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German Pages 194 [258] Year 1996
LUDWIG FEUERBACH
Entwürfe zu einer Neuen Philosophie Herausgegeben von
WAL TER JAESCHKE und WERNER SCHUFFENHA UER
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 447
Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod
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© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1996. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck papier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in www.meiner.de Germany.
INHALT
Vorbemerkung der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 1. Die >alte< und die ·neue< Philosophie . . . . . . . . . . . XI 2. Zu Leben und We1·k Ludwig Feuerbachs . . . . . . . XIII 3. Die Texte und ihre Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII 4. Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LVIII 5. Zur vorliegenden Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LX LUDWIG FEUERBACH Entwürfe zu einerNeuen Philosophie Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie
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Grundsätze der Philosophie der Zukunft . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §§ 1-67 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 27
Übergang von der Theologie zur Philosophie . . . . .
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Grundsätze der Philosophie. Notwendigkeit einer Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VORBEMERKUNG DER HERAUSGEBER
In der philosophischen Diskussion der Gegenwart ist Feuerbachs Werk bei weitem nicht so präsent, wie es seine philosophiegeschichtliche Stellung und sein gedanklicher Rang erforderten. Denn sein Werk markiert - wie kein anderes den Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts. Dieser Bruch trennt nicht allein eine frühere Gestalt der Philosophiegeschichte von einer folgenden, auch nicht allein die transzendentalphilosophischen oder metaphysischen Ansätze der klassischen deutschen Philosophie von der am Leitbegriff der »Erfahrung« und an den Einzelwissenschaften orientierten Philosophie der zweiten Jahrhunderthälfte. Er trennt ebensosehr den früheren Philosophiebegriff überhaupt, die bürgerlich-akademische Philosophie noch der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, von der »NichtPhilosophie« als der in Feuerbachs Sinne »wahren Philosophie« und von dem politisch revolutionären Denken, das nur zu bald aus den Universitäten- und in der weiteren Entwicklung auch aus den Ländern des damaligen >>Deutschen BundesVormärz« zwischen Reform und Restauration, zwischen Philosophie und Theologie, zwischen Kirche und Adel auf der einen Seite und den jungen bürgerlichen Kräften auf der anderen ausgetragen worden sind, hat Ludwig Feuerbach den Übergang von der Theologie zur Philosophie gefordert und die Notwendigkeit einer Veränderung aufgewiesen- einer Veränderung nicht allein der Philosophie, sondern der Denkform und der Lebensweise seiner Zeit. Die >>neue Philosophie« jedoch, mit der er die >>neuere«, nämlich die klassische deutsche Philosophie ablösen wollte, hat Feuerbach nicht so umfassend aus-
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Vorbemerkung der Herausgeber
geführt wie seine Kritik der Religion. Er hat sie lediglich in programmatischen Schriften skizziert: in den Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie und den Grundsätzen der Phi·
losophie der Zukunft.
Der vorliegende Band vereint die vier eben genannten Programmschriften unter dem Titel Entwürfe zu einer Neuen Philosophie. Mit ihnen geht Feuerbach hinaus über die kleineren Schriften, mit denen er sich in den späten 1830er Jahren- noch im Umfeld der SchuleHegels stehend- am Abwehrkampf gegen die Angriffe restaurativer Kreise auf die Freiheit des Denkens beteiligt. Ebenso geht er in diesen Schriften hinaus über seine großen philosophiegeschichtlichen Werke der 1830er Jahre, in denen er die Leistungsfähigkeit der neuzeitlichen Ansätze der Philosophie beurteilt und die Notwendigkeit ihrer Weiterbildung erkennt. Und schließlich geht er auch hinaus über die Religionskritik, mit der er 1841 - in seinem Wesen des Christentums - eine neue Epoche der Religionsphilosophie eröffnet hat. Die Erkenntnisse, die er auf den genannten drei Gebieten gewonnen hat, werden von ihm nunmehr zusammengefaßt und ausgebaut zu einer Grundlegung der Philosophie, über deren universellen Charakter die knappe, aphoristische Form leicht hinwegtäuschen kann. Auch Feuerbachs spätere Schriften basieren auf dieser Konzeption. Sie bilden jedoch nicht eine allgemeine Weiterentwicklung seines Ansatzes, sondern sie vertiefen einzelne Aspekte - sei es die Religionskritik, sei es das Verhältnis von Spiritualismus und Materialismus. Mit dieser Vertiefung und Verfestigung in jeweils einer Richtung geben sie jedoch die in den programmatischen Entwürfen zu einer Neuen Philosophie erreichte Universalität und Komplexität wieder preis. In diesen Entwürfen präsentiert sich deshalb nicht allein der Religionskritiker oder der Philosophiehistoriker, sondern der Philosoph Feuerbach wie in keiner anderen seiner Schriften. Der Plan zu der nun vorliegenden Ausgabe reicht zurück bis in die Mitte der 1980er Jahre. Damals war eine derartige (ost)deutsch-(west)deutsche Kooperation sowohl zwischen Herausgebern als auch zwischen Verlagen nicht an der Tagesord-
Vorbemerkung der Herausgeber
IX
nung. Die inzwischen tingetretenen politischen Veränderungen und die daraus erwachsenen neuen Konstellationen und Aufgaben haben die Verwirklichung dieses Planes eigentümlicher Weise eher verziigert als befördert. Erübrigt hat sich auch die ursprüngliche Absicht, den Band sowohl im Osten wie im Westen zu veröffentlichen. Er erscheint nun allein in der »Philosophischen Bibliothek>Philosophische Bibliothek« aufzunehmen, um auch auf diese Weise ihre Zugehörigkeit zum Kanon der Philosophie zum Ausdruck zu bringen. Berlin-Wannsee und Berlin-Rahnsdorf, im Januar 1996
EINLEITUNG DER HERAUSGEBER
1. Die >alte< und die meue< Philosophie Der Untertitel, den Ludwig Feuerbach für seine Schrift über Pierre Bayle gewählt hat, läßt sich mit ebenso gutem, ja wohl mit besserem Recht seinem eigenen Werk voranstellen: »Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit«. Vielleicht gehören sein wie auch Bayles Werk der Geschichte der Menschheit noch mehr an als derjenigen der Philosophie. Zumindest geht die Bedeutung seines Werkes weit über die akademisch betriebene Philosophie hinaus. Denn es vollzieht den Umschlag von der Metaphysik zur Anthropologie- und dies nicht allein im beschränkten Sinne der nahtlosen Ablösung einer philosophischen Leitdisziplin durch eine andere. Hegel betont in einer seiner frühen kritischen Schriften, es sei »im jetzigen Augenblicke zunächst Interesse der Philosophie«, »einmal wieder Gott absolut vornehin an die Spitze der Philosophie als den alleinigen Grund von allem, als das einzige principium essendi und cognoscendi zu stellen«; 1 Feuerbach hingegen verwirft die »gemeine« wie auch die philosophische Theologie, um an deren exponierten Ort den Menschen stellen zu können- oder vielleicht umfassender: zunächst nur den Menschen, dann den Menschen und die Natur als die beiden principia cognoscendi et essendi. »Mensch« und »Natur« werden nun die neuen Leitbegriffe, nicht allein für die Fortbildung der Philosophie, sondern für die Gestaltung aller Lebensverhältnisse: Sie werden das Maß aller Dinge. 2 Gegen diesen proGeorg Wilhelm Friedrich Hege!: »Wie der gemeine Menschenverstand die Philosophie nehme,- dargestellt an den Werken des Herrn Krug's.• In: Hege/: Gesammelte Werke. Bd 4, Harnburg 1968, 179. 2 Dies wird auch zum Ausdruck gebracht im Titel einer neueren Arbeit zu Feuerbach: ]. Christine Janowski: Der Mensch als Maß UntersuI
XII
Einleitung der Herausgeber
grammatischen »Humanismus>Vermittlung« durch den neuen Leitbegriff der >>UnmittelbarkeitNotwendigkeit einer Veränderung« des Alten, eines >>Übergangs von der Theologie zur Philosophie« aufzuzeigen und zugleich >>Thesen zur Reformation der Philosophie«, »Grundsätze der Philosophie der Zuk~nft« -also der >>ncuen Philosophie« -zu entwerfen. Dieser Ubergang ist hier, in der Einleitung, nicht zu interpretieren. Zum besseren Vcrständnis seines biographischen und werkgeschichtlichen Hintergrundes seien jedoch einige allgemeinere Bemerkungen angefügt.
2. Zu Leben und Werk Ludwig Feuerbachs (1) Wie Heinrich Heine oder Ludwig Börne, wie Karl Marx oder Friedrich Engels gehört Ludwig Feuerbach der GeneraA.a.O. 481. 5 Siehe hierzu insbesondere Andreas Arndt: »>Neue UnmittelbarkeitKunstperiode>Ihren versprochenen größeren Beitrag wünsche ich ba1d zu sehn.>Ihre gütige Zusendung hab' ich sogleich besorgt. Das Publikum interessiert sich jetzt gerade lebhaft, und ich freue mich, daß Sie selbst dies Interesse an den >Jahrbüchern< durch die beiden Zusendungen nähren.Ich freue mich auf den Lärm unter den offiziellen Philosophen, wenn sie Ihr Letztes lesen; es ist ihnen recht geschehen.>Meine , Thesen zur Reformation der gesamten Philosophie< werden noch nicht gedruckt sein. Übergeben Sie daher noch beiliegende These dem Setzer. Lassen Sie die Thesen so drucken, daß sie durch nichts unterbrochen werden, ein Ganzes für sich bilden, auf daß sie auch schon formell sich hervorheben. Sie werden einen Heidenspektakel anrichten und Nr 271, GW 18.129. - Ruge könnte sich hier jedoch auch auf eine von Feuerbach angekündigte Arbeit »Über die Bedeutung der Naturwissenschaft in philosophischer, ethischer und pädagogischer Beziehung• beziehen, die Feuerbach ill einem Schreiben an Christian Kapp erwähnt; siehe Nr 208, GW 18.8 bzw. Nr 211, GW 18.14. 65 Feuerbach erwähnt hier seine Konzentration auf »Arbeiten über eine Schrift«, die ihn von der ausführlichen Lektüre von Bruno Bauers Posaune des Jüngsten Gerichts abgehalten habe; siehe Nr 272, GW 18.130. 66 Nr 284, GW 18.153. 67 Nr 284, GW 18.154. 64
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Einleitung der Herausgeber
endlich den Finsterlingen ein Licht über mich anzünden.« 68 Im Briefwechsel mit Ruge nennt Feuerbach die Vorläufigen Thesen ausdrücklich erst am 13. Februar 1842, im Anschluß an weitere Bemerkungen über Bauers Posaune. 69 Seine Formulierungen lassen ein eigentümliches Schwanken erkennen: »Aber bei alledem - und bei aller Verehrung, die den Manen Hegels wir schulden und gerne schulden-, ein radikaler Bruch ist notwendig. Wenigstens muß er von einem ausgesprochen werden. Damit soll aber natürlich nicht das >peu peu< ausgeschlossen sein. Es handelt sich vor allem jetzt darum, etwas zu geben, wornach man dozieren kann. Das beste ist, sich an Hege! anzuschließen - sein Gang ist ein ganz richtiger -, aber ihn natürlich zu reformieren nach den neuen Prinzipien. Dann wird aus dem peu peu ein peu de temps. Wenn Sie übrigens für besser es halten, die >Thesen< noch nicht zu publizieren, ich habe nichts dagegen.« 70 Die Entscheidung über die Publikation wurde Ruge zunächst durch die Zensur abgenommen; am 24. Februar teilt er Feuerbach mit: >>Ihre Befürchtungen im vorletzten Briefe, daß Gewalt gegen die Philosophie gebraucht werden würde, sind eingetroffen. Die sächsische Zensur hat sich in eine königlich preußische verwandelt. Die Rezension von mir über Ihr Buch, Ihre >Thesen< und alle Sachen von B. Bauer sind ausgestrichen. Man hat die Tendenzzensur der Preußen adoptiert und alle Scham vor der Wissenschaft abgelegt, denn die Theologiens sagen ihnen, dies sei keine Wissenschaft, und nur Romantik und Christentum die richtigen, die guten, die tugendhaften Tendenzen. In Sachsen scheinen sie es nur auf das Journal abgesehen zu haben, dagegen Bücher noch nicht unter die Tendenzkontrolle nehmen zu wollen. Alles schreit aber Feuer über die Jahrbücher, namentlich weisen sie mit Fingern auf Ihre Artikel von diesem Jahr und kündigen mir an, dabei >gingen alle kirchli-
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Nr 286, GW 18.157. Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hege/ den Atheisten und Anti· christen, a.a.O. 70 Nr 287, GW 18.159. 68
69
Die Te:•.te und ihre Entstehung
XXXI
chen und sozialen Verhältnisse zugrunde>Eben habe ich, lieber Freund, Ihre Hiobspost bekommen. Es war vorauszusehen und unklug, solche Donnerschläge auf einmal loszulassen. Noch ist die Zeit nicht gekommen, in dem gesunkenen Deutschland neue Wahrheiten in Form von Zeitschriften durchzusetzen. Ich rate Ihnen selbst nicht, diese >Anekdota< zusammen zu drucken. Lieber einzeln oder erst später zusammen.[ ... ] Wenig~tens schicken Sie mir meine >ThesenThesen< vermehren und dann für sich drucken lassen - so imponieren sie um so mehr, ohne ihren Effekt zu verlieren. Ich sage Ihnen, es ist besser, daß es so gekommen. Nur wenn sich der Lärm etwas legt, kann meine Schrift in ihrer zweiten, weit imponierenderen Gestalt in die Welt kommen, widrigmfalls würde sie, wenn auch gedruckt, doch unterdrückt.« 72 Wenige Tage später, am 8. März, wiederholt Feuerbach seine Mahnung zur Bedachtsamkeit: »[ ... ] der Schritt, die durch die allerdings freche Gewalt der Zensur gestrichenen Artikel in der Schweiz drucken zu lassen, darf nicht ohne Bedenken und Rücksichtnahme auf seine Folgen getan werden, weil er einen öffentlichen Bruch ausdrückt. Aber ist dazu Zeit? Piano, piano; sonst kommen wir um alles, ohne nichts zu gewinnen. 0 jammervoll ist diese Zeit. Und das schönste, daß sie nicht weiß, wenigstens nicht wissen will, daß sie bis in den tiefsten Grund hinein morsch und verdorben ist. 71
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Nr 290, GW 18.163. Nr 291, GW 18.164.
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Einleitung der Herausgeber
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Doch nur keine Schläge auf einmal! >Peu peuThesen< anfangen werde.,/ 3 Am gleichen Tage drängt Arnold Ruge Feuerbach brieflich, die Vorläufigen Thesen nicht zurückzuziehen, und zwar mit einer doppelten Begründung: Einerseits setzt er seine Hoffnung noch immer - wie im Manifest >>Der Protestantismus und die Romantik« 74 - auf die protestantischen Kräfte Preußens; andererseits sieht er, daß ein Stillhalten weder zu verwirklichen noch politisch opportun wäre: >>Eine Verminderung des Lärms gibt es nicht. B. Bauer schon läßt es nicht dazu kommen. Es wird eine Fortsetzung der >Posaune< gedruckt. Sodann sind Sie jetzt an Straußens Stelle die Vogelscheuche der Christen,[ ... ].« Ruge legt es Feuerbach als >>eine moralische und politische Notwendigkeit« ans Herz, die Vorläufigen Thesen in den Anekdota zu veröffentlichen: »Nun ist gerade Ihre Arbeit, die >ThesenDeutschen ]ahrbüchern/ 6 werden erNr 292, GW 18.166. Theodor Echtermeyer und Arnold Ruge: »Der Protestantismus und die Romantik. Zur Verständigung über die Zeit und ihre Gegensätze. Ein Manifest.• In: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Halle 1839-1840; jetzt in Philosophie und Literatur im Vormärz, a.a.O., Quellen· band 192-325. 75 Nr 293, GW 18.167-170. 76 Arnold Ruge an Feuerbach, 28./29. März 1842, Nr 309, GW 18.193. 73
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Die Te>.te und ihre Entstehung
XXXIII
wogen und wieder verv orfen. Noch am 29. Juli 1842 rät Feuerbach zur Vorsicht: >>\X'ir hätten vorsichtiger, klüger sein sollen - nicht um unsrer, sondern um der Sache willen. List, Klugheit gehört auch zur Strategik. Aber nur muß man sie sich nicht aufnötigen lassen. Man muß dem Feind zuvorkommen. Darum wäre es auch besser, wenn Sie Ihre Rezension über mein Buch wie meine >Thesen< noch zurückhielten, vielleicht überhaupt die sämtlichen >AnekdotaDiesen Winter hoffe ich an die Aus- und Durchführung meiner >Thesen< zu kommen.Jahrbüchern< gestrichnen Artikel noch nicht im Druck erschienen? Wäre nicht der >Bote aus der Schweiz< der geeignetste Platz zu ihrer Aufnahme? Ich wünschte gerne meine >Thesen< bald gedruckt vor mir zu haben, um einen äußeren Anstoß zur Fortsetzung derselben zu bekommen.>Meine >Thesen< n Nr 312, GW 18.197f. 78 79
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Nr 317, GW 18.205. Nr 319, GW 18.207. Nr 324, GW 18.214. Nr 330, GW 18.220.
XXXIV
Einleitung der Herausgeber
sind in Gemeinschaft mit den andern gestrichenen Artikeln unter dem Namen >Anekdota< von Feuerbach, Ruge etc. endlich im Druck erschienen. Aber auch dies habe ich erst am Samstag brieflich erfahren. Ein so akosmisches Wesen bin ich.« 82 Am 10. März 1843 wendet er sich wiederum an Ruge: >>Meinen herzlichen Dank für die >Anekdota Thesen< gestrichen und mehr den Produzenten als den Kritiker respektiert haben.«8 3 (3) In der langen und ereignisreichen Zeit zwischen der Absendung der Vorläufigen Thesen an Ruge (Ende Januar/ Anfang Februar 1842) und der Publikation veranlaßt Feuerbach selber Änderungen am ursprünglichen Wortlaut der Vorläufigen The· sen - zunächst hinsichtlich der Erwähnung des »Atheismus«. Hierzu schreibt er am 2. März 1842 an Ruge: >>Das Wort >Atheismus< ist ganz unpraktisch. Nur der Schein, der Name regiert die Leute. Und wenn sie daher nur den Namen Atheismus hören, so fällt ihnen schon das Herz in die Hosen. Statt Atheismus ist es besser, das Wort Anthropotheismus, welches zugleich die Umkehrung des Theanthropismus ausdrückt, einzuführen.«84 Ruge antwortet hierauf am 8. März beschwichtigend: >>Ich habe die >Thesen< sorgfältig nochmals durchgelesen, das Wort >Atheismus< kommt 3 mal vor. Das erste Mal wird es in der Note erklärt und später mit Häkchen angeführt, überall wird dagegen protestiert. Aber daß man Sie so schimpft, vermeiden Sie durch nichts. Es ist zu größerer Deutlichkeit nur nötig zu sagen das 2te Mal: >Was die Theologen >Atheismus< nennenAtheismus>Anthropotheismus«86 auf Feuerbachs Änderungswunsch zurückgeht. -Ein zweites Mal tritt Feuerbach am 23. Mai 1842 mit einem Änderungswunsch an Ruge heran: »Leider! muß ich Sie noch einmal belästigen hinsichtlich meiner >ThesenDer Glaube an das Jenseits ist unpoetischer Glaube< etc. kann stehenbleiben, oder die ganze These kann auch wegfallen, da sie nichts Besonderes enthält. 87 Ein zweites Futurum kommt auf der letzten Seite vor: >Der neuen Philosophie >wird es< gelingen, [... ]Hege! ist die letzte rationelle Stütze des Christentums. Wie einst die katholischen Theologen, so müssen die protestantischen jetzt Hegelianer werden.< 89 Auch sie enthält ein negatives Futurum, und da meinen dann die Esel, es wäre künftigen Eseln, die doch sicherlich nicht ausbleiben und von neuem die Trinität in allen Teufelsgründen a priori demonstrieren werden, Tür und Tor versperrt. Aber dann muß auch in der vorhergehenden These der Satz wegfallen: >Wer die Hegeische Philosophie nicht aufgibt, gibt die Theologie nicht auf., 90 [... ] und die ganze These eine andere Stellung erhalten. 86 Siehe unten, 16,4-13. 87 Siehe unten, 8,15-19.
Siehe unten, 22,7-9. Siehe unten, 18,3-7. 90 Siehe unten, 17,29-30.
88 89
XXXVI
Einleitung der Herausgeber
Aber welche? Ich habe die Thesen nur im Kopfe. Entweder dahin, wo von der >geistlichen Genesis< der Naturgestalt die Rede ist, oder dahin wo die Hegelsche Philosophie und Theologie parallelisiert wird.>Ihre Wünsche in betreff der Änderungen will ich gewissenhaft ausführen. Nur sollten Sie den Titel >Thesen< ruhig stehnlassen. Er paßt am besten, und man denkt so gut an die Disputiertbesen der Magister als an Luther. Überhaupt ist in der Regel der erste Wurf der glücklichste, und ich will genau lesen und dann Ihre Bedenken in Betracht ziehen. Über das Wort Atheismus und Anthropotheismus hab' ich Ihnen schon geschrieben; doch will ich heute noch das ganze Manuskript mit Ihren Änderungen im Kopf durchgehn und nach Ihrer Vorschrift verfahren.«92 Doch entgegen seiner Ankündigung führt Ruge keine dieser Korrekturen aus - vermutlich hält er sie für eine Verwässerung des ursprünglichen Textes. Denn in zwei anderen Fällen entspricht Ruge Feuerbachs Korrekturwunsch. 93 In einer Randbemerkung zu seinem bereits genannten Schreiben vom 23. Mai fügt Feuerbach noch einen weiteren Änderungswunsch an: »Auch in dem Satze: >die neue Philosophie ist das Ende aller Schulphilosophie< ist richtiger, bestimmter der Ausdruck: die Negation der Schulphilosophie; >Ende< und >aller< sind sinnliche, mißverständliche Ausdrücke.>Sonntag oder Montag gehe ich nach Nürnberg, aber um schon tags darauf wieder hier an die Arbeit zurückzukehren. Ich arbeite nämlich das Thema meiner> Thesen< auS.>Nur von dieser Arbeit hängt es ab, ob ich etwas oder nichts bin. Nicht die Idee, nur die Durchführung macht den Mann.neueren Philosophie« und der >>neuen Philosophie« Feuerbachs geschrieben, den man auf das Ende des Jahres 1841, in die Zeit der Rezeption der Posaune Bruno Bauers 126 und der Entstehung der Vorläufigen Thesen datieren kann 127 und der seinen unmittelbaren Niederschlag in Feuerbachs Schrift »Zur Beurteilung des >Wesens des ChristentumsPosaune< hatte ich gestern, ehe ich Ihren Brief erhielt, gerade zu Ende gelesen. Sie hat mich sehr aufgeregt. Sie ist trefflich geschrieben.[... ] Übrigens ist die Schrift sehr verwegen[ ... ], aber sie geht zu weit, wenn sie alles auf Hege! zurückführt. Eine Philosophie, welche die Konsequenzen der frühem freimacht, ist eine neue, selbständige Philosophie; sonst komme ich am Ende bis auf Vater Adam hinaus, und alle Philosophen sind Adamiten. Hege! ist eine Amphibolie - daher sich auch die Gläubigen auf ihn stützen konnten. Hege! läßt im unklaren. Wenngleich im allgemeinen meine Schrift ein Resultat der Hegeischen Philosophie ist und mit ihr übereinstimmt, so ist sie doch gerade durch eine oft selbst indignierte Opposition gegen seine insbesondre Religionsphilosophie entstanden. Die Scheidung des Lichts von der Finsternis ist aber eine neue Schöpfung. [... ]1 [... ]Das von •seinen Schranken befreite PrinzipPosaune< ausgedrückt wird, ist eben nicht mehr das alte, ist ein neues Prinzip, wie dies die Geschichte beweist.« 127 128
Siehe oben, XX f. GW 9.229-242.
XLVIII
Einleitung der Herausgeber
ren - Randbemerkung enthalten ist, die die Keimzelle zu mehreren Formulierungen der Grundsätze bildet. 129 4. Grundsätze der Philosophie. Notwendigkeit einer Veränderung (1) Anders als das Fragment Übergang ist dieses Fragment 130 im folgenden abgekürzt als Notwendigkeit - bereits seit langem bekannt. Erstmals hat es Karl Grün, allerdings unvollständig, aus dem handschriftlichen Nachlaß Feuerbachs unter dem auch hier beibehaltenen Titel- mit dem Zusatz »1842/43«veröffentlicht. 131 Wirkungsgeschichtlich ist diese Fassung dadurch wichtig geworden, daß Carl Nicolai Starcke sich in seiner Darstellung Feuerbachs auf Passagen dieses Fragments bezieht, 132 und diese Passagen hebt Friedrich Engels in seiner
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31-34.
