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German Pages [319] Year 2020
HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 69
Thomas Meyer
Verantwortung und Verursachung Eine moral- und rechtsphilosophische Studie zu Hegel
HEGEL-STUDIEN
Beiheft 69
In Verbindung mit Walter Jaeschke und Ludwig Siep herausgegeben von Michael Quante und Birgit Sandkaulen
FELIX MEINER VERL AG HAMBURG
Thomas Meyer
Verantwortung und Verursachung Eine moral- und rechtsphilosophische Studie zu Hegel
FELIX MEINER VERL AG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3795-8 ISBN eBook 978-3-7873-3796-5
Umschlagabbildung: © Ruth Tesmar / VG Bild-Kunst 2020 © Felix Meiner Verlag Hamburg 2020. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen. Druck: Stückle, Ettenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
Für Ria, Marc und Friedel
Inhalt
Vorwort Einleitung
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1. Die Grundlinien der Philosophie des Rechts
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1.1 Recht als freier Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Der Begriff des freien Willens (§§ 5–24) . . . . 1.1.2 Die Verwirklichung des Willens – Objektiv vs. Subjektiv (§§ 25–26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Der Begriff des Rechts (§§ 27–30) . . . . . . . . . 1.2 Die Moralität und der Begriff der Handlung . . . . . . 1.2.1 Die Moralität als besonderer Teil der Grundlinien – Die Einleitung (§§ 105–114) . . 1.2.2 Der Begriff der Handlung (§ 113) . . . . . . . . .
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2. Verursachung: Kausale Schuld (kausale Willenskomponente) . . . . .
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2.1 Verursachung in normativen Kontexten . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Rolle der Kausalität in Hegels Grundlinien . . . . . . . 2.2.1 Verursachung in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der diskriminatorische Begriff der Kausalität der Wesenslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Der nicht-diskriminatorische Begriff der Kausalität der Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Die INUS-Theorie der Kausalität und Hegels Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung
.... ....
85 89
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90
....
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. . . . 100 . . . . 111 . . . 121
3. Wissen: Vorsatz und Absicht (kognitive Willenskomponente) §§ 117–120 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.1 Die Wissensbedingung in normativen Kontexten
. . . . . . . . . 128
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Inhalt
3.2 Hegels Lehre der epistemischen Bedingung von Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Der Vorsatz: Das Recht des Wissens1 (§§ 117–118) 3.2.2 Das Problem der Standardauffassung und George Shers Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Absicht: Das Recht des Wissens2 (§§ 119–120) 3.2.4 Hegels Antwort auf Shers Herausforderung . . . . . 3.2.5 Subjektive und objektive Willensverwirklichung: Hegels Askriptivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Hegels Theorie der Wissensbedingung von Verantwortung 4. Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
. . . 132 . . . 133 . . . 146 . . . 151 . . . 165 . . . 169 . . 173
. . . . . 175
4.1 Zufall in normativen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Welche Rolle spielt der Zufall? . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Adäquanztheorie der Kausalität und die Lehre der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Das Thema des moral luck in der Moralphilosophie 4.2 Die Rolle des Zufalls in Hegels Grundlinien . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zufall der Umstände (§ 117) (circumstantial luck) . 4.2.2 Zufall der Folgen (§ 118) (resultant luck) . . . . . . . . 4.2.3 Zufall und notwendige Folgen (§ 118 Anm.) . . . . . 4.2.4 Kontrolle und moral luck: Handeln in einer Welt voller Zufälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Hegels Theorie des Zufalls im Recht . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 177 . . . 177 .. . .. .. .. ..
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180 186 189 190 193 197
. . . 201 . . . 209
5. Rechtfertigung und moral blame (evaluative Willenskomponente) . . 213 5.1 Rechtfertigungsgründe und moral blame . . . . . . . . 5.2 Rechtfertigungsgründe in den Grundlinien . . . . . . 5.2.1 Wert, Interesse, Wohl: Das „Recht der subjectiven Freyheit“ . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Hegels Notstandslehre (§§ 127, 128) . . . . . . 5.3 Das Gute und das Gewissen (kognitiv-evaluative Willenskomponente) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Das Recht auf Einsicht in das Gute . . . . . . . 5.3.2 Der Begriff der Pflicht (§ 133) . . . . . . . . . . . 5.4 Das Recht der Besonderheit und die Verantwortung
. . . . . . . . 214 . . . . . . . . 217 . . . . . . . . 219 . . . . . . . . 233 .... .... .... ...
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Hegel-Studien
Inhalt
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6. Verantwortung, Verursachung und die Rechte der Subjektivität . . . 253 6.1 Die moderne Rechtedebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Zur Form oder Logik von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Zur Funktion von Rechten: Willens- vs. Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Rechte der Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Hegels Begriff der Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Zur Funktion der Rechte bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Hegels Begründung der Rechte der Subjektivität . . . . . 6.2.4 Die Geltung der Rechte der Subjektivität . . . . . . . . . . . 6.3 Hegels „Moralität“ und positives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Grundrechte und das Straf- und Deliktsrecht . . . . . . . 6.3.2 Das Recht des subjektiven Willens – moralische Rechte?
Schluss und Ausblick Siglenverzeichnis Literaturverzeichnis Personenregister Sachregister
254 255 258 259 259 266 267 269 272 273 281
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
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Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im November 2017 beim Fachbereich Geschichte / Philosophie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter dem Titel „Verantwortung und Verursachung in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts“ eingereicht und im März 2018 verteidigt habe. Die Arbeit ist hauptsächlich im Rahmen des Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ an der WWU Münster entstanden. Für die finanzielle und institutionelle Unterstützung durch das Cluster und die Graduiertenschule bedanke ich mich, vor allem aber danke ich ganz herzlich meinem Mentor Klaus Große-Kracht für seine Unterstützung und meinem Bürokollegen Lennart Pieper für die produktive Arbeitsatmosphäre sowie für die unzähligen guten Gespräche. Auch wenn ich die maßgebliche Ursache des vorliegenden Textes und natürlich auch gerade für ihre Unzulänglichkeiten im Vollsinne verantwortlich bin, so gebührt doch eine Menge Dank anderen Menschen, die mich während der Arbeit an diesem Text auf verschiedene Weise unterstützt haben. Dafür, dass ich überhaupt beginnen konnte, und für die institutionelle Unterstützung danke ich Andreas Speer. Für die lange philosophische Freundschaft, endlose Diskussionen und Gespräche über Philosophie, für den Vorschlag, in den Semesterferien gemeinsam Hegel zu lesen, und vor allem dafür, überhaupt mein Interesse an Bildung und am Lesen geweckt und aufrechterhalten zu haben, danke ich Tim Rojek: DKgw! Birgit Sandkaulen danke ich für die Aufnahme des Buches in die Hegel-Studien Beihefte. Dem Lektor des Felix Meiner Verlags, Marcel Simon-Gadhof, möchte ich meinen Dank für das exzellente Lektorat und die Betreuung aussprechen. Meinem Doktorvater Michael Quante habe ich für vieles zu danken – dafür, überhaupt die Betreuungspflichten für einen späten Kölner Nachzügler übernommen zu haben; für das Vertrauen in mich und die Bereitschaft, mit Rat immer da zu sein und zugleich so viel Freiraum zu ermöglichen, dass ich meine eigenen Ideen und Vorstellungen habe umsetzen können; für den Rat, mich nicht in der Logik zu verlieren; für die institutionelle Unterstützung und schließlich für die sehr gute und vor allem freundschaftliche Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten – herzlichen Dank für all das! Auch möchte ich Thomas Gutmann für die Übernahme des Zweitgutachtens danken sowie für seine Unterstützung und die so konstruktive Haltung
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Vorwort
gegenüber der meines Erachtens akademisch noch weiter ausbaufähigen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Rechtswissenschaft und Philosophie. Ebenfalls möchte ich Ludwig Siep meinen herzlichen Dank aussprechen dafür, mir zum gesamten Manuskript zahlreiche erhellende und gewinnbringende Anmerkungen gemacht zu haben. Das hat mich an manchen Stellen davor bewahrt, aus Begeisterung für Hegel über die aus heutiger Sicht problematischen Stellen hinwegzulesen. Einzelne Kapitel habe ich im Forschungskolloquium von Michael Quante präsentieren und dem kritischen Urteil geschätzter Kolleginnen und Kollegen aussetzen können. Dafür möchte ich ganz herzlich folgenden Personen danken: Simon Derpmann, Amir Mohseni, Nadine Mooren, Tim Rojek, David Schweikard und Katja Stoppenbrink. Für die Möglichkeit, über die gesamte Arbeit oder einzelne Teile im Privaten oder auch auf Tagungen zu diskutieren, Ideen allererst zu formulieren oder auch dafür von ihnen inspiriert und motiviert worden zu sein, danke ich: Giulia Battistoni, Klaus Düsing, Dina Emundts, Thomas Große-Wilde, Jonas Heller, Dieter Henrich, Susanne Herrmann-Sinai, Daniel James, Sebastian Kohl, Jim Kreines, Arto Laitinen, Lars Maskow, Tobias Rosefeldt, Constantine Sandis, Hannes Schülein, Pirmin Stekeler-Weithofer, Chris Yeomans und Matthias Wille. Ein besonderer Dank gilt Esther Neuhann und Tim Rojek, die das gesamte Manuskript bereits vor der Einreichung gelesen und zahlreiche Korrekturen und kritische Bemerkungen gemacht haben. Berlin, im Juni 2020
Hegel-Studien
Einleitung Darauf kommt es dann an, in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden die Substanz, die immanent, und das Ewige, das gegenwärtig ist, zu erkennen. Denn das Vernünftige, was synonym ist mit der Idee, indem es in seiner Wirklichkeit zugleich in die äußere Existenz tritt, tritt in einem unendlichen Reichthum von Formen, Erscheinungen und Gestaltungen hervor, und umzieht seinen Kern mit der bunten Rinde, in welcher das Bewußtseyn zunächst haust, welche der Begriff erst durchdringt, um den innern Puls zu finden und ihn ebenso in den äußern Gestaltungen noch schlagend zu fühlen. (Hegel, Grundlinien, Vorrede)
I
n der Nacht vom 31.01. auf den 01. 02. 2016 hat sich in Berlin in Folge eines illegalen Autorennens zwischen zwei Personen ein schwerer Autounfall mit tödlichem Ausgang für eine dritte unbeteiligte Person ereignet. In der Folge kam es zu einem Strafprozess gegen zwei Angeklagte, der zu einem Urteil zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes führte. 1 Dieser Fall ist in der Öffentlichkeit breit und intensiv diskutiert worden, stellte das Urteil des Landgerichts Berlin doch mit der Zuschreibung des Mordes eine Besonderheit dar. Neben den Diskussionen darüber, ob das Strafrecht ein adäquates Mittel ist, derartige Autorennen durch verschärfte Strafen zu unterbinden, spielen in diesem Fall viele weitere Detailfragen normativer Art hinein. Insbesondere die in dieser Arbeit zu diskutierenden Phänomene von Verursachung, dem Wissen um diese, der Kontrollierbarkeit oder Nichtkontrollierbarkeit aufgrund von Zufällen bis hin zur Rechtfertigung und Vorwerfbarkeit sind allesamt in diesem Fall präsent. Laut geltendem deutschen Strafrecht kann im Falle des Mordes, aber auch bereits des Totschlags eine Person nur dann für den Tod einer Person verantwortlich sein, wenn sie diesen verursacht hat. Zudem muss sie zumindest die Möglichkeit einer solchen Todesverursachung abgesehen und damit vorsätz-
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Für eine ausführliche Sachverhaltsbeschreibung siehe die Entscheidungsanmerkung zu dem Urteil des Landgerichts (LG) Berlin der Bonner Strafrechtswissenschaftlerin Ingeborg Puppe (Puppe 2017).
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Einleitung
lich gehandelt haben. 2 Außerdem muss die Tätigkeit, die zu dem Tod führt, in einer Weise zurechenbar sein, dass nicht völliger Zufall vorlag, es muss in einer gewissen Weise eine kontrollierte Verursachung möglich gewesen sein. Schließlich darf keine Rechtfertigung vorgelegen haben, wie etwa Notwehr. Zu guter Letzt steht die normative Frage im Raum, wie der Wert einer Handlung und deren Strafwürdigkeit bestimmt werden. Alle diese Bedingungen sind in einem Strafverfahren sukzessive zu ermitteln, um ein objektives Urteil zu ermöglichen. Aufgrund der Unschuldsvermutung bedeutet dies, dass ein Angeklagter bis zu einem rechtswirksamen Gerichtsurteil das Recht hat, mit Verweis auf diese verschiedenen Bedingungen verteidigt zu werden. Im Falle der Raser aus Berlin hat sich insbesondere ein Streit über die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit entzündet. 3 Denn, so wird argumentiert, die Angeklagten haben den Unfall und damit den Tod als Folge des Unfalls nicht gewollt. Dies wird damit begründet, dass ein solcher Unfall gerade gegen ihre eigenen Interessen gestanden hätte. Das Ziel war gerade, dass das Rennen ein Ende mit einem Sieger und einem Verlierer hat. Dieses Beispiel zeigt, dass die moralisch und rechtlich sehr wichtige Frage, ob eine Person für die Verursachung etwa des Todes eines anderen Menschen verantwortlich ist, von sehr komplexen und voraussetzungsreichen Bedingungen abhängt. Ziel dieser Arbeit ist es, das Thema „Verantwortung und Verursachung“ aus philosophischer Perspektive zu beleuchten. Dabei soll das Thema in einer Auseinandersetzung mit der Rechtsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels behandelt werden. Die Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse 4 liefern eine Theorie des Verhältnisses von Verantwortung und Verursachung, in der zentrale Differenzierungen enthalten sind, anhand derer sich diese komplexen Phänomene entschlüsseln und die Vernünftigkeit unserer Zuschreibungspraxis in ihren Grundzügen einsichtig machen lässt. Die Grundphänomene, um die es im Folgenden gehen wird, lassen sich wie folgt umschreiben: Menschen handeln und meistens, wenn nicht immer, verändern sie handelnd die Welt, sich und andere Menschen oder die Dinge 2
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Die Verantwortung für fahrlässiges Verhalten muss eigens in einer Strafnorm festgelegt sein (§ 15 StGB), was beispielsweise für den Totschlag der Fall ist (§ 222 StGB). Siehe nur exemplarisch Bung 2017, Puppe 2017 und Fischer 2017. Auf dieses Werk werde ich im Folgenden mit Grundlinien verweisen. Die Zitate sind der historisch-kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke entnommen. Im Folgenden wird auf die Schriften Hegels immer mit der Sigle GW für die Gesammelten Werke und der jeweiligen Bandnummer verwiesen. Eine Aufschlüsselung der Kürzel befindet sich im Siglenverzeichnis am Ende der Arbeit. Bei Zitaten aus den Grundlinien folgt auf die GW-Angabe ein Bezug mit ›§ + Nummer‹ auf den Haupttext des jeweiligen Paragraphen, mit ›Anm.‹ auf die Anmerkung und mit ›Rn.‹ auf die Randnotizen. Im Anschluss folgt dann noch die Seitenangabe der GW-Ausgabe.
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Einleitung
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um sie herum. Sei es, dass man einen Apfel vom Baum pflückt, Erde umgräbt, einen Speer spitzt oder Rohstoffe zu neuem Material verarbeitet, Maschinen baut, Gemälde produziert, Laute von sich gibt, um anderen Mitteilungen zu machen, oder auch still ist, um einem Konzert zuzuhören, bei einer Wahl seine Stimme abgibt oder aber versucht, nicht entdeckt zu werden. In den meisten Fällen geht mit dem, was wir tun, eben eine Veränderung einher, unsere Taten haben Folgen, wir verursachen Veränderungen in der Welt. Der Stock ist nicht mehr stumpf, sondern spitz, die Wand rot anstatt grau, und das alles aufgrund unseres handelnden Intervenierens in den Lauf der Welt. Nun gehört zu diesem grundlegenden Phänomen dazu, dass wir uns auch gegenseitig ebendiese Taten zuschreiben. Wir identifizieren diejenigen, die etwas getan haben, und sagen damit zugleich, dass es niemand anderes getan hat. Ob wir uns nun fragen, wer die Falle gestellt hat oder wer das bezaubernde Gemälde gemalt, wer den Lärm produziert oder den duftenden Kaffee gekocht hat. Wir schreiben einander Handlungen zu und identifizieren uns einander über diese Zuschreibungen als Akteur*innen 5 dieser Taten. Mit ebendieser Identifikation als Akteure geht häufig auch eine Zuschreibung von Verantwortung einher. Wenn wir nach dem- oder derjenigen fragen, der oder die unsere Fahrradreifen zerstochen hat, dann wollen wir nicht einfach nur wissen, wer eben die Handlung vollzogen hat, sondern knüpfen an diese Akteurschaft auch die Verantwortung für diesen Schaden. Und das bedeutet, dass wir uns berechtigt fühlen, den Schaden von eben der Person ersetzt zu bekommen, die den Schaden verursacht hat. Es ließen sich unzählige Beispiele anführen, die eine Fülle an Variabilität mit sich brächten. Jedoch ist all diesen Fällen eine Grundstruktur gemeinsam. Sie binden Verursachung und Verantwortung für Verursachtes eng aneinander. Als übergeordnete erkenntnisleitende Frage ist in dieser Arbeit zu klären, worin Hegels philosophische Explikation und Erklärung von Verantwortung und Verursachung und ihres Verhältnisses zueinander besteht. Dabei soll gezeigt werden, dass Hegels Analyse auch für heutige Fragen noch Aktualität beanspruchen kann. Damit werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll eine Interpretation und systematische Rekonstruktion der hegelschen Theorie von Verantwortung und Verursachung vorgenommen werden. Zweitens wird diese Rekonstruktion zur Erklärung gegenwärtiger Fragen und Probleme herange-
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Um die Lesbarkeit nicht zu stark zu beeinträchtigen, werde ich in dieser Arbeit meist zwischen der maskulinen und der femininen Form wechseln. Selbstverständlich handelt es sich hier nur um grammatische Geschlechter und es sind immer alle Leser*innen angesprochen. Wenn es sich sprachlich anbietet, wird aber der komplexe und damit vollinklusive Ausdruck verwendet.
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Einleitung
zogen und damit nachgewiesen, dass die hegelsche Position ein eigenständiger und erklärungsstarker Ansatz für heutige Fragen und Probleme darstellt. 6 Bisheriger Forschungsstand Betrachtet man den Text der Grundlinien oberflächlich, dann wird man vergebens Hinweise auf das Thema Verantwortung und Verursachung suchen. Der Ausdruck ›Verantwortung‹ taucht nur ein einziges Mal auf, 7 und zwar im Abschnitt „Die fürstliche Gewalt“. Bei näherem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass die Phänomene, die heute über die Rede von Verantwortung und Verursachung diskutiert werden, im Rahmen des zweiten Teils der Grundlinien, „Die Moralität“ 8, Gegenstand philosophischer Erklärung sind. Hegel selbst verwendet den Ausdruck der ›Schuld‹ in der Moralität. Wie noch zu zeigen sein wird, deckt Hegels Verwendungsweise dieses Ausdrucks sowohl die Verursachungs- als auch die Verantwortungsrelation ab. In der Forschung zu den Grundlinien kann zwischen zwei Rezeptionslinien unterschieden werden. Die erste ist eine (straf-)rechtswissenschaftliche 9 Rezeptionslinie, die mit Hegels Schüler Michelet noch zu Hegels Lebzeiten begonnen hat. 10 Die zweite Rezeptionslinie ist eine innerphilosophische, wobei die für diese Arbeit interessante Linie in den 1950er Jahren eingesetzt hat. Dabei geht es insbesondere um eine handlungstheoretische Analyse der Moralität. Neben diesen zwei Rezeptionssträngen gibt es noch die rein systematische und hegelunabhängige Literatur zum Thema Verantwortung und Verursachung. Auch hierbei kann zwischen der (straf-)rechtswissenschaftlichen 11 und der philosophischen Literatur unterschieden werden. Letztere ist dabei sehr divers, da das Thema in dem Zuschnitt, wie es in dieser Arbeit Gegenstand ist, Fragen verschiedenster philosophischer Teildisziplinen betrifft. Im Folgenden werden diese drei Literaturgruppen so weit referiert, als es für den weiteren Verlauf der Arbeit nötig ist. 6
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Wobei sich die Erklärungsstärke auf die Grundzüge des zu Erklärenden bezieht. Die Notwendigkeit, eine explizierende Rekonstruktion in Begriffen der heutigen Rechts- und Philosophiesprache und ihrer Methodik vorzunehmen, zeigt gerade, dass die explanatorische Stärke nicht per se gegeben ist. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass die Grundzüge, d. h. die Kernideen Hegels, von explanatorischem Wert sind. GW 14,1: § 284, 239. Ich werde im Folgenden immer auf diesen Textabschnitt Bezug nehmen, wenn ich von der Moralität spreche. Darunter ist auch die rechtswissenschaftliche Rechtsphilosophie zu begreifen. Dabei handelt es sich um eine ausschließlich deutschsprachige Rezeptionslinie. Wie etwa Studien zur strafrechtlichen Zurechnungslehre, zum Begriff des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit oder zum Verhältnis von Zufall und Kontrolle.
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Einleitung
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Die (straf-)rechtswissenschaftliche Rezeption der Moralität Seit der Veröffentlichung von Karl Ludwig Michelets Dissertation über die Begriffe des Vorsatzes und der Schuld im Strafrecht 12 1824 lässt sich ein kontinuierlicher Rezeptionsstrang in der Strafrechtswissenschaft und rechtswissenschaftlichen Rechtsphilosophie nachweisen. 13 Auch in seinem Werk Das System der philosophischen Moral mit Rücksicht auf die juridische Imputation, die Geschichte der Moral und das christliche Moralprinzip von 1828 14 folgt Michelet dem Moralitätskapitel der Grundlinien in wesentlichen Zügen. In der Folge hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts dann ein Hegelianismus im Strafrecht herausgebildet, der mit den Namen Julius Friedrich Abegg (1796– 1868), Reinhold Köstlin (1813–1856), Albert Friedrich Berner (1818–1907) und Hugo Hälschner (1817–1889) in Verbindung steht. 15 Berner etwa beginnt seine Grundlinien der juristischen Imputationslehre mit der hegelschen Willenskonzeption und deren Unterteilung in Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. 16 Der Titel der Schrift Berners zeigt, dass die hegelsche Zurechnungslehre Zentrum der Exegese, aber auch der damit eng zusammenhängende Handlungsbegriff von zentraler Bedeutung ist. So nennt Gustav Radbruch 1903 in seiner Habilitationsschrift Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem Hegel den „Vater des strafrechtlichen Handlungsbegriffes“ 17. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat dann insbesondere der Göttinger Rechtsphilosoph Julius Binder (1870–1939) in einem kleinen Kreis von Schülern maßgeblichen Einfluss auf eine erneute Auseinandersetzung mit der hegelschen Rechtsphilosophie ausgeübt. Dabei sind insbesondere zwei für diese Arbeit relevante Monographien zu nennen. Zum einen erschien 1927 die von Binder betreute Dissertation von Karl Larenz, Hegels Zurechnungslehre und die Lehre der objektiven Zurechnung. Zum anderen veröffentlichte Gerhard Dulckeit 1936 seine Monographie Rechtsbegriff und Rechtsgestalt. Larenz' Monographie hat anhaltenden Einfluss auf die Zurechnungslehren im deutschen Straf- und Zivilrecht ausgeübt. Dulckeits Monographie ist hingegen wenig bis kaum beachtet worden. 18 Was allen diesen Interpretationen gemein12 13
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Michelet 1824. Für einen Gesamtüberblick über den Hegelianismus im Strafrecht siehe die Beiträge in Kubiciel / Pawlik / Seelmann 2017. Michelet 1828, darin insb. 19–101. Für die Hegelianer im Strafrecht des 19. Jahrhunderts immer noch aufschlussreich ist Bubnoff 1966. Berner 1843. Radbruch 1903: 101; sechzig Jahre später stimmt Bubnoff dieser Diagnose noch zu: Bubnoff 1966: 36. Jedoch taucht sie zumindest in der Bibliographie des ersten von Manfred Riedel veröffentlichten Materialienbandes zur Rechtsphilosophie auf. Riedel 1975a, 428. Caspers 2012
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Einleitung
sam ist, ist die Annahme, die Moralität müsse als philosophische Grundlegung des allgemeinen Teils des Strafrechts verstanden werden. Vor dem Hintergrund der jeweiligen gegenwärtigen Strafrechtsdogmatik wird dann der hegelsche Text interpretiert. Dabei weist die Arbeit Dulckeits die größte Nähe zu einer im Sinne des hegelschen Systems vorgenommenen Interpretation auf. Dies liegt sicherlich an dem Einfluss Binders, der sehr intensiv an einer Interpretation der hegelschen Rechtsphilosophie aus philosophischer Sicht arbeitete und damit die Interpretationen der hegelschen Texte auf ein beachtliches Niveau gehoben hat. 19 Diese (straf-)rechtswissenschaftliche Literatur wird im Hauptteil dieser Arbeit im Hintergrund eine Rolle spielen. Für das hier behandelte Thema ist diese Rezeptionslinie deshalb wichtig, weil sie meines Erachtens den hegelschen Text vor dem angemessenen Hintergrund gelesen hat. Wie noch zu zeigen sein wird, enthält der Moralitätsabschnitt neben der Verwendung strafrechtswissenschaftlicher Beispiele eine ganze Reihe strafrechtswissenschaftlicher Termini. Dies macht auch verständlich, warum eine ganze Reihe an Schriften dieses rechtswissenschaftlichen Rezeptionsstranges die einzelnen Teile der Moralität auf strafrechtsdogmatische Institute bezogen haben. Die Idee, das gesamte Moralitätskapitel als eine philosophische Fundierung des Allgemeinen Teils eines Strafrechts zu verstehen, lässt sich dann auch über das heute (zumindest in Deutschland) gängige Aufbauschema eines vorsätzlich vollendeten Erfolgsdeliktes plausibilisieren 20: 1. Tatbestandsmäßigkeit (§§ 115–120) a. Kausalität (§ 115) b. Objektive Zurechnung (§ 118/§119) c. Subjektive Zurechnung (§ 117) 2. Rechtswidrigkeit (§§ 121–128) 3. Schuldhaftigkeit (§§ 129–140) 21
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verwendet allerdings Dulckeit 1936, zudem geht sie auf Dulckeit 1950 explizit in einem Exkurs ein. Für Binder und seine Schule bzw. den strafrechtlichen Hegelianismus im gesamten 20. Jahrhundert siehe Meyer 2017a. Speziell zur Binderschule außerdem Schirmer 2016. Dabei verweisen im Folgenden die Paragraphen auf die Grundlinien und damit auf den Textabschnitt, der das jeweilige Thema abhandelt. Entsprechend hat es Arbeiten gegeben: Larenz 1927 und Dulckeit 1936 zur Objektiven Zurechnung, zu Handlung und Zurechnung insgesamt Bubnoff 1966, zur Fahrlässigkeit Holl 1992, zum Unrechtsbewusstsein Böning 1978 und zum Notstand und damit zur Rechtfertigung Bockelmann 1935 und Pawlik 2002. Eine umfassende, aber wenig beachtete Auseinandersetzung mit den gesamten Grundlinien ist Piontkowski 1960 [1947], eine wichtige Quelle für die Hegelrezeption in Russland und der UDSSR.
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Einleitung
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Problematisch an dieser Rezeptionslinie ist jedoch, dass fraglich ist, ob Hegel mit der Moralität eine philosophische Grundlegung des Allgemeinen Teils des Strafrechts hat geben wollen. Dafür gibt es nicht nur keine expliziten Belege, Hegel grenzt sein Projekt in der Einleitung auch explizit von der positiven Rechtswissenschaft und dem positiven Recht ab. Außerdem werden in der Moralität Themen behandelt, die dem Projekt einer philosophischen Reflexion auf das Strafrecht nur entfernt entsprechen. 22 Nichtsdestotrotz ist die Orientierung an strafrechtswissenschaftlichen Fragen für eine Interpretation des Hegeltextes enorm hilfreich, weshalb ich im Folgenden immer wieder Bezüge zu derselben herstellen werde. Jedoch ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich diese Arbeit dezidiert als eine philosophische Studie versteht. Das bedeutet, dass Fragen und Probleme der Strafrechtsdogmatik nicht grundsätzlich Gegenstand sein werden. Dazu ist eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema ungeeignet, da sie ganz anderen Zwecken dient. 23 Die jüngere philosophische Rezeptionslinie der Moralität Innerhalb der Philosophie ist die Moralität aus den Grundlinien, begonnen mit einem erstmals 1965 in den Hegel-Studien veröffentlichten Aufsatz Derbolavs 24, zunehmend als Handlungstheorie gelesen worden. Weiter war ein Aufsatz Charles Taylors von enormer Wichtigkeit. 25 Es folgten dann die Monographien Menegoni 1993 und Quante 1993. Weitere Schriften sind Pippin 2008 und Alznauer 2015. Zudem sind der Sammelband Laitinen / Sandis 2010 und ein Sonderheft des Hegel-Bulletins zu Hegels Handlungstheorie relevant. 26 Quante hat mit seiner Arbeit Hegels Begriff der Handlung maßgeblichen Einfluss auf eine auch über die analytische Handlungstheorie informierte Lesart der Moralität ausgeübt. Allerdings blendet er den gesamten Kontext des hegelschen Textes aus, der in dieser Arbeit im Mittelpunkt steht: „Rechtsphilosophische und ethische Fragestellungen werden ebenfalls nicht thematisiert: Handlungstheorie wird in dieser Untersuchung als eine Disziplin der theoretischen Philosophie verstanden. Der rechtsphilosophische Kontext der Hegelschen Argumentation wird daher nahezu vollständig ausgeblendet.“ 27 Hier 22
23
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Auf das Verhältnis von Moralität und Recht in Hegels Verantwortungskonzeption werde ich im letzten, 6. Kapitel eingehen. Das Verhältnis zwischen der philosophischen Erklärung und der jeweiligen strafrechtswissenschaftlichen Problematik wird an den entsprechenden Stellen thematisiert. Derbolav 1975 [1965], es folgte noch Giusti 1987. Taylor 2010 [1983]. Maraguat / Sandis 2019. Quante 1993: 14.
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hingegen soll eben dieser Kontext eingeblendet werden. Wie noch zu zeigen ist, gehört der rechtsphilosophische Kontext der Moralität keineswegs „zu den ausführlich erforschten Bereichen der Hegelschen Rechtsphilosophie“ 28. Robert Pippins Monographie Hegel's Practical Philosophy betrachtet den Mittelteil der Grundlinien im größeren Rahmen der praktischen Philosophie und bezieht sich in der Analyse auf den Begriff rationaler Akteurschaft und darin insbesondere auf die soziale Dimension menschlichen Handelns. Zwar wird auch in der vorliegenden Arbeit die soziale Dimension der Verantwortung relevant werden (Kap. 3), jedoch scheint mir der Inhalt des Moralitätskapitels bei weitem darin nicht erschöpft zu sein. Neben inhaltlichen Differenzen 29 unterscheidet sich diese Arbeit von Pippins Studie ebenso wie von der seines Schülers Mark Alznauer Hegel's Theory of Responsibility in methodischer Hinsicht. 30 Beide zitieren aus verschiedensten Vorlesungsmit- und Nachschriften ebenso wie aus den Zusätzen der Rechtsphilosophie und der Phänomenologie des Geistes (1807). Die Arbeit von Alznauer ist zwar dem Titel nach sehr nah am hier besprochenen Phänomenbereich, jedoch versteht er unter dem Ausdruck ›responsibility‹ nicht das, was im Moralitätsteil der Grundlinien verhandelt wird. Daher stellen für ihn abstraktes Recht, Moralität, Sittlichkeit und auch noch die Weltgeschichte verschiedene Ebenen der Verantwortung dar. 31 Auch die Arbeit von Britta Caspers, ‚Schuld` im Kontext der Handlungslehre Hegels 32, ist thematisch und bezüglich der Textgrundlage von dieser Arbeit zu unterscheiden. Caspers verwendet neben den reifen Schriften auch die Phänomenologie des Geistes. Auch ist der Gegenstand ihrer Untersuchung viel breiter angelegt. Es geht um das Phänomen der Schuld und seine Rolle für verschiedene Aspekte, auch die religions- und kunsttheoretischen Aspekte, auch wenn sie diese nicht erschöpfend behandelt. Primär fokussiert sie sich auf die Rolle der Schuld im Subjektiven Geist, in der Moralität und ihrer Handlungstheorie und der Sittlichkeit. Zudem nimmt das Thema Strafe eine prominente Stellung ein. Drei Schriften sind noch zu nennen, die sich zwar nicht primär und auch nicht ausschließlich mit den in dieser Arbeit behandelten Textstellen auseinandersetzen, allerdings Kapitel zur Moralität und den dort verhandelten Themen enthalten: Allen W. Wood Hegel's Ethical Thought 33, Dudley Knowles Hegel and the ‚Philosophy of Right` und Sebastian Ostritsch Hegels Rechtsphilosophie 28 29 30 31 32 33
Quante 1993: 14, Fn. 4. Diese werden an gegebener Stelle benannt. Mein eigenes methodisches Vorgehen wird im folgenden Abschnitt dargestellt. Alznauer 2015: 98–125. Für eine ausführlichere Kritik an Alznauer siehe Meyer 2017d. Caspers 2012. Wood 1990. Wood handelt die hier relevanten Fragen allerdings auf nur 5 Seiten ab.
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als Metaethik. Auf die jeweiligen Passagen dieser Arbeiten werde ich erst an gegebener Stelle eingehen. Neben diesen Schriften, die in engerem Zusammenhang zum Thema der vorliegenden Arbeit stehen, sind eine Reihe allgemeiner Studien zu nennen, die sich Hegels praktischer Philosophie widmen. Immer noch einschlägig ist hier zunächst die Textsammlung Ludwig Sieps, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus (1992). 34 Außerdem hilfreich waren zwei Detailstudien Christoph Halbigs zu zwei in dieser Arbeit relevanten Passagen des Moralitätsteils. 35 In der Studie Peperzaks, Modern Freedom (2001), wird zwar auch die Moralität abgehandelt, allerdings werden die §§ 115–120 der Grundlinien, die einen Großteil der vorliegenden Analyse ausmachen, auf drei Seiten diskutiert. 36 Auch der Überblick Schnädelbachs zu Hegels praktischer Philosophie handelt die entsprechenden Textstellen der vorliegenden Arbeit auf nur sieben Seiten ab. Dabei ist Schnädelbach zugute zu halten, dass er alle Schriften Hegels zur Praktischen Philosophie darstellt und auch keine eingehende Analyse vornimmt. Allerdings blendet auch Schnädelbach den rechtsphilosophischen Kontext aus, wenn er die „Moralitäts-Lehre Hegels als wert- und normenfreie Handlungstheorie interpretiert“ 37. Hösle betrachtet die Moralität, wie auch Schnädelbach konstatiert, zwar als „Mischung von Strafrechtstheorie, Handlungstheorie und Ethik“, kommt aber daher „zu einem bloß negativen Urteil“ 38. Und in der Tat ist Hösles Kommentar zur Moralität sehr destruktiv, wenn er schreibt, dass „das Moralitätskapitel sicher der schwächste Teil [ist], ja sogar einer der unbefriedigendsten Abschnitte von Hegels ganzem Œuvre“ 39. Es wäre allerdings merkwürdig, wenn die Thematisierung von Strafe, Schuld und Moralität, mit denen sich Hegel von frühester Zeit seines philosophi-
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Insbesondere auf Siep 1992a werde ich an gegebener Stelle näher eingehen. Siehe auch die jüngere Textsammlung Siep 2010. Halbig 2009 und Halbig 2018a; ebenfalls hilfreich war Halbig 2018b. Peperzak 2001: 340–342. Peperzaks allgemeiner Kommentar zu diesen Paragraphen erklärt einerseits, weshalb ihm diese Passage nur drei Seiten wert war, zeigt aber zugleich, dass er das Thema von Verantwortung und Verursachung und Hegels Thematisierung desselben nicht ernst genug genommen hat. „Sections 115–120 present a hasty retrieval of traditional considerations about responsibility before the law. Indeed, Hegel's treatment is extremely general and poor. He spends little time on the distinction between moral and juridical aspects of imputability and seems to be utterly uninterested in the extensive literature about the subject.“ Peperzak 2001: 340. Bedenkt man, dass Hegel als Begründer der strafrechtlichen Handlungslehre betrachtet wird und nur einige wenige Vorgänger wie etwa Feuerbach und von Almendingen hatte, mutet es merkwürdig an, dass Peperzak von einer „extensive literature about the subject“ ausgeht. Schnädelbach 2000: 223. Schnädelbach 2000: 223. Hösle 1998: 510.
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schen Schaffens an kontinuierlich beschäftigt hat 40, gerade in der systematisch reifsten Fassung so mangelhaft ausgefallen wäre. Diese Arbeit soll das Gegenteil zeigen. Zwar ist die Beobachtung, dass die Moralität „völlig Disparates“ enthalte, nicht ganz unbegründet, allerdings zeigt sich die Einheitlichkeit der scheinbar ganz disparaten Themen der Moralität, wenn verständlich ist, worin das eigentliche Beweisziel der Moralität besteht. Solange man dieses im Auge behält, zeigt sich, dass nicht die behandelten Themen disparat sind (sie sind gerade hochgradig einheitlich), sondern die verschiedenen Disziplinen wie Strafrechts- und Zivilrechtswissenschaft, Handlungstheorie und Ethik. Die Irritation tritt dann auf, wenn man den hegelschen Text aus einer der jeweiligen Perspektiven vollständig zu erfassen versucht. 41 Man sollte also nicht die heutige Perspektive einer dieser Disziplinen einnehmen, um dann den hegelschen Text daraufhin zu lesen, vorausgesetzt, man ist an Hegels eigenem Beweisziel interessiert. Das bedeutet allerdings nicht, dass Studien der einzelnen Disziplinen zu bestimmten auch von Hegel abgehandelten Phänomenen nicht zum Verständnis des hegelschen Textes herangezogen werden könnten. Daher sei nun noch ein knapper Blick darauf geworfen. Systematische Literatur zum Thema Verantwortung und Verursachung Die systematische Literatur zu Fragen von Verantwortung, Verursachung, Wissen und Wollen im Strafrecht sowie in der Moral ist schier unüberschaubar. Dies liegt unter anderem daran, dass es sich dabei um verschiedene philosophische Disziplinen und Debatten handelt, in denen die jeweiligen Themen verhandelt werden. Neben der Handlungstheorie gehören dazu die Kausalitätstheorie sowie die Debatten um moral responsibility 42, moral luck 43 und den 40
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Bereits in den Berner und Frankfurter Fragmenten, dann aber auch im Naturrechtsaufsatz der Jenaer Journalpublikationen ebenso wie in den Jenaer Systemfragmenten und der Phänomenologie des Geistes finden sich Auseinandersetzungen mit diesen Themen. Für eine auch historische Rekonstruktion insbesondere das Strafrecht betreffender Aspekte siehe Siep 2017. Bereits Quante 1993, 13 hatte auf den Einwand der Disparität reagiert und beansprucht, mit seiner handlungstheoretischen Lesart der Moralität deren Einheit nachweisen zu können. Dieser Weg steht hier nicht offen, da dezidiert das normative, rechtsphilosophische Programm Hegels nachgezeichnet werden soll. Allerdings wird wie gesagt vermittelt über das Beweisziel der zu diskutierenden §§ deren Einheitlichkeit nachgewiesen werden. Siehe dazu Eshleman 2016. Siehe dazu Nelkin 2013. Da diese Debatte maßgeblich auf Englisch geführt wird, werde ich in dieser Arbeit weitestgehend diesen englischen Ausdruck beibehalten, um auf die philosophische Debatte Bezug zu nehmen.
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Begriff des subjektiven Rechts. Allerdings werden in dieser Arbeit für einzelne Fragen bestimmte Texte und Positionen herangezogen, wenn sie Erhellendes beitragen können. In Kapitel 2 wird dies die Kausalitätstheorie John L. Mackies sein, in Kapitel 3 der Ansatz zu moralischer Verantwortung von George Sher, in Kapitel 4 wird neben der Lehre der objektiven Zurechnung im Strafrecht die Debatte um moral luck in der Philosophie relevant werden. In Kapitel 5 wird die Bestimmung von Rechtfertigungsgründen im Strafrecht und im letzten Kapitel 6 werden schließlich rechtsphilosophische Texte und Positionen zur Debatte um subjektive Rechte herangezogen. Diese Positionen werden allerdings erst an gegebener Stelle vorgestellt und diskutiert. 44 Eine letzte Anmerkung zu einer bisher unerwähnten Gruppe von Texten ist noch zu machen. Neben den genannten Rezeptionslinien der hegelschen Rechtsphilosophie und rein systematischen Texten zum Phänomenbereich gibt es gegenwärtig verschiedene Versuche, den hegelschen Theorietypus der praktischen Philosophie in heute angemessener Form zu entwickeln. Dabei ist an erster Stelle Axel Honneths Recht der Freiheit zu nennen. 45 Der Moralität entspricht bei Honneth die moralische Freiheit als Sphäre reflexiver Freiheit. Dabei lehnt Honneth eine „bloße Wiederbelebung von Absicht und Gedankengang der ‚Rechtsphilosophie`“ Hegels ab, da sich die „theoretischen Prämissen der philosophischen Diskussion, die Rahmenbedingungen des letztlich Denkmöglichen, gegenüber den Zeiten Hegels erheblich verschoben“ 46 hätten. Für die vorliegende Arbeit ist die Studie Honneths aus zwei Gründen nicht einschlägig: Erstens geht es hier gerade um eine Rekonstruktion der hegelschen Verantwortungslehre im Rahmen seiner Willensmetaphysik. Ob und welche metaphysischen Annahmen sich heute vielleicht nicht mehr halten lassen, lässt sich erst auf Grundlage einer Rekonstruktion im Sinne Hegels feststellen. Außerdem halte ich derartige Ablehnungen für nicht minder beweisbedürftig als die Position Hegels. Der Bezug auf uns als „Kinder eines materialistisch aufgeklärten Zeitalters“ 47 mag dabei als Glaubensbekenntnis zulässig sein, eine argumentative Zurückweisung der hegelschen Rechtsphilosophie ist er mit Sicherheit nicht. Aber zweitens enthält Honneths Arbeit für das Thema Verantwortung und Verursachung keine hilfreichen systematischen Analysen. Damit gehe ich über zur Darstellung der Methodik dieser Arbeit. 44
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Die Auswahl gerade dieser Themen ergibt sich an der jeweiligen Stelle daraus, dass Hegel in den dann diskutierten Abschnitten der Grundlinien diese Themen selbst diskutiert. Hierbei ist das sechste Kapitel eine Ausnahme, da die Frage danach, was genau die Rede von Rechten in der Moralität bedeutet, von Hegel nicht thematisiert wurde. Honneth 2011; im weiteren Sinne lässt sich auch Rahel Jaeggis Kritik von Lebensformen dazuzählen, Jaeggi 2013. Honneth 2011: 17. Honneth 2011: 17.
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Methodisches: Zum Umgang mit Hegel Was mein generelles Vorgehen anbelangt, sei darauf hingewiesen, dass ich Quante darin folge, „den Gesamtrahmen seiner [sc. Hegels] spekulativ-dialektischen Begründungsstrategie nicht zum Leitfaden der Darstellung zu machen“ 48. Darüber hinaus glaube ich, dass sich aus einer textnahen, aber Phänomen-orientierten Interpretation Aufschlussreiches über die spekulativ-dialektische Begründungsstruktur ergibt. 49 Das bedeutet hingegen nicht, dass ich Teile der Wissenschaft der Logik gänzlich ausblende. So werde ich beispielsweise auf das Kausalitätskapitel der Wesenslogik relativ ausführlich eingehen, da dieses Kapitel für Hegels Theorie der Kausalität im Recht ebenso relevant ist wie für das gesamte Verständnis der Rechte der Subjektivität 50. Zudem entwickelt Hegel im Kausalitätskapitel der Wesenslogik bereits zu einem Großteil die Mittel, die für ein Verständnis des Teleologiekapitels der Begriffslogik zentral sind. Und dieses Kapitel wiederum ist wichtig, da der Zweckbegriff für ein Verständnis von Hegels Handlungsbegriff, aber auch für ein Verständnis der Selbstverwirklichung des objektiven Geistes im Recht zentral ist. Was den Umgang mit dem Text selbst betrifft, so müssen zwei Hinweise gegeben werden. Erstens werde ich fast ausschließlich den Text der Grundlinien der Philosophie des Rechts verwenden, und zwar in der zu Hegels Lebzeiten publizierten Fassung, also in der Fassung, die noch keine Zusätze enthält. Die Zusätze werde ich ebenso außer Acht lassen wie die Vorlesungsnach- und Mitschriften. Die Zusätze sind selbst zusammengesetzte Vorlesungsmitschriften, die die Herausgeber der Freundesvereinsausgabe der Werke Hegels einem Paragraphen angefügt hatten. Da diese Zusätze in der Ausgabe von Moldenhauer / Michel mit abgedruckt wurden 51 und diese Ausgabe ebenso wie zuvor die Freundesvereinsausgabe in der Forschung sehr viel benutzt wurde, sind die Texte der Zusätze natürlich für die Rezeptionsgeschichte der Grundlinien von Bedeutung. Allerdings werde ich mich mit rezeptionsgeschichtlichen Fragen vermittelt über den Text der Zusätze nicht auseinandersetzen. 52 Lediglich an 48 49
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Quante 2011: 196. Insofern vertrete ich im Umgang mit Hegels Texten, die Teil des enzyklopädischen Systems sind, einen heuristischen Kohärentismus. Ich lese die Texte also kohärentistisch, darauf hin, inwiefern sie sich gegenseitig stützen, allerdings verwende ich diese Lesart lediglich heuristisch, um die Position Hegels besser verstehen zu lernen. Davon zu unterscheiden ist dann also der Begründungszusammenhang. Unter dem Ausdruck ›Rechte der Subjektivität‹ ist die Gesamtheit der Rechte zu verstehen, die Hegel im Laufe des Moralitätsteils seiner Grundlinien entwickelt. Dies liegt daran, dass es sich bei der Ausgabe von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel um die „[a]uf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe“ handelt. Hier sei nur nebenbei bemerkt, dass für die Rezeptionsgeschichte des Textes der Grundlinien bis zur Veröffentlichung der Freundesvereinsausgabe ohnehin nur der Originaltext
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manchen Stellen werde ich einzelne Zitate aus der dritten Auflage der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) zur Unterstützung hinzuziehen. Ganz ausblenden werde ich damit die Phänomenologie des Geistes wie auch alle anderen früheren Texte Hegels zu Rechtsphänomenen. Werk- und denkbiographisch mögen diese Texte interessant sein und als eigenständige systematische Ansätze auch fruchtbar gemacht werden können, allerdings halte ich für das hier verfolgte Ziel die Beweislast für zu hoch, die Kohärenz zum späteren System nachzuweisen, und ich glaube, dass man wenigstens für historisch-exegetische Behauptungen diese Kohärenz nachweisen muss. Zweitens werde ich die jeweils zugrunde gelegten Texte – meist den gesamten Paragraphen – zunächst vollständig zitieren, um dann en Detail meine Interpretation folgen zu lassen. Ziel ist es, möglichst nah am Text nachzuweisen, was Hegel mit den Aussagen genau gemeint hat. Ich halte dies nicht nur aus philologischer Sicht für geboten. Auch aus systematisch-philosophischem Interesse, also einem Interesse an einer auch heute noch argumentativ tragfähigen Position, ist ein solches Vorgehen geboten, da nur dann das erhoffte systematische Potential ganz ausgeschöpft werden kann. Zudem werde ich einzelne Sätze durch Nummerierungen in eckigen Klammern (›[1]‹, ›[2]‹, usw.) markieren. Dies erleichtert den Verweis auf den jeweiligen Satz. Dabei folge ich mit der Satzzählung nicht immer der Anzahl der grammatischen Sätze, sondern beginne etwa auch dann mit einer neuen Ziffer, wenn der Satz zwar noch nicht beendet ist, jedoch eine neue Sinneinheit beginnt, die argumentativ tragend ist. Zur Argumentrekonstruktion Im Zuge der Arbeit werden immer wieder Argumente Hegels rekonstruiert. Dazu muss Folgendes angemerkt werden: Streng genommen ist Hegels eigene „dialektische“ Methode das argumentativ Tragende, und zwar sein gesamtes System hindurch. 53 Worin Hegels Methode auch genau besteht, sie scheint zumindest nicht einfach aus einer Menge deduktiver Schlüsse zu bestehen. Daher werden meine Argumentrekonstruktionen in moderner deduktiver Form eher äußerlich anmuten. Auch wenn Hegel dieses Vorgehen vielleicht in letzter Konsequenz abgelehnt hätte – wofür selbst allerdings einiger Beweisaufwand
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von Relevanz ist. Zum Umgang mit Hegels Texten und einer kritischen Betrachtung der Verwendung nicht von Hegel verfasster Schriften siehe Rojek 2017: 10–43. Zur Rede von der dialektischen Methode siehe Wolff 2014. Für einen Versuch, die Rechtsphilosophie als Schluss von Schlüssen im Sinne der Begriffslogik zu interpretieren, siehe Vieweg 2012.
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erbracht werden müsste –, so halte ich dieses Vorgehen wenigstens für erhellend, um besser sehen zu können, welche Thesen an welcher Stelle wie begründet werden. Wenn dann immer noch ein Interesse an einer Rekonstruktion im Geiste der hegelschen Dialektik besteht, so sollen die vorgeschlagenen Argumentrekonstruktionen diesem Interesse dienlich sein. Allerdings bin ich mit Fulda der Meinung, dass „Interpretationen der Rechtsphilosophie, die bloß auf die Abfolge logischer Formen [i.S.d. Wissenschaft der Logik/T.M.] verweisen, [. . . ] enttäuschend wenig für ein wirkliches Verständnis des Hegelschen Gedankengangs“ 54 leisten. Terminologie und Konventionen der Arbeit Da einige Termini die gesamte Arbeit hindurch Verwendung finden, seien diese bereits hier eingeführt. Unter dem Ausdruck ›Verantwortung‹ soll im Folgenden immer die retrospektive individuelle Verantwortung verstanden werden (ein Individuum trägt für etwas in der Vergangenheit Geschehenes / Getanes die Verantwortung). Wenn es um prospektive Verantwortung (ein Individuum / Kollektiv hat die Verantwortung, in der Zukunft einen Zustand herbeizuführen) und Verantwortung in einer bestimmten Bedeutung gehen soll, wird dies immer kenntlich gemacht. Verantwortung kann nun als eine verschiedenstellige Relation verstanden werden. Da es in der gesamten Arbeit darum gehen wird, unter welchen Bedingungen und damit auch in welchem Sinne eine Person verantwortlich ist, wird die Stelligkeit von ›Verantwortung‹ zunehmend angereichert. Die bloße kausale Verantwortung ist zweistellig ›x ist für y verantwortlich‹, im Falle der eigentlichen Verantwortung als Zuschreibungsbegriff wird die Relation wenigstens dreistellig ›x ist gegenüber y für z verantwortlich‹. Mit der Rede von Werten, Rechtfertigungsgründen und allgemeinen Normen wird die Relation dann wenigstens vierstellig ›x ist gegenüber y für z relativ zu Norm N verantwortlich‹. Ich werde hin und wieder von ›rechtlicher‹ und von ›moralischer‹ Verantwortung reden. Deren Verhältnis zueinander ist in dieser Arbeit grundsätzlich wie folgt zu verstehen. Rechtliche, insbesondere strafrechtliche Verantwortung setzt moralische Verantwortung voraus. Deshalb ist eine Klärung moralischer Verantwortung auch zugleich eine Klärung für die strafrechtliche Verantwortung. Das soll nicht bedeuten, dass etwa das Strafrecht die Funktion habe, moralischen Vorwurf zu erheben. Ohnehin ist erst an gegebener Stelle zu sehen, was hier unter moralischer Verantwortung zu verstehen ist. Zudem wird in Kap. 6 noch eigens auf das Verhältnis der Moralität zum po54
Fulda 1992: 315.
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sitiven Recht aus Hegels Sicht eingegangen. Auch wenn also im Folgenden manchmal von rechtlicher Verantwortung die Rede ist, so ist damit immer die von rechtlicher Verantwortung präsupponierte moralische Verantwortung gemeint. Diese terminologische Verwendung ist der Tatsache geschuldet, dass Hegel selbst seine Konzeption moralischer Verantwortung in enger Auseinandersetzung mit dem Strafrecht entwickelt hat und auch heute noch strafrechtliche Theorien Aufschluss über die verschiedenen Verantwortungsmerkmale geben können. Der Ausdruck ›Anfechtungsgrund‹ soll im Folgenden verwendet werden, um jeden Grund zu bezeichnen, der angeführt werden kann, um eine vorgebrachte Verantwortungszuschreibung zurückzuweisen. 55 Entsprechend möchte ich von unserer Anfechtungspraxis sprechen, worunter eben genau das Vorbringen von Anfechtungsgründen verstanden werden soll. Dies scheint mir besser die Vielfalt verschiedener Strategien einzufangen, Verantwortungszuschreibungen zurückzuweisen, als es etwa der Ausdruck der Entschuldigung und der Entschuldigungspraxis täte. 56 Dies aus zwei Gründen: Erstens ist der Ausdruck ›Entschuldigung‹ wenigstens zweideutig, er bezeichnet teilweise das Verzeihensangebot an eine Person, teilweise bedeutet er, dass man die Falschheit der eigenen Tat einsieht, für diese jedoch nicht im Vollsinne verantwortlich ist. Darüber hinaus kann zweitens etwa die Rechtfertigung als Nachweis, dass das Getane überhaupt nicht vorwerfbar ist, schwerlich als Entschuldigung bezeichnet werden, als Anfechtung hingegen durchaus. Im Folgenden soll immer von der Rolle des jeweiligen Begriffs und Phänomens für ›normative Kontexte‹ die Rede sein. Damit soll offengelassen werden, ob es um genuin rechtliche, moralische oder sittliche Phänomene geht. Diese terminologische Offenheit dient dem Zweck, die Gemeinsamkeiten insbesondere von Moral und Recht in den Blick zu bekommen. Zudem wird im letzten Kapitel die Frage nach der Differenz zwischen Moral und Recht noch eigens diskutiert. Bis dahin gehe ich allerdings davon aus, dass Hegel Regeln expliziert, die beiden Praxen zugrunde liegen. 57
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Damit ist nicht gesagt, dass das Vorbringen eines Anfechtungsgrundes in dem Sinne erfolgreich ist, dass dann die Verantwortungszuschreibung zurückgenommen wird – Anfechtung wird also nur in seinem Prozesssinn verstanden. Diese Verwendung des Wortes ›Anfechtung‹ muss unbedingt unterschieden werden von dem rechtswissenschaftlichen Fachterminus der Anfechtung, worunter eine rückwirkende Beseitigung einer Willenserklärung verstanden wird. So etwa in Quante 2011: 217–221. Dies allerdings mit einer Ausnahme: In Kapitel 2 wird es um das Thema der Kausalität im Recht gehen. Zwar gilt die Kausalbedingung prinzipiell auch für moralische Kontexte, allerdings ist das Thema dieser Bedingung maßgeblich für rechtliche Kontexte entwickelt worden.
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Wie bereits geschehen, werde ich immer wieder verschiedene Buschstaben verwenden, um semi-formale Bezeichnungen und Beschreibungen zu bilden. Insbesondere werde ich in dieser Arbeit folgender Konvention folgen: Als Variablen ganz allgemein verwende ich ›x‹, ›y‹ und ›z‹, als Variablen für Aussagen verwende ich ›p‹ und ›q‹, speziell als Variable für Handlungssubjekte werde ich ›S‹ verwenden, für Situationen ›s‹, für Merkmale ›M‹ und für Normen ›N‹. Als Prädikatsymbole sollen dienen ›F‹, ›G‹ und ›H‹, für Handlungsprädikate verwende ich ›Φ‹ und ›Ψ‹, manchmal auch ›Φ0 ‹ usw. Als Individuenkonstanten schließlich dienen ›A‹, ›B‹ und ›C‹. Bevor nun ein Überblick über die Arbeit gegeben wird, sei an dieser Stelle die zentrale These benannt: These der Arbeit Hegel vertritt eine Verantwortungstheorie, die Verantwortung über eine von Rechten geleitete Zuschreibungspraxis bestimmt. Diese Rechte werden dabei selbst als Selbstverwirklichung des freien Willens verstanden. Damit handelt Hegel das Thema Verantwortung und Verursachung auf zwei Ebenen ab. Zum einen geht es dabei um die je individuelle Verantwortung einzelner Subjekte für ihre Taten und deren Kausalfolgen. Zum anderen geht es um die Regeln, die unser Zuschreiben und Anfechten der je individuellen Verantwortung einzelner Subjekte für ihre Taten und deren Kausalfolgen leiten. 58 Die Einsicht in die Vernünftigkeit dieser Regeln, so die These, ist nur möglich, wenn sie prinzipiell aus Perspektive einzelner endlicher Handlungssubjekte als selbstgesetzt verstanden werden können. Überblick über die Arbeit Zunächst sei eine allgemeine Bemerkung zum Aufbau der Kapitel gemacht. Zu Beginn wird immer zuerst eine Phänomen- und Problembeschreibung des jeweiligen Kapitelthemas aus heutiger Sicht gegeben. Dieser Teil soll einerseits dazu dienen, ein Verständnis dessen zu erlangen, um das es dann jeweils im Folgenden gehen wird. Andererseits sollen damit jedoch auch Adäquatheitsbedingungen gesetzt werden, die zur Einordnung und Bewertung des hegelschen Textes dienen. Im Anschluss erfolgt dann eine Interpretation des hegelschen Textes. Dem schließt sich eine Rekonstruktion der hegelschen Position in Auseinandersetzung mit den im jeweils ersten Unterkapitel erarbeiteten Fragen, 58
Darin folge ich Gethmann 1993, 160, bei dem der Regel-Begriff als re-konstruktiver Begriff verstanden wird, der nicht voraussetzt, dass die Einzelnen intentional den Regeln folgen.
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Problemen und Positionen an. Hier wird dann auch jeweils für die hegelsche Position argumentiert. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Da sich Hegels Thematisierung von Verantwortung und Verursachung im Rahmen der Grundlinien als Teil seines philosophischen Systems abspielt, muss dieser Rahmen so weit abgesteckt werden, wie es für die Zwecke dieser Arbeit nötig ist (Kap. 1). Dabei werden Hegels Ziel, das er mit der Rechtsphilosophie insgesamt verfolgt, der Begriff des Willens (1.1.1), das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität (1.1.2) sowie der Begriff des Rechts (1.1.3) vorgestellt. Diese Unterkapitel stellen eine sukzessive Interpretation der Einleitung in die Grundlinien (§§ 1–33) dar. 59 Der zweite Teil, „Die Moralität“, enthält ebenso wie das Abstrakte Recht nochmals eine eigene Einleitung (§§ 105–114), die ebenfalls im ersten Kapitel interpretiert wird. Dazu wird einerseits das Programm der Moralität dargestellt (1.2.1) und schließlich speziell auf den Begriff der Handlung aus § 113 eingegangen (1.2.2). Damit sollen dann alle Mittel bereitgestellt sein, um ab Kapitel 2 das eigentliche Thema anzugehen. Das zweite Kapitel beginnt mit dem Thema der Verursachung als erster Verantwortungsbedingung (Kap. 2). Nach einem Überblick zu Fragen der Kausalität in normativen Kontexten (2.1) wird Hegels Kausalitätstheorie im Recht entwickelt (2.2). Dafür muss allerdings zuerst gezeigt werden, dass es zu Beginn der Moralität überhaupt um Kausalität geht (2.2.1). Dem schließt sich dann eine Bestimmung des engen wesenslogischen Kausalitätsbegriffs an (2.2.2). Da Hegel in den Grundlinien daneben einen weiten Kausalitätsbegriff verwendet (2.2.3), wird nach einer Darstellung der Kausalitätstheorie Mackies als zeitgenössischer Variante des Kausalitätsbegriffs Hegels Theorie der Kausalbedingung für Verantwortung dargestellt (2.2.4). Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Gesamtdarstellung von Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung (2.3). Neben der These, dass Hegel zu Beginn der Moralität überhaupt Kausalität thematisiert, soll in diesem Kapitel die These vertreten werden, dass Hegels Kausalitätsverständnis für normative Kontexte dem Theorietyp der INUS-Bedingung zuzuordnen ist. Da es sich bei diesem Begriff allerdings um ein weites Kausalitätsverständnis handelt, das erst vollständig nachvollziehbar wird, wenn man einen engen Begriff von Kausalität hinzunimmt, soll dafür argumentiert werden, dass Hegel durch sein Kausalitätsverständnis aus der Wesenslogik eben eine solche Ergänzung liefert und insofern ein zweistufiges Kausalitätsverständnis vertritt. Den Übergang zum dritten Kapitel bildet die These, dass die Kausalität zwar eine notwendige, jedoch noch keine hinreichende Bedingung für Verantwortung ist. Wenigstens muss dafür noch das Wissen in Form des Vorsatzes 59
Wobei ich mich auf die für diese Arbeit relevanten Teile beschränke.
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und der Absicht mit hinzugenommen werden (Kap. 3). Hierzu soll wieder im ersten Unterkapitel ein Überblick, diesmal über die Wissensbedingung von Verantwortung in normativen Kontexten aus heutiger Sicht thematisiert werden (3.1). Dem schließt sich eine ausführliche Textinterpretation des hegelschen Textes (§§ 117–120) an (3.2). Dabei werden zunächst der Vorsatz und ein erstes Recht des Wissens zum Gegenstand gemacht (3.2.1) Es soll gezeigt werden, dass Hegel der von George Sher so genannten Searchlight View, der Standardauffassung der epistemischen Verantwortungsbedingung, zuzuordnen ist. Sher wiederum hat in seiner Monographie Who knew? (2009) eben diese Standardauffassung einer fundamentalen Kritik unterzogen, die im Anschluss referiert wird; dabei wird Shers eigener Lösungsansatz dargestellt (3.2.2). Dem schließt sich dann eine Analyse des epistemischen Absichtsbegriffs bei Hegel an (3.2.3), über den eine hegelsche Lösung von Shers Herausforderung entwickelt wird (3.2.4). Diese Lösung verweist auch bereits auf eine Thematisierung der Fahrlässigkeitsverantwortung, die implizit allerdings auf den erst in 5.2.3 eingeführten Begriff der Pflicht verweist. Schließlich muss die Frage diskutiert werden, wie sich die subjektive zur objektiven Willensverwirklichung verhält (3.2.5). Denn Hegel konzipiert Verantwortung zwar über subjektive Merkmale des Willens. Da diese jedoch an der Struktur allgemeiner Subjektivität teilhaben, muss die Spannung zur objektiven, zuschreibenden Subjektivität betrachtet werden. Dabei wird der Vorschlag einer askriptivistischen Lesart unterbreitet, die die Instabilität der Moralität zu erklären vermag. Schließlich wird Hegels Theorie der Wissensbedingung von Verantwortung als ganze dargestellt (3.3). Am Ende von Kapitel drei wird bezüglich der Verantwortung die Frage offenbleiben, welche zusätzlichen Bedingungen zu Kausalität und Wissen hinzukommen müssen, damit Fälle bloßen Zufalls von tatsächlich zurechenbaren Taten eines Subjekts unterschieden werden können. Diese Frage wird in Kapitel 4 angegangen. Wieder soll zunächst ein Überblick aus heutiger Sicht gegeben werden (4.1). Dieser wird in drei Unterpunkte gegliedert. Zunächst soll die Rolle des Zufalls für normative Kontexte ganz allgemein bestimmt werden (4.1.1). Im Anschluss werden dann die Adäquanztheorie der Kausalität (Zivilrecht) und die Lehre der objektiven Zurechnung (Strafrecht) dargestellt (4.1.2). Schließlich soll die moralphilosophische Debatte um moral luck in ihren Grundzügen dargestellt werden (4.1.3). Dabei wird auch Terminologie eingeführt, die für das anschließende Unterkapitel hilfreich ist. Im Anschluss kann dann die Rolle des Zufalls in der Moralität in den Blick kommen (4.2). Zunächst soll der Zufall der Umstände (4.2.1), dann der Zufall der Folgen (4.2.2) und schließlich das Verhältnis zwischen zufälligen und notwendigen Folgen thematisiert werden (4.2.3). Bevor Hegels Theorie des Zufalls in normativen Kontexten dargestellt wird (4.3), ist zuvor noch das Verhältnis von
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moral luck und Kontrolle zu diskutieren (4.2.4). Wenn es zum Handeln dazugehört, in einer Welt voller Zufälle tätig zu werden und sich daher bestimmten Unabwägbarkeiten auszusetzen, stellt sich die Frage, wie in manchen Fällen die Zurechenbarkeit von Zufällen noch zulässig ist. Dafür wird der Begriff der Kontrolle zentral werden. Nach diesem Kapitel ist ein erster Begriff von Verantwortung entwickelt, der in einem Zwischenfazit zusammengefasst dargestellt wird (4.3). Mit Kapitel 5 wird dann eine weitere Dimension des Verantwortungsbegriffs eingezogen, der eine evaluative Komponente integriert. Über die Begriffe des Wohls und des Guten entwickelt Hegel die Grundlage für Rechtfertigungsgründe des Handelns sowie für die Vorwerfbarkeit aufgrund normabweichenden Verhaltens. Wieder wird zunächst ein Überblick über gegenwärtige Ansätze, diesmal zu Rechtfertigungsgründen und (moral) blame 60, gegeben (5.1). Dem schließt sich die Analyse von Rechtfertigungsgründen in der Moralität an (5.2). Nach einer Analyse von Wert, Interesse und dem zugehörigen Recht (5.2.1) wird Hegels Notstandslehre thematisiert (5.2.2). Damit sind die willenstheoretischen Grundlagen für Rechtfertigungsgründe im Falle von Wertkollisionen, aber auch Grundlagen der heutigen Lehre der objektiven Zurechnung geschaffen. Mit dem Begriff des Guten wird dann schließlich die Ebene erreicht (5.3), die überhaupt erst verständlich macht, weshalb Verantwortungszuschreibungen von Relevanz sind, setzen diese doch zugrundeliegende Normen voraus. Zunächst soll dabei das Recht auf Einsicht in das Gute thematisiert werden (5.3.1) als kognitiv-evaluative Willenskomponente. Vorwerfbar, so die Grundidee, ist ein normabweichendes Verhalten dann nicht, wenn das Subjekt kein Wissen von der Norm hatte, von der es abgewichen ist. Über den Begriff des Guten entwickelt Hegel dann den Begriff der Pflicht (5.3.2). Dieser ist für das Thema Verantwortung von zentraler Bedeutung, da er sowohl die Verantwortung für Unterlassungen als auch die Verantwortung für Fahrlässigkeit zu begründen vermag. Denn erst über den Begriff von Sorgfaltspflichten kann der Begriff der Fahrlässigkeitsverantwortung (3.2.4) vollends fundiert werden. Der Begriff der Sorgfaltspflicht wiederum benötigt dann noch den des Zufalls bzw. der realen Möglichkeit. Für Unterlassungen wiederum, so soll gezeigt werden, kann nur dann sinnvollerweise verantwortlich gemacht werden, wenn sie über das Abweichen einer bestehenden Pflicht zu aktivem Tun individuiert werden. Abschließend wird das Verhältnis des Rechtes der Besonderheit zum Thema der Verantwortung hergestellt (5.4). Das letzte Kapitel knüpft an Kapitel 1 an und schließt dadurch gewissermaßen einen Kreis. In diesem Kapitel soll das allgemeine Beweisziel der Grundli60
Wieder behalte ich den englischen Ausdruck bei, um den Bezug zur hauptsächlich englisch geführten philosophischen Debatte kenntlich zu machen.
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nien und der Begriff des Rechts mit den einzelnen Analysen der verschiedenen Rechte der Subjektivität in Verbindung gebracht werden. Dazu wird zunächst ein knapper Überblick über die gegenwärtige Debatte um subjektive Rechte gegeben (6.1). Insbesondere die Analyse des Begriffs eines Rechts von Wesley N. Hohfeld (6.1.1) und die Unterscheidung der zwei Theorietypen von Interessen- und Willenstheorie bezüglich der Funktion von Rechten (6.1.2) werden dafür herangezogen. Es folgt dann ein Vorschlag, wie Hegels Begriff der Rechte der Subjektivität verstanden werden kann (6.2). Neben der Analyse der einzelnen Rechte, die im Laufe der Arbeit entwickelt worden sind (6.2.1), und der Präsentation des hegelschen Theorietyps als einer Willenstheorie besonderer Art (6.2.2) wird dann noch auf Hegels Begründung der Rechte (6.2.3) und die Geltung derselben eingegangen (6.2.4). Im Anschluss wird dann das Verhältnis der Moralität zum positiven Recht thematisiert (6.3). Dazu wird zunächst der Vorschlag gemacht, dass die Moralität als eine freiheitstheoretische 61 Fundierung von Grundrechten und damit vermittelt auch von Teilen des Straf- und Zivilrechts gelesen werden kann (6.3.1). 62 Im Anschluss muss die Frage diskutiert werden, inwiefern es sich bei den Rechten der Subjektivität, als Teil der Moralität, um moralische Rechte handelt und wie genau das Verhältnis dieser „moralischen“ Rechte zu positiven Rechten zu verstehen ist (6.3.2). Der allgemeine Argumentationsgang der Kapitel 2–5 lässt sich wie folgt zusammenfassen: Es wird eine zunehmende Entwicklung von für Verantwortung konstitutiven Bedingungen vorgelegt. Jede dieser Bedingungen kann als ein Grund verstanden werden, der die Zurechnung von Verantwortung ausschließt. Genau betrachtet ist dieser Zurechnungsausschließungsgrund dadurch begründet, dass eine Zurechnung oder aber ihre Unterlassung die Selbstverwirklichung des freien Willens verhindern würde. 63 Insofern kann die Entwicklung der Verantwortungsbedingungen als eine zunehmende Anreicherung des Begriffs innerer Freiheit verstanden werden. Da also der Begriff 61
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Damit soll gemeint sein, dass Hegel seine Argumentation auf dem Begriff des freien Willens aufbaut und insofern freiheitstheoretisch, also im Sinne seiner Freiheitstheorie des Willens argumentiert. Nicht ausgeschlossen werden soll damit allerdings, dass Freiheit für Hegels philosophisches System im Ganzen eine grundlegende Rolle spielt. Insofern stimme ich der Ausgangsthese in Knappik 2013 zu. Dieser Vorschlag muss unterschieden werden von der oben zurückgewiesenen Lesart, die Moralität als philosophische Grundlegung des Allgemeinen Teils eines Strafrechts zu lesen. Diese Lesart steht allerdings in Spannung zu den Stellen aus der Sittlichkeit, an denen der Staat gegenüber den Individuen eine extrem privilegierte Position erhält, so dass zumindest unsere heutigen Eingriffsabwehrrechte als Schutzrechte der Individuen vor dem Staat damit schwer in Einklang zu bringen sind. Für eine kritische Diskussion dieser Spannung siehe Siep 1992b. Vgl. Berners Lehre der Aufhebungsgründe der Zurechnung und dazu Bubnoff 1966, 76.
Hegel-Studien
Einleitung
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von Verantwortung zunehmend angereichert wird, so dass sukzessive jeweils notwendige Bedingungen hinzugefügt werden, kann nun abschließend das Implikationsverhältnis mit der jeweiligen Kapitelzuordnung graphisch dargestellt werden:
Kausale Verantwortung (2)
Verantwortung (3–4)
Moralische Verantwortung (5)
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1. Die Grundlinien der Philosophie des Rechts
H
egels Grundlinien der Philosophie des Rechts wurden im letzten Quartal 1820, unter Angabe des Publikationsjahres 1821, „[z]um Gebrauch für seine Vorlesungen“ 1 veröffentlicht. Zweck dieser Schrift ist es, wie Hegel selbst zu Beginn der Vorrede sagt, seinen „Zuhörern einen Leitfaden zu den Vorlesungen in die Hände zu geben, welche ich meinem Amte gemäß über die Philosophie des Rechts halte“ 2. Damit ist bereits klar, dass für die heutige Leserin dieses Textes die Schwierigkeit besteht, die Vorlesungen, zu denen der Text als Hilfe herangezogen werden soll, natürlich nicht mehr hören zu können. Da dieses Problem allerdings bereits zum Zeitpunkt der Publikation bestand – konnte man doch das Buch erwerben und studieren, ohne die Vorlesung besuchen zu müssen, so dass das Buch „vor das größere Publikum kommt“ 3 –, hat Hegel den einzelnen Paragraphen Anmerkungen angehängt, die teilweise die Funktion des sonst mündlich gegebenen Kommentars erfüllen, da sie „zunächst in kurzer Erwähnung die verwandten oder abweichenden Vorstellungen, weitern Folgen und dergleichen andeuten sollten“ 4. Der Zweck des Kompendiums selbst, und das bedeutet der Haupttexte, bestehe in der „Zusammenstellung und Ordnung der wesentlichen Momente eines Inhalts“ 5. Damit sind bereits für die Lektüre der Grundlinien drei Dinge klar: 1) Die argumentativ tragende Funktion übernehmen die Haupttexte, nicht die Anmerkungen. 2) Die Anmerkungen wiederum dienen der Erhellung des Themas durch Beispiele, des Bezugs auf (damals) gegenwärtige Positionen, Themen, Debatten etc. 3) Die Haupttexte stellen lediglich das Wesentliche des jeweiligen Themas dar. Für eine hermeneutische Heuristik, also eine Methode, nach der man sich den Text Hegels am besten verständlich macht, sind die Anmerkungen ungemein wichtig. Allerdings ist zu beachten, dass sich die zentrale Argumentation im Haupttext befindet. Außerdem bedeutet Hegels Beschränkung auf das Wesent-
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GW 14,1: 3. GW 14,1: 5. GW 14,1: 5. GW 14,1: 5. GW 14,1: 5.
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Die Grundlinien der Philosophie des Rechts
liche, dass man, um heutiger Standards von Explizitheit und Ausführlichkeit willen, diese „wesentlichen Momente“ noch weiter entwickeln muss, was in dieser Arbeit geschieht. Gegenstand und Ziel der Grundlinien müssen an dieser Stelle zumindest in ihren wesentlichen Zügen benannt werden. Davon hängt letztlich das Verständnis der hegelschen Argumentation bezogen auf das Thema dieser Arbeit ab. Folgt man Hegel selbst, so ist die allgemeinste Bestimmung seiner Rechtsphilosophie die, dass „ [d]ie philosophische Rechtswissenschaft [. . . ] die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande“ 6 hat. Hegel unterscheidet innerhalb der Rechtswissenschaft also eine philosophische von einer, wie er später noch schreibt „ positive[n] Rechtswissenschaft“ 7. Gegenstand der philosophischen Rechtswissenschaft ist die Idee des Rechts. Dabei unterteilt Hegel die Idee des Rechts in den Begriff und die Verwirklichung des Rechts. ›Begriff‹ wie ›Verwirklichung‹ sind nun selbst wiederum hegelsche Termini, die auf die Gesamtanlage seines Systems, insbesondere seine Wissenschaft der Logik zurückgehen. In der Anmerkung zu § 1 gibt Hegel zunächst eine negative Bestimmung, wenn er sagt, dass es nicht um „ bloße Begriffe“ im Sinne von „abstracte[n] Verstandesbestimmung[en]“ 8 gehe. Der Begriff gebe sich selbst seine Wirklichkeit. Wenn man diese Redeweisen nun mit heute gängigen Vorgehensweisen in der Philosophie vergleicht 9, mag Hegels Ansatz zunächst befremdlich wirken. Allerdings lässt sich dieses Befremden ein Stück weit abschwächen, wenn man Hegels Vorgehen wie folgt neu beschreibt: In der heutigen Rechtsphilosophie geht es unter anderem um die Frage, was das Recht sei. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass es so etwas wie das Wesen des Rechts gibt. Zugleich geht man aber davon aus, dass es sich dabei nicht bloß um einen Begriff handelt, eine durch ein Wort bezeichnete semantische Einheit, sondern dass diesem Begriff auch etwas in der Wirklichkeit entspricht. Es gibt Recht, Rechtssysteme und einzelne Rechte, so nimmt man an. Und das Ziel, das Wesen des Rechts zu erfassen, besteht für gewöhnlich in dem Versuch, den Begriff semantisch so zu bestimmen, dass er tatsächlich alle wesentlichen Merkmale des Rechts als Phänomen abdeckt. So konstatieren beispielsweise auch die Autoren des Artikels The Nature of Law in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, dass im Gegensatz zur Rechtswissenschaft, die immer ein bestimmtes positives Rechtssystem zum Gegenstand hat, 6 7 8 9
GW 14,1: § 1, 23. GW 14,1: § 3, 25. GW 14,1: § 1 Anm., 23. Natürlich soll damit nicht behauptet werden, es gebe heute nur genau eine Art und Weise, Philosophie zu betreiben.
Hegel-Studien
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„philosophy of law is interested in the general question: What is Law?“ 10 So beschrieben lässt sich in erster Annäherung ein gemeinsames Ziel der hegelschen und der heutigen Rechtsphilosophie benennen: Ziel der Rechtsphilosophie ist die Bestimmung des Wesens des Rechts. Gegenstand sind bestehende Rechtsphänomene und deren wesentliche Bestimmungen, die in Form des Begriffs des Rechts ausgedrückt werden. Nun werden von Hegel allerdings weitere Annahmen gemacht 11, wie etwa die, dass der Begriff des Rechts so verstanden werden müsse, dass er die verschiedenen Gestalten des Rechts selbst hervorbringt. Und diese Gestalten wiederum sollen dann selbst epistemische Grundlage zur Erreichung des Ziels der Rechtsphilosophie sein: „Die Gestaltung, welche sich der Begriff in seiner Verwirklichung giebt, ist zur Erkenntnis des Begriffes selbst das andere, von der Form, nur als Begriff zu seyn, unterschiedene wesentliche Moment der Idee.“ 12 Die Idee lässt sich damit unterteilen in ihre Form, „nur als Begriff zu sein“, und ihren Inhalt als „ Gestaltung, welche sich der Begriff in seiner Verwirklichung giebt“. 13 Die Idee eines Gegenstandes sei „die Vernunft eines Gegenstandes“ 14. Die Rechtsphilosophie müsse daher so vorgehen, dass sie diese Idee aus dem Begriff entwickelt, sie müsse, „was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwickelung der Sache selbst []zusehen“ 15. Die Rechtsphilosophie müsse an dem positiven Recht dasjenige erfassen, das Verwirklichung des Begriffs des Rechts ist. Aber was bedeutet es, dass sich der Begriff des Rechts in einem positiven Recht verwirklicht bzw. sich Gestalt gibt? Und wenn der Begriff des Rechts „seinem Werden nach“ 16 von Hegel vorausgesetzt wird, worin besteht denn nun aber dieser Begriff des Rechts? In § 4 gibt Hegel dafür wichtige Hinweise: „Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frey ist, so daß die Freyheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten
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Marmor / Sarch 2015, 1. Streng genommen sind es keine Annahmen, denn Annahmen in der Philosophie lehnt Hegel zumindest dann ab, wenn sie nicht weiter begründete Grundlage von Begründungen sind. GW 14,1: § 1 Anm., 23. Quante 2011, 57 unterscheidet mit Verweis auf § 213 Enz. entsprechend zwischen „Begriffsschema und Realität“ der Idee. GW 14,1: § 2, 23. GW 14,1: § 2, 23. Weiter unten soll vorgeschlagen werden, diese hegelsche Redeweise so zu deuten, dass damit der denkende Nachvollzug der Vernünftigkeit bestehender Rechtsstrukturen gemeint ist. GW 14,1: § 2, 23.
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Freyheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweyte Natur, ist.“ 17
Ausgangspunkt des Rechts sei der freie Wille, wobei der Wille eine Gestalt des Geistes ist. Die „Substanz und Bestimmung“ des Rechts bestehe in der Freiheit. Das Rechtssystem wiederum versteht Hegel dann als „Reich der verwirklichten Freyheit“. Dabei muss diese Verwirklichung so verstanden werden, dass der Geist als Wille das Recht selbst hervorgebracht hat „als eine zweyte Natur“ 18. Damit ergibt sich eine neue Formulierung der These, dass die Rechtsphilosophie die Idee des Rechts zum Gegenstand hat: Die Rechtsphilosophie muss begrifflich nachvollziehen, wie ein ganzes Rechtssystem Resultat der Selbstverwirklichung des freien Willens ist. Dieses Ziel der Rechtsphilosophie setzt allerdings ein Verständnis des „freien Willens“ voraus. In der Anm. zu § 4 kritisiert Hegel die gängige Methode, mit der Vorstellung dessen, was den Willen ausmacht, zu beginnen, um dann eine Definition des Willens zu entwickeln. „[D]ann wurde nach der Weise der vormaligen empirischen Psychologie aus den verschiedenen Empfindungen und Erscheinungen des gewöhnlichen Bewußtseyns, als Reue, Schuld und dergl., als welche sich nur aus dem freyen Willen sollen erklären lassen, der sogenannte Beweis geführt, daß der Wille frey sey.“ 19 Hierbei kritisiert Hegel eine zirkuläre Argumentation, da solche Phänomene (Gefühle der Reue und der Schuld), die aus dem freien Willen erst erklärt werden können, diesen nun selbst beweisen sollen. Dem entspricht der Versuch, mit Bezug auf die sogenannten reaktiven Einstellungen, wie sie Peter Strawson zum Gegenstand gemacht hat, die Willensfreiheit zu beweisen. 20 Stattdessen sei es besser, die Willensfreiheit als „ Thatsache des Bewußtseyns“ 21 vorauszusetzen, als den größeren Fehler zu begehen, den die zuvor kritisierte Methode macht. Die Rede von der Tatsache des Bewusstseins geht bereits auf Reinhold zurück, und wahrscheinlich be17 18
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GW 14,1: § 4, 31. Ich verstehe unter diesem Ausdruck hier lediglich die Idee, dass das Recht etwa in Gestalt eines Rechtssystems eine gewisse Objektivität besitzt, so wie auch die Natur, die erste Natur, eine Objektivität besitzt. Objektivität bedeutet dann jeweils: (relativ) unabhängig von Subjekten bzw. einer je subjektiven Perspektive Einzelner. Für eine ausführliche Studie zum Thema der zweiten Natur, insb. in der Sittlichkeit, siehe Novakovic 2017. GW 14,1: § 4, 31. Strawson 2008 [1962]. Dabei ist nicht eindeutig, welchem Zweck die Analyse der reaktiven Einstellungen bei Strawson genau dient. Zu einer jüngeren Kritik, eine Analyse reaktiver Einstellungen für die Willensfreiheit zu bemühen, siehe Keil 2017, 76–80. Siehe auch Rössler, 2017, 371–377. Aus der hegelschen Kritik folgt natürlich nicht, dass eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen reaktiver Einstellungen nicht für ein adäquates Verständnis des dies erklärenden freien Willens notwendig ist. GW 14,1: § 4 Anm., 31.
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steht bereits ein Bezug zu Kants Rede vom „Faktum der Vernunft“ 22. Hegel selbst möchte aber natürlich die Freiheit des Willens selbst auch nachweisen: „Daß der Wille frey sei und was Wille und Freyheit ist – die Deduction hievon kann, wie schon bemerkt ist (§. 2.) allein im Zusammenhange des Ganzen Statt finden.“ 23 Dieses ›Ganze‹ setzt Hegel in den Grundlinien allerdings als Prämisse voraus. Näher besage die Prämisse, „daß der Geist zunächst Intelligenz und daß die Bestimmungen, durch welche sie in ihrer Entwicklung fortgeht, vom Gefühl, durch Vorstellen, zum Denken, der Weg sind, sich als Wille hervorzubringen, welcher, als der praktische Geist überhaupt, die nächste Wahrheit der Intelligenz ist“ 24. Damit ergibt sich als Prämisse der Rechtsphilosophie: Der Wille als praktischer Geist ist frei. Die „Grundzüge dieser Prämisse“ 25 beansprucht Hegel in seiner Enzyklopädie gegeben zu haben. Dabei beruft er sich auf die §§ 363–399 der ersten Auflage von 1817. 26 Um nun den Leser aber nicht ganz ohne Hinweise auf die Bestimmung des Willens und der Freiheit desselben der Lektüre zu überlassen, gibt Hegel in den folgenden §§ der Einleitung die „Momente des Begriffes des Willens, welche das Resultat jener Prämisse sind“ 27, an. Dabei könne sich „übrigens zum Behuf des Vorstellens auf das Selbstbewußtseyn eines jeden berufen werden“. 28 Dieser Hinweis dient der Verständnishilfe, beansprucht Hegel doch, dass seine philosophische Analyse des Willensbegriffs wenigstens zur Plausibilisierung durch jeden selbst am Beispiel des eigenen Wollens geprüft werden kann. Wichtig ist zum einen, dass Hegel diese Hilfe für die gesamte Einleitung gibt (und nicht nur für die §§ 5–7), zum anderen, dass es eben nur eine Hilfe sein soll, die keinesfalls mit dem argumentativen Zusammenhang verwechselt werden darf. Insofern allerdings eine philosophische Analyse des Phänomens des Willens in dem Sinne seinem Phänomen adäquat ist, dass die Leserin sich als wollendes Subjekt damit identifizieren kann, ist damit eine Begründung im schwächeren Sinne als dem hegelschen Sinne gegeben. 29
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KpV: 42. Siehe dazu außerdem Henrich 1960 und Willaschek 1991. GW 14,1: § 4, 31. GW 14,1: § 4, 31. GW 14,1: § 4 Anm., 31. Dabei zeigt nicht nur die Rede von „Grundzügen“ an, dass Hegel dem Beweis dieser Prämisse eigentlich mehr Raum hat geben wollen, sondern er äußert auch die Hoffnung, „deren weitere Ausführung dereinst geben zu können“ (GW 14,1: § 4 Anm., 31), wozu er allerdings nicht mehr gekommen ist. GW 14,1: § 4 Anm., 32. GW 14,1: § 4 Anm., 32. Dieser Hinweis ist wichtig, da heutige Beweisansprüche in der Philosophie häufig niedriger sind als diejenigen Hegels und da diese Art des Begründungsmaßstabs (Phänomenadäquatheit ermittelt über Intuitionen) eine heutzutage häufig verwendete Begründungsweise
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Die folgende Darstellung soll diese Prämisse soweit erläutern, wie sie für diese Arbeit relevant ist. Das Projekt der Grundlinien wird in der Einleitung (§§ 1–33) dargestellt (1.1). Dabei stellen die bereits referierten §§ 1–4 eine allgemeine Darlegung der Rechtsphilosophie dar. In den §§ 5–24 entwickelt Hegel den Begriff des freien Willens (1.1.1), der dann in Verbindung mit der Bestimmung von Subjektivität und Objektivität in den §§ 25–26 (1.1.2) zur Entwicklung des Begriffs des Rechts in den §§ 28–30 führt (1.1.3). Der für diese Arbeit relevante Teil der Moralität (§§ 105–141) bildet den zweiten Teil der Grundlinien (1.2). Nach einer kurzen Rekonstruktion des Übergangs vom abstrakten Recht in die Moralität wird dann die Einleitung in die Moralität in den §§ 105–114 (1.2.1) und die dort allgemein gemachte Bestimmung des Handlungsbegriffs in § 113 vorgestellt (1.2.2). 1.1 Recht als freier Wille In diesem ersten Teil soll der Begriff des Rechts erläutert werden. Recht ist der zentrale Terminus Hegels für alle normativen Phänomene, die er in den Grundlinien abhandelt. Recht ist verwirklichter freier Wille. Damit muss der Begriff des freien Willens (1.1.1) wie auch ein Verständnis von dessen Verwirklichung (1.1.2) dargelegt werden. Darauf aufbauend kann dann der Begriff des Rechts eingeführt und erläutert werden (1.1.3). Zuvor sei ein Vorschlag für eine systematische Motivation der Willensanalyse gemacht: Hegels grundlegende Einsicht besteht darin, dass Recht in einem noch zu klärenden Sinne über den Begriff des Willens rekonstruiert werden müsse. Dabei folgt er der Tradition der Politischen Philosophie, nach der die Zustimmbarkeitsbedingung Dreh- und Angelpunkt aller staatlichen und rechtlichen Autorität ist. Alle müssen den Regeln, die den Staat und das Gemeinwesen organisieren, grundlegend und prinzipiell zustimmen können. 30 Hegels Einsicht besagt nun, dass dies nur dann zu bewerkstelligen ist, wenn man diese Regeln als Verwirklichung des unbedingten und in dem Sinne freien Willens versteht. Dieser Wille wird von Hegel so gefasst, dass es der freie Wille ist, der den freien Willen will. Der Gehalt des Wollens muss also selbst der freie Wille sein. Nur so lässt sich garantieren, dass es sich bei den jeweiligen Regeln um ein Dasein des freien Willens handelt. Aber wie ist nun dieser freie Wille, der den freien Willen will, genau zu verstehen? Dazu entwickelt Hegel diesen Begriff sukzes-
30
ist. Das wiederum bedeutet dann aber, dass Hegels starker Beweisanspruch mit heutigen Beweisansprüchen durchaus kompatibel ist. So bestimmt Neuhouser 2000, 6 die subjektive Komponente sozialer Freiheit, die Hegel von Rousseau übernommen hat.
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sive, indem er bei der basalsten Begriffsbestimmung eines Willens beginnt, zur Willkür übergeht, um schließlich den Begriff des wahrhaft freien Willens zu entwickeln. Dazu benötigt er allerdings eine formale, intern komplexe Struktur des Willensbegriffs, die ihm dadurch zur Verfügung steht, dass der Begriff des Willens eine Gestalt von Selbstbewusstsein ist, Letzteres aber wiederum selbst intern komplex strukturiert ist. Diese Skizze lässt es ratsam erscheinen, zwei Willensbegriffe zu unterscheiden. Wille 1 (individualistisch): Einmal bezeichnet Hegel mit dem Wort ›Wille‹ in etwa das Phänomen, das wir auch heute noch darunter verstehen: das Wollen eines einzelnen Handlungssubjekts. Wille 2 (kollektivistisch): Zusätzlich dient der Ausdruck ›Wille‹ aber auch dazu, die allgemeinen sozial anerkannten Regeln zu bezeichnen, deren Vernünftigkeit ausgewiesen werden soll. Diese Regeln Willen oder auch ein Dasein des Willens zu nennen, weicht dabei stärker von der heutigen Verwendungsweise ab. Jedoch kennen auch wir diese Redeweise, wenn wir etwa vom Willen des Gesetzgebers sprechen. Damit im Folgenden keine Äquivokationen auftreten, muss immer zwischen diesen zwei Verwendungen von ›Wille‹ unterschieden werden. Sofern der Kontext nicht eindeutig ist, werde ich dies durch die Indizes tun.
1.1.1 Der Begriff des freien Willens (§§ 5–24) Hegel benennt zwei Fähigkeiten, die jedem vertraut seien: „Jeder wird zunächst in sich finden, von Allem, was es sey, abstrahiren zu können, und eben so sich selbst bestimmen, jeden Inhalt durch sich in sich setzen zu können, und ebenso für die weitern Bestimmungen das Beyspiel in seinem Selbstbewußtseyn haben.“ 31 Welches die weiteren Bestimmungen sein sollen, lässt Hegel hier offen. Die zwei genannten Fähigkeiten bestehen in Folgendem: Fähigkeit1: von allem (Willensinhalt) abstrahieren können. Fähigkeit2: sich selbst bestimmen können, jeden Inhalt (des Wollens) selbst setzen können. Diese zwei Merkmale des Willens und noch weitere werden im Folgenden begrifflich bestimmt. Hegel beginnt in § 5 mit Fähigkeit1: „Der Wille enthält α) das Element der reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich, in welcher jede Beschränkung [. . . ] aufge-
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GW 14,1: § 4 Anm., 32. Hier ist nun eindeutig von Wille1 die Rede.
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lößt ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraction oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst.“ 32
Zum Begriff des Willens gehört, dass er allgemein ist. Für die Bezeichnung des hier relevanten Merkmals des Willens verwendet Hegel verschiedene Beschreibungen: „reine Unbestimmtheit“, „Reflexion des Ich in sich“, „schrankenlose Unendlichkeit“, „absolute Abstraktion“ und „reines Denken seiner selbst“. Es wurde bereits auf die Prämisse hingewiesen, dass der Wille eine Gestalt des Geistes ist, als wollende Wesen sind wir geistige Wesen. Diese Rede vom ›Geistigen‹ lässt sich hier erläutern durch die Fähigkeit zu denken. Diese wiederum enthält die Fähigkeit, von mental repräsentierten Inhalten abstrahieren oder absehen zu können, also Fähigkeit1. Das reine Denken seiner selbst ist eine Alternativbeschreibung für Selbstbewusstsein. Insofern also der Wille unter anderem in dieser Fähigkeit1 besteht, diese aber wiederum eine Gestalt von Selbstbewusstsein darstellt, ergibt sich folgende These: Selbstbewusstsein als Wille Wille ist qua Geist Selbstbewusstsein (Ich). Aus diesem Grund enthält der Begriff des Willens Momente, die Momente des selbstbewussten Geistes, des Selbstbewusstseins, der Subjektivität 33 sind. Entsprechend der begriffslogischen Terminologie 34 schlage ich vor, das erste Begriffsmoment des Willens der Allgemeinheit wie folgt zu bestimmen: Allgemeinheit des Willens Für alle x gilt: Wenn x ein wollendes Wesen ist, dann besitzt x die Fähigkeit der Reflexion in sich, des reinen Denkens seiner selbst. Damit ist das Verfügen über Selbstbewusstsein zunächst lediglich eine notwendige Bedingung dafür, dass etwas Wille ist bzw. einen Willen besitzt. Das Merkmal der Allgemeinheit, der Abstraktionsfähigkeit des Willens ist dann letztlich aufgrund der Struktur von Selbstbewusstsein Teil des Willens. Die Anmerkung enthält nun eine wichtige Bemerkung, die das Verhältnis von Denken und Wollen betrifft und solche Ansichten kritisiert, die beides als zwei verschiedene Fähigkeiten auffasst. Natürlich muss die These, dass Denken und Wollen nicht zwei getrennte Vermögen sind, begründet werden. Allerdings kann bereits hier festgehalten werden, dass Hegel eine solche Trennung 32 33
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GW 14,1: § 5, 32. Eine immer noch maßgebliche Studie zum Thema Subjektivität in Hegels Philosophie ist Düsing 1995 [1976]. Damit soll auf die Terminologie aus dem dritten Buch der Wissenschaft der Logik, die Lehre vom Begriff (1816), Bezug genommen werden.
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für inadäquat hält. In der Randnotiz zu § 4 spricht er davon, dass Denken und Wollen „überhaupt nicht 2 Vermögen“ 35 seien. Da diese These grundlegend für die späteren Stellen ist, sei sie hier wie folgt bestimmt: Denken-Wollen-These Denken und Wollen sind keine zwei voneinander getrennte Vermögen. 36 Hierbei lässt sich erstens fragen, inwiefern das Denken ein nicht vom Wollen getrenntes Vermögen ist, und zweitens, inwiefern das Wollen ein nicht vom Denken getrenntes Vermögen ist. Für diese Arbeit ist die letztere Verbindung zentral. Dass unser Wollen nicht von epistemischen Einstellungen getrennt ist, zeigt sich beispielsweise an Fällen folgenden Typs: A hat etwas getan, das einen Schaden zur Folge hatte. Nun wirft B diese Schadensverursachung A vor und fordert Kompensation. A reagiert mit dem Verweis darauf, dass A dies nicht gewollt habe. Bei weiterem Nachfragen stellt sich heraus, dass dieses Nichtgewollt-Haben ein Nicht-gewusst-Haben war. A wusste nicht, dass sein Tun diese Folge haben würde. Hätte A dies gewusst, hätte A es nicht getan. Damit hängt in solchen Fällen das Gewollte letztlich vom Gewussten ab. Insbesondere für die Thematisierung der Zurechnung im 3. Kapitel wird diese Bemerkung relevant werden, da auch heute noch, zumindest im Strafrecht, zwischen dem Wissen und dem Wollen mit Bezug auf den Vorsatz gesprochen wird. 37 Zunächst ist also zu sagen, dass Hegel die theoretische und die praktische Intelligenz nicht als zwei voneinander getrennte Vermögen ansieht. Aber wie lassen sie sich unterscheiden? In der üblich gewordenen Redeweise der analytischen Handlungstheorie und Philosophie des Geistes kann man Hegels Bestimmung der beiden Formen von Intelligenz auch als die zwei Passungsrichtungen (directions of fit) 38 unseres In-der-Welt-Seins bezeichnen. 39 Die theoretische Intelligenz entspricht dann der Geist-auf-Welt-Passungsrichtung, die praktische Intelligenz hingegen der Welt-auf-Geist-Passungsrichtung. 40 35 36
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GW 14,2: § 4 Rn., 317. Als gegenwärtiger Vertreter einer ähnlichen These könnte etwa Joseph Raz genannt werden, der von „powers of rational agency“ Raz 2011, 227 spricht. Wichtig scheint mir zu sein, dass Hegel die Trennung, nicht aber die Unterscheidung von Denken und Wollen zurückweist. Siehe im Gegensatz dazu Halbig 2018a, 100. Das Wollen lässt sich – alternativ formuliert – ohne Bezug auf doxastische Einstellungen nicht verstehen. Dies wird auch in der gegenwärtigen Handlungstheorie insofern anerkannt, als doxastische Einstellungen Teil von Handlungserklärungen sind. Vgl. GW 20: § 225, 222–223; § 226, 223; § 233, 227. Der Sache nach hat G. E. M. Anscombe diesen Unterschied in ihrem Buch Intention (1957) am Beispiel eines Supermarkteinkaufs bestimmt, Anscombe 1963 [1957]: 56–57; die Rede von den zwei directions of fit hat dann John Searle geprägt in Searle 1985. Gerade auch mit Bezug auf directions of fit weist Halbig 2018a, 100 eine solche Hegellesart zurück. Allerdings scheint mir die Unterscheidung weiterhin hilfreich zu sein, sofern man
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Dem Moment der Allgemeinheit wird nun ein zweites Moment hinzugefügt: „β) Eben so ist Ich das Uebergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. – Dieser Inhalt sey nun weiter als durch die Natur gegeben oder aus dem Begriffe des Geistes erzeugt. Durch dieß Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Daseyn überhaupt; – das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.“ 41
Dieses Moment entspricht nun der oben benannten Fähigkeit2. Auch wenn wir uns von jedem mental repräsentierten und gegebenen Willensinhalt distanzieren können, so besteht unsere Selbstbestimmung eben auch darin, dass wir uns selbst bestimmen, dass wir für uns selbst einen Willensinhalt als den unsrigen setzen. Es spielt auf dieser Ebene der begrifflichen Bestimmung noch keine Rolle, woher der Inhalt letztlich kommt, ob es nun triebhafte Impulse sind, wie etwa das Hungergefühl, das mich gerade überkommt, oder aber konkrete sittliche Pflichten, denen ich folgen muss. In jedem Fall besteht das Wollen auch darin, sich selbst zu einem wie auch immer gegebenen Inhalt zu bestimmen. Da der begriffslogische Fachterminus ›Besonderheit‹ ist, sei dieses zweite Willensmoment wie folgt benannt: Besonderheit des Willens Für alle x gilt: Wenn x einen Willen hat, dann bestimmt x sich selbst, ist eigene Besonderung. 42
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darunter nicht zwei voneinander getrennte Vermögen versteht. Denn nur Letzteres lehnt Hegel ab. Mir scheint es recht evident zu sein, dass es einen Unterschied macht, ob ich aus dem Fenster schaue und feststelle, dass es schneit, oder ob ich den Entschluss fasse, später noch einkaufen zu gehen. Das soll nur eben nicht bedeuten, dass es sich dabei um zwei voneinander getrennte Vermögen handelt. Ich muss doch aus dem Fenster schauen wollen, ich muss ein gewisses Interesse an bestimmten Umständen haben, um überhaupt auf die Tatsache aufmerksam zu werden, dass es schneit. Und umgekehrt muss ich natürlich auch wissen, dass der Supermarkt später noch geöffnet haben wird. Und auch Halbig selbst benötigt diesen Unterschied an späterer Stelle selbst, wenn er Hegels Ansicht praktischer Einstellungen dadurch charakterisiert, dass „sie einen Zweck beinhalten, der vorgibt, wie die ‚Objektivität` so umgestaltet werden soll, dass sie dem Inhalt dieses Zwecks entspricht“ Halbig 2018a, 104. GW 14,1: § 6, 33. Man könnte die ersten beiden Bestimmungen auch wie folgt fassen: Wir sind alle verschieden und doch sind wir alle gleich. Qua Allgemeinheit sind wir alle gleich, qua Besonderheit allerdings auch alle verschieden. Wichtig ist nun die spekulative Erkenntnis der Einheit beider. Strenggenommen sind wir nämlich für Hegel alle konkret-allgemein.
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Durch dieses Moment der Selbstbestimmung trete das „ Ich in das Daseyn“. Vom Standpunkt der ersten Person aus formuliert besagt dies, dass ich, als konkretes Willenssubjekt erst dann in ein Dasein trete, wenn ich mein Wollen inhaltlich bestimme, mich zu einem Willensinhalt bestimme, diesen setze. Auch dieses zweite Moment, so die Anmerkung, sei Negativität, „es ist nehmlich das Aufheben der ersten abstracten Negativität“ 43. Wie ist das zu verstehen? Dieses zweite Moment sei ein „ Setzen dessen, was das erste schon an sich ist“ 44. Das erste sei deshalb an sich auch bereits Bestimmtheit, da die einfache Negation aller Bestimmungen aufgrund der bestimmten Negation selbst noch an dem Negierten Anteil hat. Anders formuliert: Man kann das erste Moment der Allgemeinheit nicht bestimmen – und bestimmt werden soll es ja schon – ohne negativ zu sagen, was es nicht ist. Bei der Allgemeinheit des Willens handelt es sich also um eine Bestimmung ex negativo. Das Abstrahieren von möglichen Willensinhalten ist eben immer ein sich negativ zu etwas Bestimmtem Verhalten. Erst in § 7 wird deutlich, dass es sich bei der Allgemeinheit und der Besonderheit lediglich um Abstraktionen und damit einseitige Momente des Selbstbewusstseins handelt, deren Einheit der Wille ist: „γ) Der Wille ist die Einheit dieser beyden Momente; – die in sich reflectirte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit, – Einzelnheit; die Selbstbestimmung des Ich, in Einem, sich als das Negative seiner selbst, nemlich als bestimmt, beschränkt zu setzen und bey sich d. i. in seiner Identität mit sich und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung sich nur mit sich selbst zusammen zu schließen.“ 45
Hier definiert Hegel nun den Begriff des Willens und zeigt zugleich bereits die abstrakte Bestimmung der Freiheit des Willens auf. Der Begriff des Willens Für alle x gilt: x ist Wille genau dann, wenn 46 x „in sich reflectirte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit; – Einzelnheit“ ist. 47 Diese schwer zu verstehende Definition erläutert Hegel weiter über den Begriff der Selbstbestimmung, der für die Argumentation der Grundlinien immens wichtig ist. 43 44 45 46 47
GW 14,1: § 6 Anm., 33. GW 14,1: § 6 Anm., 33. GW 14,1: § 7, 34. Von jetzt an werde ich das definitorische ›genau dann, wenn‹ mit gdw abkürzen. Dieser Begriff enthält die ersten zwei Momente des Willensbegriffs.
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Selbstbestimmung Für alle x gilt: x bestimmt sich selbst gdw (i) x sich setzt „als das Negative seiner selbst, nemlich als bestimmt, beschränkt“ & (ii) x bei sich bleibt, „d. i. in seiner Identität mit sich und Allgemeinheit“ & (iii) x „in der Bestimmung sich nur mit sich selbst zusammen zu schließen“, bleibt. Wenn wir unser Wollen bestimmen und uns zu etwas Bestimmtem entscheiden, dann beschränken wir uns selbst (i). Denn wir entscheiden uns nicht nur dafür, dass wir Φen wollen, sondern auch zugleich dagegen, alle anderen alternativen Handlungen Φ0 zu vollziehen, die mit dem Vollzug von Φ unverträglich sind. Damit setzen wir uns selbst aber eine Schranke. Da wir als selbstbewusste Wesen zugleich aber auch von allem abstrahieren und dadurch in die denkend-kontemplative Distanz zu allem treten können, müssen wir dieses Merkmal unserer Allgemeinheit auch im Selbstbestimmen bewahren (ii). Dies tun wir dadurch, dass wir uns mit uns selbst in der Selbstbestimmung zusammenschließen (iii). Wir sind es ja immer noch, die sich entschieden haben, nicht irgendetwas in uns. Und dieses Ich, das da entscheidet, bleibt zugleich seinem Begriff nach erhalten, selbst wenn es einen bestimmten Inhalt setzt. Der Bezug auf Willensinhalte, auf Bestimmungen des Wollens, ist ein möglicher Bezug der Art, dass man prinzipiell wissen kann, dass man einen bestimmten Inhalt nicht wählen muss. Es ist lediglich möglich, sich zu etwas zu entscheiden. Deshalb sei der Wille gleichgültig gegenüber den Willensinhalten. Die Anmerkung zu § 7 benennt wichtige Aspekte für ein Verständnis der hegelschen Willenstheorie. Zunächst ist wichtig zu sehen, dass der Wille nur als Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, die Hegel Einzelheit nennt, im eigentlichen Sinne Wille ist. Allgemeinheit und Besonderheit sind für sich zwar, wie noch zu zeigen ist, wichtige Aspekte des Willens, die man unter Umständen gesondert in den Blick nehmen muss. Allerdings muss zugleich klar sein, dass es sich dabei um Abstraktionen handelt, die man für sich nicht für das Ganze halten sollte, „das Concrete und Wahre (und alles Wahre ist concret) ist die Allgemeinheit, welche zum Gegensatze das Besondere hat, das aber durch seine Reflexion in sich mit dem Allgemeinen ausgeglichen ist“. 48 Wir als konkrete Handlungssubjekte haben an dieser Struktur teil. Wir sind weder bloß allgemein: unser Wesen besteht nicht darin, einfach von allem zu abstrahieren; würden wir dies tun, würden wir nie anfangen zu handeln und könnten also auch gar nicht überleben. Noch sind wir bloß besondere, zu ihren 48
GW 14,1: § 7 Anm., 34.
