erklrt: “Die Arbeit der ‘Mitgeborenen’ (Ausdruck Goethes) heiligt den Boden des Vaterlandes und der Heimat. Kein Wunder also, daß die Liebe zur Heimat allem Fremdvlkischen den Zutritt in das eigene Volksheiligtum verwehrt oder doch erschwert. So ist es psychologisch und historisch durchaus verstndlich und liegt ja, an den Zeitmaßen der Geschichte gemessen, auch uns Heutigen fast noch in greifbarer Nhe, daß Angehrigen des jdischen Volkes der Erwerb deutschen Grundes und Bodens von unseren deutschen Stammesvtern versagt ward.” 570 Das also erregte den Anstoß. Und dieser ward, wie es scheint, besonders verstrkt durch meinen im “Panther” erschienenen Brief an Frau Dr. Ripke-Khn. Ich habe vor vielen Jahren Frau Dr. Ripke-Khn ein einziges Mal flchtig gesehen, erinnere mich aber nicht, auch nur ein einziges Wort mit ihr gesprochen zu haben. Nie hatte ich bis dahin auch nur eine einzige Zeile an sie geschrieben. Ich hatte also auch, so sympathisch mir prinzipiell das war, was sie ber das Judentum in der Philosophie s a c h l i c h geschrieben hatte, nicht die geringste Veranlassung, ihr etwa aus p e r s n l i c h e n Beweggrnden beizustehen. Im Gegenteil, ich setze mich ja gerade gegen ihren Vorwurf zur Wehr, daß ich selber die Verwischung des deutschen philosophischen Geisteslebens durch das Judentum begnstige. Gewiß wies ich sodann hin auf die Grenzscheiden
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deutschen und jdischen Geistes. Aber diese Grenzscheiden leugnen hieße doch einfach Tatsachen leugnen. Gewiß habe ich auch hier, wie in meiner Schrift ber den Nationsbegriff vom Judentum als von etwas Fremdvlkischen gesprochen. Aber auch damit habe ich nur etwas Selbstverstndliches diesmal allerdings ausdrcklich gesagt. Und ich kenne ja auch das zionistische Nationallied. Das ist echt und wahr gefhlt, und, wie alle Echtheit und Wahrheit achtungswrdig und sympathisch. Aber wenn der Jude selbst die Wahrheit aussprechen darf, daß er sich von “roher Kraft” “grausam” “in fremde Lnder” “verstoßen” sieht aus seinem “lieben trauten Vaterland”, von “Dort, wo die Asche seiner Vter ruht, / Das Feld getrnkt hat Makkaberblut” 571, darf er dann es dem Deutschen verwehren, dieselbe Wahrheit auszusprechen? Gewiß habe ich weiter unterscheidend vom deutschen Denker Kant und vom jdischen Denker Cohen gesprochen. Ich habe gewiß ferner auch auf die durch den Unterschied der Volkscharaktere scharf gezogenen Grenzen des Verstehens, insbesondere auf religionsphilosophischem Gebiete, hingewiesen. Aber ich habe ausdrcklich anerkannt, und ich werde es immer anerkennen, daß Cohen seine großen Verdienste um Kant habe. Und ebenso ausdrcklich habe ich Cohen “eine der ehrwrdigsten Gestalten des modernen Judentums” genannt. 572 Alle meine Aeußerungen liegen ja in den beiden Verffentlichungen gedruckt vor und knnen, ohne daß ich sie alle wiederhole, jederzeit von jedermann nachgeprft werden. Die Erregung aber war nun einmal da. Wie groß sie gewesen sein muß, beweist die Tatsache, daß der stellvertretende Geschftsfhrer der KantGesellschaft, Herr Dr. Liebert, 573 zu einer Reise von Berlin nach Jena allein zu dem Zwecke sich veranlaßt sah, um, wie er sich nachher selber brieflich ausdrckte, als “ehrlicher Makler” zwischen mir und der Gegenpartei zu wirken. Gerade damit scheint mir freilich heute, wenn ich die ganze Entwicklung der Angelegenheit berblicke, der Grund zu meinem Rcktritt gelegt zu sein. An den ehrlichen Absichten des Herrn Dr. Liebert zweifle ich nicht einen Augenblick.1 Aber daß er es berhaupt berDarauf lege ich einen besonderen Nachdruck, um jeder Verdchtigung des Herrn Dr. Liebert entgegenzuwirken. Ich tue das, weil wir in der Sache selbst ja entgegengesetzt sind, und weil mir Herr Dr. Liebert mitteilte, er sei selbst bereits ungerechtem Verdachte ausgesetzt gewesen. Wenn ich also jetzt, wo ich die ganze Entwicklung des Konfliktes berblicke, in seinem Vermittlungsversuche einen Fehler sehe, so bezieht sich das auf seine verwaltungstechnische Ttigkeit, nicht auf seine persnliche Gesinnung. Sie steht mir außer aller Frage. 1
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nommen hatte, als Makler zu fungieren, das mußte schließlich zu meinem Rcktritt fhren. Bis dahin hatte die Kant-Gesellschaft mir volle Freiheit und Selbstndigkeit in der Redaktionsfhrung gelassen; Redaktion der Kant-Studien und Geschftsfhrung der Kant-Gesellschaft waren zwei von einander vllig unabhngige Arbeitsgebiete. Nun auf einmal, in einem Konfliktsfall, der freilich erst nicht an die Redaktion direkt gebracht wurde, suchte die Kant-Gesellschaft zu vermitteln, wies die Gegenseite nicht an mich direkt und ließ uns die Gegenstze nicht unter uns allein austragen. Diese Vermittlung, so gut sie gemeint war, war zwar nicht an sich selbst ein Druck auf die Redaktion der Kant-Studien, aber sie war doch dessen Medium. Zwar erklrte mir Herr Dr. Liebert, was ich um der Wahrheit willen ebenfalls gern und ausdrcklich betone, mehrfach, seine Stammesgenossen wollten keinen “Druck” auf mich ausben. Aber gerade von ihm erfuhr ich doch auch, daß manche mit ihrem Austritt aus der Kant-Gesellschaft wegen meiner Aeußerungen ber das Judentum drohten. Das Wort “Drohung” fiel gewiß nicht. Aber die Absicht auszutreten, wurde mir doch kundgetan. Und da es auf Worte nicht ankommt, so war eine solche Bekundung dem Redakteur gegenber in der Tat doch die Uebermittlung eines Druckes und einer Drohung. Und tatschlich sind ja auch, und eben nicht, ohne daß ich davon erfuhr, Austritte aus der Kant-Gesellschaft wegen meiner Aeußerungen ber das Judentum erfolgt. Mich schreckte die Drohung nicht. Aber der Sache wegen, der ich durch dreizehn Jahre einen nicht A unerheblichen Teil meiner Kraft und Arbeit gewidmet hatte, hatte ich selbst den Willen, daß der Konflikt geschlichtet werde. Und ich hatte zuerst, auf der ersten Phase seiner Entwicklung, den Glauben, daß das mglich sei. So erklrte ich mich denn auch auf eine persnlich noch bei seinem Besuche in Jena an mich gerichtete Anfrage des Herrn Dr. Liebert bereit, eine Entgegnung gegen meine Nationsauffassung von jdischer Seite, von Herrn Professor Cassirer in Berlin, in die Kant-Studien aufzunehmen. Allerdings vereinbarte ich mit Herrn Dr. Liebert die Bedingungen, daß die Entgegnung erstens rein sachlich und nicht persnlich gehalten sei, daß sie zweitens in der Sache, wie sie mir von vornherein angekndigt worden war, wie meine eigene Untersuchung in den Kant-Studien, rein philosophisch, oder noch genauer begriffsanalytisch sei, nicht aber auf politisches Gebiet bergreife, und daß sie drittens ihre Angriffe gegen mich allein, nicht aber auch gegen andere richte. Daß diese drei Bedingungen nicht unbillig waren, bewies die Bereitwilligkeit, mit der Herr Dr. Liebert sie mit mir vereinbarte. Die Entgegnung lief in Form einer Abhandlung ein; und zwar nicht A