Vgl. insbesondere Übergang: 106,34-38 mit Grundsätze: 37,27-29,
Dieses Fragment gehört zum Feuerbach-Nachlaß der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität, München; es trägt die Signatur 40 Cod. ms. 935 d I 17 a 1 und besteht aus 4 grauen Doppelblättern in Quart, die von Feuerbach mit den Buchstaben A-D bezeichnet sind. Feuerbach hat die Blätter zunächst nur etwa halbspaltig beschrieben. Einige Randspalten sind freigelassen (B 1r; C 1v; C 2v), in den anderen hat Feuerbach- wie auch aus dem textkritischen Apparat ersichtlich- teils im Ductus der ursprünglichen Niederschrih den Text erweitert (120,6-23; 121,20-24; 122,21-22; 123,21-24; 126,15-127,2; 127,31-128,12; 129,16-17; 129,33-35; 131,19-20; 132,5; 132,12; 133,13-16; 134,4-135,27), teils hater-wie man an der veränderten Schrift erkennen kann - zu einem späteren Zeitpunkt einzelne Wörter und Bemerkungen nachgetragen (121,12-15, 121,30-34; 122,31-33; 123,30-32; 123,33-34; 125,4-9; 127,33-34). Oben in der Randspalte der Seite A 1r steht der von fremder Hand stammende Titel: •Grundsätze der Philosophie. Notwendigkeit einer Veränderung 1842/3«; darunter folgen von Feuerbachs Hand einige Stichworte (siehe unten, 119 Fußnote 1), aus denen bereits der enge Zusammenhang dieses Fragments mit den Grundsätzen der Philosophie der Zukunft deutlich wird. 131 Grün: Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel, a.a.O. Bd 1.406-412. 132 qarl] i'J[icolai] Starcke: Ludwig Feuerbach. Stuttgart 1885, 168. 130
Die Texce und ihre Entstehung
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einflußreichen Kritik an Feuerbach heraus. 133 - Eine zweite Auflage hat das Fragmem durch Friedrich Jodl erfahren, und zwar unter dem Titel ,,:\fotwendigkeit einer Reform der Philosophie«. Jodl hat jedoch nicht erneut am Manuskript gearbeitet, sondern - wie man durch einen Textvergleich feststellen kann - lediglich die Edition Karl Grüns vereinfachend nachgedruckt. Mit dem Wiederauffinden des Feuerbach-Nachlasses 1956 ist das Fragment wieder zugänglich und erneut - diesmal vollständig - von Carlo Ascheri herausgegeben worden.134 Die vorliegende Textfassung bietet zahlreiche Verbesserungen bei der - wiederum sehr schwierigen - Entzifferung des Textes. (2) Wie beim Fragment Übergang, so fehlen auch hier äußere Hinweise auf die Entstehungszeit des Fragments. Karl Grün hat ohne weitere Begründungen, jedoch vorsichtig formuliert: »Zwischen den >Thesen< und den >GrundsätzenGrundsätze der Philosophie< bezog>sogar wahrscheinlich, daß Feuerbach die Notwendigkeit einer Veränderung zwischen März und Anfang Mai 1842 als Einleitung zu einer separaten Buchausgabe der Thesen geschrieben hat.« 142 Er führt auch einen Beleg hierfür an: »In dem Brief vom 14.5.1842 an Frau Kapp findet sich ein Passus, der fast wörtlich mit einer Stelle aufS. II der Notwendigkeit übereinstimmt (•Die Menschheit hat keine Religion mehr, und, was das Schlimmste ist, sie gesteht sich dies nicht ein, sie bildet sich ein: sie habe noch Religion. Diese grundverderbliche Illusion vergiftet alle Verhältnisse>Deutschen Boten aus der Schweiz« geplant gewesen sei: >>In dem Fall könnte man als mögliches Datum für die Niederschrift der Arbeit das Ende des Jahres 1842 ansetzen, und man könnte Feuerbachs Bekenntnis zur Republik in dieser Schrift auf den Einfluß Herweghs und Ruges in der zweiten Hälfte und zu Ende des Jahres 1842 zurückführen.« Die Zuspitzung der politischen Lage habe Feuerbach vor die Entscheidung gestellt, sich entweder - wie Ruge und Marx - politisch zu engagieren oder sich gänzlich aus politischen Zusammenhängen zurückzuziehen. Feuerbach habe sich bekanntlich für das letztere entschieden und deshalb auch die Notwendig· keit nicht mehr veröffentlicht. 145 142
Ascheri: Feuerbachs Bruch mit der Spekulation, a.a.O. 137.
143 Vgl. GW 18.187. 144 145
Siehe unten, 120,31-121,1. Ascheri: Feuerbachs Bmch mit der Spekulation, a.a.O. 139.
LII
Einleitung der Herausgeber
Eigentümlich ist es, daß die starke politische Konnotation der Notwendigkeit als Stütze sowohl für Grüns, Bolin/Jodls und Ascheris Frühdatierung wie auch für Bolins ursprüngliche Spätdatierung auf das Revolutionsjahr 1848 in Anspruch genommen werden kann. Die Notwendigkeit unterscheidet sich von den Grundsätzen durch eine - in dieser massiven Form sonst nirgends bei Feuerbach hervortretende- politische Terminologie und Programmatik - bis hin zu dem Ausruf: »Die Politik muß unsere Religion werden«. Diese Forderung läßt sich gut im Rahmen der von Ruge initiierten Aktivitäten der Jahre 1841 und 1842 begreifen, deren Nachhall man auch in der vorletzten der Vorläufigen Thesen finden kann 146 - und nicht zufällig beruft sich Feuerbach in nachträglichen Notizen auf der Titelseite der Notwendigkeit auf sie. 147 Doch ebensogut läßt sich die Forderung, die Politik zur Religion zu machen, im Rahmen seiner Heidelberger Vorlesungen verstehen. Feuerbach hat damals vom 1. Dezember 1848 bis zum 2. März 1849, wöchentlich an drei Abenden, Vorlesungen über das Wesen der Religion gehalten - im Rathaussaal, da man ihm einen Hörsaal der Universität verweigert hat; auch hier ist das Thema ja, wie Bolin gesehen hat, im Ubergang von der 23. zur 24. Vorlesung präsent. Und auch in der ersten Vorlesung betont Feuerbach den Zusammenhang der Religion mit der Politik: Das politische Interesse verschlinge gegenwärtig alle anderen; die Religion hänge »mit der Politik aufs innigste zusammen«; und er erklärt: »wir haben, ebenso wie den philosophischen, den politischen Idealismus satt; wir wollen jetzt politische Materialisten sein.>Das Wesen der Religion>Dorthin passt das uns vorliegende Schriftstück keinenfalls.« 152 Doch aus inhaltlichen Erwägungen ist dies nicht so rundweg auszuschließen - zumal der Übergang von der zweiten zur dritten sich noch besser eignete. Diese inhaltlichen Erwägungen führen somit nur zu einem gesicherten Resultat: daß sich keine präzise Datierung auf sie begründen lasse. Eine größere Wahrscheinlichkeit spricht jedoch für eine Spätdatierung, da aus dem Revolutionsjahr mehr Analogien zu Formulierungen der Notwendigkeit vorliegen, insbesondere zu Feuerbachs »Republikanismus«. Editionsphilologische Erwägungen pingegen sprechen für eine frühe Niederschrift des Fragments. Die Beweisführung kann sich allein auf Feuerbachs Randnotizen stützen. Sie sind in drei Arten zu unterscheiden: 149
Ascheri: Feuerbachs Bruch mit der Spekulation, a.a.O. 135, erwägt Bo-
lins ursprüngliche Datierung nicht: »Wir brauchen uns mit dieser Vermutung nicht auseinanderzusetzen, denn Bolin selbst gab später zu, daß sie unbegründet sei, nachdem er die von Feuerbach weggelassene Vorlesung zu Gesicht bekam.•- Es ist nur fraglich, ob der Text, den Jod! als die »weggelassene Vorlesung• ausgibt und den Bolin als die elfte identifiziert (Lud· wig Feuerbach, a.a.O. 317), auch wirklich diese von Feuerbach erwähnte Vorlesung ist. ISO GW 6.19. !SI GW 10.3-79. 152 Bolin: Ueber Ludwig Feuerbach's Briefwechsel, a.a.O. 26.
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Einleitung der Herausgeber
Die erste Art bilden Notizen, die im Zuge der ursprünglichen Niederschrift verfaßt worden sind; ihr gehören die meisten Notizen an. Für die Datierung sind sie - mit einer noch zu erörternden Ausnahme - unerheblich. Die zweite Art bilden die - in sehr flüchtiger Schrift notierten - Randnotizen auf der Titelseite. 153 Hier bezieht Feuerbach sich sowohl auf seine >>Grundsätze der Philosophie der Zukunft 1843« als auf>>> Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie< 1842«. 154 Auch diese Notizen tragen zur Entscheidung der Datierungsfrage nichts bei. Sie können sowohl 1843 als auch 1848 oder zu beliebiger Zeit nachgetragen worden sein; sie bilden keine Stichworte für die Ausarbeitung der Grund· sätze - aber auch nicht der Notwendigkeit. - Bemerkenswert ist allerdings, daß Feuerbach in diesen Notizen von seinen Vor· läufigen Thesen als >>Thesen zur Reform« und nicht >>Zur Refor· mation der Philosophie« spricht. Er zitiert somit den Titel, unter dem die Vorläufigen Thesen im zweiten Band der Sämtlichen Werke in zweiter Auflage veröffentlicht sind. 155 Aber auch diese Zitation des Titels ist kein schlüssiger Beleg für eine Spätdatierung des Fragments, denn Feuerbach spricht bereits im Vorwort zu den Grundsätzen von »Thesen zur Reform der PhilosophieReligion>Notwendigkeit der Veränderung«- nicht um die Notwendigkeit eines »radikalen BruchsErlanger Vorlesungen«, bearbeitet von Carlo Ascheri ( t) und Erich Thies, Darmstadt: Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie, (1974), Einleitung in die Logik und Metaphysik, (1975), und Vorlesungen über Logik und Metaphysik, (1976). Unter den früheren Editionen der programmatischen Schriften Feuerbachs seien - in chronologischer Folge - genannt: Kleine philosophische Schriften (1842-1845). Hrsg. von Max Gustav Lange. Leipzig 1950. Die Impressum-Seite trägt den Vermerk: >>Auf Grund der Erstdrucke neu herausgegeben 1950. Einleitung Prof. M. G. Lange. Vorbemerkungen Prof. M. G. Lange und Dr. G. Lehmann. Anmerkungen und Register Dr. G. Lehmann. Mit einem Jugendbildnis Feuerbachs.« - Zur Kri-
.. .iteraturhinweise
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tik der Hegeischen Philos.!phie. Hrsg. von Wolfgang Harich. Berlin 1955. - Grundsätze der Philosophie der Zukunft. Kritische Ausgabe mit Einleitung und Anmerkungen von Gerhardt Schmidt. Frankfurt am Main 1967. -Philosophische Kritiken und Grundsätze (1839-1846). Hrsg. von Werner Schuffenhauer. Leipzig 1969, Wiesbaden 1980 und 1982.- Anthropologischer Materialismus. Ausgewählte Schriften. Hrsg. und eingeleitet von Alfred Schmidt. 2 Bde. Frankfurt am Main 1967.- Manifestes philosophiques. Textes choisis (1839·1845). Traduit par Louis Althusser. Paris 1960 (Epimethee, Essais philosophiques). Die neuere Feuerbachforschung ist bibliographisch erschlossen durch das Verzeichnis von Hans-Martin Saß: »LudwigFeuerbach-Literatur 1960-1973>Das Bewußtsein von Gott ist das Selbstbewußtsein Gottes«, beruht auf demselben Fundament als der paradoxe Satz Spinozas: »Die Ausdehnung oder Materie ist ein Attribut der Substanz>Die Materie ist Attribut der Substanz«, sagt nichts weiter aus als: Die Materie ist substantielle göttliche Wesenheit; ebenso der Satz Hegels 15 nichts weiter als: Das Bewußtsein ist göttliches Wesen.
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Die Methode der reformatorischen Kritik der spekulativen Philosophie überhaupt unterscheidet sich nicht von der bereits in der Religionsphilosophie angewandten. Wir dürfen nur immer das Prädikat zum Subjekt und so als Subjekt zum Objekt und 20 Prinzip machen - also die spekulative Philosophie nur umkehren, so haben wir die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit.
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Der >>Atheismus« ist der umgekehrte »Pantheismus«. I Der Pantheismus ist die Negation der Theologie auf dem Stand-
punkte der Theologie.
Wie nach Spinoza (>>Ethik«, P.l, Defin. 3 u. Propos. 10) das Attribut oder Prädikat der Substanz die Substanz selbst ist, so ist auch nach Hegel das Prädikat des Absoluten, des Subjekts überhaupt, das Subjekt selbst. Das Absolute ist nach Hegel Sein, W esen, Begriff (Geist, Selbstbewußtsein). Das Absolute aber, als Sein nur gedacht, ist gar nichts anderes als Sein; das Absolute, 3 begeistete] begeisterte
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inwiefern es unter dieser oder jener Bestimmtheit, Kategorie gedacht wird, geht ganz m diese Kategorie, diese Bestimmtheit auf, so daß es abgesehen davon ein bloßer Name ist. Aber dessenungeachtet liegt doch noch das Absolute als Subjekt zugrunde, 5 hat das wahre Subjekt, das, wodurch das Absolute nicht ein bloßer Name, sondern etwas ist, die Determination, doch noch immer die Bedeutung eines bloßen Prädikates, gerade wie bei Spinoza das Attribut. 10
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Das Absolute oder Unendliche der spekulativen Philosophie ist, psychologisch betrachtet, nichts anderes als das nicht Determinierte, Unbestimmte - die Abstraktion von allem Bestimmten, gesetzt als ein von dieser Abstraktion unterschiedenes, zugleich aber wieder mit derselben identifiziertes Wesen; historisch betrachtet aber nichts anderes als das alte theologisch-metaphysische nicht endliche, nicht menschliche, nicht materielle, nicht bestimmte, nicht beschaffene Wesen oder Unwesen- das vorweltliche Nichts, gesetzt als Akt.
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Die Hegelsche »Logik« ist die zur Vernunft und Gegenwart gebrachte, zur Logik gemachte Theologie. Wie das göttliche Wesen 20 der Theologie der ideale oder abstrakte Inbegriff aller Realitäten, d.i. aller Bestimmungen, aller Endlichkeiten ist, so die »Logik«. Alles, was auf Erden, findet sich wieder im Himmel der Theologie - so auch alles, was in der Natur, im Himmel der göttlichen Logik: Qualität, Quantität, Maß, Wesen, Chemismus, 25 Mechanismus, Organismus. Alles haben wir zweimal in der Theologie, das eine Mal in abstracto, das andre Mal in concreto - alles zweimal in der Hegeischen Philosophie, als Objekt der »Logik« und dann wieder als Objekt der Natur- und Geistesphilosophie.l
transzendente, außer den Menschen hinausgesetzte Wesen des Menschen; das Wesen der »Logik« Hegels das transzendente Denken, das Denken des Menschen, außer den Menschen gesetzt.
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Wie die Theologie den Menschen entzweit und entäußert, um dann das entäußerte Wesen wieder mit ihm zu identifizieren, so vervielfältigt und zersplittert Hegel das einfache, mit sich identische Wesen der Natur und des Menschen, um das gewaltsam Getrennte dann wieder gewaltsam zu vermitteln_ 5 Die Metaphysik oder Logik ist nur dann eine reelle, immanente Wissenschaft, wenn sie nicht vom sogenannten subjektiven Geiste abgetrennt wird. Die Metaphysik ist die esoterische Psychologie. Welche Willkür, welche Gewalttat, die Qualität für sich, die Empfindung für sich zu betrachten, beide in besondre Wissenschaften entzweizureißen, als wäre die Qualität etwas ohne Empfindung, die Empfindung etwas ohne Qualität. Der absolute Geist Hegels ist nichts andres als der abstrakte, von sich selbst abgesonderte, sogenannte endliche Geist, wie das unendliche Wesen der Theologie nichts andres ist als das abstrakte endliche Wesen.
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Der absolute Geist offenbart oder realisiert sich nach Hegel in der Kunst, in der Religion, in der Philosophie. Das heißt auf deutsch: Der Geist der Kunst, der Religion, der Philosophie ist der absolute Geist. Aber die Kunst kann man nicht von der 20 menschlichen Empfindung und Anschauung, die Religion nicht von dem Gemüt und der Phantasie, die Philosophie nicht vom Denken, kurz, den absoluten Geist nicht vom subjektiven Geiste oder Wesen I des Menschen absondern, ohne uns wieder auf den alten Standpunkt der Theologie zurückzuversetzen, oh- 25 ne uns den absoluten Geist als einen andern, vom menschlichen Wesen unterschiedenen Geist, d.h. ein außer uns existierendes Gespenst von uns selbst vorzuspiegeln. Der »absolute Geist« ist der »abgeschiedene Geist« der Theologie, welcher in der Hegeischen Philosophie noch als Gespenst umgeht.
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Die Theologie ist Gespensterglaube. Die gemeine Theologie hat aber ihre Gespenster in der sinnlichen Imagination, die speku· lative Theologie in der unsinnlichen Abstraktion. Abstrahieren heißt, das Wesen der Natur außer die Natur, das 5 Wesen des Menschen außer den Menschen, das Wesen des Denkens außer den Denkakt setzen. Die Hegeische Philosophie hat den Menschen sich selbst entfremdet, indem ihr ganzes System auf diesen Abstraktionsakten beruht. Sie identifiziert zwar wieder, was sie trennt, aber nur auf eine selbst wieder trennbare, 10 mittelbare Weise. Der Hegeischen Philosophie fehlt unmittel·
bare Einheit, unmittelbare Gewißheit, unmittelbare Wahrheit.
Die unmittelbare, sonnenklare, truglose Identifikation des durch die Abstraktion vom Menschen entäußerten Wesens des Menschen mit dem Menschen kann nicht auf positivem Wege, kann 15 nur als die Negation der Hegeischen Philosophie aus ihr abgeleitet, kann überhaupt nur begriffen, nur verstanden werden, wenn sie als die totale Negation der spekulativen Philosophie begriffen wird, ob sie gleich die Wahrheit derselben ist. Alles steckt zwar in der Hegeischen Philosophie, aber immer zugleich 20 mit seiner Negation, seinem Gegensatz. Der augenfällige Beweis, daß der absolute Geist der sogenannte endliche, subjektive Geist ist, also jener nicht von diesem abgesondert werden kann und darf - ist die Kunst. Die Kunst geht aus dem Gefühl hervor, daß das diesseitige Leben das wahre 25 Leben, das Endliche das Uniendliche ist - aus der Begeisterung für ein bestimmtes, wirkliches Wesen als das höchste, das göttliche Wesen. Der christliche Monotheismus hat kein Prinzip der künstlerischen und wissenschaftlichen Bildung in sich. Nur der Polytheismus, der sogenannte Götzendienst, ist die Quelle der 30 Kunst und Wissenschaft. Die Griechen erhoben sich nur dadurch zur Vollendung der plastischen Kunst, daß ihnen unbedingt und unbedenklich die menschliche Gestalt für die höchste Gestalt, für die Gestalt der Gottheit galt. Die Christen kamen erst da zur Poesie, als sie die c~ristliche Theologie praktisch negierten,
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das weibliche Wesen als göttliches Wesen verehrten. Die Christen waren im Widerspruch mit dem Wesen ihrer Religion, wie sie es vorstellten, wie es Gegenstand ihres Bewußtseins war, Künstler und Poeten. Petrarca bereute aus Religion die Gedichte, in denen er seine Laura vergöttert hatte. Warum haben die Chri- 5 sten nicht, wie die Heiden, ihren religiösen Vorstellungen adäquate Kunstwerke? Warum kein so vollkommen befriedigendes Christusbild? Weil die religiöse Kunst der Christen scheitert an dem verderblichen Widerspruch zwischen ihrem Bewußtsein und der Wahrheit. Das Wesen der christlichen Religion ist in 10 Wahrheit das menschliche, im Bewußtsein der Christen aber ein andres, ein nicht menschliches. Christus soll Mensch und wieder nicht Mensch sein; er ist eine Amphibolie. Die Kunst kann aber nur das Wahre, Unzweideutige darstellen.
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Das entschiedene, zu Fleisch und Blut gewordene Bewußtsein, 15 daß das Menschliche das Göttliche, das Endliche das Unendliche, ist die Quelle einer neuen Poesie und Kunst, die an Energie, Tiefe und Feuer alle bisherige übertreffen wird. Der Glaube an das Jenseits ist ein absolut unpoetischer Glaube. Der Schmerz ist die Quelle der Poesie. Nur wer den Verlust eines endlichen 20 Wesens als einen unendlichen Verlust empfindet, hat die Kraft zu lyrischem Feuer. Nur der schmerzliche Reiz der Erinnerung an das, was nicht mehr ist, ist der erste Künstler, der erste Idealist im Menschen. Aber der Glaube an das Jenseits macht jeden 25 Schmerz zum Scheine, zur Unwahrheit. I Die Philosophie, welche das Endliche aus dem Unendlichen, das Bestimmte aus dem Unbestimmten ableitet, bringt es nie zu einer wahren Position des Endlichen und Bestimmten. Das Endliche wird aus dem Unendlichen abgeleitet - das heißt: Das Unendliche, das Unbestimmte wird bestimmt, negiert; es wird eingestanden, daß das Unendliche ohne Bestimmung, d.h. ohne Endlichkeit, nichts ist, als die Realität des Unendlichen also das Endliche gesetzt. Aber das negative Unwesen des Absoluten bleibt zugrunde liegen; die gesetzte Endlichkeit wird daher immer wieder aufgehoben. Das Endliche ist die Negation des Un·
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endlichen und wieder das Unendliche die Negation des Endlichen. Die Philosophie des Absoluten ist ein Widerspruch.
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Wie in der Theologie der Mensch die Wahrheit, Realität Gottes ist - denn alle Prädikate, die Gott als Gott realisieren, Gott zu einem wirklichen Wesen machen, wie Macht, Weisheit, Güte, Liebe, selbst Unendlichkeit und Persönlichkeit, als welche den Unterschied vom Endlichen zur Bedingung haben, werden erst in und mit den Menschen gesetzt-, ebenso ist in der spekulativen Philosophie die Wahrheit des Unendlichen das
Endliche.
Die Wahrheit des Endlichen wird von der absoluten Philosophie nur auf indirekte, verkehrte Weise ausgesprochen. Wenn das Unendliche nur ist, nur Wahrheit und Wirklichkeit hat, wenn es bestimmt, d.h. wenn es nicht als Unendliches, sondern Endliches gesetzt wird, so ist ja in Wahrheit das Endliche das
Unendliche.
Die Aufgabe der wahren Philosophie ist nicht, das Unendliche als das Endliche, sondern das Endliche als das nicht Endliche, als das Unendliche zu erkennen, oder: nicht das Endliche in das Unendliche, sondern das Unendliche in das Endliche zu setzen. Der Anfang der Philosophie ist nicht Gott, oder des Absoluten nicht das Absolute, nicht das Sein als Prädikat I der Idee -der Anfang der Philosophie ist das Endliche2, das Bestimmte, das Wirkliche. Das Unendliche kann gar nicht gedacht wer-
Das Wort »endlich« brauche ich immer nur im Sinne der »absoluten« Philosophie, welcher vom Standpunkt des Absoluten das Reale, das Wirkliche als das Unwirkliche, Nichtige erscheint, weil ihr das Unwirkliche, das Unbestimmte für das Reale gilt, ob ihm gleich andrerseits wieder vom 30 Standpunkt der Nichtigkeit aus das Endliche, das Nichtige als das Reale erscheint - ein Widerspruch, der besonders in der früheren Schellingschen Philosophie hervortritt, aber auch der Hegeischen noch zugrunde liegt. 2
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den ohne das Endliche. Kannst du die Qualität denken, definieren, ohne an eine bestimmte Qualität zu denken? Also ist nicht das Unbestimmte, sondern das Bestimmte das erste, denn die bestimmte Qualität ist nichts andres als die wirkliche Qualität; der gedachten Qualität geht die wirkliche voraus. 5 Der subjektive Ursprung und Gang der Philosophie ist auch ihr objektiver Gang und Ursprung. Ehe du die Qualität denkst, fühlst du die Qualität. Dem Denken geht das Leiden voran. Das Unendliche ist das wahre Wesen des Endlichen - das wahre Endliche. Die Spekulation ist nichts als die wahre und uni- 10 versale Empirie. Einer der tiefsten und wahrsten Gedanken Hegels ist der von ihm in der »Geschichte der Philosophie«, aber nur zufällig, bei Gelegenheit des Aristoteles geäußerte: »Das Empirische in seiner Totalität ist das Spekulative.«
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Das Unendliche der Religion und Philosophie ist und war nie 15 etwas anderes als irgendein Endliches, irgendein Bestimmtes, aber mystifiziert, d.h. ein Endliches, ein Bestimmtes mit dem Postulat, nichts Endliches, nichts Bestimmtes zu sein. Die spekulative Philosophie hat sich desselben Fehlers schuldig gemacht als die Theologie - die I Bestimmungen der Wirklichkeit oder End- 20 lichkeit nur durch die Negation der Bestimmtheit, in welcher sie sind, was sie sind, zu Bestimmungen, Prädikaten des U nendlichen gemacht.