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Willensinhalten Verdammte, die einfach rein impulshaft auf das reagieren, wozu uns unser Körper und die Umwelt treiben. Wir können kraft unserer Denkfähigkeit abstrahieren, uns von den Inhalten distanzieren: Ich kann merken, dass ich Hunger bekomme, und mich nun fragen, ob bzw. wie ich darauf reagieren will. Und wir können uns dann zu einem Willensinhalt bestimmen. Ich kann die Entscheidung fällen, jetzt gleich etwas essen zu gehen. Aber ich bin es, der nun essen gehen will. Erst die Einheit dieser beiden Momente stellt die Einzelheit als Allgemeinheit und Besonderheit umgreifende Kategorie dar. In einem letzten Abschnitt der Anmerkung zu § 7 benennt Hegel eine These, die für das Verständnis seiner Philosophie im Allgemeinen, aber auch für die Rechtsphilosophie im Besonderen zentral ist: „Es kann hier nur noch bemerklich gemacht werden, daß, wenn man so spricht: der Wille ist allgemein, der Wille bestimmt sich, man den Willen schon als vorausgesetztes Subject, oder Substrat ausdrückt, aber er ist nicht ein Fertiges und Allgemeines vor seinem Bestimmen und vor dem Aufheben und der Idealität dieses Bestimmens, sondern er ist erst Wille als diese sich in sich vermittelnde Thätigkeit und Rückkehr in sich.“ 49
Hegel warnt an dieser Stelle davor, aufgrund bestimmter Redeweisen den falschen Schluss zu ziehen, dass etwa der Wille ein zugrundeliegendes Ding sei, das nun tätig wird und sich selbst bestimmt. Wenn man etwa sagt, dass wir Menschen einen Willen haben, dann darf dies nicht so verstanden werden, dass wir diesen als bestehende Entität haben, wie wir etwa ein Herz haben. Somit lässt sich als weitere These festhalten: Die Prozessualität des Willens Der Wille ist wesentlich eine Tätigkeit, er muss prozessual verstanden und darf nicht reifiziert werden. Strenggenommen muss man also den Willen, und das gilt für Subjektivität insgesamt, als Prozess auffassen. Dieser Hinweis wird insbesondere für die spätere Analyse der Rechte der Subjektivität wichtig werden (insb. in Kap. 6). In § 8 geht Hegel nun dazu über, das Begriffsmoment der Besonderheit genauer zu bestimmen. Er unterscheidet dazu verschiedene Formen des Willens und vertritt die These, dass sich diese Formen relativ zu dem bestimmen lassen, was das Moment der „ Besonderung“ des Willens jeweils ausmacht. Dabei unterscheidet Hegel zwei Hinsichten, relativ zu denen dann verschiedene Formen des Willens unterschieden werden können. Zunächst bestimmt er das Moment der Besonderheit aus § 6 dahingehend, dass die Bestimmtheit 49
GW 14,1: § 7 Anm., 34–35.
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ein formeller Gegensatz sei, und zwar zwischen Subjektivem und Objektivem. Das Objektive wird dabei noch weiter bestimmt als „äußerliche[] unmittelbare[] Existenz“ 50. Die Besonderung des Selbstbewusstseins als Wille besteht also darin, dass ein Gegensatz eingezogen wird. Auf der einen Seite stehe die Subjektivität, auf der anderen die Objektivität. Formell ist dieser Gegensatz insofern, als das Subjektive und das Objektive selbst nicht inhaltlich bestimmt sind. Der formale Wille finde eine Außenwelt vor. Als Handelnde können wir uns durchaus so beschreiben. Wir befinden uns immer schon in einer Umgebung, in der wir handelnd tätig werden. Diese Umgebung finden wir als eine uns äußerliche Welt vor, sie ist da. Das Selbstbewusstsein sei nun „die in der Bestimmtheit in sich zurückkehrende Einzelnheit“ 51. Diese Einzelheit bestimmt Hegel nun weiter. Da der Wille prozessual verstanden werden muss, geht es bei der Einzelheit des formalen Willens darum, „den subjectiven Zweck durch die Vermittlung der Thätigkeit und eines Mittels in die Objectivität zu übersetzen“ 52. Hierbei handelt es sich um eine Beschreibung der Teleologie, wie sie Hegel in seiner Begriffslogik entwickelt hat. Der formale Wille besteht einerseits in dem formellen Gegensatz von Subjektivität und Objektivität, andererseits in der Tätigkeit, diesen Gegensatz aufzuheben, und zwar durch die Tätigkeit, einen subjektiven Zweck in der Objektivität, also in der vorgefundenen Außenwelt zu verwirklichen. Nun fügt Hegel in § 9 noch eine weitere Hinsicht hinzu. Zunächst bestimmt er, wie die Rede vom Inhalt des Willens verstanden werden muss. Damit etwas überhaupt Willensinhalt ist, muss es auf eine selbstgesetzte Willensbestimmung zurückgehen. Diese zeichnet sich durch eine „ in sich reflectirte Besonderung“ 53 aus. Verbindet man nun diese Redeweise vom Willensinhalt mit der Form des Willens, dann ergibt sich, dass der Inhalt des Willens ein Zweck ist. Zweck ist somit zunächst normiert als Willensinhalt, der auf eine dem Willen eigene Bestimmung als in sich reflektierter Besonderung zurückgeht. Dieser Zweckbegriff wird nochmals unterteilt in zwei Seiten: (i) „innerlicher oder subjectiver [Zweck] in dem vorstellenden Wollen“ (ii) „durch die Vermittelung der das Subjective in die Objectivität übersetzenden Thätigkeit verwirklichter, ausgeführter Zweck“ 54 Damit ergibt sich der Begriff des formalen Willens: Der formale Wille ist Selbstbewusstsein, das eine Außenwelt vorfindet, und (als in der Bestimmtheit in sich zurückkehrende Einzelheit) der Prozess, vermittelt durch eine Tätigkeit 50 51 52 53 54
GW 14,1: § 8, 35. Dies ist wichtig für die Ausgangssituation der hegelschen Moralität. GW 14,1: § 8, 35. GW 14,1: § 8, 35. GW 14,1: § 9, 35. GW 14,1: § 9, 35.
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den subjektiven Zweck in die Objektivität zu übersetzen. Dabei ist der Zweck der Inhalt, den sich das Selbstbewusstsein selbst gegeben hat. Der formale Wille als Subjektivität hat einen subjektiven Zweck zum Inhalt. Er besteht außerdem darin, diesen subjektiven Zweck durch Tätigkeit in der Objektivität zu verwirklichen, um somit sich in seiner Besonderung mit sich zusammenzuschließen. Der Form- und der Inhaltsaspekt des Willensbegriffs können also folgendermaßen benannt werden: Form des Willens i) Gegensatz von Subjektivität und Objektivität (äußerliche unmittelbare Existenz) ii) Findet Außenwelt vor iii) Ist Prozess, durch Tätigkeit (und Mittel), die Subjektivität in die Objektivität als vorgefundener Außenwelt zu übersetzen. Inhalt des Willens i) Wenn Willensbestimmungen eigene sind, in sich reflektierte Besonderung überhaupt, dann sind sie Inhalt des Willens. ii) Dieser Inhalt ist nach der Form des Willens sein Zweck. Die Zwecke des Willens sind die ihm eigenen, von ihm selbst gesetzten Inhalte. Sie sind seine in sich reflektierte Besonderung. iii) Die Zwecke sind: a. Subjektiv: innerlich, in dem vorstellenden Wollen b. Objektiv: äußerlich, verwirklicht, durch die Vermittlung der das Subjektive in die Objektivität übersetzenden Tätigkeit (siehe Form iii)) Damit hat Hegel alle Elemente seines Willensbegriffs beisammen, um nun drei verschiedene Gestalten des Willens zu benennen: der natürliche Wille, die Willkür und der freie Wille. Diese drei Gestalten unterscheiden sich jeweils dadurch, wie der Wille zu seinem Inhalt steht.
Der natürliche Wille (§§ 10–13) In § 10 beginnt nun die Entwicklung dieser drei Gestalten des Willens. Auf der ersten Ebene ist der Inhalt des Willens „ unmittelbar“. 55 An sich ist der Wille bereits auf dieser Analysestufe frei. Allerdings besteht das Problem darin, dass er dies nicht für sich ist. Es fehlt das nötige Selbstbewusstsein seiner als an sich freier Wille im bisher analysierten Sinne. Die Inhalte des Willens sind 55
GW 14,1: § 10, 35.
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unmittelbar gegeben. Zugleich benennt Hegel bereits an dieser Stelle, was das Ziel der Entwicklung hin zum freien Willen ist: Er muss für sich sein, was er an sich ist. Dies erreicht der Wille erst, wenn er sich selbst zum Gegenstand hat. Der Willensinhalt muss der Wille selbst sein. Nun gilt aber auch bereits für diese Gestalt des Willens, dass er qua Selbstbewusstsein ein „für sich“ haben muss. Der Mangel entsteht dadurch, dass „was etwas an sich oder seinem Begriffe nach ist, eine von dem verschiedene Existenz oder Erscheinung ist, was es für sich ist“ 56. In diesen Fällen fallen also Begriff und Gestalt auseinander. In § 11 gibt Hegel dieser ersten Willensgestalt nun den Namen des natürlichen Willens. Bei dieser Gestalt des Willens seien es „die Triebe, Begierden, Neigungen, durch die sich der Wille von Natur bestimmt findet“. 57 Auf der Stufe des natürlichen Willens erscheinen diese Bestimmungen als unmittelbar gegeben. Da nun aber wie gesagt auf der Ebene des natürlichen Willens „an sich“ und „für sich“ auseinanderfallen, ich für mich nicht das bin, was ich an sich bin, sofern ich einen natürlichen Willen habe, mangelt es noch an Vernünftigkeit. Form und Inhalt sind verschieden: Die Form ist, dass alles für mich ist, dass ich es bin, der will. Der Inhalt bin aber noch nicht ich, sondern unmittelbar gegebene, natürliche Inhalte. Die Form des Willens besteht also darin, dass die Inhalte für mich, meine Inhalte sind. Daher ist ein solcher endlicher Wille zwar an sich vernünftig, allerdings noch nicht „in Form der Vernünftigkeit“. 58 Hier wird bereits deutlich, dass Hegel selbst den Trieben und damit dem natürlichen Willen Platz im Rahmen seiner Rechtsphilosophie einräumt. Es gibt etwas Objektives der Triebe, das „ohne die Form der Unvernünftigkeit“ 59 ist. Die dem natürlichen Willen unmittelbar gegebenen Willensinhalte lassen sich als System beschreiben, wobei Hegel darunter nicht mehr versteht als die Menge all jener Willensinhalte. 60 Für zwei unmittelbar gegebene natürliche Willensinhalte, etwa T1 (Hungergefühl) und T2 (Müdigkeit), gilt dann: i) Sowohl T1 als auch T2 sind meinige überhaupt, nebeneinander. ii) T1 und T2 sind beide allgemein und unbestimmt und haben „vielerlei Gegenstände und Weisen der Befriedigung“ 61. 56 57 58
59 60 61
GW 14,1: § 10 Anm., 35. GW 14,1: § 11, 36. GW 14,1: § 11, 36. Eigentlich ist es der Inhalt, dem noch die Form des Vernünftigen fehlt. Diese Form fehlt noch, weil eben Form und Inhalt getrennt erscheinen. Erst wenn der Wille die Form erfüllt, an und für sich frei zu sein, gibt es die Möglichkeit, die natürlichen Inhalte auch in eine vernünftige Form zu bringen. GW 14,1: § 11 Anm., 36. GW 14,1: § 12, 37. GW 14,1: § 12, 37.
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Ich bin hungrig und müde zugleich, beides ist unmittelbar gegeben und treibt mich zu Verschiedenem. Soll ich jetzt etwas essen oder mich hinlegen und ein wenig schlafen? Soll ich erst essen und dann schlafen? Oder sollte ich essen und nicht schlafen oder keines von beidem? Diesen Willensinhalten nachzukommen kann auf verschiedenste Weise geschehen. Dadurch befinde der Wille sich in einer „gedoppelten Unbestimmtheit“ 62, die Unbestimmtheit, wie verschiedene Triebe zueinander stehen, wie auch diejenige, wie einem Trieb nun genau nachzukommen sei. Nun gilt meist für solche Situationen, in denen mehrere Handlungsimpulse in uns vorliegen, dass wir dennoch handeln oder unterlassen. In jedem Fall gilt, dass wir uns dann „die Form der Einzelnheit“ 63 geben. Insofern sei der Wille „beschließend und nur als beschließender Wille überhaupt ist er wirklicher Wille“ 64. Hegel vertritt also die These, dass ein Entschluss notwendig dafür ist, dass ein Wille überhaupt Wirklichkeit hat. Solange man sich nicht entschließt und tätig wird, manifestiert man seinen Willen auch nicht. Insofern lässt sich bereits an dieser Stelle sagen, dass zumindest rein mentalistische Theorien des Willens 65 von Hegel zurückgewiesen würden, da sie eben das notwendige Element des Willensentschlusses nicht fassen. Jedoch gilt für Hegel: „Durch das Beschließen setzt der Wille sich als Willen eines bestimmten Individuums und als sich hinaus gegen Anderes unterscheidenden.“ 66 Erst auf dieser Ebene führt Hegel also die Redeweise vom Willen eines Individuums ein, die bisher lediglich zur Verdeutlichung herangezogen worden war. Man kann diese Stelle bezüglich der Frage, wie ein Wille eines Individuums zu dem Willen als übergreifender Struktur steht, nun auf zwei Weisen lesen: 1) Der Wille als metaphysische überindividuelle Entität setzt sich selbst, indem er sich im Entschluss in dem Willen eines Individuums verendlicht. Damit würde der Wille2 durch uns individuelle wollende Subjekte hindurch handeln. 2) Erst wenn wir uns als Individuen zu einem Willensinhalt entschließen, selbst bestimmen, begrenzen und diesen Willensinhalt dann gemäß unserem Wesen als wollende Subjekte in die Objektivität durch Tätigkeit übersetzen, bekommt das Wesen des Begriffs Wirklichkeit. 67 62 63 64 65
66 67
GW 14,1: § 12, 37. GW 14,1: § 12, 37. GW 14,1: § 12, 37. Darunter sind Theorien zu verstehen, die den Willen als bloßes mentales Phänomen deuten, das auch dann vorliegt, wenn gar keine Handlung folgt. In der zeitgenössischen Metaethik und Handlungstheorie wird „will“ und „willing“ meist so verstanden. GW 14,1: § 13, 37. Diese zwei Lesarten ergeben sich gerade aus der obigen Unterscheidung zwischen Wille1 und Wille2 und der Frage nach deren Verhältnis zueinander.
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Hierzu ist zweierlei zu sagen. Erstens ist die zweite, schwächere Lesart mit der ersten, stärkeren Lesart kompatibel. Zweitens glaube ich allerdings, dass diese zweite Lesart die angemessene Lesart ist. Zwar drückt sich Hegel häufig so aus, dass der Begriff etwas tut und der Geist sich verwirklicht. Jedoch halte ich dies für eine sprachliche Ausdruckshilfe, die deutlich machen soll, dass die Geltung der dann gemachten Aussagen nicht von bloßen subjektiven im Sinne von rein individuellen Interessen der Philosophin abhängt. Es ergibt sich eine Einschränkung des natürlichen Willens, die in dem formellen Charakter des natürlichen Willens liegt. Dieser besteht, wie bereits gesehen, darin, dass innerhalb des natürlichen Willens Form und Inhalt auseinanderfallen. Daher hat der natürliche Wille nur insofern an der Freiheit Anteil, als er eben beschließender Wille ist. Dass er überhaupt beschließt, macht ihn in Teilen frei, allerdings ist er insofern noch unfrei, als eben der Inhalt seines Wollens nicht von ihm selbst bestimmt wird. Die Willkür (§§ 14–20) Bisher erfüllt der Wille lediglich der Form nach das erste Begriffsmoment, „sich in sich reflectirendes und bey sich selbst seyendes unendliches Ich“ 68 zu sein. Dem Inhalt nach ist der natürliche Wille gerade nicht bei sich, sondern in natürlichen Trieben, Begierden und Bedürfnissen als ihm Anderes. Allerdings gilt nun auf Grund der Struktur von Selbstbewusstsein, dass der endliche Wille „ über dem Inhalt“ 69 steht. Er ist allerdings in einer Hinsicht an diesen Inhalt „als die Bestimmungen seiner Natur und seiner äußern Wirklichkeit“ 70 gebunden, und zwar als „nur formell unendliche[r]“ 71 Wille, ungebunden hingegen – und insofern steht er eben über dem Inhalt – ist er als „unbestimmte[r]“ Wille. 72 Dies folgt aus dem zweiten Begriffsmerkmal, dass der Willensinhalt, den der Wille als den Seinigen setzt, eben ein möglicher neben anderen ist: „Derselbe ist insofern für die Reflexion des Ich in sich nur ein Möglicher, als der Meinige zu seyn oder auch nicht, und Ich die Möglichkeit, mich zu diesem oder einem andern zu bestimmen, – unter diesen für dasselbe nach dieser Seite äußern Bestimmungen zu wählen.“ 73 Die unmittelbar gegebenen Willensinhalte sind dann insofern mögliche Willensinhalte, als es von mir, von meiner Wahl abhängt, ob ich sie als meinige setze oder nicht. Zugleich 68 69 70 71 72 73
GW 14,1: § 14, 38. GW 14,1: § 14, 38. GW 14,1: § 14, 38. GW 14,1: § 14, 38. GW 14,1: § 14, 38. GW 14,1: § 14, 38.
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habe ich dann die Möglichkeit, mich zu dem einen oder dem anderen zu bestimmen. „Die Freyheit des Willens ist nach dieser Bestimmung Willkühr – in welcher dieß beydes enthalten ist, die freye von allem abstrahirende Reflexion und die Abhängigkeit von dem innerlich oder äußerlich gegebenen Inhalte und Stoffe.“ 74 Wenn man den natürlichen Willen dahingehend weiterbestimmt, dass man selbst es ist, der einen Willensinhalt wählt, dann besteht die Freiheit des Willens in der Willkür. Allerdings gelte: „Weil dieser an sich als Zweck nothwendige Inhalt, zugleich gegen jene Reflexion als Möglicher bestimmt ist, so ist die Willkühr die Zufälligkeit, wie sie als Wille ist.“ 75 Interpretiert man den Willen als Willkür im Sinne der Wahlfreiheit, dann ist er Zufälligkeit, ihm haftet Zufälligkeit an, und zwar aus folgendem Grund: (P1) Der natürliche Inhalt des Willens ist an sich als Zweck notwendiger Inhalt. (P2) Als Gegenstand der Reflexion ist dieser Inhalt allerdings nur möglicher oder nicht notwendiger Inhalt. (P3) Der Wechsel von Notwendigkeit und Möglichkeit ist Zufälligkeit. 76 (K)
Daher ist die Willkür Zufälligkeit, da sie zwischen notwendigen und nicht notwendigen Inhalten hin- und herspringt.
Die in der Konklusion benannte These deute ich wie folgt: Es gibt kein Prinzip des Setzens eines nur möglichen und eines an sich notwendigen Inhalts als Wirklichen. Nun benennt Hegel den Mangel auch dieser zweiten Form des freien Willens. Der Wille ist auch als Willkür noch nicht vollständig für sich, was er an sich ist. Zwar bringt die Reflexion als ein Wissen um die eigene Wahlfreiheit eine Gewissheit mit sich, die das für sich („für mich bin ich es, der auswählt zwischen den Alternativen“, so könnte man sagen) des Willens im Gegensatz zum natürlichen Willen anreichert. Problematisch ist aber, dass immer noch nicht der freie Wille selbst Gegenstand des Willens ist, es sind immer noch äußerlich gegebene Willensinhalte. Dies bringt mit sich, dass der Gegenstand noch kein unendlicher ist, wie es der Fall wäre, wenn der Wille sich selbst zum Inhalt hätte. Daher ergebe sich nun: „Die Willkühr ist, statt der Wille in seiner Wahrheit zu seyn, vielmehr der Wille als der Widerspruch.“ 77 Das Argument für die These der Widersprüchlichkeit der Willkür lautet wie folgt:
74 75 76
77
GW 14,1: § 15, 38. GW 14,1: § 15, 38. Diese Prämisse findet ihre Begründung im Modalitätskapitel der Wesenslogik (GW 11: 232– 253). Darauf kann hier nicht eingegangen werden. GW 14,1: § 15 Anm., 39.
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(P1) Der freie Wille ist absolute Selbstbestimmung. (P2) Der freie Wille als Willkür ist eine Selbstbestimmung nach einem gegebenen Inhalt und damit nicht absolut selbstbestimmt. (K)
Der freie Wille als Willkür ist absolute und nicht absolute Selbstbestimmung.
Aufgrund des Begriffsmomentes der Allgemeinheit, von allem Inhalt absehen zu können, besteht auch die Möglichkeit, von dem gewählten Willensinhalt wieder abzusehen. Damit könnte es so scheinen, dass die Willkürfreiheit durchaus dem Begriff der Unendlichkeit entspricht. Allerdings komme sie „nicht über die Endlichkeit hinaus“ 78. Das bloße Absehen von gegebenen endlichen Willensinhalten bezeugt zwar eine gewisse Unabhängigkeit von diesen und damit eine gewisse Eigenständigkeit. Allerdings ist dieser Schritt des abstrakt Negativen selbst mit dem Negatum behaftet, da „jeder solcher Inhalt ein von der Form verschiedenes, hiemit ein Endliches, und das Entgegengesetzte der Bestimmtheit, die Unbestimmtheit, – Unentschlossenheit oder Abstraction, nur das andere gleichfalls einseitige Moment ist“. 79 Solange ich meine Unendlichkeit nur dadurch bewahren kann, dass ich von zur Wahl stehenden, gegebenen Willensinhalten absehe, bin ich nicht wirklich frei, denn dann fehlte der Entschluss. Dieser ist allerdings notwendig, wie bereits gezeigt wurde, um wirklich frei sein zu können. Ohne einen Schritt der eigenen Besonderung, einer Entscheidung zu einem ganz bestimmten Inhalt, bleibe ich lediglich abstrakt frei. Da Hegel die These vertritt, dass den verschiedenen Willensbegriffen Gestalten entsprechen, so muss es diese auch für die Willkürfreiheit geben. Die Willkür soll aber widersprüchlich sein: „Der Widerspruch, welcher die Willkühr ist (§. 15.) hat als Dialektik der Triebe und Neigungen die Erscheinung, daß sie sich gegenseitig stören, die Befriedigung des einen die Unterordnung oder Aufopferung der Befriedigung des anderen fodert u. s. f.“ 80
Bereits bei der Diskussion der bloßen Möglichkeit ging es darum, dass uns alle möglichen verschiedenen Triebe, Bedürfnisse und Begierden gegeben sind, die uns zu verschiedenem Tun oder Unterlassen treiben. In vielen Fällen gilt nun folgender Konflikt der Inkompatibilität natürlicher Gründe:
78 79 80
GW 14,1: § 16, 39. GW 14,1: § 16, 39. GW 14,1: § 17, 39.
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Zwei natürliche Gründe (Triebe, Bedürfnisse etc.) x und y sind miteinander inkompatibel gdw es nicht möglich ist, zugleich x wie auch y nachzukommen. 81 Wenn also etwa „die Befriedigung des einen die Unterordnung oder Aufopferung der Befriedigung des anderen fodert“ 82, dann handelt es sich dabei um zwei miteinander inkompatible natürliche Gründe. Nun mag dieser Hinweis zunächst nicht allzu spektakulär sein, kennt doch wohl jeder diese Art von Konflikten. Allerdings fragt sich auf der Ebene der Willkürfreiheit, wie mit solchen Fällen umgegangen wird und umgegangen werden kann. Der Umgang mit Konflikten natürlicher Gründe besteht nach Hegel in einem bloßen Dezisionismus. Es ist eine zufällige Entscheidung der Willkür, der kein zusätzlicher Entscheidungsmaßstab zur Verfügung steht, außer eben, zu entscheiden. Zwar benennt Hegel ein mögliches Entscheidungsprinzip, nämlich die Maximierung von Befriedigung, allerdings ändert das Vorliegen eines solchen Prinzips nicht, dass die Entscheidung dezisionistisch ist, bleibt doch letztlich die Wahl des einen anstatt des anderen Entscheidungsprinzips wieder der bloßen Wahl überlassen. 83 Zwar lasse sich die Gesamtheit der gegebenen Triebe und Bedürfnisse in eine Ordnung bringen, doch auch damit ist die Willkür noch nicht die adäquate Bestimmung des freien Willens, da sie lediglich „formelle Allgemeinheit“ 84 erfülle. Der an und für sich (wahrhaft) freie Wille (§§ 21–24) Die formelle Allgemeinheit ist nun jedoch selbst noch nicht die wahrhafte Allgemeinheit, da sie sich auf Inhalte bezieht (Triebe, Bedürfnisse), die noch unmittelbar gegeben sind. Sie werden lediglich vorgefunden. Die adäquate Bestimmung dieser noch begrenzten Form der Allgemeinheit sei „ die sich selbst bestimmende Allgemeinheit, der Wille, die Freyheit“. 85 Freiheit im Vollsinne muss demnach nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach Selbstbestimmung sein: „Indem er die Allgemeinheit, sich selbst, als die unendliche Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist er nicht 81
82 83
84 85
Diese Bestimmung entspricht in etwa Raz' Begriff konfligierender Gründe in Raz 2006: 29– 33. Siehe auch Raz 2011, 173–192. GW 14,1: § 17, 39. Andererseits wäre mit der Wahl eines Wahlkriteriums insofern bereits ein Schritt in Richtung Allgemeinheit getan, als das Kriterium dann in allen Fällen jeweils angewandt wird. Zugleich besteht jedoch das Problem, dass ich beim nächsten Mal das Kriterium wieder beliebig ändern kann. Vgl. für die These, dass das Setzen, die Dezision eines Wahlkriteriums (partiell) Bedingung für die Vernünftigkeit sei Wittwer 2017, 45 und dazu van Ackeren 2017, 183–184. GW 14,1: § 20, 41. GW 14,1: § 21, 41.
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nur der an sich, sondern eben so der für sich freye Wille – die wahrhafte Idee.“ 86 Der wahrhaft freie Wille hat sich selbst zum Gegenstand. Er ist Allgemeinheit, und zwar unendliche Form. Also muss der Inhalt selbst auch die unendliche Form sein. Erst dadurch wird er für sich, was er an sich ist, und damit an und für sich freier Wille. Die Anmerkung erläutert nun den freien Willen in Abgrenzung der ersten zwei Formen und zugleich im Nachweis, dass diese im freien Willen noch enthalten (aufgehoben) sind. Die erste Stufe des Willens, der natürliche oder, wie hier auch gesagt wird, der Wille „als Begierde, Trieb“, sei „das Außersichseyn des Selbstbewußtseyns“ 87. Dies ergebe sich aus der Sinnlichkeit des natürlichen Willens. Da der Wille Selbstbewusstsein ist, ist diese Sinnlichkeit also die Äußerlichkeit des Selbstbewusstseins. Der re ektierende Wille oder die Willkür wird zwar einerseits über diese Sinnlichkeit, andererseits aber auch über die „denkende Allgemeinheit“ bestimmt. Ersteres liegt daran, dass die Willkür immer noch gegebene Inhalte zum Gegenstand hat, die denkende Allgemeinheit besteht darin, dass diese je nur mögliche sind und ebenso gewählt wie nicht gewählt werden können. In der Wahlfähigkeit steckt bereits die Abstraktionsfähigkeit der Allgemeinheit des Willens. Der an und für sich freie Wille, der nun Gegenstand der begrifflichen Entwicklung ist, hat sich selbst zum Gegenstand und somit seine eigene Allgemeinheit zum Inhalt und nicht mehr bloß natürlich Gegebenes. Allerdings seien die „Unmittelbarkeit“ 88 (natürlicher Wille) und „Particularität“ 89 (Willkür) im an und für sich freien Willen aufgehoben. Man darf also die Rede vom freien Willen, der seine eigene Allgemeinheit zum Gegenstand hat, nicht so missverstehen, dass er in der Ablehnung und Negation sinnlich gegebener Willensinhalte besteht. Wie diese selbst aufgehoben und damit integriert werden, muss allerdings noch geklärt werden. Auch wird die Re ektion der Willkür nicht einfach negiert. Auch sie wird weiterhin eine noch weiter zu bestimmende Rolle im freien Willen spielen. Nun sei die Tätigkeit des Denkens genau das „Aufheben und Erheben ins Allgemeine“ 90 dieser beiden Aspekte. Das Denken setze sich damit im Willen wieder durch, insofern realisiert sich das Selbstbewusstsein durch den Willen, indem es im Durchgang durch verschiedene Willensformen (natürlich, re ektierend) zu sich selbst führt: „Hier ist der Punkt, auf welchem es erhellt, daß der Wille nur als denkende Intelligenz wahrhafter, freyer Wille ist.“ 91 Der Geist entwickelt sich zum Selbstbewusstsein in Form des Denkens und der Intelligenz. Insofern ist er zunächst eine epistemische Einstellung im 86 87 88 89 90 91
GW 14,1: § 21, 41. GW 14,1: § 21 Anm., 41. GW 14,1: § 21 Anm., 41. GW 14,1: § 21 Anm., 41. GW 14,1: § 21 Anm., 41. GW 14,1: § 21 Anm., 41.
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Sinne einer Geist-auf-Welt-Passungsrichtung. Zwar erlangt der Geist Wissen von sich über diese epistemische Einstellung. Allerdings erfüllt sie nicht seine Bestimmung, sich selbst zu bestimmen und zu verwirklichen. Daher muss er selbst tätig werden, was er nur kann, indem die Geist-auf-Welt-zu einer Welt-auf-GeistPassungsrichtung gewandelt wird. Hier benennt Hegel nun als Folge daraus das Prinzip seiner Rechtsphilosophie: „Selbstbewußtseyn, das durch das Denken sich als Wesen erfaßt und damit eben sich von dem Zufälligen und Unwahren abthut“ 92. Damit grenzt er sich, wie er im Folgenden auch ausführt, von Ansätzen ab, die das Wesentliche von Recht, Moralität und Sittlichkeit gerade im Gefühl oder Intuitiven sehen. Insofern man unter diesem von Hegel abgelehnten Typ praktischer Philosophie einen Nonkognitivismus versteht, lässt sich Folgendes festhalten: Hegel vertritt eine praktische Philosophie kognitivistischer Variante. 93 Mit dem Begriff des wahrhaft freien Willens ist die bekannte, oft zitierte Formel der Freiheit bei Hegel benannt: Freiheit ist Im-Anderen-bei-sichselbst-Sein. 94 Das Bestimmen des freien Willens bestehe darin, dass er sich in seinem Dasein, in dem, was er sich gegenüberstehend hat, das ist, was sein Begriff ist, er ist „für sich“, was er „an sich“ ist. Für sich ist er dies, weil sein Dasein sein An-sich adäquat realisiert. Alternativ beschreibt es Hegel so, dass der reine Begriff (›vermittelt durch den Willen‹ müsste ergänzt werden) erstens den Zweck hat, sich selbst anzuschauen, und zweitens diese Selbstanschauung auch zugleich Realität ist. Es soll ja, wie bereits in § 1 benannt wurde, um die Idee des Rechts als dessen Begriff und Verwirklichung gehen. Erst das Selbstbestimmen des freien Willens erfüllt also die Grundstruktur dieses Ziels. Die konkrete Allgemeinheit sei nun „der Begriff des freyen Willens, als das über seinen Gegenstand übergreifende, durch seine Bestimmung hindurchgehende Allgemeine, das in ihr mit sich identisch ist.“ 95 Der Begriff des freien Willens besteht damit in dem Willen, der in seiner Selbstbestimmung vermittelt über die jeweiligen Willensinhalte auf sich selbst Bezug nimmt. 92 93
94
95
GW 14,1: § 21 Anm., 41. Dies aber nur unter der Prämisse, dass ›Nonkognitivismus‹ diese These bezeichnet. Für alternative, elaboriertere und auch intersubjektive Validität zulassende Nonkognitivismen siehe Schroeder 2010. Es müsste also weiter untersucht werden, inwiefern Hegels Ansatz vielleicht eher diesen neueren Varianten entspricht. Seine Ablehnung von Reifizierungen könnte dies nahelegen, insofern der Nonkognitivismus nach Schroeder die These impliziert, dass „moral questions are not about anything“ (Schroeder 2010: 14). Und wenn die abgelehnte These, dass die Moral von etwas handle, so gemeint ist, dass moralische Ausdrücke auf Eigenschaften in der Welt referieren, ließe sich Hegel möglicherweise eher einer nonkognitivistischen Spielart zuordnen. Hier wäre vielleicht der auf Hare zurückgehende Gegensatz Deskriptivismus / Non-Deskriptivismus angemessener. Zu Letzterem siehe Hallich 2000, insb. 19–37. Zu Hegels Freiheitsverständnis im Allgemeinen siehe: Angehrn 1977 und Knappik 2013. Vgl. auch Fulda 1996, insb. 55–61. GW 14,1: § 24 Anm., 43.
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Den Begriff des freien Willens nutzt Hegel nun, um den Begriff des Rechts einzuführen. „Dieß, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht.“ 96 Da das Recht Dasein des freien Willens, das „Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freyheit“ 97 sein soll, muss geklärt werden, wie dieses Dasein, wie die Verwirklichung zu verstehen ist. Dazu ist der Gegensatz von Objektivität und Subjektivität zentral. 1.1.2 Die Verwirklichung des Willens – Objektiv vs. Subjektiv (§§ 25–26) Weshalb spielen nun die Begriffe Subjektivität und Objektivität eine Rolle? Dies lässt sich darüber motivieren, dass Hegel seine Rechtsphilosophie als Objektivität des Geistes bestimmt. Damit muss aber sowohl der subjektive Geist als Wille bestimmt als auch gezeigt werden, wie dieser Objektivität erhält. Dafür wiederum müssen die Begriffe Objektivität und Subjektivität bestimmt werden. Erst dann kann zudem die Rede von der Verwirklichung des Willens erläutert werden. Wie sich später noch zeigen wird, nimmt Hegel in der Einleitung in die Moralität weitere Bestimmungen des Gegensatzes zwischen subjektiv und objektiv vor. In § 25 benennt er nun zunächst eine allgemeine Bedeutung von ›subjektiv‹ bezogen auf den Willen. Daraus ergeben sich drei Bedeutungen für das Subjektive des Willens. Ganz allgemein gesprochen bezeichnet der Ausdruck ›das Subjektive des Willens‹ das, was im vorangegangenen Unterkapitel Einzelheit des Willens genannt wurde, die sich auf das Selbstbewusstsein des Willens bezieht. Allerdings war oben dafür argumentiert worden, dass bereits dem Willen an sich, seiner Allgemeinheit nach, Selbstbewusstsein zukommt. Hier geht es nun um den Unterschied der selbstbewussten Einzelheit zum Ansich des Begriffs des Willens. Daraus ergeben sich drei Bedeutungen der Subjektivität des Willens: Subjektivität 1: „die reine Form, die absolute Einheit des Selbstbewußtseyns mit sich, in der es als Ich = Ich schlechthin innerlich und abstractes Beruhen auf sich ist – die reine Gewißheit seiner selbst, unterschieden von der Wahrheit“ 98. Hierbei geht es also um die Formbestimmung von Subjektivität. 99 Begriffslogisch geht es bei dieser Bedeutung von Subjektivität um die Allgemeinheit des Begriffs auf Ebene des objektiven Geistes. 96 97 98 99
GW 14,1: § 29, 45. GW 14,1: § 4, 31. GW 14,1: § 25, 43. Für diese drei Bedeutungen allerdings in anderer Indexreihung von ›subjektiv‹ siehe auch Quante 1993, 55–59.
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Subjektivität 2: „ Besonderheit des Willens, Willkühr und der zufällige Inhalt beliebiger Zwecke“ 100. Die Wünsche eines jeden Einzelnen sind subjektiv, da sie jeweils ganz individuell und besonders sind, ihrem Inhalt nach zufällig, unmittelbar oder wie auch immer gegeben. In diesem Sinne verwenden wir im Alltag oft auch die Rede von ›willkürlich‹ – eine willkürliche Entscheidung entbehrt entweder überhaupt der intersubjektiven Einsichtsfähigkeit oder ist zumindest idiosynkratisch und ganz individuell motiviert und in dem Sinne subjektiv. Nach Quante handelt es sich hierbei um die „Partikularität eines Zweckes, der nur für ein bestimmtes Subjekt gilt, oder auch die Partikularität der Gründe, die für ein Subjekt relevant sind, um sich für oder gegen etwas zu entscheiden.“ 101 Subjektivität 3: „die einseitige Form (§. 8.), insofern das Gewollte wie es seinem Inhalte nach sey, nur erst ein dem Selbstbewußtseyn angehöriger Inhalt und unausgeführter Zweck ist.“ 102 Hier bezeichnet ›subjektiv‹ also den bloß innerlichen und noch nicht durch Tätigkeit veräußerlichten Zweck. Bloß subjektiv in diesem Sinne ist es etwa, wenn jemand Absichten äußert und diese nicht verwirklicht bzw. zu verwirklichen sucht. Wünsche etwa wären in vielen Fällen in diesem Sinne etwas Subjektives3. Sie sind kommunizierbar, aber bleiben so lange subjektiv3, solange keine Taten gefolgt sind. „Diese Bedeutung wird verwendet, wenn man eine noch nicht ausgeführte Absicht als bloß subjektiv, noch nicht realisiert bezeichnet.“ 103 Entsprechend bestimmt Hegel nun im folgenden § 26 die Rede von der Objektivität des Willens. Dort unterscheidet er ebenfalls drei Bedeutungen der Objektivität des Willens: Objektivität 1: „insofern er sich selbst zu seiner Bestimmung hat und so seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig ist, ist der schlechthin objective Wille“ 104. In diesem Sinn, so muss gezeigt werden, ist das Recht objektiv1. 105 Objektivität 2: „der objective Wille aber, als ohne die unendliche Form des Selbstbewußtseyns, ist der in sein Object oder Zustand, wie er seinem Inhalte nach beschaffen sey, versenkte Wille – der kindliche, sittliche, wie der sclavische, abergläubische u. s. f.“ 106 Die faktische und oft unreflektierte wollende Einstellung, die wir handelnd tagtäglich einnehmen, hat in diesem Sinne Objektivität. Insofern lässt sich sagen, dass diese unsere alltägliche wol100 101 102 103 104 105
106
GW 14,1: § 25, 43. Quante 1993, 55, bei Quante ›subjektiv1‹. GW 14,1: § 25, 43. Quante 1993, 55, bei Quante ist dies ›subjektiv2‹. GW 14,1: § 26, 44. Dies entspricht dem Begriff der „Transsubjektivität“ bei Schwemmer 1980 [1971]: 127. So schon Lorenzen 1974: 36. GW 14,1: § 26, 44.
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lende Einstellung objektiver1 Wille, jedoch „ ohne die unendliche Form des Selbstbewußtseyns“ und daher nur objektiv2 ist. Objektivität 3: „Die Objectivität ist endlich die einseitige Form im Gegensatze der subjectiven Willensbestimmung, hiemit die Unmittelbarkeit des Daseyns, als äußerliche Existenz; der Wille wird sich in diesem Sinne erst durch die Ausführung seiner Zwecke objectiv.“ 107 Diesen Sinn von Objektivität haben wir im Sinn, wenn wir von der objektiven Welt sprechen, als der Welt, in der wir agieren, die uns aber als unmittelbar äußerlich gegeben ist. Der Wille wird erst durch Ausführung seiner Zwecke in der Objektivität3 objektiv1. Die Handlungen anderer haben für uns jeweils auch eine äußerliche Existenz, sind ebenso unmittelbar gegeben wie die Bäume um uns herum. Das Handeln anderer widerfährt uns ebenso wie das Wetter. 108 Die Unterscheidung zwischen Objektivität und Subjektivität wird, so kündigt Hegel an, in der Folge oft gebraucht – und es wird sich zeigen, dass sie gerade in der Moralität eine große Rolle spielt. Hegel vermerkt, dass „subjektiv“ und „objektiv“ Reflexionsbestimmungen sind und mit Verweis aufeinander expliziert werden müssen. 109 Dies zeigt sich bereits dann, wenn man bedenkt, dass ›subjektiv‹ auch ›bloß aus Sicht eines einzelnen Individuums‹ bedeuten kann. Insofern nehmen wir alle immer auch eine subjektive Perspektive ein. Zugleich ist es aber objektiv, dass wir alle immer auch eine subjektive Sicht auf die Dinge haben. Außerdem lässt sich die individuelle subjektive Sicht durch Verallgemeinerung in Form von Bildung etwa in eine objektive Sicht transformieren. 110 Das Urteil eines Richters sollte doch beispielsweise möglichst objektiv sein. Weil dieser Gegensatz selbst Bestimmung des Willens ist und der Wille sich selbst intern in Subjektivität und Objektivität differenziert, bringt der objektive Geist es mit sich, dass Subjektivität und Objektivität identisch sind bzw. als zunehmend miteinander identisch begriffen werden und daher 107 108
109
110
GW 14,1: § 26, 44. Für die grundlegende Unterscheidung zwischen Handlung und Widerfahrnis siehe Kamlah 1972: 34–40. Siehe als Beispiel einer solchen reflexionslogischen Bestimmung mit Verweis auf das Gegenteil Hüttemanns Bestimmung der Objektivitätsbedingung der Kausalität: „Ob etwas eine Ursache oder eine Wirkung ist, ist objektiv in dem Sinne, dass es nicht von den Interessen oder Meinungen der Menschen abhängt“ Hüttemann 2018, 57 (Hervorhebung T.M.). Ersetzt man die Rede von „Interessen oder Meinungen“ durch ›Subjektivität‹, dann hängt diese Bestimmung von Objektivität von derjenigen von Subjektivität ab. Hierbei handelt es sich dann übrigens um die Bedeutung von ›objektiv3‹. Ein Kriterium für die Objektivität bzw. Objektivierung der subjektiven Sicht könnte etwa in dem Einlösen intersubjektiver Geltungsansprüche bestehen. Wenn ich qua Individuum die Überzeugung habe, dass p, und insofern zunächst eine subjektive Meinung habe, dann lässt sich diese objektivieren, indem ich Gründe anführe, die für p sprechen und die prinzipiell von jedem Erkenntnissubjekt anerkannt werden könnten bzw. teilweise auch anerkannt werden.
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leicht verwechselt werden können. Es gehört zum Wollen dazu, dass man das, was zunächst nur subjektiv3 ist, seine Absichten, Überzeugungen und Pläne, durch Handeln verwirklicht und damit objektiv3 macht. Was aber zunächst nur subjektiv3 war, ist nach erfolgreichem Handlungsvollzug objektiv3. Schließlich verweist Hegel darauf, dass man im Folgenden jeweils entscheiden muss, in welchem Sinne von ›objektiv‹ und ›subjektiv‹ die Rede sei. Dies solle sich jedoch aus dem Kontext einfach ergeben. 111 Damit kann der Begriff des Rechts dargestellt werden. 1.1.3 Der Begriff des Rechts (§§ 27–30) An dieser Stelle der Einleitung hat Hegel alle begrifflichen Mittel an der Hand, um den Begriff des Rechts selbst zu entwickeln. Damit kommt er zum Anfang der Einleitung zurück, hatte er dort doch als den Gegenstand der Rechtsphilosophie die Idee des Rechts als Begriff und Verwirklichung des Rechts bezeichnet (vgl. § 1). Hegel wiederholt nochmals die „absolute Bestimmung“ des freien Geistes, die darin besteht, „daß ihm seine Freyheit Gegenstand sey“ 112. Nachdem er zuvor verschiedene Bedeutungen von ›objektiv‹ eingeführt hatte, verwendet er diese nun, um diese absolute Bestimmung des freien Geistes zu erläutern. Die Freiheit soll dem freien Willen Gegenstand seines Wollens sein, und zwar (i) als vernünftiges System seiner selbst und (ii) als unmittelbare Wirklichkeit. Nur so könne der Wille für sich sein, was er an sich als Idee ist. Damit ergibt sich der abstrakte Begriff der Idee des Willens: „ der freye Wille, der den freyen Willen will“ 113. Der freie Wille will sich also zum einen als ein vernünftiges System, zum anderen, indem er bestehende Rechtsverhältnisse in abstraktem Recht, Moral und Sittlichkeit will. Jedoch muss dieses Wollen des freien Willens aufgrund des Gegensatzes von Subjektivität3 und Objektivität3 erst noch hergestellt werden: „Die Thätigkeit des Willens, den Widerspruch der Subjectivität und Objectivität aufzuheben und seine Zwecke aus jener Bestimmung in diese überzusetzen und in der Objectivität zugleich bey sich zu bleiben, ist außer der formalen Weise des Bewußtseyns (§. 8.), worinn die Objectivität nur als unmittelbare Wirklichkeit ist, die wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts der Idee (§. 21.), eine Entwicklung, in welcher der Begriff die zunächst selbst abstracte Idee zur Totalität ihres Systems bestimmt, die als das Substantielle unabhängig von dem 111
112 113
Sofern sich dies tatsächlich aus dem Kontext erschließen lässt, werde ich die gemeinte Bedeutung kenntlich machen. GW 14,1: § 27, 44. GW 14,1: § 27, 45.
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Gegensatze eines blos subjectiven Zwecks und seiner Realisirung, dasselbe in diesen beyden Formen ist.“ 114
Die Tätigkeit soll das Subjektive3 in die Objektivität3 übertragen. Wieso besteht aber ein Widerspruch zwischen Subjektivität3 und Objektivität3? Dies kann wieder über die Welt-auf-Geist-Passungsrichtung rekonstruiert werden. Der subjektive3 Wille besagt, dass das Objektive3, das unmittelbar und äußerlich Gegebene, so nicht einfach bestehen solle. Stattdessen soll das Subjektive3 in der Objektivität3 bestehen. In der Objektivität3 ist es jedoch nicht der Fall, dass das Subjektive3 besteht. In der Aufhebung dieser Spannung durch die Tätigkeit soll die Subjektivität3 in der Objektivität3 bei sich bleiben. Dies ist ja die Bestimmung von Freiheit (im Anderen bei sich selbst zu sein) und dadurch bedingt, dass die Subjektivität3 qua Subjektivität eben zugleich Subjektivität1, also Selbstbezüglichkeit, ist. Die Tätigkeit sei nun „ wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts der Idee“ 115. Dabei handle es sich um eine Entwicklung, „in welcher der Begriff die zunächst selbst abstracte Idee zur Totalität ihres Systems bestimmt, die als das Substantielle unabhängig von dem Gegensatze eines blos subjectiven Zwecks und seiner Realisirung, dasselbe in diesen beyden Formen ist.“ 116 Die Idee entwickelt sich dadurch, dass der freie Wille den freien Willen will. Dieses Wollen besteht in der Tätigkeit, den subjektiven Zweck (= Wollen des freien Willens) in die Objektivität (= der wirklich freie Wille) zu übersetzen. Das Ergebnis dieser Tätigkeit ist die Idee, welcher der Gegensatz von nur subjektivem Zweck und ausgeführtem Zweck nicht mehr anhaftet. Wie hat man sich das aber vorzustellen? Hegel meint, dass das Recht selbst diese Wirklichkeit darstelle, wenn er schließlich in § 29 den Begriff des Rechts in seiner allgemeinsten Bestimmung einführt: „Dieß, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freyheit, als Idee.“ 117
Hans Friedrich Fulda hat betont, dass das Recht selbst von Hegel als eine Tatsache betrachtet wird 118, schreibt Hegel doch nicht einfach: Das Recht ist Dasein des freien Willens, sondern [die Tatsache / T.M.], „daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht“. Ganz allgemein lässt sich hiermit sagen, dass die Normierung des Ausdrucks ›Recht‹ an dieser 114 115 116 117 118
GW 14,1: § 28, 45. GW 14,1: § 28, 45. GW 14,1: § 28, 45. GW 14,1: § 29, 45. Fulda 1992: 305.
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Stelle lediglich besagt, dass etwas x Recht genannt werden kann, wenn es sich dabei um die Tatsache handelt, dass dieses x ein Dasein des freien Willens ist. Alternativ bestimmt Hegel das Recht jedoch auch als die „Freyheit, als Idee“ 119. Wenn Idee, wie bereits in § 1 erläutert, Begriff und seine Verwirklichung ist, dann bedeutet dies, dass das Recht die Freiheit ist, und zwar sowohl ihrem Begriff als auch ihrer Wirklichkeit nach. Bereits hierüber lässt sich verständlich machen, weshalb Hegel dem bloßen Sollen so kritisch gegenüberstand. 120 Wenn aber die Rechtsphilosophie die Idee im Sinne von Begriff und Verwirklichung des Rechts zum Gegenstand haben soll, sich also auf bereits Objektives bezieht, ließe sich die Frage stellen, wie denn dann normative Fragen danach gestellt werden können, wie ein bestimmtes Rechtssystem beschaffen sein soll. Was legitimiert die Einrichtung bestimmter Rechtsinstitute und wie begründen wir diese? Für Hegel geht es in der Rechtsphilosophie allerdings um den denkenden Nachvollzug der Vernünftigkeit bestehender sozialer Verhältnisse in Gestalt von abstraktem Recht, Moralität und Sittlichkeit und nicht um eine Forderung danach, wie bestehende Verhältnisse geändert werden sollten. 121 Allerdings gehe ich davon aus, dass aus dem hegelschen Ansatz indirekt auch Normatives gefolgert werden kann, denn wenn von einem Rechtsinstitut etwa gezeigt ist, dass es vernünftig ist, dann soll dieses doch auch bestehen, kann also bei Aufgabe desselben eingefordert werden. Außerdem müssen sich Rechtsinstitute, die sich im Rahmen der Grundlinien als nicht-vernünftig 122 ausweisen lassen, mit Verweis darauf kritisieren lassen. So lassen sich etwa mit dem Recht auf Einsicht in das Gesetzliche, wie es unten in 5.3.1 entwickelt wird, Strafrechtssysteme kritisieren, die gegen das Gesetzlichkeitsgebot verstoßen, das besagt, dass nur für die Taten bestraft werden darf, für die es zum 119 120
121
122
GW 14,1: § 29, 45. „Um noch über das Belehren, wie die Welt seyn soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät.“ GW 14,1: 16. Zur Rede vom bloßen ›Sollen‹ außerdem GW 14,1: § 57 Anm., 65. Zu Hegels Sollenskritik siehe Marquard 1973. Dies ergibt sich sowohl aus der bereits genannten Sollenskritik als auch aus den bekannten Äußerungen Hegels in der Vorrede zu den Grundlinien. Insbesondere: „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso thöricht zu wähnen, irgend eine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus. Geht seine Theorie in der That drüber hinaus, baut es sich eine Welt, wie sie seyn soll, so existiert sie wohl, aber nur in seinem Meynen, – einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden läßt.“ GW 14,1: 15. Dieser Nachweis muss darüber geführt werden, dass die jeweiligen Rechtsinstitute der Selbstverwirklichung des freien Willens im Wege stehen. Dies ist zu unterscheiden davon, bestehende Verhältnisse faktisch nicht als vernünftig ausgewiesen zu haben. In diesem letzteren Fall wäre es immer noch möglich, dass einfach der Rekonstruktionsversuch fehlgegangen ist, nicht aber, dass die Verhältnisse unvernünftig sind.
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Zeitpunkt der Begehung eine gesetzlich festgelegte Norm gab (nulla poena sine lege). Es folgt mit § 30 ein erster Hinweis auf die drei Sphären der Grundlinien, der sich aus dem bisher entwickelten Begriff des Rechts ergibt. Darin stellt Hegel dem Recht als „Daseyn des absoluten Begriffes“ einen „ Formalismus des Rechts“ 123 entgegen und entwickelt darüber die „Unterschiede der Entwicklung des Freyheitsbegriffs“ 124: „Gegen formelleres, d. i. abstracteres und darum beschränkteres Recht, hat die Sphäre und Stufe des Geistes, in welcher er die weitern in seiner Idee enthaltenen Momente zur Bestimmung und Wirklichkeit in sich gebracht hat, als die concretere in sich reichere und wahrhafter allgemeine eben damit auch ein höheres Recht.“ 125
Das Argument für die Hierarchie der Rechtssphären 126: (P1) Recht überhaupt ist Dasein der selbstbewussten Freiheit. (P2) Formalismus des Rechts hängt von der Entwicklung des Freiheitsbegriffs ab. (P3) Formelleres, d. h. abstrakteres Recht ist beschränkter als weniger abstraktes Recht. Letzteres hat mehr Momente des freien Willens zur Bestimmung und Wirklichkeit gebracht als ersteres. Eine weniger abstrakte Rechtssphäre ist konkreter, in sich reicher und wahrhafter allgemein. (K)
123 124 125 126
127
Daher hat die konkretere Rechtssphäre gegenüber der abstrakteren Rechtssphäre ein höheres Recht. 127
Beides GW 14,1: § 30, 46. GW 14,1: § 30, 46. GW 14,1: § 30, 46. Die Entwicklung des Freiheits- und Rechtsbegriffs wird hier von Hegel in Graden von abstrakt zu konkret beschrieben. Zudem stehen die Rechtssphären in einem Hierarchieverhältnis. Für eine kritische Betrachtung des hegelschen Hierarchie- bzw. Priorisierungsdenkens siehe Siep 1992c, 191–192. Vgl. für das Thema der Priorisierung und das damit einhergehende Problem bei Kant Rosefeldt 2018, 280–285. Die Lösung liege in unserem intelligiblen Charakter, dass also die normativen Forderungen, die von uns als reinen Vernunftwesen aufgestellt werden, deshalb Vorrang vor denjenigen haben, die von uns als Naturwesen aufgestellt werden, weil Erstere Ausdruck von unserem wahren Selbst sind. Bei Hegel muss das Ganze anders beschrieben werden. Alle Rechte sind Ausdruck unseres wahren Selbst, insofern sie Wirklichkeitsformen des freien Willens (= der den freien Willen, also sich selbst, will) sind. Die Hierarchie kommt nicht durch den Gegensatz rein-unrein zustande, sondern durch Grade der Abstraktion. Wir sind immer natürliche Vernunftwesen und unsere Natürlichkeit ist selbst auch Ausdruck unserer Freiheit. Die Grade der Freiheitsverwirklichung werden also
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Da diese Hierarchie der Rechtssphären einen Vergleichsmaßstab voraussetzt, geht Hegel in der nun folgenden Anmerkung genauer darauf ein: „Jede Stufe der Entwicklung der Idee der Freyheit hat ihr eigenthümliches Recht, weil sie das Daseyn der Freyheit in einer ihrer eigenen Bestimmungen ist. Wenn vom Gegensatze der Moralität, der Sittlichkeit gegen das Recht gesprochen wird, so ist unter dem Rechte nur das erste, formelle der abstracten Persönlichkeit verstanden. Die Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinteresse ist jedes ein eigenthümliches Recht, weil jede dieser Gestalten Bestimmung und Daseyn der Freyheit ist.“ 128
Hegel unterscheidet hier Stufen der Entwicklung der Idee der Freiheit. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass abstraktes Recht, Moralität und Sittlichkeit, die jeweils diese Stufen der Entwicklung ausmachen, nicht in einem temporalen Sinne verstanden werden dürfen. Es hat sich historisch nicht zuerst das abstrakte Recht entwickelt und dann erst Moralität und Sittlichkeit. Ebenso wenig ist es so, dass zuerst das Recht des Wissens (Kap. 3) vorhanden war und sich daraus dann irgendwann das Recht des Wohls (Kap. 5) entwickelt hätte. Diese Rede von Entwicklung bezieht sich auf die dem hegelschen System inhärente methodische Ordnung, in der die einzelnen Rechte und Rechtssphären rational auseinander generiert werden. Eine schwache Lesart dieser rationalen Genese besagt, dass im Text früher auftretende Begriffe verwendet werden können, um später auftretende zu bestimmen. So wirft Hegel Kant etwa vor, den Begriff des Rechts über den des Zwangs zu definieren, wobei der Begriff des Zwangs laut Hegel den des Rechts bereits voraussetzt. 129 Schwach ist diese Lesart insofern, als sie lediglich etwas über semantische Implikationsverhältnisse aussagt. 130 Von jeder dieser besagten Stufen sagt Hegel nun, dass sie ein ihr eigenes Recht habe, hier im Sinne eines Rechtsbereichs (so wie man etwa vom Strafrecht spricht und nicht nur und ausschließlich das Recht des Staates zu strafen
128 129
130
nicht dadurch beeinträchtigt, dass Triebe, Neigungen etc. obwalten, sondern dadurch, wie sehr das Recht gerade unsere Natürlichkeit / Subjektivität etc. inkorporiert. GW 14,1: § 30 Anm., 46. GW 14,1: § 94 Anm., 89: „Das abstrakte oder strenge Recht sogleich von vornherein als ein Recht definieren, zu dem man zwingen dürfe, – heißt es an einer Folge auffassen, welche erst auf dem Umwege des Unrechts eintritt.“ Hegel bezieht sich vermutlich auf MS I, 40: „mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft.“ Diesem semantischen Verhältnis sollte aber auch ein ontisches entsprechen. Moralische Rechte haben ein höheres Gewicht als bloß abstrakt-rechtliche Rechte. Hegels Erklärung dafür wiederum besteht dann in dem Hinweis darauf, dass ein abstrakteres Recht in geringerem Maße Freiheit realisiert.
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meint, sondern den Bereich, der das staatliche Strafen regelt). Die Begründung dafür liegt darin, dass jede dieser Stufen „das Daseyn der Freyheit in einer ihrer eigenen Bestimmungen ist“ 131. Auf die These, dass die Moralität dem Recht entgegenstehe, reagiert Hegel daher mit dem Hinweis darauf, dass in diesem Falle ›Recht‹ lediglich das „formelle [Recht / T.M.] der abstracten Persönlichkeit“ bezeichnet. Allerdings ist eben „[d]ie Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinteresse [. . . ] jedes ein eigenthümliches Recht, weil jede dieser Gestalten Bestimmung und Daseyn der Freyheit ist“. Interessant hieran und für das folgende relevant ist, dass nicht nur die allgemeine Einteilung in abstraktes Recht (aR), Moralität (M) und Sittlichkeit (S) Bezug auf Gestalten als Dasein der Freiheit nimmt, sondern dass auch interne Teile, wie etwa das „Staatsinteresse“, solche Gestalten darstellen. Insofern sind also auch die Rechte, die innerhalb des Abschnitts „Der Vorsatz und die Schuld“ entwickelt werden, Gestalten im Sinne von Bestimmungen des Daseins der Freiheit. Dies führt zu Hegels Erklärung, weshalb es überhaupt zu Konflikten zwischen verschiedenen normativen Forderungen kommen kann: „In Collision können sie nur kommen, insofern sie auf gleicher Linie stehen, Rechte zu seyn; wäre der moralische Standpunkt des Geistes nicht auch ein Recht, die Freyheit in einer ihrer Formen, so könnte sie gar nicht in Collision mit dem Rechte der Persönlichkeit oder einem andern kommen, weil ein solches den Freyheitsbegriff, die höchste Bestimmung des Geistes, in sich enthält, gegen welchen Anderes ein substanzloses ist.“ 132
Nun führt Hegel die Rede von dem Gegensatz oder der Kollision verschiedener Rechtssphären weiter aus. Bedingung dafür, dass aR und M überhaupt in Kollision miteinander geraten können, ist, dass beide Sphären Recht sind. Allgemeiner lässt sich Hegel damit folgende These zuschreiben: In einen normativen Konflikt mit einem Recht aus aR, M oder S kann etwas nur geraten, wenn es selbst eine Form der Freiheit, eine Gestalt derselben ist. Wenn ein x in Konflikt mit einem Recht (aR, M, S) gerät, dann ist dieses x selbst eine Gestalt der Freiheit und damit Recht. Daraus lässt sich ein Argument für die These entwickeln, dass die Moralität ein Recht ist: (P1) Wenn die Moralität kein Recht ist, dann kann es keinen Konflikt zwischen abstrakt-rechtlichen Ansprüchen, wie demjenigen auf das Eigentum, und der Moralität geben.
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GW 14,1: § 30 Anm., 46. GW 14,1: § 30 Anm., 46.
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(P2) Nun gibt es aber Konflikte zwischen abstrakt-rechtlichen Ansprüchen und der Moralität (z. B. Notstandssituationen). (K)
Die Moralität ist ein Recht.
Allerdings gibt es für Hegel auch die Kehrseite des gemeinsamen Vergleichsmaßstabes der verschiedenen Rechte: „Aber die Collision enthält zugleich dies andere Moment, daß sie beschränkt und damit auch eins dem andern untergeordnet ist“ 133. Wieso ist dies der Fall? Zunächst lässt sich sagen, dass eine Kollision ein Konflikt ist, für den zumindest prima facie gilt, dass er behoben werden sollte. Diese Forderung wiederum führt zu der Frage, wie ein solcher Konflikt gelöst werden könnte. Ganz allgemein vertritt Hegel die These, dass die Lösung des Konfliktes in der Unterordnung eines Rechts unter das mit ihm konfligierende Recht besteht. 134 Allerdings hatte er bereits im Haupttext von § 30 darauf verwiesen, dass das Gewichtungskriterium der verschiedenen Rechtssphären in ihrem Abstraktionsgrad besteht: je weniger abstrakt, desto höherstufiger. Damit folgt, dass die Moralität höher ist als das abstrakte Recht und daher Konflikte zwischen diesen beiden Sphären zugunsten der Moralität gelöst werden. Zum Schluss sei noch auf Hegels Rede vom Recht als Dasein des freien Willens eingegangen. Wenn sich diese Rede vom Dasein bereits auf intersubjektiv geteilte und etablierte, der Praxis inhärente Normen bezieht, dann fragt sich, was es bedeuten können soll, dass das Recht Dasein des freien Willens ist. Das Recht des einzelnen, besonderen Willens kann es nicht bedeuten. Folgendes Argument sei vorgeschlagen, um diese Frage zu beantworten: (P1) Ziel einer umfassenden Rechtsphilosophie (aR, M, S) ist es, die Vernünftigkeit der jeweiligen Sphären dadurch nachzuweisen, dass sie prinzipiell von jedem und jeder als selbstbestimmt verstanden werden können. Jeder und jede muss diese Regeln prinzipiell als eigenes Werk verstehen können. (P2) Als Individuum überhaupt etwas als Selbstbestimmung, als eigenes Werk zu verstehen, bedeutet, es als Resultat des eigenen Handelns, im Sinne der subjektiven Zweckverwirklichung zu verstehen. (K)
133 134
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Dann müssen aber auch die normativen Sphären der Rechtsphilosophie so verstanden werden, dass sie Resultat eines Handelns im Sinne der subjektiven Zweckverwirklichung sind. 135
GW 14,1: § 30 Anm., 46. In Kapitel 5 wird ein solcher Konflikt im Falle des Notstands ausführlich Thema sein (5.2.2). Dies legt noch nicht auf eine Art des Konstruktivismus fest: siehe Halbig 2018b, insb. 196– 197. Die Konklusion des obigen Arguments weist lediglich nach, dass es eine Strukturiden-
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Die Struktur von Subjektivität ermöglicht dies nun, da wir qua Subjekte sowohl ganz besondere, individuelle, als auch allgemeine sind. Deshalb und insofern muss das Recht als Willensverwirklichung verstanden werden. 136 Wenn Recht insgesamt als Willensverwirklichung aufgefasst werden muss, dann auch die Moralität als Rechtssphäre. Was zeichnet nach Hegel die Moralität aus? 1.2 Die Moralität und der Begriff der Handlung Das in dieser Arbeit zentrale Phänomen moralischer Verantwortung ist Gegenstand des zweiten Teils der Grundlinien. Dieser Teil muss noch in seinen Grundzügen vorgestellt werden (1.2.1). Insbesondere der Begriff der Handlung spielt dabei eine grundlegende Rolle, weshalb dieser hier noch eigens in den Blick kommen soll (1.2.2). Die Anmerkung zu § 108 enthält einen allgemeinen Hinweis bezüglich der Verwendungsweise des Wortes ›Moralisches‹ und ähnlicher Ausdrucksweisen. Hegel verwendet den Ausdruck als Oberbegriff für den Bereich, in dem Moralisches oder Unmoralisches vorkommt. Moralisch steht dann also noch nicht für moralisch gut / moralisch geboten oder Ähnliches. Stattdessen ist die Moralität „der allgemeine Standpunkt des Moralischen sowohl, als des Unmoralischen, der auf der Subjectivität des Willens beruht“ 137.
136
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tität zwischen individuellem Willen und objektiven normativen Verhältnissen geben muss, damit der Nachweis der Vernünftigkeit Letzterer erfolgreich sein kann. Es geht also um eine Strukturidentität zwischen objektiver und subjektiver Komponente sozialer Freiheit nach Neuhouser 2000, 6. Um allerdings zu vermeiden, dass dieser Nachweis aus der Perspektive der Besonderheit eines Subjektes vonstattengeht, drückt sich Hegel so aus, dass das bloße Zusehen bleibe, wie sich die einzelnen Rechtsformen als Gestalten der Selbstverwirklichung des freien Willens ergeben. Mit dem hier vorgeschlagenen Argument lässt sich problemlos so reden, dass wir es sind, die jeweils denkend nachvollziehen, weshalb bestimmte Rechte vernünftig im Sinne der Selbstgesetzgebung sind. Außerdem sind wir es auch in dem Sinne gewesen, die dies verwirklicht haben, als ja Menschen durch Reflexion auf die Regeln ihrer Praxis diese Regeln mitbestimmt und verändert haben. GW 14,1: § 108 Anm., 100. So auch in der Enzyklopädie: „Das Moralische muß in dem weiten Sinne genommen werden, in welchem es nicht bloß das Moralisch- Gute bedeutet.“ GW 20: § 503 Anm., 489. Dabei handelt es sich um eine Missverständnissen vorbeugende Anmerkung zur späteren Auflage der Enzyklopädie. In der ersten Auflage der Enzyklopädie (GW 13) fehlt eine derartige Anmerkung noch.
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1.2.1 Die Moralität als besonderer Teil der Grundlinien – Die Einleitung (§§ 105–114) Da sich Hegels Behandlung des Verhältnisses von Verantwortung und Verursachung im zweiten Teil der Grundlinien, dem Moralitätskapitel, befindet, muss an dieser Stelle noch auf das Teilbeweisziel dieses Abschnitts eingegangen werden. Die Moralität wird ebenso wie das abstrakte Recht und die Sittlichkeit durch eine Einleitung in ihrer argumentativen Grundstruktur vorgestellt. 138 Dafür benennt Hegel das allgemeine Beweisziel, bestimmt relevante Begriffe und benennt das jeweilige Prinzip. Der erste Paragraph der Einleitung in die Moralität benennt ganz allgemein den moralischen Standpunkt: „Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist. (vorh. §.) Diese Reflexion des Willens in sich und seine für sich seyende Identität gegen das Ansichseyn und die Unmittelbarkeit und die darin sich entwickelnden Bestimmtheiten bestimmt die Person zum Subjekte.“ 139
Natürlich muss es sich auch bei diesem Standpunkt um einen des freien Willens handeln. War das abstrakte Recht die Sphäre des an sich freien Willens, so ist die Moralität „der Standpunkt des Willens, insofern er [. . . ] für sich unendlich ist“. Allerdings ist es wichtig zu vermerken, dass die Eigenschaft, an sich unendlich zu sein, in der Moralität erhalten bleibt. Nimmt man den Ausdruck ›Mensch‹ als neutralen Ausdruck für die Menge derjenigen Entitäten, denen die verschiedenen Rechtsstatus überhaupt zukommen können, dann lässt sich sagen: Einen Menschen als Subjekt betrachten impliziert auch, diesen Menschen als Person zu betrachten, wobei jedoch der Fokus auf der Subjektivität, d. h. auf seinem inneren Wesen, liegt. Umgekehrt impliziert die Betrachtung eines Menschen als Person jedoch noch nicht, diesen auch als Subjekt zu betrachten. 140 Anders ausgedrückt: Wir können etwa über den Status, Person zu sein, begründen, weshalb jede Person ein Recht auf Eigentum besitzt 141, allerdings nicht, weshalb jede Person das Recht hat, sich nur Bestimmtes als Handlung zurechnen zu lassen. Dafür benötigt man die reichhaltigere Beschreibung über den Status als Subjekt. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Faktisch sind Personen im hegelschen Sinne immer 138
139 140
141
Für das abstrakte Recht sind das die §§ 34–40, für die Moralität die §§ 105–114 und für die Sittlichkeit die §§ 142–157. GW 14,1: § 105, 99. Dabei steht der Ausdruck ›Person‹ für das „Teilprinzip“ (Quante 2005: 75) des abstrakten Rechts, wie es Hegel in § 35 definiert. Für Hegels Eigentumstheorie siehe Mohseni 2015.
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auch Subjekte und sittliche Bürger. Wie bereits erwähnt sind die beiden Begriffsmomente der Allgemeinheit und Besonderheit Abstraktionen und damit Hinsichten des Konkreten. Der Begriff der Person, der Grundprinzip des abstrakten Rechts ist, wird nun auf dem moralischen Standpunkt zum Subjekt bestimmt. Dabei besteht diese Bestimmung zum Subjekt aus mehreren Aspekten: (i) (ii) (iii) (iv)
„Reflexion des Willens in sich“ 142 „[Die] für sich seyende Identität [des Willens] gegen das Ansichseyn“ Die Unmittelbarkeit Die sich in der Unmittelbarkeit entwickelnden Bestimmungen
Nach der ersten Bestimmung wird der Wille im Gegensatz zum „An-sich“ bestimmt, das die Grundlage des abstrakten Rechts gewesen ist. Dieser Gegensatz ergibt sich daraus, dass der Wille nun in sich (gegen das „An-sich“) reflektiert ist. Ihm geht es um die eigene „für sich seiende Identität“. Subjekt zu sein bedeutet in der Hinsicht, dass man sich auf sich als einzelnes selbstbewusstes Wesen bezieht, sich selbst zum Gegenstand hat. Wenn ich mich aber selbst zum Gegenstand habe, dann nicht die Allgemeinheit, die zunächst im Gegensatz zu mir steht. Wie sich noch zeigen wird, ist aber der Wille, auch als Subjekt, wesentlich Allgemeinheit. Also muss auch das Subjekt dieser Allgemeinheit zumindest gemäß sein können. 143 Insofern wird auf dem moralischen Standpunkt die Doppelstruktur von Subjektivität zentral. Als selbstbewusste Wesen sind wir immer zugleich ganz besondere, einzelne Individuen wie auch allgemeine. Der folgende § 106 bestimmt nun das Dasein des freien Willens, das laut Einleitung das Grundprinzip allen Rechts ist: „Indem die Subjectivität nunmehr die Bestimmtheit des Begriffs ausmacht und von ihm als solchem, dem an sich seyenden Willen, unterschieden und zwar indem der Wille des Subjects als des für sich seyenden Einzelnen zugleich ist, (die Unmittelbarkeit auch noch an ihm hat,) macht sie das Daseyn des Begriffes aus.“ 144
Auf dem moralischen Standpunkt macht die Subjektivität das Dasein des Begriffs aus. Aber wieso ist dies der Fall? Ganz allgemein begründet Hegel diese These damit, dass auf dem moralischen Standpunkt die Subjektivität „die 142 143
144
GW 14,1: § 105, 99. „Die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck, und die Bestimmung der Individuen ist ein allgemeines Leben zu führen; ihre weitere besondere Befriedigung, Thätigkeit, Weise des Verhaltens hat dieß Substantielle und Allgemeingültige zu seinem Ausgangspunkte und Resultate.“ GW 14,1: § 258 Anm., 201–202. Siehe dazu Quante / Schweikard 2009, auf Deutsch in Quante 2011, 253–278; Theunissen 1981. GW 14,1: § 106, 99.
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Bestimmtheit des Begriffs“ ausmache. In welcher von den drei Bedeutungen ist hier nun aber von ›Subjektivität‹ die Rede? Die drei Bedeutungen waren: subjektiv1 = absolute Selbstbezüglichkeit und Struktur von Selbstbewusstsein, subjektiv2 = Besonderheit des je individuellen Willens, subjektiv3 = noch nicht ausgeführter Zweck, bloß innerlich, mental repräsentiert. Es muss hier von Subjektivität2 die Rede sein. War im abstrakten Recht die Allgemeinheit des Begriffs qua Wille und damit Subjektivität1 Gegenstand, so ist es nun die Besonderheit des Begriffs qua Wille und damit Subjektivität2. Der an und für sich freie Wille besondert sich nur in je individuellen, besonderen Willenssubjekten. Diese Subjektivität2 sei nun vom an sich seienden Willen unterschieden – nicht getrennt wohlgemerkt. Dies sei so, „indem der Wille des Subjects als des für sich seyenden Einzelnen zugleich ist“. Dies soll besagen, dass der Wille sich in einzelnen Willenssubjekten besondert, die als Besondere im Gegensatz zur Allgemeinheit stehen. Diese Subjekte sind für sich einzelne, werden also so betrachtet, dass sie auf sich und ihre ganz besonderen Willensinhalte reflektieren. So betrachtet haben die einzelnen Willenssubjekte auch noch die Unmittelbarkeit an sich. Damit nimmt Hegel Bezug auf das Merkmal der Unmittelbarkeit des Willens aus der Einleitung der Grundlinien. Dort stand die Unmittelbarkeit für die unmittelbar und daher meist natürlich gegebenen Willensinhalte. Daraus ergebe sich nun: „Es hat sich damit für die Freyheit ein höherer Boden bestimmt; an der Idee ist itzt die Seite der Existenz oder ihr reales Moment, die Subjectivität des Willens. Nur im Willen, als subjectivem, kann die Freyheit oder der an sich seyende Wille wirklich seyn.“ 145
Die Moralität ist ein höherer Boden, eine höhere Sphäre des Rechts als Dasein des freien Willens als das abstrakte Recht. Das Höhere liegt daran, dass sich der Rechtsbegriff angereichert hat. Zudem habe die Idee (des Rechts) nun ihr „reales Moment“ in der „ Subjectivität des Willens“. Es folgt die Formulierung einer notwendigen Bedingung für die Wirklichkeit der „Freyheit oder de[s] an sich seiende[n] Willen[s]“: Die Freiheit oder der an sich seiende Wille kann nur durch den subjektiven Willen wirklich sein. 146 Damit wird die Einsicht ausgedrückt, dass, in welchen Normen oder Regeln die Vernünftigkeit und damit die Allgemeinheit des Begriffs auch immer besteht, diese Vernünftigkeit nur dann wirklich wird, wenn sie durch das Handeln Einzelner auch tatsächlich umgesetzt wird. Daher lässt sich dies auch als 145 146
GW 14,1: § 106, 99. „Nur im Willen, als subjectivem, kann die Freyheit oder der an sich seyende Wille wirklich seyn.“ GW 14,1: § 106, 99.
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Form eines minimalen Rechtspositivismus bzw. eines Positivismus bezüglich der Geltung von Normen überhaupt bezeichnen. 147 Die Moralität stelle „im Ganzen die reale Seite des Begriffs der Freyheit dar“. Die Entwicklung, als der methodische Gang durch den Text „Die Moralität“, bestehe darin, „den zunächst nur für sich seyenden Willen, der unmittelbar nur an sich identisch ist mit dem an sich seyenden oder allgemeinen Willen, nach diesem Unterschiede, in welchem er sich in sich vertieft, aufzuheben, und ihn für sich als identisch mit dem an sich seyenden Willen zu setzen“ 148. Als Entwicklung lässt sich hierbei eine Ausgangs- und eine Zielsituation der Moralität bestimmen. Die Ausgangssituation der Moralität: Der (nur) für sich freie Wille (eines einzelnen Subjekts) ist nur an sich mit dem an sich seienden Willen identisch. Für sich ist er mit dem an sich seienden Willen noch nicht 149 identisch. Die Zielsituation der Moralität: Der für sich freie Wille ist nun auch für sich mit dem an sich seienden Willen identisch. Damit ergibt sich der methodische Gang durch die einzelnen Rechtsformen der Moralität als eine zunehmende Entwicklung dieser Zielsituation. Alternativ ließe sich das Beweisziel auch so formulieren: Es muss gezeigt werden, wie aus Perspektive eines endlichen, individuellen, besonderen Willenssubjektes die Einsicht möglich ist, selbst auch ein allgemeines, vernünftiges, an sich seiendes Willenssubjekt zu sein. 150 Es folgt nun die Bestimmung der Gestalt des moralischen Standpunktes. Bisher wurde betont, dass die Subjektivität des Willens die Seite des Daseins des Begriffs sei. Nun fügt Hegel hinzu, dass die Subjektivität selbst die „eigene Bestimmung“ des Begriffs sei. Diese Bestimmung ist der „subjectiv bestimmte, für sich freye Wille“ 151. Betrachtet man diesen lediglich als Begriffsmoment, so fehlt noch ein wesentliches Merkmal für die Idee, und zwar das Merkmal des Daseins, der Gestalt. Damit also die Subjektivität2 Idee ist, muss sie Dasein haben. Nun fragt sich aber, worin dieses Dasein bestehen könnte: „Der moralische Standpunkt ist daher in seiner Gestalt das Recht des subjectiven Willens.“ 152 Die Gestaltung des Begriffs als des für sich freien Willens besteht also in einer Rechtssphäre, die Hegel „Recht des subjectiven Willens“ 147 148 149
150
151 152
Vgl. dazu etwa Kelsen 1979, 112–113. GW 14,1: § 106 Anm., 99. Auch hier ist wieder wichtig, das Ganze nicht zeitlich zu interpretieren. Das „noch nicht“ bezieht sich auf die methodische Ordnung der Entwicklung der verschiedenen Gestalten des für sich freien Willens in Form verschiedener Rechte. „Diese Bewegung ist sonach die Bearbeitung dieses nunmehrigen Bodens der Freyheit, der Subjectivität, die zunächst abstract nämlich vom Begriffe unterschieden ist, ihm gleich und dadurch für die Idee ihre wahrhafte Realisation zu erhalten, – daß der subjective Wille sich zum ebenso objectiven, hiemit wahrhaft concreten bestimmt.“ GW 14,1: § 106 Anm., 99. GW 14,1: § 107, 100. GW 14,1: § 107, 100.
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nennt. Wodurch zeichnet sich diese Rechtssphäre aus? „Nach diesem Rechte anerkennt und ist der Wille nur etwas, insofern es das Seinige, er darin sich als subjectives ist.“ 153 So wie zuvor die Entwicklung der Moralität als Begriffsentwicklung betrachtet wurde, bestimmt Hegel die Entwicklung nun für die Gestaltung eben dieses Rechts des subjektiven Willens. Diese Gestaltung besteht darin, „die Entwicklung des Rechtes des subjektiven Willens zu sein oder der Weise seines Daseins –, so daß er das, was er als das Seinige in seinem Gegenstande erkennt, dazu fortbestimmt, sein wahrhafter Begriff, das Objektive im Sinne seiner Allgemeinheit zu sein“. 154 In § 108 fährt Hegel nun fort, die Ausgangssituation der Moralität genauer zu betrachten. Die Ausgangssituation besteht darin, dass der „subjective Wille als unmittelbar für sich und von dem an sich seyenden unterschieden [. . . ] ist“ 155. Daraus folgert Hegel dreierlei für den subjektiven Willen: Er sei „abstract, beschränkt und formell.“ 156 Abstrakt ist der nur für sich freie Wille deshalb, weil er von dem an sich seienden Willen abstrahiert, indem er sich im Gegensatz zu diesem sieht. Beschränkt ist er, weil er sich durch diese Abgrenzung selbst beschränkt und sich zu dem bestimmt, was er an sich nicht ist. Zu ihm gehört alles, aber auch nur das, was er für sich weiß und will. Formell ist der subjektive Wille schließlich, weil er als gegen die Allgemeinheit bestimmter Wille lediglich die Form des vernünftigen Willens besitzt, allerdings noch nicht dem Inhalt nach diesem entspricht. Zugleich gelte aber: „Die Subjectivität ist aber nicht nur formell, sondern macht als das unendliche Selbstbestimmen des Willens das Formelle desselben aus.“ 157 Die Ausgangssituation der Moralität war bereits bestimmt dadurch, dass der für sich freie Wille noch nicht für sich an sich freier Wille ist: „Weil es in diesem seinem ersten Hervortreten am einzelnen Willen noch nicht als identisch mit dem Begriffe des Willens gesetzt ist, so ist der moralische Standpunkt der Standpunkt des Verhältnisses und des Sollens oder der Foderung.“ 158 Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt (i) des Verhältnisses und (ii) des Sollens oder alternativ der Forderung 159:
153 154 155 156 157 158 159
GW 14,1: § 107, 100. GW 14,1: § 107 Anm., 100. GW 14,1: § 108, 100. GW 14,1: § 108, 100. GW 14,1: § 108, 100. GW 14,1: § 108, 100. Forderung könnte auch als Alternative für die Verbindung von Verhältnis und Sollen betrachtet werden. Wenn Subjekte im Verhältnis zueinander stehen, dann besteht ein Sollen etwa darin, dass A von B etwas fordert.
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(i) Das Verhältnis der Moralität: Auf dem moralischen Standpunkt stehen die einzelnen Willenssubjekte zueinander und zum an sich freien Willen im Verhältnis. (ii) Das Sollen der Moralität: Auf dem moralischen Standpunkt besteht die Forderung, dass einzelne Willenssubjekte für sich sein sollen, was sie an sich sind. Dass endliche Handlungssubjekte zueinander im Verhältnis stehen und mit dem Begriff des Willens einem Beurteilungsmaßstab unterliegen, ist für ein Verständnis moralischer Verantwortung als Teil des moralischen Standpunktes relevant. Diesen Standpunkt charakterisiert Hegel noch weiter: „Und indem die Differenz der Subjectivität ebenso die Bestimmung gegen die Objectivität als äußerliches Daseyn enthält, so tritt hier auch der Standpunkt des Bewußtseyns ein, (§. 8.) – überhaupt der Standpunkt der Differenz, Endlichkeit und Erscheinung des Willens.“ 160 Die Differenz der Subjektivität ist die intern gemachte Differenz zwischen sich und einer gegenüberstehenden Objektivität. Diese Differenz enthalte auch die „Bestimmung gegen die Objectivität als äußerliches Daseyn“. Auf dem moralischen Standpunkt geht es um einzelne, besondere Willens- und damit Handlungssubjekte, zu deren Subjektivität dazu gehört, dass ihnen eine Objektivität in Form eines ihnen äußerlichen Daseins gegenübersteht. Insofern haftet Subjekten Subjektivität3 an: Als subjektive Willenssubjekte stehen wir mit unseren bloß subjektiven3 Willensinhalten der Objektivität gegenüber, in der die Gehalte unseres Wollens zunächst nicht verwirklicht sind. Daher trete in der Moralität der „Standpunkt des Bewußtseyns ein“, der in § 8 verhandelt worden war. Der moralische Standpunkt ergebe sich als Standpunkt „der Differenz, Endlichkeit und Erscheinung des Willens“. Die Endlichkeit besteht darin, dass auf der Ebene der Moralität endliche, besondere Willenssubjekte im Zentrum stehen, die aufgrund ihrer Subjektivität2 und Subjektivität3 endlich sind, und auf diese Weise erscheint der Wille zunächst. Dies entspricht der Intuition, dass man, wenn von einem Willen die Rede ist, zunächst an einzelne Willenssubjekte denkt, die dieses oder jenes wollen. Die Struktur des formellen oder des für sich freien Willens besteht allgemein in der „Entgegensetzung der Subjectivität und Objectivität und d[er] sich darauf beziehende[n] Thätigkeit“ 161. Die Momente dieser Entgegensetzung und der Tätigkeit seien diese: „ Daseyn und Bestimmtheit ist im Begriffe identisch (vergl. §. 104.) und der Wille als subjectiv ist selbst dieser Begriff“ 162. Die Tätigkeit der Subjektivität bestehe darin, „beides [Subjektivität und Ob160 161 162
GW 14,1: § 108, 100. GW 14,1: § 109, 100. GW 14,1: § 109, 100–101.
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jektivität / T.M.] und zwar für sich zu unterscheiden und sie als identisch zu setzen“ 163. Die drei Momente subjektiven Wollens lauten dann: (i) Selbstbestimmung eines Willensinhaltes (hat die formelle Grenze, nur ein Gesetztes, Subjektives3 zu sein). (ii) Wollen, diese Schranke (= Subjektivität3) aufzuheben, „die Thätigkeit, diesen Inhalt aus der Subjectivität in die Objectivität überhaupt, in ein unmittelbares Daseyn zu übersetzen“ 164. (iii) Identität des Willens mit sich, gleichbleibender Inhalt, Zweck, nach der Tätigkeit (= objektiver3 Zweck). Etwas zu wollen bedeutet, sich selbst einen Willensinhalt zu geben, sich zu überlegen, was man will, und sich dann zu diesem Willensinhalt zu entschließen. Da dieser Entschluss jedoch noch nicht umgesetzt ist, haben wir noch eine Grenze unserer Subjektivität. Daher wollen wir diesen Willensinhalt auch umsetzen, und das bedeutet, durch eine Tätigkeit aus der bloßen Subjektivität3 in die Objektivität3 zu übersetzen. Wichtig ist nun nur, dass der dann umgesetzte subjektive Zweck auch tatsächlich dem entspricht, was wir uns zuvor überlegt haben. Wir müssen mit uns qua früherem Willensentschluss identisch bleiben. Genau dies bedeutet es, dass der subjektive Wille die Entgegensetzung von Subjektivität und Objektivität setzt und zugleich in der Tätigkeit besteht, diese aufzuheben. Dieses Setzen des Gegensatzes darf nicht so verstanden werden, als meinte Hegel, wir als einzelne Subjekte würden allererst die uns gegenüberstehende äußerliche Welt schaffen oder dergleichen. Es bedeutet, dass das Denken in diesem Gegensatz von uns und unserem subjektiven Willen und der Objektivität als äußerlichem Dasein für uns als wollende und handelnde Subjekte konstitutiv ist. Insofern setzen wir die Entgegensetzung. Alternativ könnte man aber auch sagen: Wir finden uns bereits als Subjekte in einer von uns unterschiedenen und unabhängigen Objektivität3 vor. Neben dieser formellen Willensbestimmung soll der Wille aber auch einen Inhalt haben. Die folgenden §§ 110–112 spezifizieren die Identität dieses Willensinhalts für den moralischen Standpunkt genauer: „Diese Identität des Inhalts erhält aber auf dem moralischen Standpunkt wo die Freyheit, diese Identität des Willens mit sich, für ihn ist, (§. 105.) die nähere eigenthümliche Bestimmung. a) Der Inhalt ist für mich als der Meinige so bestimmt, daß er in seiner Identität nicht nur als mein innerer Zweck, sondern auch, insofern er die äußerliche Objectivität erhalten hat, meine Subjectivität für mich enthalte.“ 165 163 164 165
GW 14,1: § 109, 101. GW 14,1: § 109, 101. GW 14,1: § 110, 101.
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Die zuvor in § 109 genannte Identität des Inhalts ist 166, wie bereits in der Einleitung der Grundlinien gezeigt, ein Begriffsmerkmal des Willens, aber auch des Begriffs allgemein. Nun geht es um den für sich freien Willen, und dies führt zu Modifikationen dieses Merkmals. Inhaltsidentität: Der Willensinhalt als Meiniger (damit markiert Hegel, dass die jeweils erst-persönliche Perspektive relevant ist) darf nicht nur als subjektiver3 Zweck meiner sein, sondern muss auch nach der Ausführung, in seiner Äußerlichkeit und Objektivität, „meine Subjektivität für mich enthalte[n]“. Diese Bedingung stellt sicher, dass im Falle des Handelns Einzelner auch die Begriffsstruktur gewahrt bleibt. Da es in der Moralität um die je individuelle, besondere Perspektive Einzelner geht, bedeutet die Identität zwischen subjektivem und objektivem Zweck, dass die Entsprechung für das Handlungssubjekt bestehen muss. Ich muss mich nach der Zweckrealisierung in dem dann Verobjektivierten wiederfinden: „b) Der Inhalt, ob er zwar ein Besonderes enthält (dieß sey sonst genommen, woher es wolle), hat als Inhalt des in seiner Bestimmtheit in sich reflectirten, hiemit mit sich identischen und allgemeinen Willens, α) die Bestimmung in ihm selbst, dem an sich seyenden Willen angemessen zu seyn oder die Objectivität des Begriffes zu haben aber β) indem der subjective Wille als für sich seyender zugleich noch formell ist (§. 108.) ist dieß nur Foderung, und er enthält eben so die Möglichkeit, dem Begriffe nicht angemessen zu seyn.“ 167
Auch der in sich reflektierte Wille der Moralität ist mit sich identischer und allgemeiner Wille. Damit besitzt er zumindest die Anlage, auch seinen Inhalt dem an sich seienden Willen gemäß zu bestimmen. Daraus folgt der spezifische modale Status der Inhaltsidentität auf Ebene der Moralität: a) Der Inhalt des subjektiven Willens kann dem an sich seienden, vernünftigen Willen entsprechen. Er hat die Objektivität des Begriffs. In diesem Falle bestünde die Identität des Willensinhalts als Inhaltsidentität zwischen dem subjektiv gesetzten und dem an sich vernünftigen Inhalt (= propositionale Identität zwischen Subjektivität und Transsubjektivität). b) Aber der subjektive Wille ist zunächst noch formell (im Gegensatz zum an sich seienden Willen). Daher ist a) zunächst noch eine Forderung 166 167
Siehe dazu auch Quante 1993, 80–84. GW 14,1: § 111, 101.
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und es ist ebenso möglich, dass der Inhalt nicht dem an sich seienden Willen und der Objektivität des Begriffs entspricht. Schließlich benennt Hegel noch eine dritte Bestimmung der Inhaltsidentität: „c) Indem ich meine Subjectivität in Ausführung meiner Zwecke erhalte, (§. 110.) hebe ich darin als der Objectivierung derselben diese Subjectivität zugleich als unmittelbare, somit als diese meine einzelne auf. Aber die so mit mir identische äußerliche Subjectivität ist der Wille Anderer. (§. 73.)“ 168
Die Inhaltsidentität besteht darin, dass ein Handlungssubjekt seine Subjektivität3 „in Ausführung [s]einer Zwecke erhalte“. Für den Fall, dass dies gelingt, wird die Subjektivität3 aufgehoben. Die unmittelbare, einzelne Subjektivität3 ist ja nun verobjektiviert, ist selbst eine Tatsache in der Welt. Damit wird die in der Objektivität3 verwirklichte Subjektivität3 selbst aber wieder zu einem äußerlichen Phänomen, zu äußerlicher Subjektivität. Nun soll diese mit dem jeweiligen Handlungssubjekt identische äußerliche Subjektivität „der Wille Anderer“ sein. Wie ist das zu verstehen? Wir alle sind Subjekte und betrachten jeweils die anderen als Subjekte. Die Identifizierung meiner und meines subjektiven Zwecks mit dem verobjektivierten Zweck ist zugleich eine Anerkennung meiner durch andere. Für die anderen bin ich natürlich erst einmal nur Teil der ihnen entgegenstehenden Objektivität3. Aber zugleich deuten sie meine Tätigkeiten, meine subjektiven Zwecke in die Objektivität zu übersetzen und mich darin zu erhalten, als eben solche Versuche, und dies deshalb, weil sie so wie ich an der Subjektivität1 Anteil haben. Für die Frage, ob nun Inhaltsidentität vorliegt, ist es nicht hinreichend – vielleicht manchmal nicht einmal notwendig –, dass ich selbst urteile, dass dies genau das war, was ich gewollt habe. Ebenso müssen auch andere mein Tun als einen erfolgreichen „Zweckrealisierungsversuch“ 169 verstehen, und zwar desjenigen Zwecks, den ich selbst angebe. Dies lässt sich anhand der Sprachpraxis gut nachvollziehen. Sprechakttheoretisch ist für das gelingende Sagen dessen, was man meint, nicht nur das zentral, was man selbst subjektiv zu sagen meinte, sondern auch die Regeln für die sprachlichen Ausdrücke, die man verwendet hat, um zu sagen, was man meint. Diese Regeln sind aber nichts, über das man allein verfügte. 170 Zunächst wiederholt Hegel die These, dass die Subjektivität nun in der Moralität der Boden der Existenz des Willens ist. Der Wille Anderer sei „die 168 169 170
GW 14,1: § 112, 101–102. Gethmann 2016; so aber bereits Gethmann 1999. Siehe dazu die Anmerkung Wittgensteins in PU 510: „Mach diesen Versuch: Sag ‚Hier ist es kalt` und meine ‚Hier ist es warm`.“ Für die Mit-konstitution des subjektiv Gewollten durch Andere siehe das spätere Unterkapitel zum Askriptivismus 3.2.5.
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zugleich, mir andere, Existenz, die ich meinem Zwecke gebe“ 171. Wenn ich meinen Zweck verwirkliche und dem subjektiven3 Zweck Existenz gebe, diese Existenz aber auch unabhängig von mir existiert, sie also insofern etwas mir Anderes ist (ich nicht identisch mit dem Zustand bin, den ich tätig hervorgebracht habe), und wenn meine Subjektivität darin (nur) insofern erhalten bleibt, als auch andere dies als Verwirklichung meiner Subjektivität ansehen, dann habe ich diese mir andere Existenz meiner Subjektivität im Willen Anderer. Daraus folgert Hegel, dass in der Willensverwirklichung eines einzelnen, besonderen Willenssubjektes immer schon die Identität mit dem Willen anderer enthalten ist oder zumindest präsupponiert wird. Die Ausführung des subjektiven Zwecks und damit die individuelle Selbstverwirklichung sind nur dadurch möglich, dass es immer auch andere Subjekte gibt, die die Ausführung als Verwirklichung meiner Subjektivität verstehen. Wenn die Ausführung als Ausdruck von Subjektivität verstanden werden soll, so muss prinzipiell jedes Wesen, das Subjektivität besitzt, diese auch als Ausdruck von Subjektivität deuten können. Subjektivität2 enthält immer schon Subjektivität1. Insofern lässt sich in der positiven Beziehung auf den Willen anderer eine Bedingung sehen, die für die Möglichkeit von Transsubjektivität gegeben sein muss. Dies wird noch von großer Relevanz sein, um die Spannungen zwischen der Subjetivität2 und der Objektivität im Sinne der sozialen Umwelt zu verstehen. Aber bereits an dieser Stelle geht Hegel in der Anmerkung zu § 112 auf die Objektivität ein: „Die Objectivität des ausgeführten Zwecks schließt daher die drey Bedeutungen in sich oder enthält vielmehr in Einem die drey Momente: α) Aeußerliches unmittelbares Daseyn, (§. 109.) β) dem Begriffe angemessen (§. 112.) γ) allgemeine Subjectivität zu seyn. Die Subjectivität, die sich in dieser Objectivität erhält, ist α) daß der objective Zweck der Meinige sey, so daß Ich mich als Diesen darin erhalte (§. 110.) β) und γ) der Subjectivität ist schon mit den Momenten β) und γ) der Objectivität zusammengefallen.“ 172
Damit ergeben sich erneut jeweils drei Bedeutungen, einmal für die Objektivität des ausgeführten Zwecks und einmal für die in der Objektivität erhaltene Subjektivität: Die Objektivität des ausgeführten Zwecks (i) Äußerliches, unmittelbares Dasein (§ 109) (ii) Dem Begriff angemessen (§ 112) (iii) Allgemeine Subjektivität Die sich in dieser Objektivität erhaltene Subjektivität 171 172
GW 14,1: § 112, 102. GW 14,1: § 112, 102.
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(i) „daß der objective Zweck der Meinige sey, so daß Ich mich als Diesen darin erhalte (§ 110)“ (ii) Dem Begriff angemessen (iii) Allgemeine Subjektivität 173 Diese Bestimmungen von Subjektivität und Objektivität stehen laut Hegel im Widerspruch zueinander und genau das mache die Endlichkeit der Moralität aus. 174 Der methodische Durchgang durch diesen zweiten Teil bestehe daher in der Thematisierung und Auflösung der Widersprüche. Diese sukzessive Auflösung findet selbst als zunehmende Entwicklung des Begriffs des Rechts der Moralität statt. Nimmt man den bereits entwickelten Begriff des Rechts hinzu, dann ergibt sich als Beweisziel der Moralität: (P1) „Dieß, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht.“ (§ 29) (P2) Um zu wissen, was Recht dem Inhalt nach ist, muss man ein Dasein interpretieren als Dasein des freien Willens (Zusatzprämisse, um die Rede vom Beweisziel zu sichern). (P3) „Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist“ (§ 105) (K)
Um zu wissen, was Recht vom moralischen Standpunkt aus ist, muss man ein Dasein interpretieren als Dasein des freien Willens, insofern er „ für sich unendlich ist“. 175
Nun findet sich bei Hegel sowohl die Redeweise von dem Recht des subjektiven Willens als auch die Redeweise von Rechten des Einzelnen. Im Englischen wird dieser Unterschied durch die Ausdrücke law und right ausgedrückt. Um das Verhältnis zwischen Recht und Rechten zu klären, treffe ich die Annahme, dass § 29 eine rule of recognition enthält, als eine sekundäre Regel, die festlegt, was als Recht zu gelten hat. Die einzelnen Rechte der Subjektivität sind dann Ausgestaltungen des Rechts und insofern primäre Regeln. 176 Um also Hegels Argumentationen nachvollziehbar zu machen, benötigt man noch eine Substitutionsregel, die einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Rechten und dem Recht als Ganzem herstellt. Folgendes Brückenprinzip soll daher für die Rekonstruktion der hegelschen Position vorgeschlagen werden: 173
174 175
176
Dies folgt aus: „β) und γ) der Subjectivität ist schon mit den Momenten β) und γ) der Objectivität zusammengefallen.“ GW 14,1: § 112, 102. GW 14,1: § 108, 100. Wie noch zu zeigen sein wird, besteht ein solches Dasein in den Rechten der Moralität als Wirklichkeit des freien Willens. Insofern weicht meine Lesart von derjenigen in Halbig 2018b, 183 ab. Die Unterscheidung von primären und sekundären Regeln geht auf H. L. A. Hart zurück. Siehe dafür Hart 2011: 112–121; vgl. auch Watkins-Bienz 2004: 43–46.
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1) Die Tatsache, dass ein Dasein Dasein des freien Willens ist, macht das Recht (law) aus. 2) Ein bestimmtes Dasein des freien Willens hat eine bestimmte Gestalt. 3) Diese bestimmte Gestalt des Daseins des freien Willens manifestiert sich in einem bestimmten Recht (right). 4) Da es sich bei diesem Dasein um objektives Dasein im Sinne diachroner Stabilität handelt, seien die bestimmten Rechte (rights) verstanden als unserer Praxis implizite Regeln, die ein Dasein des freien Willens sichern. Damit kann als allgemeine Prämisse der späteren Argumente für die einzelnen Rechte der Subjektivität Folgendes festgehalten werden: Rechte sind Regeln unserer Praxis, die das Dasein des freien Willens diachron stabil sichern. 177 Bevor nun in den eigentlichen Text der Moralität eingestiegen werden kann, muss noch der Begriff der Handlung in seinen Grundzügen dargestellt werden.
1.2.2 Der Begriff der Handlung (§ 113) Die Einleitung in die Moralität (§§ 105–114) kulminiert in Hegels Begriff der Handlung, den er in § 113 einführt und weiter bestimmt: „Die Aeußerung des Willens als subjectiven oder moralischen ist Handlung. Die Handlung enthält die aufgezeigten Bestimmungen, α) von mir in ihrer Aeußerlichkeit als die Meinige gewußt zu werden, β) die wesentliche Beziehung auf den Begriff als ein Sollen und γ) auf den Willen Anderer zu seyn.“ 178
Eine Handlung bestimmt Hegel also als Willensäußerung, und zwar als Äußerung des subjektiven Willens. Anders formuliert ist die Handlung das im Äußeren ausgedrückte Innere eines Einzelnen. Ich verwende diese Formulierung, um bereits anzuzeigen, dass es sich im Falle der Handlung um ein reflexionslogisches bzw. wesenslogisches Verhältnis handelt. 179 In einem Sinne 177
178 179
Nach Hart sind social rules im Gegensatz zu anderen Regeln der Sprache oder Etikette u. A. dadurch gekennzeichnet, dass sie ernst sind und mit hohem sozialem Druck einhergehen. Auf Hegel bezogen ist dieses Merkmal insofern erfüllt, als es hierbei gerade um den freien Willen und damit immer um uns qua freie Willenssubjekte geht (das erklärt dann die soziale Schwere der Regeln). GW 14,1: § 113, 102. Dabei geht es um Relationen, die Hegel im zweiten Buch seiner Wissenschaft der Logik, der Lehre vom Wesen, entwickelt. Grundsätzlich sind die reflexionslogischen Termini dadurch charakterisiert, dass sie in ihrer Explikation jeweils aufeinander verweisen. Um
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verhalten sich subjektiv-objektiv zueinander wie innen-außen. Handlung wird von Hegel definiert als Äußerung des subjektiven Willens. Die Äußerung des subjektiven Willens wiederum ist bestimmt über die teleologische Struktur des Willens. Diese gliedert sich in (i) den subjektiven Zweck, (ii) die Tätigkeit der Realisierung des subjektiven Zwecks und (iii) den objektiven Zweck (Identifikation des Objektivierten mit dem subjektiven Zweck). Erst wenn (iii) erreicht ist, darf im Vollsinne von einer Äußerung des Willens gesprochen werden. Allerdings gibt es zwei Erfolgsbedingungen für das Erfülltsein von (iii). Nicht nur ich muss mich in dem, was ich getan habe, wiederfinden, sondern auch andere müssen das, was ich getan habe, als Ausdruck meines subjektiven Wollens verstehen (können). Zudem muss das, was ich tue, gewissen Normen entsprechen. In Vorgriff auf den Ausdruck ›Tat‹ als allgemeineren Terminus ergibt sich damit: Eine Tat ist eine Handlung gdw (i) die Tat aus Perspektive des Subjekts als Realisierungsversuch eines selbstgegebenen subjektiven Zwecks Z verstanden wird & (ii) nach Vollzug der Tat diese wie auch etwaige Folgen als erfolgreiche Umsetzung des selbstgegebenen subjektiven Zwecks Z identifiziert werden (Selbstidentifikation) & (iii) von anderen auch als erfolgreiche Realisierung des selbstgegebenen subjektiven Zwecks Z verstanden werden können (Fremdidentifikation) & (iv) allgemeinen Normen von Zweckrealisierung entsprechen. Aufbauend auf diesem Begriff der Handlung als Willensverwirklichung gilt jetzt Folgendes: Die verschiedenen Aspekte einer Willensverwirklichung fundieren jeweils einzelne Rechte. Die Tätigkeit der Übersetzung des subjektiven Zwecks in die Objektivität hat kausale Komponenten (vgl. Kap. 2). Der subjektive Zweck hat eine Wissenskomponente (vgl. Kap. 3). Aufgrund nicht immer epistemisch antizipierbarer Kausalfolgen muss über eine Kontrollbedingung Zufall ausgeschlossen werden (Kap. 4). Außerdem besteht bei dem objektiven Zweck, falls er von bestehenden Normen abweicht, immer noch die Möglichkeit, dass er als gerechtfertigt gilt, insofern die normabweichende Handlung zum Schutz eines subjektiven Rechts vollzogen wurde (vgl. Kap. 5). Das Notrecht ist der Rechtsbereich, der diese Fälle regelt. Auf jeder Ebene, so soll nun gezeigt werden, kann die jeweilige Willenskomponente dadurch bestimmt werden, dass sie einen eigenen Anfechtungsgrund liefert. Da es in etwa zu klären, was das Innere eines Handlungssubjektes ausmacht, muss man immer auch auf Äußeres desselben Bezug nehmen, seien dies nun sprachliche Äußerungen über die inneren Zustände, seien es nicht-sprachliche Äußerungen beispielsweise durch ein schmerzverzerrtes Gesicht oder aber Handlungen im Vollsinne.
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Die Grundlinien der Philosophie des Rechts
der gesamten Moralität um subjektive Willensverwirklichung geht, ist das gemeinsame eines jeden Anfechtungsgrundes, dass er ein die Willensverwirklichung verhindernder Willensaspekt ist. Die Gesamtheit der in diesen Anfechtungsgründen enthaltenen Bedingungen erfolgreicher Willensverwirklichung wiederum stellt dann die konstitutiven Merkmale moralischer Verantwortung dar. Dabei nimmt die Verursachung eine zentrale Rolle ein. Da Verursachung aber im Rahmen einer Verantwortungstheorie abgehandelt wird, ist diese im Titel dieser Arbeit auch nachgeordnet. 180 Bevor das eigentliche Thema der Verantwortung angegangen wird, sei nochmals ein Unterschied benannt, der bisher am Rande eine Rolle spielte. Recht ist verwirklichter freier Wille. Freier Wille ist der Wille, der den freien Willen will (Selbstbestimmung). Die Verwirklichung des freien Willens findet auf zwei Ebenen statt: 1. Einzelne Handlungssubjekte und deren Wollen (Wille1) 2. Struktur von Rechten, die selbst Verwirklichung des freien Willens sind (§ 4) (Wille2) Freie Willensverwirklichung geschieht vermittelt über das Handeln Einzelner. Handeln im Sinne der Äußerung des subjektiven Willens setzt einen Gegensatz zwischen Subjektivität und Objektivität voraus. Verantwortung konstituiert sich über die Willensverwirklichung, die einzelnen Verantwortungsmerkmale wiederum generieren einzelne Anfechtungsrechte: Kausale Verantwortung (Kapitel 2), wissentliche kausale Verantwortung (Kapitel 3), wissentliche, kontrollierte / nicht-zufällige kausale Verantwortung (Kapitel 4), wissentliche, kontrollierte / nicht-zufällige, willentliche kausale Verantwortung (Kapitel 5). Damit enthalten die Kapitel 2–5 auch die Analyse des Kernphänomens moralischer Verantwortung. Es wird Zeit, die Analyse der hegelschen Theorie von Verantwortung und Verursachung in Angriff zu nehmen.
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Im Gegensatz etwa zu der umfangreichen Studie Moore 2009. Für eine Überblicksdarstellung zu Moores Position siehe Meyer 2020.