nicht] nicht nicht
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direkt vom Autor, sondern durch Vermittlung wieder von Herrn Dr. Liebert. Da sie nun recht persnlich gehalten war, ihre Angriffe nicht auf mich allein beschrnkte und endlich auch die Bedeutung der Judenfrage in einer Weise behandelte, daß – ich selber verkenne gewiß die Bedeutung der Judenfrage nicht, kann aber fr ihre Errterung allein die politische, nicht die philosophische Literatur fr zustndig erachten – politische Gegenstze in der damals von mir geleiteten philosophischen Zeitschrift zum Austrag gekommen wren, so sah ich die mit Herrn Dr. Liebert vereinbarten Bedingungen nicht erfllt. Ich wandte mich nun meinerseits an diesen mit dem Vorschlage, es mchten entweder die Bedingungen eingehalten werden, oder ich wrde die Entgegnung auch so aufnehmen, wie sie wre – auch dazu war ich bereit, – mßte dann aber in einer ihrer Form und ihrem Inhalte entsprechenden Weise selbst erwidern. Darauf kam von Herrn Dr. Liebert die Mitteilung, Herr Professor Cassirer ziehe seine Entgegnung von den Kant-Studien zurck, behalte sich aber vor, sie an anderer Stelle zu verffentlichen. Damit war der Angelegenheit eine neue Wendung gegeben. Im brigen mußte ich der Kant-Gesellschaft aber erklren, daß ich ber der Redaktion eine Art jdischer Oberzensurbehrde nicht anerkennen knne, und daß ich lieber die Redaktion niederlegen, als mich als Redakteur einer selbst auf außerredaktionelle Dinge ausgedehnten Bevormundung beugen wrde. Durch die neue Wendung selber vor die Wahl zwischen Biegen oder Brechen gestellt, entschied ich mich nun fr das Brechen und stellte damit sozusagen auch die Kant-Gesellschaft vor eine Wahl; sich entweder fr mich oder fr die Gegenseite zu entscheiden. Sie hat sich fr diese entschieden. Das heißt genauer: die Geschftsfhrung der Kant-Gesellschaft erffnete mir drei Mglichkeiten: ich knne erstens entweder eine ffentliche Ehrenerklrung fr Cohen abgeben, wodurch der “Sturm beschwichtigt” werden knnte; oder zweitens “aus Gesundheitsrcksichten” ein Jahr Urlaub nehmen, da ich ja im vorigen Frhjahr eine Operation durchgemacht htte; oder drittens einfach zurcktreten. Selbstverstndlich konnte ich von diesen drei Mglichkeiten nur die dritte whlen, weil die beiden ersten Mglichkeiten fr mich einfach moralische Unmglichkeiten waren. Eine ffentliche Ehrenerklrung fr Cohen konnte ich darum nicht abgeben, weil ich nicht einmal in meinen geheimsten Gedanken eine Ehrenkrnkung Cohens begangen habe und durch eine Ehrenerklrung nur den Schein, eine Ehrenkrnkung begangen zu haben, auf mich geladen haben wrde.1 Die “GesundSelbst beim bsesten Willen kann man es mir doch nicht als eine Ehrenkrnkung Cohens deuten, daß ich ihn “eine der ehrwrdigsten Gestalten des modernen Judentums” genannt habe. 1
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heitsrcksichten”, die mir also damals schon nahegelegt wurden, und die ich also auch damals schon ablehnte, konnte ich aus Grnden der Wahrheit nicht zum Grunde eines Urlaubes machen, weil das nicht den Tatsachen entsprochen htte.1 Moralisch mglich war also fr mich allein der einfache Rcktritt. Und damit wre eigentlich schon alles erledigt gewesen. Allein mein verehrter Jenaer Kollege, Herr Geh[eimer] Rat Eucken, der den ganzen Hergang und Sachverhalt genau kennt, und der mich in der Angelegenheit stets treu beraten hat, machte noch, auf die vornehmste Weise, auf die mit Entschiedenheit die sachliche Ueberzeugung eines jeden htte gewahrt werden knnen, einen Versuch, den Konflikt zu beseitigen. Aber die Entschiedenheit auf meiner Seite war es, die der Entschiedenheit der Gegenseite als Grund zur Ablehnung dieses Versuches diente, so daß er ohne Erfolg blieb. Das also ist der Tatbestand. Ich gebe zu: Ich bin nicht der Mann, der als Redakteur der Kant-Studien, nachdem er fr sie lange Jahre – und ich darf ehrlich sagen: mit Lust und Liebe – gearbeitet hat, bloß noch htte toleriert werden wollen. Gegenber der Ueberzeugung dessen, der fr die Wissenschaft und ihre Freiheit leben will, ist bloße Toleranz sehr wenig. Wenn aber nicht einmal sie rckhaltlos gewhrt werden kann, wenn ich mich in der Redaktion einer wissenschaftlichen Zeitschrift außerwissenschaftlichen Rcksichten untergeordnet htte, dann wre es nicht nur um meine eigene wissenschaftliche Freiheit geschehen gewesen, ich htte mit Recht auch alles Vertrauen aller Mitarbeiter auf meine vorurteilslose Entscheidung ber eben ihre Mitarbeit verlieren mssen. Freilich habe ich auch jetzt, wie ich hre, das Vertrauen derer verloren, denen es nicht recht war, daß ich gesagt habe, was ich denke. Nun solches Vertrauen kann ich verschmerzen. Und ihnen stehe ich ja auch auf dem Wege zu den Kant-Studien nicht mehr entgegen. Jedenfalls konnte ich, so fern es mir gelegen hat, irgend eine Person persnlich zu verletzen, persnliche Rcksichten nicht ber die Sache stellen. So kam es zum Konflikte, in dem ich aber letztlinig keinen Konflikt von Personen, sondern von UebTatsache ist allerdings, daß ich im Frhjahr 1916 eine Nierenstein-Operation durchgemacht habe. Aber ebenso ist es Tatsache, daß, wenn mir auch dadurch eine gewisse Zurckhaltung von krperlichen Anstrengungen auferlegt wurde, die Redaktionsgeschfte so wenig eine krperliche Anstrengung sind, daß ich die mit ihnen verbundene Arbeit kurze Zeit nach der Operation spielend leisten konnte; daß weiter in den Redaktionsgeschften so wenig eine Stockung eintrat, daß ich ausgerechnet nach meiner Operation nicht bloß ein einfaches, sondern ein Doppelheft zum normalen Zeitpunkte herausbringen konnte; und daß ich endlich auch von meiner ganzen Vorlesungszeit im Jahr 1916 eine ganze Woche verloren habe; also nicht mehr, als mich auch eine Influenza htte kosten knnen. 1