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Ehrlichkeit und Redlichkeit sind zu allen Dingen nütze - auch zur Philosophie. Ehrlich und redlich ist aber nur die Philoso- 25 phie, wenn sie die Endlichkeit ihrer spekulativen Unendlichkeit eingesteht - eingesteht also, daß z.B. das Geheimnis der Natur in Gott nichts anderes ist als das Geheimnis der menschlichen Natur, daß die Nacht, die sie in Gott setzt, um aus ihr das Licht des Bewußtseins zu erzeugen, nichts ist als ihr eignes 30 dunkles, instinktartiges Gefühl von der Realität und Unentbehrlichkeit der Materie.
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Der bisherige Gang der spekulativen Philosophie vom Abstrakten zum Konkreten, vom Idealen zum Realen ist ein verkehrter. Auf diesem Wege kommt man nie zur wahren, objektiven Realität, sondern immer nur zur Realisation seiner eignen AbStraktionen und ebendeswegen nie zur wahren Freiheit des Geistes; denn nur die Anschauung der Dinge und Wesen in ihrer objektiven Wirklichkeit macht den Menschen frei und ledig aller Vorurteile. Der Übergang vom Idealen zum Realen hat seinen Platz nur in der praktischen Philosophie. Die Philosophie ist die Erkenntnis dessen, was ist. Die Dinge und Wesen so zu denken, so zu erkennen, wie sie sind - dies ist das höchste Gesetz, die höchste Aufgabe der Philosophie.
Das, was ist, so, wie es ist - also das Wahre wahr ausgesprochen, scheint oberflächlich; das, was ist, so, wie es nicht ist - also 15 das Wahre unwahr, verkehrt ausgesprochen, scheint tiefzu sein.
Wahrhaftigkeit, Einfachheit, Bestimmtheit sind die formellen Kennzeichen der reellen Philosophie.
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Das Sein, mit dem die Philosophie beginnt, kann nicht vom Bewußtsein, das Bewußtsein nicht vom Sein abigetrennt wer20 den. Wie die Realität der Empfindung die Qualität und umgekehrt die Empfindung die Realität der Qualität ist, so ist auch das Sein die Realität des Bewußtseins, aber ebenso umgekehrt das Bewußtsein die Realität des Seins - das Bewußtsein erst das wirkliche Sein. Die reelle Einheit von Geist und Natur ist 25 nur das Bewußtsein.
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Alle die Bestimmungen, Formen, Kategorien, oder wie man es sonst nennen will, welche die spekulative Philosophie vom Absoluten abgestreift und in das Gebiet des Endlichen, Empirischen verstoßen hat, enthalten gerade das wahre Wesen des Endlichen, das wahre Unendliche, die wahren und letzten Mysterien der Philosophie.
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Raum und Zeit sind die Existenzformen alles Wesens. Nur die Existenz in Raum und Zeit ist Existenz. Die Negation von Raum und Zeit ist immer nur die Negation ihrer Schranken, nicht ihres Wesens. Eine zeitlose Empfindung, ein zeitloser Wille, ein
zeitloser Gedanke, ein zeitloses Wesen sind Undinge. Wer kei- 5 ne Zeit überhaupt, hat auch keine Zeit, keinen Drang zum W ollen, zum Denken.
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Die Negation von Raum und Zeit in der Metaphysik, im WesenderDinge hat die verderblichsten praktischen Folgen. Nur wer überall auf dem Standpunkte der Zeit und des Raums steht, 10 hat auch im Leben Takt und praktischen Verstand. Raum und Zeit sind die ersten Kriterien der Praxis. Ein Volk, welches aus seiner Metaphysik die Zeit ausschließt, die ewige, d.h. abstrakte, von der Zeit abgesonderte Existenz vergöttert, das schließt konsequent auch aus seiner Politik die Zeit aus, vergöttert das rechts- 15 und vernunftwidrige, antigeschichtliche Stabilitätsprinzip.
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Die spekulative Philosophie hat die von der Zeit abgesonderte Entwicklung zu einer Form, einem Attribut des Absoluten gemacht. Diese Absonderung der Entwicklung von der Zeit ist aber ein wahres Meisterstück spekulativer Willkür und der schla- 20 gende Beweis, daß die spekulativen Philosophen es ebenso gemacht haben mit ihrem Absoluten wie die Theologen mit ihrem Gotte, der alle Affekte des I Menschen hat ohne Affekt, liebt ohne Liebe, zürnt ohne Zorn. Entwicklung ohne Zeit ist soviel als Entwicklung ohne Entwicklung. Der Satz: Das absolute We- 25 sen entwickelt sich aus sich - ist übrigens nur umgekehrt ein wahrer, vernünftiger. Es muß also heißen: Nur ein sich entwickelndes, sich zeitlich entfaltendes Wesen ist ein wahres, ein wirkliches, ein absolutes Wesen. Raum und Zeit sind die Offenbarungsformen des wirklichen Unendlichen. Wo keine Grenze, keine Zeit, keine Not, da ist auch keine Quali· tät, keine Energie, kein spiritus, kein Feuer, keine Liebe. Nur das
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notleidende Wesen ist das notwendige Wesen. Bedürfnislose Existenz ist überflüssige Existenz. Was frei ist von Bedürfnissen überhaupt, hat auch kein Bedürfnis der Existenz. Ob es ist oder nicht ist, das ist eins - eins für es selbst, eins für andere. Ein Wesen ohne Not ist ein Wesen ohne Grund. Nur was leiden kann, verdient zu existieren. Nur das schmerzensreiche Wesen ist göttliches Wesen. Ein Wesen ohne Leiden ist ein Wesen ohne Wesen. Ein Wesen ohne Leiden ist aber nichts anderes als ein Wesen ohne Sinnlichkeit, ohne Materie.
Eine Philosophie, welche kein passives Prinzip in sich hat, eine Philosophie, welche spekuliert über Existenz ohne Zeit, über das Dasein ohne Dauer, über die Qualität ohne Empfindung, über das Wesen ohne Wesen, über das Leben ohne Leben, ohne Fleisch und Blut - eine solche Philosophie, wie die des Absoluten über15 haupt, hat, als eine durchaus einseitige, notwendig die Empirie zu ihrem Gegensatz. Spinoza hat die Materie wohl zu einem Attribut der Substanz gemacht, aber nicht als ein Prinzip des Leidens, sondern gerade deswegen, weil sie nicht leidet, weil sie einzig, unteilbar, unendlich ist, weil sie insofern die nämlichen 20 Bestimmungen hat als das ihr entgegengesetzte Attribut des Denkens, kurz, weil sie eine abstrakte Materie, eine Materie ohne Materie ist, gleichwie das Wesen der Hegeischen >>Logik« das Wesen der Natur und des Menschen ist, aber ohne Wesen, ohne Natur, ohne Mensch. I 10
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Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel nur zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen. Nur so wird die Philosophie zu einer universalen, gegensatzlosen, un· widerleglichen, unwiderstehlichen Macht. Die Philosophie hat daher nicht mit sich, sondern mit ihrer Antithese, mit der Nicht· philosophie, zu beginnen. 3 Dieses vorn Denken unterschiedene, Siehe hierüber, wie überhaupt über die Schellingsche und Hegeische Philosophie, meine in den» Hallischen Jahrbüchern« (Sept. 1839) erschie3
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unphilosophische, absolut antischolastische Wesen in uns ist das Prinzip des Sensualismus. Die wesentlichen Werkzeuge, Organe der Philosophie sind der Kopf, die Quelle der Aktivität, der Freiheit, der metaphysischen Unendlichkeit, des Idealismus, und das Herz, die Quelle der Lei- 5 den, der Endlichkeit, des Bedürfnisses, des Sensualismus - theoretisch ausgedrückt: Denken und Anschauung; denn das Denken ist das Bedürfnis des Kopfes, die Anschauung, der Sinn das Bedürfnis des Herzens. Das Denken ist das Prinzip der Schule, des Systems, die Anschauung das Prinzip des Lebens. In der Anschau- 10 ung werde ich bestimmt vom Gegenstande, im Denken bestimme ich den Gegenstand; im Denken bin ich Ich, in der Anschauung Nicht-Ich. Nur aus der Negation des Denkens, aus dem Bestimmtsein vom Gegenstande, aus der Passion, aus der Quelle aller Lust und Not erzeugt sich der wahre, objektive Gedan- 15 ke, die wahre, objektive Philosophie. Die Anschauung gibt nur das mit der Existenz unmittelbar identische, das Denken das durch die Unterscheidung, die Absonderung von der Existenz vermittelte Wesen. Nur da also, wo sich mit dem Wesen die Existenz, mit dem Denken die Anschauung, mit der Aktivität 20 die Passivität, mit dem scholastischen Phlegma der deutschen Metaphysik das antischolastische, sanguinische I Prinzip des französischen Sensualismus und Materialismus vereinigt, nur da ist Leben und Wahrheit.
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Wie die Philosophie, so der Philosoph, und umgekehrt: Die 25 Eigenschaften des Philosophen - die subjektiven Bedingungen und Elemente der Philosophie - sind auch ihre objektiven. Der wahre, der mit dem Leben, dem Menschen identische Philosoph muß gaUo-germanischen Geblüts sein. Erschreckt nicht, ihr keuschen Deutschen, über diese Vermischung! Schonanno 1716 ha- 30 ben di-esen Gedanken die »Acta Philosophorum« ausgesprochen:
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nene »Kritik der Hegeischen Philosophie«, die, wie das damals freilich nicht anders zu erwarten war, aufs leichtsinnigste überhudelt wurde.
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»Wenn wir die Teutschen und Franzosen gegeneinander halten, so haben zwar dieser ihre ingenia mehr Hurtigkeit, jene aber mehr Solidität, und könnte man füglieh sagen, das temperamentum Gallico-germanicum schicke sich am besten zur Philosos phie, oder ein Kind, welches einen Franzosen zum Vater und eine teutsche Mutter hat, müßte (caeteris paribus) ein gut ingenium philosophicum bekommen.« Ganz richtig, nur müssen wir die Mutter zur Französin, den Vater zum Deutschen machen. Das Herz, das weibliche Prinzip, der Sinn für das Endli10 ehe, der Sitz des Materialismus- istfranzösisch gesinnt; der Kopf -das männliche Prinzip, der Sitz des Idealismus- deutsch. Das Herz revolutioniert, der Kopf reformiert; der Kopf bringt die Dinge zu Stande, das Herz in Bewegung. Aber nur wo Bewegung, Wallung, Leidenschaft, Blut, Sinnlichkeit, da ist auch 15 Geist. Nur der esprit Leibniz', sein sanguinisches, materialistischidealistisches Prinzip war es, was zuerst die Deutschen aus ihrem philosophischen Pedantismus und Scholastizismus herausriß. Das Herz galt bisher in der Philosophie für die Brustwehr der 20 Theologie. Aber gerade das Herz ist das schlechterdings antitheologische, das im Sinn der Theologie ungläubige, atheistische Prinzip im Menschen. l)enn es glaubt an nichts anderes als an sich selbst, glaubt nur an die unumstößliche, I göttliche, absolute Realität seines Wesens. Aber der Kopf, welcher das Herz nicht 25 versteht, verwandelt, weil Trennen, Unterscheiden in Subjekt und Objekt seine Sache ist, das eigne Wesen des Herzens in ein vom Herzen unterschiedenes objektives, äußerliches Wesen. Allerdings ist dem Herzen ein anderes Wesen ein Bedürfnis, jedoch nur ein solches Wesen, welches seinesgleichen, nicht vom 30 Herzen unterschieden ist, nicht dem Herzen widerspricht. Die Theologie leugnet die Wahrheit des Herzens, die Wahrheit des religiösen Affikts. Der religiöse Affekt, das Herz sagt z.B.: »Gott leidet«; die Theologie dagegen sagt: Gott leidet nicht, d.h. das Herz leugnet den Unterschied Gottes vom Menschen, die Theo35 logie behauptet ihn.
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Der Theismus beruht auf dem Zwiespalt von Kopf und Herz; der Pantheismus ist die Aufhebung dieses Zwiespalts im Zwiespalt- denn er macht das göttliche Wesen nur als transzendentes immanent -, der Anthropotheismus ohne Zwiespalt. Der Anthropotheismus ist das zu Verstand gebrachte Herz; er spricht 5 im Kopf nur auf Verstandesweise aus, was das Herz in seiner Weise sagt; er setzt als absolutes Wesen das Wesen, welches das Herz als einen wesentlichen Teil seiner selbst erkennt. Die Religion ist nur Affekt, Gefühl, Herz, Liebe, d.h. die Negation, Auflösung Gottes im Menschen. Die neue Philosophie ist da- 10 her, als die Negation der Theologie, welche die Wahrheit des religiösen Affekts leugnet, die Position der Religion. Der Anthropotheismus ist die selbstbewußte Religion - die Religion, die sich selbst versteht. Die Theologie dagegen negiert die Religion unter dem Scheine, als wenn sie sie ponierte. 15
Schelling und Hege/ sind Gegensätze. Hegel repräsentiert das
männliche Prinzip der Selbständigkeit, der Selbsttätigkeit, kurz, das idealische Prinzip; SeheHing das weibliche Prinzip der Rezeptivität, der Empfänglichkeit - erst rezipierte er Fichte, dann Plato und Spinoza, endlich J. Böhme-, kurz, das materialistisehe Prinzip. H. I fehlt es an Anschauung, S. an Denk-, an Bestimmungskraft. S. ist Denker nur im allgemeinen, aber wie es zur Sache kommt, im Besondern, Bestimmten, verfällt er in den Somnambulismus der Imagination. Der Rationalismus bei S. ist nur Schein, der Irrationalismus Wahrheit. H. bringt es nur zu einer abstrakten, dem irrationalen Prinzip, S. nur zu einer dem rationellen Prinzip widersprechenden mystischen, imaginären Existenz und Realität. H. ergänzt den Mangel am Realismus durch derbsinnliche, S. durch schöne Worte. H. drückt das Ungemeine gemein, S. das Gemeine ungemein aus. H. macht die Dinge zu bloßen Gedanken, S. bloße Gedanken - z.B. die Aseität in Gott - zu Dingen. H. täuscht die denkenden Köpfe, S. die nicht denkenden. H. macht die Unvernunft zur Vernunft, S. umgekehrt die Vernunft zur Unvernunft. S. ist die Realphilosophie im Traume, H. schon im Begriffe. S. negiert das abstrakte Denken in der Phantasie, H. im abstrakten Denken. H.
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ist als die Selbstnegation des negativen Denkens, als die Vollendung der alten Philosophie der negative Anfang der neuen; S. ist die alte Philosophie mit der Einbildung der Illusion, die neue Realphilosophie zu sein.
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Die Hegeische Philosophie ist die Aufhebung des Widerspruchs von Denken und Sein, wie ihn insbesondere Kant ausgesprochen, aber, wohlgemerkt, nur die Aufhebung dieses Widerspruchs innerhalb des Widerspruchs - innerhalb des einen Elementes - innerhalb des Denkens. Der Gedanke ist bei H. das Sein - der Gedanke das Subjekt, das Sein das Prädikat. Die »Logik« ist das Denken im Elemente des Denkens oder der sich selbst denkende Gedanke - der Gedanke als prädikatloses Subjekt oder der Gedanke, der zugleich Subjekt, zugleich das Prädikat von sich ist. Das Denken aber im Elemente des Denkens ist noch abstraktes; es realisiert, es entäußert sich daher. Dieser realisierte, entäußerte Gedanke ist die Natur, überhaupt das Reale, das Sein. Was ist aber das wahre Reale in diesem Realen? Der Gedanke - welcher darum auch alsbald das Prädikat der Realität wieder von sich abstreift, um seine Prädikatlosigkeit als sein wahres Wesen herzulstellen. Aber ebendeswegen ist H. nicht zum Sein als Sein, zum freien, selbständigen, in sich selber glücklichen Sein gekommen. H. hat die Objekte nur gedacht als Prädikate des sich selbst denkenden Gedankens. Der nun eingestandene Widerspruch zwischen der seienden und gedachten Religion in der H.schen >>Religionsphilosophie« kommt nur daher, daß auch hier, wie anderwärts, der Gedanke zum Subjekt, der Gegenstand, die Religion, aber zu einem bloßen Prädikate des Gedankens gemacht wird.
Wer die Hegeische Philosophie nicht aufgibt, der gibt nicht die Theologie auf Die Hegeische Lehre, daß die Natur, die Realität von der Idee gesetzt - ist nur der rationelle Ausdruck
von der theologischen Lehre, daß die Natur von Gott, das materielle Wesen von einem immateriellen, d.i. abstrakten Wesen geschaffen ist. Am Ende der »Logik« bringt es die absolute Idee sogar zu einem nebulosen »Entschluß«, um eigenhän-
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dig ihre Abkunft aus dem theologischen Himmel zu dokumentieren.
Die Hegeische Philosophie ist der letzte Zufluchtsort, die letzte ra· tionelle Stütze der Theologie. Wie einst die katholischen Theologen de facto Aristoteliker wurden, um den Protestantismus, so müssen jetzt die protestantischen Theologen de jure Hegelianer werden, um den »Atheismus« bekämpfen zu können.
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Das wahre Verhältnis vom Denken zum Sein ist nur dieses: Das Sein ist Subjekt, das Denken Prädikat, aber ein solches Prädikat, welches das Wesen seines Subjekts enthält. Das Denken ist 10 aus dem Sein, aber das Sein nicht aus dem Denken. Sein ist aus sich und durch sich - Sein wird nur durch Sein gegeben - Sein hat seinen Grund in sich, weil nur Sein Sinn, Vernunft, Notwendigkeit, Wahrheit, kurz, alles in allem ist. -Sein ist, weil Nichtsein Nichtsein, d.h. nichts, Unsinn ist.
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Das Wesen des Seins als Seins ist das Wesen der Natur. Die zeitliche Genesis erstreckt sich nur auf die Gestalten, nicht auf das Wesen der Natur. I
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Das Sein wird nur da vom Denken abgeleitet, wo die wahre Einheit von Denken und Sein zerrissen ist, wo man erst dem 20 Sein seine Seele, sein Wesen durch die Abstraktion genommen und dann hintendrein wieder in dem vom Sein abgezogenen Wesen den Sinn und Grund dieses für sich selbst leeren Seins findet; gleichwie nur da die Welt aus Gott abgeleitet wird und werden muß, wo man das Wesen der Welt von der Welt will- 25 kürlieh absondert. Wer nach einem besandem Realprinzip der Philosophie spekuliert wie die sogenannten positiven Philosophen, »Ist wie ein Tier auf dürrer Heide Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, Und rings umher liegt schöne, grüne Weide«.
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Diese schöne, grüne Weide ist die Natur und der Mensch, denn beide gehören zusammen. Schaut die Natur an, schaut den Menschen an! Hier habt ihr die Mysterien der Philosophie vor euern Augen. 5 Die Natur ist das von der Existenz ununterschiedne, der Mensch
das von der Existenz sich unterscheidende Wesen. Das nicht unterscheidende Wesen ist der Grund des unterscheidenden - die Natur also der Grund des Menschen.
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Die neue, die allein positive Philosophie ist die Negation aller Schulphilosophie, ob sie gleich das Wahre derselben in sich enthält, ist die Negation der Philosophie als einer abstrakten, partikularen, d.h. scholastischen Qualität: Sie hat kein besonderes, kein abstraktes Prinzip - sie hat kein Schibboleth, keine besondere Sprache, keinen besondern Namen, kein besonderes Prinzip. Die neue Philosophie ist keine abstrakte Qualität mehr, keine besondere Fakultät - sie ist der denkende Mensch selbst - der Mensch, der ist und sich weiß als das selbst bewußte W esen der Natur, als das Wesen der Geschichte, als das Wesen der Staaten, als das Wesen der Religion - der Mensch, der ist und sich weiß I als die wirkliche (nicht imaginäre) absolute Identität aller Gegensätze und Widersprüche, aller aktiven und passiven, geistigen und sinnlichen, politischen und sozialen Qualitäten - weiß, daß das pantheistische Wesen, welches die spekulativen Philosophen oder vielmehr Theologen vom Menschen absonderten, als ein abstraktes Wesen vergegenständigten, nichts andres ist als sein eignes unbestimmtes, aber unendlicher Bestimmung fähiges Wesen. Die neue Philosophie ist die Negation ebensowohl des Ratio· nalismus als des Mystizismus, ebensowohl des Pantheismus als des Personalismus, ebensowohl des Atheismus als des Theismus; sie ist die Einheit aller dieser antithetischen Wahrheiten als eine absolut selbständige und lautere Wahrheit.
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Die neue Philosophie hat sich bereits als Religionsphilosophie ebenso negativ als positiv ausgesprochen. Man darf nur die Konklusionen ihrer Analyse zu Prämissen machen, um in ihnen die Prinzipien einer positiven Philosophie zu erkennen. Aber die neue Philosophie buhlt nicht um die Gunst des 5 Publikums. Ihrer selbst gewiß, verschmäht sie es, das zu scheinen, was sie ist, muß aber ebendeswegen unsrer Zeit, welcher in den wesentlichsten Interessen der Schein für Wesen, die Illusion für Realität, der Name für die Sache gilt, das sein, was sie nicht ist. So ergänzen sich die Gegensätze! Wo das 10 Nichts für etwas, die Lüge für Wahrheit gilt, da muß konsequenterweise das Etwas für nichts, die Wahrheit für Lüge gelten. Und wo man- komischerweise gerade in dem Moment, wo die Philosophie in einem entscheidenden, universalen Selbstenttäuschungsakt begriffen ist - den bisher unerhörten Versuch 15 macht, eine Philosophie lediglich auf die Gunst und Meinung des Zeitungspublikums zu gründen, da muß man auch ehrlicherund christlicherweise philosophische Werke nur dadurch zu widerlegen suchen, daß man sie in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« beim Publikum verleumdet. Oh, wie ehrbar, wie sittlich sind doch die öffentlichen Zustände Deutschlands! I
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Ein neues Prinzip tritt immer mit einem neuen Namen auf; d.h. es erhebt einen Namen aus einem niedrigen, zurückgesetzten Stande in den Fürstenstand - macht ihn zur Bezeichnung des Höchsten. Wenn man den Namen der neuen Philosophie, den Namen »Mensch«, mit »Selbstbewußtsein« übersetzt, so legt man die neue Philosophie im Sinne der alten aus, versetzt sie wieder auf den alten Standpunkt zurück, denn das Selbstbewußtsein der alten Philosophie, als abgetrennt vom Menschen, ist eine Abstraktion ohne Realität. Der Mensch ist das Selbstbewußtsem. Der Sprache nach ist der Name »Mensch« wohl ein besonderer, aber der Wahrheit nach der Name aller Namen. Dem Menschen gebührt das Prädikat 1toA.urovuj.loc;. Was der Mensch auch
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immer nennt und ausspricht - immer spricht er sein eigenes Wesen aus. Die Sprache ist daher das Kriterium, wie hoch oder wie niedrig der Grad der Bildung der Menschheit. Der Name Gottes ist nur der Name dessen, was dem Menschen für die höchste Kraft, das höchste Wesen, d.h. für das höchste Gefühl, den höchsten Gedanken gilt.