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2. Verursachung: Kausale Schuld (kausale Willenskomponente)
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n diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass und in welchem Sinne Kausalität in Hegels Grundlinien, genauer: für seine Verantwortungstheorie, eine Rolle spielt. 1 Innerhalb der gegenwärtigen Rechtswissenschaft und der analytischen Rechtsphilosophie firmiert unter dem Label Kausalität im Recht (Causation in the Law) eine komplexe Debatte, die sich mit der Kausalbedingung für die Strafbarkeit (im Falle des Strafrechts) oder für die Haftbarkeit (im Falle des Zivilrechts) beschäftigt. Für die rechtswissenschaftlichen Fragestellungen, die häufig in Hinblick auf die Rechtspraxis der Rechtsprechung diskutiert werden, spielt dabei insbesondere die Frage eine Rolle, wie ein Kausalzusammenhang zwischen einer Handlung und einem rechtlich relevanten Zustand geprüft werden kann. Somit handelt es sich dabei primär um eine epistemische Frage. Die philosophischen Debatten zielen darüber hinaus auch darauf ab, zu verstehen, in welchem Sinne im Recht von Kausalität die Rede ist und inwiefern dieses Verständnis in Zusammenhang zu metaphysischen Kausalitätsauffassungen steht. Letztere behandeln insbesondere die Frage, was Kausalität im Sinne eines die natürliche Ordnung durchgängig bestimmenden Prinzips ist, und verfolgen somit ein ontologisches Interesse. Dieses Kapitel verfolgt zum einen die Frage, welche Rolle nach Hegel der Kausalität im Recht zukommt. Zum anderen wird das Ziel verfolgt, Hegels Position zu dieser Frage so zu reformulieren, dass sie vor dem Hintergrund gegenwärtiger Fragestellungen in der Rechtswissenschaft und in der analytischen Rechtsphilosophie bewertet werden kann. Um dieses zweite Ziel erreichen zu können, soll im Folgenden zunächst ein knapper Überblick über Fragen und Probleme der gegenwärtigen Debatten gegeben werden (2.1). 2 Im Anschluss
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Soweit ich sehe, ist dies bisher noch nie zuvor in der Hegelforschung unternommen worden – mit einer ganz kleinen Ausnahme. In einer Textsammlung Studien zur Hegels Rechtsphilosophie in UdSSR [sic!] Moscau 1966 ist ein Beitrag enthalten von I.K. Matwejew mit dem Titel „Hegel über die Kausalität im Recht“, der jedoch leider für diese Arbeit überhaupt nicht von Gewinn war – sowohl aufgrund der Kürze (9 Seiten) als auch aufgrund der Polemik und dem dogmatisch-behauptenden Duktus (Matwejew 1966). Dabei soll nicht im Vorhinein entschieden sein, dass diese gegenwärtigen Debatten den Maßstab für die Bewertung der hegelschen Position abgeben. Es wird also die Möglichkeit offengelassen, gegenwärtige Positionen gerade aus einer hegelschen Perspektive zu kritisie-
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Verursachung: Kausale Schuld (kausale Willenskomponente)
daran wird dann Hegels eigener Ansatz zu diesem Thema in den Blick genommen (2.2). Da sich der Themenkomplex um die Kausalität im Recht historisch erst nach Hegels Tod entwickelt hat 3, ließe sich zunächst bezweifeln 4, dass Hegel in der Moralität überhaupt Kausalfragen in einem Sinne diskutiert, der für die Rechtsdebatte relevant ist. Daher soll in einem ersten Schritt aufgezeigt werden, dass Hegel in den Grundlinien, wenn auch größtenteils implizit, Bezug auf das Phänomen der handelnden Verursachung nimmt und die Frage nach der Zurechnung kausaler Folgen thematisiert (2.2.1). Da zudem Kausalität aus interner Perspektive des gesamten hegelschen Systems und insbesondere der Grundlinien gerade für das Phänomen des Rechts große Bedeutung zukommt, soll in einem zweiten Schritt Hegels Metaphysik der Kausalität, wie er sie in seiner Wissenschaft der Logik entwickelt hat, dargestellt werden (2.2.2). Erst in einem dritten Schritt werde ich dann mittels einer Analyse verschiedener Paragraphen des Abschnitts „Der Vorsatz und die Schuld“ aus den Grundlinien darlegen, in welchem Sinne Kausalität für Hegel im Bereich des Rechts eine Rolle spielt (2.2.3). Dazu soll in einer ausführlichen Textinterpretation des § 115 aufgezeigt werden, dass Hegel für rechtliche Kontexte einen weiten (nicht-diskriminatorischen 5) Kausalitätsbegriff vertritt, der eine von Mill erstmals explizit gemachte und später von Mackie systematisch ausgearbeitete Idee vorwegnimmt. Nach dieser Idee ist Kausalität ein Bündel von für sich notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen, die gemeinsam vorgelegen haben müssen, damit ein fragliches Ereignis hat stattfinden können. Um diese Idee Hegels, die zugegebenermaßen nur implizit aus wenigen Textstellen zu extrahieren ist, systematisch zu rekonstruieren, werde ich Mackies INUSTheorie der Kausalität systematisch darstellen (2.2.4). Dies ermöglicht dann, Hegels Konzeption der Kausalität im Recht zu reformulieren. In einem letzten Schritt sollen dann alle Fäden zusammengeführt und Hegels Kausalitätsdenken aus seiner Wesenslogik mit den impliziten Hinweisen aus den Grundlinien verbunden werden (2.3). Dabei wird sich zeigen, dass sich Hegels Denken ein zweistufiges Kausalitätsmodell entnehmen lässt, das einerseits die Relevanz der Kausalität im Recht und deren adäquate Behandlung nachvollziehbar macht, zugleich jedoch den Bezug zu den metaphysischen Grundlagen der Kausalität
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ren. Dabei folge ich generell der Maxime: Keine Position, ob nun Hegels oder eine innerhalb gegenwärtiger Debatten, ist bezüglich der Methode und den Ergebnissen oder auch der Problemformulierung sakrosankt. Von den strafrechtlichen Hegelianern hat erst Hugo Hälschner und auch erst in seiner späten Schrift Hälschner 1881 auf das Thema der Kausalität Bezug genommen. Siehe dazu Bubnoff 1966: 78. Zweifel daran, dass es überhaupt um Kausalität gehe, sind in der Literatur auch geäußert worden, allerdings nicht mit dem Verweis auf das spätere Aufkommen des Themas Kausalität im Recht (Alznauer 2015: 132). Zur Erläuterung dieses Ausdrucks siehe Abschnitt 2.2.2.
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Verursachung in normativen Kontexten
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herstellt. Hegels Metaphysik der Kausalität ist hilfreich dafür, klassische Probleme der Kausalitätsdebatte einer Lösung näherzubringen und verständlich zu machen, weshalb im Recht sinnvollerweise von Kausalität die Rede ist. 6 Ich werde in diesem letzten Abschnitt von Hegels Theorie der Kausalität im Recht sprechen, womit die Menge von Aussagen bezeichnet werden soll, die sich auf das beziehen, was in gegenwärtigen Debatten unter dem Label Kausalität im Recht debattiert wird. 7 2.1 Verursachung in normativen Kontexten Unter dem Label Kausalität im Recht firmiert ein ganzer Komplex von Fragen und Problemen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen. 8 Dass es sich nicht um genau ein Problem, möglicherweise nicht einmal in allen Debattensträngen um ein und dasselbe Phänomen handelt, lässt sich zunächst daraus ersehen, dass Kausalität in verschiedensten Kontexten thematisiert wird, auf die man jeweils mit ›Recht‹ Bezug nehmen kann. Dabei geht es um (i) die Rechtswissenschaft, dann (ii) die Rechtspraxis, insbesondere die Gesetzgebung und die Rechtsprechung, und schließlich (iii) die Rechtsphilosophie. Aufgrund der verschiedenen Interessen und Maßstäbe dieser Disziplinen sind auch die Fragen und Probleme ganz verschiedener Natur. Da allen gemeinsam ist, dass sie sich unmittelbar oder mittelbar auf die rechtliche Praxis, den rechtlichen Umgang mit bestimmten Handlungen, beziehen, ist es sinnvoll, diese Praxis und ihre Fragen bezüglich der Kausalität darzustellen. 9 Nun spielt jedoch die Kausalität innerhalb der Rechtspraxis (zumindest der deutschen) selbst wieder in zwei verschiedenen Rechtsgebieten eine explizite Rolle. Zum einen wird 6
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Allerdings muss hierbei geklärt werden, inwiefern der Bezug auf die wesenslogische Kausalität auf den Beweisanspruch der Wissenschaft der Logik festlegt. Umgehen lässt sich diese Festlegung auf folgende Weise: Zwar besteht der Nachweis der Adäquatheit etwa der Metaphysik der Kausalität letztlich im gelingenden vollständigen Argumentationsgang der Wissenschaft der Logik und vielleicht sogar des gesamten Systems. Wenn man jedoch die hegelschen Thesen auch anders plausibilisieren, also mit weniger Beweislast für sie argumentieren kann, dann scheint mir eine Verpflichtung auf den Beweisanspruch der Logik nicht gegeben zu sein. Siehe zu einer ähnlichen Herangehensweise mit dem Verweis auf zwei Bedeutungen von „Selbstverhältnis“ Quante 1993, 38–39. Dasselbe gilt dann auch für die abschließenden Unterkapitel der folgenden Kapitel. Für einen knappen historischen Überblick siehe Schroeder 2009. Für einen ersten Überblick der gegenwärtigen Debatte insbesondere in der analytischen Rechtsphilosophie Honoré 2010. Ausführlich zum Thema erstmals Hart / Honoré 1985, zuletzt Moore 2009. Daraus soll nicht folgen, dass die Rechtspraxis selbst auch für alle Ansätze den Bewertungsmaßstab liefern muss. Dieses Vorgehen steht übrigens ganz im Einklang mit Hegels methodischem Vorgehen in seiner Rechtsphilosophie, besteht diese doch in einer philosophischen Reflexion über bereits etablierte Rechtsformen und Rechtsphänomene.
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Verursachung: Kausale Schuld (kausale Willenskomponente)
ein Kausalzusammenhang im Zivilrecht innerhalb des Deliktsrechts (rechtliche Schuldverhältnisse) zum Zweck der Haftbarkeitsprüfung, zum anderen im Strafrecht (für vollendete Erfolgsdelikte) zum Zweck der Strafbarkeitsprüfung untersucht. 10 Im Folgenden werde ich mich auf die Rolle der Kausalität im Strafrecht beschränken. Dies scheint zum Zweck dieser Arbeit sinnvoll, da Hegel im Moralitätsteil seiner Grundlinien in den Anmerkungen häufig strafrechtliche Beispiele bemüht. Außerdem besteht ein wichtiger Unterschied des Deliktsrechts zum Strafrecht darin, dass es im Deliktsrecht nicht um Vorwerfbarkeit und tadelnswertes Handeln geht, sondern um die Kompensation von entstandenem Schaden. Jedoch wird gerade die Vorwerfbarkeit ab Kapitel 5 dieser Arbeit eine zentrale Rolle spielen. 11 Innerhalb des Strafrechts spielt die Kausalität für eine bestimmte Klasse von Handlungstypen, die sogenannten Erfolgsdelikte, eine Rolle. Dabei handelt es sich um Handlungstypen, zu deren Erfolgsbedingungen gehört, dass ein von der bloßen Tätigkeit unabhängig identifizierbarer Zustand durch die Tätigkeit hervorgebracht wurde. Ganz klassische Erfolgsdelikte sind der Totschlag (§ 212 StGB), die Körperverletzung (§ 223 StGB) und die Sachbeschädigung (§ 303 StGB). Für die Strafbarkeit solcher Delikte ist es eine notwendige Bedingung, dass die Tat, deren Strafbarkeit geprüft wird, in einem Kausalzusammenhang zu dem sogenannten Tatbestandserfolg gestanden hat. Das bedeutet, dass man nur dann etwa für eine Sachbeschädigung bestraft werden darf, wenn man den in Frage stehenden Sachschaden auch tatsächlich verursacht hat. Es bedeutet nicht, dass daraus, dass man den Schaden verursacht hat, die Strafbarkeit folgt. Viele weitere Bedingungen müssen dafür erfüllt sein. Jedoch folgt daraus, dass man nicht bestraft werden darf, wenn man den Schaden nicht verursacht hat. 12 Wenn also der Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg eine notwendige Bedingung der Strafbarkeit ist, muss geklärt werden, worin dieser Kausalzusammenhang besteht. Da jedoch insbesondere die Rechtsprechung ein zuverlässiges und praktikables Prüfverfahren benötigt, um einen solchen Kausalzusammenhang festzustellen, besteht eine Hauptaufgabe für eine Theorie der Kausalität im Recht zum Zwecke der Rechtsprechung darin, ein solches Prüfverfahren bereitzustellen. In der gegenwärtigen deutschen Strafrechtsprechung wird die sogenannte „Äquivalenztheorie“ der Kausalität in Anwendung gebracht. „Sie arbeitet meist mit der Formel, dass als Ursache jede Bedingung eines Erfolges anzusehen sei, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne 10
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Insbesondere die englischsprachigen Beiträge zum Thema Kausalität im Recht beziehen sich häufig auf das Deliktsrecht (tort law). Vgl. auch Raz zum Unterschied zwischen Verantwortung (responsibility2) und Haftung (liability). Raz 2011: 256. Zumindest nicht für das in Frage stehende Delikt. Das schließt natürlich die Versuchsstrafbarkeit nicht aus.
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dass der konkrete Erfolg entfiele. Als Ursache gilt also jede conditio sine qua non, d. h. jede Bedingung, ohne welche der Erfolg nicht eingetreten wäre.“ 13 Der Name ›Äquivalenztheorie‹ wird deshalb verwendet, weil jede notwendige Bedingung gleichermaßen als Ursache des Erfolges angesehen wird. Zur Motivation dieser Theorie kann folgende Argumentation angebracht werden: (P1) Die Strafbarkeit setzt voraus, dass die jeweilige Person durch Unterlassen der Handlung den Schaden hätte vermeiden können. (P2) Der Schaden hätte aber nur dann vermieden werden können, wenn die Handlung eine notwendige Bedingung des Zustandekommens des Schadens war. (K)
Für die Strafbarkeit muss geprüft werden, ob die Handlung eine notwendige Bedingung des Zustandekommens des Schadens war.
Geht man von dem Interesse der Rechtsprechung aus, ein zuverlässiges und praktikables Prüfverfahren zu haben, um die für die Strafbarkeit relevante Kausalität zu überprüfen, dann ist der Ansatz der Äquivalenztheorie durchaus angemessen. Doch bereits auf dieser Ebene ergeben sich Probleme, die in der Struktur bestimmter Falltypen bestehen. So werden insbesondere die folgenden zwei Fallgruppen als Herausforderung für diese Theorie angesehen: Fallgruppe 1 (Kausale Überdetermination) Zwei Personen A und B geben einer dritten Person C eine jeweils tödliche Menge Gift in den Kaffee. C trinkt diesen und stirbt. Fallgruppe 2 (Hypothetische Kausalverläufe) Eine Person A erschießt eine andere Person B. Hätte A nicht geschossen, hätte eine dritte Person C gehandelt und B erschossen. Beide Fallgruppen stellen in dem Sinne eine Herausforderung dar, dass nach der klassischen Kausalprüfung ein Kausalzusammenhang verneint werden müsste, obwohl ein solcher eindeutig vorzuliegen scheint. Die Theorie ist also extensional inadäquat, da die Definition von „Ursache“ als notwendige Bedingung extensional zu eng ist: Sie schließt Fälle aus, die offensichtlich erfasst werden sollten. 14 Um diese unerwünschte Konsequenz zu vermeiden, wird im Falle kausaler Überdetermination ein zusätzliches Merkmal von Kausalität hinzugenommen, und zwar das Merkmal der Gesetzeskausalität. 15 Mit Verweis auf die sogenannte gesetzmäßige Bedingung sind A und B in der ersten Fallgruppe trotz Verneinung der notwendigen Bedingung für den Tod 13 14 15
Roxin 2006: 351. Vgl. Hüttemann 2018: 111–118 zur Bewertung der kontrafaktischen Theorie der Kausalität. Diese wird auch Lehre von der „gesetzmäßigen Bedingung“ genannt (Roxin 2006: 355).
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ursächlich geworden, da sie jeweils eine Kausalkette in Gang gesetzt haben, die nach naturgesetzlicher Notwendigkeit zum Tod führt. Die Probleme der zweiten Fallgruppe der hypothetischen Kausalverläufe (preemption) hingegen werden durch eine feinere Individuation des Erfolgs gelöst. Im beschriebenen Fall bedeutet dies, dass der Tod von C im hypothetischen Fall zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten wäre, hätte A nicht geschossen. Dann lässt sich die Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie wieder bejahen, da C nicht zu t1 gestorben wäre, hätte A nicht geschossen, sondern erst zu t1+n. Nun mögen diese Zusatzstrategien der Rechtsprechung pragmatisch zufriedenstellend sein, bereits aus rechtswissenschaftlicher Sicht und erst recht aus philosophischer Perspektive sind sie es keineswegs. Bereits die Definition der Ursache als notwendige Bedingung ist für sich noch nicht wirklich klärend für die Frage, worin die Kausalität von Handlungen besteht, denn aus dem Vorliegen einer notwendigen Bedingung für sich folgt für gewöhnlich noch nicht das Bedingte, es sei denn, die Bedingung ist zugleich hinreichend. Auch lässt sich die Frage aufwerfen, in welchem Zusammenhang singuläre Kausalaussagen, wie sie im Recht zur Debatte stehen, zu generellen (gesetzmäßigen) Kausalaussagen der Art ›Gift F ist tödlich‹ stehen. Schließlich bleibt die Frage nach der Rolle der Ereignisindividuation ungeklärt. Geht man davon aus, dass rechtswissenschaftliche und philosophische Reflexionen über das Thema das Ziel verfolgen, die Rechtsprechung und die dieser zugrundeliegende Rede von Kausalität zu verstehen, dann kann die bisherige Darstellung lediglich ein Anfang sein. Nicht zuletzt deshalb gehen manche Philosoph*innen davon aus, dass für ein solches Verständnis die metaphysische Struktur von Kausalität untersucht werden muss. 16 Da im Folgenden Hegels Verständnis dessen, was heute unter Kausalität im Recht verhandelt wird, thematisiert werden soll, werde ich nun einige Merkmale und Fragen formulieren, die eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema berücksichtigen sollte. Dabei gilt als allgemeine Annahme: Für die rechtliche (meist auch moralische) Vorwerfbarkeit bestimmter Handlungen ist es notwendig, dass die Person, der ein 16
Michael Moore, der momentan prominenteste Philosoph und Rechtswissenschaftler, der sich ausführlich mit der Kausalität im Recht beschäftigt hat, widmet in seiner umfangreichen Studie (Moore 2009) der Metaphysik der Kausalität ein Drittel des Buches. Natürlich hat es auch immer kritische Äußerungen gegenüber der Brauchbarkeit philosophischmetaphysischer Ansätze gegeben. So Stapleton 2009: 749–753. Bereits Max Ernst Mayer hat sich 1899 explizit für die Wichtigkeit einer philosophischen Auseinandersetzung mit der Kausalität für strafrechtliche Zwecke ausgesprochen: „Wir [. . . ] halten daran fest, dass der philosophische Ursachenbegriff für jede Untersuchung des Causalzusammenhangs im Strafrecht den Ausgangspunkt und die Grundlage bilden muss. Andernfalls ist von vornherein auf die philosophische Begründung eines Problems verzichtet, das im eminenten Sinne ein Problem der Philosophie ist und daher nicht anders als philosophisch begründet werden kann.“ Mayer 1899: 4.
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Vorwurf gemacht werden soll, das in Frage stehende Ereignis bzw. den in Frage stehenden Zustand kausal verursacht hat. Einige Fragen, die im Folgenden zu beantworten, und einige Aufgaben, die zu bewältigen sind, lauten: 1) Warum ist die kausale Verantwortung in manchen Fällen Voraussetzung der rechtlichen Verantwortung? 2) Welche Struktur hat die Kausalität, die für Verantwortung relevant ist? 3) Es muss geklärt werden, weshalb von ›Kausalität‹ die Rede ist. 17 4) Die Problemfälle sollten erklärt werden, das bedeutet, sie sollten von der Theorie adäquat erfasst werden. 5) Welche Rolle spielen Gesetzmäßigkeiten für das Thema der Kausalität im Recht? 6) Welches sind die Kausalrelata einer Kausalrelation bzw. können es Entitäten verschiedener Typen sein? Wenn ja, welche sind das? 7) Was sind die Wahrheitsbedingungen von Kausalaussagen? Damit sind Fragen benannt, die an den hegelschen Text gestellt werden können. Prinzipiell sollte eine Theorie der Kausalität im Recht und damit a fortiori auch Hegels Ansatz etwas dazu sagen können. 2.2 Die Rolle der Kausalität in Hegels Grundlinien Nachdem nun ein erster Überblick über die Motive und gängigen Ansätze gegenwärtiger Debatten um Kausalität im Recht dargestellt wurden, soll im Folgenden Hegels Thematisierung der Kausalität betrachtet werden. Dazu wird in einem ersten Schritt dafür argumentiert, dass Hegel tatsächlich Kausalität als wesentlichen Bestandteil rechtlicher Zurechnung betrachtet, wenngleich dies größtenteils implizit bleibt (2.2.1). Im zweiten Schritt wird Hegels Metaphysik der Kausalität aus seiner Wissenschaft der Logik herangezogen, die zum einen ein vertieftes Verständnis von Hegels Kausalitätsdenken in den Grundlinien ermöglicht und zum anderen Bedingung dafür ist, die interne Rolle der Kausalität für das hegelsche System und insbesondere die Grundlinien zu verstehen (2.2.2). Im Anschluss daran wird dann eine genaue Analyse vorgenommen, was unter Hegels Theorie der Kausalität im Recht verstanden werden kann (2.2.3). Nach einer Darstellung der INUS-Theorie Mackies wird dann Hegels Kausalitätsverständnis im Recht mit Mitteln der INUS-Theorie reformuliert (2.2.4).
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Diese Forderung ergibt sich daraus, dass beispielsweise Stapleton den Einwand erhoben hat, dass es im Recht eigentlich gar nicht um Kausalität gehe und man daher gar nicht erst den Ausdruck ›Kausalität‹ verwenden sollte, sondern etwa den des „involvement“. Stapleton 2009: 745–749.
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2.2.1 Verursachung in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts? Um an die expliziten wie impliziten Antworten der einschlägigen Texte Hegels bezüglich des Problemkomplexes der Kausalität im Recht heranzukommen, sind mehrere Schritte vonnöten. Zunächst einmal soll gezeigt werden, dass Hegels Rechtsphilosophie, insbesondere der Teil „Moralität“, Bezüge zum Phänomen der Kausalität herstellt. Dabei werden zwei Thesen gestützt. Es soll erstens gezeigt werden, dass Hegel insbesondere im Abschnitt „Der Vorsatz und die Schuld“ die Kausalrelation zwischen Handlung und moralisch-rechtlichem Erfolg thematisiert. Zweitens wird für die These argumentiert, dass Hegel das Vorliegen einer solchen Kausalrelation als notwendige Bedingung dafür ansieht, dass einem Handlungssubjekt zumindest manche Handlungsfolgen gerechtfertigterweise zugeschrieben werden können. Erst im Anschluss an diese Analyse werde ich Hegels Position zur Kausalität im Recht selbst wieder aufgreifen. In dem Abschnitt „Der Vorsatz und die Schuld“ behandelt Hegel Fragen der Zurechnung bestimmter Folgen des Handelns. Geht man davon aus, dass die Folgen, die einem Subjekt zugeschrieben werden sollen, kausale Folgen des Handelns sind, setzt die Frage nach der Zurechnung voraus, dass überhaupt kausale Folgen vorliegen. Damit ist jedoch für die Zurechnungsfrage als Vorbedingung zu klären, worin die Kausalrelation selbst besteht. Eine erste Schwierigkeit, zu klären, dass es tatsächlich um kausale Folgen in Hegels Rechtsphilosophie geht, besteht darin, dass Hegel nur implizit auf die Verursachungsrelation Bezug nimmt. Er verwendet lediglich implizit kausales Vokabular in Wendungen wie „Die That setzt eine Veränderung“, „veränderte[s] Daseyn“ 18 oder „ein hervorgegangener Zustand ist eine concrete äußere Wirklichkeit“ 19. Expliziter wird es, wenn er von einem Moment eines Zustandes spricht „als Bedingung, Grund, Ursache eines solchen Umstandes“ 20. In § 116 behandelt Hegel dann zwar eigentlich eine Ausnahme 21 von Verantwortungszuschreibung, jedoch spricht er in dem Zusammenhang sogar explizit davon, dass „Dinge, deren Eigenthümer ich bin [. . . ] Schaden verursachen“ 22. Aus der Wendung „Schaden verursachen“ wird ersichtlich, dass Hegel 18 19 20 21
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GW 14,1: § 115, 104. GW 14,1: § 115 Anm., 104. GW 14,1: § 115 Anm., 104. Diese Ausnahme besteht darin, dass andere Dinge als man selbst einen Schaden verursachen, dass also gerade keine Verursachungsrelation zwischen Schaden und Handlung vorliegt, dass dieser Schaden aber dennoch, wie Hegel schreibt, jemandem „zur Last [fällt]“, also einem Subjekt zugeschrieben werden kann. Dabei handelt es sich um juristische Fälle von „Gefährdungshaftung“ und „Garantenpflicht“. GW 14,1: § 116, 104. Hervorhebung T.M.
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in diesem Kontext an kausale Folgen denkt. Der Begriff des Schadens macht zudem deutlich, dass es um die Verursachung ganz bestimmter Zustände geht, nämlich solcher Zustände, die als unerwünscht beschrieben werden. Damit sind wenigstens zwei Dinge festgelegt. Zum einen geht es Hegel um solche Handlungen, die einen Zustand hervorbringen und die ich im Folgenden in Anlehnung an den bereits erwähnten Begriff des Erfolgsdeliktes Erfolgshandlungen nennen möchte. Dabei handelt es sich um Handlungstypen, für die die folgende Bedingung gilt: Ein Handlungstyp H gehört zur Gruppe der Erfolgshandlungen gdw es einen Zustandstyp F gibt, so dass ein Akteur S nur dann eine Handlung vom Typ H vollzogen hat, wenn F realisiert und unabhängig von der Tätigkeit des Akteurs identifizierbar ist. 23 Um als Beispiel den Handlungstyp der Körperverletzung anzuführen, lässt sich demnach sagen, dass eine solche nur dann vollzogen wurde, wenn es tatsächlich die Verletzung des Körpers einer Person gibt, die auch dann identifizierbar ist, wenn man die Tätigkeit, durch die diese Verletzung hervorgerufen wurde, selbst nicht beobachtet hat. 24 Zum anderen zeigt diese Stelle, dass es Hegel primär um die Unterklasse der Handlungen geht, die als schlecht bewertet werden. Dies wird gestützt durch die Tatsache, dass Hegel hauptsächlich strafrechtliche Beispiele nennt, so beispielsweise „Brandstiftung“ und „Tödtung“ in der Anmerkung zu § 119. Verantwortung wird von Hegel also (zumindest primär) für tadelnswertes Handeln diskutiert. 25 23
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Siehe dazu von Wright 2008 [1971]. Dort spricht von Wright von Handlungen, deren Realisierung das Hervorbringen eines Ergebnisses voraussetzen: „Das Ergebnis ist somit eine Phase (ein Teil) des äußeren Aspekts, die (der) wesentlich (d. h. begrifflich, logisch) mit der Handlung selbst verknüpft ist.“ von Wright 2008 [1971]: 86. Vgl. außerdem Taylor 1964: 27–30. Eine ausführliche Diskussion des Themas, das auch unter dem Ausdruck „intrinsic events“ firmiert, findet sich in Ruben 2018, 166–169 und insgesamt Kapitel 5–6. Andere alltägliche Erfolgshandlungen sind ›einen Kuchen backen‹, oder ›ein Bild malen‹. Die andere große Gruppe von Handlungen ließe sich ebenfalls von einem strafrechtlichen Terminus inspiriert Tätigkeitshandlungen nennen. Vgl. für diesen Unterschied auch Taylor 1964: 27–28. Taylor unterscheidet diese zwei großen Gruppen dadurch, dass Erfolgshandlungen auf eine Resultats-/Zielbedingung gerichtet sind, wohingegen für Tätigkeitshandlungen gilt, dass sie in ihrer Ausführung selbst bestehen und durch ein ›Kriterium‹ identifiziert werden. Sein Beispiel für eine Tätigkeitshandlung ist das Tanzen. Dieser Hinweis ist wichtig. Denn in der Debatte um moral responsibility wird diskutiert, ob Verantwortung für Tadelnswertes analog zur Verantwortung für Lobenswertes verstanden werden sollte. George Sher diskutiert zudem noch Fälle prudentiellen Handelns, für die dann auch wieder positiv und negativ bewertetes prudentielles Handeln betrachtet werden kann. Zumindest empirisch lässt sich zeigen, dass die Fälle tadelnswerten Handelns anders bewertet werden als diejenigen lobenswerten Handelns. Siehe dazu den Knobe-Effekt in Knobe 2014. Im Folgenden werde ich die Frage nach den Bedingungen lobenswerten Handelns ausblenden.
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Da nun also in § 116 explizit von einer Verursachungsrelation die Rede ist und dieser Paragraph wiederum eine Sonderform dessen behandelt, was in § 115 und den folgenden §§ 117–118 thematisch ist, kann a fortiori geschlossen werden, dass Hegel insgesamt im Abschnitt „Der Vorsatz und die Schuld“ die Zurechnung kausaler Handlungsfolgen zum Gegenstand macht. 26 Damit sollte die erste These hinreichend gestützt sein. Bevor die Kausalrelation selbst betrachtet wird, muss noch die zweite These begründet werden, die sich auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kausalität und Zurechnung im Allgemeinen bezieht. Zur Stützung dieser zweiten These kann ebenso der bereits zitierte § 116 herangezogen werden. Dazu soll er zunächst als Ganzes zitiert werden: „Meine eigene That ist es zwar nicht, wenn Dinge, deren Eigenthümer ich bin, und die als äußerliche in mannichfaltigem Zusammenhange stehen und wirken, (wie es auch mit mir selbst als mechanischem Körper oder als Lebendigem der Fall seyn kann,) andern dadurch Schaden verursachen. Dieser fällt mir aber mehr oder weniger zur Last, weil jene Dinge überhaupt die Meinigen, jedoch auch nach ihrer eigenthümlichen Natur nur mehr oder weniger meiner Herrschaft, Aufmerksamkeit u. s. f. unterworfen sind.“ 27
Bisher wurde auf diesen Paragraphen Bezug genommen, um zu zeigen, dass es Hegel um eine Kausalrelation zwischen Handlung und Schaden geht. Geht man davon aus, dass eine solche Kausalrelation für die Verantwortungszuschreibung notwendig ist, dann würden Fälle, wie sie Hegel in § 116 beschreibt, gerade nicht eingefangen werden können. Das scheint Hegel abzulehnen, da er ja gerade auch in solchen Fällen eine Verantwortungszuschreibung zulässt. Interessant ist, dass er die Verantwortungszuschreibung in dem Fall jedoch an zwei Bedingungen knüpft. Die erste Bedingung besteht darin, dass die den Schaden verursachenden Dinge Eigentum der Person sind, die für den Schaden verantwortlich ist, bzw., wie im Fall des eigenen Körpers „als mechanischem“, „das abstracte Prädikat des Meinigen“ 28 enthalten. Die zweite Bedingung knüpft Verantwortung an den Grad, in dem diese Dinge der „Herrschaft, Aufmerksamkeit u. s. f. [des Eigentümers / T.M.] unterworfen sind“ 29. Diese zweite Bedingung enthält eine grundlegende Haltung Hegels zu dem 26
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Diese Argumentation könnte angegriffen werden mit dem Verweis darauf, dass es sich in § 116 um eine Ausnahme handelt und daher das dort Gesagte gerade nicht für die anderen Paragraphen gilt. Darauf lässt sich erwidern, dass es sich bei dem Paragraphen zwar um eine Ausnahme handelt, jedoch nicht hinsichtlich der Frage nach einer Verursachungsrelation, sondern hinsichtlich des Unterschieds handelnd vs. nicht-handelnd verursacht. GW 14,1: § 116, 104. GW 14,1: § 115, 104. GW 14,1: § 116, 104.
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Verhältnis zwischen Verursachung und der Zurechnung des Verursachten, die ich in folgendem Prinzip ausdrücken möchte: Verantwortungsprinzip Man sollte nur für das verantwortlich gemacht werden, dessen Eintritt man prinzipiell handelnd hätte verhindern können. 30 Damit ist die handelnde Einflussmöglichkeit eines Akteurs (i) als notwendige Bedingung für die Verantwortung benannt, die einerseits (ii) erklärt, weshalb eine Kausalrelation zwischen Handlung und Schaden in den meisten Fällen notwendig für eine Verantwortungszuschreibung ist, jedoch andererseits (iii) der Möglichkeit gegenüber offen steht, dass der Schaden nicht direkt durch das Handeln eines Subjekts verursacht wurde. 31 Das ›sollte‹ legt außerdem (iv) fest, dass es sich hierbei um eine Norm handelt, die natürlich in der Praxis durchaus verletzt sein kann. Das Merkmal ›prinzipiell‹ (v) soll dann zulassen, dass in einzelnen Fällen, in denen eine konkrete Person in einer konkreten Situation faktisch nicht in der Lage gewesen ist, einen Schaden zu verhindern, sie dennoch verantwortlich gemacht werden darf, vorausgesetzt, die Person hätte verhindern können, nicht in die Lage zu kommen, den Schaden faktisch nicht verhindern zu können. Die Eltern, die ihr Kind allein zu Hause lassen und sich einen schönen Abend im Restaurant machen, konnten in der konkreten Situation nicht verhindern, dass ihr Kind sich beim Spielen verletzt. Sie hätten
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Ob dieses Verhindern in einem aktiven Tun oder einem Unterlassen besteht, wird hier offengelassen. Mit der Rede von ›prinzipiell handelnd hätte verhindern können‹ sollen auch Handlungen eingefangen werden, die selbst grundsätzlich geeignet sind, das in Frage stehende Ereignis zu verhindern, auch wenn diese Möglichkeit im konkreten Fall vielleicht nicht erfüllt war. Damit können sogenannte Frankfurt-Fälle ausgeschlossen werden. Wenn A mit dem Auto auf eine rote Ampel zufährt, nicht bremst und deshalb mit dem Auto von B auf der Kreuzung zusammenstößt, dann ist es denkbar, dass dieser Unfall auch dann geschehen wäre, wenn A auf die Bremse getreten hätte, und zwar dann, wenn die Bremse von A's Auto gar nicht funktioniert hätte. Jedoch lässt sich dennoch eine Unterscheidung treffen zwischen dem Versuch durch Treten auf die Bremse und dem bloßen Nicht-auf-dieBremse-Treten. Um diesen letzteren Unterschied geht es hier. Für die Frankfurt-Fälle um das Verhältnis zwischen moralischer Verantwortung und der Möglichkeit, anders handeln zu können, siehe den Ausgangsartikel Frankfurt 1998 [1969]. Durch dieses dritte Merkmal ist bereits die in der Literatur zur Kausalität im Recht benannte Kritik ausgeräumt, eine Kausalrelation könne nicht notwendig sein für die Verantwortungszuschreibung, da es offensichtlich Fälle gibt, in denen A für einen Schaden verantwortlich gemacht wird, den A selbst gar nicht verursacht hat. Siehe dazu Honoré 2010: 5. Für Fälle der Gefährdungshaftung und Garantenpflichtverletzung ließe sich jedoch sogar die starke These vertreten, dass eine Kausalrelation zwischen Handlung und Schaden in allen Fällen notwendig ist, wenn man Fälle unterlassener Sorgfaltspflicht als Fälle negativer Kausalität, also als Fälle von Unterlassenskausalität, versteht.
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dies jedoch prinzipiell verhindern können, hätten sie das Kind gar nicht erst alleingelassen. Nimmt man nun die erste von Hegel genannte Bedingung (Eigentum) zum Verantwortungsprinzip mit hinzu, dann lässt sich sagen, dass es neben den klassischen Fällen handelnd verursachter Schäden noch solche Fälle gibt, in denen S auch für einen nicht-handelnd verursachten Schaden verantwortlich gemacht werden kann. Dafür muss es sich bei dem Schaden jedoch erstens um etwas handeln, das S prinzipiell auch hätte verhindern können, und es muss zweitens eine zusätzliche Pflicht bestanden haben, die gerade S die Obliegenheit übertragen hatte, einen solchen möglichen Schaden zu verhindern. Konkret gesprochen: Die Eigentümerin eines Mietshauses hat die Pflicht, das Dach des Hauses regelmäßig warten zu lassen. Tut sie dies nicht und fällt ein Ziegel, der locker geworden war, auf das Autodach eines Nachbarn und beschädigt dieses, dann ist dennoch die Hauseigentümerin für diesen Schaden verantwortlich, obwohl sie den Schaden nicht selbst handelnd verursacht hat. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten: In den beiden Abschnitten „Der Vorsatz und die Schuld“ und „Die Absicht und das Wohl“ behandelt Hegel Fragen der Zurechnung von Handlungsfolgen zu einem Handlungssubjekt. Dabei geht es (1) um kausale Folgen des Handelns. Außerdem sind (2) Erfolgshandlungen thematisch, und zwar nur solche, die (3) vorwerfbar sind. 32 Eine grundlegende Bedingung dafür, dass überhaupt kausale Folgen zugerechnet werden dürfen, ist (4), dass das Zustandekommen eines Schadens prinzipiell handelnd verhindert werden kann. Darüber hinaus muss (5) in Fällen, in denen der Schaden nicht durch die Handlung eines Subjekts S selbst verursacht wurde, eine zusätzliche Pflicht für S bestanden haben, den Schaden zu verhindern. Für den Fall, dass keine solche Pflicht bestand, muss zumindest ein Rechtsverhältnis (z. B. Eigentum) bestanden haben, das das Einstehenmüssen für Schäden fundiert. Bevor ich auf das Kausalitätsverständnis Hegels in den Grundlinien eingehe, werde ich zuvor Hegels Metaphysik der Kausalität rekonstruieren, die er in der Wesenslogik von 1813 entwickelt hat. Zwei Gründe sprechen für dieses Vorgehen: Erstens spielt die Kausalität systemintern, und zwar im wesenslogischen Sinne, für die Interessen der Grundlinien eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dies deshalb, weil die Moralität als zweite Stufe der Freiheitsverwirklichung selbst über den wesenslogischen Begriff der Wirklichkeit definiert wird. „Nur im Willen, als subjectivem, kann die Freyheit oder der an sich seyende Wille 32
Rechtlich gesprochen könnte man sagen, dass sie einen rechtlichen Unwert verwirklichen. Daraus folgt natürlich nicht, dass sich deshalb die Analysen und Argumente Hegels nicht auch auf den Bereich lobenswerten Handelns übertragen ließen.
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wirklich seyn.“ 33 Der Begriff der Wirklichkeit wiederum wird in der Wesenslogik entwickelt und Kulminationspunkt dieser Entwicklung ist der Begriff der Kausalität. Zweitens lässt erst eine philosophische Analyse der Relation der Kausalität verständlich werden, weshalb im Recht überhaupt von ›Kausalität‹ die Rede ist. Darüber hinaus wird sich zeigen, dass Hegels metaphysische Kausalitätstheorie auf eine Möglichkeit hinweist, wie die bereits in 2.1 genannten Problemfälle der Äquivalenztheorie vermieden werden können. 2.2.2 Der diskriminatorische Begriff der Kausalität der Wesenslogik Im Folgenden soll Hegels Metaphysik der Kausalität analysiert werden. 34 Dabei wird ein Ergebnis darin bestehen, dass Hegel in der Wissenschaft der Logik einen diskriminatorischen Kausalitätsbegriff vertritt. Der Ausdruck ›diskriminatorisch‹ in diesem Zusammenhang geht auf David Lewis zurück, der in seinem Aufsatz Causation (1973) folgendes Ziel verfolgt: „My analysis is meant to capture a broad and non-discriminatory concept of causation.“ 35 Nichtdiskriminatorisch ist der Begriff der Verursachung bei Lewis also in dem Sinne, dass er weit ist und verschiedene Entitätstypen als Ursachen zulässt. Im Gegensatz dazu ist ein diskriminatorischer Begriff von Kausalität ein enger Begriff, der ganz bestimmte Entitätstypen und nur eine ganz bestimmte Relation als kausal zulässt. Im zweiten Buch seiner Wissenschaft der Logik, der Lehre vom Wesen (1813), handelt Hegel im weiten Sinne „die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt“ 36 ab. Dabei sind verschiedene relationale Kategorien, die in den Wissenschaften primär erklärende Funktion übernehmen, Gegenstand der Untersuchung. Dazu gehört etwa das Verhältnis zwischen Grund und Begründetem, das zwischen Bedingung und Bedingtem und eben auch das zwischen einer Ursache und ihrer Wirkung. Die gesamte Wissenschaft der Logik ist eine Philosophie des Absoluten: „Das Seyn selbst sowie die folgenden Bestimmungen nicht nur des Seyns, sondern die logischen Bestimmungen überhaupt können als Definitionen des Absoluten [. . . ] angesehen werden.“ 37 Wenn aber die logischen Bestimmungen insgesamt als Definitionen des Absoluten betrachtet werden sollen und die Kausalität als Verhältnis von Ursache und Wirkung wiederum eine dieser logischen Bestimmungen ist, muss auch 33 34 35 36 37
GW 14,1: § 106, 99. Ich folge dabei in wesentlichen Zügen der Darstellung in Meyer 2017b. Lewis 2011 [1973]: 196. GW 20: § 114 Anm., 145. GW 20: § 85, 121.
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diese als Definition des Absoluten betrachtet werden. Was darunter zu verstehen ist, lässt sich am besten verdeutlichen, wenn man anstatt vom Absoluten vom Unbedingten spricht. Dann besteht nämlich die Definition der Kausalität in dem Begriff unbedingter Verursachung. Darunter ist dann eine Ursache zu verstehen, die nicht Wirkung einer anderen Ursache ist. Das Vorgängerbegriffspaar in der Wesenslogik ist das Paar Substanz / Akzidenz. Dabei endet dieses Kapitel mit der Formulierung der absoluten oder unbedingten Substanz als der Substanz, die sich ihre eigenen Akzidenzien selbst gibt. Diese Selbstbestimmung müsse nun kausal verstanden werden. Damit ist die Definition der unbedingten Kausalität diejenige einer Substanz, die sich selbst verursacht, und das bedeutet, dass der wahre Begriff der Kausalität in dem Begriff der causa sui besteht: „Die Ursache ist daher an und für sich Causa sui.“ 38 Ziel des wesenslogischen Kausalitätskapitels ist es, diesen Begriff einer causa sui nachvollziehbar zu machen. Anstatt von unbedingter Kausalität lässt sich auch von unendlicher Kausalität sprechen. Das Unendliche unterteilt Hegel allerdings in schlechte und wahre Unendlichkeit. Die schlechte Unendlichkeit besteht lediglich in der Negation des Endlichen, sie besagt also nichts anderes als das Nicht-Endliche. Damit hat sie für Hegel allerdings per Negation noch am Endlichen Anteil, sie ist selbst endlich, da sie darin ihr Ende hat, nicht endlich zu sein. Der Begriff wahrer Unendlichkeit hingegen besteht darin, dass Unendlichkeit im Endlichen selbst verwirklicht sein muss und nicht einfach als dessen Grenze bestimmt wird. Das Kausalitätskapitel ist nun in drei Kapitel unterteilt, deren argumentativer Fortgang wie folgt beschrieben werden kann: Das erste Kapitel „Die Formelle Kausalität“ enthält „die erste einfache Bestimmung“ 39 des Absoluten. Diese besteht in dem bereits genannten Begriff der causa sui. Diesen Begriff entwickelt Hegel dann über den Unterschied zwischen Form und Inhalt. Da es sich bei diesem Begriff zwar schon um den Begriff unendlicher Kausalität handelt, diese jedoch als wahre Unendlichkeit auch als im Endlichen verwirklicht betrachtet werden muss, besteht das zweite Kapitel „Das bestimmte Kausalitätsverhältnis“ darin, zu überprüfen, ob dieser wahre Begriff von Kausalität tatsächlich in Begriffen endlicher Substanzen verwirklicht werden kann. Dieser Argumentationsgang führt dann zu Formen schlechter Unendlichkeit, die im dritten Kapitel „Wirkung und Gegenwirkung“ zur Bestimmung wahrer Unendlichkeit führen, als „die dritte [Bestimmung, sc. des Absoluten / T.M.],
38 39
GW 20: § 153 Anm., 171. Hervorhebung im Original. GW 20: § 85, 121
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als welche die Rückkehr aus der Differenz zur einfachen Beziehung auf sich ist“ 40. Für diese Arbeit sind lediglich die beiden ersten Kapitel zentral. Der Begriff der formellen Kausalität, den Hegel über den Form-Inhalt-Unterschied entwickelt, besagt, dass die absolute Substanz als sich selbst verursachende Substanz verstanden werden muss. Der Form nach ist sie daher asymmetrisch aufzufassen, einmal als Ursache (bewirkende Substanz) und einmal als Wirkung (bewirkte Substanz): „Die Ursache ist das Ursprüngliche gegen die Wirkung.“ 41 Allerdings muss sie dem Inhalt nach in beiden Hinsichten mit sich identisch sein, da sie ansonsten zumindest nicht absolut selbstbestimmt wäre: „Aber diese Wirklichkeit, daß ihr Ansichseyn, ihre Bestimmtheit im Substantialitätsverhältnisse, nunmehr als Bestimmtheit gesetzt ist, ist die Wirkung; die Substanz hat daher die Wirklichkeit, die sie als Ursache hat, nur in ihrer Wirkung.“ 42 Dies führt zu einer internen Spannung, da die absolute Substanz einerseits asymmetrisch und andererseits symmetrisch aufgefasst werden muss. Diese Spannung löst Hegel dadurch auf, dass die Kausalität rein prozessual aufgefasst wird: „ Die Wirkung enthält daher überhaupt nichts, was nicht die Ursache enthält. Umgekehrt enthält die Ursache nichts, was nicht in ihrer Wirkung ist. Die Ursache ist nur Ursache, insofern sie eine Wirkung hervorbringt; und die Ursache ist nichts als diese Bestimmung, eine Wirkung zu haben, und die Wirkung nichts als dies, eine Ursache zu haben. In der Ursache als solcher selbst liegt ihre Wirkung und in der Wirkung die Ursache; insofern die Ursache noch nicht wirkte oder insofern sie aufgehört hätte zu wirken, so wäre sie nicht Ursache, – und die Wirkung, insofern ihre Ursache verschwunden ist, ist nicht mehr Wirkung, sondern eine gleichgültige Wirklichkeit.“ 43
Das prozessuale Verständnis der Kausalität besteht darin, die absolute Substanz als Prozess der Selbstverursachung zu verstehen, so dass die Bestimmung dieser Substanz in nichts anderem besteht, als sich selbst zu verursachen. Nun muss sich dieses Verständnis von Kausalität jedoch noch im Endlichen bewähren. Das führt zum zweiten Kapitel, zum „bestimmte[n] Kausalitätsverhältnis“. Bezogen auf endliche Substanzen bedeutet dies, dass diese auch als causae sui verstanden werden müssen. Dabei kann zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Lesart unterschieden werden. Diese bildliche Redeweise geht auf
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GW 20: § 85, 121. GW 11: 397. GW 11: 397. GW 11: 398.
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McTaggart zurück, der in seinem Kommentar der Wissenschaft der Logik diese zur Interpretationshilfe herangezogen hat. 44 Die vertikale Lesart bezieht sich darauf, dass es ein und dieselbe Substanz sein muss, die als causa sui interpretiert wird. Zwar lässt sich zeigen, dass ein und dieselbe Substanz Ursache und Wirkung ist, jedoch dies jeweils nicht in derselben Hinsicht. Eine Billardkugel kann beispielsweise als Wirkung beschrieben werden, wenn sie durch eine andere Kugel angestoßen wurde. Und sie kann als Ursache beschrieben werden, wenn sie eine andere Kugel anstößt. Jedoch ist sie nicht in dem Sinne Ursache, wie sie Wirkung ist, sie stößt sich nicht selbst an. Dieses Scheitern der vertikalen Lesart kann möglicherweise durch die horizontale Lesart überwunden werden. Horizontal betrachtet wird nun Billardkugel B von Billardkugel A angestoßen. Jedoch sind diese beiden Kugeln nicht miteinander identisch. Aber vielleicht lässt sich im weiteren Rückgang Billardkugel A als causa sui verstehen. Zumindest ist sie eine Ursache. Jedoch ist auch sie, wenn sie nun als Wirkung betrachtet wird, wieder durch eine weitere andere Substanz verursacht. Dieser Versuch führt also zu dem unendlichen Regress von Wirkungen zu Ursachen. Und ein solcher Regress ist das Beispiel schlechter Unendlichkeit, da er in einer nicht-endenden Kette von Wirkungen zu Ursachen besteht. Wie sieht es aber mit der umgekehrten Richtung aus? Betrachtet man eine Substanz als Ursache, also Billardkugel A als Ursache, dann bringt sie Kugel B dazu, zu rollen. Jedoch ist B wiederum eine andere mit A nicht identische Kugel. Aber vielleicht bringt die Betrachtung von B die Analyse nun voran: Einerseits Wirkung, kann sie doch auch wieder Ursache sein. Aber auch dieser Versuch führt zu schlechter Unendlichkeit, diesmal zum unendlichen Progress von Ursachen zu Wirkungen. Damit scheint jedoch das Beweisziel nicht erreicht zu sein. Entweder man betrachtet ein und dieselbe Substanz als Ursache und Wirkung, jedoch ist diese dann nicht in der richtigen Weise Ursache und Wirkung zugleich. Oder man betrachtet jeweils das Ursache- oder das Wirkung-Sein, dann verliert sich die Verursachungsrelation jedoch in immer anderen Substanzen. Jedoch bleibt das Element der Inhaltsidentität der causa sui weiterhin erhalten und definiert dadurch die Kausalitätstheorie Hegels bezogen auf die bestimmte Kausalität: „Wenn die Bewegung eines Körpers als Wirkung betrachtet wird, so ist die Ursache derselben eine stossende Kraft; aber es ist dasselbe Quantum der Bewegung, das vor und nach dem Stoß vorhanden ist, dieselbe Existenz, welche der stoßende Körper enthielt und dem gestoßenen mittheilte; und so viel er mittheilt, so viel verliert er selbst.“ 45 44 45
McTaggart 1910: 173. Auch Sandkaulen 2007: 270 verwendet diese Unterscheidung. GW 11: 399.
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Damit ist das, was mit sich identisch bleibt, eine Größe, die in der Übertragung von einer auf eine andere Substanz gleichbleibt. Kausalität kann dann als dieser Übertragungsprozess verstanden werden. Wichtig ist, dass es hierbei um endliche Kausalität geht, und das bedeutet, um effiziente Kausalität in dem Sinne, wie sie auch in heutigen Kausalitätstheorien relevant ist. Für Hegel ist diese aufgrund ihres schlecht-unendlichen Charakters defizient, jedoch besteht in dieser Übertragung einer Größe das Wesen endlicher Kausalität. Dass es sich hierbei um einen diskriminatorischen Kausalitätsbegriff handelt, liegt daran, dass er über die lokale Eigenschaft zweier Substanzen bestimmt wird, über einen Übertragungsprozess miteinander verbunden zu sein. Jedoch benennt Hegel im zweiten Kapitel des Kausalitätskapitels seiner Wesenslogik noch ein Element, das diesen engen Kausalbegriff erweitert zu einem, der auch für den rechtsphilosophischen Kontext von großer Bedeutung ist: „So wenn z. B. ein Mensch dadurch unter Umstände kam, in denen sich sein Talent entwickelte, daß er seinen Vater verlor, den in einer Schlacht eine Kugel traf, so könnte dieser Schuß (oder noch weiter zurück der Krieg oder eine Ursache des Kriegs und so fort ins Unendliche) als Ursache der Geschicklichkeit jenes Menschen angegeben werden. Allein es erhellt, daß z. B. jener Schuß nicht für sich diese Ursache ist, sondern nur die Verknüpfung desselben mit anderen wirkenden Bestimmungen. Oder vielmehr ist er überhaupt nicht Ursache, sondern nur ein einzelnes Moment, das zu den Umständen der Möglichkeit gehörte.“ 46
Wichtig ist hierbei, dass es neben wirkenden Ursachen im engen Sinne immer auch „Umstände[] der Möglichkeit“ gibt, die zwar selbst nicht verursachen, jedoch vorgelegen haben müssen, damit sich bestimmte Wirkungen entfalten können. Für die weiteren Zwecke dieser Arbeit sei damit Hegels Metaphysik der Kausalität wie folgt zusammengefasst: Kausalität ist eine Relation zwischen Substanzen, wobei die eine wirkende Substanz ›Ursache‹, die bewirkte Substanz ›Wirkung‹ genannt wird. Ein adäquates Verständnis dessen, was diese Relation ausmacht, setzt den Begriff der causa sui voraus, einer Substanz, die Ursache ihrer selbst ist. Auf endliche Substanzen angewandt führt dies dazu, dass Kausalität eine Relation zwischen Einzeldingen ist. Die Relation selbst besteht in einem Übertragungsprozess einer Größe von der Ursachesubstanz auf die Wirkungssubstanz. Da für Hegel ein solcher Prozess in einer Veränderung besteht, lässt sich die Kausalrelation auch als eine Relation zwischen Ereignissen an Substanzen reformulieren. Wichtig ist, dass diese Form von Kausalität defizient ist, da sie dem Begriff der causa sui nicht entspricht. Zudem ist 46
GW 11: 400.
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festzuhalten, dass Kausalität metaphysisch betrachtet für Hegel eine diskriminatorische Relation ist. Nicht jede Bedingung für den Eintritt eines Ereignisses ist gleichermaßen eine Ursache dieses Ereignisses, sondern genau ein Ereignis ist die Ursache. Dabei ist das diskriminierende Merkmal gerade der Übertragungsprozess zwischen zwei Substanzen. Damit kann übergegangen werden zu Hegels Kausalitätsverständnis in den Grundlinien, das im Folgenden als eine Erweiterung des diskriminatorischen Kausalitätsbegriffs verstanden werden soll, also eines solchen weiten Kausalbegriffs, der bereits in der Wesenslogik über den Begriff der „Umstände der Möglichkeit“ angesprochen worden war. 2.2.3 Der nicht-diskriminatorische Begriff der Kausalität der Grundlinien Nachdem nun die Relevanz der Kausalität für Hegels Grundlinien begründet und seine Metaphysik der Kausalität rekonstruiert wurde, soll im Folgenden die Rolle der Kausalität in den Grundlinien dargestellt werden. Wie bereits erwähnt, besteht eine Schwierigkeit, Hegels Theorie der Kausalität im Recht zu explizieren, darin, dass Hegel die Kausalrelation in den einschlägigen Paragraphen nicht explizit diskutiert, auch wenn er, wie gezeigt, voraussetzt, dass das Vorliegen einer Kausalrelation notwendige Bedingung für die Verantwortungszuschreibung ist. Was Hegel allererst interessiert, sind Fragen danach, welche der tatsächlich vorliegenden kausalen Folgen einem Subjekt auch zugerechnet werden dürfen, so dass diese Person für diese Folgen verantwortlich gemacht werden kann, und wie die Einschränkung der Zurechnung auf bestimmte Folgen gerechtfertigt werden muss. Ich werde im Folgenden darstellen, was Hegel in den Grundlinien und darin im Teil „Die Moralität“ unter der Verursachungsrelation versteht. Insbesondere soll gezeigt werden, dass Hegel im Rahmen der Rechtsphilosophie einen weiten, d. h. nicht-diskriminatorischen Begriff von Kausalität zugrunde legt, der neben Ereignissen und Substanzen auch Zustände, Bedingungen und Gründe als relevante Faktoren zulässt. Zudem geht Hegel davon aus, dass für das Zustandekommen eines Ereignisses und des daraus resultierenden Zustandes eine Menge an solchen Faktoren im Verbund vorliegen muss. Demnach ist die Wahl einer bestimmten Bedingung als Ursache selbst von pragmatischen Erwägungen abhängig. Über die grundlegende Unterscheidung zwischen Tat und Handlung ist Hegel dann weiter in der Lage, die Gesamtheit der Kausalfolgen einer Tat von den Kausalfolgen derselben zu unterscheiden, die dem Handelnden auch zugerechnet werden dürfen. Insbesondere fünf Thesen werden im Folgenden aufgestellt und begründet. Es wird erstens gezeigt, dass Hegel in den Grundlinien eine Kausalitätsauffassung vertritt, bei der die Ursache in einem Teil eines Komplexes aus für sich
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notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen besteht. Die Wahl einer dieser Bedingungen als Ursache hängt von pragmatischen Erwägungen ab. Zweitens wird dafür argumentiert, dass Hegel zwischen Ereignissen und ihren Beschreibungen unterscheidet. Dabei stehen Ereignisse in Kausalrelationen zueinander. Hegel unterscheidet drittens zwischen Tat und Handlung, wobei eine Tat diejenige Aktivität 47 ist, für die etwaig Verantwortung besteht. Handlung ist eine Tat unter allen Beschreibungen, unter denen sie absichtlich war. Tat hingegen ist die Aktivität, auch unter den Beschreibungen, unter denen sie nicht absichtlich war. Ich gehe davon aus, dass etwas sogar dann als Tat gelten kann, wenn es unter keiner Beschreibung absichtlich war. Nach Hegel besitzt, so wird viertens gezeigt, auch die nicht-diskriminatorische Kausalrelation die Eigenschaft der Transitivität. Somit gilt für alle x, y und z: Wenn ›x verursachte y‹ und ›y verursachte z‹ der Fall ist, dann ist auch ›x verursachte z‹ der Fall. Schließlich soll fünftens gezeigt werden, dass Kausalität als Relation zwischen der Tat und dem in Frage stehenden Erfolg deshalb notwendig für Verantwortung ist, weil die tätige Verursachung von Veränderungen in der Welt Teil der Willensverwirklichung ist. Um nun die genannten Thesen auf Grundlage der Paragraphen der Grundlinien zu stützen, werde ich zunächst § 115 als ganzen zitieren, da dieser Text einen Großteil der genannten Behauptungen enthält. Danach werde ich den Text analysieren. „§. 115. [1] Die Endlichkeit des subjectiven Willens in der Unmittelbarkeit des Handelns besteht unmittelbar darin, daß er für sein Handeln einen vorausgesetzten äußerlichen Gegenstand mit mannichfaltigen Umständen hat. [2a] Die That setzt eine Veränderung an diesem vorliegenden Daseyn und [2b] der Wille hat Schuld überhaupt daran, insofern in dem veränderten Daseyn das abstracte Prädicat des Meinigen liegt. [3] Eine Begebenheit, ein hervorgegangener Zustand ist eine concrete äußere Wirklichkeit, die deswegen unbestimmbar viele Umstände an ihr hat. [4] Jedes einzelne Moment, das sich als Bedingung, Grund, Ursache eines solchen Umstandes zeigt, und somit das Seinige beygetragen hat, kann angesehen werden, daß es Schuld daran sey oder wenigstens Schuld daran habe. [5] Der formelle Verstand hat daher bey einer reichen Begebenheit (z. B. der fran-
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Siehe Keller 1977 für die Normierung von ›Aktivität‹: „Ich möchte ‚Aktivität` einfach verstanden wissen als ‚Gegenstand der Interpretation als Handlung`, als eine Art Dummy-Wort für das ‚x` in der Satzform: ‚A interpretiert x als y`“, zitiert nach Harras 2004, 15; siehe auch Quante 1993 zu Tun und Tätigkeit. Ich verwende im Folgenden ›Tätigkeit‹ und ›Aktivität‹ austauschbar.
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zösischen Revolution) an einer unzähligen Menge von Umständen die Wahl, welchen er als einen, der Schuld sei, behaupten will.“ 48
Der erste Satz [1] benennt zunächst eine allgemeine Charakteristik des sogenannten subjektiven Willens, und zwar dessen Endlichkeit. Diese Charakterisierung macht die Ausgangssituation deutlich, von der jede einzelne Handlung jeweils ausgeht. Unter dem ›subjektiven Willen‹ ist hier der Wille eines einzelnen Handlungssubjekts zu verstehen. Jeder Akteur ist mit Endlichkeit behaftet. Bezogen auf den Kontext menschlichen Handelns besteht diese Endlichkeit darin, dass man sich als Handelnde immer bereits in einer konkreten Situation befindet, mit ganz bestimmten Eigenschaften, die zunächst unmittelbar gegeben sind. 49 Dies sei an einem Beispiel illustriert: Ich sitze jetzt gerade in meinem Büro des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Es ist Samstag, der 31. 10. 2015 um 22.47 Uhr, draußen ist es dunkel, die ersten Halloweenfans ziehen durch die Stadt, der Raum ist erwärmt, ich bin müde. Vor mir auf dem Schreibtisch steht mein Notebook, auf das ich bis gerade gestarrt habe, um mir zu überlegen, was ich nun schreiben soll. Dies ist die Endlichkeit meines subjektiven Willens in der Unmittelbarkeit des Handelns. Da ich die Absicht verfolge, einen Text zu verfassen, und der Überzeugung bin, dass dies nur dann verwirklicht werden kann, wenn ich dann auch tatsächlich anfange, etwas zu schreiben, beginne ich also, auf der Tastatur meines Notebooks zu tippen. Dieses Beispiel drückt die „Endlichkeit [. . . ] in der Unmittelbarkeit“ des Handelns aus. Mit dem ersten Satz von § 115 beschreibt Hegel also die jeweilige Ausgangssituation, in der sich ein jedes endliches Handlungssubjekt befindet, bevor es dann zu handeln beginnt. 50 Der zweite Satz des Haupttextes von § 115 enthält zwei weitere Aussagen. Die erste Aussage [2a] besagt, dass die Tat eine Veränderung an dem besagten vorliegenden Dasein setzt. Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Das vorliegende Dasein hatte ich zuvor beschrieben, ich hätte noch hinzufügen sollen, dass die Seite des Word-Dokuments noch nicht beschrieben ist. Denn die Veränderung an dem vorliegenden Dasein besteht darin, dass ich durch das Tippen auf der Tastatur den Zustand der Seite von unbeschrieben zu beschrieben ändere. Ich interpretiere Hegels Wendung „setzt eine Verände48 49
50
GW 14,1: § 115, 104. Ganz allgemein kann man sich dieses Merkmal verständlich machen, wenn man einen Moment innehält und sich überlegt, wie die Situation beschaffen ist, in der man sich gerade befindet. Eine ausführliche Besprechung dieses Satzes und der darin vorkommenden logischen Kategorien werde ich erst im Teil über den Begriff des Wissens vornehmen. Natürlich muss man sich die genannten Umstände der jeweiligen Situation nicht jedes Mal bewusstmachen und tut dies auch in sehr vielen Fällen nicht.
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rung“ nun so, dass ein veränderter Zustand verursacht wird. Um diesen Text zu schreiben, muss ich meine Finger bewegen und die jeweiligen Tasten drücken. Das Drücken der Tasten wiederum löst dann einen Mechanismus aus, der dazu führt, dass die jeweiligen Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen. Um dann den verursachenden Charakter meiner Handlung explizit zu machen, könnte man sagen, ›indem ich auf die Tastatur tippe, verursache ich, dass Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen‹. 51 Was ein solches Geschehen zu einer Tat macht, lässt sich über die zweite Aussage [2b] erläutern. Hegel spricht davon, dass der Wille an dem benannten veränderten Dasein Schuld hat, insofern in dem benannten Dasein „das abstracte Prädicat des Meinigen liegt“. Dieses „abstracte Prädicat des Meinigen“ liegt dann in dem veränderten Dasein, wenn die Tat diese Veränderung verursacht hat. Daher steht die Rede von Schuld an dieser Stelle für bloße kausale Schuld oder auch kausale Verantwortung. Das bedeutet dann, dass alles, was unter ›Tat‹ fällt, auch in Kausalrelation zu mir steht. Aber es wäre merkwürdig, alles, was in Kausalrelation zu mir steht, deshalb auch schon zu meiner Tat zu rechnen. Von einer Tat zu sprechen besagt mehr, ist es doch etwas, was wir tun. Um dies einzufangen, schlage ich vor, den Ausdruck ›Aktivität‹ zu verwenden, und eine Aktivität muss überhaupt nicht unter irgendeiner Beschreibung absichtlich sein. 52 Die anschließende Anmerkung des § 115 legt nahe, dass Hegel an Ereignisse bzw. Zustände als Kausalrelata denkt. Gleich der Anfang [3] „Eine Begebenheit, ein hervorgegangener Zustand“ lässt sich so deuten, dass unter ›Begebenheit‹ aufgrund der prozessualen Bedeutung ›Ereignis‹ zu verstehen ist. Von ›Zustand‹ spricht Hegel dann selbst. Dass dieser Zustand hervorgegangen ist, legt wiederum nahe, dass Hegel unter ›Zustand‹ das Resultat von Ereignissen versteht, so dass sowohl Ereignisse als auch Zustände als Kausalrelata, insbe51 52
Natürlich ließe sich dieser Prozess noch wesentlich feiner individuieren. Vgl. Quante 1993: 28: „Der Begriff der ‚Tat` umfaßt aber alle Beschreibungen eines Handlungsereignisses, die das Tun nicht aus der Perspektive des Handelnden selbst erfassen.“ Problematisch an dieser Bestimmung von Tat als Gesamtheit der Beschreibungen eines Handlungsereignisses ist, dass damit Beschreibungen zur Tat gehören, von denen man nicht sagen würde, dass sie das sind, was die Person getan hat. Zudem wird für die Verwendung des Ausdrucks ›Tat‹ dann immer präsupponiert, dass eine Handlung vorgelegen habe. Letztlich verwendet Hegel mit der Unterscheidung zwischen Tat und Handlung strafrechtswissenschaftliches Vokabular seiner Zeit. Siehe dazu etwa die Unterscheidung bei von Almendingen 1803: 28: „Handlung wird hierbey der bloßen That entgegengesetzt. Jene liegt in einer willkürlichen und verständigen Zweckbestimmung menschlicher Kraft. Bey dieser ist keine solche willkührliche, vielleicht nicht einmal eine verständige Zweckbestimmung vorhanden, z. B. bey der That eines Schlafwandlers und Rasenden“. Alznauers Vorschlag, die Tat als gerichtliche Handlung (actio) zu bestimmen, ist auf jeden Fall ganz abwegig (Alznauer 2015: 132). Siehe die Kritik in Meyer 2017d. ›Tat‹, wie es hier verstanden wird, entspricht dem weiten Begriff des Willens bei Quante 1993, 28.
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sondere an der Wirkungsstelle, fungieren können. 53 Das Resultat einer Tat sei, so Hegel, eine „ concrete äußere Wirklichkeit“, die aufgrund dieser Eigenschaft „unbestimmbar viele Umstände an [sich] habe“. Diese Rede von unbestimmbar vielen Umständen interpretiere ich so, dass darunter unbestimmbar viele Beschreibungen des neuen Zustandes verstanden werden müssen bzw. unbestimmbar viele Eigenschaften des Zustandes. 54 Im zweiten Satz der Anmerkung [4] ist nun die Rede von ›Momenten‹, die ihren Teil zum Entstehen des Zustandes, des veränderten Daseins, beigetragen haben. Unter solche Momente können nach Hegel Bedingungen, Gründe und Ursachen fallen. Demnach hat, um mein Beispiel wieder aufzugreifen, mein Notebook ebenso seinen Teil dazu beigetragen, dass dieser Text entstanden ist, wie die Elektrizität, die die Stadtwerke Münster zur Verfügung stellten. Hegel sagt nun, dass diese verschiedenen Momente, die dem Zustandekommen eines bestimmten neuen Zustandes behilflich sind, angesehen werden können, zitiert werden können, als etwas, das an dem veränderten Zustand „ Schuld [. . . ] sey oder wenigstens Schuld [. . . ] habe“. Den Unterschied zwischen ›Schuld sein‹ und ›Schuld haben‹ vorerst beiseitegelassen, lässt sich diese Aussage wie folgt verstehen: Veränderungen, die in der Welt stattfinden, haben immer mehrere Umstände zu ihrer Voraussetzung, die sie ermöglichen und die zusammen für ihr Zustandekommen hinreichend sind, es sind eben die „ Umstände der Möglichkeit“ 55 der Veränderung. Den Oberbegriff für alle diese verschiedenen Voraussetzungen bezeichnet Hegel mit dem Ausdruck ›Moment‹. Da unter diese Momente nun auch Zustände und Dinge fallen – Dinge, denen man für gewöhnlich keine rechtliche oder moralische Verantwortung zuschreibt, wie etwa mein Notebook –, Hegel jedoch davon spricht, dass man jedes dieser Momente zitieren kann als etwas, das Schuld an dem Zustandekommen des Umstandes hat, muss unter dem Ausdruck ›Schuld‹ an dieser Stelle eine nicht moralisch oder rechtlich konnotierte Relation zwischen Entitäten in der Welt verstanden werden. Ich schlage daher vor, den hegelschen Ausdruck ›Moment‹ an dieser Stelle durch ›Bedingung‹ zu ersetzen und den Ausdruck ›Schuld‹ durch ›hinreichende oder notwendige Bedingung‹. Den Unterschied zwischen ›Schuld sein‹ und ›Schuld haben‹ kann man dann so rekonstruieren, dass ein Ereignis A dann Schuld an einem weiteren Ereignis B ist, wenn es für das Zustandekommen von B hinreichende Bedingung war. Ist A hingegen für das Zustandekommen von B lediglich notwendige Bedingung, dann hat es Schuld an B. Das gilt natürlich nur, wenn B tatsächlich stattgefunden hat, also neben 53
54 55
Damit verwendet Hegel einen ähnlich weiten Ereignisbegriff wie Baumgartner / Graßhoff 2004: 36, womit er die auch im Alltag verwendete weitere Redeweise sowohl von Ereignissen als auch Zuständen als Ursachen und Wirkungen einfängt. Vgl. Keil 2006. So die Formulierung in der Wissenschaft der Logik GW 11: 400.
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A weitere Bedingungen, die gemeinsam hinreichend waren, erfüllt sind. 56 Nun verwendet Hegel ›Schuld‹ außer für kausale Bedingtheit auch noch für die Verantwortung für bestimmte kausale Folgen. Diese zweite Bedeutung von ›Schuld haben‹ im Sinne von ›verantwortlich sein‹ wird aus folgendem Satz in § 117 deutlich: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag.“ 57
Wenn ›Schuld haben‹ ›notwendige Bedingung für das Zustandekommen eines Ereignisses sein‹ bedeutet, dann ist die Verwendung in § 117 eine davon abweichende Verwendung für zuschreibbare kausale Folgen des Handelns. Aufgrund dieser Ambiguität schlage ich daher vor, die Rede von ›Schuld‹ in § 115 zu ersetzen durch die Rede von ›kausaler Bedingung‹. Damit lässt sich dann zeigen, dass Hegel zwischen kausal hinreichenden und kausal notwendigen Bedingungen unterscheidet. Zugleich zeigt dies, dass Hegel in seiner Analyse kausaler Bedingungen als Zuschreibungsgrundlage genau das zum Gegenstand macht, was gegenwärtig unter dem Ausdruck Kausalität im Recht diskutiert wird. Der dritte Satz der Anmerkung von § 115 [5] legt nun dar, dass für die Frage, was ein bestimmtes Ereignis verursacht hat, verschiedene Bedingungen als Ursachen zitiert werden können. Das bedeutet (i), dass mehrere Bedingungen gemeinsam dafür erfüllt sein müssen, dass der jeweilige Umstand eintritt, da man nur dann die Wahl zwischen verschiedenen Bedingungen hat, wenn auch tatsächlich verschiedene Bedingungen vorliegen, und (ii), dass verschiedene dieser Bedingungen jeweils zitiert werden können als die Ursache dieses Ereignisses, denn der „formelle Verstand“ habe die Wahl. Geht man davon aus, dass Hegel unter dieser Wahl nicht bloße Willkür verstanden hat 58, dann lässt sich 56
57 58
Damit stimme ich teils überein mit Quante 1993: 157: „Man kann Hegels Unterscheidung von ‚schuld sein` oder ‚schuld haben` verstehen als Unterscheidung zwischen notwendiger und hinreichender Bedingung (im Falle von ‚schuld sein`) und notwendiger Bedingung (im Falle von ‚schuld haben`). Hegels Abschwächung des ‚schuld haben` kommt durch ‚wenigstens` zum Ausdruck und läßt sich so verstehen, daß damit nur die Notwendigkeit, nicht aber auch das Hinreichende erfasst werden soll.“ Gegen Quantes Interpretation meine ich jedoch, dass der Ausdruck ›Schuld sein‹ durchaus zulässt, dass etwas zwar hinreichende, jedoch nicht notwendige Bedingung für das Bedingte ist, wie etwa in Fällen der Überdetermination. GW 14,1: § 117, 105. Diese Lesart ist nicht abwegig, da Hegel den Ausdruck ›Verstand‹ und Redeweisen wie ›verständiges Denken‹ usw. häufig pejorativ verwendet. Meist handelt es sich dabei um defiziente Erkenntnismodi. Vgl. für diese Lesart die Ausführungen zum Begriff des kausalen Feldes bei Mackie in 2.2.4.
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als Kriterium der jeweiligen Wahl das jeweilige Erkenntnisinteresse benennen, wodurch die Benennung eines Ereignisses als Ursache eines anderen Ereignisses eine pragmatische Komponente erhält. 59 Die Unterscheidung zwischen Ereignis und Beschreibung sollte aus § 115 hinreichend deutlich geworden sein, ebenso die These, dass Ereignisse in Kausalrelationen stehen und dass außerdem an dem Zustandekommen eines neuen Zustandes, eines veränderten Daseins, mehrere Bedingungen beteiligt sind, von denen man jeweils eine als Ursache zitieren kann. Damit vertritt Hegel für rechtliche Kontexte einen nicht-diskriminatorischen Kausalitätsbegriff. Die Wahl der einen und nicht der anderen Bedingung als Ursache ist darüber hinaus von pragmatischen Erwägungen geleitet. Neben der rein kausalen Bedeutung von ›Schuld‹ gibt es noch die askriptivistische Bedeutung, für die jedoch die Unterscheidung verschiedener Beschreibungen ein und desselben Ereignisses relevant wird. Um Missverständnisse zu vermeiden, habe ich vorgeschlagen, die rein kausale Redeweise von Schuld zu ersetzen durch die Rede von kausalen Bedingungen, so dass ›Schuld‹ weiterhin für Verantwortung verwendet werden kann. Neben diesen Unterscheidungen nimmt Hegel noch eine weitere terminologische Unterscheidung vor, und zwar die zwischen ›Tat‹ und ›Handlung‹. Die den beiden Ausdrücken eigentümliche Bedeutung ergibt sich aus der bereits zitierten Stelle aus § 117: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag.“ 60
›Handlung‹ bezeichnet dann die Beschreibungen der Tat, unter denen sie absichtlich war. 61 Dies ergibt sich aus dem Begriff des Vorsatzes. 62 Da Hegel hier von „seiner That [meine Hervorhebung / T.M.]“ spricht, liegt die Vermutung nahe, dass ›Tat‹ voraussetzt, dass eine Handlung vollzogen wurde, dass es also tatsächlich wenigstens eine Beschreibung gibt, unter der das Ereignis absichtlich war. Allerdings hatte bereits der Verweis auf von Almendingen gezeigt, 59
60 61
62
Diesen pragmatischen Zug betont auch Quante und benennt den Umstand, dass häufig diejenigen Ereignisse von Interesse sind, die von dem gewöhnlichen, erwartbaren Ereignisverlauf abweichen: Quante 1993: 155 f, Fn. 16. Für den Bereich des Strafrechts ist das abweichende Ereignis das Bestehen eines straftatbestandlichen Erfolges und deshalb werden eben die konkreten kausalen Bedingungen für diesen Erfolg geprüft. GW 14,1: § 117, 105. Damit bilden Handlungssätze einen intensionalen Kontext, ihr Wahrheitswert hängt also davon ab, ob die darin verwendeten sprachlichen Ausdrücke auch der Beschreibung und Perspektive des jeweiligen Handlungssubjektes entsprechen. Für den Unterschied extensionaler / intensionaler Kontext und Lesarten de dicto / de re siehe Jäger 2008. Vgl. zu dieser Interpretation des Vorsatzes Kapitel 3; dazu generell Quante 2011: 212–213.
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dass unter ›Tat‹ auch eine Aktivität verstanden werden kann, die unter gar keiner Beschreibung absichtlich war. Auch zu einer Schlafwandlerin würden wir zwar sagen: „Du bist gestern geschlafwandelt und hast von der Arbeit erzählt. Dann hast du den Kühlschrank geöffnet und dir ein Brot geschmiert“. Wir würden also Handlungsvokabular verwenden, was meines Erachtens anzeigt, dass es hierbei zumindest um Tätigkeiten geht. Allerdings würden wir dieses Tun unter der zugeschriebenen Beschreibung nicht absichtlich nennen. Handlung hingegen muss eine unter wenigstens einer Beschreibung absichtliche Tat sein, Hegel schränkt den Handlungsbegriff auf all die Beschreibungen ein, unter denen die Tat absichtlich war. Diese Einschränkung lässt sich damit begründen, dass eine Tat als möglicher Kandidat einer Handlung erst noch als solche ausgewiesen werden muss. Da die Zuschreibung einer Tat nicht die interne wissende Perspektive berücksichtigt, diese jedoch für die Geltung der Tat als Handlung notwendig ist, besteht die Handlung nur in den gewussten Aspekten der Tat. Die Ausdrücke ›Tat‹ und ›Handlung‹ seien dann in folgendem Sinne normiert: Tat
›Tat‹ bezeichnet eine Aktivität, für die und deren Folgen möglicherweise Verantwortung besteht. Die Zuschreibung einer Tat läuft über Beschreibungen, die dem Tatsubjekt nicht zugänglich sein müssen. 63 Handlung ›Handlung‹ bezeichnet eine Tat unter all den Beschreibungen, unter denen sie auch dem Subjekt bei Beginn der Tat bewusst waren. 64 Um nochmals mein Eingangsbeispiel zu bemühen: Angenommen, ich schreibe bereits einige Zeit vertieft an meinem Text. Plötzlich tippt mich meine Kollegin an, die mittlerweile ins Büro gekommen ist, und bittet mich, nicht so stark in die Tasten zu hauen, da dies doch ein etwas 63
64
Vgl. Quante 1993: 142–143: „Ein Ereignis als ‚Tat` zu beschreiben, heißt, die Involviertheit des Willens im engen Sinne zu unterstellen, es als freiwillig zu begreifen, ohne allerdings die Perspektive des Handelnden auf sein eigenes Tun bei der Beschreibung einzunehmen.“ Allerdings setzt Quante ›freiwillig‹ dann mit ›vorsätzlich‹ gleich, was hier abgelehnt wird. Ein Ereignis kann dann durchaus als Tat bezeichnet werden, auch wenn es unter gar keiner Beschreibung vorsätzlich vollzogen wurde. Wichtig ist hingegen die Aktivität. Siehe für das Merkmal der Aktivität als zentralem Bestandteil menschlichen Handelns Mayr 2011: 6. Da Hegel in § 117 davon spricht, dass der Einzelne ein Recht habe, sich nur Bestimmtes als Handlung zurechnen zu lassen, Handlungen also einen askriptivistischen Aspekt enthalten, er jedoch neben diesem Recht der Subjektivität auch ein Recht der Objektivität einräumt, lässt sich fragen, inwiefern die Geltung einer Tat als Handlung in manchen Fällen auch solche Beschreibungen zulässt, die dem Handelnden gerade nicht wissentlich zugänglich waren. Siehe dazu Taylor 1964: 30 f. Darauf werde ich in der Besprechung des Rechts der Objektivität in Kapitel 3 eingehen.
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zu lautes Geräusch verursache. Sie könne sich dabei gar nicht konzentrieren. In diesem Fall gehört die Beschreibung ›Thomas Meyer hat seine Kollegin durch lautes Tippen gestört‹ zwar zu meiner Tat, jedoch nicht zu meiner Handlung, da mir nicht bewusst war, dass ich durch das Schreiben zugleich die Kollegin gestört habe. Hegel selbst beschreibt den Unterschied zwischen Tat und Handlung mit Bezug auf das von ihm so bezeichnete „ heroische Selbstbewusstseyn“ 65, wie es die Protagonisten der klassischen attischen Tragödie repräsentieren, so, dass der Unterschied zwischen Tat und Handlung ein Unterschied zwischen „der äußerlichen Begebenheit [= Tat / T.M.] und dem Vorsatze und Wissen der Umstände“ 66 sei. Damit sollte auch die dritte These begründet sein. Bleiben noch die vierte und die fünfte These zu begründen. Die These der Transitivität der Kausalrelation ergibt sich aus den §§ 118 und 119. Zu Beginn von § 118 spricht Hegel davon, dass das bereits öfters erwähnte äußerliche veränderte Dasein weitere Folgen hat. Hegel schreibt, dass sich dieses Dasein „nach seinem Zusammenhange in äußerer Nothwendigkeit nach allen Seiten entwikkelt“ 67. Aufgrund dieser Tatsache habe jede Veränderung weitere „mannichfaltige Folgen“. An einem mittlerweile schon klassischen Beispiel von Wrights sei dies verdeutlicht: S beabsichtigt, das Fenster zu öffnen, um frische Luft in das Zimmer zu lassen. Nachdem sie das Fenster geöffnet hat, strömt frische Luft in das Zimmer, eine Folge, die S auch beabsichtigt hat. Zugleich folgt jedoch auch, dass die Temperatur in dem Zimmer absinkt, eine zwar notwendige jedoch von S nicht beabsichtigte weitere Folge ihrer Handlung. Um nun sagen zu können, S habe das Abkühlen des Zimmers (mit-)verursacht, muss man davon ausgehen, dass sich die Kausalrelation zwischen der Handlung des Fensteröffnens, dem Einströmen der Luft und dem Absinken der Temperatur erhält. 68 Dass Hegel eine solche transitive Übertragung kausaler Relationen vertritt, lässt sich der Tatsache entnehmen, dass die weiteren Folgen auch prinzipiell zurechenbar sein sollen, auch wenn Unwissenheit weiterer Folgen des eigenen Handelns die Zurechnung einschränken kann. Das wiederum setzt jedoch voraus, dass die Kausalrelation eine transitive Relation ist. 69
65 66 67 68 69
GW 14,1: § 118 Anm., 106. GW 14,1: § 118 Anm., 106. GW 14,1: § 118, 105. Frei nach von Wright 1971: 66. Ob und in welchen Fällen man zeitlich weiter auseinanderliegende Ereignisse in einer Kausalrelation zitiert, mag selbst von pragmatischen Erwägungen abhängen. Dies liegt daran, dass sich die explanatorische Kraft einer Kausalaussage zur zeitlichen Entfernung der darin vorkommenden Kausalrelata invers verhält.
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Ein weiterer Beleg für die Transitivitätsthese lässt sich § 119 entnehmen. In diesem Paragraphen, der bereits den zweiten Abschnitt „Die Absicht und das Wohl“ einleitet, führt Hegel den Begriff der Absicht als Wissen um die Allgemeinheit einer Handlung ein. Das Allgemeine einer Handlung besteht darin, dass nicht nur der unmittelbare Effekt einen Handlungstyp ausmacht, sondern mitunter ein längerer kausaler Prozess, der durch die unmittelbare Tätigkeit in Gang gesetzt wird. Daher spricht Hegel in der Anmerkung davon, dass „[d]as Urtheil über eine Handlung als äußerliche That [. . . ] derselben ein allgemeines Prädicat [erteilt], daß sie Brandstiftung, Tödtung u. s. f. ist.“ 70 Diese Rede von allgemeiner Eigenschaft eines Tuns lässt sich an dem von Hegel genannten Beispiel der Brandstiftung verdeutlichen. Das, was ein Brandstifter tatsächlich tut, ist in manchen Fällen lediglich das Anzünden eines Zündholzes, welches er an einen brennbaren Gegenstand legt. Die allgemeine Eigenschaft einer solchen Tat besteht jedoch darin, dass sie kausal zur Folge hat, dass ein ganzes Haus niederbrennt. Wenn man von Brandstiftung spricht, meint man diesen gesamten Kausalzusammenhang, begonnen beim Anzünden des Streichholzes bis hin zum Niederbrennen des Hauses. Die Allgemeinheit bestimmter Handlungstypen besteht damit in einem kausalen Implikationsverhältnis zwischen verschiedenen Handlungs- bzw. Ereignistypen bzw. zwischen deren Beschreibungen. 71 Ein Streichholz anzünden ist ein Handlungstyp, der jedoch unter bestimmten Umständen weitere Handlungstypen verwirklicht. Anders formuliert: Es gibt Handlungstypen, die darin bestehen, dass man durch eine Tätigkeit einen kausalen Prozess in Gang setzt, der durchaus eine längere zeitliche Ausdehnung haben kann. Das kausale Endprodukt dieses Prozesses wird dann häufig mit in die Handlungsbeschreibung einbezogen und konstituiert dadurch den Handlungstyp mit. Häufig wird dann die Realisierung des kausalen Produktes so ausgedrückt, dass man sagt, ein Handelnder habe es dadurch hervorgebracht, dass er etwas anderes tat. So könnte man sagen, A habe den Tod eines anderen Menschen B dadurch verursacht, dass er ihn vergiftete. Streng genommen ist dies dann jedoch gerade ein Fall, bei dem das, was A faktisch tut, zunächst nur darin besteht, dass A dem B Gift in den Kaffee mischt. Die Transitivität der Kausalrelation ist damit eine Präsupposition der Bestimmung der Absicht. Was schließlich die letzte fünfte These anbelangt, so kann gesagt werden, dass für Hegel Verantwortung als Willensverwirklichung kausal verankert ist. Die Willensverwirklichung, wie sich in Kapitel 1 gezeigt hat, läuft über die Identität zwischen subjektivem und objektivem Zweck. Diese Identität wird 70 71
GW 14,1: § 119 Anm., 107. Man könnte diese Handlungstypen mit Feinberg auch ›kausal komplex‹ nennen (Feinberg 1985: 202).
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jedoch erst über die Kausalkette der übersetzenden Tätigkeit hin zum Erfolg gedeckt. Gäbe es also die Transitivität der Kausalrelationen nicht, dann wäre die Willensverwirklichung zum Scheitern verurteilt. Es ist daher konsequent, auch die Verursachung als Teilaspekt der Willensverwirklichung zu begreifen, so dass die Zuschreibung eines Zustandes zu einem Subjekt ohne das Vorliegen einer Kausalrelation dieses Subjekts zu diesem Zustand das Dasein des freien Willens verhindern würde. Umgekehrt würde auch das Unterbleiben einer Zuschreibung eines tatsächlich verursachten Zustandes dieses Dasein des freien Willens verhindern. So, wie das Verantwortungsprinzip eingeführt wurde, lässt sich daher auch ein Recht der Verursachung benennen: Einzelne haben das Recht, sich nur das zurechnen zu lassen und nur an dem schuld zu sein, was sie auch tatsächlich verursacht haben. 72 Zusammenfassend gilt also: Hegels nicht-diskriminatorischer Kausalitätsbegriff für rechtliche Kontexte besteht darin, dass (i) Ereignisse und Zustände in Kausalrelationen stehen, wobei Ereignisse bzw. das Hervorbringen von Zuständen (ii) durch mehrere verschiedene vorangegangene Ereignisse und Zustände im Verbund verursacht wird. Aus dieser Menge an Bedingungen, die gemeinsam hinreichend sind und jeweils notwendig dafür, dass das Bündel hinreichend sein kann, können (iii) verschiedene als Ursache zitiert werden, wobei (iv) das Kriterium der Wahl von pragmatischen Erwägungen und Erkenntnisinteressen abhängt. Außerdem unterscheidet Hegel (v) verschiedene Beschreibungen ein und desselben Ereignisses. Über die Unterscheidung zwischen Tat und Handlung kann Hegel den Unterschied zwischen zurechenbaren und nicht zurechenbaren Kausalfolgen eines Handlungsereignisses einfangen. Schließlich muss festgehalten werden, dass Hegel aufgrund der Unterscheidung zwischen der Gesamtheit der kausalen Folgen und der Menge der zurechenbaren kausalen Folgen einen weiten und nicht-normativen Begriff von Kausalität vertritt. Dieser nicht-diskriminatorische Kausalitätsbegriff entspricht dem, was Mackie über das Akronym INUS entwickelt hat. Damit komme ich zur Darstellung der Kausalitätstheorie John Leslie Mackies, wie er sie in seinem Aufsatz Causes and Conditions (1965) und in seiner späteren Monographie The Cement of the Universe (1974) entwickelt hat.
72
Das Verantwortungsprinzip hatte die Handlung, für die Verantwortung besteht, als notwendige Bedingung des zu Verantwortenden ausgewiesen (2.2.1). Das Recht der Verursachung hingegen nimmt Bezug darauf, dass eine Handlung auch hinreichend bzw. maßgeblich für das zu Verantwortende sein muss.
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2.2.4 Die INUS-Theorie der Kausalität und Hegels Grundlinien Der Annahme folgend, dass Hegels Kausalitätsverständnis für rechtliche Kontexte in weiten Teilen durch eine bedingungstheoretische Kausalanalyse in Begriffen der INUS-Theorie rekonstruiert werden kann, soll nun dieser Ansatz selbst vorgestellt werden, um Hegels Kausalverständnis in rechtlichen Kontexten mittels dieser Theorie zu reformulieren. Bevor ich Mackies Kausalitätstheorie darstelle, werde ich zunächst zwei Gründe nennen, die dafürsprechen, gerade eine INUS-Theorie heranzuziehen, um über Hegels eigenes Kausalitätsverständnis mehr Klarheit zu erlangen. Erstens wird im deutschen Strafrecht prominent von Ingeborg Puppe ein solcher Ansatz vertreten. Die Strafrechtswissenschaft ist wiederum eine in verschiedener Hinsicht sinnvolle Grundlage für eine Auseinandersetzung mit Hegels Kausalitätstheorie, zum einen, weil Hegel selbst immer Bezüge zur Rechtspraxis herstellt, zum anderen, weil sich gerade die Strafrechtswissenschaft mit dem Thema Verantwortung und Verursachung intensiv auseinandersetzt. Da Hegel selbst Wert auf einen Bezug seiner Rechtsphilosophie zum faktischen Recht legt, wäre mit diesem Bezug zum gegenwärtigen Strafrecht prima facie auch dies gewährleistet. Zweitens hat für Hegel der Kausalitätsbegriff Relevanz, weil sich dessen Grenze am Begriff des Zwecks und der Teleologie bemessen lässt, der wiederum Grundlage für seine Freiheitstheorie ist. Der Zweck ist letztlich der Begriff, mittels dessen Hegel überhaupt seine Zurechnungslehre bestimmen kann. Dieser wiederum setzt den Begriff der Kausalität voraus. Da sich Mackie selbst kritisch mit der Teleologie auseinandersetzt 73, ist damit zugleich die Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung mit Hegels Ansatz ermöglicht. Damit komme ich zur Darstellung der INUS-Theorie der Kausalität. Die Kausalitätstheorie Mackies knüpft an folgende Überlegung zur Bedeutung von Kausalaussagen an: Einzelne Ereignisse geschehen und Zustände werden hervorgebracht. Was raumzeitlich verwirklicht ist, muss – so nehmen wir zumindest an – verursacht worden sein bzw. muss einen Grund, eine Voraussetzung, eine Ursache haben. Für ein konkretes Ereignis bzw. einen konkreten Zustand b muss sinnvoll die Frage gestellt werden können: Wieso ist es der Fall, dass b geschah bzw. dass der Zustand b besteht? Außerdem muss eine solche Frage auch prinzipiell beantwortbar sein. 74 Angenommen, b sei zu t1 geschehen bzw. zu t1 verwirklicht. Dann wird man für eine Kausalerklärung ein x suchen, so 73 74
Mackie 1974: 270–296. Vgl. die Diskussion in Meyer 2017c. Diese zweite Behauptung über raumzeitlich Individuiertes entspricht dem Kausalprinzip, das in dieser Form jedoch einen weiten Kausalitätsbegriff voraussetzt, wie ihn Mackie auch vertritt: Mackie 1974: 2.
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dass x zu t1-n stattgefunden hat und das Zustandekommen von b verursacht hat. Entdeckt man ein bestimmtes Ereignis a als das gesuchte x, dann stellt man die Aussage ›a verursachte b‹ auf. Die Frage, die Mackie zunächst klären möchte, ist, welche Bedeutung Kausalaussagen dieser Art haben. Wenigstens zwei Lesarten sind möglich: (i) Eine Aussage der Art ›a verursachte b‹ bedeutet, dass a stattgefunden hat und daraufhin b stattfand und dass b stattfand, weil a stattfand. Dieser Lesart zufolge war das frühere Ereignis a eine hinreichende Bedingung für das spätere Ereignis b. (ii) Eine Aussage der Art ›a verursachte b‹ bedeutet, dass a stattgefunden hat und daraufhin b stattfand und dass b nicht eingetreten wäre, wenn a nicht stattgefunden hätte. Dieser zweiten Lesart zufolge ist die zitierte Ursache a also eine notwendige Bedingung für den Eintritt von b. Aus diesen zwei Lesarten lässt sich eine dritte konstruieren, der entsprechend die Bedeutung einer Kausalaussage wie ›a verursachte b‹ die folgende wäre: (iii) a hat stattgefunden und daraufhin fand b statt. b fand gerade deshalb statt, weil a stattfand, und b wäre nicht eingetreten, hätte a nicht stattgefunden. Demnach besagt eine Kausalaussage, die ein Ereignis als Ursache eines anderen Ereignisses zitiert, dass das Ursache-Ereignis eine notwendige und hinreichende Bedingung für das WirkungsEreignis gewesen ist. An dieser Interpretation von Kausalaussagen setzt nun Mackies Analyse an. Dazu verwendet er als Beispiel einen Hausbrand, um daran diese Interpretationen der Bedeutung von Kausalaussagen zu überprüfen: „Suppose that a fire has broken out in a certain house, but has been extinguished before the house has been completely destroyed. Experts investigate the cause of the fire, and they conclude that it was caused by an electrical short-circuit at a certain place.“ 75
Die singuläre Aussage würde dann wie folgt lauten: ›Ein Kurzschluss zum Zeitpunkt t1 hat den Ausbruch des Feuers zum Zeitpunkt t1+n verursacht.‹ Der zuvor genannten Bedeutungsanalyse entsprechend würde diese Aussage bedeuten, dass ein Kurzschluss zu t1 stattgefunden hat (= ›a‹; diese Aussage sei bestätigt) und dass daraufhin zu t1+n ein Feuer im Haus ausgebrochen sei (= ›b‹; diese Aussage ist natürlich ebenso bestätigt, da es sich dabei gerade um das Explanandum handelt). Außerdem wird behauptet, dass das Feuer zu t1+n gerade wegen des Kurzschlusses ausgebrochen sei und nicht ausgebrochen 75
Mackie 1965: 245.
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wäre, hätte der Kurzschluss nicht stattgefunden. Mackie überprüft nun sowohl die Behauptung der notwendigen als auch der hinreichenden Bedingtheit zwischen den beiden Ereignissen. Notwendig ist dieser konkrete Kurzschluss sowohl deshalb nicht gewesen, weil auch ein Kurzschluss an einer anderen Stelle das Feuer hätte entfachen können, wie auch deshalb, weil ein Hausbrand noch durch andere Umstände als einen Kurzschluss entfacht werden kann. Hinreichend ist dieser Kurzschluss jedoch ebenso wenig gewesen, da zudem beispielsweise auch brennbares Material vorgelegen haben muss. Damit wird jedoch die Frage aufgeworfen, was denn dann die benannte singuläre Kausalaussage bedeuten sollte. „At least part of the answer is that there is a set of conditions [. . . ] which combined with the short-circuit constituted a complex condition that was sufficient for the house's catching fire – sufficient, but not necessary, for the fire could have started in other ways.“ 76
Da das zu erklärende Ereignis, der Hausbrand, bereits stattgefunden hat, muss auch eine dafür hinreichende Bedingung erfüllt gewesen sein. Wenn das als Ursache in Frage stehende Ereignis, der Kurzschluss, für sich nicht hinreichend gewesen ist, muss er es, so der Schluss, in Verbindung mit noch weiteren Bedingungen gewesen sein. Diese Verbindung von Bedingungen ist dann jedoch bereits auf der Typenebene hinreichend für das Wirkungsereignis. Wenn man nun die einzelnen Bedingungen qua Ereignistypen mit den Buchstaben ABC, den Ereignistyp des Wirkungsereignisses hingegen mit P bezeichnet, dann kann folgende Kausalaussage aufgestellt werden: ABC → P 77 Da es sich hierbei um Ereignistypen handelt, wird mit dieser Aussage behauptet, dass jede gemeinsame Instanziierung der Ereignistypen A, B und C hinreichend für eine Instanziierung des Ereignistyps P ist. 78 Eine solche Verbindung von Bedingungen ist also zwar hinreichend für den Eintritt eines Ereignisses, jedoch nicht notwendig, so dass Mackie nun diese Aussage durch Hinzufügung eines Disjunktes im Antezedens erweitert, das selbst wieder eine Konjunktion
76 77
78
Mackie 1965: 245. Beispielsweise sei A = Kurzschluss, B = Vorhandensein brennbaren Materials, C = Vorhandensein von Sauerstoff und P = Hausbrand. Der Satz muss dann gelesen werden als: Für jeden Fall, in dem A, B und C instanziiert sind, ist auch P instanziiert, wobei die Instanziierung von ABC zeitlich vor der Instanziierung von P liegen muss. Hüttemann 2018: 73.
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verschiedener Bedingungen (beispielsweise DEF) darstellt, die auch allein für das Wirkungsereignis hinreichend wären. Damit erhält man eine Erweiterung: (ABC ∨ DEF) → P Angenommen, es gebe für den Ereignistyp P genau drei solcher hinreichender Bedingungskomplexe, dann könnte folgendes Bikonditional gebildet werden: (ABC ∨ DEF ∨ GHI) ↔ P Damit hätte man eine kausal notwendige und hinreichende Bedingung für einen Ereignistyp, die jedoch selbst eine Disjunktion verschiedener für sich hinreichender Bedingungskomplexe ist. 79 Nun wurde zu Beginn in dem Beispiel des Hausbrandes ein einzelnes Ereignis, der Kurzschluss, als Ursache zitiert. Das Verhältnis dieses Kurzschlusses zum Wirkungsereignis kann nun neu bestimmt werden: „Yet it [each single factor / T.M] is clearly related to P in an important way: it is an insufficient but non-redundant part of an unnecessary but sufficient condition: it will be convenient to call this (using the first letters of the italicized words) an inus condition.“ 80
Bisher war ich davon ausgegangen, dass ein Ereignistyp P drei hinreichende kausale Bedingungskomplexe hat. Nun ist zum einen nicht ausgemacht, dass dies für den Ereignistyp des Hausbrandes überhaupt der Fall ist, zum anderen gilt dies aber auf jeden Fall nicht von anderen Ereignistypen. Da Mackies Theorie qua Kausalitätstheorie jedoch generell für alle möglichen Fälle Anwendung finden soll, muss die bisherige Formel erweitert werden. Dazu führt Mackie noch allgemeinere Variablen ein: Ein Ereignistyp A ist eine INUS-Bedingung für P, wenn A in Verbindung mit noch weiteren Ereignistypen X 81 für jeden Fall einer Instanziierung zu einem Ereignis des Typs P führt. Formal würde dies das folgende materiale Konditional ausdrücken: AX → P Geht man davon aus, dass ein Ereignistyp P verschiedene Ursachen haben kann, muss die Formel durch ein Disjunkt erweitert werden, so dass dadurch zugleich ein notwendiges und hinreichendes Bedingungsgefüge entsteht: 79 80 81
Diese Ausführungen entsprechen Mackie 1974: 61 f. Mackie 1974: 62 Durch die Variable X wird nun ein Platzhalter für alle weiteren INUS-Bedingungen eingeführt, die gemeinsam mit A zu P führen. Damit kann Mackie auch solche Fälle einfangen, bei denen unser Kausalwissen nicht alle INUS-Bedingungen abdeckt.
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(AX ∨ Y) ↔ P 82 Damit wird gesagt, dass für jedes Ereignis gilt: Es gibt mindestens einen Bedingungskomplex, der für den Eintritt dieses Ereignisses hinreichend ist und in dem vorliegenden Fall auch realisiert war. Jede einzelne Bedingung dieses Bedingungskomplexes ist eine INUS-Bedingung dieses Komplexes. Die Instanziierung welcher INUS-Bedingung man in einem konkreten Fall als Ursache zitiert, ist von pragmatischen Interessen abhängig. Generell kann gesagt werden, dass gerade diejenigen Umstände häufig als Ursache zitiert werden, die von dem gewöhnlichen, erwartbaren Geschehensablauf abweichen. Demnach wäre es in den meisten Fällen eines Hausbrandes irrelevant, das Vorhandensein von Sauerstoff als die Ursache des Brandes zu nennen, da dies die Normalbedingung ist. Jedoch ließe sich auch ein Fall denken, in dem gerade die Anwesenheit von Sauerstoff als Ursache die erklärende Antwort wäre, wenn es sich in dem Fall um ein Gebäude handelte, das zu wissenschaftlichen Zwecken sauerstofffrei war. 83 Für diesen Aspekt der pragmatischen Wahl einer bestimmten INUS-Bedingung verwendet Mackie den Begriff des kausalen Feldes 84: „These matters may be clarified to some extent if we realize that causal statements are commonly made in some context, against a background which includes the assumption of some causal field. A causal statement will be the answer to a causal question, and the question ‚What caused this explosion?` can be expanded into ‚What made the difference between those times, or those cases, within a certain range, in which no such explosion occurred, and this case in which an explosion did occur?` Both cause and effect are seen as differences within a field; anything that is part of the assumed (but commonly unstated) description of the field itself will, then, be automatically ruled out as a candidate for the role of cause.“ 85
Da für den Fall der Verantwortung für einen (meist handelnd) verursachten Schaden geprüft werden muss, was und im Falle des Handelns wer wodurch den Schaden verursacht hat, also eine Kausalaussage zu prüfen ist, muss dafür ein kausales Feld festgelegt werden, das dann bestimmte kausale Faktoren konstant hält. Auf der Grundlage werden dann die jeweils als relevant erachteten und als kausal zu prüfenden Faktoren variiert. Da im Bereich der Verantwortungszuschreibung menschliches Handeln die relevante Größe darstellt, muss 82
83 84
85
Hierbei übernimmt Y die vollständige Disjunktion aller weiteren Konjunktionen von INUS-Bedingungen. So auch Feinberg 1985: 215 mit Bezug auf Hart und Honoré. Diesen hat er von seinem akademischen Lehrer John Anderson übernommen: Anderson: 1938. Mackie 1974: 34–35.
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gerade in einem konkreten Fall das Handeln eines Akteurs variiert werden. Wenn z. B. geprüft werden soll, ob jemand A den Tod eines Menschen B durch Vergiftung verursacht hat, ergibt es keinen Sinn, die Handlung ›Hinzufügung einer giftigen Substanz zum Kaffee des Opfers‹ konstant zu halten und die Menge des hinzugefügten Giftes zu variieren. Stattdessen muss man sich fragen, ob das Ereignis ›Tod eines Menschen durch Vergiftung‹ eingetreten wäre, hätte der Handelnde A das Gift nicht in den Kaffee geschüttet. Angenommen jedoch, die Todesursache soll geprüft werden und es steht zur Debatte, ob die Menge Gift, die A dem Kaffee hinzugefügt hat, für den Tod von B hinreichend war. Dann ist es irrelevant, ob A oder sonst irgendwer dem Kaffee Gift beigemischt hat. Man könnte sagen, dass die Handlung des A nur dann notwendig für den Tod des B gewesen sein kann, wenn die Menge des hinzugefügten Giftes hinreichend für den Tod war. Die Rede davon, dass eine bestimmte Menge eines Giftes bei Einnahme hinreichend ist für den Tod eines Menschen, scheint eine Gesetzmäßigkeit auszudrücken, die wissenschaftlich untersucht und geprüft werden kann. Wie kann hingegen geprüft werden, ob eine bestimmte Handlung beispielsweise für den Tod eines Menschen notwendig gewesen ist? Dies führt zur Erläuterung des Verhältnisses zwischen singulären und generellen Kausalaussagen. Wie bereits erwähnt ist für den Fall rechtlicher und moralischer Verantwortung ein Schaden bereits eingetreten. Damit liegt ein Urteil nach dem Schema ›zu t1 ist der Schaden d eingetreten‹ vor. Daraufhin muss geprüft werden, ob rechtliche oder moralische Verantwortung für diesen Schaden besteht. Das kausale Feld legt fest, dass überhaupt nur Taten als Kausalfaktoren in Frage kommen. Der INUS-Theorie zufolge muss eine Tat h eines Subjekts S, die den Schaden d verursacht haben könnte, ein notwendiger Teil des für d hinreichenden Bedingungskomplexes gewesen sein. Da der in Frage stehende Teil notwendig dafür sein soll, dass der vorliegende Bedingungskomplex für d auch tatsächlich hinreichend sein konnte, muss geprüft werden, ob bei Ausbleiben der Tat der Schadenseintritt auch ausgeblieben wäre. Man muss also die Wahrheit folgender Aussage prüfen: ›Der Schaden d zu t1 wäre nicht eingetreten, hätte S zu t1-n die Tat h nicht ausgeführt.‹ Die Frage nach der Wahrheitsbedingung einer solchen kontrafaktischen Aussage verweist nun auf generelle Kausalaussagen. Mackie nennt zwei Verfahren, kontrafaktische Aussagen zu überprüfen. Nach dem ersten stellt man sich den Verlauf des Geschehens so vor, dass man, alles andere fix gehalten, die Tat hinwegdenkt und sich dann fragt, ob der Schaden dann noch eingetreten wäre. 86 Das zweite Verfahren
86
Diesem Prüfverfahren folgt man auch im deutschen Strafrecht gemäß der Conditio-sinequa-non-Formel, die auf Maximilian von Buri zurückgeht. Siehe die Formel „dass als Ur-
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geht davon aus, dass die Bestätigung der kontrafaktischen Abhängigkeit über generelle Aussagen gestützt wird. „In asserting singular causal sequences we are talking, in part, not only about what has occurred but about what would or would not have occurred had things been different, that is, about some merely possible situations and events. We have, I suggested, two ways of doing this, a primitive one and a sophisticated one. The primitive one relies on imagination and analogy, but the sophisticated one uses general propositions, which sustain the counterfactual conditionals.“ 87
Das erste Verfahren beruht, wie Mackie ausführt, lediglich auf der Vorstellung über den Verlauf der Dinge, wohingegen das zweite Verfahren Bezug nimmt auf wissenschaftlich gestütztes kausales Gesetzeswissen. Auf den Fall der Vergiftung angewandt lässt sich dann sagen: Die Aussage, dass der Tod des B nicht eingetreten wäre, hätte A dem Kaffee kein Gift beigemischt, wird zum einen dadurch begründet, dass die tödliche Wirksamkeit der besagten Menge Gift wissenschaftlich gestützt ist. Diese wissenschaftliche Stützung setzt jedoch voraus, dass eine letale Dosis des Giftes auch tatsächlich eingenommen wurde. Für rechtliche und moralische Kontexte kommt eine Mischung beider Prüfungsverfahren zur Anwendung. Denn für den konkreten Fall ist die Einnahme des Giftes als notwendige Bedingung dafür, dass das Gift allererst wirken konnte, die Handlung des A gewesen. Die Wahrheit der Aussage, dass B durch das Trinken des Kaffees kein Gift zu sich genommen hätte, wenn A dem Kaffee kein Gift beigemischt hätte, wird durch ein Gesetzeswissen gestützt, das zwar nicht naturwissenschaftlich, aber durch unsere alltäglichen Handlungspraxen gestützt wird. Es ist Teil unseres Alltags, dass Menschen Kaffee trinken, und in den seltensten Fällen folgt auf die Einnahme eines Kaffees der Tod durch die Wirkung eines Giftes. Damit sollte die INUS-Theorie der Kausalität hinreichend dargestellt sein, um nun Hegels Kausalitätstheorie in den Grundlinien reformulieren zu können. Wie oben ausgeführt, behandelt Hegel zunächst Erfolgshandlungen. Für die Klärung der Verantwortung bereits verursachter Schäden kann dann gesagt werden, dass ein für den jeweiligen Schaden hinreichender Bedingungskomplex bereits verwirklicht worden sein muss. Daher muss für die Frage nach der jeweiligen Verantwortung eines ganz konkreten Schadens immer nur eine singuläre Kausalaussage geprüft werden. Damit sind Möglichkeitserwägungen
87
sache jede Bedingung eines Erfolges anzusehen sei, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele“ Roxin 2006: 351. Mackie 1974: 59–60.