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erzeugungen und Prinzipien sehe. Es lag nicht in meiner ursprnglichen Absicht, ber ihn zu reden. Nun haben mich andere, oder sagen wir: die Umstnde, dazu gentigt. Ich durfte die ffentliche Falschmeldung nicht stillschweigend hinnehmen. Ich durfte das um so weniger, als mir gerade aus den Kreisen der Kant-Gesellschaft mitgeteilt wird, daß sich bereits Gerchte um meinen Rcktritt spinnen. Von ihnen wird, wie es scheint, die Gegenseite ebenso betroffen, wie ich, ohne daß wir beide sie kontrollieren knnen. Darum stelle ich allen Gerchten die Wahrheit entgegen; und ich darf das um so offener, als ich den ganzen Konflikt nicht persnlich nehme. Ich sehe in ihm, sagte ich, nicht einen Konflikt von Personen, sondern von Ueberzeugungen und Prinzipien. Sie sind durch den Unterschied von Deutschtum und Judentum, so wie wenigstens jetzt die Dinge liegen, bezeichnet. Je klarer und deutlicher beide ihre vlkische Sonderart und Sonderbestimmung erfassen, umso gerechter werden sie gegen einander sein. Und wenn sie sich auseinandersetzen, so kann und soll das unter der Norm der Vornehmheit geschehen. Jedem hat die Wrde der Person des anderen unantastbar zu bleiben. Darum ist dem Deutschen das Wort “Jude” wahrhaft kein Schimpfwort. Mge darum auch der Jude den Deutschen, der sich der vlkischen Sonderart eben beider Volkstypen bewußt ist, nicht lnger mehr verdchtigen, daß er damit voll Haß und Feindseligkeit, wie in immer gleicher Wiederkehr die Redensart lautet, an die niedrigsten Instinkte appelliert. Er appelliert an das Hchste, an das er appellieren kann, an die Werte und Gter seiner Nation. Und er billigt dem Juden genau so das Recht zu, an seine nationalen Werte und Gter zu appellieren. Denn aller Wertgehalt des Lebens gedeiht nicht durch die Verwischung, sondern durch die Wahrung der Mannigfaltigkeit der Volkscharaktere und ihre Ergnzung. Jena, im Januar 1917. Bruno Bauch.
E I N ST R E I T I N D E R K A N T - G E S E L L S CHA F T
Wir lesen in der “Frankfurter Zeitung”: 574 E i n S t re i t i n d e r K a n t - G e s e l l s c h a f t . Vor einiger Zeit hat der Professor der Philosophie in Jena, Bauch, die Redaktion der von der Kant-Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift “Kant-Studien” niedergelegt. Der Grund liegt darin, daß sich j d i s c h e Mitglieder der KantGesellschaft durch schriftliche Aeußerungen Bauchs verletzt fhlten, woraus Auseinandersetzungen entstanden, in deren Verlauf er es fr das Richtige hielt zurckzutreten. Die Sache wre nicht von Belang, wenn nicht einige Bltter die Gelegenheit benutzt htten, die Sache in eine verkehrte Richtung zu rcken, die Bauch als Opfer eines Terrorismus erscheinen lßt. Das war um so leichter, als er selber eine Erklrung verffentlichte, die sich in dieser Richtung bewegt. Aber diese Opferkrone kommt ihm nicht zu, und so mag es sich nun doch empfehlen, zu dieser Legende etwas zu sagen. Man knnte in einem ganz anderen Sinn von einem Opfer sprechen, nmlich daß Bauch das Opfer seiner Philosophie oder einer sehr verbreiteten Auffassung der Philosophie, der eben auch er huldigt, geworden sei. Diese Auffassung besteht darin, daß Philosophie von allem mglichen, von Zeitumstnden, Rasse, Persnlichkeit usw., abhngig sei. Das kann sie allerdings sein; wenn jemand seinen Weltschmerzen in einem Buche Ausdruck gibt oder sonst irgendwie khn konstruiert, so wird das allerdings etwas Persnliches, vielleicht auch Rassiges oder sonst was sein. Aber es gibt auch Leute, die das gar nicht als Philosophie ansehen, sondern als “Philosophie”. Wissenschaftlich-exakte Geistesforschung hat es immer nur mit bestimmten Problemen und mit logischen Argumenten zu tun, die nicht das eine Mal wahr sein knnen, wenn sie ein Arier, und das andere Mal falsch, wenn sie ein Jude ausspricht. Steht man aber auf jenem zeitlich-rassig-persnlichen Standpunkt, dann kann es, wie es bei Bauch sicherlich der Fall war, in aller Harmlosigkeit geschehen, von “Grenzscheiden deutschen und jdischen Geistes”, da das Judentum “fremdvlkisch” sei, vom “deutschen Denker Kant” und vom “jdischen Denker Cohen”, von den “durch den Unterschied der Volkscharaktere scharf gezogenen Grenzen des Verstehens” usw. zu reden. Bauch beruft sich nun auch auf “Tatsachen”: er weist auf die Zionisten hin, um zu begrnden, daß er nur etwas Selbstverstndliches gesagt habe, als er in dieser Weise schrieb. Allerdings, die Zionisten hegen solche Ansichten von ihrer Seite aus, aber die anderen Juden verwerfen den Zionismus, und das ist genau so eine Tatsache wie die andere!
Ein Streit in der Kant-Gesellschaft
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Damit kommt man also nicht weit und jedenfalls nicht darber hinweg, daß es deutsche Juden krnkt, wenn man ihnen deutsches Denken abspricht. Das gilt sogar fr Zionisten, deren Psychologie zumeist viel komplizierter ist, als daß man sie mit dem Schlagwort “fremdvlkisch” abtun knnte. Bauch ist da in Fragen geraten, denen er offenbar nicht gewachsen ist, obgleich gerade er den entscheidenden Gesichtspunkt htte finden mssen. Es ist nur die Oberflche, wenn er seinen Rcktritt damit motiviert, daß er “ber der Redaktion eine Art jdischer Oberzensurbehrde nicht anerkennen konnte.” Dagegen wre nicht das geringste zu sagen, wenn es sich darum handelte. Aber die Tatsache, aus der der Streit hervorging, ist ein ganz natrlicher Mißmut jdischer Mitglieder der Kant-Gesellschaft ber die Methode, zwischen Menschen in geistigen Dingen nach Prinzipien der Schafzucht zu scheiden; wobei man es den Juden zugute halten darf, daß solche Scheidungen in der Regel Antisemitismus atmen. Wenn sich Bauch ber die Berechtigung jenes Mißmuts vergewissern wollte, mßte er den Geist des Mannes befragen, dessen Sache zu fhren er in den “Kant-Studien” berufen war. Aber das “berufen” und das “auserwhlt” decken sich bekanntlich nicht immer, und die geistige Grenzscheide, die Bauch errichtet und die Aergernis erregt hat, ist so unkantisch wie nur mglich. Wer das bestreitet, hat Kant nicht verstanden. So aber liegt in einer Situation, die Bauch nur den Rcktritt von “Kant-Studien” brig ließ, eine immanente Gerechtigkeit.