Der Name »Mensch« bedeutet insgemein nur den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Empfindungen, Gesinnungen- den Menschen als Person, im Unterschiede von seinem Geiste, 10 überhaupt seinen allgemeinen öffentlichen Qualitäten im Unterschiede z.B. vom Künstler, Denker, Schriftsteller, Richter, gleich als wäre es nicht eine charakteristische, wesentli· ehe Eigenschaft des Menschen, daß er Denker, daß er Künstler, daß er Richter usw. ist, gleich als wäre der Mensch in der Kunst, 15 in der Wissenschaft usw. außer sich. Die spekulative Philosophie hat diese Absonderung der wesentlichen Qualitäten des Menschen vom Menschen theoretisch fixiert und dadurch lauter abstrakte Qualitäten als selbständige Wesen vergöttert. So heißt es z.B. im Hegeischen »Naturrecht«,§ 190: »Im Rech20 te ist der Gegenstand die Person, im moralischen Standpunkt das Subjekt, in der Familie das Familienglied, in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt der Bürger (als bourgeois), hier auf dem Standpunkte der Bedürfnisse ist es das concretum der Vorstellung(?), das man Mensch I nennt, es ist also erst hier und 25 auch eigentlich nur hier vom Menschen in diesem Sinne die Rede.>Gott ist das unendliche Wesen, das Wesen ohne alle Einschränkungen.« Aber was keine Grenze oder Schranke Gottes, das ist 25
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auch keine Schranke der Vernunft. Wo z.B. Gott ein über die Schranken der Sinnlichkeit erhabenes Wesen ist, da ist es auch die Vernunft. Wer keine andere Existenz denken kann als eine sinnliche, wer also eine durch die Sinnlichkeit beschränkte Vernunft hat, der hat auch ebendeswegen einen durch die Sinnlichkeit beschränkten Gott. Die Vernunft, welche Gott als ein unbeschränktes Wesen denkt, die denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit. Was der Vernunft das göttliche, das ist ihr auch erst das vernünftige Wesen - das affirmative Wesen
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der Vernunft, d.h. das erst vollkommen die Vernunft ausdrückende und repräsentierende Wesen und ebendeswegen befriedigende Wesen. Das aber, worin sich ein Wesen befriedigt, ist nichts andres als sein gegenständliches Wesen. Wer sich in 5 einem Dichter befriedigt, ist selbst eine dichterische, wer in einem Philosophen, selbst eine philosophische Natur, und daß er es ist, das wird ihm und andern erst in dieser Befriedigung Gegenstand. Die Vernunft bleibt aber nicht bei den sinnlichen, endlichen Dingen stehen; sie befriedigt sich nur in dem unend10 liehen Wesen - also ist uns erst in diesem Wesen das Wesen der Vernunft aufgeschlossen. »Gott ist das notwendige Wesen.« Aber diese seine Notwendigkeit beruht darauf, daß er ein vernünftiges, intelligentes W esen ist. Die Welt, die Materie hat den Grund, warum sie ist und 15 so ist, wie sie ist, nicht in sich, denn es I ist ihr völlig einerlei, ob sie ist oder nicht ist, ob sie so oder anders ist. 1 Sie setzt daher notwendig als Ursache ein anderes Wesen voraus, d.h. ein verständiges, selbstbewußtes, nach Gründen und Zwecken wirkendes Wesen. Denn nimmt man von diesem andern Wesen 20 die Intelligenz weg, so entsteht von neuem die Frage nach dem Grund desselben. Die Notwendigkeit des ersten, höchsten Wesens beruht darum auf der Voraussetzung, daß der Verstand allein das erste und höchste, das notwendige und wahre Wesen ist. Wie überhaupt die metaphysischen oder ontotheologischen Be25 stimmungen erst Wahrheit und Realität haben, wenn sie auf psychologische oder vielmehr anthropologische Bestimmungen zurückgeführt werden, so hat also auch die Notwendigkeit des göttlichen Wesens in der alten Metaphysik oder Omatheologie erst Sinn und Verstand, Wahrheit und Realität in der psy30 chologischen oder anthropologischen Bestimmung Gottes als eines intelligenten Wesens. Das notwendige Wesen ist das notwendig zu denkende, schlechterdings zu bejahende, schlechter-
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Anm. Es versteht sich von selbst, daß ich hier, wie in allen Paragraphen, welche historische Gegenstände betreffen und entwickeln, nicht in 35 meinem Sinne, sondern im Sinne des jedesmaligen Gegenstandes, hier also im Sinne des Theismus, rede und argumentiere. I
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dings unleugbare oder unaufhebbare Wesen, aber nur als ein selbst denkendes Wesen. In dem notwendigen Wesen beweist und zeigt also die Vernunft nur ihre eigene Notwendigkeit und Realität. >>Gott ist das unbedingte, allgemeine- , Gott ist nicht dies und das>der vollkommene Weltweise«, wie er ausdrücklich von W olff genannt wird; d.h. Gott ist die Idee des vollendeten, des bis ins Spezielle durchgeführten, des absoluten Idealismus der spätern spekulativen Philosophie. Denn was ist der Verstand, was das Wesen Gottes überhaupt? Nichts andres als der Ver- 35 stand, als das Wesen des Menschen, abgesondert von den Bestimmungen, die zu einer bestimmten Zeit Schranken des
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Menschen sind, seien es rmn wirkliche oder vermeintliche. Wer keinen mit seinen Sinnen entzweiten Verstand hat, die Sinne nicht für Schranken hält, der stellt sich auch nicht einen Verstand ohne Sinne als den höchsten, den wahren Verstand vor. 5 Was ist aber die Idee einer Sache anders als ihr Wesen, gereinigt von den Beschränkungen und Verdunklungen, die sie in der Wirklichkeit, wo sie im Zusammenhange mit andern Dingen steht, erdrückt? So liegt die Schranke des menschlichen Verstandes nach Leibniz darin, daß er mit dem Materialismus, d.i. mit dunkeln Vorstellungen behaftet ist; aber diese dunkeln Vorstellungen entspringen selbst wieder nur daraus, daß das menschliche Wesen im Zusammenhange mit andern Wesen, mit der Welt überhaupt steht. Aber die Verbindung gehört nicht zum Wesen des Verstandes, sie steht vielmehr im Widerspruch mit 15 demselben, denn er ist an sich, d.i. in der Idee, ein immaterielles, d. i. für sich selbst seiendes, isoliertes Wesen. Und diese Idee, dieser also von allen materialistischen Vorstellungen gereinigte Verstand ist eben der göttliche Verstand. Was aber bei Leibniz nur Idee war, das wurde in der spätem Philosophie Wahrheit 20 und Wirklichikeit. Der absolute Idealismus ist nichts anderes als der realisierte göttliche Verstand des Leibnizschen Theismus, der systematisch durchgeführte reine Verstand, der alle Dinge ihrer Sinnlichkeit entkleidet, sie zu puren Verstandeswesen, zu Gedankendingen macht, der mit nichts Fremdartigem behaf25 tet, nur mit sich selbst als dem Wesen der Wesen beschäftigt ist.
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§11 Gott ist ein denkendes Wesen, aber die Gegenstände, die er denkt, in sich begreift, sind, wie sein Verstand, nicht unterschieden von seinem Wesen, so daß er, indem er die Dinge denkt, 30 nur sich selbst denkt, also in ununterbrochner Einheit mit sich selbst bleibt. Diese Einheit des Denkenden und Gedachten ist aber das Geheimnis des spekulativen Denkens. So sind z.B. in der Hegeischen Logik die Gegenstände des Denkens nicht untersc::1ieden vom Wesen des Denkens. Das
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Denken ist hier in ununterbrochner Einheit mit sich selbst; die Gegenstände desselben sind nur Bestimmungen des Denkens, sie gehen rein im Gedanken auf, haben nichts für sich, was außer dem Denken bliebe. Aber was das Wesen der Logik, ist auch das Wesen Gottes. Gott ist ein abstraktes Wesen; denn 5 alle Bestimmungen wirklicher Wesen sind als Beschränkungen von ihm ausgeschlossen; sie werden ihm wohl beigelegt, aber abstrahiert von der Bestimmtheit, die sie in der Wirklichkeit haben. Aber er ist zugleich das Wesen der Wesen, das alle W esen in sich faßt, und zwar in Einheit mit diesem seinen abstrak- 10 ten Wesen. Aber was sind die mit einem abstrakten, geistigen Wesen identischen Wesen? Selber abstrakte Wesen - Gedanken. Die Dinge, wie sie in Gott sind, sind nicht so, wie sie außer Gott sind; sie sind vielmehr ebenso unterschieden von den wirklichen Dingen als die Dinge, wie sie Gegenstand der Lo- 15 gik, von den Dingen, wie sie Gegenstand der wirklichen Anschauung sind. Worauf reduziert sich also der Unterschied I zwischen dem göttlichen und dem metaphysischen Denken? Nur auf einen Unterschied der Einbildung, auf den Unterschied zwischen dem nur vorgestellten und wirklichen Denken. 20 § 12 Der Unterschied zwischen dem Wissen oder dem Denken Got· tes, welches als Urbild den Dingen vorausgeht, sie schafft, und dem Wissen des Menschen, welches den Dingen nachfolgt als Abbild derselben, ist nichts anderes als der Unterschied zwischen dem apriorischen oder spekulativen und dem aposteriorischen oder empirischen Wissen. Der Theismus stellt sich Gott, obwohl als ein denkendes, doch zugleich als ein sinnliches Wesen vor. Er verbindet daher mit dem Denken und Willen Gottes unmittelbar sinnliche, mate· rielle Wirkungen - Wirkungen, die mit dem Wesen des Denkens und Willens in Widerspruch stehen, die nichts weiter als die Macht der Natur ausdrücken. Eine solche materielle Wirkung - folglich ein bloßer Ausdruck sinnlicher Macht - ist vor al-
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lern die Schöpfung oder Hervorbringung der wirklichen, materiellen Welt. Die spekulative Theologie dagegen verwandelt diesen dem Wesen des Denkens widersprechenden sinnlichen Akt in einen logischen oder theoretischen Akt, die materielle Hervorbringung des Gegenstandes in die spekulative Erzeugung aus dem Begriffe. Im Theismus ist die Welt ein zeitliches Produkt Gottes - die Welt existiert seit einigen Jahrtausenden, und ehe sie wurde, war Gott; in der spekulativen Theologie dagegen ist die Welt oder Natur nach Gott nur dem Range, der Bedeutung nach: Das Akzidenz setzt die Substanz, die Natur die Logik voraus, dem Begriffe, aber nicht dem sinnlichen Dasein, folglich nicht der Zeit nach. Der Theismus verlegt jedoch in Gott nicht nur das spekulative, sondern auch das sinnliche, empirische Wissen, und zwar in seiner höchsten Vollendung. Wie aber das vorweltliche, vorgegenständliche Wissen Gottes in dem apriorischen Wissen der spekulativen Philosophie, so hat auch das sinnliche Wissen Gottes erst in den empirischen Wissenschaflten der neueren Zeit seine Realisation, seine Wahrheit und Wirklichkeit gefunden. Das vollkommenste und also göttliche sinnliche Wissen ist nämlich nichts andres als das allersinnlichste Wissen, das Wissen der allergrößten Kleinigkeiten und unmerklichsten Einzelheiten >>Gott ist deswegen der Allwissende«, sagt der Hl. Thomas Aquino, »Weil er die allereinzelnsten Dinge weiß« -, das Wissen, welches die Haare am Haupte des Menschen nicht indiskret in einen Schopf zusammenfaßt, sondern sie zählt, alle, Haar für Haar kennt. Aber dieses göttliche Wissen, welches in der Theologie nur eine Vorstellung, eine Phantasie ist, wurde vernünftiges, wirkliches Wissen in dem teleskopischen und mikroskopischen Wissen der Naturwissenschaft. Sie hat die Sterne am Himmel gezählt, z.B. in dem einzigen Orion 2000 Sterne, die Eier in den Leibern der Fische und Schmetterlinge, die Tüpfelchen auf den Flügeln der Insekten, um sie voneinander zu unterscheiden; sie hat allein in der Raupe des Weidenspinners am Kopfe 228, am Körper 1647, am Magen und an den Gedärmen 2186 Muskeln anatomisch nachgewiesen. Was will man mehr verlangen? Hier haben wi~ daher ein sinnfälliges Beispiel von der
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Wahrheit, daß die Vorstellung des Menschen von Gott nichts andres ist als eine Vorstellung des menschlichen Individuums von seiner Gattung, daß Gott als der Inbegriff aller Realitäten oder Vollkommenheiten nichts andres ist als der zum Nutzen des beschränkten Individuums kompendiarisch zusammenge- 5 faßte Inbegriff der unter die Menschen verteilten, im Laufe der Weltgeschichte sich realisierenden Eigenschaften der Gattung. Das Gebiet der Naturwissenschaften ist seinem quantitativen Umfang nach für den einzelnen Menschen ein völlig unübersehbares, unermeßliches. Wer kann zugleich die Sterne am Hirn- 10 mel und die Muskeln und Nerven am Leibe der Raupe zählen? Lyonet verlor sein Gesicht über der Anatomie der Weidenraupe. Wer kann zugleich die Unterschiede der Höhen und Vertiefungen im Monde und zugleich die Unterschiede der zahllosen Ammoniten und Terebrateln beobachten? Aber was nicht 15 der einzelne Mensch weiß und kann, das wissen und können die I Menschen zusammen. So hat das göttliche Wissen, das alles einzelne zugleich weiß, seine Realität im Wissen der Gattung. Wie mit der göttlichen Allwissenheit ist es aber auch mit der göttlichen Allgegenwart, die sich gleichfalls im Menschen rea- 20 lisiert hat. Während der eine Mensch bemerkt, was auf dem Monde oder U ranus vorgeht, ist ein andrer auf der Venus oder in den Eingeweiden der Raupe oder sonst an einem Orte, wohin weiland unter der Herrschaft des allwissenden und allgegenwärtigen Gottes kein menschliches Auge gedrungen ist. Ja, 25 während der Mensch diesen Stern vom Standpunkte Europas aus beobachtet, beobachtet er zugleich denselben Stern vom Standpunkte Amerikas aus. Was einem Menschen allein absolut unmöglich, ist zweien möglich. Aber Gott ist ja an allen, allen Orten zugleich und weiß alles, alles ohne Unterschied zu- 30 gleich. Freilich; aber nur ist zu bemerken, daß diese Allwissenheit und Allgegenwart bloß in der Vorstellung, Einbildung existieren, und also nicht zu übersehen der schon mehrmals erwähnte wichtige Unterschied zwischen dem nur eingebildeten und dem wirklichen Ding. In der Einbildung kann man aller- 35 dings die 4059 Muskeln einer Raupe mit einem Blicke überschauen, in der Wirklichkeit aber, wo sie außereinander existieren,
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nur nacheinander. So kann auch das beschränkte Individuum in seiner Einbildung sich den Umfang des menschlichen Wissens als beschränkt vorstellen, während es doch, wenn es wirklich sich dieses Wissen aneignen wollte, nun und nimmermehr an ein Ende desselben kommen würde. Man stelle sich als Beispiel nur eine Wissenschaft, die Historie z.B., vor und löse im Gedanken die Weltgeschichte auf in die Geschichte der einzelnen Länder, diese in die Geschichte der einzelnen Provinzen, diese wieder in die Stadtchroniken, die Stadtchroniken in Familiengeschichten, in Biographien. Wie käme je ein einzelner Mensch an den Punkt, wo er ausrufen könnte: Hier bin ich am Ende des historischen Wissens der Menschheit! So erscheint uns auch in der Einbildung unsre Lebenszeit, sowohl die vergangene als die mögliche zukünftige, sollten wir auch diese noch so sehr verlängern, außerordentlich I kurz, und wir fühlen uns daher in den Momenten solcher Einbildung gedrungen, diese vor unserer Vorstellung verschwindende Kürze durch ein unübersehbares, endloses Leben nach dem Tode zu ergänzen; aber wie lange dauert in der Wirklichkeit auch nur ein Tag, auch nur eine Stunde! Woher dieser Unterschied? Daher: Die Zeit in der Vorstellung ist die leere Zeit, also nichts zwischen dem Anfangs- und Endpunkt unsrer Rechnung; aber die wirkliche Lebenszeit ist die erfüllte Zeit, wo Berge von Schwierigkeiten aller Art zwischen dem Jetzt und dem Dann in der Mitte liegen.
§ 13
Die absolute Voraussetzungslosigkeit - der Anfang der spekulativen Philosophie ist nichts andres als die Voraussetzungs- und Anfangslosigkeit, die Aseität des göttlichen Wesens. Die Theologie unterscheidet zwischen tätigen und ruhenden Eigenschaf30 ten Gottes. Die Philosophie aber verwandelt auch die ruhenden Eigenschaften in tätige - das ganze Wesen Gottes in Tätigkeit, aber menschliche Tätigkeit. Dies gilt auch von dem Prädikat dieses Paragraphen. Dif· Philosophie setzt nichts voraus - dies heißt nichts weiter als: Sie abstrahiert von allen unmittelbar,
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d.i. sinnlich gegebnen, vom Denken unterschiednen Objekten, kurz, von allem, wovon man abstrahieren kann, ohne aufzuhören zu denken, und macht diesen Akt der Abstraktion von aller Gegenständlichkeit zum Anfang von sich. Was ist aber das absolute Wesen anders als das Wesen, dem nichts vorausgesetzt, 5 dem kein Ding außer ihm gegeben und notwendig ist, das von allen Objekten, allen von ihm unterschiedenen und unterscheidbaren sinnlichen Dingen abgezogne Wesen, welches daher dem Menschen auch nur durch die Abstraktion von ehendiesen Dingen Gegenstand wird? Wovon Gott frei ist, davon mußt du dich 10 selbst frei machen, wenn du zu Gott kommen willst, und machst dich also wirklich frei, wenn du ihn dir vorstellst. Denkst du dir folglich Gott als ein Wesen ohne Voraussetzung irgendeines andern Wesens oder Objekts, so denkst du selbst ohne Voraussetzung eines äußerlichen Objektes; die Eigenschaft, 15 die du in Gott verlegst, ist eine Eigenschaft deines Denkens. Nur ist im I Menschen Tun, was in Gott Sein ist oder als solches vorgestellt wird. Was ist also das Ich Fichtes, welches sagt »Ich bin schlechthin, weil ich bin«, was das reine, voraussetzungslose Denken Hegels anders als das in das gegenwärtige, ak· 20 tive, denkende Wesen des Menschen verwandelte göttliche Wesen der alten Theologie und Metaphysik?
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§ 14 Die spekulative Philosophie ist, als die Verwirklichung Gottes, zugleich die Position, zugleich die Aufhebung oder Negation 25 Gottes, zugleich Theismus, zugleich Atheismus, denn Gott ist nur solange Gott - Gott im Sinne der Theologie -, als er als ein vom Wesen des Menschen und der Natur unterschiednes, selbständiges Wesen vorgestellt wird. Der Theismus, welcher als die Position Gottes zugleich die Negation Gottes ist oder, um- 30 gekehrt, als die Verneinung Gottes zugleich noch die Bejahung desselben, ist der Pantheismus. Der eigentliche oder theologische Theismus aber ist nichts andres als der imaginäre Pantheismus, dieser nichts andres als der reelle wahre Theismus.
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Was den Theismus vom Pantheismus scheidet, ist einzig die Einbildung, die Vorstellung Gottes als eines persönlichen Wesens. Alle Bestimmungen Gottes - und Gott wird notwendig bestimmt, sonst ist er Nichts, gar nicht Objekt einer Vorstellung- sind Bestimmungen der Wirklichkeit, entweder der Natur oder des Menschen, oder beiden gemeine, also pantheistische Bestimmungen; denn was Gott nicht unterscheidet vom Wesen der Natur oder des Menschen, ist Pantheismus. Gott ist also nur seiner Persönlichkeit oder Existenz nach, aber nicht seinen Bestimmungen oder [seinem] Wesen nach von der Welt -dem Inbegriff der Natur und Menschheit- unterschieden, d.h. er wird nun vorgestellt als ein anderes Wesen, er ist aber in Wahrheit kein andres Wesen. Der Theismus ist der Widerspruch zwischen Schein und Wesen, Vorstellung und Wahrheit, der Pantheismus die Einheit beider- der Pantheismus die nack· te I Wahrheit des Theismus. Alle Vorstellungen des Theismus, wenn sie ins Auge gefaßt, ernstlich genommen, wenn sie durchgeführt, realisiert werden, führen notwendig zum Pantheismus. Der Pantheismus ist der konsequente Theismus. Der Theismus denkt sich z.B. Gott als die Ursache, und zwar als eine lebendige, persönliche Ursache, als den Schöpfer der Welt; Gott hat die Welt durch seinen Willen hervorgebracht. Aber der Wille reicht nicht aus. Wo einmal Wille ist, da muß auch Verstand sein: Was man will, das ist nur Sache des Verstandes. Ohne Verstand kein Gegenstand. Die Dinge, die Gott hervorbrachte, waren daher vor ihrer Hervorbringung in Gott, als Objekte seines Verstandes, als Verstandeswesen. Der Verstand Gottes ist der Inbegriff aller Dinge und W esenheiten. Woher wären sie auch sonst entsprungen als aus dem Nichts? Und es ist gleichgültig, ob du dir dieses Nichts in deiner Einbildung selbständig vorstellst oder es in Gott verlegst. Aber Gott enthält oder ist alles nur auf ideale Weise, in der Weise der Vorstellung. Dieser ideale Pantheismus führt nun aber notwendig zum realen oder wirklichen; denn vom Verstande Gottes ist nicht weit bis zum W esen und vom Wesen nicht weit bis zur Wirklichkeit Gottes. Wie sollte sich der Verstand vom Wesen, das Wesen von der Wirklichkeit oder Existenz Gottes trennen lassen? Sind die Din-
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ge im Verstande Gottes, wie sollen sie außer seinem Wesen sein? Sind sie Folgen seines Verstandes, warum nicht Folgen seines Wesens? Und wenn in Gott sein Wesen unmittelbar mit seiner Wirklichkeit identisch ist, vom Begriffe Gottes die Existenz desselben sich nicht absondern läßt, wie sollte sich im Begriff Gottes von den Dingen der Begriff des Dinges und das wirkliche Ding trennen lassen, wie also in Gott der Unterschied stattfinden, welcher nur die Natur des I endlichen, ungöttlichen Verstandes konstituiert, der Unterschied zwischen dem Ding in der Vorstellung und dem Dinge außer der Vorstellung? Haben wir aber einmal keine Dinge mehr außer dem Verstande Gottes, so haben wir bald auch keine mehr außer dem Wesen und endlich auch keine mehr außer der Existenz Gottes - alle Dinge sind in Gott, und zwar in der Tat und Wahrheit, nicht in der Vorstellung nur; denn wo sie nur in der Vorstellung- sowohl Gottes als des Menschen -, also nur ideal oder vielmehr imaginär in Gott sind, da existieren sie zugleich außer der Vorstellung, außer Gott. Haben wir aber einmal keine Dinge, keine Welt mehr außer Gott, so haben wir auch keinen Gott mehr außer der Welt - kein nur ideales, vorgestelltes, sondern ein reales Wesen; so haben wir mit einem Worte den Spinozismus oder Pantheismus. Was aber von dem Verstande Gottes, das gilt noch weit mehr von andern Bestimmungen, wie z.B. von der Allgegenwart, von der Unendlichkeit- Bestimmungen, die erst im Pantheismus realisiert werden. Selbst die Bestimmung Gottes als der Ursache der Welt oder Materie ist im Theismus eine Vorstellung ohne Realität, eine bloße Phantasie. Der Theismus stellt sich Gott als ein pur immaterielles Wesen vor. Gott aber als immateriell bestimmen heißt nichts andres als die Materie als ein nichtiges Ding, als ein Unwesen bestimmen; denn Gott nur ist das Maß des Wirklichen, Gott nur Sein, Wahrheit, Wesen; nur was von und in Gott gilt, das ist: was von Gott verneint wird, ist nicht. Die Materie aus Gott ableiten heißt daher nichts andres als durch ihr Nichtsein ihr Sein begründen wollen; denn Ableitung ist Angabe eines Grundes, Begründung. Gott hat die Materie gemacht. Aber wie, warum, woraus? Darauf gibt der Theismus keine Antwort. Die Materie ist für ihn
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ein rein unerklärliches Dasein, d.h. sie ist die Grenze, das Ende der Theologie, an ihr sc:heitert sie, wie im Leben, so im Denken. Wie kann ich also aus der Theologie, ohne sie zu negieren, das Ende, die Negation der Theologie ableiten? Wie da, 5 wo ihr der Verstand ausgeht, einen Erklärungsgrund, eine Auskunft suchen? Wie aus der Verneinung der Materie oder Welt, welche das Wesen der Theologie ist, aus I dem Satze: Die Materie ist nicht, die Bejahung der Materie, den Satz: Sie ist, und zwar dem Gotte der Theologie zum Trotze, herausbringen? Wie 10 anders als durch bloße Fiktionen? Die materiellen Dinge können nur aus Gott abgeleitet werden, wenn Gott selb~t als ein materialistisches Wesen bestimmt wird. So nur wird Gott aus einer nur vorgestellten, eingebildeten Ursache zur wirklichen Ursache der Welt. Wer sich nicht schämt, Schuhe zu machen, der 15 schäme sich auch nicht, ein Schuster zu sein und zu heißen. Hans Sachs war wohl Schuster und Dichter zugleich. Aber seine Schuhe waren die Werke seiner Hände, seine Gedichte die Werke seines Kopfes. Wie die Wirkung, so die Ursache. Aber die Materie ist nicht Gott, sie ist vielmehr das Endliche, das Un20 göttliche, das Gott Verneinende - die unbedingten Verehrer und Anhänger der Materie sind Atheisten. Der Pantheismus verbindet daher mit dem Theismus den Atheismus - mit Gott die Negation Gottes: Gott ist ein materielles, in Spinozas Spraehe: ein ausgedehntes Wesen.
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Der Pantheismus ist der theologische Atheismus, der theologische Materialismus, die Negation der Theologie, aber selbst auf dem Standpunkte der Theologie; denn er macht die Materie, die Negation Gottes, zu einem Prädikat oder Attribut des göttlichen 30 Wesens. Wer aber die Materie zu einem Attribut Gottes macht, der erklärt die Materie für ein göttliches Wesen. Die Verwirklichung Gottes hat überhaupt zur Voraussetzung die Göttlichkeit, d.i. Wahrheit und Wesenhaftigkeit des Wirklichen. Die Vergötterung des Wirklichen, dt~s materiell Existierenden - der Materia-
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lismus, Empirismus, Realismus, Humanismus -, die Negation der Theologie ist aber das Wesen der neuern Zeit. Der Pantheismus ist daher nichts andres als das zum göttlichen Wesen, zu einem religionsphilosophischen Prinzip erhobene Wesen der
neuern Zeit.