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ausgeschlossen, die sich auf in dieser Welt prinzipiell nicht Realisierbares beziehen. 88 Dafür, dass überhaupt Verantwortung geprüft wird, muss eine zumindest angenommene Handlung a vorgelegen haben. Dann ließen sich die Schritte zur Formulierung der zu prüfenden Kausalaussage nach Mackies Ansatz formal wie folgt darstellen: 1. (AX ∨ Y) ↔ P 2. p 3. Also: ax ∨ y Für die Prüfung der Handlung a muss folgende Kausalaussage geprüft werden: ›ax verursachte p‹. Für die Prüfung dieser Aussage muss zum einen ausgeschlossen werden, dass bereits ein anderer hinreichender Bedingungskomplex y für p realisiert war. Außerdem müssen neben der Handlung a die weiteren INUS-Bedingungen x geprüft werden. Für x muss dann mitunter naturwissenschaftlich gestütztes Gesetzeswissen herangezogen werden, wie der Gift-Fall zeigt. Um es in der Sprache von § 115 zu sagen: „Eine Begebenheit, ein hervorgegangener Zustand ist eine konkrete äußerliche Wirklichkeit, die deswegen unbestimmbar viele Umstände an ihr hat“, d. h. p ist nun der Fall. Für diese konkrete äußerliche Wirklichkeit p muss also eine Menge an Bedingungen erfüllt gewesen sein, die für sich hinreichend für das Zustandekommen von p waren (ax ∨ y). Insofern kann man auch sagen: „Jedes einzelne Moment, das sich als Bedingung, Grund, Ursache eines solchen Umstandes zeigt, und somit das Seinige beygetragen hat [ax ∨ y/T.M.], kann angesehen werden, daß es Schuld daran sey oder wenigstens Schuld daran habe.“ 89 Hieran sieht man nochmals, dass Hegel jede Bedingung, die am Zustandekommen eines Ereignisses beteiligt war, wenigstens „Schuld“ daran hat und damit an dieser Stelle lediglich von kausaler Schuld oder auch kausaler Verantwortung die 88
89
Dieser Hinweis ist deshalb von Relevanz, weil innerhalb kausalitätstheoretischer Debatten eine Kritik an Mackie besagt, dass seine Theorie die modale Kraft von Kausalrelationen nicht adäquat beschreiben könne. Dies liege daran, dass es sich bei den Regularitäten Mackies um Modalitäten in unserer Welt handelt: „Es kommt in unserer Welt tatsächlich nicht vor, dass ein einzelnes Ereignis y des Typs Y eintritt, ohne dass auch ein Ereignis x des Typs X eingetreten ist.“ Hüttemann 2018: 73. Somit muss der Einwand der mangelnden modalen Kraft der INUS-Theorie der Kausalität in dieser Arbeit nicht weiter diskutiert werden, da alle für diesen Kontext relevanten Fälle solche sind, die in dieser Welt verwirklicht werden können. Qua retrospektiver Verantwortung geht es immer schon um bereits in dieser Welt Verwirklichtes. Dies kommt auch Hegels eigener Haltung gegenüber Möglichkeitserwägungen entgegen: „Es gibt daher kein leereres Reden, als das von solcher Möglichkeit und Unmöglichkeit. Insbesondere muß in der Philosophie von dem Aufzeigen, daß Etwas möglich, oder daß auch noch Etwas anderes möglich, und daß Etwas, wie man es auch ausdrückt, denkbar sey, nicht die Rede seyn.“ GW 20: § 143 Anm., 165. GW 14,1: § 115, 104.
Hegel-Studien
Die Rolle der Kausalität in Hegels Grundlinien
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Rede ist. Außerdem sieht man, dass die Rede vom Beitrag des Seinigen bei Hegel eine rein kausale Bedeutung haben kann. Da es nun eine ganze Menge an Bedingungen gibt, die einen kausalen Beitrag geleistet haben, hat „[d]er formelle Verstand [. . . ] bey einer reichen Begebenheit [. . . ] an einer unzähligen Menge von Umständen die Wahl, welchen er als einen, der Schuld sey, behaupten will“. 90 Es müssen zusätzliche Erkenntnisinteressen benannt werden, die das Kriterium dafür sind, welche dieser Umstände auf ihren kausalen Beitrag hin untersucht werden sollen. Nun steht im Recht die Kausalprüfung einer ganz bestimmten Bedingung im Zentrum, und zwar einer solchen, die Verantwortung begründen kann. Dafür kommt nur eine menschliche Tat 91 in Frage (a). „Die That setzt eine Veränderung an diesem vorliegenden Daseyn und der Wille hat Schuld überhaupt daran, insofern in dem veränderten Daseyn das abstracte Prädicat des Meinigen liegt.“ 92 Wenn das abstrakte Prädikat des „Meinigen“ in dem kausalen Beitrag besteht und eine Grundlage für die Willensschuld bildet, muss zunächst lediglich auf eben diesen kausalen Beitrag hin geprüft werden. Insofern es sich bei einem Geschehen überhaupt um die Tätigkeit eines Willenssubjektes handelt, so lässt sich nun sagen, ist nur dann ein erster Teil der Verantwortung für ein weiteres Geschehen oder einen Zustand, der daraus resultierte, erfüllt, wenn die Tätigkeit im Sinne einer INUS-Theorie Ursache des Geschehens war. Da INUS-Bedingung zu sein dann aber bedeutet, dass ein solcher Bestandteil auch notwendig für das Zustandekommen des in Frage stehenden Ereignisses war, wird nun verständlich, weshalb die so geläufige Äquivalenztheorie der Kausalität als Prüfverfahren einer conditio sine qua non trotz aller theoretischer Probleme so funktionstüchtig ist. Allerdings schließt dies nicht aus, dieses Verfahren einmal durch ein intersubjektiv nachvollziehbares und einer wissenschaftlichen Prüfung standhaltendes Verfahren zu ersetzen. Eine letzte Frage bleibt noch zu klären. Zu Beginn von 2.2 wurde dafür argumentiert, dass Hegels Rede von den Folgen, für die dann Verantwortung geprüft wird, primär auf kausale Folgen Bezug nimmt. Dies hatte nicht ausgeschlossen, dass Hegels Verwendung von ›Folge‹ in wenigstens noch einer weiteren Bedeutung vorkommt. Ein Kandidat sind soziale Folgen, wobei dieser Ausdruck einer Erläuterung bedarf. Sofern Kausalfolgen auch probabilistisch verstanden werden, ließe sich die Kausalrede auch auf soziale Phänomene übertragen. Diese Fälle sind im Strafrecht unter dem Ausdruck der ›psychischen Kausalität‹ bekannt. 93 Dabei geht es um die handelnde Beeinflussung 90 91
92 93
GW 14,1: § 115 Anm., 104. Wie oben erwähnt, muss es sich dabei zunächst um ein aktives Tun handeln. Die Frage der Unterlassensverantwortung wird erst an späterer Stelle (5.3.2) diskutiert. GW 14,1: § 115, 104. Siehe dazu Roxin 2006: 364–365.
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anderer. Das Halten einer Rede, in der etwa zu illegalen Handlungen aufgefordert wird, könnte dann soziale Folgen nach sich ziehen. Allerdings lassen sich diese Folgen unter die Kausalfolgen subsumieren und bilden insofern keinen eigenen Typ von Folgen. Es gibt jedoch noch einen anderen Begriff von Folgen, die im eigentlichen Sinne sozial genannt werden können. Dabei geht es um Folgen, die sich auf Grund von konstitutiven Regeln im Sinne Searles ergeben. Die Grundformel dieser Regel lautet: „X counts as Y in C.“ 94 Paradebeispiele für konstitutive Regeln sind Verwendungsregeln sprachlicher Ausdrücke. Alternativ können etwa Konventionen genannt werden, wie etwa die, dass man in einem Restaurant durch das Heben des Arms einen Kellner an seinen Tisch heranruft. Wenn A in einem Restaurant sitzt und seinen Arm hebt, um sich kurz zu dehnen, und der Kellner als Folge an seinen Tisch tritt, dann ist diese Reaktion seitens des Kellners eine soziale Folge des Armhebens durch A. Es ist angebracht, auch diese Fälle von Folgen unter dem Label „Kausalität im Recht“ abzuhandeln, wobei der Unterschied klargemacht werden muss, dass es sich dabei nicht um Naturgesetze oder Naturregularitäten handelt. Allerdings fallen auch diese Arten von Folgen in den Bereich des Deskriptiven. Wieso dies der Fall sein soll, mag irritieren, sind doch konstitutive Regeln selbst normativ, da sie eben vorschreiben, wie eine bestimmte Geste oder ein bestimmtes Wort zu verstehen ist. Diese normative Komponente drückt sich in dem „gilt als“ aus. Nun muss man unterscheiden zwischen der Frage, ob es gerechtfertigt ist, dass eine bestimmte konstitutive Regel in Geltung ist, und der Frage, ob sie in Geltung ist. Letzteres ist eine reine Tatsachenfrage. Und vorausgesetzt, in einer bestimmten Gesellschaft gilt ein bestimmtes Tun als eine bestimmte Handlung, lässt sich eben die soziale Folge als Folge des Tuns ausweisen. Diese Sonderfälle von Folgen, die als Zurechnungsobjekte in Frage kommen, sind allerdings im Vergleich zu Kausalfolgen insofern unproblematisch, als sich in den meisten Fällen klar auf Regeln verweisen lässt, die festlegen, ob nun ein bestimmtes Tun eben eine solche Folge nach sich gezogen hat oder nicht. Ein letztes Beispiel von Folgen, die nicht im eigentlichen Sinne naturgesetzlich gestützte Kausalfolgen sind, können Einflussarten genannt werden wie etwa der ökonomische Einfluss unseres Konsumverhaltens. Unsere Nachfrage etwa nach Produkten, die unter fairen Bedingungen produziert wurden, kann durchaus Einfluss darauf nehmen und somit zur Folge haben, dass Unternehmen zunehmend ihre Produkte unter fairen Bedingungen produzieren lassen. Man würde jedoch nicht sagen, dass diese Art von Folge eine naturgesetzliche Kausalfolge ist. Letztlich müsste man entscheiden, ob der Ausdruck ›kausal‹ lediglich für naturwissenschaftlich gestützte Gesetzmäßigkeiten verwendet werden soll oder aber auch für Wahrscheinlichkeitsaussagen bezüglich bestimmter 94
Searle 2011 [1969]: 35.
Hegel-Studien
Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung
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Korrelationen zulässig ist. In letzterem Falle könnte man Hegels Ausdruck der Folge immer durch Kausalfolge ersetzen. Damit komme ich abschließend zur Gesamtdarstellung von Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung. 2.3 Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung Dieses Kapitel hatte generell die Frage zum Gegenstand, ob Kausalität für Hegels Rechtsphilosophie eine Rolle spielt, und wenn ja, welche. Das weitergehende Interesse bestand darin, Hegels Kausalitätsverständnis so weit zu erläutern, dass es vor dem Hintergrund gegenwärtiger Fragen und Probleme bewertet werden kann. Dazu wurde zu Beginn dieses Kapitels ein Überblick über gegenwärtige Fragen und Probleme um das Thema Kausalität im Recht gegeben, der mit einer Liste von Kriterien und Fragen geschlossen wurde, die eine Theorie der Kausalität im Recht beachten sollte. Dass Hegel – zumindest für vollendete Erfolgsdelikte – das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg als notwendige Bedingung der Verantwortung erachtet, wurde im Unterabschnitt 2.2.1 gezeigt. Die Frage, weshalb dies der Fall ist, wurde ebenfalls beantwortet. Kausalität ist deshalb notwendig, weil das Vorliegen einer Kausalrelation notwendiger Bestandteil der Willensverwirklichung ist, so dass das Recht der Verursachung formuliert wurde. Allerdings wurde bisher nur eine Seite der Verantwortung überhaupt thematisiert. Erst in den folgenden Kapiteln, die sich mit der moralischen Seite der Handlung, mit den subjektiven Merkmalen des Vorsatzes, des Wissens und der Absicht beschäftigen, wird diese kausale Komponente der Willensverwirklichung als solche vollständig verständlich. Bereits an dieser Stelle kann jedoch gesagt werden, dass die Antwort mit Hegels metaphysischem Begriff der Kausalität zusammenhängt. Dessen Analyse hatte gezeigt, dass der begriffliche Kern der Kausalität die causa sui ist. Das wesentliche Merkmal dieses Begriffs war die Identität zwischen Ursache und Wirkung. Es wird sich zeigen, dass der Begriff des Zwecks und mit diesem zusammenhängend der Begriff der Handlung für Hegel in viel höherem Maße dem Begriff der causa sui entsprechen. Und gerade über den Begriff des Zwecks wiederum begründet Hegel das Recht der Subjektivität, sich nur bestimmte Folgen zurechnen zu lassen. Aber zugleich wird sich dadurch auch begründen lassen, weshalb zumindest für bestimmte Handlungstypen gerade das Vorliegen einer Kausalbeziehung im Sinne der endlichen Kausalität notwendige Bedingung dafür ist, für das Verursachte verantwortlich zu sein. Die für die Zurechnung im Recht relevante Kausalität, so hatte sich gezeigt, ist nach Hegel der Begriff kausaler Bedingungen, die erst in einem Verbund
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zusammen hinreichend dafür sind, dass ein bestimmtes Ereignis stattfindet. Modern gewendet vertritt Hegel einen nicht-diskriminatorischen Kausalitätsbegriff im Recht, der mittels einer INUS-Theorie reformuliert werden kann. Wenn aber jede notwendige Bedingung bzw. jede INUS-Bedingung eines Ereignisses Ursache dieses Ereignisses sein kann bzw. als eine Ursache zitiert werden kann, dann stellt sich die Frage, weshalb man überhaupt von ›Ursache‹ und von ›Kausalität‹ spricht und eben nicht einfach von Bedingungen. Mackie selbst hat bereits in The Cement of the Universe (1974) auf diesen Mangel seiner Theorie hingewiesen: „The regularity theory, even in its improved form, is not a complete account of causation in the objects. [. . . ] Some causal mechanism or continuity of process may be an additional and distinguishing feature of sequences in which the earlier item causes the later.“ 95 Damit ließe sich sagen, dass Mackie zu seinem nicht-diskriminatorischen Kausalitätsbegriff noch einen engeren diskriminatorischen Kausalitätsbegriff fordert, der der Intuition Rechnung trägt, dass die Rede von Verursachung einen konkreten Prozess bezeichnet und beispielsweise das Vorhandensein brennbaren Materials zwar durchaus erklärend sein kann, jedoch die Komponente des Produzierens nicht einzufangen vermag. Nun wurde auch gezeigt, dass Hegel in der Wissenschaft der Logik gerade einen solchen diskriminatorischen Begriff der Kausalität verwendet. Kausalität im engen Sinne besteht in der Übertragung einer Größe von einer Substanz auf eine andere und ist wesentlich prozessualer Natur. Metaphysisch betrachtet sind alle sonstigen INUS-Bedingungen lediglich Umstände der Möglichkeit. Geht es hingegen um die Frage der Zuschreibung, der Frage danach, was Schuld an einem Zustand hat, kann jeder einzelne Umstand der Möglichkeit, sei er nun Bedingung, Grund oder auch Ursache im engen Sinne, herangezogen werden. Wie die Rechtsprechung mit den Problemfällen umgeht, erschien als ad hoc und theoretisch unbefriedigend. Mittels dieses zweistufigen Modells lassen sich diese Problemfälle jedoch rational lösen. Gerade Hegels identitätstheoretisches Verständnis von Kausalität im engen Sinne ermöglicht es, mittels einer feineren Individuation singuläre Kausalaussagen eindeutig zu überprüfen. Das Merkmal der Identität setzt nämlich voraus, dass Beschreibungen gefunden werden, die das Ursache- und das Wirkungsereignis derart in Zusammenhang bringen, dass hypothetische Kausalverläufe ausgeschlossen werden. Der identitätstheoretische Kausalitätsbegriff Hegels macht also verständlich, weshalb das Mittel der feineren Ereignisindividuation in der Kausalitätsprüfung im Strafrecht eine Grundlage in der Ontologie der Kausalität hat. Dass dieses Mittel nun nur in Problemfällen wie dem der hypothetischen Kausalverläufe angewandt wird, ist keine Willkür, sondern liegt ganz einfach daran, dass 95
Mackie 1974: 86. Darauf weist Hüttemann 2018: 119 hin.
Hegel-Studien
Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung
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in den meisten Fällen die Notwendigkeit der in Frage stehenden Handlung bereits bei gröberer Individuation bestätigt werden kann. Ebenso wenig ist der Bezug auf gesetzmäßige Zusammenhänge für die Lösung der Fallgruppe alternativer Kausalität willkürlich. Sowohl für den diskriminatorischen wie für den nicht-diskriminatorischen Kausalbegriff kommt man ohne generische Aussagen über gesetzmäßige Zusammenhänge nicht aus. Ebenso ist jedoch der explizite Bezug auf Gesetzesaussagen nur in solchen Fällen vonnöten, in denen ansonsten die Prüfung einer notwendigen Bedingung zu kontraintuitiven Folgen führen würde. Erst eine Analyse des rechtlich relevanten Ursachenbegriffs mittels der Theorie der INUS-Bedingungen macht verständlich, dass die Äquivalenztheorie eigentlich immer schon eine Theorie der INUS-Bedingungen war. 96 Dass jedoch nur auf notwendige Bedingungen hin geprüft wird, liegt ganz einfach an dem Zweck des Strafrechts, die Strafbarkeit zu prüfen, und an der Tatsache, dass das Prüfverfahren natürlich zuverlässig, aber vor allem auch praktikabel sein soll. 97 Was die Frage der möglichen Kausalrelata anbelangt, so lässt sich eine Differenzierung vornehmen. Auf der metaphysischen Ebene scheinen für Hegel die bevorzugten, wenn nicht die einzig möglichen Kausalrelata Substanzen zu sein. Dies folgt aus Hegels Argumentation, dass die Substanz als causa sui interpretiert werden müsse. Nun hat jedoch Hegels metaphysischer Kausalitätsbegriff aufgrund der Merkmale der Produktion einen prozessualen Charakter. Etwas muss geschehen. Daher schlage ich folgende Differenzierung vor: Ereignisse stehen in Kausalrelationen zueinander. Jedoch haben Ereignisse Substanzen zu ihrer ontologischen Grundlage, nur an Substanzen ereignet sich überhaupt etwas. Für ein adäquates Verständnis des prozessualen Charakters ist also die Rede von Ereignissen als Kausalrelata adäquat. Für Zurechnungsfragen und auch für Fragen der Individuation von Ereignissen über Substanzen sind Letztere die relevanteren Kausalrelata. So lässt sich verständlich machen, dass man kausale Folgen Personen zuschreibt, die ontologisch betrachtet Substanzen und keine Ereignisse sind. Dass häufig nicht die Ereignisse selbst, sondern deren Resultate, also Zustände, zugerechnet werden, macht wiederum verständlich, dass häufig Zustände als Wirkungen zitiert werden, so dass Urteile gebildet werden der Art ›Person A ist kausal für den Tod einer Person B verantwortlich‹. Diese Wahl verschiedener Entitätstypen als Kausalrelata lässt sich über eine Differenzierung der Funktion von Kausalurteilen erhellen, die Anthony Honoré in seinem Überblicksaufsatz zu Causation in the Law vorgenommen hat: 96 97
Für eine ähnliche Überlegung siehe Wright 2013, 22. Fehlerhaft ist dann nur, zu meinen, die Äquivalenztheorie definiere Kausalität. Wenn man diesen Fehler nicht macht, hat man auch nicht das Problem zu erklären, weshalb die Eltern des Mörders nicht auch den Mord kausal begangen haben.
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(i) Prospektiv (prognostisch): dient der Vorhersage und der Bereitstellung von Handlungsanweisungen (Form: Generelle Kausalaussagen) (ii) Retrospektiv (explanatorisch): dient der Erklärung, weshalb ein Ereignis in der Vergangenheit stattgefunden hat (Form: Kausalerklärung = Gesetzesaussagen + Antezedensbedingungen im Explanans und singulärer Aussage im Explanandum) (iii) Attributiv (askriptivistisch): dient der Zuschreibung eines Zustandes und oder Ereignisses zu einer Substanz / Person aufgrund von deren Tätigkeit in der Vergangenheit (Form: singuläre Kausalaussagen) 98 Da für Hegel gerade Subjekte qua Substanzen bevorzugte Kausalrelata sind, wird verständlich, weshalb für rechtliche Zurechnungsfragen insbesondere diese letzte Funktion von Kausalurteilen von Relevanz ist. Aber bleibt nicht ein Restzweifel, dass Kausalität für Verantwortung überhaupt etwas austrägt? Ließe sich die Kausalität für Verantwortungsfragen nicht gänzlich ausblenden? Allerdings lässt sich fragen, ob diese Ausblendung ein zulässiger Zug ist. Spielt es nicht vielleicht eine große Rolle, dass wir generell nur dann verantwortlich machen, wenn eine Person selbst handelnd verursacht hat? Aber auch aus hegelscher Perspektive ließe sich der Einwand erheben, dass Kausalität im Recht vielleicht relevant sein mag, dass sie aber für die Rechte der Subjektivität keine Rolle spiele. Hierzu schlage ich folgende Antwort vor: Das Prinzip der methodischen Ordnung der Grundlinien ist die Verwirklichung des an und für sich freien Willens, in der Reihenfolge, „an sich“, „für sich“ und „an und für sich“. Im Moralitätskapitel behandelt Hegel den für sich an und für sich freien Willen. Diese seine Freiheit wird durch das Handeln verwirklicht und das Handeln wiederum ist der Übergang vom subjektiven zum objektiven Zweck. Das „Übersetzen“ des innerlich, subjektiv gesetzten Zweckes in die Objektivität besteht jedoch in einer Veränderung in der äußerlichen, endlichen raumzeitlichen Welt. Nun lässt sich argumentieren, dass die Kausalbedingung für retrospektive Verantwortung – natürlich zunächst nur für Erfolgshandlungen – zwar erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts als eigenständiges Problem in der Rechtswissenschaft diskutiert wurde, dass sie allerdings für Hegels Projekt ebenfalls von zentraler Bedeutung ist. Angenommen, ein Mord wurde verübt und die Frage besteht nun, wer der Mörder ist. Würde man A verantwortlich machen wollen, obwohl gezeigt werden könnte, dass A in überhaupt keinem kausalen Zusammenhang zum Tod des Opfers steht, dann würde man dem Willen von A etwas zuschreiben, was in gar keinem Zusammenhang zu seinem Willen stünde. Damit würde man jedoch die Freiheit des subjektiven Willens einschränken beziehungsweise seine Verwirklichung verhindern. Die 98
Honoré 2010: 2.
Hegel-Studien
Hegels Theorie der Kausalbedingung von Verantwortung
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Kausalität ist also notwendige Verwirklichungsbedingung des freien Willens. 99 Insofern lässt sich das Bestehen einer Kausalrelation als notwendiger Zurechnungsbedingung auch im Rahmen der hegelschen Argumentation verstehen als einer minimalen, aber in der Tat negativen Verwirklichungsbedingung des freien Willens. Und in dem Sinne wäre es natürlich zulässig, von einem normativen Zuschreibungselement zu sprechen, da man folgende Norm aufstellen könnte: Es ist geboten: Verantwortlich (für Erfolgshandlungen) ist nur, wer den Erfolg kausal verursacht hat. 100
Jedoch sollte man aus dieser normativen Regelung, wie man mit dem Bestehen von Kausalrelationen umzugehen hat, nicht darauf schließen, dass das Vorliegen einer Kausalrelation normativ bestimmt ist. Ob A's Handlung kausal für den Tod von B ist, ist eine deskriptive Frage, dass die Tatsache, dass A's Handlung kausal für den Tod von B ist, notwendig dafür ist, dass A bestraft werden darf, ist hingegen normativ. Bisher wurde als erstes Zurechnungsmerkmal Kausalität untersucht, und zwar als deskriptives Element. Dass Hegel die Kausalität als deskriptives Merkmal betrachtet, konnte gezeigt werden. Ob eine Kausalrelation zwischen Tat und Erfolg vorliegt, ist keine normative Frage. Dass das Vorliegen einer Kausalrelation in manchen Fällen notwendig für die Zurechenbarkeit ist, ist hingegen durchaus normativ. Diese Normativität der Verursachung als Verantwortungsmerkmal ergibt sich, wie gezeigt wurde, daraus, dass geltende Normen selbst als Dasein des freien Willens anzusehen sind. Da zur Willensverwirklichung die tätige Umsetzung und zu dieser wiederum eine kausale Veränderung in der Welt notwendig ist, ist auch die Verursachung ein zentrales Merkmal von Verantwortung. Nun lässt sich anhand vieler Fälle zeigen, dass die Verursachungsbedingung von Verantwortung nicht hinreichend für diese ist. Dies zeigt sich etwa, wenn eine Person etwas getan hat, das sie nicht beabsichtigt hat, bzw. Dinge verursacht hat, von denen sie nicht wusste, dass ihr Tun diese zur Folge haben würde. Gemäß der hegelschen Handlungstheorie bedeutet 99
100
Dieser Aspekt moralischer Verantwortung scheint mir das zu sein, für das Frankfurt in seinem berühmten Aufsatz Alternate possibilities and moral responsibility argumentiert hat (Frankfurt 1998 [1969]). Die Person ist also auch dann verantwortlich, wenn es keine alternative Möglichkeit gegeben hat und sie dennoch selbst aktiv tätig wurde, um das in Frage Stehende zu vollbringen. Kausalität ist im deutschen Strafrecht ein sogenanntes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Würde man es im Allgemeinen Teil kodifizieren, müsste die Norm wohl in etwa so lauten. Entsprechend hatte ich oben auch das Recht der Verursachung formuliert: Der Einzelne hat das Recht, sich nur das zurechnen zu lassen und nur an dem schuld zu sein, was er auch tatsächlich verursacht hat.
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Verursachung: Kausale Schuld (kausale Willenskomponente)
dies, dass eben die Tätigkeit der Übersetzung des subjektiven in den objektiven Zweck derart vonstattengehen muss, dass tatsächlich das eintritt und dann objektiv der Fall ist, was zuvor im subjektiven Zweck lag. Der subjektive Zweck als zunächst bloß subjektive Willensbestimmung enthält jedoch als Merkmal ein bestimmtes Wissen und Vorstellungen darüber, wie sich die Welt verhält. Die sogenannte Wissensbedingung moralischer Verantwortung betrifft eben genau dieses Willensmerkmal, dass man nur für das verantwortlich ist, von dem man Wissen hatte. Umgekehrt bedeutet dies, dass Irrtümer, also falsche Überzeugungen darüber, wie es sich tatsächlich verhält, Verantwortung ausschließen oder zumindest mindern können. Damit gehe ich über zur Diskussion der kognitiven Willenskomponente.
Hegel-Studien
3. Wissen: Vorsatz und Absicht (kognitive Willenskomponente) §§ 117–120
I
m Gegensatz zum vorangegangenen Kapitel wird es nun nicht nötig sein, zuerst nachzuweisen, dass Hegel das Thema, in diesem Fall den Vorsatz, abhandelt. Denn die §§ 115–118 thematisieren den Vorsatz explizit als Bedingung der Verantwortung. Im Gegensatz zum Aufbau des hegelschen Textes werden allerdings im Folgenden auch noch die §§ 119 und 120, also die ersten zwei Paragraphen des zweiten Teils, „Die Absicht und das Wohl“, mit in die Analyse der Wissensbedingung aufgenommen. 1 Die Grundidee der epistemischen 2 Bedingung als kognitiver Willenskomponente für Verantwortung besteht darin, dass man unwissentlich durch sein Handeln Hervorgebrachtes nicht gewollt hat. Etwas gewollt zu haben impliziert demnach, gewusst zu haben, dass das tatsächlich Eingetretene auch tatsächlich eintreten wird. Auf diesem Aspekt der Denken-Wollen-These, wie sie in Kapitel 1 expliziert wurde, kann das Folgende nun aufbauen. Zunächst soll wieder ein systematischer Überblick über das Thema gegeben werden (3.1). Dabei bietet es sich allerdings an, nicht nur die Thematisierung des Vorsatzes als subjektivem Tatbestandsmerkmal im Strafrecht, sondern auch als Bedingung moralischer Verantwortung zu bestimmen. Dem schließt sich dann als Hauptteil eine Darstellung der hegelschen Lehre der epistemischen Verantwortungsbedingung an (3.2). Dabei werden zunächst der Vorsatz und das entsprechende Recht des Wissens dargestellt (3.2.1). Bevor die Absicht und das entsprechende Recht des Wissens diskutiert werden, soll ein Problem benannt werden, das George Sher thematisiert hat und das zunächst auch den hegelschen Ansatz des Vorsatzes zu treffen scheint (3.2.2). Daraus ergeben sich dann indirekt Bewertungskriterien eines jeden und damit a fortiori auch des hegelschen Ansatzes moralischer Verantwortung. Shers eigener Lösungsvorschlag für das Problem wird dann die Kontrastfolie bieten, um Hegels Bestimmung der Absicht zu interpretieren (3.2.3). Neben vielen Übereinstimmungen zwischen Sher und Hegel lassen sich allerdings auch Differenzen ausmachen, die – so soll gezeigt werden – zugunsten des hegelschen Ansatzes verstanden
1 2
In Abschnitt 3.2 wird noch zu zeigen sein, warum dies gerechtfertigt ist. Ich werde im Folgenden die Ausdrücke ›epistemische Bedingung‹, ›kognitive Bedingung‹ und ›Wissensbedingung‹ austauschbar verwenden.
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Wissen: Vorsatz und Absicht (kognitive Willenskomponente) §§ 117–120
werden können (3.2.4). Für die Frage, wie Grenzen des epistemisch noch Erwartbaren bestimmt werden könnten, wird im Anschluss auf die Dialektik zwischen subjektivem und objektivem Willen eingegangen, die sich unter der Rede von Hegels Askriptivismus vereinen lässt (3.2.5). Abschließend wird dann wieder in einer Gesamtdarstellung die hegelsche Konzeption dargestellt und diskutiert (3.3). 3.1 Die Wissensbedingung in normativen Kontexten Das Thema der Wissensbedingung für moralische Verantwortung wird sowohl in der Strafrechtswissenschaft als auch in der Philosophie diskutiert. Wie sich Strafrecht und Moral eigentlich zueinander verhalten, wird erst zum Schluss dieser Arbeit explizit diskutiert werden. An dieser Stelle wird die Wissensbedingung in der Strafrechtswissenschaft und Philosophie nur so weit rezipiert, dass die Gemeinsamkeiten in den Blick kommen. Der Vorsatz im Strafrecht Im Strafrecht wird die Wissensbedingung im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit diskutiert. Dabei geht es ganz allgemein um die Frage, ob im Falle eines bereits geschehenen strafrechtlich relevanten Ereignisses ein unter Strafe stehender Tatbestand erfüllt wurde. Dieser besteht aus objektiven und subjektiven Merkmalen. 3 Die objektiven Merkmale betreffen die unter Strafe stehende Handlung („Wer . . . eine fremde Sache beschädigt oder zerstört“ 4), die Kausalität zwischen der Tat und dem strafrechtlichen Erfolg, die im vorangegangenen Kapitel diskutiert wurde, und die objektive Zurechnung, die erst im Folgekapitel (Kap. 4) Thema sein wird. Der Vorsatz steht nun im Zentrum des subjektiven Tatbestands. Laut § 15 StGB gibt es nur dann einen Strafanspruch seitens
3
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Der Vorsatz war früher Teil der Schuldebene als Bereich der „persönliche[n] Verantwortlichkeit“ (Rengier 2013: 39). Durch die finale Handlungslehre, die auf Hans Welzel zurückgeht, wurde der Vorsatz in die Tatbestandsmäßigkeit verschoben und damit Teil des Unrechts. Allerdings hatte die finale Handlungslehre das Problem, Unterlassungen und Fahrlässigkeit adäquat zu erklären. Daher werden heute soziale Handlungslehren, die diese Bereiche anscheinend erklären können, primär vertreten. Der hegelsche Ansatz, wie noch zu zeigen sein wird, ist in gewissem Sinne eine finale Handlungslehre, allerdings mit sozialen Anteilen. Allerdings kann der hegelsche Ansatz Verantwortung für Fahrlässigkeit (3.2.4) und Unterlassungen (5.3.2) begründen. § 303 StGB.
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Die Wissensbedingung in normativen Kontexten
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des Staates, wenn eine Tat vorsätzlich verübt wurde. 5 Dabei versteht man im Strafrecht ganz generell unter Vorsatz „nach einer gebräuchlichen Kurzformel das Wissen und Wollen der Merkmale des objektiven Tatbestandes. Wer also eine fremde Sache wegnimmt, die er mit seiner eigenen verwechselt, handelt im Hinblick auf das in § 242 im objektiven Tatbestand enthaltene Merkmal „fremd“ ohne Wissen; ihm fehlt der Vorsatz (§ 16), so dass er nicht wegen Diebstahls bestraft werden kann.“ 6 Objektiv mag jemand zwar eine fremde Sache entwendet haben, allerdings hat er dies nicht wissentlich und damit nicht vorsätzlich getan, wenn die Handlung auf der Überzeugung beruhte, dass es sich bei der entwendeten Sache um die eigene handelt. Die Rede vom „Wollen“ muss noch etwas erläutert werden. Denn es ist fraglich, was diese Rede vom Wollen zusätzlich besagt. Wenn jemand etwas wissentlich tut, drückt sich in diesem Tun ohnehin ein Wollen aus. Zwar sagen wir auch dann manchmal, dass wir es nicht gewollt haben, meinen damit aber lediglich, dass wir das nicht Gewollte als schlecht bewerten. Diese evaluative Komponente des Willens wird erst in Kapitel 5 zum Thema gemacht. In der Formel „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ soll hingegen das „Wollen“ für eine voluntative Bedingung stehen. 7 Was damit gemeint ist, zeigt sich anhand der drei Vorsatzstufen, die gewöhnlich im Strafrecht unterschieden werden: (i) Absicht (dolus directus ersten Grades) (ii) Direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) (iii) Bedingter Vorsatz (dolus eventualis) Die Unterscheidung läuft über eine jeweils verschiedene Gewichtung der beiden Merkmale des Wissens und des Wollens. Die Absicht wird dadurch definiert, dass das Wollen der Tatbestandsverwirklichung stark ist, wohingegen das Wissen lediglich in der Überzeugung einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung bestehen kann. 8 Der direkte Vorsatz hingegen ist durch eine umgekehrte Gewichtung bestimmt, es besteht sicheres Wissen des Erfolgseintritts, auch wenn dieser nicht unbedingt erstrebt wird. 9 Der Even5
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„Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“ Der Paragraph formuliert also noch eine Klausel für Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, vorausgesetzt, das fahrlässige Begehen einer Tat steht explizit unter Strafe. Roxin 2006: 310. Darunter wird die Stärke des Strebens verstanden. „Wer sein Opfer mit einem Steinwurf verletzen will, aber wegen der Entfernung einen Fehlwurf einkalkuliert, handelt vorsätzlich in der Form der Verletzungsabsicht.“ (Rengier 2013: 101). Beispiel: A will B töten und beabsichtigt, dies mittels einer Autobombe zu tun. A weiß, dass auch C dabei sterben wird. Dies erstrebt A zwar nicht, weiß es aber und handelt trotzdem. Aufgrund des sicheren Wissens handelt A bezüglich des Todes von C vorsätzlich.
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tualvorsatz schließlich, der zugleich als Abgrenzung zur Fahrlässigkeit dient, besteht darin, dass jemand nicht sicher weiß, ob der Erfolg eintritt, und diesen auch nicht anstrebt, aber für den Fall des Eintritts in Kauf nimmt. 10 „Eine möglichst exakte Beschreibung des bedingten Vorsatzes ist außerdem nicht nur zur Abgrenzung von den übrigen Formen des Vorsatzes, sondern vor allem zur Abschichtung von der bewussten Fahrlässigkeit nötig, die in den meisten Fällen für die Strafbarkeit ausschlaggebende Bedeutung hat.“ 11 Auf die komplexen strafrechtswissenschaftlichen Debatten um diese Aufgabe soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Die Problemfrage nach der Abgrenzbarkeit zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit könnte so formuliert werden: Angenommen, in einer Situation s vollzieht ein Handlungssubjekt A die Tätigkeit Φ, wobei A weiß, dass Φen mit geringer Wahrscheinlichkeit die Folge H nach sich ziehen kann, die A jedoch nicht erstrebt (wenn möglich vermeiden würde) und die den Erfolg eines strafbaren Erfolgsdeliktes ED darstellt. Vollzieht in diesem Fall A die Straftat ED und ist dafür verantwortlich zu machen oder wäre eine strafende Reaktion in diesem Falle unangemessen? Diese normative Frage soll im Abschnitt zur Absicht diskutiert werden. Bis hierher reicht es, dass ein Wissen um die Folgen der eigenen Tat diese Tat zu einer vorsätzlichen macht, bzw. ein Wissen, dass bestimmte Folgen eintreten werden, sollte man die geplante Tat begehen. Damit komme ich zur Thematisierung der Wissensbedingung im Rahmen der Debatten um moral responsibility. Die Standardauffassung der „Searchlight View“ nach George Sher In der analytischen Literatur zu moralischer Verantwortung hat George Sher einen Vorschlag gemacht, wie die epistemische Bedingung moralischer Verantwortung zu fassen sei. Ausgehend von Aristoteles' Bestimmung freiwilligen Handelns zu Beginn des 3. Buches seiner Nikomachischen Ethik unterscheidet Sher zunächst zwischen einer Kontroll- und einer Wissensbedingung moralischer Verantwortung. Dabei legt er seiner Arbeit die Diagnose zugrunde, dass die Wissensbedingung in der Literatur zu moral responsibility zugunsten der kausalen Kontrollbedingung vernachlässigt worden sei. Sher motiviert seine Studie mit Verweis auf eine Standardauffassung der Wissensbedingung, der gemäß Wissen eine notwendige Bedingung für Verantwortung ist. Diese 10
11
Genau an dieser Stelle scheiden sich möglicherweise die Geister etwa im Raser-Fall aus der Einleitung. Denn der Fahrer A konnte zumindest annehmen, dass ein Unfall mit für andere tödlichen Folgen passieren könnte, auch wenn er dies nicht erstrebt hat. Jedoch nimmt er es billigend in Kauf, wenn er trotzdem ein Rennen in der Stadt veranstaltet. Roxin 2006: 437.
Hegel-Studien
Die Wissensbedingung in normativen Kontexten
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von ihm „Searchlight View“ 12 genannte Position besagt, dass man nur für die Aspekte seines Handelns verantwortlich ist, über die man vor dem und im Handeln Wissen hatte. „According to the interpretation I have in mind, an agent's responsibility extends only as far as his awareness of what he is doing.“ 13 Dies bedeutet, dass Unwissenheit, in Shers Sprache „unawareness“, oder sogar Irrtümer immer und ausnahmslos moralische Verantwortung ausschließen. Insofern entspricht sie der Idee der Vorsatzbedingung im Strafrecht, wobei Sher das voluntative Element ausblendet. Die Standardbegründung der Searchlight View läuft nach Sher wie folgt: „Roughly speaking, the reason the agent's actual awareness seems significant is that it implies that the act's being wrong or foolish is among the total set of considerations in light of which he chose to perform it. To whatever extent his choice was in this way knowing as well as willing, the act, qua instance of wrong or foolish behaviour, is in a suitably deep sense his own.“ 14
Wichtig ist also, dass die Verantwortung von S für ein Φen darin besteht, dass das Φen mit all den zuschreibungsrelevanten Aspekten zu S gehört, Ausdruck von S0 Persönlichkeit ist. Laut Sher ist die Searchlight View in der Philosophie weit verbreitet und sein Ziel ist es, diese zu kritisieren und als inadäquat zurückzuweisen. Für die Popularität dieser Ansicht über die Wissensbedingung (moralischer) Verantwortung führt Sher einen Evidenzgrund an, der für das Folgende zentral sein wird: „My last piece of indirect evidence for the searchlight view's popularity is the common belief that an agent is responsible only for those aspects of his behaviour that are voluntary in the sense of being expressions of his will. The reason this belief is relevant is that will appears to be essentially a conscious phenomenon. Although it is clearly coherent to speak of unconscious beliefs, desires, and choices, it is not clearly coherent – indeed, I think it is clearly not coherent – to speak of an unconscious exercise of will.“ 15
Dieser Hinweis ist deshalb von Relevanz, weil diese Idee zunächst genau dem entspricht, wie Hegel die Rolle des Wissens für moralische Verantwortung bestimmt. Wie sich zeigen wird, besteht Hegels Grundidee der Begründung der Wissensbedingung gerade darin, dass nur Willensverwirklichungen als 12
13 14 15
Die Bezeichnung ist dadurch motiviert, dass das Wissen wie eine Art Lichtkegel betrachtet wird, der den Bereich der Verantwortung eindeutig und binär bestimmt (Sher 2009: 6). Sher 2009: 4. Sher 2009: 74. Sher 2009: 9.
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Ausdruck des Wollens zugeschrieben werden dürfen. Wenn dies der Fall ist, Hegel also ebenfalls die Position der Searchlight View zugeschrieben werden kann, ergibt sich umso mehr die Frage, ob ihn dann auch die Kritik Shers trifft. 16 Damit gilt also auch für die Standardauffassung der Wissensbedingung für moralische Verantwortung innerhalb der Debatte um moral responsibility: Wissen ist eine notwendige Bedingung für moralische Verantwortung. 17 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sowohl im Strafrecht als auch in der Moral und jeweils den Disziplinen, die diese Bereiche reflektieren, grundsätzlich die Idee vorherrschend ist, dass Wissen ein wesentliches Merkmal für moralische Verantwortung ist. Die Fragen, die sich nun an eine Konzeption der Wissensbedingung ergeben, sind demnach: 1) Wie genau muss der Begriff des Wissens verstanden werden? 2) Wie wird die Wissensbedingung als notwendiges Merkmal von Verantwortung begründet? 3) Worin besteht der Zusammenhang zwischen einem Subjekt S und einer Handlung Φ, wenn S für Φ moralisch verantwortlich ist? 4) Wie geht man mit den Fällen um, in denen die Verbindung zwischen S und Φ durch Unwissenheit gekappt zu sein scheint? 5) Wie lassen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit unterscheiden? 6) Was bedeutet es, dass ein Φ eines S zu S gehört, ein Teil von S ist? Die ersten beiden Fragen werden in Unterkapitel 3.2.1 diskutiert, auf die Fragen drei bis fünf gehe ich dann erst in 3.2.2 ein. 18 Dabei besteht Hegels Antwort auf die Fragen 1–5 in einer Antwort auf Frage 6. Also nun zu Hegels Lehre der Wissensbedingung von Verantwortung. 3.2 Hegels Lehre der epistemischen Bedingung von Verantwortung Die ersten beiden Rechte der Subjektivität, das Recht des Wissens und das Recht der Absicht, thematisieren die epistemische Verantwortungsbedingung. 19 Wie bereits erwähnt ist es wichtig, das Wissen als Willenskomponente zu betrachten und nicht als bloße propositionale Einstellung. Es geht also zwar um die kognitive Komponente des Wissens, jedoch ist diese immer noch eine Komponente des Wollens. Zunächst sei vorgeschlagen, Hegels Ausdruck des ›Vorsatzes‹ genau so zu verstehen, dass er die Wissenskomponente des Wollens
16 17
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19
Zu Shers Kritik und der hegelschen Antwort siehe unten 3.2.2 und 3.2.4. Formaler und expliziter: Ein Subjekt S ist nur dann für ihr Ψen moralisch verantwortlich, wenn S wusste, dass ihr Φen ein Ψen ist. Dies deshalb, weil diese Fragen und die Antworten darauf erst über die Kritik an der Standardauffassung motiviert werden. Zwar hatte ich oben bereits das Recht der Verursachung vorgeschlagen, allerdings beginnt Hegel selbst seine Rede von Rechten erst mit der Wissensbedingung.
Hegel-Studien
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und Handelns bezeichnet. Damit ist die Deutung ausgeräumt, dass es um bloße propositionale Einstellungen geht. 3.2.1 Der Vorsatz: Das Recht des Wissens1 (§§ 117–118) Nachdem Hegel in § 115 kausale Verantwortung thematisiert hat – § 116 hat, wie gesehen, den Sonderfall der Gefährdungshaftung zum Thema –, geht er in § 117 dazu über, den Vorsatz selbst in den Blick zu nehmen. Zunächst sei wieder der Text als ganzer zitiert: „§. 117. [1] Der selbst handelnde Wille hat in seinem auf das vorliegende Daseyn gerichteten Zwecke die Vorstellung der Umstände desselben. [2] Aber weil er, um dieser Voraussetzung willen, endlich ist, ist die gegenständliche Erscheinung für ihn zufällig und kann in sich etwas anderes enthalten, als in seiner Vorstellung. [3] Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. – [4] Die That kann nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; – das Recht des Wissens.“ 20
Bevor dieser § selbst interpretiert wird, sei nochmals alles Wesentliche aus § 115 wiederholt. Für jedes Handlungssubjekt x und jede Handlungssituation y gilt: Aus Sicht von x stellt y eine unmittelbare Gegebenheit dar, die insofern vorausgesetzt ist. Wenn x nun in y tätig wird, besteht die Tätigkeit ganz abstrakt formuliert darin, an y etwas zu verändern. Da diese (aktive) kausale Veränderung, die natürlich selbst im Falle eines Schlafwandlers erfüllt sein kann, lediglich die kausale Verantwortung für die Veränderung bedeutet, fragt sich, was hinzukommen muss, damit auch von einer moralischen Verantwortung die Rede sein kann. Die Sätze [1] und [2] aus § 117 enthalten zunächst ein Argument für die epistemische Endlichkeit des subjektiven Willens. Die Konklusion des Arguments besagt, dass sich die Dinge anders verhalten können, als es zuvor kognitiv antizipiert worden ist. Dies wiederum ist dann Grundlage für das Argument für das Recht des Wissens. Also zunächst zu unserer epistemischen Endlichkeit:
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GW 14,1: § 117, 105.
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„[1] Der selbst handelnde Wille hat in seinem auf das vorliegende Daseyn gerichteten Zwecke die Vorstellung der Umstände desselben.“ 21
Wenn sich ein Handlungssubjekt x in einer Handlungssituation y befindet, dann hat es einen Zweck, der sich auf das „vorliegende Daseyn“ richtet. Selbst wenn wir weiterreichende Pläne verfolgen, müssen wir doch immer im konkreten Hier und Jetzt tätig werden. Dieser Zweck enthalte nun „die Vorstellung der Umstände“ des gegebenen Daseins. Diese Rede von Vorstellung muss im epistemischen Sinne verstanden werden. Wir haben bestimmte Vorstellungen davon, wie sich die Umstände verhalten, in denen wir uns jeweils befinden und in denen wir tätig werden. Man könnte anstatt von ›Vorstellung‹ an dieser Stelle auch von ›Überzeugung‹ sprechen als dem Element des Wissensbegriffs, das einen mentalen Zustand bezeichnet. Allerdings wäre diese Wortwahl von der alltäglichen und auch der rechtlichen Sprache abweichend. Letztlich hängt die Wahl des Ausdrucks von den weitergehenden Interessen ab und davon, ob sie dem Verständnis dienlich ist. Da wir auch im Alltag häufig davon reden, was sich denn jemand unter etwas vorgestellt hat, werde ich den Ausdruck Hegels beibehalten. Allerdings ist bereits an dieser Stelle zu betonen, dass die Vorstellung ebenso wie die Überzeugung eine epistemische Einstellung gegenüber der Welt meint, die den Tatsachen entspricht oder aber auch nicht entspricht, der propositionale Gehalt dieser Einstellung also auch falsch sein kann. 22 „[2] Aber weil er, um dieser Voraussetzung willen, endlich ist, ist die gegenständliche Erscheinung für ihn zufällig und kann in sich etwas anderes enthalten, als in seiner Vorstellung.“ 23
Die Welt kann sich anders verhalten, als wir zuvor dachten, wie sie sich verhalten würde. Nun führt Hegel in diesem Zitat zugleich einen Grund dafür an, weshalb Vorstellung und unmittelbar Gegebenes auseinanderfallen können. Der Wille, oder auch ein Handlungssubjekt, sei „um dieser Voraussetzung willen, endlich“. Dabei handelt es sich bei der Voraussetzung darum, immer unmittelbar Gegebenes zur Voraussetzung des eigenen Handelns zu haben. Weil wir uns immer in ganz konkreten Situationen befinden, mit unzähligen Eigenschaften, sind wir in unserer epistemischen Haltung dieser Situation gegenüber endliche Wesen. Wir können niemals alle Aspekte einer gegebenen Situation wissen, oder alternativ gesagt, wir haben niemals von allen Aspekten
21 22 23
GW 14,1: § 117, 105. Es handelt sich also um eine Geist-auf-Welt-Passungsrichtung. GW 14,1: § 117, 105.
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einer gegebenen Situation wahre Vorstellungen. 24 Damit ergibt sich die These der Notwendigkeit epistemischer Endlichkeit (NEE): Für alle Handlungssubjekte x und alle Handlungssituationen y gilt notwendigerweise: Es gibt wenigstens ein Merkmal M, für das gilt: x weiß nicht, dass M auf y zutrifft. Um die Frage zu klären, wie dieses „weiß nicht“ zu verstehen ist, sollen hier drei Arten des nicht-Wissens unterscheiden werden: i. S weiß nicht, dass p ii. S weiß nicht, ob p iii. S glaubt, dass non-p, & in Wirklichkeit gilt aber, dass p Im ersten Fall weiß x überhaupt nichts von p, erwägt es auch gar nicht. Manches wissen wir eben einfach nicht. Im zweiten Fall erwägt x die Aussage p, weiß also um sie, weiß jedoch nicht, ob sie wahr ist. In diesem Fall weiß x, dass x* 25 nicht weiß, ob p. Im dritten Fall hat x die Überzeugung, dass p der Fall ist, obwohl dies gerade nicht zutrifft. Daher glaubt x zu wissen, dass p. In diesem Fall handelt es sich um einen Irrtum. Für das Thema moralischer Verantwortung ist insbesondere dieser dritte Fall von Relevanz. Die prinzipielle Möglichkeit von Fällen des Typs (iii) folgt aus der Notwendigkeit epistemischer Endlichkeit. Weil es immer Aspekte gibt, von denen wir kein Wissen haben, ist es auch möglich, dass wir von Aspekten falsche Überzeugungen haben. Nun enthält Satz [2] noch eine Aussage darüber, was Gegenstand des Wissens bzw. der Vorstellung sein und was sich damit also auch davon abweichend verhalten kann. Hegel spricht von der „gegenständliche[n] Erscheinung“. Dabei geht es um die Handlungsumstände, die zeitlich vor der Handlung bestehen. Die Möglichkeit eines Irrtums ist in diesem Fall zunächst aus der Ex-ante-Perspektive bestimmt. In § 117 sind also diese Umstände Gegenstand der Vorstellung. In den Randnotizen zu § 115 drückt Hegel sich wie folgt aus: „Zweyerley Objectivitäten – in Ansehung der Handlung α.) das Vorausgesetzte, das er [der Wille, T.M.] verändern will β.) das Veränderte selbst, das Hervorgebrachte“ 26. Versteht man unter dem „Vorausgesetzte[n]“ die Umstände und unter dem „Veränderte[n]“ die Folgen des Handelns, dann handelt § 117 die Wissensbedingung bezogen auf die Umstände und § 118 die Wissensbedingung bezogen auf die Folgen des Handelns ab. Für jedes Handlungssubjekt besteht also prinzipiell die Möglichkeit, dass es fälschliche Vorstellungen von den 24
25 26
Wahrscheinlich können wir nicht einmal von allen Aspekten der Situation Vorstellungen haben, ganz ungeachtet der Frage ihrer Wahrheit. Ich verwende hier ›*‹ als „Quasi-Indikator“ (Castañeda 1982: 58–61). GW 14,2: § 115 Rn., 579.
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Handlungsumständen hat, in denen es sich vor Beginn des eigenen Handelns befindet. Hegel fährt fort: „[3] Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag.“ 27
Nachdem für die These argumentiert wurde, dass immer die Möglichkeit besteht, falsche Vorstellungen von den Handlungsumständen zu besitzen, wird nun expliziter Bezug zum Willen und der moralischen Verantwortung hergestellt. Nehmen wir also an, ein Subjekt S hat eine Tat Φ vollzogen. Das, was S getan hat, ist von dem subjektiven Zweck von S abhängig. Dieser wiederum enthält die Vorstellungen über die Handlungsumstände. Nun kann es Fälle geben, in denen S0 Φ-Tun zugleich ein Φ0 -Tun instanziiert. Angenommen A möchte das Restaurant verlassen und will dafür ihren Regenschirm mitnehmen, den A mit in das Restaurant gebracht hat. A's Vorstellung von der Situation besagt unter anderem, dass der blaue Regenschirm neben der Garderobe A*'s Regenschirm ist. A nimmt einen Regenschirm aus dem Restaurant mit nach Hause (Φ-Tun). Weiter angenommen, der blaue Regenschirm neben der Garderobe ist tatsächlich Eigentum von B. In diesem Fall hat A B's Regenschirm mit nach Hause genommen (Φ0 -Tun). 28 Bei dem Satz ›A hat B's Regenschirm mit nach Hause genommen‹ handelt es sich um eine Aussage de re. Man könnte nun auch sagen, dass eine solche Handlungsaussage de re eine Aussage über die Tat ist. Nun schränkt Hegel allerdings den Bereich der Handlung auf den Bereich des tatsächlich im Tun Bewussten ein. Handlung soll nur das sein, von dem das Subjekt vor der Tätigkeit auch Wissen hatte. Wenn A also dachte, dass es sich bei dem Regenschirm um A*'s Regenschirm handelt, A also nicht wusste, dass es sich dabei tatsächlich um B's Regenschirm handelt, dann lässt sich zwar sagen ›A hat einen Regenschirm aus dem Restaurant mitgenommen‹, aber nicht ›A hat B's Regenschirm aus dem Restaurant mitgenommen‹. Damit wäre die zweite Aussage zwar de re wahr, de dicto jedoch falsch. Dies liegt daran, dass es sich bei Handlungszuschreibungen um intensionale Kontexte handelt, also Aussagen, deren Wahrheitswert sich ändern kann, wenn man zwar extensionsgleiche, jedoch intensionsverschiedene Ausdrücke durcheinander ersetzt. 29 Der Ausdruck ›der blaue Regenschirm neben der Garderobe‹ referiert auf 27 28
29
GW 14,1: § 117, 105. Hier kann die Frage offengelassen werden, ob es sich bei Φ-Tun und Φ0 -Tun um zwei verschiedene Handlungen oder ein und dieselbe Handlung unter verschiedenen Beschreibungen handelt. Zur Unterscheidung zwischen de dicto und de re und der Unterscheidung zwischen extensionalen und intensionalen Kontexten siehe Jäger 2008.
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denselben Gegenstand wie der Ausdruck ›B's Regenschirm‹. Allerdings weiß A nicht um diese Extensionsgleichheit. Um nochmals die Bestimmung des Terminus ›Handlung‹ zu wiederholen: ›Handlung‹ bezeichnet eine Tat unter all den Beschreibungen, unter denen sie auch dem Subjekt bei Beginn der Tat bewusst waren. Neben der Redeweise ›die eigene Tat als Handlung anerkennen‹ geht es nun aber auch darum, woran das Subjekt schuld ist. Bei dieser Verwendung von ›Schuld‹ in § 117 handelt es sich nun nicht mehr bloß um kausale Schuld, denn diese macht den vollen Umfang der kausalen Folgen der Tat aus. In § 117 soll es nun um die Einschränkung dieses vollen Umfangs der Kausalfolgen der Tat gehen. Daher geht es von nun an um die Bestimmung von Verantwortung im engeren Sinne, also um moralische Verantwortung. So wie die Handlung eine Tat unter ganz bestimmten Beschreibungen ist, so ist auch das Subjekt nur für bestimmte Folgen des eigenen Tuns verantwortlich. Ein Subjekt ist nur für die Aspekte und Folgen des eigenen Tuns verantwortlich, von denen es bei Beginn und während der Tat Wissen hatte. Bisher ist ein wichtiges Merkmal des Zitats noch nicht diskutiert worden. Denn ich habe in faktischer Redeweise formuliert, was eine Handlung ist und wofür jemand verantwortlich ist. Hegel spricht allerdings explizit von einem Recht, und zwar einem Recht, nur Bestimmtes als Handlung anzuerkennen und damit sich als Handlung zurechnen zu lassen und nur für Bestimmtes verantwortlich zu sein bzw. verantwortlich gemacht zu werden. Dass es um ein Recht geht, ist nur konsequent, soll es doch in den gesamten Grundlinien um ein Dasein als Dasein des freien Willens gehen, das dann Recht ist. Inwiefern ist nun aber das Recht, Verantwortungszuschreibungen anfechten zu können, ein Recht? Inwiefern kann es als Dasein des freien Willens verstanden werden? Der je einzelne Wille wird dadurch verwirklicht, dass man sich zunächst einen Zweck setzt, sich etwas vornimmt. Dieser subjektive Zweck muss nun aber auch realisiert werden, ansonsten haben wir als Subjekte keine Wirklichkeit. Diese erlangen wir erst durch unser Handeln, wir müssen uns äußern und dieses Äußern geschieht durch unser Handeln. Nun setzen wir uns jedoch mit dem Beginn der tätigen Verwirklichung unseres subjektiven Zwecks zugleich auch (potentiell) der Deutung anderer aus, ebenso wie wir uns den Unabwägbarkeiten der uns umgebenden äußeren Welt aussetzen. Tatsächlich verwirklicht haben wir uns erst dann, wenn wir im Handeln erfolgreich waren, also das zuvor subjektiv Gesetzte auch tatsächlich objektiv der Fall ist (objektiver Zweck). Die drei Momente des subjektiven Wollens (siehe Kap. 1) stellen also die Kriterien dafür auf, zu entscheiden, ob ein Dasein ein Dasein des für sich
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freien Willens ist. Unsere im objektiven Zweck erhaltene Subjektivität besteht aber auch in dem Willen anderer. Das bedeutet, dass es nicht ausreicht, dass wir jeweils allein beurteilen, ob unser subjektiver Zweck realisiert wurde, sondern verlangt ist zudem, dass andere dieses Objektive als Realisierung unseres subjektiven Zwecks verstehen können und dies auch tun. Das Urteil anderer, dass etwas Äußerung meines Willens war, lässt sich terminologisch normieren als ›Zurechnung‹. Das bedeutet, dass die Zurechnung einer Handlung durch andere und die Zuschreibung von Verantwortung dafür sich mit unserem subjektiven Zweck decken muss. Dieser wiederum enthält als wesentliches Merkmal unser Wissen, bzw. unser Vorstellen der Handlungsumstände. Das bedeutet, dass auf wenigstens zwei Weisen die Zurechnung durch andere ein Hindernis für unser Tun als freier Willensverwirklichung darstellen kann. Nicht-Zurechnung bei Erfolg: In den Fällen, in denen wir tatsächlich unseren subjektiven Zweck verwirklicht haben, kann unsere freie Willensverwirklichung als Erhalt unserer Subjektivität in der Objektivität dann verhindert werden, wenn uns die anderen dies nicht als eigene Handlung zurechnen. Das Einfordern einer solchen Zurechnung nehmen wir etwa in Redeweisen vor wie ›Ich bin es gewesen, der das getan hat‹. 30 Zurechnung nicht gewusster Aspekte: In den Fällen, in denen wir unseren subjektiven Zweck nicht verwirklicht haben, in denen wir also gescheitert sind, aber auch in Fällen erfolgreichen Handelns, kann unsere freie Willensverwirklichung verhindert werden, wenn uns die Aspekte unseres Tuns zugerechnet werden, von denen wir nichts wussten, und die damit auch nicht Teil unseres subjektiven Zwecks gewesen sind. In diesem Fall würde also etwas als unsere Subjektivität in der Objektivität betrachtet, was gar kein Teil unserer Subjektivität ist. 31 In § 117 geht es Hegel insbesondere um den zweiten Fall, der in höherem Maße die freie Willensverwirklichung einzuschränken vermag, weshalb es in diesem Fall angemessen zu sein scheint, ein Recht zu formulieren. Somit lässt sich die Argumentation für das erste Recht des Wissens1a in folgende Form bringen: (P1) Nur Äußerungen des Willens sind Verwirklichungen des freien Willens. (P2) Rechte sind Regeln unserer Praxis, die das Dasein des freien Willens diachron stabil sichern.
30
31
Für gewöhnlich wird dieses Problem in Fällen auftreten, in denen es um lobenswertes Handeln geht. Damit lässt sich jedoch auch Hegels These verstehen, dass eine Strafe die Täterin als Vernünftige ehrt. Hier ist dann subjektiv2 gemeint.
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(P3) Nur das an der Tat, was auch zuvor bereits Teil des subjektiv gesetzten Zwecks war und damit gewusst wurde, ist Äußerung des Willens. (P4) Zurechnung ist das Urteil, dass etwas Äußerung eines Willens ist. (K)
Nur das, was an der Tat zuvor bereits Teil des subjektiven Zwecks war und damit gewusst wurde, darf als Äußerung des Willens (Handlung) zugerechnet werden. Der Einzelne hat das Recht, die Zurechnung nicht gewusster Aspekte der eigenen Tat zurückzuweisen.
Zunächst einige Erläuterungen zu diesem Argument: Die erste Prämisse ergibt sich aus der obigen Handlungsdefinition (Kap. 1.2.2). Die zweite Prämisse normiert den Ausdruck des Rechts und sichert ab, dass in der Konklusion von „darf“ die Rede sein kann, es ermöglicht die Etablierung von Rechten der Subjektivität. Hierbei handelt es sich um das in Kapitel 1 entwickelte Brückenprinzip, das den Übergang von Hegels Rechtsdefinition (§ 29) zu einzelnen Rechten ermöglicht (Kap. 1.2.1). Die dritte Prämisse bindet die Willensäußerung an die subjektive3 innere Perspektive des Einzelnen, und zwar spezieller an dessen Wissen. Daraus und aus der terminologischen Festlegung in der vierten Prämisse ergibt sich dann das Recht des Wissens, sich nur das zurechnen zu lassen, was zuvor gewusst wurde. Ließe sich nun aber nicht einwenden, dass möglicherweise das Gewusste und Gewollte mit dem faktisch Getanen immer zusammenfällt? Hierfür wird nun der erste Argumentationsschritt von § 117 wieder relevant. Denn dieser hatte gezeigt, dass für Handlungssubjekte notwendigerweise die Möglichkeit besteht, dass ihr Wissen von den Umständen und die Umstände selbst sich nicht decken, dass sie falsche Überzeugungen über die Handlungsumstände haben können. Dies wiederum führt dann zur prinzipiellen Möglichkeit, im Handeln zu scheitern. Und erst, wenn dies gezeigt ist, kann aufgrund der Zurechnung als potentieller Gefahr freier Willensverwirklichung das Anfechtungsrecht des Wissens1 gefolgert werden. Nun mag man das Recht des Wissens akzeptieren, sich aber fragen, wie genau das Wissen verstanden werden muss. Was genau bedeutet es, dass eine Person Wissen hatte, dass sie wahre Vorstellungen von den Umständen hatte? Es bedeutet nicht, dass eine Handelnde sich zuvor mental präsent gemacht haben muss, wie die Umstände der jeweiligen Handlungssituation genau beschaffen sind. Es reicht aus, ein Bewusstsein von den Umständen im Sinne eines unterschwellig mitlaufenden Gewahrseins der Situationsmerkmale zu haben. Dies zeigt sich dann aber erst, wenn etwas schiefgeht, wenn sich die Dinge nicht so verhalten, wie wir im Handeln implizit annahmen. Diese Lesart der hegelschen Redeweise von ›wissen‹/›glauben‹/›vorstellen‹ lässt sich durch folgende Anmerkung zu § 132 stützen:
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„Daß der Verbrecher im Augenblick seiner Handlung sich das Unrecht und die Strafbarkeit derselben deutlich müsse vorgestellt haben, um ihm als Verbrechen zugerechnet werden zu können – diese Forderung, die ihm das Recht seiner moralischen Subjectivität zu bewahren scheint, spricht ihm vielmehr die innewohnende intelligente Natur ab, die in ihrer thätigen Gegenwärtigkeit nicht an die Wolfisch-psychologische Gestalt von deutlichen Vorstellungen gebunden, und nur im Falle des Wahnsinns so verrückt ist, um von dem Wissen und Thun einzelner Dinge getrennt zu seyn.“ 32
Zwar geht es in diesem Paragraphen und der Anmerkung im Gegensatz zu § 117 um das Wissen des moralischen und rechtlichen Wertes einer Handlung, aber doch um ein Wissen. Um also jemandem ein Wissen zuschreiben zu können, ist es nicht notwendig, dass die Person sich im Moment des Handelns dieses explizit propositional mental repräsentiert hat. 33 Zur Verdeutlichung sei eine Stelle aus Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen zitiert, die dies schön veranschaulicht: „Als ich mich auf diesen Stuhl setzte, glaubte ich natürlich, er werde mich tragen. Ich dachte gar nicht, daß er zusammenbrechen könnte.“ 34
Möglicherweise wird uns manchmal erst ex post klar, dass wir eine bestimmte Überzeugung hatten, einen bestimmten Glauben über die Umstände. Wenn ich jedoch im Nachhinein etwa sage, dass ich gedacht hätte, dass der Stuhl mein Gewicht trägt, habe ich genau die Form von Handlungsüberzeugung bestätigt, die für die Frage nach der Verantwortung relevant ist. Weil man also nicht wusste, dass der Stuhl zusammenbrechen würde, da man selbstverständlich annahm, er sei stabil, gehört auch das Zusammenbrechen des Stuhls, das ja durchaus kausale Folge des Sich-auf-den-Stuhl-Setzens war, nicht zum Wissen des Akteurs. Und wenn man dies dann dennoch als Handlung zuschreiben würde, würde man das Kriterium verletzen, dass der für sich freie Wille nur im wissenden Handeln verwirklicht wird. Dieser phänomenal weite Wissens-/Vorstellungsbegriff entspricht damit sehr genau einer Beschreibung Shers der epistemischen Bedingung von Verantwortung:
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GW 14,1: § 132 Anm., 116–117. In der strafrechtswissenschaftlichen Kommentarliteratur ist etwa von einem „sachgedanklichen Mitbewusstsein“ die Rede, so Fischer 2015: 121. Dieses Verständnis der Wissensbedingung hat Auswirkungen auf die epistemische Frage, wie man herausfindet, ob eine Person eine bestimmte Vorstellung hatte oder nicht. § 575 PU. Zu dieser Stelle siehe auch den Kommentar in Savigny 2019 [1989, 1996], 256– 257.
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„Thus, in its most plausible form, the searchlight view says not that we are responsible only for those features of our acts to which we are actively paying attention, but rather that we are responsible only for those features of which we are at least passively aware.“ 35
Passives Gewahrsein nennt Sher also die für Verantwortung hinreichende Variante des Wissens. Eine weitere Frage danach, wie genau das Wissen verstanden werden muss, betrifft die Gewissheit unserer Überzeugungen. Bedeutet Wissen im Sinne der Verantwortungsbedingung immer, dass wir uns sehr sicher gewesen sein müssen? Da sich die Frage nach der Graduierung von Gewissheit nicht unabhängig von Wahrscheinlichkeiten eines bestimmten Erfolgseintritts bestimmen lässt, soll das Thema der Gewissheit erst im nächsten Kapitel über den Zufall diskutiert werden. Das Recht des Wissens1 hat Hegel nun also begründet. Die Prämisse der Möglichkeit zu scheitern hatte er am Beispiel der Vorstellung der unmittelbaren Handlungsumstände motiviert. Dies war insofern konsequent, als Hegel zunächst die Ex-ante-Perspektive eingenommen hat und zudem in einer jeweils unmittelbaren und ganz konkreten Handlungssituation beginnen wollte. Nun erweitert er das Recht des Wissens um die Komponente der Handlungsfolgen: „§. 118. [1] Die Handlung ferner als in äußerliches Daseyn versetzt, das sich nach seinem Zusammenhange in äußerer Nothwendigkeit nach allen Seiten entwikkelt, hat mannichfaltige Folgen. [2] Die Folgen, als die Gestalt, die den Zweck der Handlung zur Seele hat, sind das ihrige, (das der Handlung angehörige,) – [3] zugleich aber ist sie, als der in die Aeußerlichkeit gesetzte Zweck, den äußerlichen Mächten preis gegeben, welche ganz Anderes daran knüpfen, als sie für sich ist und sie in entfernte, fremde Folgen fortwälzen. [4] Es ist eben so das Recht des Willens, sich nur das Erstere zuzurechnen, weil nur sie in seinem Vorsatze liegen.“ 36
Nachdem Hegel die Ex-ante-Perspektive des Handelns betrachtet hat, nimmt er nun die Ex-post-Perspektive ein. Angenommen, wir haben einmal begonnen zu handeln. Dann bedeutet dies, dass wir tätig in die jeweilige Situation eingegriffen und dadurch Dinge verändert haben. Diese Tätigkeit hat verschiedenste Folgen und auch die von uns veränderten Dinge stehen wieder in weiteren Folgezusammenhängen. Möglicherweise rutscht auf der Bananenschale, die ich auf den Boden geworfen habe, später jemand aus. Satz [2] enthält die 35 36
Sher 2009: 6. GW 14,1: § 118, 105.
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bereits in Kapitel 2 erwähnte Konstitutionsthese von Erfolgshandlungstypen. Die Bedingung dieser Handlungstypen sei nochmals wiederholt: Ein Handlungstyp H gehört zur Gruppe der Erfolgshandlungen gdw es einen Zustandstyp F gibt, so dass ein Akteur S nur dann eine Handlung vom Typ H vollzogen hat, wenn F realisiert und unabhängig von der Tätigkeit des Akteurs identifizierbar ist. Mit der Terminologie aus § 118 Satz [2] lässt sich nun auch sagen: Der Zustandstyp F eines Handlungstyps H ist als Folge einer Tätigkeit Φ eine Gestalt. Diese Gestalt hat für den Fall, dass F konstitutiv für H ist, H „zur Seele“. Dies unter der Bedingung, dass der Zweck des Φ-Tuns H ist. Nun gilt jedoch, dass das Φ-Tun neben F noch weitere Folgen nach sich zieht. In der Terminologie von Wrights bedeutet dies, dass die handlungskonstitutiven Folgen das Ergebnis, die nicht-konstitutiven Folgen hingegen einfach Konsequenzen der Tätigkeit sind. Für die Rede von Handlungstypen wird vorausgesetzt, dass es sich dabei um ein mehrmals instanziierbares Tun handelt. Allerdings soll dies hier nicht voraussetzen, dass nur diejenigen Tätigkeiten Handlungstypen und speziell Erfolgshandlungstypen darstellen, für die es in der Gesellschaft allgemein anerkannte typische Zwecke gibt. Das ermöglicht, dass neue Handlungstypen erschaffen werden können. Um es an einem zugegebenermaßen künstlichen Beispiel zu erläutern: Es spricht nicht a priori etwas dagegen, dass man einen Handlungstyp einführt, der etwa darin besteht, die dritte Seite eines Buches an der oberen Ecke zu knicken. Nun könnte man dafür auch einen eigenen Ausdruck einführen und sagen, der Handlungstyp ›Dreiseitknicken‹ besteht darin, dass man an einem Buch die dritte Seite an der oberen Ecke knickt. Das Handlungsergebnis, also die konstitutive Folge für diesen Handlungstyp, wäre dann, dass an einem Buch tatsächlich die dritte Seite an der oberen Ecke geknickt ist. Natürlich entbehrt dieses Beispiel insofern der Rationalität, als schwer einsehbar ist, weshalb man dies überhaupt tun sollte. Aber vielleicht macht dies jemandem Spaß und man entdeckt, dass diese Tätigkeit zunehmende Anforderungen an Geschwindigkeit und Präzisierung des Knicks stellt, so dass es als Hobby betrieben werden kann. 37 Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil Hegel nun in Satz [4] das Recht des Wissens auf die konstitutiven Handlungsfolgen einschränkt und diese vom Zweck der Tätigkeit abhängen. Zwar lässt sich auch von allgemein anerkannten Zwecken reden, jedoch geht es immer noch primär um die innere subjektive Perspektive. Das Knicken der dritten Buchseite an der oberen Ecke wäre also in dem Fall, in dem jemand dadurch bezweckt, eine für ihn wichtige Seite im Buch zu markieren, Konsequenz, aber nicht Handlungsergebnis, in dem Fall, 37
Dass dies nicht so abwegig ist, sieht man auch daran, bei welchen Tätigkeiten man durch Perfektionierung flow erleben kann. Siehe dazu Csikszentmihalyi 2015.
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in dem ein Dreiseitknicken vollzogen wurde, hingegen gerade der Zweck. Aber heißt das, dass im ersten Fall die Person für den Knick nicht verantwortlich ist, da sie diesen nicht bezweckte, sondern lediglich das Markieren der Seite? Das Markieren einer Buchseite mittels eines Knicks am oberen Rand der Seite hat aber doch notwendigerweise zur Folge, dass die dritte Seite an der oberen Ecke einen Knick hat – vorausgesetzt natürlich, die zu erinnernde Passage befindet sich auf Seite 3. Wenn A sich nun B's Buch geliehen hat und mittels eines Knicks eine Seite markiert, ist A dann deshalb nicht verantwortlich für den Knick und damit auch nicht verpflichtet, B ein neues Buch zu besorgen, weil A gar nicht den Knick selbst, sondern lediglich die Markierung bezweckt hat? Um hier Klarheit zu schaffen, wäre es sinnvoll, den Begriff der notwendigen Folge einer Tätigkeit einzuführen. Da dies jedoch bereits zum Thema Zufall gehört, sei die Frage bis auf das nächste Kapitel verschoben, in dem es darum geht, welche Folgen zugeschrieben werden dürfen, selbst wenn sie nicht konstitutiv für den Zweck sind, den jemand mit der Tat verfolgt. Das Argument für das um die konstitutiven Folgen erweiterte Recht des Wissens1b lautet wie folgt: (P1) Nur Äußerungen des Willens sind Verwirklichungen des freien Willens. (P2) Rechte sind Regeln unserer Praxis, die das Dasein des freien Willens diachron stabil sichern. (P3) Nur die Folgen der Tat sind Teil der Willensäußerung, die durch den Zweck definiert werden. (P4) Zurechnung ist das Urteil, dass etwas Äußerung eines Willens ist. (K)
Nur die Folgen der Tat, die durch den Zweck definiert sind, dürfen als Äußerung des Willens (Handlung) zugerechnet werden.
So, wie sich also die Umstände anders verhalten können, als man es sich vorgestellt hat, so auch die konkreten Folgen des eigenen Tuns. Dass das Wissen über die Umstände („das Vorausgesetzte, das er [der Wille, T.M.] verändern will“) und das Wissen über die Folgen („das Veränderte selbst, das Hervorgebrachte“ 38) sich nicht decken müssen, lässt sich an Beispielen zeigen, insbesondere an solchen Beispielen, bei denen man falsche Überzeugungen über Umstände oder Folgen hatte. Am Beispiel einer Restaurantbesucherin, die durch das Heben der Hand einen Kellner an den Tisch rufen möchte, verdeutlicht: Hier kann durchaus ein Irrtum bezüglich der Folgen ihres Tuns bestehen. Angenommen, ein anderer Gast macht ihr den Vorwurf, dass sie ihm die Sicht stehle – vielleicht spielt eine Band angenehme Jazzmusik im Hintergrund. Dann könnte sie reagieren und sagen, dass sie nicht gewusst habe, 38
Beides GW 14,2: § 115 Rn., 579.
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dass sie ihm die Sicht stehle, dass also ihr Tun diese Folge haben würde. Oder aber die Tatsache, dass eine Frau an der Bar das Heben des Arms anstatt als Bestellen beim Kellner als Gruß an sie interpretierte. Dies wäre ebenfalls eine einzelne Folge in dieser konkreten Handlungssequenz, die nicht antizipiert wurde. Selbst wenn also ein Wissen im ersten Sinne, also über die (relevanten) Handlungsumstände, vorliegt, kann es immer noch sein, dass sich aus der Tat Folgen ergeben, die man nicht geahnt hat. 39 Nun muss neben dem Unterschied zwischen Umständen und Folgen noch ein weiterer eingezogen werden. Dabei geht es um die einzelnen ganz konkreten Umstände und Folgen und bestimmte Umstands- und Folgetypen. Bisher, also in den §§ 117 und 118, ging es lediglich um Einzelnes. Dies liegt daran, dass sich Verantwortung auf bereits in der Vergangenheit Liegendes bezieht. Dieses war aber ganz konkret bestimmt, die Situation, die Folgen und auch das Wissen des jeweiligen Subjekts. Daher müssen auch zunächst die faktischen und damit aber ganz konkreten Umstände, Folgen und die jeweiligen Vorstellungen von diesen betrachtet werden. Erst in der Diskussion des Absichtsbegriffs wird es dann statt um Einzelnes um Allgemeines gehen. Abschließend seien zwei Anmerkungen gemacht. Erstens lässt sich dieses erste Recht des Wissens nicht nur im Sinne eines Anfechtungsrechts verstehen, sondern auch als Recht, einzufordern. Das Recht des Wissens kann sowohl (i) dadurch verletzt werden, dass A etwas zugerechnet wird, das A nicht wusste, als auch (ii) dadurch, dass A etwas nicht zugerechnet bekommt, was A wollte und wusste. Zwar glaube ich, dass Hegel im ersten Abschnitt der Moralität primär an die Bedeutung der Anfechtung dachte, was durch die Wahl der strafrechtlichen Beispiele unterstützt wird, allerdings wird die Lesart des Einforderungsrechts auch von der Formulierung impliziert. Denn das Recht, dass mir nur das von mir Gewusste zugerechnet wird, impliziert das Recht, dass das von mir Gewusste mir aber auch tatsächlich zugerechnet wird. Zweitens muss darauf hingewiesen werden, dass der Rechtsbereich des Wissens im Sinne dessen, was Rechte und Pflichten bezüglich des Wissens und des Wissbaren von Einzelnem regelt, nicht seine Geltung verliert, wenn man im Argumentationsverlauf den Übergang zum Absichtskapitel vornimmt. Dies zeigt sich etwa daran, dass man beispielsweise als Autofahrer beim Wechseln einer Fahrspur immer einen Schulterblick machen sollte. Dies wiederum ist dadurch begründet, dass man Wissen um einzelne Handlungsumstände be39
Allerdings wird sich eine Unwissenheit über die einzelnen Folgen des Tuns größtenteils, wenn nicht immer, auf ein Unwissen über die Handlungsumstände zurückführen lassen, insofern die Umstände dispositional-kausale Eigenschaften der Gegenstände umfassen, die Teil der Handlungssituation sind.
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nötigt und dieses nur dann erwerben kann, wenn man in dieser Situation auch hinschaut. Was bringt es mir zu wissen, dass in den meisten Fällen der Blick in den Seitenspiegel hinreichend dafür ist, zu wissen, ob die Spur frei ist, auf die man wechseln will, wenn sich in diesem einen Fall ein Auto im toten Winkel befindet? Das Wissen wiederum, dass es möglich ist, dass sich ein Auto im toten Winkel befindet, ist natürlich wieder allgemein. In manchen Fällen besteht also die Möglichkeit, dass man hätte wissen können, darin, dass man eine Handlung hätte vollziehen können, mittels derer man das Wissen erlangt hätte. Aber was man hätte wissen können und müssen, wird erst in Verbindung mit dem Absichtsbegriff eingeführt. Zunächst sei ein Versuch unternommen, das Recht des Wissens im hegelschen Sinne spekulativ 40 zu erklären. Versuch einer spekulativen Erklärung des Rechts des Wissens Das Recht des Wissens behandelt unsere epistemische Endlichkeit. Einerseits sind wir als selbstbewusst-wollende Wesen allgemein und insofern unendlich. Da wir allerdings erst dann unserem Begriff gemäß sind, wenn wir auch tatsächlich handeln, im Handeln jedoch der subjektive und der ausgeführte Zweck aufgrund unserer epistemischen Endlichkeit auseinanderfallen können, scheinen sich gerade im Handeln Unendlichkeit und Endlichkeit entgegenzustehen. Unser Wesen ist es, ganz bei uns zu sein und zu bleiben, im Handeln passiert es allerdings, dass wir uns an anderes verlieren. Wir haben etwas getan und es doch nicht gewollt. Das Recht des Wissens ist nun die Aufhebung dieses Gegensatzes, es ist die wahrhafte Unendlichkeit, da sich erst in diesem Recht unser Wesen, unendlich zu sein, in der Endlichkeit mit sich zusammenschließt. Weil wir als endliche Wesen im Handeln scheitern können, das Scheitern im Handeln jedoch unserem Wesen entgegensteht, haben wir das Recht, uns nur das zurechnen zu lassen, wovon wir wussten. Wir können insofern unsere epistemische Begrenztheit zwar nicht transzendieren, jedoch durch dieses Recht so integrieren, dass wir im Geltendmachen dieses Rechts unsere wahrhafte Unendlichkeit realisieren. Dies ist zugleich ein schönes, weil anschauliches Beispiel für das, was Hegel das vernünftige oder auch spekulative Erkennen nennt. Der Verstand hält an einzelnen Bestimmungen fest: wir als denkende Wesen, wir im Handlungsvollzug. Er setzt Endlichkeit und Unendlichkeit einander entgegen, ohne die vermittelte Einheit begreifen zu können. Das Recht ist jedoch Dasein des freien Willens und der freie Wille kann nur als diese 40
Aus Unfähigkeit, diesem Ausdruck selbst eine klare Bedeutung zu geben, verlasse ich mich an dieser Stelle auf ein intuitives Verständnis. Die Leserin wird im Folgenden hoffentlich verstehen, in welchem Sinne hier von ›spekulativ‹ die Rede ist.
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vermittelte Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit begriffen werden. Das Recht des Wissens ist genau eine solche vermittelte Einheit, die Vermittlung unserer als unendlicher, den freien Willen wollender Wesen und unser als endlicher, epistemisch begrenzter Handlungssubjekte. Nur durch ein solches Recht des Wissens sind wir wahrhaft frei, vollführen wir wahrhaft den freien Willen, wollen wir auch erst den freien Willen. Nun kommt es aber doch trotz dieses Rechts des Wissens vor, dass jemand nicht-vorsätzlich gehandelt hat und dennoch verantwortlich ist. Wie kann dies erklärt werden? Nach George Sher ergibt sich daraus ein Problem für die Standardauffassung der Wissensbedingung für moralische Verantwortung. Im Folgenden sollen in einem Exkurs dieses Problem und Shers eigener Lösungsansatz vorgestellt werden. Dies ermöglicht dann, kontrastiv den hegelschen Lösungsvorschlag zu diskutieren, der sich aus den §§ 119 und 120 ergibt und bereits in die Absichtsthematik fällt. 3.2.2 Das Problem der Standardauffassung und George Shers Antwort Im Unterkapitel 3.1 ist bisher lediglich die Grundidee der Searchlight View nach Sher dargestellt worden. Jedoch hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass Sher diesen Ansatz in seinem Buch kritisieren und zurückweisen möchte. Die Idee der Searchlight View sei nochmals wiederholt: Eine Akteurin ist nur für die Aspekte ihres Tuns verantwortlich, von denen sie auch Wissen hatte. Das bedeutet also – ähnlich wie in Hegels Recht des Wissens –, dass man dann nicht verantwortlich ist, wenn man unwissend handelte. Wissen wird dieser Ansicht nach als notwendige Bedingung für moralische Verantwortung verstanden. Das Problem beginnt nach Sher damit, dass wir in vielen Fällen unserer Zuschreibungspraxis gegen diese Bedingung verstoßen. Häufig machen wir uns auch dann verantwortlich, wenn kein Wissen vorlag. Sher führt drei Gruppen mit jeweils drei Fällen an, in denen die Wissensbedingung nicht erfüllt ist und dennoch Verantwortung vorzuliegen scheint. Es seien zwei dieser Beispiele genannt: „Home for the Holidays. Joliet, who is afraid of burglars, is alone in the house. Panicked by sounds of movement in her kitchen, she grabs her husband's gun, tiptoes down the stairs, and shoots the intruder. It is her son, who has come home early for the holidays. Colicky Baby. Scout, a young woman of twenty-three, has been left in charge of her sister's baby. The infant is experiencing digestive pains and has cried steadily
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for hours. Scout has made various attempts to ease its discomfort, but nothing has worked. Finally, to make the child sleep, she mixes vodka with its fruit juice. The child is rushed to the hospital with alcohol poisoning.“ 41
Sofern man akzeptiert, dass es sich hier um solche Fälle handelt, die zwar gemäß der Searchlight View Verantwortung ausschließen, jedoch nach allgemeiner Beurteilung Beispiele für Verantwortung sind, ergibt sich für Sher folgender Schluss: (P1) Wenn die Searchlight View wahr ist, dann sind diese Fälle unwissender Verantwortung Fälle ungerechtfertigter Zuschreibungen. (P2) Entweder (a) man revidiert die Searchlight View oder (b) man gibt die bestehende Zuschreibungspraxis zumindest für Fälle unwissentlicher Verantwortung auf. (P3) Variante (b) ist unangemessen. (K)
Man muss die Searchlight View revidieren.
Die Begründung für (P3) ergibt sich in Shers Buch daraus, dass eine Änderung der Zuschreibungspraxis extrem revisionär wäre und daher sehr starke Argumente für die Searchlight View vorgebracht werden müssten. Die zwei Versionen an Argumenten, die er rekonstruiert, sind jedoch seines Erachtens nicht überzeugend genug, um tatsächlich eine starke Revision der Zuschreibungspraxis zu legitimieren. Deshalb wählt er Variante (a), die Searchlight View zu revidieren. Aber wie muss Searchlight View revidiert werden? Eine erste Antwort besteht in einer Erweiterung um ein normatives Element: Jemand S ist moralisch verantwortlich nur dann, wenn i) S wusste, dass sie etwas Vorwerfbares tat, oder, ii) falls S nicht wusste, dass sie etwas Vorwerfbares tat, dies hätte wissen müssen. Der erste Fall ist die klassische Searchlight View, der zweite Fall bestimmt nun für unwissentliche Verantwortung eine epistemische Pflicht, dass man hätte wissen müssen. Nun ergibt sich für diese disjunktive Erweiterung allerdings das Problem eines Dilemmas. Für die Fälle der Unwissenheit gilt nämlich, dass das Unwissen entweder auf eine bewusste Entscheidung zurückgeht, sich nicht zu informieren, oder aber dies nicht tut. Angenommen, Ersteres ist der Fall. Dann fallen alle klassischen Gegenbeispiele gegen die Searchlight View heraus, da in diesen Fällen gerade keine bewusste Entscheidung zum Nichtwissen vorlag. Weder hat sich Joliet bewusst dagegen entschieden, erst einmal nachzufragen, wer denn da gerade ins Haus gekommen ist, noch hat sich Scout 41
Sher 2009: 26.
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zwar gedacht, dass die Zugabe von Wodka zum Saft ein Risiko bergen könnte, sich dann aber dagegen entschieden, sich zu informieren. Stattdessen waren sich beide dieser Aspekte schlicht und ergreifend nicht bewusst. Dann bleibt noch die zweite Option übrig. In diesem Fall ergibt sich dann aber das Problem, dass sich die Frage iteriert, weshalb man für ein unwissentliches (weil nicht bewusst beschlossenes) Abweichen von einer Norm (du hättest wissen müssen) verantwortlich sein soll. Man würde also unwissentliche Verantwortung (für eine Normabweichung) mit einer weiteren unwissentlichen Verantwortung für eine Normabweichung erklären. Damit ist die normative Erweiterung als Rettungsversuch der Searchlight View gescheitert. Was diese Erweiterung letztlich nicht erklären kann, ist, wie man mit Fällen unwissentlicher Verantwortung umgehen kann, wenn die Begründung im Falle wissentlicher Verantwortung in einem engen Zusammenhang zwischen dem Subjekt und der Handlung besteht, für die es verantwortlich ist. Shers eigener Ansatz soll nun genau diese Schwierigkeit lösen. Zunächst sei der Ansatz als ganzer zitiert: „PEC: When someone performs a wrong or foolish act in a way that satisfies the voluntariness condition, and when he also satisfies any other conditions for responsibility that are independent of the epistemic condition, he is responsible for his act's wrongness or foolishness if, but only if, he either (1) is aware that the act is wrong or foolish when he performs it, or else (2) is unaware that the act is wrong or foolish despite having evidence for its wrongness or foolishness his failure to recognize which (a) falls below some applicable standard, and (b) is caused by the interaction of some combination of his constitutive attitudes, dispositions, and traits.“ 42
Die Bedingungen im Antezedens sollen nun zunächst sicherstellen, dass es lediglich um die epistemische Bedingung von Verantwortung geht. Angenommen also, alle Bedingungen für Verantwortung mit Ausnahme der epistemischen (welche das auch immer genau sind) sind erfüllt. Dann ist das Subjekt entweder dann verantwortlich, wenn es Wissen hatte, oder aber, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, für den Fall, dass es kein Wissen hatte. Natürlich ist nun nur dieser zweite Fall interessant, weil gerade dieser die Schwierigkeit der Erklärung mit sich bringt. Für den Fall unwissentlicher Verantwortung werden von Sher drei Bedingungen genannt. Zunächst muss das Subjekt Evidenz dafür gehabt haben, zu erkennen, was es tut. Es muss also die evidenzielle Möglichkeit bestanden haben, wissend zu handeln. Da das Subjekt nicht wusste, hat es diese Evidenz also nicht beachtet. Die zweite 42
Sher 2009: 88.
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Bedingung besagt nun, dass es einen anwendbaren Standard dafür gegeben hat, diese Evidenz in der gegebenen Situation zu beachten. Für das bereits erwähnte Beispiel eines Autofahrers auf der Autobahn gibt es einen Standard dafür, dass man das Wissen durch Schulterblick erlangt, ob sich neben einem ein Auto befindet. Von einer Autofahrerin auf der Autobahn kann man im Falle eines Spurwechsels erwarten, dass sie sich per Schulterblick vergewissert, ob sich ein Auto auf der Spur nebenan befindet, auf die man wechseln möchte. Wenn nun A auf der Autobahn bei 100 km / h die Fahrbahn wechselte und dadurch in das Auto von B fuhr und dadurch einen Unfall verursachte, dann gab es Evidenz dafür zu wissen, dass A einen Unfall bauen würde (B befand sich zu dem Zeitpunkt des Spurwechsels genau neben A's Auto). Außerdem kann in einem solchen Fall erwartet werden, dass A diese Evidenz auch per Schulterblick hätte berücksichtigen können. Aber dass A nun dennoch diese Evidenz nicht berücksichtigt hat, muss noch in irgendeinem Zusammenhang zu A stehen. Das Missachten der erwartbaren Informationsbeschaffung muss durch „constitutive attitudes, dispositions, and traits“ des Subjekts verursacht worden sein. Damit ermöglicht also die Klausel (2a), das ›hätte wissen müssen‹ weiter zu analysieren, es liefert Kriterien für die Erwartbarkeit. Die Klausel (2b) stellt dann die Verbindung zur Akteurin her. So viel zunächst zu Shers eigenem Ansatz. Aus der Kritik an der Searchlight View ergibt sich nun die Herausforderung für den hegelschen Ansatz. Der Ansatz der Searchlight View sei nicht in der Lage, eine Verbindung herzustellen zwischen: a) dem Fehlverhalten trotz Unwissenheit und b) dem Akteur (der mit Ersterem über die Verantwortungszuschreibung verbunden wird). Der eigentliche Fehler der Searchlight View bestehe nun nach Sher in der Vermengung zweier Perspektiven: „The two perspectives that I have in mind are, first, the engaged perspective that we occupy when we ourselves act, and, second, the detached perspective that we occupy when we consider people's acts – our own or those of others ‚from the outside`.“ 43
Erste-Person-Perspektive: Wenn wir selbst handeln, nehmen wir die ErstePerson-Perspektive ein. Dabei sind wir selbst in die konkreten Handlungszusammenhänge involviert.
43
Sher 2009: 9.
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Dritte-Person-Perspektive: Wenn wir die Handlungen anderer, aber auch unsere eigenen Handlungen von außen betrachten und beurteilen, nehmen wir diese Perspektive ein. Die Vermengung bestehe nun laut Sher darin, dass man die epistemische Bedingung moralischer Verantwortung darüber motiviert, dass man sich in die Erste-Person-Perspektive versetzt. Als Handelnder selbst hat man immer nur Bestimmtes im Bewusstsein, achtet auf Bestimmtes und fühlt sich auch nur für die Dinge retrospektiv verantwortlich, über die man Wissen hatte. Nun wird aus dieser Perspektive jedoch etwas für die Dritte-Person-Perspektive geschlossen, und darin besteht die Vermengung. Denn man folgert nun, dass deshalb Außenstehenden, wenn sie die Handlungen anderer bewerten, andere nur dafür verantwortlich machen dürfen, wovon diese ein Wissen besaßen. Was ergibt sich nun daraus für Hegels Konzeption? Ist er den Problemen ausgesetzt? Zunächst lässt sich zumindest sagen, dass er scheinbar Anhänger der Searchlight View ist: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. – Die That kann nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; – das Recht des Wissens.“ 44
Hier formuliert Hegel eindeutig eine notwendige epistemische Bedingung für moralische Verantwortung. Nur an dem habe man „Schuld“ und nur das müsse man „als seine Handlung“ anerkennen, „was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß“. Das bedeutet, dass man dafür nicht verantwortlich ist, wovon man kein Wissen besaß. Damit ergibt sich allerdings die Herausforderung der Searchlight View auch für die hegelsche Position. Die Problemfragen lauten dann: A) Wie lassen sich mit hegelianischen Mitteln Fälle erklären, in denen trotz Anfangsplausibilität der Searchlight View auch dann moralisch verantwortlich gemacht wird, wenn kein Wissen vorlag? B) Wie kann in diesen Fällen ein Zusammenhang zwischen Unwissenheit und Akteurin hergestellt werden (der in der Verantwortungszuschreibung präsupponiert wird)? Bevor nun zur Thematisierung der Absicht als weiterer Wissensbedingung und damit zu Hegels Antwort auf die Herausforderung übergegangen wird, seien noch einige Differenzen der bisherigen hegelschen Konzeption zur Searchlight View benannt. 44
GW 14,1: § 117, 105.
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Wichtig ist zunächst zu sehen, dass dieses Recht einzelne Subjekte schützt (Anfechtungsrecht). Im Gegensatz dazu spricht Sher davon, wann jemand moralisch verantwortlich ist, eine normative Redeweise von Ansprüchen oder Rechten verwendet er nicht. Bei Hegel wird die Searchlight View darüber begründet, dass nur Zurechnungen der gewussten Aspekte der Tat die Wirklichkeit der Freiheit (be-)wahren können. Somit ist das Prinzip moralischer Verantwortung die Wirklichkeit der Freiheit. Das, wofür verantwortlich gemacht wird, muss als Werk des verantwortlichen Subjekts und als dessen ganz eigener Willensausdruck verstanden werden können. Damit akzeptiert Hegel Shers Herausforderung als solche, d. h. dass in Fällen, in denen trotz Unwissenheit verantwortlich gemacht wird, erklärt werden muss, worin der Zusammenhang zum Subjekt besteht. 45 Auch aus der hegelschen Perspektive selbst ergibt sich diese Herausforderung, da in diesen Fällen zunächst nicht klar ist, weshalb etwas als Handlung eines Subjekts zugeschrieben wird, das aufgrund von Unwissenheit eigentlich nicht dessen Willensausdruck sein kann. 46 Damit gehe ich über zu Hegels Begriff der Absicht (kognitiv) und dem zweiten Recht des Wissens. 3.2.3 Die Absicht: Das Recht des Wissens2 (§§ 119–120) Die Lösung der Herausforderung, unwissentliche Verantwortung zu erklären, ergibt sich aus Hegels Thematisierung der Absicht. In den §§ 119 und 120 wird die Absicht noch als weiteres kognitives Wissenselement betrachtet. Dies zeigt sich daran, dass Hegel in § 120 davon spricht, dass etwas „ gewußt werde“ 47. Zudem bestimmt er den Begriff der Absicht als Erweiterung des Begriffs des Vorsatzes, wenn er sagt, dass der Vorsatz „nicht blos die Einzelnheit, sondern wesentlich jene allgemeine Seite, – die Absicht“ 48 enthalte. Wie sieht nun die Bestimmung der Absicht im Einzelnen aus und worin besteht das zweite Recht des Wissens? Dazu sei nun wieder erst der Haupttext als ganzer zitiert:
45
46 47 48
Wie oben gesehen, nennt Sher gerade Theorien des Willensausdrucks als Motivationsquelle der Searchlight View. Jedoch sieht er nicht, dass es letztlich darauf ankommt, wie man die Rede vom Willensausdruck genau versteht. Das Verhältnis zwischen subjektivem Wollen und Willensäußerung kann dabei auf wenigstens dreierlei Weise verstanden werden, als Detektieren, Konstituieren oder eine Kombination aus beidem. Siehe dazu Finkelstein 2003. Die hegelsche Konzeption ist letztlich eine Kombination aus Detektieren und Konstituieren, wie weiter unten gezeigt werden soll. Siehe zu dieser Spannung auch Laitinen / Sandis 2019. GW 14,1: § 120, 108. GW 14,1: § 119, 107.
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„§. 119. [1] Das äußerliche Daseyn der Handlung ist ein mannichfaltiger Zusammenhang, der, unendlich in Einzelnheiten getheilt, betrachtet werden kann und die Handlung so, daß sie nur eine solche Einzelnheit zunächst berührt habe. [2] Aber die Wahrheit des Einzelnen ist das Allgemeine und die Bestimmtheit der Handlung ist für sich nicht ein zu einer äußerlichen Einzelnheit isolirter, sondern den mannichfaltigen Zusammenhang in sich enthaltender allgemeiner Inhalt. [3] Der Vorsatz, als von einem Denkenden ausgehend, enthält nicht blos die Einzelnheit, sondern wesentlich jene allgemeine Seite, – die Absicht.“ 49
Der Vorsatz enthalte also die Absicht. Hegel verwendet an dieser Stelle den Ausdruck ›Vorsatz‹ als Oberbegriff. Um Missverständnissen vorzubeugen, schlage ich vor, weiterhin den Ausdruck des Wissens zu verwenden. Dann lässt sich sagen, dass der Vorsatz das Wissen von Einzelnem, die Absicht hingegen das Wissen von Allgemeinem ist. Beides lässt sich dann nochmals auf die Ex-ante-Perspektive der Umstände und die Ex-post-Perspektive der Folgen beziehen. Dann ergibt sich: (i) Vorsatz ist das Wissen des Einzelnen (Umstände und Folgen) (ii) Absicht ist das Wissen des Allgemeinen (Umstände und Folgen) Nun stellt sich allerdings zugleich die Frage, worin der Unterschied zwischen Einzelnem und Allgemeinem bestehen soll. Hegel spricht davon, dass man die Handlung unter dem Aspekt beschreiben könne, dass die in sie involvierte Tätigkeit nur etwas Einzelnes „ berührt habe“. Zwar spricht Hegel von ›Handlung‹, allerdings müsste er an dieser Stelle das generelle ›Tat‹ oder auch ›Tätigkeit‹ verwenden. Aus der Ex-ante-Perspektive des Handelns lässt sich die jeweilige Situation immer feiner beschreiben, mit immer mehr Einzelheiten. Ich kann sagen, dass ich an einem Schreibtisch sitze, oder aber, dass ich an einem Schreibtisch sitze, dessen Arbeitsfläche 2 Quadratmeter beträgt und der die Farbe Eichenfurnier weiß lasiert besitzt und auf dem ein Bildschirm steht etc. 50 Eine Tat könnte nun unmittelbar so beschrieben werden, „daß sie nur eine solche Einzelnheit zunächst berührt habe“. Diese Rede vom Berühren ist insofern naheliegend, als man in vielen Fällen des Handelns zunächst an ein ganz basales Handeln denkt, das meist eben darin besteht, dass wir mit unserem Körper, bevorzugt unseren Händen, etwas berühren.
49 50
GW 14,1: § 119, 107. Natürlich ließe sich immer weiter im Detail beschreiben, welche Maserung etwa das Furnier an der rechten Ecke aufweist oder worin die chemischen Eigenschaften des Materials bestehen, aus dem der Tisch hergestellt ist, oder über welche Kostenstelle die Anschaffung des Tisches finanziert wurde.
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Für die Fälle kausalen Veränderns – und diese Fälle stehen ja zunächst im Mittelpunkt der Analyse – müssen wir dies sogar tun. Hegel schreibt, dass eine Handlung so „betrachtet werden kann“. Daher schlage ich vor, dass diese Betrachtung der Tätigkeit, insofern sie unmittelbar in einer Berührung oder auch einer Körperbewegung besteht, die Betrachtung einer Handlung als einer Basishandlung darstellt. Entgegen der meist ontologisch gemeinten Rede von Basishandlungen gehe ich hier allerdings davon aus, dass damit nur Folgendes gemeint ist: Basis-Handlung Eine Handlung ist eine Basis-Handlung, wenn sich ihr Vollzug zuschreiben lässt, ohne dass auf Rückfrage der Vollzug noch weiterer Tätigkeiten zugeschrieben werden muss. 51 Diese Charakterisierung scheint mir den wesentlichen Aspekt der Unmittelbarkeit einzufangen und zugleich ontologisch neutral zu sein bezüglich der Frage, ob Basishandlungen ontisch grundlegender sind als komplexe Handlungen. 52 Satz [2] beginnt nun mit einem begriffslogischen 53 Theorem: Die Wahrheit des Einzelnen ist das Allgemeine. Die Rede davon, dass etwas x die Wahrheit von etwas anderem y sei, taucht in Hegels System sehr häufig auf. Im Rahmen dieser Arbeit ist kein Platz, um ausführlich auf diese methodologische Redeweise Hegels einzugehen. Allerdings sei hier ein Vorschlag zum Verständnis gemacht. Wenn Hegel Aussagen der Form ›x ist die Wahrheit von y‹ 54 macht, dann ist es so, dass innerhalb der Textchronologie zunächst von y die Rede war. Die Grundidee besteht darin, dass der Begriff, der an früherer Stelle im Text thematisch war, methodisch vorrangig ist, dass er eingeführt werden musste, bevor der nächste Begriff und das entsprechende Phänomen eingeführt werden konnten. Auf § 119 übertragen heißt das zunächst, dass methodisch zunächst vom Vorsatz als einem Wissen vom Einzelnen die Rede sein musste. Dass nun aber gerade der spätere Begriff die Wahrheit des textlich früheren sein soll, besagt, dass der nächste 51
52
53 54
Dabei kann die Lernbarkeit basaler Tätigkeiten auf Grundlage von Aufforderungen als gutes Kriterium dafür dienen, inwiefern die Bezeichnung einer Tätigkeit als Basishandlung angemessen ist (Hartmann 1996: 81). Für einen guten Überblick zur Thematik der Basishandlungen siehe Kamp 2016. Für einen zwar ontologischen Ansatz in der Handlungstheorie, der jedoch die These ablehnt, dass Basishandlungen die ontischen Bausteine komplexerer Handlungen sind, siehe Sneddon 2006: 97–117. Hier im Sinne des dritten Buches der Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Begriff (1816). Für eine ausführliche Auseinandersetzung u. a. mit dieser Relation siehe Kreines 2015.
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Begriff eine Präsupposition des früheren war 55, dass erst die Aufdeckung dieser Präsupposition die frühere Redeweise vollends verständlich macht. Schwierig ist nun, dass Hegel ein allgemeines Theorem zitiert, dessen Rechtfertigung in die Begriffslogik fällt. Dieses Theorem soll nun aber auch für die Begriffe des Vorsatzes und der Absicht gelten. Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Verhältnis von allgemeiner begriffslogischer Bestimmung und konkreter realphilosophischer Analyse kein einfaches Ableitungs- oder Subsumtionsverhältnis darstellt. Daher muss nun für den Fall von Vorsatz und Absicht nochmals eigens gefragt werden, was dieses Theorem in diesem Kontext genau bedeutet. Dies soll nun durch weitere Interpretationen auch anhand von Beispielen geschehen, die Hegel selbst anführt. Noch in Satz [2] selbst führt Hegel eine spezifizierende Redeweise ein, was das Theorem bezogen auf die vereinzelte Betrachtung von Handlungen bedeutet: „die Bestimmtheit der Handlung ist für sich nicht ein zu einer äußerlichen Einzelnheit isolirter, sondern den mannichfaltigen Zusammenhang in sich enthaltender allgemeiner Inhalt“. Solange man die Handlung als Basishandlung beschreibt, erfasst man lediglich etwas Einzelnes ohne seinen kausalen Zusammenhang mit den ganz konkreten Umständen. Jemand S hat ihren Finger gekrümmt und einen Hebel gezogen. Dies auf die Frage zu antworten, was S getan habe, würde bedeuten, die Handlung als einen „zu einer äußerlichen Einzelnheit isolirte[n]“ Inhalt zu betrachten. Die Wahrheit dieser Einzelheit sei nun aber die Allgemeinheit und bezogen auf Handlungen bedeutet dies, dass die Bestimmtheit der Handlung ein „den mannichfaltigen Zusammenhang in sich enthaltender allgemeiner Inhalt“ ist. S hat eben nicht einfach nur ihren Finger gekrümmt und einen Hebel gezogen, S hat den Abzug einer geladenen Pistole betätigt, nachdem sie diese auf T gerichtet hatte. T ist kurz darauf infolge einer Schussverletzung gestorben. All dies ist Teil des mannigfaltigen Zusammenhangs. Der allgemeine Inhalt kann darin gesehen werden, dass S T erschossen bzw. T durch einen Pistolenschuss getötet hat. Hegels eigenes Beispiel in der Anmerkung zu § 119 ist die Brandstiftung. Möglicherweise bestand das, was jemand faktisch getan hat, lediglich darin, ein Feuerzeug an ein Stück Papier gehalten zu haben. Wenn sich nun ein größeres Feuer entfacht, das schließlich zum Niederbrennen eines Hauses führt, dann könnte mit Verweis auf den Vorsatz argumentiert werden, dass man doch nur eben genau dies vorhatte, nämlich ein Feuerzeug an ein Stück Papier zu halten. Eine Person, die vorsätzlich in diesem Sinne handelt, ist bei dem, was sie unmittelbar tut, wissend dabei. Um nun die Allgemeinheit, über die der Absichtsbegriff expli55
Sofern man die These vertritt – wofür vieles spricht –, dass nur Aussagen andere Aussagen präsupponieren können, könnte hier auch alternativ gesagt werden, dass Aussagen über den ersten Begriff Aussagen über den zweiten präsupponieren.