ANSPRACHE [DES VERTRETERS DER ST U D E N T E N S CHA F T, A D O L F BACH M A N N 57 5 , ] zur Reichsgrndungsfeier d er Hamburgischen Universitt A am 18 . Janu ar 193 0. 5 76 E[hren]w[erte] Magnifizenz, meine sehr geehrten Damen und Herren, Kommilitoninnen und Kommilitonen! Heute vor 59 Jahren feierte das deutsche Volk durch die Kaiserproklamation in Versailles die Auferstehung des neuen deutschen Reichs. Knig Wilhelm v[on] Preussen folgte “dem einmtigen Ruf der deutschen Frsten und Freien Stdte, mit Herstellung des deutschen Reiches die seit mehr denn 60 Jahren ruhende Kaiserwrde zu erneuern und zu bernehB men.”577 Was bedeutet dies Ereignis des 18. Januars fr uns, oder bedeutet es berhaupt noch etwas fr uns? ber dem Umsturz von 1918, der Deutschland zur Republik machte, ist das Geschehen von Versailles im Bewusstsein unseres Volkes mehr in den Hintergrund gerckt und in seiner Bedeutung zu Unrecht unterschtzt worden. Man muss sich vor Augen stellen, was es damals hiess, die durch den Krieg von 1866 zwischen Preussen und sterreich schwer entzweiten und immer mehr auseinanderfallenden deutschen Stmme zu einigen und mit ihnen die Feuerprobe des 70er Krieges 578 zu bestehen, auf dessen Hhepunkt sich die Grndung des Reiches vollzog. Bismarck hat sich an dies Werk gewagt und damit den unbedingten Zerfall Deutschlands verhindert. Zwar war es eine Gewaltkur am Krper des deutschen Gebildes, von dem jetzt ein Glied abgetrennt wurde und [das] so gezwungen war, selbstndiger Staat ausserhalb der engeren deutschen Gemeinschaft 579 zu werden. In den 47 Jahren des Kaiserreiches nahm das deutsche Volk einen glorreichen usseren Aufstieg. Ein unerwarteter Kriegsabschluss mit unerhrten Bedrngnissen setzte dieser Entwicklung ein jhes Ende. Das Werk vom 18. Januar 1871 war bedroht. Ein Teil von ihm, das Kaiserreich, sank zu Boden; der andere, das deutsche Reich, berdauerte die Tage von 1918 und erhielt mit der Verfassung von Weimar neue Besttigung und Bekrftigung. Darin liegt fr uns nach der Revolution die grosse Bedeutung der Reichsgrndung von 1871: sie ist und bleibt die Grundlage unseres heutigen Reiches.
AN SPRACHE . . . a m 18 . J a n u a r 19 3 0 . ] unterstrichen “dem ... bernehmen.”] Anfhrungs- und Abfhrungszeichen per Hand eingefgt A B
Ansprache Adolf Bachmanns
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Freilich, angesichts dieser Erkenntnis brennt die deutsch-sterreichische Wunde doppelt schmerzhaft am deutschen Volkskrper. Dieser heute als solcher erkannte staatspolitische Fehler schreit nach Berichtigung; schreit doppelt laut an dem Tage, da sich das deutsche Volk der Reichserneuerung von 1871 festlich erinnert. Das deutsche Volk hat den Willen, an seinem Reichsgebude diese letzte Ergnzung zu schaffen. Wege dazu sieht die Verfassung von Weimar vor, ebnen auch bestimmte Massnahmen deutscher Regierungen auf dem Gebiete der Wirtschaft und Rechtsprechung. Die Wege freilich sind uns schwer gemacht durch die Hemmungen unserer ehemaligen Kriegsgegner, die einst das Selbstbestimmungsrecht der Vlker proklamierten. Dennoch darf das deutsche Volk in allen seinen Teilen die Berichtigung dieses Fehlers nicht aus den Augen lassen: wollen wir als Reich und Volk bestehen in der Geschichte, so mssen wir allen Gewalten zum Trotz dafr kmpfen, daß die auf dem mitteleuropischen Wohnraum A lebenden Deutschen ihren staatlichen Zusammenschluss erhalten. Nur wenn wir diese Mahnung beherzigen, haben wir ein Recht, in ernster Feier der Reichsgrndung zu gedenken. Diesem Recht, rckschauend zu wrdigen, was die Vergangenheit uns geschenkt, steht die Pflicht gegenber, in der Gegenwart Brcken zu schlagen und damit vorzubereiten die Zukunft des neuen und[,] so Gott will[,] strkeren Reiches. Hier, B an dieser Stelle sei mir gestattet, hinzuweisen C auf die besondere Verpflichtung des Studenten und Akademikers berhaupt innerhalb des Reiches und seines Volkstums zu wirken. Der Akademiker tritt frei in die Gesellschaft, in sein Volk ein. Whrend der junge Arbeiter, der junge Angestellte, der junge Bauer in irgend einer Form schon sozial eingegliedert sind D und es meist fr das ganze Leben bleiben E, ist der junge Akademiker noch frei, er kann noch suchen und whlen! Das ist ein grosses Glck fr ihn, ein Glck, das tief verpflichtet. Wir Akademiker lernen lnger, reifen langsamer als die jungen Arbeiter; darum erwartet die Gesellschaft von uns hhere Leistung. Frhreif ist immer ein Unglck, Treibhauspflanzen sind lebensschwache Pflanzen; spte Reife bringt lange Wirkenskraft. Hochschuljahre sind Jahre des Werdens, nicht der Vollendung. Es ist ein verhngnisvoller Irrtum, hier “des Lebens schnste Feier” 580 zu suchen und danach F “ledernes Philistertum” G581 zu erwarten. Bodenraum, Boden gestrichen und durch Wohn ersetzt Hier,] Absatz nicht eingerckt C hinzuweisen] per Hand ber der Zeile hinzugefgt, schwer lesbar D sind] per Hand ber der Zeile statt gestrichenem: ist E bleiben] statt: bleibt F danach] ber der Zeile per Hand hinzugefgt G “ledernes Philistertum”] Anfhrungszeichen per Hand hinzugefgt A Wohnraum] B
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Beilagen II