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Der Empirismus oder Realismus, worunter hier überhaupt die sogenannten realen Wissenschaften, insbesondere I die Naturwissenschaften, verstanden werden, negiert die Theologie aber nicht theoretisch, sondern praktisch - durch die Tat, indem der Realist das, was die Negation Gottes oder wenigstens 10 nicht Gott ist, zur wesentlichen Angelegenheit seines Lebens, zum wesentlichen Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Wer aber Geist und Herz nur auf das Materielle, das Sinnliche konzentriert, der spricht dem Übersinnlichen tatsächlich seine Realität ab; denn nur das ist, für den Menschen wenigstens, wirklich, 15 was ein Objekt reeller, wirklicher Tätigkeit ist.» Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.« Die Rede, man könne vom Übersinnlichen nichts wissen, ist nur eine Ausrede. Man weiß nur dann nichts mehr von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen nichts mehr wissen mag. Wie vieles wußte man von 20 Gott, wie vieles von den Teufeln, wie vieles von den Engeln, solange noch diese Wesen Gegenstand eines wirklichen Glaubens waren! Wofür man sich interessiert, dazu hat man auch Fähigkeit. Die Mystiker und Scholastiker des Mittelalters hatten nur darum keine Fähigkeit und Geschicklichkeit zur Na- 25 turwissenschaft, weil sie kein Interesse für die Natur hatten. Wo der Sinn nicht fehlt, da fehlen auch nicht die Sinne, die Organe. Wofür das Herz offen, das ist auch dem Verstand kein Geheimnis. So verlor denn auch die Menschheit in neuerer Zeit nur deswegen die Organe für die übersinnliche Welt und ihre 30 Geheimnisse, weil sie mit dem Glauben an sie auch den Sinn für sie verlor, weil ihre wesentliche Tendenz eine antichristliche, antitheologische, d.h. eine anthropologische, realistische, materialistische Tendenz war. Spinoza traf daher mit seinem paradoxen Satz: Gott ist ein ausgedehntes, d.i. materielles W e- 35 sen, den Nagel auf den Kopf. Er fand den, für seine Zeit wenigstens, wahren philosophischen Ausdruck für die materia-
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Iistische Tendenz der neuern Zeit; er legitimierte, sanktionierte sie. I Gott selbst ist Materialist. Spinozas Philosophie war Religion, er selbst ein Cnarakter. Nicht stand bei ihm, wie bei unzähligen andern, der Materialismus im Widerspruch mit der 5 Vorstellung eines immateriellen, antimaterialistischen Gottes, der konsequent auch nur antimaterialistische, himmlische Tendenzen und Beschäftigungen dem Menschen zur Pflicht macht; denn Gott ist nichts andres als das Ur- und Vorbild· des Menschen: Wie und was Gott ist, so und das soll, so und das will 10 der Mensch sein oder hoift er wenigstens, einst zu werden. Aber nur, wo die Theorie nicht die Praxis, die Praxis nicht die Theorie verleugnet, ist Charakter, Wahrheit und Religion. Spinoza ist der Moses der modernen Freigeister und Materialisten.
§ 16 15 Der Pantheismus ist die
Negation der theoretischen, der Empiris· mus die Negation der praktischen Theologie - der Pantheismus negiert das Prinzip, der Empirismus die Konsequenzen der Theo-
logie. Der Pantheismus macht Gott zu einem gegenwärtigen, wirk20 liehen, materiellen Wesen, der Empirismus, wozu auch der Rationalismus gehört, zu einem abwesenden, fernen, unwirklichen, negativen Wesen. Der Empirismus spricht Gott nicht die Existenz ab, aber alle positiven Bestimmungen, weil ihr Inhalt nur ein endlicher, empirischer, das Unendliche daher kein Gegen25 stand für den Menschen sei. Je mehr Bestimmungen ich aber einem Wesen abspreche, desto mehr setze ich es außer Zusammenhang mit mir, desto weniger räume ich ihm Macht und Einfluß auf mich ein, desto freier mache ich mich von ihm. Je mehr Qualitäten ich habe, desto mehr bin ich auch für andere, desto 30 größer ist auch der Umfang meiner Wirkungen, meines Einflusses. Und je mehr einer ist, desto mehr weiß man auch von ihm. Jede Negation einer Eigenschaft Gottes ist daher ein partialer Atheismus, eine Sphäre der Gottlosigkeit. Soweit ich die Eigenschaft wegnehme, soweit nehme ich Gott das Sein weg.
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Ist z.B. Teilnahme, Barmherzigkeit keine Eigenschaft Gottes, so bin ich in meinen Leiden allein für mich - Gott ist nicht da als mein Tröster. Ist Gott die I Negation alles Endlichen, so ist konsequent auch das Endliche die Negation Gottes. Nur wenn Gott an mich denkt - so schließt der Religiöse -, habe 5 ich auch Grund und Ursache, an ihn zu denken; nur in seinem Für-mich-Sein liegt der Grund meines Für-ihn-Seins. Dem Empirismus ist daher in Wahrheit das theologische Wesen nichts mehr, d.h. nichts Wirkliches, aber er verlegt dieses Nichtsein nicht in den Gegenstand, sondern nur in sich, in sein Wissen. 10 Er spricht Gott nicht das Sein ab, d.h. das tote, gleichgültige Sein, aber er spricht ihm das Sein ab, das sich als Sein beweist, das wirksame, fühlbare, ins Leben eingreifende Sein. Er bejaht Gott, aber negiert alle Konsequenzen, die mit dieser Bejahung notwendig verbunden sind. Er verwirft die Theologie, gibt sie 15 auf, aber nicht aus theoretischen Gründen, sondern aus Wider· willen, aus Abneigung gegen die Gegenstände der Theologie, d.h. aus einem dunkeln Gefühl von ihrer Unrealität. Die Theologie ist nichts, denkt der Empiriker bei sich, aber er setzt noch hinzu: für mich, d.h. sein Urteil ist ein subjektives, pathologi· 20 sches; denn er hat nicht die Freiheit, aber auch nicht die Lust und den Beruf, die Gegenstände der Theologie vor das Forum der Vernunft zu ziehen. Dies ist der Beruf der Philosophie. Die Aufgabe der neueren Philosophie war daher keine andere, als das pathologische Urteil des Empirismus, daß es mit der Theologie 25 nichts sei, zu einem theoretischen, objektiven Urteil zu erheben -die indirekte, unbewußte, negative Negation der Theologie in eine direkte, positive, bewußte Negation zu verwandeln. Wie lächerlich ist es darum, den »Atheismus« der Philosophie unterdrücken zu wollen, ohne zugleich den Atheismus der Ern- 30 pirie zu unterdrücken! Wie lächerlich, die theoretische Negation des Christentums zu verfolgen und doch zugleich die tatsächlichen Negationen des Christentums, von denen dieneuere Zeit wimmelt, bestehen zu lassen! Wie lächerlich, mit dem Be· wußtsein, d.h. dem Symptom des Übels auch zugleich die 35 Ursache des Übels aufheben zu wollen! Ja, wie lächerlich! Und doch, wie reich an solchen Lächerlichkeiten ist die Geschichte!
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Sie wiederholen sich in allen kritischen Zeiten. Kein Wunder; in der Vergangenheit läßt man sich alles I gefallen, anerkennt man die Notwendigkeit der vorgefallenen Veränderungen; aber gegen die Anwendung auf den gegenwärtigen Fall sträubt man sich immer mit Händen und Füßen; die Gegenwart macht man aus Kurzsichtigkeit oder Bequemlichkeit zu einer Ausnahme von der Regel.
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Die Erhebung der Materie zu einer göttlichen Wesenheit ist unmittelbar zugleich die Erhebung der Vernunft zu einer göttli· chen Wesenheit. Was der Theist aus Gemütsbedürfnis, aus Verlangen nach unbegrenzter Glückseligkeit vermittelst der Einbildungskraft von Gott verneint, das bejaht der Pantheist von Gott aus Vernunftbedürfnis. Die Materie ist der wesentliche Gegenstand der Vernunft. Wäre keine Materie, so hätte die Vernunft keinen Reiz und Stoff zum Denken, keinen Inhalt. Die Materie kann man nicht aufgeben, ohne die Vernunft aufzuge· ben, nicht anerkennen, ohne die Vernunft anzuerkennen. Materialisten sind Rationalisten. Aber der Pantheismus bejaht die Vernunft als eine göttliche Wesenheit nur indirekt - nur so, daß er Gott aus einem Wesen der Einbildungskraft, welches er im Theismus ist, zu einem Vernunftgegenstande, einem Vernunftwesen macht; die direkte Apotheose der Vernunft ist der Idealismus. Der Pantheismus führt notwendig zum Idealismus. Der Idealismus verhält sich zum Pantheismus gerade wie dieser zum Theismus. Wie das Objekt, so das Subjekt. Nicht die Sinne, sondern nur der Verstand nimmt nach Cartesius das Wesen der körperlichen Dinge, den Körper als Substanz wahr; aber eben deswegen ist auch nicht der Sinn, sondern der Verstand nach Cartesius das Wesen des wahrnehmenden Subjekts, des Menschen. Nur dem Wesen ist Wesen als Objekt I gegeben. Die Meinung hat nach Plato nur die unbeständigen Dinge zum Objekt, aber darum ist sie selbst das unbeständige, veränderliche Wissen - eben nur
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Meinung. Das Wesen der Musik ist dem Musiker das höchste Wesen - darum das Gehör das höchste Organ; er verliert lieber die Augen als die Ohren; der Naturforscher dagegen lieber die Ohren als die Augen, weil sein objektives Wesen das Licht. Vergöttere ich den Ton, so vergöttere ich das Ohr. Sage ich 5 also wie der Pantheist: Die Gottheit oder, was eins ist, das absolute Wesen, die absolute Wahrheit und Realität ist nur für die Vernunft, nur der Vernunft Gegenstand, so erkläre ich Gott selbst für ein Vernunftding oder Vernunftwesen und spreche dadurch nur indirekt die absolute Wahrheit und Realität der 10 Vernunft aus. Und es ist daher notwendig, daß die Vernunft auf sich selbst zurückgeht, diese verkehrte Selbstanerkennung um· kehrt, sich direkt als die absolute Wahrheit ausspricht, sich selbst unmittelbar, ohne das Zwischenglied eines Objekts, als die absolute Wahrheit Gegenstand wird. Der Pantheist sagt dasselbe, 15 was der Idealist, nur spricht jener objektiv oder realistisch aus, was dieser subjektiv oder idealistisch. Jener hat seinen Idealismus im Gegenstande - außer der Substanz, außer Gott ist nichts, alle Dinge sind nur Bestimmungen Gottes -, dieser hat seinen Pantheismus im Ich - außer dem Ich ist nichts, alle Dinge sind 20 nur als Objekte des Ich. Aber gleichwohl ist der Idealismus die Wahrheit des Pantheismus; denn Gott oder die Substanz ist nur das Objekt und als Objekt der Vernunft, des Ich, des denkenden Wesens - glaube, denke ich keinen Gott, so habe ich keinen Gott, er istfür mich nur durch mich, für die Vernunft nur 25 durch die Vernunft -, das Apriori, das erste Wesen ist also nicht das gedachte, sondern das denkende Wesen, nicht das Objekt, sondern das Subjekt. So notwendig die Naturwissenschaft vom Lichte auf das Auge, so notwendig ging die Philosophie von den Gegenständen des Denkens auf das: Ich denke zurück. Was ist das Licht, als erleuchtendes, hell machendes Wesen, als Objekt der Optik, ohne das Auge? Nichts. Und so weit geht die Naturwissenschaft. Aber was I ist- so fragt nun weiter die Philosophie - das Auge ohne Bewußtsein? Gleichfalls nichts - ob ich sehe ohne Bewußtsein oder nicht sehe, ist identisch. Erst das 35 Bewußtsein des Sehens ist die Wirklichkeit des Sehens oder wirkliches Sehen. Aber warum glaubst du, daß etwas ist außer dir?
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Weil du etwas siehst, hörst, fühlst. Also ist dieses Etwas erst als Objekt des Bewußtsei•zs ein wirkliches Etwas, ein wirkliches Objekt- also das Bewußtsein die absolute Realität oder Wirklichkeit, das Maß aller Existenz. Alles, was ist, ist nur als sei5 end für das Bewußtsein, als Bewußtes; denn Bewußtsein ist erst Sein. So verwirklicht sich im Idealismus des Wesen Gottes, das Wesen der Theologie im Ich, im Bewußtsein. Ohne Gott kann nichts sein, nichts gedacht werden - das heißt im Sinne des Idealismus: Alles ist nur als - sei es nun wirklicher oder mög10 licher - Gegenstand des Bewußtseins; Sein heißt Gegenstandsein, setzt also Bewußtsein voraus. Die Dinge, die Welt überhaupt ist ein Werk, ein Produkt des absoluten Wesens Gottes; aber dieses absolute Wesen ist ein Ich, ein bewußtes, denkendes Wesen - also ist die Welt, wie Cartesius vortrefflich vom Stand15 punkte des Theismus aus sagt, ein ens rationis divinae, ein Hirngespinst, ein Gedankending Gottes. Aber dieses Gedankending ist im Theismus, in der Theologie selbst wieder nur eine vage Vorstellung. Realisieren wir daher diese Vorstellung, führen wir sozusagen praktisch aus, was im Theismus nur Theorie ist, so haben wir die Welt als Produkt des Ich (Fichte) oder- wenigstens so, wie sie uns erscheint, wie wir sie anschauen - als ein Werk oder Produkt unserer Anschauung, unseres Verstandes (Kant). >>Die Natur wird von den Gesetzen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt abgeleitet.« »Der Verstand schöpft seine 25 Gesetze (a priori) nicht aus der I Natur, sondern schreibt sie dieser vor.« Der Kamische Idealismus, wo sich die Dinge nach dem Verstande, nicht der Verstand nach den Dingen richtet, ist also nichts anderes als die Verwirklichung der theologischen Vorstellung vom göttlichen Verstande, der nicht von den Din30 gen bestimmt wird, sondern umgekehrt diese bestimmt. Wie töricht ist es daher, den Idealismus im Himmel, d.h. den Idealismus der Einbildung, als eine göttliche Wahrheit anzuerkennen, aber den Idealismus auf Erden, d.h. den Idealismus der Vernunft, als einen menschlichen Irrtum zu verwerfen! Leug35 net ihr den Idealismus, nun, so leugnet auch Gott! Gott nur ist der Urheber des Idealismus. Wollt ihr die- Konsequenzen nicht, so wollt auch das Prinzip nicht! Der Idealismus ist nichts
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als der rationelle oder rationalisierte Theismus. Aber der Kantische Idealismus ist noch ein beschränkter Idealismus - der Idealismus auf dem Standpunkte des Empirismus. Dem Empirismus ist Gott, der schon oben gegebenen Entwicklung zufolge, nur noch ein Wesen in der Vorstellung, in der Theorie - Theorie im gewöhnlichen, schlechten Sinne -, aber nicht in der Tat und Wahrheit, ein Ding an sich, aber nicht mehr ein Ding für ihn: denn die Dinge für ihn sind allein die empirischen, wirklichen Dinge. Die Materie ist die einzige Materie seines Denkens - er hat daher keine Materialien mehr für Gott: Gott ist, aber er ist für uns eine tabula rasa, ein leeres Wesen, ein bloßer Gedanke. Gott - Gott, wie wir ihn vorstellen, denken - ist unser Ich, unser Verstand, unser Wesen, aber dieser Gott ist nur eine Erscheinung von uns für uns, nicht Gott an sich. Kant ist der noch im Theismus befangene Idealismus. Wir sind oft längst von einer Sache, einer Lehre, einer Idee der Tat nach frei, aber gleichwohl sind wir es noch nicht im Kopfe; sie ist keine Wahrheit mehr in unserm Wesen - sie war es vielleicht nie -, aber sie ist noch eine theoretische Wahrheit, d.h. eine Schranke unsers Kopfes. Der Kopf, weil er die Dinge am gründlichsten nimmt, wird auch am spätesten frei. Die theoretische Freiheit ist, wenigstens in vielen Dingen, die letzte Freiheit. Wie viele sind Republikaner von Herzen, von Gesinnung, aber im Kopfe können sie nicht über die I Monarchie hinaus; ihr republikanisches Herz scheitert an den Einwürfen und Schwierigkeiten, welche der Verstand macht. So ist es denn auch mit dem Theismus Kants. Kant hat die Theologie in der Moral, das göttliche Wesen im Willen realisiert und negiert. Der Wille ist Kant das wahre, ursprüngliche, unbedingte, von sich selbst anfangende Wesen. Kant vindiziert also in der Tat die Prädikate der Gottheit dem Willen; sein Theismus hat daher nur noch die Bedeutung einer Schranke seines Kopfes. Der von der Schranke des Theismus freie Kant ist Fichte - der »Messias der spekulativen Vernunft«. Fichte ist der Kamische Idealismus, aber aufdem Standpunkte des Idealismus. Nur auf dem empirischen Standpunkte gibt es nach Fichte einen von uns unterschiedenen, außer uns seienden Gott, aber in Wahrheit, auf dem Standpunkte
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des Idealismus, ist das Ding an sich, ist Gott- denn Gott ist das eigentliche Ding an s:.ch - nur das Ich an sich, d.h. das vom Individuum, vom empirischen Ich unterschiedene Ich. Außer dem Ich gibt es keinen Gott: »Unsere Religion ist die Vernunft.« 5 Aber der Fichtesche Idealismus ist nur die Negation und Realisation des abstrakten und formalen Theismus, des Monotheismus, nicht des religiösen, materiellen, inhaltserfüllten Theismus, des Tritheismus, dessen Realisation erst der »absolute«, der Hegelsche Idealismus ist. Oder: Fichte hat nur den Gott des Pan10 theismus, inwiefern er ein denkendes Wesen, aber nicht, wiefern er ein ausgedehntes, materielles Wesen ist, realisiert. Fichte ist der theistische Idealismus, Hegel der pantheistische Idealismus.
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§ 18 Die neuere Philosophie hat das von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderte und unterschiedene göttliche Wesen verwirklicht und aufgehoben - aber nur im Denken, in der Vernunft, und zwar einer gleichfalls von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderten und unterschiedenen Vernunfi. 20 Das heißt, die neuere Philosophie hat nur die Gottheit des Verstandes bewiesen- nur I den, und zwar abstrakten Verstand als das göttliche, das absolute Wesen erkannt. Die Definition des Cartesius von sich, als Geist: »Mein Wesen besteht einzig darin, daß ich denke«, ist die Definition der neuern Philosophie von sich. Der Wille des Kamsehen und Fichteschen Idealismus ist selbst ein pures Verstandeswesen und die Anschauung, die Schelling, im Gegensatz zu Fichte, mit dem Verstande verband, nur Phantasie, keine Wahrheit, kommt also nicht in Betracht. Die neuere Philosophie ist von der Theologie ausgegangen 30 - sie ist selbst nichts anderes als die in Philosophie aufgelöste und verwandelte Theologie. Das abstrakte und transzendente Wesen Gottes konnte daher selbst nur auf eine abstrakte und transzendente Weise verwirklicht und aufgehoben werden. Um Gott in die Vernunft zu verwandeln, mußte die Vernunft selbst 35 die Beschaffenheit des abstrakten göttlichen Wesens annehmen. 15
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»Die Sinne«, sagt Cartesius, »geben keine wahre Realität, kein Wesen, keine Gewißheit - nur der von den Sinnen abgezogene Verstand gibt Wahrheit.« Woher dieser Zwiespalt zwischen dem Verstande und den Sinnen? Nur aus der Theologie kommt er. Gott ist kein sinnliches Wesen, er ist vielmehr die Nega- 5 tion aller Bestimmungen der Sinnlichkeit, wird nur erkannt durch die Abstraktion von derselben; aber er ist Gott, d.h. das allerwahrste, allerrealste, allergewisseste Wesen. Woher soll also Wahrheit in die Sinne kommen- in die Sinne, die geborene Atheisten sind? Gott ist das Wesen, bei dem sich die Existenz 10 nicht vom Wesen, vom Begriffe absondern läßt, das gar nicht anders denn als seiend gedacht werden kann. Cartesius verwandelt dieses objektive Wesen in subjektives, den ontologischen Beweis in einen psychologischen, das Cogitatur deus ergo est in Cogito ergo sum. Wie sich in Gott nicht das Sein vom Ge- 15 dachtwerden, so läßt sich in mir - als Geist, der aber mein W esen - nicht vom Denken das Sein absondern, und wie dort, so konstituiert auch hier diese Unzertrennlichkeit das Wesen. Ein Wesen, das nur ist - gleichviel, ob an sich oder für mich -als Gedachtes, als Gegenstand der Abstraktion von aller Sinn- 20 lichkeit, realisiert und versubjektiviert sich notwendig auch nur in einem Wesen, das nur ist als denkendes, dessen Wesenheit nur das abstrakte Denken.!
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§ 19 Die Vollendung der neueren Philosophie ist die Hegeische Philo- 25 sophie. Die historische Notwendigkeit und Rechtfertigung der neuen Philosophie knüpft sich daher hauptsächlich an die Kritik Hegels. § 20 Die neue Philosophie hat, ihrem historischen Ausgangspunkte nach, dieselbe Aufgabe und Stellung der bisherigen Philoso· phie gegenüber, welche diese der Theologie gegenüber hatte. Die
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neue Philosophie ist die Realisation der Hegelschen, überhaupt bisherigen Philosophie - aber eine Realisation, die zugleich die Negation, und zwar widerspruchslose Negation derselben ist. § 21 5
Der Widerspruch der neueren Philosophie, insbesondere des Pantheismus, daß er die Negation der Theologie auf dem Standpunkte der Theologie oder die Negation der Theologie ist, welche selbst wieder Theologie, dieser Widerspruch charakterisiert
insbesondere die Hegeische Philosophie.