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ziert wird, zu klären, muss man sich nochmals das Beispiel der Brandstiftung anschauen. Hegel sagt, dass die Charakterisierung einer Handlung als Brandstiftung der Handlung „ein allgemeines Prädicat“ 56 erteile. Mit Joel Feinberg könnte man dies auch als den Akkordeoneffekt 57 der Handlungsbeschreibung bezeichnen. Wenn A etwa ein brennendes Streichholz an ein Stück Papier hält (Basishandlung Φ), das Papier anfängt zu brennen (Kausalfolge F1) und dadurch umliegende Papiere entzündet (Kausalfolge F2), was wiederum zur Folge hat, dass umstehende Möbelstücke in Brand geraten (Kausalfolge F3), bis schließlich ein ganzes Haus niederbrennt (Kausalfolge F3+n), dann kann man entweder diese komplizierte Beschreibung wählen, die jeden einzelnen kausalen Zwischenschritt benennt, oder man beschreibt die Handlung einfach dadurch, dass man sagt: A hat ein Haus niedergebrannt (Φ0 ). 58 Diese letzte Beschreibung betrachte ich als das, was Hegel in § 121 den „auf die einfache Form der Allgemeinheit zurückgebrachte[n], mannichfaltige[n] Inhalt der Handlung“ 59 nennt. Da sich also das mit unserem Tun Beabsichtigte nicht in der einzelnen Tat erschöpft, sondern häufig gerade auch die weiteren Folgen unseres Tuns mit beabsichtigt waren, lässt sich die Allgemeinheit unseres Handelns etablieren. Die Absicht besteht zunächst in dieser kognitiven Weitsicht, in unserer Fähigkeit, von den unmittelbaren Situationen und Taten zu abstrahieren und diese mental in raumzeitlich weitreichendere kausale Ereignisfolgen und Handlungszusammenhänge einzubetten. Satz [1] aus § 119 lässt sich dann auch so beschreiben: Wenn wir handeln, tun wir dies in den 56 57 58
59
GW 14,1: § 119 Anm., 107. Feinberg 1985: 210. „Zuerst einmal gilt nämlich: Daß wir für unsere eigenen Handlungen (z. B. dafür, eine Tür zugemacht zu haben) verantwortlich sind, heißt nichts anderes, als daß unsere einfacheren Handlungen als die Ursache eines bestimmten Resultats identifiziert werden können. Nun läßt sich der obige Einwand aber auch umdrehen: Wenn „dafür verantwortlich sein, daß die Tür zu ist“ (eben dadurch, daß man bewirkt hat, daß sie zu ist) eine zulässige Ausdrucksweise darstellt, dann ist auch der Ausdruck „für das Zumachen der Tür verantwortlich sein“ zulässig. Der letztere Ausdruck ist nämlich aufgrund des oben erwähnten Akkordeoneffektes mit dem ersteren Ausdruck völlig äquivalent. Zweitens: Daß wir für unsere einfachen Handlungen verantwortlich sind, heißt nichts anderes, als daß man uns als diejenigen identifizieren kann, die sie tun.“ (Feinberg 1985: 210) Allerdings halte ich es für fraglich, ob Feinbergs These zutrifft, dass jeder Fall, in dem man durch eine Basishandlung etwas bewirkt, das zur Folge hat, dass etwas der Fall ist, tatsächlich äquivalent dazu ist, die komplexe Handlung vollzogen zu haben. Zumindest scheint dies im Falle der Veranlassung problematisch zu sein. Man könnte vielleicht sagen, dass ein König durch Anordnung andere Menschen dazu gebracht hat, den Pergamonaltar zu bauen. Allerdings verdeckt der Satz ›König Eumenes II. hat den Pergamonaltar gebaut‹ gerade die Tatsache, dass es andere Menschen waren, die tatsächlich durch körperliche Arbeit bewirkt haben, dass der Altar irgendwann stand. GW 14,1: § 121, 108.
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meisten Fällen, indem wir unmittelbar mit einer Basishandlung beginnen. Ich greife zur Pistole, nehme sie in die Hand, hebe den Arm, visiere die Zielscheibe an und ziehe schließlich den Abzug. Die Bestimmtheit dieser Handlung ist, dass ich auf eine Zielscheibe schieße und nicht eine bloße Aneinanderreihung von einzelnen nicht miteinander zusammenhängenden Basishandlungen vollziehe. Die einzelnen Basishandlungsschritte stehen in einem Zusammenhang, sie bauen aufeinander auf, sie gehören zusammen, da ich nur durch sie als Gesamtheit das Resultat, das Treffen ins Schwarze der Zielscheibe, erreiche. Da ich ein „ Denkende[r]“ bin, so fährt nun Satz [3] fort, und daher mit Selbstbewusstsein ausgestattet, habe ich auch ein Wissen um diesen Zusammenhang der einzelnen Schritte. Mein Handlungswissen ist nicht nur ein Wissen von je Einzelnem, sondern auch von Allgemeinem. Die Wissbarkeit dieses Allgemeinen liegt darin, dass wir qua selbstbewusste Wesen denkende Wesen sind, sich unser Denken aber überhaupt durch seine Allgemeinheit auszeichnet. Worin aber besteht diese Allgemeinheit selbst? Bevor nun zu § 120 und damit zur Bestimmung des der Absicht entsprechenden zweiten Rechtes des Wissens übergegangen wird, sollen drei Bedeutungen von Allgemeinheit unterscheiden werden, die in einem paronymischen 60 Verhältnis zueinander stehen. Erstens bedeutet ›allgemein‹, dass sich bestimmte Folgen regelmäßig einstellen. Gesetzmäßige Kausalzusammenhänge etwa sind in diesem Sinne allgemein. Zweitens ermöglicht diese Regelhaftigkeit, dass sich Handlungstypen über ihre Folgen typisieren lassen, die in dem Sinne allgemein sind, als sie wiederholt von einem und auch von verschiedenen Handlungssubjekten aktualisiert werden können. 61 Aufgrund dieser beiden Merkmale ist es möglich, dass eine Menge von einzelnen individuellen Aspekten des Handlungsereignisses und der Folgen dadurch zusammengefasst werden, dass sie einem sinnvollen Zusammenhang dienen. 62 In einer dritten Bedeutung von ›allgemein‹ bedeutet dies, dass Handlungstypen und die ihnen zugrundeliegenden gesetzmäßigen Zusammenhänge auch allgemein gewusst und mit sprachlichen Ausdrücken belegt werden 63: 60
61
62
63
„Paronyme Ausdrücke sind Derivate voneinander. Sie zeichnen sich vor homonymen Ausdrücken dadurch aus, dass ihre verschiedenen Bedeutungen inhaltliche Verwandtschaften und Abhängigkeiten voneinander aufweisen.“ Wolff 2010, 19. Zumindest gilt dies für kausal komplexe Handlungen. Natürlich lassen sich auch Basishandlungen über ihre mehrfache Wiederholbarkeit typisieren. Zudem lassen sich Handlungstypen über konstitutive Regeln typisieren, so dass die konstituierenden Merkmale nicht einfach Kausalfolgen des Tuns sind, wie z. B. „seine Hand in gewissen Kontexten heben gilt als Grüßen“. Diese Bedeutung war auch oben in Kapitel 2 thematisch: „Die Allgemeinheit bestimmter Handlungstypen besteht damit in einem kausalen Implikationsverhältnis zwischen verschiedenen Handlungs- bzw. Ereignistypen.“ (2.2.3). Vgl. Theunissen 1981, 16 ff.
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„Das Urtheil über eine Handlung als äußerliche That, noch ohne die Bestimmung ihrer rechtlichen oder unrechtlichen Seite, ertheilt derselben ein allgemeines Prädicat, daß sie Brandstiftung, Tödtung u. s. f. ist.“ 64
Der paronymische Zusammenhang zwischen den drei Bedeutungen besteht in Folgendem: Zumindest komplexe Handlungen setzen für ihre Typisierbarkeit voraus, dass die jeweiligen kausalen Zusammenhänge selbst auch regelhaft instanziiert werden können. Die Typisierung selbst, die darin besteht, eine „äußerliche That“ durch ein „ allgemeines Prädicat“ zu beschreiben, lässt sich betrachten als Hegels Idee des objektiven Tatbestands. Die objektiven Tatbestandsmerkmale sind die Merkmale, die erfüllt sein müssen, damit ein Tun allgemein als die jeweilige Straftat beschrieben werden kann. Dass es bei der Typisierung noch nicht um die innere Seite des Wissens geht, zeigt sich daran, dass der Handlung „als äußerliche That“ das allgemeine Prädikat zugesprochen wird. Diese zweite Bedeutung von ›allgemein‹ hängt von der ersten Bedeutung ab, also davon, dass es gewisse gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen den einzelnen Merkmalen und kausalen Zwischenschritten gibt, mehrmalige Wiederholbarkeit setzt voraus, dass sich die Welt auch immer wieder hinreichend ähnlich verhält. Der Handlungstyp des Wasser-Kochens etwa hängt davon ab, dass Wasser regelmäßig bei einer Temperatur von 100 Grad Celsius zu sieden beginnt, so dass ich das Resultat des kochenden Wassers immer wieder erzeugen kann, indem ich Wasser in einem Topf auf einen erhitzten Herd stelle. 65 Die dritte Bedeutung von ›allgemein‹, dass bestimmte Handlungstypen und gesetzmäßige Zusammenhänge in der Welt allgemein bekannt, allgemein gewusst werden, hat die ersten beiden Bedeutungen zur Voraussetzung. Dieses allgemeine Wissen setzt eine bereits vollzogene Typisierung voraus, die wiederum nur dann möglich ist, wenn es tatsächlich die relevanten gesetzmäßigen Zusammenhänge gibt. Hegel verwendet oft auch den Ausdruck ›objektiv‹ für die letzten beiden Bedeutungen von ›allgemein‹. Insbesondere diese sind für den Absichtsbegriff zentral. Sie lassen sich über die heute gängige Quantifizierung verdeutlichen: Allgemein 1: Für alle Taten x gilt: Wenn H-Tun(x), dann G-Tun(x). Allgemein 2: Für alle Akteure x und alle Taten y gilt: x weiß, dass gilt: Wenn H-Tun(y), dann G-Tun(y). 66 64 65
66
GW 14,1: § 119 Anm., 107. Hierzu kann insbesondere der klassische Interventionismus als Kausalitätstheorie Aufschluss geben, siehe insbesondere Gasking 1955. Allerdings definiert der Interventionismus das Vorliegen einer Kausalrelation gerade erst über die regelmäßige Produzierbarkeit. Auch hier ist es wiederum möglich, dass H-Tun und G-Tun nicht in einem Kausalverhältnis, sondern in einem atemporalen Konstitutionsverhältnis zueinander stehen (s. Kim 1974).
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Wie im folgenden Kapitel noch darzulegen ist, lässt sich dieses Verständnis in Zusammenhang mit dem Begriff der Notwendigkeit und der konstitutiven Handlungsfolgen bringen. In dem Sinne würde Allgemein2 Allgemein1 voraussetzen. Nur wenn es Gesetzmäßigkeiten der Art gibt, dass Taten eines bestimmten Typs immer Folgen eines bestimmten Typs nach sich ziehen, ist es auch möglich, dass jeder weiß, dass bestimmte Taten bestimmte Folgen nach sich ziehen. 67 Und nur dann ist es auch möglich, sprachliche Bezeichnungen für diese jeweiligen Handlungstypen einzuführen. Als Handlungssubjekte müssen wir über bestimmte Kompetenzen verfügen, um Handlungstypen beherrschen zu können. Man muss Handlungen wiederholen können. Das setzt ein Verstehen der zugrundeliegenden Regeln voraus. Die jeweiligen Regeln für den Vollzug eines Handlungstyps wiederum setzen voraus, dass es eine allgemein anerkannte Abfolge bestimmter Handlungen gibt, die den jeweiligen Handlungstyp konstituieren. Für die Fälle, in denen der Zweck insbesondere darin besteht, ein Naturgesetzen folgendes Ergebnis zu erreichen, stellen die natürlichen Realisierbarkeitsbedingungen diese Allgemeinheit der Handlungsfolgen sicher. 68 Als Einzelne handeln wir immer in ganz konkreten Situationen. Daher spielt unser konkretes Wissen eine wichtige Rolle für die Verantwortung für unser Handeln und dessen Folgen. Allerdings sind wir zugleich allgemeine Wesen, die denken, durch Abstraktion verallgemeinern und damit typisieren können. Selbst wenn jede einzelne Situation, in der wir uns befinden und in der wir handeln, ganz besonders und individuell ist, besteht sie doch auch aus allgemeinen, wiederholbaren oder mehrfach instanziierbaren Eigenschaften. Und qua denkende Wesen haben wir auch ein Wissen davon. So wie der Vorsatz als Wissen des Einzelnen ein eigenes Recht festgelegt hat, so tut dies auch die Absicht als Wissen des Allgemeinen. Damit komme ich zu § 120 und dem zweiten Recht des Wissens. Zunächst wieder erst der gesamte Text: „§. 120. [1] Das Recht der Absicht ist, daß die allgemeine Qualität der Handlung nicht nur an sich sey, sondern von dem Handelnden gewußt werde, somit schon in seinem subjectiven Willen gelegen habe; [2] so wie umgekehrt, das Recht der Objectivität der Handlung, wie es genannt werden kann, ist, sich vom Subject als Denkendem als gewußt und gewollt zu behaupten.“ 69 67
68
69
Dies ergibt sich daraus, dass Wissen Wahrheit impliziert. Für alle Erkenntnissubjekte x und alle Propositionen y: Wenn x weiß, dass y, dann y. Für eine Unterscheidung dreier Kompetenzen zur Beherrschung von Handlungstypen siehe Gethmann / Sander 2007: 215–216. GW 14,1: § 120, 108.
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Interessant an diesem Paragraphen ist, dass Hegel neben dem Recht der Subjektivität nun zum ersten Mal auch ein Recht der Objektivität benennt. Zunächst aber zum Recht der Subjektivität. Die Frage ist, worauf das in [1] genannte Recht genau ein Recht ist. Im Falle des Rechtes des Vorsatzes bestand dies in dem Recht auf Anfechtung bzw. im Anspruch auf Anerkennung der Tat als Handlung unter dem Aspekt des von der Akteurin Gewussten. Aber in welchem Sinne könnte hier von einem solchen Anfechtungsrecht die Rede sein? Zumindest spricht Hegel nicht davon, dass es ein Recht ist, sich nur Bestimmtes zurechnen zu lassen. Die sprachlich naheliegende Lesart würde besagen, dass man ein Recht auf Wissen hat, und zwar auf Wissen der „ allgemeine[n] Qualität der Handlung“. Nur was könnte ein Recht auf Wissen genau besagen? Nimmt man als Minimalkriterium für ›Recht‹ an, dass es verletzt werden kann, dann muss auch dieses Recht auf Wissen verletzt werden können. Zwar kann ein Einzelner des Wissens um die allgemeine Qualität einer bestimmten Handlung ermangeln, allerdings fragt sich, inwiefern dies dann die Verletzung eines Rechts ist. Nimmt man wieder das Strafrecht zur Hilfe, dann könnte Hegel hiermit das Wissen um die objektiven, nicht-normativen Tatbestandsmerkmale meinen. Nahegelegt wird diese Lesart wenigstens durch die Anmerkung von § 119, in der Hegel davon spricht, dass eine Handlung unabhängig von ihrem rechtlichen Charakter als „Brandstiftung“ oder „Tödtung“ bestimmt wird. Dass Hegel dies unabhängig von der Bestimmung als (un-)rechtlich bestimmt, spricht dafür, dass er an deskriptive Tatbestandsmerkmale denkt. Will man die Redeweise über das Strafrecht hinaus ausdehnen, dann würden alle deskriptiven Merkmale eines Handlungstyps darunterfallen, unabhängig vom Wert dieses Handlungstyps bzw. eines Handlungsvorkommnisses dieses Typs. Nun bliebe immer noch die Frage im Raum, worin dann das Recht auf Wissen allgemeiner Handlungsmerkmale genau bestünde bzw. wodurch es verletzt werden könnte. Es lassen sich drei Lesarten des Rechts der Absicht unterscheiden: 1) Das Recht der Absicht als Recht auf Wissen Dieses Recht kann einmal besagen, dass man das Recht darauf hat, dass andere einem das Wissen vermitteln bzw. vermittelt haben, dass bestimmte Tätigkeiten im Verbund inklusive bestimmter Folgen konstitutive Elemente eines bestimmten Handlungstyps darstellen. Es wäre das Recht darauf, dass man gewisse Handlungskompetenzen hat erwerben können. Verletzt werden würde dieses Recht dann, wenn man dieses Wissen nicht besitzt, es nicht hat erwerben können und dennoch verantwortlich gemacht werden würde. Insofern kann es dann auch als indirektes Anfechtungsrecht verstanden werden. Diesem würde dann aber ein positives Forderungsrecht korrespondieren, das andere (wer
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auch immer dies dann wäre, ob Familie, Bildungsinstitutionen etc.) einem das Wissen vermitteln bzw. die Möglichkeit geben, dieses Wissen zu erlangen. 2) Das Recht der Absicht als Anfechtungsrecht Andererseits könnte Hegel auch an dieser Stelle ein Anfechtungsrecht meinen, nur dass sich dieses eben auf die Anerkennung einer bestimmten Tat als Vorkommnis eines bestimmten Handlungstyps bezieht. Das hieße dann umgekehrt, dass der Einzelne das Recht hat, sich nur das als allgemeine Handlung zuschreiben zu lassen, von dem er auch genau diese allgemeine Beschreibung gekannt hat. Engt man den Bereich der in Frage stehenden Handlungen ein, dann würde dies bedeuten, dass die Einzelne das Recht hat, sich nur dann eine Handlung eines bestimmten Normbereichs zuschreiben zu lassen, wenn sie die sogenannten deskriptiven Tatbestandsmerkmale des Handlungstyps kannte. Handlungstypen, die über ein Ergebnis definiert sind, können als solche nur dann zugerechnet werden, wenn die Person ein Wissen darüber hatte, dass sie all die Aspekte verwirklicht, die diesen Handlungstyp definieren. Insofern würde diese Form der Absicht genau der Vorsatzbedingung im Strafrecht entsprechen, die in der Kompaktformel gerade vom „Wissen [. . . ] der Tatbestandsverwirklichung“ 70 spricht. 3) Das Recht der Absicht als Recht, die eigene besondere Absicht zu verfolgen In der Anmerkung zu § 119 hatte Hegel darauf hingewiesen, dass der Ausdruck ›Absicht‹ etymologisch ›Abstraktion‹ (›Abziehen von‹, ›Herausnehmen von‹) bedeutet. Dies wiederum habe zweierlei Bedeutung. Zum einen bedeute dies die Form der Allgemeinheit, das Absehen von den besonderen Zwischenschritten. Insofern wäre die Beschreibung der Handlung als Tötung abstrakt, da sie von den konkreten Zwischenschritten, auf denen diese vollzogen werden kann, abstrahiert. Zum anderen bedeute Absicht dann aber auch das Herausnehmen eines besonderen Merkmals der Handlung als dasjenige, um dessentwillen man etwas getan hat. Damit werde dann „das subjective Wesen der Handlung behauptet“ 71. Das Recht der Absicht könnte also auch noch dies bedeuten: das Recht darauf, aus der Menge der Dinge, die geschehen und die man tut, dasjenige herauszugreifen, das die Absicht des eigenen Tuns darstellt und um dessentwillen man gehandelt hat, die Behauptung also, dass dieses Besondere das Wesen der eigenen Handlung gewesen sei. 72 70 71 72
Rengier 2013: 100. GW 14,1: § 119 Anm., 107. Diese Lesart wird favorisiert in Quante 1993: 181.
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Dass es Hegel tatsächlich um ein Recht auf Wissen geht, wird von der Anmerkung nahegelegt, wenn Hegel von dem „Recht zu dieser Einsicht“ spricht. Allerdings ist an dieser Stelle nicht klar, auf welches Recht sich Hegel im Haupttext bezieht, denn neben dem Recht der Subjektivität führt er noch ein Recht der Objektivität ein, das nun betrachtet werden soll, bevor wieder die Frage aufgenommen wird, worauf genau ein Recht besteht. Das Recht der Objektivität lautet: „so wie umgekehrt, das Recht der Objectivität der Handlung, wie es genannt werden kann, ist, sich vom Subject als Denkendem als gewußt und gewollt zu behaupten.“ Hierbei sind zwei Fragen zu klären: 1) Was genau bedeutet Objektivität der Handlung? 2) Wer oder was behauptet sich? Wie bereits im ersten Kapitel dargelegt, unterscheidet Hegel drei Bedeutungen von Subjektivität und Objektivität. Nun spricht er an dieser Stelle jedoch nicht einfach von der Objektivität, sondern von der Objektivität der Handlung. In einer Bedeutung besagt Objektivität die äußerliche, raumzeitliche Existenz des subjektiven Willens im und nach dem Handlungsvollzug. Sobald man anfängt zu handeln, wird etwas objektiv in dem Sinne, dass es sich raumzeitlich manifestiert. Eine zweite Bedeutung von objektiv bestand in dem Bezug der eigenen Handlung auf andere Handlungssubjekte. Da es bereits um die Allgemeinheit geht, also um Handlungstypen, die unter anderem durch deskriptive Merkmale konstituiert werden, könnte dieses Recht in der Bedeutung der Äußerlichkeit darin bestehen, dass die natürliche Welt widerständig ist. Zwar kann ich mir alles Mögliche denken und in mein Wollen aufnehmen, wenn dies jedoch naturgesetzlich nicht verwirklichbar ist, dann werde ich im Handlungsvollzug scheitern. Scheitern im Handlungsvollzug ist mit Sicherheit eine wichtige Komponente der Phänomene, die Hegel mittels des Begriffs der Absicht abhandelt. Allerdings ist es merkwürdig, in diesem Zusammenhang von einem Recht zu sprechen, denn die Natur hat natürlich kein Recht, dass sie geltend machen oder aber auch nicht geltend machen könnte. 73 Andererseits könnte der Zusatz „wie es genannt werden kann“ gerade darauf hindeuten, dass Hegel hier im uneigentlichen Sinne von Recht sprechen will. 74 Angenommen aber, es soll schon im eigentlichen Sinne von ›Recht‹ die Rede sein. Dann stünde immer noch die zweite Bedeutung zur Verfügung, dass andere Subjekte das Recht haben, vom Einzelnen ein bestimmtes Wissen über Handlungstypen zu fordern. Damit ergeben sich zwei Bedeutungen von Objektivität für das Recht der Objektivität: 73
74
Dies folgt zumindest dann, wenn ein Recht ein Sollen impliziert und ein Sollen wiederum ein Können / Nicht-Können. Sofern gegen Naturgesetze nicht verstoßen werden kann, fordern diese auch nichts im Sinne eines Sollens und haben also auch keine Rechte. Siehe noch § 132 Anm., wo Hegel dieses natürliche Verständnis zu meinen scheint und außerdem bereits bezogen auf § 117 vom Recht der Objektivität spricht.
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Objektivität der Handlung 1: die naturgesetzliche Bestimmtheit der Tat in der raumzeitlichen Außenwelt. Objektivität der Handlung 2: die Deutung durch andere Handlungssubjekte und das Bestehen sozial anerkannter Handlungstypen. Um entscheiden zu können, welche Bedeutung Hegel in § 120 meint, muss erst die zweite Frage beantwortet werden. Wer oder was behauptet sich hier? Ganz wörtlich verstanden steht in § 120, dass sich die Objektivität der Handlung als „vom Subject als Denkendem als gewußt und gewollt“ behaupte. In eigentlicher Redeweise ließe sich sagen, dass sich jemand als jemand behauptet, und zwar gegenüber jemandem. Sowohl Subjekt als auch indirektes Objekt des sich Behauptens sind für gewöhnlich Personen. Aber was könnte es bedeuten, dass sich die Handlung selbst beziehungsweise ihre Objektivität behauptet? Indirektes Objekt des Behauptens soll das Subjekt sein, und zwar als denkendes. Daher schlage ich folgende Bestimmung von Recht der Objektivität (der Handlung) vor: Dem Recht der Objektivität entspricht ein Recht der Subjektivität. Gehalt beider Rechte ist die Objektivität der Handlung, wobei unter der Objektivität der Handlung hier zwei Dinge verstanden werden: Zunächst ist die Objektivität der Handlung ihre Allgemeinheit als „den mannichfaltigen Zusammenhang in sich enthaltender allgemeiner Inhalt“. Wenn es um die Wissensbedingung von Verantwortung geht, dann ist auch dieser allgemeine Inhalt Gegenstand des Wissens. Nun gilt immer noch das Recht des Wissens1, sich nur Gewusstes zurechnen zu lassen. Das bedeutet, dass das Wissen, das uns verantwortlich macht, auch ein Wissen von Allgemeinem sein muss. Ich weiß nicht nur, dass ich mit meinem Finger an einem Hebel ziehe, sondern dass ich damit den Abzug einer Pistole ziehe, dass dies wiederum das Auslösen eines Schusses zur Folge hat, dass dies dazu führt, dass ein Projektil in die Richtung schießt, in die ich ziele, und die Gegenstände zerstört oder beschädigt, die es trifft. Aber auch von diesem allgemeinen Wissen gilt, dass ich es tatsächlich muss besessen haben, um verantwortlich gemacht werden zu können. Da es nun jedoch um die Allgemeinheit meiner Subjektivität, Denkender zu sein, geht und damit um Rationalitätsforderungen, die ich mit anderen Subjekten teile, korrespondiert diesem Recht das Recht anderer, die insofern die Objektivität repräsentieren, von mir dieses Wissen zu erwarten. Man kann von mir erwarten, dass ich weiß, was es bedeutet, den Abzug einer Pistole zu betätigen. Man kann von mir erwarten, dass ich weiß, was es bedeutet, wenn man in geschlossenen Räumen Papier anzündet und damit zum Brennen bringt. Hinter der Rede von Objektivität verbirgt sich eigentlich ein Komplex verschiedener Objektivitätskonzeptionen, die allerdings in einem Verhältnis zueinanderstehen. Aufgrund bestimmter naturgesetzlicher Zusammenhänge können wir Wissen von diesen Zusammenhängen erwerben. Wenn wir dieses Wissen besit-
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zen, können wir darauf aufbauend Handlungen typisieren, für die das Nutzen bestimmter naturgesetzlicher Kausalverläufe konstitutiv ist. Diese in Gang zu setzen bedeutet dann, kausal komplexe Sachverhalte zu verwirklichen. Da dies allgemein bekannt ist, kann der Verweis auf Unwissenheit nicht einfach die Verantwortung ausschließen. Zwar ließe sich auch uneigentlich davon reden, dass die Widerständigkeit der Welt selbst es ist, die sich behauptet, die Welt beugt sich nicht unserem Willen in jeder Hinsicht (= Recht der Objektivität1). Letztlich sind es jedoch Subjekte, die das Einfordern eines Rechtes akzeptieren oder nicht (= Recht der Objektivität2). Für die gelingende subjektive Willensverwirklichung wird damit zweierlei vorausgesetzt: Erstens müssen wir unseren Zweck und die dafür gewählten Mittel so wählen, dass wir diesen unter den gegebenen natürlichen und sozialen Beschränkungen auch tatsächlich erreichen. Zweitens muss dieses Erreichen jedoch auch als solches von anderen anerkannt werden. Andere müssen unser Tun auch als die Verwirklichung desjenigen Zwecks betrachten, den wir uns tatsächlich vorgelegt haben. Dass die Objektivität sich als gewusst behauptet, bedeutet, dass sie an uns als Denkende die Forderung stellt, allgemein Wissbares auch tatsächlich zu wissen. Sich zu behaupten bedeutet dann im Fall des subjektiven Nichtwissens, die Anfechtung der Verantwortungszuschreibung nicht zu akzeptieren und uns also trotzdem verantwortlich zu machen. Unserem Recht auf Rücknahme von Verantwortungszuschreibungen bei Unwissenheit korrespondiert zwar die Pflicht auf Seiten der anderen, in diesem Falle die Zuschreibung auch tatsächlich zurückzunehmen. Allerdings korrespondiert damit dem Recht der anderen, von uns erwartbares Wissen zu fordern, auch eine Pflicht unsererseits, dafür Sorge zu tragen, tatsächlich zu wissen, was wir tun. In einer Randnotiz zu § 118 schreibt Hegel daher auch: „man muß wissen, was man thut“ 75. Wichtig ist, dass in diesem Fall nichts darüber gesagt ist, worin der Inhalt des erwartbaren Wissens besteht, ob sich dieser historisch und vielleicht auch von Gesellschaft zu Gesellschaft ändern kann. Nimmt man konstitutive Regeln mit hinzu, wird Letzteres definitiv gelten. Das Recht der Objektivität besagt lediglich, dass es einen Bereich von allgemein Gewusstem gibt, der im Falle von Unwissenheit trotz des Rechts des Wissens1 trumpfen kann. 76 Damit halte ich fest, dass Hegel in einem uneigentlichen Sinne vom Recht der Objektivität spricht, dass dieser Redeweise jedoch durchaus auch eine im eigentlichen Sinne korrespondiert. Die Natur, so könnte man dann sagen, be75 76
GW 14,2: § 118 Anm. Rn., 583. Merkwürdig hieran könnte scheinen, dass dieses Recht dennoch Teil des Rechts der Subjektivität ist. Es scheint aber doch zunächst diesem entgegen zu stehen. Darauf soll in 3.2.5 noch eigens eingegangen werden.
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hauptet sich gegen den Einzelnen, hat gegen den Einzelnen das Rechtuneigentlich, dass dieser im Handlungsvollzug scheitert, wenn die Gesetzmäßigkeiten der Natur die Realisierung des Zwecks nicht zulassen. Allerdings ergibt sich daraus ebenfalls ein Rechteigentlich der Objektivität mit dem Inhalt, dass in einer sozialen Handlungsgemeinschaft vom Einzelnen ein Wissen über die Gesetzmäßigkeiten der Natur, der äußerlichen Welt eingefordert werden kann. Für die oben aufgeworfene Frage, worauf denn dann Einzelne wiederum ein Recht haben, kann damit nun gesagt werden, dass sie primär ein Recht gegenüber der sozialen Handlungsgemeinschaft darauf besitzen, Wissen über diese allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Umwelt zu erwerben – es handelt sich also um die erste Bedeutung eines Rechts auf Wissen. 77 Und in diesem Sinne lässt sich dann verstehen, dass auch das Recht der Objektivität Teil des Rechts der Subjektivität ist. Denn andere Subjekte sind ebenfalls Erfolgsbedingungen der Subjektivitätsverwirklichung, sowohl individueller Subjektivität, da sie subjektive2 Zwecke in ihrer Handlungsdeutung anerkennen müssen, als auch in ihrer Allgemeinheit, da erst objektive Subjektivität wahre Subjektivität ist. Zwar scheint das Recht der Objektivität zunächst gerade dem Recht der Subjektivität entgegenzustehen. Wenn mir gegenüber andere sagen können, dass ich trotz meines Unwissens verantwortlich bin, weil von mir in dieser Situation ein Wissen erwartet werden konnte, dann scheint das zunächst gerade gegen meine subjektive Freiheit zu stehen. Da aber auch meine Bestimmung darin besteht, im Handeln erfolgreich zu sein und also tatsächlich das zu tun, von dem ich auch wusste, dass ich es tue, ist die Behauptung allgemeiner Wissbarkeit indirekt eine Verwirklichungsbedingung wahrer Subjektivität. Lernpsychologisch bedeutet das, dass ich durch die Zuschreibungen auch bei Unwissenheit, etwa im heranwachsenden Alter, allererst lerne, was es bedeutet, dies oder jenes zu tun. Die Behauptung der Objektivität der Handlung gegen meine bloße Subjektivität ist damit konstitutiv für mich als denkendes Subjekt. Auf der Ebene der Sittlichkeit lässt dies dann Raum für Ansprüche, Bildung zu genießen. Wenn die Gesellschaft, in der ich lebe, von mir bestimmtes Handlungswissen abverlangt, muss sie auch dafür sorgen, dass ich dieses Wissen habe erwerben können bzw. auch tatsächlich erworben habe. 78 Damit sollten alle Elemente beisammen sein, um Hegels Antwort auf Shers Herausforderung angehen zu können. 77
78
In Kapitel 5 wird sich zeigen, dass diesem Recht auf Wissenserwerb ein Recht auf Wissen über die allgemeinen sozialen Regeln auf Ebene des Wohls und des Guten entspricht. Dabei ist diese Forderung offen gegenüber der Frage, in welcher institutionellen Form dieser Wissenserwerb vonstattengeht, sei es auf dem Weg der Erziehung, sei es auf dem Weg schulischer Bildung oder auch auf dem Weg einer Ausbildung und damit bereits bezogen auf berufsspezifisches Wissen. Ebenso ist hier noch offen, auf welche Weise dieser Forderung Ausdruck verliehen werden oder wie sie durchgesetzt werden kann.
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3.2.4 Hegels Antwort auf Shers Herausforderung Über die hegelsche Konzeption des Rechts der Absicht lässt sich nun eine Antwort auf die Herausforderung Shers rekonstruieren. Diese besteht darin, dass für Fälle unwissentlicher Verantwortung erklärt werden können muss, dass trotz Unwissenheit dennoch ein Zusammenhang zwischen dem Tun und der Akteurin besteht. Wie gezeigt entspricht dem Recht von A auf Anfechtung eine Pflicht von A: Trage (im Rahmen des jeweils gesellschaftlich Erwarteten) dafür Sorge, dass du weißt, was du tust! („man muß wissen, was man thut“ 79). Dieser Pflicht wiederum korrespondiert ein Recht der Objektivität, Wissen vom Einzelnen einzufordern. Damit ist die Grundlage gelegt für Shers „applicable standard“ 80. Die Freiheitsverwirklichung hat zwei Seiten: (i) Perspektive, die wir als Handelnde einnehmen (Erste-Person-Perspektive) (ii) Perspektive, die wir als Zuschreibende einnehmen (Dritte-Person-Perspektive) Aus der hegelschen Argumentation für das Recht der Subjektivität folgt: Die Fälle unwissentlicher Verantwortung sind nur dann Freiheitsverwirklichung, wenn im Falle des Ausbleibens einer Verantwortungszuschreibung ein Recht verletzt werden würde. 81 Nun fragt sich natürlich, welches Recht in diesem Fall verletzt sein könnte? Qua Freie sind wir nach Hegel wesentlich allgemeine Wesen. Unser Wissen und Wollen ist nicht rein präsentisch, sondern bezieht sich auf allgemeine (sozial geteilte) Regeln, sowohl des Sozialen wie des Natürlichen. Das bedeutet: Selbst wenn A in einer einzelnen Situation s unwissentlich bezüglich der moralischen Qualität handelte, so darf dennoch diese Handlung inkl. der moralischen Qualität als Ausdruck des Willens von A angesehen und also zugerechnet werden, vorausgesetzt, s ist derart, dass allgemein ein Wissen über die moralische Qualität erwartbar ist. So wie gilt, „intention is a (self-)commitment to action“ 82, so könnte man umgekehrt auch sagen, „action is a (self-)commitment zu intention“ 83. Das, was wir tun, ist aufgrund der damit naturgesetzlich einhergehenden Kausalfolgen, der damit einhergehen79 80 81
82 83
GW 14,2: § 118 Anm. Rn., 583. Sher 2009: 88. Man könnte damit Hegels Ansatz über die Prüffrage bestimmen: Was würde schieflaufen, wenn wir in den Fällen unwissentlicher Verantwortung die Zuschreibung zurücknähmen oder gleich unterließen? von Wright 1976: 399. Diese Umkehrung habe ich vorgenommen, sie kommt so bei von Wright nicht vor. Man könnte ebenso hinzufügen „action is a (self-)commitment to desire and / or belief“, so wie etwa im obigen Beispiel Wittgensteins.
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den sozialen Deutungsschemata und der diesen zugrundeliegenden sozialen konstitutiven Regeln immer auch Ausdruck eines bestimmten Wollens. Zwar kann dieses dann von dem subjektiv mental repräsentierten Wollen abweichen, darf in manchen Fällen aber trotzdem zugerechnet werden. Damit ergibt sich folgende Bestimmung: Wenn A unwissentlich etwas Vorwerfbares tat, dann ist A dann trotzdem verantwortlich, wenn (i) (ii) (iii) (iv)
A Evidenz E hatte, etwas Vorwerfbares zu tun, & E nicht beachtet hat & in diesem Fall das Beachten von E prinzipiell erwartbar war & die scheinbare Verbindungslosigkeit zwischen unwissentlichem Fehlverhalten und Akteurin in diesem Fall durch die Zuschreibung selbst überbrückt wird. Das „responsible self“ wird durch Zuschreibungen (qua deklarativer Sprechakte) mitkonstituiert. 84 Das einzelne Subjekt verwirklicht sich und seine subjektiven Zwecke im Handeln auch nur dadurch, dass andere Subjekte seine Taten als Ausdruck seiner Subjektivität deuten.
Insbesondere Bedingung (iv) scheint eine klare petitio principii zu sein. Die Frage ist: Wann sind Zuschreibungen gerechtfertigt in dem Sinne, dass sie einen Zusammenhang zwischen deviantem Verhalten und Subjekt herstellen? Die Antwort ist: Die Zuschreibung stellt diesen Zusammenhang selbst her. Damit setzt sie aber genau das voraus, was erst erklärt werden muss. Wenn es ungerechtfertigte Verantwortungszuschreibungen geben können soll, wir also nicht beliebig einander verantwortlich machen können sollen, dann benötigt man ein über die faktische Zuschreibung hinausgehendes Kriterium, um zwischen gerechtfertigten und nicht-gerechtfertigten Zuschreibungen zu unterscheiden. Um diesem Problem zu begegnen, muss die hegelsche Position noch weiter erläutert werden, insbesondere hinsichtlich der Konstitution eines verantwortlichen Selbst. Im Gegensatz zu Sher versteht Hegel unter dem Willen und dessen Ausdruck im Handeln nicht nur das jeweils präsentisch mental Gegenwärtige eines Handlungssubjektes. 85 Die Allgemeinheit des Willens als wesentliches Merkmal des Willens erlaubt es ihm, Taten auch dann als Willensausdruck und damit als verantwortungsrelevant auszuweisen, wenn diese nicht zum Zeitpunkt der Tätigkeit mental repräsentiert wurden, vorausgesetzt, sie erfüllen 84 85
Siehe auch Quante 2013b, wieder abgedruckt in Quante 2018. Insofern stimme ich Pippin 2008, 170–176 zu, wenn er in der nachträglichen Bestimmung des Beabsichtigten einen wichtigen Punkt der hegelschen Konzeption sieht. Allerdings scheint mir Pippin Hegel eine zu starke These unterzuschieben, wenn er behauptet, dass sich die Absicht immer erst nach Vollzug einer Tat offenbare.
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allgemein anerkannte Regeln. 86 Damit fängt Hegel (2a) aus Shers eigenem Ansatz ein und erklärt es im Rahmen seiner Willensmetaphysik als Theorie der Freiheitsverwirklichung. Zudem konstituiert sich das „responsible self“ bei Hegel sowohl über das, was die Person tut bzw. getan hat, als auch über die Zuschreibungen der anderen. Diese Konstitutionsthese ersetzt Shers (2b). Die These, dass die Abweichung vom sozialen Standard der Erwartbarkeit durch Charaktereigenschaften der einzelnen Person verursacht worden sein muss, damit tatsächlich noch ein Zusammenhang zwischen Verantwortung, Schaden und Person besteht (= Shers These), wird bei Hegel ersetzt durch die askriptivistische These, dass der Zusammenhang durch die Zuschreibungen als Resultat von Deutungen des jeweils einzelnen Wollens hergestellt wird. Ob eine (mit-)konstituierende Zuschreibung adäquat ist, wird teilweise im Sozialen ausgehandelt. Trifft Hegel aber damit nicht das zweite Horn des Dilemmas der normativen Erweiterung der Searchlight View? Dabei ging es darum, dass nicht verständlich wird, weshalb eine Person verantwortlich gemacht werden soll, wenn sie unwissentlich gehandelt hat und ihre Unwissenheit nicht auf eine frühere Entscheidung zurückging. Hegel muss zumindest erklären, weshalb es nun in manchen Fällen angebracht ist, Verantwortung zuzuschreiben, und in manchen Fällen nicht, obwohl es jedes Mal um Unwissentliches geht. Die Erklärung liegt in der Bestimmung der Allgemeinheit und dem Sollen der Moralität als Forderung an jedes Subjekt, dem Allgemeinen zu entsprechen. Diese Problematik wird im nächsten Unterkapitel nochmals eigens unter Hegels ›Askriptivismus‹ diskutiert. Die These der Wissenspflicht schließlich kann auch Aufschluss darüber geben, wie die hegelsche Theorie der Fahrlässigkeit aussehen könnte. 87 Die Wissenspflicht lässt sich verstehen als Grundlage einer Sorgfaltspflicht, und zwar einer Sorgfaltspflicht als handlungsrelevanter Wissenspflicht. In den meisten Fällen der Sorgfaltspflichtverletzung ist man (i) sorglos damit umgegangen, das relevante Situationswissen zu erlangen, auf dessen Grundlage man anders gehandelt hätte oder aber, wenn man nicht anders gehandelt hätte, vorsätzlich gehandelt hätte. Alternativ zur epistemischen Sorgfalt kann es (ii) eine Sorglosigkeit bezüglich der Art und Weise des eigenen Tuns geben, (iii) im sorglosen Reflektieren darüber, was in der Situation geboten ist, oder aber (iv) in einer sorglosen Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten. In jedem Fall allerdings ist die Pflicht, Sorge zu tragen, eine Vernunftforderung an uns selbst. Als selbstbewusste Wesen müssen wir uns so verstehen, dass wir uns 86
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Man kann dies generell Hegels Inseparabilitätsthese von innerem und äußerem Aspekt des Handelns nennen. Siehe dazu: Speight 2001 und Taylor 2010 [1983]. Siehe hierzu Dulckeit 1936: 153–155, aber auch Holl 1992: 33–95. Zur Fahrlässigkeitsthematik insgesamt siehe Stoppenbrink 2016.
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qua Allgemeine verwirklichen. Die Wissenspflicht entspringt letztlich unserer Bestimmung, frei wollende Subjekte zu sein. Als endliche Handlungssubjekte haben wir die Pflicht, unserem Begriff gemäß zu sein. Weil wir aber auch entgegen dieser Pflicht handeln, ergibt sich die Spannung der Moralität zwischen den Anforderungen allgemeiner Subjektivität an die besondere Subjektivität und der tatsächlichen Realisierung dieser Anforderungen durch besondere Subjekte. Daraus lässt sich eine erste Erklärung für die Rolle der Subjektivität im objektiven Geist geben: (i) Nur durch den subjektiven Willen einzelner Handlungssubjekte, und zwar als endlicher Wesen, und nur durch deren Handeln kann der freie Wille überhaupt wirklich sein (Einleitung in die Moralität). (ii) Zugleich kann es jedoch sein, dass diese Wesen als endliche ihrem Begriff nicht gemäß sind, so dass ein Sollen eintritt. Die Moralität ist auch schon wahrhafte Unendlichkeit, aber noch mit Begrenzungen. Allerdings ist sie notwendig und in gewissem Sinne der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Vorhabens der Grundlinien. 88 (iii) Erst in der Moralität lässt sich ein adäquates Verständnis wahrhafter Subjektivität entwickeln, von Subjektivität, die in der Objektivität bei sich ist. Und es soll ja die Subjektivität sein, die sich im Recht Objektivität gibt. Das, was objektiv ist, soll letztlich die Subjektivität sein und nichts ihr Fremdes. Schließlich ist noch ein Problem bezüglich der Rede von ›Pflicht‹ anzusprechen. Den Begriff der Pflicht führt Hegel erst an späterer Stelle in der Moralität ein (§ 133), so dass er an dieser Stelle streng genommen noch gar nicht verwendet werden darf. 89 Wenn er dann allerdings eingeführt ist, kann er natürlich rückbezüglich auch auf frühere Rechte angewandt werden. Um zu sehen, dass sich die Wissenspflicht bereits aus Hegels Absichtsthematik ergibt, kann auf das Verhältnis zwischen dem Recht und der Plicht zu wissen verwiesen werden. Denn die Pflicht, zu wissen, was man tue, ist keine Pflicht, die dem Recht des Wissens korrespondiert. Stattdessen haben beide dieselbe Quelle, und zwar das Dasein des freien Willens. Zwar schreibt Hegel, dass das Recht ein Dasein des freien Willens ist, jedoch lässt sich diese Rede von ›Recht‹ so verstehen, dass sie einen Bereich verschiedener Rechte und Pflichten bezeichnet. Wenn Recht als ein solcher Bereich über das Dasein des freien Willens definiert ist, der 88
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In der Vorrede benennt Hegel bereits den Eigensinn, „der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist“ GW 14,1: 16. Dies scheint mir viel zu selten gesehen worden zu sein. Exemplarisch für diese Missachtung kann die Bewertung Hösles über die Moralität genannt werden, die in der Einleitung zitiert wurde. Siehe die Thematisierung der Pflicht in 5.3.2.
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freie Wille jedoch in seinem Dasein sowohl durch Zuschreibungen oder auch durch das Scheitern selbst gehindert werden kann, haben nicht nur die anderen Pflichten uns gegenüber, unsere Willensverwirklichung nicht zu verhindern, sondern auch wir selbst haben die Pflicht, die eigene Willensverwirklichung zu befördern. Im folgenden Unterkapitel soll nun Hegels Askriptivismus und damit das Problem der Nichtunterscheidbarkeit gerechtfertigter und nicht gerechtfertigter unwissentlicher Verantwortung thematisiert werden. 3.2.5 Subjektive und objektive Willensverwirklichung: Hegels Askriptivismus Bisher ist noch nicht geklärt worden, wie die Spannung zwischen subjektivem und objektivem Willen aufgelöst werden könnte. Es ist dafür argumentiert worden, dass Hegel innerhalb des Rechts der Subjektivität die Möglichkeit zulässt, dass Einzelne auch dann verantwortlich gemacht werden dürfen, wenn sie kein Wissen über das hatten, was sie getan haben. Nun soll eine Lösung, wie angekündigt, in Hegels Askriptivismus liegen. 90 Für die These, dass Hegel einen Askriptivismus vertrete, hat Quante argumentiert. 91 Was bedeutet hierbei aber Askriptivismus? Der Ausdruck ›Askriptivismus‹ geht auf Peter Geach zurück, der in dem Aufsatz Ascriptivism (1960) 92 eine Kritik an H. L. A. Hart formuliert hatte. Der Text Harts, gegen den Geach argumentiert, war bereits 1948/49 erschienen unter dem Titel The Ascription of Responsibility and Rights. 93 Die Grundidee Harts bestand darin, den Begriff der Handlung ähnlich einem Rechtsbegriff wie „Eigentum“ oder „Vertrag“ zu analysieren. Dabei verweist Hart darauf, dass diese Rechtsbegriffe anfechtbare (defeasible) Begriffe sind, die keine notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen ihrer Anwendung besitzen, sondern durch Zuschreibung und Anfechtung allererst inhaltlich bestimmt werden. Ähnlich müsse man den Begriff einer Handlung interpretieren, der nicht aus notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen bestehen soll, sondern auch ein anfechtbarer Begriff ist. Dies zeige sich daran, dass die Verwendung von Handlungssätzen dazu dient, anderen Verantwortung zuzuschreiben. Zwar enthalten Handlungssätze 90
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Vgl. Siep 1992, 262: „Tragweite und Voraussetzung von Entschlüssen werden erst im reflektierenden Ausführen erkennbar. Entschließen, Anwenden und „Finden“ der Prinzipien des Handelns stehen schon beim individuellen Wollen und Handeln in wechselseitiger Abhängigkeit und in einem Prozeß wechselseitiger Korrektur.“ Quante 2013a. Dabei geht Quante davon aus, dass die gesamte Rechtsphilosophie Hegels als Askriptivismus verstanden werden kann. Diese globale, die gesamte Rechtsphilosophie betreffende askriptivistische Lesart werde ich im Folgenden ausblenden. Geach 1960. Hart 1955 [1948/49].
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deskriptive Elemente, jedoch ist das Spezifische nur askriptivistisch einzufangen. In einem ganz simplen Sinn lässt sich bereits hier zeigen, dass Hegel den Begriff der Handlung ebenfalls als anfechtbaren Begriff betrachtet, benennt er mit dem Recht des Wissens doch eine Regel, die es erlaubt, nur Bestimmtes als Handlung anzuerkennen. Und auch er bindet diese Geltung einer Tat als Handlung an die Verantwortung eben dafür. Die Schwierigkeit besteht darin, verständlich zu machen, wie diese Rede von dem askriptiven Charakter von Handlungssätzen und der Anfechtbarkeit des Begriffs der Handlung genau zu verstehen ist. Mit dieser Grundlage des jüngeren Theorieansatzes des Askriptivismus lässt sich die Problematik weiter erhellen, ob Hegels Wissenskonzeption der Verantwortung nicht letztlich doch in das zweite Horn des Dilemmas gerät, das die normative Erweiterung der Searchlight View ereilte. Ist es also so, dass Hegel nicht erklären kann, weshalb wir manchmal verantwortlich sind, obwohl wir uns nie dazu entschieden hatten, da er den Willen zur Grundlage der gesamten Verantwortungsthematik macht? Bereits an früherer Stelle wurde in Abgrenzung zu Shers eigenem, disjunktiven Ansatz gesagt, dass Hegel Verantwortung nicht einfach metaphysisch als Relation bestimmt, in der man eben steht oder nicht steht. Stattdessen bedeutet die Verantwortung und die Anerkennung einer Handlungszuschreibung, dass ein Subjekt ein Recht hat, diese mitzubestimmen. Der Einzelne hat das Recht, nur Gewusstes als Handlung anzuerkennen. Aber die soziale Objektivität hat ebenso ein Recht, vom Einzelnen zu erwarten, seinem Begriff, wesentlich allgemeines Subjekt zu sein, gemäß zu handeln. Damit treten einzelne Subjekte und die sie umgebenden Subjekte in ein spannungsreiches Wechselverhältnis. Einerseits soll die individuelle innere Seite des eigenen Wollens Berücksichtigung finden. Andererseits gehört es zum eigenen Wollen dazu, sich selbst zu objektivieren und in der Objektivität zu erhalten. Das setzt aber sowohl eine Übereinstimmung mit bestehenden Naturgesetzen als auch mit den Deutungen anderer Subjekte voraus. Diese Deutungen selbst sind nun aber auch wieder einerseits individuell und idiosynkratisch und folgen andererseits sozial geteilten Deutungsregeln. So wie wir unsere sprachlichen Ausdrücke nicht beliebig umdeuten können, ohne in unserer Kommunikation völlig missverstanden zu werden und damit zu scheitern, so kann auch nicht das, was wir nicht-sprachlich tun, völlig beliebig umgedeutet werden. Im Vergleich zur Sprache hat das nicht-sprachliche Handeln zudem externe Bedeutungsbedingungen. Dass das Hämmern eines Nagels in die Wand als Teilhandlung des Aufhängens eines Bildes verstanden wird, liegt auch daran, dass das Hämmern eines Nagels in die Wand ein adäquates Mittel ist, den Zweck zu erreichen, das Bild an die Wand zu hängen. Grundlage der Verantwortungszuschreibung muss in jedem Fall die kausale Verantwortung sein. Das bedeutet, dass das Subjekt etwas getan haben muss,
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das etwas zur Folge hatte. Für die Fälle unwissentlicher Verantwortung muss es für die Tat zunächst (i) eine sozial anerkannte Deutungsregel geben, die diese als eine bestimmte Handlung beschreibt. Zudem hätte die Person (ii) wissen können, dass ihre Tat als eben diese Handlung gilt. Dass sie dies nicht wusste, muss (iii) als Verstoß gegen eine Allgemeinheitsforderung 94 verstanden werden. Die Person muss diese Forderung außerdem (iv) als selbstauferlegte Forderung verstehen können, sie muss sich mit der Forderung identifizieren, von der sie abgewichen ist. In diesem Fall, wenn also Bedingungen (i)–(iv) gegeben sind, lässt sich sagen, dass die Zuschreibung der Handlung selbst die Verantwortung dafür konstituiert. Und nur unter diesen Bedingungen kann eine Verantwortungszuschreibung trotz Unwissenheit als gerechtfertigt gelten. Für diese Fälle gilt dann im Umkehrschluss: Wenn die Bedingungen (i)–(iv) erfüllt sind und dennoch keine Verantwortung zugeschrieben wird, dann wird die Verwirklichung des freien Willens verletzt. Nun war der Askriptivismus aber doch als die These referiert worden, dass der Begriff der Handlung über den Prozess des Zuschreibens und Anfechtens von Verantwortung bestimmt werde. Ist dieser Prozess nun nicht selbst auch wieder Teil der Bestimmung, ob die Bedingungen (i)– (iv) überhaupt vorliegen oder nicht? Um diese Frage zu beantworten, muss der Gegensatz zwischen bloß innerlichem subjektiven Wollen und der Deutung der externen Willensäußerung durch andere Subjekte betrachtet werden. Daraus ergibt sich Hegels Argument für die Untrennbarkeit inneren Wollens und äußerer Deutung 95: (P1) Nur das Innere des einzelnen Willens, des einzelnen Subjekts, darf berücksichtigt werden. (P2) Diese Berücksichtigung findet das Innere des Willens in dem Recht, Zuschreibungen nicht gewusster Handlungen und Handlungsfolgen anzufechten. (P3) Das Innere steht jedoch mit dem Äußeren in einem Reflexionsverhältnis, Innen und Außen sind Reflexionsterme, sie lassen sich nicht unabhängig voneinander explizieren. 94
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Relativ zu bestimmten Handlungsbereichen lassen sich dann bereichsspezifische allgemeine Wissensanforderungen formulieren. Ein Arzt etwa muss anderes und mehr Wissen besitzen als nicht-Ärzte. Damit ist Spielraum gegeben für rollenspezifische Wissensanforderungen. Dies ist ein weiterer Aspekt der Inseparabilitätsthese.
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(P4) Wichtig ist nicht die bloß innere Seite des Willens, sondern dass diese auch im Äußeren erhalten bleibt (Identitätsforderung der Willensverwirklichung). (P5) In der handelnden Umsetzung des Inneren im Äußeren durch die Handlung (§ 113) können Innen und Außen jedoch auseinanderfallen. (K)
Daher ist die Bestimmung dessen, was das Innere und damit das Eigenrecht des einzelnen Subjekts ist, nicht zu lösen von dem Äußeren, von der Handlungserscheinung, aus Sicht anderer Subjekte.
Für drei Handlungssubjekte A, B und C soll gelten: Alle drei haben jeweils das Recht, einander Verantwortung für das zuzuschreiben, was sie jeweils tun. Zugleich haben auch alle drei das Recht, diese Zuschreibungen anzufechten, wenn die Zuschreibung unter einer Beschreibung geschieht, die aus der jeweiligen Innenperspektive nicht zugänglich war. Umgekehrt haben aber auch alle drei das Recht, trotz Nichtwissens verantwortlich zu machen, wenn es bestimmte Sorgfaltspflichten gab, die nicht beachtet worden sind. Die askriptivistische Deutung besagt nun, dass die Frage, ob A für das Φen verantwortlich ist, davon abhängt, ob A die für Φ notwendigen Folgen auch tatsächlich verursacht hat und wusste, dass A* diese Folgen verursachen würde, aber auch, ob A nicht etwa weitere Anfechtungsgründe für die Zuschreibung des Φen vorlegen kann. Ob A dies tatsächlich kann, ist eine Frage, die nicht im Vorhinein beantwortet werden kann und immer wieder neu Gegenstand des Zuschreibungs- und Anfechtungsprozesses ist. Dies liegt letztlich an der irreduziblen Erste-PersonPerspektive und der nur durch Äußerungen vermittelten inneren Perspektive von Subjekten. Allerdings, so muss die askriptivistische Deutung weitergelesen werden, auch die Perspektive von B ist mitbestimmend für A's Verantwortung. B muss beispielsweise die Äußerungen A's über das eigene Unwissen deuten, muss die Glaubwürdigkeit dieser Äußerungen überprüfen und schauen, ob A's sonstige Äußerungen, etwa gegenüber C, mit dem Sonstigen übereinstimmen. Für B und C gilt ebenfalls, dass sie qua Subjekte die irreduzible innere ErstePerson-Perspektive einnehmen. Stabilität eines solchen Prozesses ergibt sich erst über intersubjektiv geteilte Regeln des Zuschreibens und Anfechtens, die selbst auch zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden können. Und diese Regeln selbst sind es, die in der Moralität der eigentliche Gegenstand der Willensverwirklichung sind. Erst im letzten Kapitel werde ich auf diese Dimension der hegelschen Verantwortungstheorie wieder zurückkommen.
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3.3 Hegels Theorie der Wissensbedingung von Verantwortung In diesem Kapitel ging es um die Rolle des Wissens für moralische Verantwortung. Diese kognitive Willenskomponente begründet die Rechte der Subjektivität als Verwirklichung des für sich freien Willens. Dabei wurde unterschieden zwischen dem Vorsatz als Wissen von einzelnen Umständen und Folgen und der Absicht als Wissen von allgemeinen Umstandsmerkmalen und Folgen. Das Recht des Vorsatzes schützt den Einzelnen vor Zuschreibungen, die nicht als Selbstverwirklichung seines subjektiven Zwecks angesehen werden können. Insofern hat es freiheitsverwirklichenden, man könnte vielleicht auch sagen, freiheitserhaltenden Charakter. Das Recht der Absicht bestand dann bereits in einem Anspruchsrecht auf Wissen, aber auch in einem Anfechtungsrecht, falls gewisses Allgemeinheitswissen nicht vorliegt. Zudem wurde erstmals die Rede von einem Recht der Objektivität benannt, die in eine uneigentliche und eine eigentliche Lesart unterteilt wurde. Daraufhin wurde eine askriptivistische Deutung der Spannung zwischen subjektiver und objektiver Willensverwirklichung vorgeschlagen, die Hegel vor dem Problem bewahrt, letztlich in das Dilemma der normativen Erweiterung der Wissensbedingung zu kollabieren, wie es George Sher entwickelt hatte. Offen blieb bisher die Frage, was noch als wissbar eingefordert und was nicht mehr als solches eingefordert werden könne. Diese letzte Frage führt nun zu einer Thematisierung des Zufalls als Grenzbestimmung der Zurechenbarkeit. Versteht man das Recht der Objektivität als das Recht anderer Handlungssubjekte, wechselseitig bestimmtes Wissen einzufordern, dann hat man damit bereits die Mittel an der Hand, um den Begriff der allgemeinen Vorhersehbarkeit einzuführen, der ein Element der heutigen Lehre der objektiven Zurechnung ist. Im Folgenden sollen daher Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit thematisiert werden, und zwar als diejenigen Elemente, die eine Grenzziehung der Zurechenbarkeit insbesondere nicht vollständig gewusster Handlungen und Handlungsfolgen ermöglichen. Neben den Fällen von Fahrlässigkeit aufgrund intersubjektiver Erwartbarkeit gibt es Grenzen des Wiss- und daher Erwartbaren. Diese hängen mit dem Zufall und der damit verminderten bis völlig aufgehobenen Kontrollierbarkeit zusammen. Zumindest Teile der Lehre von der objektiven Zurechnung können verstanden werden als Bestimmung dieser Merkmale. Die Thematisierung des Zufalls wird also wie folgt motiviert: Es ist möglich, dass ein Subjekt wissentlich und willentlich einen bestimmten Zustand verursacht hat und dennoch nicht dafür verantwortlich ist bzw. dieser Zustand dem Subjekt nicht zurechenbar ist. Diese Möglichkeit erklärt zugleich, wie die Grenzen des Erwartbaren bestimmt werden könnten.
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4. Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
B
isher ging es um die Bestimmung der Kausalbedingung von Verantwortung und das Wissen als weiterer Einschränkung derselben. Neben einem grundsätzlichen Anfechtungsrecht im Falle unwissentlichen und damit nicht vorsätzlichen Tuns ergab sich allerdings ein Recht der Absicht, das eine Erwartbarkeit an das Wissen des Einzelnen enthält. Dies wiederum ermöglichte, dass grundsätzlich auch dann verantwortlich gemacht werden darf, wenn kein Wissen vorlag und damit nicht vorsätzlich gehandelt wurde. Hierbei muss unterschieden werden zwischen Fällen, in denen unklar ist, ob überhaupt Unwissenheit vorlag oder nicht, und Fällen, in denen zwar Unwissenheit konstatiert wird aber dennoch die Grundlage für eine Vorwerfbarkeit vorlag. Im Strafrecht etwa wird für die letzteren Fälle eigens eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit definiert. Der erste Fall wird allerdings auch diskutiert, wenn es um die Frage geht, ob noch Vorsatz (dolus eventualis) oder schon Fahrlässigkeit vorlag. 1 Gar nicht diskutiert wurde bisher die Frage, wovon es abhängt, dass in manchen Fällen unwissentlichen Verursachens Verantwortung vorliegt und in manchen nicht. Es wurde also zwar gezeigt, dass es unwissentliche Verantwortung gibt, jedoch nicht, inwiefern diese gegeben ist und ab wann unwissentliches Verursachen Verantwortung ausschließt. Dafür müssen nun die Begriffe des Zufalls und der Kontrolle in den Blick genommen werden. Karl Larenz hat in seiner Dissertation zu Hegels Zurechnungslehre den „Gegensatz der eigenen und der zufälligen Folgen der Tat“ als das „Kernproblem der objektiven Zurechnung“ 2 bezeichnet. Bereits Karl Ludwig Michelet und dann in Folge die Hegelianer im Strafrecht des 19. Jahrhunderts hatten die Hauptschwierigkeit der Handlungs- und Zurechnungslehre in dieser Abgrenzung gesehen. 3 Die Vorsatzbedingung scheint diese Frage zunächst eindeutig zu beantworten, dass nämlich alles das und nur das die „eigene Tat“ sei, was
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So auch im Berliner Raser-Fall, der in der Einleitung geschildert wurde. Larenz 1927: 53. Im Gegensatz zu Hegel verwendet Larenz die Ausdrücke ›Tat‹ und ›Handlung‹ genau umgekehrt. Dies hat schon Quante 1993 angemerkt. Erklärt werden kann diese terminologische Vertauschung mit dem Kantianismus Larenz', dem Larenz 1927 durch den Einfluss seines Lehrers Julius Binder wahrscheinlich angehangen hat. Für einen Gesamtüberblick siehe Bubnoff 1966. Außerdem die jeweiligen Beiträge in Kubiciel / Pawlik / Seelmann 2017.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
im Wissen eines Subjektes gelegen hat. Allerdings konnte mit Verweis auf Sher die Herausforderung dieses Ansatzes bestimmt werden, dass nämlich unsere Praxis dieser Regel nicht vollständig entspricht. Daher kann die Problemfrage neu formuliert werden als: Wie lässt sich die nicht-vorsätzliche Tat noch als eigene Tat des Subjekts und nicht als bloßer Zufall bestimmen? Um diese Frage zu beantworten, bietet es sich an, zu klären, worin ein bloßer Zufall bestehen würde. In den bisher herangezogenen Paragraphen spielen neben der Kausalität die Phänomene des Zufalls und der Notwendigkeit, und zwar explizit, eine große Rolle. Daher sollen die einschlägigen Abschnitte im Folgenden Gegenstand der Analyse sein. Dazu wird in einem ersten Schritt wieder ein allgemeiner Überblick darüber gegeben, welche Rolle der Zufall aus heutiger Sicht in normativen Kontexten spielt (4.1). Nach einigen einleitenden Bemerkungen und terminologischen Einführungen (4.1.1) werden die Adäquanztheorie der Kausalität, die auf Johannes von Kries zurückgeht, und die Lehre der objektiven Zurechnung referiert (4.1.2). Ersteres ist die noch heute im Deliktsrecht angewandte Theorie, um Haftbarkeit zu prüfen. Diese Theorie wird hier deshalb dargestellt, da sie beansprucht, in eine Kausalitätstheorie bereits das Thema des Zufalls einzubauen. Die Lehre der objektiven Zurechnung wiederum dient im Strafrecht der Funktion, den weiten Kausalbegriff der Äquivalenztheorie einzuschränken. Damit hat auch die Lehre der objektiven Zurechnung, wie bereits bei Larenz, die Funktion, den Zufall als Zurechnungsgrenze zu bestimmen. Schließlich soll in einem dritten Schritt die Debatte um moral luck referiert werden (4.1.3). Diese Debatte ist stärker in der jüngeren (philosophischen) Handlungstheorie und Metaethik geführt worden, betrifft letztlich jedoch dieselbe Problemfrage: Dürfen wir einander auch für das verantwortlich machen, was aus unserer Sicht Zufall war und damit außerhalb unserer Kontrolle lag? 4 Im zweiten Unterkapitel werde ich dann auf die verschiedenen Bestimmungen von Zufall im Moralitätsteil der Grundlinien eingehen (4.2). Dabei muss zwischen dem Zufall der Umstände (4.2.1) und dem Zufall der Folgen (4.2.2) unterschieden werden. Zudem wird Hegels Metaphysik des Zufalls und seine These von der Notwendigkeit des Zufalls thematisiert (4.2.3). Dabei soll ein Vorschlag gemacht werden, wie die These der Notwendigkeit des Zufalls verstanden werden kann. Da diese These allerdings für die Kontexte menschlichen Handelns unnötig stark ist, werde ich im Anschluss die Rolle des Zufalls vermittelst einer schwächeren These behaupten. Dabei wird insbesondere der Unterschied zwischen singulä4
Man könnte die Frage auch so formulieren: Wie viel Zufall kann und soll unsere Moral bezogen auf Verantwortungszuschreibungen zulassen?
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ren und generellen Kausalaussagen eine Rolle spielen. Damit sind alle Mittel bereitgestellt, um im Anschluss Hegels Thematisierung des Themas moral luck anzugehen (4.2.4). Das Kapitel wird dann mit einer Darstellung von Hegels Theorie des Zufalls im Recht beschlossen (4.3). Dafür werden die Fragen, Probleme und die Systematik des ersten Unterkapitels aufgegriffen. 4.1 Zufall in normativen Kontexten Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln soll in diesem zunächst ein Überblick über das Thema aus heutiger Sicht gegeben werden. Dies ermöglicht dann, zu sehen, welche Lösungsvorschläge für das Problem des Zufalls in normativen Kontexten gemacht wurden. Aber auch diejenigen Fragen und Probleme können dann genauer formuliert werden, die wiederum für die Interpretation des hegelschen Textes leitend sein sollen. Welche Rolle spielt der Zufall überhaupt für das Thema der Verantwortung? 4.1.1 Welche Rolle spielt der Zufall? Im Vergleich zu den vorangegangenen beiden Themen der Kausalität im Recht und der Wissensbedingung lässt sich die Behandlung des Zufalls nicht eindeutig verorten. Die grundlegende Intuition besagt, dass man für Zufälle nicht verantwortlich ist und daher auch für diese nicht verantwortlich gemacht werden sollte. Für das Recht hatte bereits der Jurist Max Rümelin in seiner Antrittsrede aus dem Jahre 1896 festgehalten: „Ist ja doch schon dem Laienbewusstsein die angebliche Rechtsregel ganz geläufig, dass für Zufall niemand einzustehen habe, und frägt man doch so oft auch im täglichen Leben, wenn eine menschliche Handlung ungeahnte Folgen nach sich zieht, z. B. ein bei einer Schlägerei ganz leicht Verwundeter in Folge einer Blutvergiftung stirbt, ob diese Folgen dem Thäter zugerechnet werden können, ob sie nicht vielmehr auf einen unglücklichen Zufall zurückzuführen seien.“ 5
Es gibt also zwar eine allgemeine Gerechtigkeitsintuition, dass man für Zufälle nicht verantwortlich ist und gemacht werden sollte, allerdings werfen viele Fälle dann doch die Frage auf, ob und inwiefern dieser Intuition nachgegeben werden sollte. In diesen Fällen spielen häufig gewisse Eintrittswahrscheinlichkeiten des rechtlich relevanten Erfolges und Fragen nach der Vorhersehbarkeit 5
Rümelin 1896: 1–2.
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derselben eine Rolle. Diese Wahrscheinlichkeitsfragen werden dann wiederum für Zurechnungsfragen auf einer bereits normativen Ebene relevant. Nimmt man zunächst das Strafrecht als Beispiel, so lässt sich ein Umgang mit dem Zufall auf der Ebene der objektiven Zurechnung nachweisen. Im Deliktsrecht hingegen spielt der Zufall bereits auf „Kausalitätsebene“ eine Rolle. 6 Dort wird zumindest im deutschen Recht die sogenannte Adäquanztheorie, die auf Johannes von Kries zurückgeht, verwendet. Diese Kausalitätstheorie arbeitet mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit, da sie diejenigen Faktoren als kausal bestimmt, die adäquat waren, den Erfolg herbeizuführen. Und mit dieser Rede von ›adäquat‹ ist eine Wahrscheinlichkeit ausgedrückt. Das Thema des Zufalls stellt eine Vermittlung zwischen der Kausalität als bloß natürlicher Zurechnungsvoraussetzung und der Willenskomponente des Wissens dar, da es einerseits Kausalverläufe sind, die als zufällig oder notwendig ausgewiesen werden, andererseits aber die Frage nach der Verantwortung für diese Kausalverläufe von dem Wissen über diese abhängt und dieses wiederum an Zufällen seine Grenze hat. Bevor im Folgenden die Lehre der objektiven Zurechnung und die Adäquanztheorie vorgestellt werden, müssen einige Termini eingeführt werden, um die verschiedenen Fragen, Positionen und Probleme ordnen zu können. Zunächst sei nochmals das ganz allgemeine Prinzip benannt, das die Grundlage der verschiedenen Ansätze vereint: Das Nicht-Zufallsprinzip Man darf nur für das verantwortlich gemacht werden, was sich nicht zufällig ergeben hat. Hierbei ist noch offengelassen, was unter ›Zufall‹ bzw. ›zufällig‹ genau zu verstehen ist. Außerdem ist noch keine Begründung dieses Prinzips benannt. Nun soll unterschieden werden zwischen einem ontologischen und einem epistemologischen Zufallsbegriff. Der ontologische Zufallsbegriff besagt, dass es sich dabei um ganz bestimmte, prinzipiell nicht vorhersehbare Ereignisabfolgen in der Welt handelt. Ontologisch ist dieser Begriff, weil sich die prinzipielle Nichtvorhersehbarkeit nicht aus einer epistemischen Unzulänglichkeit, sondern aus Eigenschaften der Ereignisabfolgen selbst ergibt. Der epistemologische Zufallsbegriff hingegen bezieht sich auf bestimmte, relativ zu unserem Wissensstand nicht vorhersehbare Ereignisabfolgen in der Welt. Hier liegt die Nichtvorhersehbarkeit also in unserem begrenzten Wissen. Der epistemologische Zufallsbegriff lässt sich nun noch in einen objektiven und 6
Wobei hier anzumerken ist, dass die später kurz vorzustellende Adäquanztheorie der Kausalität aufgrund normativer Kriterien von vielen gar nicht mehr als reine Kausalitätstheorie angesehen wird.
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einen subjektiven untergliedern. Epistemisch-objektiver Zufall 7 betrifft solche Ereignisabfolgen, die relativ zu einem gesellschaftlichen Wissensstand nicht vorhersehbar sind, epistemisch-subjektiver Zufall hingegen solche, die relativ zum Wissensstand eines einzelnen Handlungssubjektes nicht vorhersehbar sind. Epistemisch-objektiver Zufall wiederum kann zwei Gründe haben. Erstens ist es möglich, dass von bestimmten gesetzmäßigen Zusammenhängen bisher kein wissenschaftlich gestütztes Wissen vorhanden ist. Zweitens kann es ein Zusammentreffen verschiedenster Ereignisse und Dinge an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit geben, die zwar jeweils für sich gesetzmäßig erklärt werden können, das Zusammentreffen jedoch nicht. 8 Ein weiterer Grund für epistemisch-objektiven Zufall kann also im ontischen Zufall gesehen werden. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass etwas objektiv epistemisch Zufälliges immer auch etwas ontisch Zufälliges ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn erst zunehmend gewisses empirisches Wissen über die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten erworben wird. Ab einem bestimmten Zeitpunkt t1 weiß man dann gesellschaftlich, dass etwa Rauchen Krebs verursacht, und insofern hatte das Erkranken an Lungenkrebs aufgrund des Rauchens zuvor etwas Zufälliges. Ontisch hatte das Rauchen aber bereits zuvor diese kausale Eigenschaft, so dass sich die Zufälligkeit aus der bloß subjektiven, wenn auch gesellschaftlich geteilten subjektiven Perspektive ergibt. Ob es ontischen Zufall überhaupt gibt, kann an dieser Stelle offengelassen werden. Hegel vertritt zwar die These der Notwendigkeit des Zufalls 9, allerdings, so soll gezeigt werden, reicht das epistemologische Verständnis des Zufalls für den Kontext der Verantwortungsanalyse aus. Schließlich lassen sich für den epistemologischen Zufallsbegriff noch Grade angeben. Denn wenn kein epistemischer Zufall vorliegt, es also eine Vorhersehbarkeit gibt, kann diese noch in Grade unterteilt werden, die sich auf die Gewissheit beziehen. Wie sicher ist man jeweils, dass ein bestimmtes Ereignis, gegeben bestimmte Bedingungen, auch tatsächlich eintreten wird? Um diese 7
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Die Rede von epistemischem Zufall darf hier nicht verwechselt werden mit dem, was in der Erkenntnistheorie im Englischen ›epistemic luck‹ genannt wird. Dort bezeichnet dieser Ausdruck die Weise, auf die man zu einer wahren Überzeugung gelangt. Siehe zum Verhältnis von Wissen und Zufall Brendel 2013, 53–79. Natürlich gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass A von einem Blitz getroffen wird, wenn A bei einem Gewitter spazieren geht. Allerdings scheint es sich eines gesetzmäßigen Zusammenhangs zu entziehen, wenn A bei Gewitter spazieren geht, weil B A dazu überredet hat, in der Absicht, dass A von einem Blitz getroffen und dadurch getötet wird. Der Zusammenhang zwischen der Überredung zum Spazierengehen und dem Ereignis, dass A dann tatsächlich vom Blitz getroffen und getötet wird, ist in dem Sinne zufällig. Umgekehrt kann es wiederum individuelles Spezialwissen geben über zukünftige Koinzidenzen, die es einem Subjekt gerade ermöglichen, kontrolliert etwas zu tun. Siehe für diese These generell Henrich 2010 [1958/59] und Utz 2001.
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Grade einteilen zu können, müssen Wahrscheinlichkeiten eingeführt werden. Da Wahrscheinlichkeiten für gewöhnlich erst auf Grundlage wissenschaftlicher Praxis entdeckt und begründet werden, ist die Graduierung der Gewissheit primär eine Angelegenheit des epistemisch-objektiven Zufalls. Nachdem nun also erste Vorschläge zur Bedeutungsbestimmung von ›Zufall‹ und ›zufällig‹ vorgenommen wurden, muss die Frage gestellt werden, von welcher dieser Bedeutungen im Nicht-Zufallsprinzip die Rede ist. Dazu werden die Adäquanztheorie der Kausalität, die Lehre der objektiven Zurechnung (4.1.2) und die Debatte um moral luck vorgestellt (4.1.3). 4.1.2 Die Adäquanztheorie der Kausalität und die Lehre der objektiven Zurechnung Die Adäquanztheorie der Kausalität ist von dem Physiologen Johannes von Kries (1853–1928) im Zuge seiner Wahrscheinlichkeitstheorie Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt worden. Dabei ist die Grundidee diejenige, dass als Ursache nur eine solche Bedingung betrachtet wird, die angemessen (adäquat) für den Erfolgseintritt gewesen ist. Es stellt sich die Frage, wie sich diese Adäquatheit bestimmen lässt. „Adäquat sind solche Bedingungen, bei denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Erfolg eintritt. In diesem Sinn muss die Bedingung allgemein und erfahrungsgemäß geeignet sein, den Erfolg herbeizuführen. Insoweit sind atypische, der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechende Kausalverläufe nicht mehr adäquat.“ 10 Es wird also ein sozialer Standard („allgemeine Lebenserfahrung“) für die Vorhersehbarkeit von Kausalverläufen angenommen. Danach, so könnte man sagen, wäre ein „atypischer“ Kausalverlauf ein epistemisch objektivzufälliger Kausalverlauf. Insofern die Adäquanz Zurechnungsbedingung ist, wäre demnach ein atypischer Kausalverlauf als Folge des eigenen Tuns nicht mehr zurechenbar. Johannes von Kries, auf den diese Theorie zurückgeht, hatte der These zugestimmt, dass die Verursachungsrelation noch nicht hinreichend für Verantwortung ist. „Es ist vielmehr noch erforderlich hinzuzufügen, daß das rechtswidrige Verhalten mit dem verursachten Erfolg in einem generellen Zusammenhange stehe, daß es, gemäß den allgemeinen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft, generell geeignet sei, derartige Verletzungen herbeizuführen. Man kann die Verursachung in solchem Falle eine adäquate nennen und wird im Gegensatze dazu von einer nicht adäquaten oder zufälligen Verursachung sprechen, wenn ohne einen allge10
Rengier 2013: 76.
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meinen Zusammenhang nur bezüglich des Einzelfalles sich behaupten lässt, daß der Erfolg bei Fehlen einer gewissen rechtswidrigen Handlung nicht eingetreten wäre.“ 11
Daraus ergibt sich, dass von Kries als Merkmal adäquater Kausalbeziehungen einen allgemeinen Zusammenhang annimmt. Dieser Zusammenhang besteht in einer generellen Geeignetheit der in Frage stehenden Handlung, den in Frage stehenden Erfolg kausal herbeizuführen. Nicht adäquat und für von Kries zufällig sind im Gegensatz dazu diejenigen Kausalzusammenhänge, die nicht generell geeignet sind. Zufallvon Kries Ein Kausalzusammenhang zwischen E1 und E2 ist zufällig, wenn er nicht adäquat ist, d. h. wenn er keinen allgemeinen Zusammenhang darstellt. In diesem Fall ist E1 nicht generell geeignet, E2 herbeizuführen. Damit komme ich zur Lehre der objektiven Zurechnung. Diese Lehre ist für diese Arbeit insofern von besonderer Bedeutung, als gerade Karl Larenz mit seiner Dissertation zu Hegels Zurechnungslehre den Begriff der objektiven Zurechnung maßgeblich geprägt hat. Die heutige strafrechtsdogmatische Lehre der objektiven Zurechnung hat sich dann über einen Text Richard Honigs 12 in Auseinandersetzung auch mit Larenz weiterentwickelt und wurde schließlich von Claus Roxin zu der Version ausgearbeitet, wie sie heute weitestgehend immer noch vorherrscht. 13 Dass die Lehre von der objektiven Zurechnung überhaupt im Zusammenhang mit dem Zufall steht, zeigt sich daran, dass Larenz den „Gegensatz der eigenen und der zufälligen Folgen der Tat“ als das „Kernproblem der objektiven Zurechnung“ 14 benennt. Alle Folgen, die nicht die eigenen sind, sind dann zufällige Folgen. Die Frage ist dann, welche Folgen die eigenen seien bzw. welches Kriterium es erlaubt, hier zu unterscheiden. Larenz versucht mit der Lehre der objektiven Zurechnung genau diese Abgrenzung vorzunehmen. Ein erstes Verständnis besagt, dass die eigenen Folgen die Folgen sind, die die Handelnde ex ante, also vor der Tat, hatte vorhersehen können. Insofern würde es sich bei dem Begriff des Zufalls um einen epistemisch-subjektiven Zufall handeln. Allerdings setzt Larenz damit einen sozialen Standard für das Wissen an, das man von Bürger*innen aus der Ex-ante-Sicht vernünftigerweise hat erwarten können.
11 12 13 14
von Kries 1889: 532. Honig 1930. Nach Rengier 2013: 82. Larenz 1927: 53.
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Die heutige in der Praxis anerkannte Lehre der objektiven Zurechnung dient dem Zweck, die Äquivalenztheorie der Kausalität normativ einzuschränken. Da Letztere aufgrund ihres Äquivalenzcharakters als zu weit angesehen wird – danach sind beispielsweise die Eltern einer Mörderin durch die Zeugung ihrer Tochter ebenso kausal ursächlich für den Tod eines Menschen wie die Tochter selbst –, muss die Zurechenbarkeit eingeschränkt werden. „Nach der anerkannten Grundformel – oder Ausgangsformel – ist dem Täter ein von ihm verursachter Taterfolg zuzurechnen, wenn er eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat.“ 15 Dabei muss einerseits die Frage geklärt werden, wie eine Gefahr als rechtlich missbilligte von einer rechtlich gebilligten Gefahr zu unterscheiden ist. 16 Andererseits ist zu klären, was es genau bedeuten soll, dass sich diese Gefahr im Erfolg realisieren muss. Wichtig ist die Klärung dessen, was Werk des Zufalls bedeuten könnte. Dies wird insbesondere in einer „objektiven Voraussehbarkeit“ gesehen. Zufall wäre dann das nicht mehr objektiv Voraussehbare und damit epistemisch-objektiver Zufall. „Im Erfolg muss sich noch die vom Täter gesetzte Ausgangsgefahr realisieren.“ 17 Diese Realisierung wird negativ darüber bestimmt, wann sie nicht mehr vorliegt. Dies ist der Fall, wenn: (i) „ein völlig anderes Risiko, das dem allgemeinen Lebensrisiko entspringt, realisiert wird“ oder (ii) die Realisierung „auf Zufall beruht“ oder (iii) die Realisierung „mit einem eigenständigen, die Ausgangsgefahr verdrängenden Verhalten anderer Personen zusammenhängt“. 18 Die heutige Lehre der objektiven Zurechnung besteht also aus mehreren Merkmalen, die alle erst zusammen die objektive Zurechenbarkeit darstellen. Für die erste die objektive Zurechenbarkeit ausschließende Bedingung wird häufig der Fall angeführt, dass A eine Person B zu töten beabsichtigt und in dieser Absicht auf B schießt. B überlebt allerdings den Schuss und wird ins Krankenhaus eingeliefert, in dem drei Wochen später ein Feuer ausbricht, in dem B zu Tode kommt. In diesem Fall hat der Schuss von A dazu geführt, dass B überhaupt erst ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Allerdings handelt es sich bei dem Feuer und der Gefahr eines solchen um eine davon ganz unabhängige allgemeine Gefahr, „im Brand des Krankenhauses verwirklicht sich nicht die 15 16
17 18
Rengier 2013: 85 (Hervorhebung aus dem Original getilgt). Auf dieses Merkmal der Lehre der objektiven Zurechnung werde ich erst im 5. Kapitel wieder zurückkommen, da, wie noch zu zeigen ist, erst die evaluative Perspektive des Einzelnen und das Recht des Wohls dieses Merkmal erklären können. Rengier 2013: 85. (Hervorhebung aus dem Original getilgt) Rengier 2013: 85. (Hervorhebung aus dem Original getilgt)
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Gefahr, die von einer Schussverletzung ausgeht“ 19. Ein anderer Fall ist der Neffe A, der seinen Onkel B mit Tötungsabsicht in ein Gewitter schickt, in der Hoffnung, dass B von einem Blitzschlag getötet werde, was auch tatsächlich geschieht. Die Adäquanztheorie der Kausalität hatte Fälle dieses letzten Typs dadurch ausgeschlossen, dass sie keine adäquaten Kausalverläufe darstellen. Heute werden diese Fälle hingegen „im Allgemeinen einem erlaubten Risiko zugerechnet“ 20. Für die Frage, aus welchem Grund ein bestimmtes Risiko erlaubt ist, muss einerseits wieder Bezug auf die Geeignetheit der jeweiligen Handlung genommen und es müssen andererseits positive Rechte der Einzelnen mit hinzugenommen werden. Jemanden in ein Gewitter spazieren zu schicken ist eine Handlung, die ungeeignet ist, jemanden zu töten. Da aber Handlungen zu verbieten prima facie rechtfertigungsbedürftig ist, sollten nur solche Handlungen verboten sein, die dazu geeignet sind, ein zu vermeidendes Übel zu verursachen. Zudem muss der Wert der Handlung betrachtet werden, die ein bestimmtes Risiko schafft. Mit dem Auto zu fahren und dadurch andere Menschen einer Gefahr auszusetzen, ist deshalb erlaubt, weil die Mobilität ein Wert ist und eine Bedingung der Ausübung demokratisch-freiheitlicher Grundrechte darstellt. 21 Schließlich wird auch das Handeln Dritter als Zurechnungsausschluss betrachtet. Der Zufall spielt damit auf zwei Ebenen der objektiven Zurechenbarkeit in ihrer heutigen Form eine Rolle. Entweder eine Handlung ist rechtlich erlaubt, weil ihr potentielles Risiko sich nur unter sehr zufälligen Umständen überhaupt realisieren würde. Oder aber die Handlung ist durchaus eine rechtlich unerlaubte Handlung, führt aber auf zufällige und damit ungeeignete Weise zum Erfolg, weil sich in diesem ein anderes Risiko verwirklicht. Bevor nun zur Darstellung der Moral-luck-Debatte übergegangen wird, sei noch eine Differenz zwischen der objektiven Zurechnungslehre von Karl Larenz und der heutigen Version diskutiert. Dies ist wichtig, da Larenz seinen Ansatz über Hegels Zurechnungslehre entwickelt und die Frage besteht, ob Hegels Ansatz für heutige Probleme überhaupt noch von Interesse sein kann, ist doch bereits Larenz' Lehre nicht mehr aktuell. Zwischen der Arbeit von Larenz und der heutigen Lehre der objektiven Zurechnung lässt sich folgender Unterschied benennen: Larenz hat mit dieser Lehre die Verantwortung ausdehnen wollen, wohingegen die heutige Lehre diese gerade einschränken soll. Letzteres trifft insofern zu, als in heutigen Überblickswerken meist die Einführung einer Lehre der objektiven Zurechnung damit begründet wird, 19 20 21
Roxin 2006: 373. Puppe 2006: 170. Das bedeutet nicht, dass die Gefahren einfach hingenommen werden. Stattdessen dienen gerade viele rechtliche Regelungen wie etwa eine Straßenverkehrsordnung der Funktion, diese Gefahren zu mindern.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
dass diese den Bereich des auf Grundlage der Conditio-sine-qua-non-Formel kausal Zurechenbaren einschränke. Larenz hingegen möchte mit der Lehre der objektiven Zurechnung, daher der Ausdruck ›objektiv‹, gerade auch solche Kausalfolgen zurechenbar machen, die nicht im Vorsatz des Täters lagen. Schließt also die heutige Zurechnungslehre Larenz' Ansatz nicht gerade aus bzw. widerspricht ihm sogar und macht damit zugleich auch den hegelschen Ansatz obsolet? Ich glaube nein und vertrete die These, dass diese Gegenüberstellung unglücklich und die eigentliche Idee hinter einer objektiven Zurechnungslehre beiden Ansätzen gemeinsam ist. Dadurch wird sich sowohl ein Fehler der heutigen Lehre der objektiven Zurechnung aufdecken als auch Larenz' Ansatz verständlicher machen lassen. Die heutige Idee läuft wie folgt: Zunächst prüfen wir Kausalität. Ursache des in Frage stehenden Erfolgs ist jede notwendige Bedingung gleichermaßen. Da dies aber dazu führt, dass alle möglichen Dinge und Ereignisse plötzlich ursächlich werden, etwa auch die Eltern des Täters aufgrund ihrer Zeugung desselben, muss die Zurechenbarkeit eingeschränkt werden. Dafür wird dann die Lehre der objektiven Zurechnung angeführt. Für die Frage, weshalb diese Einschränkung nötig ist, ist Larenz' Ansatz hilfreich. Larenz argumentiert, dass die in Frage stehende Straftat als Werk des Täters verstanden werden muss. Dies ist eine notwendige Bedingung der Strafbarkeit. Nur wenn gezeigt werden kann, dass etwas Werk eines Täters ist, darf dies auch zugerechnet werden, da ansonsten eine Strafe unverständlich bliebe. Es stellt sich also die Frage, wie man eine Tat als Werk des Täters verstehen kann. Ein erster Ansatz wäre nun, das faktisch Gewusste und Gewollte heranzuziehen. Da es aber, wie gezeigt, möglich sein sollte, jemanden trotz Unwissenheit verantwortlich zu machen, muss es zulässig sein, einen sozialen Standard des Wissbaren anzulegen und insofern gegen den Willen der Täterin dieser etwas als ihr Werk zuzurechnen. Beide Ansätze (Larenz' und der heutige) schränken ein und dehnen aus: Natürlich folgt auch aus Larenz' Ansatz, dass der Bereich der Kausalfolgen auf den Bereich der objektiv zurechenbaren Folgen eingeschränkt wird. Das Vorliegen einer Kausalrelation ist weiterhin eine notwendige Bedingung der Strafbarkeit, zumindest im Falle eines vollendeten Erfolgsdeliktes. Allerdings dehnt die Idee der objektiven Zurechenbarkeit die zurechenbaren Kausalfolgen relativ zu einer subjektiven Zurechenbarkeit aus. Dies gilt aber für die heutige Lehre ebenso. Damit kann festgehalten werden: Relativ zu den Kausalfolgen eines Tuns schränkt die objektive Zurechnung diesen Bereich ein. Relativ zu der Idee einer subjektiven Zurechnung, also einer Zurechnung auf Grundlage des faktisch Gewussten und Gewollten, dehnt die objektive Zurechnung aus. Im Sozialen wird jeweils ausgehandelt, was objektiv zurechenbar ist, aber auch, was als faktisch subjektives Wissen und Wollen anerkannt wird, ebenso wie,
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ob das faktisch subjektiv Gewusste und Gewollte für die Zurechenbarkeit eine Rolle spielen soll oder nicht. Das Aufbauschema 22 eines vollendeten Erfolgsdeliktes verschleiert diese Struktur und macht den vernünftigen Zusammenhang gerade nicht sichtbar. In dieser Verschleierung liegt das erste von zwei Problemen der Theorie der objektiven Zurechnung. Aus prüfpragmatischen Gründen ist es sinnvoll, zunächst Kausalität und erst im Anschluss die objektive Zurechnung zu prüfen. Allerdings sollte eine wissenschaftliche Reflexion über Kausalität und objektive Zurechnung nicht dem Fehler aufsitzen, sich von einer Struktur, die pragmatischen Zwecken dient, in die Irre leiten zu lassen und von dieser auf ihre generelle Vernünftigkeit zu schließen. Wenn man dies nicht tut, sieht man, dass die Motivation der objektiven Zurechnung durch den vorgängigen Prüfschritt der Kausalität nicht vernünftig ist. 23 Denn es erklärt nicht, worin genau das Problem der Weite bloßer Kausalverantwortung besteht. Ein zweites Problem besteht darin, dass die objektive Zurechnungslehre in der Funktion der Kausalitätseinschränkung eine Äquivalenztheorie der Kausalität präsupponiert. Sofern diese als inadäquat zurückgewiesen wird, verschwindet allerdings jeglicher Sinn der Lehre der objektiven Zurechnung. Die Äquivalenztheorie wiederum ist eine kontrafaktische Theorie der Kausalität, die jede notwendige Bedingung für den Erfolgseintritt als gleichermaßen kausal ansieht. Die objektive Zurechnung geht dann davon aus, dass diese Theorie mehr einschließt, als zugerechnet werden sollte, und fügt nun eine Einschränkung hinzu. Allerdings werden hierbei zwei Dinge vermengt, die unbedingt auseinandergehalten werden sollten. Es ist eine Sache zu sagen, dass kausale Verantwortung (vielleicht immer) mehr umfasst als rechtliche und / oder moralische Verantwortung. Wir verursachen doch weitaus mehr in der Welt, als wofür wir einander verantwortlich machen. Von daher ergibt sich das Bedürfnis, die Menge des kausal Zurechenbaren auf das moralisch und / oder rechtlich Zurechenbare einzuschränken. Diesem Zweck dient das Recht des Wissens bei Hegel. Nun ist es jedoch eine andere Sache, die Adäquatheit einer Kausalitätstheorie zu bestimmen. Weil ohnehin das kausal Zurechenbare auf das rechtlich Zurechenbare eingeschränkt wird, sieht man nicht, dass die Äquivalenztheorie der Kausalität bereits für sich problematisch ist. Die Fälle der Überdetermination und der präemptiven Kausalfolgen stellen immense Probleme für sie dar. Zudem erklärt die Conditio-sine-qua-non-Formel letztlich nicht, was eigentlich kausal genau geschieht. Daher schlage ich vor, dass 22
23
Dabei handelt es sich um das bereits in der Einleitung erwähnte Lehrbuchschema im Strafrecht, nach dem, zumindest idealtypisch, überprüft wird, ob sich eine Person strafbar gemacht hat. So verstehe ich auch die Kritik Alexander Aicheles an dieser Theorie (Aichele 2006).
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die Grundidee einer objektiven Zurechnung nicht über die Äquivalenztheorie motiviert werden sollte, sondern darüber, dass die Menge des kausal Zurechenbaren eingeschränkt werden muss. Letzteres ist eine Forderung, die neutral gegenüber der gewählten Kausalitätstheorie ist. Damit gehe ich über zur Darstellung der Moral-luck-Debatte. 4.1.3 Das Thema des moral luck in der Moralphilosophie Die Frage nach der Rolle des Zufalls für unsere moralische Praxis wird in der jüngeren Philosophie unter dem Label des moral luck diskutiert. Der Ausdruck wurde durch zwei Aufsätze von Bernard Williams und von Thomas Nagel geprägt. 24 In diesem Fall sollte ›luck‹ am ehesten mit Zufall übersetzt werden, da das Wort wertneutral gemeint ist. Damit ist sowohl positiv bewerteter Zufall (Glück) als auch negativ bewerteter Zufall (Pech) gemeint. Nagel bestimmt das Nicht-Zufallsprinzip wie folgt: „Prior to reflection it is intuitively plausible that people cannot be morally assessed for what is not their fault, or for what is due to factors beyond their control.“ 25
In dem Überblicksartikel zu moral luck von Dana Nelkin lauten das Kontrollprinzip, wie das Nicht-Zufallsprinzip häufiger genannt wird, und ein sich daraus ergebendes Korollar wie folgt: „(CP)
We are morally assessable only to the extent that what we are assessed for depends on factors under our control. [. . . ]. (CP-Corollary) Two people ought not to be morally assessed differently if the only other differences between them are due to factors beyond their control.“ 26
Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass die Interpretation des Nicht-Zufallsprinzips über Kontrollierbarkeit bereits eine alternative Deutung des Zufallsbegriffs bietet. ZufallK Alle Aspekte einer Handlung, die nicht unter der Kontrolle des Akteurs standen, sind zufällig. 27 24 25
26 27
Williams 1976 und Nagel 1976. Nagel 1976: 25. Das Prinzip entspricht genau der Idee, die bereits Max Rümelin für das Recht benannt hatte. Nelkin 2013: 3. Für die Rückbindung von Zufall an Kontrolle siehe auch Enoch 2013.
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Es wird noch zu prüfen sein, in welchem Zusammenhang Zufall und Kontrolle jeweils stehen. Ähnlich wie im Falle der epistemischen Bedingung ergibt sich nun ein Problem für die bestehende Zuschreibungspraxis. Diese scheint nämlich in vielen Fällen moralischen Zufall zuzulassen. Nagel charakterisiert diesen wie folgt: „Where a significant aspect of what someone does depends on factors beyond his control, yet we continue to treat him in that respect as an object of moral judgment, it can be called moral luck.“ 28
Die These des moralischen Zufalls benennt also die Möglichkeit, auch für Zufälle, und das bedeutet für nicht-kontrollierte Taten und nicht-kontrollierte Folgen, verantwortlich zu sein. Wenn man diese These akzeptiert, dann ergibt sich ein direkter Widerspruch zwischen dem Kontrollprinzip und der These des moralischen Zufalls. Dass die These moralischen Zufalls zutrifft, zeigt sich daran, dass wir in vielen Fällen gegen das Korollar und damit indirekt auch gegen das Kontrollprinzip verstoßen. Beispielsweise lässt sich der Fall anführen, in dem zwei Personen jeweils mit ihrem Auto rücksichtslos zu schnell durch eine verkehrsberuhigte Zone fahren. Der einen Person A rennt ein Hund vor das Auto und wird überfahren, da A nicht mehr schnell genug bremsen kann, der anderen Person B geschieht dies nicht. Obwohl nun der einzige Unterschied zwischen den beiden Fällen in dem zufälligen, weil nicht kontrollierbaren Umstand besteht, dass A der Hund vor das Auto läuft, B hingegen nicht, würde man A einen größeren Vorwurf machen bzw. A auch rechtlich anders behandeln. 29 Um zunächst diese Fälle ungleicher Behandlung trotz zufälliger Differenz einzufangen, bestimmt Dana Nelkin moral luck in ihrem Überblicksaufsatz wie folgt: „(ML) moral luck occurs when an agent can be correctly treated as an object of moral judgment, despite the fact that a significant aspect of what he is assessed for depends on factors beyond his control.“ 30
Damit wird zur eigentlichen Aufgabe die Beantwortung der Frage, wie sich bestimmen lässt, dass jemand „correctly“, d. h. gerechtfertigterweise, trotz Zufall verantwortlich ist. Um diese Frage zu beantworten und die Spannung zwischen 28 29
30
Nagel 1976: 26. Die Herausforderung, die damit einhergeht, ist bereits von Clifford in seinem Aufsatz The Ethics of Belief thematisiert worden. Clifford hatte als strikter Deontologe dafür argumentiert, dass in diesen Fällen gerade kein Unterschied gemacht werden sollte (Clifford 1999 [1877]). Siehe dazu Bögner / Meyer / Schnieder / Seidel 2018 und Chignell 2018. Nelkin 2013: 4.
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unserer Zuschreibungspraxis und der Forderung des Kontrollprinzips aufzulösen oder zumindest in den Griff zu bekommen, führt Nagel verschiedene Arten des Zufalls ein. Denn es sind verschiedene Dinge, die sich unserer Kontrolle entziehen können. Beispielsweise besteht ein Unterschied, ob ein Hund unvorhersehbar auf die Straße rennt oder ob ich mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten geboren wurde und diese auch durch meine Sozialisation habe entwickeln können, die mir im Vergleich zu anderen Vorteile verschaffen. Nagel unterscheidet folgende vier Arten des Zufalls: (i) (ii) (iii) (iv)
Zufall der Resultate (resultant luck) Zufall der Umstände (circumstantial luck) Zufall der Konstitution (constitutive luck) Zufall kausaler Akteurschaft (causal luck)
Ad (i). Man hat Glück oder Pech bezüglich der Folgen des eigenen Handelns. A möchte B erschießen, schießt auf B, erreicht jedoch nicht sein Ziel (B's Tod), da B unmittelbar vor dem Schuss hinfällt und somit aus der Schussbahn gerät. Zum resultant luck gehören auch Entscheidungen unter Unsicherheit, bei denen sich das Resultat vielleicht erst nach langer Zeit einstellt. So etwa in dem von Williams diskutierten Fall Gauguins. Ein fiktiver Gauguin entscheidet sich für ein Künstlerleben auf Tahiti und damit gegen ein Leben mit seiner Familie. Im ersten Fall wird er tatsächlich ein großer berühmter Maler, im anderen Fall nicht. Beide Fälle würde man moralisch verschieden bewerten, seine Bewertung also von dem letztlichen Resultat abhängig machen, obwohl der Erfolg von vielen externen und nicht kontrollierbaren Faktoren abhängt. Schließlich gehören noch Fälle von Fahrlässigkeit zum resultant luck. A und B, ansonsten sehr gewissenhaft, haben beide unterlassen, ihre Autobremsen zu checken, und erfahren ein Versagen der Bremsen. Bei A befindet sich genau in dem Moment ein Kind auf der Fahrbahn, wohingegen dies bei B nicht der Fall ist. Ad (ii). Hierbei handelt es sich um den Zufall der Umstände, in denen man sich befindet. Nagel nennt als politisches Beispiel die Zeit der Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933. Deutsche hätten damals häufig vor der Wahl gestanden, zu kollaborieren, auch gegen die eigenen moralischen Überzeugungen, oder aber bei Gefahr auch des eigenen Lebens Widerstand zu leisten oder das Regime zumindest nicht zu unterstützen. Menschen, die in ganz anderen Ländern geboren wurden, seien diesen moralischen Dilemmata nicht ausgesetzt gewesen, so dass sie durch den Zufall ihrer eigenen Umstände nichts vergleichbar Vorwerfbares haben tun können, selbst wenn sie vielleicht mit dem Naziregime kooperiert hätten, wenn sie sich in Deutschland befunden hätten. 31 31
Nagel 1976: 145–146 [1979: 34]. Zu diesem Zufall gehört auch der antike Begriff des καιρός (des günstigen Augenblicks).
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Die Rolle des Zufalls in Hegels Grundlinien
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Ad (iii). Der konstitutive Zufall besteht in dem Zufall, die Charaktereigenschaften und Dispositionen zu haben, die man eben hat. Wenn, wie wir handeln, teils eine Funktion dessen ist, wer wir sind, dann enthält die Existenz konstitutiven Zufalls, dass die Handlungen, die wir vollziehen, vom Zufall abhängen. Denn unsere Charaktereigenschaften und Dispositionen stehen nur begrenzt unter unserer Kontrolle. Ad (iv). Der Zufall kausaler Akteurschaft schließlich liegt in dem Glück, wie jemand und jemandes Handeln durch vorangegangene Zu- und Umstände determiniert ist. Diese Form des Zufalls ist wesentlich für das klassische Problem der Willensfreiheit, da demnach unser Handeln als bloß determinierte Folge von etwas aufgefasst werden kann, das nicht unter unserer Kontrolle steht. Dann wären aber weder unsere Handlungen noch unser Wille frei. Damit sind alle wichtigen Aspekte der Debatte um moral luck eingeführt, die es erlauben, den hegelschen Ansatz zum Zufall und zur Kontrolle adäquat systematisieren und im Anschluss bewerten zu können. Es ergibt sich folgende Problemkonstellation des Themas Zufall in normativen Kontexten. Die normative Grundintuition besteht in dem Nicht-Zufallsprinzip 32. Drei Fragen sind zu klären: 1) Was genau bedeuten ›Zufall‹ und ›zufällig‹ innerhalb dieses Prinzips? 2) Wie wird das Nicht-Zufallsprinzip unter der jeweiligen Bedeutung von Zufall begründet? 3) Darf das Prinzip eingeschränkt werden und falls ja, weshalb ist dies zulässig? Dies sind die relevanten, die Thematik betreffenden Hauptfragen, die nun im Folgenden die Interpretation des hegelschen Textes leiten sollen. 33 4.2 Die Rolle des Zufalls in Hegels Grundlinien Inwiefern spielt der Zufall in Hegels Grundlinien für Zurechnungsfragen eine Rolle? Ziel dieses Unterabschnitts ist es, zu zeigen, dass Hegel wenigstens zwei verschiedene Zufallsbegriffe verwendet. Der erste Begriff ist ein epistemologischer, der zweite ein ontologischer Zufallsbegriff. Zudem unterscheidet Hegel den epistemischen Zufall der Handlungsumstände von dem Zufall der Hand32
33
Zur Erinnerung: Man darf nur für das verantwortlich gemacht werden, was sich nicht zufällig ergeben hat. Es sei nochmals betont, dass dieses Vorgehen, den hegelschen Text über Leitfragen zu interpretieren, die sich aus gegenwärtigen systematischen Problemen ergeben, keinesfalls einen externen Maßstab an Hegels Text anlegt. Diese Leitfragen sollen der Orientierung dienen und helfen, Hegels Antworten auf gegenwärtige Probleme zu finden. Sollte die hegelsche Rechtsphilosophie noch aktuelle Relevanz haben, dann müsste sie in der Lage sein, auf Probleme, die heute noch thematisiert werden, Antworten zu geben. Allerdings ist mit diesem Vorgehen nicht ausgeschlossen, dass die hegelsche Perspektive auch zu einer Kritik gegenwärtiger Betrachtungen führen kann.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
lungsfolgen des eigenen Handelns. In einem ersten Schritt soll nun der Zufall der Umstände (circumstantial luck) erläutert werden (4.2.1). In einem zweiten Schritt wird anhand von § 118 der Zufall der Folgen (resultant luck) betrachtet (4.2.2). Dabei enthält der Haupttext den Unterschied zwischen wesentlichen und zufälligen Handlungs- und damit Zurechnungsbestandteilen, die Anmerkung hingegen erläutert, worin der Unterschied allgemein besteht. Erst die Anmerkung enthält Hegels spezifische Konzeption des Zufalls für normative Kontexte und wird daher in einem eigenen Unterkapitel thematisiert (4.2.3). Schließlich wird ein Zusammenhang zwischen Hegels Handlungsbegriff und dem Zufall hergestellt, der die Grundlage für Hegels Akzeptanz von moral luck darstellt (4.2.4). 4.2.1 Zufall der Umstände (§ 117) (circumstantial luck) Das erste Vorkommnis des Ausdrucks ›zufällig‹ findet sich in § 117. Nachdem in § 115 die kausale Schuld bestimmt wurde, geht Hegel darauf ein, dass Verantwortung voraussetzt, dass das Subjekt Wissen von den Umständen hatte. Wenn wir uns eine Handlungssituation vorstellen, dann befinden wir uns als Handlungssubjekte immer schon in bestimmten Umständen. Und von diesen Umständen haben wir Überzeugungen: „Der selbst handelnde Wille hat in seinem auf das vorliegende Daseyn gerichteten Zwecke die Vorstellung der Umstände desselben.“ 34 Für diesen Abschnitt ist der folgende Satz von Bedeutung: „Aber weil er, um dieser Voraussetzung willen, endlich ist, ist die gegenständliche Erscheinung für ihn zufällig und kann in sich etwas anderes enthalten, als in seiner Vorstellung.“ 35
Wir haben bestimmte Überzeugungen über die Umstände der jeweiligen Situation, in der wir einen bestimmten Zweck handelnd verfolgen. Aufgrund dessen sind wir jedoch „ endlich“, da unsere Überzeugungen über die jeweiligen Umstände selbst endlich sind. Das wiederum begründet, weshalb die jeweiligen Umstände für uns zufällig sein können. Die Bedeutung von ›zufällig‹ ist hier ›die Umstände verhalten sich anders, als wir es uns vorgestellt haben‹. Damit verwendet Hegel an dieser Stelle den Begriff des epistemisch-subjektiven Zufalls. Als erste Bedeutung des Ausdrucks ›Zufall‹ als ›falsche Überzeugung von den Umständen‹ kann also festgehalten werden: 34 35
GW 14,1: § 117, 105. GW 14,1: § 117, 105.