Das hat nur der zu befrchten, der Krfte vergeudete, wo er Krfte sammeln sollte. Fr den rechten Akademiker kommt das grßte, schnste und fruchtbarste des Lebens A erst, wenn er die Lehrjahre hinter sich hat. Es versteht sich von selbst, daß irgend eine Fachprfung die akademischen Jahre abschliesst, daß aber Jahrzehnte ttiger Mitarbeit an Volk und Staat, sei es im politischen oder sozialen Dienst, folgen, mssen sich ebenso von selbst verstehen – wie anders liesse es sich sonst sittlich ertragen und rechtfertigen, daß die Gesamtheit schwere Opfer bringt fr das Hochschulstudium einer immerhin begrenzten Zahl. Mit einem besonderen Schatz Wissens und mit einer ihn bezeichnenden Bildung tritt der Akademiker in den Makrokosmos seines Volkes ein. Er stelle sich nicht ein nach dem Grundsatz “Wissen ist Macht” oder “Bildung macht frei”. 582 Es sind Worte, die mir im doppelten Sinne bedenklich erscheinen. Macht, zu der das Wissen ohne Zweifel fhren kann, ist doch immer nur ein Mittel fr Persnlichkeiten, nie letzter Sinn und hchstes Ziel persnlichen Lebens, und wenn die Hochschule dem Akademiker vielleicht irgend ein berlegenes Wissen gibt, so gibt sie uns damit nicht Macht fr unsere persnlichen Zwecke, sondern Mittel zu gesteigerter Pflichterfllung. Wissen ist Pflicht. Der Wissende hat als Lehrer oder Seelsorger, als Arzt oder Richter, als Anwalt oder Techniker oder Forscher unendlich mehr Pflichten als der Unwissende. Wissen ist Verantwortlichkeit, Verantwortlichkeit ber den eigenen Lebenskreis hinaus fr die ganze Gesellschaft, fr den ganzen Staat. Und Bildung macht frei? Es ist gewiss ein schner Gedanke des edelsten Liberalismus – aber welche Freiheit meinte er damit? Steht es dem Gebildeten frei, alle alten Bindungen und Formen, alle Bruche und Sitten in individualistischer Zgellosigkeit aufzulsen, die Moral dem “Volke”, die Religion dem “Unwissenden”, die Rechtsordnung dem “Beschrnkten” zu berlassen, “frei” als Herrenmensch “sich auszuleben” B bis zur Selbstzerstrung? Sollte Bildung nicht gerade im Gegenteil aufs tiefste und festeste binden, binden an das geschichtliche Erbe der Gesellschaft und des Staates, an die neuen Aufgaben, in denen der Gebildete sich selbst als Bildner zu bewhren hat? Nie darf der Akademiker versuchen, eine eigene Akademikerklasse zu bilden; aber auch der spterhin frei gewhlten Klasse darf er sich nie kritiklos verschreiben. ber ihr steht fr ihn die universitas der Gesellschaft, C und kmpft er auf dem politischen Felde, so wird er vor allem darum zu ringen haben, das Recht des Staates dem Wandel der Gesellschaft anzupassen. Mitwirken an nie rastender des Lebens] mit Bleistift ber der Zeile hinzugefgt “Unwissenden” ... “sich auszuleben”] Anfhrungszeichen per Hand hinzugefgt C Gesellschaft,] Komma per Hand gesetzt A B
Ansprache Adolf Bachmanns
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Verjngung von Staat A und Recht im niemals ruhenden Wandel des gesellschaftlichen und volklichen Lebens, B ist die Pflicht des Akademikers. Nur so erfllt er den von ihm gewhlten Lebenskreis, nur dann ist er berechtigt, seinen Anspruch auf eine Fhrerstelle in Volk und Staat zu stellen. In diesem tglichen Kampfe fr Recht und Ordnung, Freiheit und Gesittung wird er zum Bildner des Reiches, fr das frhere Generationen der universitas mit heisser Liebe fr dieses Reich im Herzen gekmpft haben.
A B
Staat] ber der Zeile per Hand statt gestrichenem: Volk Lebens,] Komma per Hand gesetzt
“ A K A D E M I S CH E ” RE I CHG R N D U NG S F E I E R ? VON H AN S BE YER 583
Traditionen sollten gerade in dieser Zeit erhalten werden. Gewiß hat die akademische Feier ihre eigene Form, das nur ihr eigene Pathos der Wissenschaft. Die diesjhrige Reichgrndungsfeier aber gibt zu schwersten Bedenken Anlaß, 584 zu Bedenken, die mit der Person des Vortragenden 585 nichts zu tun haben. Die Diskrepanz zwischen dem Sinn der Feier und ihrem Inhalt war zu groß, wenn auch die Worte des studentischen Vertreters 586 diesen Gegensatz etwas milderten. Es ist in der Tat unmglich, bei Reichgrndungsfeiern ber die Bedeutungen des Schlafes, der Gehrstrungen oder der isogonalen Trajektorien einer Kurvenschar zu sprechen. Alle Nichtfachleute werden bereit sein, diese Themen bei Rektoratsbergaben ehrfurchtsvoll, teilnehmend und etwas verwundernd staunend anzuhren. Fr eine Reichgrndungsfeier besteht nun nicht die Notwendigkeit, dieses historische Ereignis direkt zu behandeln. Auch das nationale Pathos ist als Ausdruck unangebracht, nicht aber als Hintergrund. Eine akademische Feier ist endlich auch keine Gedenkstunde der Jugendbewegung, keine Stunde des Aufrufs der nationalen Verpflichtung. Doch: unter bewußter Ablehnung eines leerlaufenden Relativismus sagen wir, daß dieses Ereignis ein zentrales Erlebnis jedes Deutschen, ein selbstverstndlicher Besitz unseres Bewußtseins ist. Erforderlich ist die Wahl eines Themas, das dieser zentralen Wichtigkeit gerecht wird, das eine Gemeinsamkeit des Feierns mglich macht. An die Reden der Herren Prof[essoren] Hashagen und Wolff 587 sei in dankbarem Gedenken erinnert. Fr Reichsgrndungs- und Verfassungsfeier ergibt sich ohne Zweifel eine bestimmte Form der Feier, die von der traditionell akademischen abweicht. – Es ist bekannt, daß eine bestimmte Studentengruppe 588 der Einladung zu diesem Festakt nicht gefolgt ist. Man weiß, daß ich ein grundstzlicher Gegner dieser Negativisten bin, 589 ich erklre aber, daß ich jene Haltung durchaus billige. Nur das Vertrauen zu der Person des der Finkenschaft 590 angehrenden Redners der Studentenschaft veranlaßte mich zu einer Teilnahme. Wir frchten, daß Ein Hoher Akademischer Senat bei der Beschlußfassung ber diesen Gegenstand die Wirkung in allen Kreisen der Studentenschaft nicht vorausgesehen hat. Daß es aber nicht in der Absicht der Universitt gelegen hat, diese Feier ”akademisch” zu behandeln, d. h. durch Klte zu tten, muß einigen Kommilitonen besonders gesagt werden.