Das immaterielle Wesen, das Wesen, wie es pures Verstandesobjekt, reines Verstandeswesen, ist der neueren Philosophie, so auch der Hegelschen, allein das wahre, das absolute Wesen Gott. Selbst die Materie, die Spinoza zum Attribut der göttlichen Substanz macht, ist eine metaphysisches Ding, ein pu15 res Verstandeswesen; denn die wesentliche Bestimmung der Materie im Unterschied von dem Verstande, der Denktätigkeit, die Bestimmung, ein leidendes Wesen zu sein, ist ihr genommen. Aber Hege! unterscheidet sich von der früheren Philosophie dadurch, daß er das Verhältnis des materiellen, sinnlichen 20 Wesens zum immateriellen anders bestimmt. Die früheren Philosophen und Theologen dachten das wahre, das göttliche W esen als ein von Natur, per se von der Sinnlichkeit oder Materie abgelöstes, befreites Wesen; nur in sich selbst verllegten sie die Mühe und Arbeit der Abstraktion, des Sich-Frei-Machens vom 25 Sinnlichen, um zu dem zu kommen, was an sich selber davon frei ist. In dieses Freisein setzten sie die Seligkeit des göttlichen, in dieses Sich-Frei-Machen die Tugend des menschlichen Wesens. Hege! dagegen machte diese subjektive Tätigkeit zur Selbsttätigkeit des göttlichen Wesens. Gott selbst muß sich dieser Ar30 beit unterziehen, sich, wie die Heroen des Heidentums, durch Tugend seine Gottheit erkämpfen. So nur wird die Freiheit des Absoluten von der Materie, die außerdem nur Voraussetzung, nur Vorstellung ist, Tat und Wahrheit. Aber diese Selbstbefreiung von der Materie kann nur in Gott gesetzt werden, wenn 10
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zugleich die Materie in ihn gesetzt wird. Wie kann sie aber in ihn gesetzt werden? Nur dadurch, daß er sie selbst setzt. Aber in Gott ist nur Gott. Also nur dadurch, daß er sich selbst als Materie, als Nicht-Gott, als sein anderes setzt. Die Materie ist so kein dem Ich, dem Geiste auf eine unbegreifliche Weise vorausgesetzter Gegensatz: Sie ist die Selbstentäußerung des Geistes. Damit bekommt die Materie selbst Geist und Verstand, sie ist aufgenommen in das absolute Wesen als ein Lebens-, Bildungsund Entwickelungsmoment desselben; zugleich ist sie aber doch wieder als ein nichtiges, unwahres Wesen gesetzt, indem erst das aus dieser Entäußerung sich herstellende, d.h. die Materie, die Sinnlichkeit von sich abstreifende Wesen als das Wesen in seiner Vollendung, in seiner wahren Gestalt und Form ausgesprochen wird. Das Natürliche, Materielle, Sinnliche - und zwar das Sinnliche nicht im gemeinen, moralischen, sondern metaphysischen Sinne - ist also auch hier das zu Negierende, wie in der Theologie die durch die Erbsünde vergiftete Natur. Es wird zwar aufgenommen in die Vernunft, das Ich, den Geist, aber es ist das Unvernünftige in der Vernunft, das Nicht-Ich im Ich, das Negative desselben, wie bei Schelling die Natur in Gott das Nicht-Göttliche in Gott, in ihm außer ihm ist, wie in der Cartesischen Philosophie der Leib, wenngleich mit mir, mit dem Geiste verbunden, dennoch außer mir ist, nicht zu mir, zu meinem Wesen gehört und es daher gleichgültig ist, ob er mit mir verbunden ist oder nicht ist. Die Materie bleibt im Widerspruch mit dem von der Philosophie als wahres Wesen vorausgesetzten Wesen.l Die Materie wird zwar in Gott gesetzt, d.h. als Gott gesetzt, und die Materie als Gott setzen ist soviel als sagen: Es ist kein Gott, also soviel als die Theologie aufheben, die Wahrheit des Materialismus anerkennen. Aber zugleich ist doch die Wahrheit des Wesens der Theologie noch vorausgesetzt. Der Atheismus, die Negation der Theologie wird daher wieder negiert, d.h. die Theologie durch die Philosophie wiederhergestellt. Gott ist Gott erst dadurch, daß er die Materie, die Negation Gottes, überwindet, negiert. Und erst die Negation der Negation ist nach Hegel wahre Position. Am Ende sind wir daher wieder,
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wovon wir anfänglich ausgegangen - im Schoße der christlichen Theologie. So haben wir schon im obersten Prinzip der Hegeischen Philosophie das Prinzip und Resultat seiner Religionsphilosophie, daß die Philosophie die Dogmen der Theo5 logie nicht aufhebe, sondern nur aus der Negation des Rationalismus wiederherstelle, sie nur vermittele. Das Geheimnis der Hegeischen Dialektik ist zuletzt nur dieses, daß er die Theologie durch die Philosophie und dann wieder die Philosophie durch die Theologie negiert. Anfang und Ende bildet die Theo10 logie, in der Mitte steht die Philosophie als die Negation der ersten Position, aber die Negation der Negation ist die Theologie. Erst wird alles umgeworfen, aber dann wieder alles an seinen alten Platz gestellt, wie bei Cartesius. Die Hegeische Philosophie ist der letzte großartige Versuch, das verlorene, un15 tergegangene Christentum durch die Philosophie wiederherzustellen, und zwar dadurch, daß, wie überhaupt in der neuern Zeit, die Negation des Christentums mit dem Christentum selbst identifiziert wird. Die vielgepriesene spekulative Identität des Geistes und der Materie, des Unendlichen und Endli20 chen, des Göttlichen und Menschlichen ist nichts weiter als der unselige Widerspruch der neuern Zeit - die Identität von Glaube und Unglaube, Theologie und Philosophie, Religion und Atheismus, Christentum und Heidentum - auf seinem höchsten Gipfel, auf dem Gipfel der Metaphysik. Nur dadurch wird 25 dieser Widerspruch bei Hegel den Augen entrückt, verdunkelt, daß die Negation Gottes, der Atheismus, zu einer objektiven Bestimmung Gottes gemacht - Gott als ein Prozeß und als ein Moment dieses Prozesses der Atheismus bestimmt wird. Aber sowenig der aus dem Unglauben I wiederhergestellte Glaube 30 ein wahrer, weil stets mit seinem Gegensatz behafteter Glaube ist, sowenig ist der aus seiner Negation sich wiederherstellende Gott ein wahrer, vielmehr ein sich selbst widersprechender, ein atheistischer Gott.
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§ 22 Wie das göttliche Wesen nichts anders ist als das Wesen des Menschen, befreit von der Schranke der Natur, so ist das Wesen des absoluten Idealismus nichts anderes als das Wesen des subjektiven Idealismus, befreit von der, und zwar vernünftigen, Schranke der Subjektivität, d.h von der Sinnlichkeit oder Gegenständlichkeit überhaupt. Die Hegeische Philosophie läßt sich daher unmittelbar aus dem Kantschen und Fichteschen Idealismus ableiten. Kant sagt: >>Wenn wir die Gegenstände der Sinne, wie billig, als bloße Erscheinungen ansehen, so gestehen wir hierdurch doch zugleich, daß ihnen ein Ding an sich selbst zum Grunde liege, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d.i. die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas affiziert werden, kennen. Der Verstand also, ebendadurch, daß er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und sofern können wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin bloßer Verstandeswesen, nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich sei.« Die Gegenstände der Sinne, der Erfahrung sind also für den Verstand bloße Erscheinung, keine Wahrheit; sie befriedigen also nicht den Verstand, d.h. sie entsprechen nicht seinem Wesen. Der Verstand ist folglich keineswegs durch die Sinnlichkeit in seinem Wesen beschränkt; sonst würde er die sinnlichen Dinge nicht für Erscheinungen, sondern für blanke Wahrheit nehmen. Was mich nicht befriedigt, begrenzt und beschränkt mich auch nicht. Und dennoch sollen die Verstandeswesen keine wirklichen Objekte für den Verstand sein! Die Kantsche Philosophie ist der Widerspruch von Subjekt und Objekt, Wesen und Existenz, Denken I und Sein. Das Wesen fällt hier in den Verstand, die Existenz in die Sinne. Die Existenz ohne Wesen ist bloße Erscheinung - das sind die sinnlichen Dinge -, das Wesen ohne Existenz ist bloßer Gedanke- das sind die Verstandeswesen, die noumena; sie werden gedacht, aber es fehlt ihnen die Existenz - wenigstens die Existenz für uns-, die Objektivität; sie sind die Din-
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ge an sich, die wahren Dinge, nur sind sie keine wirklichen Dinge und folglich auch keine Dinge für den Verstand, d.h. keine von ihm bestimm- und erkennbaren. Aber welch ein Widerspruch, die Wahrheit von der Wirklichkeit, die Wirklichkeit von der 5 Wahrheit abzutrennen! Heben wir daher diesen Widerspruch auf, so haben wir die Identitätsphilosophie, wo die Verstandes· objekte, die gedachten Dinge als die wahren auch die wirklichen sind, wo das Wesen und die Beschaffenheit des Objekts des Verstandes dem Wesen und der Beschaffenheit des Verstandes oder 10 Subjektes entspricht, wo also das Subjekt nicht mehr beschränkt und bedingt ist durch einen außer ihm existierenden, seinem Wesen widersprechenden Stoff. Aber das Subjekt, das kein Ding mehr außer sich und folglich keine Schranken mehr in sich hat, ist nicht mehr »endliches>SUm« ist aber ebenso ein abstraktes, von allen sinnlichen Realitäten abgesondertes Sein, wie das Sein im ontologischen Beweis - ein nur gedachtes Sein. Die Cartesische Philosophie hat die formale Gewißheit von der Identität des Seins und Denkens in den Men- 20 sehen konzentriert, aber den Inhalt derselben noch in Gott gelassen, als Objekt. Cartesius geht daher von der Gewißheit seiner selbst aus, beginnt mit ihr, aber geht sogleich wieder über zum alten ontologischen Beweis, um sich dadurch eines Inhalts zu versichern. Cartesius ist vielmehr selbst wieder nur die formelle 25 Gewißheit von diesem Inhalt. Cartesius ist der Widerspruch
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Die Philosophie muß jetzt gegründet werden auf etwas allgemein Menschliches, allgemein Einleuchtendes. 12 Das vom Menschen unabsonderliche, das ihm nächste, das unmittelbar gewisse Wesen für den Menschen- ist allein der Mensch. Es gibt nur 30 zwei Wissenschaften- Physiologie- und Anthropologie- die Metaphysik ist die Lehre des abstrakten Verstandes - des Verstandes für sich selbst betrachtet. - Der objektive Geist ist nichts andres als der wahre subjektive Geist. Ich bin endlich, subjektiv, aber meine objektiven Reden sind mein -objektiver Geist. -Das Wirkliche ist nur das Totale- Ganze- das wirk· 35 liehe Ding ist nur das ganze Ding. Das ganze Ding ist aber nur einem gan· zen Wesen auch Gegenstand. 11
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zwischen Selbstgewißhett und Gottesgewißheit, Mensch und Gott, Anthropologie und Theologie. Seiner selbst ist Cartesius gewiß ohne Gott, aber de! Andern wird er nur gewiß durch Gott. Wir haben hier den ersten Ansatz zu einer gottlosen Anthropologie, gleichsam den mathematischen Punkt derselben. Aber zugleich ist Gott noch eine Gewißheit, ob der Verwandtschaft. Gott ist ein abstraktes Wesen, aber I »Cogito ergo sum« ist auch nur noch ein abstraktes, übersinnliches Wesen. Er findet also in Gott sich, sein wahres Wesen ausgesprochen. Gott ist ohne Körper, ohne Materie, aber er (sc. Cartesius) nur als gedachtes; daß er ohne Sinne, ohne Körper, ist nur eine Abstraktion, eine Fiktion. Gott ist durch sein Wesen, was er nur durch Denken, durch Abstraktion, Gottper se ein abstraktes Wesen, er nur ein abstrahierendes, oder jener re vera, in der Tat, dieser nur in der Abstraktion abstraktes Wesen. Also ist ihm erst in Gott das wahre und sein wahres Wesen Gegenstand, denn darin nur spricht der Mensch sein wahres Wesen aus, was er als das wahre Wesen erklärt. Das in das Wesen verwandelte sein Wesen ist Gott. Der Mensch verwandelt notwendig das Besondere in ein Allgemeines, er universalisiert das Seinige namentlich im Affekt. »Ach! was ist der Mensch«, ruft der Leidende aus. »Alle Menschen sind erbärmlich«, ruft der von diesem oder jenem erbärmlichen Wicht Ge!äuschte und Betrogene aus! >>Wir wissen nichts, es ist unmöglich, dies zu wissen«, ruft der aus, der sich vergeblich den Kopf zerbricht, eine harte Nuß aufknacken will, den sein Verstand verhindert, das oder jenes zu begreifen. So verwandelt denn überhaupt der Mensch sein Wesen in das Wesen schlechtweg. Und dieses sein Wesen, welches zugleich das Wesen schlechtweg ist, das Wesen, dem keines gleich, dem alles weicht und alles dient, ist das göttliche Wesen. Beschränktester Kopf I ist, der nicht erkennt, daß, was nicht des Menschen eignes Wesen ist, er nicht als das Wesen erfassen kann. Alle Menschen denken sich daher auch entsprungen aus dem, was sie als Gott erkennen, und endlich wieder zurückkehrend zu dem, woraus sie gekommen. Wer die Sonne anbetet, als Gott verehrt, ist ein vom Sonnenschein faszinierter Mensch. Er ist entzückt oder erschreckt über C.ie Macht und Pracht der Sonne. Es
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gehört zur Charakteristik dieses Menschen, daß die Sonne solchen Eindruck auf ihn macht. Die Sonne begrenzt, wie der Horizont seine Augen, so seines Geistes. Sie ist das Höchste, was er denken kann. Das augenfälligste Wesen der Natur ist ihm das höchste. Aber warum? Weil Glanz, Schein, seinen Augen 5 imponiert, weil er ein augensinnlicher oder augenscheinlicher Mensch, weil Tag und Nacht, Wärme und Kälte dem Augenschein nach an die Sonne gebunden ist, weil er nur urteilt nach dem Augenschein, weil der Augenschein seine Vernunft ist, sein Wesen. Je weiter der Mensch mit seinen Gedanken geht, desto 10 weiter erstreckt sich auch natürlich sein Wesen. Je weiter sich der Sinn erstreckt, je weiter erstreckt sich auch das Tier. Wo die Gedanken des Menschen ein Ende haben, da hat auch sein Wesen ein Ende. Ein beschränkter Kopf und beschränkter Mensch ist identisch. Wer keinen andern Gebrauch, Sitten, Vor- 15 Stellungen, Menschen kennt als die seines Landes oder seiner Stadt, ist beschränkt. Nur mit der Vorstellung erweitert sich das Wesen des Menschen. Je mehr einer weiß, desto universeller ist auch seine Person, sein ganzes Wesen - wenn wenigstens dieses Wissen nicht bloß ein quantitatives, ein bloß 20 polyhistorisches ist. Wie du Gott denkst, so denkst du überhaupt. Er ist nur die Gattung deines Denkens, deines Fühlens. I Also Cartesius ist das abstrakt seiende Wesen das wahre, d.h. die Theologie ist ihm zugleich noch Wahrheit oder Gewißheit. Das Sein der Dinge ist ihm daher nur vermittelt durch das Sein des ab- 25 strakten, übersinnlichen Wesens; durch sein wahres Wesen vermittelt er also sein abstraktes Wesen mit seinem wirklichen Wesen, welches zugleich leiblich, sinnlich, körperlich ist. Die Gewißheit seiner Wirklichkeit und der sinnlichen Dinge überhaupt ist ihm also eine abgeleitete, vermittelte, weil ihm das 30 vermittelte Wesen das unmittelbare ist. Die Dinge hängen von Gott ab, also liegt ihre Gewißheit nicht in ihnen, sondern in Gott. Cartesius kann mit dem Cogito ergo sum nichts anfangen, er muß also seine Zuflucht zu Gott nehmen. Er ist das Asyl seiner Ignoranz. Er bringt zur Erscheinung, was Gott an 35
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sich ist, weil der Gegematz da ist - das Denken, das Wissenwollen. Ebenso wie in Kants Argument, wo Gott als Postulat, nur der ursprüngliche Lrsprung Gottes augenfällig geworden ist. Im Mittelalter war Gott Objekt, oder er war auch Prinzip der Philosophie, aber als Objekt. In der neuernwurde er, kann man sagen, immanentes Prinzip der Philosophie. Auch Cartesius macht Gott zum Prinzip der Philosophie, Principia Philosophiae § 24, § 28. Aber er ist nur einformales Prinzip. Es ist nur das Prädikat der Wahrhaftigkeit, woraus deduziert wird 13 • Es ist nur die Bestätigung, daß das wahr ist, was dem Cartesius aus sich selbst gewiß ist. Gott täuscht den Menschen nicht; er würde aber den Menschen täuschen, wenn das, was sein ihm von Gott verliehenes Denkvermögen als wahr zeigt, was er klar und deutlich einsieht, was ihm also sich auch wahr vorstellt und aufdringt, nicht wahr wäre. Gott ist nur die Realität des Idealen, des Vorgestellten. Gott kann trennen und trennt wirklich, was der Geist unterscheidet. Das Ich des Cartesius ist ganz leer, I es ist nur formale Gewißheit, Bewußtsein, ohne ein Wesen in sich zu haben. Dieses Wesen als Objekt des Bewußtseins ist Gott, in welchem aber zugleich die vollständige Selbstgewißheit des Geistes erst enthalten ist, denn Gott sagt zu allem, was der Geist spricht: ••Ja- so ist's, wie du dir es vorstellst, du hast recht.« Cartesius ist hier ganz in den populären, gemeinen religiösen Vorstellungen und deren Widersprüchen befangen. Er demütigt, negiert sich vor Gott, aber er ist zugleich seine Position. Er ist abhängig von Gott, kann sich nicht erhalten, hat sich nicht selbst das Sein gegeben, Gott ist seine Ursache. Aber diese Ursache ist eine noble, wahrhaftige, und zwar gegenden Menschen wahrhaftig- wie die Wahrhaftigkeit Got-
13 Allerdings noch andere, aber unbestimmte Prädikate. So macht Cartesius Gott zur allgemeinen und primitiven Ursache aller Bewegungen, folgert aus dem unveränderlichen Sein Gottes auch die Unveränderlichkeit seines Wirkens, daß also Gott dieselbe Quantität der Bewegung erhält, wel35 ehe ursprünglich bei der Erschaffung die Materie gehabt, ferner aus der Unbeweglichkeit Gottes, daß jedes Ding in dem Zustand beharre, in dem es sich befinde, wenn nicht äußere Gründe es stören.
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tes in der Theologie darin besteht, daß er das dem Menschen gegebene Wort hält. Gott ist der Herr des Menschen nur, um sein untertänigster Diener zu sein. Er wird mit aller Macht ausstaffiert, um das tun zu können, was der Mensch will. Gott ist die Ursache von sich selbst, um die Ursache von allem andern sein zu können - er hat alle Eigenschaften nur um der Wesen willen, die außer ihm sind; er ist unendlich um des Endlichen, allmächtig um des Schwachen willen. Gott ist Alles, aber wenn er nicht für das Endliche, für den Menschen ist, so ist er Nichts. Gott ist an und für sich das seiner selbst gewisse Wesen des Mensehen - die Garantie, die Bestätigung seiner Wünsche, Bedürfnisse-, aber, wo ein religiöses Verhältnis noch stattfindet, nur latent. Aber in Cartesius hat sich der Mensch an sich schon emanzipiert, er ist aus dem Zauber der Religion heraus, er ist für sich selbst seiner selbst gewiß. Hier tritt I daher in die Erscheinung auf eine dem religiösen Gemüt darum anstößige Weise, daß Gott nur der Vollstrecker der legislativen Gewalt ist, die der Mensch enthält. Die Religion ist eine absolute Monarchie, aber in patriarchalischer Form. Der Mensch gehorcht unbedingt Gott, aber er weiß, daß Gott nur sein Wohl will, daß er den Menschen liebt. Gott ist der Repräsentant des Menschen, er vertritt ihn; er hat keine andere Richtschnur als das Wohl des Menschen. Gottes Macht ist unumschränkt, aber nur in seinem durch des Menschen Wohl bestimmten, beschränkten Willen, kein Hindernis in den Weg zu setzen. Also auch hier ist Gott ein durch den Menschen beschränktes Wesen. Aber diese Schranke erscheint als keine Schranke, weil Gott in seinem Willen identisch ist mit dem Willen des Menschen und umgekehrt der Mensch mit dem Willen Gottes. Kurz, es ist hier eine patriarchalische Einheit. Aber wo sich der Mensch von Gott trennt, selbständig sich macht, da wird die absolute Monarchie in eine konstitutionelle Monarchie verwandelt, da wird der stillschweigende Vertrag zwischen Gott und Mensch in einem förmlichen Vertrag ausgesprochen. Da tritt sichtbarlieh als die gesetzgebende Macht der Mensch, als die vollziehende Gott auf, da fällt es in die Sinne, daß Gott nur um des Menschen willen da ist, daß er nur dazu da ist, die Dekrete der Natur und des
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Menschen zu unterzeichnen, das Exequatur darunter zu setzen. Das patriarchalische Verhältnis wird ein streng juridisches, das innige ein mechanisches. Gott und Mensch sind getrennt, nur Förmlichkeiten verbinden sie. Als die drei Weisen dieser Erscheinung sind zu bezeichnen: Cartesius - Leibniz: Theodizee - Kant: moralisches Postulat. Der Mensch ist heraus aus der Religion, aus Gott, aber er hat diese seine Irreligiosität noch nicht zur Religion erhoben; I er braucht daher noch zu seinem an sich irreligiösen Zweck die alte Religion, den alten Glau10 ben, er deshonoriert ihn, indem er ihm Ehre zu erweisen scheint. Bei Leibniz richtet sich Gott nach den Dingen, d.h. er ist nur noch ein formelles Wesen, eine formelle Vorstellung. Die göttliche Selbständigkeit der Dinge ist der wahre Sinn. Aber zugleich spukt noch der alte Gott im Kopf. Gott wird also be15 schränkt und bestimmt durch die Dinge. Gott fügt nur das Sein zu dem von dem selbständigen Verstand gedachten Dinge hinzu. Gott hat kein Wesen mehr in sich und für sich. Er ist nur der Schöpfer- die Ursache der Dinge- er ist nur, um nicht zu sein; wie sie sind, bedürfen sie seiner nicht mehr, 14 obgleich 20 Gott noch konkurriert, d.h. Gott läuft nur nebenbei her; er ist nur ein Konkurrent; Welt und Gott wetteifern um den Preis der Selbständigkeit; zur Hälfte sind die Dinge ohne, zur Hälfte mit Gott, zur Hälfte atheistisch, zur Hälfte theistisch. Die Welt ist schon auf dem Sprung, davonzulaufen. So läuft der Vater 25 neben seinem Kinde her, welches bald wenigstens zur Unterstützung seiner Laufinstrumente nicht mehr des Vaters bedarf. Gott wird zu einem endlichen Wesen gemacht, um dem Endlichen die Unendlichkeit mit der Zeit wachsend vindizieren zu können. Gott ist nur ein Beispringer in der Not, sei's des Ver30 stands, sei's des Herzens, d.h. nun aber nichts anders, als neben der Vorstellung von der Selbständigkeit der Dinge, neben der physikalischen Anschauung läuft noch nebenbei her und mitunter die religiöse Vorstellung von der Abhängigkeit der
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Der Satz der neuern Philosophie - was im Endlichen, gilt nicht im 35 Unendlichen- ist auch schon in der Theologie enthalten, indem die Zeugung, die in Gott, nicht se'n soll wie die Zeugung im Menschen. 14
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Dinge; obgleich auch schon die Abhängigkeit ein Widerspruch ist, indem man gewöhnlich auch schon eine gewisse Selbständigkeit damit verbindet, obgleich Abhängigkeit Selbstlosigkeit, Nichtigkeit ausdrückt. I Aber sie wird entlehnt von dem Verhältnis, wo ein Wesen auch außer dem Verhältnis seiner Abhän- 5 gigkeit noch selbständig ist. So ist der Schüler als Schüler abhängig vom Lehrer, aber als Individuum überhaupt selbständig. Dieses wendet man nun auch auf Gott [an] und gibt den Dingen Selbständigkeit; obgleich sie in allem in Beziehung auf Gott abhängig sind, also nichts für sich sind, also nicht in andrer Beziehung 10 selbständig sind- denn sie sind es ja in aller Beziehung hinsichtlich Gottes. Aber um sich auch einer Sphäre der Gottlosigkeit zu erfreuen, um nicht gar zu nichtig sich selbst zu fühlen, trägt man auch die Abhängigkeit im gemeinen Leben auf die religiöse Abhängigkeit über. Das Elend der Theologie ist daher in die- 15 ser, besonders der Leibnizschen, Philosophie offenbar. Es ist hier die Religion, die Theologie verbunden mit dem, was der Religion, was der Theologie widerspricht, die Negation der Theologie in der Festhaltung der Theologie. Freilich ist an und für sich auch schon in der Theologie die Negation Gottes, die Negation 20 der Theologie enthalten, welche hier um so widerlicher den Menschen affiziert, weil Gott an und für sich das Wesen des Menschen ist, also der Mensch nur für dieses Wesen sein soll, in ihm sich vergessen soll, während doch die Theologie gerade wieder dieses Wesen zu einem Wesen für den Menschen macht, der 25 Mensch sich auf sich bezieht, Gott zum Mittel seiner selbst, des Menschen, degradiert. I Habe ich einmal einen Gott im Kopf, so kann diese Vorstellung keine so indifferente sein wie etwa die Vorstellung dieser Pflanze, dieses Steins usw. Gott ist das Wesen, aus dem 30 alle Wesen sind; er ist also die Idee der Einheit des Grundes, des Zusammenhangs. Wie kann ich aber diese Vorstellung der Einheit haben, ohne den Trieb, diesen Gedanken zu realisieren, diese Einheit zu beweisen, durchzuführen? Wie kann ich Gott als das Prinzip des Seins denken, ohne ihn zugleich 35 als Prinzip des Denkens zu denken? Ich denke ihn ja schon als Denkprinzip, indem ich ihn als Prinzip des Seins denke!