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Die Rolle des Zufalls in Hegels Grundlinien
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Zufall der Umstände Die Umstände sind zufällig gdw ein Handlungssubjekt falsche Überzeugungen von der jeweiligen Situation hat, in der es sich befindet. Dass es sich hierbei um den epistemologischen Begriff von Zufall handelt, zeigt sich daran, dass Hegel die Nichtübereinstimmung der Vorstellung von den Umständen und den Umständen selbst thematisiert. Und da die Vorstellung die epistemische Einstellung eines Handlungssubjekts ist, hat auch der Zufallsbegriff an dieser Stelle epistemologische Bedeutung. Zugleich ist es jedoch auch der epistemisch subjektive Zufall. Denn Hegel spricht davon, dass die Situation „für ihn zufällig“ sei. Und da in § 117 die subjektive Perspektive eines jeden einzelnen Handlungssubjektes Gegenstand der Überlegungen ist, bedeutet zufällig hierbei ›bezogen auf das Vorstellen des je einzelnen Subjekts‹. Dies folgt auch aus der Tatsache, dass Hegel zunächst (in §§ 117 und 118) das Einzelne als Gegenstand des Wissens thematisiert. Denn es geht bei Verantwortung immer um eine Ex-post-Perspektive. Das bedeutet, dass bereits eine Handlung vollzogen worden ist. Das wiederum bedeutet aber, dass ganz bestimmte Vorstellungen eines ganz bestimmen Subjekts über ganz bestimmte Umstände vorgelegen haben. Und diese bestimmen zunächst die Verantwortung. Nun kann es immer sein, und das behauptet Hegel in diesem Paragraphen auch, dass sich unsere Vorstellungen von den Umständen mit diesen nicht decken. Das führt zu der Frage, woran es liegt, dass wir mitunter falsche Überzeugungen von den Umständen haben. Dies lässt sich erhellen, wenn man überlegt, wie wir überhaupt zu Überzeugungen über Handlungsumstände gelangen und welche Ansprüche an die Rechtfertigungsbedingung des Wissens wir an diese stellen. Selbstverständlich überprüfen wir selten unsere Überzeugungen von den Umständen. Wir gehen einfach aufgrund unseres Alltagswissens von einer gewissen Beständigkeit der Dinge aus. Aber auch in diesen Fällen ist es möglich, dass manche dieser Alltagsüberzeugungen falsch sind. Und wenn man dies bedenkt, dann lässt sich die Redeweise von ›zufällig‹ erweitern auf ›relativ zu unserem Alltagswissen nicht vorhersehbar‹. Ich schlage vor, einen Oberbegriff zu bilden, den ich mit dem Ausdruck ›Irrtum‹ bezeichne. Unter ›Irrtum‹ soll verstanden werden, dass eine Person eine falsche Überzeugung hat. Die Rede von Zufall besagt dann, dass der Grund eines Irrtums in der relativ zum gegebenen Alltagswissen nicht vorhersehbaren Sachlage bestand. Zufall bedeutet dann, dass sich die Dinge für ein Subjekt anders verhalten als von diesem vorgestellt und erwartet. Gemäß der vier Arten von Zufall, die Nagel unterscheidet, lässt sich diese Form von Zufall auch circumstantial luck nennen. Als Beispiel für zufällige Umstände führt Hegel in den Randnotizen zu § 117 an: „Gewehr für ungeladen
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
halten“ 36 oder auch „einen Menschen für Wild [halten]“ 37. Wenn A also glaubt, dass das Gewehr ungeladen sei (Umstände), und nun auf den Hund des Nachbarn zielt und abdrückt, dann hat A nicht wissentlich gehandelt. Für A war es ein Zufall, dass das Gewehr geladen war, und also auch, dass A den Hund des Nachbarn verletzt hat. Dieses Beispiel zeigt, dass dieser Irrtum über die Umstände zu ungewussten und damit ungewollten Folgen führt. Diese Formen von Zufall mit dem in der jüngeren Moral-luck-Debatte verwendeten Begriff des circumstantial luck zu bezeichnen, kann jedoch missverstanden werden. Um dies zu sehen, muss zwischen einer einzelnen Situation und der eigenen Lebenslage unterschieden werden. Für circumstantial luck werden häufig als Beispiel Personen herangezogen, die sich in Lebenslagen 38 befinden, die ein gutes oder schlechtes Handeln fördern. Zufällig daran ist, dass sie sich in diesen Situationen befinden. Daher seien hier zwei Differenzen zwischen dem, was Hegel diskutiert, und dem, was in der heutigen Debatte diskutiert wird, benannt: Erstens geht es in den Fällen der Moral-luck-Debatte meist um Situationen, die bestimmtes Handeln begünstigen oder hemmen. Es geht dabei dann nicht um Fälle von Irrtum. Der Nazikollaborateur, den Nagel diskutiert, weiß, was er tut. Allerdings bringt die Tatsache, dass er sich im Deutschland der späten 1920er und frühen 1930er Jahre aufhält, mit sich, dass es ihm weniger leicht fällt, nicht zu kollaborieren. Dass er sich allerdings in dieser Situation befindet, ist Zufall und liegt außerhalb seiner Kontrolle. Ähnlich der Fall, den Enoch und Marmor diskutieren, in dem zwei gleichermaßen tugendhafte Personen sich darin unterscheiden, dass die eine Person in die Lage gerät, einer anderen in Not geratenen Person zu helfen und dafür dann Lob erntet, die andere hingegen nicht. 39 Es hängt vom Zufall ab, dass gerade die eine Person und nicht die andere in diese Lage gerät. Ein Irrtum spielt jedoch keine Rolle. Zweitens geht es bei Hegel stärker um die ganz konkreten und unmittelbaren Handlungsumstände und nicht ganze Lebenslagen. Letztere sind es aber gerade, die in der Moral-luck-Debatte diskutiert werden. Festzuhalten bleibt, dass Hegel ein Verständnis von aus Sicht der Akteurin zufälligen Umständen hat, die relevant dafür sind, ob die Person nun verantwortlich ist oder nicht. Da in den meisten Fällen zufälliger Umstände aber gerade die Folgen, die aus einem Handeln in diesen Umständen entstehen, problematisch sind, müssen die Folgen selbst betrachtet werden. Zudem können 36
37 38 39
GW 14,2: § 117 Rn., 581; vgl. auch Hart „And so in a murder case it is a defence that the accused pulled the trigger reasonably but mistakenly believing that the gun was unloaded“ Hart 1955 [1948/49], 153–154. GW 14,2: § 117 Rn., 581. Darunter werden relativ dauerhafte Umstände verstanden. Enoch / Marmor 2007, 424–425.
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auch die Folgen des eigenen Tuns selbst zufällig sein. In derselben Randnotiz nennt Hegel dafür das Beispiel „laufft einer in den Schuß“ 40. Damit gehe ich über zur Interpretation von § 118, in dem es um die Frage nach zufälligen Folgen des Handelns geht. 4.2.2 Zufall der Folgen (§ 118) (resultant luck) Die ausführlichste Auseinandersetzung mit dem Zufall im Rahmen der Verantwortungsanalyse unternimmt Hegel in der Anmerkung zu § 118. Der Haupttext beschäftigt sich, wie bereits oben analysiert, mit dem Wissen um die Folgen der eigenen Tat. So wie sich eben die Situation anders darstellen kann, als wir es dachten, so auch die Folgen dessen, was wir tun. Es sei zunächst der Haupttext von § 118 ganz zitiert: „§. 118. [1] Die Handlung ferner als in äußerliches Daseyn versetzt, das sich nach seinem Zusammenhange in äußerer Nothwendigkeit nach allen Seiten entwikkelt, hat mannichfaltige Folgen. [2] Die Folgen, als die Gestalt, die den Zweck der Handlung zur Seele hat, sind das ihrige, (das der Handlung angehörige,) – [3] zugleich aber ist sie, als der in die Aeußerlichkeit gesetzte Zweck, den äußerlichen Mächten preis gegeben, welche ganz Anderes daran knüpfen, als sie für sich ist und sie in entfernte, fremde Folgen fortwälzen. [4] Es ist ebenso das Recht des Willens, sich nur das Erstere zuzurechnen, weil nur sie in seinem Vorsatze liegen.“ 41
Zwar enthält dieser Text die Argumentation über die Zurechenbarkeit von Folgen. Jedoch soll im Folgenden lediglich auf den Unterschied zwischen notwendigen und zufälligen Handlungsfolgen eingegangen werden und noch nicht darauf, weshalb welche Folgen zurechenbar sind. Satz [1] enthält zunächst die Beobachtung, dass eine Tat, sobald sie ausgeführt wird, viele verschiedene Folgen hat, die sich aufgrund allgemeiner Gesetzmäßigkeiten ergeben. Nehmen wir ein Beispiel: A befindet sich in einem Restaurant und möchte an der Bar ein Bier bestellen. A steht also auf, geht durch den Raum zur Bar, winkt den Kellner herbei und äußert die Worte: „Ich hätte gerne ein Bier!“. Bereits das Aufstehen hat zur Folge, dass der Stuhl nicht mehr besetzt ist. Möglicherweise sieht dies so aus, als wäre der Tisch selbst frei, so dass eine weitere Folge darin bestehen kann, 40
41
GW 14,2: § 117 Rn., 581; und wieder Hart: „or that there was an accident because the bullet unexpectedly bounced off a tree“ Hart 1955 [1948/49], 154. GW 14,1: § 118, 105.
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dass ein anderer Gast sich nun an den Tisch setzt. Wenn A dann durch den Raum geht, hat dies zur Folge, dass A den Blick anderer Gäste kreuzt. Vielleicht sitzt B an einem anderen Tisch und schaut gerade zum Eingang, um zu sehen, ob die erwartete Freundin das Restaurant betritt. Möglicherweise tritt A gerade in dem Augenblick in den Blick von B, in dem C das Restaurant betritt. B winkt, im Glauben, dass C die erwartete Freundin ist, C zu und sieht erst zu spät, dass es jemand anderes ist. Dies mag auch eine Folge davon sein, dass A eben den Raum durchquert hat, um an die Bar zu gelangen. Dort angekommen hat das Winken wiederum zur Folge, dass der Kellner an A herantritt und fragt, was er Gutes tun kann. Es mag sein, dass D ebenfalls an der Bar steht und das Winken von A als Zuwinken versteht und sich als Folge geschmeichelt fühlt. Zunächst lässt sich also sagen, dass das Tun von A den subjektiv gesetzten Zweck, ein Bier an der Bar zu bestellen, in „äußerliches Daseyn versetzt“. Dieses äußerliche Dasein hat nun alle möglichen Folgen, von denen im Beispiel einige denkbare vorgestellt wurden. 42 Diese Folgen sollen sich nun nach „äußerer Nothwendigkeit“ entwickeln. Was damit gemeint sein könnte, soll für den Moment noch zurückgestellt werden, da Hegel wie gesagt erst in der Anmerkung auf seine Terminologie von Zufall und Notwendigkeit zu sprechen kommt. In Satz [2] wird ein Unterschied zwischen handlungskonstitutiven und nichthandlungskonstitutiven Folgen eingezogen. Konstitutive Handlungsfolgen (Ergebnis) All jene Folgen, deren Eintritt nicht unterbleiben könnte, ohne dass ein erfolgreicher Vollzug einer Handlung H verhindert würde, sind konstitutiv für den erfolgreichen Vollzug von H. 43 Oben (Kap. 2.2.1) hatte ich bereits den Begriff der Erfolgshandlung eingeführt. Für Erfolgshandlungen sollte gelten, dass jemand eine solche Handlung nur dann vollzogen hat, wenn ein bestimmter Zustand, der unabhängig von der Tätigkeit individuierbar ist, verwirklicht wurde. 44 Die Rede von der ›Seele‹ der Handlung an dieser Stelle lässt sich nun mittels des Begriffs der Erfolgshandlung erläutern. Dass bestimmte Folgen eines Handlungstyps dessen Seele sein sollen, bedeutet demnach, dass es die Folgen sind, die für diesen Handlungs42 43
44
Es sei der Fantasie der Leserin überlassen, sich weitere mögliche Folgen auszudenken. In der handlungstheoretischen Literatur werden solche konstitutiven Folgen manchmal auch intrinsische Ereignisse genannt. Siehe dazu Ruben 2018, 166–169 mit Verweisen noch auf Alvarez / Hyman 1998, von Wright 1971, McCann 1998, Alvarez 1999, Davis 1979 und Bishop 1989; siehe auch Lewis 2000a, dort Ablehnung von intrinsischen Ereignissen von Handlungen, S. 230–231 Fn. 4. Ein Handlungstyp H gehört zur Gruppe der Erfolgshandlungen gdw es einen Zustandstyp F gibt, so dass ein Akteur S nur dann eine Handlung vom Typ H vollzogen hat, wenn F realisiert und unabhängig von der Tätigkeit des Akteurs identifizierbar ist.
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typ konstitutiv sind. Um ein Beispiel anzuführen: Dass jemand einen Kuchen gebacken, den Handlungstyp des Kuchenbackens vollzogen hat, setzt voraus, dass die Tätigkeit u. a. zur Folge hat, dass es nun einen Kuchen gibt. Wenn jemand behauptet, einen Kuchen gebacken zu haben, jedoch kein Kuchen existiert, dann lässt sich diese Behauptung zurückweisen. So könnte man also sagen, für jeden Erfolgshandlungstyp EH gilt, dass die Folgen F, die für den Vollzug von EH notwendig sind, die Seele von EH, das Ihrige sind. Demnach unterscheiden sich verschiedene Erfolgshandlungstypen darin, dass sie durch unterschiedliche Folgen konstituiert werden. Erfolgshandlungen haben also konstitutive Folgen. Nun weist Hegel darauf hin, dass man, wenn man eine Erfolgshandlung anfängt, durch diesen Vollzug in die äußere Welt handelnd eingreift, um die bezweckten Folgen zu verwirklichen. Als äußeres raumzeitliches Geschehen gilt dann jedoch für die Tätigkeit, dass sie Prozesse in Gang setzen kann, die nicht-konstitutiv für den Zweck sind. In dem obigen Beispiel des Bier-Bestellens etwa ist die Folge, dass das gehende Durchqueren des Raumes die Sicht einer anderen Person verdeckt, kein konstitutiver Bestandteil der Handlung. Die Person könnte dieselbe Handlung vollziehen, auch wenn sonst überhaupt keine anderen Gäste in dem Restaurant anwesend wären und somit die Folge der Sichtverdeckung gar nicht eintreten könnte. Nicht-konstitutive Handlungsfolgen (Konsequenzen) All jene Folgen, deren Eintritt auch unterbleiben könnte, ohne dass ein erfolgreicher Vollzug der Handlung verhindert würde, sind nicht-konstitutiv für den Vollzug der Handlung. Mit von Wright kann man den Unterschied auch über die Ausdrücke Handlungsergebnis und Handlungskonsequenzen erfassen. ›Folge‹ wäre dann der übergreifende Ausdruck für Ergebnis und Konsequenz. ›Ergebnis‹ nennt man dann die Folgen einer Tätigkeit, die für den Handlungstyp konstitutiv sind, ›Konsequenzen‹ hingegen die Folgen, die nicht konstitutiv sind. Dass Handlungen in diesem Sinne überhaupt Konsequenzen haben können, liegt an den „äußerlichen Mächten“ 45. Darunter verstehe ich die Situationsumstände des Handelns, die Eigenschaften der Dinge, dispositionale wie kategoriale, die in das Handeln involviert sind, aber auch die Gesetzmäßigkeiten, denen die Dinge unterliegen. Darunter können auch Regeln des Sozialen fallen, die soziale Tatsachen konstituieren. In unserem Beispiel ist etwa die Deutung des Winkens durch die andere Person an der Bar als ein Grüßen trotz Missverständnis eine soziale Folge, da sie von einer konstitutiven Regel im searleschen Sinne abhängt. Die Regel würde im Groben besagen: In bestimmten Kontexten 45
GW 14,1: § 118, 105.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
Z gilt das Heben der Hand als eine Begrüßung. 46 A hatte in einem passenden Kontext seinen Arm gehoben, zwar mit einer anderen Absicht, jedoch derart, dass dies auch als Gruß hat verstanden werden können. Auf Satz [4] werde ich erst im nächsten Kapitel eingehen, wenn es um die Begründung der Rechte der Subjektivität geht. Bisher habe ich von Erfolgshandlungen als Handlungstypen gesprochen, was unterstellt, dass es objektiv bestimmbare Handlungstypen gibt. Zwar soll dies nicht bestritten werden, allerdings enthält der § 118 keine eindeutigen Hinweise auf diese Lesart. Hier ist insbesondere eine Frage von Relevanz. Wenn Hegel von dem Zweck der Handlung spricht, kann er zweierlei meinen. Er kann zum einen Bezug nehmen auf einen objektiv zugänglichen, sozial geteilten und anerkannten Handlungszweck. So enthält etwa der Handlungstyp des Fenster-Öffnens einen Tätigkeits- und Ereigniszusammenhang, der durch den Zweck, dass ein Fenster offen ist, zusammengehalten wird. Allerdings kann damit auch der Zweck gemeint sein, den eine Einzelne gesetzt hat und der durchaus sehr idiosynkratisch sein kann. Da die individuelle Zwecksetzung durchaus den objektiv geltenden Kausalgesetzen entgegenstehen kann, ist dieser zweiten Lesart zufolge der Zweck der Handlung vielleicht das Kriterium dafür, was für eine Handlung überhaupt zur Debatte steht, deckt sich jedoch nicht mit notwendigen Folgen in der endlichen Welt. 47 Hierfür kann der berühmte Fall des Onkels, der durch einen Blitz getötet werden sollte und der für die Debatte um die objektive Zurechnung zentral war, nochmals bemüht werden. Wenn der Neffe (A) die Absicht hat, seinen Onkel (B) zu töten, und dies dadurch zu erreichen sucht, dass er B überredet, nachts bei Gewitter einen Brief ins nächste Dorf zu bringen, in der Hoffnung, dass B von einem Blitz getroffen werde, was dann auch tatsächlich geschieht, dann lässt sich fragen, inwiefern die Folge des Todes durch den Blitz eine notwendige Folge des Hinausschickens ist. Konstitutiv im subjektiven Sinne ist diese Folge, da A gerade auf diese Weise den Tod von B herbeiführen wollte. Allerdings ist dies keine notwendige Folge. Nun besagt das bisher Zitierte zum einen, dass jedes aktive Tun als ein veränderndes Intervenieren in die raumzeitliche Welt Folgen mit sich bringt, die notwendigerweise eintreten. Zugleich wird der Unterschied zwischen konstitutiven und nicht-konstitutiven Handlungsfolgen an diesen notwendigen Folgen eingezogen. Noch offen blieb, was mit Folgen ist, die zwar der subjektiven Zwecksetzung nach konstitutive Folgen sein müssten, jedoch nicht notwendigerweise eintreten. Außerdem muss noch geklärt werden, was mit Folgen ist, die zwar nicht Bestandteil des Handlungstyps sein sollen, aber dennoch 46
47
Die allgemeine Form einer konstitutiven Regel lautet: „X counts as Y in context C“ (Searle 2011 [1969]: 35). In diesem Fall würde man sehr wahrscheinlich im Handlungsvollzug scheitern.
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notwendige Folgen des Vollzugs des in Frage stehenden Handlungstyps sind. Außerdem muss geklärt werden, was notwendigen Folgen ihre Notwendigkeit verleiht und worin die nicht-notwendigen Folgen bestehen. Um diese Fragen zu beantworten, soll im Folgenden die Anmerkung zu § 118 interpretiert werden. 4.2.3 Zufall und notwendige Folgen (§ 118 Anm.) Erst die Anmerkung enthält nun die Aussagen, die Hegels ganz spezifische Sicht auf das Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit in der endlichen Welt ausmachen. Damit geht auch seine Sicht auf die Rolle des Zufalls für normative Kontexte einher: „[5] Was zufällige und was nothwendige Folgen sind, enthält die Unbestimmtheit dadurch, daß die innere Nothwendigkeit am Endlichen als äußere Nothwendigkeit, als ein Verhältnis von einzelnen Dingen zu einander ins Daseyn tritt, die als selbständige gleichgültig gegen einander und äußerlich zusammen kommen.“ 48
In diesem ersten Satz der Anmerkung behandelt Hegel folgende Frage: Was sind zufällige und was sind notwendige Folgen? Bevor Hegels Beantwortung dieser Frage selbst untersucht werden kann, muss zunächst die Frage beantwortet werden, worin genau der Zusammenhang zum Haupttext besteht. Zwei Lesarten kommen prima facie in Frage. Erste Lesart: Im Haupttext unterscheidet Hegel zwischen den Handlungsfolgen, die im Begriff des jeweiligen Zwecks liegen, und den Handlungsfolgen, die außerhalb desselben liegen. Nach der ersten Lesart sind notwendige Folgen die Folgen, die realisiert worden sein müssen, damit ein bestimmter Handlungstyp Φ realisiert wurde. Zufällige Folgen hingegen wären dann solche Folgen, die irrelevant dafür sind, ob ein Handlungstyp Φ verwirklicht wurde oder nicht. Damit würde sich also ›notwendige Folgen‹ mit ›konstitutive Handlungsfolgen‹ bzw. ›Ergebnis‹ und ›zufällige Folgen‹ mit ›nicht-konstitutive Folgen‹ bzw. ›Konsequenzen‹ decken. Dies bedeutet, dass sich die zufälligen Folgen durchaus gesetzmäßig anschließen können. Hierbei müssten noch solche nichtkonstitutive Folgen, die sich parallel zu den konstitutiven Folgen ereignen, unterschieden werden von solchen nicht-konstitutiven Folgen, die sich erst an die Realisierung der konstitutiven anschließen. Wenn ich den Zweck verfolge, frische Luft in das Zimmer zu lassen, dann ist es eine nicht-konstitutive und 48
GW 14,1: § 118 Anm., 105.
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parallel ablaufende Folge, dass sich die Temperatur im Raum verändert. Allerdings ist es eine nicht-konstitutive, aber zeitlich später stattfindende Folge, wenn später eine Taube in den Raum fliegt. Insbesondere die nicht-konstitutiven, aber parallel (und zwar notwendigerweise) ablaufenden Folgen bringen die Problematik des double-effect mit sich. Wenn ein Arzt etwa einem Patienten ein Medikament verschreibt, dessen eine Folge die Linderung starker Schmerzen, die andere damit einhergehende Folge hingegen die Verringerung der Lebenserwartung ist, dann kann man das eine (Schmerzlinderung) nur mit dem anderen (Lebenszeitverringerung) bekommen. 49 Zweite Lesart: Es geht um den Unterschied zwischen solchen Kausalverläufen in der Welt, die mit Notwendigkeit so und nur so ablaufen, und solchen Verläufen, die in dem Sinne einzigartig sind, dass sie sich nicht in Verlaufsgesetzen formulieren lassen. Im Falle dieser zweiten Lesart bestünde dann der Zusammenhang zum Haupttext darin, dass erst der Unterschied zwischen zufälligen und notwendigen Folgen erklären kann, weshalb es überhaupt möglich ist, dass die Zweckrealisierung schiefgehen bzw. Folgen nach sich ziehen kann, die nicht beabsichtigt waren. Umgekehrt würde diese zweite Lesart erklären, weshalb so etwas wie konstitutive Handlungsfolgen möglich sind, müssen dies doch Folgen sein, die regelmäßig auf eine bestimmte Tätigkeit auch wirklich folgen. 50 Aufgrund dieser explanatorischen Stärke halte ich diese zweite Lesart für die adäquate. Auch hätte die erste Lesart unplausible Konsequenzen. Dann würde sich nämlich der Status von Handlungsfolgen als notwendige Folgen ändern, je nachdem welcher Zweck jeweils verfolgt würde. Das scheint aber kontraintuitiv und unserer Verwendung von ›notwendig‹ zu widersprechen. Nun aber zur Frage selbst. Was sind zufällige und was notwendige Folgen? Diese Frage kann einmal begrifflich und einmal ontisch gelesen werden. Begrifflich würde sie bedeuten: Was unterscheidet den Begriff „zufällige Folge“ von dem Begriff „notwendige Folge“? Ontisch würde die Frage wie folgt lauten: Welche der faktisch vorliegenden Folgen sind zufällige Folgen und welche sind notwendige Folgen? Was unterscheidet also ontisch zufällige von ontisch notwendigen Folgen? Ich gehe davon aus, dass Hegel diese zweite Bedeutung der Frage verfolgt. Nun konstatiert er für die ontischen Bestimmungen von zufälligen und notwendigen Folgen eine Schwierigkeit. Denn dieser ontische Unterschied zwischen notwendigen und zufälligen Folgen 49
50
Im nächsten Kapitel soll auf diese Fallkonstellation eingegangen werden, da bei der normativen Einordnung dieser Fälle nicht nur die Kausalität eine Rolle spielt, sondern primär die Werte der parallel und notwendigerweise miteinander einhergehenden Folgen zentral sind. Hierbei steht dann der positive und auch gewollte Wert der Schmerzlinderung gegen den negativen und nicht-gewollten Wert der Lebenszeitverringerung. Siehe den Abschnitt zur Allgemeinheit im vorangegangenen Kapitel 3.2.3.
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„enthält die Unbestimmtheit dadurch, daß die innere Nothwendigkeit am Endlichen als äußere Nothwendigkeit, als ein Verhältnis von einzelnen Dingen zu einander ins Daseyn tritt, die als selbständige gleichgültig gegen einander und äußerlich zusammen kommen.“ 51
Hegel konstatiert hiermit eine Unbestimmtheit bezüglich der Unterscheidungsfrage. Zugleich führt er eine Erklärung für diese Unbestimmtheit an. Weshalb ist es schwer oder sogar unmöglich, unter den faktisch vorliegenden Folgen zufällige und notwendige Folgen klar und eindeutig zu identifizieren? Hegels Antwort: Am Endlichen tritt (i) die innere Notwendigkeit als (ii) äußere Notwendigkeit ins Dasein. Die äußere Notwendigkeit wird dabei näher charakterisiert als Verhältnis von einzelnen Dingen zueinander. Außerdem gilt von diesen einzelnen Dingen: Diese sind a) selbständig und kommen b) gleichgültig gegen einander und c) äußerlich zusammen. Wenn diese drei Merkmale erläutern, weshalb Hegel von ›äußerer‹ Notwendigkeit spricht, bleibt noch die Frage, weshalb es sich um Notwendigkeit handelt. Hier sei folgender Vorschlag gemacht. Das Zusammenkommen dieser für sich selbständigen Dinge instanziiert Naturgesetze, die ein aufeinander Einwirken notwendig machen. Damit ergibt sich folgende Bestimmung der äußeren Notwendigkeit: Äußere Notwendigkeit Das Verhältnis einzelner Dinge zueinander, die gleichgültig gegeneinander sind und äußerlich zusammenkommen. Dieses Verhältnis selbst ist notwendig, insofern das Zusammenkommen dieser Dinge Naturgesetze instanziiert, die die Folgen dieses Zusammenkommens erklären. Dass es sich bei einzelnen Dingen um einander gleichgültige Dinge handelt, bedeutet, dass sie unabhängig von ihrer Beziehung zueinander existieren und individuiert werden können. Der Fensterscheibe ist es ebenso gleichgültig, dass der Stein existiert, wie es diesem gleichgültig ist, dass die Fensterscheibe existiert. Wenn der Stein aber auf die Fensterscheibe geworfen wird, dann folgt bei gegebenen Rahmenbedingungen (wie etwa die Fluggeschwindigkeit und Masse des Steins) und aufgrund naturgesetzlicher Regularitäten, dass die Fensterscheibe zerbricht. Und dies folgt dann mit Notwendigkeit. Inwiefern die äußere Notwendigkeit Zufall enthält, lässt sich über die Frage klären, inwiefern sie nicht Erklärbares enthält. Hier soll ein wenig Licht auf diesen Begriff von Zufall geworfen werden, der den Unterschied zwischen singulären und generellen Kausalaussagen und das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem betrifft. Im Kapitel zur Kausalität im Recht war bereits einmal mit Mitteln der INUS-Theorie darauf hingewiesen worden. Angenommen, ein Ereignis e 51
GW 14,1: § 118 Anm., 105.
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ist eingetreten und die Frage besteht, was e verursacht hat. Zur vollständigen Erklärung wird man das gesamte hinreichende Bedingungsbündel an notwendigen Elementen suchen, um dann das den eigenen Erkenntnisinteressen dienende Element herauszugreifen. Angenommen, man hat eine Gesetzesaussage: 1) ABC → E (Immer, wenn Instanzen von A, B und C zu einem Zeitpunkt t1 instanziiert sind, dann folgt zu t1+n eine Instanz von E). 2) Nun haben zum Zeitpunkt t1 Instanzen a, b und c vorgelegen. 3) Daher trat zu t1+n Instanz e ein. Notwendig, weil gesetzmäßig ist also das Eintreten von e zum gegebenen Zeitpunkt. Die Frage ist aber, weshalb a, b und c eintraten. Nun mögen a, b und c jeweils für sich auch wieder vollständig erklärt werden können. Kann aber auch das gemeinsame Vorkommnis von a, b und c erklärt werden? Die These des ontischen Zufalls besagt nun, dass es Fälle gibt, in denen gebündelte Vorkommnisse von für ein Ereignis zusammen kausal hinreichenden Faktoren selbst nicht mehr erklärt werden können. Es ist Zufall, dass zu t1 gerade a, b und c der Fall waren. Ontologisch ist dieser Zufall deshalb, weil diese nichtErklärbarkeit nicht aufgrund mangelnden, aber prinzipiell möglichen Wissens besteht, sondern weil das gebündelte Vorkommnis selbst überhaupt kein Gesetz instanziiert. Das meint Hegel, wenn er sagt, dass die äußere Notwendigkeit durch „ein Verhältnis von einzelnen Dingen zu einander ins Daseyn tritt, die als selbständige gleichgültig gegen einander und äußerlich zusammen kommen“. Damit ergibt sich der Begriff des Zufalls der Folgen: Zufall der Folgen Die Folgen einer Tat sind zufällig gdw sie aufgrund gebündelter Vorkommnisse verschiedenster Ereignisse und Dinge, deren gebündelte Instanziierung keiner Gesetzmäßigkeit mehr folgt, von der prinzipiellen Erwartbarkeit abweichen. Nun tauchen Zufälle in diesem Sinne sicherlich häufiger auf, als dass sie selbst zum Thema gemacht werden. Das bedeutet, dass die Thematisierung des Zufalls davon abhängt, ob bestimmte Interessen involviert sind. So etwas zu sagen wie „was für ein Zufall, dass. . . “ bedeutet meist, dass man verblüfft ist über das Zufällige, dass es von Wert (positiv oder negativ) für einen ist. Ebenso sind es meist Fälle, in denen etwa Schäden verursacht wurden, in denen die Frage danach, ob es bloßes Spiel des Zufalls oder zuschreibbares Handeln war, zentral wird. Bloßer Zufall und daher nicht mehr zuschreibbares Handeln liegt dem bisher analysierten zufolge dann vor, wenn die in Frage stehende Ereignisfolge keine Regularität instanziiert. Dies ist etwa im Fall des Blitzmordes der Fall.
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Aber wäre es nicht möglich, dass sich alle Ereignisfolgen, die wir mit unserem Handeln in Gang setzen, auf völlig zufällige Weise entwickeln? Und wie verhält es sich nun eigentlich mit moral luck? Darauf soll im nächsten Unterkapitel eingegangen werden. 4.2.4 Kontrolle und moral luck: Handeln in einer Welt voller Zufälle Bisher wurde lediglich dargelegt, dass Hegel handlungskonstitutive von nichtkonstitutiven Folgen unterscheidet. Außerdem wurde gezeigt, dass Hegel behauptet, eine Tätigkeit, mit der ein bestimmter Zweck verfolgt werden soll, könne sowohl notwendige als auch zufällige Folgen haben. Solange nur die konstitutiven Folgen zurechenbar sind, ist nicht klar, welche Rolle Zufall überhaupt spielen soll. Denn entweder vereiteln zufällige Geschehnisse die Realisierung eines Zwecks, dann liegen aber die konstitutiven Folgen gar nicht vor und können also auch nicht zugerechnet werden; oder sie liegen vor, dann lassen sich aber weitere zufällige Folgen ebenso wenig zurechnen. Die Rede von Zufall hat bisher die Funktion übernommen, die ontische Seite der Zurechnung zu bestimmen. Zufälle erklären, weshalb die Wissensbedingung in bestimmten Fällen nicht erfüllt ist, sie erklären Irrtümer. Da Hegel den Zufall als Zurechnungsgrenze jedoch im Rahmen des Vorsatzes diskutiert und das Recht des Vorsatzes darin besteht, dass nur Gewusstes zugerechnet werden darf, ist bisher lediglich gezeigt, dass Zufälle nicht zugerechnet werden dürfen. Jedoch ist weder geklärt, weshalb Zufälle nicht zugerechnet, noch, ob manche Zufälle vielleicht doch zugerechnet werden dürfen. Erst die folgenden Sätze der Anmerkung führen nun einen Aspekt ein, der unser Handeln in einer Welt voller Zufälle betrifft. Und erst hier wird Hegels Position bezüglich der Frage explizit, welche Rolle der Zufall für unsere moralische und rechtliche Praxis spielt. Ich zitiere zunächst den gesamten Abschnitt: „[6] Der Grundsatz: bey den Handlungen die Consequenzen verachten, und der andere: die Handlungen aus den Folgen beurtheilen, und sie zum Maaßstaabe dessen, was Recht und Gut sey, zu machen – ist beydes gleich abstracter Verstand. [7] Die Folgen, als die eigene immanente Gestaltung der Handlung, manifestiren nur deren Natur und sind nichts anderes als sie selbst; [8] die Handlung kann sie daher nicht verleugnen und verachten. [9] Aber umgekehrt ist unter ihnen eben so das äußerlich Eingreifende und zufällig Hinzukommende begriffen, was die Natur der Handlung selbst nichts angeht. – [10] Die Entwicklung des Widerspruchs, den die Nothwendigkeit des Endlichen enthält, ist im Daseyn eben das Umschlagen von Nothwendigkeit in Zufälligkeit und umgekehrt. [11] Handeln heißt daher nach dieser Seite, sich diesem Gesetze preis geben. –
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[12] Hierin liegt, daß es dem Verbrecher, wenn seine Handlung weniger schlimme Folgen hat, zu Gute kommt, so wie die gute Handlung es sich muß gefallen lassen, keine oder weniger Folgen gehabt zu haben, und daß dem Verbrechen, aus dem sich die Folgen vollständiger entwickelt haben, diese zur Last fallen.“ 52
In Satz [6] wirft Hegel sowohl deontologischen als auch konsequenzialistischen Ethikkonzeptionen Einseitigkeit vor. 53 Den Fehler der Einseitigkeit teilen ihm zufolge beide Theorieansätze, auch wenn sie ihren Fokus auf entgegengesetzte 54 Aspekte des Handelns legen. Dass es sich hierbei tatsächlich um eine Kritik der genannten Theorietypen handelt, lässt sich zeigen, wenn man Hegels Charakterisierungen mit heute gängigen Bestimmungen dieser Ethiktypen vergleicht: Deontologische Ethik: „Bei den Handlungen die Consequenzen verachten“ [und nur die Absicht / das Wissen / den Vorsatz „zum Maaßstaabe dessen, was Recht und Gut sey“ machen]. Konsequenzialistische Ethik: „die Handlungen aus den Folgen beurtheilen, und sie zum Maaßstaabe dessen, was Recht und Gut sey, zu machen“. Diese beiden Charakterisierungen entsprechen ziemlich genau dem, was Dieter Birnbacher die jeweils „strenge“ 55 Variante solcher Ethiktypen nennt: „Eine selten vertretene Nebenvariante der deontologischen Ethik ist die strenge deontologische Ethik, nach der sich die moralische Richtigkeit und Falschheit einer Handlung ausschließlich nach bestimmten Merkmalen der Handlung selbst bemisst. [. . . ] Eine selten vertretene Nebenvariante ist die nicht-teleologische konsequenzialistische Ethik, nach der sich die Richtigkeit und Falschheit einer Handlung nicht nur nach der nicht-moralischen Qualität, sondern auch nach der moralischen Richtigkeit und Falschheit der (abgesehenen oder abzusehenden) Handlungsfolgen bemisst.“ 56 52 53
54
55 56
GW 14,1: § 118 Anm., 105–106. Vgl. die berühmte Unterscheidung zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik bei Max Weber (Weber 2010 [1919]: 56). Dazu Robert Spaemann mit Verweis auf diese Hegelstelle (Spaemann 2015: 64). Die Ansicht der Entgegensetzung teilen auch Larry Alexander und Michael Moore in ihrem Überblicksartikel zu deontologischen Ethikkonzeptionen Alexander / Moore 2016. Birnbacher 2007: 118. Birnbacher 2007: 118. Allerdings ist Birnbachers Charakterisierung des Konsequenzialismus tendenziös. Die strenge Deontologie behaupte ausschließliche Motivbewertung der Handlung, der strenge Konsequenzialismus besage, dass „auch“ die Folgen für die Bewertung eine Rolle spielen. Siehe die weniger tendenziöse Bestimmung bei Sinnott-Armstrong: „consequentialism about the moral rightness of acts, which holds that whether an act is morally right depends only on the consequences of that act“ in: Sinnott-Armstrong 2015: 1.
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Worin besteht die Einseitigkeit dieser beiden Ethiktheorietypen, oder wie Hegel sich ausdrückt, weshalb sind sie beide „gleich abstracter Verstand“? Darauf gibt der Folgesatz [7] eine Antwort: „[7] Die Folgen, als die eigene immanente Gestaltung der Handlung, manifestiren nur deren Natur und sind nichts anderes als sie selbst; [8] die Handlung kann sie daher nicht verleugnen und verachten.“ 57
Diese Rede von den einer Handlung wesentlichen Folgen ist nun schon vertraut. Der Begriff der Handlung muss hier also verstanden werden als die Einheit von (i) subjektiv gesetztem Zweck, (ii) der Tätigkeit als Realisierungsversuch dieses Zwecks und (iii) dem erfolgreich ausgeführten Zweck und den damit zusammenhängenden handlungskonstitutiven Folgen. Wenn dieses Ganze die Handlung sein soll und Handlungen in diesem Vollsinne Gegenstand moralischer oder auch rechtlicher Bewertung sein sollen, wird klar, weshalb Hegels Meinung nach die Fokussierung auf eine der beiden Seiten (innerer Zweck oder Folgen der Tat) als Bewertungsgrundlage eine Einseitigkeit darstellt. Gleichzeitig ist sich Hegel natürlich bewusst, dass im Handlungsvollzug Dinge geschehen können, die nicht beabsichtigt und nicht vorhersehbar waren; daher bleibt die Frage bestehen, wie mit diesen Fällen im Hinblick auf die Zurechnung umgegangen werden soll. „[9] Aber umgekehrt ist unter ihnen eben so das äußerlich Eingreifende und zufällig Hinzukommende begriffen, was die Natur der Handlung selbst nichts angeht. – [10] Die Entwickelung des Widerspruchs, den die Nothwendigkeit des Endlichen enthält, ist im Daseyn eben das Umschlagen von Nothwendigkeit in Zufälligkeit und umgekehrt. [11] Handeln heißt daher nach dieser Seite, sich diesem Gesetze preis geben.“ 58
Hiermit behauptet Hegel zunächst, dass es eine Notwendigkeit des Endlichen gebe und dass diese Notwendigkeit selbst widersprüchlich sei. Auf Ebene des Daseins, des in der raumzeitlichen Welt faktisch Bestehenden zeige sich dieser Widerspruch darin, dass Notwendigkeit in Zufälligkeit und Zufälligkeit in Notwendigkeit umschlagen. Dieses Umschlagen lässt sich, so möchte ich vorschlagen, am besten verstehen, wenn man das Verhältnis von Naturgesetzen zu konkreten individuellen Situationen betrachtet. Eine klassische Erklärung im Hempel-Oppenheim-Schema besteht zum einen aus einem Gesetz, in Form eines allquantifizierten Konditionalsatzes, zum anderen aus singulären Aussagen, die das Erfülltsein der Antezedensbedingungen des Gesetzes enthalten. 57 58
GW 14,1: § 118 Anm., 105. GW 14,1: § 118 Anm., 105–106.
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Um nochmal das Schema aus dem zweiten Kapitel zu verwenden und die Idee aus dem vorangegangenen Unterkapitel zu erweitern: 1) ABC → P (Immer, wenn Instanzen von A, B und C zu einem Zeitpunkt t1 vorliegen, dann folgt zu t1+n eine Instanz von P). 2) Nun haben zum Zeitpunkt t1 Instanzen a, b und c vorgelegen. 3) Daher trat zu t1+n Instanz p ein. Die erste Prämisse stellt einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Ereignis- und Zustandstypen her. Dieses Gesetz wird aber nur dann instanziiert, wenn die Antezedensbedingungen erfüllt sind. Wenn man das Gesetz über den Begriff der Notwendigkeit derart charakterisiert, dass immer dann, wenn das eine eintritt, mit Notwendigkeit auch das andere eintritt, dann kann das tatsächliche Erfülltsein der Antezedensbedingungen selbst immer noch zufällig sein. Gesetzmäßigkeit ließe sich dann darüber bestimmen, dass die verschiedenen Dinge in der Welt bestimmte stabile Eigenschaften haben, unter die auch eine gewisse Wirksamkeit fällt, vorausgesetzt, bestimmte Bedingungen sind erfüllt. Das, was dann aber faktisch geschieht, unterliegt immer in dem Sinne dem Zufall, als es eben zufällig sein mag, in welcher Konstellation etwa die Dinge zusammenkommen. Der Punkt lässt sich noch verdeutlichen, wenn man die Frage stellt, welcher Art die Gesetze sein sollten, die den vollständigen Verlauf erklären. Die Idee des Determinismus in der Willensfreiheitsdebatte wird häufig so formuliert, dass der Determinismus besage, dass aus einer vollständigen Beschreibung der Welt zu einem Zeitpunkt t1 in Verbindung mit der Menge aller Naturgesetze mit Notwendigkeit folge, was zu t1+n geschehen werde. Wie ist das zu verstehen? Ist die Menge der Gesetze ein Supergesetz, das als Antezedensbedingung die Bedingungen formuliert, die dann in der vollständigen Weltbeschreibung ihre Instanz erfährt? Aber wie soll ein solches Gesetz möglich sein? Experimentell kann es nicht erlangt werden, da wohl zu jedem Zeitpunkt der vollständige Weltzustand einzigartig ist. Für die Formulierung eines Gesetzes benötigt man aber eine verallgemeinernde Beschreibung der Antezedensbedingungen. Dafür benötig man wiederholbare Situationen, also Wiederkehr des Gleichen. Jeder konkrete Geschehensablauf wird jedoch immer auch etwas Nicht-Wiederholbares enthalten und somit wäre ein solches Supergesetz nicht möglich, und zwar aufgrund des Verhältnisses von Einzelnem zu Allgemeinem. Aber selbst, wenn man dieser Argumentation entgegenhalten wollte, dass sie lediglich aus Perspektive endlicher Erkenntnissubjekte heraus hervorgeht, dass es aber doch möglich wäre, dass ein allwissender Gott etwa um alle Geschehensabläufe Bescheid wüsste, dann ließe sich für den Kontext der Rechtsphilosophie noch Folgendes anführen: Das Recht handelt von dem normierten Umgang mit menschlichen Handlungen. Menschen sind endliche Erkennt-
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nissubjekte, die nicht alles Wissen um alle Handlungsumstände besitzen, geschweige denn, dass sie alle Gesetze kennten, die wirksam sind. Aus diesem Grund vertritt Hegel dann folgende These: „Handeln heißt daher nach dieser Seite, sich diesem Gesetze preis geben.“ Es ist konstitutiv für unser handelndes In-der-Welt-Sein, dass wir uns, sobald wir anfangen zu handeln, dem Gesetz des Umschlags von Notwendigkeit in Zufälligkeit aussetzen, dass das, was wir tun, Folgen nach sich ziehen kann, die wir nicht haben antizipieren können. Bisher wurde lediglich von dem Verständnis von Zufälligkeit und Notwendigkeit selbst gesprochen, nicht aber die Frage gestellt, welchen Einfluss dies auf die Zurechenbarkeit von Verantwortung hat. Um den Zusammenhang zwischen Zufall und Verantwortung herzustellen, sei daher folgendes Argument vorgeschlagen als Rekonstruktion der hegelschen These, dass es für unser Handeln wesentlich ist, dass wir uns gewissen Zufälligkeiten aussetzen. (P1) Aufgrund von NEE 59 wird es prinzipiell zufällige Folgen des eigenen Tuns geben. (P2) Zur handelnden Selbstverwirklichung gehört es dazu, den subjektiven Zweck tätig umzusetzen. Die tätige Umsetzung bedeutet jedoch eine wirksame Einflussnahme in der äußeren Welt. (K)
Es gehört zur handelnden Selbstverwirklichung dazu, sich prinzipiell zufälligen Folgen ohne Anfechtungsrecht auszusetzen.
Nun lässt sich Hegels Stellungnahme zur Moral-luck-Thematik erläutern. Ein Satz aus den Zusätzen der Grundlinien lautet wie folgt: „Ein altes Sprichwort sagt mit Recht: der Stein, der aus der Hand geworfen wird, ist des Teufels. Indem ich handele, setze ich mich selbst dem Unglück aus, dieses hat also ein Recht an mich und ist ein Dasein meines eigenen Wollens.“ 60 Bedeutet dies dann, dass wir dem Zufall auf Gedeih und Verderben ausgesetzt sind, sobald wir begonnen haben zu handeln? Es soll nun dafür argumentiert werden, dass dies nicht der Fall und auch nicht in Hegels Sinne ist. 61 Der Zusatz belegt lediglich Hegels These, dass es konstitutiv für unser Handeln ist, immer unter Graden von Ungewissheit und Unabwägbarkeiten tätig zu werden. Weil dies der Fall ist, lassen sich bestimmte zufällige Folgen noch als Zweckverwirklichung auffassen. So folgert er in der Anmerkung zu § 118: 59
60 61
Dabei handelt es sich um die Notwendigkeit epistemischer Endlichkeit aus dem letzten Kapitel: Für alle Handlungssubjekte x und alle Handlungssituationen y gilt notwendigerweise: Es gibt wenigstens ein Merkmal M für das gilt: x weiß nicht, dass M auf y zutrifft. TWA 7: 225. Zugleich soll damit gezeigt werden, dass dieser Zusatz stellvertretend für die Zusätze generell zu Interpretationen führen kann, die weder der hegelschen Position entsprechen noch systematisch gewinnbringend sind.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
„[12] Hierin liegt, daß es dem Verbrecher, wenn seine Handlung weniger schlimme Folgen hat, zu Gute kommt, so wie die gute Handlung es sich muß gefallen lassen, keine oder weniger Folgen gehabt zu haben, und daß dem Verbrechen, aus dem sich die Folgen vollständiger entwickelt haben, diese zur Last fallen.“ 62
Hierbei lassen sich insgesamt vier Fallkonstellationen unterscheiden, die sich aus der Kombination von je zwei Unterschieden ergeben. Der erste Unterschied betrifft die Frage, ob die Tat mehr oder weniger Folgen nach sich gezogen hat. Der andere Unterschied bezieht sich darauf, ob die Folgen positiv oder negativ bewertet sind. Die Fälle des Unterschieds ergeben sich wie folgt: Fall1: Man wird tätig, um einen Zweck Z zu verwirklichen. Dafür sind die Folgen F1, F2 und F3 notwendig. Man erreicht nur F1 und F2. Fall2: Man wird tätig, um einen Zweck Z zu verwirklichen. Dafür sind die Folgen F1 und F2 notwendig. Neben Folgen F1 und F2 tritt aber auch noch F3 ein. Nimmt man die Bewertung von Folgen, die im nächsten Kapitel diskutiert wird, mit hinzu, dann lässt sich noch der Fall unterscheiden, in dem die jeweilige ausgebliebene oder zusätzlich eingetretene Folge positiv oder negativ bewertet wird. Daraus ergibt sich folgende Matrix: F3 ist positiv
F3 ist negativ
Man wird tätig, um einen Zweck Z zu verwirklichen. Dafür sind die Folgen F1, F2 und F3 notwendig. Man erreicht nur F2.
Man hat Pech gehabt.
Der Verbrecher hat Glück gehabt (die Person hat überlebt und ist nicht gestorben).
Man wird tätig, um einen Zweck Z zu verwirklichen. Dafür sind die Folgen F1 und F2 notwendig. Neben Folgen F1 und F2 tritt auch noch F3 ein.
Man hat Glück gehabt.
Der Verbrecher hat Pech gehabt (wollte nur verletzen, hat aber getötet). Dolus indirectus
Das obige Zitat belegt Hegels These, dass es moral luck gibt. 63 Denn „dem Verbrecher“ komme es „zu Gute“, wenn sein Tun weniger vorwerfbare Folgen 62 63
GW 14,1: § 118 Anm., 106. Auch Ostritsch wertet diese Stelle als Nachweis für Hegels These moralischen Zufalls, allerdings ohne die hier gemachten Differenzierungen und weitergehende Betrachtung (Ostritsch 2014, 184–185).
Hegel-Studien
Die Rolle des Zufalls in Hegels Grundlinien
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hat als beabsichtigt. Und ebenso falle es ihm „zur Last“, wenn sich „die Folgen vollständiger entwickelt haben“. Dass es sich dabei um gerechtfertigte Fälle von moral luck handelt, wird über Hegels Handlungsverständnis begründet, insbesondere die These, dass Handeln notwendigerweise bedeutet, sich den Unwägbarkeiten zufälliger Folgen auszusetzen. Alternativ lautet die These, dass Fälle des dolus eventualis 64, also die schwierigen Abgrenzungsfälle zur bewussten Fahrlässigkeit, über den Zufallsaspekt unseres Handelns gerechtfertigt sind. Dies sind also Fälle, in denen die zufälligen Folgen des Handelns noch als Willensausdruck gewertet werden dürfen. Aber soll dies bedeuten, dass wir für alle möglichen zufälligen Folgen unseres Tuns verantwortlich sind, weil sie aufgrund des Zufallsaspektes unseres Handelns eben Willensausdruck sind? Die zufälligen Folgen müssen nun doch wieder unterteilt werden, um die zurechenbaren von den nicht zurechenbaren Folgen unterscheiden zu können, damit dem Recht des Wissens weiterhin Rechnung getragen werden kann. Nun muss das Recht der Absicht aus dem letzten Kapitel mit hinzugezogen werden. Die Allgemeinheit des Einzelnen wurde so gedeutet, dass wir als selbstbewusste und damit denkende Wesen Gesetzmäßigkeiten und Regeln kennen. Wir haben ein allgemeines Wissen über die verschiedenen regelhaft oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretenden Folgen gewisser Tätigkeiten. Dieses Wissen ermöglicht nun einerseits die Abgrenzung zurechenbaren Zufalls von nicht mehr zurechenbarem Zufall. Andererseits zeigt es, dass das berühmte Zitat aus dem Zusatz, dass „der Stein, der aus der Hand geworfen wird, [. . . ] des Teufels“ sei, nicht bedeuten kann, dass wir dem Zufall im Sinne völliger Kontrolllosigkeit ausgeliefert sind, sobald wir zu handeln beginnen. 65 Um dies zu zeigen, soll nun der Begriff der Kontrolle und der Kontrollierbarkeit als einer Handlungskompetenz eingeführt werden. Das Prinzip der gesamten Grundlinien ist „ der freye Wille, der den freyen Willen will“ 66, also die Selbstverwirklichung des freien Willens. In der Moralität handelt es sich bei der Selbstverwirklichung um die jeweils individuelle Selbstverwirklichung einzelner Handlungssubjekte durch ihr Handeln. Handeln wiederum bedeutet, den subjektiven Zweck tätig in einer gegebenen Objektivität zu verwirklichen. Nun sollte es jedoch so sein, dass wir nicht nur aufgrund unserer Tätigkeit der Willensverwirklichung zufällig den bezweckten Erfolg erreichen. Der Erfolg unserer Willensverwirklichung muss auch von uns kontrolliert werden können. In einzelnen Fällen lässt sich dies vielleicht 64 65
66
Zu diesem Begriff siehe den Beginn des letzten Kapitels (3.1). Den Zufall so zu betrachten hieße, die fehlerhafte Annahme zu machen, dass wir lediglich auf unsere Absichten, unsere subjektiven Zwecke Kontrolle ausüben können, und alles andere mit dem ersten Ansatz zur Zweckverwirklichung dem Zufall ausgesetzt ist. Siehe zu dieser Ansicht und ihrer Kritik Raz 2011: 240. GW 14,1: § 27, 45.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
nicht direkt bestimmen. Angenommen, A beabsichtigt, den Basketball von der Drei-Punkte-Linie in den Korb zu werfen. A setzt also zum Wurf an, wirft den Ball und trifft den Korb. A hatte sich selbst subjektiv einen Zweck gesetzt, hatte daraufhin begonnen zu handeln und dabei genau das erreicht, was sie beabsichtigt hatte. Insofern handelt es sich bei diesem Fall um eine gelungene Willensverwirklichung. Im Rahmen der Vorsatzthematik ging es primär um die Fälle der Verhinderung der freien Willensverwirklichung, in denen man jemanden verantwortlich macht für etwas, das nicht gewollt war. Jedoch gab es noch den zweiten Fall, in dem man jemanden nicht verantwortlich macht bzw. die Handlung nicht zuschreibt, obwohl sie eigentlich erfolgreich war. Diese Fälle sind dann zulässig, wenn man bei einmaligem Erfolg sagen würde, dass es sich dabei lediglich um Glück gehandelt habe. 67 Und genau diese Rede von Glück impliziert ein Verständnis von Kontrolle, das relevant ist für die Zurechenbarkeit von Zufall. Was wir in solchen Fällen meinen, ist, dass die Person nicht wirklich auf Grund ihres Könnens erfolgreich den subjektiven Zweck erreicht hat, sondern sich der äußerliche Erfolg zufällig eingestellt hat. Tatsächlich auf Grund von Können den Erfolg erreicht zu haben, bedeutet, bei hinreichend vielen Wiederholungen, zumindest in der Regel, den Erfolg durch die Tätigkeit wieder zu erzielen. Und damit ist nun ein Kriterium an die Hand gegeben, um kontrolliertes von unkontrolliertem Handeln zu unterscheiden. Wieder übertragen auf die Thematik der Verantwortung bedeutet dies nun das Folgende: In den Fällen, in denen jemand etwas vorsätzlich und absichtlich tut, das den bezweckten Erfolg tatsächlich kausal erreicht, liegt dennoch keine Verantwortung vor, wenn die Ereignisfolge bis zum bezweckten Erfolg in dem Sinne zufällig war, dass diese Art von Zweckverwirklichung nicht hinreichend oft wiederholt werden könnte. 68 Das Beispiel des Blitzmordes kann hierfür wieder als Beispiel dienen. Wenn A den Onkel B bittet, bei einem Gewitter ins nächste Dorf zu gehen, in der Hoffnung, dass B von einem Blitz getötet wird, was dann auch tatsächlich geschieht, dann handelt es sich bei dem Jemanden-bei-Gewitter-nach-draußen-Bitten nicht um eine geeignete Handlungsweise, um jemanden zu töten. Hingegen auf jemanden mit einem Messer einzustechen, in der Absicht, ihn 67
68
Alternativ formuliert würde man ein Urteil der Art „X kann Φen“ verneinen. Zum Können siehe jetzt die „Erfolgstheorie“ Romy Jasters in Jaster 2020. Wobei hier unterschieden werden muss zwischen (i) der Fähigkeit der Handelnden (X kann Φen) und (ii) der Geeignetheit des Handlungstyps (Φen bewirkt in der Regel Ψen). Nicht-Wiederholbarkeit kann einmal daran liegen, dass der gewählte Typ ungeeignet ist, und einmal daran, dass ein geeigneter Handlungstyp nicht beherrscht wird. Wichtig ist außerdem, dass es um Handlungstypen geht. Einzelne Handlungstoken können natürlich notwendigerweise nicht wiederholt werden.
Hegel-Studien
Hegels Theorie des Zufalls im Recht
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zu verletzen, ist durchaus ein geeignetes Mittel, um eine Person zu töten. Daher reicht der Verweis darauf, es nicht gewollt zu haben, als Anfechtung von Verantwortung nicht aus, wenn die Person dann tatsächlich stirbt. Die Rede von Geeignetheit verweist nun nochmals auf das Wissen und die Absicht als Wissen des Allgemeinen. Zu sagen, dass ein bestimmter Gegenstand oder eine bestimmte Tätigkeit geeignet ist, einen bestimmten Zweck Z zu erreichen, bedeutet wenigstens, dass dieses Mittel in der Regel zu Z führt. Schließlich spielt das Wissen für die Kontrolle eine weitaus größere Rolle, als man etwa meinen könnte. Insbesondere wenn unter Kontrolle so etwas wie eine metaphysische Fähigkeit, überhaupt eine Handlung anzufangen, verstanden wird, bleibt die Rolle des Wissens meist ausgeblendet. Natürlich müssen wir überhaupt dazu in der Lage sein, basale Tätigkeiten zu vollziehen. Jedoch führt erst unser Wissen und Denken und damit unser Selbstbewusstsein dazu, komplexere Handlungsketten zu vollziehen und damit auch weitreichendere Ziele zu erreichen. Von einer Fußballtrainerin zu sagen, sie habe die Mannschaft unter Kontrolle, bedeutet mehr, als dass sie Sprechakte der Ermunterung vollziehen kann. Sie muss die Spieler*innen kennen, die Dynamik der Gruppe, muss wissen, wer welche Fähigkeiten, welche Stärken und welche Schwächen hat. Sie muss durch strategische und taktische Hinweise Einfluss darauf nehmen, dass das Ziel, ein Spiel zu gewinnen, auch tatsächlich gelingt. Und die Qualität einer Trainerin wird daran gemessen, wie regelmäßig sie erfolgreich ist. Und erst diese Regelhaftigkeit bedeutet dann, dass sie die Mannschaft unter Kontrolle hat. Damit sind nun alle Bestandteile erläutert, die Hegels Theorie des Zufalls für normative Kontexte ausmachen. Diese Theorie sei nun abschließend dargestellt. 4.3 Hegels Theorie des Zufalls im Recht Bisher wurde versucht, die Redeweisen von ›Zufall‹ und ›Notwendigkeit‹ in den Grundlinien zu analysieren. Hegel vertritt die These, dass unsere endliche raumzeitliche Welt, also die Welt, in der wir handeln, in der wir unser Handeln selbst bewerten und uns dafür gegenseitig verantwortlich machen, notwendigerweise mit Zufall behaftet ist. Dabei kann die Frage offengelassen werden, ob die Welt selbst notwendigerweise zufällig ist oder ob sie lediglich für uns als endliche Wesen immer etwas Zufälliges besitzt. Da es im Recht um uns als endliche Wesen geht, reicht für den normativen Umgang mit dem Zufall die zweite These. Allerdings verfügt Hegel neben einem epistemologischen auch über einen ontologischen Zufallsbegriff. Seine Gründe für den ontischen Zufall wiederum laufen über ein Verständnis von Endlichkeit, welches das Einzelne
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
und das Allgemeine in ein Verhältnis zueinander bringt. Insbesondere über diesen ontologischen Zufallsbegriff kann man nun Zufall als Grenze der Kontrollierbarkeit bestimmen. Man nehme folgenden Lehrbuchfall an: „Als künftiger Erbe will T den Tod des X herbeiführen. Daher überredet er den X, Flugreisen zu machen mit dem Ziel, dass X durch einen Flugzeugabsturz umkommt. Das Ereignis tritt tatsächlich ein.“ 69
Nach der Äquivalenztheorie wie auch nach der INUS-Theorie liegt zwar eine Kausalrelation vor, jedoch lässt sich die Frage stellen, ob das vorsätzliche Aufdie-Flugreise-Schicken überhaupt ein den Tod durch Flugzeugabsturz kontrollierbares Handeln ist. Und hieran kann man durchaus Zweifel haben. Insofern ist die Rede von objektivem Zufall relevant, dem entsprechend Zufall dann vorliegt, wenn eine Ereigniskette so beschaffen ist, dass sie nicht mehr in Form eines allgemeinen Gesetzes beschrieben werden kann, Wiederholbarkeit also ausschließt. Und Wiederholbarkeit wäre dann die Kontrollierbarkeitsbedingung. Zwar lässt sich der Zufallsbegriff auch weitestgehend neutral gegenüber der subjektiven epistemischen Einstellung eines einzelnen Handlungssubjektes bestimmen, jedoch spielt er insbesondere für Zurechnungsfragen eine Rolle. Wie Larenz vertreten hatte und in der Folge auch Honig, ist die Rede von Zufall dazu da, um intentionales, bezwecktes Verhalten von nicht bezwecktem Verhalten zu unterscheiden und somit den Umfang des Zurechenbaren zu klären. Somit besteht einerseits noch ein Zusammenhang zur Kausalität, da es letztlich immer Kausalverläufe sind, die zufällig genannt werden. Jedoch weist das Kriterium, aufgrund dessen man einen Kausalverlauf als zufällig kennzeichnet, bereits auf die normative Zurechnungsebene des Vorsatzes hin. Dies wurde insbesondere im Falle des subjektiven Zufalls deutlich, wenn unter einem zufälligen Kausalverlauf ein solcher verstanden wird, der für den Einzelnen nicht vorhersehbar gewesen ist. Um die drei Fragen aus dem ersten Unterkapitel nun summarisch zu beantworten, lässt sich sagen, dass Hegel (i) unter Zufall epistemischen Zufall versteht. Das Nicht-Zufallsprinzip (ii) wird ebenso wie bereits das Recht des Wissens begründet über die Rolle der Moralität als eine die individuelle Selbstverwirklichung schützende und damit freie Willensverwirklichung realisierende Rechtssphäre. Epistemisch subjektive Zufälle vereiteln die jeweils subjektive Selbstverwirklichung. Allerdings gilt dieses Prinzip (iii) nicht uneingeschränkt und das hängt mit Hegels Verständnis von Selbstverwirklichung zusammen. Diese wird nicht ausschließlich durch die mentalen Zustände ex 69
Rengier 2013: 73.
Hegel-Studien
Hegels Theorie des Zufalls im Recht
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ante bestimmt, sondern auch durch das, was tatsächlich getan wird. Zudem bedeutet etwas zu tun immer auch, sich Unwägbarkeiten auszusetzen. Nur solche Unwägbarkeiten dürfen nicht mehr als Ausdruck des je subjektiven Wollens verstanden werden, die nicht mehr als in einem robusten Sinne kontrollierbar verstanden werden können. Die Zulässigkeit, das Nicht-Zufallsprinzip einzuschränken, wird auf dieselbe Weise begründet wie das Nicht-Zufallsprinzip selbst: über die Selbstverwirklichung des freien Willens. In gewissem Sinne ist die Thematik der Verantwortung nun abgeschlossen. Dies lässt sich über folgende Unterscheidung John Austins erhellen. In seinem Aufsatz A Plea for Excuses benennt er zwei Verteidigungen, man könnte auch sagen Anfechtungen, von Verantwortungszuschreibungen: „In the one defence [justification, T.M.], briefly, we accept responsibility but deny that it was bad: in the other [excuse, T.M.], we admit that it was bad but don't accept full, or even any, responsibility.“ 70
Die Rechtfertigung (justification) akzeptiert die Verantwortung in vollem Umfang, wie sie bisher Thema war. Die Anfechtungsstrategie der Rechtfertigung besteht darin, zu zeigen, dass man für das Getane einen guten Grund hatte. 71 Betrachtet man Verantwortung in diesem Sinne als Bedingung dafür, dass überhaupt eine Rechtfertigung greifen kann, dann ist die Thematik der Verantwortung nun abgeschlossen. Allerdings lässt sich die Rede von Verantwortung auch enger fassen, so dass sie die Vorwerfbarkeit impliziert. Dann setzt Verantwortung voraus, dass keine Rechtfertigung vorliegt. Denn erst dann, wenn man keine Rechtfertigung vorbringen kann, ist die Vorwerfbarkeit zulässig. Damit muss also für diesen engeren Begriff der Verantwortung noch Weiteres geprüft werden, nämlich solche Merkmale, die als Rechtfertigung für Norm-deviantes Verhalten zum Zweck der Anfechtung herangezogen werden können. Der Übergang zum nächsten Kapitel lässt sich also wie folgt motivieren. Es ist möglich, dass jemand vorsätzlich und mit Absicht gehandelt hat, ohne dass Zufall vorlag, die Handlung also objektiv und subjektiv zurechenbar ist und die Handelnde dennoch nicht verantwortlich ist. In diesem Fall liegt zwar eine Handlung im Vollsinne vor, allerdings gibt es Gründe, die das Getane, das prima facie gegen eine Norm verstößt, rechtfertigen. Die Grundlage für einen Rechtfertigungsgrund entwickelt Hegel über die evaluative Komponente des
70 71
Austin 1956/1957: 2. Cowley charakterisiert die Rechtfertigung wie folgt: „A justification begins with the acceptance of the accuser's assumption of capacity, understanding and control, and acknowledges that the act was prima facie wrong, but provides additional detail, a ‚bigger picture`.“ Cowley 2014, 31.
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Zufall, Kontrolle und objektive Zurechenbarkeit (§ 118 Anm.)
Absichtsbegriffs. Damit ist ein neues Thema angesprochen, das Gegenstand des folgenden Kapitels ist. Bevor dieses selbst begonnen wird, sei in einer zusammenfassenden Zwischenbetrachtung das bisherige Ergebnis bezüglich des Themas Verantwortung und Verursachung bestimmt. Ein Handlungssubjekt S ist verantwortlich für ein Φen gdw gilt: S hat Φ0 vollzogen (Tat). S hat durch sein Φ0 en die für Φ konstitutiven Folgen verursacht. S wusste, dass das Φ0 en die für Φ konstitutiven Folgen verursacht. S wollte durch ihr Φ0 en die für Φ konstitutiven Folgen verursachen. Falls S nicht wusste, dass das Φ0 en die für Φ konstitutiven Folgen verursacht, ist S dennoch verantwortlich für das Φen, wenn gilt: a. Es ist allgemeines Wissen, dass Φ0 en die für Φ konstitutiven Folgen verursacht. b. S hätte vor Vollzug des Φ0 en herausfinden können, dass Φ0 en die für Φ konstitutiven Folgen verursacht. (vi) S besaß die Fähigkeit zu Φ0 en, die für Φ konstitutiven Folgen zu verursachen.
(i) (ii) (iii) (iv) (v)
Sind alle diese Bedingungen erfüllt und ist außerdem Φen etwas, für das wir eigentlich tadeln, fragt sich, ob S gute Gründe hatte, trotz dieser Tadelnswürdigkeit zu Φen. Alternativ könnte man auch sagen: Es ist zu prüfen, ob alle vorliegenden normativen Gründe insgesamt dafür oder dagegen sprachen, dass S Φt.
Hegel-Studien
5. Rechtfertigung und moral blame (evaluative Willenskomponente)
M
it der Einführung des Wohlbegriffs und der Rede von Werten beginnt Hegel ab § 121 ein neues Thema. Bisher ging es um kausale Verantwortung (Kapitel 2), die Wissensbedingung für Verantwortung (Kapitel 3) sowie Zufall und Kontrolle als Begrenzung sozial anerkannter Zurechnung (Kapitel 4). Strafrechtsdogmatisch ausgedrückt handelt Hegel in den §§ 115– 120 das Thema der Tatbestandsmäßigkeit ab. Damit ist bisher Hegels Konzeption dessen vorgestellt worden, was es bedeutet, dass jemand wissentlich und kontrolliert etwas Bestimmtes verursacht hat. Die Beispiele hatten immer unterstellt, dass es um normdeviantes Handeln geht, und zwar im Sinne des Verstoßes gegen bestehende Normen. Allerdings sind diese Normen und die damit einhergehende Vorwerfbarkeit des Normverstoßes selbst nicht in den Blick gekommen. Ebenso wenig wurde die Frage thematisiert, weshalb Subjekte jeweils überhaupt Bestimmtes tun. Die Rede davon, dass sie jeweils ihren subjektiv gesetzten Zweck verfolgen, hat lediglich präsupponiert, dass sie damit einen Grund zu handeln haben bzw. aus einem Grund heraus handeln. Erst ab § 121 bringt Hegel diese zwei Aspekte in den Blick, also die Frage danach, um wessentwillen wir überhaupt handelnd tätig werden, und die Frage danach, worin die Vorwerfbarkeit im Falle normabweichenden Verhaltens besteht, wann diese nicht gegeben ist und worin die Normgrundlage des Vorwurfs besteht. Nachdem also bisher nur die kognitive Willenskomponente über die Begriffe des Vorsatzes und der Absicht untersucht, die jeweiligen Rechte eingeführt, erläutert und begründet wurden, muss nun die evaluative Willenskomponente betrachtet werden. Strafrechtsdogmatisch lassen sich die §§ 121– 128 als Hegels Rechtfertigungstheorie bestimmen. Insofern wird ab § 121 ein neuer Typ Anfechtungsgrund eingeführt, und zwar der Rechtfertigungsgrund. 1 Der letzte Abschnitt „Das Gute und das Gewissen“ lässt sich hingegen als Hegels Lehre vom Unrechtsbewusstsein als weiterem Anfechtungsgrund deuten. 2 Insofern hat der letzte Abschnitt die kognitiv-evaluative Willenskomponente zum Gegenstand, geht es doch letztlich um ein Wissen des an sich Guten.
1 2
Diese bestimmte Form der Anfechtung wird anhand des hegelschen Textes selbst erläutert. So geschehen bei Böning 1978.
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Rechtfertigung und moral blame (evaluative Willenskomponente)
Alternativ dazu lässt sich der gesamte Teil ab § 121 bis zum Ende der Moralität auch als Hegels Theorie moralischer Vorwerfbarkeit (moral blameworthiness) interpretieren. Da Hegel seine Konzeption der Rechtfertigungsgründe jedoch vermittelt über das Recht der subjektiven Freiheit, die eigenen Werte im Handeln zu verfolgen, entwickelt, geschieht in dem Text der Grundlinien mehr, als diese Einordnungen suggerieren. So geht es etwa auch um Hegels Verständnis praktischer Rationalität 3, seinen Ansatz von Zweck-Mittel-Zusammenhängen und möglicherweise auch um eine Planhandlungstheorie, wie sie in jüngerer Zeit Michael Bratman entwickelt hat. 4 Da aufgrund des Themas dieser Arbeit die Aspekte des Rechtfertigungsgrundes und des Rechts auf Einsicht in das Gute als Voraussetzungen der Vorwerfbarkeit und damit als Voraussetzung rechtlicher und moralischer Verantwortung im Zentrum stehen, seien im folgenden ersten Unterkapitel lediglich Grundlagen der strafrechtlichen Rechtfertigung und der moralischen Vorwerfbarkeit dargestellt (5.1). Im Anschluss daran wird Hegels Theorie der Rechtfertigungsgründe in den Grundlinien thematisiert (5.2). Zunächst wird Hegels eigene Bestimmung eines Rechtfertigungsgrundes referiert. Dem schließt sich dann die Rekonstruktion des Rechts der subjektiven Freiheit an. Dabei sollen die Begriffe des Wertes, des Interesses und des Wohls eingeführt und das damit zusammenhängende Recht der subjektiven Freiheit erläutert und begründet werden (5.2.1). In diesem Zuge werde ich das Recht des Wohls und das Recht der moralischen Absicht einführen. In einem zweiten Schritt wird dann Hegels Notstandslehre eingeführt und das Notrecht erläutert und begründet (5.2.2). Nachdem im dritten Abschnitt die Begriffe des Guten und des Gewissens in dem für diese Arbeit relevanten Sinne eingeführt, das damit zusammenhängende Recht etabliert (5.3.1) und vermittelst des Begriffs der Pflicht die Möglichkeit der Verantwortung für Unterlassungen fundiert wurde (5.3.2), soll in einem letzten Teil der Zusammenhang zur Verantwortungsthematik hergestellt werden (5.4). 5.1 Rechtfertigungsgründe und moral blame Bereits mit Bezug auf John L. Austin war der Unterschied zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung als Strategien der Verantwortungsanfechtung eingeführt worden. Dabei bestand der Unterschied darin, dass die Rechtfertigung Verantwortung in vollem Umfang akzeptiert, jedoch zurückweist, dass
3 4
So Halbig 2009. Diese These wird vertreten in Quante 2010.
Hegel-Studien
Rechtfertigungsgründe und moral blame
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das Getane vorwerfbar ist. Die Entschuldigung hingegen akzeptiert die Vorwerfbarkeit, weist jedoch die Verantwortung zurück. Das deutsche Strafrecht erkennt verschiedene Aspekte als Rechtfertigungsgründe allgemein an. Dabei ist diese Anerkennung teils dadurch motiviert, dass eine insbesondere im Rechtsgebiet des Zivilrechts erlaubte Handlung auch im Strafrecht erlaubt sein sollte. Erst wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, wird ein Verhalten als rechtswidrig betrachtet. Damit lassen sich die Rechtfertigungsgründe im Strafrecht auch als Grenze der Vorwerfbarkeit betrachten. Gängige Rechtfertigungsgründe sind (i) die Notwehr, (ii) der rechtfertigende Notstand und (iii) die rechtfertigende Einwilligung. 5 Die Notwehr als Rechtfertigungsgrund wird in § 32 des StGB geregelt. Dort heißt es: „(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ 6
Der erste Absatz bestimmt die Notwehr als Rechtfertigungsgrund. Der zweite Absatz bestimmt dann die Notwehr weiter, wenn auch sehr abstrakt. Notwehr ist eine Verteidigung, die einem bestimmten Zweck dient. Der Zweck ist die Abwendung eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: A greift B in einer Disco an, indem A auf B einzuschlagen beginnt. B wehrt sich daraufhin und bricht A ein Bein. B hat damit eine Körperverletzung begangen, war allerdings gerechtfertigt, weil A ein Rechtsgut von B, dessen körperliche Unversehrtheit, bedroht hat. Das Notwehrrecht als Recht basiert auf zwei Grundlagen, zum einen auf dem Prinzip des Selbstschutzes, zum anderen auf dem sogenannten „Rechtsbewährungsprinzip“: „Das Schutzprinzip besagt, dass niemand eine Verletzung seiner Rechtsgüter durch einen Angreifer hinnehmen muss. Zugleich beschränkt es den Rechtfertigungsgrund auf den Schutz von Individualrechtsgütern. Das Rechtsbewährungsprinzip besagt, dass der Notwehrübende auch für den Bestand der Rechtsordnung eintritt, indem er gleichsam stellvertretend für die nicht anwesende Staatsgewalt das Recht gegen das Unrecht verteidigt.“ 7 Das Schutzprinzip soll also Individualrechtsgüter schützen, und zwar insbesondere die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und das Eigentum. Werden diese 5
6 7
So ist etwa eine Ärztin gerechtfertigt, einem Patienten eine Spritze zu setzen, wenn dieser in diese Tat einwilligt. Damit wird zwar der Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt, jedoch ist diese Körperverletzung nicht vorwerfbar, sondern aufgrund der Einwilligung gerechtfertigt. § 32 StGB. Rengier 2013: 141.
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Rechtfertigung und moral blame (evaluative Willenskomponente)
bedroht, dann besagt der Rechtfertigungsgrund der Notwehr, dass eine Handlung, die ansonsten strafbar oder vorwerfbar wäre, gerechtfertigt ist, sofern sie die Bedrohung abwehren soll. Als zweiter Rechtfertigungsgrund sei noch der rechtfertigende Notstand benannt. Dieser ist durch § 34 StGB geregelt: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ 8
In dieser Norm ist nun explizit auf die Rechtsgüter Bezug genommen, deren Schutz der rechtfertigende Notstand dient. Hierbei ist insbesondere die Interessenabwägung von Relevanz. Im Falle von Interessenkollisionen muss also abgewogen werden, welches in der besonderen Situation überwiegt. Außerdem gebietet diese Norm die Wahl eines angemessenen Mittels. Bei der Interessenkollision müssen die Rechtsgüter (etwa Leben und Eigentum) ebenso abgewogen werden wie die „Grade der ihnen drohenden Gefahren“. Eine mögliche Konstellation könnte sein, dass A und B unterwegs sind und B einen Herzinfarkt erleidet. A hat kein Mobiltelefon dabei und bis zum nächsten Ort ist es zu Fuß zu weit, um rechtzeitig Hilfe zu holen. Allerdings steht das Fahrrad von C am Straßenrand, das sich A nimmt, um schneller Hilfe holen zu können. Hier stehen einerseits die Rechtsgüter Leben der B und Eigentum des C einander gegenüber, andererseits ist die Gefahr für das Leben von B bedeutend größer als für das Eigentum von C. Ohnehin würde A das Fahrrad von C zurückbringen. Dies sollte hinreichen, um die Idee rechtfertigender Gründe dafür, eine ansonsten strafbare Handlung zu vollziehen, vorzustellen. Die Idee moralischer Vorwerfbarkeit kann nun daran angeknüpft werden. Denn so, wie im Strafrecht das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes den strafrechtlichen Vorwurf ausschließt, so kann auch in der Moral eine Abwägung verschiedener Werte, Interessen und deren jeweilige Gefährdung einen moralischen Vorwurf ausschließen. George Sher bestimmt den Begriff des moral blame wie folgt:
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§ 34 StGB.
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Rechtfertigungsgründe in den Grundlinien
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„Formally, blame is a stance or attitude that a person takes toward himself or another on the basis of a judgment that that person has in some way failed to conform to some moral standard.“ 9
Der Vorwurf ist also die Einstellung, mit Strawson kann man auch sagen, die reaktive Einstellung 10 einer Person gegenüber, die das Urteil enthält, dass die Person, der man etwas vorwirft, einer moralischen Forderung nicht hinreichend nachgekommen ist. Der Vorwurf setzt damit wenigstens dreierlei voraus, nämlich, dass es (i) eine geltende moralische Norm gibt, von der (ii) abgewichen wurde, ohne dass (iii) eine Rechtfertigung für diese Normabweichung vorlag. Dadurch wird der Begriff der moralischen Verantwortung angereichert um die Dimension, dass man etwas Vorwerfbares getan hat und deshalb Tadel verdiene. Moralische Verantwortung sagt nicht nur etwas über das Zustandekommen dessen aus, was getan wurde, sondern auch über uns, unseren Charakter, unsere Gründe und Motive. In den Kapiteln 2–4 wurden Verantwortungsmerkmale entwickelt, die relativ zu dieser evaluativen Dimension moralischer Verantwortung noch indifferent waren. Damit kann übergegangen werden zur Thematik der Rechtfertigungsgründe in den Grundlinien. Erst im darauffolgenden Unterkapitel wird dann die moralische Vorwerfbarkeit im Vordergrund stehen.
5.2 Rechtfertigungsgründe in den Grundlinien Hegel verfügt, so soll im Folgenden gezeigt werden, selbst über einen Ansatz für Rechtfertigungsgründe sowohl im strafrechtlichen als auch im moralischen Sinne. Dabei lässt sich seine Konzeption über zwei Schritte nachvollziehen. Zunächst entwickelt er ein positives Recht subjektiver Freiheit, das einzelnen Individuen das Recht zuspricht, im Handeln die eigenen selbstgesetzten Werte und Interessen zu verfolgen. Dieses Recht liefert dann die Grundlage für Rechtfertigungssituationen, in denen verschiedene Werte konfligieren. Bevor nun mit dem ersten Schritt begonnen wird, sei an dieser Stelle Hegels Vorschlag für die Form eines Rechtfertigungsgrundes dargestellt. Worin genau die Rechtfertigung besteht und was einen Rechtfertigungsgrund ausmacht, hat Hegel nämlich selbst in der Anmerkung zu § 119 erläutert. Da heißt es: „[1] Absicht enthält etymologisch die Abstraction, theils die Form der Allgemeinheit, theils das Herausnehmen einer besondern Seite der concreten 9 10
Sher 2006, 7. Siehe dafür Strawson 2008 [1962].
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Rechtfertigung und moral blame (evaluative Willenskomponente)
Sache. [2] Das Bemühen der Rechtfertigung durch die Absicht ist das Isoliren einer einzelnen Seite überhaupt, die als das subjective Wesen der Handlung behauptet wird.“ 11
In Satz [1] geht Hegel zunächst auf die Etymologie des Wortes Absicht ein, die eine Verbindung zur Abstraktion herstelle. Dabei gehe es zum einen um die Abstraktion als Allgemeinheit; man könnte sagen, die Absicht sieht von besonderen Merkmalen ab, abstrahiert von diesen. Zum anderen bedeute die Abstraktion das Absehen von bestimmten Aspekten einer Handlung und die Fokussierung auf einen bestimmten Aspekt. Diese zweite Bedeutung verwendet Hegel nun, um in Satz [2] den Begriff der Rechtfertigung einzuführen. Eine Handlung mit Verweis auf die Absicht zu rechtfertigen bedeutet, einen besonderen Aspekt der Handlung, der die Absicht ausmacht, zu isolieren. Die Rechtfertigung besagt dann, dass dieser besondere Aspekt der Zweck der Handlung gewesen ist. Dabei behauptet die Rechtfertigung, dass diese isolierte Seite „das subjective Wesen der Handlung“ gewesen sei. Dass Hegel von dem „Bemühen“ spricht und davon, dass etwas als „subjective[s] Wesen“ behauptet werde, zeigt an, dass er zumindest an dieser Stelle dieser Art von Handlungsrechtfertigung kritisch gegenübersteht. Denn in § 119 wird erstmals die Allgemeinheit als Wahrheit des Einzelnen eingeführt; und die Rechtfertigung mit Verweis auf die Absicht ignoriert gerade diese Allgemeinheit. Um ein Beispiel zu geben: A hat das Fahrrad von B genommen und in verschiedenen Farben neu angesprüht. Zudem hat A die Luft aus den Reifen gelassen, die Kette abmontiert und das Fahrrad umgekehrt auf den Sattel gestellt. Als B dies sieht, erfolgt B's Vorwurf A gegenüber, A habe B's Eigentum beschädigt und müsse dieses ersetzen. A rechtfertigt sein Tun nun damit, dass A überhaupt nicht beabsichtigt habe, B's Fahrrad zu beschädigen, sondern ein Fahrrad zu einem schönen Kunstwerk umzufunktionieren. Darauf habe A es abgesehen und darin sei A doch auch erfolgreich gewesen. A habe also keine Sachbeschädigung begangen, sondern ein Kunstwerk geschaffen; darin lag das subjektive Wesen der Handlung von A. Nun würde dieser Verweis auf das Beabsichtigte als einen Aspekt der Tat als zur Rechtfertigung der Handlung wohl nicht als Rechtfertigung akzeptiert werden. Zwar könnte A's Beschreibung, ein Kunstwerk geschaffen zu haben, durchaus anerkannt werden, jedoch würde dieser Aspekt von A's Tat, die eben noch weitere Aspekte besitzt wie etwa den der Sachbeschädigung, nicht ausreichen, die Handlung als Ganze zu rechtfertigen. Allerdings hat Hegel damit die Form eines Rechtfertigungsgrundes angegeben: Ein Rechtfertigungsgrund besteht (i) in dem beabsichtigten Aspekt einer Tat, wobei von den anderen Aspekten dieser Tat abgesehen wird. Zudem wird 11
GW 14,1: § 119, 107.
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(ii) dieser Aspekt so dargestellt, dass er die möglicherweise negativen weiteren Aspekte derselben Tat überwiegt. Dass im obigen Fall die Absicht zur Rechtfertigung nicht akzeptiert werden würde, liegt nun nicht an der Form der Rechtfertigung, sondern daran, dass der Inhalt, also der subjektive Zweck, die gleichzeitig damit einhergehenden negativen Aspekte derselben Tat nicht aufwiegt. Dies führt zu der Frage, wie diejenigen Aspekte von Handlungen, die eine solche Aufwertung zulassen, unterschieden werden können von denjenigen, die dies nicht vermögen. Im Folgenden soll nun das Recht der subjektiven Freiheit und der Notstand als auch von Hegel anerkannter Rechtfertigungsgrund dargestellt werden, um diese Frage zu beantworten. 5.2.1 Wert, Interesse, Wohl: Das „Recht der subjectiven Freyheit“ Das Recht der Absicht ist verstanden worden als Anfechtungsrecht und als Recht auf Wissen um Allgemeines. Nun war bisher wenig davon die Rede, weshalb Menschen überhaupt handeln, worauf sie mit ihrem Handeln abzielen. Dieser Aspekt wird ab § 121 relevant. Er ist für das Thema des gesamten Moralitätskapitels von zentraler Bedeutung, da die Freiheit erst durch den einzelnen freien Willen in seinem Handeln verwirklicht wird. 12 In § 121 beginnt Hegel nun, das Recht der subjektiven Freiheit zu entwickeln: „§. 121. [1] Die allgemeine Qualität der Handlung ist der auf die einfache Form der Allgemeinheit zurückgebrachte, mannichfaltige Inhalt der Handlung überhaupt. [2] Aber das Subject hat als in sich reflectirtes, somit gegen die objective Besonderheit Besonderes, in seinem Zwecke, seinen eigenen besonderen Inhalt, der die bestimmende Seele der Handlung ist.“ 13
Satz [1] wiederholt den Begriff des Allgemeinen, wie er in den §§ 119–120 thematisch war und das Recht der Absicht begründet hat. Erst in Satz [2] wechselt Hegel die Perspektive. Dies wird durch das argumentative ›aber‹ verdeutlicht. Daran zeigt sich auch, dass das Recht der Absicht und das Recht der subjektiven Freiheit nicht dasselbe Recht ausdrücken. Wenn Satz [1] die Betonung auf die Allgemeinheit der Handlung und uns als wesentlich allgemeine Wesen legt, so bringt Satz [2] nun unsere Besonderheit wieder mit ins Spiel. Hierbei wird nun auch die kritische Bemerkung bezüglich des Rechtfertigens aus der Anmerkung zu § 119 eingeschränkt. Denn bloß und immer 12 13
Vgl. GW 14,1: § 106, 99. GW 14,1: § 121, 108.
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das eigene Tun einfach damit zu rechtfertigen, dass es eben um einer ganz besonderen Absicht willen vollzogen wurde, mag in vielen Fällen zwar nicht zulässig sein. Allerdings gehört es zu unserem Handeln wesentlich hinzu, dass wir unsere besonderen Zwecke verfolgen. Im Moralitätskapitel ist das Subjekt „als in sich reflectirtes“ Gegenstand der Überlegungen. Als solches hat es eine eigene Besonderheit, die im Gegensatz zur objektiven Besonderheit steht. Als Subjekt hat man „in seinem Zwecke, seinen eigenen besonderen Inhalt, der die bestimmende Seele der Handlung ist“ 14. Man verfolgt die selbstgesetzten Zwecke in seinem Handeln. Diese sind die „bestimmende Seele der Handlung“. Dies entspricht dann dem Ausdruck von der Besonderheit als „das subjective Wesen der Handlung“ 15. Auf dieser Grundlage führt Hegel nun ein weiteres Recht ein: „[3] Daß dieß Moment der Besonderheit des Handelnden in der Handlung enthalten und ausgeführt ist, macht die subjective Freyheit in ihrer concretern Bestimmung aus, das Recht des Subjects, in der Handlung seine Befriedigung zu finden.“ 16
Hiermit ist das „Recht der subjectiven Freyheit“ 17 eingeführt. Alternativ formuliert besagt dieses Recht: Man hat das Recht, in seinem Handeln die eigenen, selbstgesetzten, besonderen Zwecke zu verfolgen und zumindest prinzipiell auch regelmäßig erfolgreich zu verwirklichen. Erst durch dieses Recht erlangt die „subjective Freyheit“ Wirklichkeit. Dass diese über die bisherigen Rechte noch nicht positiv verwirklicht ist, lässt sich dadurch zeigen, dass die ersten beiden Rechte des Vorsatzes und der Absicht noch nicht sicherstellen, dass dieses Recht der subjektiven Freiheit auch erfüllt ist. Die ersten beiden Rechte haben insbesondere anfechtende Funktion, wohingegen dieses Recht positiver Art ist und anderen verbietet, in die subjektive Freiheitsverwirklichung einzugreifen. Beispielsweise wäre eine Rechtsordnung denkbar, in der man zwar Anfechtungen von Verantwortungszuschreibungen akzeptiert, wenn nachgewiesen werden kann, dass Unwissenheit vorlag, in der aber zugleich die eigene besondere Willens- und Handlungsbestimmung stark eingeschränkt und extern vorgeschrieben wird. Das Element der Selbstbestimmung wird jedoch erst dann verwirklicht, wenn Einzelne auch das Recht haben, ihre besonderen Zwecke selbst zu bestimmen und zu verfolgen. Das Argument für dieses Recht der subjektiven Freiheit sei nun wie folgt rekonstruiert: 14 15 16 17
GW 14,1: § 121, 108. GW 14,1: § 119 Anm., 107. GW 14,1: § 121, 108. GW 14,1: § 124 Anm., 110.
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(P1) Rechte sind Regeln unserer Praxis, die das Dasein des freien Willens diachron stabil sichern und damit Ausdruck des freien Willens sind. (P2) Der freie moralische Wille hat Dasein gdw er seinen subjektiven Zweck handelnd verwirklicht. (P3) Der subjektive Zweck eines einzelnen Subjekts ist der eigene besondere Inhalt, der in der Handlung verfolgt wird. (P4) Den besonderen selbstgegebenen Inhalt in der Handlung zu verfolgen bedeutet, in der Handlung seine Befriedigung zu finden. (K)
Also hat das einzelne Subjekt das Recht, „in der Handlung seine Befriedigung zu finden“.
Dieses Recht ist formal, da es völlig offenlässt, worin genau die besonderen Inhalte des subjektiven Willens bestehen, bestehen können und inwiefern sie vielleicht auch eingeschränkt werden dürfen. Allerdings grenzt Hegel diese besonderen Inhalte von der „objective[n] Besonderheit“ 18 ab. Damit ist gleich die Frage aufgeworfen, worin diese objektive Besonderheit genau bestehe. Hegel kann damit mindestens zwei Dinge meinen und ich gehe davon aus, dass er auch beides im Blick hatte. Sie kann zum einen die Besonderheit der natürlichen Umwelt und zum anderen die Besonderheit der sozialen Umwelt bedeuten. Dass die subjektive Besonderheit der objektiven entgegenstehen kann, lässt sich beispielhaft so verdeutlichen, dass es objektive Besonderheit ist, dass wir als natürliche und vulnerable Wesen Schmerzen zu meiden versuchen, und doch ist es möglich, dass Einzelne gerade ins Erleben von Schmerzen ihr Interesse setzen. Oder allgemeiner: Wenn A die Absicht hat, zu Φen, mit dem Φen allerdings notwendigerweise Folgen F einhergehen, die objektiv schlecht sind, dann hat A das Recht, diese Folgen für seine besondere Absicht zu Φen in Kauf zu nehmen oder als (für-sich) gut zu wollen. Was die inhaltliche Ausfüllung dieses formalen Rechts anbelangt, bedeutet diese Zulässigkeit des Gegensatzes gegen eine objektive Besonderheit zumindest, gewissen individuellen Vorlieben und Idiosynkrasien nachgehen zu dürfen. 19 Im folgenden § 122 führt Hegel nun die Begriffe des Wertes und des Interesses ein. Außerdem enthält dieser Paragraph Aussagen über das Verhältnis von Zwecken zu ihren Mitteln:
18 19
GW 14,1: § 121, 108. Wie weit Hegel eine rechtlich zulässige Besonderung individueller Interessen zugelassen hätte, ist nicht ganz klar. Unserer heutigen, auf Grundrechten basierten freiheitlich-demokratischen Verfassung hätte er wohl kaum zugestimmt. Allerdings zeigt das System der Bedürfnisse in der Sittlichkeit zumindest, dass Hegel eine gewisse Ausdifferenzierung von Interessen- und Bedürfnissystemen für wichtig erachtet hat. Siehe insgesamt kritisch zur Rolle von Grundrechten bei Hegel Siep 1992, 270–328.
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„§. 122. [1] Durch dieß Besondere hat die Handlung subjectiven Werth, Interesse für mich. [2] Gegen diesen Zweck, die Absicht dem Inhalte nach, ist das Unmittelbare der Handlung in ihrem weitern Inhalte zum Mittel herabgesetzt. [3] Insofern solcher Zweck ein endliches ist, kann er wieder zum Mittel für eine weitere Absicht u. s. f. ins Unendliche herabgesetzt werden.“ 20
Erst das Selbstgesetzte, Besondere, das man im eigenen Handeln verfolgt, macht den Wert für die Einzelne aus. Damit ergibt sich folgende Inhaltsbestimmung des Ausdrucks ›subjektiver Wert‹: Subjektiver Wert einer Handlung Eine Handlung hat subjektiven Wert für die Akteurin / den Akteur gdw die Handlung Verwirklichung ihres / seines eigenen, selbstgesetzten, besonderen Zwecks ist. Alternativ normiert Hegel diese Rede von dem ›subjektiven Wert‹ über den Ausdruck ›Interesse‹. In § 123 bestimmt er das Interesse dann weiter. Die unmittelbare Handlung, das unmittelbare Tun lässt sich neu charakterisieren, wenn man bedenkt, dass der subjektive Zweck das ist, um dessentwillen man handelt. Die Absicht dem Inhalt nach ist der subjektiv verfolgte Zweck. Wenn dieser Handlungszwischenschritte voraussetzt, dann sind diese ebenfalls inhaltlich bestimmt. Zugleich sind sie dann jedoch lediglich Mittel. Wenn man den Zweck verfolgt, einen Kuchen zu backen, dann sind bestimmte Zwischenschritte vonnöten, wie etwa das Kneten des Teigs, das Hinzugeben der Zutaten usw. Diese einzelnen Handlungen haben jedoch lediglich Mittelcharakter und sind nicht das primär intendierte Handlungsziel. Für den Fall, dass der verfolgte Zweck „endlich“ ist, lässt er sich wieder als Mittel zu einem weiteren Zweck ansehen. Damit können Ober- und Unterzweckverhältnisse hergestellt werden. Hegel vertritt nun in § 122 folgende These: Für alle endlichen Zwecke x gilt: Es ist möglich, dass ein weiterer Zweck y existiert, so dass x lediglich Mittel für y ist. 21 Weil nun also das in der Handlung Verfolgte das je individuell Besondere ist, hat die Handlung selbst, das Vollziehen der Handlung, „subjectiven Werth, Interesse für mich“. Der Wert einer Handlung besteht für den Einzelnen also darin, dass er mit der Handlung den selbstgesetzten Zweck verfolgt; darin liegt 20 21
GW 14,1: § 122, 108–109. Entsprechend würde für unendliche Zwecke x gelten: Es ist nicht möglich, dass ein weiterer Zweck y existiert, so dass x Mittel für y ist. Im nächsten Kapitel 6 wird hierauf eigens eingegangen werden, da, wie bereits in Kapitel 1 gezeigt, die Rechte selbst auch als Zwecke betrachtet werden müssen, dies allerdings im Sinne absoluter oder unendlicher Zwecke.
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sein Interesse. Die Unmittelbarkeit der Handlung, die noch in § 115 zu Beginn des Vorsatzes thematisch war, wird auf dieser Beschreibungsebene lediglich zum Mittel. Häufig interessiert uns nicht der Vollzug der Handlung selbst, sondern das damit Verfolgte, die weiteren Kausalfolgen etwa. Der folgende § 123 führt nun den Begriff des Wohls ein, beginnt aber mit einer formellen Inhaltsbestimmung der jeweiligen subjektiven Zwecke: „§. 123. [1] Für den Inhalt dieser Zwecke ist hier nur α) die formelle Thätigkeit selbst vorhanden, – daß das Subject bey dem, was es als seinen Zweck ansehen und befördern soll, mit seiner Thätigkeit sey; – wofür sich die Menschen als für das ihrige interessiren oder interessiren sollen, dafür wollen sie thätig seyn. [2] β) Weiter bestimmten Inhalt aber hat die noch abstracte und formelle Freyheit der Subjectivität nur an ihrem natürlichen subjectiven Daseyn, Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Meynungen, Einfällen u. s. f. [3] Die Befriedigung dieses Inhalts ist das Wohl oder die Glückseeligkeit in ihren besondern Bestimmungen und im Allgemeinen, die Zwecke der Endlichkeit überhaupt.“ 22
Hegel führt eine formelle und eine materiale Bestimmung der Inhalte des endlichen Zwecks an. Man muss bedenken, dass es um das Recht eines jeden Einzelnen, einer jeden Einzelnen geht, die eigenen besonderen Zwecke zu verfolgen. Damit tritt eine enorme Inhaltsvielfalt auf. Um also noch etwas über diese Inhalte sagen zu können, muss man notgedrungen abstrakt und formell formulieren. Die formelle Inhaltsbestimmung besagt nun, dass Menschen dasjenige tun, was Mittel zur Erreichung ihrer selbstgesetzten Zwecke ist. „Für den Inhalt dieser Zwecke ist hier nur α) die formelle Thätigkeit selbst vorhanden, – daß das Subject bey dem, was es als seinen Zweck ansehen und befördern soll, mit seiner Thätigkeit sey“.
Stellt man sich die Frage, worin denn genau der zuvor genannte Inhalt der Zwecke bestehe, dann verweist dieser Satz darauf, dass „hier“, das heißt auf der Ebene der Moralität, zunächst nur etwas Formelles ausgesagt werden kann, und zwar etwas Formelles über die Tätigkeit der Verfolgung des subjektiven Inhalts. Wie auch immer der jeweilige Handlungszweck inhaltlich genau bestimmt wird, er muss die Bedingung erfüllen, dass die Einzelne diesen handelnd zu verwirklichen sucht oder dass zumindest verstanden werden kann, dass die Handelnde in ihrem Tun einen Verwirklichungsversuch dieses Zwecks
22
GW 14,1: § 123, 109.
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sieht. 23 Mittels des Begriffs des Interesses und mit explizitem Bezug auf die Menschen erläutert Hegel dann: „wofür sich die Menschen als für das ihrige interessiren [. . . ] dafür wollen sie thätig seyn.“ 24 Es ist die Frage zu klären, ob Hegel aufgrund der Wendung „die Menschen“ eine empirische Aussage trifft der Art, dass viele oder sogar alle Menschen sehr häufig faktisch nach ihren Interessen handeln, oder ob er eine stärkere anthropologische These aufstellt, die besagt, dass Menschen notwendigerweise, ihrem Wesen nach, ihre Interessen verfolgen. 25 Angenommen, es handelte sich hierbei lediglich um eine empirische Behauptung. Dann wäre es möglich, dass viele Menschen gerade nicht dafür tätig werden wollen, wofür sie sich interessieren. Das wiederum würde bedeuten, dass Menschen sich zwar für etwas interessieren können, jedoch dafür nicht tätig werden wollen. In diesem Falle wäre nicht mehr einsichtig, weshalb überhaupt ein Recht der Subjektivität, in der eigenen Handlung Befriedigung zu finden, etabliert werden sollte, zumindest für diejenigen, für die die InteresseWollen-Handeln-Verbindung nicht gilt. Deshalb halte ich es stattdessen für die plausiblere Lesart, dass Hegel an dieser Stelle eine anthropologische Behauptung aufstellt, die nun in zwei Teilthesen zu analysieren ist. Demnach würde die erste Teilthese lauten: Sich für etwas interessieren bedeutet, dafür tätig werden zu wollen, und umgekehrt, für etwas tätig werden bzw. tätig werden wollen bedeutet, sich dafür zu interessieren. 26
23
24 25
26
Insofern halte ich Gethmanns Bestimmung von ›Handlung‹ als ›Zweckrealisierungsversuch‹ für zutreffend (Gethmann 2016, so bereits Gethmann 1999, 132). GW 14,1: § 123, 109. Meine Hervorhebungen. Hegel scheint hier – so eine alternative Deutung – einen begrifflichen Zusammenhang zwischen Interesse (Bewertung) und Motivation herzustellen, ganz ähnlich wie es David Lewis getan hat: „If something is a value, and if someone is one of the appropriate ‚we`, and if he is in ideal conditions, then it follows that he will value it. And if he values it, and if he desires as he desires to desire, then he will desire it. And if he desires it, and if this desire is not outweighed by other conflicting desires, and if he has the instrumental rationality to do what serves his desires according to his beliefs, then he will pursue it. And if the relevant beliefs are near enough true, then he will pursue it as effectively as possible. A conceptual connection between value and motivation, sure enough – but a multifariously iffy connection. Nothing less iffy would be credible. But still less is it credible that there is no connection at all.“ (Lewis 2000b, 72). Im Wollen bzw. im Handeln wird ein impliziter Geltungsanspruch erhoben, dass das, um dessentwillen man handelt, ein Grund dafür ist, so zu handeln. Schwächer erhebt man zumindest den Geltungsanspruch, dass es ein subjektiver Grund ist.
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Diese Rede von ›bedeutet‹ konstatiert nicht einfach einen semantischen Zusammenhang, sondern drückt eine normative Forderung aus. Die zweite Teilthese besagt nun: Menschen interessieren sich ihrem Wesen nach auch tatsächlich, wollen eben dafür tätig werden. Die erste Teilthese der normativen Forderung besagt, dass man jemandem, der etwa behauptet, sich zu interessieren, aber keine Anstalten macht, dafür tätig zu werden, entgegnen würde, dass er sich dann aber auch nicht interessiere. Wenn du dich wirklich interessierst, so könnte man sagen, dann solltest du auch tätig werden, zumindest versuchen, das, wofür du dich interessierst, auch umzusetzen. Man könnte dies eine Kohärenzforderung praktischer Rationalität nennen. Damit ist gemeint, dass jede Einzelne dasjenige, was ihr Zweck ist, auch handelnd verfolgen sollte. 27 Nimmt man nun die zwei Teilthesen zusammen, dann ergibt sich folgende anthropologische These: Es gehört wesentlich zum Mensch-Sein dazu, sich für etwas zu interessieren und dafür dann auch tätig werden zu wollen. Und da für etwas tätig werden wollen bedeutet, anzufangen zu handeln, gehört es wesentlich zum MenschSein dazu, für die eigenen Interessen tätig zu werden. 28 Die Kohärenzforderung praktischer Rationalität ist letztlich eine Ausbuchstabierung des Begriffs des Willens, dem die Selbstbestimmungs- und Selbstverwirklichungstendenz inhärent ist. Das Recht der Subjektivität, in der Handlung Befriedigung zu finden, lässt sich nun so reformulieren, dass die Einzelne das Recht hat, für das, für das sie sich interessiert, auch tätig werden zu können, da sie dafür tätig werden will. Sie will wiederum dafür tätig werden, da es für sie subjektiven Wert besitzt. Würde die Einzelne prinzipiell nicht das Recht haben, für das tätig zu werden, für das sie tätig werden will, wäre ihr die Verwirklichung ihres Willens verwehrt. Diese Verwirklichung wiederum ist aber gerade notwendige Bedingung für das Dasein der Freiheit: „Nur im Willen, als subjectivem, kann die Freyheit oder der an sich seyende Wille wirklich seyn.“ 29 Damit sind die Rechte der Subjektivität als formale Gelingensbedingungen für die Verwirklichung subjektiver Freiheit zu verstehen. Dies zeigt sich daran, 27
28
29
Oder bei Nichtverfolgen den Zweck aufgeben sollte. Hier wird noch nicht spezifiziert zwischen moralisch legitimen und moralisch illegitimen Zwecken. Hier kann die Frage offengelassen werden, ob dies ausschließlich für Menschen gilt oder aber allgemeiner für alle endlichen Vernunftwesen – wenn es denn andere als den Menschen gibt. GW 14,1: § 106, 99.
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dass Hegel den Objektiven Geist als Philosophie des Rechts, als Darstellung von Begriff und Gestalt des Rechts im Sinne des Daseins des freien Willens konzipiert hat. Der Begriff des Willens mit seinen drei Momenten ist dabei das grundlegende Prinzip. Jedoch muss dieser als freier Wille ein Dasein haben. Dasein erlangt der Wille jedoch nur über ein Ins-Dasein-Treten. Auf der Ebene der Moralität tritt der Wille in Form des Handelns einzelner Handlungssubjekte ins Dasein, genauer, er tritt durch die Zurechnung der Handlung als des Gewussten und Gewollten in seiner Tat ins Dasein. Aber wieso soll diese These formal sein und in welchem Sinne? Der Zusatz formal soll kennzeichnen, dass Hegel Merkmale der Subjektivität bestimmt, die lediglich die Struktur praktischer Rationalität betreffen und nicht konkrete Inhalte. Interessant ist, dass bereits diese formalen Merkmale Rechte generieren. Am Beispiel unserer Grundrechte kann man dies verdeutlichen. Das Recht auf Versammlungsfreiheit etwa (Art. 8 Abs. 1 GG) sichert jedem deutschen Staatsbürger zu, sich zu Zwecken der eigenen politischen Meinungsbildung zu versammeln. Angenommen, man versteht den subjektiven Zweck des Bürgers A, sich zu einem bestimmten Termin mit Genossen versammeln zu wollen, um über ein ganz bestimmtes politisches Problem zu diskutieren, als die inhaltliche Bestimmung seines Wollens. Dann besagt das Recht auf Versammlungsfreiheit, dass er diesem Zweck nachkommen darf. Nun setzt das Nachkommen dieses Zweckes jedoch ein unmittelbares Tätigwerden voraus. Das bereits aus der formalen Struktur des Handelns begründete Recht der Subjektivität würde schon dann verletzt werden, wenn zwar der Art. 8 Abs. 1 GG generell gelten würde, jedoch bestimmte notwendige Handlungsschritte für die Realisierung des Zwecks verunmöglicht würden. So könnte dem Bürger etwa verwehrt werden, die Versammlung zu planen oder über ihren genauen Gegenstand zu entscheiden. In diesem Falle wäre bereits gegen ein Recht verstoßen worden, das sich aus der bloß formalen Struktur des (qua endlicher Subjekte menschlichen) Handelns ergibt, und zwar gegen das Recht, in der Handlung einen subjektiven Wert zu verfolgen. Nun wurde bisher der Begriff des Wohls noch nicht eingeführt. Allerdings ist dieser notwendig, um die Sphäre der Absicht weiter zu bestimmen. In § 123 fährt Hegel mit einer weiteren Aussage zur inhaltlichen Bestimmung des je besonderen Willens fort: „[2] β) Weiter bestimmten Inhalt aber hat die noch abstracte und formelle Freyheit der Subjectivität nur an ihrem natürlichen subjectiven Daseyn, Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Meynungen, Einfällen u. s. f.“ 30
30
GW 14,1: § 123, 109.