[ B E R D I E E N T W I CKL U NG D E R S P RACH E U N D B E R G E H I R N - B E D I NGT E SP RACH ST R U NGE N ] [Festvortrag von Professor Dr. N o n n e , Reichsgrndungsfeier der Hamburgischen Universitt am 18. Januar 1930] 591 Wieder A eint uns heute, am 18. Januar, an dieser Stelle der Wille, uns zu erinnern daran, daß vor nunmehr 59 Jahren das deutsche Reich erstand, erstand aus einem machtvollen Ringen deutscher Stmme, einem Ringen, das geleitet war von zielbewußtem Wollen und zum Sieg gefhrt wurde durch berlegenes Knnen. Von den geborenen Hamburgern unter uns, die weißes Haar haben, erinnert sich wohl mancher des Jubels und des Stolzes, der die siegreichen Heere und hier in Hamburg unsere tapferen Hanseaten begrßte, als sie, mit frischem Eichenlaub geschmckt, von unseren Stadtvtern, an ihrer Spitze Brgermeister Kirchenpauer, empfangen wurden. In von der Sonne des Erfolges genhrter Tatkraft ging es mit unserem Vaterlande auf allen Gebieten voran; in immer steilerem Anstieg wurden Erfolge errungen. Welche Kraft Deutschland geschmiedet hatte, zeigte sich im Weltkriege, dem ungleichesten Kampf, den vielleicht je die Weltgeschichte gesehen hat. Eine schließliche Niederlage war uns beschieden, und wir erlebten mit Bitternis und blutenden Herzen all das Hßliche und Niederziehende, das sich ber ein besiegtes Volk ergießt: Erdrosselung von außen und Zwietracht innen. In dieser Zeit der Hrte und der Not brachte Hamburg die Großtat der Grndung seiner Universitt zustande. Wie Hamburg von allen deutschen Stdten wohl am meisten durch den Krieg gelitten hat, ist Hamburg seiner mit reckenhafter Lebenskraft und seinem reckenhaften Lebenswillen die Stadt, die am ehesten und erfolgreichsten wieder auf die internationale Weltbhne trat, um sich von neuem einen Platz an der Sonne zu sichern. Es ist eine uralte Erfahrung, daß materielle Krfte allein wirkungslos sind, wenn sie nicht gefhrt werden von einem klaren weitsichtigen Wollen und daß menschliche Kraft nur dann an Energie und Ausdauer ihren Hhepunkt erreicht, wenn sie von geistigen Ideen erfaßt und getragen wird. An den geistigen Ideen haben von je her die Universitten nicht nur teilgenommen, sondern in stiller Arbeit sind sie oft dort vorbereitet worden, und die erfaßten Ideen sind durch Wort und Schrift hinausgetragen worden und haben als Samenkrner den durchgeackerten Boden befruchtet. Sprache und Schrift sind von je her – und heute mehr als je – A Wieder]
nachfolgend in Bleistift ber der Zeile: Zur Akte. Z 20.I. 1930
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Beilagen II
das Instrument, durch das die Vlker zusammenkommen und auch auseinanderkommen. Die Sprache ist nach K a n t das Organ der Vernunft. Verstand, Erfahrungen und Vorstellungen kommen erst zu voller Klarheit, indem sie in Worte gefaßt werden. Man sagt, daß der Mensch erst durch die Lautsprache zum Menschen wird. Das ergibt sich schon aus der hchst auffallenden Tatsache, daß kein Lebewesen außer dem Menschen es zu einer Lautsprache gebracht hat A . Zeichen- und Gebrdesprache zeigen alle hheren Tiere; die Ameisen und Bienen haben eine Verstndigung besonderer Art. Es ist hchst auffallend, daß bei den hheren Tieren, bei denen das Sprachrohr, d. h. der Kehlkopf, die Zunge und die Muskulatur der Mundhhle, im wesentlichen dieselbe Organisation haben wie beim Menschen, bei denen auch die intellektuellen Leistungen, wie bei den anthropoiden Affen, infolge ihrer Gehirnentwicklung, dem Menschen nahe treten, k e i n e Zeichen einer entwicklungsfhigen Lautsprache vorhanden sind. Noch auffallender ist zunchst, daß unter den Vgeln, die im Bau und Intellekt dem Menschen so viel ferner stehen als die hheren Sugetiere, viele die Fhigkeit und Neigung besitzen zur Bildung von Sprachlauten, ja zum Schwatzen in Worten. Diese Loquazitt (von Loquax = schwatzhaft) kommt bei allen Vgeln zum Ausdruck im Gesang und im Gezwitscher. Die weitere Entwicklung war nicht mglich, weil das Gehirn der Vgel auf einer tiefen Entwicklungsstufe stehen blieb. Die Loquazitt ist auch beim Menschen die unmittelbare Vorstufe des sinnvollen Sprechens. Diesem Stadium folgt dann das Stadium erster Andeutung wirklicher sprachlicher ußerung im Nachsprechen vorgesagter Sprachlaute. Nach dem verstorbenen Straßburger Kliniker Naunyn 592 hngt die Loquazitt der Vgel, bei denen sie dauernd ist[,] und des Menschen, bei dem sie nur ein bergangsstadium darstellt, mit der Aufrechthaltung beim Gehen und Stehen zusammen. Nur bei den Vgeln und beim Menschen haben sich die oberen Extremitten differenziert: bei den Vgeln zu den Flgeln und beim Menschen zu Hand und Finger. Die aufrechte Haltung, die große Ansprche an den Gleichgewichtssinn stellt, ist aber eine Folge der hohen Ausbildung des Gleichgewichtsorganes, welches mit dem Gehrorgan enge anatomische und physiologische Beziehungen hat und ihm eng benachbart ist, mit ihm gewissermaßen zu einem Organ verschmolzen ist und mit ihm zusammen im knchernen Felsenbein eingeschlossen liegt. Das Gleichgewichtsorgan geht, wie die Phylogenese lehrt, in der Entwicklung dem Hrorgan voran. Erst mit der Ausbildung des aufrechten Ganges wurden beim Menschen die oberen Extremitten frei und unabhngig von den unteren Extremitten. Das A
hat] haben
[Nonne: Gehirnbedingte Sprachstrungen]
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wichtigste Werkzeug des Menschen konnte jetzt zu freier Entfaltung kommen, nmlich Hand und Finger. Da Bewegung und Gefhl der rechten Krperhlfte von der linken Gehirnhlfte dirigiert wird und da der Mensch primr rechtshndig ist, infolgedessen die rechte Krperhlfte strker in Anspruch genommen wird, entwickeln sich nach dem Gesetz, daß die Funktion das Organ und das Organ die Funktion schafft, die entsprechenden linksseitigen Hirnzentren strker. Mit der feineren Entwicklung dieser Zentren geht auch einher eine reichere und feinere Entwicklung der gegenseitige Beziehungen zu den Zentren von Gehr, Gesicht und Gefhl vermittelnden Bahnen (Assoziationsbahnen). Die vermehrte und verstrkte Funktion schuf die strkere und wertvollere anatomische Ausbildung, besonders des linken Hirns und damit die Mglichkeit zu noch hherer Funktion als nur derjenigen, die Bewegungen der Muskeln anzuregen und zu berwachen. Damit waren die Bedingungen zur Funktion des Sprechens gegeben. Kussmaul 593 hat durch eingehendes Studium ber das Seelenleben des Neugeborenen uns ber den Reichtum der Ausdrucksbewegungen dieser Geschpfe, die noch kein Bewußtsein haben, belehrt. Whrend diese Ausdrucksbewegungen