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Indem nun aber Gott aus einem Gedachten das Denkende, und zwar das sich selbst Denkende selbst wird, so ist es notwendig, daß wie Gott, so das Denken nur als absolute Einheit sich erfaßt, außer der nichts ist, gleichwie außer Gott nichts 5 ist. 15 Es entsteht hieraus die vielen unüberwindliche Schwierigkeit, den natürlichen Standpunkt des Menschen- des Unterschieds in Subjekt und Objekt- aufzugeben, nicht als Mensch, sondern als Gott zu denken. Zugleich befriedigt sich aber der Mensch darin, weil er eine absolute Einheit mit sich, nichts au10 ßer sich als Gegensatz hat, weil wie Gott, so Alles die Philosophie ist. Dadurch ist sie aber auch die notwendige Bedingung der Freiheit geworden. Sie bürdete die ganze Last der himmlischen Ideenwelt dem Menschen auf, so daß er fast unter dieser Last erdrückt erlag, aber eben dadurch raffte er sich wieder 15 empört auf, warf er nun diese Bürde weg und erfaßte als Mensch sich als absolutes Wesen. Diese vollkommne Einheit, diese absolute Identität aller Gegensätze war das Vorbild der absoluten Einheit des Menschen mit sich selbst. Die radikale Freiheit entspringt nur aus der Philosophie 16 - alle andere Freiheit ist 20 Halbheit, Schwäche, Unfreiheit. Wie kann ich ein allumfassendes, allvermögendes, alles bestimmendes, unendliches Wesen denken und doch nicht den Standpunkt dieses, sondern meines beschränkten Wesens zum Standpunkt des Lebens und Erkennens machen? I Wie kann 25 ich die Vorstellung des Unendlichen haben, ohne mich selbst über das Endliche zu erheben? Die Vorstellung von Gott richtet sich nach dem Grade der Bildung, sie ist nicht unabhängig von meiner Tätigkeit, Anschauung, Bildung. Wem nicht die Dinge der Welt als endlich erscheinen, dem ist nicht das Un30
Wie der Gegenstand, so das Verhalten, so die Eigenschaft des Menschen. Die Philosophie wird blutleer, leidenschaftslos. Jetzt handelt es sich darum, mit Leidenschaft zu philosophieren. Aber es gibt auch politische Leidenschaft. 16 Die Notwendigkeit des höchsten Wesens hat selbst zur Vorausset35 zung, daß der Verstand das höchste Wesen ist. 15
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endliche gegeben, mit dem Endlichen ist zugleich das Unendliche gegeben. Die Vorstellung des Endlichen ist die Voraussetzung der Vorstellung des Unendlichen. Aber wie kann mir das Endliche als endlich erscheinen, wenn ich auf dem Standpunkt des Endlichen stehe und gebannt bin? Da erscheint mir es nicht 5 so, ich bin verloren in dasselbe, es gilt mir für Wesen, Wahrheit; sowenig dem Tier, das im und vom Kot lebt, der Kot Kot ist, sowenig ist das Endliche, wenn es eine Realität für Kopf und Herz ist, wenn ich in ihm bin, in ihm denke und lebe, alle Gedanken und Gefühle von ihm habe, aus ihm schöpfe, für 10 mich das Endliche. Erscheint es mir als endlich, so stehe ich also über ihm; ich stehe auf dem Standpunkt des Unendlichen. Wie soll ich also das, was mir einmal Objekt der Erkenntnis, nicht auch zum Prinzip der Erkenntnis machen? Wie soll ich es zum Objekt haben, ohne die mit demselben verknüpften Kon· 15 sequenzen zu ziehen, ohne diese Idee zur Wahrheit zu machen? Es ist hier ebenso wie mit der Idee des Guten, der Tugend. Solange ich die Güte nur im Kopfe habe, ohne sie in meinen Handlungen zu realisieren, ohne sie zum Lebensprinzip zu machen, solange ist sie keine Wahrheit in mir, sondern nur eine Vorstel- 20 lung. Und wenn ich einen Gott habe, der ein von aller Sinnlichkeit, W eltlichkeit, Materialität abgesondertes Wesen ist, so ist dieser Gott nur dann eine wahre, wirkliche Idee in mir überhaupt eine Wahrheit, kein Schein, keine bloße Vorstellung, wenn ich diesen Gott durch die Tat betätige, wenn ich selbst 25 von der Materie mich absondere.
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GRUNDSÄTZE DER PHILOSOPHIE. NOTWENDIGKEIT EINER VERÄNDERUNG
Etwas ganz anderes ist es mit einer neuen Philosophie, die in eine mit den früheren Philosophien gemeinschaftliche Epoche 5 fällt, und mit einer Philosophie, die in einen neuen Abschnitt der Menschheit fällt; d.h. etwas ganz anderes ist es mit einer Philosophie, die nur einem philosophischen Bedürfnis ihr Dasein verdankt, z.B. wie die Fichtesche in bezugauf die Kantische, etwas ganz anderes mit einer Philosophie, die einem 10 Bedürfnis der Menschheit entspricht oder [mit ihm] zusammenfällt; anders mit einer Philosophie, die in die Geschichte der Philosophie gehört und nur indirekt durch sie mit der Geschichte der Menschheit zusammenhängt, anders mit einer Philosophie, die unmittelbar in die Geschichte der Menschheit fällt. 15 Es fragt sich daher: Ist eine Veränderung, eine Reformation, eine Erneuerung der Philosophie erforderlich? Und wenn, wie kann, wie muß sie beschaffen sein? Ist diese Veränderung eine Veränderung im Geiste und Sinne der bisherigen Philosophie oder etwa im neuen Sinne? Handelt es sich um eine Philoso20 phie wie die bisherige oder eine wesentlich andere? Handelt es sich nur um eine neue Philosophie? Oder um eine neue Zeit? Beide Fragen, ob eine Veränderung der Philosophie und was für eine notwendig ist, hängen von der Frage ab: I Stehen wir an der Tür einer neuen Zeit, einer neuen Periode der Menschheit, 25 oder wandeln wir im alten Geleise fort oder behalten wir den alten Menschen an, nur mit den Veränderungen, die überhaupt 1
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I am Rande: Grundsätze der Philosophie der Zukunft 1843 I Negation des Protestantismus I »Atheismus« I Und das Wort ward Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit- Bisherige Reformversuche der Philosophie nicht 30 toto genere neu. »Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie« 1842. Der Mensch ist das "Ev Kai 1tÖ. v des Staats. Der Staat ist die realisierte Logik, die die explizierte Totalität des menschlichen Wesens ist.
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unvermeidlich werden mit der Zunahme der Zeit? Würden wir die Frage von der Notwendigkeit einer Veränderung nur aus dem philosophischen Standpunkt fassen, so würden wir sie zu beschränkt fassen, ja auf das Gebiet einer gewöhnlichen Schulstreitigkeit spielen. Nichts tädiöser als dieses. Nur die Veränderung der Philosophie kann die notwendige, die wahre sein, die dem Bedürfnis der Zeit, der Menschheit entspricht. In Zeiten des Untergangs einer welthistorischen Anschauung ist freilich das Bedürfnis ein entgegengesetztes- den einen ist es oder scheint es Bedürfnis, das Alte zu erhalten, das Neue zu verbannen, den andern ist es Bedürfnis, das Neue zu verwirklichen. Auf welcher Seite [liegt] das wahre Bedürfnis? Auf der, welche das Bedürfnis der Zukunft ist- der antizipierten Zukunft-, auf welcher die vorwärtsgehende Bewegung ist. Das Bedürfnis der Erhaltung ist nur ein gemachtes, hervorgerufenes - Reaktion. Die bisherigen Veränderungen der Philosophie waren kleinliche Mäkelei, Rückfälle in Vorstellungen und Anschauungen, deren notwendige wissenschaftliche Konsequenz die Hegeische Philosophie[- deren] willkürliche Verknüpfung verschiedene vorhandene Systeme, Halbheiten, ohne I positive Kraft, weil ohne absolute Negativität. Nur wer den Mut hat, absolut negativ [zu] sein, hat die Kraft, Neues zu produzieren. I Die Perioden der Menschheit unterscheiden sich nur durch religiöse Veränderungen. Nur da geht eine geschichtliche Bewegung auf den Grund ein, wo sie auf das Herz der Menschheit eingeht. Das Herz der Menschheit ist die Religion. Das Herz ist nicht eine Form der Religion, so daß sie auch im Herzen sein sollte; es ist das Wesen der Religion. Es fragt sich nur: Ist in uns bereits eine Revolution in religiöser Beziehung vor sich gegangen? Ja. Wir haben kein Herz, keine Religion mehr, das Christentum ist negiert - negiert selbst von denen, die es noch festhalten; - negiert, aber man will es nicht laut werden lassen, daß es negiert ist; man gesteht es aus Politik nicht ein, macht sich ein Geheimnis daraus; man täuscht sich absichtlich 6-23 Nur ... produzieren. am Rande
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und unabsichtlich darüber- ja, man gibt die Negation des Christentums für Christentum aus, macht das Christentum nur zu einem Namen, ja, geht in der Negation des Christentums so weit, daß I man alle positive Richtschnur wegwirft, weder die symbolischen Bücher noch die Kirchenväter noch die Bibel selbst als Maß des Christlichen verlangt, als ob nicht jede Religion nur solange Religion [wäre], als sie ein bestimmtes Maß des Religiösen hat, einen bestimmten Mittelpunkt, ein bestimmtes Prinzip. Es ist diese Form der Erhaltung unter der Negation. Nicht was in der Bibel steht, nicht was in dem Symbol der Kirche, nichts Positives ist Christentum. Nun was dann? Wenn wir kein Testament mehr haben, woher erkennen wir den Willen, den Geist des Stifters? Und jede Religion hat doch einen Stifter- hat Urkunden, die von ihm sind, nur würdig sind, in Glauben zu kommen. Das heißt nichts andres als: Es gibt eben kein Christentum. Dergleichen Erscheinungen sind nichts andres als Offenbarung von dem innern Verfall, ja Untergang des Christentums- offenbare Negationen des Christentums, die es aber nicht sich noch uns geständig sein wollen, daß sie es sind. Das Christentum entspricht weder mehr dem theoretischen noch dem praktischen Menschen. Es befriedigt nicht mehr den Geist, aber auch nicht mehr das Herz, weil wir andre Interessen auf unserem Herzen haben als die ewige, himmlische Seligkeit. 2 Die bisherige Philosophie fällt in die Periode des Untergangs des Christentums, der Negation desselben, die aber zugleich noch die Position desselben sein wollte. Die Hegelsche Philosophie verdeckte die Negation des Christentums unter dem Widerspruch zwischen Vorstellung und Gedanke d.h. sie negierte dasselbe, indem sie es ponierte - und hinter 2 Wenn der Verfasser früher der Theologie vorwarf, daß sie den praktischen Standpunkt zum absoluten macht und [dies] jetzt selbst [tut], so ist das was andres, weil er jetzt selbst ein praktisches Objekt als absolutes setzt. Zu einem theoretischen Gegenstand, wie Gott ist oder sein soll, kann man sich nur theoretisch verhalten.
12-15 Wenn ... kommen. am Rande 20-24 Das Christentum ... Seligkeit. am Rande
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dem Widerspruch zwischen dem anfangenden und fertigen Christentum. Das anfangende sei notwendig abstrakt gewesen - alle Bande seien hier weggeworfen worden. Allein eine Religion erhält sich nur, wenn sie in ihrem ursprünglichen, anfänglichen Sinn erhalten [wird]. Anfangs ist die Religion Feuer, Energie, Wahrheit- da wird nicht sinnbildlich distinguiert-, jede Religion ist anfänglich streng, unbedingt, rigoros, I mit der Zeit aber ermattet sie, wird lax, sich untreu, gleichgültig, verfällt dem Schicksal der Gewohnheit. 3 Um diesen Widerspruch der Praxis - des Abfalls von der Religion - mit der Religion zu vermitteln, zu verdecken, nimmt man zur Tradition oder zur Modifikation des alten Gesetzbuchs seine Zuflucht. So die Juden. Die Christen helfen sich damit, daß sie in ihre heiligen Urkunden ihren diesen Urkunden radicitus widersprechenden Sinn hineinlegen. Die Distinktion der Hegelschen Philosophie ist schon dadurch aufgehoben, daß das anfängliche Christentum stets auch dem laxen, verfallenen Christentum als Muster, als Ideal vorschwebte, daß sie (sc. die Christen) die hinzutretenden Bestimmungen auf die Autorität desselben gründeten. Allerdings kann man die Bibel nicht zum ausschließlichen Maß nehmen, indem die unbestimmten, schwankenden Meinungen z.B. des Apostels in Betreff der Ehe, des Logos, erst später im Christentum in vielen Ständen einen determinierenden Charakter annahmen; aber diese Bestimmungen müssen doch dem Prinzip nach in der Bibel liegen. So das Zölibat der Geistlichen. Im Anfang war freilich kein Gesetz notwendig. Wieviele begaben sich freiwillig aus größter Begeisterung [in] den ehelosen Stand. Aber als die Christen unchristlich wurden, als keine Ratschläge mehr halfen, warum sollte man nicht jetzt wenigstens den Geistlichen das Zölibat zum Gesetz machen? Die wirkliche Erkenntnis gewährenden Bestimmungen eines Gegen· standes sind immer nur seine eigenen - individuellen; die logisch· metaphysischen Bestimmungen nur generelle. 3
11 vermitteln] vermittelt 21-22 die unbestimmten ... Logos, am Rande
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Das Christentum ist negiert - negiert im Geiste und im Herzen, in der Wissenschaft und im Leben, in der Kunst4 und in der Industrie, und negiert gründlich, rettungslos, unwiderruflich, weil die Menschen das Wahre, das positiv Menschliche, das Antitheologische in sich, sich angeeignet haben, 5 so daß dem Christentum alle Oppositionskraft genommen ist. I Die bisherige Negation war aber eine unbewußte. Jetzt erst ist oder wird sie eine bewußte, eine gewollte, eine direkt angestrebte, um so mehr, als sich das Christentum vermengt hat mit den Hemmnissen des wesentlichen Triebs der jetzigen Menschheit, der politischen Freiheit. Die bewußte Negation begründet eine neue Zeit - die Notwendigkeit einer neuen, offenbar nicht mehr christlichen, entschieden unchristlichen Philosophie. Die Philosophie tritt an die Stelle der Religion; aber eben damit tritt auch eine toto genere unterschiedene Philosophie an die Stelle der früheren. Die bisherige Philosophie kann die Religion nicht ersetzen - sie war Philosophie über die Religion ohne Religion. Sie ließ das eigentümliche Wesen der Religion außer sich liegen - sie vindizierte sich nur die Gedankenform. Soll die Philosophie die Religion ersetzen, so muß die Philosophie als Philosophie Religion werden, so muß sie das auf eine ihr konforme Weise in sich nehmen, was das W esen der Religion konstituiert, was diese vor der Philosophie voraus hat. Wodurch unterscheiden sich die Philosophie und Religion? Dieser ist ein Wesen, jener [sind] Gedanken gegeben. Die Notwendigkeit einer wesentlich andern Philosophie geht schon daraus hervor, daß wir den Typus der bisherigen Philosophie schon vollendet vor uns haben. Überflüssig ist also, was ihr ähnlich ist, was in ihrem Geiste, mag es auch in den beson4 eine halbe Seite höher: Die Kunst gehört zum Wesen des Menschen. Nur der ist Mensch, der Religion hat - Herz praktischer Sinn - Kunst Phantasie - Wissenschaft Verstand. s Für uns wenigstens existiert kein höheres Wesen als der Mensch. Wir wollen uns also nicht durch leere Einbildung um dieses Wesen bringen lassen.
21-24 so muß ... voraus ha:. am Rande 34 bringen] uns bringen
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deren Bestimmungen noch so sehr abweichen - es sind nur subjektive Veränderungen und Modifikationen. Die logischmetaphysischen Begriffe, wie sie Hegel gegeben, könnten anders deduziert werden und könnten so und so verändert werden, das tut nichts zur Sache; die Persönlichkeit Gottes I mag 5 so oder so philosophisch begründet werden - einerlei, wir haben darüber genug gehört; wir wollen davon nichts mehr wissen, wir wollen keine Theologie mehr. Die Philosophie im Sinne der Theologie ist erschöpft, ist aus. Wesentliche Unterschiede der Philosophie sind wesentliche 10 Unterschiede der Menschheit. An die Stelle des Glaubens ist der Unglaube getreten, an die Stelle der Bibel die Vernunft, an die Stelle der Religion und Kirche die Politik, an die Stelle des Himmels die Erde, des Gebets die Arbeit, der Hölle die materielle Not, an die Stelle des Chri- 15 sten der Mensch. Menschen, die nicht mehr zerspalten sind in einen Herrn [im Himmel] und einen Herrn auf Erden, in Diesseits und Jenseits, Menschen, [die] sich mit ungeteilter Seele auf die Wirklichkeit werfen, sind andere Menschen als die in jenen Zwiespalt treten. Was Hegel in abstracto überwand, was er mit- 20 telbar durch Denken erst aufhob, ist für uns aufgehoben; was ihm Resultat des Denkens, ist uns unmittelbare Gewißheit. Wir bedürfen also ein dieser Unmittelbarkeit gemäßes Prinzip; wir müssen dies schon im Anfang haben. Ist praktisch der Mensch an die Stelle des Christen getreten, so muß auch theoretisch 25 das menschliche Wesen an die Stelle des göttlichen treten, denn der Christ als eine von dem Menschen unterschiedene, besondere Qualität basiert sich nur auf einen vom Menschen unterschiednen besondern Gott. Kurz, wir müssen, was wir sind bereits, was wir erst werden wollen, in ein höchstes Prinzip, 30 eine höchstes Wort zusammenfassen: I Nur so heiligen wir unser Werk, begründen unsre Tendenz, wenn wir dem, was wir in praxi als Höchstes betätigen, ein im Gedanken entsprechendes Höchstes setzen. So nur befreien wir uns von dem Widerspruch, der gegenwärtig unser Innerstes vergiftet - von dem 35 Widerspruch unsres Lebens und Denkens mit einer diesem Leben und Denken von Grund aus widersprechenden Religion.
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Religiös müssen wir wieder werden- die Politik muß unsre Religion werden-, aber das kann sie nur, wenn wir ein Höchstes eben in unsrer Anschauung haben, welches uns die Politik zur Religion macht. Wie die Verwandlung des Deus in die Vernunft den Deus nicht authebt, sondern nur verlegt, so hatte der Protestantismus den Papst nur in den König verlegt. Jetzt handelt es sich um das politische Papsttum; die Gründe für die Notwendigkeit des Königs sind dieselben wie die Gründe für die Notwendigkeit des religiösen Papstes. Man kann aus Instinkt, Energie, Wahrhaftigkeit, die Politik zur Religion sich machen; aber es handelt sich um einen letzten, ausgesprochnen Grund, ein offizielles Prinzip. Dieses Prinzip ist kein andres - negativ ausgedrückt - als der Atheismus - die Aufgabe eines vom Menschen unterschiednen Gottes. Die Religion in dem gewöhnlichen Sinn ist sowenig das Band des Staats, daß sie vielmehr die Auflösung desselben ist. Im Sinne der Religion ist Gott der Vater, der Erhalter, Versorger, Wächter, Beschützer, Regent und Herr der Menschen. Der Mensch bedarf daher nicht des Menschen - alles, was er von sich oder von andern beziehen soll, bezieht er unmittelbar von Gott, er verläßt sich auf Gott, nicht auf den Menschen, er dankt Gott, nicht dem Menschen für das, was er vom Menschen etwa zufällig erhält - Amt, Brot, Existenz - alles hat er von Gott, der Mensch ist daher nur I zufäl· lig mit dem Menschen verknüpft. Die Religion löst das Band zwischen den Menschen auf. Der Religiöse hat an Gott seinen Lehrer, seinen Freund, seinen Bruder und Vater- kurz: alles in allem. Wenn wir den Staat uns subjektiv erklären, so treten die Menschen nur deswegen zusammen, weil sie an keinen Gott glauben, an keine Hilfe außer und über ihnen - weil sie unbewußt, unwillkürlich in praxi ihren religiösen Glauben negieren. Nicht der Glaube an Gott - die Verzweiflung an Gott hat die Staaten gegründet- subjektiv erklärt der Ursprung des Staats -, der Glaube an den Menschen als den Gott des Menschen. Im Staate sondern, entfalten sich die Kräfte des Menschen, um durch diese Sonderung und Wiedervereinung ein unendli4-9 Wie ... Papstes. am R.·nde
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ches Wesen zu konstituieren - viele Menschen, viele Kräfte sind Eine Kraft. Der Staat ist der Inbegriff aller Realitäten der Staat die Vorsehung des Menschen. Im Staate vertritt einer den andern, einer ergänzt den andern - was ich nicht kann, weiß, kann der andre, ich bin nicht für mich, preisgegeben dem 5 Zufall der Naturmacht; andere sind für mich, ich bin umfangen von einem allgemeinen Wesen, bin Glied eines Ganzen, welches ein von mir als einzelnem wesentlich unterschiednes Wesen ist. Der Staat ist der unbeschränkt, unendlich wahre, vollendete, göttliche Mensch. Der Staat erst ist Mensch - der 10 Staat der sich selbst bestimmende, sich zu sich selbst verhaltende - der absolute Mensch; im Staate hängt mein Sein vom Menschen ab. Der Staat hat das Recht darum der Todesstrafe. Die Religion ist nur insofern Band der Menschen, als sie nicht 15 Religion - als sie Glaube an die Einheit des Menschen oder dieser bestimmten Menschen ist - als die Heiligung dessen, was an und für sich diese Menschen aneinander bindet, als Ausdruck einer gemeinschaftlichen menschlichen Gesinnung. Mit dem Königtum hörte die religiös{politische) Herrschaft Jehovahs auf, 20 mit der christlichen Kirche hörte die christliche Religion auf. Der Papst trat an die Stelle Christi, ein irdischer, menschlicher Regent an die Stelle eines himmlischen. Die Religion vertritt den Staat, der Staat die Religion - die Religion ist der ideelle Staat, der Staat die reelle oder realisierte Religion, die Religion 25 ist als bestimmte die Vorstellung einer bestimmten Menscheneinheit von ihrem Wesen, das in ihrem Staate sich realisiert. (Das griechische Fatum war die Vorstellung von der allgemeinen Einheit der Menschen, welche notwendig negativ gegen die Götter, die Genien dieser Volkspartikularität war.) Das Reli- 30 giöse ist eins mit dem Staate, weil erst im Staate Wahrheit, Wirklichkeit, was in der Religion nur Vorstellung, weil sie ursprünglich Politik; sie ist das Band - als bestimmte - eines bestimmten Staates, aber eben weil sie nicht Religion - Religion in dem
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15 Der Text ist von hier bis zum Ende der Seite (siehe 127,2} in der Rand-
spalte geschrieben, auf CJr wieder in der Textspalte.
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Sinne der Religion und 1 heologie -, weil ihr Wesen das politische Wesen ist. Relilgion ist, was eine gemeinsame Sache der Menschheit oder einer bestimmten Menscheneinheit ist - die zum Zweck der Einheit gemachte Einheit. Heilig, unantastbar 5 ist, was gemeinsam, allgemein - Religion und Sitte ursprünglich identisch; selbst identisch in dem Zeitalter der modernen christlich orthodoxen Welt. Die Meinung, die Sitte, ist noch heute die Religion der Weiber. Alle moralischen, alle politischen Gesetze sind ursprünglich religiös, Religion. Was gilt, was Ge10 setz ist, das ist Religion. Der wahrhaft Gebildete hat vor dem Eigentum des andern eine religiöse Scheu. Das Christentum hat keine Staaten gegründet, sondern eine Kirche. Die Kirche ist aber nur das in der Realität, was Christus in der Vorstellung; der explizierte Christus ist die Kirche. Die Kirche ist ein vom 15 Staate als solchem unterschiedenes Reich - der Himmel auf Erden; Christus wollte kein weltliches Königreich gründen, er wollte für alle Menschen ohne Unterschied der Nationalität sein; er wollte die Menschen von der Qual der Sünde erlösen; er war der Barmherzige; aber auch die Kirche hat die Schlüssel 20 der Vergebung. Die Taufe schon nimmt dem Menschen die Furcht der Sündenfolgen weg. Christus war die Identität der Menschen- in ihm sollten sie, unter der Bedingung des Glaubens an ihn, eines sein; die Kirche einte die Christen. Im Christentum zogen sich die Menschen von der Politik zurück; sie 25 traten in freiwillige, sich gegenseitig unterstützende Vereine, sie hatten Gütergemeinschaft, Liebesmahle; an die Stelle eines politischen Verbandes trat die Bruderliebe. Kurz, das Christentum war eine unpolitisch-politische Vereinigung der Menschen zu ihrem innern und äußern Heil und Wohl. Der Mensch war 30 der Inhalt. 6 Die Vorstellung ist nicht das Wesen der christlichen Religion, sondern die sinnliche Anschauung. Und >>wir sahen seine Herr-
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Gott ist nur jetzt ein Gegenstand des Gedankens, einst ist er ein sinnliches Wesen - wird gesehen, gefühlt. 6
31-128,12 Die Vorstellung ... anerkannt. am Rande
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lichkeit«. Nur für die Spätern ist der Gegenstand der christlichen Religion ein Objekt der Vorstellung - ein geistiges, nur in der Vorstellung existierendes Wesen - aber die ursprüngliche Anschauung wird wieder hergestellt. Im Himmel ist Gott, Christus, Objekt der unmittelbaren, sinnlichen Anschauung - 5 diese ist also das Ziel des Christentums. Die Spekulation, die sich so viel zugute tut auf ihre Übereinstimmung, hat noch keinen Grund, so hochmütig und verächtlich auf das Sinnliche herabzusehen und die Philosophie, die dieses geltend macht, zu verschmähen. Die sinnliche Anschauung wird im Christentum 10 als die Form, das Organ des höchsten, des göttlichen Wesens anerkannt. I Christus, der Mensch, als Menschenliebhaber oder Repräsentant der andern Menschen, allgemeine Person, war der Gegenstand. Er war die idealisierte Menschenliebe. Kurz, die Kirche war die Realität davon, wovon Christus die antizipier- 15 te Vorstellung war. Die Religion ist nur die Vorstellung von dem, was der Mensch will und soll im Leben tun - der oberste Vor- und Grundsatz des (politischen) gemeinsamen Lebens. Oder: Gott ist nur das Ideal, die Idee, die der Mensch realisieren soll und will. Was zu einer gemeinsamen Sache wird, wird 20 unwillkürlich, wenn auch immer zugleich bei allen, was auch an der Zeit ist; [was in] Wille und Bewußtsein mittätig ist, das bindet unwillkürlich auch die Menschen aneinander, wird eine Macht, vor der sich die Menschen beugen, wird ein lebendiges Wesen, personifiziert sich. So ist es gegenwärtig mit den 25 Ungläubigen. Der Unglaube wird bald allgemeine Macht werden, dann religiöse Autorität werden. Man macht sich Religion daran, zu glauben - zu glauben im angenommenen, bisher gültigen und deswegen geheiligten Sinne des Glaubens. Was die Menschen treibt, beseelt, bestimmt, aneinander kettet, sie le- 30 diglich im Privatwillen schon wert und teuer macht, ist ihr Prinzip, ihr Gott. Aber man kann auch allerdings - weil beides gleichzeitig - den christlichen Gott aus der christlichen Gemeinde ableiten. Erst mit der Gemeinde bildet sich die Vorstellung Christi aus. Christus ist die Vorstellung der Gemeinde 35 von ihrem Wesen. Die Religion beruht auf der Meinung der Menschen, sie ist selbst eine öffentliche Meinung. Ihre Existenz
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ist daher, wie die des Bü::gers, auf die Ehre gegründet. Der Begriff der I religiösen Injurie, der Blasphemie liegt im innersten Wesen der Religion.? Gott im rationalistischen Sinn kann freilich nicht gelästert, nicht beleidigt werden, aber die Religion 5 wird beleidigt, indem ihr Gegenstand beleidigt wird. Und der bestimmte Gott und die bestimmte Religion sind identisch. Eine Religion ist darum untergegangen oder im Untergang begriffen, wenn sie nur durch ehrlose Mittel noch sich behaupten kann, wie es gegenwärtig mit dem Christentum der Fall, welches nur noch Wind macht, durch renommistische Zeitungsartikel und dgl. löbliche Mittel zeigen will, daß es noch im Flor ist und durch die unwürdigsten und unsittlichsten Mittel die Angriffe der Ungläubigen abwehrt. Aber löst sich denn nicht der Staat auf, wenn der Glaube an 15 eine vergeltende, strafende und belohnende göttliche Gerechtigkeit fällt? Auch der christliche Staat ist Theokratie, nur daß hier Gott mehr mittelbar wirkend gedacht wird. Ist die Religion also nicht auch in ihrem religiösen Sinn das Band? Nur in den Fällen, die nicht sein sollen, solange wenigstens der Staat 20 noch seinem Beruf gemäß ist, in den Fällen des Unrechts appelliert der Unschuldige an die heilige Idee der Gerechtigkeit, an das Bewußtsein seiner Unschuld und hofft, daß sich einst seine Unschuld erhellen, er einst wieder gereinigt dastehen wird von der ihm angetanen Schmach. Würde sich der Mensch nur 25 auf die Gerechtigkeit Gottes verlassen, so würden eben keine Anklagen, keine Prozesse, keine Gerichte stattfinden. Die Menschen brauchen nicht sich Recht zu verschaffen, wenn außer und über dem I Menschen ein rechtsprechendes Wesen wäre. Nur der Mensch hat das Recht, den Menschen zu richten, nur 30 der Mensch kennt den Menschen, d.h. der Mensch richtet sich selbst moralisch unmittelbar durch sich selbst, durch sein Gewissen, politisch durch eine dritte Person. Darin besteht eben
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7 Der König ist nicht als Person für sich heilig, etwas Positives - nur als der individuelle Stellvertreter des Ganzen, als der Repräsentant des Ge35 meinwesens; er hat sein Fürsichsein nur im Sein für andere.