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Neben der inhaltlichen Bestimmung, dass die Einzelne das, was ihr Wert ist, was sie interessiert, auch handelnd verfolgt, so dass die als Unterzwecke betrachteten Tätigkeiten inhaltlich durch den Oberzweck bestimmt werden, spricht Hegel nun noch von einer weiteren inhaltlichen Bestimmung. Man kann nämlich die Frage stellen, wie die Oberzwecke selbst inhaltlich bestimmt werden. Die, wie er es hier nennt, „abstracte und formelle Freyheit der Subjectivität“ besteht zunächst darin, dass der Einzelne seine Zwecke zwar selbst bestimmt, allerdings nur aus gegebenen Inhalten. Diese wiederum ergeben sich aus: 1) 2) 3) 4) 5)
Bedürfnissen Neigungen Leidenschaften Meinungen Einfällen
Diese machen insgesamt das „ natürliche[] subjective[] Daseyn“ eines jeden aus. Um etwas mehr Ordnung in diese Unterscheidungen zu bringen, lässt sich der Begriff des Zwecks nochmals unterteilen. Wenigstens dreierlei kann Gegenstand des Zwecks sein 31: a) Erreichung von Sachverhalten (= Ziele) b) Aufrechterhaltung von Sachverhalten (= Bedürfnisse) c) Verhinderung von Sachverhalten (= Bedürfnisse) Insbesondere Bedürfnisse, also die Aufrechterhaltung und die Verhinderung von Sachverhalten, sind für das Folgende von Relevanz, wenn Hegel den Begriff des Wohls einführt und definiert: „[3] Die Befriedigung dieses Inhalts ist das Wohl oder die Glückseeligkeit in ihren besondern Bestimmungen und im Allgemeinen, die Zwecke der Endlichkeit überhaupt.“ 32
Hegel spricht hier von der Befriedigung des natürlich gegebenen Inhalts, allerdings schlage ich vor, stattdessen von der Erreichung des Zwecks zu sprechen. Häufig mag die Erreichung des selbstgegebenen, natürlichen Zwecks, wie etwa des Ziels, den Hunger zu stillen, eine Befriedigung sein, allerdings ist die Erreichung eines Zwecks etwas weiter gefasst.
31 32
Hierbei folge ich Hartmann 1996. GW 14,1: § 123, 109.
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Wohl oder Glückseligkeit Die Erreichung endlicher Zwecke ist das Wohl. Insofern diese Zwecke Bedürfnisse sind, besteht das Wohl in der Aufrechterhaltung bzw. in der Verhinderung bestimmter Sachverhalte. Dass Hegel noch das Wohl „im Allgemeinen“ und in den „besonderen Bestimmungen“ unterscheidet, liegt daran, dass zwar für jeden Einzelnen gilt, dass sein Wohl in der Erreichung seiner Zwecke besteht. Allerdings sind der besondere Inhalt der jeweiligen Zwecke eines jeden Einzelnen und damit auch die besondere Ausgestaltung seiner Glückseligkeit jeweils verschieden. Wohlallgemein: Für alle Menschen x gilt: x findet sein Wohl / seine Glückseligkeit in der Erreichung seiner Zwecke. Wohlbesonders: Für den besonderen Menschen a gilt: a findet ihr Wohl / ihre Glückseligkeit darin, Jazztrompeterin zu sein, & nicht für alle Menschen x gilt: x findet sein Wohl / seine Glückseligkeit darin, Jazztrompeter zu sein. Zur Allgemeinheit gelangt man also, indem man die Bedeutung von ›Erreichung der eigenen Zwecke‹ nicht konkretisiert. Zugleich ist der reflexive Bezug durch „eigene“ oder auch „seine / ihre“ das Bindeglied, um der Besonderheit Rechnung zu tragen. Bis hierhin wird lediglich die je individuelle Perspektive eingenommen. Jede*r Einzelne hat jeweils das Recht auf Erfüllung des je eigenen Wohls. So, wie aber verschiedene Interessen ein und desselben Subjekts miteinander konfligieren können, wie dies in Kap. 1 bezüglich natürlicher Gründe gezeigt wurde, so können auch die Interessen verschiedener Subjekte miteinander konfligieren. Solange es diese Möglichkeit zum Konflikt gibt, ist die Willensbestimmung der Allgemeinheit noch nicht erreicht. In § 125 fährt Hegel daher nun mit einer Erweiterung des Wohlbegriffs fort: „§. 125. [1] Das Subjective mit dem besondern Inhalte des Wohls steht als in sich reflektirtes, unendliches zugleich in Beziehung auf das Allgemeine, den an sich seyenden Willen. [2] Dieß Moment, zunächst an dieser Besonderheit selbst gesetzt, ist es das Wohl auch Anderer, – in vollständiger, aber ganz leerer Bestimmung, das Wohl Aller.“ 33
Jede Einzelne hat das Recht der subjektiven Freiheit, als Besondere in ihren Handlungen ihr ganz besonderes Wohl zu erreichen. Zugleich gilt von jeder Einzelnen, dass sie einen Bezug zum an sich seienden Willen, zum Allgemeinen 33
GW 14,1: § 125, 111.
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hat. Dies ergibt sich daraus, dass das Subjekt als der an und für sich freie Wille, der für sich frei und damit in sich reflektiert ist, immer auch an und für sich freier Wille ist. Das für sich lässt sich zwar vom an sich unterscheiden, aber nicht trennen. Betrachtet man nun den Aspekt der Allgemeinheit in Verbindung mit dem Aspekt der Besonderheit, so zeigt sich die Allgemeinheit in der Besonderheit eines einzelnen Subjekts darin, dass sie das Wohl auch im Wohl anderer sucht. Teil unserer Selbstbestimmung besteht darin, dass wir in unserem Handeln nicht nur unser ganz individuelles Wohl suchen, sondern auch das Wohl anderer Mitmenschen. Die obige Bestimmung von Wohlallgemein war noch damit kompatibel, dass alle ihr jeweils ganz eigenes, besonderes Wohl im Handeln verfolgen. Daher gab es noch keine inhaltliche Bestimmung des allgemeinen Wohls. Der Bezug zur Allgemeinheit führt nun also dazu, dass der Inhalt des besonderen Wohls das Wohl anderer ist. Damit ist der Übergang zunächst dazu gemacht, dass mehrere Individuen denselben Inhalt zu ihrem Zweck haben und damit in derselben Sache ihr Wohl finden können. Dies lässt sich wie folgt zeigen: Wohlallgemein: Für alle Menschen x gilt: x findet sein Wohl in der Erreichung seiner Zwecke. Angenommen nun, A findet sein Wohl in Zweck Z1, B hingegen in Zweck Z2. Beide erfüllen also Wohlallgemein. Jetzt ist es möglich, dass gilt: A findet sein Wohl in dem Zweck, dass B ihren Zweck Z2 verfolgt. Damit findet A sein Wohl in der Erreichung von Z2. B findet jedoch auch ihr Wohl in Z2. Damit verfolgen bereits wenigstens zwei Individuen (A und B) ihr Wohl im selben Zweck Z2. Damit ist bereits ein erster Schritt zur inhaltlichen Allgemeinheit gemacht. Ein weiteres Bindeglied besteht in der moralischen Absicht. Insofern das Wohl anderer Mitmenschen, etwa von Familienangehörigen, Gegenstand der eigenen besonderen Zwecksetzung ist, insofern ist das Wohl anderer durch die subjektive Besonderheit bestimmt. Das Wohl anderer Die inhaltliche Selbstbestimmung kann als Zweckinhalt selbst wiederum das Wohl eines anderen Menschen haben. 34 Hegel fährt mit dem Wohl anderer fort:
34
Wenn man nun auch davon noch abstrahiert, dann gelangt man zu dem ganz allgemeinen Begriff des Wohls aller: Die inhaltliche Selbstbestimmung kann als Zweckinhalt das Wohl aller Menschen haben. So Hegel in der Parenthese.
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„[3] Das Wohl vieler anderer Besonderer überhaupt ist dann auch wesentlicher Zweck und Recht der Subjectivität.“ 35
Zunächst erweitert Hegel also das Recht der subjektiven Freiheit. Das Argument dafür lässt sich per Substitution im oberen Argument herstellen. Da Hegel in § 125 die Absicht des Wohls anderer eine „moralische Absicht“ nennt, lässt sich dieses Recht als Recht der moralischen Absicht bezeichnen: (P1) Das Recht ist das Dasein des freien Willens. (P2) Der freie moralische Wille hat Dasein gdw er seinen subjektiven Zweck handelnd verwirklicht. (P3) Der subjektive Zweck eines einzelnen Subjekts ist der eigene besondere Inhalt, der in der Handlung verfolgt wird. (P4) Der besondere selbstgegebene Inhalt kann in dem Wohl anderer bestehen. (K)
Also hat das einzelne Subjekt das Recht, in seinem Handeln das Wohl anderer zu verfolgen.
Dieses um das Wohl anderer erweiterte Recht der subjektiven Freiheit ist bereits eine Erweiterung hin zum an und für sich freien Willen: „[4] Indem sich aber das von solchem besondern Inhalt unterschiedene, an und für sich seyende Allgemeine hier weiter noch nicht bestimmt hat denn als das Recht, so können jene Zwecke des Besondern von diesem verschieden, demselben gemäß seyn, aber auch nicht.“ 36
Bisher sei jedoch das „ an und für sich seyende Allgemeine“ inhaltlich nur als Recht bestimmt worden. Zugleich sei dieses aber von dem bisherigen rechtlich geschützten besonderen Inhalt unterschieden. Aufgrund dieser Diskrepanz zwischen der eigenen Bestimmung als Recht und dem Inhalt des Rechts ist eine Lücke möglich zwischen dem Besonderen und dem an und für sich Allgemeinen. Das Besondere kann zwar durchaus dem Allgemeinen entsprechen, es kann diesem aber genauso gut auch nicht entsprechen. 37 Nun scheint es also möglich zu sein, dass mein besonderer Willensinhalt der Allgemeinheit widerspricht, so dass sich mit dem Recht der subjektiven Freiheit als Recht auf meine besondere Willensverwirklichung eine Handlung rechtfertigen ließe, die zugleich unmoralisch wäre. Dieser Möglichkeit widerspricht Hegel explizit im folgenden Paragraphen. 35 36 37
GW 14,1: § 125, 111. GW 14,1: § 125, 111. Auch ein Anführer einer kriminellen Vereinigung sorgt sich um die Seinen.
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„§. 126. [1] Meine sowie der Andern Besonderheit ist aber nur überhaupt ein Recht, insofern ich ein Freyes bin. [2] Sie kann sich daher nicht im Widerspruch dieser ihrer substantiellen Grundlage behaupten und eine Absicht meines Wohls, sowie des Wohls anderer, – in welchem Falle sie insbesondere eine moralische Absicht genannt wird, – kann nicht eine unrechtliche Handlung rechtfertigen.“ 38
Der erste Satz schränkt die Geltung des Rechts der Besonderheit ein, indem er auf die Begründung dieses Rechts verweist. Denn diese nimmt Bezug auf die Freiheit des Willens. Nur insofern man frei ist, lässt sich dieses Recht begründen. Es besteht also nicht ein absolutes Recht auf die Verwirklichung der eigenen Besonderheit, sondern nur insofern die eigene Besonderheit Verwirklichung der Freiheit ist. Hier ist es angebracht, auf bereits entwickelte Rechte des Abstrakten Rechts zu verweisen, die auf der Ebene der Moralität bereits als in Geltung befindlich angesehen werden können. Das Rechtsgebot (§ 36), eine Person zu sein und die anderen als Personen zu respektieren, verbietet unter anderem, das Eigentumsrecht anderer zu verletzen. Insofern ich also meine Besonderheit, ein Auto besitzen zu wollen, dadurch zu verwirklichen suche, dass ich das Auto eines anderen stehle, handle ich nicht als Person und damit auch nicht als Subjekt. Somit besteht bereits durch die etablierten Eigentumsund Vertragsrechte im Abstrakten Recht eine inhaltliche Beschränkung der eigenen besonderen Zwecksetzung. Die formal-rechtliche Beschränkung der Besonderheit: Die inhaltliche Zweckbestimmung Einzelner darf nicht Rechte des abstrakten Rechts verletzen. Insbesondere muss auch diese inhaltliche Bestimmung dem Rechtsgebot des abstrakten Rechts entsprechen. Neben dieser Rechtsbeschränkung, die sich aus dem abstrakten Recht ergibt, lässt sich noch eine moralische Beschränkung einführen, bedenkt man, dass sich auch auf Ebene der Moralität ein Moralgebot formulieren ließe: Sei ein Subjekt und respektiere die anderen als Subjekte! 39 Wenn man also bedenkt, dass die anderen Menschen ebenso freie, sich selbst bestimmende Wesen sind, die ebenfalls das Recht haben, ihre Besonderheit im Handeln zu verwirklichen, dann darf die eigene Zwecksetzung nicht der Mög38 39
GW 14,1: § 126, 112. So hat es auch Peperzak vorgeschlagen: „Though Hegel does not say this explicitly, we may apply the basic rule of abstract right (‚Be a person and respect all others as persons`, § 36) to the level of morality: Be a subject and respect all others as subjects!“ Peperzak 2001: 330.
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lichkeit der berechtigten Zwecksetzung des anderen im Wege stehen. Wenn man dies bedenkt, dann ergibt sich, dass eine Absicht des eigenen Wohls nicht als Rechtfertigung einer unrechtlichen Handlung dienen kann. Dies lässt sich durch ein Argument verdeutlichen: (P1)
Wenn die Verfolgung des eigenen Wohls ein Recht ist, dann wird das eigene Wohl in Hinblick auf die Freiheit betrachtet. (P2) Wenn das Wohl in Hinblick auf die eigene Freiheit betrachtet wird, dann darf man die Rechte anderer nicht verletzen. (A1) Wenn man die Absicht des eigenen Wohls verfolgt, dann kann man unrechtlich handeln, indem man Rechte anderer verletzt. (A2) Man verfolgt die Absicht des eigenen Wohls. (ZK) Man kann die Rechte anderer verletzen. (ZK2) Das Wohl wird in (A1) nicht in Hinblick auf die eigene Freiheit betrachtet. (ZK3) Die Verfolgung des eigenen Wohls in (A2) ist unrechtlich. (K)
Die Verfolgung des eigenen Wohls kann keine unrechtliche Handlung legitimieren.
Man kann also zwar ein Verständnis davon haben, das eigene Wohl zu verfolgen, unabhängig davon, ob dies rechtlich oder unrechtlich ist. Da es in den Grundlinien jedoch nur darum geht, worin bestimmte Gestalten des freien Willens bestehen, muss gezeigt werden, inwiefern die Verfolgung der eigenen Besonderheit auch ein Recht ist. Weil dieses jedoch nur in Hinblick darauf gezeigt werden kann, dass es den freien Willen verwirklicht, kann die Absicht des eigenen Wohls nicht zur Rechtfertigung einer unrechtlichen Handlung herangezogen werden. 40 Anders formuliert: Da das Recht des Wohls nur dann ein Recht ist, wenn es dem Dasein des freien Willen dient bzw. Dasein des freien Willens ist, abstrakte Rechte aber ebenfalls dem Dasein des freien Willens dienen bzw. Dasein des freien Willens sind, kann das Verfolgen des eigenen Wohls als Recht nicht den abstrakten Rechten entgegenstehen. Nun scheint es jedoch Fälle zu geben, die dieser Behauptung direkt widersprechen. Denn das Handeln aus Notwehr oder aus einem rechtfertigenden Notstand heraus scheint doch gerade zu besagen, dass man etwas Unrechtliches um des eigenen Wohls willen tun darf. Können damit dann aber nicht doch unrechtliche Handlungen durch die Absicht meines Wohls gerechtfertigt werden? 40
Damit hat Hegel ein Kriterium an die Hand gegeben, um bestehende positiv-rechtliche Bestimmungen zu kritisieren. Wenn sich von einer positiv-rechtlichen Norm zeigen lassen sollte, dass sie ein Recht auf das besondere Wohl einräumt, das unrechtliche Handlungen zu rechtfertigen vermag, dann hat man die Mittel an der Hand, um diese positiv-rechtliche Norm als unvernünftig zu kritisieren. Das ungebundene Hochtreiben von Mietpreisen in Großstädten wäre wohl ein Kandidat für eine solche Norm.
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Um diese Frage zu beantworten, müssen die §§ 127 und 128 des Abschnitts „Die Absicht und das Wohl“ betrachtet werden. Diese schränken die Selbstbeschränkung des Rechts des Wohls wieder ein, indem sie auf den Begriff der Not eingehen, der die Grenze der eigenen Fähigkeit betrifft, das Recht des Wohls als Recht überhaupt verfolgen zu können. Dies soll in einem eigenen Abschnitt behandelt werden. 5.2.2 Hegels Notstandslehre (§§ 127, 128) Dem bisherigen Recht des Wohls nach hat jeder das Recht, sein eigenes besonderes Wohl in seinem Handeln zu verwirklichen, zumindest das Recht dazu, sich an der Verwirklichung zu versuchen. Da aber jeder dieses Recht besitzt, ist dieses jeweils dadurch eingeschränkt, dass andere nicht in der Verwirklichung der eigenen Besonderheit behindert werden dürfen. Der gesamte Bereich des Privatrechts, den Hegel in seiner konkreteren Gestalt erst im System der Bedürfnisse in der „Bürgerlichen Gesellschaft“ behandelt 41, lässt sich durch dieses Verhältnis von Rechten zur Selbstverwirklichung und Pflichten, andere an ihrer Selbstverwirklichung nicht zu hindern, bestimmen. Dass es zu Kollisionen kommen kann und auch sehr häufig kommt, lässt sich an alltäglichen Beispielen zeigen, wenn etwa Nachbar A eines Mietshauses sein Wohl darin sucht, nachmittags sehr laut Musik zu hören, Nachbarin B hingegen zur selben Zeit das eigene Wohl darin sucht, konzentriert an einem Buch zu schreiben. Wie auch immer genau die Grenze zu bestimmen ist, wann wessen Handlung eine zivilrechtliche Schadenszufügung ist, in jedem Fall entsteht dadurch ein Konflikt, dass zwei Besondere jeweils ihr Recht des Wohls verfolgen und jeweils in ihrem Verfolgen des eigenen Wohls den anderen in seiner Rechtsausübung hindern. Das „Notrecht“, wie Hegel es nennt, geht nun auf eine Fallkonstellation ein, die zunächst nicht kontrovers ist, obgleich auch in diesem Fall ein Konflikt zwischen zwei Besonderen besteht. „§. 127. [1] Die Besonderheit der Interessen des natürlichen Willens in ihre einfache Totalität zusammengefaßt, ist das persönliche Daseyn als Leben.“ 42
Der natürliche Wille, also der Wille, der durch natürlich gegebene Bedürfnisse usw. bestimmt ist, hat besondere Interessen. Die Besonderheit der verschiedenen Interessen eines einzelnen Willenssubjekts lässt sich in einer Totalität zusammenfassen. Hegel versteht unter der Totalität nicht einfach die Summe 41 42
Siehe zum „System der Bedürfnisse“ GW 14,1: §§ 189–208, 165–174. GW 14,1: § 127, 112.
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aller einzelnen Interessen. Das „persönliche Daseyn“ besteht bezogen auf einzelne Interessen in der Besonderheit dieser einzelnen Interessen. Die Totalität hingegen soll in dem „ Leben“ bestehen. Darunter soll im Folgenden die Fähigkeit verstanden werden, überhaupt besondere Interessen zu entwickeln und zu verfolgen. „[2] Dieses in der letzten Gefahr und in der Collision mit dem rechtlichen Eigenthum eines andern hat ein Nothrecht (nicht als Billigkeit, sondern als Recht) anzusprechen, [2a] indem auf der einen Seite die unendliche Verletzung des Daseyns und darin die totale Rechtlosigkeit, [2b] auf der andern Seite nur die Verletzung eines einzelnen beschränkten Daseyns der Freiheit steht“. 43
Wenn das gesamte Leben eines Subjekts, als der Totalität seiner Besonderheit, in Gefahr ist und nur gerettet werden kann, wenn es mit dem Eigentumsrecht eines anderen kollidiert, dann ergebe sich, so Hegel, ein Notrecht für diejenige, deren Leben in Gefahr ist. Dabei handle es sich tatsächlich um ein Recht und nicht bloß um einen Billigkeitsgrundsatz. 44 Hegel bestimmt nun die beiden Rechtsverletzungen, die in einer solchen Fallkonstellation in Kollision geraten. Rechtsverletzung1: „die unendliche Verletzung des Daseyns“ 45 Rechtsverletzung2: „die Verletzung eines einzelnen beschränkten Daseyns der Freiheit“. Um ein Beispiel zu bemühen: A ist in den Bergen wandern und gerät in ein Unwetter. Regen und Wind werden immer stärker, A kann sich kaum noch sicher auf dem Wanderweg bewegen und droht jeden Augenblick an einem Hang abzurutschen. Als A eine Hütte sieht, beschließt sie, diese aufzubrechen, um darin Schutz zu finden. Die Hütte gehört allerdings B, deren Eigentumsrecht an der Hütte durch das Aufbrechen und den Gebrauch durch A verletzt wird. In diesem Fall besteht zunächst eine Rechtskollision. A hat ebenso wie B das Recht, ihre Besonderheit zu verwirklichen, worunter unter anderem das Bedürfnis fällt, das eigene Leben zu erhalten. Da dieses durch das Unwetter in Gefahr ist, macht A also Gebrauch von diesem Recht, indem sie in die Hütte einbricht. B hat jedoch ebenso das Recht, ihre Besonderheit zu verwirklichen, indem sie etwa anderen den Zutritt zu ihrer eigenen Hütte durch ein Schloss verwehrt. Wie bereits oben angemerkt, würde das Recht von B prima facie das Recht anderer übertrumpfen, da das Recht der Besonderheit keine unrechtlichen, das Recht anderer verletzenden Handlungen rechtfertigen können soll. 43 44
45
GW 14,1: § 127, 112. Dabei geht es um eine Forderung angemessener Anwendung. Zum ursprünglich hermeneutischen Prinzip der Billigkeit siehe Scholz 2001: 51–64. Diese Rechtsverletzung führe zur „totale[n] Rechtlosigkeit“.
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Nun handelt es sich hierbei jedoch um eine besondere Art von Kollision. Auf der einen Seite steht mit dem Leben der A ihre Rechtsfähigkeit insgesamt auf dem Spiel, auf der anderen Seite steht dem nur die Verletzung eines besonderen einzelnen Rechts der B, und zwar das Eigentumsrecht an der Hütte, entgegen. Nun ergibt sich eine Beschränkung der formal-rechtlichen Beschränkung der Besonderheit: Die inhaltliche Zweckbestimmung des Einzelnen darf nicht Rechte des abstrakten Rechts verletzen, es sei denn diese Rechtsverletzung dient selbst dem Zweck, die eigene Rechtsfähigkeit insgesamt zu schützen. Nun ist aber doch die Rechtsverletzung etwa des Eigentumsrechts eine Rechtseinschränkung. Daher fügt Hegel hinzu: „[3] wobey zugleich das Recht als solches und die Rechtsfähigkeit des nur in diesem Eigenthum Verletzten anerkannt wird.“ 46
Hiermit weist er darauf hin, dass diese Einschränkung des Rechts der Besonderheit das generelle Recht und die Rechtsfähigkeit des Eigentümers nicht etwa aberkennt. Mit dem Satz ›Man darf das Recht anderer verletzen, wenn diese Verletzung notwendiges Mittel ist, um die eigene Rechtsfähigkeit überhaupt aufrechterhalten zu können‹, wird nicht behauptet ›In diesem Fall verliert der ursprüngliche Eigentümer sein Eigentumsrecht‹. 47 Im positiven Recht zeigt sich dies etwa daran, dass weiterhin Kompensationsansprüche bestehen können und dass Einbruch weiterhin verboten ist. Es mag nämlich sein, dass A zwar strafrechtlich gerechtfertigt war, in die Hütte von B einzubrechen. Allerdings müsste A für den Schaden, den sie verursacht hat, dennoch aufkommen. 48 Eine besondere Schwierigkeit werfen die Fälle auf, in denen eine Rechtskollision besteht, bei der auf beiden Seiten der Verlust der Rechtsfähigkeit auf dem Spiel steht, wie etwa im Fall des Brettes des Karneades, einer Fallkonstellation, in der von zwei Personen nur eine wird überleben können, und das auf Kosten des Lebens der anderen Person. 49 Darf ich mein eigenes Leben retten, wenn das nur auf Kosten des Lebens eines anderen geht? Nun muss man hierbei Fälle unterscheiden, in denen beide Personen unverschuldet in die Situation geraten 46 47
48
49
GW 14,1: § 127, 112. Daher dürfte man streng genommen in der ersten Formulierung gar nicht schreiben, dass ein Recht verletzt würde. Ansonsten gäbe es gerechtfertigte Rechtsverletzungen, was einem hölzernen Eisen gleichkäme. Wichtig ist hier, dass eine Kompensation keine Strafe ist und im Gegensatz zu Letzterer im Falle der Kompensation kein Vorwurf ausgesprochen wird. Der klassische Fall ist überliefert bei Cicero De Officiis 3, 90.
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sind und sich nur aufgrund der Umstände zu knapper Lebensressourcen in dieser Notlage befinden, und Fälle, bei denen eine Person von einer anderen Person unrechtmäßig angegriffen wird und ihr Leben nur durch eine Notwehrhandlung retten kann, die möglicherweise den Tod der anderen Person zur Folge hat. Neben diesen Fällen der Notwehr regelt der sogenannte defensive Notstand die Rechtfertigung der Sachbeschädigung fremden Eigentums etwa im Falle eines das eigene Leben gefährdenden Angriffs durch das Eigentum einer anderen Person. 50 Die Fälle vom Typ „Brett des Karneades“ lassen sich allerdings auch dadurch nicht lösen. Gibt es denn nicht auch ein Recht, dass diese Konstellation zu lösen vermag? Dazu schreibt Hegel nun Folgendes: „§. 128. [1] Die Noth offenbart sowohl die Endlichkeit und damit die Zufälligkeit des Rechts als des Wohls, – des abstracten Daseyns der Freyheit, ohne daß es als Existenz der besondern Person ist, und der Sphäre des besondern Willens ohne die Allgemeinheit des Rechts.“ 51
Die Not, Hegel meint die Tatsache, dass Menschen in Notsituationen kommen, offenbare die Zufälligkeit des Rechts und sie offenbare die Zufälligkeit des Wohls. 1) Zufälligkeit des Rechts: Dass das Recht (des Wohls) nicht verletzt wird, ist von Zufällen abhängig. 2) Zufälligkeit des Wohls: Dass das Wohl erreicht und nicht etwa in der Verfolgung vereitelt wird, ist von Zufällen abhängig. Aber wieso sollte dies von Zufällen abhängig sein? Schaut man sich Notsituationen an, dann zeigt sich, dass es einem Zufall zu verdanken ist, wenn ein sich in Not befindlicher Bergsteiger gerade in meine Hütte einbricht, aber auch, dass das Unwetter gerade dann am schlimmsten ist, als er an meiner Hütte und nicht an der meines Nachbarn vorbeikommt. 52 Hegel formuliert die Endlichkeit des Rechts und des Wohls noch anders, und zwar als Gegensatz zwischen (i) abstraktem Dasein der Freiheit (im Eigentum, ohne die Besonderheit der Person) und (ii) der Sphäre des besonderen Willens (in der Not, ohne die Allgemeinheit des Rechts). „[2] Ihre Einseitigkeit und Idealität ist damit gesetzt, wie sie an ihnen selbst im Begriffe schon bestimmt ist; [3] das Recht hat bereits (§. 106.) sein Daseyn als 50 51 52
In Kapitel 6.3.1 werde ich auf den defensiven und auch den aggressiven Notstand eingehen. GW 14,1: § 128, 113. Auch hier geht es also um Zufall im Sinne der Koinzidenz.
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den besondern Willen bestimmt, und [3a] die Subjectivität in ihrer umfassenden Besonderheit ist selbst das Daseyn der Freiheit, (§. 127.) [3b] so wie sie an sich als unendliche Beziehung des Willens auf sich das Allgemeine der Freiheit ist.“ 53
Die Einseitigkeit, die in Notsituationen als Rechtskollision auftritt, ist selbst Resultat der bisherigen Begriffsbestimmung des Rechts. Das Dasein des Rechts ist auf Ebene der Moralität der besondere Wille. Die Subjektivität lässt sich einmal unter dem Aspekt ihrer „umfassenden Besonderheit“ und einmal unter dem Aspekt der „unendliche[n] Beziehung des Willens auf sich“ betrachten. Im ersten Fall ergibt sich in bestimmten Situationen das Notrecht, im zweiten Fall als „Allgemeinheit der Freiheit“ das Recht auf Eigentum und der besondere, individuelle Umgang mit demselben. 54 Oder anders formuliert: Das Dasein der besonderen Freiheit besteht in der „umfassenden Besonderheit“ eines Einzelnen, das Dasein der allgemeinen Freiheit hingegen in dem Eigentum eines Einzelnen. Insofern zeigt die Tatsache, dass es Notsituationen gibt, dass das Recht, zumindest soweit es bisher entwickelt wurde, selbst endlich ist, und zwar endlich in dem Sinne, dass es in seiner Rolle als Verwirklichung des freien Willens Grenzen hat. Das bedingte Recht des Notstands ergibt sich aus folgendem Argument: (P1) Es ist prima facie verboten, gegen abstraktes Recht zu verstoßen. (P2) Jeder hat das Recht, die eigene Besonderheit zu erhalten. (P3) Die Fähigkeit, überhaupt ein selbstverwirklichendes Subjekt zu sein, ist ein höheres Recht als einzelne abstrakte Rechte (wie etwa Eigentumsrechte). (K)
Wenn die Fähigkeit, überhaupt selbstverwirklichendes Subjekt zu sein, gefährdet ist, dann ist ein Handeln, das prima facie gegen ein abstraktes Recht verstößt, gerechtfertigt.
Damit gehe ich zum Abschnitt „Das Gute und das Gewissen“ über, der nun abschließend als Hegels Bestimmung des Unrechtsbewusstseins dargelegt werden soll. Erst wenn eine Person (im weiten Sinne) verantwortlich und nicht gerechtfertigt gegen eine Norm verstoßen hat, von der sie wusste und in deren Vernünftigkeit sie Einsicht besaß, ist sie in vollem Umfang moralisch verantwortlich.
53 54
GW 14,1: § 128, 113. Man bedenke, dass das Recht auf Eigentum, auch das auf den eigenen Körper, überhaupt erst die Verwirklichung der eigenen subjektiven besonderen Zwecke ermöglicht.
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5.3 Das Gute und das Gewissen (kognitiv-evaluative Willenskomponente) In dem letzten Satz des Abschnitts „Die Absicht und das Wohl“ führt Hegel die Begriffe des Guten und des Gewissens ein, wobei die inhaltliche Bestimmung dieser Begriffe darin besteht, dass die bisherigen gegensätzlichen Begriffe der Allgemeinheit und der Besonderheit der Freiheit in Relation zueinander bestimmt werden. „[4] Die beyden Momente an ihnen so zu ihrer Wahrheit, ihrer Identität, integrirt, aber zunächst noch in relativer Beziehung auf einander, sind das Gute, als das erfüllte, an und für sich bestimmte Allgemeine, und das Gewissen, als die in sich wissende und in sich den Inhalt bestimmende unendliche Subjectivität.“ 55
Demnach ist das Gute das Allgemeine, aber in Relation zur Besonderheit jedes Einzelnen, die Verwirklichung des Wohls eines jeden einzelnen unter gleichzeitiger Wahrung der Allgemeinheit. Umgekehrt ist das Gewissen die subjektive besondere Selbstbestimmung in Relation zur eigenen Allgemeinheit, unendliche Subjektivität zu sein. Das Gute: „das erfüllte, an und für sich bestimmte Allgemeine“ Das Gewissen: „die in sich wissende und in sich den Inhalt bestimmende unendliche Subjectivität“ Zwar standen bereits mit den Begriffen des Interesses, des subjektiven Wertes und des Wohls evaluative Ausdrücke im Vordergrund, allerdings ist es erst der Begriff des Guten, der eine objektive Bedeutung der evaluativen Seite des Willens einführt. Bisher oblag die inhaltliche Bestimmung des „Guten“ im Sinne des Wohls, des subjektiven Wertes einer Handlung, jedem einzelnen Handlungssubjekt. Jede Einzelne bestimmt selbst, was ihr wichtig ist und wofür sie handeln will. Damit hat man zwar in gewissem Sinne auch bereits eine Bedeutung von ›gut‹, allerdings nur eine, deren Bedeutung so etwas besagt wie ›gut für mich‹. Für das Folgende werden lediglich einige Aspekte dieses Abschnitts eine Rolle spielen, und zwar nur insofern, als sie noch als Elemente der hegelschen Theorie von Verantwortung verstanden werden können. Zentral dafür ist das Recht des subjektiven Willens, wie es in § 132 eingeführt wird.
55
GW 14,1: § 128, 113.
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5.3.1 Das Recht auf Einsicht in das Gute Die „ in sich wissende und in sich den Inhalt bestimmende unendliche Subjectivität“ ist nun das bestimmende Prinzip des Rechtes auf Einsicht in das Gute. Wie gerade gezeigt, hatte die Subjektivität bereits auf Wohlebene das Recht der Bestimmung des ›für mich Guten‹. Allerdings bestand bei dieser bloß subjektiven Bestimmung der Wert einer Handlung oder einer Handlungsfolge darin, dass sie lediglich individuell-besonderen Interessen folgte, die sich aus teils bloß gegebenen Inhalten ergeben. Da sich jedoch das Wohl und die Wohlbefriedigung aufgrund seiner Endlichkeit und Zufälligkeit rechtlich nur in gewissen Grenzen hält und selbst im Falle des Wohls aller Besonderheit und Allgemeinheit nicht miteinander in Einheit zu bringen vermag, entwickelt Hegel den Begriff des Guten und den der dieses Gute wissenden Subjektivität. Um aber diese beiden Seiten – das Gute und das Wissen davon – in Einheit zu bringen, benötigt es wieder ein Recht: „§. 132. [1] Das Recht des subjectiven Willens ist, daß das, was er als gültig anerkennen soll, von ihm als gut eingesehen werde, und [2] daß ihm eine Handlung, als der in die äußerliche Objectivität tretende Zweck, nach seiner Kenntniß von ihrem Werthe, den sie in dieser Objectivität [hat], als rechtlich oder unrechtlich, gut oder böse, gesetzlich oder ungesetzlich zugerechnet werde.“ 56
In der Analyse der Verantwortung, die die kausale Verantwortung, das Wissen des eigenen Tuns und den Ausschluss des Zufalls enthielt, war immer vorausgesetzt worden, dass die jeweils in Frage stehende Handlung einen Wert besaß. Aber erst an dieser Stelle lässt sich diese Rede vom Wert der Handlung selbst entwickeln. Die Zurechnung einer Handlung bekommt auf dieser Ebene den zusätzlichen Aspekt eines bestimmten Wertes der Handlung. Man rechnet jemandem nun nicht mehr nur den Vollzug etwa einer Brandstiftung zu, sondern die Straftat der Brandstiftung und lässt auf Grundlage dieses negativen Wertes der Handlung einen Vorwurf im Recht etwa in Form einer Strafe folgen. Die Einzelne muss nun aber das Recht auf Einsicht in den Wert der jeweiligen Handlung besitzen. Damit entspricht dieses Recht ganz dem Recht des Wissens, wobei es nun um die objektiven Eigenschaften im Sinne des sozial festgelegten Wertes der Handlung geht. Dies lässt sich wieder als ein Anfechtungsrecht verstehen, wie es der Folgesatz [2] indirekt nahelegt. Denn wenn man jemandem eine Tat mit einem bestimmten Wert w nur dann 57 zurechnen 56 57
GW 14,1: § 132, 115. Ich lese das „nach seiner Kenntnis“ als notwendige Zurechnungsbedingung, also im Sinne von ›nur, wenn er davon weiß bzw. hätte davon wissen können‹.
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darf, wenn er Kenntnis von diesem Wert w besaß, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass der Einzelne die Zurechnung einer Handlung unter dieser Wertbestimmung anfechten kann, wenn er eben diese Kenntnis nicht besaß. Damit ist mit einem fehlenden Unrechtswissen oder Unrechtsbewusstsein ein weiterer Anfechtungsgrund eingeführt. Argumentativ ergibt sich dieses Recht aus den §§ 129 und 131. „Das Gute ist die Idee, als die Einheit des Begriffs des Willens und des besondern Willens“ 58. Diese Einheit wird dann erfüllt sein, wenn der besondere Wille den Willen qua Begriff will. Dafür muss er aber wissen, was der Wille an sich ist. Diese Diskrepanz zwischen besonderem Willen und dem Begriff des Willens ergibt sich nach § 131 daraus, dass bisher nur die „ abstracte Idee des Guten“ 59 entwickelt wurde. Solange man das Gute nur abstrakt betrachtet, steht der besondere Wille „in einem Verhältniß zu demselben und zwar in dem, daß das Gute, für denselben das Substantielle seyn, – daß er dasselbe zum Zwecke machen und vollbringen soll, – wie das Gute seinerseits nur im subjectiven Willen die Vermittlung hat, durch welche es in Wirklichkeit tritt.“ 60 Das Recht des subjektiven Willens oder, wie von jetzt an gesagt werden soll, das Recht auf Einsicht in das Gute, lässt sich nun begründen über das antinomische Verhältnis zwischen dem Begriff des Willens und dem je besonderen Willen: Begriff des Willens: Der freie Wille, der den freien Willen will und somit das Gute vollbringen soll. Der besondere Wille: Das Gute kann nur durch den subjektiven, also den besonderen Willen vermittelt verwirklicht werden. Dieser kann aber unwissend bzgl. des Guten sein. Bedenkt man wieder, dass das Recht gerade darin besteht, „ Daseyn des freien Willens“ zu sein, dann lässt sich das Recht des subjektiven Willens als erste Form der Aufhebung dieser Antinomie verstehen. Das Argument für das Recht auf Einsicht in das Gute: (P1) Der subjektive Wille soll das Gute zum Zweck haben und vollbringen. (P2) Als besonderer Wille kann es jedoch sein, dass der subjektive Wille nicht weiß, was das Gute ist, oder eine falsche Ansicht darüber besitzt. (K) 58 59 60 61
Der subjektive Wille hat das Recht auf Einsicht in das Gute. 61
GW 14,1: § 129, 114. GW 14,1: § 131, 114. GW 14,1: § 131, 114–115. Halbig 2009, 96 vertritt die These, dass diese Rede von „Recht von“ nicht eine „materialnormative“ These sei, sondern eine metaethische über die Struktur praktischer Rationalität. Diese These verstehe ich so, dass sie auch für all die früheren bereits diskutierten Rechte der Moralität gelten soll. Auch wenn vielleicht nebenher metaethische Thesen über die Struktur
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Anders formuliert bedeutet dieses Recht, dass der Einzelne ein Recht auf das hat, was Bedingung dafür ist, tun zu können, was er tun soll. Hegel gibt als allgemeine evaluative Charakterisierung einer Handlung ihren Wert an, „den sie in dieser Objectivität [hat]“. Er gibt nun in [2] drei Arten von binären Wertbegriffen an, die den Wert einer Handlung bestimmen können: (i) rechtlich / unrechtlich (Abstraktes Recht) 62 (ii) gut / böse (Moralität) (iii) gesetzlich / ungesetzlich (Sittlichkeit) In der Anmerkung geht Hegel darauf weiter ein. Interessant ist insbesondere, dass er das Recht auf Einsicht in das Gute parallelisiert, aber auch kontrastiert mit dem Recht auf Einsicht in das, was naturgesetzmäßig in der raumzeitlichen Welt gilt. „Das Recht, nichts anzuerkennen, was Ich nicht als vernünftig einsehe, ist das höchste Recht des Subjects, aber durch seine subjective Bestimmung zugleich formell, und das Recht des Vernünftigen als des Objectiven an das Subject bleibt dagegen fest stehen.“ 63
Zunächst gibt Hegel mit dieser Stelle eine alternative Formulierung des Rechts. Ich habe das Recht, nichts anzuerkennen, was ich nicht als vernünftig einsehe, muss also etwas nicht anerkennen, wenn ich es nicht als vernünftig einsehe. Dies sei das „höchste Recht des Subjects“. Wenn ich für eine schlechte Tat verantwortlich gemacht werde, ohne den Wert dieser Handlung als unvernünftig einzusehen, dann würde dieses Recht besagen, dass ich Gründe 64 dafür einfordern dürfte, weshalb diese Tat denn schlecht sei. Man muss mir also ein-
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praktischer Rationalität relevant sind, scheint mir der hegelsche Text eindeutig materialnormative Thesen zu entwickeln. Dafür spricht auch, dass die Formulierungen nicht nur der Oberfläche nach, sondern auch inhaltlich sinnvolle material-normative Aussagen darstellen. Erst auf dieser Stufe der Entwicklung lässt sich sagen, dass eine Handlung nach ihrem abstrakt-rechtlichen, moralischen oder sittlichen Wert bestimmt wird. Siehe im Gegensatz dazu Alznauer 2015 und die Kritik in Meyer 2017d. GW 14,1: § 132 Anm., 115. Die Rechtsphilosophie selbst steht auch im Dienst dieses Rechts, dient sie doch dem Zweck, Einsicht in die Vernünftigkeit bestehender sozialer Praxen zu ermöglichen. So auch in der Vorrede: „Es ist ein großer Eigensinn, der Eigensinn, der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist, – und dieser Eigensinn ist das Charakteristische der neueren Zeit, ohnehin das eigentümliche Prinzip des Protestantismus. Was Luther als Glauben im Gefühl und im Zeugnis des Geistes begonnen, es ist dasselbe, was der weiterhin gereifte Geist im Begriffe zu fassen und so in der Gegenwart sich zu befreien und dadurch in ihr sich zu finden bestrebt ist.“ (GW 14,1: 16). Sofern man Gründe als Tatsachen betrachtet, bedeutet diese Redeweise des Einforderns, dass man einfordert, gesagt zu bekommen, was die Gründe sind.
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sichtig machen, dass diese Handlung auch tatsächlich diesen Wert hat. Darüber hinaus hat dieses Recht auch eine Anfechtungsfunktion, die Zuschreibung einer schlechten Tat zurückzuweisen. Zugleich soll aber auch ein Recht der Objektivität bestehen, das vom Einzelnen einfordert, dass er das Gute auch als solches einsehe. „[1] Wegen ihrer formellen Bestimmung ist die Einsicht eben sowohl fähig, wahr, als bloße Meynung und Irrthum zu seyn.“ 65
Ähnlich, wie der Einzelne Überzeugungen von den unmittelbaren Handlungsumständen und den Folgen des eigenen Tuns haben kann, die sich als falsch herausstellen, ist es möglich, dass die Überzeugung der Einzelnen über den objektiven Wert ihrer Handlung falsch ist. 66 Neben dem Tatbestandsirrtum, so könnte man sagen, bedenkt Hegel also auch einen Verbotsirrtum. 67 Zur Frage danach, wie sich sicherstellen lässt, dass die Einzelne die richtige Einsicht erlangt, sagt Hegel: „[2] Daß das Individuum zu jenem Rechte seiner Einsicht gelange, dieß gehört nach dem Standpunkte der noch moralischen Sphäre, seiner besondern subjectiven Bildung an.“ 68
Ob man also tatsächlich Wissen vom objektiv Guten erlangt, hängt auf Ebene der Moralität von besonderen Merkmalen ab, von der „besondern subjectiven Bildung“. Hier spielen beispielsweise die Sozialisation und der Bildungshintergrund eine große Rolle. Diese Beliebigkeit wird für Hegel jedoch auf Ebene der Sittlichkeit aufgehoben:
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GW 14,1: § 132 Anm., 115. Hier wird die Parallele zum Recht des Wissens deutlich. Jedoch ergibt sich die Möglichkeit falscher Überzeugungen vom Guten nicht aus unserer epistemischen Endlichkeit, sondern aus der bis hierhin entwickelten formellen Bestimmung dieser Einsicht. Insofern ließe sich Hegels Konzeption kognitivistisch nennen (Quante 2013a). Jedoch ist diese Rede Hegels noch offen gegenüber der Frage, was ›wahr‹ in diesem Zusammenhang genau bedeutet und worin die Wahrheit einer Aussage über den Wert einer Handlung besteht. Je nachdem wie man eine non-kognitivistische Ethik entwickelt, wäre diese mit Hegels Ansatz kompatibel und Hegels Abneigung gegenüber Verdinglichungen etwa würde eher dafürsprechen, dass er keinen Kognitivismus im klassischen Sinne vertritt. Das bedeutet, man müsste unter Kognitivismus einen realistischen Objektivismus verstehen. Dann wäre Hegels Konzeption ein nicht-realistischer Objektivismus. An der Terminologie soll nicht so viel hängen, was mir klar zu sein scheint, ist, dass Hegel objektive Geltungsmaßstäbe für moralische Aussagen akzeptiert. Siehe hierzu etwa Böning 1978. GW 14,1: § 132 Anm., 115.
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„Durch die Oeffentlichkeit der Gesetze und durch die allgemeinen Sitten benimmt der Staat dem Rechte der Einsicht die formelle Seite und die Zufälligkeit für das Subject, welche dieß Recht auf dem dermaligen Standpunkte noch hat.“ 69
Im nächsten Kapitel wird noch zu klären sein, was es eigentlich genau bedeuten soll, dass man sich auf dem Standpunkt des Moralischen befindet. Allerdings lässt Hegel bereits hier eine Lesart des Rechts auf Einsicht in das Gute zu, die die Erfüllung dieses Rechts nicht einfach dem Zufall überlässt. Hegel fährt zunächst fort: „[5] Dieses Recht der Einsicht in das Gute ist unterschieden vom Recht der Einsicht (§. 117.) in Ansehung der Handlung als solcher; das Recht der Objectivität hat nach dieser die Gestalt, daß da die Handlung eine Veränderung ist, die in einer wirklichen Welt existiren soll, also in dieser anerkannt seyn will, sie dem, was darin gilt, überhaupt gemäß seyn muß. Wer in dieser Wirklichkeit handeln will, hat sich eben damit ihren Gesetzen unterworfen, und das Recht der Objectivität anerkannt.“ 70
Hierbei handelt es sich zunächst lediglich um eine Wiederholung des Rechts des Wissens oder auch des Rechts auf Einsicht in die allgemeinen Eigenschaften der eigenen Tat. Diese Stelle macht deutlich, dass Hegel durchaus auch im uneigentlichen Sinne vom Recht der Objektivität spricht (s. Kap. 3.2.3). 71 Denn die Gesetze, die in der Wirklichkeit gelten und denen man sich unterwerfe, sobald man anfange zu handeln, sind gerade die Naturgesetze. Diese Gesetze aber Rechte zu nennen ist insofern missverständlich, als sie gar nicht verletzt werden können. Allerdings kann weiterhin der zweite obige Vorschlag aufrechterhalten bleiben, dass man zwar nicht gegen die Naturgesetze verstoßen kann, dass man aber ein Recht im eigentlichen Sinne haben kann, und zwar dasjenige, über diese informiert zu werden. Natürlich erlangen wir einen Großteil unseres Wissens, größtenteils in Form eines know how, über die Gesetzmäßigkeiten der äußeren Welt dadurch, dass wir handeln. Aber manches müssen wir durch Erziehung und schulische Bildung erst beigebracht bekommen. Ebenso dienen manche Pflichten, etwa die Pflicht, die Gefährlichkeit bestimmter Substanzen, zum Beispiel bei Arzneien, schriftlich anzugeben, gerade diesem Recht auf Wissen. Nun hat Hegel allerdings den Abschnitt damit begonnen, dass das Recht auf Einsicht in das Gute etwas anders gelagert ist. So wie die natürliche äußere Welt 69 70 71
GW 14,1: § 132 Anm., 116. GW 14,1: § 132, 115–116. In Kap. 3 war die uneigentliche Rede vom Recht der Objektivität so beschrieben worden: Die Natur behauptet sich gegen den Einzelnen und hat in dem Sinne ein Recht gegen diesen.
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nach Gesetzen verlaufe, die man notgedrungen im Handeln anerkennen muss, sofern man im Handlungsvollzug erfolgreich sein will, so gibt es eine ähnliche Form von Objektivität in der sozialen Welt: „[6] Gleicherweise hat im Staate, als der Objectivität des Vernunftbegriffs, die gerichtliche Zurechnung nicht bey dem stehen zu bleiben, was einer seiner Vernunft gemäß hält, oder nicht, nicht bey der subjectiven Einsicht in die Rechtlichkeit oder Unrechtlichkeit, in das Gute oder Böse, und bey den Foderungen, die er für die Befriedigung seiner Ueberzeugung macht.“ 72
Der Staat ist ebenfalls eine Objektivität, und zwar die „ Objectivität des Vernunftbegriffs“. Auch für diese soziale Objektivität gilt, dass die bloß subjektive Einsicht nicht einfach gilt, sondern nur, insofern sie dieser Objektivität auch entspricht. Ein Richter kann nicht berücksichtigen, wovon der Einzelne denn so meint, was vernünftig sei oder nicht. Man könnte sagen, wie es ein Scheitern im Handlungsvollzug aufgrund der Eigenschaften der Welt gibt, so auch ein Scheitern im Handlungsvollzug aufgrund der Eigenschaften der sozialen Welt. Auch diese folgt Gesetzmäßigkeiten, die dem Einzelnen eine ähnliche Widerständigkeit entgegenbringen mag wie die naturgesetzliche Welt. Durch Polizeigewalt in Gewahrsam genommen zu werden, mag ebenso widerständig sein wie die harte Wand, gegen die ich renne. Nun lässt sich allerdings schon fragen, ob sich diese objektive soziale Welt mit ihren Regeln und Gesetzen gegen den Einzelnen ebenso behauptet, und zwar zu Recht, wie die natürliche Welt. Da das Recht auf Einsicht in das Gute weiterhin besteht, fragt sich daher, welche Form es auf Ebene eines Rechtssystems annimmt. „[7] In diesem objectiven Felde gilt das Recht der Einsicht als Einsicht in das Gesetzliche oder Ungesetzliche, als in das geltende Recht, und sie beschränkt sich auf ihre nächste Bedeutung, nemlich Kenntniß als Bekanntschaft mit dem zu seyn, was gesetzlich und insofern verpflichtend ist.“ 73
Auf der Ebene der Objektivität des Vernunftbegriffs gebe es also ein Recht auf Einsicht in das Gesetzliche: (P1) Subjekte sollen das Gute zum Zweck machen und vollbringen. (P2) Als besonderer Wille kann es jedoch sein, dass Subjekte nicht wissen, was das Gute ist. (P3) Auf Ebene eines Rechtssystems steht das Gute für das Gesetzliche. (K) 72 73
Subjekte haben das Recht auf Einsicht in das Gesetzliche.
GW 14,1: § 132 Anm., 116. GW 14,1: § 132 Anm., 116.
Hegel-Studien
Das Gute und das Gewissen (kognitiv-evaluative Willenskomponente)
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Mit diesem Recht auf Einsicht in das Gesetzliche hat Hegel die moralische Grundlage für das Gesetzlichkeitsprinzip geschaffen. Diesem Prinzip gemäß ist es eine notwendige Bedingung für die Strafbarkeit einer Tat Φ, dass es zum Zeitpunkt der Begehung von Φ bereits ein Gesetz gab, das Φ unter Strafe stellt. Im deutschen Rechtssystem ist dies in der Verfassung durch folgende Norm sichergestellt: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ 74
Das darin ausgedrückte Gesetzlichkeitsprinzip hat eine vierfache Bedeutung. Für das jeweilige Strafgesetz gilt: i) ii) iii) iv)
Es muss niedergeschrieben sein (lege scripta). Es muss hinreichend bestimmt formuliert sein (lege certa). Es darf nicht rückwirkend angewandt werden (lege praevia). Es darf nicht zuungunsten der Täterin per Analogie argumentiert werden (lege stricta).
Mit dem Recht auf Einsicht in das Gesetzliche sichert Hegel das, was H. L. A. Hart den internal aspect von Rechten genannt hatte, und zwar den Aspekt, mittels dessen sich allererst Regeln von Gewohnheiten unterscheiden lassen. Für Regeln ist es wesentlich, dass ihnen die ihnen Unterliegenden zustimmen, sie als Regeln mit etwaigen Folgen anerkennen. Diese Form der Anerkennung setzt jedoch voraus, dass die Einzelne das, was sie anerkennen soll, kennt, dass sie also Einsicht in das Gesetzliche hat. Im Unterschied zu Hart, der den internal aspect als Bedingung dafür, dass etwas überhaupt Recht ist, bestimmt, ist die Werteinsicht bei Hegel selbst bereits als Recht formuliert. 75 Bis hierhin ist das Recht auf Einsicht in das Gute und Gesetzliche so konzipiert worden, dass es auf Seiten etwa eines Rechtssystems die Pflicht enthält, Gesetze bekannt zu machen. Wer diese Pflicht auf welche Weise im Bereich der Moral für das Gute, im Gegensatz zum Gesetzlichen als Wert des geltenden Rechts, besitzt, ist weniger eindeutig. Möglicherweise wäre dies eine am Gemeinwesen interessierte Öffentlichkeit, prinzipiell aber sind es alle mündigen Mitglieder eines Gemeinwesens. Die Seite des Gewissens übernimmt meines Erachtens die Funktion, auf Seiten des Subjekts eine Pflicht zu generieren, selbst daran mitzuarbeiten, worin das Gute besteht. Es ist nicht einfach ein gegebenes Gutes, zu dem uns nun die Einsicht ermöglicht werden muss, sondern
74 75
GG Art. 103 II. Zu Harts Rechtsbegriff siehe Hart 2011 und Watkins-Bienz 2004.
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Rechtfertigung und moral blame (evaluative Willenskomponente)
die Frage, worin das Gute besteht, ist selbst Teil eines immer wieder erneuerten Aushandlungs- und Reflexionsprozesses. 76 Nun tauchte bereits im Zusammenhang mit der Absichtsthematik (Kapitel 3) die Rede von Pflichten auf, als es darum ging, Sorgfaltspflichten zu bestimmen. Streng genommen ist diese Rede von Pflichten jedoch erst ab § 133 möglich, da Hegel erst hier den Pflichtbegriff einführt. Dieser Begriff erlaubt es dann, neben der Begründung von Sorgfaltsanforderungen und der Arbeit am Guten die Verantwortung für Unterlassungen zu begründen, die als solche bisher unerwähnt geblieben war. 5.3.2 Der Begriff der Pflicht (§ 133) Der Begriff der Pflicht ist das Bindeglied zwischen besonderer und allgemeiner Subjektivität. Entsprechend der Form des Wollens kann als Form der Pflicht angegeben werden: Etwas x ist eine Pflicht eines Subjekts S zu etwas y gdw gilt: x ist eine objektiv-vernünftige Forderung an S, y zu verwirklichen. Erst der Begriff der Pflicht macht vollends verständlich, weshalb wir einander überhaupt für Handlungen verantwortlich machen. Denn letztlich gibt erst der Verstoß gegen eine Norm, die Pflichtwidrigkeit einer Handlung, den Anlass, die Frage zu stellen, ob ein Subjekt für diesen Normverstoß als solchen verantwortlich ist. Und um diesen Anlass zu verstehen, müssen wir verstehen, wie sich die Pflicht ergibt, gegen die im Falle eines Normverstoßes gehandelt wird. Hegel fährt in § 133 fort: „[1] Das Gute hat zu dem besondern Subjecte das Verhältniß, das Wesentliche seines Willens zu seyn, der hiemit darin schlechthin seine Verpflichtung hat. [2] Indem die Besonderheit von dem Guten unterschieden ist und in den subjectiven Willen fällt, so hat das Gute zunächst nur die Bestimmung der allgemeinen abstracten Wesentlichkeit, – der Pflicht; – um dieser ihrer Bestimmung willen soll die Pflicht um der Pflicht willen gethan werden.“ 77
Für jedes Subjekt gilt, dass das Gute das „ Wesentliche seines Willens“ ist. Dies ergibt sich daraus, dass das Allgemeine die Wahrheit des Willens und also auch des Subjekts ist. Bereits zu Beginn der Moralität hatte Hegel deshalb dafür argumentiert, dass das Verhältnis des subjektiven Willens zu seinem Begriff im Sollen besteht. Der besondere Wille soll dem allgemeinen Willen entsprechen. Im Laufe des Moralitätskapitels ist Hegel immer wieder Gestalten durchge76
77
Darin liegt meines Erachtens auch die hegelsche Konzeption sittlicher Einsicht. Siehe dazu Henrich 1960. GW 14,1: § 133, 117.
Hegel-Studien
Das Gute und das Gewissen (kognitiv-evaluative Willenskomponente)
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gangen, bei denen diese Entsprechung auseinanderfällt. Nun fallen besonderer und allgemeiner Wille auch auf der Ebene des Guten erneut auseinander. Zwar hat der subjektive Wille im Guten „schlechthin seine Verpflichtung“. Aber der subjektive Wille ist ein besonderer Wille, mit ganz besonderem Wissen und besonderen Einsichten in das, was gut ist. Daher können seine Vorstellung vom Guten und das Gute in Verschiedenem bestehen: (P1) Das Gute ist das Wesentliche des Willens. (P2) Die Besonderheit unterscheidet sich vom Guten. (P3) Die Besonderheit fällt in den subjektiven Willen. (K)
Das Gute hat für den subjektiven Willen zunächst die Bestimmung abstrakter Wesentlichkeit, d. h. der Pflicht.
Fragt man, wozu denn die Pflicht verpflichtet, dann kann zunächst nicht mehr gesagt werden, als dass sie gebietet, die Pflicht um der Pflicht willen zu tun. Jedoch führt dies gleich zu der Frage, worin die Pflicht denn ihrem Inhalt nach besteht. „§. 134. Weil das Handeln für sich einen besondern Inhalt und bestimmten Zweck erfordert, das Abstractum der Pflicht aber noch keinen solchen enthält, so entsteht die Frage: was ist Pflicht? Für diese Bestimmung ist zunächst noch nichts vorhanden, als dieß: Recht zu thun und für das Wohl, sein eigenes Wohl und das Wohl in allgemeiner Bestimmung, das Wohl Anderer, zu sorgen (s. § 119).“ 78
Die allgemeinste inhaltliche Bestimmung der Pflicht ist also, dass man erstens den Geboten des (abstrakten) Rechts entspricht und zweitens für das eigene Wohl und das Wohl anderer sorgt. Insofern ließe sich nun auch die Sorgfaltspflicht einführen, da die Pflicht, sich um das Wohl anderer zu sorgen, impliziert, darauf achtzugeben, dass die eigenen Taten das Wohl der anderen nicht gefährden. Unaufmerksam und viel zu schnell mit dem Auto zu fahren etwa bedeutet dann, die durch die Pflicht gebotene Sorgfalt nicht walten zu lassen. 79 Hierüber lässt sich nun auch die Verantwortung für Unterlassungen einführen. Gerhard Dulckeit hat in seiner Monographie Rechtsbegriff und Rechtsgestalt bereits darauf hingewiesen, dass sich aus Hegels Handlungs- und Zurechnungslehre durchaus die Verantwortung für Unterlassungen entwickeln lasse. 80 Aufgrund des Problems unendlich vieler Unterlassungen benötigt man 78 79
80
GW 14,1: § 134, 117. Damit ist nun auch die normative Grundlage der Fahrlässigkeitsregelung aus 3.2.4 eingeführt. Dulckeit 1936: 165–166.
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einen normativen Marker, um ein Unterlassen vorwerfen zu können. Das Problem besteht darin, dass man zu jedem Zeitpunkt unendlich viele Dinge nicht tut und in dem Sinne unterlässt. Jedoch wäre es nicht nur ontologisch merkwürdig, zu sagen, dass man ununterbrochen unendlich viele Dinge zu tun unterlässt. Auch für Fragen von Verantwortung wäre diese Redeweise nicht hilfreich, denn verantwortlich ist man für diese unendlichen vielen Dinge auch nicht. Der benötigte Marker, um dieses Problem zu umgehen, ist das Vorliegen einer Pflicht. Erst, wenn eine Pflicht für A bestanden hat, zu Φen, und A Φ nicht vollzogen hat, hat A unterlassen, zu Φen. „Es kann nunmehr auch keinerlei Schwierigkeiten bereiten, die Zurechnung der Unterlassung zu begründen. Die entscheidende Rolle fällt hierbei dem Begriff der Pflicht zu. Eine Unterlassung im Rechtssinne liegt nur dann vor, wenn der Rechtsgenosse eine pflichtmäßige Handlung nicht vornimmt, obwohl er es gekonnt hätte. So erscheint die Unterlassung selbst als zurechenbare Handlung, für die der Unterlassende sich verantworten muss.“ 81
Auf den möglichen Einwand, dass es sich bei einem Unterlassen nicht um ein aktives Tun handelt, dass aber zu Beginn der Moralität nur Taten als Grundlage der Verantwortung ausgewiesen werden, reagiert Dulckeit mit dem Hinweis darauf, dass auch eine Unterlassung „eine Handlung [ist], sofern der subjektive Wille sich selbst und seinen Zweck darin ins Dasein setzt, – eine Handlung, die genau der gleichen Beurteilung unterliegt wie die gewöhnlich-‚tätige` Handlung, die daher auch in der gleichen Weise zugerechnet wird, und verantwortlich macht“. 82 Die Vernünftigkeit dessen, auch für Unterlassungen verantwortlich sein zu können, kann demnach nur darüber entwickelt werden, dass zunächst mit Taten im eigentlichen Sinne begonnen wird. Außerdem benötigt die Idee der Verantwortung für Unterlassungen den Begriff der Pflicht, um ein Nichttun überhaupt normativ markieren zu können. Wie hängen nun aber alle diese verschiedenen Rechte und Bestimmungen des subjektiven Willens bezüglich des Wertes einer Handlung, des Guten und der Pflicht mit dem Thema der Verantwortung zusammen? Dies soll im nun folgenden und letzten Unterkapitel beantwortet werden.
81 82
Dulckeit 1936, 165. Dulckeit 1936, 165.
Hegel-Studien
Das Recht der Besonderheit und die Verantwortung
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5.4 Das Recht der Besonderheit und die Verantwortung Bisher ist in diesem Kapitel die Rede von der Verantwortung nur an einigen wenigen Stellen aufgekommen. Daher ist nun die Frage zu stellen, welche Rolle die bisherigen Ergebnisse für eine Bestimmung individueller retrospektiver Verantwortung haben. Das Recht der Kausalität schließt Verantwortung bereits auf ganz basaler Ebene aus, da zumindest für eine große Gruppe von Handlungen (die Erfolgshandlungen) das Vorliegen einer Kausalrelation notwendige Zurechnungsbedingung ist. Die Rechte des Wissens, also der kognitiven Willenskomponente, waren Anfechtungsrechte, die die Selbstverwirklichung des für sich freien Willens negativ schützen, indem sie eine Zurechnung als unzulässig ausweisen, die ansonsten das Recht der inneren Selbstbestimmung des Willens verletzt hätte. Erst mit dem Begriff der Absicht, insbesondere den damit zusammenhängenden Begriffen des Wertes und des Interesses, führt Hegel das Recht der subjektiven Freiheit ein, das die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung im Handeln positiv sicherstellt. Hierbei ist zunächst nicht klar, worin der Zusammenhang zur Verantwortung bestehen könnte, scheint dieses Recht doch gerade dann zu greifen, wenn es darum geht, dass jemand positiv etwas zu tun beabsichtigt und ein Recht auf dieses Tun hat. Allerdings lassen sich für die retrospektive Verantwortung an zwei Stellen zentrale Merkmale benennen. Zum einen ist dieses Verständnis des Rechts der Subjektivität für den heutigen Begriff der objektiven Zurechnung grundlegend. Denn diese setzt nicht nur voraus, dass der Kausalprozess zwischen Handlung und Erfolg vorhersehbar und also nicht völlig zufällig war, sondern geht zudem darauf ein, dass überhaupt ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen worden sein muss und dass sich der Schaden nicht aus einem eigenverantwortlichen Handeln des Opfers ergeben hat. Nun ist zunächst das Recht der besonderen subjektiven Freiheit zentral, um die Frage zu bestimmen, wann ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen wurde und wann nicht. Dies wird letztlich davon abhängen, wieviel Freiraum der Einzelne haben sollte, um seine besonderen Zwecke verwirklichen zu können. Beispielsweise setzt man ein Risiko, wenn man mit dem Auto durch die Stadt fährt. Autos sind z. B. für Passanten ein Risiko, sie können diese verletzen. Nun wäre es allerdings eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung der subjektiven Freiheit der Einzelnen, wenn ihr verboten werden würde, Auto zu fahren, nur weil sie damit ein Risiko schaffe. 83 Umgekehrt ist es zudem so, dass jeder Einzelne in der Ausübung seines Rechts auf subjektive Freiheit 83
Das schließt natürlich nicht aus, dass mit anderen Gründen für ein Fahrverbot argumentiert wird, etwa mit dem Ziel der CO2-Emissionsverringerung im Zuge einer nachhaltigen Energiewende.
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Risiken eingehen darf. Im Strafrecht ist dann von der Eigenverantwortlichkeit die Rede. Wenn A Spaß daran hat, mit geschlossenen Augen über eine stark befahrene Straße in einer Großstadt zu rennen, dann setzt er sich dem hohen Risiko aus, überfahren und wenigstens schwer verletzt, wenn nicht sogar getötet zu werden. Passiert also solch ein Unfall, dann trägt der Autofahrer, der A anfährt, rein kausal Mitverantwortung. Allerdings ist ihm der Schaden bereits objektiv nicht zurechenbar, weil er in den Bereich der Eigenverantwortlichkeit von A fällt. Das Recht der subjektiven Freiheit schließt also (i) das Recht ein, andere Menschen bestimmten Risiken auszusetzen, und (ii) ermöglicht es den Fall, dass jemand selbst ein gewisses Risiko eingeht, so dass im Falle einer Schädigung etwaig diese Eigenverantwortlichkeit die Verantwortung anderer Beteiligter ausschließt. Damit bietet das Recht der subjektiven Zurechnung die Grundlage, um aus hegelscher Sicht die verschiedenen Aspekte der objektiven Zurechnung in ihrer heutigen Gestalt zu bestimmen. Die zweite Stelle, an der die Rechte der subjektiven Freiheit für retrospektive Verantwortung zentral werden, ist das Notrecht. Denn in diesen Fällen handelt jemand zwar – er verursacht vorsätzlich einen Schaden –, allerdings nur, um das eigene Leben zu retten. Und die Notwendigkeit, das eigene Leben nur auf Kosten der Rechtsgutsverletzung eines anderen erhalten zu können, bildet eine Notsituation, in der die retrospektive Verantwortung für den Schaden zumindest nicht strafrechtlich zugerechnet werden darf. Strafrechtsdogmatisch bzw. prüfpragmatisch spielt sich diese Form des Ausschlusses der Verantwortung auf der Rechtfertigungsebene ab. 84 Aber auch moralisch wird das Recht, sein eigenes Wohl zu schützen und zu erhalten, in bestimmten Fällen Handlungen erlauben, die unter Normalbedingungen moralisch verboten wären. Daher ist das Recht des Wohls die Grundlage für moralische Vorwerfbarkeit. Das Recht auf Einsicht in das Gute und Gesetzliche hat dann noch eine weitere Verantwortungsdimension mit sich gebracht. Denn erst über diese Einsicht lässt sich die Verantwortungsanalyse über den Begriff des objektiven Wertes von Handlungen vervollständigen. Das Gute ist der Wert einer Handlung, wie er sich durch Verallgemeinerung und damit durch Transzendierung der je besonderen, individuellen Interessen Einzelner ergibt. Bis zu diesem Schritt der Analyse ist mehr oder weniger implizit davon ausgegangen worden, dass die Handlungen, für die eine Verantwortung in Frage steht, von bestimmten Normen abweichen. Erst mit diesem Recht auf Einsicht in das Gute ist jedoch die Ebene erreicht, um diese Normen selbst bestimmen zu können. Schließlich konnte über den Begriff der Pflicht gezeigt werden, dass
84
Wie im nächsten Kapitel noch zu zeigen sein wird, entsprechen die jeweiligen Rechte bei Hegel nicht ebenso eindeutig bestehenden Prüfebenen.
Hegel-Studien
Das Recht der Besonderheit und die Verantwortung
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Hegel durchaus die Mittel bereitstellt, um Verantwortung für Unterlassungen begründen zu können. Damit kann die Definition der Verantwortung vom Ende des letzten Kapitels erweitert werden. Um die nun hinzugekommenen Merkmale der Wertoder Rechtswidrigkeit und des objektiven Wertes einer Handlung auszudrücken, sei nun von moralischer Verantwortung die Rede. 85 Ein Handlungssubjekt S ist moralisch verantwortlich für ein Φen gdw gilt: (i) S ist verantwortlich für sein Φen (siehe Kap. 4.4). (ii) Das Φen von S hat gegen eine Norm N verstoßen, S0 Φen hat also den Wert des Bösen / Ungesetzlichen. (iii) S war nicht gerechtfertigt in seinem Φen. (iv) S wusste, dass sein Φen gegen N verstößt, also den Wert des Bösen / Ungesetzlichen besitzt. Damit kann in das letzte inhaltliche Kapitel dieser Arbeit übergegangen werden, in dem das Thema von Verantwortung und Verursachung mit dem Begriff und der Geltung der Rechte der Subjektivität zusammengebracht wird.
85
Es ist nochmal zu betonen, dass die Bedingungen lobenswerten Handelns hier ausgeblendet werden. Zwar scheint einiges dafür zu sprechen, lobenswertes und tadelnswertes Handeln ganz analog zu behandeln. Jedoch spricht auch manches dagegen.
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6. Verantwortung, Verursachung und die Rechte der Subjektivität
N
achdem nun Hegels Konzeption von Verantwortung sowohl im Sinne einfacher Verantwortung als auch moralischer Verantwortung abschließend vorgestellt wurde und die mit den verschiedenen Verantwortungsbedingungen einhergehenden Rechte der Subjektivität eingeführt und Hegels Begründung für sie rekonstruiert wurden, sollen in diesem Kapitel die Rechte der Verantwortung als Rechte selbst in den Blick kommen. Wichtig ist allererst festzuhalten, dass Hegel den Ausdruck ›Recht‹ terminologisch verwendet. Wenn er in dem bereits mehrmals zitierten § 29 schreibt, dass das Recht ein Dasein des freien Willens ist, dann besteht hierin also die noch weiter zu klärende terminologische Festlegung. Alles, was als Dasein des freien Willens im Sinne des an-und-für-sich freien Willens ausgewiesen werden kann, ist Recht. Nun muss unterschieden werden zwischen der Rede von dem Recht und einzelnen Rechten. In der Moralität verwendet Hegel an vielen Stellen die Rede von Rechten. Für die Interpretation dieser einzelnen Rechte der Subjektivität ist vorgeschlagen worden, Rechte als der Praxis implizite das Dasein des freien Willens sichernde Regeln bzw. selbst als Dasein des freien Willens zu verstehen. Dieses Brückenprinzip diente der Funktion, die Argumente für die einzelnen Rechte mit der allgemeinen Normierung von ›Recht‹ in § 29 in Verbindung zu bringen. Ungeklärt blieb hingegen, welche Bedeutung diese Rede von Rechten genau hat, welcher Art diese Rechte sind und worin ihre Geltung besteht. In diesem Kapitel sollen diese Fragen diskutiert werden. Daher wird nun der Begriff des Rechts selbst bzw. die Redeweise von Rechten in der Form ›A hat gegenüber B das Recht Φ zu tun‹ zum Gegenstand gemacht. 1 Dazu werde ich zunächst gegenwärtige Ansätze aus der Rechtsphilosophie vorstellen, die dann der Einordnung der hegelschen Theorie dienen sollen (6.1). Entsprechend den heutigen Unterscheidungen wird dafür zunächst der Begriff der Rechte geklärt. Dafür werde ich das weithin anerkannte Schema Wesley Hohfelds heranziehen (6.1.1). Bezüglich der Frage nach der Funktion sogenannter subjektiver Rechte werden dann im Anschluss die zwei gängigen Theorien, nämlich die Interessentheorie und die Willenstheorie, vorgestellt (6.1.2). Im Anschluss daran wird
1
Damit folge ich Harel 2005, 192 und der Analyse von ›Recht‹ als dreistelliger Relation, die ein Subjekt, ein Objekt und einen Inhalt des Rechts benennt.
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Verantwortung, Verursachung und die Rechte der Subjektivität
die hegelsche Theorie mit den dann bereitgestellten Mitteln charakterisiert (6.2). Die Rechte der Subjektivität werden dafür zunächst im Hohfeldschema verortet (6.2.1) und ihre Funktion im Verhältnis zu den zwei Theorieansätzen diskutiert (6.2.2). Dann soll die hegelsche Begründung der Rechte der Subjektivität vorgestellt (6.2.3) und schließlich die Geltung dieser Rechte diskutiert werden (6.2.4). Im Anschluss daran wird das Verhältnis der Rechte der Moralität zum positiven Recht bestimmt (6.3). Dazu wird zunächst der Vorschlag unterbreitet, Hegels Moralitätskapitel als eine freiheitstheoretische Grundlegung von Grundrechten sowie des Straf- und Deliktsrechts zu verstehen (6.3.1). Im Anschluss daran wird dann die Frage diskutiert, inwiefern es für Hegel moralische Rechte gibt und wie sich die Moralität zum positiven Recht verhält (6.3.2). Dabei wird insbesondere die Frage zu stellen sein, ob sich Moral und positives Recht trennen lassen. 6.1 Die moderne Rechtedebatte Wenn im Folgenden von der modernen Rechtedebatte die Rede ist, dann beziehe ich mich mit dieser Kennzeichnung auf eine Debatte um den Begriff individueller oder auch subjektiver Rechte. 2 Es müssen hierbei drei Fragen unterschieden werden: (1) Worin besteht die Form oder Logik von Rechten? (2) Welcher Funktion dienen Rechte? (3) Wie lassen sich Rechte begründen? Für die erste Frage hat sich mittlerweile der Ansatz des amerikanischen Rechtswissenschaftlers Wesley Newcomb Hohfeld (1879–1918) als Standardauffassung und Ausgangspunkt weiterer Fragen durchgesetzt. Das Hohfeldschema der vier Arten von Rechten wird daher als erstes vorgestellt (6.1.1). Bezüglich der zweiten Frage werden üblicherweise zwei Antworten und damit einhergehend zwei Theorien unterschieden, die Interessen- und die Willenstheorie. Diese sollen im Anschluss vorgestellt werden (6.1.2). Schließlich bleibt noch die Frage, wie ein Recht, in einer bestimmten Bedeutung und mit einer bestimmten Funktion, jeweils selbst begründet werden kann. Nicht zuletzt die Unterscheidungen Hohfelds sind dabei eine hilfreiche Grundlage, um die Frage danach zu stellen, in welchem Sinne von ›Recht‹ Hegel die Rechte der Subjektivität begründet. Da sich aber der Theorietyp der hegelschen Rechtsphilosophie in gängige Konzeptionen wie Konsequenzialismus oder Deonto2
Ich folge in meiner Darstellung Harel 2005, der m. E. besten Überblicksdarstellung zu dem Thema. Siehe auch Stepanians 2008 und Wenar 2011.
Hegel-Studien
Die moderne Rechtedebatte
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logie nicht einordnen lässt, werde ich dann gleich zur Charakterisierung der Hegelschen Theorie der Rechte der Subjektivität übergehen. 6.1.1 Zur Form oder Logik von Rechten In seinem Aufsatz Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning 3 unterscheidet Hohfeld vier verschiedene Bedeutungen des Ausdrucks ›Recht‹/›subjektives Recht‹ (privilege, claim, power, immunity), die unterschieden werden müssen, da für die verschiedenen Bedeutungen verschiedene Begründungsansprüche gestellt werden. Häufig versteht man unter einem Recht oder dem Haben eines Rechts, dass dieses einem erlaubt, Bestimmtes zu tun. Hierbei handelt es sich in hohfeldscher Terminologie um ein privilege, oft mit Freiheitsrecht übersetzt. A hat dann gegenüber B ein Recht, zu Φen, wenn B von A weder einfordern kann zu Φen noch ein Φen zu unterlassen. A darf beispielsweise seine Meinung frei äußern. B darf A daran nicht hindern, kann aber auch A's Φen nicht einfordern. Es liegt an A, die Meinung zu äußern oder aber eben nicht. In einer zweiten Bedeutung besteht das Haben eines Rechtes genau in einem solchen Anspruch, von jemandem ein Φen einzufordern. Dieses claim right, Anspruchsrecht, kann etwa darin bestehen, dass A gegenüber B den Anspruch auf B's Unterlassen von Φ hat. A hat beispielsweise gegenüber B den Anspruch, von B nicht körperlich verletzt zu werden. B wiederum hat damit die Pflicht, A nicht körperlich zu verletzen. In diesem Fall bedeutet der Anspruch von A gegenüber einem Unterlassen von B ein Verbot auf Seiten von B. Ein Anspruch auf ein aktives Tun wiederum bedeutet dann eine Pflicht, dies zu tun. Bei Freiheitsrechten geht es also darum, dass die Person, die ein Recht hat, etwas tun darf, bei Anspruchsrechten hingegen geht es um etwas, das die andere Person tun oder unterlassen muss, der gegenüber ein Anspruchsrecht besteht. Die power oder normative Fähigkeit besteht darin, dass A den Rechtsstatus von B verändern kann. A hat also gegenüber B ein Recht im Sinne von power, wenn A beispielsweise B bestrafen kann. In diesem Fall ist B gegenüber A nicht immun, besitzt kein Recht im Sinne der Immunität (immunity). Die Fähigkeit einer Person, den eigenen Rechtsstatus und denjenigen einer anderen Person zu ändern, zeigt sich auf Individualebene in dem Recht, Eigentum zu erwerben und zu veräußern. 4
3 4
Hohfeld 1913. In der jüngeren Literatur werden für den Bereich der Moral insbesondere Einwilligungen und Versprechen zu den normativen Fähigkeiten gezählt. Siehe hierzu Owens 2012.
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Verantwortung, Verursachung und die Rechte der Subjektivität
Ein Recht zu haben im Sinne der Immunität wiederum bedeutet dann, dass A's Rechtsstatus von B nicht verändert werden kann. Einzelne Bürger*innen sind beispielsweise gegenüber einzelnen Bürger*innen immun, was das Recht zu bestrafen anbelangt. 5 Umgekehrt besitzen also einzelne Bürger auch keine power zu bestrafen. 6 Alle vier Rechte des Hohfeldschemas lassen sich wie folgt tabellarisch darstellen: Art des Rechts
Anspruch (claim)
Recht
A hat B A hat gegenüber gegenüber einen B die Freiheit, zu Anspruch auf Φen. B's Φen („Φ“ Tun oder Unterlassen)
A hat gegenüber B die normative Fähigkeit, durch sein Φen die normative Position von B zu verändern.
A besitzt gegen B's Φen Immunität.
Korrelat
B hat gegenüber A die P icht zu Φen. (P icht)
B hat keinen Anspruch gegenüber A, dass A nicht Φt. (no-claim)
B ist gegen A nicht immun. (liable)
B hat keine normative Fähigkeit gegenüber A. (disabled)
A's Recht gegenüber B, seine Meinung frei zu äußern.
Normative Fähigkeit eines Staates, die Eigentumsverhältnisse seiner Bürger*innen durch Enteignungen zu verändern.
Bürger*innen sind gegen Enteignungsversuche anderer Bürger immun.
Beispiel A hat das Recht, von B nicht gefoltert zu werden.
Freiheit (privilege)
Normative Immunität Fähigkeit (power) (immunity)
Hohfeld vertrat die These, dass diese verschiedenen Bedeutungen nicht völlig getrennt voneinander zu behandeln sind. So lässt sich etwa zeigen, dass ein Anspruchsrecht zu besitzen möglicherweise nur dann sinnvoll ist, wenn man auch die normative Fähigkeit besitzt, diesen Anspruch im Falle eines Verstoßes geltend zu machen. Was nützt es mir, wenn ich als Eigentümer das Anspruchsrecht habe, dass mein Nachbar nicht meinen Garten betritt, wenn ich dieses 5
6
Dies deshalb, weil das Rechtssubjekt des Rechtes zu bestrafen im Sinne einer normativen Fähigkeit der Staat ist. Dies gilt nur, wenn es um die institutionalisierte rechtsförmige Strafe geht. Wenn Eltern ihre Kinder bestrafen, ist in einem anderen Sinne von Strafe die Rede.
Hegel-Studien
Die moderne Rechtedebatte
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Recht nicht geltend machen kann, sollte mein Nachbar gegen meinen Willen meinen Garten betreten? Geltend machen kann ich diesen Anspruch aber nur, wenn ich die Fähigkeit besitze, den Rechtsstatus des Nachbarn zu verändern, etwa durch eine Klage. Zudem setzen Freiheitsrechte, wie etwa die Eingriffsabwehrrechte unserer Verfassung, auch ein Anspruchsrecht voraus. Ich habe das Recht, meiner freien Persönlichkeitsentfaltung nachzugehen. Der Staat darf diese nicht von mir verlangen. Wenn er mich jedoch in dieser einschränkt, verstößt er vielleicht nicht direkt gegen das Freiheitsrecht, sondern gegen ein Anspruchsrecht. Denn dieses sichert mir erst, dass ich auch tatsächlich das Freiheitsrecht ausüben kann. Um dann einen ungerechtfertigten Eingriff seitens des Staates anfechten zu können, muss ich eine normative Fähigkeit gegen den Staat besitzen. Verschiedene Rechte sind also über diese vier Elemente bestimmt. Einerseits besitzt der Staat die normative Fähigkeit, mich in meinen Freiheitsrechten einzuschränken, sollte ich gegen eine Strafrechtsnorm verstoßen haben. Insofern bin ich nicht immun gegen den Staat. Da die Freiheitsrechte als Grundrechte jedoch generelle Immunitätsrechte sind, und zwar gegen den Staat, ist dieser andererseits in seiner Machtausübung selbst eingeschränkt. Die vier Rechtebedeutungen lassen sich mit Lyons 7 noch in aktive und passive Rechte unterteilen. Die aktiven Rechte sind das Privileg und die Macht, die passiven der Anspruch und die Immunität. Aktive Rechte zeigen sich daran, dass jemand das Recht dazu hat, etwas zu tun, wohingegen sich die passiven daran zeigen, dass jemand das Recht hat, dass jemand anderes etwas tut oder eben nicht tut. Damit sind genügend Unterscheidungen eingeführt, um Hegels Rede von den Rechten der Subjektivität charakterisieren zu können. Ich komme zur Frage, wie die Funktion von subjektiven Rechten bestimmt werden kann. 8
7 8
Lyons 1970. Da die Unterscheidungen Hohfelds insbesondere die Bedeutung verschiedener Rechteredeweisen betreffen, diese aber auch auf moralische Redeweisen von Rechten übertragen werden können, ist es kein Problem, dass Hohfelds Ziel darin bestand, positiv-rechtliche Verwendungen von ›Recht‹ zu erhellen. Insofern sich Unterschiede zwischen einem positiven und einem moralischen Recht ergeben, werde ich darauf eingehen.
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6.1.2 Zur Funktion von Rechten: Willens- vs. Interessentheorie Bezüglich der Frage, worin Rechte bestehen 9 bzw. welche Funktion 10 sie für ihre Träger übernehmen, „what concerns rights protect“ 11, werden zwei Haupttheorietypen unterschieden 12: die Willenstheorie und die Interessentheorie. Der Willenstheorie nach besteht ein Recht darin, die Entscheidungsfreiheit des Rechtsträgers zu schützen: „The choice theory of rights regards rights as protecting the exercise of choice (Hart 1982: 184). Right-holders are agents who are given control over another person's duty and can thus be analogized to a ‚small-scale sovereign` (Hart 1982: 183). Rights, under this view, can be identified as protected choices – protection which is conducive to the autonomy and self-realization of rightholders.“ 13
Rechte werden dieser Theorie nach also verstanden als Fähigkeiten, einen Anspruch anderen gegenüber geltend machen zu können. Rechte übertragen Kontrolle der Rechtsträgerin über die Pflichten der anderen. Alternativ formuliert: „Der Willenstheorie zufolge hat A genau dann ein Recht auf B's Pflichterfüllung, wenn A über die normative Fähigkeit (‚Rechtsmacht`) verfügt, B's Pflichterfüllung nach A's Willen zu kontrollieren. Rechtsinhaber sei derjenige, der in normativer Hinsicht bestimmen kann: A kann die Erfüllung von B's Pflicht einfordern oder B von ihr entbinden.“ 14
Im Gegensatz dazu besteht die Interessentheorie darin, den Begriff des Rechts bzw. dessen Funktion über legitime Interessen des Rechtsträgers zu bestim9 10 11 12
13
14
Stepanians 2008. Wenar 2011. Harel 2005, 193. Ich beschränke mich auf diese sehr einfache Gegenüberstellung zweier Positionen, da die spätere Einordnung Hegels bloß tentativ vorgenommen werden soll. Leif Wenar beispielsweise hat aufgezeigt, dass viel mehr Optionen zur Verfügung stehen und sich diese zwei Optionen auch nicht in jeder Hinsicht ausschließen (Wenar 2005). Ebenso diskutiert Alon Harel neben diesen zwei Haupttheorien hybride Theorien, die jeweilige Vorteile beider Theorien beibehalten und jeweilige Nachteile vermeiden wollen (Harel 2005). Auf eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Debatten und mit der hegelschen Theorie von Rechten muss im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden. Harel 2005, 194; vgl. Wenar 2011: 15: „In Hohfeldian terms, will theorists assert that every right includes a Hohfeldian power over a claim. In colloquial terms, will theorists believe that all rights confer control over other's duties to act in particular ways.“ Stepanians 2008: 1068.
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Die Rechte der Subjektivität
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men. Die Funktion von Rechten bestehe dieser Theorie nach darin, die Interessen des Rechtsträgers zu sichern oder zu befördern. „The interest theory of rights holds that the point of rights is to protect and promote (some of) the right-holders' interests. The dominating picture here contrasts with the choice theory in that it characterizes rights as protected choices and consequently emphasizes the status of right holders as the passive beneficiaries of protective and supportive duties imposed on others (Sumner 1987: 47).“ 15
A benötigt also für seinen Anspruch gegenüber B keine zusätzliche normative Fähigkeit, B's Pflichterfüllung einzufordern. Stattdessen soll dieser Theorie nach das legitime Interesse von A hinreichend für die Pflicht von B sein. Diese knappe Übersicht über die Hauptpositionen und Unterscheidungen der modernen Debatte um den Begriff der subjektiven Rechte soll im Folgenden der Funktion dienen, Licht auf die Bedeutung des Begriffs der Rechte der Subjektivität zu werfen, wie sie Hegel im Moralitätskapitel seiner Rechtsphilosophie entwickelt hat.
6.2 Die Rechte der Subjektivität Nachdem die relevanten Unterscheidungen aus der gegenwärtigen Debatte um den Begriff des Rechts eingeführt wurden, soll nun die hegelsche Position in den Begriffen und Unterscheidungen dieser Debatten reformuliert werden. Welchen Begriff von Rechten hat Hegel in der Moralität, welcher Funktion dienen sie, wie begründet er diese und worin besteht ihre Geltung? 6.2.1 Hegels Begriff der Rechte Welche Bedeutung in Hohfelds Sinne haben Hegels Redeweisen von den Rechten? Die Hohfeldsche Analyse von Rechten lässt sich sowohl (i) auf das positive Recht, (ii) auf die Moral oder (iii) auf Gewohnheit / Sitte / Brauch beziehen. 16 Das Hohfeldschema soll hier als neutral gegenüber diesen Unterscheidungen verschiedener Normensysteme verstanden werden. Dies ist insofern von Vor15
16
Harel 2005, 195; vgl. Stepanians 2008: 1068: „Für die Zuschreibung eines Rechts an A genüge es, dass B's Pflichterfüllung A aufgrund eines legitimen Interesses geschuldet ist. A habe ein Recht gegenüber B, wenn A's Interessen den Grund für B's Verpflichtung bilden.“ Dies lag allerdings – wie bereits bemerkt – nicht in Hohfelds Interesse. Ihm ging es um ein besseres Verständnis verschiedener positiv-rechtlicher Verhältnisse, die durch die Ausdrücke ›Recht‹ und ›Pflicht‹ nicht hinreichend erfasst werden könnten. Hohfeld 1913: 20.
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teil, als bisher noch nicht geklärt werden konnte, welchem Normensystem, wenn überhaupt einem bestimmten, die Rechte der Subjektivität zuzuordnen sind. Zunächst sollen allerdings diese einzelnen Rechte der Subjektivität untersucht werden. Zuvor seien nun nochmals alle Rechte der Subjektivität benannt, die im Laufe der Arbeit aus Hegels Text entwickelt wurden. Dabei blende ich das Recht der Objektivität aus, da es in diesem Kapitel um die Rechte einzelner Subjekte geht. 1. Recht des Wissens: Das einzelne Subjekt hat das Recht, sich nur das als Handlung zurechnen zu lassen, was es von den konkreten Umständen und Folgen wusste (Wissen1: Umstände, Wissen2: Folgen). Korrelat: Man darf nur für das verantwortlich machen und nur das als Handlung zuschreiben, was das einzelne Subjekt wissentlich (vorsätzlich) getan hat. 2. Recht der Absicht: Das einzelne Subjekt hat das Recht, die allgemeine Qualität der Handlung gewusst zu haben. Korrelat: Andere haben die Pflicht, dem einzelnen Subjekt das Wissen der allgemeinen Qualität der Handlung zu ermöglichen. 3. Recht subjektiver Bedürfnisbefriedigung: Das einzelne Subjekt hat das Recht, in der Handlung seine Befriedigung zu finden. Korrelat: Andere haben die Pflicht, das einzelne Subjekt an der Bedürfnisbefriedigung durch das eigene Handeln nicht zu hindern. 4. Recht des Wohls: Das einzelne Subjekt hat das Recht, in seinem Handeln sein Wohl zu verfolgen. Korrelat wie in 3. 5. Recht der moralischen Absicht: Das einzelne Subjekt hat das Recht, das Wohl anderer zu verfolgen. Korrelat wie in 3. 6. Notrecht: Das einzelne Subjekt hat das Recht, abstrakte Rechte anderer zum Schutz des eigenen Lebens, zu verletzen. Korrelat: Andere haben nicht das Recht, das einzelne Subjekt für Nothandlungen verantwortlich zu machen. Sie haben die Pflicht, es zu entschuldigen. 17
17
Zumindest im moralischen Sinn. Andere haben evtl. immer noch einen Anspruch an unsere Kompensationszahlung für ihr beschädigtes Eigentum. Man könnte sagen, responsibility fällt weg, liability bleibt bestehen.
Hegel-Studien
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7. Recht auf Einsicht in das Gute: Das einzelne Subjekt hat das Recht auf Einsicht in das Gute. Korrelat: Dem einzelnen Subjekt muss die Möglichkeit gewährleistet sein, Einsicht in das Gute zu erlangen. 8. Recht auf Einsicht in das Gesetzliche: Das einzelne Subjekt hat das Recht auf Einsicht in das Gesetzliche. Korrelat: Andere haben die Pflicht, das einzelne Subjekt über das Gesetzliche zu informieren. Was bedeuten nun diese verschiedenen Redeweisen Hegels? Das Recht des Wissens, so soll vorgeschlagen werden, ist eine bedingte Immunität. Da die Zurechnung eines strafrechtlichen Erfolgs eine power ist, das heißt die Änderung des Rechtsstatus der Person, der zugeschrieben wird, ist das Recht, eine Zuschreibung anzufechten, zunächst eine Immunität gegen die rechtsstatusverändernde power. Allerdings ist diese Immunität bedingt, da sie voraussetzt, dass das, unter dessen Beschreibung zugeschrieben wird, nicht gewusst wurde. A hat gegenüber der Strafbehörde das Recht, zumindest für die in Frage stehende Straftat nicht bestraft zu werden, wenn A diese nicht vorsätzlich begangen hat. Schwierig ist es, in diesem Fall das Verhältnis zwischen Macht und Immunität genau zu bestimmen. Wenn eine Macht von A gegenüber B darin besteht, den Rechtsstatus von B zu ändern, dann ist das Recht des Wissens ein Recht, das allererst regelt, ob und wenn ja wer jemandes Rechtsstatus ändern kann. Angenommen, A hat etwas getan, zu dessen Unterlassen A die Pflicht hatte. Nun reagiert B darauf, indem B A wiederum als Sanktion ein Recht entzieht, das A eigentlich besaß. Das Recht des Wissens kann nun von A herangezogen werden, um den Vorwurf von B zurückzuweisen, und zwar dadurch, dass A darauf besteht, nicht gewusst zu haben, dass er mit der Tat die bekannte Unterlassenspflicht überhaupt verletzt hat. Wenn B nun diese Anfechtung akzeptiert, fehlt die Grundlage, den Rechtsstatus von A zu ändern. Insofern kann man das Recht des Wissens auch als Recht bezeichnen, das die Rechtsstatus von Macht und Immunität zwischen Subjekten regelt. Wie ließe sich aber das Ganze verstehen, wenn es nicht im Rahmen des positiven Rechts abläuft, sondern auf außerrechtliche Fälle bezogen wird? Was würde es bedeuten, dass andere das moralische Recht haben, uns verantwortlich zu machen, wenn wir moralisch schlecht gehandelt haben? Angenommen, A hat sein Versprechen nicht gehalten und B macht A nun Vorwürfe. Dann ließe sich das Vorwerfen und verantwortlich-Machen als power verstehen, als ein Recht, das den Rechtsstatus ändernde Kraft hat. Wenn dann A jedoch die bedingte Immunität durch das Recht des Wissens besitzt, könnte A eben dieses Recht von B außer Kraft setzen. Natürlich sind die Durchsetzungsmechanis-
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men im Zwischenmenschlichen eher weich, oft folgen sie auch nicht strikten Ausdeutungen der jeweiligen Regeln. 18 Und dennoch lassen sie sich mit der Semantik des Hohfeldschemas verstehen. Sofern, wie oben geschehen (Kap. 3.2.3), das Recht der Absicht als Recht auf Wissen verstanden wird, ist es nicht einfach eine bedingte Immunität, sondern ein claim-right. Es drückt A's Recht im Sinne eines Anspruchs aus, von B informiert zu werden. Das Verhältnis von Moralität zu positivem Recht ist noch zu untersuchen, jedoch lässt sich sagen, dass für den Fall, dass dieses Recht etwa auch positiv-rechtlich verankert werden kann, es beispielsweise durch ein Recht auf schulische Bildung erfüllt werden könnte. Dann wären das Rechtssystem und der Staat, in dem man lebt, Träger der korrelativen Pflicht. Das Recht subjektiver Bedürfnisbefriedigung ist am ehesten ein Freiheitsrecht (privilege). Es erlaubt Einzelnen ihren ganz einzelnen, besonderen und individuellen Bedürfnissen nachzugehen. Das schließt die Wahl der Bedürfnisse und der zu ihrer Befriedigung nötigen Mittel ein. Insbesondere geht damit einher, dass A weder eine Pflicht hat, einem bestimmten Bedürfnis nachzugehen, noch, diesem nicht nachzugehen. 19 Das Recht des Wohls als weitere Ausdeutung des vorangegangenen Rechts wiederum ist ebenfalls ein Freiheitsrecht (privilege). Jedoch bedeutet dies, dass A weder die Pflicht hat, sein Wohl in ganz Bestimmtem zu verfolgen, noch, es nicht darin zu verfolgen. Hier zeigt sich eine erste Schwierigkeit. Das Hohfeldschema ist ausgelegt für inhaltlich konkreter bestimmte Rechte, die einen Bezug auf einen bestimmten Handlungstyp haben. Nun ist es kein Handlungstyp, sein Wohl zu verfolgen. Hegel spricht auch davon, sein Wohl in seinem Handeln zu verfolgen. Wie sich im Abschnitt zum Pflichtbegriff außerdem ergeben hatte, geht Hegel davon aus, dass es eine moralische Pflicht ist, unser Wohl und das Wohl anderer zu verfolgen. Dann kann aber das Recht, sein Wohl im Handeln zu verfolgen, kein Freiheitsrecht sein. Hier kann durch eine Differenzierung Klarheit geschaffen werden: Dass wir überhaupt unser Wohl verfolgen, ist unser Recht, aber auch unsere Pflicht. Dass wir unser Wohl in ganz bestimmten Handlungen Φ verfolgen, ist unser Recht, aber nicht unsere Pflicht. 20 In dieser zweiten Bedeutung handelt es sich also bei dem Recht des Wohls durchaus um ein Freiheitsrecht. Das Recht der moralischen Absicht kann ebenso verstanden werden.
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Für eine Unterscheidung zwischen Moral und Recht über den Grad der Zwangsdurchsetzbarkeit siehe Gutmann 2016. Allerdings besteht durchaus eine Pflicht, überhaupt den eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Inwiefern die einzelnen Rechte zugleich Pflichten sind, dazu weiter unten. Es besteht also eine Konkretisierungsasymmetrie, also eine Asymmetrie zwischen dem Recht auf Φ und der Pflicht zu Φ, wenn man Φ konkretisiert.
Hegel-Studien
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Das Notrecht als Rechtfertigungsgrund kann wiederum als bedingte Immunität oder aber als bedingte Macht verstanden werden. Als Immunität besagt es, dass A dann für eine Rechtsgutsverletzung von B nicht verantwortlich gemacht werden darf, wenn A dies nur tun konnte, um beispielsweise das eigene Leben zu retten. Es kann aber auch als Macht verstanden werden, insofern A den Rechtsstatus von B, etwa B's Eigentumsrecht, einschränken und damit verändern kann, um die eigene Rechtsfähigkeit zu bewahren. Allerdings wäre diese Redeweise bereits abweichend von der üblichen Redeweise von Rechten. Denn sie würde Folgendes besagen: Wir haben das Recht, das Eigentum Fremder zu entwenden, zu benutzen oder sogar zu beschädigen, wenn dies dem Schutz von Grundgütern dient. Die Rechte auf Einsicht in das Gute und in das Gesetzliche schließlich sind bereits ein und dasselbe Recht für zwei verschiedene Rechtssphären im hegelschen Sinne. Das Recht auf Einsicht in das Gute bezieht sich auf den moralischen Wert von Handlungen. Wie ist dieses Recht zu verstehen? Es kann einerseits wie das Recht der Absicht als Recht auf Wissen verstanden werden und wäre dann ein claim-right. Andere hätten dann entsprechend die Pflicht, mich über das, was gut ist, zu informieren und mir die Einsicht in das, was vernünftig ist, zu ermöglichen. Aber auch hier gibt es wieder keine klar benennbare Handlung, auf die sich dieses Recht und diese Pflicht beziehen. Das Recht auf Einsicht in das Gesetzliche ist eindeutiger zu bestimmen. Die Rede vom Gesetzlichen bezieht sich auf die Sittlichkeit, in welcher der Wert einer Handlung gesetzlich festgelegt wird. Bei diesem Recht handelt es sich um etwas, das heute meist als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder allgemeines Rechtsprinzip bezeichnet wird. Es drückt das Gesetzlichkeitsprinzip aus, das Prinzip also, dass nur dann für eine Handlung bestraft werden darf, wenn die zu bestrafende Tat bereits zum Zeitpunkt ihrer Begehung gesetzlich öffentlich bekannt unter Strafe stand. 21 Bei diesem Recht handelt es sich einerseits um eine bedingte Immunität, da mit Verweis auf eine Verletzung des Gesetzlichkeitsgebots die Zuschreibung strafrechtlicher Verantwortung angefochten werden kann. Zudem ist es ein claim-right, da es auf Seiten des Staates die Pflicht ausdrückt, Handlungen, die für strafwürdig erachtet werden, gesetzlich unter Strafe zu stellen. Damit ist eine erste orientierende Charakterisierung der verschiedenen Rechte der Subjektivität gegeben. Davon unabhängig lässt sich noch einiges über Hegels Rechteverständnis aus dem den objektiven Geist einleitenden § 486 der Enzyklopädie (1830) anführen. Darin geht Hegel explizit auf den Begriff des Rechts und dessen Verhältnis zum Begriff der Pflicht ein. Hegel beginnt seine Konzeption mit einer allgemeinen Bemerkung zu seiner Verwen21
Vgl. GG Art. 103 II. Siehe dazu auch oben 5.3.1.
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dung des Ausdrucks ›Recht‹. „Diese Realität überhaupt als Daseyn des freien Willens ist das Recht, welches nicht nur als das beschränkte juristische Recht, sondern als das Daseyn aller Bestimmungen der Freiheit umfassend zu nehmen ist.“ 22 Ebenso wie in § 29 der Einleitung in die Grundlinien charakterisiert Hegel den Ausdruck ›Recht‹ als Ganzes des Daseins des freien Willens. Daher kennt er neben den juristischen auch moralische und sittliche Rechte. Liest man ›juristisches Recht‹ als bestehendes positives Recht, dann lehnt Hegel also ab, dass alle Rechte, die in den Grundlinien auftauchen, ausschließlich positive Rechte, also Rechte eines geltenden Rechtssystems sind. 23 Pflichten bestehen nach Hegel insbesondere insofern, als die einzelnen Bestimmungen des Daseins des freien Willens „in Beziehung auf den subjectiven Willen, in welchem sie als allgemeine ihr Daseyn haben sollen und allein haben können“ 24, betrachtet werden. Diese Pflichten zeigen sich in der Form, „wie sie als Gewohnheit und Sinnesart in demselben Sitte sind“. 25 Daraus folgt nicht, dass alles, was Sitte ist, was gewohnheitsmäßig gelebte Praxis ist, auch Recht als Dasein des freien Willens ist. Nun führt Hegel eine für den Kontext dieses Abschnitts relevante These ein: „Dasselbe was ein Recht ist, ist auch eine Pflicht, und was eine Pflicht ist, ist auch ein Recht.“ 26 Hierbei geht es noch nicht um die Korrelativitätsthese, dass dem Recht von A eine Pflicht von B korrespondiert und umgekehrt. Stattdessen soll es dasselbe sein, zu dem ein Subjekt sowohl ein Recht als auch eine Pflicht besitzt. Ein Stück weit kann dies nun mit Bezug auf das Recht des Wissens verdeutlicht werden. Der Einzelne hat das Recht, nur das als eigene Handlung anzuerkennen, was er vorsätzlich getan hat. Der Einzelne hat aber auch die Pflicht, nur das als eigene Handlung anzuerkennen, was er vorsätzlich getan hat. Das Recht, so wurde argumentiert, folgt aus der Verwirklichungsforderung des freien Willens. Diese Verwirklichungsforderung des freien Willens bringt es mit sich, dass der Einzelne auch verpflichtet ist, möglichst nur Wissentliches zu tun. Wer beispielsweise völlig sorglos und epistemisch wenig umsichtig handelt und sich dann in allen Fällen unwissentlicher Normverstöße und Schadensverursachung auf das Recht, mit Verweis auf das Unwissen anzufechten, beruft, würde gegen diese Pflicht verstoßen. Derjenige propositionale Gehalt also, von dem ausgewiesen ist, dass er als Bedingung des „freien substantiellen Willens“ 27 anzusehen ist, hat für ein einzelnes Handlungssubjekt den deontischen 22 23
24 25 26 27
GW 20: § 486, 479. Dieser Hinweis ist wichtig, weil die hegelsche Rechtsphilosophie häufig als bloße Affirmation bestehender positiv-rechtlicher Verhältnisse gelesen wurde. GW 20: § 486, 479. GW 20: § 486, 479. GW 20: § 486, 479. GW 20: § 486, 479.
Hegel-Studien
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Charakter einer Pflicht. Hegels erstes Beispiel ist das Eigentum. Wenn gezeigt werden kann, dass es zum Dasein des an sich freien Willens gehört, Eigentum zu besitzen, er also ein Recht, einen Anspruch auf Eigentum hat, dann hat der Einzelne ebenso die Pflicht, Eigentum zu besitzen. Sobald dieses Recht und diese Pflicht zum Eigentum Bezug auf andere hat, zeigt sich das Recht von A dazu, f zu tun, als Pflicht von B, A f tun zu lassen. „Die Endlichkeit des objectiven Willens ist in so fern der Schein des Unterschieds der Rechte und der Pflichten.“ 28 Damit stellt Hegel eine kritische Perspektive auf gegenwärtige Rechtstheorien bereit, die Rechte grundlegend als ein Verhältnis mehrerer Rechtssubjekte zueinander analysieren. Mein Eigentumsrecht auf x zeigt sich in B's Pflicht, in meine Verfügungsgewalt über x nicht einzugreifen. Wie lässt sich dieses korrelative Rechtsverständnis auf die Rechte der Subjektivität übertragen? Nun, zumindest lässt sich sagen, dass, wenn A das Recht hat, nur für die gewussten Folgen seines Tuns verantwortlich gemacht zu werden, B dann auch die Pflicht hat, A nur dafür verantwortlich zu machen, bzw. die Pflicht, ein weitergehendes Verantwortlichmachen zu unterlassen oder aber eine Verantwortungszuschreibung zurückzunehmen. Umgekehrt, wenn das Recht des Wissens ein Recht ist, Anerkennung für das Getane zu erlangen, dann ist das Recht, in der eigenen Tat anerkannt zu werden, auf der anderen Seite die Pflicht, für das Getane auch tatsächlich anzuerkennen bzw. eine Aberkennung zu unterlassen. Was den moralischen Standpunkt anbelangt, so sei dieser aufgrund der Tatsache, dass das Recht der Subjektivität die innere Seite des einzelnen Handlungssubjekts betreffe, einseitig. Denn diese innere Seite erlangt ihr Dasein nur in der Handlung als Veräußerlichung. 29 Dabei können die innere und die äußere Seite jedoch auseinanderfallen, und darin lag die Begründungsressource der verschiedenen Rechte der Subjektivität. Da nun aber erstens das Recht der Subjektivität einen Bezug auf andere Subjekte hat (§ 112) und außerdem dieses Recht für jedes Subjekt gilt, haben andere Subjekte ebenso ein Recht gegeneinander, eine adäquate Äußerung des Inneren zu fordern. Es wurde nachgewiesen, dass die verschiedenen Rechte der Subjektivität nach den hohfeldschen Unterscheidungen verschiedene Bedeutung tragen. Außerdem wurde gezeigt, dass Hegel die Aufteilung von Rechten und Pflichten auf verschiedene Individuen und damit die Korrelativitätsthese kritisch betrachtet, auch wenn sie für die Moralität gerade konstitutiv ist. Nun muss weiter geklärt werden, welcher Funktion diese verschiedenen Rechte dienen.
28 29
GW 20: § 486, 480. „Aeußerung des Willens als subjectiven [. . . ] ist Handlung“ GW 14,1: § 113, 102.