nicht erlernt zu werden brauchen, sondern Reflexe sind, wie die Ttigkeit des Magens, des Darmes, so muß die Ausdrucksbewegung des Sprechens erlernt werden. Sie ist ein Produkt der bung. Aber der unbewußte Drang zum Sprechen ist dem Kinde angeboren. Das normale Kind will sprechen aus angeborenem Drang, ohne sich Rechenschaft zu geben warum und wie. Die erlernten Ausdrucksbewegungen der Sprache unterscheiden sich von den primitiven angeborenen Ausdrucksbewegungen durch die berlegte Absichtlichkeit, mittels derer der Sprechende in den Stand gesetzt wird, sie dem beabsichtigten Zwekke richtig geformt und richtig abgestuft anzupassen. Es ist A im Prinzip dasselbe, was wir beim Gehen und beim Greifen sehen: durch Lernen und ben wird aus dem ungeordneten Tasten und Wackeln das ruhige Greifen, der sichere Gang. Vortragender fhrt dann des nheren aus, wie das Kind bald nach der Geburt mit seinen zur Aufnahme fhigen Sinnesorganen und Nervenapparaten allmhlich lernt, das chaotische Gewirr der ußeren Sinnesreize zu ordnen und zu gruppieren, das mit der ußeren Welt Zusammengehrige mit der inneren Welt, die es sich aufbaut, zusammenzustimmen. Vortragender zeigt weiter, wie gleichzeitig mit der Ordnung und Gruppierung der Sinneseindrcke eine diese stets begleitende Reihe besonderer akustischer Eindrcke einhergeht, die mit denselben oder wenigstens A
ist] ist das
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Beilagen II
hnlichen Eindrcken zeitlich verbunden sind. Er zeigt, wie das zugehrige Wort allenthalben zum Sammelpunkt und Brennpunkt aller einzelnen, von ein und demselben Objekt ausgehenden Sinneseindrcke wird, wie alles, was das Kind allmhlich von den Eigenschaften und ußerungen des einzelnen Objektes kennenlernt, sich immer wieder mit demselben Klange verknpft, der als gesprochenes Wort stets in gleicher Weise an sein Ohr tnt, wie dann allmhlich aus den Anfngen einzelner zuerst verstandener und im Gedchtnis behaltener Worte sich der gesamte, immer reicher werdende Sprachschatz des Kindes bildet. Weiter zeigt der Vortragende, wie das Kind mit dem genau abgestuften Zusammenwirken der verschiednen Muskeln des “Sprachrohrs” die Laute mit Hilfe von Gefhl, Gesicht und Gehr zustandebringt, wobei eine besonders hervorragende Rolle das Gehr spielt, mittels dessen das Kind die eigenen Laute denen, die ihm von der Umgebung entgegengebracht werden, vergleicht. Ein taubgeborenes Kind wird trotz aller normal vorhandenen Sprachmuskeln sprachlos bzw. taubstumm bleiben. Das Mittel, beim Erwachsenen den Mechanismus der Sprechbildung zu studieren, liefert die Krankheit. 594 Wie der Betrieb einer in Unordnung geratenen Maschine gestrt wird, so ist es auch beim erkrankten Gehirn, wenn die verschiedenen Zentren fr die Sprechmuskeln, fr das Gehr und das Gefhl oder ihre gegenseitigen Verbindungen nicht oder falsch funktionieren. Kein geringerer als Goethe hat schon 1796 erkannt, daß bei rechtsseitigen Krperlhmungen, also linksseitiger Hirnerkrankung, hufig Sprachstrungen bestehen (Wilhelm Meisters Lehrjahre). 595 Erst 40 Jahre spter wurde solche Beziehung als gesetzmßig erkannt und wieder 30 Jahre spter fand der Franzose Broca 596 am Fuße der linken vorderen Zentralwindung A die Stelle, deren Erkrankung fr die sogen. motorische Aphasie verantwortlich zu machen ist. Aber die Stelle des eigentlichen Sprechzentrums hat der in Halle verstorbene Psychiater und Neurologe Wernicke 597 entdeckt, d. h. die Stelle, wo die Spracherinnerungsbilder aufbewahrt werden, um von sich aus die Anregung zur entsprechenden eigentlichen lautlichen Sprachbildung zu geben, und zwar befindet sich diese Stelle im hinteren oberen Teil der linken Schlfenwindung. Vortragender vergleicht den Zustand der in diesem Sinne aphatischen Menschen mit dem Zustand, in dem sich ein Reisender unter einem fremden Volke befindet, dessen Sprache er nicht versteht und nicht sprechen kann. Das Wortverstndnis leidet nicht so leicht, wie die Fhigkeit des spontanen Sprechens. Das wird uns verstndlich, wenn wir uns daran erinnern, daß das Kind die Bedeutung der Wrter kennen lernt schon ehe es A
Zentralwindung] Zentralwundung
[Nonne: Gehirnbedingte Sprachstrungen]
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diese selbst aussprechen kann, und wenn wir ferner daran denken, daß es uns weit leichter fllt, eine fremde Sprache zu verstehen, als sie zu sprechen. Vortragender spricht dann von der Wirkung assoziativer Hilfen, von der Wirkung der Affekte z. B. Zorn. Er bespricht die Erscheinung der sogen. Perseveration, d. h. des Haftens an einem Wort. Er zeigt dann, daß bei Erkrankung des linken Schlfenlappens auch andere akustische Erinnerungsdefekte zustande kommen knnen, wie bei Untersuchungen von vor ihren Erkrankungen musikalisch gewesenen Individuen ergeben haben. Wir sehen da Verlust der Erinnerung an bekannte Melodien, von Schwierigkeiten in der Auffassung und Reproduktion einfacher Tonfolgen u.s.w. N[onne] zeigt weiter das Verhltnis von Wort zu Ton im gesungenen Liede. Durch die Schrift erst wird die Sprache zu einem geistigen Band, das die ganze zivilisierte Menschheit umschließt. Der Mensch erfand die Schriftzeichen. Um schreiben zu knnen, mssen wir die innere Sprache beherrschen. Die innere Wortvorstellung lst die zum Sprechakt ntigen Bewegungen der Sprechmuskeln aus. Anders bei der Schrift: hier mssen die Wortvorstellungen sich erst verbinden mit den optischen Erinnerungsbildern der zur Gestaltung des geschriebenen Worts erfundenen Schriftzeichen. Diese optischen Erinnerungsbilder bertragen sich auf die Muskeln der rechten Hand und diese gestaltet durch zweckentsprechende Bewegungen die Schrift. Daraus ergibt sich, daß auch Strungen der Schrift zustande kommen knnen durch Nicht-Funktionieren oder Falsch-Funktionieren einer der genannten Zentren bezw. der sie leitenden zahlreichen Bahnen. Interessant und charakteristisch ist die Strung dann, wenn allein der Hinterhauptslappen [–] die Stelle der Deposition der optischen Erinnerungsbilder [–] nicht funktioniert, dann sehen wir den Kranken auf dem Standpunkt eines Kindes, das das Schreiben noch nicht gelernt hat oder auf dem Standpunkt des Analphabeten oder des vllig Ungebildeten, der das Schreiben berhaupt nicht gelernt hat. In der Fortsetzung seiner Ausfhrungen betont Vortragender, daß die wissenschaftliche Diskussion ber die Lokalisierung des Sprechens, Schreibens und Lesens noch weiter geht, daß die Lehre von eigentlichen Sprachzentren, Lesezentren und Schreibzentren in den letzten zwei Dezennien Angriffe erfahren hat, so daß die Forschung heute von neuem beginnen muß, den alten Besitz zu revidieren und die neuen Lehren kritisch zu prfen. Vortragender schließt: Meine Damen und Herren! Wie immer, so lehrt auch auf diesem Gebiet grßere Erfahrung, grßere Vorsicht und grßere Bescheidenheit. Wer mehr als 40 Jahre in einer Disziplin gelernt, gearbeitet und gelehrt hat, hatte Gelegenheit zu sehen, wie alles im Fluß ist, es