16-17 Auch ... gedacht wird. am Rande
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das Sittliche, einem andern außer mir, der das Bewußtsein des Rechts, der die Menschheit vertritt, das Gericht über mich zu überlassen. Es ist das Tiefe im Christentum - daß es nicht Gott, sondern dem Menschen Christus das Gericht über den Menschen vergibt. Gott kann nur verdammen - rigoros gedacht, wo er 5 das abstrakte, negative, von allen menschlichen Bestimmungen gereinigte Wesen des Verstandes ausdrückt. Der Mensch will nicht nur vor sich - er will vor den andern gereinigt dastehen. Im Unglück soll uns das Bewußtsein unsrer Gerechtigkeit, unsrer Unschuld genügen- überhaupt der Mensch das Rechte 10 tun, ohne sich darum zu bekümmern, ob die und jene Menschen, d.h. die Leute, die Stadtfraubasen es wissen und kennen - aber etwas anders ist der Mensch in dem andern, was andres der wahre Andere. Der Mensch ist nicht gleichgültig, er ist wesentlich Mensch nicht nur für sich, sondern auch für den an- 15 dern. Er will nicht verkannt sein, er will er- und anerkannt sein. Also genügt ihm nicht die Gerechtigkeit vor Gott. Auch das haben wir im Christentum, in der Religion. Gott richtet nicht im geheimen. Das Gericht ist öffentlich, geschieht vor der Versammlung der Menschen, also im Angesicht der Menschen. 20 Selbst das Endurteil der Religion versetzt uns also auf den Marktplatz des menschlichen Lebens. I Im Staate wird der Mensch gerichtet von einem anderen, der aber seinesgleichen ist, der als Richter über ihm steht, der nicht als persönlich interessiertes Wesen, der erhaben über Affekte und Leidenschaf- 25 ten, die sein Urteil verfinstern könnten, richtet. Wir haben also hier, was wir überhaupt im Gegenstande der Religion- ein vom Menschen, d.h. vom individuellen Menschen, von mir unterschiedenes, abstraktes und doch im Wesen menschliches W esen, d.h. wir haben hier den Unterschied vom Menschen und 30 gleichzeitig die Identität mit dem Menschen. Der Richter sondert seine öffentliche, seine allgemein menschliche Bedeutung, Stellung und Pflicht von seiner subjektiv menschlichen; er vertritt das Gesetz. Wir haben daher denselben Unterscheidungsakt des Menschen von sich, auf dem die Religion beruht. Gott 35 als ein vom Menschen - d.h. individuellen - verschiedenes W esen wird, wo der Mensch sich von sich selbst unterscheidet -
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sein allgemeines Wesen von seinem besondern, individuellen. Nur in der Gemeinde bildet sich der Begriff eines allgemeinen Wesens, nur in einem sittlichen Gemeinwesen der Begriff eines sittlichen Gottes. Die Vorstellung des Gemeinwesens als 5 eines für sich bestehenden Wesens - aber nur in der Vorstellung- ist die Vorstellung Gottes. Alle Völker denken ihre Götter nach Beschaffenheit ihres staatlichen Lebens - natürlich, denn das himmlische Reich der Religion ist nur das ideale Abbild des irdischen Reiches. Gott ist das Wesen des Staats, vor10 gestellt als Wesen. Der Staat ist die Realität, I aber eben zugleich auch die praktische Widerlegung des religiösen Glaubens. Der Gläubige in der Not sucht selbst in unseren Tagen nie Hilfe beim Menschen. Er hilft sich mit dem >>Segen Gottes«, der überall dabei sein muß - allerdings hängt nicht von der menschli15 chen Tätigkeit, sondern von günstigen Umständen, oft Zufällen, das Gelingen ab; aber der Segen Gottes ist nur ein blauer Dunst von Religion, in den der gläubige Unglaube seinen praktischen Atheismus verhüllt. Der praktische Atheismus ist also das Band der Staaten. Nicht: 20 ohne Gott kein Staat; nein: ohne Staat kein Gott. Die Menschen sind im Staate, weil sie ohne Staat ohne Gott sind, der Staat der Menschen Gottesstaat, daher sich er mit Recht das göttliche Prädikat der Majestät vindiziert- oder, wenn wir diesen Ausdruck zu kraß finden: Die Religion ist das Band der 25 Staaten, aber nur insofern als sie das direkte Gegenteil von dem ist, was man gewöhnlich in ihr sieht, als sie keinen andern Inhalt und Gegenstand als den Staat hat. -Aber, was unbewußt der Grund und Band des Staats ist - der praktische Atheismus -, ist uns zum Bewußtsein gekommen. Die Menschen wer30 fen sich gegenwärtig in die Politik, weil sie ihre Religion negieren, weil sie das Christentum als eine den Menschen um die politische Energie bringende Religion erkennen. Oder die Teilnahme an der Politik, die sich aller Menschen fast bemächtigt, ist der Beweis, daß die Religion aufgehört hat, daß sie negiert, oder, 35 wie man auch sagen kann, daß sie sich realisiert hat; denn so 19-20 Nicht ... kein Gott . .~m Rande.
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sehr sich die christliche I Religion entfernt hat von der Politik, so ist doch die christliche Religion auch [als] die ideale antizipierte religiöse Vorstellung eines politisch sich realisierenden Gemeinwesens anzusehen. Das Christentum zersprengte die Fesseln der Nationalitäten, die Politik der alten Welt; es machte alle Menschen vor Gott gleich ohne Unterschied des Standes, der Nation; es erklärte den Menschen als Menschen des Rechts der himmlischen Seligkeit fähig. Jeder ist Bürger des Himmels - jeder der potentia nach, ohne Ausnahme, wofern er nur glaubt an den Gegenstand des Christentums. So ist also das Christentum die Vorstellung eines Gemeinwesens, wo jeder gleichen Anteil, gleiche Rechte hat, wo keine Ausnahme vor dem Gesetz des allgemeinen Wesens, kein Vorzug der Geburt gilt; aber die Wahrheit, die Realität der Religion ist die Politik. Das Rätsel der christlichen Religion ist daher aufgelöst, ihr Geheimnis enthüllt, ihre Zweckbestimmung erfüllt, ihrEnde erreicht, indem die religiöse Idee und Begeisterung zur Idee und Begeisterung für die Politik geworden ist. Mit der Auflösung des Christen im Menschen löst sich notwendig die christliche Religion selbst im Staate auf. Solange der Christ ein vom Menschen gesondertes Wesen war, der Christ den Christen über den Menschen setzte als eine von einem übermenschlichen Gott eingegebene aparte Qualität, den Christen vom Menschen unterschied, sonderte - das Christentum auf eine außermenschliche Offenbarung sich stützte, solange konnte sich die religiöse Idee des Christentums, inwiefern sie ein politisches Wesen vorbedeutete, auch nur in einem besondern, vom Menschenreiche, vom Staate unterschiedenen Reiche - der Kirche - realisieren. Und was der Denker in der Erkenntnis vor dem Bewußtsein hat, das hat der praktische Mensch in seinem praktischen Trieb. Der I praktische Trieb der Menschheit ist aber einzig der politische, der Trieb nach aktiver Teilnahme an den Staatsangelegenheiten, der Trieb zur Aufhebung der politischen Hier3 eines politisch sich] wird politisch sich zu 5 die Politik der alten Welt am Rande 12 gleichen Anteil am Rande
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archie, der Bevormundt.ng des Volks, der Trieb zur Negation des politischen Katholiztsmus. Die Reformation zerstörte den religiösen Katholizismu;, aber dafür setzte dieneuere Zeit den politischen Katholizismus an seine Stelle. Was die Reformation 5 im Gebiete der Religion wollte und bezweckte, das will man jetzt im Gebiete der Politik. Auch hier haben wir wieder als Beweis, daß die religiöse Idee nur die Antizipation einer politischen Idee und Bewegung ist. Christus ist für uns gestorben also brauchen wir nicht zu sterben, uns zu negieren, Werke her10 vorzubringen, um uns zu erlösen - wir sind für Christus, nur weil er für uns ist; der Staat - im Sinne des l'etat c'est moi - ist für uns, nicht wir für ihn, nur dann für ihn, wenn er für uns. Nicht die Position freilich, die Negation des religiösen Protestantismus führt zum [politischen] Protestantismus, wie die 15 Negation des religiösen Katholizismus zum politischen Katholizismus geführt hat. Der Papst, das Oberhaupt der Kirche, ist so gut Mensch wie ich; der König ist so gut Mensch wie wir; er kann also nicht unbeschränkt seine Einfälle geltend machen, er steht nicht über dem Staate, über dem Gemeinwesen. Der 20 Protestant ist ein religiöser Republikaner. Der Protestantismus führt daher in seiner Auflösung, wenn sein religiöser Gehalt verschwunden, d.h. enthüllt, entschleiert ist, zum politischen Republikanismus. Wenn wir den Zwiespalt des Protestantismus aufheben in Himmel, wo wir Herren, und in die Erde, wo 25 wir Knechte sind - wenn wir also die Erde als unsern Bestimmungsort erkennen, so führt der Protestantismus stante pede zur Republik. Wenn in früheren Zeiten sich Republik mit dem Protestantismus verband, so war es freilich zufällig- doch nicht ohne Bedeutung -, weil der Protestantismus nur religiös frei 30 macht, und daher ein Widerspruch, solange man noch den religiösen Glauben des Protestantismus festhielt. Nur wenn du die christliche Religion aufgibst, hast du sozusagen das Recht zur Republik; denn in der christlichen Religion hast du deine Republik im Himmel, du brauchst also hier keine. Im Gegenteil: 35 Hier mußt du Knecht sein. Sonst ist der Himmel überflüssig. I 13·16 Nicht ... geführt hat. am Rande
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Mit der Auflösung des Christentums, des Protestantismus als einer den Geist bestimmenden religiösen Macht und Wahrheit sind wir aus dem Mittelalter - die bisherige sogenannte neuereZeitist das protestantische Mittelalter, in dem wir bisher nur mit halben Negationen uns behalfen, die römische Kirche, das 5 römische Recht, das peinliche Kriminalrecht, die Universitäten im alten Schnitt usw. fortbehielten-in die neue Zeit eingetreten. Der Geist der Zeit oder Zukunft ist der des Realismus. Die neue Religion, die Religion der Zukunft ist die Politik. In religiöser, allgemeinster Form ausgesprochen ist ihr Prinzip: 10 der Glaube an den Menschen als die höchste und letzte Bestimmung des Menschen und ein diesem Glauben gemäßes Leben für den Menschen, mit dem Menschen. Diesem gemäß muß das Prinzip der Philosophie auch ein reales sein; ihre Aufgabe ist, den Menschen als absolutes Wesen zu fassen und zu konstruie- 15 ren, d.h. die den Menschen konstituierenden Formen als absolute Formen, als Existenzialformen des absoluten Wesens zu fassen. Fassen wir ein vom Menschen unterschiedenes Wesen I als höchstes Prinzip oder Wesen, so ist die Unterscheidung, die Abstraktion vom Menschen bleibende Bedingung der Er- 20 reichung, der Erkenntnis dieses Wesens, so kommen wir nie zu unmittelbarer Einheit mit uns selbst, mit der Welt, mit der Wirklichkeit, wir vermitteln uns mit uns selbst und der Welt durch ein andres, Drittes, wir kommen nie an die Quelle, haben stets ein Produkt statt des Produzierenden; wir haben ein 25 Jenseits zwar nicht mehr außer uns, aber in uns, wir befinden uns stets in einem Bruch, einem Zwiespalt zwischen dem Leben und der Philosophie, der Praxis und Theorie, wir haben ein anderes (ein abstraktes) Wesen im Kopfe als im Herzen, im Kopf den »absoluten Geist«, im Leben den Menschen, dort 30 Gedanke, der kein Wesen ist, hier nur Wesen, die keine NoouJ..LEVa, keine Gedanken sind; wir sind bei jedem Schritte im Leben außer der Philosophie, bei jedem Gedanken der Philosophie 4-135,27 in der Randspalte neben dem Vorhergehenden
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außer I dem Leben, denr1 hier denken wir nur die von uns gedachten abstrakten Dinge. Nur wenn das Wesen unseres Lebens auch das Wesen unseres Denkens, das wesentliche Objekt der Praxis auch das wesentliche, das absolute Objekt der Theorie ist, bekommen wir wahre Einheit zwischen Sein und Denken, zwischen Philosophie und Leben. Unsere Sinne widersprechen unserer bisherigen Philosophie, unsre Philosophie den Sinnen- dieser Widerspruch löst sich nur, wenn wir das sinnliche Wesen als absolutes Wesen fassen. Der Mensch ist wesentlieh sinnliches Wesen. Eine Philosophie ohne Sinnlichkeit, außer der Sinnlichkeit, über der Sinnlichkeit ist eine Philosophie ohne Wahrheit, ohne Realität, ohne Einheit mit dem Menschen. Was wir im Leben bekräftigen - bekräftigen müssen, warum wollen wir das im Denken verleugnen? Wenn die Wahrheit im Menschen, nun so muß ja doch wohl in den menschlichen Regungen, I Trieben, psychologischen Erscheinungen die Wahrheit zum Vorschein kommen? Warum diese Trennung zwischen psychologischer Empirie und Theologie, Ontologie? Aus den Trieben, Schmerzen, Leiden, Freuden des Menschen erscheint, offenbart sich das absolute Wesen. Warum nur verlangen wir, einen Denker, einen geistigen Menschen auch von Angesicht zu kennen? Warum sehnen wir uns nach dem Bilde eines großen Denkers d$!r Vergangenheit? Warum genügt uns nicht sein Gedanke? Woher dieser Übergang vom Denken zum Sein? Weil wir nicht zweifeln, Geist zu sehen, wenn wir ihn, sein Gesicht sehen, weil wir die Sinnlichkeit für den realen Ausdruck seines Wesens erkennen.
ANMERKUNGEN DER HERAUSGEBER
Der Begriff der »~pekulativen Philosophie«, den Feuerbach in seiner ersten These skizz:iert, weicht von dem damals noch gängigen Wortgebrauch ab. Kant oder Hege! bezeichnen als »Spekulativ« eine Philosophie aus reiner theoretischer Vernunft; siehe etwa Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 735; in den Vorlesungsankündigungen bezeichnet Hege! deshalb »Logik und Metaphysik« als »spekulative Philosophie«; siehe HGW 12.322. Hierin liegt allerdings auch das Moment der Weltimmanenz solcher Vernunft, das für Feuerbach zum prägenden Zug des Begriffs der spekulativen Philosophie wird. Deshalb nennt er als Urheber der spekulatiVen Philosophie hier Spinoza, der erstmals in der neuzeitlichen Philosophie einen nicht jenseitig-theistischen, sondern diesseitig-pantheistischen Gottesgedanken faßt; siehe Spinoza: Ethica. Insbesondere Pars 1: »De Deo« (»Von Gott«), aber auch die hier in den Anmerkungen folgenden Einzelnachweise.- Vgl. auch GW 3.179: »Spinoza ist eigentlich erst der Vater der neuern Philosophie; denn Cartesius bleibt sich nicht getreu; er nimmt innerhalb seiner Philosophie wieder zu einem außer-, ja, un-, ja, anti-philosophischen Prinzip, dem asylum ignorantiae, zu dem bon-plaisir Gottes, d.h. zu der absoluten Willkür, seine Zuflucht. Spinoza ist der Erlöser der Vernunft der neuern Zeit. Alle tieferdenkenden Geister- wir abstrahieren von den eigentlichen Philosophen -, ein Lessing, Lichtenberg, Goethe, fanden sich darum in ihm.« - Als »Wiederhersteller« der spekulativen Philosophie nennt Feuerbach Schelling, bezogen auf die identitätsphilosophische Phase des Schellingschen Denkens, in der Schelling ausdrücklich an Spinoza anknüpft; siehe hierzu die Anm. zu 16,19-21. Siehe Schellings Aussagen zur »absoluten Identität« in seiner Darstellung meines Systems der Philosophie. Insbesondere§§ 1-22, SW I/ 4.114123. - Zu Feuerbachs Deutung von Hegels Gottesbegriff siehe die Anm. zu 59,30. - Vgl. aber 35,25-27 mit Anm. 3,20-24 Zu Denken und Ausdehnung als Attributen der Substanz siehe Spinoza: Ethica. Pars 2, Propositio 1: »Cogitatio attributum Dei est, sive Deus est res cogitans.« (»Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Ding.«) - Propositio 2: »Extensio attributum Dei est, sive Deus est res extensa.« (»Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein ausgedehntes Ding.«) 3,30 Feuerbach bezieht :,ich auf seine Geschichte der neuem Philoso3,9-10
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Anmerkungen der Herausgeber
phie von Bacon von Verulam bis Benedikt Spinoza. Ansbach 1833. Der
Hinweis auf § 112 ist jedoch unzutreffend; die genannte Schrift umfaßt nur 100 Paragraphen. Gemeint ist vermutlich § 83: »Einleitung und Übergang von Cartesius zu Spinoza«; siehe GW 2.364-380. 4,6-7 Hege!: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. W2 199,5-200,12; vgl. V 3.221f. 4,8-9 Siehe die Anm. zu 3,20-24. 4,19 Der Hinweis auf die »Religionsphilosophie>Unumquodque unius substantiae attributum per se concipi debet.>Des Dichters '.' orwort an die Leser.« vor den Canzoniere gestellt hat; siehe Petrarca: !·ämmtliche Canzonen, Sonette, Ballaten und Triumphe, übersetzt und mit: erläuternden Anmerkungen begleitet von Kar! Förster. Zweite verbt,sserte Auflage. Leipzig 1833, XV: »Die ihr, wie sie durch meine Reime gehen, Den Seufzern lauscht. womit mein Herz ich nährte, So lang der erste Jugt·ndirrthum währte Und ich zu Andrem war, als jetzt, ersehen! Ungleichem Styl, drin ich in eitlen Wehen Und eitlem Hoffen weinend mich verzehrte, Wird, wen Erfahrung Liebe kennen lehrte, Mitleid, nicht blos Verzeihung, zugestehen. Wohl seh' ich nun, wie ich in Aller Munde Das Mährlein lange war, und solch Bekenntniß Macht, daß beschämt ich droh in mir erglühe; Und meiner Thorheit einz'ge Frucht zur Stunde Ist Schaam und Reu' und deutliche Erkenntniß, Daß Weltlust wie ein kurzer Traum entfliehe.« Vgl. Petrarca: Canzoniere nach einer Interlinearübersetzung von Geraldine Gabor in deutsche Verse gebracht von Ernst-Jürgen Dreyer mit Anmerkungen zu den Gedichten von Geraldine Gabor. o.O. o.J, 7. - Siehe auch die Canzone •Vergine bella«, an die »Schöne Jungfrau« Maria gerichtet, mit der der Canzoniere endet, in Försters Ausgabe Nr XXIX, 112f.; hier klagt Petrarca: »Sterbliche Reize haben und Gehehrden Und Worte mich berücket. 0 Jungfrau, hochbeglücket! Dem Todesnahen komm ein Schirm zu werden! Wohl flüchtiger sind meine Tag', als Pfeile, Von Schmach und Sünd' umfangen, Dahingegangen, und zum Tod' ich eile. [ ... ]
0 milde Jungfrau, Feindin stolzer Triebe, Gedenke des gemeinsamen Beginnes! Sieh' mein zerknirschtes Herz erbarmend innen! Da ich so wunderbar getreuen Sinnes Ein Häuflein nicht'gen Erdenstaubes liebe, Was, hehres Wesen, gegen dich beginnen? Kann meinem Jammerstand' ich je entrinnen
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Anmerkungen der Herausgeber
Durch deiner Gnade Walten, 0 Jungfrau, dann gestalten Für dich sich heil'ger Geist und Wort und Sinnen, Sich Herz und Zunge, Seufzer sich und Thränen. Führ' mich zu besserm Pfade, Nimm an in Gnade mein verwandelt Sehnen!« Vgl. den italienischen Text und die Übersetzung in der genannten Neuausgabe, Verse 85-91 und 118-130. 8,26-9,1 Feuerbach spielt auf Hegels Thematisierung des Verhältnisses von Endlichkeit und Unendlichkeit an; siehe Hege!: Wissenschaft der Logik. HGW 21.104-143. 9,5-6 Die Abhandlung der Attribute Gottes nimmt den größten Teil der natürlichen Theologie des 18. Jahrhunderts ein; siehe etwa Wolf!: Theologia naturalis. Pars I, Caput 1: »De existentia Dei & attributis independentibus«; Caput li: »De intellectu Dei & attributis independentibus«; Caput IV: »De sapientia & bonitate DeiAnti-Hegels>Spi· noza ist der Urheber der spekulativen Philosophie.«- Siehe 3,9-10 mit Anm. - Zur Abstraktion von Sinnlichkeit und Materie siehe die Anm. zu 53,22-24. - Zur Immaterialität Gottes wie auch zu seinem Status als eines Objekts für das Denken siehe Principia philosophiae. Pars 1, §§ 22f, OEuvres. Bd 811.13: »Magna autem in hoc existentiam Dei probandi modo, per ejus scilicet ideam, est praerogativa: quod simul quisnam sit, quantum naturae nostrae fert infirmitas, agnoscamus. Nempe ad ejus ideam nobis ingenitam respicientes, videmus illum esse aeternum, omniscium, omnipotentem, omnis bonitatis veritatisque fontem, rerum omnium creatorem, ac denique illa omnia in se habentem, in quibus aliquam perfectionem infinitam, sive nulla imperfectione terminatam, clare possumus advertere. I Nam sane multa sunt, in quibus etsi nonnihil perfectionis agnoscamus, aliquid tarnen etiam imperfectionis sive limitationis deprehendimus; ac proinde competere Deo non possunt. Ita in natura corporea, quia simul cum locali extensione divisibilitas includitur, estque imperfectio esse divisibilem, certurn est, Deum non esse corpus.