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6.2.2 Zur Funktion der Rechte bei Hegel Lässt sich Hegel einer der beiden gängigen Ansätze der Willens- oder Interessentheorie zuordnen? Diese Frage scheint schnell beantwortet werden zu können, ist doch gerade der Wille das Grundprinzip der gesamten Grundlinien. Allerdings mag diese oberflächliche Betrachtung täuschen. Wie verhält es sich bei Hegel also genau? Da die Interessentheorie prima facie nicht in Frage kommt, sei diese zuerst geprüft. Das Hauptproblem dabei, Hegel als Interessentheoretiker zu bestimmen, besteht darin, dass er den Begriff des Interesses überhaupt erst im Laufe des Moralitätskapitels einführt. Das Recht des Wissens nimmt mithin überhaupt keinen Bezug auf den Begriff des Interesses, geschweige denn die Rechte des abstrakten Rechts (auf Eigentum, Vertrag oder Strafe). Wäre Hegel also Interessentheoretiker, dann würde er petitiös argumentieren, da in diesem Fall der Begriff des Rechts den des Interesses voraussetzen würde, der Begriff des Interesses aber erst über den des Rechts eingeführt wird und diesen daher selbst voraussetzt. 30 Also zu sagen, wie es etwa Joseph Raz tut 31, das Vorliegen eines Interesses auf Seiten von A sei hinreichend dafür, dass B gegenüber A eine Pflicht habe, dieses Interesse zu schützen, würde nach hegelscher Redeweise ein Recht „an einer Folge auffassen, welche erst auf dem Umwege [des Wissens und der Absicht] eintritt“ 32. Das bedeutet nicht, dass Interessen von Subjekten für Rechte keine Rolle spielen. Ganz im Gegenteil entwickelt Hegel explizit mit dem Recht des Wohls ein Recht, das gerade die Interessenverfolgung und Bedürfnisbefriedigung Einzelner sicherstellt. Jedoch ist diese Funktion derivativ zu derjenigen, im Dienste der Selbstverwirklichung des freien Willens zu stehen. Ist Hegel also hinsichtlich subjektiver Rechte Willenstheoretiker? Diese Lesart wird durch das gesamte Theoriedesign der Grundlinien nahegelegt. Auf die einzelnen Rechte der Subjektivität bezogen trifft es zu, dass sie der Verfügungsgewalt einzelner Individuen dienen. So kann man das Recht des Wohls und dessen konkrete Ausgestaltung im System der Bedürfnisse, wie es Hegel im zweiten Abschnitt der „Sittlichkeit“, Die bürgerliche Gesellschaft, ausgearbeitet hat, im Sinne einer Willenstheorie beschreiben. 33 Da der an 30
31 32 33
Dass Hegel petitiöse Argumentationen ablehnt und nicht etwa zum Prinzip erhebt, zeigt sich beispielsweise daran, dass er im Abstrakten Recht die Ansicht kritisiert, man könne den Begriff des Rechts über den des Zwangs definieren. Dabei setze der Begriff des Zwangs gerade den des Rechts voraus (GW 14,1: § 94 Anm., 89). Siehe oben Kap. 1 Fn. 129. Zwar führt Hegel streng genommen den Begriff des Interesses in seiner Enzyklopädie bereits im Subjektiven Geist ein (GW 20: § 475, 473), allerdings muss bedacht werden, dass es in der Moralität um das Recht des Interesses geht. Raz 1984: 195. GW 14,1: § 94 Anm., 89. Zur Bürgerlichen Gesellschaft siehe Horstmann 2005.
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und für sich freie Wille nur im Handeln einzelner Handlungssubjekte Wirklichkeit hat, müssen diese Handlungssubjekte mit Rechten ausgestattet sein, die ihnen Raum für willentliche Selbstbestimmung geben. Allerdings greift diese Zuordnung zu kurz, was sich bereits daran zeigt, dass die Rechte der einzelnen Subjekte selbst nochmals in einem Verhältnis zum an und für sich freien Willen stehen. Mit Sicherheit versteht Hegel unter Rechten, zumindest unter denjenigen eines Individuums, auch die Fähigkeit, den eigenen Willen gegen Rechtsadressaten durchzusetzen. Allerdings bedeutete dies auch, dass es bereits eine intersubjektiv geteilte Praxis der Anerkennung gibt. Wenn, dann ist Hegels Theorie der Rechte eine besondere Variante einer Willenstheorie, die sich grob wie folgt beschreiben lässt: Hegel bestimmt Rechte damit, dass sie den (unendlichen) Zweck realisieren, dass sich der an und für sich freie Wille selbst verwirklicht. Demnach vertritt Hegel eine Willenstheorie des Rechts als eines sich selbst verwirklichenden an und für sich freien Willens. Da jedoch die Verwirklichung dieses Willens nur durch einzelne endliche Handlungssubjekte möglich ist, müssen diese selbst Verfügungsgewalt über ihre Entscheidungen und Handlungen besitzen. Um besser zu verstehen, wie sich Hegels Rechtsphilosophie unter den modernen rechtsphilosophischen Vorzeichen reformulieren ließe, soll im Folgenden geklärt werden, was es eigentlich genau bedeutet, dass die Rechtsphilosophie den Systemteil des objektiven Geistes darstellt. 6.2.3 Hegels Begründung der Rechte der Subjektivität In den Kapiteln 2–5 sind die Argumente für die einzelnen Rechte jeweils rekonstruiert worden. Dabei lag allen Argumenten Hegels These zugrunde, dass Recht ein Dasein des freien Willens ist. In Verbindung mit der zusätzlichen Analyse des Willensbegriffs aus Kapitel 1 ergaben sich dann jeweils die einzelnen Rechte der Subjektivität. Das Argument also für das Beweisziel der Grundlinien im Allgemeinen und dann der Moralität im Besonderen bestand darin, dass bestimmte Rechte Gestaltungen des Daseins des für sich freien Willens sind bzw. als solche ausgewiesen werden können. Diese Gestaltungen müssen aus hegelscher Sicht selbst als Selbstbestimmung des freien Willens verstanden werden. Dies hat seinen Grund darin, dass objektiv geltende Normen nur dann als vernünftig eingesehen werden können, wenn sie als potentiell selbstgesetzt verstanden werden können. 34 Für einzelne Willenssubjekte gilt aber, dass sie diese Normen faktisch nie selbst gesetzt haben. Daher müssen – so lief das vorgeschlagene Argument in Kapitel 1 – die objektiv geltenden Normen selbst 34
Das entspricht der subjektiven Komponente sozialer Freiheit nach Neuhouser 2000, 6.
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als Resultat willentlicher Selbstbestimmung verstanden werden. Um den Unterschied zwischen den einzelnen Willenssubjekten und der auf allgemeine Vernünftigkeit Anspruch erhebenden normativen Ordnung zu markieren, verwendet Hegel die Rede von dem an und für sich freien Willen. Hier ist es nun an der Zeit, auf die Dopplung des Begriffs der Selbstbestimmung in Bezug auf den objektiven Geist hinzuweisen. Im Moralitätskapitel scheint es um Rechte des Einzelnen zu gehen, um individuelle, subjektive Rechte. Freie Akteur*innen sind sich selbst bestimmende und diese Selbstbestimmung durch ihr Handeln verwirklichende Wesen. Die Dopplung besteht darin, dass die Rechte der Subjektivität selbst nochmals verstanden werden müssen als Selbstbestimmung und als diese Selbstbestimmung verwirklichendes Dasein. 35 Allerdings kann dies nicht einfach die Selbstbestimmung einzelner Handlungssubjekte sein. Meine These ist, dass die Rechte der Subjektivität nicht einfach daraus resultieren, dass wir alle einzelne Handlungssubjekte sind und gewisse epistemische und evaluative Mängel aufweisen. Dann würden die Rechte lediglich auf eine Faktizität zurückgehen, bei der nicht gänzlich einsichtig wäre, weshalb diese (die Faktizität) auch vernünftig ist. Die Rechte selbst sind also stattdessen der selbstgesetzte Inhalt des an und für sich freien Willens, allerdings nochmals betrachtet unter dem Aspekt des für sich, der Besonderung des Willens. Hier ist es nun wichtig, darauf achtzugeben, dass es bei diesem „für sich“ nicht einfach auf die individuelle, subjektive Perspektive eines jeden Einzelnen ankommt, sondern auf das für sich des an und für sich freien Willens selbst. Verwirklicht wird allerdings der an und für sich freie Wille nur durch das Handeln Einzelner, und doch erschöpft er sich nicht einfach im Handeln Einzelner. Die Rechte der Moralität, und wahrscheinlich Rechte überhaupt, müssen in einem wechselseitigen Anerkennen verwirklicht werden. Die Freiheit des Willens im Sinne einzelner Willenssubjekte besteht in der Anerkennung der anderen als Subjekte. Aus diesem Grund hatte ich bereits oben (Kap. 5.2.1) darauf hingewiesen, dass Hegel das Moralitätskapitel auch mit folgendem Paragraphen hätte anreichern können: Das Moralgebot ist daher: Sei ein Subjekt und respektiere die andern als Subjekte! Das Recht der Subjektivität als Dasein des für sich an und für sich freien Willens muss also zunächst als Selbstbestimmung verstanden werden. Die Form dieser Selbstbestimmung besteht in Rechten, die natürlichen einzelnen Subjek35
Insofern ist die von Willens- wie von Interessentheorie häufig verwendete Rede von der Funktion von Rechten aus hegelscher Sicht irreführend, sofern darunter ein bloßer ZweckMittel-Zusammenhang verstanden wird.
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ten als Trägern zukommen. Der Inhalt dieser Rechte muss selbstgegeben sein. Zwar darf dieser nicht aus Perspektive eines einzelnen Handlungssubjektes bestimmt werden, da er dann lediglich durch Willkürfreiheit festgelegt wäre. Dies würde bedeuten, dass bestimmte Rechte nur deshalb bestehen sollten, weil ein Einzelner eben der Meinung ist, dass dies die besten Rechte wären. Außerdem wäre der Inhalt kein Fall von Selbstbestimmung, da in diesem Falle Inhalte Eingang in die Rechte finden würden, die dem an und für sich freien Willen fremd sind. Da aber der an und für sich freie Wille nur Wirklichkeit erlangt durch das Handeln einzelner endlicher Handlungssubjekte, muss der selbstgegebene Inhalt das für sich dieser einzelnen endlichen Handlungssubjekte berücksichtigen. Daher lassen sich subjektive Rechte etablieren, die zunächst jeder Einzelnen individuelle Bestimmungsrechte zuerkennen. Zugleich ist die Legitimationsquelle dieser Rechte aber nicht die je individuelle Perspektive eines jeden einzelnen Handlungssubjektes, sondern die all diesen einzelnen Handlungssubjekten gemeinsame Struktur. Und diese ist beispielsweise unsere epistemische Endlichkeit. Aber da zugleich dieses Gemeinsame wiederum in verschiedener Ausprägung vorkommt – jede ist doch auch wieder nicht ganz wie der andere –, was Willensstärke, Fähigkeiten oder Intelligenz anbelangt, darf (i) der Ausschluss aus dem Kreis der Vernünftigen nur über einen Schwellenbegriff vonstattengehen 36 und muss (ii) das durchschnittliche Maß an Wissbarem und als gewusst Einforderbarem über einen sozialen, intersubjektiven Prozess ausgehandelt werden. 37 Was bedeutet es nun aber, dass objektiv geltende Normen auf ihre Vernünftigkeit im Sinne freier Selbstbestimmung überprüft werden sollen? 6.2.4 Die Geltung der Rechte der Subjektivität Wie bereits im ersten Kapitel ausgeführt wurde, besteht ein Spezifikum der hegelschen Rechtsphilosophie darin, dass sie denkender Nachvollzug der Vernünftigkeit bereits objektiv bestehender normativer Ordnungen ist. Das begründet Hegels Skepsis bezüglich bloßer Sollensaussagen. Damit haftet Hegels 36
37
„Wie aber die Handlungen nach ihrem äußerlichen Daseyn Zufälligkeiten der Folgen in sich schließen, so enthält auch das subjective Daseyn die Unbestimmtheit, die sich auf die Macht und Stärke des Selbstbewußtseyns und der Besonnenheit bezieht, – eine Unbestimmtheit, die jedoch nur in Ansehung des Blödsinns, der Verrücktheit, u. dergleichen wie des Kindesalters in Rücksicht kommen kann, – weil nur solche entschiedene Zustände den Charakter des Denkens und der Willensfreyheit aufheben und es zulassen, den Handelnden nicht nach der Ehre, ein Denkendes und ein Wille zu seyn, zu nehmen.“ GW 14,1: § 120 Anm., 108. So verstehe ich Hegels Hinweis in § 112 darauf, dass unsere Subjektivität im Handeln wesentlich einen Bezug auf andere Subjekte aufweist.
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Begriff des moralischen Rechts das Merkmal nicht an, das in Menschenrechtsdiskursen den moralischen Rechten häufig zugesprochen wird: „Als moralische Rechte gelten Menschenrechte auch unabhängig von ihrer faktischen Anerkennung und Befolgung.“ 38 Dies kann Hegel schon deshalb nicht meinen, weil faktische Nichtanerkennung und Nichtbefolgung bedeutet, dass diese Rechte kein Dasein haben. Dann sind sie aber erst recht kein Dasein des freien Willens und haben insofern auch keinen Rechtscharakter. Hegel versteht im Gegensatz dazu unter der Geltung der verschiedenen Rechte wenigstens auch ihre (partielle) faktische Anerkennung und Befolgung. Diese minimal-positivistische Annahme liegt dem Theorietyp der Grundlinien zugrunde. Was aber, so muss gefragt werden, macht genau die Geltung der Rechte der Subjektivität in diesem Sinne von Geltung aus, was bedeutet es, dass sie faktisch anerkannt und befolgt werden? Dazu muss an die in Kapitel 1 entwickelte These der Prozessualität des Willens erinnert werden. Diese besagt: Wille ist wesentlich eine Tätigkeit, er muss prozessual verstanden und darf nicht reifiziert werden. Der Wille ist also kein Ding, das bereits vorliegt und nun tätig wird, sondern etwas, das erst durch Tätigkeit selbst Wirklichkeit erlangt. Wenn aber Rechte selbst Daseinsformen des Willens sein sollen, dann müssen auch diese selbst prozessual verstanden werden. Das Argument für die prozessuale Deutung von Rechten: (P1) Recht ist ein Dasein des freien Willens (§ 29). (P2) Der freie Wille ist, was er ist, nur in Tätigkeit (Prozessualität des Willens § 7 Anm.). (P3) Rechte ganz allgemein, damit aber auch die Rechte der Moralität, sind vermittelte Gestalten des freien Willens. (K)
Die Rechte der Moralität müssen prozessual verstanden werden. Ein Recht zu haben besteht letztlich in dem Prozess des Geltendmachens.
Es liegen also auch nicht die Rechte erst vor und müssen dann jeweils (nur) noch verwirklicht werden (Realismus), sondern ihre Wirklichkeit, ihr Dasein, besteht selbst im Prozess ihres Geltendmachens. 39 Dass die Rechte der Subjektivität nun faktisch anerkannt und befolgt werden, bedeutet nicht, dass sich jedes einzelne Handlungssubjekt explizit und ganz bewusst diese Regeln mental vorstellt und ihnen zunächst zustimmt. Faktische Befolgung bedeutet, dass das tatsächliche Handeln implizit von den einzelnen Rechten als Regeln geleitet ist. Die Anerkennung besteht dann ebenfalls darin, dass diese Regeln 38
39
Gosepath zitiert nach Mohr 2010, 69. Dieser Auffassung nach wäre die Begründung moralischer Sollensaussagen für die Geltung dieser Aussagen hinreichend. Aber auch in ihrer historischen Genese, die zu ihnen geführt hat. Siehe zu Hegels Begriff der Weltgeschichte, mit der er die Grundlinien beschließt, Rojek 2017.
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das Handeln implizit leiten. Wenn A gegenüber B einen Vorwurf erhebt und B darauf mit Verweis auf Unwissenheit reagiert, dann ist dieser Verweis auf Unwissenheit ein implizit regelgeleitetes Handeln, und zwar durch die Regel, dass man nur für wissentliches Tun verantwortlich gemacht werden darf. Wenn A daraufhin den Vorwurf zurücknimmt, erkennt auch A diese implizite Regel an. Wichtig für die Geltung der einzelnen Rechte ist zusätzlich, dass sie als implizite handlungsleitende Regeln diachron stabil handlungsleitend sind. 40 Es geht nicht nur um ein einzelnes Dasein, sondern das objektive Dasein des freien Willens. Objektivität erlangt dieses Dasein jedoch erst dadurch, dass die einzelnen Rechte diachron stabil unsere zwischenmenschlichen Praxen leiten. 41 Insofern deckt sich die Geltung der Rechte in diesem Sinne nicht mit ihrer Begründung, ist aber eine Voraussetzung dafür. 42 Für die Frage, wie festgestellt werden kann, dass bestimmte Normen diachron stabil befolgt und anerkannt werden, lässt sich ein bestehendes Rechtssystem untersuchen. Die in der Einleitung genannte rechtswissenschaftliche Rezeptionslinie der Moralität läuft auch genau darüber, dass die Moralität als philosophische Grundlegung des Allgemeinen Teils eines Strafrechts gelesen wird. Diese für das Verständnis des Textes wenigstens sehr gewinnbringende Interpretationshypothese muss nun aber selbst kritisch befragt werden. Wie steht Hegels Moralitätskapitel tatsächlich zum positiven Recht? Worin besteht außerdem der Bezug zur Moral, wenn diese sich nicht in einem bestehenden positiven Recht erschöpft? 40
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Das bedeutet nicht, dass es nicht über längere Zeiträume hinweg zu Veränderungen der handlungsleitenden Regeln kommen kann bzw. diese nicht auch in Form von Normenkrisen erschüttert werden können, so dass sie ihre Funktion verlieren. Zum Thema der Normenkrise insgesamt siehe Gärtner / Gutmann / Mesch / Meyer 2019. Wenn in der Philosophie heutzutage häufig Intuitionen als Mittel zur Begriffsklärung herangezogen werden, dann sollte damit – so ließe sich eine hegelsche Replik formulieren – gemeint sein, dass Intuitionen über tiefliegende und über einen längeren Zeitraum stabile Selbst- und Weltverständnisse Aufschluss geben. Für die Rolle von Intuitionen für Begriffsanalysen siehe Keil 2013. Vgl. dazu Kelsen 1979, 112–113: „Da die Wirksamkeit einer Norm darin besteht, daß sie im großen und ganzen tatsächlich befolgt und wenn nicht befolgt, im großen und ganzen angewendet wird, ihre Geltung aber darin, daß sie befolgt oder wenn nicht befolgt angewendet werden soll, muß die Geltung von der Wirksamkeit der Norm als ein Sollen von einem Sein geschieden werden. Die Vermengung beider, die Identifizierung der Geltung mit der Wirksamkeit ist in der traditionellen Ethik und Jurisprudenz nur allzu häufig. Obgleich Geltung und Wirksamkeit voneinander völlig verschieden sind, besteht doch eine wesentliche Beziehung zwischen beiden. Wirksamkeit ist eine Bedingung der Geltung insofern, als eine einzelne Norm und eine ganze normative Ordnung ihre Geltung verlieren, aufhören zu gelten, wenn sie ihre Wirksamkeit oder die Möglichkeit einer Wirksamkeit verlieren; soweit generelle Normen in Betracht kommen: wenn sie aufhören im großen und ganzen befolgt, und wenn nicht befolgt, aufhören angewendet zu werden.“ Anstatt ›Wirksamkeit‹ und ›Geltung‹ habe ich hier ›Geltung‹ und ›Begründung‹ verwendet.
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6.3 Hegels „Moralität“ und positives Recht Zwar hat die vorangegangene Einordnung der hegelschen Redeweise von Rechten in die Unterscheidungen des Hohfeldschemas und der Debatte um Willens- und Interessentheorien einiges deutlicher machen können, allerdings zeigte sich auch, dass sich die hegelsche Konzeption gegen diese Einordnung teils sperrt. Dies liegt nicht nur oder nicht hauptsächlich daran, dass es sich bei Hegels Grundlinien um einen bereits historisch weiter zurückliegenden Text handelt. Der Hauptgrund besteht in dem hegelschen Theorietypus selbst. Dies wurde im Abschnitt zur Begründung der Rechte der Subjektivität deutlich. Umso mehr stellt sich die Frage, wovon das Moralitätskapitel überhaupt handelt. Ist es eine Moralphilosophie? Dagegen sprechen viele Textbefunde. 43 Ist es eine Theorie positiver Rechte? Auch dagegen sprechen einige Textbefunde. 44 Um nun weitere Klärung darüber zu erlangen, wovon die Moralität eigentlich handelt, was den Bereich ausmacht, den Hegel die Moralität nennt, soll in einem ersten Schritt eine Interpretationshypothese vorgestellt und verteidigt werden. Dabei ist die Idee leitend, dass es sich bei der Moralität um eine freiheitstheoretische Grundlegung von Grundrechten und des Straf- und Deliktsrechts als Anwendungsformen des Verfassungsrechts handelt (6.3.1). Dieser Vorschlag wird jedoch auf zwei Probleme stoßen: Zum einen gibt es gute Gründe, daran zu zweifeln, dass Hegel unser heutiges, auf Grundrechten basierendes Rechtssystem für vernünftig erklärt hätte. Zum anderen lehnt Hegel scheinbar eine positiv-rechtliche Kodierung der Rechte der Moralität ab. 45 Daher soll in einem zweiten Schritt die Frage nach der Möglichkeit moralischer Rechte gestellt werden (6.3.2). Vertritt Hegel die These, dass es moralische Rechte gibt? Was bedeutet dann genau ›moralisches Recht‹? Ist die Moralität ein normativer Bereich, der außerhalb oder teilweise unabhängig von dem positiv-rechtlichen System steht?
43
44
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Insbesondere aber die Tatsache, dass für eine Moralphilosophie typische Normen nicht vorkommen. Insbesondere Hegels Kritik positiver Rechtswissenschaften etwa in § 3 Anm. (GW 14,1, 23– 24), ebenso wie sein weiter Rechtsbegriff (GW 20: § 486, 479–480). Mit dieser These soll also nicht behauptet werden, dass Hegel selbst mit der Moralität die Absicht verfolgt hat, eine solche Grundlegung von Grundrechten zu liefern. Im Gegenteil spricht einiges dagegen. Siehe zu Hegels kritischem Verhältnis zu Grundrechten insb. Siep 1992b; vgl. auch Lübbe-Wolff 1986.
Hegel-Studien
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6.3.1 Grundrechte und das Straf- und Deliktsrecht Um die Interpretationshypothese, der Moralitätsteil liefere eine freiheitstheoretische Grundlegung von Grundrechten und des Straf- und Deliktsrechts, zu entwickeln, soll nun bei der Fundierung des Strafrechts begonnen werden. Vermittelt darüber wird dann die Fundierungsthese für Grundrechte entwickelt, die sich darüber motivieren lässt, dass das Strafrecht angewandtes Verfassungsrecht ist. Der gesamte Moralitätsteil kann, so die Annahme, als moralische Grundlegung des Allgemeinen Teils, wenigstens aber der Handlungs- und Zurechnungslehre des Strafrechts, verstanden werden. Dieser Vorschlag lässt sich zum einen plausibilisieren und zum anderen argumentativ stützen. Die Plausibilisierung nimmt zwei Beobachtungen zu Hilfe. Erstens hat es, wie in der Einleitung bereits gezeigt, seit der Veröffentlichung der Grundlinien eine mehr oder weniger kontinuierliche Auseinandersetzung mit Hegels Moralitätsteil im Strafrecht gegeben. Zweitens, und das erklärt zum Teil auch diesen kontinuierlichen Rezeptionsstrang im Strafrecht, verwendet Hegel im Moralitätsteil überwiegend Beispiele aus dem Strafrecht, er verwendet die strafrechtsdogmatische Terminologie seiner Zeit, wie etwa den Ausdruck der gerichtlichen Zurechnung, des Vorsatzes, aber auch den des dolus indirectus. Nun mögen diese zwei Beobachtungen die hier vorgeschlagene Lesart zwar plausibilisieren, allerdings folgt daraus nicht, dass Hegel auch tatsächlich eine moralphilosophische Grundlegung des Strafrechts vornimmt. Es lässt sich mit hegelschen Mitteln allerdings für die These argumentieren, dass der Moralitätsteil auch als Grundlegung des Strafrechts verstanden werden kann. Dazu sei das Argument für das Beweisziel der Moralität nochmals angeführt: (P1) „Dieß, daß ein Daseyn überhaupt, Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht.“ 46 (P2) Um zu wissen, was Recht dem Inhalt nach ist, muss man ein Dasein interpretieren als Dasein des freien Willens. (P3) „Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist.“ 47 (K)
46 47
Um zu wissen, was Recht vom moralischen Standpunkt aus ist, muss man ein Dasein interpretieren als Dasein des freien Willens, insofern er „ für sich unendlich ist“.
GW 14,1: § 29, 45. GW 14,1: § 105, 99.
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Das Argument für die Lesart in diesem Abschnitt lässt sich entwickeln, wenn man jeweils das erste Vorkommnis des Ausdrucks ›Dasein‹ in diesem Argument substituiert. Substituieren wir einmal ›Dasein‹ durch ›positives Rechtssystem‹. Dann erhalten wir folgendes Argument: (P1) „Dieß, daß ein [positives Rechtssystem / T.M.] überhaupt Daseyn des freyen Willens ist, ist das Recht.“ 48 (P2) Um zu wissen, was Recht dem Inhalt nach ist, muss man ein positives Rechtssystem interpretieren als Dasein des freien Willens. (P3) „Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist“ 49 (K)
Um zu wissen, was Recht vom moralischen Standpunkt aus ist, muss man ein positives Rechtssystem interpretieren als Dasein des freien Willens, insofern er „ für sich unendlich ist“.
Diese Substitution lässt sich damit begründen, dass Hegel dem bloßen Sollen sehr skeptisch gegenüberstand. Er hat nicht das Ziel verfolgt, die Frage danach zu stellen, was gut und was geboten ist, losgelöst davon, ob das Gesollte auch realisierbar ist. Stattdessen war Hegel der Ansicht, dass sich das Gesollte auch bewähren muss; es muss nicht nur realisierbar, sondern (wenigstens partiell) realisiert sein. Deshalb besteht sein Philosophieren in einem Reflektieren über bestehende Verhältnisse mittels seines philosophischen Instrumentariums. Der bisherige Vorschlag der Substitution von ›Dasein‹ durch ›positives Rechtssystem‹ soll daher die Frage klären, worin denn die „bestehenden Verhältnisse“ genau bestehen. Damit konkretisiert dieser Vorschlag hier die allgemeinere Bestimmung des Daseins des freien Willens. Nun besteht ein positives Rechtssystem aus sehr vielen Normen verschiedenster Art. Für die Rechte der Moralität ist daher zu fragen, an welcher Stelle in einem Rechtssystem diese etwa auftauchen. Wie im Folgenden argumentiert werden soll, wird man am ehesten im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches fündig. 50 Dies lässt sich über die zweite der beiden obigen Beobachtungen motivieren. Hegel verwendet sehr viele Strafrechtsbezüge, und zwar solche, die den Allgemeinen Teil behandeln. Unter dem Allgemeinen Teil des Strafrechts versteht man „die für alle Delikte gemeinsam geltenden Bestimmungen über die Voraussetzungen und Folgen strafbaren Verhaltens“ 51. Genauer gesagt thematisiert das Moralitätskapitel daher allgemeine Strafbarkeitsvoraussetzungen, die grundsätzlich für alle konkreten Straftaten gelten, wie sie dann im Be48 49 50 51
GW 14,1: § 29, 45. GW 14,1: § 105, 99. Ich gehe nun immer vom Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland 2020 aus. Roxin 2006: 7.
Hegel-Studien
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sonderen Teil bestimmt werden. Nun könnte eingewandt werden, dass dies lediglich Beispiele sind, dass Hegels Beweisziel aber ein generelles ist und für Moral überhaupt gelten soll. Nimmt man nun nochmal das Recht des Wissens mit hinzu, dann lässt sich etwas deutlicher machen, weshalb diese Lesart der freiheitstheoretischen Grundlegung des Strafrechts systematisch erhellend ist. Das Recht des Wissens besagt: „Das Recht des Willens aber ist, in seiner That nur dieß als seine Handlung anzuerkennen, und nur an dem Schuld zu haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke weiß, was davon in seinem Vorsatze lag.“ 52
Wenn also ein Individuum nur Dasein in seinen Handlungen als Ausdruck seines subjektiven Willens hat, dann hat es kein Dasein in den Aspekten seiner Tat, die nicht Teil seines Willens waren. Um also die Selbstrealisierung eines subjektiven Willens zu sichern, muss der Einzelne das Recht haben, Handlungs- und Verantwortungszuschreibungen anzufechten. Nun stellt sich aber zugleich die Frage, was ›Recht‹ hierbei dann genau bedeuten soll. Wenn man nun die Konklusion des inhaltlich angereicherten Arguments für das Beweisziel der Moralität heranzieht, dann muss also gefragt werden, welche Normen eines positiven Rechtssystems genau dieses Recht auf Anfechtung sichern. Meine These ist, dass es genau die Normen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches sind, da sie Ausdrücke wie ›Vorsatz‹, ›Notwehr‹ und ähnliches Vokabular enthalten und entsprechende Rechte bestimmen. Die These besagt, dass § 15 des Strafgesetzbuches die Norm ist, die das Recht des Wissens schützt: „Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“ 53
Wichtig ist hierbei das „nur“, da es im Umkehrschluss bedeutet, dass ein Handeln dann nicht strafbar ist, wenn es nicht vorsätzlich war. Wenn man die Rede von der Strafbarkeit ersetzt durch die der strafrechtlichen Verantwortung, dann wird in diesem § 15 StGB eine notwendige Bedingung für die strafrechtliche Verantwortung ausgedrückt. Und das wiederum bedeutet, dass der Vorwurf der Strafbarkeit und die damit einhergehende Strafandrohung angefochten werden kann, wenn gezeigt werden kann, dass kein vorsätzliches Handeln vorlag. Dass man dieses Recht hat, bedeutet dann, dass man rechtliche Prozeduren bemühen kann, die der Rechtsprechung verbieten, das Urteil über jemanden zu verhängen, sich strafbar gemacht zu haben (mit allen damit
52 53
GW 14,1: § 117, 105. Die Zusatzklausel bezüglich der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit wird hier ausgeblendet.
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einhergehenden Folgen wie derjenigen etwa, dass die Person dann auch nicht bestraft werden darf). Oben wurde das Recht des Wissens als bedingte Immunität verstanden. Es müsste weiter geklärt werden, ob die Norm § 15 StGB ebenfalls als eine solche Norm verstanden werden kann. Problematisch an der Lesart könnte sein, dass sich § 15 StGB als Norm nicht an den Einzelnen richtet, sondern an die Strafbehörden. Es ist insofern eine Rechtseinschränkung, und zwar die Einschränkung des Strafrechts auf vorsätzliche Handlungen. Der Zusammenhang zum Recht des Wissens könnte dann noch so verstanden werden, dass sich ein Rechtssystem in seiner Strafhoheit zum Schutze des subjektiven Rechts des Wissens vernünftigerweise selbst einschränkt. Nun mag man der vorherigen Argumentation zustimmen, aber darauf verweisen, dass im Moralitätsteil wenigstens noch ein weiterer Rechtsbereich thematisiert wird, und zwar das Deliktsrecht als ein Teilgebiet des Rechts der gesetzlichen Schuldverhältnisse 54, das als Schuldrecht Teil des Zivil- oder auch Privatrechts ist. Bei diesem Rechtsgebiet geht es um die Frage, wer im Falle eines entstandenen Schadens ersatzpflichtig ist. Dabei ist wichtig, dass der Schaden aus einer unerlaubten Handlung resultiert. Häufig laufen deliktsrechtliche parallel zu strafrechtlichen Prozessen, da zum Beispiel ein Einbrecher neben dem strafrechtlichen Vergehen sehr wahrscheinlich auch zu kompensierende Schäden verursacht hat. Weil das Strafrecht jedoch nicht der Funktion dient, privatrechtliche Ansprüche und damit Schadenskompensationen zu regeln, sondern qua öffentlichem Recht das Verhältnis von Individuum und Staat thematisiert, benötigt man ein zusätzliches Recht, das diese nichtvertraglichen, aufgrund unerlaubten Handelns entstandenen Ansprüche regelt. Dabei besteht die Besonderheit etwa gegenüber dem sonstigen Privatrecht darin, dass das mögliche Schuldverhältnis nicht durch Vertrag entsteht, wie der Name ›gesetzliche Schuldverhältnisse‹ auch bereits anzeigt, sondern allein aufgrund eines entstandenen Schadens. Es handelt sich bei dem Deliktsrecht um ein dem Strafrecht sehr nahestehendes Rechtsinstitut. Insbesondere für all jene Taten, die fahrlässig verübt wurden und für die gar keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit besteht, wird das Deliktsrecht relevant. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen wohl um Sachschäden. Ebenso wie das Strafrecht sieht auch das Deliktsrecht eine Kausalitätsbedingung vor. Allerdings werden im Deliktsrecht im Gegensatz zum Strafrecht die Ebenen von Kausalität und objektiver Zurechnung zusammengezogen. Dies geschieht in der Anwendung der Adäquanztheorie der Kausalität, die oben bereits dargestellt wurde. Außerdem setzt die deliktische Haftung geringere Ansprüche an die Wissenskomponente des Einzelnen. Um die Hauptnorm § 823 BGB des deutschen Deliktsrechts zu zitieren: 54
Zu diesem Rechtsgebiet insgesamt siehe Jansen 2016.
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„Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“
Das bereits diskutierte Notrecht hatte deliktsrechtliche Implikationen. Wie § 823 BGB besagt, muss die Verletzung widerrechtlich geschehen und das bedeutet, dass eine Schadensersatzpflicht nur dann besteht, wenn es keinen Rechtfertigungsgrund gibt. Der sogenannte defensive Notstand in § 228 BGB regelt genau einen solchen Rechtfertigungsgrund: „Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.“
Ähnlich also wie im vorangegangenen Unterkapitel könnte man hier sagen, dass § 228 BGB die positiv-rechtliche Grundlegung des subjektiven Rechts ist, seine Interessen zu verfolgen, wie etwa die eigene körperliche Unversehrtheit oder überhaupt seine Rechtsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Ebenso schützt der sogenannte aggressive Notstand in § 904 BGB dieses Recht der Subjektivität, hält jedoch weiterhin das Recht des Eigentums aufrecht: „Der Eigentümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist. Der Eigentümer kann Ersatz des ihm entstehenden Schadens verlangen.“
Der erste Satz enthält im Umkehrschluss, dass die Einzelne gerechtfertigt ist, auf das Eigentum einer anderen einzuwirken, etwa im Schneesturm in deren Hütte einzubrechen, wenn ihr Leben in Gefahr ist. Dass zugleich die Eigentümerin weiterhin einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Ersten besitzt, entspricht der Aussage Hegels, dass dieses Recht des Eigentums durch das Notrecht keinesfalls als Recht außer Kraft gesetzt ist. Nun schützt § 823 I BGB die sogenannten absoluten Rechte, und zwar die Rechte auf „Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum“. Damit lässt sich dieser Paragraph durchaus als angewandtes Verfassungsrecht ansehen, ebenso wie nach gängiger Auffassung das Strafrecht insgesamt als angewandtes Verfassungsrecht anzusehen ist. 55 Wenn dem aber so ist, dann lässt sich die Frage aufwerfen, ob Hegel mit den Rechten der Subjektivität nicht 55
So eine mündliche Bemerkung Günther Jakobs'.
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letztlich sogar freiheitstheoretische Grundlagen von Grundrechten oder, wenn man Grundrechte als positivierte Menschenrechte ansieht 56, von Menschenrechten entwickelt hat. Könnte man also sagen, dass Hegel im Moralitätskapitel seiner Grundlinien eine freiheitstheoretische Grundlegung von Grundrechten vornimmt? 57 Der Einzelne hat das Recht, sich nur bestimmte Folgen als seine Handlung zurechnen zu lassen. Das bedeutet, dass er dies gegen Eingriffe geltend machen kann. Welcher Art sollten dann aber diese Eingriffe sein? Darunter fällt beispielsweise ein strafrechtliches Urteil. Wenn nur vorsätzliches Handeln strafbar ist, dann darf der Staat vermittelt über ein Gerichtsurteil die Einzelne nicht bestrafen, wenn diese nicht vorsätzlich gehandelt hat. 58 Aber in welches Grundrecht würde ein Strafurteil eingreifen, und würde dieses möglicherweise auch verletzen, wenn man die Unwissenheit des Einzelnen ignorieren würde? Die negativen Grundrechte, so eine mögliche Überlegung, auf Persönlichkeitsentfaltung und Freiheit werden beispielsweise dann eingeschränkt, wenn eine Person mit einer Freiheitsstrafe bestraft wird. Dieser Eingriff muss gerechtfertigt werden, ansonsten wäre er als nichtgerechtfertigter Grundrechtseingriff verfassungswidrig. Das Strafrecht, verstanden als angewandtes Verfassungsrecht, basiert nun selbst auf dem Prinzip des Schutzes der Grundrechte. Damit besteht eine Spannung zwischen dem Zweck des Strafrechts als Schutz von Grundrechten und dem Eingriff in Grundrechte im Falle einer Strafe. Das bei Hegel sogenannte Recht des Wissens kann verstanden werden als ein in § 15 des StGB verankertes Abwehrrecht, das den strafenden Grundrechtseingriff des Staates wiederum beschränkt. Insofern kann man auch bereits die in Kapitel 2 entwickelte Kausalitätsbedingung als Bedingung betrachten, die einen Grundrechtseingriff abwehrt. Man könnte etwa ähnlich dem § 15 StGB folgende Norm einführen: „Vollendete Erfolgsdelikte sind nur dann strafbar, wenn zwischen der Handlung und dem Erfolg des jeweiligen Straftatbestandes eine Kausalrelation bestand.“
56 57
58
So Stepanians 2008: 1067. Diese These wurde von Ralf Dreier vertreten in Dreier 1981: 325: „Doch läßt sich mit guten Gründen die These vertreten, daß Hegels Theorie der Moralität diejenige Stelle in seinem System vertritt, in der eine Theorie der Grundrechte des status negativus anzusiedeln sind.“ Der Ausdruck status negativus geht auf den Staatsrechtler Georg Jellinek (1851–1911) und dessen Werk System der subjektiven öffentlichen Rechte (1892) zurück und steht genau für das, was heute unter dem Ausdruck Eingriffsabwehrrecht verstanden wird. Vgl. dazu Siep 1992b, 306. Wie bereits bemerkt steht nicht zur Debatte, ob Hegel selbst beabsichtigte, mit dem Moralitätsteil eine Grundrechtsfundierung vorzunehmen. Immer vorausgesetzt, dass keine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorliegt.
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In diesem Falle wäre auch die Kausalität eine notwendige Eingriffsbedingung, so dass ihr Nichtvorliegen ein Eingriffsabwehrrecht begründet. Da aber der Ausdruck „Eingriffsabwehrrecht“ ein grundrechtlicher Terminus ist, sollte er hier nicht verwendet werden. Stattdessen könnte von einem grundlegenden Anfechtungsrecht gesprochen werden. Auf der Ebene des Vorsatzes ist es so, dass man im Falle eines möglichen Strafnormverstoßes für den Prozess ein Abwehrrecht besitzt, nicht für alles Mögliche belangt werden zu können. Man könnte also bei dem Recht des Wissens durchaus von einem Eingriffsabwehrrecht bzw. von dessen Fundierung sprechen, das dann negative Freiheit, also die Freiheit von einem äußeren Eingriff, verwirklicht. 59 Wie bereits angemerkt ist das Recht des Wissens als Anfechtungsrecht nicht direkt in das Ensemble der Eingriffsabwehrrechte einzuordnen. Zwar schützt es vor ungerechten Eingriffen, allerdings ist schwer nachzuvollziehen, welches Grundrecht in dem Falle verletzt würde, in dem man für Dinge verantwortlich gemacht würde, die man nicht hat wissen können. Oder anders formuliert: Welches Grundrecht wäre verletzt, würde man § 15 StGB aufheben und also bestrafen dürfen, auch wenn kein Vorsatz vorliegt? Das Recht auf das Wohl bzw. darauf, in seinem Handeln sein Wohl zu verfolgen, ließe sich als freiheitstheoretische Grundlegung inhaltlicher Eingriffsabwehrrechte verstehen. Zwar formuliert Hegel das Recht des Wohls so allgemein, dass es nicht direkt einem Grundrecht unseres Grundgesetzes zuordenbar ist, allerdings lässt sich dafür argumentieren, dass sich Eingriffsabwehrrechte mit Verweis auf das Recht des Wohls durch Konkretisierung stützen lassen. So ließe sich etwa die allgemeine Handlungsfreiheit 60 in Artikel 2 I GG damit stützen. Dort heißt es: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Zwar wird dieses Grundrecht gleich mit Einschränkung formuliert, dennoch besagt das eigentliche Recht zunächst, dass jeder das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung habe. Und was sonst könnte das Recht, das eigene Wohl und das Wohl anderer im eigenen Handeln zu suchen, bedeuten, wenn nicht dieses Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit? 59
60
Insofern ist möglicherweise auch Axel Honneths Bestimmung reflexiver Freiheit als positive Freiheit zumindest unvollständig, wenn damit zugleich beansprucht wird, Hegels Moralitätskapitel der Grundlinien einzufangen. Siehe Moritz 2016. So wird der Inhalt von Art. 2 I GG für gewöhnlich in der rechtswissenschaftlichen Literatur zum Öffentlichen Recht bezeichnet. Siehe etwa Epping 2015: 265 ff.
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Ein Problem der Grundrechte stützenden Lesart des Moralitätskapitels muss allerdings mit Verweis auf Hegels Hinweis in der Anmerkung zu § 126 noch genannt werden: „Es ist übrigens der Standpunkt zu beachten, auf dem Recht und Wohl hier betrachtet sind, nemlich als formelles Recht und als besonderes Wohl des Einzelnen; das sogenannte allgemeine Beste, das Wohl des Staates d. i. das Recht des wirklichen concreten Geistes, ist eine ganz andere Sphäre, in der das formelle Recht ebenso ein untergeordnetes Moment ist, als das besondere Wohl und die Glückseligkeit des Einzelnen. Daß es einer der häufigen Misgriffe der Abstraction ist, das Privatrecht wie das Privatwohl, als an und für sich gegen das Allgemeine des Staats geltend zu machen, ist schon oben bemerkt.“ 61
Bedenkt man, dass die Grundrechte als Norm- und Wertgrundlage unseres gesamten Rechtssystems fungieren, wäre es durchaus denkbar, dass sich unsere Art von Verfassung mit hegelschen Mitteln schwerer stützen lässt als hier vorgeschlagen. 62 Letztlich hängt die Frage, ob dies möglich ist, davon ab, wie man sich zum dritten Teil der Grundlinien, zur Sittlichkeit, verhält, die in dieser Arbeit ausgeblendet wurde. Hier bleibt also ein Desiderat. 63 Aber selbst wenn man annimmt, dass sich die hegelsche Konzeption so deuten ließe – unabhängig von der Intentionen des Autors Hegel –, bleibt noch eine weitere Schwierigkeit bestehen. Wenn die Rechte der Subjektivität die Grundlage für Grundrechte darstellen sollen, diese aber wiederum als positivierte moralische Rechte verstanden werden und die Positivierung moralische Rechte ihres genuinen Charakters beraubt, dann muss geklärt werden, ob Hegel die These vertreten hat, dass es moralische Rechte gibt, und wenn ja, wie er deren Verhältnis zum positiven Recht bestimmt hat.
61 62
63
GW 14,1: § 126, 112. Allerdings muss man hier unterscheiden zwischen der Frage, ob der Mensch Hegel mit seinen politischen Ansichten dies gutgeheißen hätte, und der Frage, ob die philosophischen Mittel der hegelschen Rechtsphilosophie eine solche Fundierung zulassen, wenigstens in dem Sinne, dass sie damit nicht im Widerspruch stehen. Woran ich aber bereits hier festhalte, ist die These, dass die Moralität für sich eine Grundrechte fundierende Lesart nicht ausschließt. Man ist also an dieser Stelle noch nicht verpflichtet, eine solche grundrechtsskeptische Haltung einzunehmen, wie Hegel sie selbst bereits in § 126 vertritt. Zugleich muss aber auch gesagt werden, dass das, was Hegel in § 126 behauptet, auch heute noch Geltung für sich beanspruchen kann – die Krise im Umgang mit der Pandemie von COVID-19 2020, der durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Lungenerkrankung, gibt ein gutes Zeugnis davon ab.
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6.3.2 Das Recht des subjektiven Willens – moralische Rechte? Die Debatte um moralische Rechte baut letztlich auf dem Gegensatz zwischen Naturrecht und Positivismus auf. 64 Moralische Rechte, so die Idee, sind normative Ressourcen, die erlauben, bestehendes positives Recht zu kritisieren und als illegitim auszuweisen. Geht man davon aus, dass diese normative Ressource in positives Recht übertragbar ist, dann stellt sich die Frage, wie die Positivierung moralischer Rechte genau zu verstehen ist. Wie verhalten sich positive Grundrechte zu moralischen Rechten? Jean-Francois Kervégan und Georg Mohr haben sich zu der Frage nach der Möglichkeit moralischer Rechte in dieser Funktion kritisch geäußert und zugleich auf verschiedene Weise die Rechtsphilosophie des Deutschen Idealismus, Kervégan allgemein, Mohr speziell bezogen auf Fichte, als Alternative angeführt. 65 Für die Frage dieses Abschnitts lohnt es daher, sich die beiden Kritiken anzuschauen. Kervégan stellt die Frage, ob es moralische Rechte gebe und was es bedeuten könnte, dass diese „in juridische Rechte transformiert werden können“ 66. Letzteres sei eine These Ronald Dworkins, den Kervégan als Vertreter moralischer Rechte diskutiert. Ein erstes Problem bei der Rede von moralischen Rechten bestehe darin, dass diese nicht mit allen Moralphilosophien kompatibel sei. Nach vielen Konzeptionen sind anstatt von Rechten Pflichten die deontische Grundform der Moral. Manchen Konzeptionen zufolge gibt es möglicherweise gar keine moralischen Rechte. Dies ist insofern problematisch, als die Annahme moralischer Rechte zur Kritik positiven Rechts auf eine bestimmte Moralphilosophie festlegt und damit demgegenüber nicht neutral ist. Unter Verwendung einiger Unterscheidungen von Joel Feinberg zeigt Kervégan Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zwischen positiven Rechten und „moralischen“ Rechten auf. Beide seien valid claims, also Ansprüche, die erhoben werden können. Moralische Rechte können dabei auch tatsächlich juridifiziert und so in die Form positiven Rechts transformiert werden. Allerdings erlangen sie damit zugleich Eigenschaften, die den „moralischen“ Rechten abgehen, und zwar „gegen bestimmte Personen [. . . ] gemäß einem institutionellen Verfahren eingeklagt werden [zu] können“ 67. Schließlich schlägt Kervégan einen Verzicht auf die Verwendung des Ausdrucks ›moralisches Recht‹ vor, „weil die konzeptuellen Unterschiede zwischen ‚moralischen Rechten` und juridischen Rechten über deren Ähnlichkeiten obsiegen, selbst wenn die einen und die anderen 64
65 66 67
Für einen Überblick zum Thema des Verhältnisses zwischen Moral und Recht siehe Gutmann 2016. Kervégan 2010 und Mohr 2010. Kervégan 2010: 51. Kervégan 2010: 55.
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sich in ihrer je eigenen normativen Ordnung als valid claims darstellen“ 68. Es handle sich bei Moral und Recht um verschiedene „normative Ordnung[en]“, die „eine ganze Reihe struktureller Unterschiede [haben], auf welche insbesondere die Philosophen des Deutschen Idealismus (Kant, gefolgt von Fichte und Hegel) verdienstvollerweise aufmerksam gemacht haben“ 69. Er schließt mit der These, „dass in der Rechtsordnung (law) das Recht (right) und in der Moralordnung die Verpflichtung (duty) Vorrang hat“ 70. Es wird also zu klären sein, ob Hegel ebenfalls diese bereichsspezifische Priorität deontischer Status behauptet. Bereits an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage unterschieden werden muss von der hegelschen Vorrangthese aus der Einleitung in die Grundlinien, der entsprechend der jeweils systemnächste Teil gegenüber dem früheren normativen Vorrang besitzt (Moral vor Abstraktem Recht, Sittlichkeit vor Moral). Georg Mohr beginnt seinen Beitrag mit der These, dass es moralische Rechte nicht gebe. Auch dabei soll es um die Rede von moralischen Rechten „zur Formulierung des Anspruchs der Richtigkeit, Gerechtigkeit und Legitimität positiven Rechts“ 71 gehen. Mohr bezieht sich dabei explizit auf Menschenrechtsdebatten, in denen moralische Rechte zur Fundierung von Menschenrechten angeführt werden. „Kein positives Gesetz, das eine Menschenrechtsverletzung darstellt, kann Rechtsgeltung beanspruchen. Menschenrechte sind insofern negative Geltungsgrenze positiven Rechts. Dieser Geltungsanspruch von Menschenrechten wird häufig mit der These in Verbindung gebracht, Menschenrechte seien moralische Rechte.“ 72 Die Idee moralischer Rechte kritisiert Mohr, indem er aufzeigt, dass ihre Einführung fehlerhaft bzw. redundant ist. Denn moralisch ließen sich Rechte als Korrelate von Pflichten entwickeln. Allerdings führt dies zu dem Problem, dass es moralische Pflichten gibt, denen keine moralischen Rechte korrespondieren. Die Rede von Rechten mache nur Sinn im juridischen Bereich. Die angebliche Motivation hinter der Rede von moralischen Rechten bestehe laut Mohr in Folgendem: „Menschenrechte sollen als Rechte mit besonderem Geltungsrang, mit besonders ‚intensiver` Geltung verstanden werden. Die Tatsache, dass Menschenrechte dies alles sein sollen: vorpositiv, generell, fundamental, universell, etc., soll durch den Begriff des moralischen Rechts markiert werden.“ 73 Somit hat die Rede von moralischen Rechten primär emphatische und damit expressive Funktion. Dies könne jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verhältnis von Recht 68 69 70 71 72 73
Kervégan 2010: 59. Kervégan 2010: 59. Kervégan 2010: 59. Mohr 2010: 63. Mohr 2010: 64. Mohr 2010: 70.
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und Moral durch „kategoriale[] Differenzen“ 74 geprägt sei. Das Ziel, außerpositive Kritikinstrumente für das Recht zu haben, teilt Mohr, glaubt jedoch, dass die Rede von moralischen Rechten hierbei nicht weiterhilft. Stattdessen entwickelt er eine auf Fichtes Rechtsphilosophie aufbauende Konzeption der Menschenrechte als „Bedingung der Möglichkeit des Personseins“ 75. „Menschenrechte sind ein Normtyp, der der Differenzierung in Moral und positivem Recht vorgelagert ist. Sie sind fundamental in dem Sinne, dass sie den normativen Orientierungsrahmen dafür abstecken, was es überhaupt heißen soll, eine Kultur menschlichen Zusammenlebens mit den Mitteln des Rechts, d. h. eine ‚Rechtskultur` zu entwickeln.“ 76 Auf diese Weise soll das legitime Interesse hinter der Rede von moralischen Rechten bewahrt bleiben, ohne den Ausdruck ›moralisches Recht‹ verwenden zu müssen. Damit macht auch Mohr primär einen terminologischen Vorschlag, wobei er im Gegensatz zu Kervégan zusätzlich die stärkere These vertritt, der Begriff moralischer Rechte weise eine „interne Inkonsistenz“ 77 auf. Damit besteht der Einwand gegen die Rede von moralischen Rechten darin, dass die Semantik von ›Rechte‹ wesentlich die institutionelle Einklagbarkeit enthalte, die für Ansprüche der Moral nicht gelte. Außerdem bestehe der deontische Grundcharakter der Moral in Pflichten und nicht in Ansprüchen. Was ergibt sich aus dieser Diskussion für ein Verständnis der Rechte der Moralität? Sind damit moralische Rechte im Sinne dieser Debatte gemeint? Treffen Hegel also die Einwände Kervégans und Mohrs? Wie ist in diesem Fall deren affirmativer Bezug auf die Rechtsphilosophie des Deutschen Idealismus als eine Alternative zu verstehen? Diese Fragen sollen nun diskutiert werden, indem das Verhältnis der Rechte der Subjektivität zum positiven Recht diskutiert wird. Folgende Bemerkung aus der Rechtspflege scheint Hegels Haltung bezüglich dieses Verhältnisses eindeutig zu belegen: „die moralische Seite und moralischen Gebote, als welche den Willen nach seiner eigensten Subjectivität und Besonderheit betreffen, können nicht Gegenstand der positiven Gesetzgebung seyn.“ 78
Hier ergibt sich nun ein grundlegendes Problem für die obige Lesart, den Moralitätsteil als freiheitstheoretische Grundlegung des Strafrechts zu lesen. Wenn man akzeptiert, dass § 15 StGB positiv gesetztes Recht, Resultat der positiven Gesetzgebung, ist, und wenn man zudem akzeptiert, dass dieser § 74 75 76 77 78
Mohr 2010: 71. Mohr 2010: 72. Mohr 2010: 73. Mohr 2010: 75. GW 14,1: § 213, 178.
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das Recht des Wissens im Moralitätsteil Hegels schützt, dann folgt daraus, dass „die moralische Seite“ durchaus „Gegenstand der positiven Gesetzgebung seyn“ kann. Damit besteht ein direkter Widerspruch zwischen meiner Lesart und dem hegelschen Text. Zunächst das Argument für die These, auf die ich festgelegt bin: (P1) § 15 StGB ist Resultat der positiven Gesetzgebung. (PG(a)). (p) (P2) § 15 StGB schützt ein Recht der Moralität (das Recht des Wissens). (SRM(a)) (q) (P3) Wenn ein Resultat der positiven Gesetzgebung ein Recht der Moralität schützt, dann kann „die moralische Seite [. . . ] Gegenstand der positiven Gesetzgebung seyn“. (Für alle x: Wenn PG(x) & SRM(x), dann gibt es ein y, so dass gilt: MS(y) & GPG(y). (p&q → r) (K)
„[D]ie moralische Seite“ kann „Gegenstand der positiven Gesetzgebung seyn“. Es gibt ein x, so dass gilt: MS(x) & GPG(x). (r) 79
Damit steht diese Aussage, die aus meiner Annahme im letzten Unterkapitel folgt, in direktem Widerspruch zu Hegels These: „[D]ie moralische Seite“ kann nicht „Gegenstand der positiven Gesetzgebung seyn“. Mehrere Möglichkeiten bestehen nun, mit diesem Widerspruch umzugehen. Wenn man Hegels These als korrekt anerkennt, dann muss in dem obigen Argument entweder der Übergang von den Prämissen zur Konklusion fehlerhaft oder wenigstens eine der Prämissen falsch sein. Die erste Prämisse wird wohl niemand ernsthaft anfechten. Allerdings ließe sich eine Kritik an der zweiten Prämisse anführen: Zwar enthalte, so könnte der Einwand lauten, § 15 die Rede von Vorsätzlichkeit, allerdings könne dieser Paragraph nicht als Realisierung des Rechtes des Wissens verstanden werden. Dies liege daran, dass das Recht des Wissens als Anfechtungsrecht konzipiert ist, § 15 aber nicht im eigentlichen Sinne ein Anfechtungsrecht ist. Dies zeigt sich daran, dass nicht der Angeklagte nachweisen muss, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat, um dann einen strafrechtlichen Vorwurf anzufechten, sondern dass es Obliegenheit der Anklage (Staatsanwaltschaft) ist, nachzuweisen, dass er vorsätzlich gehandelt hat. Diesem Einwand lässt sich entgegnen, dass er zwar richtigerweise Bezug auf Fragen der Beweislast nimmt, dass das Recht des Wissens aber letztlich neutral gegenüber dieser Frage ist. Ob nun die Angeklagte nachweisen muss, dass sie nicht vorsätzlich gehandelt hat, oder aber die Staatsanwaltschaft, dass sie vorsätzlich gehandelt hat, ändert nichts an der Tatsache, dass § 15 das Recht schützt, nur dann bestraft werden zu können, wenn auch vorsätzlich gehandelt 79
Es werden also die Kürzel verwendet: PG(x) = x ist positives Gesetz, SRM(x) = x schützt ein Recht der Moralität, MS(x) = x ist die moralische Seite, GPG(x) = x ist Gegenstand der positiven Gesetzgebung.
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Hegels „Moralität“ und positives Recht
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wurde. 80 Akzeptiert man also auch (P2), dann besteht noch die Möglichkeit, den Übergang von (P1) und (P2) zu (K) zu kritisieren. 81 Dies ist schwierig, da das Argument formal gültig ist. Es besteht nämlich aus der Form: (P1) PG(a) (P2) SRM(a) (P3) Für alle x: Wenn PG(x) & SRM(x), dann gibt es ein y, so dass gilt: MS(y) & GPG(y). (K)
Es gibt ein x, so dass gilt: MS(x) & GPG(x).
Die Gültigkeit des Arguments lässt sich wie folgt beweisen 82: 1. Für alle x: Wenn PG(x) & SRM(x), dann gibt es ein y, so dass gilt: MS(y) & GPG(y) 2. PG(a) 3. SRM(a) 4. PG(a) & SRM(a) → Es gibt ein x, so dass gilt: (MS(x) & PGP(x)) 5. PG(a) & SRM(a) 6. Es gibt ein x, so dass gilt: MS(x) & GPG(x)
[All-Elim: 1] [&-Intro: 2,3] [→Elim: 4,5] qed
In der einfacheren, aussagenlogischen Rekonstruktion: 1. p 2. q 3. p & q → r 4. p & q 5. r
[&-Intro: 1,2] [→Elim: 3,4]
Da nun also weder eine der Prämissen noch der Übergang von den Prämissen zur Konklusion angegriffen werden können, besteht die Alternative darin, Hegels eigene These in den Blick zu nehmen. 80
81
82
Prämisse 2 kann also offen gegenüber der Frage sein, wie die genaue Institutionalisierung eines Rechtes der Moralität auszusehen hat. Die in unserem Rechtssystem (Bundesrepublik Deutschland 2020) bestehende Regel der Beweislast leitet sich selbst vom Prinzip in dubio pro reo ab. Zwar könnte auch (P3) angezweifelt werden, jedoch halte ich diese Prämisse für eine unproblematische semantische Explikation von Hegels Rede, dass „die moralische Seite“ „Gegenstand der positiven Gesetzgebung“ sein könne. Hierbei verwende ich eine vereinfachte Form des Fitch-Kalküls natürlichen Schließens. Siehe für den Fitch-Kalkül und die Beweisregeln der Prädikatenlogik erster Stufe Barwise / Etchemendy 2005.
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Diese kann normativ verstanden werden und würde dann besagen: Es sollte nicht der Fall sein, dass die moralische Seite Gegenstand einer positiven Gesetzgebung ist. Daraus würde dann wiederum folgen, dass unser heutiges positives Recht unvernünftig wäre, da es für wenigstens eine Norm, § 15 StGB, diese Forderung verletzt. Nun hat Hegel noch nicht von § 15 StGB wissen können. Allerdings existierte bereits zu Hegels Lebzeiten ein ähnlicher §, sowohl im Allgemeinen Landrecht der preußischen Staaten von 1794 als auch im Bayrischen Gesetzbuch von 1813. Hegel hat sehr wahrscheinlich beide Texte gekannt. 83 Dies kann wiederum bedeuten, dass Hegel entweder diese Positivität bereits zu seinen Lebzeiten als unvernünftig ausgewiesen hätte oder aber einfach nicht bedacht hat, dass es doch Fälle der Positivierung moralischer Rechte gibt. Für letzteren Fall hätte er selbst also einfach einen Fehler gemacht. Für die These, dass Hegel das bestehende Strafrecht als unvernünftig hat ausweisen wollen, spricht nichts. Eine solche Kritik bleibt nämlich explizit aus; und bedenkt man, dass Hegel ansonsten auch Kritik an bestehenden Konzeptionen übt, fragt sich, weshalb er es in diesem Fall ausgelassen hätte. Natürlich lässt sich Hegel alternativ ein Fehler unterstellen und hier soll auch keineswegs der hegelsche Text als sakrosankt behandelt werden. Allerdings schlage ich vor, eine noch nicht besprochene Lesart von § 213 anzuführen, die zugleich neues Licht auf das Verhältnis von positivem Recht und Moral zu werfen vermag. Die Nichtpositivierbarkeit moralischer Rechte kann nämlich auf zweierlei Weise verstanden werden: 1) In keinem Fall und unter keinen Umständen darf ein moralisches Recht Gegenstand eines Gesetzes sein. 2) Ein moralisches Recht darf nicht für alle Lebensbereiche immer positivrechtlich durchsetzbar sein. Ich behaupte nun, dass Hegel in § 213 die zweite Lesart meint. Kritik an der Formulierung besteht weiterhin, da er dies auch expliziter hätte machen können. Aber was bedeutet diese zweite Lesart genau? Um das Beispiel des Strafrechts zu bemühen: Dieses regelt positiv-rechtlich einen ganz bestimmten Handlungsbereich, und zwar geht es um eine Sanktionierung überwiegend solcher Taten, die grundlegende Rechte Einzelner verletzen und damit zugleich gegen die allgemeine Rechtsordnung verstoßen. Eine Strafe als Reaktion auf einen solchen Verstoß bedeutet jedoch selbst, wie bereits oben angemerkt, einen enormen Einschnitt in die Freiheitssphäre des Einzelnen. Aus diesem Grund wird im Falle des Strafrechts oft von der ultima ratio gesprochen. Für diesen Fall, so könnte man also sagen, muss das Recht des Wissens gewahrt 83
Das legen zumindest die Schriften zur Rechts- und Staatswissenschaft aus Hegels Nachlass nahe (siehe jetzt die editierte Auktionsliste in GW 31,2).
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bleiben, es darf nicht sein, dass die strafende Gerechtigkeit gegen dieses Recht der Moralität verstößt. Damit ein solcher Verstoß aber auch stabil gesichert werden kann, muss er selbst durch ein positives Gesetz unterbunden werden (und § 15 StGB kann genau als eine solche Unterbindung verstanden werden). Und insofern kann die moralische Seite Gegenstand der positiven Gesetzgebung werden. Allerdings ist der Geltungsbereich von § 15 StGB auf denjenigen des Strafrechts eingeschränkt und kann überhaupt nur wirksam sein, wenn in Frage steht, ob jemand eine Straftat begangen hat. Nun lässt sich jedoch gegen das Recht des Wissens auch in solchen Handlungszusammenhängen des Alltags etwa verstoßen, die überhaupt nicht strafrechtlich geregelt sind. Und für diese Kontexte soll es keinen positiv-rechtlichen Schutz dieses Rechts geben. Wenn mir meine Mitbewohnerin einen Vorwurf macht und meinen Versuch, diesen Vorwurf durch Verweis auf Unwissenheit anzufechten, nicht akzeptiert, sie also streng genommen gegen mein Recht des Wissens verstößt, kann ich sie nicht etwa selbst mit Verweis auf § 15 StGB kritisieren oder die Zurücknahme ihres Vorwurfs rechtlich erzwingen. Genau dies, so meine Lesart von § 213, soll auch nicht der Fall sein. Somit ließe sich sagen, dass die Rechte der Subjektivität Gegenstand der positiven Gesetzgebung sein können, aber nur in den Fällen, in denen auf Seiten des Staates etwa Eingriffsrechte in die Freiheitssphäre des Einzelnen überhaupt bestehen. Damit diese selbst eingeschränkt werden können, bedarf es gewisser positiver Gesetze, welche die Rechte der Subjektivität schützen. Für alle Bereiche, in denen die Subjektivität eine Rolle spielt, soll es keine positiv-rechtliche Erzwingbarkeit geben und dies ist insofern konsequent, als das oben aufgestellte Moralgebot „Sei ein Subjekt und behandle die andern als Subjekte!“ gerade Wert darauf legt, dass man aus den richtigen Gründen die Rechte der Subjektivität wahrt. Sobald man aber bestimmte Rechte positivrechtlich erzwingen kann, kann sich dieses Geltendmachen der Rechte von den Gründen für sie loslösen und so den Zweck der Rechte der Subjektivität unterminieren. 84 Damit ist zugleich bereits etwas zu dem ersten Einwand gegen moralische Rechte gesagt. Sie können in dem jetzt entwickelten Verständnis durchaus in ein positives Recht integriert und damit auch rechtlich erzwingbar sein. Wie verhält es sich nun aber mit dem zweiten Einwand, der Inadäquatheit, überhaupt von moralischen Rechten zu sprechen, wenn es sich doch in der Moral um Pflichten handelt. Wie steht Hegel also zu der These, dass es entweder (i) moralische Rechte gar nicht gebe, sondern nur Pflichten, oder aber (ii), dass Rechte den moralischen Pflichten nachrangig und von diesen abgeleitet seien? 84
Daraus sind auch Kants kritische Einstellung gegenüber dem positiven Recht und seine Rede des bloß pflichtgemäßen Handelns zu erklären.
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Vertritt Hegel einen solchen bereichsspezifischen methodischen Vorrang von Pflichten? Klar ist, dass der Begriff des Rechts bei Hegel Vorrang besitzt. Die Grundlinien als ganze sind als eine Philosophie des Rechts konzipiert. Pflichten werden, wie gezeigt wurde, erst im Laufe der Rechtsentwicklung eingeführt. Aber wie verhält es sich dann mit dem Moralbegriff? Sind in der Moral nicht gerade die Pflichten die deontische Primärkategorie? Da Hegel die Ausdrücke ›Moral‹ und ›Moralität‹ terminologisch verwendet, ist diese Ansicht der Pflicht als deontische Primärkategorie aus hegelscher Sicht zunächst abzulehnen. Das Moralische ist nicht primär durch Pflichten charakterisiert, sondern durch das Dasein des freien Willens, und zwar in der Hinsicht seiner inneren Selbstbestimmung als Subjektivität. Jedoch kann auch Hegel der Ansicht etwas abgewinnen, dass es in der Moral primär um Pflichten gehe. Um dies zu zeigen, müssen zwei Moralbegriffe unterschieden werden. In der Literatur ist von Dudley Knowles der Vorschlag gemacht worden, den Moralitätsteil in zwei Teile zu gliedern und den ersten mit dem Ausdruck Moralität1, den zweiten mit Moralität2 zu bezeichnen. 85 Moralität1 erstreckt sich nach Knowles von den §§ 115–128, geht also vom Beginn des Vorsatzabschnitts bis zum Endes des Absichtsabschnitts. Moralität2 bezieht sich dann auf den dritten Abschnitt über „Das Gute und das Gewissen“. Den ersten Teil bestimmt er inhaltlich als „Hegel's Philosophy of Action and Moral Psychology“ 86, den zweiten hingegen als „The Good“ 87. Obwohl ich mit Knowles' Interpretationen nicht in jeder Hinsicht übereinstimme, halte ich diese Einteilung für hilfreich. Zwar gibt es einen guten Grund, weshalb Hegel alle drei Abschnitte unter dem Titel der Moralität behandelt. 88 Jedoch weichen insbesondere die ersten beiden Abschnitte damit von der gängigen Redeweise von Moral ab. In der Einleitung hatte Hegel bereits darauf verwiesen, dass er die Ausdrücke Moralität und Sittlichkeit für Verschiedenes verwenden wolle, und diese terminologische Unterscheidung ist unbedingt zu beachten. Allerdings verwendet Hegel an manchen Stellen den Ausdruck ›Moral‹ oder auch ›moralisch‹ doch im zweiten, engeren Sinne. Die Schwierigkeiten, die man damit hat, Moral in positives Recht zu überführen, hängen mit dem zweiten, engeren Moralbegriff zusammen. Der erste weitere Moralbegriff hingegen bringt, wie gezeigt wurde, weniger Schwierigkeiten mit sich. Eine Schwierigkeit, im engeren Sinne moralische Forderungen zu verrechtlichen, liegt darin, dass die Verrechtlichung normative Forderungen von jeweils subjektiven Überzeugungen und Motiven entkoppelt. Wenn es eine rechtliche Forderung ist, Bestimmtes 85 86 87 88
Knowles 2002: 165–220. Knowles 2002: 165. Knowles 2002: 191. Alle drei Abschnitte behandeln Daseinsformen des für sich freien Willens. Die Rechtsdefinition aus § 29 ist die alle Rechtsphänomene vereinende Bestimmung.
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zu tun oder zu unterlassen, dann reicht es für den Bereich des Rechts aus, dass man sich daran hält, ungeachtet der Frage, aus welchen Gründen man dies nun genau tut. Kantisch gesprochen gibt es auf der Ebene des positiven Rechts den Unterschied zwischen pflichtgemäßem Handeln und Handeln aus Pflicht nicht. Die innere Haltung zum Geforderten und die Motivation, aus der heraus man das Geforderte tut, sind jedoch wesentlicher Bestandteil der moralischen Sphäre im engeren Sinne. Das Problem der Verrechtlichung bestünde also darin, dass durch die Entkopplung von der inneren Seite gerade das der Moral Eigene verloren ginge bzw. dieselbe korrumpieren würde. Um dies zu verdeutlichen, ein Beispiel: A macht B einen Vorwurf, weil B sich A gegenüber nicht korrekt verhalten hat. Im Falle der Verrechtlichung der Moral wäre es nun denkbar, dass A B gegenüber rechtlich erwirken könnte, dass B sich A gegenüber entschuldigen müsste. Wie könnte aber eine Entschuldigung rechtlich geregelt sein? Sagen wir, sie bestünde darin, dass B die Worte äußert: ›Ich entschuldige mich‹. Das Merkwürdige daran wäre, dass dann die innere Seite gerade wieder nicht Gegenstand wäre, da diese sich auf das Gemeinte und nicht auf das Gesagte bezieht. Wenn B die Worte äußert, aber nicht meint, wäre im moralischen Sinne keine Entschuldigung erfolgt. In diesem Sinne verstehe ich also Hegels These aus § 213, dass nur die moralische Seite im engeren Sinne nicht Gegenstand positiver Gesetzgebung sein darf. Allerdings ist hier erstens hinzuzufügen, dass diese Zweiteilung der Moralität nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass Hegel den Ausdruck ›Moralität‹ terminologisch verwendet, um alle Phänomene in den Blick zu bekommen, bei denen es um die innere Seite besonderer Subjektivität geht. Auch die Moralität im engeren Sinne würde falsch verstanden, wenn man nicht bereits Vorsatz-, Absichts- und Wohlfragen mit in den Bereich der Moral aufnehmen würde. Außerdem hält Hegel zweitens eine strikte Gegenüberstellung von pflichtgemäßem Handeln und Handeln aus Pflicht für unangemessen. Genauer: Hegel hält ein pflichtgemäßes Handeln aus besonderen Motiven und Interessen für mit einem Handeln aus Pflicht kompatibel. In der Sittlichkeit soll es gerade darum gehen, dass sich die Motive, aus denen heraus die Individuen handeln, mit dem decken, was die sittliche Ordnung von ihnen verlangt. 89 Allerdings, so muss die Aussage in § 213 verstanden werden, kann dies eben nicht rechtlich erzwungen werden. Aber vertritt Hegel überhaupt die These, dass es moralische Rechte gibt? Das Argument für moralische Rechte:
89
Daher rührt auch Hegels Polemik in der Anmerkung von § 124 gegen die Behauptung, das Verfolgen der eigenen besonderen Interessen könne sich nicht decken mit dem gleichzeitigen Verfolgen gemeinschaftlicher politischer Interessen.
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(P1) Wenn man davon ausgeht, dass sich rechtliche und moralische Forderungen gegeneinander abwägen lassen, einander übertrumpfen können etc., dann setzt dies voraus, dass beide Arten von Forderungen einen gemeinsamen Vergleichsmaßstab besitzen. (P2) Moralische und rechtliche Forderungen lassen sich gegeneinander abwägen, insbesondere lassen sich moralische Forderungen gegen rechtliche ins Feld führen. (ZK) Moralische und rechtliche Forderungen besitzen einen gemeinsamen Vergleichsmaßstab. (P3) Der Vergleichsmaßstab von rechtlichen und moralischen Forderungen ist, dass beides Daseinsformen des an und für sich freien Willens sind. (P4) Recht ist nichts anderes als Daseinsform des an und für sich freien Willens. (K)
Es gibt moralische Rechte.
Für die Debatte um die Möglichkeit und die Rolle moralischer Rechte kann Hegels Position wie folgt zusammengefasst werden: Die Rede davon, bestehendes Recht mit Verweis auf „moralische Rechte“ zu kritisieren, ergibt nur dann Sinn, wenn es eine positiven wie moralischen Rechten gemeinsame Grundlage gibt. Ansonsten bestünde Inkommensurabilität oder auch normative Unübersetzbarkeit. Hegel verwendet den Ausdruck ›Recht‹, um dies auszudrücken. Das Gemeinsame besteht darin, dass es sich bei all den verschiedenen „normativen Ordnungen“ um objektive Daseinsformen des freien Willens handelt. Nur in dieser Hinsicht lassen sie sich überhaupt gegeneinander ins Feld führen. Kervégan betont die Unterschiede zwischen juridischen und moralischen Rechten und votiert daher für den Verzicht auf die Verwendung des letzteren Ausdrucks. Hegel hingegen – auch im Wissen um die Differenzen – scheint die Gemeinsamkeiten zu betonen, um Übersetzbarkeit gewährleisten zu können. Um einen Streit um Worte zu vermeiden und eine tiefliegende Schwierigkeit in den Blick zu bekommen, schlage ich vor, dass (i) klargemacht wird, welche Ausdrücke wofür verwendet werden. Geht man mit Hegel und Kervégan davon aus, dass es etwas den verschiedenen normativen Ordnungen gemeinsam Zugrundeliegendes geben muss, bietet sich dann an, (ii) die Frage zu stellen, wie sich die verschiedenen Ausgestaltungen desselben Prinzips zueinander verhalten. Bezogen auf Hegel mache ich den Vorschlag, das Verhältnis von Moralität zu positivem Recht wie folgt zu bestimmen: (i) Die Moralität als Recht von Subjektivität als innerer Seite des Willens liefert Ansprüche derjenigen Wesen einander gegenüber, die die notwendige Verwirklichungsbedingung einer jeden normativen Ordnung sind.
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(ii) Zu diesen Ansprüchen von Subjekten gehört, sich aus der eigenen subjektiven und inneren Perspektive zu einer normativen Ordnung verhalten zu können. (iii) Sofern ein positives Rechtssystem diesen Anspruch verunmöglicht, verliert es den Status, objektives Dasein des freien Willens zu sein. Insofern dieser Status den Ausdruck ›Recht‹ definiert, verliert es damit also den Status, Recht zu sein. 90 (iv) Die Positivierung moralischer Rechte hat an zwei Stellen ihre Grenze: a. Die Einklagbarkeit positiver Ansprüche ist positiv-rechtlich in nur begrenztem Maße zu sichern. b. Die rechtliche Zwangsdurchsetzung der Erfüllung moralischer Pflichten widerspricht dem Prinzip der Moralität im engen Sinne, weil positiv-rechtliche Einklagbarkeit zur Entkopplung dieser inneren Seite führt. Es bleibt noch die Frage, ob die Wahl des Ausdrucks ›Recht‹, ungeachtet der systematischen Angemessenheit, dennoch unangebracht ist oder sogar einen Kategorienfehler darstellt, wie Mohr behauptet. Überreizt Hegel möglicherweise die Semantik von ›Recht‹? Selbstverständlich kann man normieren, wie es im eigenen Erkenntnisinteresse liegt. Jedoch hatte Hegel durchaus ein Interesse daran, so zu normieren, dass die gewählten Ausdrücke auch tatsächlich das tragen, was sie in ihrer gewöhnlichen Verwendung bedeuten. Zugleich war er jedoch auch offen gegenüber neuen Normierungen. So schlägt er in der Einleitung vor, Moral und Sittlichkeit für Verschiedenes zu verwenden. Warum also nicht auch mit dem Ausdruck ›Recht‹? Wichtig ist, dass nicht der Ausdruck ›Recht‹, sondern der Ausdruck ›Dasein des freien Willens‹ Analysans ist. Hegel normiert den Ausdruck ›Recht‹ durch den des (objektiven) Daseins des freien Willens. Stößt nun aber diese Normierung im Falle der Moralität an semantische Grenzen? Ich denke, nicht: Sowohl im Alltag als auch und erst recht im Strafrecht fechten wir Verantwortungszuschreibungen und Vorwürfe häufig mit Verweis auf das nicht-Vorliegen der genannten Verantwortungsbedingungen bzw. das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen an. Wir berufen uns dabei auf implizites Recht, auf Ansprüche. Christopher Cowley hat dies sehr anschaulich an einem alltäglichen Beispiel aufgezeigt: „I am engrossed in something, and do not notice a mosquito landing on my arm and beginning to suck. You come over and swat my arm. I look up, astounded at this gratuitous act of sadism; you 90
Insofern ist die Moralität ein „moralisches Minimum“ (Gutmann 2016: 188) des positiven Rechts. Dies schließt allerdings nicht aus, dass derartige Rechtssysteme relativ zu anderen alternativen und möglicherweise kompatiblen Rechtsbestimmungen weiterhin als Recht gelten können.
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point at the dead mosquito and flick it off. Instantly my indignation disappears and is replaced by mild gratitude.“ 91 Der Sprecher hätte auch verbal sagen können: „Hey, was soll das? Du darfst mir doch nicht einfach auf den Arm schlagen.“ Und die andere Person hätte ebenso sagen können: „Aber sieh' doch, das habe ich ja nicht zum Spaß getan, sondern, um dich vor dem Mückenstich zu bewahren.“ Dass Mohr dagegen die Rechtesemantik ablehnt, hat letztlich mit seinem Verständnis von Moral und Moralphilosophie zu tun, für das der primäre Gegenstand der Moral Verpflichtungen sind, und der zusätzlichen Annahme, dass es in vielen Fällen kein diesen moralischen Pflichten korrelierendes Recht gibt. Kervégan wie Mohr diskutieren die Rede von moralischen Rechten, sofern sie dem Zweck dient, bestehendes positives Recht zu kritisieren. Dabei klären sie nicht, was eigentlich die Rede von ›moralisch‹ genau austrägt, außer eben, eine dem positiven Recht externe normative Quelle zu bezeichnen. Bei Hegel hingegen hat der Ausdruck ›moralisch‹ zunächst eine andere Bedeutung und bezieht sich auf den gesamten Bereich der Subjektivität und der individuellen inneren Seite von Subjekten. Moralisch nennt Hegel also ein Recht, insofern es das Dasein des besonderen, inneren freien Willens sichert. Die Frage nach der adäquaten Wahl der Terminologie wird letztlich nur über die jeweils verfolgten Erkenntnisinteressen festzulegen sein. Hegel interessiert die innere Seite besonderer Subjektivität als Teilbereich der Wirklichkeit des freien Willens, Kervégan und Mohr hingegen die Zurückweisung bestimmter Positionen innerhalb der Rechtsphilosophie, insbesondere der Debatte um Menschenrechte. Damit soll das Thema der Rechte der Subjektivität an dieser Stelle beendet werden.
91
Cowley 2014: 29.
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Schluss und Ausblick
I
n dieser Arbeit stand die hegelsche Konzeption von Verantwortung und Verursachung im Mittelpunkt. Im ersten Kapitel ist zunächst der Rahmen der hegelschen Rechtsphilosophie dargestellt worden, so dass eine eingängige Untersuchung der Verantwortungsthematik möglich wurde. Hegel entwickelt in den Grundlinien eine Philosophie des Rechts, die unter ›Recht‹ neben abstraktrechtlichen (positiven) Rechtsbestimmungen auch moralische und sittliche Rechte fasst. Dem Phänomenbereich nach handelt es sich daher bei den Grundlinien um eine praktische Philosophie, die Rechtsphilosophie, Moralphilosophie, Sozialphilosophie und politische Philosophie vereint. Grundlegend für alle diese Phänomene ist der Begriff des freien Willens, der im ersten Kapitel interpretiert und systematisiert wurde. Dieser Begriff ist entsprechend der hegelschen Begriffslogik dreigeteilt in Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Zudem muss der Begriff subjektivitätstheoretisch verstanden werden, was bedeutet, dass er die Struktur von Selbstbewusstsein erfüllt. Bezogen auf den einzelnen Willen eines Handlungssubjekts ist dies nachvollziehbar, setzt Handeln, zumindest im eigentlichen Sinne, Selbstbewusstsein voraus. Akteur zu sein bedeutet, denken zu können und auf Grund von Überlegungen sein Wollen bestimmen zu können. Allerdings soll auch der Begriff des Rechts selbst Subjektivitätsstruktur besitzen. Es wurde der Vorschlag gemacht, diese Forderung Hegels so zu verstehen, dass nur unter dieser Annahme bestehende Rechtsverhältnisse von einzelnen Handlungssubjekten als selbstbestimmt verstanden werden können. Dass es wiederum notwendig ist, bestehende Rechtsverhältnisse insgesamt als Bestimmung des eigenen Willens zu verstehen, liegt daran, dass nur auf diesem Wege die Vernünftigkeit bestehender Rechtsverhältnisse nachgewiesen werden kann. Deshalb bestimmt Hegel das Recht in § 29 als „ Daseyn des freyen Willens“ 1. Da es in der Moralität als zweitem Teil der Grundlinien um einzelne Rechte der Subjektivität geht, wurde im ersten Kapitel ein Brückenprinzip eingeführt, das einen Zusammenhang zwischen der allgemeinen Rechtsbestimmung und der Rede von einzelnen Rechten ermöglicht. Dieses Prinzip diente dann ab dem zweiten Kapitel als Prämisse in den einzelnen Argumenten für die verschiedenen Rechte. Das Phänomen der Verantwortung wurde so dargestellt, dass es über
1
GW 14,1: § 29, 45.
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Schluss und Ausblick
eine Reihe von Bedingungen zu analysieren ist, die in den Kapiteln 2–5 thematisch waren. Dabei orientierte sich die Reihenfolge dieser Bedingungen am Text der Grundlinien selbst. Die größte Herausforderung bestand darin, zu zeigen, dass Hegel in § 115 und damit zu Beginn der Moralität zunächst lediglich die kausale Bedingung für Verantwortung, also die Verursachung des zu Verantwortenden, thematisiert, die im zweiten Kapitel im Zentrum stand. Nach dem Nachweis, dass er dies tatsächlich tut, wurde dann gezeigt, welches Verständnis Hegel von der Kausalbedingung der Verantwortung besitzt. Neben dem engen Kausalitätsbegriff aus der Wesenslogik geht Hegel in den Grundlinien, so konnte gezeigt werden, von einem weiten Kausalitätsbegriff aus, der in Form einer Bedingungstheorie über Bündel von für sich notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen konzipiert wird. Mit den Mitteln der INUS-Theorie Mackies als einer methodisch ausgearbeiteten Version dieses Theorietyps wurde Hegels Theorie der Kausalität im Recht dann reformuliert. Dabei wurde mit Verweis auf den wesenslogischen Kausalitätsbegriff, demzufolge Kausalität als absolute Selbstbestimmung verstanden wird, gezeigt, dass Hegel ein zweistufiges Modell vertritt, demzufolge sowohl zu Zwecken der Verantwortungszuschreibung möglichst weitgehend Kausalfaktoren ermittelt werden können als auch zum Zweck philosophischer Erklärungen gezeigt werden kann, weshalb gerade einzelne Subjekte als Ursachen in Betracht kommen. Zudem wurde gezeigt, inwiefern der wesenslogische Kausalitätsbegriff als absoluter Selbstbestimmung auch für die Rechtsphilosophie insgesamt und damit für den Moralitätsteil zur Erklärung herangezogen werden kann. Aus systeminterner Perspektive spielt die Kausalität auch deshalb eine Rolle, weil die einzelnen Rechte als Selbstverwirklichung des freien Willens verstanden werden können müssen. Und dies tun sie nur, wenn man die Struktur der Selbstverwirklichung als einen Kausalbegriff zugrunde legt. Die Figur des freien Willens, der den freien Willen will, besagt genau diese Form der Selbstverursachung, bei der Form und Inhalt des Willens zusammenfallen. War das zweite Kapitel noch mit der Herausforderung konfrontiert, weitestgehend nur implizite Aussagen zur Grundlage nehmen zu können, so konnte das dritte Kapitel, in dem es um die Wissensbedingung der Verantwortung geht, bereits auf den gesamten ersten Abschnitt des Moralitätsteils der Grundlinien („Der Vorsatz und die Schuld“, §§ 115–118) Bezug nehmen. Damit konnte dann auch jeweils das Argument rekonstruiert werden, mit dem Hegel für das jeweilige Recht der Subjektivität argumentiert. Entgegen der Einteilung bei Hegel wurde die Wissensbedingung zweigeteilt, so dass neben dem Vorsatz als Wissen von Einzelnem noch die Absicht als Wissen von Allgemeinem untersucht wurde. Außerdem wurde das Wissen der Handlungsumstände von dem Wissen der Handlungsfolgen unterschieden. Die grundsätzliche Argu-
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mentation für das Recht des Wissens bestand darin, dass das Wissen Teil des Wollens ist, das Wollen aber erst dann verwirklicht ist, wenn die Tat eines Handlungssubjekts als Willensverwirklichungstätigkeit auch tatsächlich den subjektiv gesetzten Zweck in der Objektivität als der äußerlichen, natürlichen und sozialen Welt realisiert. Wichtig ist, dass Handlungssubjekte die Taten anderer als deren jeweilige Willensverwirklichung deuten können. Die Deutung als Willensverwirklichung kann aber verhindert werden, wenn (i) erfolgreiches Handeln nicht anerkannt wird oder aber (ii) nicht-intendierte Folgen dennoch zugeschrieben werden. Das Recht des Wissens schützt nun primär vor Fällen der Gruppe (ii). In der Diskussion mit der Herausforderung, die George Sher für Verantwortungstheorien vorgebracht hat, ist dann dafür argumentiert worden, dass das zweite Recht des Wissens, das Recht der Absicht, zulässt, dass unter bestimmten Bedingungen auch dann gerechtfertigterweise verantwortlich gemacht werden kann, wenn die Wissensbedingung nicht erfüllt war. Hegels Lösung des Problems nicht-intendierter und dennoch vorwerfbarer Folgen des eigenen Handelns zeigte eine Spannung zwischen der individuellen und besonderen Subjektivität Einzelner und der objektiven Subjektivität in Gestalt der zuschreibenden Gemeinschaft auf. Diese Spannung konnte mit der Analyse von Hegels Askriptivismus teilweise geklärt werden. Dabei wurde jedoch auch klar, dass die Perspektive der Moralität partiell konstitutiv für diese Spannung ist. Vollständig auflösen lässt sich diese auf der Ebene der Moralität nicht. Damit war zwar zum einen die Grenze der Moralität benannt, die aber zum anderen auch ein Potential für die Freiheitsverwirklichung birgt. Denn letztlich sichern die Rechte der Moralität jeder und jedem Einzelnen den Raum, kritisch über bestehende Rechtsverhältnisse zu reflektieren und sich eine begründete Meinung zu ihnen zu bilden. Und die Grundlinien als ein philosophischer Text, der bestehende Rechtsverhältnisse als vernünftig einsichtig machen soll, stehen gerade auch im Dienst dieses Rechts. Das Kapitel endete mit einer offenen Frage, welche die Unterscheidbarkeit des noch Zurechenbaren und des Nicht-mehr-Zurechenbaren, weil nicht Gewussten, des eigenen Tuns betrifft. Damit war das Thema des vierten Kapitels, der Zufall in normativen Kontexten, gegeben. Hegels Thematisierung des Zufalls als Verantwortungsgrenze wurde über das Verhältnis von subjektivem Zweck (Innen) und objektivem Zweck (Außen) des je einzelnen Willens bestimmt. Das zweite und das dritte Kapitel hatten dafür alle Mittel bereitgestellt, denn die Frage nach noch zurechenbarem und nicht mehr zurechenbarem Zufall stellt eine Verbindung zwischen Verursachungs- und Wissensbedingung von Verantwortung her. Zwar sind auch zufällige Handlungsfolgen einer Tat von dieser verursacht, jedoch besteht die Frage, ob sie auch adäquat verursacht wurden. Dafür muss auf das Wissen als die Vorhersehbarkeit dieser Folgen Bezug genommen werden.
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Diese subjektive Begrenzung lässt sich aber dann nicht aufrechterhalten, wenn es objektives Wissen über kausalgesetzmäßige Wirkungszusammenhänge gibt, die nur dem einzelnen Subjekt nicht zugänglich waren. Ebenso lassen sich gewusste, aber nicht intendierte Folgen zuschreiben, da der Ausdruck des Wollens nicht nur und ausschließlich durch den subjektiven Zweck bestimmt wird, sondern auch über das, was tatsächlich getan wurde. Um das Problem des Zufalls in den Griff zu bekommen, wurde neben den epistemischen Anforderungen noch der Begriff der Kontrolle eingeführt, der Handlungskompetenzen bezeichnet, über die wir regelmäßig zum Erfolg von intendierten Zwecken gelangen. Damit war ein erster Begriff von Verantwortung in der Analyse abgeschlossen. Diesem Verständnis von Verantwortung liegt noch keine Vorwerfbarkeit im eigentlichen Sinne zugrunde, da die wertende Ebene der in Frage stehenden Handlung noch gar nicht thematisiert wurde. Das geschah im fünften Kapitel. Dort stand der Wert von Handlungen im Vordergrund. Sofern dieser Wert das Recht des Wohls fundiert, das ebenso wie die vorherigen Rechte über die Willensverwirklichung begründet wurde, dient er zur Grundlage von Rechtfertigungsgründen des Handelns. Eine gerechtfertigte Handlung mag vielleicht grundsätzlich vorwerfbar sein und damit verantwortlich machen. Allerdings führt die Rechtfertigung dazu, dass die Person dennoch nichts Vorwerfbares getan hat, da sie, gedeckt durch ihr Recht des Wohls, lediglich eigenen Interessen nachgegangen ist. Mit dem Begriff des Guten und des Gesetzlichen wurde dann aber der Wert von Handlungen eingeführt, der interessentranszendierend verstanden werden muss und dadurch die Vorwerfbarkeit von Handlungen zu fundieren vermag. Insbesondere das Recht auf Einsicht in das Gesetzliche war dabei zentral, da es den Begriff der Verantwortung über die Bedingung des Verbotswissens in seiner Analyse abschließt. Erst wenn alle bis dahin entwickelten Bedingungen erfüllt sind und zudem ein Wissen vom Wert der Handlung bestand, liegt Verantwortung im Vollsinne vor. Darüber hinaus konnte im fünften Kapitel der Begriff der Pflicht eingeführt und damit Hegels Grundlage für die Verantwortung für Unterlassungen und fahrlässiges Verhalten begründet werden. Im sechsten und letzten Kapitel dieser Arbeit wurde der Bogen wieder zum ersten Kapitel geschlagen. Hierbei sollten die verschiedenen im Zuge der Arbeit entwickelten Rechte auf ihren Status als Rechte hin untersucht werden. Dabei konnte mit Hilfe des Hohfeldschemas Klarheit in die verschiedenen Arten der Rechte der Subjektivität gebracht werden. Bezüglich der Funktion dieser Rechte wurde dann Hegels Konzeption als Willenstheorie eigenen Typs bestimmt. Zwar dienen diese Rechte der Sicherung des Willens, jedoch nicht einfach nur des Willens Einzelner, sondern vermittelt durch diese der Sicherung des an und für sich freien Willens. Die Rechte der Subjektivität müs-
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sen selbst verstanden werden als Selbstverwirklichung dieses freien Willens. Das Dasein des freien Willens durch diese Rechte stellte dann auch die Begründung derselben dar. Bezüglich der Geltung im Sinne der Wirksamkeit der Rechte der Subjektivität wurde gezeigt, dass Hegel diese als Teil einer gelebten Praxis betrachtet. Die Analyse der Rechte der Subjektivität führte dann zu der Frage, in welchem Verhältnis diese zum bestehenden positiven Recht stehen. Dazu wurde ein erster Vorschlag gemacht, der besagt, dass sie als freiheitstheoretische Fundierung von Grundrechten und damit vermittelt auch als Fundierung des Strafrechts verstanden werden können. Diese Lesart ist jedoch mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass Hegel in seiner Rechtsphilosophie keine Grundrechte vorsieht und der Idee derselben auch kritisch gegenüberstand. Dies führte dann nochmals zu der Frage, welcher Art die Rechte der Subjektivität sind, insbesondere, ob es sich bei ihnen um moralische Rechte handelt. Die Diskussion dieser Frage hatte schließlich ein differenziertes Verständnis Hegels zum Ergebnis, wie das Verhältnis dieser Rechte zum positiven Recht zu verstehen ist. Dabei dienen die Rechte der Moralität als Begrenzung des positiven Rechts, insofern dieses jene ansonsten verletzen würde. Das bedeutet, dass etwa eine Norm wie der § 15 StGB, der nur vorsätzliches Handeln mit Ausnahme explizit formulierter Fahrlässigkeitsstrafbarkeit unter Strafe stellt, als positiv-rechtliche Verwirklichung des Rechts des Wissens verstanden werden muss. Eine Grenze haben die Rechte der Subjektivität allerdings dann, wenn es um die Frage der positiv-rechtlichen Erzwingung moralischer Pflichten geht. Wie gezeigt wurde, handelt die Moralität auch moralische Pflichten ab. Das Problem daran, diese positiv-rechtlich durchzusetzen, bestünde darin, dass diese Erzwingbarkeit gerade das Besondere dieser Pflichten, nämlich die innere Motivation, ihnen gemäß zu handeln, loslösen würde. Wenn von mir positiv-rechtlich ein Handeln erzwungen werden kann, zu dem ich moralisch verpflichtet bin, dann ist es möglich, dass ich es nicht mehr deshalb tue, weil ich moralisch dazu verpflichtet bin, sondern deshalb, weil es rechtlich gefordert wird. Aufgrund der Entkopplung moralischer Motive durch die Zwangslogik positiven Rechts ist es von besonderer Wichtigkeit, dass die Moralität als eigenständige normative Sphäre bestehen bleibt. Neben diesen Ergebnissen haben sich an verschiedenen Stellen auch Fragen ergeben, die im Rahmen dieser Arbeit nicht bearbeitet werden konnten. Dazu zählt die Frage, weshalb die Rechte der Subjektivität im Rahmen der Philosophie des objektiven Geistes bestimmt werden. Ansatzweise ist darauf bereits eingegangen worden, dass der objektive Geist als Daseinsform des freien Geistes qua objektiver Subjektivität zwar einerseits allgemein etablierte Normen und Regeln zum Gegenstand hat, welche die Perspektive Einzelner transzendieren, dass er aber andererseits qua Subjektivität auch die Perspektive
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Einzelner berücksichtigen muss. Allerdings müsste weitergehend mit intensivem Bezug zur Begriffslogik das Verhältnis von Subjektivität und objektivem Geist untersucht werden. 2 Im ersten Kapitel wurde die Höherstufigkeit der Moralität gegenüber dem abstrakten Recht thematisiert. Diese konnte dann für Hegels Notstandslehre herangezogen werden. Dabei war im ersten Kapitel allerdings offengeblieben, ob moralische Rechte in jedem Fall abstrakte Rechte übertrumpfen. Diese Frage betrifft die Frage nach Kriterien dafür, wann welches Rechtsgebiet (abstraktes Recht, Moralität, Sittlichkeit) welches übertrumpfen darf. Dafür hätte allerdings eine Gesamtanalyse der Grundlinien vorgenommen werden müssen, was den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte. Insbesondere die Tragfähigkeit des hegelschen Ansatzes für heutige Probleme, die über das Strafrecht und die Moral hinausgehen, müsste weiter untersucht werden. Das Thema der Kausalität ist für Verantwortung deshalb so wichtig, weil die Kausalverläufe eine natürliche und objektive „Spur“ der Verantwortung sind. Die Wichtigkeit dieser Tatsache zeigt sich dann, wenn diese „Spur“ diffus wird, wie etwa im Falle von Umwelt- und Klimaschäden. In diesen Fällen zeigt sich dann nämlich die Schwierigkeit für Gerechtigkeitsabwägungen, weil die Verteilung von Kompensationspflichten nicht an den jeweiligen kausalen Beitrag gebunden werden kann. Damit stellt sich aber die Frage, ob der hegelsche Ansatz hierfür überhaupt noch etwas austrägt. So hat etwa Ludger Heidbrink in seiner Kritik der Verantwortung 3 eine Grenzbestimmung des Verantwortungskonzeptes für komplexe Zusammenhänge vorgenommen, die sich in heutigen Gesellschaften zunehmend stellen. 4 Als letzte Frage sei hier genannt, wie mit dem hegelschen Theorietypus der Unterschied zwischen lobenswertem und tadelnswertem Handeln gezogen werden könnte bzw. ob auch Klugheitsregeln und die entsprechenden positiven und negativen Bewertungen mit den Mitteln der Moralität behandelt werden können sollten. Bereits an früherer Stelle war aus der Vorrede zitiert worden: „Es ist ein großer Eigensinn, der Eigensinn, der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist“ 5. Und so wie Hegel seine Grundlinien in den Dienst dieses Interesses an Einsicht in die Vernünftigkeit stellt, so wurde in dieser Arbeit 2
3 4
5
Dieses Verhältnis von Subjektivität und Objektivität zeigt sich auch in dem Unterschied zwischen motivierenden und normativen Gründen. Siehe als Überblick zu diesem Unterschied Halbig 2016. Heidbrink 2003. Siehe zum Thema individueller Verantwortung für kausal diffuse Ereignisse Lübbe 1998 und Hohl 2012. GW 14,1: 16.
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das Ziel verfolgt, die hegelsche Position, ihre Begrifflichkeiten und Argumente für heutige Phänomene, Fragen und Probleme einsichtig zu machen. Ob dies gelungen ist, muss der Leserin und dem Leser überlassen werden.
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Hegel-Studien
Personenregister Abegg, Julius Friedrich 17 Aichele, Alexander 185 Alexander, Larry 202 Alvarez, Maria 194 Alznauer, Mark 19, 20, 84, 103, 241 Anderson, John 115 Angehrn, Emil 57 Anscombe, G. E. M. 43 Aristoteles 130 Austin, John 211 Barwise, Jon 285 Baumgartner, Michael 104 Berner, Albert Friedrich 17, 32 Binder, Julius 17, 18, 175 Birnbacher, Dieter 202 Bishop, John 194 Bockelmann, Paul 18 Böning, Peter 18, 213, 242 Bratman, Michael 214 Brendel, Elke 179 Bubnoff, Eckhart von 17 f., 32, 84, 175 Bung, Jochen 14 Caspers, Britta 17 Castañeda, Hector-Neri 135 Chignell, Andrew 187 Clifford, William K. 187 Cowley, Christopher 211, 291 f. Csikszentmihalyi, Mihalyi 142 Davis, Lawrence H. 194 Derbolav, Josef 19 Dreier, Ralf 278 Dulckeit, Gerhard 17 f., 167, 247
Düsing, Klaus 42 Dworkin, Ronald 281 Enoch, David 186, 192 Epping, Volker 279 Eshleman, Andrew 22 Etchemendy, John 285 Eumenes II. 153 Feinberg, Joel 109, 115, 155, 282 Feuerbach, Paul Johann Anselm von 21 Finkelstein, David H. 151 Fischer, Thomas 14 Frankfurt, Harry G. 93, 125 Fulda, Hans Friedrich 26, 57, 62 Gasking, Douglas 157 Gauguin, Paul 188 Geach, Peter 169 Gethmann, Carl Friedrich 28, 77, 158, 224 Gosepath, Stefan 270 Graßhoff, Gerd 104 Gutmann, Thomas 262, 281, 291 Halbig, Christoph 21, 43 f., 67, 79, 214, 240, 298 Hallich, Oliver 57 Hälschner, Hugo 17, 84 Hare, R. M. 57 Harel, Alon 253, 254, 258, 259 Harras, Gisela 101 Hart, H. L. A. 79, 85, 115, 169, 192, 193, 245 Hartmann, Dirk 153, 227 Heidbrink, Ludger 298 Henrich, Dieter 39, 179, 246
316
Personenregister
Hohfeld, Wesley Newcomb 253–257, 259 Hohl, Sabine 298 Holl, Thomas 18, 167 Honig, Richard 181, 210 Honneth, Axel 23, 279 Honoré, Anthony 85, 93, 115, 123, 124 Horstmann, Rolf-Peter 266 Hösle, Vittorio 21, 168 Hüttemann, Andreas 60, 83, 113, 118, 122 Hyman, John 194 Jaeggi, Rahel 23 Jäger, Christoph 106, 136 Jakobs, Günther 277 Jansen, Nils 276 Jaster, Romy 208 Jellinek, Georg 278 Kamlah, Wilhelm 60 Kamp, Georg 153 Kant, Immanuel 39, 64 f., 282, 287 Keil, Geert 38, 104, 271 Keller, Rudi 101 Kelsen, Hans 72, 271 Kervégan, Jean-Francois 281–283, 290, 292 Kim, Jaegwon 157 Knappik, Franz 32, 57 Knobe, Joshua 91 Knowles, Dudley 20, 288 Köstlin, Reinhold 17 Kreines, James 153 Kubiciel, Michael 17, 175 Laitinen, Arto 19, 151 Larenz, Karl 17 f., 175, 176, 180, 183, 184 Lorenzen, Paul 59 Lübbe, Weyma 298 Lübbe-Wolff, Gertrude 272 Lyons, David 257
Mackie, John L. 23, 105, 110, 111–114 Maraguat, Edgar 19 Marmor, Andrei 37, 192 Matwejew, I. K. 83 Mayer, Max Ernst 88 Mayr, Erasmus 107 McCann, Hugh J. 194 McTaggart, John McTaggart Ellis 98 Menegoni 19 Michelet, Karl Ludwig 16, 17, 175 Mohr, Georg 270, 281–283, 291 f. Moore, Michael 82, 85, 88, 202 Moritz, Arne 279 Nagel, Thomas 186, 187, 188, 192 Nelkin, Dana 22, 186, 187 Neuhouser, Frederick 40, 68, 267 Novakovic, Andreja 38 Ostritsch, Sebastian 20, 206 Owens, David 255 Pawlik, Michael 17 f., 175 Peperzak, Adriaan T. 21, 231 Piontkowski, A. A. 18 Pippin, Robert 19, 20, 166 Puppe, Ingeborg 13, 14, 111, 183 Quante, Michael 19, 22, 24, 27, 37, 58, 59, 70, 85, 101, 103, 105, 106, 107, 160, 166, 169, 175, 214, 242 Radbruch, Gustav 17 Raz, Joseph 43, 55, 86, 207, 266 Reinhold, Karl Leonhard 38 Rengier, Rudolf 128, 129, 160, 180, 181, 182, 210, 215 Riedel, Manfred 17 Rojek, Tim 25, 270 Rosefeldt, Tobias 64 Rössler, Beate 38
Personenregister
Rousseau, Jean-Jacques 40 Roxin, Claus 87, 117, 119, 129, 130, 180, 183, 274 Ruben, David-Hillel 91, 194 Rümelin, Max 177, 186 Sander, Thorsten 158 Sandis, Constantine 19, 151 Sandkaulen, Birgit 98 Sarch, Alexander 37 Savigny, Eike von 140 Schirmer, Jakob 18 Schnädelbach, Herbert 21 Scholz, Oliver 234 Schroeder, Friedrich-Christian 85 Schroeder, Mark 57 Schweikard, David 70 Schwemmer, Oswald 59 Searle, John 43, 120, 196 Seelmann, Kurt 17, 175 Sher, George 23, 91, 127, 130–132, 140, 141, 146–151, 165, 166, 175, 216 f., 295 Siep, Ludwig 21, 22, 32, 64, 69, 221, 272, 278 Sinnott-Armstrong, Walter 202 Sneddon, Andrew 153 Spaemann, Robert 202 Speight, Allen 167 Stapleton, Jane 88, 89
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Stepanians, Markus 254, 258, 259, 278 Stoppenbrink, Katja 167 Strawson, Peter 38 Taylor, Charles 19, 91, 107, 167 Theunissen, Michael 70 Utz, Konrad 179 van Ackeren, Marcel 55 Vieweg, Klaus 25 von Almendingen, Ludwig Harscher 21, 103, 106 von Buri, Maximilian 116 von Kries, Johannes 176, 178, 180, 181 von Wright, Georg Henrik 91, 108, 142, 165, 194, 195 Watkins-Bienz, Renée M. 79, 245 Weber, Max 202 Welzel, Hans 128 Wenar, Leif 254, 258 Willaschek, Marcus 39 Williams, Bernard 186, 188 Wittgenstein, Ludwig 77, 140, 165 Wittwer, Hector 55 Wolff, Michael 25, 156 Wood, Allen 20 Wright, Richard 123
Sachregister Anfechtungsgrund 27, 81, 213, 240
Konstitutive Regeln 120, 156, 163, 195 f.
Blame 31, 214–217
Konstruktivismus 67
Deliktsrecht 86, 176, 178, 276
Metaethik 21, 51, 67, 176
Erfolg 86 f., 90, 101, 106, 110, 117, 121, 125, 128, 130, 138, 178, 180–183, 188, 207 f., 249, 278, 296
Mord 13, 123 f.
Erfolgshandlung 91, 94, 117, 124 f., 142, 194–196, 249 Folgen, soziale 119 f.
Naturrecht 281 Nonkognitivismus 57 Norm 26, 31, 64, 93, 125, 148, 211, 216 f., 232, 237, 245 f., 251, 271, 275 f., 278, 280, 286, 297
Freiheit 23, 32, 38–40, 45, 52–57, 61–68, 71, 81, 124, 151, 164, 214–220, 225, 228, 230–238, 249 f., 256, 264, 267 f., 277– 279
objektiv 58, 60 f., 80, 126, 137, 157, 161, 168, 179, 182, 184, 196, 211, 221, 242, 246, 250, 267, 269,
Geist 20, 38 f., 42 f., 52, 56–62, 134, 168, 226, 241, 263, 266, 268, 297 f.
Recht, positives 217, 254, 264, 272–292
Positivismus 72, 281
Gesetz 129, 200, 203–205, 245, 275, 282, 284, 287,
Rechtfertigung 13 f., 18, 27, 154, 211, 214, 217–219, 232, 236, 296
Grund 27, 32, 42, 52 f., 90. 95, 101, 111, 118, 120, 122, 134, 179, 183, 191, 205, 208, 211, 213, 224, 259, 267 f., 286, 288, 293
Regel 28, 79, 120, 170, 176, 195 f., 208 f., 271, 285
Handlungstypen 86, 91, 109, 121, 142, 156–162, 196, 208 Handlungsvollzug 61, 145, 161, 164, 196, 203, 244 Hohfeldschema 254, 259, 262, Individuum 26, 60, 63, 67, 242, 275 f. INUS 29, 89, 110–123, 199, 210, 294 Kognitivismus 242
Scheitern 98, 110, 145, 161, 169, 244, Strafe 20 f., 128 f., 138, 184, 235, 239, 245, 256, 263, 266, 275, 278, 286, 297 Totschlag 13, 14, 86 Transsubjektivität 59, 76, 78 Unterlassung 31 f., 128, 214, 246–248, 251, 296 Wesen 36, 42, 46, 51, 57, 69 f., 78, 80, 95, 99, 134, 145 f., 156, 158, 160, 165, 167 f., 207, 209, 218–225, 231, 268, 290