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Beilagen II
ist das alte [Æ ‰ ƒ] A des großen griechischen Philosophen Heraklit – ein ewiges Kommen und Gehen, ein Auftauchen und Versinken, ein Hosianna und ein Kreuzigt-ihn. Das ganze All ist in einer Wellenbewegung. Das in der Welle mitschwingende Atom ist wenig bereit und imstande, ber die Bewegung, von der es selbst getragen wird, etwas auszusagen, und je weiter wir den Standpunkt des Beschauers whlen, umsomehr schicksalsmßig erscheint uns das Erschaute und Vorgestellte. Was sehen wir, wenn wir unseren Standpunkt in die Unendlichkeit verlegen? Wir sehen einen Erdball, der eine unbestimmte Zeit von Jahren feuerflssig war, sich in einer wieder unbestimmten Zeitspanne soweit abkhlte, daß er Trger organischen Lebens werden konnte; nach Millionen von Jahren war die Entwicklung so weit vorgeschritten, daß Menschengehirne Trger geistigen Lebens werden konnten, und von jenen Uranfngen an bis heute sind wieder Millionen von Jahren vergangen. Vor uns, die wir diese Betrachtung anstellen, liegen neue, unmessbare Zeitrume, jenseits deren die Existenzmglichkeiten fr Menschengeschpfe ein Ende haben werden, und schließlich wird auch das organische Leben versiegen. Unsere Erde wird dann als ein toter Ball kreisen, falls er nicht durch eine Katastrophe zugrunde geht, und alles, was hier an geistigem Leben strebte, suchte und fand, ohne Wirkung nach außen, ohne Fortsetzung und weitere Entwicklung. Nehmen wir den Standpunkt unendlich viel nher – aber auch noch gemessen an unserem Leben sehr, sehr weit –, so sehen wir auch da Wellenbewegung, Wellenbewegung auch im Auf und Ab im Leben der Vlker, soweit dasselbe fr eine verschwindend kleine Strecke vom Lichte kmmerlichen Wissens fr uns beschienen wird. Jahrtausende sind in der Rckschau wie ein Augenblick, und da sehen wir, daß auch die Vlker verfliegen wie die Wolken. Ein Windstoß des Schicksals nimmt sie hinweg, wenn ihre Zeit gekommen ist. Wir aber, die wir beseelt im Leben stehen und Teil haben am menschlichen Geschehen, menschlichen Gefhl und Denken und die wir als solche Kmpfer sind, wollen die unendlich kurze Spanne unseres Nomaden-Daseins benutzen, um die Welle, die unser Volk wieder einmal zu berrollen droht, zurckzustauen. Schon sehen wir, daß die deutsche Wissenschaft auch ußerlich wieder anerkannt wird. Der Boykott gegen die deutschen Wissenschaftler steht nur noch auf dem Papier und auch da eigentlich nicht mehr. Deutsche Wissenschaftler sind wieder in allen Lndern geehrt und in Ehrenstellungen hingewhlt. Was die Alten wieder errungen haben fr ihre Nation, das soll unsere Jugend fortsetzen, eingedenk des Goethewortes: “Was Du ererbt von Deinen Vtern, erwirb A
Æ ‰ ƒ] im Ts. ausgelassen, Lcke
[Nonne: Gehirnbedingte Sprachstrungen]
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es, um es zu besitzen.” 598 Auf unserer akademischen Jugend beruht unsere Hoffnung. Als der 80jhrige Bismark von der deutschen akademischen Jugend umjubelt wurde, gab er seiner Hoffnung auf diese Jugend und damit auf die Zukunft seiner Schpfung ergreifenden Ausdruck. Die Hoffnung, liebe Kommilitonen, lassen Sie nicht zu Schanden werden. Helfen Sie, wenn Sie reife Mnner geworden sind, jeder nach seinen Gaben und jeder an seiner Stelle furchtlos, ehrlich und selbstlos am Wiederaufbau unseres geliebten Vaterlandes.
A N H A NG
ZU R T E X TGE STALTU NG
1. Zeichen, Siglen, Abkrzungen Sperrdruck Kursivdruck [] () ^& ] / //
Einfache Hervorhebung Cassirers; in Zitaten: Hervorgehobenes Herausgeberrede Eckige Klammer: Hinzufgungen der Hrsg. Runde Klammer: in Cassirers Manuskript Spitzklammer: eckige Klammer in Cassirers Manuskript Schließende eckige Klammer: Abgrenzung des Lemmas Zeilenbruch Zeilenbruch und Einrckung
Abkrzungen und Siglen: Abt. Anm. Aufl. Bd., Bde., Bdn. Bg., Bgn. Bl. c.f. Ders. ECN edit.-philolog. Anm. EP FF f., ff. Hauptst. Hrsg. hrsg. ibid. Kap. KrV Lib. MS Ms., Mss. o.J. p.
Abteilung Anmerkung Auflage Band, Bnde, Bnden Bogen, Bgen Blatt, Bltter conforme Derselbe Ernst Cassirer: Nachgelassene Manuskripte und Texte editorisch-philologische Anmerkung Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und der Wissenschaft der neueren Zeit Ernst Cassirer: Freiheit und Form folgende, fortfolgende Hauptstck Herausgeber herausgegeben ibidem Kapitel Kant: Kritik der reinen Vernunft Liber Ernst Cassirer: The Myth of the State Manuskript, Manuskripte ohne Jahresangabe pagine
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PA PsF S. Ts., Tss. vgl. Vol. WA Z. z. B. z.T.
Anhang
Ernst Cassirer: Die Philosophie der Aufklrung Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen Seite, Seiten Typoskript, Typoskripte vergleiche Volume Weimarer Ausgabe der Werke Goethes Zeile zum Beispiel zum Teil 2. Regeln der Textgestaltung
Die Texte sind in der Regel ohne Auslassungen vollstndig wiedergegeben. Den Text begleiten drei Anmerkungsarten: 1) Cassirers eigene Anmerkungen stehen als Fußnoten und sind, wie sonst in Cassirers Werken, auf jeder Seite jeweils neu nummeriert – im laufenden Text mit hochgestellten Indexziffern bezeichnet; 2) editorisch-philologische Anmerkungen zum Ms.-Befund stehen mit LemmaAngabe ebenfalls als Fußnoten im laufenden Text durch hochgestellte lateinische Großbuchstaben markiert; hier werden auch Streichungen mitgeteilt, die inhaltlich von Belang sein knnten; 3) Herausgeber-Anmerkungen sind durchnumeriert – im laufenden Text durch tiefgestellte Indexziffer bezeichnet – und im Anhang zusammengefaßt. Auf Markierung des Seiten- und Zeilenumbruchs der Originalmss. ist zugunsten der Lesbarkeit des Textes verzichtet worden. Leerzeilen werden ebenso mitgeteilt wie inhaltlich bedeutsame Zeilenumbrche. Die Ergnzungen von ausgesparten Wrtern sind – wie Eingriffe der Herausgeber (Einfgungen, nderungen) – durch eckige Klammern [ ] kenntlich gemacht bzw. werden in einer editorischen Anmerkung mitgeteilt. Cassirer zitiert in seinen Mss. mit einfachen und doppelten Anfhrungszeichen (‘’, “”), die manchmal schwer voneinander zu unterscheiden sind, sowie mit guillemets (>